»Kundenpräferenzen« als Rechtfertigungsgrund: Zulässigkeit von Benachteiligungen Beschäftigter im Hinblick auf Interessen Dritter [1 ed.] 9783428549078, 9783428149070

Ist es zulässig, dass ein Bekleidungsgeschäft für junge Mode im Hinblick auf die potentielle Kundschaft nur junges Verka

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German Pages 681 Year 2016

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»Kundenpräferenzen« als Rechtfertigungsgrund: Zulässigkeit von Benachteiligungen Beschäftigter im Hinblick auf Interessen Dritter [1 ed.]
 9783428549078, 9783428149070

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 338

„Kundenpräferenzen“ als Rechtfertigungsgrund Zulässigkeit von Benachteiligungen Beschäftigter im Hinblick auf Interessen Dritter

Von

Melanie Buhk

Duncker & Humblot · Berlin

MELANIE BUHK

„Kundenpräferenzen“ als Rechtfertigungsgrund

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 338

„Kundenpräferenzen“ als Rechtfertigungsgrund Zulässigkeit von Benachteiligungen Beschäftigter im Hinblick auf Interessen Dritter

Von

Melanie Buhk

Duncker & Humblot · Berlin

Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-14907-0 (Print) ISBN 978-3-428-54907-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-84907-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Herbsttrimester 2015 von der Bucerius Law School in Hamburg als Dissertation angenommen. Sie wurde im Juli 2015 fertiggestellt und berücksichtigt die bis dahin erschienene Literatur und Rechtsprechung. Mit der mündlichen Prüfung am 15. Februar 2016 wurde das Promotionsverfahren abgeschlossen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Professor Dr. Matthias Jacobs, der bereits im Studium meine Begeisterung für das Arbeitsrecht weckte. Seiner großartigen Förderung verdanke ich nicht zuletzt die Teilnahme an verschiedenen internationalen Doktorandenprogrammen, die mir neue Perspektiven auf die Thematik eröffnet haben und die ich fachlich und persönlich als große Bereicherung empfunden habe. Professor Dr. Jörn Axel Kämmerer danke ich für die trotz des Umfangs der Arbeit äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Großer Dank gilt auch der Studienstiftung des deutschen Volkes für die finanzielle und ideelle Förderung im Rahmen eines Promotionsstipendiums. Bedanken möchte ich mich ferner bei der Kanzlei Gibson, Dunn & Crutcher LLP für die Ermöglichung eines Forschungssemesters an der Duke Law School durch die Aufnahme in das wunderbare „Gibson Dunn US Fellowship Program 2011“. Mein Dank gilt zudem der Kanzlei Kliemt & Vollstädt für die Auszeichnung der Arbeit mit dem Kliemt & Vollstädt-Dissertationspreis 2015 sowie der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Während der Promotionszeit haben mir zahlreiche Freunde und Familien­ mitglieder mit motivierendem Zuspruch, gutem Rat und hilfreicher Tat zur Seite gestanden. An erster Stelle ist Dr. Fabian Walla zu nennen, auf dessen zuverlässige Ratschläge ich bereits seit dem Studium zählen darf. Er hat mir als geduldiger Diskussionspartner immer wieder Gelassenheit vermittelt und nicht zuletzt das komplette Manuskript der Arbeit aufmerksam durchgesehen. Auch Wiebke Thurm hat mir in verschiedenen Phasen der Arbeit – insbesondere durch ihre gründlichen Korrekturen – viele scharfsinnige Denkanstöße gegeben. Katharina Goldberg und meine Eltern Cornelia und Holger Buhk standen mir ebenfalls als engagierte Korrekturleser zur Seite. Ihnen allen und weiteren Unterstützern im Familien- und Freundeskreis, deren Beistand über die Jahre auf vielen verschiedenen Wegen erfolgte, danke ich von Herzen.

Hamburg, im Juli 2016

Melanie Buhk

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen . . . . . . . 35 I. Etymologische Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Kundenbegriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Präferenzbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Zusammenfassende Begriffskonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Ökonomische Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Wirkungszusammenhänge und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Messbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5. Zusammenfassung der Ergebnisse der ökonomischen Annäherung . . 69 III. Rechtliche Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Faktische Ausgangs- und Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Rechtliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Zusammenfassung der Ergebnisse der rechtlichen Annäherung . . . . 101 C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Vorbildcharakter US-amerikanischer Antidiskriminierungs­regelungen . 103 2. Kein Rechtsvergleich im klassischen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. US-amerikanisches Recht als Inspirationsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. Gesetzliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Title VII des Civil Rights Act of 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Age Discrimination in Employment Act of 1967 . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Americans with Disabilities Act of 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4. „Blickrichtung“ bei der Beleuchtung US-amerikanischen Rechts . . . 118 III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII . . . . . . . . . . 118 1. Gesetzgebungsgeschichte der BFOQ-Ausnahme des Title VII . . . . . 119 2. Guidelines der Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Rechtsprechung zur BFOQ-Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Schrifttum zur BFOQ-Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 IV. Business necessity defense des Title VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Gesetzgebungsgeschichte der business necessity defense . . . . . . . . . 213 2. Guidelines der EEOC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

8 Inhaltsübersicht 3. Rechtsprechung zur business necessity defense . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Schrifttum zur business necessity defense . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 V. Zusammenfassung der Ergebnisse des Blicks in das US-amerikanische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 D. Europarechtliche Vorgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. EU-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Wesentliche Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 3. Problematik der Generalklauseln und Folgerungen für die weitere Struktur dieses Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 II. Geschichtlicher Hintergrund der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Ursprung: Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung . . . . . . . . . . 256 2. Neue Beschäftigungsvorschriften durch den Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Maßnahmen auf Grundlage der Art. 141 Abs. 3 EG und Art. 13 EG  . 259 III. Programmatische Ausrichtung und Gleichheitskonzept der Richtlinien . 260 1. Verschiedene Antidiskriminierungsprogrammatiken nach Lobinger      . 261 2. Programmatik der Antidiskriminierungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Zusammenfassung des Ergebnisses zur programmatischen ­Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3. Rasse oder ethnische Herkunft – Feryn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 4. Sexuelle Ausrichtung – Asociatia ACCEPT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 5. Zusammenfassung des Ergebnisses der Betrachtung der EuGHRechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Hierarchie der Diskriminierungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Rechtfertigungsbestimmungen – Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 3. Zusammenfassung der europarechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . 346 E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 I. Gegenüberstellung / Abweichungen von den Richtlinien . . . . . . . . . . . . . 351 1. Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen gemäß § 8 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 2. Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung gemäß § 10 S. 1 und 2 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 3. Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . 353 II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

Inhaltsübersicht9 1. Ausgangspunkt: Verbot der geschlechtsbezogenen Benachteiligung . 353 2. Ablösung durch das AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 III. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Konkretisierung der Rechtfertigungsbestimmungen durch die ­Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 2. Fälle mit Bezug zu Kundenpräferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 3. Zusammenfassung: Ergebnis der Rechtsprechungsbetrachtung . . . . . 476 IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 1. Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 2. Einzelne Lösungsansätze aus dem Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 3. Zusammenfassende Bewertung des Umgangs mit der Kundenpräferenzproblematik im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 V. Vorschlag eines Prüfungsrasterszur Beurteilung der Kundenpräferenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 1. Ansprüche an ein Lösungsmodell – Lektionen aus den vorgehenden Kapiteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 2. Prüfungsraster zur Beurteilung der Kundenpräferenzfälle . . . . . . . . . 506 VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle . . . . . . . . . . . . . 574 1. Problemkreis „Kommerzialisierung von (meist weiblichem) Sex-Appeal in plus-sex businesses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 2. Problemkreis „Rechtfertigung im Hinblick auf die Privatsphäre der Kunden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 3. Problemkreis „Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild – insbesondere Kleiderordnungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 4. Problemkreis „Anforderungen an Sprachkenntnisse des Beschäftigten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 5. Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 F. Zusammenfassung / Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 I. Zu Kapitel B..(etymologische, ökonomische, rechtliche Annäherung an die Thematik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 II. Zu Kapitel C. (US-amerikanisches Recht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 III. Zu Kapitel D. (europarechtliche Vorgaben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 IV. Zu Kapitel E. (deutsches Recht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 Entscheidungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen . . . . . . . 35 I. Etymologische Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Kundenbegriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Ursprünglich: Begrenzung des Kundenbegriffs auf Verkaufs­ beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Erweiterung des Kundenbegriffs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 aa) Bürger als Kunde  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Klient als Kunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 cc) Patient als Kunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 dd) Schlussfolgerungen in Bezug auf den Kundenbegriff dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Präferenzbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) „Ob“ der Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) „Wie“ der Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Zusammenfassende Begriffskonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Ökonomische Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Wirkungszusammenhänge und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Messbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Theoretischer Unterbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Beispiel 1: Professioneller Sport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Fanpräferenzen im Basketball . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Fanpräferenzen im Fußball . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 cc) Ergebnis zu Kundenpräferenzstudien im Profisport . . . . . . . . 61 c) Beispiel 2: Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 aa) Allgemeinmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 bb) Gynäkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 cc) Ergebnis zu Kundenpräferenzstudien im Gesundheitswesen . 65 d) Beispiel 3: Einzelhandel / Gastronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Gastronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 cc) Ergebnis zu Kundenpräferenzstudien in Einzelhandel und Gastronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5. Zusammenfassung der Ergebnisse der ökonomischen Annäherung . . 69

12 Inhaltsverzeichnis III. Rechtliche Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Faktische Ausgangs- und Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Parteien und Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) Kundeninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) Arbeitgeberinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 cc) Beschäftigteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Rechtliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Vor Inkrafttreten des AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) § 611a BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 bb) § 81 Abs. 2 SGB IX a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 cc) § 75 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 dd) Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . 79 ee) Schutz über die Generalklauseln auf Grund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (1) Schutz über das Gleichheitsrecht des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (2) Schutz über die Freiheitsrechte – insbesondere Art. 4 Abs. 1 und 2, 12 und 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG . . . . . 82 (a) „Kopftuchentscheidung“ des BAG . . . . . . . . . . . . . . 83 (b) Weitere Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 ff) Weitere spezialgesetzliche Diskriminierungsverbote . . . . . . . 85 b) Seit Inkrafttreten des AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (1) Diskriminierungsschutz in allen Phasen des Beschäftigungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (2) Diskriminierungsschutz nicht nur für Arbeitnehmer . . . . 88 bb) Benachteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (1) (Un)mittelbare Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (2) (Sexuelle) Belästigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (3) Anweisung zur Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 cc) Rechtfertigung von Benachteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (1) Rechtfertigung einer unmittelbaren Benachteiligung . . . 93 (a) Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruf­licher Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (b) Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (c) Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (d) Positive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (2) Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung . . . . . 99 dd) Maßnahmen gegenüber benachteiligenden Dritten . . . . . . . . . 99 c) Änderung früheren Rechts bei Inkrafttreten des AGG . . . . . . . . . 100 3. Zusammenfassung der Ergebnisse der rechtlichen Annäherung . . . . 101

Inhaltsverzeichnis13 C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Vorbildcharakter US-amerikanischer Antidiskriminierungs­ regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Kein Rechtsvergleich im klassischen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. US-amerikanisches Recht als Inspirationsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. Gesetzliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Title VII des Civil Rights Act of 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Rechtfertigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Rechtfertigung einer disparate treatment Diskriminierung  . . 108 bb) Rechtfertigung einer disparate impact Diskriminierung . . . . . 110 c) Vorbildfunktion des Title VII  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Age Discrimination in Employment Act of 1967 . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Rechtfertigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Vorbildfunktion des ADEA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3. Americans with Disabilities Act of 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Rechtfertigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Vorbildfunktion des ADA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. „Blickrichtung“ bei der Beleuchtung US-amerikanischen Rechts . . . 118 III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII . . . . . . . . . . 118 1. Gesetzgebungsgeschichte der BFOQ-Ausnahme des Title VII . . . . . 119 a) Hintergrund des Title VII allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Hintergrund der fehlenden Rassen- / Hautfarben-BFOQ . . . . . . . . 120 c) Hintergrund der Geschlechter-BFOQ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Guidelines der Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Inhalt der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Bedeutung der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Rechtsprechung zur BFOQ-Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Von der Rechtsprechung entwickelte Prüfungsschritte . . . . . . . . . 125 aa) „All or substantially all“-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) „Essence of the business“-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 cc) „Less discriminatory alternatives“-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Entscheidungen des U.S. Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 aa) Dothard v. Rawlinson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc.  . . . . . . 133 cc) Schlüsse aus einem Vergleich der U.S. Supreme CourtEntscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Authentizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

14 Inhaltsverzeichnis (1) Zulässige Authentizität-BFOQs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Unzulässige Authentizität-BFOQs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (a) Wilson v. Southwest Airlines Co. . . . . . . . . . . . . . . . 139 (b) EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (3) Zusammenfassende Beobachtungen zur AuthentizitätsBFOQ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (1) Zulässige Privatsphäre-BFOQs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (a) Hausmeistertätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (b) Tätigkeiten im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . 147 (aa) Tätigkeiten auf der Entbindungsstation . . . . . . 147 (bb) Pflegetätigkeiten in Altersheimen . . . . . . . . . . . 148 (cc) Weitere Beispiele aus dem Gesundheitsbereich . 151 (c) Tätigkeiten in Gefängnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (2) Unzulässige Privatsphäre-BFOQs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (a) Tätigkeiten in Gefängnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (b) Tätigkeiten im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . 157 (aa) EEOC v. Sedita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (bb) Körperliche Privatsphäre nur minimal ­betroffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (3) Zusammenfassende Beobachtungen zur PrivatsphäreBFOQ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 cc) Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (1) Zulässige Sicherheits-BFOQ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (a) Tätigkeiten bei Fluggesellschaften . . . . . . . . . . . . . . 162 (b) Tätigkeiten in Gefängnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (2) Unzulässige Sicherheits-BFOQ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (3) Zusammenfassende Beobachtungen zur SicherheitsBFOQ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 dd) Fälle mit Auslandsberührung – Präferenzen von Kunden eines anderen Kulturkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) American Jewish Congress v. Carter  . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Fernandez v. Wynn Oil Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (3) Ames v. Cartier, Inc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (4) Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano . . . . . . . . . . 170 (5) Zusammenfassende Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 d) Fälle zu Kundenpräferenzen bezüglich der Rasse . . . . . . . . . . . . 172 aa) Miller v. Texas State Board of Barber Examiners . . . . . . . . . 173 bb) Rucker v. Higher Educational Aids Board . . . . . . . . . . . . . . . 174 cc) Ray v. University of Arkansas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 dd) Chaney v. Plainfield Healthcare Center . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 ee) Zusammenfassende Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 e) Ergebnis zur Rechtsprechung bezüglich der BFOQ-Ausnahme . . 179

Inhaltsverzeichnis15 4. Schrifttum zur BFOQ-Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Meinungsspektrum zur BFOQ-Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Problemkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Themenkomplex 1: BFOQ-Ausnahme und der „essence of the business“-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Epstein  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Yuracko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (3) Cantor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 bb) Themenkomplex 2: Plus-sex businesses . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (1) Hooters als Anschauungsbeispiel für die plus-sex business Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) McGinley . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (3) Cahill . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Themenkomplex 3: Privatsphäre-BFOQ . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (1) Kapczynski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (2) Berman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (3) Waldman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 dd) Themenkomplex 4: Fälle mit Auslandsberührung . . . . . . . . . 199 (1) Winterscheidt und Lewis / Ottley . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (2) Stegura und Cohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 ee) Themenkomplex 5: Notwendigkeit einer Rassen-BFOQ . . . . 203 (1) Besonderheiten des Merkmals Rasse . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (2) Frymer / Skrentny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (a) Polizeiwesen und Bildungssektor . . . . . . . . . . . . . . . 205 (b) Geschäftswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (3) Bryant vs. Frank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (a) Bryants Argumente für die Schaffung einer RassenBFOQ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (b) Franks Argumente gegen die Schaffung einer Rassen-BFOQ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 c) Ergebnis zur Diskussion der BFOQ-Ausnahme im Schrifttum . . 211 IV. Business necessity defense des Title VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Gesetzgebungsgeschichte der business necessity defense . . . . . . . . . 213 2. Guidelines der EEOC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Rechtsprechung zur business necessity defense . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Äußeres Erscheinungsbild des Beschäftigten . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Diskriminierung auf Grund des Merkmals Rasse  . . . . . . . . . 216 (1) Rogers v. American Airlines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

16 Inhaltsverzeichnis (2) Woods v. Safeway Stores, Inc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (3) Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc. . . . . . . . . . . . . . . . 220 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 bb) Diskriminierung auf Grund des Merkmals Religion . . . . . . . 222 (1) EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Cloutier v. Costco Wholesale Corporation . . . . . . . . . . . 224 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) English-Only Rules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 aa) Garcia v. Gloor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 bb) Jurado v. Eleven-Fifty Corporation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 cc) EEOC v. Sephora USA, LLC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 dd) Pacheco v. New York Presbyterian Hospital . . . . . . . . . . . . . 230 ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Ergebnis zur Rechtsprechung bezüglich der business necessity defense . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 4. Schrifttum zur business necessity defense . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Themenkomplex 1: Äußeres Erscheinungsbild des Beschäftigten . 232 aa) Turner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 bb) Bello  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 cc) Bandsuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (1) TOC Framework . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (2) Funktionsweise des Ansatzes anhand des Anschauungsbeispiels Rogers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Themenkomplex 2: English-Only Rules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 aa) Jacobsen und Rodríguez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 bb) Lloyd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Ergebnis zum Schrifttum bezüglich der business necessity defense . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 V. Zusammenfassung d  er Ergebnisse des Blicks in das US-amerikanische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 D. Europarechtliche Vorgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. EU-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Wesentliche Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Rechtfertigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Durch § 8 Abs. 1 AGG umgesetzte Regelungen . . . . . . . . . . 251 bb) Durch § 10 S. 1 und 2 AGG umgesetzte Regelung . . . . . . . . 252

Inhaltsverzeichnis17 cc) Durch § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG umgesetzte Regelungen . . . . . 253 dd) Weitere Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . 253 3. Problematik der Generalklauseln und Folgerungen für die weitere Struktur dieses Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 II. Geschichtlicher Hintergrund der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Ursprung: Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung . . . . . . . . . . 256 2. Neue Beschäftigungsvorschriften durch den Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Art. 141 Abs. 3 EG (nunmehr Art. 157 Abs. 3 AEUV) . . . . . . . . 258 b) Art. 13 EG (nunmehr Art. 19 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3. Maßnahmen auf Grundlage der Art. 141 Abs. 3 EG und Art. 13 EG  . 259 a) Maßnahmenpaket auf Grundlage des Art. 13 EG . . . . . . . . . . . . . 259 b) Maßnahmen auf Grundlage des Art. 141 Abs. 3 EG . . . . . . . . . . 260 III. Programmatische Ausrichtung und Gleichheitskonzept der Richtlinien . 260 1. Verschiedene Antidiskriminierungsprogrammatiken nach Lobinger   . 261 2. Programmatik der Antidiskriminierungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Elemente integritätsschützender Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Elemente integrations- und verteilungspolitischer Ansätze . . . . . 265 c) Elemente sozial- und moralpädagogischer Ansätze . . . . . . . . . . . 266 d) Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 aa) Fundierung im Schutz der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Verteilungspolitische Ausrichtung im Kontext der Beschäftigungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Zusammenfassung des Ergebnisses zur programmatischen Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) Privatsphäreinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Sicherheitsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Johnston . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Sirdar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 cc) Kreil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Privatsphäre- und Sicherheitsinteressen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 d) Zusammenfassung / Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 a) Petersen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 b) Wolf  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 c) Prigge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 d) Zusammenfassung / Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 3. Rasse oder ethnische Herkunft – Feryn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Sachverhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 b) Schlussanträge des Generalanwalts / Entscheidung des EuGH . . . 288

18 Inhaltsverzeichnis c) Vereinbarkeit mit europäischer Antidiskriminierungs­ programmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 4. Sexuelle Ausrichtung – Asociatia ACCEPT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 a) Fall als Ausgangspunkt für Überlegungen zu homophoben Fanpräferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Vereinbarkeit mit europäischer Antidiskriminierungs­ programmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 5. Zusammenfassung des Ergebnisses der Betrachtung der EuGHRechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Hierarchie der Diskriminierungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 a) Argumente für eine Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 b) Argumente gegen eine Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 c) Gründe für die unterschiedliche Behandlung der Diskriminierungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 d) Unterschiede bei der Auslegung der Rechtfertigungs­ bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 2. Rechtfertigungsbestimmungen – Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 a) Rechtfertigung wegen beruflicher Voraussetzungen . . . . . . . . . . . 301 aa) Vorläuferregelung Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL . . . . . . . . . . . 301 (1) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (2) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (3) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 bb) „Zusammenhängendes Merkmal“ – Bezugspunkt der beruflichen Anforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 (1) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (2) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (3) Historische / Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 307 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 cc) „… wenn das betreffende Merkmal“ – Positive Anknüpfung an das geschützte Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 (1) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (2) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (3) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 dd) „Wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“ . 310 (1) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 (2) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 (a) Arbeitsrechtlicher Rechtfertigungsgrund gemäß Art. 4 Abs. 2 BeschäftiggsRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 (b) Zivilrechtlicher Rechtfertigungsgrund gemäß Art. 4 Abs. 5 GenderZivRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

Inhaltsverzeichnis19 (3) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (4) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 ee) „Rechtmäßiger Zweck“ und „angemessene Anforderung“ . . . 320 (1) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 (2) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (3) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 b) Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . 324 aa) „… durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt“ . . . 325 (1) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 (2) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 (3) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 bb) „… und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 (1) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 (2) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 c) Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 aa) „Legitimes Ziel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 (1) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 (2) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 (3) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 (a) Entstehungsgeschichte der Formulierung „im Rahmen des nationalen Rechts“ . . . . . . . . . . . . 339 (b) Entstehungsgeschichte des „insbesondere“Einschubs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 (4) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 bb) „… die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 cc) Objektiv und angemessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 d) Verhältnis der Rechtfertigungsgründe zueinander . . . . . . . . . . . . . 344 3. Zusammenfassung der europarechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . 346 E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 I. Gegenüberstellung / Abweichungen von den Richtlinien . . . . . . . . . . . . . 351 1. Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen gemäß § 8 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 2. Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung gemäß § 10 S. 1 und 2 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 3. Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . 353

20 Inhaltsverzeichnis II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 1. Ausgangspunkt: Verbot der geschlechtsbezogenen Benachteiligung . 353 a) Geschichtlicher Hintergrund des Benachteiligungsverbots . . . . . . 354 b) Begründung der Rechtfertigungsregelung in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 c) Stellungnahme des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 d) Antwort der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 e) Liste der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 2. Ablösung durch das AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 a) Entstehungsgeschichte des AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 b) Hauptstreitpunkte in der rechtspolitischen Debatte  . . . . . . . . . . . 360 aa) ADG-E-Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 bb) AGG-Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 c) Zielsetzung deutscher Antidiskriminierungsgesetzgebung . . . . . . 363 aa) Plenardebatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 bb) Gesetzgebungsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 (1) Primär: Integritätsschützende Ausrichtung . . . . . . . . . . . 365 (2) Sekundär: Verteilungspolitische Ausrichtung zugunsten besonders benachteiligter Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 cc) Zwei Zielsetzungen – Orientierungshilfen für die Kundenpräferenzfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 d) Insbesondere: Begründung und Entwicklung der Ausnahme­ bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 aa) Hintergrund des § 8 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 (1) Entstehungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 (2) Gleichlauf der Maßstäbe von § 8 Abs. 1 AGG und § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (3) Begründung zu § 8 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 bb) Hintergrund des § 10 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 (1) Entwicklungsgeschichte des § 10 AGG. . . . . . . . . . . . . . 372 (2) Begründung zu § 10 S. 1 und 2 AGG . . . . . . . . . . . . . . . 372 (3) Gleichlauf der Maßstäbe von § 10 S. 1 und 2 AGG und § 3 Abs. 2 AGG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 cc) Hintergrund des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 e) Ergebnis der Betrachtung der AGG-Gesetzgebungsgeschichte . . 375 III. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Konkretisierung der Rechtfertigungsbestimmungen durch die Bundesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 a) Konkretisierung des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. durch das BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Konkretisierung des § 8 Abs. 1 AGG durch das BAG . . . . . . . . . 377 aa) Wesentlich und entscheidend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

Inhaltsverzeichnis21 bb) Berufliche Anforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 cc) Rechtmäßiger Zweck und Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . 379 c) Konkretisierung des § 10 AGG durch die Bundesgerichte . . . . . 380 aa) Keine rechtswidrigen Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 bb) Objektiv und angemessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 cc) Angemessen und erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 dd) Legitimes Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 (1) Auffassungen der Arbeitsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 (a) Auffassungen der BAG-Senate . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 (b) Auffassungen der LAGe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 (2) Auffassungen der Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . 385 (a) Auffassung des BVerwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 (b) Auffassungen der OVGe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 (3) Auffassung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 (4) Ergebnis zur Auslegung des „legitimen Ziels“ durch die Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 d) Konkretisierung des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG durch das BAG . . . 388 aa) Sachliche Rechtfertigung durch ein rechtmäßiges Ziel . . . . . 388 bb) Erforderlich und angemessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 2. Fälle mit Bezug zu Kundenpräferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 a) Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 aa) Zulässige Rechtfertigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 (1) Privatsphäre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 (a) Medizinische / Pflegerische Tätigkeiten . . . . . . . . . . . 391 (aa) BAG: Arzthelferin in einer chirurgischen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 (bb) ArbG Hamburg: Pflegekraft in einer Belegarztklinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 (b) (Sozial)pädagogische Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 394 (aa) BAG: Erzieherin / Sportlehrerin /  Sozialpädagogin in einem Mädcheninternat  . . 394 (bb) ArbG Göttingen: Sozialpädagoge beim Jugendamt mit dem Aufgabengebiet als ­Amtsvormund / Amtspflegerin . . . . . . . . . . . . . . 395 (c) LAG Köln: Verkäuferin für Damenober- und Damenbadebekleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 (2) Authentizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 (a) LAG Berlin: Frauenreferentin bei einer politischen Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 (b) ArbG München: Geschäftsführerin eines Frauen­ verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 (c) ArbG Köln: Bundesgeschäftsführerin bei einem katholischen Frauenverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400

22 Inhaltsverzeichnis (d) ArbG Köln: Geschäftsführerin bei einem Verein, der durch männliche Gewalt traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten betreut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 (e) ArbG Bonn: Kundenbetreuerin bei einem ­Finanzdienstleistungsunternehmen mit frauen­ spezifischem ­Betätigungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (3) Schnittstelle Privatsphäre / Authentizität . . . . . . . . . . . . . . 403 (a) ArbG Köln: Sozialarbeiterin im Projekt „Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsverheiratung“ . . 404 (b) BAG: kommunale Gleichstellungsbeauftragte . . . . . 405 (4) Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 bb) Unzulässige Rechtfertigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 (1) Ratio nicht erkennbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 (a) BAG: Sozialarbeiter im Wohnheim für straf­ entlassene Männer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 (b) BAG: Gleichstellungsbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . 410 (c) LAG Düsseldorf: Sozialpädagoge / Diplom­ pädagoge / Heimerzieher für sozialpädagogische Arbeiten im Jugendbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 (d) BAG: Lehrkraft in sonderpädagogischer Schule mit hohem Jungenanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 (2) Privatsphäre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 (3) Authentizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 (4) Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 (5) Kulturkreisübergreifende Kundenpräferenzen . . . . . . . . . 415 cc) Zusammenfassung der Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 (1) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 (2) Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 (3) Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 b) Rasse und ethnische Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 aa) Zulässige Sprachanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (1) BAG: Werker in der Spritzgussabteilung eines ­Automobilzulieferers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (2) BAG: Reinigungskraft / Kassiererin im Schwimmbad . . . 421 (3) LAG Nürnberg: Softwareentwickler . . . . . . . . . . . . . . . . 422 bb) Unzulässige Sprachanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 (1) ArbG Berlin: Tätigkeit am Infopoint / Visitor Service bei einem Kunstverein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 (2) ArbG Hamburg: Postzusteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 (3) LAG Bremen: Telefonsachbearbeiterin in einem ­Logistikunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 cc) Zusammenfassung der Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426

Inhaltsverzeichnis23 (1) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 (2) Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 c) Religion und Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 aa) Kopftuchfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 (1) Arbeitgeber im Sinne des § 9 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . 429 (a) LAG Hamm / BAG: Krankenschwester in einem Krankenhaus in konfessioneller Trägerschaft der Evangelischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 (b) ArbG Köln: Krankenschwester in einem Krankenhaus der Caritas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 (2) Arbeitgeber Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 (a) Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 (aa) Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 (bb) Referendare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 (b) Arbeitsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 (aa) Lehrer / Sozialpädagogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 (bb) Erzieher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (3) Arbeitgeber privatwirtschaftlicher Betriebe . . . . . . . . . . . 438 (a) BAG: Verkäuferin in einem Kaufhaus . . . . . . . . . . . 439 (b) ArbG Berlin: Zahnarzthelferin in einer Zahnarztpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 bb) „Jesus-hat-Sie-lieb“-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 cc) Zusammenfassung der Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 (1) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 (2) Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 d) Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 aa) Zulässige Rechtfertigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 (1) BSG: Altersgrenze für Vertragsärzte . . . . . . . . . . . . . . . . 446 (2) OVG Bremen: Altersgrenze für flugmedizinische ­Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 (a) AGG-rechtlicher Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . 448 (b) Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . 448 (aa) Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 (bb) Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 (3) VG München: Altersgrenze für Prüfingenieure . . . . . . . 450 (4) OVG Berlin-Brandenburg: Altershöchstgrenze für Einsatzbeamte des SEK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 (a) Rechtfertigung gemäß § 8 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . 451 (b) Rechtfertigung gemäß § 10 AGG . . . . . . . . . . . . . . . 452 bb) Unzulässige Rechtfertigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 (1) BAG: Altersgrenze für Flugbegleiter  . . . . . . . . . . . . . . . 453 (2) BAG: Höchsteinstiegsaltersgrenze für Piloten . . . . . . . . 454 (3) LAG Düsseldorf: Altersgrenze für Fluglotsen . . . . . . . . 455

24 Inhaltsverzeichnis (4) BAG: Altersgrenze für Piloten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 (5) BAG: Altersgrenze für Flugingenieure . . . . . . . . . . . . . . 458 (6) BVerwG: Altersgrenze für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 (7) LG Berlin: Altersgrenze für die Erteilung eines Berufsfahrausweises für Trabrennfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 cc) Zusammenfassung der Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 (1) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 (2) Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 e) Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 aa) LAG Rheinland-Pfalz: „Site Manager“ für ein Bewachungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 bb) LAG Berlin-Brandenburg / BAG: Chemisch-Technischer Assistent im Reinraumbereich eines pharmazeutischen ­Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 cc) VG Berlin: Tätigkeit als Heilpraktikerin . . . . . . . . . . . . . . . . 465 dd) ArbG Darmstadt: Geschäftsführerin bei einem gemeinnüt­ zigen Verein zur Förderung der öffentlichen Gesundheit  . . . 466 ee) Zusammenfassung der Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 f) Sexuelle Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 aa) Fälle zu unstrittig geschützten sexuellen Neigungen . . . . . . . 469 (1) ArbG Stuttgart: Erzieherin in einem katholischen Kindergarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 (2) Obiter Dictum des ArbG Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 (3) BVerwG: homosexuelle Soldaten als Ausbilder der Truppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 bb) Fälle zu besonderen sexuellen Neigungen und Sexual­ praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 (1) ArbG Passau: Umschülerin zur Kauffrau für Büro­ kommunikation – Mitwirkung an softpornografischen, in Zeitschrift veröffentlichten ­Aufnahmen . . . . . . . . . . . 472 (2) ArbG Berlin: Krankenpfleger auf der geschlossenen psychiatrischen Station einer Klinik – Bekenntnis zu ­sadomasochistischen Praktiken in Talkshow . . . . . . . . . . 473 (3) LAG Hamm: Grundschullehrerin – Mitbetreiben eines Swingerclubs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 cc) Zusammenfassung der Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 3. Zusammenfassung: Ergebnis der Rechtsprechungsbetrachtung . . . . . 476 IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 1. Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 a) Enge Auslegung des Rechtfertigungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . 478 b) Weite Auslegung des Rechtfertigungsgrundes  . . . . . . . . . . . . . . . 480 c) Differenzierende Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 2. Einzelne Lösungsansätze aus dem Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482

Inhaltsverzeichnis25 a) Erörterung der Problematik im Hinblick auf § 8 Abs. 1 AGG . . 483 aa) Thüsing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 (1) Unverzichtbarkeit im engeren und im weiteren Sinne . . 483 (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 bb) Krause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 (1) Gesetzlicher Anknüpfungspunkt und Fallgruppen  . . . . . 485 (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 cc) Meinel / Heyn / Herms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 (1) Kundenpräferenzen innerhalb und außerhalb des Unternehmerkonzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 dd) Adomeit / Mohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 (1) Maßstab des § 20 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 b) Erörterung der Problematik im Hinblick auf § 10 S. 1 und 2 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 aa) Prüfung der Voraussetzungen des § 10 S. 1 und 2 AGG . . . . 491 bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 c) Erörterung der Problematik losgelöst von den Ausnahmentat­ beständen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 aa) Lobinger  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 (1) Lösung auf Basis eines integritätsschützenden Ansatzes . 494 (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 bb) Lieske  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 (1) Lösung über die teleologische Reduktion der Diskriminierungstatbestände und über § 12 Abs. 4 AGG . . . . . . . 496 (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 (a) Kritik an der Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 (b) Kritik in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 cc) Grundsätzliche Kritik an einer Lösung auf Ebene des Tat­ bestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 3. Zusammenfassende Bewertung des Umgangs mit der Kunden­ präferenzproblematik im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 a) Kritik an strengeren Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 b) Kritik an weiteren Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 c) Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Ansätzen aus dem Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 V. Vorschlag eines Prüfungsrasters zur Beurteilung der Kundenpräferenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 1. Ansprüche an ein Lösungsmodell – Lektionen aus den vorgehenden Kapiteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 2. Prüfungsraster zur Beurteilung der Kundenpräferenzfälle . . . . . . . . . 506 a) Erste Stufe: Bestimmung des Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

26 Inhaltsverzeichnis aa) Bedeutung und Herausforderungen der Abgrenzung . . . . . . . 508 bb) Abgrenzung unmittelbare vs. mittelbare Benachteiligung . . . 508 cc) Veranschaulichung anhand der Problemkreise „Kopftuch­ verbot“ und „Muttersprachleranforderung“ . . . . . . . . . . . . . . 510 (1) Kopftuch- bzw. Kopfbedeckungsverbot . . . . . . . . . . . . . . 510 (a) Einordnung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 511 (b) Auffassungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 (c) Einordnung: grundsätzlich mittelbare Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 (2) Sprachanforderungen, insbesondere Muttersprachler­ kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 (a) Einordnung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 514 (b) Auffassungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 (c) Einordnung: grundsätzlich mittelbare Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 dd) Zusammenfassung zur Bestimmung des Prüfungsmaßstabs . 518 b) Zweite Stufe: „Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 aa) Positive oder negative Anknüpfung an das geschützte Merkmal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 bb) Konkretisierung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 (1) Ausgangspunkt: Formel der Rechtsprechung . . . . . . . . . 521 (2) Konkretisierung durch den „essence of the business“Test? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 (3) Konkretisierung durch „Schöpfen aus dem Ideenpool“ US-amerikanischen Rechts – Cantors Ansatz . . . . . . . . . 523 (a) Grundsätzliche Eignung des Ansatzes für eine Adaption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 (b) Mögliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 (aa) Einwand 1: Unterschiedliche Schutzrichtungen von Antidiskriminierungs- und Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 (bb) Einwand 2: Vernachlässigung der normativen Funktion antidiskriminierungsrechtlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 (c) Anpassungs- und Weiterentwicklungsbedarf  . . . . . . 528 (4) Adaption, Anpassung und Weiterentwicklung von ­Cantors Marktansatz zur Bestimmung der „wesent­ lichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ . . 530 (a) Kommerzielle Erbringung von Leistungen . . . . . . . . 531 (aa) Bestimmung des relevanten Marktes . . . . . . . . 531 (bb) Übertragung auf die Kundenpräferenz­ problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533

Inhaltsverzeichnis27 (α) Prozessuale Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . 534 (β) Materiellrechtliche Gesichtspunkte . . . . . . 535 (b) Nichtkommerzielle Erbringung von Leistungen . . . . 537 (aa) Besonderheiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 (bb) Schlüsse für die Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ . 539 cc) Zusammenfassung zur Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 c) Dritte Stufe: „rechtmäßiger Zweck“ bzw. „legitimes / rechtmäßiges Ziel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 d) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 (1) Gewicht des Differenzierungsinteresses . . . . . . . . . . . . . 551 (a) Art des Ziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 (b) Betroffene Arbeitgeberinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . 552 (c) Betroffene Kundeninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 (aa) Spanne möglicher betroffener Kunden­ interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 (bb) Sonderfall: Sind durch plus-sex businesses bediente Präferenzen herabwürdigend? . . . . . . 559 (d) Betroffener Kundentyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 (2) Gewicht des Gleichbehandlungsinteresses  . . . . . . . . . . . 563 (a) Eingriffsform – unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 (b) Betroffenes Beschäftigteninteresse – Maß der Herabsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 (c) Art und Intensität der Personalmaßnahme . . . . . . . . 566 (d) Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 (3) Abwägung des Differenzierungs- und des Gleich­ behandlungsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 (4) Sonderbehandlung von Fällen kulturkreisübergreifender ­Kundenpräferenzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 (a) „Problem“: Regelmäßiges Überwiegen des Gleichbehandlungsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 (b) Korrekturbedürftigkeit im Hinblick auf die kulturelle Bedingtheit der Präferenzen? . . . . . . . . . . . . . . 570 (c) Differenzierung nach dem Einsatzort . . . . . . . . . . . . 571 (d) Schlussfolgerung für die Korrekturbedürftigkeit des Abwägungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 dd) Zusammenfassung zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit . . . . 573 VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle . . . . . . . . . . . . . 574

28 Inhaltsverzeichnis 1. Problemkreis „Kommerzialisierung von (meist weiblichem). . . . . . . Sex-Appeal in plus-sex businesses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 a) Erste Stufe: Bestimmung des Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . 575 b) Zweite Stufe: wesentliche und entscheidende berufliche ­Anforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 c) Dritte Stufe: rechtmäßiger Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 d) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 (1) Differenzierungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 (2) Gleichbehandlungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 (3) Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 2. Problemkreis „Rechtfertigung im Hinblick auf die Privatsphäre der Kunden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 a) Erste Stufe: Bestimmung des Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . 583 b) Zweite Stufe: wesentliche und entscheidende beruflliche ­Anforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 c) Dritte Stufe: rechtmäßiger Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 d) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 (1) Differenzierungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 (2) Gleichbehandlungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 (3) Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 3. Problemkreis „Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild – insbesondere Kleiderordnungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 a) Erste Prüfungsstufe: Bestimmung des Prüfungsmaßstabs . . . . . . 589 b) Dritte Stufe: rechtmäßiges Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 c) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 (1) Differenzierungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 (2) Gleichbehandlungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 (3) Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 4. Problemkreis „Anforderungen an Sprachkenntnisse des Beschäftigten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 a) Erste Stufe: Bestimmung des Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . 598 b) Dritte Stufe: rechtmäßiges Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 c) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598

Inhaltsverzeichnis29 bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 (1) Differenzierungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 (2) Gleichbehandlungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 (3) Abwägungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 5. Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 F. Zusammenfassung / Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 I. Zu Kapitel B. (etymologische, ökonomische, rechtliche Annäherung an die Thematik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 II. Zu Kapitel C. (US-amerikanisches Recht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 III. Zu Kapitel D. (europarechtliche Vorgaben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 IV. Zu Kapitel E. (deutsches Recht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 Entscheidungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677

A. Einleitung Nach einer im Jahr 2014 veröffentlichten Studie1 des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration werden Ausbildungsinteressenten mit türkischem Namen gegenüber Bewerbern mit deutschem Namen bei gleicher Qualifikation benachteiligt.2 Für die Studie wurden jeweils zwei Bewerbungen von gleich gut qualifizierten männlichen Bewerbern mit einem türkischen und einem deutschen Namen an rund 1800 Unternehmen verschickt, die einen Ausbildungsplatz für einen Kfz-Mecha­ troniker oder einen Bürokaufmann ausgeschrieben hatten.3 Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass ein Bewerber mit türkischem Namen für die Ausbildung als Kfz-Mechatroniker 1,5-mal, für die Ausbildung als Bürokaufmann 1,3-mal so viele Bewerbungen schreiben muss wie sein Mitbewerber mit deutschem Namen, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.4 Eine der Ursachen dafür sehen die Autoren5 der Studie in der Befürchtung der Betriebe, dass ein Auszubildender mit Migrationshintergrund von Kunden weniger akzeptiert werden könnte.6 Beispielsweise äußer-

1  Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR Integration) Diskriminierung am Ausbildungsmarkt (2014), passim, abrufbar unter http://www.svr-migration.de/publikationen/diskriminierung-am-ausbildungsmarktausmass-ursachen-und-handlungsperspektiven/ (Abruf vom 27.07.2015). Die Ver­ öffentlichung der Studie rief ein großes mediales Echo hervor, vgl. aus den OnlineMedien u. a. Lüpke-Narberhaus Spiegel Online vom 26.03.2014, abrufbar unter http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/auslaendische-vornamen-migranten-diskri minierung-durch-firmen-bestaetigt-a-960855.html (Abruf vom 26.07.2015); Rößing Focus Online vom 26.03.2014, abrufbar unter http://www.focus.de/finanzen/karriere/ bewerbung/diskriminierung-am-ausbildungsmarkt-studie-migranten-werden-bei-aus bildungssuche-benachteiligt_id_3721634.html (Abruf vom 26.07.2015) sowie Wisdorff Welt Online vom 26.03.2014, abrufbar unter http://www.welt.de/wirtschaft/ar ticle126212589/Wenig-Chancen-fuer-Bewerber-mit-tuerkischem-Namen.html (Abruf vom 26.07.2015). 2  SVR Integration Diskriminierung am Ausbildungsmarkt (2014), S. 4, 20. 3  SVR Integration Diskriminierung am Ausbildungsmarkt (2014), S. 4, 15. 4  SVR Integration Diskriminierung am Ausbildungsmarkt (2014), S. 4, 25. 5  Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit in der männlichen Form ohne den Zusatz „männlich“ oder „weiblich“ verwendet, sind jeweils Angehörige beider Geschlechter miteinbezogen. 6  SVR Integration Diskriminierung am Ausbildungsmarkt (2014), S. 4, 22, 29, 32 f.

32

A. Einleitung

te ein Personalverantwortlicher im Rahmen der Studie,7 es sei „auch der Druck, gesellschaftliche Erwartungen erfüllen zu müssen – besonders bei Kundenkontakt. Eine Frau mit Kopftuch an der Rezeption eines Hotels wäre nicht denkbar. Das wollen die Kunden nicht.“8 Mit den (von den Betrieben angenommenen) Kundenpräferenzen ließe sich zudem – so die Forscher – erklären, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund besonders in Handwerksbetrieben benachteiligt würden: Schließlich habe ein KfzMechatroniker im Durchschnitt häufigeren und direkteren Kundenkontakt als ein Bürokaufmann.9 Die Orientierung am Markt, also an Kundenpräferenzen, ist grundsätzlich Teil der von Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten Unternehmerfreiheit.10 Fraglich ist indes, ob diese Freiheit auch so weit geht, dass Beschäftigte mit bestimmten Merkmalen im Hinblick auf Kundenerwartungen benachteiligt werden dürfen: Darf ein auf weibliche Kunden ausgerichtetes Autohaus männliches Personal ablehnen?11 Ist es zulässig, dass ein chinesisches Spezialitätenrestaurant unter Berufung auf Kunden­ erwartungen ausschließlich chinesische Kellner einstellt,12 dass eine gynäkologische Praxis im Hinblick auf die Präferenzen der Patientinnen nur weibliches Personal beschäftigt13 oder auch dass ein Kaufhaus einer in der 7  Im Rahmen der Studie wurden Gruppendiskussionen mit Personalverantwortlichen durchgeführt, vgl. zu den Einzelheiten der Durchführung der Fokusgruppen SVR Integration Diskriminierung am Ausbildungsmarkt (2014), S. 28. 8  SVR Integration Diskriminierung am Ausbildungsmarkt (2014), S. 33. 9  SVR Integration Diskriminierung am Ausbildungsmarkt (2014), S. 22. 10  Vgl. Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 42, 57 m. w. N.; vgl. zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit außerdem von Mangoldt/Klein/Starck-Manssen Art. 12 GG Rn. 69 m. w. N. 11  Im Jahr 2010 eröffnete ein Autohaus „von Frauen für Frauen“ mit rein weiblicher Belegschaft in der Nähe von Berlin, vgl. dazu Reidl Spiegel Online vom 15.02.2011, abrufbar unter http://www.spiegel.de/auto/aktuell/alternative-autohaeu ser-die-frauenversteherinnen-a-744541.html (Abruf vom 12.07.2015) sowie AFP Zeit Online vom 20.03.2010, abrufbar unter http://www.zeit.de/auto/2010-03/autohausbelegschaft-frauen (Abruf vom 12.07.2015). 12  Die Präferenz für Bedienungspersonal einer bestimmten Ethnie ist ein Standardbeispiel im deutschen Schrifttum, vgl. z. B. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 32; Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 42; Boemke/Danko § 6 Rn. 27; Däubler/BertzbachBrors § 8 AGG Rn. 17, 39; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 25; Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 240, 253; Lobinger EuZA 2009, 365, 373; Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 21; Schleusener/Suckow/VoigtSchleusener § 8 AGG Rn. 34 f.; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 12; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 7. 13  Vgl. dazu aus der Rechtsprechung ArbG Hamburg 10.04.2001 – 20 Ca 188/00 juris, dazu später unter E. III. 2. a) aa) (1) (a) (bb) sowie BAG 21.02.1991 NZA 1991, 719 ff., dazu später unter E. III. 2. a) aa) (1) (a) (aa) und ArbG Bonn 31.03.2001  – 5 Ca 2781/00 juris, dazu später unter E.  III. 2. a) bb) (2).



A. Einleitung33

Kosmetikabteilung tätigen muslimischen Verkäuferin das Tragen eines Kopftuchs verbietet?14 Das in Umsetzung der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien 2000 / 43 / EG15 („AntirassismusRL“), 2000 / 78 / EG16 („BeschäftiggsRL“), 2002 / 73 / EG17 („GenderRL“, aufgegangen in der Richtlinie 2006 / 54 / EG18, „GenderNeuRL“) und 2004 / 113 / EG19 („GenderZivRL“) erlassene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet gemäß §§ 7, 1 AGG Benachteiligungen von Beschäftigten wegen der geschützten Merkmale Rasse oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität. Unter bestimmten Voraussetzungen – die wichtigste Regelung hierzu ist § 8 Abs. 1 AGG20 – kann eine grundsätzlich unzulässige Benachteiligung allerdings ausnahmsweise erlaubt sein. Das Anliegen dieser Arbeit soll es daher sein, zu untersuchen, inwiefern Kundenpräferenzen Benachteiligungen Beschäftigter21 rechtfertigen können, und Maßstäbe für die Lösung dieses Problems auf Grundlage des AGG zu entwickeln.

14  Vgl. dazu die „Kopftuchentscheidung“ des BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483 ff. Siehe für eine Darstellung der Entscheidung später unter B. III. 2. a) ee) (2) (a) und E. III. 2. c) aa) (3) (a). 15  Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.  Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbe-handlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. L 180 vom 19.07.2000, S. 22–26. 16  Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.  November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. L 303 vom 02.12.2000, S. 16–22. 17  Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.  September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. L 269 vom 05.10.2002, S. 15–20. 18  Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, ABl. L 204 vom 26.07.2006, S. 23–36. 19  Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. L 373 vom 21.12.2004, S. 37–43. 20  Siehe zu den weiteren Regelungen in §§ 3 Abs. 2 Hs. 2, 5, 9, 10 AGG und ihrer Bedeutung für die Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen später unter B. III. 2. b) cc). 21  Vgl. instruktiv zur Verwendung des Beschäftigtenbegriffs im AGG Richardi NZA 2010, 1101 ff.

34

A. Einleitung

Hierzu wird die Untersuchung in fünf Schritten vorgehen. Zunächst wird in einem ersten, in die Thematik einführenden Schritt eine Annäherung an den Terminus und die Problematik der Kundenpräferenzen in etymologischer, ökonomischer und rechtlicher Hinsicht unternommen (dazu unter B.). Es werden Herkunft, Bedeutung und Wortfelder rund um die Begriffe „Kunde“ und „Präferenz“ geklärt. Auf diese Weise wird herausgearbeitet, welche Fallgestaltungen der Kundenpräferenzproblematik zuzuordnen sind, sodass eine Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes erfolgt. Sodann ist bei der Betrachtung der Kundenpräferenzen aus ökonomischer Sicht von Interesse, wie die Ökonomie Kundenpräferenztypen kategorisiert, welche Wirkungszusammenhänge sie festgestellt hat und welche Bedeutung sie den Kundenpräferenzen zuschreibt. Schließlich wird die rechtliche Ausgangslage beleuchtet und die relevanten Regelungen werden identifiziert. In Schritt zwei wird ein Blick auf das US-amerikanische Recht und den dortigen Umgang mit den Kundenpräferenzfällen geworfen (dazu unter C.). Die US-amerikanischen Regelungen dienten als rechtliche Vorbilder der entsprechenden Regelungen in den europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien und damit mittelbar der diesbezüglichen deutschen Regelungen. Die in der dortigen fortgeschrittenen Diskussion gewonnenen Erkenntnisse können später für eine Maßstabsentwicklung nach deutschem Recht fruchtbar gemacht werden. Mit Blick auf die so gewonnenen Erkenntnisse werden in einem dritten Schritt die europäischen Vorgaben bezüglich der in Frage stehenden Problematik herausgearbeitet (dazu unter D.). Die Bestimmungen des AGG sind als nationales Transformationsrecht im Sinne der zugrunde liegenden Richtlinien auszulegen. Deshalb ist eine Analyse der europäischen Vorgaben unabdingbar. Darauf aufbauend ist Schritt vier der Untersuchung der deutschen Rechtslage gewidmet (dazu unter E.). Neben der Analyse der im Schrifttum vertretenen Ansichten zu der Kundenpräferenzfrage erfolgt eine Systematisierung der diesbezüglichen Rechtsprechung. Auf dieser Grundlage werden Maßstäbe für die Lösung der Problematik der Kundenpräferenzen entwickelt. Die Untersuchung endet mit einem Resümee ihrer wesentlichen Ergebnisse in Thesenform (dazu unter F.).

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen Der Terminus der „Kundenpräferenzen“ ist ein interdisziplinär geprägter Begriff. Als Ausgangspunkt dieser Untersuchung soll eine Annäherung an den Terminus und die Problematik der Kundenpräferenzen in etymologischer (dazu unter I.), ökonomischer (dazu unter II.) und rechtlicher Hinsicht (dazu unter III.) dienen.

I. Etymologische Annäherung Der Begriff „Kundenpräferenzen“ setzt sich aus den Bestandteilen „Kunde“ und „Präferenz“ zuammen. Anhand einer Auseinandersetzung mit diesen beiden Elementen kann herausgearbeitet werden, welche Fallgestaltungen der Kundenpräferenzproblematik zuzuordnen sind. Dabei ist zunächst die Frage zu klären, wer als „Kunde“ einzuordnen ist bzw. welche Beziehungen für den Gegenstand dieser Arbeit als Kundenbeziehungen zu kategorisieren sind (dazu unter 1.). Daraufhin wird näher auf den Präferenzbegriff einzugehen sein (dazu unter 2.). 1. Kundenbegriff Der Begriff des Kunden hat sich im Laufe der Jahre von der ursprünglichen Begrenzung auf privatwirtschaftliche Verkaufsbeziehungen zu einer universalen Kategorie entwickelt, die auf Verhältnisse aus verschiedensten Lebensbereichen angewendet wird.1 a) Ursprünglich: Begrenzung des Kundenbegriffs auf Verkaufsbeziehungen Der Begriff „Kunde“ stammt von dem althochdeutschen „kund“ ab, das „gewusst, bekannt“ bedeutet.2 Dementsprechend wurde dem Terminus 1  Vgl. Voswinkel in: Bröckling/Krasmann/Lemke, Glossar der Gegenwart (2004), 145, 149. 2  Duden Band 7: Herkunftswörterbuch – Etymologie der deutschen Sprache, 3. Aufl. 2001, S. 459.

36

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

„Kunde“ (althochdeutsch: kundo) ursprünglich die Bedeutung „Bekannter, Einheimischer“3 zugeschrieben. Seit dem 16. Jahrhundert verstand man unter dem Kunden den „in einem Geschäft regelmäßig Kaufende[n]“4, ­unter der Kundschaft „die Gesamtheit der Käufer“5. Den Zusammenhang zwischen und damit die Entwicklung von dem „Bekannten“ zum „Käufer“ verdeutlicht folgende im Duden aufzufindende Definition, nach der ein Kunde jeder ist, „der (regelmäßig) eine Ware kauft oder eine Dienstleistung in Anspruch nimmt (und daher in dem Geschäft, in der Firma bekannt ist)“6. Ähnlich definiert der Brockhaus den Kunden als „Käufer von Waren oder Dienstleistungen“7. Die Gemeinsamkeit aller angeführten Definitionen ist, dass sie den Kundenbegriff ökonomisch verstehen und ihn als Synonym für den „Käufer“ verwenden. Auch im Duden der sinn- und sachverwandten Wörter ist unter dem Stichwort „Kunde“ als erster Eintrag der Begriff „Käufer“ zu finden.8 Dies zeigt, dass der Begriff „Kunde“ ökonomisch konnotiert ist.9 Mit der Käufer-Funktion ist die Zahlungsfähigkeit untrennbar verbunden.10 Die Zahlungsfähigkeit ist das „Machtmittel“ des Kunden.11 Der Kundenbegriff wird deshalb mit einer gewissen Marktmacht und Souveränität verbunden.12 Er hat eine Reihe positiver Implikationen wie Autonomie, Souveränität, Wahlfreiheit und Selbstständigkeit,13 die ei3  Duden Band 7: Herkunftswörterbuch – Etymologie der deutschen Sprache, 3. Aufl. 2001, S. 459; Kluge/Seebold Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Aufl. 2002, S. 547. 4  Duden Band 7: Herkunftswörterbuch – Etymologie der deutschen Sprache, 3. Aufl. 2001, S. 459. 5  Duden Band 7: Herkunftswörterbuch – Etymologie der deutschen Sprache, 3. Aufl. 2001, S. 460. 6  Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden – Band 5: Impu-Leim, 3. Aufl. 1999, S. 2308. 7  Brockhaus Die Enzyklopädie in 24 Bänden – Zwölfter Band: KIR-LAGH, 20. Aufl. 1997, S. 630. 8  Duden Band 8: Sinn- und sachverwandte Wörter. Synonymwörterbuch der deutschen Sprache, 2. Aufl. 1997, S. 433. 9  Speck Die Ökonomisierung sozialer Qualität (1999), S. 155. 10  Vgl. Graebig QZ 9/2001, 1116, demzufolge „das Element des Bezahlens für den Kundenbegriff in der Regel unverzichtbar und im täglichen Umgang fest etabliert“ ist. 11  Stratemann/Wottawa Bürger als Kunden (1995), S. 30. 12  Hensen Das Krankenhaus 2009, 849, 851; vgl. auch Merchel Neue Praxis 1995, 325, 327 f. 13  Vgl. z. B. Buestrich/Wohlfahrt APuZ 12–13 (2008), 17, 18: „ ‚Wahlfreiheit‘, ‚Selbstständigkeit‘, ‚Souveränität‘ etc.“; Voswinkel in: Bröckling/Krasmann/Lemke, Glossar der Gegenwart (2004), 145, 150: „… der Kunde ist der neue Souverän. Zum Kunden wird man […] durch Kauf-, durch Marktmacht.“ Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen spricht in seinem Gutach-



I. Etymologische Annäherung37

nen Kunden als einen selbstbestimmten Akteur mit einer Anspruchshaltung14 erscheinen lassen. Vor diesem Hintergrund fasst Seithe aus sozialwissenschaftlicher Perspektive zusammen: „Ein Kunde ist jemand, der sich quasi frei, selbstbestimmt und damit auch selbstverantwortlich und in symmetrischer Beziehung zum Handelspartner für eine Ware oder Dienstleistung entscheidet.“15 Merchel geht davon aus, dass die Kennzeichnung einer Person als „Kunde“ eine souveräne Position dieser Person im Marktgeschehen voraussetze und beschreibt die idealtypische Vorstellung des „Kunden“ mithilfe von sechs Charakteristika:16 Erstens müsse sich die Person an einem Markt bewegen können. Zweitens sei sie ein am Marktgeschehen interessierter Konsument, also ein aktiver Nachfrager. Drittens müsse die Person zwischen verschiedenen Angeboten wählen können. Viertens müsse sie für das zu erwerbende Produkt oder die nachgefragte Leistung einen Preis entrichten. Fünftens müsse sie über die Angebotswahl einen Einfluss auf Inhalt und Qualität des Angebots haben. Schließlich sei der Kunde existenziell notwendig für den Anbieter einer Leistung oder eines Produktes und werde daher umworben. Die von Seithe und Merchel beschriebenen Kundenbegriffe verdeutlichen die grundsätzliche Verortung des Kundenbegriffs im wirtschaftlichen Sektor. Auch Standardnachschlagewerke wie der Brockhaus oder der Duden stellen in ihren Kundendefinitionen die Verkaufsbeziehung in den Mittelpunkt. Diese Begrenzung auf den marktwirtschaftlichen Sektor kennzeichnet einen engen Kundenbegriff. b) Erweiterung des Kundenbegriffs Diese Arbeit legt indes ein wesentlich weiteres Verständnis des „Kunden“ zugrunde. Ein solches statuiert die Norm DIN EN ISO 9000: 2005-12:17 ten 2003, Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität, BT-Drs. 15/530, S. 90 von den „im Bild des ‚Kunden‘ angelegten Prinzipien von […] Autonomie und Eigenkompetenz“. 14  Vgl. Bogumil/Kißler in: Reichard/Wollmann, Kommunalverwaltung (1996), 183, 185. 15  Seithe Schwarzbuch Soziale Arbeit (2012), S. 225 m. w. N. 16  Merchel Neue Praxis 1995, 325, 327 f. 17  Dabei handelt es sich um eine sogenannte „Qualitätsmanagementnorm“. Qualitätsmanagement ist eine Führungsmethode mit dem Ziel, Kundenforderungen und Erwartungen zu erfüllen und dadurch Kundenzufriedenheit zu erzeugen. Mit der Normenfamilie ISO 9000 ff. hat die Internationale Standardisierungsorganisation ISO ein Regelwerk zum Qualitätsmanagement geschaffen. ISO 9000 ff. sind in den ISOMitgliedsländern durch nationale Normen umgesetzt. In Deutschland sind dies insbesondere die DIN EN ISO 9000:2005 als Begriffsnorm, die DIN EN ISO 9001:2000, die Forderungen enthält sowie die DIN EN ISO 9004:2000 als Leitfaden zur Leis-

38

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

Danach ist der Kunde eine „Organisation oder Person, die ein Produkt empfängt“.18 Diese Definition entkoppelt den Kundenbegriff von der Zahlungsfähigkeit und versteht ihn nicht mehr lediglich als Käufer. Das entspricht der allgemeinen Tendenz, den Kundenbegriff zunehmend auch in Verhältnissen zu verwenden, die nicht rein wirtschaftlicher Natur sind. So stellt der Soziologe Voswinkel zutreffend fest, dass Kundenorientierung „heute als Anspruch an die Beziehung zwischen Staat und Bürger, zwischen Lehrer und Schüler, zwischen Arzt und Patient, zwischen Arbeitsamt und Arbeitslosem, ja sogar zwischen Polizei und Straftäter herangetragen“19 wird. Dadurch wird jeder zum Kunden. Der Bürger ist Kunde seiner Gemeinde, der Studierende ist Kunde seiner Hochschule, die Gläubigen werden zu Kunden des Geistlichen, die Justiz sieht in den Straffälligen ihre Kunden genauso wie der Arzt in seinen Patienten.20 Diese Untersuchung wird ein entsprechend weites, inklusives Verständnis des Kundenbegriffs zugrunde legen. Die Ausweitung des Kundenbegriffs auf alle Lebensbereiche und die damit einhergehenden Probleme sollen im Folgenden anhand dreier Beispiele aufgezeigt werden: aa) Bürger als Kunde Ein erster Bereich, in den die Kundenterminologie Einzug gefunden hat, ist die Verwaltung. Im Jahr 1999 legte die damalige Bundesregierung ein Regierungsprogramm mit dem Titel „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ vor, demgemäß die Bundesverwaltung seitdem umfassend reformiert wird. Einer der Schwerpunkte dieses Programms liegt auf der Einführung eines modernen Verwaltungsmanagements. Dazu heißt es im Programm: „Durch die Implementierung eines umfassenden Qualitätsmanagements wertungsverbesserung (vgl. zum Ganzen Kamiske/Umbreit Qualitätsmanagement (2008), S. 16). Es besteht die Möglichkeit, sich die Einhaltung der in der Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff. beschriebenen Qualitätsstandards zertifizieren zu lassen. Diese Möglichkeit besteht nicht nur für klassische Industrie-, Handwerks- oder auch Dienstleistungsbetriebe, vielmehr werden die in den Normen gesetzten Standards auch im Gesundheitswesen z. B. von medizinischen Diensten oder auch von Verwaltungen und Behörden implementiert (Kamiske/Umbreit Qualitätsmanagement (2008), S. 19). Vor diesem Hintergrund ist ein weiter, nicht auf den Käufer beschränkter Kundenbegriff umso sinnvoller. 18  Vgl. Masing QZ 3/2001, 246, der konstatiert, dass der Kundenbegriff einer der zentralen Begriffe des Qualitätsmanagements, „gleichzeitig am Schwierigsten mit Inhalt zu füllen“ sei. 19  Voswinkel in: Bröckling/Krasmann/Lemke, Glossar der Gegenwart (2004), 145, 149, der den „neuen Universalismus: Jeder ist Kunde“ beschreibt. 20  Beispiele nach Duttweiler Psychotherapeut 2007, 121 und Voswinkel in: Bröckling/Krasmann/Lemke, Glossar der Gegenwart (2004), 145, 149.



I. Etymologische Annäherung39

den betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente zur Steigerung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit staatlichen Handels in geeigneten Bereichen eingeführt.“21 Diese Aussage illustriert, dass die Modernisierung der Verwaltung mit der Übertragung betriebswirtschaftlicher Konzepte und Terminologie auf die Verwaltung verbunden ist. Das Regierungsprogramm befasst sich zwar mit der Bundesverwaltung, ähnliche Entwicklungen sind aber auch auf den unteren Verwaltungsebenen zu beobachten.22 Im Zuge der Neuausrichtung von Kommunalverwaltungen als Dienstleistungsunternehmen wird eine neue Adressatenbestimmung vorgenommen: Nicht mehr der Bürger, sondern der Kunde tritt der Verwaltung gegenüber; Bürgernähe wird zu Kundenorientierung.23 Angesichts der positiven Implikationen des Kundenbegriffs verspricht diese neue Rollenbestimmung etwas Angenehmes.24 Gerade deshalb ist die Übertragung der Kundenterminologie auf das Verhältnis Verwaltung / Bürger aber nicht immer geeignet. Der Bürger ist nicht nur Adressat von Verwaltungsleistungen, sondern befindet sich insbesondere in den Bereichen der Ordnungs- oder auch Sozialverwaltung in der Rolle des Untertans.25 Er handelt nicht – wie es der Kundenbegriff suggeriert – machtvoll, souverän oder selbstbestimmt. Das wird z. B. in der Hoheitsverwaltung bei Empfängern von Strafzetteln für falsches Parken deutlich.26 An dieser Stelle wirkt die Verwendung des Kundenbegriffs „skurril oder zynisch“27. Der Kern des Problems liegt darin, dass Beziehungen asymmetrischer Macht durch den Gebrauch des Kundenbegriffs als Verhältnisse wechselseitiger Freiwilligkeit fingiert werden.28 Die Bezeichnung des Bürgers als „Kunde der Verwaltung“ ändert nichts daran, dass dieser die oben 21  Moderner Staat – Moderne Verwaltung, Programm der Bundesregierung vom 01.12.1999, S. 9, abrufbar unter www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bro schueren/nichtinListe/1999/Moderner_Staat_-_Moderne_Id_1447_de.pdf;jsessionid= 31AA2059A618CCC371F6E000C498089B.2_cid364?__blob=publicationFile (Abruf vom 26.07.2015). 22  Vgl. dazu z.  B. in Bezug auf die Kommunalverwaltung Bogumil/Kißler in: Reichard/Wollmann, Kommunalverwaltung (1996), 183 ff.; Meier Der Bürger als Kunde (2009), S. 1. 23  Bogumil/Kißler in: Reichard/Wollmann, Kommunalverwaltung (1996), 183; eingehend zur Kundenorientierung in der Verwaltung vgl. zudem Mandelartz Modernisierung der Verwaltung (2009), S. 91 ff. 24  Bogumil/Kißler in: Reichard/Wollmann, Kommunalverwaltung (1996), 183. 25  Bogumil/Kißler in: Reichard/Wollmann, Kommunalverwaltung (1996), 183, 186. 26  Bogumil/Kißler in: Reichard/Wollmann, Kommunalverwaltung (1996), 183, 186 f. 27  Voswinkel in: Bröckling/Krasmann/Lemke, Glossar der Gegenwart (2004), 145, 149. 28  Voswinkel in: Bröckling/Krasmann/Lemke, Glossar der Gegenwart (2004), 145, 149.

40

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

genannten, mit dem Kundenbegriff assoziierten Charakteristika29 häufig nur eingeschränkt aufweist. bb) Klient als Kunde Besonders kontrovers diskutiert wird die Verwendung betriebswirtschaftlicher Kategorien, insbesondere des Kundenbegriffs30, im Bereich der sozialen Arbeit.31 Klienten, also die Adressaten sozialer Arbeit, werden zu Kunden.32 Gegen die Übertragung des Kundenbegriffs auf die Adressaten sozialer Dienste wird eine Vielzahl unterschiedlicher Argumente vorgebracht.33 Ein Anknüpfungspunkt für die Kritik ist die spezielle Zielsetzung sozialer Dienstleistungen. Flösser / Oechler und Seithe geben zu bedenken, dass Kundenzufriedenheit – anders als im privatwirtschaftlichen Sektor – ein zwar wichtiges Nebenprodukt, keinesfalls aber der zentrale Qualitätsindikator der Leistung in der sozialen Arbeit sei.34 Ähnlich argumentiert auch Braun: Während die Kundenbindung eine zentrale Aufgabe unternehmerischen Handelns sei, gehe es Anbietern sozialer Dienstleistungen in der Regel darum, dass der „Kunde“ gerade nicht wiederkomme. So sollten z. B. verhaltensauffällige Jugendliche zu einem von den sozialen Diensten unabhängigen Leben befähigt werden.35 Zudem sei der mit dem Kundenbegriff assoziierte Aspekt der Souveränität und Wahlfreiheit bei den Empfängern sozialer Dienste oft nicht oder nur sehr eingeschränkt vorhanden.36 Dies könne an der Konstitution der Umsorgten, z. B. Kinder oder verwirrte Menschen, liegen.37 Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass Leistungen der sozialen Arbeit nur sehr begrenzt als alternative Angebote marktfähig zur Verfügung stünden.38 Auch das Kriterium 29  Siehe

dazu bereits unter B. I. 1. a). z. B. Gissel-Palkovich Total Quality Management (2002), S. 52 ff. m. w. N.; Künzel-Schön Theorie und Praxis der sozialen Arbeit 11/1996, 6 ff.; Merchel Neue Praxis 1995, 325, 327 ff. 31  Instruktiv zur Ökonomisierung der sozialen Arbeit siehe Buestrich/Wohlfahrt APuZ 12–13 (2008), 17 ff. 32  Künzel-Schön Theorie und Praxis der sozialen Arbeit 11/1996, 6, 7. 33  Vgl. für einen instruktiven Überblick hierzu Gissel-Palkovich Total Quality Management (2002), S. 52 ff. 34  Flösser/Oechler in: Dollinger/Raithel, Aktivierende Sozialpädagogik (2006), 155, 162; Seithe Schwarzbuch Soziale Arbeit (2012), S. 227. 35  Braun in: Peterander/Speck, Qualitätsmanagement (2004), 31, 35 f. 36  Braun in: Peterander/Speck, Qualitätsmanagement (2004), 31, 36; vgl. auch Flösser/Oechler in: Dollinger/Raithel, Aktivierende Sozialpädagogik (2006), 155, 162; Seithe Schwarzbuch Soziale Arbeit (2012), S. 226. 37  Braun in: Peterander/Speck, Qualitätsmanagement (2004), 31, 36; KünzelSchön Theorie und Praxis der sozialen Arbeit 11/1996, 6, 10 f. 38  Künzel-Schön Theorie und Praxis der sozialen Arbeit 11/1996, 6, 10. 30  Vgl.



I. Etymologische Annäherung41

des Bezahlens erfüllten viele Adressaten sozialer Dienste nicht, Kostenträger und Leistungsnehmer fielen jedenfalls im Rahmen öffentlicher Dienstleistungen auseinander.39 Ferner fehle es an der Souveränität, weil die Inanspruchnahme sozialer Dienstleistungen gewöhnlich unter existenziell verdichteten Bedingungen wie z. B. im Falle eines schweren Erziehungsproblems erfolge. Dies erschwere es den Betroffenen erheblich, sich einen Überblick über das Angebot zu verschaffen, zu vergleichen und so zu einer abgewogenen Entscheidung zu gelangen.40 Der Kundenbegriff betont die Nutzerperspektive einer Dienstleistung.41 Dieser programmatische Perspektivwechsel42 entspricht der Forderung so­ zialer Arbeit nach einer Privilegierung des Adressatenstatus. Vor diesem Hintergrund unterstreicht Merchel den strategischen Wert des Kundenbegriffs. Angesichts der Macht der Sprache auf das Denken und der assoziativen Wirkung des Kundenterminus könne dieser eine positive Gestaltungsfunktion, eine „Impulswirkung“ haben.43 Andererseits wird hervorgehoben, dass eben jene assoziative Wirkung die Gefahr berge, dass Marktkategorien und Kundenmerkmale in die soziale Arbeit eingeführt würden, die fachlich nicht vertretbare Konsequenzen hätten.44 Gehe man vom Kunden als dem aktiven Nachfrager aus, bestünde z. B. die Gefahr, dass Unterstützungsangebote für solche Menschen gestrichen würden, die nicht in der Lage sind, sich aktiv um Hilfe zu bemühen, diese nachzufragen.45 Die angeführten Argumente zeigen wiederum, welche Probleme die Übertragung des Kundenbegriffs auf asymmetrische Machtbeziehungen mit sich bringt. Nicht nur die Umbenennung des Bürgers, auch die des Klienten in den Kunden darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Klient dem oben beschriebenen Idealtypus des souveränen Kunden46 nicht oder nur eingeschränkt entspricht.

39  Künzel-Schön

Theorie und Praxis der sozialen Arbeit 11/1996, 6, 8 f. in: Peterander/Speck, Qualitätsmanagement (2004), 31, 36. 41  Seithe Schwarzbuch Soziale Arbeit (2012), S. 223 m. w. N. 42  Oechler Dienstleistungsqualität in der Sozialen Arbeit (2009), S. 74. 43  Merchel Neue Praxis 1995, 325, 329  f.; vgl. kritisch dazu Gissel-Palkovich Total Quality Management (2002), S. 53 f. 44  Gissel-Palkovich Total Quality Management (2002), S. 53 f. 45  Vgl. Seithe Schwarzbuch Soziale Arbeit (2012), S. 230. 46  Siehe hierzu bereits unter B. I. 1. a). 40  Braun

42

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

cc) Patient als Kunde Auch unser Gesundheitssystem unterliegt einem grundlegenden Wandel,47 der von einer zunehmenden Ökonomisierung bestimmt wird.48 Damit einher geht die Verwendung des Kundenbegriffs für den Patienten.49 Diese Entwicklung wird von ähnlichen Diskussionen50 begleitet wie der vermehrte Gebrauch des Kundenbegriffs im Bereich der sozialen Arbeit.51 Die Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern wird mit vergleichbaren Argumenten geführt. Einerseits wird der terminologische Wandel als Chance einer Aufwertung betrachtet, die die Empfänger von Gesundheitsdienstleistungen mit mehr Ansprüchen und Rechten ausstatte.52 In diesem Sinne weist der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR Gesundheit) darauf hin, dass „ein Patient in der Rolle des ‚Kunden‘ […] mehr Autonomie und Entscheidungsfreiheit beanspruchen, Präferenzen äußern und durchsetzen“53 könne. Daher befürwortet der SVR Gesundheit ausdrücklich die Herausbildung einer stärker kundenähnlichen Rolle des Patienten.54 Eine solche Rolle setzt eine angemessene Schulung und Beratung des Patienten voraus, die ihn in die Lage zu einem „informed decision 47  Vgl. dazu den umfassenden länderspezifischen Deutschland-Bericht aus der WHO-Serie „Gesundheitssysteme im Wandel“ von Busse/Riesberg Gesundheitssysteme (2005), passim. 48  So Rogler in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin (2008), 69; vgl. eingehend Bauer APuZ 8–9 (2006), 17 ff.; siehe außerdem Duttweiler Psychotherapeut 2007, 121 f.; Wehkamp Deutsches Ärzteblatt 2004, A 2374, A 2377: „Die aktuell mit Macht vorangetriebene Ökonomisierung des herkömmlichen Gesundheitswesens verändert dessen Charakter grundlegend.“ 49  So der SVR Gesundheit in seinem Gutachten 2000/2001, Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, BT-Drs. 14/5660, S. 145; vgl. z. B. auch Meyer in: Roski, Gesundheitskommunikation (2009), 239, 247: „Metamorphose von Patienten in Kunden“; Rogler in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin (2008), 69: „Umdeutung der Rolle des Arztes als ‚Dienstleister‘ und der des Patienten als ‚Kunden‘ “. 50  Die Brisanz dieser Thematik zeigt sich bereits an der Vielzahl sich hiermit auseinandersetzender Beiträge im Deutschen Ärzteblatt, vgl. z. B. Kick Deutsches Ärzteblatt 2006, A 1206 ff.; Kienzle Deutsches Ärzteblatt 2002, A 1810; Kloiber Deutsches Ärzteblatt 2000, A 229; Richter-Kuhlmann Deutsches Ärzteblatt 2005, A  2694 ff.; Rieser Deutsches Ärzteblatt 1998, A 2748 f.; Schlaudt Deutsches Ärzteblatt 2000, A 1650 f.; Unschuld Deutsches Ärzteblatt 2005, A 1136 ff. 51  Siehe dazu bereits unter B. I. 1. b) bb). 52  Hensen Das Krankenhaus 2009, 849, 851: „Aktivierung des Patienten zum Kunden“; diesen Aspekt herausstellend aber gleichzeitig auch dessen negative Implikationen beleuchtend Duttweiler Psychotherapeut 2007, 121, 122 ff. 53  SVR Gesundheit Gutachten 2003, Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität, BT-Drs. 15/530, S. 90. 54  BT-Drs. 15/530, S. 90.



I. Etymologische Annäherung43

making“ bzw. einem „informed consent“ versetzt.55 Damit ist die Schaffung von Leistungstransparenz56 verbunden. Andererseits weist der SVR Gesundheit auch darauf hin, dass eben jener Anspruch an die Autonomie des Patienten eine neue Verantwortung mit sich bringe, der der Einzelne nicht immer gewachsen sei.57 In der Diskussion werden unterschiedliche Argumente dafür vorgebracht, dass der Patient der Kundenrolle – zuvorderst mangels der den Kunden charakterisierenden Souveränität58 – nicht oder nur in eingeschränktem Maße gerecht werden könne. Neben der in diesem Bereich besonders ausgeprägten Informationsasymmetrie59 wird als wesentlicher Grund hierfür genannt, dass der Patient im Gegensatz zu Käufern anderer Waren häufig nicht die Freiheit besitze, sich gegen eine Behandlung zu entscheiden.60 Darin klingt die Auffassung an, dass Gesundheit kein auf Märkten handelbares Gut sei.61 Dies vertrat auch der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau in seiner Rede beim 107. Deutschen Ärztetag am 28. Mai 2004 in Bremen: „[…], Gesundheit ist ein hohes Gut, aber sie ist keine Ware. Ärzte sind keine Anbieter, und Patienten sind keine Kunden. Ich halte nichts davon, unser ganzes Leben in Begriffe der Betriebswirtschaft zu pressen. Die medizinische Versorgung darf nicht auf eine ‚Dienstleistung‘ reduziert werden.“62

Auch der SVR Gesundheit stellt in seinem Gutachten 2003 einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Gesundheitswesen und anderen Wirtschafts- und Dienstleistungsbereichen heraus:63 Die Patienten erhielten ihre Leistungen zu 99 % als Versicherte und zu 88  % als Sozialversicherte, so55  Vgl. dazu Meyer in: Roski, Gesundheitskommunikation (2009), 239, 246; zu den philosophischen Bezügen der Denkfigur des „informed consent“ siehe SVR Gesundheit Gutachten 2003, Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität, BT-Drs. 15/530, S. 88 f. 56  SVR Gesundheit Gutachten 2000/2001, Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, BT-Drs. 14/5660, S. 147. 57  BT-Drs. 14/5660, S. 147; siehe dazu auch Schnell Pflege & Gesellschaft 3/1999, 65, 66, der die Problematik in dem Satz zuspitzt: „Der Patient als Kunde darf sich nicht nur frei, selbstbestimmt und autonom für das beste Angebot entscheiden, er muss es auch!“ 58  So z.  B. ausdrücklich Kienzle Deutsches Ärzteblatt 2002, A 1810; Kloiber Deutsches Ärzteblatt 2000, A 229. 59  Vgl. dazu SVR Gesundheit Gutachten 2000/2001, Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, BT-Drs. 14/5660, S. 147; Hensen Das Krankenhaus 2009, 849, 851: „mehrdimensionales Sachkenntnis- und Informationsgefälle“. 60  Duttweiler Psychotherapeut 2007, 121, 124. 61  So z. B. Kick Deutsches Ärzteblatt 2006, A 1206; vgl. dazu auch Hensen Das Krankenhaus 2009, 849, 851. 62  Die Rede ist abrufbar unter http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Re den/DE/Johannes-Rau/Reden/2004/05/20040518_Rede.html (Abruf vom 26.07.2015). 63  BT-Drs. 15/530, S. 87.

44

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

dass Gesetze, Rechtsprechung oder Versicherungssatzungen definierten, auf welche Leistungen und in welcher Form Patienten ein Anspruch zukäme. Demzufolge handele es sich nicht um freie Einkaufsakte der Patienten, wodurch die Entscheidungssouveränität des „Kunden“ Patient von vornherein begrenzt sei. Auch von anderer Seite wird darauf hingewiesen, dass dem Patienten das den Kunden kennzeichnende Merkmal des Bezahlens fehle.64 Andererseits müsse der Arzt dem Patienten selbst dann helfen, wenn es für ihn nicht wirtschaftlich sei.65 Damit ist gleichzeitig ein anderer, vielfach genannter Aspekt angesprochen: Die Arzt-Patienten-Beziehung unterscheide sich insofern grundlegend von einer privatwirtschaftlichen Geschäftsbeziehung, als es sich bei ersterer um eine Not-Hilfe-Beziehung handele.66 Dabei trete die potentielle Kundenrolle des Patienten in dem Maße in den Hintergrund, in dem er auf Hilfe hoffe bzw. sie suche.67 Dementsprechend konstatiert auch der SVR Gesundheit, dass die Fähigkeit, rationale Entscheidungen zu treffen, desto eher in den Hintergrund trete, je weiter sich der zu Behandelnde auf dem Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit in Richtung Krankheit bewege: Die Fähigkeit zu rationalen Entscheidungen werde immer stärker durch Unsicherheit, Ängste und den Wunsch nach Hilfe, Fürsorge und Betreuung überlagert, sodass ein asymmetrisches Verhältnis bestehe.68 Folglich wird von ärztlicher Seite festgestellt, dass das Bild des Kunden in seiner vollen Ausprägung nur auf Gesunde zutreffe.69 Der SVR Gesundheit spricht letztlich von dem „Idealkonstrukt Kunde“ und konstatiert, dass die Verwirklichung der Kundenrolle noch an vielfältige Grenzen im Gesundheitswesen stoße.70 64  Rogler

in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin (2008), 69, 80. Deutsches Ärzteblatt 2006, A 1206; zu den negativen Implikation und Gefahren der Kundenrolle der Patienten für die Ärzteschaft vgl. Unschuld Deutsches Ärzteblatt 2005, A 1136, A 1138 f. 66  Kick Deutsches Ärzteblatt 2006, A 1206 ff. kontrastiert Geschäfts- und NotHilfe-Beziehung eingehend; den Unterschied herausstellend auch Gmelin Deutsches Ärzteblatt 2000, A 1659, A 1664: „von Berechnung freie Vertrauensbeziehung“; vgl. außerdem Duttweiler Psychotherapeut 2007, 121, 124 sowie Rogler in: Kingreen/ Laux, Gesundheit und Medizin (2008), 69, 81: „Der Kranke ist nicht der KundeKönig, sondern […] Hilfesuchender.“ Zu dem Verhältnis einer „Ethik der Autonomie“ und einer „Ethik der Fürsorge“ vgl. Meyer in: Roski, Gesundheitskommunikation (2009), 239, 242 m. w. N. 67  Rogler in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin (2008), 69, 82; vgl. auch Duttweiler Psychotherapeut 2007, 121, 124. 68  BT-Drs. 14/5660, S. 147, 174. 69  Rogler in: Kingreen/Laux, Gesundheit und Medizin (2008), 69, 80. Steffen konstatiert, dass sich insbesondere in der Rechtsprechung des BSG eine Sichtweise der Arzt-Patienten-Beziehung als patriarchalisches „Über-Unterordnungsverhältnis“ widerspiegelt, Steffen FS Geiß (2000), 487, 491 m. w. N. 70  BT-Drs. 14/5660, S. 147, 174. 65  Kick



I. Etymologische Annäherung45

Die skizzierte Diskussion verdeutlicht, dass und wieso es sich bei dem Kundenbegriff für den Patienten um ein „Reizwort in vielen Debatten“71 handelt. Auch dieses Beispiel illustriert die in einigen Fällen bestehende Diskrepanz zwischen Anspruch an die Kundenrolle und der Wirklichkeit. dd) Schlussfolgerungen in Bezug auf den Kundenbegriff dieser Untersuchung Die Liste der Ausweitung des Kundenbegriffs ließe sich noch weiterführen, aber bereits die vorangegangenen Betrachtungen zeigen, dass der ursprünglich aus dem privatwirtschaftlichen Sektor stammende Terminus sich mittlerweile weit über den Bereich der Verkaufsbeziehungen hinaus ausgedehnt hat. Infolge dieser Ausdehnung wird der Kundenbegriff nunmehr nicht nur in originär privatwirtschaftlichen Freiwilligkeits-Beziehungen, sondern auch in Abhängigkeits- bzw. Untertanbeziehungen verwendet. Ein solches weites Begriffsverständnis legt auch diese Arbeit zugrunde. Auf diese Weise werden z. B. auch die Fälle erfasst, dass die Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten im Hinblick auf ihre „Kundinnen“ (Klientinnen) nur für eine Frau ausgeschrieben wird,72 dass ein männlicher Bewerber auf die Stelle einer Erzieherin in einem Mädcheninternat unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der „Kundinnen“ (Schülerinnen) abgelehnt wird73 oder auch, dass eine gynäkologische Praxis mit Verweis auf die Präferenzen der „Kundinnen“ (Patientinnen) nur weibliches Personal beschäftigt.74 Dabei ist zu bedenken, dass das Gefälle zwischen Anspruch an die Kundenrolle und die tatsächliche Verwirklichung des Idealbildes in asymmetrischen Machtverhältnissen besonders groß ist. Dementsprechend ist die Kundenrolle differenziert zu betrachten. Plastisch ausgedrückt befindet sich die akut erkrankte, auf schnelle Hilfe angewiesene Patientin der gynäkologischen Praxis, die Wert auf eine Behandlung durch weibliche Ärzte und Arzthelferinnen legt,75 in einer grundlegend anderen Situation als der Kunde einer Fluglinie, der die Bedienung durch weibliche Flugbegleiter bevor71  Meyer

in: Roski, Gesundheitskommunikation (2009), 239, 258. dazu die Entscheidung BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872 ff., siehe für eine Darstellung der Entscheidung später unter E. III. 2. a) aa) (3) (b). 73  Mit diesem Fall setzte sich das BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016 ff. auseinander; vgl. dazu später ausführlich unter E. III. 2. a) aa) (1) (b) (aa) und E. VI. 2. 74  Mit einem ähnlichen Fall setzte sich das ArbG Hamburg 10.04.2001 PflR 2001, 322 ff. auseinander; vgl. dazu später ausführlich unter E. III. 2. a) aa) (1) (a) (bb). 75  Siehe dazu bereits unter A. die Nachweise in Fn. 11. 72  Vgl.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

zugt.76 Die Machtasymmetrie ist in dem Gynäkologiepraxis-Beispiel wesentlich stärker ausgeprägt als in dem Fluglinien-Beispiel. Dieser Aspekt wird bei der später erfolgenden Bewertung der Relevanz bestimmter Kundenpräferenzen zu bedenken sein.77 2. Präferenzbegriff Der zweite, den Untersuchungsgegenstand konturierende Begriff ist „Präferenzen“. Eine genauere Betrachtung dieses Elements des Kundenpräferenzterminus ist notwendig, weil es weder als solches einheitlich verwendet wird (dazu unter a]) noch Einigkeit hinsichtlich der darunter zu subsumierenden Fälle besteht (dazu unter b]). a) „Ob“ der Verwendung Die Frage nach dem „Ob“ der Verwendung stellt sich, weil die Problematik teilweise auch unter dem Stichwort der „Kundenerwartungen“78 oder der „Kundenwünsche“79 diskutiert wird. Damit ist jedoch nur der von den Autoren als Leitbegriff – meist in der Überschrift – gewählte Terminus angesprochen, da im Fließtext zum Teil „-präferenz“, „-erwartung“ und 76  Zwei entsprechende vieldiskutierte Fälle aus der US-amerikanischen Rechtsprechung sind Diaz v. Pan American World Airways, Inc 442 F.2d 385 (5th Cir. 1971), dazu später unter C. III. 3. a) bb), sowie Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292 (N.D. Tex. 1981), dazu später unter C. III. 3. c) aa) (2) (a). Vgl. dazu außerdem Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 12; Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 507  ff.; Epstein Forbidden Grounds (1995), S.  300 ff.; Freed/Polsby American Bar Foundation Research Journal 1981, 583, 600 f.; Shartsis Detroit College of Law Review (1985), 865, 872 f.; Sirota Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025, 1043 ff., 1049 f., 1070; Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 344 ff., 355 f.; Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 191 f.; dieses Bsp. immer wieder aufgreifend zudem Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 158 f., 169 ff., 204, 211. 77  Siehe dazu später unter E. V. 2. d) cc) (1) (d). 78  So z. B. Boemke/Danko § 6 Rn. 23 f., 26, 65; Däubler/Bertzbach-Brors § 8  AGG Rn. 10 ff.; Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 17; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn.  15 ff.; Hwang Rechtfertigung von Benachteiligungen nach § 8 AGG (2014), passim; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 9, 26 f., 35, 66 f. sowie Rn. 11, 16 (dort allerdings „Kundenerwartungen und/oder -präferenzen“ und in Rn. 16 zudem auch „Kundenwünsche“); Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 8 f. 79  So z. B. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 42 ff.; Novara NZA 2015, 142; Roloff in: BeckOK Arbeitsrecht § 8 AGG Rn. 5; Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 403; Wege Religion im Arbeitsverhältnis (2007), S. 312 ff.; vgl. auch Schiek-Schiek § 3 AGG Rn. 15, die von „Diskriminierungswünschen Dritter“ spricht.



I. Etymologische Annäherung47

„-wunsch“ als Suffixe synonym verwendet werden.80 Um allzu häufige Wiederholungen zu vermeiden, soll im Folgenden ebenso verfahren werden, wobei als zentraler titelgebender Kernbegriff aus zwei Gründen der Terminus der „Kundenpräferenzen“ gewählt wurde: Erstens kommt letzterer dem im angloamerikanischen Rechtsraum gebräuchlichen Terminus der „customer preferences“ am nächsten.81 Dort wird diese Problematik schon seit Jahren diskutiert,82 dementsprechend sollen die aus jenem Rechtskreis bekannten diesbezüglichen Erfahrungen auch für diese Untersuchung nutzbar gemacht werden. Zweitens sprechen für diesen Terminus als Kernbegriff auch die Bedeutung der „Präferenz“ und ihre wirtschaftliche Konnotation: Nach der Wortherkunft ist der Präferenzbegriff entlehnt aus dem Französischen und stammt von dem Nomen „préférence“ bzw. dem Verb „préférer“ ab, welches mit „vorziehen“ zu übersetzen ist.83 Dementsprechend ist eine Präferenz in erster Linie eine Vorliebe bzw. eine Bevorzugung, ein Vorrang, ein Vorzug.84 Der Duden definiert den Präferenzbegriff speziell in Bezug auf die Wirtschaft. Danach bezeichnet eine Präferenz „eine bestimmte Vorliebe im Verhalten der Marktteilnehmer“85. In diesem Zusammenhang ist im Brockhaus auch der Hinweis auf die Präferenzpolitik der Unternehmen zu finden, die „alle Aktivitäten im Rahmen des Marketings [umfasst], die darauf gerichtet sind, die Gunst potentieller Abnehmer durch besondere ­ Leistungen (im Vergleich zu anderen Wettbewerbern) zu gewinnen (Qualitätswettbewerb)“86. In dieser Bedeutung des Präferenzbegriffs zeigt sich auch dessen Vorzugswürdigkeit gegenüber dem Erwartungs- bzw. dem Wunschterminus. Die Erwartung bezeichnet eine vorausschauende Vermutung, Annahme bzw. Hoffnung,87 der Wunsch in erster Linie ein Begehren, 80  So verfahren z. B. Krause FS Adomeit (2008), 377 ff. und von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 247 ff., die jeweils „Kundenpräferenz“ als Leitbergriff in der Überschrift wählen. Vgl. zudem Amthauer Auswirkungen des AGG auf die Betriebsverfassung (2009), S. 64ff; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 15 ff. sowie Lobinger EuZA 2009, 365, 371 ff., die „Kundenerwartungen“ als zentralen Kernbegriff in der Überschrift wählen. 81  In diesem Sinne verwenden Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 29 unmittelbar den englischen Terminus („Fälle der sog. ‚customer preferences‘ “); ebenso verfährt Horn Kündigungsschutz und Europarecht (2009), S. 74. 82  Siehe dazu später ausführlich unter C. 83  Kluge/Seebold Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Aufl. 2002, S. 716. 84  Brockhaus Die Enzyklopädie in 24 Bänden. Siebzehnter Band: PERU-RAG, 20. Aufl. 1998, S. 430. 85  Duden Deutsches Universalwörterbuch, 2. Aufl. 1989, S. 1172. 86  Brockhaus Die Enzyklopädie in 24 Bänden. Siebzehnter Band: PERU-RAG, 20. Aufl. 1998, S. 430. 87  Duden Deutsches Universalwörterbuch, 2. Aufl. 1989, S. 461.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

das man bei sich hegt oder äußert und dessen Erfüllung man eher erhofft als dass man den eigenen Willen anstrengt.88 Damit bleiben die beiden letztgenannten Termini nebulöser.89 Dies spricht für den Präferenzterminus als den Untersuchungsgegenstand definierenden Kernbegriff. b) „Wie“ der Verwendung Bei der Frage nach dem „Wie“ der Verwendung geht es darum, was konkret unter einer Präferenz zu verstehen ist und in welchen Fällen eine solche in Bezug auf den Gegenstand dieser Arbeit vorliegt. Diese Arbeit bezieht sowohl tatsächliche als auch vermeintliche als auch durch ein bestimmtes Unternehmerkonzept antizipierte Kundenpräferenzen ein. Von der Wortbedeutung ausgehend ist zunächst dann ein Fall der Kundenpräferenz gegeben, wenn Kunden das Vorhandensein bestimmter Merkmale in der Person eines Beschäftigten tatsächlich bevorzugen, wenn z. B. die Fluggäste einer Airline tatsächlich lieber von weiblichen als von männlichen Flugbegleitern bedient werden und deshalb die Fluggesellschaft bevorzugen, die kein männliches Kabinenpersonal beschäftigt. Zudem wird im Rahmen dieser Untersuchung auch die Konstellation miteinbezogen, dass der Arbeitgeber sich auf vermeintliche Präferenzen beruft, unabhängig davon, ob sie tatsächlich vorliegen. Neben den tatsächlichen und vermeintlichen Präferenzen wird noch eine dritte Fallgruppe berücksichtigt: Dabei handelt es sich um die Fälle, in denen der Arbeitgeber bestimmte vermeintliche oder tatsächliche Kundenpräferenzen durch ein Unternehmerkonzept antizipiert bzw. sie durch ein bestimmtes Angebot erst hervorruft.90 Diese Konstellationen werden zum Teil unter dem Stichwort „Rechtfertigung durch ein Unternehmerkonzept“91 diskutiert. Die Berufung auf Kundenpräferenzen oder auf ein auf bestimmte Kunden ausgerichtetes unternehmerisches Konzept sind jedoch jedenfalls in den Fällen zwei Seiten derselben Medaille, in denen die Kundenerwartungen nicht außerhalb des unternehmerischen Konzeptes liegen.92 In diesem Sinne 88  Duden

Deutsches Universalwörterbuch, 2. Aufl. 1989, S. 1758. ZfB 2000, 1031, 1032 spricht in Bezug auf den Erwartungsbegriff von der „Nichteindeutigkeit des Verbs ‚erwarten‘ im deutschen Sprachgebrauch“ und verweist auf die Bedeutungen „etwas für sehr wahrscheinlich halten“ gegenüber „sich etwas von jemandem versprechen“. 90  Krause FS Adomeit (2008), 377, 387: „Nur phänomenologisch, nicht aber strukturell anders gelagert ist der Fall, dass der Arbeitgeber entsprechende Wünsche auf dem Markt weckt.“ 91  Vgl. z. B. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 37 ff., 68; Boemke/Danko § 6 Rn. 9 f.; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 67; ErfK-Schlachter § 8 AGG Rn. 5; Schleusener/ Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 34 f., 67; Schiek-Schmidt § 8 AGG Rn. 5. 92  Vgl. dazu Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 17; der Zusammenhang zwischen Kundenwünschen und unternehmerischem Konzept wird außerdem deutlich bei 89  Bruhn



II. Ökonomische Annäherung49

weist auch Krause darauf hin, dass es „für die rechtliche Bewertung […] keine entscheidende Rolle spielen [kann] und […] nur zu unfruchtbaren Abgrenzungen führen [würde], ob der Arbeitgeber auf Kundenpräferenzen nur reagiert oder sie durch ein entsprechendes Angebot erst hervorruft“93. Folglich wird in Bezug auf den Präferenzbegriff ein weites Begriffsverständnis zugrunde gelegt. 3. Zusammenfassende Begriffskonkretisierung Zusammenfassend legt diese Arbeit sowohl in Bezug auf den Kunden- als auch in Bezug auf den Präferenzbegriff ein weites, einschließendes Verständnis zugrunde. Hinsichtlich des Kundenterminus werden nicht nur Geschäftsbeziehungen aus dem privatwirtschaftlichen Sektor, sondern auch Verhältnisse aus anderen Lebensbereichen erfasst. Allerdings ist bei der Verwendung in asymmetrischen Machtverhältnissen zu bedenken, dass diese nicht auf wechselseitiger Freiwilligkeit beruhen. Die eingeschränkte oder sogar fehlende Freiwilligkeit hat Auswirkungen auf die Relevanz bzw. das Gewicht von Kundenpräferenzen in derartigen Beziehungen. Hinsichtlich des Präferenzbegriffs werden sowohl tatsächliche als auch vermeintliche als auch durch ein Unternehmerkonzept antizipierte Kundenpräferenzen in die Untersuchung einbezogen. Das weite Begriffsverständnis von „Kunden“ und „Präferenzen“ führt dazu, dass ein „Kundenpräferenzfall“ immer dann vorliegt, wenn eine Benachteiligung im Hinblick auf Interessen betriebsfremder Dritter („Kunden“)94 erfolgt.

II. Ökonomische Annäherung Nachdem in einem ersten Schritt mittels einer etymologischen Annäherung der Untersuchungsgegenstand konkretisiert wurde, erfolgt nun in einem zweiten Schritt eine ökonomische Annäherung an die Kundenpräferenzproblematik. Dabei soll es an dieser Stelle nicht darum gehen, ob bzw. inwieweit ökonomische Erwägungen zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung heKamanabrou RdA 2006, 321, 326 sowie bei Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 11; auch Amthauer Auswirkungen des AGG auf die Betriebsverfassung (2009), S. 64 ff. behandelt die Rechtfertigung aufgrund von Kundenerwartungen/ Unternehmenskonzepten als gemeinsame Fallgruppe. 93  Krause FS Adomeit (2008), 377, 387. 94  Ein „Kundenpräferenzfall“ liegt nicht vor, wenn eine Benachteiligung im Hinblick auf die Präferenzen anderer Beschäftigter des Arbeitgebers erfolgt, sie fallen nicht unter den hier verwendeten weiten Kundenbegriff. Anders indes Hwang Rechtfertigung von Benachteiligungen nach § 8 AGG (2014), S. 59, die auch Kollegen unter den Kundenbegriff fassen will.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

rangezogen werden können.95 Vielmehr ist in diesem Abschnitt von Interesse, wie die Ökonomie Kundenpräferenzen einordnet (dazu unter 1.), welche Wirkungszusammenhänge sie festgestellt hat, welche Bedeutung sie den Kundenpräferenzen zuschreibt und ob sich dazu überhaupt grundsätzliche Aussagen treffen lassen (dazu unter 2.). Im Zusammenhang mit der Messbarkeit von Kundenpräferenzen (dazu unter 3.) sollen zudem beispielhaft einige Studien vorgestellt werden, die sich mit diskriminierenden Kundenpräferenzen in bestimmten Bereichen auseinandergesetzt haben (dazu unter 4.). 1. Grundlagen In der Ökonomie versteht man unter einer Präferenz „einen eindimensionalen Indikator, mit dem das Ausmaß der Vorziehenswürdigkeit eines Beurteilungsobjektes für eine bestimmte Person während eines bestimmten Zeitraumes zum Ausdruck gebracht wird“96. Als weitgehend synonym werden der Nutzen bzw. der Wert angesehen.97 Insofern lassen sich Kundenpräferenzen ökonomisch als Disnutzen durch den Kontakt mit einer missliebigen Personengruppe bzw. Nutzen aus dem Zusammentreffen mit einer bevorzugten Personengruppe erklären.98 In privatwirtschaftlichen Kundenbeziehungen bedeutet das, dass Waren oder Dienstleistungen nur zu niedrigeren Preisen abgenommen werden, wenn damit eine Assoziierung oder ein Kontakt mit einer missliebigen Personengruppe einhergeht.99 Demnach sind die Präferenzen der Kundschaft maßgebliche Faktoren für die unternehmerische Ausrichtung des Arbeitgebers.100 In diesem Zusammenhang stehen das Konzept der Kundenorientierung und das Konstrukt der Kundenzufriedenheit. Ersteres hat bereits in den neunziger Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen,101 sodass ein Paradigmenwechsel von der Produkt- hin zur Kundenorientierung stattgefunden hat.102 Dabei beschreibt Kundenorientierung „die grundsätzliche Ausrichtung der Unternehmensakti95  Vgl. dazu Thüsing ZfA 2006, 241, 246: „Gerade wie weit solche ökonomischen Erwägungen eine Unterscheidung rechtfertigen können, gehört zu den schwierigsten Fragen der Zukunft.“ 96  Baier/Brusch in: dies., Conjointanalyse (2009), 3. 97  Esch/Herrmann/Sattler Marketing (2013), S. 147; Sattler zfbf Sonderheft 54 (2006), 154. 98  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 252. 99  Vgl. von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 251; grundlegend so bereits Becker Economics of Discrimination (1973), S. 14. 100  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 251. 101  Vgl. zu den Entwicklungsphasen der Unternehmensführung überblicksartig Bruhn in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 33, 35 ff. 102  Vgl. dazu Ederer/Seiwert Der Kunde ist König (2000), S. 74 ff.



II. Ökonomische Annäherung51

vitäten an den Kundenbedürfnissen, die bei der Planung und Erstellung der unternehmerischen Leistung Berücksichtigung finden, mit dem Ziel, langfristig stabile und ökonomisch vorteilhafte Kundenbeziehungen zu etablieren“103. So sind Kunden in vielen Unternehmen das bestimmende Element bzw. der Impulsgeber für Leistungen, die am Markt angeboten werden.104 Die Kundenorientierung bezeichnet also die umfassende Berücksichtigung der Kundenerwartungen. Letztere stellen ganz konkrete Anforderungen an eine Marktleistung, also an das Produkt und die Serviceleistungen.105 Inwiefern der Kunde seine Erwartungen durch das Unternehmen erfüllt sieht, zeigt wiederum die Kundenzufriedenheit an, sodass eine starke Kundenorientierung Voraussetzung für eine hohe Kundenzufriedenheit ist.106 Unterschieden wird zudem noch zwischen der institutionellen und der personellen Kundenorientierung:107 Die institutionelle Kundenorientierung betrifft das Gesamtunternehmen und interpretiert Strukturen, Systeme und Kultur des Unternehmens sowie der bereitgestellten Leistung als Gegenstände des Kundenorientierungsbegriffs. Die personelle Kundenorientierung ist in Branchen von Bedeutung, in denen Unternehmensleistungen im direkten Kunden-Mitarbeiter-Kontakt erstellt werden. Dort ist das Mitarbeiterverhalten Teil der Leistung und die personelle Kundenorientierung tritt neben die institutionelle. Dementsprechend spielen Kundenpräferenzen für Produkte108 sowie für bestimmte Personen(gruppen) eine Rolle.109 2. Wirkungszusammenhänge und Bedeutung Die Bedeutung der Kundenorientierung für die Unternehmensführung und die damit einhergehende Auseinandersetzung mit Kundenpräferenzen und Kundenzufriedenheit wird angesichts der in der Ökonomie festgestellten Wirkungszusammenhänge verständlich. Es besteht weitgehend Einigkeit 103  Bruhn in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 33, 37. 104  Töpfer in: ders., Kundenmanagement (2008), 3. 105  Töpfer/Mann in: Töpfer, Kundenmanagement (2008), 37, 42; zu Begriff und Typen von Kundenerwartungen vgl. auch Bruhn ZfB 2000, 1031, 1032 ff. 106  Bruhn in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 33, 38 f.; vgl. auch ders. in: Töpfer, Kundenmanagement (2008), 439, 440: „Kundenzufriedenheit als Ergebnis eines Erwartungs-Leistungserfüllungs-Vergleichs“. Zu dem Begriff der Kundenzufriedenheit vgl. zudem eingehend Homburg/ Koschate in: Albers/Herrmann, Produktmanagement (2007), 844, 846 ff. 107  Bruhn in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 33 (37 f.). 108  Zu deren Existenz, Bildung und Relevanz vgl. ausführlich Heitmann/Lippuner in: Albers/Herrmann, Produktmanagement (2007), 445, 447 ff. 109  Vgl. Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 164.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

darüber, dass Kundenorientierung erhebliche ökonomische Wirkungen für Unternehmen aufweist und ein hohes Maß an Kundenzufriedenheit den Unternehmenserfolg positiv beeinflusst.110 Diesbezüglich wurden im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum zum Marketing seit Anfang der 90er Jahre eine Reihe von Arbeiten vorgelegt, deren Ergebnisse zeigen, dass Umfang und Qualität der Kundenbeziehungen die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen stark beeinflussen.111 Matzler / Stahl / Hinterhuber fassen die Erkenntnisse wie folgt zusammen: „Zufriedene Kunden liefern eine höhere Wiederkaufrate, sind weniger preisempfindlich, empfehlen Produkte und Dienstleistungen weiter und kaufen vermehrt auch andere Produkte und Dienstleistungen des Anbieters (cross-buying).“112 Für diese Verhaltensweisen werden auch die Begriffe der Kundenbindung bzw. der Kundenloyalität verwendet.113 Zwar sind die genauen Zusammenhänge zwischen den Komponenten Kundenorientierung, Kundenzufriedenheit, Kundenbindung und ökonomischem Erfolg des Unternehmens komplex und von Wechselwirkungen geprägt und Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Forschung.114 Stark vereinfacht lässt sich jedoch festhalten, dass eine Wirkungskette zwischen Kundenorientierung, Kundenzufriedenheit, Kundenbindung und ökonomischem Erfolg des Unternehmens besteht.115 Demzufolge geht die 110  Bruhn in: Töpfer, Kundenmanagement (2008), 439; Luo/Homburg Journal of Marketing 71 (2007), 133; Huber/Herrmann/Braunstein in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 69, 71; Matzler/Stahl/Hinterhuber in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 3, 7; Töpfer/Mann in: Töpfer, Kundenmanagement (2008), 37, 38 f. 111  Vgl. dazu die umfassenden Nachweise bei Luo/Homburg Journal of Marketing 71 (2007), 133, 134 sowie bei Matzler/Stahl/Hinterhuber in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 3, 5 und bei Huber/Herrmann/ Braunstein in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 69, 71; vgl. auch die Nachweise bei Bruhn in: Töpfer, Kundenmanagement (2008), 439, 446 f., der jedoch „noch Konkretisierungs- und Forschungsbedarf in differenzierter Weise“ für den konkreten Nachweis des Zusammenhangs von Kundenzufriedenheit und ökonomischem Erfolg sieht (462). 112  Matzler/Stahl/Hinterhuber in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 3, 5; vgl. auch Bruhn in: Töpfer, Kundenmanagement (2008), 439 sowie Abbildung 1 bei Töpfer/Mann in: Töpfer, Kundenmanagement (2008), 37, 39. 113  Vgl. dazu Töpfer Ursachen-Wirkungs-Konzepte, in: ders., Kundenmanagement (2008), 81 f., der indes ausdrücklich zwischen Kundenloyalität und -bindung differenziert. 114  Vgl. dazu z. B. Homburg/Koschate in: Albers/Herrmann, Produktmanagement (2007), 844, 849 ff.; Huber/Herrmann/Braunstein in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 69, 73  ff.; Töpfer Ursachen-WirkungsKonzepte, in: ders., Kundenmanagement (2008), 81 ff. 115  Vgl. Bruhn in: Hinterhuber/Matzler, Kundenorientierte Unternehmensführung (2009), 33, 39 sowie ders. in: Töpfer, Kundenmanagement (2008), 439, 440 f.



II. Ökonomische Annäherung53

Ökonomie abstrakt von einer hohen Bedeutung der Orientierung an Kundenpräferenzen für den Unternehmenserfolg aus. Diese Annahme entspricht dem Befund der US-amerikanischen Rechtswissenschaftlerin Yuracko, die etwas drastischer formuliert: „[…], a business will not long be in business if it completely ignores customer preferences.“116 In diesem Sinne ist auch im deutschen Schrifttum darauf hingewiesen worden, dass dem Arbeitgeber „nicht verwehrt werden [darf], sein Unternehmen an Kundenwünschen und damit am Nachfragemarkt auszurichten, da Kundenzufriedenheit und Kundenbindung die Existenzvoraussetzungen für sein Unternehmen“117 bildeten. 3. Messbarkeit Der Schritt von der abstrakt bestehenden Bedeutung der Kundenzufriedenheit und der Kundenpräferenzen für den Unternehmenserfolg zu der konkreten Feststellung ihrer Existenz führt zu der Frage ihrer Messbarkeit. Kundenpräferenzen werden in der Wirtschaftswissenschaft zuvorderst mittels der Conjoint-Analyse erfasst.118 Diese zeichnet sich durch ihr sogenanntes dekompositionelles Prinzip aus:119 Die Befragten bewerten ganzheitliche Produktkombinationen. Bei der Auswertung werden diese zerlegt und auf diejenigen Merkmale und Ausprägungen umgerechnet, die in die Bewertung mit eingeflossen sind, es wird also dekomponiert. Im Gegensatz dazu erfragen kompositionelle Methoden der Präferenzermittlung die Beurteilung einzelner Eigenschaften direkt (z. B. bei einer ärztlichen Dienstleistung: „Wie wichtig ist Ihnen das Geschlecht Ihres Gynäkologen?“ und „Bevorzugen Sie die Behandlung durch eine Gynäkologin?“). Aus den abgegebenen Einzelurteilen wird das Gesamturteil komponiert. Die Conjoint-Analyse als dekompositionelles Verfahren gilt als realitätsnäher, da der Kunde auch in der tatsächlichen Kaufsituation mit einem ganzheitlichen Produkt bzw. mit einer ganzheitlichen Dienstleistung konfrontiert ist.

116  Yuracko

California Law Review 92 (2004), 147, 166. Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 237. 118  Backhaus/Brzoska DBW 64 (2004), 39: „eines der am häufigsten eingesetzten Marktforschungsinstrumente zur Messung von Präferenzen“; Baier/Brusch in: dies., Conjointanalyse (2009), 3: „Standardmethode zur Ermittlung von Präferenzen“; Hartmann/Sattler zfbf 56 (2004), 3: „weit verbreitete Methoden zur Präferenzmessung“; Nitschke/Völckner zfbf 58 (2006), 743: „populärste[…] Methode zur Messung von Konsumentenpräferenzen“. 119  Für eine gute Einführung in die Grundlagen der Conjoint-Analyse mit Anwendungsbeispiel vgl. Baier/Brusch in: dies., Conjointanalyse (2009), 3 ff. 117  Lieske

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

4. Studien Nach den abstrakten Ausführungen zu Grundlagen, Bedeutung und Messung der Kundenpräferenzen aus der ökonomischen Perspektive soll nun der Schritt hin zu konkreten Studien und deren theoretischem Unterbau bezüglich bestehender diskriminierender Kundenpräferenzen gegangen werden. Ökonomische Studien, die Hintergründe und Existenz von Diskriminierungen untersuchen, wurden bislang vor allem in den USA durchgeführt. Der US-amerikanische Rechtsökonom Posner konstatierte bereits 1989: „There is now a substantial economic literature on discrimination. […] There is also a substantial economic literature on the extent and causes of disparities between men and women in wages, employment level, and other measures of professional attainment.“120 a) Theoretischer Unterbau Grundlegend war das von Becker in der ersten Auflage bereits 1957 erschienene Werk „The Economics of Discrimination“121. Beckers Modell war Ausgangspunkt nahezu aller weiteren Forschungsbeiträge.122 Es basiert auf der Definition eines taste for discrimination: „If an individual has a ‚taste for discrimination‘, he must act as if he were willing to pay something, either directly or in form of a reduced income, to be associated with some persons instead of others.“123 Danach lässt sich Diskriminierung auf einen Disnutzen zurückführen, den manche Menschen bei der Zusammenarbeit mit bestimmten Merkmalsträgern haben.124 Gleichzeitig identifiziert Becker drei Hauptursachen der Diskriminierung bestimmter Beschäftigter: Vorurteile ausgehend von Arbeitgebern, Kollegen oder Kunden.125 Die von Beckers Grundüberlegungen ausgehenden Forschungsansätze beruhen auf der Annahme, dass der Wettbewerb Mitarbeiter- und Arbeitgeber-Lohn-Diskriminierung aufheben könne,126 120  Posner

University of Chicago Law Review 56 (1989), 1311 m. w. N. Economics auf Discrimination (1957), passim; zu den starken Auswirkungen der dort entwickelten Konzepte in US-amerikanischen arbeitsrechtlichen Diskriminierungsprozessen vgl. Ashenfelter/Oaxaca American Economic Review 77 (1987), 321 ff.; vgl. für einen kurzen Überblick über Beckers Präferenzmodell und die diesbezügliche Kritik auch Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S.  29 ff. m. w. N. 122  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 85. 123  Becker Economics auf Discrimination (1973), S. 14. Vgl. ähnlich auch von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 251 f. 124  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 85. 125  Becker Economics auf Discrimination (1973), S. 14 f., 39 ff. 126  Vgl. kritisch dazu Madden in: Lloyd, Sex, Discrimination, and the Division of Labor (1975), 146, 151. 121  Becker



II. Ökonomische Annäherung55

weil dem Unternehmen dadurch Kostennachteile entstünden.127 Anderes gelte aber für die sogenannte customer discrimination.128 Sie unterscheide sich von den anderen Formen der Diskriminierung, weil der Unternehmer, der von den Kunden bevorzugte Beschäftigte höher vergüte, vom Markt belohnt werde.129 Daraus lasse sich schließen, dass jede über lange Zeit bestehende Arbeitsmarktdiskriminierung höchstwahrscheinlich durch Kundenpräferenzen bedingt sei.130 Dabei ist davon auszugehen, dass Kundendiskriminierung eher im Dienstleistungssektor auftritt, wo der Kunde mit dem Produzenten der Leistung in Kontakt kommt, als in der Fabrikation.131 Des Weiteren gehen zahlreiche, auf Beckers Grundüberlegungen aufbauende ökonomische Diskriminierungstheorien132 davon aus, dass eine demographische Übereinstimmung zwischen Beschäftigten und Kunden die Geschäftsleistung verbessern könne.133 So führten Vertrautheit – die Tendenz, einem Menschen, der einem selbst ähnlich ist, positive Eigenschaften zuzuschreiben – und die Vorliebe dafür, sich mit Leuten aus der sogenannten „Eigengruppe“ zu umgeben, dazu, dass man Geschäftsbeziehungen mit ähnlichen Mitmenschen bevorzuge. Eine weitere Annahme besteht darin, dass eine hohe demographische Übereinstimmung von Beschäftigten und Kunden die Geschäftsleistung auch deshalb verbessern könne, weil Kommunikationskosten zwischen Personen derselben Ethnie, desselben Geschlechts oder auch derselben Altersgruppe reduziert würden, da sich Ausdrucksweisen und Jargon innerhalb dieser Gruppen weniger unterschieden. Schließlich komme hinzu, dass demographisch ähnliche Gruppen sich nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich besser verstünden und Beschäftigte Wünsche ihnen ähnlicher Kunden besser erkennen und verstehen könnten.134 127  Vgl. dazu Holzer/Ihlanfeldt Quarterly Journal of Economics 113 (1998), 835; Kahn Economic Inquiry 29 (1991), 555 f. 128  Hoang/Rascher Industrial Relations 38 (1999), 69, 73; vgl. Kahn Journal of Economic Perspectives 14 (2000), 75, 83. 129  Vgl. Kahn in: Shmanske/Kahane, Sports Economics (2012), 21, 23. 130  Vgl. z. B. Nardinelli/Simon Quarterly Journal of Economics 105 (1990), 575, 576; siehe dazu auch Holzer/Ihlanfeldt Quarterly Journal of Economics 113 (1998), 835. 131  Vgl. dazu Darity/Mason Journal of Economic Perspectives 12, 2 (1998), 63, 82 f. sowie Madden in: Lloyd, Sex, Discrimination, and the Division of Labor (1975), 146, 150 f. 132  Vgl. z. B. zur „similarity-attraction theory“ Jackson et al. Journal of Applied Psychology 76 (1991), 675  ff. sowie Tsui/Egan/O’Reilly Administrative Science Quarterly 37 (1992), 549, 551 ff. und zur „social identity theory“ Ashforth/Mael Academy of Management Review 14 (1989), 20 ff., jew. m. w. N. 133  Vgl. zusammenfassend Leonard/Levine/Joshi Journal of Organizational ­Behavior 25 (2004), 731, 732 m. w. N. 134  So z. B. Jackson/Alvarez in: Jackson, Diversity in the Workplace (1992), 13, 14 f.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

Auf dieser Grundlage wird die „Kundendiskriminierungshypothese“ (customer discrimination hypothesis) formuliert. Sie geht davon aus, dass Kunden ihnen demographisch ähnliche Beschäftigte bevorzugten.135 Darauf baut die Vermutung auf, dass aus der Perspektive des profitmaximierenden Unternehmers eine Arbeitnehmerschaft wünschenswert sei, die der potentiellen Kundschaft in demographischer Hinsicht möglichst ähnlich ist.136 Dieser theoretische Unterbau hinsichtlich der ökonomischen Bedeutung diskriminierender Kundenpräferenzen erklärt, wieso sich zahlreiche, in den USA unternommene Studien mit der Existenz entsprechender Präferenzen auseinandersetzen. Beispielhaft sollen hier drei Felder und die dort erzielten Erkenntnisse präsentiert werden: erstens der Profisport und die Frage (rassenspezifischer) Fanpräferenzen (dazu unter b]); zweitens das Gesundheitswesen und die Frage (geschlechtsspezifischer) Patientenpräferenzen (dazu unter c]); drittens Studien zu Kundenpräferenzen aus dem Bereich des Einzelhandels und der Gastronomie (dazu unter d]). b) Beispiel 1: Professioneller Sport Eines der Hauptprobleme empirischer Studien zu Arbeitsmarktdiskriminierungen ist die Schwierigkeit, individuelle Fähigkeit und Produktivität zu operationalisieren, zu messen und vergleichbar zu machen.137 Vor diesem Hintergrund eignet sich das Gebiet des professionellen Sports besonders gut, um das Ausmaß von Diskriminierung – allem voran durch Kunden bzw. Fans – zu untersuchen:138 Auf kaum einem anderen Forschungsfeld sind Name, Aussehen und Lebensgeschichte jedes einzelnen Beschäftigten139 der Industrie wohl so bekannt.140 Leistungsstatistiken und Angaben über die Vergütung der einzelnen Sportler sind weitgehend frei verfügbar, ebenso wie komplette Datensätze über den Karriereverlauf bei verschiedenen Arbeitgebern.141 Dies ermöglicht eine relativ präzise Mess- und Vergleichbar135  Vgl.

670.

Leonard/Levine/Giuliano Review of Economics and Statistics 92 (2010),

136  Leonard/Levine/Joshi

Journal of Organizational Behavior 25 (2004), 731, 732. Industrial Relations 38 (1999), 69, 70; Kahn Industrial and Labor Relations Review 44 (1991), 395, 396. 138  Kahn Industrial and Labor Relations Review 44 (1991), 395, 396. 139  Vgl. für den Arbeitnehmerstatus der Profifußballer deutscher Bundesligavereine z. B. BAG 17.01.1979 NJW 1980, 470 m. w. N. zur Rechtsprechung. Zur Anwendbarkeit der diskriminierungsrechtlichen Bestimmungen des AGG auf selbstständige Sportler LG Berlin 04.07.2012  – 22 O 157/12 juris Rn. 33. 140  Kahn Journal of Economic Perspectives 14 (2000), 75. 141  Kahn Journal of Economic Perspectives 14 (2000), 75. 137  Hoang/Rascher



II. Ökonomische Annäherung57

keit der Produktivität der Sportler.142 Zudem sind Daten über Einnahmen im Sport und die Identität derjenigen Sportler, die diese Einnahmen generiert haben, verfügbar. Sie erlauben die Ermittlung des Ausmaßes an Kundendiskriminierung.143 Wendet man die Kundendiskriminierungstheorien auf den professionellen Sport an, müsste Kundendiskriminierung z. B. in Fanpräferenzen für Sportler der eigenen Hautfarbe Ausdruck finden. Demnach müsste eine hautfarbenneutrale Beschäftigungspolitik zu Einnahme- und Profitverlusten führen.144 aa) Fanpräferenzen im Basketball Diese Theorie wurde in erster Linie anhand der professionellen Basketballliga der USA („National Basketball Association“, kurz: NBA) überprüft. Die besondere Eignung der NBA als Untersuchungsfeld bringen Burdekin / Hossfeld / Kiholm Smith auf den Punkt: „It is hard to imagine a business where employees are more ‚visible‘ to customers than professional basketball.“145 Grundlegend auf diesem Gebiet war eine 1988 veröffentlichte Studie von Kahn / Sherer.146 Darin betrachteten sie die Gehälter einzelner professioneller Basketballspieler und analysierten Unterschiede auf Grund der Rasse. Sie stellten zum einen fest, dass schwarze Spieler im Schnitt unter sonst gleichen Bedingungen („ceteris paribus“) eine zwanzig Prozent geringere Vergütung hinnehmen mussten als weiße Spieler. Zum anderen kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Ersetzung eines schwarzen Spielers durch einen weißen Spieler – bei sonst vergleichbaren Bedingungen, einschließlich Teamleistung – dazu führte, dass die Zuschauerzahlen im Stadion bei Heimspielen von 8.000 auf 13.000 Fans pro Saison anstiegen. Dabei stützen sie sich auf Daten aus den Jahren 1980 bis 1986. Folglich zeigten sie, dass die Anwesenheit der Fans von der ethnischen Zusammensetzung der Teams beeinflusst war, wobei eine größere Zahl weißer Spieler im Team zu einer größeren FanAnwesenheit führte. In diesen Ergebnissen sahen Kahn / Sherer die Kundendiskriminierungshypothese bestätigt.147 Kahn beschreibt dabei folgenden Zusammenhang zwischen der Feststellung einer Gehaltsdiskriminierung einerseits und dem Vorliegen von Fanpräferenzen andererseits:148 Auf Grund der 142  Hoang/Rascher

Industrial Relations 38 (1999), 69, 71. Industrial and Labor Relations Review 44 (1991), 395, 396. 144  Burdekin/Hossfeld/Kiholm Smith Journal of Sports Economics 6 (2005), 144. 145  Burdekin/Hossfeld/Kiholm Smith Journal of Sports Economics 6 (2005), 144, 145. 146  Kahn/Sherer Journal of Labor Economics 6 (1988), 40 ff. 147  Kahn/Sherer Journal of Labor Economics 6 (1988), 40, 59. 148  Kahn Industrial and Labor Relations Review 44 (1991), 395, 414. 143  Kahn

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

Fanpräferenzen für weiße Spieler habe ein höherer Prozentsatz weißer Spieler in einem Team positive Auswirkungen auf die Ticketverkäufe. Deshalb würden weiße Spieler im Vergleich zu schwarzen Spielern mit der gleichen Leistungsbilanz besser vergütet. Koch / Vander Hill vermuten hingegen, dass sich in der vergleichsweise geringeren Vergütung schwarzer Spieler hauptsächlich die Annahme der Teammanager widerspiegele, weiße Fans bevorzugten weiße Spieler, ohne dass tatsächlich solche Präferenzen nachgewiesen wären.149 Burdekin / Idson differenzierten die von Kahn / Sherer gemachten Beobachtungen weiter aus.150 Sie stellten einen Zusammenhang zwischen FanAnwesenheit, ethnischer Zusammensetzung des Teams und des dazugehörigen Absatzmarktes fest. Je stärker sich die ethnische Zusammensetzung von Team und Absatzgebiet entsprachen, desto höher war die Fan-Anwesenheit bei den Spielen. Eine Reihe weiterer Studien, die sich mit Kundendiskriminierung in der NBA in der Mitte der 1980er Jahre befassen, kommt zu ähnlichen Ergebnissen.151 Freilich stehen insbesondere die von Kahn / Sherer gemachten Feststellungen und ihre Interpretation nicht unwidersprochen da. So präsentieren beispielsweise Bodvarsson / Brastow empirische Befunde, die sie dahingehend interpretieren, dass – unabhängig von möglicherweise bestehenden Fanpräferenzen – voreingenommene Manager und Besitzer der Teams die Ursache der Diskriminierung gewesen seien.152 Nichtsdestotrotz ist festzustellen, dass eine beachtliche Anzahl von Studien auf der Grundlage von Datensätzen aus den 1980er Jahren die Hypothese bestehender Fanpräferenzen für Spieler der eigenen Ethnie bestätigt. Aktuellere empirische Untersuchungen zeichnen indes ein anderes Bild. Die Beweise für Kundenpräferenzen in der NBA in den 1990er und 2000er Jahren sind sehr viel schwächer als die aus den 1980er Jahren.153 Dey kommt anhand von Datensätzen aus den Jahren 1987 bis 1993 zu dem Schluss, dass die Fans nicht mehr zwischen weißen und schwarzen Spie149  Koch/Vander

Hill Social Science Quarterly 69 (1988), 83, 92. Applied Economics 23 (1991), 179 ff. 151  So z. B. Brown/Spiro/Keenan American Journal of Economics and Sociology 50 (1991), 333 ff.; Hoang/Rascher Industrial Relations 38 (1999), 69 ff.; vgl. außerdem Bodvarsson/Patridge Labour Economics 8 (2001), 389 ff., die Fanpräferenzen schwarzer, aber nicht weißer Fans feststellen. 152  Bodvarsson/Brastow Contemporary Economic Policy 17 (1999), 243 ff.; vgl. zudem McCormick/Tollison Journal of Economic Behavior & Organization 44 (2001), 201 ff., die die von Kahn/Sherer gefundenen Ergebnisse mit einer „theory of price discrimination“ erklären wollen und insbesondere einen Zusammenhang zwischen Fanpräferenzen und Gehaltsunterschieden zurückweisen. 153  Vgl. Kahn in: Shmanske/Kahane, Sports Economics (2012), 21, 35. 150  Burdekin/Idson



II. Ökonomische Annäherung59

lern differenzierten.154 Er stellte fest, dass der Austausch eines Teams mit ausschließlich schwarzen Spielern gegen ein gleich gutes Team weißer Spieler nur statistisch insignifikante 694 zusätzliche Fans pro Saison in das Stadion locken würde.155 Daraus folgert er: „Customer preference apparently changed over the past decade.“156 Das bestätigen auch die Ergebnisse der Untersuchung von Stone / Warren:157 Sie zogen Basketballer-Sammelkarten und die für sie gehandelten Preise im Jahr 1993 als Indikatoren für Fanvorlieben heran und konnten keine von der Rasse abhängigen Preisunterschiede für Karten leistungsmäßig vergleichbarer Spieler feststellen. Zudem fanden Kahn / Shah keine empirischen Beweise für einen Zusammenhang zwischen ethnischer Zusammensetzung der Teams und Zuschaueranwesenheit in der NBA in den Saisons 1996 bis 2001.158 Schließlich analysierten Coleman / DuMond / Lynch die „most valuable player“-Wahl in der NBA in den Jahren 1995 bis 2005.159 Der Auswahlausschuss, dessen Größe zwischen 96 und 127 Mitgliedern variierte, setzte sich aus jeweils drei Medien-Vertretern aus den 30 NBA-Städten, nationalen Autoren und Sportreportern zusammen.160 Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die ethnische Herkunft – ceteris paribus – keine statistisch signifikanten Auswirkungen auf die Wahl hatte.161 Dies ist unter Kundenpräferenzaspekten insofern interessant, als die Autoren der Studie die Möglichkeit nahelegen, dass sich die Mitglieder der Auswahlkommission als Vertreter der Medienwelt bei ihrer Wahl nach den Wünschen und Präferenzen ihrer Kunden richten würden.162 Zwei andere Studien konnten hingegen auch in den 1990er Jahren bestehende diskriminierende Fanpräferenzen feststellen: Kanazawa / Funk untersuchten Kundenpräferenzen anhand der Fernseheinschaltquoten.163 Sie stellten auf der Grundlage von Daten für die Spielzeit 1996 / 1997 fest, dass eine höhere Anzahl weißer Spieler höhere Zuschauerquoten generierte.164 Burdekin / Hossfeld / Kiholm Smith schließlich konnten für die Saisons 1990 bis 1999 eine anhaltende Tendenz dahingehend feststellen, dass eine größere Übereinstimmung von ethnischer Zusammensetzung des Teams und der der 154  Dey

American Economist 41 (1997), 84. American Economist 41 (1997), 84, 88. 156  Dey American Economist 41 (1997), 84, 88. 157  Stone/Warren Applied Economics 31 (1999), 679 ff. 158  Kahn/Shah Industrial Relations 44 (2005), 444, 459 f. 159  Coleman/DuMond/Lynch Journal of Sports Economics 9 160  Coleman/DuMond/Lynch Journal of Sports Economics 9 161  Coleman/DuMond/Lynch Journal of Sports Economics 9 162  Coleman/DuMond/Lynch Journal of Sports Economics 9 163  Kanazawa/Funk Economic Inquiry 39 (2001), 599 ff. 164  Kanazawa/Funk Economic Inquiry 39 (2001), 599, 607. 155  Dey

(2008), (2008), (2008), (2008),

606 ff. 606, 607. 606, 624. 606, 608.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

entsprechenden Metropolregion zu größerer Zuschaueranwesenheit führte.165 Trotzdem konstatieren auch Burdekin / Hossfeld / Kiholm Smith letztlich, dass die Beweislage bezüglich der Existenz von Fanpräferenzen in den 1990er Jahren uneinheitlich ist.166 bb) Fanpräferenzen im Fußball Während sich die Studien zu Fanpräferenzen in den USA neben Basketball hauptsächlich auf Baseball167 konzentrieren, finden sich in Europa einige wenige Untersuchungen zu Fanvorlieben im Fußball:168 Preston / Szymanski überprüften die Kundendiskriminierungshypothese in Bezug auf professionelle englische Fußballteams in dem Zeitraum 1974 bis 1993.169 Dabei analysierten sie die Zusammenhänge zwischen Fan-Anwesenheit bei den Spielen, Einnahmen, Leistung und dem Anteil schwarzer Spieler in der Mannschaft. Die Fan-Anwesenheit war bei Vereinen, die vergleichsweise oft Spieler schwarzer Hautfarbe einsetzten, nicht geringer und sie mussten auch keine statistisch relevanten Einnahmeverluste hinnehmen.170 Auch Pedace widmete sich der Analyse der Präferenzen englischer Fußballfans, legte den Fokus dabei allerdings, anders als Preston / Szymanski, nicht auf das Merkmal ethnische Herkunft, sondern auf die Nationalität.171 Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Fan-Anwesenheit in den Stadien mit der Häufigkeit der Einsätze südamerikanischer Spieler ansteigt; dies ist umso interessanter, als die Einnahmen aus den Ticketverkäufen zu den drei Haupteinnahmequellen der Clubs gehören (29   % Ticketverkäufe; 44   % 165  Burdekin/Hossfeld/Kiholm Smith Journal of Sports Economics 6 (2005), 144, 155; Kritik an dem Kriterium der Zuschaueranwesenheit üben Kanazawa/Funk Economic Inquiry 39 (2001), 599, 607: „Indeed, the emphasis in the literature on attendance at games may be somewhat misplaced, because many more fans watch or listen to broadcasts than actually attend games.“ 166  Burdekin/Hossfeld/Kiholm Smith Journal of Sports Economics 6 (2005), 144, 155. 167  Grundlegend Nardinelli/Simon Quarterly Journal of Economics 105 (1990), 575 ff.; vgl. außerdem z. B. Andersen/La Croix Economic Inquiry 29 (1991), 665 ff.; Depken/Ford Journal of Socio-Economics 35 (2006), 1061; Desser/Monks/Robinson Social Science Quarterly 80 (1999), 591 ff.; Kuziemko/Rapp Texas Hispanic Journal of Law & Policy 7 (2001), 119 ff.; jew. m. w. N. 168  Vgl. für eine Studie zu Fanvorlieben für Lokalmatadoren und Superstars im deutschen Profifußball Brandes/Franck/Nüesch Journal of Sports Economics 9 (2008), 266 ff. 169  Preston/Szymanski Scottish Journal of Political Economy 47 (2000), 342 ff. 170  Preston/Szymanski Scottish Journal of Political Economy 47 (2000), 342, 362. 171  Pedace Journal of Sports Economics 9 (2008), 115 ff. Zu dem Zusammenhang dieser Merkmale vgl. später unter E. V. 2. a) cc) (2) (c).



II. Ökonomische Annäherung61

Rundfunkübertragungen; 27  % Sponsoring).172 Pedace selbst merkt an,173 dass seine Ergebnisse auf Grund des unterschiedlichen Fokus nicht mit denen von Preston / Szymanski vergleichbar seien. Nichtsdestotrotz sei es aber bemerkenswert, dass letztere keine Anzeichen für ethnische Präferenzen der Fans feststellten, während seine eigenen Ergebnisse nahelegten, dass Fans durchaus Vorlieben für bestimmte Nationalitäten zeigten. Diese seien zugegebenermaßen in ihrem Ausmaß begrenzt und richteten sich zudem nicht gegen ausländische Spieler. Vielmehr ergebe seine Untersuchung, dass die Fans ausländische, südamerikanische Spieler im Gegensatz zu einheimischen bevorzugten. Ebenfalls auf die Nationalität konzentrierten sich schließlich Wilson /  Ying.174 Sie untersuchten die Existenz von Fanpräferenzen für bestimmte Nationalitäten in den fünf größten Fußballligen der Welt (die englische „Premier League“, die französische „Ligue 1“, die deutsche Bundesliga, die italienische „Serie A“ sowie die spanische „Primera División“) im Zeitraum von 1997 bis 2000. Auch Wilson / Ying zogen die Anwesenheit in Stadien als Indikator für Fanvorlieben heran, konnten aber, anders als Pedace, keine Existenz bestimmter Präferenzen der Zuschauer feststellen.175 Pedace weist darauf hin, dass der scheinbare Widerspruch der Studien zwei Ursachen habe:176 Zum einen beziehe sich seine Studie lediglich auf die englische Liga, während Wilson / Ying mehrere europäische Ligen untersuchten. Eine zweite Erklärung sei – ohne hier methodische Details zu vertiefen177 – in den unterschiedlichen Berechnungsmodellen der Studien zu finden. Anders als Pedace selbst hätten Wilson / Ying das Gehalt als Variable nicht berücksichtigt. Die Nicht-Berücksichtigung des Gehalts führe zu verzerrten Ergebnissen. cc) Ergebnis zu Kundenpräferenzstudien im Profisport Der Bereich des Profisports wird angesichts umfassend vorhandener Daten über die Spielerleistungen von Ökonomen als besonders geeignetes Feld zur empirischen Untersuchung von Kundenpräferenzen angesehen. Nichtsdestotrotz zeigen die hier vorgestellten Studien, dass sich selbst auf diesem 172  Pedace

Journal of Sports Economics 9 (2008), 115, 137. Journal of Sports Economics 9 (2008), 115, 137. 174  Wilson/Ying Applied Economics 35 (2003), 1551 ff. 175  Wilson/Ying Applied Economics 35 (2003), 1551, 1559. 176  Pedace Journal of Sports Economics 9 (2008), 115, 137. 177  Für eine gute Erklärung der empirischen Berechnungsmodelle von Preston/ Szymanski, Wilson/Ying und Pedace vgl. Pedace Journal of Sports Economics 9 (2008), 115, 120 ff. 173  Pedace

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

Gebiet keine eindeutigen Aussagen zu der Frage bestehender Kundenpräferenzen treffen lassen. Abgesehen von der Problematik, Variablen wie die „Leistung“ angemessen zu operationalisieren, um durch Berechnungen sonst gleiche Bedingungen (ceteris paribus) zu simulieren, existiert eine Vielzahl möglicher Indikatoren für entsprechende Fanvorlieben. Als Messinstrumente werden beispielsweise die Anwesenheit in Stadien, Fernseheinschaltquoten, „most-valued-player“-Wahlen oder auch Preise für Spielersammelkarten eingesetzt. Die Verwendung unterschiedlicher Messinstrumente ist, neben der ohnehin sehr eingeschränkten Aussagekraft der einzelnen Studien in Bezug auf Zeit, Ort und Personengruppe, ein weiterer Grund, wieso die hier präsentierten empirischen Befunde mit großer Zurückhaltung zu betrachten sind und sich keine klaren Schlüsse in Bezug auf die Existenz von Fanpräferenzen im Profisport ziehen lassen. c) Beispiel 2: Medizin Während auf dem Feld des Profisports zuvorderst Untersuchungen unternommen wurden, die Präferenzen in Bezug auf das Merkmal „Ethnie“ testen, wurden Präferenzen für das Merkmal „Geschlecht“ vor allem im ärztlichen Bereich178 abgefragt.179 Freilich sind diese Studien nicht in erster Linie der ökonomischen Forschung zuzuordnen; vielmehr lassen sie sich als medizinische oder auch sozialwissenschaftliche Untersuchungen einstufen. Präferenzen für Ärzte eines bestimmten Geschlechts können aber wirtschaftliche Auswirkungen für die Mediziner und Kliniken haben, wenn die Patienten den Vorlieben entsprechend handeln. Deshalb werden sie im Abschnitt ökonomischer Studien vorgestellt. aa) Allgemeinmedizin Eine Umfrage von Fennema / Meyer / Owen unter 185 Patienten im Jahr 1990 in Wisconsin, USA ergab,180 dass insgesamt 45  % der Befragten eine Präferenz für einen Arzt eines bestimmten Geschlechts äußerten. 43  % der Frauen und 31  % der Männer bevorzugten die Behandlung durch einen Arzt ihres eigenen Geschlechts. 12  % der Männer und 9  % der Frauen zogen hingegen die Behandlung durch einen Arzt des anderen Geschlechts vor. Es 178  Eine Studie zu ethnischen Präferenzen in den USA in Bezug auf die medizinische Versorgung legen Malat/Hamilton Journal of Health and Social Behavior 47 (2006), 173 ff. vor. 179  Für eine gute Zusammenfassung über diesbezügliche Studien und verschiedene Erklärungsmuster vgl. Reyes Eastern Economic Journal 34 (2008), 325, 326 f. 180  Fennema/Meyer/Owen Journal of Family Practice 30 (1990), 441 ff.



II. Ökonomische Annäherung63

konnten keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen Präferenz und Alter, Einkommen oder Bildungsstand der Patienten festgestellt werden. Zudem kam die Studie zu dem Ergebnis, dass die Präferenzen von der Art der Untersuchung abhingen. Die Mehrzahl der befragten Patienten (67  %) zog einen Arzt ihres eigenen Geschlechts im Falle von Behandlungen im genitalen oder rektalen Bereich vor. Die Ergebnisse einer wesentlich umfangreicheren und auch methodisch anders vorgehenden Studie präsentierten Fang / McCarthy / Singer im Jahr 2004.181 Sie analysierten Daten von 92.389 USA-weiten Arztbesuchen aus den Jahren 1995 bis 2000 und kamen zu folgenden Ergebnissen:182 Ärztinnen hatten einen höheren Prozentsatz weiblicher Patienten als Ärzte. Nach medizinischen Gebieten aufgeschlüsselt lauten die Prozentzahlen bei der Allgemeinmedizin 73  % zu 56  %, in der Psychiatrie 72  % zu 54  %, in der Dermatologie 67  % zu 56  % und in der Kinderheilkunde 52  % zu 46  %. Dabei steht die erste Zahl immer für den Prozentsatz weiblicher Patienten bei Medizinerinnen, die zweite Zahl für den Anteil der Patientinnen bei männlichen Ärzten. In der Allgemeinmedizin erhöhte sich der Anteil weiblicher Patienten bei Hausärztinnen sogar, sodass im Jahr 2000 78  % der „Kunden“ der Ärztinnen weiblich waren, während männliche Ärzte konstant von etwa 56 % weiblichen Patienten aufgesucht wurden. Die Autoren der Studie konstatieren, dass das Phänomen der geschlechtlichen Übereinstimmung zwischen Patient und Arzt in den letzten Jahren zugenommen habe. Insbesondere im Bereich der Allgemeinmedizin seien nahezu vier von fünf „Kunden“ von Ärztinnen weiblich. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Studie auf Grund ihrer Methodik nicht nur belegt, dass entsprechende Präferenzen grundsätzlich bestehen, sondern dass Patientinnen auch entsprechend ihrer Vorlieben handeln. bb) Gynäkologie Speziell auf den Bereich der Gynäkologie bezogen183 befragten Haar /  Halitsky / Stricker bereits 1975 in einem Vorstadtgebiet von New York City, Nassau County, USA und in dem benachbarten Stadtbezirk Queens 409 Frauen, ob sie eine Gynäkologin bevorzugen würden.184 Dies bejahten 33,9  %, während 19,3  % diese Frage verneinten und 36,2  % antworteten, dass es für sie keinen Unterschied mache; die verbleibenden Prozent ent181  Fang/McCarthy/Singer

American Journal of Medicine 117 (2004), 575 ff. American Journal of Medicine 117 (2004), 575. 183  Für einen kurzen Überblick über diesbezügliche Studien vgl. Johnson et al. Journal of the American Osteopathic Association 105 (2005), 369 m. w. N. 184  Haar/Halitsky/Stricker Medical Care 13 (1975), 782 ff. 182  Fang/McCarthy/Singer

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

schieden sich für die Option „keine Meinung“.185 Es konnten keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen der Präferenz für eine Gynäkologin und demographischen und sozioökonomischen Faktoren wie Alter, Familienstand, Kinderzahl, Bildungsstand oder Beruf festgestellt werden.186 Dem widersprechen allerdings die Ergebnisse einer breiter angelegten Studie von Schmittdiel et al. aus dem Jahr 1999.187 Sie befragten 5.164 Frauen im Raum Kalifornien, USA unter anderem nach Präferenzen für das Geschlecht der Person, die die gynäkologische Vorsorgeuntersuchung durchführt. Die Umfrage ergab, dass 52,2  % der befragten Frauen lieber von einer Frau untersucht wurden, während 42 % keine Geschlechterpräferenz äußerten.188 Dabei stellten die Autoren der Studie folgende Zusammenhänge fest:189 Die Präferenz für die Untersuchung durch eine Frau korrelierte mit den Faktoren jüngeres Alter, niedrigeres Einkommen, höherer Bildungsgrad und nicht weiße Hautfarbe. Außerdem zeigten Patientinnen mit einer Hausärztin eine stärkere Präferenz für die Durchführung der gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung durch eine Frau, genauso wie Patientinnen mit einem älteren Hausarzt (männlich oder weiblich). Am stärksten war die Präferenz für die Untersuchung durch eine Frau bei den Frauen, die auch bei ihrer letzten Vorsorgeuntersuchung von einer Frau behandelt wurden. Abschließend fassen Schmittdiel et al. zusammen, dass zwar viele Frauen eine Präferenz für die Durchführung der Vorsorgeuntersuchung durch eine Frau hätten, aber nicht zu vernachlässigen sei, dass auch ein großer Prozentsatz keine entsprechende Vorliebe äußere.190 Für eine entsprechende Lesart der Ergebnisse ihrer im Jahr 2005 veröffentlichten Studie plädieren auch Johnson et al.191 Sie befragten 264 Pa­ tientinnen in Frauenarzt-Wartezimmern in Connecticut, USA, um bestehende Geschlechterpräferenzen und eventuelle Ursachen dafür zu erforschen. Ihre Umfrage ergab, dass 5,9 % einen männlichen Gynäkologen bevorzugten, 27,6  % eine Präferenz für eine Gynäkologin äußerten und eine Mehrheit von 66,6  % ihren Gynäkologen nicht nach dessen Geschlecht auswähl185  Haar/Halitsky/Stricker

Medical Care 13 (1975), 782, 784. Medical Care 13 (1975), 782, 785. 187  Schmittdiel et al. Journal of Women’s Health & Gender-Based Medicine 8 (1999), 825 ff. 188  Schmittdiel et al. Journal of Women’s Health & Gender-Based Medicine 8 (1999), 825. 189  Schmittdiel et al. Journal of Women’s Health & Gender-Based Medicine 8 (1999), 825, 829 f. 190  Schmittdiel et al. Journal of Women’s Health & Gender-Based Medicine 8 (1999), 825, 832. 191  Johnson et al. Journal of the American Osteopathic Association 105 (2005), 369 ff. 186  Haar/Halitsky/Stricker



II. Ökonomische Annäherung65

te.192 Sogar eine noch größere Mehrheit von 80,8  % gab an, dass das Geschlecht des Gynäkologen keine Auswirkungen auf die Qualität der ­ ­Behandlung habe.193 Auf die Frage, auf welche Kriterien194 sie bei der Auswahl ihres Frauenarztes achteten, antworteten 96  % mit „Erfahrung“, 92,4  % mit „Wissen“ und 86  % mit „Fähigkeit“. Nur 15,7  % der Befragten gaben an, dass das Geschlecht bei der Wahl des Gynäkologen eine Rolle spiele. Gefragt nach den drei wichtigsten Eigenschaften bei der Auswahl des Arztes gaben sogar nur 6,1 % das Geschlecht als Kriterium an. Auch eine im Jahr 2010 veröffentlichte Studie aus dem Vereinigten Königreich von Makam / Mallappa Saroja / Edwards kam zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der befragten Frauen keine Vorliebe in Bezug auf das Geschlecht ihres Gynäkologen äußerte.195 Von 435 Patientinnen gaben 225 der Befragten (rund 51,7  %) keine Präferenz an, während 16 (rund 3,7  %) einen männlichen Gynäkologen und 194 Patientinnen (rund 44,6  %) eine Gynäkologin bevorzugten. Die letztgenannte Gruppe antwortete, nach den Gründen für diese Präferenz befragt, mit „religiöse Überzeugung“ (5  %), „besseres Verständnis für Probleme“ (48  %), „persönliches Schamgefühl“ (issues of personal modesty, 41 %) und „nicht näher spezifizierte Gründe“ (6  %).196 Neben diesen von den Patientinnen selbst genannten Gründen stellten die Autoren der Studie fest, dass die Präferenz für eine Gynäkologin verstärkt bei weniger gebildeten, einkommensschwächeren und nicht weißen Frauen auftrat.197 cc) Ergebnis zu Kundenpräferenzstudien im Gesundheitswesen Alle angesprochenen Studien stellten die Existenz geschlechtsbezogener Kundenpräferenzen insbesondere von Patientinnen für weibliche Ärzte fest. Dabei konnten Fang / McCarthy / Singer nachweisen, dass Patientinnen diese Vorliebe nicht nur in Befragungen äußern, sondern auch dementsprechend handeln, sodass Allgemeinmedizinerinnen in den USA im Jahr 2000 zu bei192  5,9 % + 27,6 % + 66,6 % ergibt in der Summe 100,1 %. Dies ist vermutlich auf Ungenauigkeiten bei der Rundung zurückzuführen. 193  Johnson et al. Journal of the American Osteopathic Association 105 (2005), 369, 374. 194  Johnson et al. Journal of the American Osteopathic Association 105 (2005), 369, 375. 195  Makam/Mallappa Saroja/Edwards Archives of Gynecology & Obstetrics 281 (2010), 443 ff. 196  Makam/Mallappa Saroja/Edwards Archives of Gynecology & Obstetrics 281 (2010), 443, 444. 197  Makam/Mallappa Saroja/Edwards Archives of Gynecology & Obstetrics 281 (2010), 443, 446.

66

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

nahe 80 % von Frauen aufgesucht wurden. Vor diesem Hintergrund überrascht wiederum das Ergebnis von Johnson et al., dass für nur 15,7  % der von ihnen Befragten nach eigener Aussage das Geschlecht des Arztes bei der Wahl des Gynäkologen eine Rolle spiele. Die Studienergebnisse aus dem gynäkologischen Bereich variieren in der Höhe der ermittelten Prozentzahlen stark. Während Johnson et al. nur bei 27,6  % der Patientinnen eine Vorliebe für weibliche Frauenärzte feststellten, betrug der entsprechende Prozentsatz nach Schmittdiel et al. 52,2 %. Auch hinsichtlich des Zusammenhangs dieser Präferenz mit anderen demographischen Faktoren kommen die Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen. Vor diesem Hintergrund ist den Studienergebnissen mit Zurückhaltung zu begegnen. Mit Ausnahme der Studie von Fang / McCarthy / Singer wurden die Studien – anders als im Bereich des Profisports – durch Befragungen durchgeführt, verwendeten also keinen objektivierten Maßstab. Zudem sind die Ergebnisse kaum miteinander vergleichbar oder verallgemeinerbar, weil sie unter unterschiedlichen Bedingungen (Zeitpunkt, Ort, Größe der Untersuchungsgruppe) durchgeführt wurden. d) Beispiel 3: Einzelhandel / Gastronomie Nachdem auf Studien zu Präferenzen der Kunden in der Rolle von Fans und in der Rolle von Patienten eingegangen wurde, sollen abschließend zwei Untersuchungen vorgestellt werden, die den Kunden in seiner genuinen Käuferrolle198 im Einzelhandel und in der Gastronomie betreffen. aa) Einzelhandel Kundenpräferenzen sowohl in Bezug auf das Merkmal „Rasse“ als auch in Bezug auf das Charakteristikum „Geschlecht“ testete eine breit angelegte Studie auf dem Gebiet des Einzelhandels von Leonard / Levine / Giuliano.199 Sie überprüften die Kundendiskriminierungshypothese, indem sie die demographischen Daten von etwa 70.000 Beschäftigten einer Einzelhandelskette in den USA aus rund 800 Filialen mit den demographischen Daten der Bevölkerung des Einzugsgebiets der betreffenden Filialen abglichen. Dann kontrollierten sie, ob sich die Umsätze bei größerer demographischer Übereinstimmung erhöhten. Dabei legten sie Datensätze aus den Jahren 1996 bis 1998 zugrunde.200 Zwar konnten sie Umsatzzuwächse feststellen, wenn die 198  Siehe

dazu bereits unter B. I. 1. a). Review of Economics and Statistics 92 (2010),

199  Leonard/Levine/Giuliano

670 ff.

200  Leonard/Levine/Giuliano

674.

Review of Economics and Statistics 92 (2010), 670,



II. Ökonomische Annäherung67

Beschäftigten den potentiellen Kunden demographisch stärker ähnelten. Diese hielten sich aber im Rahmen der normalen Umsatzschwankungen, sodass die Autoren der Studie sie nicht als relevant erachten.201 Allein asiatische Einwanderer, die des Englischen nicht mächtig waren, kauften signifikant mehr, wenn die Verkäufer den gleichen demographischen Hintergrund hatten.202 Davon abgesehen fanden Leonard / Levine / Giuliano keine beständigen Nachweise dafür, dass das Kaufverhalten der Kunden von Ethnie oder Geschlecht der Verkäufer beeinflusst würde. Demzufolge kommen sie zu dem Schluss, dass es sich aus Arbeitgebersicht nicht auszahlt, die demographische Struktur der Beschäftigten der der Kunden anzupassen.203 Deshalb sei es umso paradoxer, wenn Arbeitgeber im Streben nach Profit mit Blick auf die Kundendiskriminierungshypothese eine benachteiligende Einstellungspolitik verfolgten, obwohl sie selbst gar keine Rassenoder Geschlechterpräferenzen aufweisen.204 Gleichzeitig weisen sie aber auch auf Aspekte der sachlichen Beschränktheit ihrer Studie hin. So zeichne sich die von ihnen untersuchte Einzelhandelskette unter anderem dadurch aus, dass es in den Filialen zu vergleichsweise wenig Interaktion zwischen Verkäufern und Kunden komme.205 In diesem Sinne wird auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum darauf hingewiesen, dass im stark wettbewerbsgeprägten Einzelhandel immer noch der Produktpreis ausschlaggebend für die Wettbewerbsfähigkeit sei.206 Das schließt jedoch nicht aus, dass Kundenpräferenzen sich z. B. bei durch viel Interaktion zwischen Beschäftigten und Kunden geprägten Geschäftsmodellen stärker auf den Umsatz auswirken. bb) Gastronomie Dass die soeben angesprochene Gefahr sich in einigen Fällen in der Praxis verwirklicht, legt eine letzte, hier vorzustellende Untersuchung aus dem Bereich der Gastronomie von Neumark / Bank / Van Nort nahe.207 Jeweils 201  Leonard/Levine/Giuliano

Review of Economics and Statistics 92 (2010), 670,

202  Leonard/Levine/Giuliano

Review of Economics and Statistics 92 (2010), 670,

203  Leonard/Levine/Giuliano

Review of Economics and Statistics 92 (2010), 670,

204  Leonard/Levine/Giuliano

Review of Economics and Statistics 92 (2010), 670,

205  Leonard/Levine/Giuliano

Review of Economics and Statistics 92 (2010), 670,

676 f. 677. 678. 678. 677.

206  Seifert

German Law Journal 4 (2003), 559, 564. Nort Quarterly Journal of Economics 111 (1996), 915 ff.

207  Neumark/Bank/Van

68

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

zwei auf dem Papier identische männliche und weibliche Studenten bewarben sich im Jahr 1994 in 65 Restaurants in Philadelphia, USA als Kellner / in.208 Die Restaurants wurden in die Kategorien niedrigpreisig, mittelpreisig und hochpreisig unterteilt. Statistisch signifikante Belege für eine Einstellungsdiskriminierung fanden sich in den hochpreisigen Restaurants, die Frauen bei der Einstellung benachteiligten.209 So unterbreiteten sie Männern in 48  % der Fälle Jobangebote, Frauen lediglich in 9  % der Fälle.210 Dies halten die Autoren der Studie vor allem angesichts ihres weiteren Studienergebnisses für interessant, wonach die Vergütung in hochpreisigen Restaurants wesentlich höher sei.211 Zudem sammelten sie Daten über den Anteil männlicher Kundschaft der Restaurants und stellten fest, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Anteil männlicher Kundschaft und dem Anteil männlichen Bedienungspersonals bestand, die beide in hochpreisigen Restaurants auffällig hoch waren.212 Nach alledem folgern die Autoren der Studie,213 dass Kundendiskriminierung teilweise für die Benachteiligung von Frauen bei der Einstellung in hochpreisigen Restaurants verantwortlich sein könnte. Dabei vermuten sie aber, dass die Kundendiskriminierung nicht in einer direkten Präferenz der männlichen Kundschaft für männliches Bedienungspersonal bestehe, sondern vielmehr in einer Vorliebe männlicher Kunden für die Art von Restaurants, die männliches Bedienungspersonal beschäftigten. Das wiederum beruhe wohlmöglich darauf, dass eine entsprechende Beschäftigungspraxis mit besonders traditionellen und prestigeträchtigen Restaurants verbunden würde, die eher männliche Geschäftskunden anzögen.214

208  Neumark/Bank/Van

Nort Quarterly Journal of Economics 111 (1996), 915,

209  Neumark/Bank/Van

Nort Quarterly Journal of Economics 111 (1996), 915,

210  Neumark/Bank/Van

Nort Quarterly Journal of Economics 111 (1996), 915,

211  Neumark/Bank/Van

Nort Quarterly Journal of Economics 111 (1996), 915,

212  Neumark/Bank/Van

Nort Quarterly Journal of Economics 111 (1996), 915,

213  Neumark/Bank/Van

Nort Quarterly Journal of Economics 111 (1996), 915,

917. 927. 925.

931 f.

933 ff. 936.

214  Vgl. zur Bevorzugung männlicher Kellner in hochpreisigen Restaurants aus der US-amerikanischen Rechtsprechung Levendos v. Stern Entertainment, Inc. 723 F. Supp. 1104, 1107 (W.D. Pa. 1989) sowie EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. 220 F.3d 1263 ff. (11th Cir. 2000), siehe zu der zweitgenannten Entscheidung später unter C. III. 3. c) aa) (2) (b).



II. Ökonomische Annäherung69

cc) Ergebnis zu Kundenpräferenzstudien in Einzelhandel und Gastronomie Die beiden in diesem Abschnitt vorgestellten Studien verwenden im Vergleich zur Mehrzahl der im vorangehenden Abschnitt angesprochenen Untersuchungen objektivere Maßstäbe, um Kundenpräferenzen festzustellen. Leonard / Levine / Giuliano stellten für ein Einzelhandelsunternehmen fest, dass sich die Anpassung der demographischen Struktur der Mitarbeiter an die der Kundschaft – mit Ausnahme einer Präferenz asiatischer, nicht Englisch sprechender Einwanderer für Verkäufer des gleichen demographischen Hintergrundes – nicht in starken Umsatzzuwächsen niederschlug. Daher sahen sie die Kundendiskriminierungshypothese für das durch wenig Interaktion zwischen Kunden und Verkäufer geprägte Einzelhandelsunternehmen nicht als bestätigt an. Neumark / Bank / Van Nort konnten hingegen in ihrer Gastronomiebetriebe betreffenden Studie einen Zusammenhang zwischen dem Anteil männlicher Kundschaft und dem Anteil männlichen Bedienungspersonals feststellen, die beide in hochpreisigen Restaurants auffällig hoch waren. Das deutet darauf hin, dass Kundenpräferenzen sich in stärker durch Interaktion zwischen Kunden und Mitarbeitern geprägten Branchen wie in der Gastronomie tatsächlich stärker auf die Umsätze auswirken. Angesichts ihrer örtlichen, zeitlichen und sachlichen Beschränktheit lassen sich darüber hinaus aber keine verallgemeinerungsfähigen Schlüsse aus den empirischen Untersuchungen ableiten. 5. Zusammenfassung der Ergebnisse der ökonomischen Annäherung Die Ökonomen messen der Orientierung an Kundenpräferenzen – jedenfalls abstrakt – entscheidende Bedeutung für den Unternehmenserfolg zu. Konkret beschäftigt sich eine Reihe zuvorderst in den USA durchgeführter empirischer Untersuchungen mit der Existenz und zum Teil auch mit den wirtschaftlichen Auswirkungen von Kundenpräferenzen. Die hier präsentierten Studien illustrieren die Vielzahl möglicher Vorgehensweisen, Maßstäbe und Methoden bei den Messungen der in Frage stehenden Vorlieben. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es nur fragmentarische, auf ganz bestimmte Industrien und Beschäftigungen – beispielsweise den Beruf der Gynäkologin – beschränkte oder indirekte empirische Nachweise bestehender Kundenpräferenzen und ihrer betriebswirtschaftlichen Bedeutung gibt. Speziell die Kundendiskriminierungshypothese, dass Kunden lieber von ihnen demographisch ähnelnden Beschäftigten bedient würden, konnte nicht belegt werden. Inwiefern bestimmte Kundenvorlieben also tatsächlich bestehen und sich sogar ökonomisch auswirken, ist eine Frage des Einzelfalls.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

Angesichts der jeweiligen zeitlichen, sachlichen und örtlichen Beschränktheit der betrachteten Studien sind ihre Ergebnisse nur eingeschränkt aussagefähig und nicht verallgemeinerbar.

III. Rechtliche Annäherung Nachdem in einem ersten Schritt eine terminologische und in einem zweiten Schritt eine ökonomische Annäherung an die Thematik dieser Arbeit unternommen wurde, erfolgt nun in einem dritten Schritt eine erste rechtliche Einordnung der Kundenpräferenzproblematik. Dabei soll es in diesem Abschnitt darum gehen, die rechtliche Ausgangslage darzustellen und einen Überblick über die relevanten rechtlichen Regelungen zu geben. Zunächst ist es hilfreich, sich die faktische Konstellation und die verschiedenen Interessenlagen vor Augen zu führen (dazu unter 1.), um daraufhin die Problematik rechtlich zu verorten (dazu unter 2.). 1. Faktische Ausgangs- und Interessenlage Die Kundenpräferenzproblematik entsteht in Fällen, in denen der Arbeitgeber einen Beschäftigten angesichts tatsächlicher, vermeintlicher oder antizipierter Vorlieben seiner Kunden in Bezug auf Personengruppen, die bestimmte Merkmale aufweisen oder nicht aufweisen, benachteiligt. a) Konstellationen Zu einer solchen Benachteiligung kann es bei der Begründung, der Beendigung und auch während des Beschäftigungsverhältnisses kommen. So kann etwa der ältere Bewerber für die Stelle eines Verkäufers in einem Modegeschäft für trendorientierte, junge Mode im Hinblick auf die (vermeintlichen) Erwartungen der jüngeren Absatzgruppe bereits gar nicht erst eingestellt und damit bei der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses benachteiligt werden.215 Ein Beispiel für eine Benachteiligung während des Beschäftigungsverhältnisses ist die Nicht-Beförderung einer Frau auf einen Posten, der mit vielen Geschäftsreisen in Länder des arabischen Kulturkreises verbunden ist, im Hinblick darauf, dass Frauen dort als Geschäftspartner weniger akzeptiert sind.216 Eine Beispielskonstellation für eine Benachteili215  Vgl. zu diesem Beispiel Boemke/Danko § 6 Rn. 10; von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 249, 257. 216  Vgl. zu diesem Beispiel Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 42 (Aufzählungspunkt „Tätigkeiten außerhalb der EG“); im US-amerikanischen Recht werden diese Fälle bereits seit 30 Jahren ausführlich diskutiert, eingehend dazu Winterscheidt Universi-



III. Rechtliche Annäherung71

gung in Bezug auf die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bildet der Fall, dass sich ein Kaufhausinhaber angesichts des neuerlichen Entschlusses einer in der Kosmetikabteilung eingesetzten Verkäuferin, nunmehr aus religiösen Gründen bei der Arbeit immer ein Kopftuch zu tragen, veranlasst sieht, diese Beschäftigte angesichts (vermeintlicher) Kundenerwartungen zu entlassen.217 b) Parteien und Interessenlage Der Kundenpräferenzproblematik liegt folglich eine Dreieckskonstellation zugrunde, an der die Parteien Kunde, Arbeitgeber und Beschäftigter beteiligt sind. Der Arbeitgeber befindet sich dabei an der Schnittstelle zweier Marktbeziehungen – Arbeitsmarkt im Verhältnis zum Beschäftigten; Güterund Dienstleistungsmarkt im Verhältnis zu den Kunden.218 Die Konfliktlage des Arbeitgebers219 entsteht aus den verschiedenen, aufeinander treffenden Interessen der Parteien. aa) Kundeninteressen Bestimmten Präferenzen zugrunde liegende Interessen der Kunden können vielfältig sein. Das weite Interessenspektrum lässt sich anhand dreier Beispiele veranschaulichen: In der Vorliebe einer Patientin einer gynäkologischen Klinik für die Behandlung durch weibliche Ärzte kommen das Schamgefühl sowie ein Interesse am Schutz der physischen und psychischen Integrität zum Ausdruck.220 Die Präferenz für einen chinesischen Kellner im chinesischen Spezialitätenrestaurant221 wurzelt darin, dass das angebotene Produkt dann authentischer wirkt, sodass man von einem Kundeninteresse an „Glaubwürdigkeit“ sprechen kann.222 Werden von Kunden aus arabischen Ländern männliche Geschäftspartner bevorzugt, sind diese Vorlieben in religiös-kulturellen Wertvorstellungen begründet. Folglich liegt den Präferenty of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183 ff. und Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335 ff. sowie später unter C. III. 4. b) dd). 217  Dieses Beispiel ist der vieldiskutierten „Kopftuchentscheidung“ des BAG nachempfunden, BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483 ff.; siehe dazu auch später unter B. III. 2. a) ee) (2) (a) und E. III. 2. c) aa) (3) (a). 218  Krause FS Adomeit (2008), 377, 378. 219  Vgl. dazu auch Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 405. 220  Vgl. dazu Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1261, 1278 ff. 221  Siehe zu diesem im Schrifttum viel bemühten Beispiel bereits unter A. die Nachweise in Fn. 10. 222  Vgl. Krause FS Adomeit (2008), 377, 389.

72

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

zen ein Interesse an der Kultivierung dieser religiös bzw. kulturell bedingten Überzeugungen zugrunde. Darüber hinaus können Kundenpräferenzen aber auch dem Interesse an der Kultivierung fremdenfeindlicher Überzeugungen dienen wie z. B. bei der Ablehnung marokkanischer Monteure durch belgische Kunden223 oder ein „Stimulierungs- bzw. Lustinteresse“ der Kunden bedienen, wie dies beispielweise im Hostessenwesen auf Messen der Fall ist, in dem die besondere Attraktivität einer Personengruppe (regelmäßig junge Frauen) für die Anbahnung von Geschäftsbeziehungen mit einer Kundengruppe ausgenutzt wird.224 Die Bandbreite möglicher den Kundenpräferenzen zugrunde liegender Interessen reicht folglich von dem Schutz der physischen oder psychischen Integrität und Vermögensinteressen über Glaubwürdigkeits- und Stimulierungsinteressen bis hin zu der Kultivierung bestimmter Überzeugungen. bb) Arbeitgeberinteressen Im Gegensatz zu der Mannigfaltigkeit verfolgter Kundeninteressen sind die Arbeitgeberinteressen – jedenfalls sofern auf Arbeitgeberseite ein privatwirtschaftliches Unternehmen steht – im Kern wirtschaftlicher Art.225 Der Arbeitgeber verfolgt ein bestimmtes unternehmerisches Konzept und bezieht dabei tatsächliche, vermeintliche oder antizipierte Kundenpräferenzen ein, um wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen bzw. in Extremfällen sogar, um den Bestand des Unternehmens zu sichern. Allerdings kommen Kundenpräferenzen nicht nur bei Arbeitgebern aus der Privatwirtschaft zum Tragen. Sie können auch eine Rolle spielen, wenn auf Arbeitgeberseite gemeinnützige, oft spendenfinanzierte Organisationen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich oder aber der Staat stehen, die nicht in erster Linie kommerzielle, sondern gesellschaftliche, soziale oder politische Zielsetzungen verfolgen. Das lässt sich anhand zweier Beispiele aus der deutschen Rechtsprechung illustrieren: Stellt ein gemeinnütziger Verein zur Durchführung des Projektes „Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsverheiratung“ im Hinblick 223  Beispiel nach der Entscheidung Feryn des EuGH 10.07.2008 (Feryn) NZA 2008, 929 ff., siehe dazu später ausführlich unter D. IV. 3. 224  Diese Fallgruppe wird im US-amerikanischen Schrifttum besonders intensiv diskutiert, wie bereits Krause FS Adomeit (2008), 377, 389 festgestellt hat; vgl. z. B. McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257 ff.; Schneyder University of Michigan Journal of Law Reform 31 (1997–1998), 551 ff. Siehe dazu später ausführlich unter C. III. 4. b) bb). 225  Radlingmayr ZAS 2010, 192, 194; vgl. außerdem von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 253 ff. und Lobinger EuZA 2009, 365, 378, der von „rein monetären Interessen“ spricht sowie Post California Law Review 88 (2000), 1, 20: „It might be said that the essential purpose of any business is to satisfy its customers and thereby to make a profit.“ Vgl. außerdem MüKo-Thüsing Einl. AGG Rn. 44.



III. Rechtliche Annäherung73

auf die Zielgruppe junger muslimischer Frauen bevorzugt eine Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund ein,226 wird damit kein kommerzielles, sondern ein gesellschaftliches Interesse verfolgt. Sieht das Konzept eines Jugendamtes vor, jede zweite Stelle als Amtsvormund mit einer Frau zu besetzen, um insbesondere den Bedürfnissen weiblicher Mündel Rechnung zu tragen und ihnen die Möglichkeit zu geben, nach Wahl eine Frau zum Vormund zu erhalten, verfolgt der Staat als Arbeitgeber mit dieser Beschäftigungspolitik, die im konkreten Fall zur Ablehnung eines männlichen Bewerbers führt, ein soziales Interesse.227 cc) Beschäftigteninteressen Die Beschäftigten verfolgen in erster Linie ein Gleichbehandlungsinteresse.228 Damit ist der Wunsch verbunden, nicht auf Grund bestimmter Merkmale sozial herabgewürdigt zu werden.229 Zudem ist aus Beschäftigtensicht ein Teilhabeinteresse am Arbeitsmarkt zentral,230 die Beschäftigten haben ein grundlegendes Versorgungsbedürfnis.231 Es geht ihnen um den Schutz vor übermäßigen Einschränkungen ihrer Arbeitsmarktchancen und den möglichst uneingeschränkten Zugang zu Beschäftigungen aller Art. 2. Rechtliche Ausgangslage Die Darstellung der Konstellationen, in denen die Kundenpräferenzproblematik relevant wird und der Überblick über die Interessenlage der verschiedenen Parteien lassen die Frage nach den diese Konfliktlage betreffenden rechtlichen Regelungen aufkommen, auf die in einem nächsten Schritt eingegangen werden soll. Rechtlich geht es darum, ob und inwieweit der Arbeitgeber bei der Begründung, der Beendigung oder während des Beschäftigungsverhältnisses Personen, die bestimmte Merkmale aufweisen oder nicht aufweisen, im Hinblick auf Kundenpräferenzen benachteiligen darf. Dabei ist zwischen der Ausgangslage vor (dazu unter a]) und nach 226  Vgl. zu diesem der Praxis entnommenen Beispiel ArbG Köln 06.08.2008 – 9  Ca 7687/07 juris; siehe für eine ausführliche Darstellung der Entscheidung auch später unter E. III. 2. a) aa) (3) (a). 227  Vgl. LAG Niedersachsen 19.04.2012 – 4 SaGa 1732/11 juris sowie vorgehend ArbG Göttingen 23.11.2011  – 4 Ga 3/11 Ö juris; siehe für eine Darstellung der Entscheidung später unter E. III. 2. a) aa) (1) (b) (bb). 228  Vgl. von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 255. 229  Vgl. von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 256; Lobinger EuZA 2009, 365, 378. 230  Vgl. von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 255 ff. 231  Vgl. Wiedemann FS 50 Jahre BAG (2004), 265, 285.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

Inkrafttreten des AGG (dazu unter b]) zu unterscheiden. An dieser Stelle werden zunächst die relevanten Regelungen des nationalen Rechts identifiziert, nicht bereits ausgelegt. Die Identifikation der einschlägigen Normen des deutschen Rechts bildet die Grundlage für die Beantwortung der Frage, welche Bestimmungen bei dem Blick in das US-amerikanische Recht (dazu unter C.) näher zu beleuchten sind. Darüber hinaus dient die Identifikation der maßgeblichen nationalen Bestimmungen als Ausgangspunkt für die Untersuchung der entsprechenden europarechtlichen Vorgaben (dazu unter D.). Die genauere Untersuchung der nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der in Teil C. und D. gewonnenen Erkenntnisse erfolgt abschließend unter E. a) Vor Inkrafttreten des AGG Eine Kodifikation des Antidiskriminierungsrechts gab es vor Inkrafttreten des AGG nicht.232 Wie die folgende Bestandsaufnahme zeigt, war der Diskriminierungsschutz dem deutschen Recht dennoch nicht fremd.233 aa) § 611a BGB a. F. Zentral war die Regelung des § 611a BGB a. F., die ein Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts enthielt. Gemäß § 611a Abs. 1 S. 1 BGB a. F. durfte der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme, insbesondere bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses, beim beruflichen Aufstieg, bei einer Weisung oder einer Kündigung, nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen. Ausweislich ihres Wortlauts bot diese Norm einen Diskriminierungsschutz nicht nur während des Arbeitsverhältnisses („beim beruflichen Aufstieg, bei einer Weisung“) sowie bei seiner Beendigung234 („bei … einer Kündigung“), sondern statuierte insbesondere in Bezug auf die Begründung des Arbeitsverhältnisses ein Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts.235 Damit wich es von dem Prinzip der Abschlussfreiheit ab: Auf Grund der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Privatautonomie ist der Arbeitgeber in der Auswahlentscheidung über seine 232  Däubler/Bertzbach-Däubler

Einl. AGG Rn. 31. einen Überblick dazu vgl. Boewer RDV 2006, 10, 11; Däubler/BertzbachDäubler Einl. AGG Rn. 31 ff.; Herms/Meinel DB 2004, 2370 f.; Wendeling-Schröder NZA 2004, 1320, 1322 f. sowie Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583; vgl. außerdem eingehend für das Merkmal Religion Rohe GS Blomeyer (2004), 217, 220 ff. sowie ausführlich zur Entwicklung des Diskriminierungsschutzes Bader Diskriminierungsschutz als Privatrecht (2012), S. 50 ff. 234  Vgl. dazu Schiek/Horstkötter NZA 1998, 863 ff. 235  Vgl. nur Annuß NZA 1999, 738 m. w. N. 233  Für



III. Rechtliche Annäherung75

Beschäftigten grundsätzlich frei.236 Hätte man es bei dieser Verbotsregelung belassen, wäre eine Orientierung der Einstellungspraxis an geschlechtsbezogenen Kundenpräferenzen nicht möglich gewesen. Gemäß § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. war jedoch eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts zulässig, soweit ein bestimmtes Geschlecht eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für die vom Arbeitnehmer auszuübende Tätigkeit war.237 Dementsprechend kam es für die Zulässigkeit einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung im Hinblick auf Kundenpräferenzen darauf an, ob das Geschlecht eine unverzichtbare Voraussetzung für die in Frage stehende Tätigkeit war. Bei § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. handelte es sich um eine Rechtfertigungsmöglichkeit.238 Die Kundenvorlieben wurden also bei der Benachteiligungsrechtfertigung relevant.239 Dabei schützte § 611a BGB a. F. nicht nur vor der unmittelbaren, direkt an das Geschlecht anknüpfenden Diskriminierung. Vielmehr erfasste er auch die mittelbare Diskriminierung, die nach der Rechtsprechung des BAG vorlag, „wenn eine Regel zwar unterschiedslos auf Männer und Frauen anzuwenden ist, die Benachteiligung aber erheblich mehr Frauen als Männer (oder umgekehrt) betrifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben“240. Da sich die Kundenpräferenzfrage als eine Frage der Rechtfertigung stellt, kam es bei mittelbaren Benachteiligungen also darauf an, ob objektive Faktoren vorlagen, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hatten. Existierte also z. B. eine Kundenpräferenz für Beschäftigte, die kleiner als 1,70 m sind und diskriminierte ein Arbeitgeber durch eine entsprechende Einstellungspraxis Männer mittelbar, wäre die Zulässigkeit dieses Verhaltens daran zu messen gewesen, ob es auf objektive Faktoren zurückzuführen wäre, die nichts mit der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun hätten. Deutlich wird, dass bereits nach alter Rechtslage unterschiedliche Maßstäbe an die Rechtfertigung unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligungen anzulegen waren. Der auf unmittelbare Benachteiligungen zugeschnittene § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. war auf mittelbare Benachteiligungen nicht anwendbar.241 236  Thüsing in: Tomandl/Schrammel, Arbeitsrechtliche Diskriminierungsverbote (2005), 1, 6. 237  Zu diesem Ausnahmetatbestand vgl. eingehend Thüsing RdA 2001, 319 ff. 238  Vgl. Staudinger-Annuß § 611a BGB Rn. 56 ff.; KR-Pfeiffer (7. Aufl.) § 611a BGB Rn.  47 ff. 239  Vgl. Staudinger-Annuß § 611a BGB Rn. 63 ff.; KR-Pfeiffer (7. Aufl.) § 611a BGB Rn. 50, 53 f. 240  BAG 26.05.1993 AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag. 241  KR-Pfeiffer (7.  Aufl.) §  611a BGB Rn.  56; vgl. auch Erman-Edenfeld (11. Aufl.) § 611a BGB Rn. 11.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

Auf der Rechtsfolgenseite gab § 611a Abs. 2 BGB a. F. dem unzulässig benachteiligten Bewerber einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf eine angemessene Entschädigung in Geld. Ausdrücklich bestand kein Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses.242 Darüber hinaus begrenzte § 611a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. den Entschädigungsanspruch für solche Bewerber, die auch bei rechtmäßiger Auswahl nicht eingestellt worden wären, auf höchstens drei Monatsverdienste. bb) § 81 Abs. 2 SGB IX a. F. Eine dem § 611a BGB a. F. vergleichbare Bestimmung für das Merkmal der Schwerbehinderung statuierte § 81 Abs. 2 SGB IX a. F. Diese Norm enthielt ein umfassendes Benachteiligungsverbot,243 das die Benachteiligung schwerbehinderter Menschen bei Begründung, aber auch während und bei der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses untersagte.244 Gemäß § 81 Abs. 2 S. 2. Nr. 1 S. 2 SGB IX a. F. war eine unterschiedliche Behandlung wegen der Behinderung „jedoch zulässig, soweit […] eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für diese Tätigkeit ist.“ Danach kam es für die Zulässigkeit einer Benachteiligung im Hinblick auf etwaige Kundenpräferenzen darauf an, ob eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung der Tätigkeit war. Wie bei der Geschlechtsdiskriminierung stellte sich die Kundenpräferenzfrage auch hier als Problem der Reichweite des Rechtfertigungsgrundes einer grundsätzlich verbotenen Benachteiligung. Ebenfalls wie bei der Geschlechtsdiskriminierung umfasste das Benachteiligungsverbot des § 81 Abs. 2 SGB IX a. F. nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Benachteiligungen auf Grund der Schwerbehinderung.245 Dies folgerte das BAG246 aus § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX a. F. Dieser lautete: „Macht im Streitfall der schwerbehinderte Beschäftigte Tatsachen glaubhaft, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass nicht auf die 242  Dazu eingehend Annuß NZA 1999, 738 ff.; vgl. außerdem Treber NZA 1998, 856, 857 ff.; Wendeling-Schröder DB 1999, 1012 ff.; Zwanziger DB 1998, 1330 f. 243  In diesem Zusammenhang wurde das Problem des Fragerechts des Arbeit­ gebers nach der Schwerbehinderung diskutiert, vgl. dazu Joussen NJW 2003, 2857; Messingschlager NZA 2003, 301 ff. sowie Schaub NZA 2003, 299 ff. 244  Joussen NJW 2003, 2857, 2859; anders aber anscheinend Thüsing/Wege NZA 2006, 136, 137. 245  BAG 27.04.2004 NZA 2005, 821, 825; BAG 18.11.2003 NZA 2004, 545, 547. 246  Zum Folgenden siehe BAG 18.11.2003 NZA 2004, 545, 547.



III. Rechtliche Annäherung77

Behinderung bezogene, sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für diese Tätigkeit ist.“ Nach Auffassung des BAG zeige der dem Arbeitgeber in § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 Var. 1 SGB IX a. F. eingeräumte Rechtfertigungsgrund „nicht auf die Behinderung bezogener, sachlicher Gründe“, dass das in § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX a. F. geregelte Benachteiligungsverbot auch die in § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 2 SGB IX a. F. nicht genannten Fälle der mittelbaren Benachteiligung erfassen solle. Daraus folgt, dass es für die Zulässigkeit einer mittelbaren Benachteiligung im Hinblick auf Kundenpräferenzen auf das Vorliegen sachlicher, nicht auf die Behinderung bezogener Gründe ankam. Auf Rechtsfolgenseite enthielten § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 und 3 SGB IX a. F. den § 611a Abs. 2 und 3 BGB a. F. entsprechende Regelungen hinsichtlich eines Entschädigungsanspruchs. cc) § 75 BetrVG Ein weiteres Diskriminierungsverbot statuierte und statuiert die betriebsverfassungsrechtliche Norm § 75 BetrVG. Dort hieß es bereits vor Inkrafttreten des AGG in Absatz 1 a. F.247, dass Arbeitgeber und Betriebsrat insbesondere darüber zu wachen haben, „dass jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt“ und „darauf zu achten [haben], dass Arbeitnehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter Altersstufen benachteiligt werden“. Diese Norm betraf und betrifft die Verhaltensweisen der Betriebsparteien, also des Arbeitgebers und des Betriebsrats. Sie bezieht sich auf Betriebsangehörige, weshalb sie in erster Linie während des Arbeitsverhältnisses zum Tragen kam und kommt. Freilich wollen einige Autoren Arbeitsplatzbewerber und Pensionäre jedenfalls insoweit einbeziehen, als der Betriebsrat hier Rechte ausüben kann.248 Dies ist z. B. bei Personalauswahlrichtlinien bei Einstellungen nach § 95 BetrVG oder Regelungen über die betriebliche Altersvorsorge der Fall.249 Andere lehnen die Ausweitung des geschützten Personenkreises auf außerhalb des 247  Zu der Änderung des § 75 Abs. 1 BetrVG anlässlich des Inkrafttretens des AGG siehe später unter B. III. 2. c). 248  Vgl. z. B. Fitting § 75 BetrVG Rn. 16 m. w. N.; Richardi-Richardi § 75 BetrVG Rn. 8; DKKW-Berg § 75 BetrVG Rn. 9, 12; GK-Kreutz § 75 BetrVG Rn. 17 in Bezug auf bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer. 249  Fitting § 75 BetrVG Rn. 16 m. w. N.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

Betriebs stehende Personen, insbesondere auf Bewerber um einen Arbeitsplatz, ausdrücklich ab.250 § 75 Abs. 1 BetrVG zählt eine Reihe von Kriterien auf, die insofern absolute Diskriminierungsverbote sind, als sie für sich allein niemals eine unterschiedliche Behandlung der Betriebsangehörigen rechtfertigen können.251 Allerdings muss eines der genannten Kriterien die alleinige oder entscheidende Ursache für die unterschiedliche Behandlung sein.252 In Fällen, in denen noch andere sachlich relevante Unterschiede bestehen, können diese das an sich unzulässige Kriterium soweit zurückdrängen, dass es nicht mehr bestimmend für die unterschiedliche Behandlung ist.253 Demnach besteht Raum für die Anknüpfung an ein an sich unzulässiges Kriterium bei einer Ungleichbehandlung, sodass die Möglichkeit der Rechtfertigung gegeben ist. In diesem Sinne spricht Kania im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot wegen des Merkmals „Nationalität“ ausdrücklich von einem Verbot „jegliche[r] sachlich nicht gerechtfertigte[n] Differenzierung“254, womit er eine Rechtfertigungsmöglichkeit annimmt. Die Zulässigkeit von Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen hängt im Rahmen von § 75 Abs. 1 BetrVG also davon ab, ob sachlich relevante Unterschiede bestehen, die eine Anknüpfung an ein an sich unzulässiges Kriterium ausnahmsweise rechtfertigen. Die auf den ersten Blick sehr weitreichenden Diskriminierungsverbote erfahren allerdings im Vergleich mit den in § 611a BGB a. F. und § 81 Abs. 2 SGB IX enthaltenen Benachteiligungsverboten entscheidende Einschränkungen. Zum einen normiert § 75 BetrVG als kollektivrechtliche Vorschrift Amtspflichten von Arbeitgeber und Betriebsrat, begründet aber nach ganz h. M. keine subjektiven Rechte der Arbeitnehmer auf Einhaltung dieser Grundsätze.255 § 75 Abs. 1 BetrVG gibt den Arbeitnehmern keine Anspruchsgrundlage und ist keine individualrechtliche Norm, sodass sie sich im Falle einer Benachteiligung nicht unmittelbar256 auf § 75 Abs. 1 250  MünchArbR-von Hoyningen-Huene § 214 Rn. 33; GK-Kreutz § 75 BetrVG Rn. 17; Löwisch/Kaiser § 75 BetrVG Rn. 7, 9. 251  Fitting § 75 BetrVG Rn. 58. 252  Fitting § 75 BetrVG Rn. 58. 253  Fitting § 75 BetrVG Rn. 59. 254  ErfK-Kania § 75 BetrVG Rn. 6. 255  BAG 03.12.1985 AP Nr. 2 zu § 74 BAT; Fitting § 75 BetrVG Rn. 24; ErfKKania § 75 BetrVG Rn. 1; GK-Kreutz § 75 BetrVG Rn. 23; Richardi-Richardi § 75 BetrVG Rn. 9, 53; a. A. DKKW-Berg § 75 BetrVG Rn. 19. 256  Freilich beeinflussen die Grundsätze des § 75 BetrVG den Inhalt der Arbeitsverträge mittelbar, indem sie den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und die arbeitsvertraglichen Schutz- und Fürsorgepflichten mitprägen, sodass die Einhaltung des § 75 Abs. 1 BetrVG indirekt erzwingbar ist, ErfK-Kania § 75 BetrVG Rn. 1; vgl. außerdem GK-Kreutz § 75 BetrVG Rn. 25 m. w. N.



III. Rechtliche Annäherung79

BetrVG berufen können.257 Auch dem Betriebsrat steht bei nach § 75 BetrVG unzulässigen Maßnahmen kein Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu.258 Diskriminierende Betriebsvereinbarungen oder Absprachen sind nur dann nach § 134 BGB nichtig, wenn der Betriebsrat sich zum „Komplizen“ des Arbeitgebers macht.259 § 75 BetrVG ist insoweit ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB,260 wobei Däubler darauf hinweist, dass dem bislang keine erkennbare praktische Bedeutung zugekommen sei.261 Hinzu kommt, dass § 75 BetrVG nach h. M. nicht im betriebsratslosen Betrieb galt und gilt.262 Der eingeschränkte reale Anwendungsbereich und die eingeschränkten Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung dieser Norm263 erklären, wieso sie praktisch für die Kundenpräferenzproblematik keine Rolle spielt. dd) Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz Einen weiteren Schutz vor Ungleichbehandlungen während des laufenden Arbeitsverhältnisses264 bot und bietet der gewohnheitsrechtlich anerkannte arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.265 Er bindet sowohl den Arbeitgeber als auch Tarifvertrags- und Betriebsparteien inhaltlich an den allgemeinen Gleichheitssatz und die besonderen Diskriminierungsverbote des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 2 und 3 GG).266 Der vom BAG in ständiger Rechtsprechung etablierte allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz267 gebie257  GK-Kreutz § 75 BetrVG Rn. 24 m. w. N.; vgl. auch Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 45, der angesichts der Tatsache, dass die Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG nicht unmittelbar, sondern über den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Schutz- und Fürsorgepflichten nur mittelbar in die Arbeitsverträge eingehen, konstatiert, dass sich „der Einzelne […] eher mit geringen Aussichten auf diese Vorschrift berufen kann“. 258  BAG 28.05.2002 NZA 2003, 166. 259  Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 46 m. w. N. 260  BAG 05.04.1984 NZA 1985, 329, 331 m. w. N. 261  Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 46. 262  Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 45; GK-Kreutz § 75 BetrVG Rn. 4 m. w. N. auch zu weiteren, hierzu vertretenen Auffassungen. 263  Vgl. Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 45. 264  Vgl. Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 60. 265  Vgl. dazu nur ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 574 ff. sowie MünchArb-Richardi § 9  Rn. 1 ff. 266  Singer GS Zachert (2010), 341, 351. 267  BAG 13.02.2002 AP Nr.  184 zu §  242 BGB Gleichbehandlung; BAG 21.06.2001 AP Nr. 60 zu § 612 BGB; BAG 17.11.1998 AP Nr. 162 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG 19.08.1992 AP Nr. 102 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG 12.11.1991 AP Nr. 17 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; BAG 10.01.1989 AP

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

tet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln. Dabei verbietet er die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe sowie die sachfremde Gruppenbildung. Er ist allerdings nur auf solche Maßnahmen und Entscheidungen des Arbeitgebers anzuwenden, die einen kollektiven Bezug haben.268 Somit kann er die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers nur dann einschränken, wenn Leistungen und Vergünstigungen nach einem allgemeinen Prinzip gewährt werden.269 Wurde eine Maßnahme individuell ausgehandelt und ist sie auf einzelne Arbeitnehmer und ihre Person bezogen, fehlt ihr dieser kollektive Bezug.270 Thüsing führt die Entscheidung über die Beförderung in Abhängigkeit eines bestimmten Merkmals als Beispiel für eine Individualentscheidung ohne kollektiven Bezug an.271 Der Fall der kundenpräferenzbedingten Nicht-Beförderung einer Frau auf einen Posten, der mit vielen Geschäftsreisen in Länder des arabischen Kulturkreises verbunden ist, war und ist also nicht an dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. Noch ein weiterer Aspekt erklärt, dass und wieso der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz als Maßstab für die Kundenpräferenzfrage zu vernachlässigen ist, und zwar die von Wiedemann so bezeichnete „Dichotomie der Gleichheitssätze“.272 Wiedemann unterscheidet zwischen dem allgemeinen Prinzip der Gleichbehandlung und den Benachteiligungsverboten. Ersteres ziele in erster Linie auf die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit273 und bemühe sich dabei, geeignete sachliche Maßstäbe für die Verteilung von Chancen und Lasten zu finden. Zweitere hingegen dienten stärker der Anerkennungs- und Beteiligungsgerechtigkeit, die eine Zurücksetzung von Personen und Personengruppen wegen bestimmter Eigenschaften im Ansatz zu unterbinden suche. Wiedemann fasst zusammen, dass die Gleichbehandlung geeignete Unterscheidungsmerkmale suche, während die Benachteiligungsverbote ungeeignete verhinderten.274 Die Kundenpräferenzfrage stellt sich eher als eine der Anerkennungs- und Beteiligungsgerechtigkeit, weil sie Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung; BAG 27.07.1988 AP Nr. 83 zu § 242 BGB Gleichbehandlung. 268  ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 575; MünchArb-Richardi § 9 Rn. 6; Singer GS Zachert (2010), 341, 352; vgl. außerdem Raab FS Kreutz (2010), 317, 334 f. 269  Vgl. ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 576; Singer GS Zachert (2010), 341, 352. 270  Thüsing in: Tomandl/Schrammel, Arbeitsrechtliche Diskriminierungsverbote (2005), 1, 8. 271  Thüsing in: Tomandl/Schrammel, Arbeitsrechtliche Diskriminierungsverbote (2005), 1, 8. 272  Wiedemann FS 50 Jahre BAG (2004), 265, 266. 273  Vgl. dazu auch ausführlich Raab FS Kreutz (2010), 317, 320 ff. 274  Wiedemann FS 50 Jahre BAG (2004), 265, 266.



III. Rechtliche Annäherung81

im Falle der Zurücksetzung von Personen(gruppen) mit bestimmten Merkmalen relevant wird. Dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liegt demgegenüber nach Auffassung des BAG das Gebot der Verteilungsgerechtigkeit zugrunde.275 Auch dies erklärt, wieso der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Zusammenhang mit der ­ Kundenpräferenzfrage keine entscheidende Rolle spielt. ee) Schutz über die Generalklauseln auf Grund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Einen Diskriminierungsschutz auf grundgesetzlicher Ebene sah auch vor Inkrafttreten des AGG bereits Art. 3 GG vor. Dort heißt es in Abs. 3 S. 1, dass niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner reli­ giösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. S. 2 enthält darüber hinaus ein Benachteiligungsverbot wegen der Behinderung. Freilich betrifft diese Verfassungsnorm in erster Linie das Verhältnis des Bürgers zum Staat, sodass eine direkte Anwendung im Privatrechtsverkehr nicht möglich ist.276 Nichtsdestotrotz entfalteten und entfalten die grundgesetzlichen Diskriminierungsverbote ihre Ausstrahlungswirkung über die zivilrechtlichen Generalklauseln wie §§ 138, 242 und 315 BGB und andere auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe (sog. mittelbare Drittwirkung).277 Ob die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG auch die mittelbare oder nur die unmittelbare Diskriminierung erfassten bzw. erfassen, war und ist umstritten.278 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 hat das BVerfG eine mittelbare Wirkung des Verbots der Geschlechtsbenachteiligung angenommen,279 während es eine solche 1983 in Bezug auf die Benachteiligung wegen der Sprache abgelehnt hatte.280 275  BAG 13.02.2002 AP Nr. 184 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; vgl. auch MünchArb-Richardi § 9 Rn. 6; Raab FS Kreutz (2010), 317, 326; Schlachter Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 33 AGG; Wiedemann FS 50 Jahre BAG (2004), 265, 268; vgl. hingegen auch Hunold DB 1991, 1670 und ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 575, denen zufolge der allg. Gleichbehandlungsgrundsatz eher in Richtung eines Benachteiligungsverbots als eines Gleichbehandlungsgrundsatzes gehe. 276  Wendeling-Schröder NZA 2004, 1320, 1322. 277  Boewer RDV 2006, 10, 11; Fuchs ZESAR 2006, 377, 378; vgl. auch MünchArb-Buchner § 30 Rn. 175 und MünchArb-Richardi § 12 Rn. 11; grundlegend das „Lüth-Urteil“ des BVerfG 15.01.1958 NJW 1958, 257 ff. sowie aus der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung BAG 27.02.1985 NZA 1985, 702, 703. 278  Dafür z. B. ErfK-Schmidt Art. 3 GG Rn. 76; dagegen (mit Ausnahme der Diskriminierung wegen des Geschlechts) Kischel in: BeckOK GG Art. 3 Rn. 215, jew. m. w. N. 279  BVerfG 18.06.2008 NVwZ 2008, 987, 988. 280  BVerfG 17.05.1983 NJW 1983, 2762, 2765.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

(1) Schutz über das Gleichheitsrecht des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Der Schutz über die Generalklauseln wirkte und wirkt sich zuvorderst bei Kündigungen aus. Dabei hat Art. 3 Abs. 3 GG allerdings in der Rechtsprechung bislang keine entscheidende Rolle gespielt.281 Ein Beispiel für eine auch auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG gestützte Entscheidung ist ein Urteil des LG Frankfurt am Main aus dem Jahr 2001.282 Darin maß es die Kündigung eines Briten indischer Abstammung durch ein in Deutschland ansässiges türkisches Bankhaus mit dem Ziel, ihn durch einen türkischen Geschäftsführer283 zu ersetzen, an § 138 BGB. Das LG Frankfurt am Main begrenzte im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB die Privatautonomie des Arbeitgebers im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG, wonach niemand wegen seiner Abstammung oder seiner Heimat und Herkunft benachteiligt werden darf. (2) S  chutz über die Freiheitsrechte – insbesondere Art. 4 Abs. 1 und 2, 12 und 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG Ist eins der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale indes zugleich freiheitsrechtlich geschützt wie z. B. die Religion (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG), ist hierzu eine reichhaltigere Rechtsprechung zu finden.284 Die Funktionsweise dieses Schutzes und insbesondere die Verortung der Kundenpräferenzproblematik soll beispielhaft anhand der vieldiskutierten285 „Kopftuchentscheidung“ des BAG286 aus dem Jahr 2002 aufgezeigt werden, die als „Schulbeispiel für die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Zivilrecht über das ‚Einfallstor‘ der Generalklauseln, vorliegend der §§ 242, 315 Abs. 1 BGB“287 bezeichnet wurde. Dort stellte sich die Frage, inwieweit der Arbeitgeber individuelle Rechte des Beschäftigten einschränken kann, wenn diese im Konflikt mit Kundenvorlieben stehen.288 281  Däubler/Berzbach-Däubler

Einl. AGG Rn. 49. Frankfurt am Main 07.03.2001 NZA-RR 2001, 298 ff. 283  Vgl. zum Status des GmbH-Geschäftsführers instruktiv Lücke NJOZ 2009, 3469 ff.; zur aktuellen Rechtsprechung des BGH bezüglich Arbeitnehmerrechten für GmbH-Geschäftsführer Otte GWR 2011, 25 ff. sowie Stagat NZA 2010, 975 ff. 284  Däubler/Berzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 52 ff. mit zahlreichen Bsp. aus der Rechtsprechung. 285  Vgl. dazu Bachmann SAE 2003, 336 ff.; Bartz JA 2003, 622 ff.; Hoevels NZA 2003, 701 ff.; Preis/Greiner RdA 2003, 244 ff.; Schiek Industrial Law Journal 33 (2004), 68 ff.; Seifert German Law Journal 4 (2003), 559 ff.; Thüsing NJW 2003, 405 ff.; ders./Wege ZEuP 2004, 399, 405 ff. 286  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483 ff. 287  Bartz JA 2003, 622, 624. 288  Seifert German Law Journal 4 (2003), 559, 564. 282  LG



III. Rechtliche Annäherung83

(a) „Kopftuchentscheidung“ des BAG Der Arbeitgeber, Inhaber eines Kaufhauses in einer hessischen Kleinstadt, hatte einer muslimischen Beschäftigten gekündigt, nachdem diese nach ihrer Rückkehr aus dem Erziehungsurlaub aus religiösen Motiven nur noch mit einem Kopftuch an ihrem Arbeitsplatz als Verkäuferin in der Kosmetik­ abteilung arbeiten wollte. Zur Begründung der Kündigung berief sich der Arbeitgeber unter anderem auf mögliche Gewinneinbußen durch zu befürchtende Kundenverluste. Das BAG hatte zu beurteilen, ob die Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt war. Im Rahmen der Prüfung eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes prüfte das Gericht die Pflicht der Arbeitnehmerin, sich dem Charakter des Handelsgeschäfts und dessen Kundenstamm entsprechend branchenüblich zu kleiden. Eine solche könne unter anderem durch eine Weisung des Arbeitgebers (§ 315 Abs. 1 BGB) begründet werden oder sich aus einer vertraglichen Rücksichtnahmepflicht entsprechend § 242 BGB bzw. § 241 Abs. 2 BGB ergeben.289 Insbesondere könne der Arbeitgeber den „Stil des Hauses“ vorgeben und durch Einzelanweisungen im Sinne des § 315 BGB die Arbeitsverhältnisse seiner Mitarbeiter ausgestalten. Weiterhin wies das BAG aber auf die Grenzen des Weisungsrechts hin, die sich aus dem gemäß § 315 Abs. 1 BGB einzuhaltenden „billigen Ermessen“ ergäben.290 Bei der Ausfüllung dieser Generalklausel berücksichtigte das BAG die Wertentscheidungen einschlägiger Grundrechte. Da sowohl Grundrechte der Arbeitnehmerin (hier: Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) als auch des Arbeitgebers (hier: Unternehmerfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG) betroffen waren, war eine Abwägungsentscheidung zu treffen.291 Die Verortung der Kundenpräferenzproblematik erfolgte bei der Gewichtung der Unternehmerfreiheit.292 Bei der Intensität von deren Betroffenheit bezog das BAG die Kundenvorlieben und daraus resultierende eventuelle wirtschaftliche Einbußen ein. Im Ergebnis überwogen die Arbeitnehmerinteressen nach Auffassung des BAG das Arbeitgeberinteresse, sodass das Gericht eine soziale Rechtfertigung der Kündigung verneinte.293 Wie das BAG die Kundenpräferenzen konkret gewichtete, wird an späterer Stelle genauer zu beleuchten sein.294 Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte über die Generalklauseln ermöglichte auch vor Inkrafttreten des AGG einen Diskriminierungsschutz 289  BAG

10.10.2002 NZA 2003, 483, 485. 10.10.2002 NZA 2003, 483, 485 f. 291  Bachmann SAE 2003, 336; Seifert German Law Journal 4 (2003), 559, 563. 292  Vgl. BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483, 486. 293  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483, 485. 294  Siehe dazu später unter E. III. 2. c) aa) (3) (a). 290  BAG

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

über die Merkmale „Geschlecht“ und „Schwerbehinderung“ hinaus insbesondere für die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale. Den der Kopftuch­ entscheidung zugrunde liegenden Fall löste das BAG freiheitsrechtlich unter dem Blickwinkel der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG).295 Das hat zum Teil für Verwunderung im Hinblick darauf gesorgt,296 dass die Kündigung unabhängig von § 1 Abs. 2 KSchG auf Grund eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot wegen der Religion gemäß Art. 3 Abs. 3 GG bereits nach § 134 BGB i. V. m. Art. 3 Abs. 3 GG nichtig gewesen wäre.297 Auch bei diesem Vorgehen hätte das BAG bei der Prüfung der Verletzung des Diskriminierungsverbots allerdings eine mögliche Rechtfertigung auf Grund kollidierender Grundrechte des Arbeitgebers, namentlich dessen Unternehmerfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, prüfen müssen,298 wobei wiederum die Kundenwünsche anzusprechen gewesen wären. (b) Weitere Entscheidungen Die „Kopftuchentscheidung“ betraf eine Benachteiligung wegen des Merkmals Religion. Auch Fragen der Benachteiligung wegen anderer Merkmale, insbesondere Alter und sexuelle Orientierung, wurden vor Inkrafttreten des AGG über eine Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Beschäftigten und Gegenrechten des Arbeitgebers gelöst.299 So maß das BAG tarifvertragliche Altersgrenzen für Piloten in Höhe von 60 Jahren an Art. 12 GG,300 wobei die Grundrechte hier freilich nicht nur mittelbar, sondern auf Grund des Normcharakters des Tarifvertrages sogar unmittelbar angewendet wurden. Den Eingriff in die Berufsfreiheit der Piloten sah das Gericht auf Grund von Sicherheitsbedenken als gerechtfertigt an.301 Die Fälle, in denen Sicherheitsbedenken in Form des Interesses der Allgemeinheit und insbesondere der Passagiere an einem sicheren Flugverkehr eine Rolle spielen, lassen sich auch als Kundenpräferenzfälle interpretieren. Im Schrifttum ist von Lieske zutreffend darauf hingewiesen worden, dass die Nachfrageseite ein Angebot, das Schwächen im Sicherheitsbereich aufweist, nicht in Anspruch nehmen wird: „Ein Luftfahrtunternehmen, das Piloten über ein nor295  Krause

FS Adomeit (2008), 377, 379. German Law Journal 4 (2003), 559, 565. 297  Vgl. zu dieser Möglichkeit auch Lettl NZA-RR 2004, 57, 59. 298  Seifert German Law Journal 4 (2003), 559, 565 f. 299  Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 52, 57. 300  BAG 21.07.2004  – 7 AZR 589/03 juris; siehe aber nunmehr BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575 ff. sowie BAG 18.01.2012 NZA 2012, 691 ff., dazu auch später unter E. III. 2. d) bb) (4). 301  BAG 21.07.2004  – 7 AZR 589/03 juris Rn. 28 ff. 296  Seifert



III. Rechtliche Annäherung85

miertes Höchstalter hinaus beschäftigt, setzt sich insbesondere für den Fall eines Versagens dieses Piloten der Gefahr erheblicher Vorwürfe von Fluggästen und der Öffentlichkeit aus.“302 Insofern hat auch das BAG das Interesse von Luftfahrtunternehmen an der Beachtung öffentlich-rechtlicher Soll-Vorschriften sowie an der Gewährleistung der Sicherheit des Luftverkehrs anerkannt.303 Durch die Einhaltung tarifvertraglicher Altersgrenzen richten sich die Luftfahrtunternehmen auf sicherheitsbewusste Kunden aus. Die Rechtfertigung der Altersgrenzen unter Sicherheitsaspekten lässt sich letztlich auch als Frage der Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen verstehen. Die Kundenpräferenzproblematik war in diesem Fall vor Inkrafttreten des AGG bei der Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs zu verorten. Bei Benachteiligungen wegen der sexuellen Orientierung wog die Rechtsprechung das Recht auf Achtung der Menschenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Beschäftigten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG gegen das Grundrecht der Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG des Arbeitgebers ab. Ein Beispiel dafür ist eine BAG-Entscheidung aus dem Jahr 1994304, in der das Gericht eine Kündigung eines Beschäftigten in der Probezeit wegen seiner Homosexualität an § 242 BGB maß. So wurde auch außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG über die §§ 138, 242 BGB ein Diskriminierungsschutz gewährleistet.305 ff) Weitere spezialgesetzliche Diskriminierungsverbote Weitere, bereits vor Inkrafttreten des AGG existierende Diskriminierungsverbote bzw. Gleichbehandlungsgebote beinhalten § 4 TzBfG306, Art. 9 Abs. 3 GG sowie § 10 Abs. 4 AÜG. Sie enthalten das Verbot der Ungleichbehandlung wegen einer Teilzeittätigkeit oder einer Befristung (§ 4 Abs. 1 und 2 TzBfG), ein Diskriminierungsverbot auf Grund der Gewerkschaftszugehörigkeit (Art. 9 Abs. 3 GG) sowie ein Gleichbehandlungsgebot von Leiharbeitnehmern (§ 10 Abs. 4 AÜG). Diese Normen spielen im Zusammenhang mit der Kundenpräferenzproblematik keine Rolle und bleiben deshalb im Folgenden unberücksichtigt. 302  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 191 Fn. 544 und S. 290 Fn. 336. 303  Vgl. BAG 20.02.2002 NZA 2002, 789, 792 f. 304  BAG 23.06.1994 NZA 1994, 1080 ff. 305  Dazu eingehend Lettl NZA-RR 2004, 57 ff. sowie Preis NZA 1997, 1256, 1264 ff. 306  Vgl. dazu Wiedemann FS 50 Jahre BAG (2004), 265, 281  ff. sowie ders. Gleichbehandlungsgebote (2001), S. 73 ff.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

b) Seit Inkrafttreten des AGG Einen umfassenden arbeitsrechtlichen Schutz vor Diskriminierungen gaben die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU vor,307 sodass ein Umsetzungsbedarf bestand.308 Dem Umsetzungsauftrag ist der deutsche Gesetzgeber am 18. August 2006 durch die Einführung des AGG nachgekommen. Durch das AGG wurde der bis dahin bestehende Schutz gegen Diskriminierungen erheblich erweitert.309 Dessen „arbeitsrechtliche Grundnorm“310 § 7 Abs. 1 AGG statuiert ein Benachteiligungsverbot wegen der sechs geschützten Merkmale Rasse oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität.311 Die Verletzung des Benachteiligungsverbots führt auf Rechtsfolgenseite312 nicht nur zur Unwirksamkeit der benachteiligenden Rechtshandlung,313 sondern löst insbesondere Entschädigungs-314 (§ 15 Abs. 2 AGG) und Schadensersatzansprüche315 (§ 15 Abs. 1 AGG) aus.316

307  Siehe

dazu später ausführlich unter D. NZA 2005, 1270, 1271; Schiek NZA 2004, 873, 877 f.; Wank NZA 2004 Sonderbeilage zu Heft 22, 16, 17; eingehend dazu Thüsing NZA 2001, 1061 ff. sowie ders. ZfA 2001, 397 ff.; vgl. auch Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 22, 24, 33; a. A. aber Picker JZ 2003, 540, 544; Klumpp NZA 2005, 848, 849 sowie Nachweise bei Armbrüster ZRP 2005, 41. 309  Kock MDR 2006, 1088. 310  Annuß BB 2006, 1629. 311  Zu den Benachteiligungsmerkmalen im Einzelnen vgl. Annuß BB 2006, 1629, 1630 f.; instruktiv auch Thüsing NZA 2004 Sonderbeilage zu Heft 22, 3, 9 ff. 312  Vgl. zur Haftung des Arbeitgebers für benachteiligendes Verhalten durch Kollegen und Dritte nach BGB und AGG monografisch Bauer Diskriminierungen und Belästigungen von Arbeitnehmern durch Kollegen und Dritte (2013), passim; zu Einwirkungsmöglichkeiten und Grenzen der Einwirkungspflicht des Arbeitgebers sowie zu Erzwingungsmöglichkeiten des diskriminierten Beschäftigten Schäfer Die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für diskriminierendes Verhalten Dritter (2013), passim. 313  Vgl. dazu Annuß BB 2006, 1629, 1634; Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583, 2588. 314  Vgl. ausführlich dazu Jacobs RdA 2009, 193ff.; Walker NZA 2009, 5 ff. 315  Eingehend dazu vgl. Stoffels RdA 2009, 204 ff. 316  Kamanabrou RdA 2006, 321, 335; vgl. auch Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 161 ff. Neben Entschädigungs- und Schadensersatzansprüchen steht dem Betroffenen ein Beschwerderecht (§ 13 AGG, instruktiv dazu Oetker NZA 2008, 264 ff.) sowie ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG) zu. § 16 AGG enthält zudem ein Maßregelungsverbot. 308  Reichold/Hahn/Heinrich



III. Rechtliche Annäherung87

aa) Anwendungsbereich Das AGG hat einen weit gefassten sachlichen [dazu unter (1)] und persönlichen [dazu unter (2)] Anwendungsbereich.317 (1) D  iskriminierungsschutz in allen Phasen des Beschäftigungsverhältnisses Der Diskriminierungsschutz gilt in allen Phasen des Beschäftigungsverhältnisses, von der Anbahnung bis über die Beendigung hinaus.318 So wird insbesondere die Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers rechtlichen Bindungen unterworfen.319 Adomeit prognostizierte dem AGG im Jahr seines Inkrafttretens, das dessen Hauptanwendungsbereich Fälle frustrierter Bewerbungen um ausgeschriebene Arbeitsplätze betreffen würde.320 Allerdings begründet ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, § 15 Abs. 6 AGG. Zudem darf trotz der Regelung des § 2 Abs. 4 AGG, wonach für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten, auch bei Kündigungen nicht diskriminiert werden.321 Eine andere Lösung widerspräche den Vorgaben der durch das AGG umgesetzten Richtlinien.322 Die Grundwertungen der Richtlinien müssen nach den Grundsätzen des EuGH323 von der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten zur Geltung gebracht werden.324 Vor diesem Hintergrund hat das BAG in seiner Entscheidung vom 6. November 2008 bezüglich des Verhältnisses von Kündigungsschutz nach dem KSchG und Diskriminierungsschutz nach dem AGG klargestellt, dass „die Diskriminierungsverbote des AGG – einschließlich der ebenfalls im AGG vorgesehenen Rechtferti317  Ausführlich zum Anwendungsbereich des AGG in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S.  109 ff. 318  Kock MDR 2006, 1088; vgl. auch Wisskirchen DB 2006, 1491. 319  Krause FS Adomeit (2008), 377, 379. 320  Adomeit NJW 2006, 2169, 2170. 321  Kock MDR 2006, 1088; vgl. dazu z.  B. Diller/Krieger/Arnold NZA 2006, 887 ff.; Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657 ff.; Hein NZA 2008, 1033 ff.; Kamanabrou RdA 2007, 199 ff.; Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 115 ff. 322  Vgl. Kock ZIP 2006, 1551, 1552; Sagan NZA 2006, 1257  f.; Windel RdA 2007, 1, 8 sowie Wolff VersorgW 2007, 29, 30; siehe zu den Richtlinien später ausführlich unter D. 323  EuGH 05.10.2004 (Pfeiffer) NZA 2004, 1145, 1151. 324  ErfK-Schlachter § 2 AGG Rn. 18 m. w. N.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

gungen für unterschiedliche Behandlungen – […] bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten [sind], dass sie Konkretisierungen des Begriffs der Sozialwidrigkeit darstellen“325. Dabei sollen die Diskriminierungsverbote nicht als eigene Unwirksamkeitsnormen angewendet werden.326 Die Unwirksamkeit der Kündigung soll vielmehr nach Maßgabe des Kündigungsschutzes geltend gemacht werden, damit „durch das AGG nicht neben das bisherige ein ‚zweites ­Kündigungsrecht‘, also eine besondere ‚Diskriminierungsklage‘ neben die Kündigungsschutzklage“327 tritt. Da § 2 Abs. 4 AGG nur das Verhältnis zwischen dem AGG und dem KSchG sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen regelt, erfasst die Norm nach einer BAG-Entscheidung vom 19. Dezember 2013 Kündigungen während der Wartezeit und im Kleinbetrieb, also außerhalb des KSchG-Anwendungsbereichs, nicht.328 Sie sind bei einem Verstoß gegen das AGG gemäß § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG i. V. m. § 134 BGB unwirksam.329 Festzuhalten bleibt demnach, dass der Diskriminierungsschutz des AGG sowohl bei Begründung als auch während und bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere auch bei der Kündigung, zum Tragen kommt. (2) Diskriminierungsschutz nicht nur für Arbeitnehmer Der persönliche Anwendungsbereich der Bestimmungen des AGG zum Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung ist in § 6 AGG geregelt. Gemäß § 6 Abs. 1 AGG sind Beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten sowie Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; als Beschäftigte gelten auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist. Dies entspricht dem bereits angesprochenen Schutz auch bei der Einstellung und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. § 6 Abs. 3 AGG weitet den Schutz der Beschäftigten zudem auf Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäfts325  BAG 06.11.2008 NZA 2009, 361; diese Entscheidung im Hinblick auf die dadurch geschaffene Rechtsklarheit begrüßend Adomeit/Mohr NJW 2009, 2255 ff. Ungeklärt bleibt allerdings, ob und inwieweit bestimmte Rechte von durch Kündigung diskriminierten Beschäftigten wie z. B. der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ausgeschlossen sein sollen, vgl. dazu Jacobs RdA 2009, 193, 196. 326  BAG 06.11.2008 NZA 2009, 361, 365. 327  BAG 06.11.2008 NZA 2009, 361. 328  BAG 19.12.2013  – 6 AZR 190/12 juris Rn. 22. 329  BAG 19.12.2013  – 6 AZR 190/12 juris Rn. 14 ff. m. w. N. zu und Auseinandersetzung mit den im Schrifttum vertretenen Auffassungen.



III. Rechtliche Annäherung89

führerinnen und Vorstände aus, soweit die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betroffen sind. Auf dieser Grundlage hat beispielsweise der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 den Diskriminierungsschutz eines GmbH-Fremdgeschäftsführers bei der Unterlassung der Wiederbestellung bejaht,330 und zwar unabhängig von der Frage, ob GmbH-Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder diskriminierungsschutzrechtlich Arbeitnehmer sind.331 In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2012 zu einer Altersgrenze für die Erteilung eines Berufsfahrausweises für Trabrennfahrer bejahte das LG Berlin die Anwendbarkeit des AGG auf selbstständige Sportler.332 Dies ist insofern von Bedeutung, als diskriminierende Fanpräferenzen, wie die bereits betrachteten Studien zeigen,333 praktisch speziell im Profisport eine Rolle spielen können.334 Zudem ist das AGG gemäß § 24 AGG auch auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse anwendbar, sodass auch Beamte Diskriminierungsschutz nach dem AGG genießen. Folglich ist z. B. auch der Kundenpräferenzfall an dem AGG zu messen, dass eine Stelle als Amtsvormund bei einem Jugendamt mit einer Frau besetzt wird, um den Bedürfnissen weiblicher Mündel Rechnung zu tragen.335 bb) Benachteiligungsformen Die verbotenen Benachteiligungsformen sind in § 3 AGG definiert. (1) (Un)mittelbare Benachteiligung Die Absätze 1 und 2 enthalten die Begriffsbestimmungen der unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 AGG vor, „wenn eine Person wegen eines in 330  BGH

23.04.2012 NJW 2012, 2346, 2347. zu dieser Frage Kort NZG 2013, 601 ff. 332  LG Berlin 04.07.2012  – 22 O 157/12 juris Rn. 33. 333  Siehe dazu bereits unter B. 334  Vgl. zu diskriminierenden Kundenpräferenzen in der US-amerikanischen Ladies Professional Golf Association Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181 ff., siehe dazu später unter C. IV. 4. b) bb). Die Problematik homophober Fanpräferenzen im Profifußball wird anhand der Entscheidung EuGH 25.04.2013 (Asociatia ACCEPT)  – C-81/12 juris diskutiert, siehe dazu später unter D. IV. 4. Freilich gilt der Diskriminierungsschutz auch unabhängig von seiner Anwendbarkeit auf selbstständige Sportler für Profifußballer. Nach der BAG-Rechtsprechung sind Lizenzfußballer der Bundesliga Arbeitnehmer, vgl. nur BAG 17.01.1979 NJW 1980, 470 m. w. N. zur Rspr. 335  Vgl. dazu LAG Niedersachsen 19.04.2012  – 4 SaGa 1732/11 juris sowie vorgehend ArbG Göttingen 23.11.2011  – 4 Ga 3/11 Ö juris; siehe für eine Darstellung der Entscheidung später unter E. III. 2. a) aa) (1) (b) (bb). 331  Vgl.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

§ 1 [AGG] genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“.336 Die unmittelbare Benachteiligung zeichnet sich somit dadurch aus, dass der Benachteiligende – ausdrücklich oder auch nur gedanklich – an einem oder mehreren der Merkmale des § 1 AGG direkt anknüpft.337 Ein Beispiel für die Anknüpfung an das Geschlecht ist die Ablehnung männlicher Bewerber für die Tätigkeit eines Verkäufers für Damenbadebekleidung im Hinblick auf die Präferenzen der Kundinnen für weibliches Verkaufspersonal.338 Eine mittelbare Benachteiligung liegt demgegenüber laut § 3 Abs. 2 AGG vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 [AGG] genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“.339 Im Gegensatz zu der unmittelbaren Benachteiligung ist sie demnach bei formaler Betrachtung merkmalsneutral und knüpft nicht direkt an ein Merkmal nach § 1 AGG an.340 Zwar wird als Differenzierungskriterium nicht unmittelbar die Zugehörigkeit zur nach § 1 AGG geschützten Gruppe herangezogen, wohl aber ein solches Merkmal, das von Gruppenmitgliedern erheblich häufiger als von anderen Personen erfüllt wird.341 Daraus resultiert eine typischerweise überwiegend gruppenangehörige Personen treffende nachteilige Wirkung.342 Ein Beispiel für ein entsprechendes Differenzierungskriterium bilden bestimmte Sprachkenntnisse343 wie die Forderung nach der „Beherrschung der deutschen Sprache“344 oder auch die Anforderung „Beherrschung der deutschen Schriftsprache“345. Wird beispielsweise die Beherrschung der deutschen dazu Annuß BB 2006, 1629, 1631; Kamanabrou RdA 2006, 321, 324 f. RdA 2009, 307, 308. 338  Beispiel nach der Entscheidung LAG Köln 19.07.1996 AR-Blattei ES 800 Nr. 128, 7 f.; siehe dazu später unter E. III. 2. a) aa) (1) (c). 339  Vgl. dazu Annuß BB 2006, 1629, 1631 f.; Kamanabrou RdA 2006, 321, 325. 340  Rupp RdA 2009, 307, 308. 341  ErfK-Schlachter § 3 AGG Rn. 9. 342  Vgl. ErfK-Schlachter § 3 AGG Rn. 9 m. w. N. 343  Instruktiv dazu vgl. Günther ArbR 2010, 285 ff.; Herbert/Oberrath NJ 2011, 8 ff. und dies. DB 2009, 2434 ff. sowie Hinrichs/Stütze NZA-RR 2011, 113 ff. 344  Vgl. dazu Legerlotz ArbRB 2010, 153 ff. sowie BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226 ff. 345  Vgl. dazu BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625 ff., das zwar eine unmittelbare Benachteiligung klar ablehnt, aber auch das Vorliegen einer mittelbaren Benachteiligung gerade auf Grund des Merkmals der „Ethnie“ im Ergebnis offenlässt. Die mittelbar benachteiligende Wirkung entsprechender Sprachanforderungen für auslän336  Vgl.

337  Rupp



III. Rechtliche Annäherung91

Sprache zur Einstellungsvoraussetzung gemacht, werden davon mehrheitlich Bewerber nicht-deutscher Herkunft nachteilig betroffen, sodass darin – vorbehaltlich einer sachlichen Rechtfertigung – eine mittelbare Diskriminierung wegen der Ethnie346 liegen kann.347 Die Abgrenzung zwischen den beiden genannten Benachteiligungsformen ist vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Anforderungen an die Rechtfertigung einer unmittelbaren bzw. einer mittelbaren Benachteiligung von erheblicher Bedeutung.348 (2) (Sexuelle) Belästigung In § 3 Abs. 3 und 4 AGG werden die Belästigung bzw. die sexuelle Belästigung als Formen der verbotenen Benachteiligung erfasst.349 Kundenpräferenzen können auch dazu führen, dass der Arbeitgeber die Würde des Beschäftigten verletzt und ein „von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG geschaffen wird. Ein Beispiel dazu aus der US-amerikanischen Rechtsprechung bildet der Fall Chaney v. Plainfield Healthcare Center.350 Der Arbeitgeber, das Pflegeheim Plainfield Healthcare Center, beherbergte eine Kundin, die die Pflege durch schwarze Pflegehilfen ablehnte.351 Um diese Präferenz zu bedienen, wurde der schwarzen Pflegehelferin Brenda Chaney jeden Tag schriftlich mitgeteilt, dass keine schwarzen Pflegehilfen das Zimmer der betreffenden Kundin betreten, geschweige denn sie versorgen dürften.352 Chaney erhob Diskriminierungsklage gegen dische Beschäftigte erkennt BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1230 hingegen ausdrücklich an, bejaht aber im konkreten Fall eine sachliche Rechtfertigung. Ausführlich zur Qualifikation von Sprachkenntnissen als mittelbare Benachteiligung später unter E. V. 2. a) cc) (2). 346  Für eine gute Zusammenfassung über die Schwierigkeiten bei der Definition dieses Merkmals und den diesbezüglichen Meinungsstand vgl. Greiner DB 2010, 1940 ff. m. w. N. 347  So z. B. Herbert/Oberrath DB 2009, 2434; Hinrichs/Stütze NZA-RR 2011, 113, 114; Kohte/Rosendahl jurisPR-ArbR 45/2010 Anm. 1; ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 5; MüKo-Thüsing § 3 AGG Rn. 51; Tolmein jurisPR-ArbR 4/2008 Anm. 3; ArbG Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris Rn. 44 ff.; a. A. ArbG Berlin 26.09.2007  – 14 Ca 10356/07 juris Rn. 20, demgemäß die Zurückweisung eines Bewerbers wegen mangelnder Sprachkenntnisse „mit dessen spezifischer ethnischer Herkunft aber an sich nichts zu tun“ habe. 348  Rupp RdA 2009, 307; siehe dazu ausführlich später unter E. V. 2. a). 349  Vgl. grundsätzlich dazu MüKo-Thüsing § 3 AGG Rn. 52 ff. 350  Chaney v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 908 ff. (7th Cir. 2010). Siehe für eine ausführliche Darstellung der Entscheidung auch später unter C. III. 3. d) dd). 351  Chaney v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 908, 910 (7th Cir. 2010). 352  Chaney v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 908, 910 (7th Cir. 2010).

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

das Plainfield Healthcare Center, die sie auf die Schaffung eines auf Grund der Rasse erniedrigenden und entwürdigenden Arbeitsumfeldes („racially hostile workplace“) stützte. Das zeigt, dass die Kundenpräferenzproblematik grundsätzlich auch im Zusammenhang mit Belästigungen eine Rolle spielen kann. Ihren Hauptanwendungsbereich findet sie jedoch im Zusammenhang mit Benachteiligungen im Sinne des § 3 Abs. 1 und 2 AGG. (3) Anweisung zur Benachteiligung Schließlich stellt § 3 Abs. 5 AGG die Anweisung zur Benachteiligung einer Benachteiligung gleich. Eine Anweisung setzt eine Anweisungsbefugnis voraus.353 Diese besteht bei einem Weisungsverhältnis, das den Angewiesenen gegenüber dem Anweisenden zur Befolgung der Weisung verpflichtet.354 Damit sind zuvorderst Fälle erfasst, in denen der Arbeitgeber oder ein Vorgesetzter einen anderen Beschäftigten zur Benachteiligung bestimmt.355 Kunden können dem Arbeitgeber in der Regel keine Anweisungen in diesem Sinne geben.356 Die Kundenpräferenzproblematik zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass der Arbeitgeber „geballten Kundeninteressen nachgibt“357, er aber keine strikten Anweisungen befolgt. Indem er dies tut, macht er sich in gewisser Weise die Haltung der Kunden zu Eigen.358 Demzufolge stellt sich die Kundenpräferenzfrage nicht als eine Frage der Benachteiligung durch haftende, Anweisungen erteilende Kunden. Umgekehrt geht es darum, inwiefern eine Haftung des Arbeitgebers ausgeschlossen ist, wenn die von ihm durchgeführte Benachteiligung auf Kundenwünsche zurückzuführen ist. cc) Rechtfertigung von Benachteiligungen Da sich die Kundenpräferenzfrage als eine der zulässigen Ausnahme von einer grundsätzlich unzulässigen Benachteiligung stellt, kommt es auch an dieser Stelle – wie bei den bereits nach alter Rechtslage vorhandenen Diskriminierungsverboten – auf die Rechtfertigungsgründe an. Dabei ist zwi353  MüKo-Thüsing

§ 3 AGG Rn. 80. BB 2006, 1629, 1632; ErfK-Schlachter § 3 AGG Rn. 23. 355  Kamanabrou RdA 2006, 321, 326. 356  MüKo-Thüsing § 12 AGG Rn. 10. 357  MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 19. 358  Krause FS Adomeit (2008), 377, 387; Picker in: Lorenz, Haftung wegen Diskriminierung (2005), 7, 37 im Zusammenhang mit dem zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot; Reich EuZW 2008, 229, 230; Schiek-Schiek § 3 AGG Rn. 15; die Formulierung „zu Eigen macht“ ablehnend allerdings Lobinger EuZA 2009, 365, 378. 354  Annuß



III. Rechtliche Annäherung93

schen der Rechtfertigung einer unmittelbaren und einer mittelbaren Benachteiligung zu unterscheiden. (1) Rechtfertigung einer unmittelbaren Benachteiligung Rechtfertigungsmöglichkeiten für unmittelbare Benachteiligungen sind in §§ 8 bis 10 AGG enthalten, hinzu tritt die Regelung über positive Maßnahmen in § 5 AGG.359 Während § 8 AGG ein Rechtfertigungsgrund für alle nach § 1 AGG geschützten Merkmale ist, erfassen §§ 9 und 10 AGG nur einzelne Merkmale.360 § 9 AGG enthält eine spezielle Rechtfertigungsmöglichkeit für Ungleichbehandlungen wegen der Religion und Weltanschauung, § 10 AGG bezieht sich auf Ungleichbehandlungen wegen des Alters.361 (a) Z  ulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen § 8 Abs. 1 AGG enthält einen zentralen, allgemeinen Rechtfertigungstatbestand. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, „wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist“. Im Kern stellt diese Norm für die ausnahmsweise Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung also auf die wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ab.362 Für die Frage der Kundenpräferenzen kommt es dementsprechend darauf an, ob und inwieweit tatsächliche, vermeintliche oder durch ein Unternehmerkonzept antizipierte Kundenpräferenzen dazu führen, dass das Innehaben eines bestimmten geschützten Merkmals eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist. Im Schrifttum wird die Frage der Kundenpräferenzen fast ausnahmslos als Problem des § 8 Abs. 1 AGG angesehen und in diesem Zusammenhang angesprochen.363 So weist Krause 359  Instruktiv dazu vgl. Annuß BB 2006, 1629, 1632  ff.; Boemke/Danko § 6 Rn.  1 ff.; Kamanabrou RdA 2006, 321, 326 ff.; Kock MDR 2006, 1089, 1090 f.; Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583, 2585 ff.; Wisskirchen DB 2006, 1491 ff. 360  Kamanabrou RdA 2006, 321, 327. 361  Boemke/Danko § 6 Rn. 2. 362  Vgl. MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 5. 363  Vgl. z. B. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 42 ff., 62, 65, 78; Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 29 f.; Däubler/Bertzbach-Brors § 8  AGG Rn. 10 ff.; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn.  15 ff.; Hwang Rechtfertigung von Benachteiligungen nach § 8 AGG (2014), passim; Meinel/Heyn/Herms § 8 Rn. 14 ff.; Nollert-Borasio/Perreng § 8 AGG Rn.  7 f.; Novara NZA 2015, 142, 143 ff.; Schiek-Schmidt § 8 AGG Rn. 5;

94

B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

dem § 9 AGG für die Kundenpräferenzfrage keine und dem § 10 AGG nur eine nachgeordnete Rolle zu.364 Inwieweit dieser Bewertung der Bedeutung der §§ 9, 10 AGG für die Kundenpräferenzproblematik zuzustimmen ist, ist nun zu untersuchen. (b) Z  ulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung § 9 AGG enthält eine besondere Rechtfertigungsmöglichkeit für Reli­ gionsgemeinschaften sowie die ihnen zugeordneten Einrichtungen (z.  B. Caritas oder Diakonie)365 und Vereinigungen (z. B. kirchliche Orden366 oder die von der katholischen Kirche unabhängigen Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen „Donum Vitae“367), die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen. Bei einer Beschäftigung durch sie ist gemäß § 9 Abs. 1 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung auch zulässig, „wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt“. § 9 Abs. 2 AGG regelt darüber hinaus eine Loyalitätspflicht. Danach berührt das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung nicht das Recht der in § 9 Abs. 1 AGG genannten Akteure, „von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können“. Durch die im Vergleich zu § 8 Abs. 1 AGG unterschiedliche Wortwahl in § 9 Abs. 1 AGG sollte eine Abschwächung der Rechtfertigungsvoraussetzungen für Kirchen erreicht werden.368 Von § 8 Abs. 1 AGG unterscheidet sich diese Vorschrift zum einen dadurch, dass die berufliche Anforderung nicht durch die Kriterien „wesentlich und entscheidend“ qualifiziert ist.369 Zum anderen wird die Feststellung einer beruflichen Anforderung – anders als bei § 8 Abs. 1 AGG – nicht von objektiven Maßstäben abhängig gemacht, sondern ErfK-Schlachter § 8 AGG Rn. 1, 4 f.; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 9, 11, 16, 26 f., 35, 66 f.; Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 407 ff.; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 17 ff.; Wendeling-Schröder/SteinWendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 8 f. 364  Krause FS Adomeit (2008), 377, 380. 365  Richardi NZA 2006, 881, 885. 366  BT-Drs. 16/1780, S. 35. 367  ErfK-Schlachter § 9 AGG Rn. 2. 368  MüKo-Thüsing § 9 AGG Rn. 11. 369  Vgl. MüKo-Thüsing § 9 AGG Rn. 11; Wisskirchen DB 2006, 1491, 1492.



III. Rechtliche Annäherung95

unter Beachtung des Selbstverständnisses der Vereinigungen bestimmt.370 § 9 Abs. 1 AGG erweitert so die Differenzierungsbefugnis der kirchlichen Arbeitgeber im Hinblick auf deren Selbstbestimmungsrecht.371 Im Zusammenhang des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts führte das BAG aus: „Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richtet sich nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben. Dagegen kommt es weder auf die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen, bei denen die Meinungsbildung von verschiedenen Motiven beeinflusst sein kann, noch auf diejenige breiter Kreise unter Kirchenmitgliedern oder gar einzelner, bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an.“372

Die Anforderungen an bestimmte Tätigkeiten werden folglich unabhängig von den Präferenzen der „Kirchenkunden“ bestimmt. Im gleichen Atemzug konstatierte das BAG, dass es „grundsätzlich den verfassten Kirchen überlassen [bleibt], verbindlich zu bestimmen, was die ‚Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind‘ (vgl. Art. 4 Abs. 4, 5 Abs. 5 GrO) erfordert“373. Mit der Glaubwürdigkeit ist freilich ein drittbezogener Aspekt angesprochen. In der zitierten BAG-Entscheidung ging es z. B. um die Glaubwürdigkeit eines katholischen Krankenhauses gegenüber den Patienten und ihren Angehörigen sowie der Öffentlichkeit,374 die das Krankenhaus durch die Wiederheirat eines Chefarztes gefährdet sah. Das Krankenhaus argumentierte also letztlich – innerhalb seines Selbstbestimmungsrechts und in Bezug auf sein Selbstverständnis und dessen glaubwürdiger Vermittlung – mit Kundenpräferenzen, die insofern auch bei § 9 AGG eine Rolle spielen können. Der Rechtfertigungsgrund § 9 AGG wirft viele Fragen auf, insbesondere die nach seiner Europarechtskonformität.375 Im Zentrum der Diskussionen 370  Joussen NZA 2008, 675, 676 m. w. N.; ErfK-Schlachter § 9 AGG Rn. 1; vgl. aber auch die Formulierung bei Boemke/Danko § 6 Rn. 52: „auf Grundlage des Selbstverständnisses der Kirche nach objektiven Maßstäben“. Freilich beantwortet die Rechtsprechung die Frage, ob eine berufliche Anforderung „wesentlich und entscheidend“ ist, auch bei § 8 Abs. 1 AGG unter Berücksichtigung des spezifischen unternehmerischen Konzeptes und nicht auf Grundlage vollständig verobjektivierter Berufsbilder, siehe dazu später unter B. III. 1. b) bb). 371  Vgl. dazu ErfK-Schlachter § 9 AGG Rn. 1; Müko-Thüsing § 9 AGG Rn. 12. 372  BAG 08.09.2011 NZA 2012, 443, 446; ebenso ArbG Stuttgart 28.04.2010 – 14 Ca 1585/09 juris Rn. 65; vor Inkrafttreten des AGG bereits BAG NZA 21.02.2001 NZA2001, 1136, 1138. 373  BAG 08.09.2011 NZA 2012, 443, 446; vgl. auch ArbG Stuttgart 28.04.2010 – 14 Ca 1585/09 juris Rn. 65. 374  BAG 08.09.2011 NZA 2012, 443, 447. 375  Vgl. dazu instruktiv z. B. Deinert EuZA 2009, 332; Joussen NZA 2008, 675ff.; Mohr/von Fürstenberg BB 2008, 2122; Thüsing/Fink-Jamann/von Hoff ZfA 2009, 153; monografisch Schoenauer Die Kirchenklausel des § 9 AGG (2010), passim.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

steht dabei die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts für kirchliche Arbeitgeber. Zwar können im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts auch Kundenpräferenzen zum Tragen kommen. Doch soll der Fokus dieser Arbeit angesichts der spezifischen Problemstellungen kirchlicher Arbeitsverhältnisse auf säkulare Arbeitsverhältnisse gerichtet sein. Deshalb soll auf § 9 AGG als Rechtfertigungsmöglichkeit (auch) im Hinblick auf Kundenpräferenzen nur am Rande – bei der Beleuchtung der Rechtsprechung deutscher Gerichte376 – eingegangen werden. (c) Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters Eine Ungleichbehandlung wegen des Alters kann unter den gegenüber § 8 Abs. 1 AGG erleichterten Voraussetzungen des § 10 AGG gerechtfertigt werden.377 Die Sätze 1 und 2 enthalten eine Generalklausel.378 Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Dabei müssen auch die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Satz 3 Nr. 1 bis 6 schließlich enthält Anwendungsbeispiele, die die Generalklausel der Sätze 1 und 2 konkretisieren, aber nicht abschließend sind.379 Die Rechtfertigungsmöglichkeit nach § 10 AGG steht neben dem allgemeinen Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG und schließt dessen Anwendung nicht aus. Jedoch ist die Rechtfertigungsschwelle des § 10 AGG niedriger als die des § 8 Abs. 1 AGG.380 Letzterer fordert „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen“ für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung, während gemäß § 10 AGG bezüglich des Alters bereits ein „legitimes Ziel“ genügt.381 In keinem der Regelbeispiele des § 10 S. 3 AGG382 werden Kundenpräferenzen ausdrücklich er376  Siehe

dazu später unter B. III. 2. c) aa) (1). zu § 10 AGG vgl. Wendeling-Schröder NZA 2007, 1399 ff. 378  ErfK-Schlachter § 10 AGG Rn. 1; Schleusener/Suckow/Voigt-Voigt § 10 AGG Rn. 11. 379  Meinel/Heyn/Herms § 10 AGG Rn. 13 m. w. N. zur Rspr.; Schleusener/Suckow/ Voigt-Voigt § 10 AGG Rn. 11. 380  MüKo-Thüsing § 10 AGG Rn. 8. 381  Schleusener/Suckow/Voigt-Voigt § 10 AGG Rn. 3; von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 248. 382  Diese betreffen im Einzelnen Regelungen zur beruflichen Eingliederung (§ 10 S. 3 Nr. 1 AGG), Mindestanforderungen an das Alter (§ 10 S. 3 Nr. 2 AGG); die Festsetzung eines Höchstalters (§ 10 S. 3 Nr. 3 AGG); Altersgrenzen in betrieblichen Sozialsystemen (§ 10 S. 3 Nr. 4 AGG); Vereinbarungen über ein bestimmtes Alter als Beendigungsgrund (§ 10 S. 3 Nr. 5 AGG) sowie Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen (§ 10 S. 3 Nr. 6 AGG). 377  Instruktiv



III. Rechtliche Annäherung97

wähnt. von Hoff weist freilich darauf hin, dass eine Mindestaltersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung auf Grund von Wünschen der Kundschaft unter § 10 S. 3 Nr. 2 AGG subsumiert werden könnte, führt dann aber selbst weiter aus, dass dies nicht von der Prüfung der Voraussetzungen der Generalklausel in § 10 S. 1 und 2 AGG entbinde.383 Der Maßstab für die Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen wegen des Alters auf Grund von Kundenpräferenzen ist mithin die Generalklausel des § 10 S. 1 und 2 AGG.384 Es kommt darauf an, ob und inwieweit eine Ungleichbehandlung zur Bedienung von Kundenpräferenzen auf einem legitimen Ziel385 beruht und bei der Ausrichtung an den Wünschen der Geschäftspartner auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt ist. Nach alledem ist Krauses Einschätzung, der § 10 AGG habe für die Kundenpräferenzproblematik eine nachgeordnete Bedeutung, nur insofern zuzustimmen, als er lediglich auf das Merkmal des Alters anzuwenden ist. Diesbezüglich bildet § 10 AGG aber angesichts seiner im Vergleich zu § 8 Abs. 1 AGG niedrigeren Voraussetzungen den vorrangigen Maßstab.386 (d) Positive Maßnahmen Eine weitere Ausnahmevorschrift für das grundsätzliche Verbot ungleicher Behandlung wegen der geschützten Merkmale ist § 5 AGG.387 Danach ist „eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen“. Der Regelungszweck ist die Ermöglichung der gezielten Förderung bisher benachteiligter Gruppen.388 Nach der Gesetzesbegründung „sind gezielte Maßnahmen zur Förderung bisher benachteiligter Gruppen nicht nur durch den Gesetzgeber […], sondern auch durch Arbeitgeber, Tarifvertrags- und Betriebspartner sowie seitens der Parteien eines privatrechtlichen Vertrags“389 zulässig. Die § 5 AGG zugrunde liegenden Richtlinienbestimmungen390 gestatten indes nur dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber selbst, positive Maßnahmen zu ergrei383  von

Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 249. Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 249. 385  Zu der Frage, ob und inwieweit Kundenpräferenzen „legitime Ziele“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG und der zugrunde liegenden Richtlinienbestimmung sein können, später ausführlich unter D. V. 2. c) aa). 386  Siehe dazu später ausführlich unter D. V. 2. c) aa). 387  Vgl. dazu monografisch Burg Positive Maßnahmen (2009), passim. 388  BT-Drs. 16/1780, S. 34; vgl. dazu auch ErfK-Schlachter § 5 AGG Rn. 1. 389  BT-Drs. 16/1780, S. 34. 390  Art. 5 AntirassismusRL, Art. 7 BeschäftiggsRL, Art. 2 Abs. 8 GenderRL (nunmehr Art. 3 GenderNeuRL). 384  von

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

fen.391 Die wohl h. M.392 geht deshalb davon aus, dass positive Maßnahmen jeweils einer gesetzlichen Grundlage bedürften und die Delegation der mitgliedstaatlichen Ermächtigung zu Fördermaßnahmen von dem Gesetzgeber an die Tarifvertragsparteien oder gar an einzelne Arbeitgeber nicht europarechtskonform sei.393 Ein Beispiel für eine gesetzliche Regelung, die das LAG Niedersachen für gemäß § 5 AGG zulässig hielt, ist § 5a der Niedersächsischen Gemeindeordnung (NGO).394 Diese Norm sah vor,395 dass nur weibliche Gleichstellungsbeauftragte berufen werden können. Nach Auffassung des LAG Niedersachsen ließ sich die Ablehnung eines männlichen Bewerbers für die Tätigkeit einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten zwar nicht auf § 8 Abs. 1 AGG, jedoch auf § 5 AGG stützen.396 Dabei berücksichtigte das Gericht, „dass ein hoher Ausländeranteil, insbesondere auch von muslimischen Frauen, es geradezu gebietet, dass die Position durch eine Frau besetzt ist, da sonst keine Möglichkeit bestünde, mit diesen Frauen in Kontakt zu treten und Maßnahmen der Förderung, auch für das Arbeitsleben, zu erreichen“397. Die von der Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten angesprochene Zielgruppe, die „Kundschaft“, bevorzugte folglich eine weibliche Gleichstellungsbeauftragte. Das zeigt, dass Kundenpräferenzen im Rahmen des § 5 AGG grundsätzlich eine Rolle spielen können. Die nachfolgende Instanz, das BAG, hielt die Besetzung der Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten mit einer Frau indes für gemäß § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.398 Zur Begründung verwies das Gericht auf die von der Gleichstellungsbeauftragten durchzuführende Integrationsarbeit mit muslimischen Frauen und die Zusammenarbeit mit Frauenorganisationen, die die Kooperation mit einer weiblichen Gleichstellungsbeauftragten bevorzugten.399 Inwiefern unabhängig davon § 5a NGO mit höherrangigem Recht vereinbar ist, ließ das BAG ausdrücklich offen.400 Auf § 5 AGG ging es nicht ein. 391  Annuß BB 2006, 1629, 1634; Kamanabrou RdA 2006, 321, 333; ErfKSchlachter § 5 AGG Rn. 2 m. w. N., vgl. auch dies. GS Blomeyer (2003), 355, 364 f. 392  Kempter/Koch BB 2012, 3009, 3012. 393  So z. B. Annuß BB 2006, 1629, 1634; Kamanabrou RdA 2006, 321, 333; vgl. dazu auch ErfK-Schlachter § 5 AGG Rn. 2 m. w. N. zum Meinungsstand. 394  LAG Niedersachsen 05.12.2008  – 16 Sa 236/08 juris. 395  Die NGO ist inzwischen in dem Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) aufgegangen, das am 1. November 2011 in Kraft getreten ist. Regelungen zur Gleichstellungsbeauftragten finden sich nunmehr in §§ 8, 9 NKomVG. 396  LAG Niedersachsen 05.12.2008  – 16 Sa 236/08 juris Rn. 49 ff. 397  LAG Niedersachsen 05.12.2008  – 16 Sa 236/08 juris Rn. 77. 398  BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872. Siehe dazu ausführlich später unter E. III. 2. a) aa) (3) (b). 399  BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 875 f. 400  BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872.



III. Rechtliche Annäherung99

Auch wenn – wie die Ausführungen des LAG Niedersachsen zeigen – Kundenpräferenzen im Rahmen des § 5 AGG grundsätzlich eine Rolle spielen können, stehen bei Fördermaßnahmen nach § 5 AGG die Nachteilsausgleichung und die Nachteilsverhinderung, nicht aber die Bedienung von Kundenpräferenzen im Vordergrund. In diesem Sinne stellte auch das BAG im Hinblick auf die Begründung einer Benachteiligung unter Berufung auf Kundenpräferenzen auf § 8 Abs. 1 AGG und nicht auf § 5 AGG ab. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass im Schrifttum im Hinblick auf die Problematik der Europarechtskonformität vor seiner Heranziehung gewarnt wird,401 soll auf die genauere Untersuchung des § 5 AGG im Zusammenhang der Kundenpräferenzproblematik verzichtet werden. (2) Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung Die in Bezug auf die unmittelbare Benachteiligung genannten Rechtfertigungsgründe können auch zur Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung herangezogen werden. Der Gesetzgeber selbst ging jedoch davon aus, dass es auf sie bei der mittelbaren Benachteiligung regelmäßig nicht mehr ankomme.402 Dies liegt daran, dass eine mittelbare Benachteiligung bereits tatbestandlich ausgeschlossen ist, wenn die faktisch benachteiligenden Mittel „durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt“ und zu deren Erreichung „angemessen und erforderlich“ sind (§ 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG). Der Rechtfertigungsmaßstab bleibt deutlich hinter dem des § 8 Abs. 1 AGG zurück.403 Die Kundenpräferenzfrage stellt sich bei mittelbaren Benachteiligungen folglich in der Form, ob bzw. inwieweit sie dazu führen können, dass eine mittelbare Ungleichbehandlung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. dd) Maßnahmen gegenüber benachteiligenden Dritten Darüber hinaus ist noch die Bestimmung des § 12 Abs. 4 AGG zu erwähnen. Sie enthält eine Regelung für den Fall, dass Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt werden. Dann hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu er401  So z. B. Annuß BB 2006, 1629, 1634; Kamanabrou RdA 2006, 321, 333; vgl. außerdem Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583, 2588, die § 5 AGG als „hoch problematisch“ bezeichnen. 402  BT-Drs. 16/1780, S. 33. 403  MüKo-Thüsing § 3 AGG Rn. 39.

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

greifen.404 „Dritte“ im Sinne des § 12 Abs. 4 AGG sind beispielsweise Geschäftspartner des Arbeitgebers wie Kunden oder Lieferanten.405 Während diese Vorschrift also Schutzpflichten des Arbeitgebers für seine Beschäftigten bei benachteiligendem Verhalten der Kunden enthält, betrifft die Problematik der Kundenpräferenzen Fälle, in denen die Benachteiligung vom Arbeitgeber selbst ausgeht, wobei er sich freilich an Kundenwünschen ausrichtet. Das benachteiligende Verhalten von Kunden im Sinne von § 12 Abs. 4 AGG kommt zudem wohl nur in Form der (sexuellen) Belästigung in Betracht, mangels vertraglicher Beziehung zwischen Beschäftigtem und Kunden kann letzterer den Beschäftigten weder unmittelbar noch mittelbar benachteiligen.406 Nach alledem bildet der § 12 Abs. 4 AGG zwar keinen Maßstab für die Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen im Hinblick auf Kundenerwartungen. Gleichwohl lässt sich ihm die Wertung entnehmen, dass der Arbeitgeber sich im Falle benachteiligenden Kundenverhaltens grundsätzlich schützend vor seinen Beschäftigten zu stellen hat. c) Änderung früheren Rechts bei Inkrafttreten des AGG Die Verabschiedung des AGG wurde durch Änderungen anderer Gesetze flankiert.407 Der die Benachteiligung wegen des Geschlechts regelnde § 611a BGB a. F. wurde entbehrlich und aufgehoben.408 Ähnliches gilt für die detaillierte Regelung des § 81 Abs. 2 SGB IX a. F. in Bezug auf die Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter. Auch diese wurde mit Inkrafttreten des AGG überflüssig und ist somit durch einen Verweis auf das AGG ersetzt worden.409 Schließlich wurden die in § 75 Abs. 1 BetrVG aufgestellten Grundsätze für die Behandlung der im Betrieb tätigen Personen an die Terminologie des § 1 AGG angepasst.410 In dessen Insbesondere-Aufzählung der unzulässigen Differenzierungsmerkmale waren vor Inkrafttreten des AGG die Merkmale „Rasse oder ethnische Herkunft“, „Weltanschauung“, „Behinderung“ und „Alter“ nicht ausdrücklich genannt. Sie wurden nunmehr eingefügt. 404  Vgl. eingehend zu den Einwirkungsmöglichkeiten und Grenzen der Einwirkungspflicht des Arbeitgebers bei diskriminierendem Drittverhalten Schäfer Die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für diskriminierendes Verhalten Dritter (2013), S.  85 ff. 405  Wisskirchen DB 2006, 1491, 1496; vgl. auch Kamanabrou RdA 2006, 321, 334. 406  Kamanabrou RdA 2006, 321, 335; MüKo-Thüsing § 12 AGG Rn. 10. 407  Vgl. dazu MüKo-Thüsing (5. Aufl.) Einl. AGG Rn. 63 ff. 408  MüKo-Thüsing (5. Aufl.) Einl. AGG Rn. 73. 409  Vgl. ErfK-Rolfs § 81 SGB IX Rn. 6. 410  ErfK-Kania § 75 BetrVG Rn. 6; MüKo-Thüsing (5. Aufl.) Einl. AGG Rn. 67.



III. Rechtliche Annäherung101

3. Zusammenfassung der Ergebnisse der rechtlichen Annäherung Faktisch betrifft die Kundenpräferenzproblematik Dreiecks-Konstellationen, in denen der Arbeitgeber einen Beschäftigten angesichts tatsächlicher, vermeintlicher oder antizipierter Interessen seiner „Kunden“ in Bezug auf Personengruppen, die bestimmte Merkmale aufweisen oder nicht aufweisen, benachteiligt. Das Spektrum möglicher betroffener Kundeninteressen ist breit. Es reicht von dem Schutz der physischen oder psychischen Integrität und Vermögensinteressen über Glaubwürdigkeits- und Stimulierungsinteressen bis hin zu der Kultivierung bestimmter Überzeugungen. Der privatwirtschaftliche Arbeitgeber verfolgt in der Regel wirtschaftliche Interessen, bei gemeinnützigen Organisation oder auch dem Staat als Arbeitgeber stehen häufig gesellschaftliche, soziale oder politische Zielsetzungen im Mittelpunkt. Den von Arbeitgeber und Kunden verfolgten Differenzierungsinteressen steht das Gleichbehandlungsinteresse der Beschäftigten gegenüber. Auch vor Inkrafttreten des AGG gab es im deutschen Recht verschiedene rechtliche Regelungen, die einen Schutz vor Benachteiligungen gewährleisteten. Zentral waren die Regelungen des § 611a BGB a. F. und des § 81 Abs. 2 SGB IX a. F., die einen Benachteiligungsschutz nicht nur während und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auch bei Einstellungen gewährleisteten. Die Kundenpräferenzfrage stellte sich jeweils als Frage der Rechtfertigung, die zu bejahen war, wenn die Kundenwünsche eine unverzichtbare Voraussetzung (§ 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F.) bzw. eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung (§ 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 2 SGB IX a. F.) für die in Frage stehende Tätigkeit waren. Bei mittelbaren Benachteiligungen kam es darauf an, ob objektive Faktoren vorlagen, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bzw. der Behinderung zu tun hatten. Abgesehen von diesen beiden speziellen Diskriminierungsverboten für die Merkmale „Geschlecht“ und „Schwerbehinderung“ blieb es bei Einstellungen aber bei dem Grundsatz der Abschlussfreiheit. Bezüglich weiterer Merkmale wie z. B. Religion, Alter oder sexuelle Identität wurde der Diskriminierungsschutz insbesondere über die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln gewährleistet. Dieser Schutz wirkte sich praktisch vor allem bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen aus. Bei der Abwägung der kollidierenden Grundrechte waren die Kundenpräferenzen bei der Gewichtung der Unternehmerfreiheit bzw. der Privatautonomie des Arbeitgebers zu verorten. Speziell während des Arbeitsverhältnisses kam und kommt der Benachteiligungsschutz über § 75 BetrVG und der allgemeine Gleichbehandlungs-

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B. Einführung: Begriff und Problematik der Kundenpräferenzen

grundsatz zum Tragen, die im Zusammenhang mit der Kundenpräferenzfrage aber zu vernachlässigen sind. Seit Inkrafttreten des AGG ist der Diskriminierungsschutz in Bezug auf die Merkmale „Rasse oder ethnische Herkunft“, „Geschlecht“, „Religion oder Weltanschauung“, „Behinderung“, „Alter“ und „sexuelle Identität“ umfassend geregelt. Entscheidende Regelungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen sind in säkularen Arbeitsverhältnissen § 8 Abs. 1 AGG, § 10 S. 1 und 2 AGG sowie § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG. Für die Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen nach § 8 Abs. 1 AGG kommt es entscheidend darauf an, ob und inwieweit Kundenpräferenzen dazu führen können, dass das Innehaben eines geschützten Merkmals eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist. Bei der Rechtfertigung von Altersbenachteiligungen gemäß § 10 S. 1 und 2 AGG ist insbesondere zu prüfen, ob und inwieweit eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf Kundenpräferenzen ein legitimes Ziel sein kann. Bei der Prüfung der sachlichen Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung stellt sich vor allem die Frage, inwieweit die Berücksichtigung von Kundenpräferenzen dazu führen kann, dass ein rechtmäßiges Ziel im Sinne des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG vorliegt.

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht Die umfassenden Regelungen zu diskriminierenden Benachteiligungen im AGG kennt das deutsche Recht, wie dargelegt, erst seit einigen Jahren. Eine fortgeschrittene wissenschaftliche Diskussion zu der Frage der Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen ist nicht ersichtlich.1 Demgegenüber wird die Problematik der Diskriminierungsrechtfertigung – speziell auch im Hinblick auf Kundenpräferenzen – in den USA bereits seit Jahrzehnten ausgiebig diskutiert.2 Deshalb wird in diesem Kapitel ein Blick ins US-amerikanische Recht und auf den dortigen Umgang mit der Kundenpräferenzproblematik geworfen. Das Kapitel ist in fünf Teile gegliedert. Nach Klärung von Grund und Grenzen eines rechtsvergleichenden Blicks in das US-amerikanische Recht (dazu unter I.) wird die rechtliche Ausgangslage in den USA beleuchtet und die relevanten rechtlichen Regelungen werden identifiziert (dazu unter II.). Zentral ist die in Title VII des Civil Rights Act of 1964 („Title VII“) enthaltene sogenannte bona fide occupational qualification defense („BFOQ defense“), eine Rechtfertigungsmöglichkeit für unmittelbare Diskriminierungen (dazu unter III.). Mittelbare Diskriminierungen können unter den Voraussetzungen der business necessity defense des Title VII gerechtfertigt werden (dazu unter IV.). Abschließend werden die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst, die aus der Betrachtung der US-amerikanischen Erfahrungen im Umgang mit der Kundenpräferenzproblematik resultieren (dazu unter V.).

I. Grundlagen 1. Vorbildcharakter US-amerikanischer Antidiskriminierungsregelungen Die USA ist das „Mutterland des Antidiskriminierungsrechts“3. Daher verwundert es nicht, dass die rechtlichen Vorbilder der Rechtfertigungsrege1  Siehe zur Besprechung der Kundenpräferenzproblematik im deutschen Schrifttum unter E. IV. 2  Für eine Zusammenfassung der diesbezüglichen Rechtsprechung vor 30 Jahren vgl. Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 189 ff.; für einen aktuelleren Überblick vgl. Yuracko California Law Review 92 (2004), 147 ff. 3  Krause FS Adomeit (2008), 377, 378; vgl. zu der großen Bedeutung des Diskriminierungskonzeptes im US-amerikanischen Recht auch Rutherglen Virginia Law

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

lungen der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien4 bzw. des deutschen Antidiskriminierungsrechts, insbesondere des § 8 Abs. 1 AGG,5 aus dem US-amerikanischen Recht stammen. Die Vorreiterrolle des US-amerikanischen Antidiskriminierungsrechts spiegelt sich auch darin wider, dass die englischen Fassungen der europäischen Richtlinien teilweise wörtlich mit ihren amerikanischen Vorgängern übereinstimmen.6 2. Kein Rechtsvergleich im klassischen Sinn Dieser Blick soll freilich nicht rechtsvergleichend im engeren Sinne sein. Das methodische Grundprinzip der Rechtsvergleichung ist das der Funktionalität, nach Zweigert / Kötz kann man „Unvergleichbares […] nicht sinnvoll vergleichen, und vergleichbar ist im Recht nur, was dieselbe Aufgabe, dieselbe Funktion erfüllt“7. Das Antidiskriminierungsrecht fungiert in den USA in erster Linie als Kündigungsschutzrecht.8 Anders als das deutsche Recht kennt das US-amerikanische Recht auf Bundesebene keinen allgemeinen Kündigungsschutz.9 Vielmehr werden Arbeitsverträge im common law von der „at-will doctrine“ bestimmt: Danach ist ein für unbestimmte Zeit eingegangenes Arbeitsverhältnis jederzeit von beiden Seiten kündbar.10 Die wichtigste Einschränkung dieser Doktrin ergibt sich aus den Diskriminierungs­ ver­boten,11 diese werden in der Gerichtspraxis in erster Linie gegen Kündigungen geltend gemacht.12 Damit schützen sie rechtstatsächlich eher diejenigen vor diskriminierenden Benachteiligungen, die bereits einen Arbeitsplatz haben, als Arbeitssuchende.13 Demgegenüber wird der HauptanwendungsbeReview 81 (1995), 117: „The concept of discrimination dominates the law of civil rights, so much so that it lends its name to the entire field of employment discrimination law.“ 4  Vgl. dazu Schiek AuR 2003, 44, 48 f.; Thüsing International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2003, 187 ff.; ders. ZfA 2006, 241, 243 f. sowie Wiedemann/Thüsing NZA 2002, 1234, 1235. 5  Vgl. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 11; Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 6. 6  Körner NZA 2008, 497, 498; MüKo-Thüsing Einl. AGG Rn. 9; die Vorreiterrolle im Zusammenhang mit der Untersuchung von Reichweite und Grenzen des persönlichen und sachlichen Schutzbereichs des Antidiskriminierungsrechts betonend auch Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 21 f., 96, 405 f. 7  Zweigert/Kötz Rechtsvergleichung (1996), S. 33. 8  Vgl. auch Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 22, 94. 9  Thüsing NZA 2001, 939, 943. 10  Günzel/Heilmann RdA 2000, 341; Thüsing NZA 1999, 635, 637 m. w. N. 11  Tödtmann/Schauer NZA 2003, 1187, 1188; vgl. auch Günzel/Heilmann RdA 2000, 341; Thüsing NZA 1999, 635, 637. 12  Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 134 m. w. N. 13  Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 135.



I. Grundlagen105

reich des deutschen AGG im Schutz vor diskriminierenden Benachteiligungen bei Einstellungen gesehen.14 Schließlich nimmt der umfassende Kündigungsschutz in Deutschland funktionell bereits den Platz ein, der in den USA dem Diskriminierungsschutz zukommt.15 Folglich ist die Situation in Deutschland in rechtlicher Hinsicht nicht mit der in den beispielgebenden Vereinigten Staaten vergleichbar.16 Rechtshistorisch erwuchs die US-amerikanische Antidiskriminierungsgesetzgebung 1964 aus einem der vielen Versuche, die Folgen der Sklaverei zu bekämpfen.17 Zu diesem Zeitpunkt war ca. ein Fünftel der Bevölkerung schwarz und die Chancen waren noch immer nach Hautfarben ungleich verteilt.18 Ausgangspunkt der europäischen und deutschen Antidiskriminierungsgesetze war hingegen die Bekämpfung der Geschlechtsdiskriminierung.19 Dementsprechend wird dem Geschlecht unter den durch das AGG geschützten Merkmalen eine historische Schlüsselrolle zugeschrieben.20 Seit 1976 ist das Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts gemeinschaftsrechtlich verankert,21 der Grundsatz der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen war sogar schon in der Urfassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von 1957 enthalten,22 Art. 119 EWG (nunmehr: Art. 157 Abs. 1 AEUV23). Vor Inkrafttreten des AGG war das zentrale arbeitsrechtliche Diskriminie14  Adomeit 15  Thüsing

NJW 2006, 2169, 2170. ZfA 2001, 397, 398; vgl. auch Kuras RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5,

11, 13. 16  Reichold/Hahn/Heinrich NZA 2005, 1270, 1272 Fn. 24 m. w. N. Unterschiede zwischen deutschem und amerikanischem Antidiskriminierungsrecht zeigen sich zudem insbesondere auf der Ebene der Rechtsfolgen. So können im US-amerikanischen Recht z. B. über den Ersatz des tatsächlichen Schadens („compensatory damages“) hinaus unter bestimmten Voraussetzungen „punitive damages“ geltend gemacht werden, vgl. im Einzelnen 42 U.S.C. § 1981a(b)(1). In der Höhe sind sie begrenzt, die Grenze richtet sich nach der Zahl der beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer und beträgt maximal 300.000 US-$, vgl. 42 U.S.C. § 1981a(b)(3). Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die US-amerikanischen Gerichte im Falle einer diskriminierenden Nicht-Einstellung anordnen können, dass der Arbeitgeber die diskriminierte Person einstellt, 42 U.S.C. § 2000e-5(g)(1). Ein instruktiver Überblick über die Rechtsmittel in Diskriminierungsfällen findet sich auf der Homepage der US-amerikanischen Gleichstellungsbehörde Equal Opportunity Employment Commission, abrufbar unter http://www.eeoc.gov/employees/remedies.cfm (Abruf vom 26.07.2015). 17  Schiek AuR 2003, 44, 48. 18  Schiek AuR 2003, 44, 48. 19  Högenauer Richtlinien gegen Diskriminierung (2002), S. 29; MünchArb-Oetker § 13 Rn. 11, 14; vgl. auch Raasch KJ 2004, 394, 402. 20  Rolfs/Wessel NJW 2009, 3329. 21  Rolfs/Wessel NJW 2009, 3329. 22  Dazu auch später unter D. II. 1. 23  Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. C 115 vom 09.05.2008, S. 47–199.

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

rungsverbot in Deutschland in § 611a BGB a. F. geregelt, der Benachteiligungen wegen des Geschlechts untersagte. Insofern besteht der größte Unterschied zum US-amerikanischen Recht wohl in dem historischen Vorrang des Verbots der Geschlechterdiskriminierung vor dem der Diskriminierung wegen der Rasse.24 3. US-amerikanisches Recht als Inspirationsquelle Mangels vergleichbarer rechtlicher Rahmenbedingungen25 soll der Blick ins US-amerikanische Recht somit nicht klassisch rechtsvergleichend sein, sondern vielmehr als Ideengeber dienen. Es soll darum gehen, Problemkreise und mögliche Fallgruppen zu identifizieren und zu strukturieren. Die im US-amerikanischen Recht entwickelten Lösungsansätze können als Inspirationsquelle dienen. Dabei sollen gezielt die US-amerikanischen Regelungen in den Blick genommen werden, die als Vorlagen für die europäischen Rechtfertigungsregelungen in den Richtlinien bzw. der für die Kundenpräferenzproblematik maßgeblichen Rechtfertigungsregelungen des deutschen Rechts dienten.

II. Gesetzliche Ausgangslage Das US-amerikanische Recht enthält auf bundesstaatlicher Ebene gesetzliche Regelungen, die die Diskriminierung auf Grund der Merkmale Rasse und Hautfarbe, Geschlecht, Religion, nationaler Ursprung, Alter und Behinderung verbieten.26 Im Vergleich mit den Antidiskriminierungsrichtlinien und dem AGG springen zunächst zwei Unterschiede ins Auge: Erstens existiert in den USA auf nationaler Ebene bislang27 kein Benachteiligungsverbot wegen der sexuellen Identität. Allerdings enthalten bereits einige 24  Schiek AuR 2003, 44, 49. Zu der Frage einer Merkmalshierarchie indes später unter D. V. 1. 25  Diese Voraussetzung einer modellhaften Übertragung von in einem anderen Rechtskreis gefundenen Lösungsmodellen unterstreichen auch Leder/Thüsing NZA 2011, 188. 26  Für einen kompakten Überblick über die Rechtsquellen des US-amerikanischen arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts siehe Haggard Employment Discrimination (2008), S. 3 ff.; vgl. außerdem Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 97 ff. 27  Der Employment Non-Discrimination Act („ENDA“), ein Gesetz gegen die Diskriminierung von Homosexuellen am Arbeitsplatz, wurde seit 1994 nahezu in jeder Legislaturperiode des US-Kongresses eingebracht. Zuletzt billigte der Senat den ENDA am 7. November 2013, im (von den Republikanern dominierten) Repräsentantenhaus scheiterte der Gesetzesentwurf jedoch.



II. Gesetzliche Ausgangslage107

Landesgesetze und Gemeindeordnungen Verbote wegen der sexuellen ­Orientierung.28 Zweitens ist im AGG und in den ihm zugrunde liegenden Gleichbehandlungsrichtlinien kein ausdrückliches Benachteiligungsverbot wegen des nationalen Ursprungs geregelt. Dafür ist aber die Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft verboten. Laut Gesetzesbegründung zum AGG ist das Merkmal der ethnischen Herkunft weit zu verstehen und bezieht sich insbesondere auch auf Benachteiligungen wegen der Hautfarbe oder des nationalen Ursprungs.29 Damit sind die Unterschiede – jedenfalls hinsichtlich der geschützten Merkmale – nicht ganz so groß, wie es auf den ersten Blick scheint. Die angesprochenen Diskriminierungsverbote finden sich im Title VII des Civil Rights Act of 1964 („Title VII“), im Age Discrimination in Employment Act of 1967 („ADEA“) sowie im Americans with Disabilities Act of 1990 („ADA“).30 1. Title VII des Civil Rights Act of 1964 Die Diskriminierungsverbote wegen der Merkmale Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht und nationaler Ursprung sind in Title VII geregelt. a) Diskriminierungsverbote Title VII ist das zentrale und elementare US-amerikanische Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz.31 Er besagt: „It shall be an unlawful employment practice for an employer to fail or to refuse to hire or to discharge any individual, or otherwise to discriminate against any individual with respect to his compensation, terms, conditions, or privileges of employment, because of such individual’s race, color, religion, sex, or national origin.“32

Demzufolge verbietet Title VII Diskriminierung in allen Phasen des Arbeitsverhältnisses und erfasst insbesondere die Einstellung und die Kündi28  Haggard Employment Discrimination (2008), S. 7; Thüsing/Leder NZA 2006, 1314, 1315. 29  BT-Drs. 16/1780, S. 31. 30  Vgl. instruktiv dazu Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S.  6 ff. 31  Vgl. Baker International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2005, 591, 600: „bedrock of US employment discrimination law“; Holmes University of Cincinnati Law Review 69 (2000–2001), 299, 302: „landmark federal employment discrimination statute“; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 170: „primary federal statute providing protection against workplace discrimination“; Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S. 210: „single most important enactment in employment discrimination law“. 32  42 U.S.C. § 2000e-2(a)(1).

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

gung.33 Eine Definition des Diskriminierungsbegriffs enthält Title VII nicht. Die Rechtsprechung unterscheidet jedoch zwischen Fällen des „disparate treatment“ und des „disparate impact“.34 Der Ansatz des disparate treatment fragt nach dem Motiv des Arbeitgebers und bejaht eine Diskriminierung, wenn der Arbeitgeber bewusst wegen eines bestimmten Merkmals benachteiligt hat.35 Deswegen ist auch von „intentional discrimination“ die Rede,36 das disparate treatment entspricht dem Konzept der unmittelbaren Benachteiligung.37 Ebenso schützt Title VII vor Fällen des disparate impact.38 Entsprechend dem Modell der mittelbaren Diskriminierung nach deutscher Terminologie reicht dabei eine rein faktische Benachteiligung aus.39 b) Rechtfertigungsmöglichkeiten Die Diskriminierungsverbote gelten nicht absolut. In Bezug auf die Ausnahmenbestimmungen ist zwischen den Formen des disparate treatment (dazu unter aa]) und des disparate impact (dazu unter bb]) zu unterscheiden. aa) Rechtfertigung einer disparate treatment Diskriminierung Unter bestimmten Umständen, nämlich wenn eine sogenannte bona fide occupational qualification („BFOQ“) vorliegt, kann eine unmittelbare Benachteiligung ausnahmsweise gerechtfertigt sein:

33  So auch Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 170 sowie Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S. 6. 34  Raytheon Co. v. Hernandez 540 U.S. 44, 52 (2003); vgl. außerdem Interna­ tional Brotherhood of Teamsters v. United States 431 U.S. 324, 335 Fn. 15 (1977) sowie Schneyder University of Michigan Journal of Law Reform 31 (1997–1998), 551, 554 für eine gute Erklärung der Unterschiede zwischen disparate treatment und disparate impact. 35  Thüsing/Leder NZA 2006, 1314, 1315. 36  Grover Georgia Law Review 30 (1995–1996), 387, 402. 37  Defeis Georgia Journal of International and Comparative Law 32 (2004), 73, 84; vgl. Thüsing NZA 1999, 693, 694; Waddington/Hendriks International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2002, 403, 405. 38  Zu der Entwicklung dieser Rechtsfigur durch die US-amerikanischen Gerichte vgl. Belton Hofstra Labor & Employment Law Journal 22 (2005), 431, 434 ff.; Grover Georgia Law Review 30 (1995–1996), 387, 389 ff.; Rutherglen Fordham Law Review 74 (2006), 2313, 2314 ff. 39  Thüsing/Leder NZA 2006, 1314, 1315; vgl. auch Defeis Georgia Journal of International and Comparative Law 32 (2004), 73, 84; Waddington/Hendriks International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2002, 403, 405.



II. Gesetzliche Ausgangslage109 „Notwithstanding any other provision of this subchapter […] it shall not be an unlawful employment practice for an employer to hire and employ employees […] on the basis of his religion, sex, or national origin in those certain instances where religion, sex, or national origin is a bona fide occupational qualification reasonably necessary to the normal operation of that particular business or enterprise.“40

Auffällig ist der eingeschränkte Anwendungsbereich der BFOQ-Ausnahme: Sie gilt nicht für die Merkmale Rasse und Hautfarbe, sodass eine diesbezügliche Benachteiligung uneingeschränkt verboten ist und nicht gerechtfertigt werden kann.41 In der Praxis kommt der BFOQ-Ausnahme für die Geschlechtsdiskriminierung die größte Bedeutung zu.42 Obwohl auch Benachteiligungen wegen des nationalen Ursprungs und der Religion im Hinblick auf die BFOQ-Ausnahme gerechtfertigt werden können, spielt dies praktisch nahezu keine Rolle.43 Die Gründe dafür sind unterschiedlich:44 Das Merkmal des nationalen Ursprungs ist nur schwer von dem der Rasse zu trennen, wobei Benachteiligungen wegen der Rasse nicht gerechtfertigt werden können. Im Hinblick auf Benachteiligungen wegen der Religion hingegen existieren eine Reihe weiterer Ausnahmen, weshalb die BFOQAusnahme auch hier praktisch nicht relevant ist.45 Speziell für religiöse Organisationen hält Title VII – wie auch § 9 AGG46 – besondere, weitergehende Rechtfertigungsgründe bereit.47 Die insgesamt eher untergeordnete praktische Bedeutung der Benachteiligung wegen des Merkmals Religion lässt sich auch an der Statistik der Equal Opportunity Employment Commission („EEOC“)48 ablesen: Im Jahr 2014 machte sie lediglich 4,0 % aller angezeigten Verstöße gegen bundesstaatliche Diskriminierungsverbote aus.49 Am häufigsten wurden Diskriminierungen wegen des Merkmals Rasse angezeigt (35,0 %), gefolgt von Benachteiligungen wegen der Merkmale Geschlecht (29,3 %), Behinderung (28,6 %), Alter (23,2 %), nationaler Ursprung 40  42

U.S.C. § 2000e-2(e)(1). Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 340 m. w. N. zur Rspr. 42  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 476. 43  Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 140; vgl. auch Lewis/Ottley Ohio State Law Journal 44 (1983), 45, 84. 44  Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 140. 45  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 477: „religion is rarely advanced as a BFOQ“. 46  Siehe dazu bereits unter B. III. 2. b) cc) (1) (b). 47  Vgl. dazu Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S. 148. 48  Siehe zu Aufgaben, Stellung und Kompetenzen der EEOC sogleich unter C. III. 2. 49  Die Statistiken der EEOC sind abrufbar unter http://www.eeoc.gov/eeoc/ statistics/enforcement/charges.cfm (Abruf vom 26.07.2015). 41  Stegura

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

(10,8 %) und Hautfarbe (3,1 %).50 Im Vergleich zu den anderen von Title VII geregelten, der BFOQ-Ausnahme zugänglichen Benachteiligungsverboten kommt dem Geschlechtsdiskriminierungsverbot in der Praxis bei Weitem die größte Bedeutung zu. Daher konzentriert sich auch die Kontroverse im Schrifttum auf die Geschlechter-BFOQ.51 bb) Rechtfertigung einer disparate impact Diskriminierung Der Haftung für eine mittelbare Diskriminierung kann sich der Arbeitgeber mit Hilfe der sogenannten business necessity defense52 entziehen. Diese Rechtfertigungsmöglichkeit wurde von der Rechtsprechung entwickelt.53 1991 wurde sie in Title VII im Rahmen der Regelungen zur Beweislastverteilung auch gesetzlich anerkannt. Danach gilt: „An unlawful employment practice based on disparate impact is established under this subchapter only if – (i)  a complaining party demonstrates that a respondent uses a particular employment practice that causes a disparate impact on the basis of race, color, religion, sex, or national origin and the respondent fails to demonstrate that the challenged practice is job related for the position in question and consistent with business necessity.“54

Anders als die BFOQ-Ausnahme steht die business necessity defense auch in Fällen der Diskriminierung wegen der Rasse oder der Hautfarbe offen.55 Die genaue Reichweite dieser Ausnahme ist allerdings unklar.56 Vor 50  Die Summe der angeführten Prozentzahlen beträgt über 100  %. Dies ist damit zu erklären, dass einzelne Personen in einer Anzeige häufig Benachteiligungen wegen mehrerer Merkmale geltend machen. Daher ist die Gesamtzahl der Anzeigen, die von der EEOC als 100 % genommen wurde, geringer als die Summe der auf die Merkmale aufgeschlüsselten gezählten Verstöße gegen bestimmte Diskriminierungsverbote. 51  Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S. 129: „[I]t is the BFOQ for sex in Title VII that has proved to be most controversial.“ Für einen kompakten Überblick über die vertretenen Positionen und vorgebrachten Argumente vgl. Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 203 ff. m. w. N. 52  „Business necessity“ wird dabei in Anlehnung an Grover Georgia Law Review 30 (1995–1996), 387 Fn. 2 als Überbegriff für die beiden, auch im Gesetzestext angesprochenen Konzepte der „business necessity“ und der „job relatedness“ verwendet. 53  Belton Hofstra Labor & Employment Law Journal 22 (2005), 431, 446 m. w. N. 54  42 U.S.C. § 2000e-2(k)(1)(A)(α). 55  Grover Georgia Law Review 30 (1995–1996), 387, 402 Fn. 46. 56  Ayres California Law Review 95 (2007), 669, 671; Rutherglen Fordham Law Review 74 (2006), 2313, 2317; Wax William and Mary Law Review 53 (2011), 621, 625 f.; vgl. dazu auch Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009),



II. Gesetzliche Ausgangslage111

allem die Bedeutung des Begriffes „necessity“ ist umstritten. Nicht geklärt ist, ob die diskriminierende Maßnahme unbedingt notwendig bzw. wesentlich („essential“) für die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Unternehmens sein muss.57 Somit geht es darum, ob an die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung vergleichbar strenge Anforderungen wie an die der unmittelbaren Diskriminierung zu stellen sind, ob der business necessityMaßstab also dem der BFOQ-Ausnahme entspricht.58 Laut Thüsing / Leder kann der Arbeitgeber mit Hilfe der business necessity defense die Haftung vermeiden, „wenn er beweist, dass eine unterschiedliche Behandlung seiner Beschäftigten durch wirtschaftliche Notwendigkeiten unumgänglich war“59. Unabhängig von den konkreten Voraussetzungen wird deutlich, dass der business necessity-Maßstab jedenfalls strenger ist,60 als der der sachlichen Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung nach europäischem und deutschem Recht. Die Problematik der Kundenpräferenzen wird im Zusammenhang mit der business necessity defense vor allem bei Spracherwartungen des Arbeitgebers sowie bei Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild der Beschäftigten angesprochen.61 c) Vorbildfunktion des Title VII Die in den USA so bezeichnete Problematik der customer bzw. consumer62 preferences wird nahezu ausschließlich im Rahmen der BFOQ-Ausnahme des Title VII diskutiert. Die Bedeutung der Kundenpräferenzthematik für die BFOQ-Ausnahme stellt Cantor heraus: „Ultimately, all BFOQ defenses are based on consumer prefences.“63 In dieser Klarheit konstatiert auch Frank, „all BFOQs can be characterized as a capitulation to customer 287, 300; Flagg Yale Law Journal 104 (1995), 2009, 2022 sowie Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 200 f. 57  Grover Georgia Law Review 30 (1995–1996), 387. 58  Dafür Grover Georgia Law Review 30 (1995–1996), 387, 401 ff. m. w. N. auch zur a. A.; vgl. auch Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 341: „The BFOQ defense is closely related to the ‚business necessity‘ defense, […].“ Siehe aber auch die grundlegende Kritik an dem business necessity-Test und der eher strengen Interpretation durch die Rechtsprechung bei Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 212 ff. 59  Thüsing/Leder NZA 2006, 1314, 1315. 60  Vgl. auch Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 287, der den business necessity-Maßstab sogar für strenger als die BFOQ-Ausnahme hält. 61  Siehe dazu später unter C. IV. 3. und 4. 62  Soweit ersichtlich, gebraucht einzig Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493 ff. den Terminus der „consumer preferences“, sonst beziehen sich die Autoren durchgehend auf „costumer preferences“. 63  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 509.

112

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

preference“64. Demzufolge handelt es sich bei der BFOQ-Ausnahme des Title VII um die für die Kundenpräferenzfrage zentrale Vorschrift. Angesichts der angesprochenen praktischen und theoretischen Bedeutung der Geschlechter-BFOQ wird der Fokus auf eben diese Geschlechter-BFOQ gerichtet sein. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der business necessity defense soll indes angesichts der dargestellten Unterschiede zu den europäischen und deutschen Bestimmungen nicht erfolgen. Lediglich die Problemkreise der Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild des Beschäftigten und der Spracherwartungen des Arbeitgebers sollen näher beleuchtet werden.65 2. Age Discrimination in Employment Act of 1967 Die Bestimmungen zum Schutz vor Altersdiskriminierungen sind im ADEA enthalten. Seine zentralen Regelungen entsprechen nahezu wörtlich denen des Title VII.66 In diesem Sinne stellte auch der U.S. Supreme Court fest: „In fact, the prohibitions of the ADEA were derived in haec verba from Title VII.“67 a) Diskriminierungsverbot Das Diskriminierungsverbot des ADEA lautet: „It shall be unlawful for an employer to fail or refuse to hire or to discharge any individual or otherwise discriminate against any individual with respect to his compensation, terms, conditions, or privileges of employment, because of such individual’s age.“68

Wie Title VII bietet auch der ADEA umfassenden Schutz in allen Phasen des Arbeitsverhältnisses.69 Es sind jedoch drei Aspekte hervorzuheben, in Bezug auf die der ADEA sich von Title VII bzw. von dem durch die BeschäftiggsRL und das AGG gewährten Benachteiligungsschutz unterscheidet. Die Reichweite des ADEA ist eingeschränkt.70 Erstens schützt er, anders als die BeschäftiggsRL und das AGG, nicht alle Altersgruppen vor Benach64  Frank

University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 490. beiden Problemkreise spielen auch in der deutschen Rechtsprechung eine große Rolle, siehe dazu später insbesondere unter E. III. 2. b) und c). 66  Eglit Boston University Law Review 66 (1986), 155, 166; Johnson Hastings Law Journal 55 (2003–2004), 1399, 1402, 1408; Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 142; Sturgeon Duke Law Journal 56 (2007), 1377, 1388. 67  Lorillard, Div. of Loew’s Theatres, Inc. v. Pons 434 U.S. 575, 584 (1978). 68  29 U.S.C. § 623(a)(1). 69  Vgl. Eglit Boston University Law Review 66 (1986), 155, 161. 70  Vgl. dazu auch Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S.  136 f. 65  Diese



II. Gesetzliche Ausgangslage113

teiligungen, sondern lediglich Beschäftigte ab dem vierzigsten Lebensjahr.71 Zweitens wirkt dieser Schutz innerhalb der geschützten Personengruppe nach der Rechtsprechung nicht zugunsten eines jüngeren Beschäftigten,72 der 65-jährige darf also zu Lasten des 45-jährigen bevorzugt werden. Somit bietet der ADEA einen relativen Schutz älterer Beschäftigter. Drittens war bis zu einer klärenden Entscheidung des U.S. Supreme Court im Jahr 2005 lange Zeit unklar, ob der ADEA nur die unmittelbare (disparate treatment) Diskriminierung untersagt, oder ob er auch die mittelbare (disparate impact) Diskriminierung erfasst.73 In Smith v. City of Jackson hat der oberste Gerichtshof festgestellt, dass der ADEA grundsätzlich auch vor mittelbaren Benachteiligungen schütze.74 Die jahrzehntelange Unklarheit über den Schutz mittelbarer Benachteiligungen, die Begrenzung der geschützten Personengruppe auf Beschäftigte ab vierzig sowie der nur relativ zugunsten älterer Beschäftigter wirkende Schutz sind Ausdruck eines abgeschwächten Schutzniveaus bei der Altersdiskriminierung.75 Das im Vergleich zu Title VII abgeschwächte Schutzniveau spiegelt sich auch auf Rechtfertigungs­ ebene wider. b) Rechtfertigungsmöglichkeiten Bevor auf die Unterschiede zu Title VII einzugehen ist, ist zunächst eine bedeutende Gemeinsamkeit herauszustellen. Auch der ADEA enthält eine BFOQ-Ausnahme,76 die der des Title VII entspricht. Der Alters-BFOQ kommt neben der Geschlechter-BFOQ in der Praxis die größte Bedeutung zu.77 Nichtsdestotrotz unterscheidet sich der ADEA auf der Ebene der 71  29

U.S.C. § 631(a); vgl. dazu auch MüKo-Thüsing § 1 AGG Rn. 86. Dynamics Land Systems, Inc. v. Cline 540 U.S. 581, 590 (2000); vgl. dazu auch Thüsing/Leder NZA 2006, 1314 f. 73  Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 143: „persistent doubts about the application of the theory of disparate impact claims to the ADEA“; in diesem Sinne auch Holladay Duke Journal of Constitutional Law & Public Policy Sidebar 1 (2006), 17, 18: „confusing legal landscape“; ausführlich dazu außerdem Holmes University of Cincinnati Law Review 69 (2000–2001), 299 ff. Zur Entwicklung der diesbezüglichen Rechtsprechung vgl. Johnson Hastings Law Journal 55 (2003–2004), 1399, 1410 ff.; Sturgeon Duke Law Journal 56 (2007), 1377, 1384 ff. 74  Smith v. City of Jackson 544 U.S. 228 (2005); vgl. dazu Rutherglen Fordham Law Review 74 (2006), 2313, 2330 ff.; Sturgeon Duke Law Journal 56 (2007), 1377, 1386 ff. 75  Vgl. Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 142 f.; Sturgeon Duke Law Journal 56 (2007), 1377, 1390. 76  29 U.S.C. § 623(f)(1). 77  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 476; Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 140; vgl. aus dem Schrifttum speziell zur Alters-BFOQ z. B. Fischman Michigan Law Review 85 (1986–1987), 72  General

114

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Rechtfertigungsmöglichkeiten wesentlich von Title VII.78 Die Ausnahmen im ADEA sind weiter gefasst.79 Angesichts dessen konstatiert Rutherglen: „[T]he prohibition against age discrimination in the ADEA seems often to be overwhelmed by the exceptions.“80 Neben der BFOQ können insbesondere auch reasonable factors other than age („RFOA“) eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.81 Title VII enthält keine vergleichbare Bestimmung.82 Als Orientierungshilfe in Bezug auf den Umgang mit Fragen der Kundenpräferenzen kann die RFOA-Ausnahme aus mehreren Gründen nicht dienen. Zunächst wirft sie mehr Fragen auf, als sie Lösungen bereithält. Im Schrifttum wurde bereits 1986 ein „lack of both judicial analysis and scholarly examination“83 konstatiert und auch zwanzig Jahre später, im Jahr 2006, heißt es immer noch: „The RFOA has always been something of a puzzle […].“84 Der U.S. Supreme Court befasste sich in zwei jüngeren Entscheidungen zur mittelbaren Diskriminierung mit dieser Ausnahmebestimmung. In dem bereits angesprochenen Urteil Smith v. City of Jackson aus dem Jahr 2005 erkannte das Gericht zwar grundsätzlich an, dass der ADEA auch vor mittelbaren Benachteiligungen schütze.85 Gleichzeitig machte es aber deutlich, dass eine mittelbare Diskriminierung im Hinblick auf die RFOA-Ausnahme leichter zu rechtfertigen sei, als eine mittelbare Benachteiligung nach Title VII, die an dem strengeren Maßstab der business necessity gemessen werde.86 Eine der RFOA-Ausnahme entsprechende Bestimmung enthalte Title VII gerade nicht.87 Geklärt ist demzufolge nur, dass die Rechtfertigung nach der RFOA-Ausnahme weniger strenge Voraussetzungen als die nach der business necessity defense hat.88 Offen bleiben nach Smith v. City of Jackson hingegen die Fragen, wann ein 330 ff.; Ryan Chicago Kent Law Review 57 (1981), 1145 ff.; Schiff St. John’s Law Review 67 (1993), 13 ff.; Virtue American University Law Review 31 (1981–1982), 391ff; Wells May Vanderbilt Law Review 38 (1985), 1345 ff. 78  Vgl. Johnson Hastings Law Journal 55 (2003–2004), 1399, 1409. 79  Thüsing ZfA 2001, 397, 409; für einen guten Überblick über die Ausnahmen nach dem ADEA vgl. Haggard Employment Discrimination (2008), S. 238 ff. 80  Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 142. 81  29 U.S.C. § 623(f)(1). Vgl. dazu auch Hahn Altersdiskriminierung (2006), S.  120 f. sowie von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 25 ff. 82  Johnson Hastings Law Journal 55 (2003–2004), 1399, 1404. 83  Eglit Boston University Law Review 66 (1986), 155, 157. 84  Rutherglen Fordham Law Review 74 (2006), 2313, 2332. 85  Smith v. City of Jackson 544 U.S. 228, 232 (2005). 86  Vgl. Smith v. City of Jackson 544 U.S. 228, 243 (2005). 87  Vgl. Smith v. City of Jackson 544 U.S. 228, 233 (2005). 88  Vgl. Thüsing/Leder NZA 2006, 1314, 1315.



II. Gesetzliche Ausgangslage115

Faktor „reasonable“ im Sinne der RFOA-Ausnahme ist und wer hierfür die Darlegungs- und Beweislast trägt.89 Die zweite Frage beantwortete der U.S. Supreme Court im Jahr 2008 in der Entscheidung Mecham v. Knolls Atomic Power Laboratory zulasten des Arbeitgebers: Dieser hat das Vorliegen eines RFOA zu beweisen.90 Ungeklärt ist aber weiterhin, wann ein Faktor „reasonable“ ist.91 Die Behandlung der RFOA-Ausnahme im US-amerikanischen Recht kann auch aus einem weiteren Grund nicht als Inspirationsquelle dienen: Sie unterscheidet sich in Wortlaut und Reichweite von der in § 10 AGG und dem zugrunde liegenden Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL enthaltenen Rechtfertigungsregelung für Altersdiskriminierungen. Nach dem Wortlaut der englischen Fassung des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL sind Ungleichbehandlungen wegen des Alters zulässig, „if they are objectively and reasonably justified by a legitimate aim, […] and if the means of achieving that aim are appropriate and necessary“. Diese Formulierung unterscheidet sich deutlich von der RFOA-Ausnahme des ADEA. Danach ist eine Ungleichbehandlung wegen des Alters zulässig, „where the differentiation is based on reason­able factors other than age“92. Zudem besteht die erleichterte Rechtfertigungsmöglichkeit nach europäischem und deutschem Recht gerade in Fällen der unmittelbaren Altersbenachteiligung. Ob eine unmittelbare Diskriminierung hingegen nach dem ADEA unter den erleichterten Voraussetzungen der RFOA-Ausnahme möglich ist, ist nicht geklärt; als Hauptargument dagegen wird vorgebracht, dass eine unmittelbare Altersdiskriminierung bereits per definitionem an das Merkmal des Alters anknüpfe, was das Beruhen auf einem „reasonable factor other than age“ ausschließe.93 Auch die Urteilsgründe im Urteil Smith v. City of Jackson deuten in diese Richtung: Dass der ADEA auch vor mittelbarer Diskriminierung schützt, wird mit der Existenz der RFOA begründet, die andernfalls keinen Sinn ergebe.94 Somit spricht viel dafür, dass sich die Zulässigkeit unmittelbarer Altersdiskriminierungen im US-amerikanischen Recht nach den strengen Voraussetzungen 89  Thüsing/Leder

NZA 2006, 1314, 1315. v. Knolls Atomic Power Laboratory 554 U.S. 84, 93 (2008); vgl. dazu auch Leder/Thüsing NZA 2011, 188, 192. 91  Daher änderte die Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) am 30. März 2012 ihre Richtlinien zur Auslegung des ADEA dehingehend, dass die RFOA-Ausnahme genauer definiert wurde, 29 C.F.R. § 1625.7. Siehe zur Rolle der EEOC und zu der Bedeutung ihrer Richtlinien sogleich unter C. III. 2. 92  29 U.S.C. § 623(f)(1). 93  Vgl. dazu Thüsing ZfA 2001, 397, 409 f. m. w. N. 94  Smith v. City of Jackson 544 U.S. 228, 238 f. (2005). Auch die EEOC-Richtlinien bestimmen für die RFOA-Ausnahme seit dem Jahr 2012, dass sie bei unmittelbaren Diskriminierungen nicht anwendbar ist, 29 C.F.R. § 1625.7(b). 90  Mecham

116

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

der BFOQ-Ausnahme bemisst.95 Auch die Frage der Benachteiligungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen wird – soweit überhaupt als solche diskutiert96 – im Rahmen der BFOQ-Ausnahme angesprochen.97 c) Vorbildfunktion des ADEA Zusammenfassend unterscheidet sich das US-amerikanische Recht der Altersdiskriminierung in mehreren Punkten deutlich von den europäischen und deutschen Bestimmungen: Erstens bietet das US-amerikanische Recht keinen Diskriminierungsschutz für alle Altersgruppen, sondern nur für Beschäftigte ab dem vierzigsten Lebensjahr und nur relativ zugunsten älterer Beschäftigter. Zweitens ist die unmittelbare Diskriminierung nicht unter erleichterten Voraussetzungen zu rechtfertigen. Drittens ist die erleichterte Rechtfertigungsmöglichkeit bei mittelbaren Benachteiligungen nicht mit der entsprechenden europäischen und deutschen Regelung vergleichbar. Angesichts dessen sowie angesichts der im US-amerikanischen Recht bestehenden Unklarheiten soll es nicht als Ideengeber für den Umgang mit Kundenpräferenzen bezüglich des Alters dienen. 3. Americans with Disabilities Act of 1990 Im ADA ist der Schutz vor diskriminierenden Benachteiligungen wegen des Merkmals „Behinderung“ geregelt. a) Diskriminierungsverbot Wie der ADEA ist auch der ADA in seinem Diskriminierungsverbot Title VII nachempfunden.98 Das Diskriminierungsverbot des ADA lautet: „No covered entity shall discriminate against a qualified individual on the basis of disability in regard to job application procedures, the hiring, advancement, or discharge of employees, employee compensation, job training, and other terms, conditions, and privileges of employment.“99 95  So ohne Zweifel Hahn Altersdiskriminierung (2006), S. 121 sowie von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 27; vgl. außerdem Thüsing ZfA 2001, 397, 409 f. 96  Vgl. auch Temming Altersdiskriminierung (2008), S. 463, demgemäß der Gesichtspunkt der Kundenpräferenzen „bei Altersdiskriminierungen im Geltungsbereich des ADEA eine sehr untergeordnete Rolle“ spielt. 97  Vgl. dazu Browne Loyola of Los Angeles Entertainment Law Review 23 (2002–2003), 125 ff. 98  Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S. 229. 99  42 U.S.C. § 12112(a).



II. Gesetzliche Ausgangslage117

In Title VII- oder ADEA-Fällen ist selten problematisch, ob jemand Inhaber des geschützten Merkmals ist, also z. B. ein bestimmtes Geschlecht hat oder älter als vierzig Jahre ist.100 Die Zugehörigkeit zu einer geschützten Personengruppe ist vergleichsweise leicht festzustellen. Anders stellt sich die Situation jedoch bei dem ADA dar. Ob eine Behinderung101 vorliegt und der Kläger der geschützten Personengruppe angehört, war in der Vergangenheit die zentrale in Bezug auf den ADA diskutierte Streifrage: „[W]hether one falls within this category is the primary if not exclusive issue in a large percentage of the litigated cases.“102 Zwar wurde die Definition der Behinderung durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2008 beträchtlich ausgedehnt, doch bleibt abzuwarten, ob diese Änderung in der Rechtsprechung zu mehr Klarheit führt.103 Keine Probleme bereitet demgegenüber die Frage, ob nur unmittelbare (disparate treatment) oder auch mittelbare (disparate impact) Benachteiligungen verboten sind. Der ADA bietet Schutz vor beiden Verhaltensweisen, die Haftung für die mittelbare Diskriminierung ist sogar kodifiziert.104 b) Rechtfertigungsmöglichkeiten Im Gegensatz zu dem ADEA übernimmt der ADA nicht die BFOQAusnahme des Title VII.105 Nichtsdestotrotz enthält er eine Reihe von größtenteils sehr speziellen Rechtfertigungsmöglichkeiten.106 Die allgemeine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot besagt: „It may be a defense to a charge of discrimination under this chapter that an alleged application of qualification standards, tests, or selection criteria that screen out or tend to screen out or otherwise deny a job or benefit to an individual with a disability has been shown to be job-related and consistent with business necessity, and such performance cannot be accomplished by reasonable accommodation, as required under this subchapter.“107

Die Terminologie erinnert an die der business necessity defense für mittelbare Diskriminierungen nach Title VII. Nach dem ADA steht diese Rechtfertigungsmöglichkeit aber sowohl bei unmittelbaren als auch bei mittelba100  Haggard

Employment Discrimination (2008), S. 6. Merkmal der Behinderung ist legaldefiniert in 42 U.S.C. § 12102(1). 102  Haggard Employment Discrimination (2008), S. 6; vgl. auch Günzel/Heilmann RdA 2000, 341, 343 m. w. N. 103  Leder/Thüsing NZA 2011, 188, 189. 104  42 U.S.C § 12112(b)(6); vgl. dazu Rutherglen Virginia Law Review 81 (1995), 117, 145 f.; ders. Fordham Law Review 74 (2006), 2313, 2319. 105  Vgl. dazu MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 7. 106  Einen Überblick hierüber gibt Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S.  230 f. 107  42 U.S.C. § 12113(a). 101  Das

118

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

ren Benachteiligungen offen.108 Demzufolge bemisst sich die Zulässigkeit einer Benachteiligung wegen einer Behinderung im US-amerikanischen Recht nicht nach den gleichen Bestimmungen wie die Zulässigkeit einer Benachteiligung wegen der anderen geschützten Merkmale. c) Vorbildfunktion des ADA Auf der für die Kundenpräferenzfrage entscheidenden Rechtfertigungsebene orientierten sich der europäische sowie der deutsche Gesetzgeber nicht an dem US-amerikanischen Beispiel. Die Rechtfertigung einer Diskriminierung wegen einer Behinderung wurde nicht – wie im US-amerikanischen Recht – gesondert und anders als die Rechtfertigung der Benachteiligungen wegen der anderen geschützten Merkmale geregelt.109 Zudem wird im Zusammenhang mit dem ADA nahezu ausschließlich über das Vorliegen einer Behinderung diskutiert; die Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen spielt, soweit ersichtlich, keine Rolle. Daher verspricht die genauere Betrachtung des ADA für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit keinen weiteren Erkenntnisgewinn. 4. „Blickrichtung“ bei der Beleuchtung US-amerikanischen Rechts Nach alledem wird der Blick ins US-amerikanische Recht bei der Suche nach Lösungsansätzen für den Umgang mit der Kundenpräferenzfrage auf die Geschlechter-BFOQ-Ausnahme des Title VII gerichtet sein. Darüber hinaus wird überblicksartig auf die business necessity defense des Title VII einzugehen sein, wobei der Fokus auf den Problemkreisen „Sprachanforderungen“ sowie „Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild des Beschäftigten“ liegen wird.

III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII Die BFOQ-Ausnahme hat eine turbulente Gesetzgebungsgeschichte, die bei ihrer Interpretation durch Rechtsprechung und Literatur häufig in Bezug 108  Rutherglen

Employment Discrimination Law (2010), S. 230. Sonderregelung für das Merkmal Behinderung auf europäischer Ebene ist freilich die Verpflichtung, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die An­ wendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten, vgl. Art. 5 BeschäftiggsRL sowie damit zusammenhängend Art. 2 Abs. 2b)ii) BeschäftiggsRL. Das AGG enthält keine entsprechenden Bestimmungen. 109  Eine



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 119

genommen wird. Gleiches gilt für die Richtlinien der US-amerikanischen Gleichstellungsbehörde, der Equal Employment Opportunity Commission (EEOC). Deshalb sollen zunächst die Gesetzgebungsgeschichte (dazu unter 1.) und die Rolle der EEOC sowie der von ihr herausgegebenen Richtlinien dargestellt werden (dazu unter 2.), bevor der Umgang der Rechtsprechung mit der BFOQ-Ausnahme (dazu unter 3.) sowie das Echo und Lösungsansätze aus dem Schrifttum dargestellt werden sollen (dazu unter 4.). 1. Gesetzgebungsgeschichte der BFOQ-Ausnahme des Title VII Die Gesetzgebungsgeschichte der BFOQ-Ausnahme ist eine der Ursachen, wieso die Rechtfertigungsmöglichkeit so kontrovers diskutiert wird. Speziell in Bezug auf das Merkmal Geschlecht wird die BFOQ-Gesetz­ gebungsgeschichte durchgehend als „sparse“110 bzw. sogar als „nearly nonexistant“111 bezeichnet. Das liegt daran, dass das Geschlechtsdiskriminierungsverbot und die entsprechende BFOQ-Ausnahme in letzter Minute vor Verabschiedung des Title VII eingefügt wurden.112 a) Hintergrund des Title VII allgemein Title VII markierte den Beginn der US-amerikanischen Antidiskriminierungsgesetzgebung mit dem Ziel, ungerechtfertigte Diskriminierungen aus der amerikanischen Gesellschaft zu verbannen.113 Ursprünglich sollte er lediglich Benachteiligungen im Arbeitsleben wegen der Merkmale Rasse, Hautfarbe, nationaler Ursprung und Religion verhindern. Ein Gegner dieser Gesetzgebung schlug kurz vor deren Verabschiedung eine Erweiterung auch auf das Merkmal Geschlecht vor. Es wurden keine Anhörungen zu diesem Vorschlag abgehalten.114 Ziel dieses Änderungsvorschlages war es, so wird vermutet, die Gesetzesinitiative mit wenig akzeptierten Änderungen zu belasten, um letztlich das gesamte Gesetzesvorhaben zum Scheitern zu bringen.115 110  So z. B. Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 215; Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 496; Sirota Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025, 1027; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 154. 111  Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 171. 112  Vgl. die Ausführungen des U.S. Supreme Court dazu in Meritor Sav. Bank v. Vinson 477 U.S. 57, 63 f. (1986). 113  Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 184. 114  Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 171 m. w. N. 115  Sirota Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025, 1027; vgl. dazu auch Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 496 f.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 171; Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 184 f.

120

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Dieser Versuch hatte keinen Erfolg und so trat schließlich der Title VII inklusive des Verbots der Benachteiligung wegen des Geschlechts in Kraft. b) Hintergrund der fehlenden Rassen- / Hautfarben-BFOQ Aus der Gesetzgebungsgeschichte geht hervor, dass jede Form der Rassen- bzw. Hautfarbenbenachteiligung als besonders gravierend angesehen wurde.116 Eine BFOQ-Ausnahme hinsichtlich dieser geschützten Merkmale wurde zwar erwogen, aber aus Angst vor Aufweichung des Diskriminierungsverbots verworfen.117 Die Befürworter einer Rassen-BFOQ führten unter anderem das Beispiel des Regisseurs an, der in einem Theaterstück die Rolle des „Othello“ der Authentizität wegen mit einem Farbigen besetzen möchte, weshalb es einer BFOQ-Ausnahme auch in Bezug auf die Merkmale „Rasse“ und „Hautfarbe“ bedürfe.118 Auch in den Reihen der Gegner wurde eine Ausnahmebestimmung im Hinblick auf dieses Beispiel grundsätzlich für akzeptabel gehalten, konnte aber die Angst vor der Aufweichungsgefahr einer Rechtfertigungsmöglichkeit nicht überwiegen.119 Hinsichtlich der Rechtfertigungsmöglichkeiten für die anderen Merkmale hegten die Abgeordneten anscheinend nicht die gleichen Befürchtungen. Darin spiegelt sich die Auffassung wider, dass Diskriminierung wegen der Rasse und Hautfarbe verbreiteter und schädlicher als die anderen Formen der Benachteiligung ist.120 c) Hintergrund der Geschlechter-BFOQ Die Einfügung des Verbots der Geschlechterdiskriminierung und der entsprechenden BFOQ-Ausnahme „in letzter Minute“ führt zu einem diesbezüglichen „lack of legislative history“121. Ein erster Hinweis, welche Fälle 116  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 496 f. m. w. N.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 197 f. m. w. N. 117  Die diesbezügliche Debatte der Abgeordneten im Repräsentantenhaus ist dokumentiert in 110 Cong. Rec. 2550 ff. (1964); ausführlich dazu Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 215 ff. 118  110 Cong. Rec. 2550 (1964). 119  Vgl. z. B. die Stellungnahme des Abgeordneten O’Hara 110 Cong. Rec. 2556 (1964). 120  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 496 f. m. w. N.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 197 f. m. w. N.; Post California Law Review 88 (2000), 1, 37; Schneyder University of Michigan Journal of Law Reform 31 (1997–1998), 551, 602 f. 121  Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 171; vgl. auch Meritor Sav. Bank v. Vinson 477 U.S. 57, 64 (1986).



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 121

der Gesetzgeber mit der Geschlechter-BFOQ lösen wollte, ist in einer Bemerkung des Abgeordneten Goodell zu finden. Im Zuge der Ausweitung der verbotenen Diskriminierungsmerkmale auf das Geschlecht begründete er seinen Vorschlag, auch eine diesbezügliche BFOQ-Ausnahme einzufügen, wie folgt: „There are so many instances where the matter of sex is a bona fide occupational qualification. For instance, I think of an elderly woman who wants a female nurse. There are many things of this nature which are bona fide occupational qualifications, and it seems to me they would be properly considered here as an exception.“122

Nachdem die Gesetzesvorlage in diesem Sinne geändert wurde, unterstrich die Abgeordnete Green noch einmal die Bedeutung der GeschlechterBFOQ speziell im Gesundheitswesen:123 Sie verwies auf den hypothetischen Fall der älteren Dame in einem Krankenhaus, die eine Vollzeitbetreuung durch eine Krankenschwester benötige. Während es für diese Dame keinen Unterschied mache, ob die Pflegekraft weiß oder farbig, chinesisch oder japanisch sei, lege sie sehr wohl großen Wert darauf, von einer weiblichen und nicht von einer männlichen Pflegekraft versorgt zu werden. Eine an derartigen Patientenwünschen ausgerichtete Einstellungspolitik zu betreiben, werde dem Krankenhaus auf Grund der Geschlechter-BFOQ-Ausnahme ermöglicht. Diese Überlegungen weisen auf eine erste Fallgruppe zulässiger Diskriminierungen wegen des Geschlechts hin, die der Gesetzgeber bei der Schaffung der Geschlechter-BFOQ im Sinn gehabt hat.124 Weitere Informationen finden sich in einem „Interpretive Memorandum“ zu Title VII. Dieses wurde von den Senatoren Clark und Case vorgelegt, die die Sitzungen im Senat zu dem Gesetzesvorhaben leiteten („senate floor managers“). Dort heißt es bezüglich der BFOQ-Ausnahme: „This exception is a limited right to discrimination on the basis of religion, sex, or national origin where the reason for the discrimination is a bona fide occupational qualification. Examples of such legitimate discrimination would be the preference of a French restaurant for a French cook, the preference of a professional baseball team for male players, and the preference of a business which seeks the patronage of members of particular religious groups for a salesman of that religion.“125

Diese Beispiele vermögen zwar einen Eindruck punktuell erlaubter Diskriminierungen zu vermitteln. Jedoch verhelfen sie nicht zu einem tieferen 122  110

Cong. Rec. 2718 (1964). Cong. Rec. 2720 (1964). 124  Vgl. dazu auch Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 366 f. 125  110 Cong. Rec. 7213 (1964). 123  110

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Grundverständnis der BFOQ-Ausnahme, der US-amerikanische Rechtswissenschaftler Epstein bezeichnet sie als „remarkably unistructive for all hard cases“126. Das wird auch bei den unterschiedlichen Schlüssen deutlich, die im Schrifttum und in der Rechtsprechung aus den in diesem Memorandum enthaltenen Hinweisen gezogen werden. Während im Schrifttum zum Teil unter Berufung auf die Beispiele von einem weiten Anwendungsbereich der BFOQ-Ausnahme ausgegangen wird,127 wird in der Rechtsprechung der Aspekt des eingeschränkten Rechts zur Diskriminierung betont und damit eine enge Interpretation der BFOQ-Ausnahme begründet.128 Angesichts der Tatsache, dass sich aus der Gesetzgebungsgeschichte nur begrenzt Informationen zur Reichweite der BFOQ-Ausnahme ableiten lassen, gewinnen die Richtlinien der EEOC an Bedeutung. 2. Guidelines der Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) Im Zuge der Verabschiedung des Title VII im Jahre 1964 wurde die EEOC geschaffen129 und mit dessen Interpretation, Anwendung und Durchsetzung beauftragt.130 Jeder mutmaßlich von einer Diskriminierung Betroffene muss, bevor er einen gerichtlichen Prozess führen kann, Anzeige bei der EEOC erstatten.131 Die EEOC stellt daraufhin Ermittlungen in dem Fall an. Hat sie begründeten Anlass, zu glauben, dass die Vorwürfe des Betroffenen wahr sind, versucht sie, mittels Schlichtung eine gütliche Einigung der Parteien herbeizuführen.132 Erst, wenn dieses informelle Verfahren scheitert, kann der Betroffene Klage vor Gericht erheben.133 Die EEOC fungiert somit als 126  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 286; vgl. auch Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 172. 127  Vgl. z. B. Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 286 f.; Sirota Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025, 1032: „apparent legislative intention for a broad justification“; Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 368: „fairly broad effect“. 128  Vgl. z. B. Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 297 (N.D. Tex. 1981); Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 (1977). 129  42 U.S.C. § 2000e-4(a); Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 497. 130  42 U.S.C. § 2000e-4(g); Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 760. 131  Vgl. für einen instruktiven Überblick über das Verfahren des US-amerikanischen Diskriminierungsrechts Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S.  103 f. 132  42 U.S.C. § 2000e-5(b). 133  Defeis Georgia Journal of International and Comparative Law 32 (2004), 73, 95.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 123

„erste Instanz“ bei jedem angezeigten Diskriminierungsfall.134 Darüber hinaus kann sie in Fällen, die ihr bei der Durchsetzung des Antidiskriminierungsrechts strategisch wichtig erscheinen, den Prozess für den Kläger in eigenem Namen führen.135 Auch ist die EEOC insbesondere mit der Interpretation des Title VII beauftragt.136 Im Jahr 1965 erließ sie Richtlinien als Auslegungshilfen für die Rechtsprechung. a) Inhalt der Richtlinien Während der Richtlinienabschnitt zur Religionsdiskriminierung keine Aussage zur BFOQ-Ausnahme enthält, ist in dem Abschnitt zur Benachteiligung wegen des nationalen Ursprungs zumindest der Hinweis zu finden, dass diese Rechtfertigungsmöglichkeit eng auszulegen sei („shall be strictly construed“).137 Wesentlich umfangreichere Leitlinien zur BFOQ-Ausnahme enthält der Abschnitt zur Geschlechtsdiskriminierung. Zunächst stellen die Richtlinien auch hier, wie bei der Benachteiligung wegen des nationalen Ursprungs – in allerdings leicht abgewandelter Terminologie – fest, dass die BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit eng auszulegen sei („should be interpreted narrowly“).138 Diese Vorgabe wird weiter ausgeführt: Die Richtlinien untersagen insbesondere die Diskriminierung von Personen eines Geschlechts auf Grund bestimmter Klischees oder Vorurteile über dieses Geschlecht139 oder auch die grundsätzliche Charakterisierung bestimmter Berufe als „Männer-“ bzw. „Frauenjobs“.140 Ausdrücklich wird zudem die Benachteiligung auf Grund von Mitarbeiter-, Arbeitgeber-, Geschäftspart134  Baker International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2005, 591, 601. 135  Baker International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2005, 591, 601. 136  Eine vergleichbare Einrichtung gibt es im deutschen Recht nicht. Zwar ist beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (vgl. dazu §§ 25 ff. AGG) eingerichtet. Sie unterscheidet sich in Kompetenzen und Bedeutung jedoch deutlich von der EEOC. Sie hat in erster Linie eine Ombuds- und Beratungsfunktion und dient als Anlaufstelle für Personen, die der Ansicht sind, wegen eines gemäß § 1 AGG geschützten Merkmals benachteiligt worden zu sein. Daneben leistet sie vor allem Öffentlichkeitsarbeit und führt wissenschaftliche Untersuchungen durch (Köppen NZA-Beilage 2008, 91, 92 f.). Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kommt also bei der Durchsetzung und der Interpretation des Antidiskriminierungsrechts – anders als der EEOC – keine zentrale Rolle zu. 137  29 C.F.R. § 1606.4. 138  29 C.F.R. § 1604.2(a). 139  29 C.F.R. § 1604.2(a)(1)(ii). 140  29 C.F.R. § 1604.2(a).

124

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

ner- oder Kundenpräferenzen für unzulässig erklärt.141 Die Richtlinien führen nur einen Bereich an, in dem die BFOQ-Ausnahme – auch in Fällen der Kundenpräferenzen – greifen soll, und zwar, wenn die Benachteiligung eines Geschlechts aus Gründen der Authentizität oder Echtheit („authenticity or genuineness“) notwendig ist.142 Als Beispiel wird der Schauspielerberuf genannt.143 Andere typische Beispiele, die hierunter fallen, wären wohl das Playboy-Bunny oder auch die Escort-Dame.144 Freilich erläutert ein „EEOC Informal Discussion Letter“ aus dem Jahr 2005, dass auch weitere Motive wie z. B. psychologische Bedürfnisse von Kunden zulässige BFOQ-Ausnahmen sein könnten.145 Nach alledem wird deutlich, dass die EEOC die BFOQ-Ausnahme eng auslegt, die Rechtfertigung einer Diskriminierung im Hinblick auf Kundenpräferenzen grundsätzlich nicht als zulässig ansieht und nur in eng begrenzten Ausnahmefällen von diesem Prinzip abweichen will.146 b) Bedeutung der Richtlinien Die Richtlinien der EEOC sind für die Rechtsprechung nicht bindend.147 Inwiefern und unter welchen Voraussetzungen sie bei der Auslegung des Title VII durch die Gerichte trotzdem Berücksichtigung finden sollen, betrachtete der U.S. Supreme Court in der Entscheidung General Electric Co. v. Gilbert („Gilbert“) aus dem Jahr 1976. Zunächst stellte er fest: „[T]he rulings, interpretations and opinions of the [EEOC] under this Act, while not controlling upon the courts by reason of their authority, do constitute a body of experience and informed judgment to which courts and litigants may properly resort for guidance.“148

Vor diesem Hintergrund stellte das Gericht zwei entscheidende Faktoren heraus, die bestimmten, ob und inwiefern EEOC-Richtlinien von der Rechtsprechung zu berücksichtigen sind: Erstens sei zu prüfen, ob die betreffende 141  29

C.F.R. § 1604.2(a)(1)(iii). C.F.R. § 1604.2(a)(2). 143  Starke Kritik daran übt Robinson California Law Review 95 (2007), 1, 31 ff. 144  Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 186 m. w. N.; vgl. zu dem Playboy-Bunny-Beispiel auch McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 269 f. 145  EEOC Informal Discussion Letter vom 22.08.2005, abrufbar unter http:// www.eeoc.gov/eeoc/foia/letters/2005/titlevii_bfoq_psychotherapy.html (Abruf vom 26.07.2015). 146  Scharfe Kritik daran übt Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 287 f. 147  Haggard Employment Discrimination (2008), S. 8. 148  General Electric Co. v. Gilbert 429 U.S. 125, 141 f. (1976), die Entscheidung Skidmore v. Swift & Co. 323 U.S. 134, 140 (1944) zitierend. 142  29



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 125

EEOC-Richtlinie eine Interpretation aus der Zeit des Inkrafttretens des Title VII sei oder ob sie wesentlich später erlassen wurde; im zweiten Prüfungsschritt sei festzustellen, ob die in der Richtlinie von der EEOC vertretene Position mit einer eventuell vorhandenen, zu einem früheren, näher an der Verabschiedung des Gesetzes liegenden Position der EEOC übereinstimmt oder nicht.149 Angewendet auf die EEOC-Richtlinien bezüglich der BFOQAusnahme des Title VII führt dies zu folgendem Schluss: Sie wurden im Jahr 1965, nahezu gleichzeitig mit Title VII, erlassen.150 Darüber hinaus vertritt die EEOC zur Reichweite der BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit seit über 45 Jahren die gleiche Position.151 Nach den in Gilbert entwickelten Grundsätzen sind die EEOC-Richtlinien zur BFOQ-Ausnahme bei deren Auslegung zu berücksichtigen.152 Dass die EEOC-Richtlinien zur BFOQAusnahme die in Gilbert etablierten Voraussetzungen für ihre Berücksichtigung erfüllen, erklärt, wieso die Rechtsprechung153 ihnen in der Praxis trotz fehlender Bindungswirkung große Bedeutung beimisst.154 3. Rechtsprechung zur BFOQ-Ausnahme Wie die EEOC betont auch die Rechtsprechung, dass die BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit eng auszulegen sei.155 a) Von der Rechtsprechung entwickelte Prüfungsschritte Die Frage, inwiefern eine benachteiligende Maßnahme des Arbeitgebers „reasonably necessary to the normal operation of that particular business 149  General

Electric Co. v. Gilbert 429 U.S. 125, 142 (1976). University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 762. 151  Vgl. Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 (1977). 152  Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 761 f.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 173. 153  So bemerkte z.  B. der U.S. Supreme Court in Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 Fn. 19 (1977) m. w. N. zur Rspr: „The EEOC issued guidelines on sex discrimination in 1965 reflecting its position that ‚the bona fide occupational qualification as to sex should be interpreted narrowly.‘ 29 CFR § 1604.2(a). It has adhered to that principle consistently, and its construction of the statute can accordingly be given weight.“ Vgl. außerdem Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385, 389 (5th Cir. 1971) m. w. N. zur Rspr. 154  Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 341; vgl. außerdem Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 762, jew. m. w. N. zur Rspr. 155  So z.  B. der U.S. Supreme Court in International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 201 (1991) und Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 (1977). 150  Berman

126

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

or enterprise“ im Sinne der BFOQ-Ausnahme ist, hat sich in der Praxis als problematisch erwiesen.156 Die Gerichte157 haben die Voraussetzungen der BFOQ-Ausnahme durch verschiedene „Tests“ konkretisiert. Im Laufe der Zeit haben sich drei wesentliche Prüfungsmethoden herauskristallisiert:158 der sogenannte „all or substantially all“-Test (dazu unter aa]), der „essence of the business“-Test (dazu unter bb]) und der „less discriminatory alternatives“-Test (dazu unter cc]). Diese Tests sind nicht unvereinbar, vielmehr bilden sie Elemente eines mehrteiligen BFOQ-Prüfungsrasters.159 Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem „essence of the business“-Teil,160 er ist der zentrale Maßstab für die Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen insbesondere bei der Berufung auf Kundenpräferenzen. aa) „All or substantially all“-Test Der „all or substantially all“-Test wurde in dem Fall Weeks v. Southern Bell Telephone & Telegraph Co. („Weeks“) aus dem Jahr 1969 vom U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit entwickelt.161 Der Klägerin Lorena Weeks war eine Stelle als Weichenstellerin bei der Telefongesellschaft versagt worden. Sie machte geltend, wegen des Geschlechts diskriminiert 156  Stegura

Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 342. den föderalen USA gibt Bundesgerichte („Federal Courts“) und einzelstaatliche Gerichte („State Courts“). Das höchste Bundesgericht ist der U.S. Supreme Court als Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika. Die zweithöchste Ebene der Bundesjustiz bilden 13 Berufungsgerichte („U.S. Courts of Appeals“), darunter gibt es 94 Bezirksgerichte („U.S. District Courts“). Title VII-Fälle als Bundesrecht-Fälle werden regelmäßig von den Bundesgerichten entschieden. Für einen tabellarischen Überblick über die Zuständigkeiten und Unterschiede zwischen Federal und State Court System siehe http://www.uscourts.gov/FederalCourts/ UnderstandingtheFederalCourts/Jurisdiction/DifferencebetweenFederalAndStateCour ts.aspx (Abruf vom 27.03.2014). 158  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 13 f.; Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 221 ff.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 174; vgl. auch Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 501. 159  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 13, 17; Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 501; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 174; vgl. auch Shartsis Detroit College of Law Review (1985), 865, 871 ff. 160  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 498 f.; Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 369; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 160; vgl. auch Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 753. 161  Weeks v. Southern Bell Telephone & Telegraph Co. 408 F.2d 228 ff. (5th Cir. 1969). 157  In



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 127

worden zu sein.162 Southern Bell entgegnete, dass das Geschlecht eine BFOQ für die Tätigkeit als Weichensteller sei, weil diese Tätigkeit unter anderem das Heben von über 30 Pfund (knapp 14 kg) schweren Gegenständen erfordere.163 Die Beschäftigungspraxis, keine Frauen als Weichensteller zu beschäftigen, wies das Gericht zurück. Es erklärte: „[I]n order to rely on the bona fide occupational qualification exception an employer has the burden of proving that he had reasonable cause to believe, that is, a factual basis for believing, that all or substantially all women would be unable to perform safely and efficiently the duties of the job involved.“164

Southern Bell sei es nicht gelungen, zu zeigen, dass alle bzw. im Wesentlichen alle Frauen nicht in der Lage seien, 30 Pfund zu heben.165 Der „all or substantially all“-Test fragt also danach, ob alle oder im Wesentlichen alle Merkmalsträger eine bestimmte Aufgabe nicht erfüllen können. Ist dies nicht der Fall, liegt keine BFOQ vor. bb) „Essence of the business“-Test Eine typische Kundenpräferenzkonstellation lag der Entscheidung Diaz v. Pan American World Airways, Inc. („Diaz“)166 aus dem Jahr 1971 zugrunde. Wiederum war es der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit, der nur zwei Jahre nach Weeks einen weiteren Test für das Vorliegen der BFOQ etablierte, den „essence of the business“-Test. Das Gericht hatte den Fall von Celio Diaz zu entscheiden, der sich erfolglos bei Pan American als Flugbegleiter beworben hatte. Gemäß Pan Americans Einstellungspolitik war diese Tätigkeit Frauen vorbehalten. Diaz erhob Klage wegen Geschlechtsdiskriminierung. Die Fluggesellschaft brachte vor, dass ihre Kunden mit überwältigender Mehrheit Flugbegleiterinnen bevorzugten.167 Dies hatten Umfragen unter den Passagieren ergeben.168 Darüber hinaus sagte ein Sachverständiger Psychologe aus, dass die Flugzeugkabine eine besondere Umgebung sei, die mit speziellen seelischen Bedürfnissen der Passagiere 162  Weeks v. Southern Bell Telephone & Telegraph Co. 408 F.2d 228, 230 (5th Cir. 1969). 163  Weeks v. Southern Bell Telephone & Telegraph Co. 408 F.2d 228, 232 (5th Cir. 1969). 164  Weeks v. Southern Bell Telephone & Telegraph Co. 408 F.2d 228, 235 (5th Cir. 1969). 165  Weeks v. Southern Bell Telephone & Telegraph Co. 408 F.2d 228, 235 f. (5th Cir. 1969). 166  Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385 ff. (5th Cir. 1971). 167  Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385, 387 (5th Cir. 1971). 168  Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385, 387 (5th Cir. 1971).

128

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

einhergehe.169 Frauen könnten die nicht-mechanischen Aufgaben eines Flugbegleiters besser erfüllen, sie seien z. B. erfolgreicher darin, ängstliche Passagiere zu beruhigen und insgesamt den Flug so angenehm wie möglich zu machen. Dennoch verneinte das Gericht das Vorliegen einer BFOQAusnahme unter Hinweis auf die „essence of the business“.170 Ausgangspunkt der Überlegungen war der Begriff „necessary“. Der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit legte „reasonably necessary to the normal operation“ aus und wies darauf hin, dass dieser Terminus nicht nur Zweckmäßigkeit („business convenience“), sondern Notwendigkeit („business necessity“) erfordere.171 Dies wiederum bedeute Folgendes: „[D]iscrimination based on sex is only valid when the essence of the business operation would be undermined by not hiring members of one sex exclusively.“172

Daraufhin wandte sich das Gericht dem Wesen von Pan American zu und definierte es. Die primäre Funktion einer Fluglinie sei es, Passagiere sicher von einem Ort zu einem anderen zu transportieren.173 Die Art und Weise der Erfüllung der nicht-mechanischen Aufgaben der Flugbegleiter habe lediglich einen kosmetischen Effekt und sei damit nebensächlich für das Wesen des Unternehmens.174 Des Weiteren ging das Gericht auch auf die Bedeutung der Kundenpräferenzen ein. Auf die EEOC-Richtlinien Bezug nehmend führte es aus: „[I]t would be totally anomalous if we were to allow the preferences and prejudices of the customers to determine whether the sex discrimination was valid. Indeed, it was, to a large extent, these very prejudices the Act was meant to overcome. Thus, we feel that customer preference may be taken into account only when it is based on the company’s inability to perform the primary function or service it offers.“175

Mithin sollen Kundenpräferenzen nur dann beachtlich sein, wenn sie die primäre Aufgabe des Unternehmens betreffen, die es sonst nicht erfüllen könnte. Der „essence of a business“-Test fragt also nach der wesentlichen Funktion oder primären Aufgabe eines Unternehmens. Er bejaht eine BFOQ-Ausnahme nur dann, wenn diese wesentliche Funktion nur von einer Merkmalsträgergruppe erfüllt werden kann und andernfalls das Wesen des Unternehmens untergraben würde. Das Gericht ging im Übrigen auch auf den „all or substantially all“-Test ein und behandelte den „essence of 169  Diaz 170  Diaz 171  Diaz 172  Diaz 173  Diaz 174  Diaz 175  Diaz

v. v. v. v. v. v. v.

Pan Pan Pan Pan Pan Pan Pan

American American American American American American American

World World World World World World World

Airways, Airways, Airways, Airways, Airways, Airways, Airways,

Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc.

442 442 442 442 442 442 442

F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d

385, 385, 385, 385, 385, 385, 385,

387 388 388 388 388 388 389

(5th (5th (5th (5th (5th (5th (5th

Cir. Cir. Cir. Cir. Cir. Cir. Cir.

1971). 1971). 1971). 1971). 1971). 1971). 1971).



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 129

the business“-Maßstab als dessen Weiterentwicklung.176 Der „all or substantially all“-Test legt den Fokus darauf, ob alle oder im Wesentlichen alle Merkmalsträger die zu einer Tätigkeit gehörenden Aufgaben nicht erfüllen können und erfordert eine eher quantitative Betrachtungsweise. Demgegenüber wird mithilfe des „essence of the business“-Tests bestimmt, welche überhaupt die wesentlichen Aufgaben sind, auf die es ankommt. Er setzt also auf einer anderen Ebene mit einer eher qualitativen Betrachtungsweise an.177 Angesichts der Tatsache, dass der „essence of the business“-Test in einem Kundenpräferenzfall entwickelt wurde, spielt er die zentrale Rolle bei der Bestimmung des Vorliegens einer BFOQ-Ausnahme, speziell auch bei Berufung auf Kundenvorlieben.178 Anzumerken ist, dass der in Diaz entwickelte Test auf zwei verschiedene Arten angewendet wird: zum Teil wird auf das Wesen des Unternehmens, zum Teil aber auch auf das Wesen der in Frage stehenden Tätigkeit abgestellt.179 Der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit etablierte in Diaz die erstgenannte Variante, die auch dem Wortlaut der BFOQ-Ausnahme des Title VII näher kommt: dort wird die „normal operation of that particular business or enterprise“180, also das Unternehmen in seiner Gesamtheit und nicht die spezifische Tätigkeit in Bezug genommen.181 cc) „Less discriminatory alternatives“-Test Ein drittes Element, das einige Gerichte im Rahmen der BFOQ-Ausnahme prüfen, ist die Existenz zumutbarer, weniger diskriminierend wirkender Alternativmaßnahmen.182 Damit ist die Frage des milderen Mittels, also eines Aspektes der Verhältnismäßigkeit, angesprochen. Als Anschauungsbeispiel für den „less discriminatory alternatives“-Test gilt die Entscheidung Hardin v. Stynchcomb („Hardin“) des U.S. Court of Appeals for the Ele176  Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385, 388 (5th Cir. 1971); vgl. dazu Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 191. 177  Vgl. Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 175 f. 178  Vgl. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 753; Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 498 f., 510 mit Fn. 115; Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 369; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 160. 179  Sirota Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025, 1043 Fn.  113, 1044  f. m. w. N. 180  42 U.S.C. § 2000e-2(e)(1). 181  Vgl. Sirota Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025, 1044 f. 182  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 16 f.; Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 500; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 176.

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

venth Circuit aus dem Jahr 1982.183 Mary Delia Russaw Hardin hatte sich auf eine Stelle als Hilfssheriff im Sheriff’s Department des Landkreises Fulton, Georgia beworben. Das Sheriff’s Department verfolgte die Praxis, jeden neuen Hilfssheriff für mindestens sechs Monate in der Justizvollzugsanstalt einzusetzen. Seinerzeit waren nur Stellen im Männergefängnis zu besetzen. Um die Privatsphäre der Insassen zu schützen, wurden dort ausschließlich Männer eingesetzt. Frauen wurden folglich nur eingestellt, wenn es vakante Positionen im Frauengefängnis gab.184 Zwar erkannte das Gericht an, dass die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Haftanstalt durch Überwachung und Durchsuchung der Insassen wichtig sei.185 Weiter würde die Durchführung von Maßnahmen wie der Leibesvisitation, dem Absuchen von Körperöffnungen oder die Überwachung von Toilettenund Duschgängen durch Hilfssheriffs des anderen Geschlechts die Privatsphäre der Insassen unnötig verletzen. Das Vorliegen einer BFOQ-Ausnahme verneinte das Gericht indes trotzdem aus zwei Gründen: Zum einen sei es dem Sheriff’s Department nicht gelungen, zu beweisen,186 dass es essentiell für das Funktionieren des Sheriff’s Department ist, jeden neuen Hilfssheriff zunächst in der Justizvollzugsanstalt einzusetzen.187 Zum anderen ging das Gericht auf den Aspekt der zumutbaren, weniger diskriminierenden Maßnahme ein: „Defendants have also failed to prove that they cannot rearrange job responsibilities so that female deputies assigned to the male section of the jail will not have to perform duties that impinge upon inmate privacy rights.“188

Dieses Erfordernis ist ein beachtliches Hindernis für den Beweis der Voraussetzungen einer BFOQ-Ausnahme: Der Arbeitgeber muss zeigen, dass es keine Möglichkeit gibt, die Arbeitsabläufe so umzuorganisieren, dass die Diskriminierung vermieden werden kann.189 Dadurch soll sicherge183  Hardin v. Stynchcomb 691 F.2d 1364 ff. (11th Cir. 1982); in diesem Zusammenhang genannt bei Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 16 f. und Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 176. 184  Hardin v. Stynchcomb 691 F.2d 1364, 1367 (11th Cir. 1982). 185  Hardin v. Stynchcomb 691 F.2d 1364, 1373 (11th Cir. 1982). 186  Theoretisch spielt das Beweislastproblem für die Klärung des grundsätzlichen Verhältnisses von Antidiskriminierungsrecht und Kundenpräferenzen keine Rolle, Krause FS Adomeit (2008), 377, 380. In der Rechtsprechungspraxis werden Beweisfragen jedoch sehr eng verwoben mit der Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen behandelt. Vor diesem Hintergrund und da, wie auch Krause anmerkt, Beweisfragen bei der Bewältigung praktischer Fälle häufig im Zentrum stehen, soll die Beweisthematik speziell bei der Darstellung der Rechtsprechung nicht ausgeblendet werden. 187  Hardin v. Stynchcomb 691 F.2d 1364, 1374 (11th Cir. 1982). 188  Hardin v. Stynchcomb 691 F.2d 1364, 1374 (11th Cir. 1982). 189  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 500 f.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 131

stellt werden, dass eine benachteiligende Maßnahme „reasonably necessary“ im Sinne der BFOQ-Norm des Title VII ist; dies ist nicht der Fall, wenn eine Diskriminierung durch zumutbare Anpassungsmaßnahmen vermieden werden kann.190 Gleichzeitig geht diese Anforderung nicht so weit, dass der Arbeitgeber unverhältnismäßige Belastungen hinnehmen müsste,191 er muss beispielsweise nicht Beschäftigte auf Positionen einsetzen, für die sie nicht ausgebildet sind192 oder zusätzliches Personal einstellen.193 Bei Zugrundelegung des weiten Kundenbegriffes entpuppt sich Hardin als Kundenpräferenzfall: Letztlich geht es um die Präferenzen der Häftlinge, aus Gründen der Privatsphäre lieber von gleichgeschlechtlichen Hilfssheriffs beaufsichtigt zu werden.194 b) Entscheidungen des U.S. Supreme Court Der U.S. Supreme Court setzte sich bislang in zwei Fällen mit der Geschlechter-BFOQ-Ausnahme auseinander. Zwar stand in keinem der beiden eine Rechtfertigung durch die ausdrückliche Berufung auf Kundenpräferenzen im Raum. Da jedoch, wie im Schrifttum unterstrichen wird, alle BFOQAusnahmen als Zugeständnisse an Kundenwünsche interpretiert werden können,195 sind letztlich alle BFOQ-Entscheidungen auch relevant für die Kundenpräferenzproblematik. aa) Dothard v. Rawlinson Die erste Auslegung der BFOQ des Title VII durch den U.S. Supreme Court enthält die Entscheidung Dothard v. Rawlinson („Dothard“) aus dem Jahr 1977.196 In der Entscheidung hatte das Gericht unter anderem die Zulässigkeit der Verwaltungsvorschrift einer Gefängnisbehörde in Alabama zu beurteilen. Danach wurde die Besetzung sogenannter „Kontaktpositionen“ 190  Befort

Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 17. Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 17. 192  So z. B. Levin v. Delta Air Lines, Inc. 730 F.2d 994, 1001 f. (5th Cir. 1984). 193  So z. B. Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1354 (D. Del. 1978). 194  Vgl. dazu auch die Entscheidung Forts v. Ward 621 F.2d 1210 ff. (2nd Cir. 1980). Ihr lag die Klage weiblicher Häftlinge wegen Verletzung ihrer Privatsphäreinteressen durch den Einsatz männlicher Wärter in solchen Bereichen des Gefängnisses zugrunde, in denen die Frauen unfreiwillig (teilweise) unbekleidet den Blicken der männlichen Wärter ausgesetzt waren. 195  So Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 502, 509; Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 490. 196  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321 ff. (1977). 191  Befort

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

(„contact positions“) in Hochsicherheitsgefängnissen, also solcher Stellen, die fortwährend in körperlicher Nähe zu den Insassen ausgeübt wurden, unmittelbar von dem Geschlecht abhängig gemacht.197 In Männergefängnissen sollten nur Männer, Frauen nur in Frauengefängnissen eingesetzt werden. Hinsichtlich der Frage der Rechtfertigung stellte das Gericht fest, dass die BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit nur eine sehr enge Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts sei.198 Nichtsdestotrotz sah der U.S. Supreme Court deren Voraussetzungen als gegeben an.199 Ausdrücklich erkannte er sowohl den „all or substantially all“Test als auch den „essence of the business“-Test an200 und begründete das Ergebnis im zu beurteilenden Fall mit Hilfe einer Kombination beider Prüfungsmaßstäbe.201 Die Bedingungen in Alabamas Hochsicherheitsgefängnissen für Männer seien „peculiarly inhospitable“, es herrsche eine „jungle atmosphere“ gekennzeichnet durch „rampant violence“.202 Zwar könne für gewöhnlich das Argument, ein Job sei zu gefährlich für eine Frau, mit dem Hinweis auf die durch Title VII intendierte Freiheit zur Selbstbestimmung abgewiesen werden.203 Doch gehe es in dem vorliegenden Fall um viel mehr als die Entscheidungsfreiheit der Frau.204 Dies begründete das Gericht weiter unter Verwendung der „essence of the business“-Terminologie. So sei es die Kernaufgabe eines Gefängniswärters, die Sicherheit im Gefängnis aufrechtzuerhalten.205 Die Fähigkeit dazu könnte in Hochsicherheitsgefängnissen für Männer durch die Eigenschaft des Frauseins verringert sein.206 Die Voraussetzungen des „all or substantially all“-Tests sprach der U.S. Supreme Court mit folgendem Argument an:207 197  Dothard

v. Rawlinson 433 U.S. 321, 324 f. (1977). v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 (1977). 199  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 (1977). 200  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 333 (1977). 201  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 13; Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1262; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 175; Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 194. 202  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 (1977). 203  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 335 (1977); vgl. ähnlich auch bereits Weeks v. Southern Bell Telephone & Telegraph Co. 408 F.2d 228, 236 (5th Cir. 1969), scharfe Kritik an dieser Argumentation übt Epstein Forbidden Grounds (1995), S.  291 ff. 204  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 335 (1977); vgl. dazu McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 264. 205  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 335 (1977). 206  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 335 (1977). 207  Vgl. dazu Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 194. 198  Dothard



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 133 „There is a basis in fact for expecting that sex offenders who have criminally assaulted women in the past would be moved to do so again if access to women were established within the prison.“208

Auf den „essence of the business“-Test zurückkommend folgerte das Gericht: „The employee’s very womanhood would thus directly undermine her capacity to provide the security that is the essence of a correctional counselor’s responsibility.“209

Die Entscheidung Dothard zeigt, dass der U.S. Supreme Court die Diskriminierung wegen des Geschlechts nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen zulassen möchte.210 Diese lassen sich mit Hilfe des „all or substantially all“-Tests und des „essence of the business“-Tests näher bestimmen. Die Freiheit, sich für einen gefährlichen Job zu entscheiden, wird hoch gewichtet. Doch muss sie angesichts überwiegender Sicherheitsinteressen zurückstehen, wenn deren Gewährleistung die wesentliche Aufgabe eines Berufs ist und diese nur durch Personen eines Geschlechts erfüllt werden kann. Diese Entscheidung lässt sich – angesichts des hier verwendeten weiten Kundenbegriffs211 – auf zwei Arten als Kundenpräferenzfall lesen: Nach Cantor sind die Kunden in diesem Fall die Mitglieder der Gemeinde, die eine Präferenz für sichere Gefängnisse aufweisen.212 Erfülle das Gefängnis diese Anforderung nicht, könne es auf dem „market for safety“ nicht bestehen und die Gemeinde werde die Situation über den „political market“ lösen. Gleichzeitig kann man auch die Inhaftierten als Kunden ansehen, die durch ihr Verhalten eine Präferenz für gleichgeschlechtliche Wärter artikulieren. Dementsprechend besprach der U.S. Supreme Court die Entscheidung Dothard unter dem Stichwort „customer safety“ und wies darauf hin, dass die Dritten („third parties“), um deren Sicherheit es gehe, die Inhaftierten seien.213 bb) International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. Ein zweites Mal war der U.S. Supreme Court im Jahr 1991 in dem Fall International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. („Johnson Controls“) mit einer BFOQ-Problematik befasst.214 Das Gericht hatte die Beschäfti208  Dothard

v. Rawlinson 433 U.S. 321, 335 (1977). v. Rawlinson 433 U.S. 321, 336 (1977). 210  Vgl. Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1262. 211  Siehe dazu bereits unter B. I. 1. 212  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 504 f. 213  So der U.S. Supreme Court über Dothard in International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 203 (1991). 214  International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187 ff. (1991). 209  Dothard

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

gungspolitik des Unternehmens Johnson Controls zu beurteilen, alle fruchtbaren Frauen, nicht hingegen alle fruchtbaren Männer,215 von solchen Tätigkeiten bei der Batterieherstellung auszuschließen, bei denen sie Blei ausgesetzt waren. Eine Ausnahme wurde nur in Fällen gemacht, in denen die Unfruchtbarkeit medizinisch nachgewiesen wurde.216 Zur Begründung führte Johnson Controls an, dass das Ausgesetzsein mit Blei das ungeborene Kind schädigen könne.217 Das Gericht untersuchte, ob die Voraussetzungen der BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit erfüllt waren.218 Der U.S. Supreme Court leitete seine diesbezüglichen Ausführungen unter Bezugnahme auf seine frühere Entscheidung Dothard damit ein, dass die BFOQ-Ausnahme eng auszulegen sei.219 Der Wortlaut enthalte zahlreiche einschränkende Begriffe, die indizierten, dass die BFOQ-Ausnahme nur in ganz besonderen Situationen eingreife: „The statute thus limits the situations in which discrimination is permissible to ‚certain instances‘ where sex discrimination is ‚reasonably necessary‘ to the ‚normal operation‘ of the ‚particular‘ business. Each one of these terms – certain, normal, particular – prevents the use of general subjective standards and favors an objective, verifiable requirement. But the most telling term is ‚occupational‘; this indicates that these objective, verifiable requirements must concern job-related skills and aptitudes.“220

Das Gericht leitete also aus dem Gebrauch der Termini „bestimmt“ („certain“), „gewöhnlich“ („normal“) und „speziell“ („particular“) die Vorgabe eines objektiven, verifizierbaren Maßstabs ab. Dabei stellte es den Begriff „beruflich“ („occupational“) als aussagekräftigsten heraus und betonte, dass damit berufsbezogene Fertigkeiten und Fähigkeiten angesprochen seien. Darüber hinaus konstatierte der U.S. Supreme Court, dass der Arbeitgeber nicht völlige Ermessensfreiheit bei der Definition des Wesens des Unternehmens und den daraus folgenden Kernaufgaben einer bestimmten Position in dem Unternehmen habe.221 Andernfalls läge es nämlich in den Händen von 215  Vgl. dazu auch McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 264. 216  International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 182 (1991). 217  Vgl. International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 192 (1991); vgl. dazu auch Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 756; McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 264. 218  International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 200  ff. (1991). 219  International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 201 (1991). 220  International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 201 (1991). 221  Vgl. dazu McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 265; ausführlich zu der Frage, wem die Definitionsmacht über die „essence of the business“ zukommen könnte, Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 160 ff.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 135

Johnson Controls, Unfruchtbarkeit als „berufliche Anforderung“ („occupa­ tional qualification“) für Frauen zu definieren.222 Eine solche Auslegung mache den in der BFOQ-Norm des Title VII gebrauchten Terminus „beruflich“ überflüssig – schließlich seien die vom Arbeitgeber selbst festgelegten Voraussetzungen ja bereits von dem Begriff „Anforderungen“ („qualifications“) umfasst.223 Indem der Gesetzgeber aber den Begriff der „Anforderungen“ durch „beruflich“ qualifiziert hat, habe er ihn auf solche Anforderungen begrenzt, die die Fähigkeit eines Beschäftigten zur Ausübung des Berufs betreffen.224 Auf den „essence of the business“-Test eingehend unterstrich das Gericht: „[I]n order to qualify as a BFOQ, a job qualification must relate to the ‚essence‘, […] or to the ‚central mission of the employer’s business‘ […].“225

Weiter stellte es fest, dass das Wesen des Unternehmens in der Batterieherstellung bestehe und dass die Eigenschaft der Weiblichkeit bzw. der Fruchtbarkeit in keiner Weise die Fähigkeit zur Herstellung von Batterien beeinflussten.226 Insbesondere könne man den Fall nicht als einen der Kundensicherheit interpretieren: „The unconceived fetuses of Johnson Controls’ female employees, however, are neither customers nor third parties whose safety is essential to the business of battery manufacturing. No one can disregard the possibility of injury to future children; the BFOQ, however, is not so broad that it transforms this deep social concern into an essential aspect of battery-making.“227

Der U.S. Supreme Court folgerte, dass die Voraussetzungen einer BFOQAusnahme nicht vorlägen.228 Zusammenfassend bestätigte der U.S. Supreme Court in dieser Entscheidung die restriktive Anwendung der BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit. Zentral für deren Prüfung bleibt der „essence of the business“-Test. Dabei kommt es darauf an, dass eine vom Arbeitgeber geforderte Qualifikation bzw. Eigenschaft objektiv und nachweisbar für die Ausübung eines bestimmten Berufs notwendig ist.229 Dies kann im Ergebnis dazu führen, dass die Freiheit einer Frau, über die Gefährdung ihres ungeborenen Kindes zu entscheiden, dessen Schutz überwiegt. In dieser Wertentscheidung wird 222  International 223  International 224  International 225  International 226  International

Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 Union, UAW v. Johnson Controls, Inc.

U.S. 187, 201 (1991). U.S. 187, 201 (1991). U.S. 187, 201 (1991). U.S. 187, 203 (1991). U.S. 187, 204 (1991). 499 U.S. 187, 203 f.

227  International (1991). 228  International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 206 (1991). 229  McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 265.

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

deutlich, dass das Gericht einer nicht-diskriminierenden Beschäftigungspolitik der Unternehmen sehr hohe Bedeutung beimisst, die sogar Sicherheitsbedenken für ungeborenes Leben überwiegt.230 cc) Schlüsse aus einem Vergleich der U.S. Supreme Court-Entscheidungen Die enge Auslegung der BFOQ-Ausnahme wirkte sich in den betrachteten Entscheidungen unterschiedlich aus:231 In Dothard bejahte der U.S. Supreme Court die Voraussetzungen der BFOQ, während es sie in Johnson Controls verneinte. In beiden Fällen spielten Sicherheitsbedenken des Arbeitgebers eine Rolle. Nur in der Entscheidung Dothard beeinflussten diese nach Auffassung des Gerichts das Wesen des Unternehmens. Damit kann der Arbeitgeber eine Diskriminierung nicht auf den Schutz des Beschäftigten oder seines ungeborenen Kindes stützen, solange dadurch nicht die Sicherheit anderer Beschäftigter oder Kunden beeinträchtigt wird.232 c) Fallgruppen Auf Grundlage der Tests zur Konkretisierung der BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit und ihrer Auslegung durch den U.S. Supreme Court haben sich Fallgruppen herausgebildet, in denen BFOQ-Ausnahmen tendenziell eher als zulässig oder unzulässig angesehen werden. Die Rechtsprechung erkennt BFOQ-Ausnahmen vor allem an, wenn Interessen der Privatsphäre, der Authentizität oder der Sicherheit betroffen sind.233 Zum Teil werden die Fallgruppen zulässiger BFOQs im Schrifttum leicht abweichend benannt, McGinley macht beispielsweise noch eine vierte Kategorie der Sexindustrie aus, die vorliege, wenn der zentrale Unternehmensgegenstand in dem Verkauf von Sex oder sexueller Unterhaltung bestehe wie beispielsweise bei Strip-Clubs.234 Sirota benennt sogar fünf Berufskategorien, in denen die Gerichte eine BFOQ-Ausnahme zuließen: Neben Tätigkeiten, die Authentizität, den Schutz der Privatsphäre oder die Aufrechterhaltung von Gefängnissicherheit beträfen, spricht er noch von Berufen mit bestimmten psycho230  Manley

Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 181. University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 499 f. 232  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 487; Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S. 131. 233  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 17; Lidge Connecticut Law Review 38 (2005), 159, 165; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 176. 234  McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 265. 231  Cantor



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 137

logischen Anforderungen und solchen, die generell Sex-Appeal erforderten.235 Diese unterschiedliche Benennung ist indes lediglich formeller Natur, in der Sache werden die gleichen Fallgruppen angesprochen. So lassen sich die Berufe aus der Sexindustrie der Authentizitätskategorie zuordnen,236 und solche mit bestimmten psychologischen Anforderungen können als Untergruppe der Privatsphäreinteressen begriffen werden.237 Alle drei „Typen“ zulässiger BFOQ-Ausnahmen lassen sich als solche der Kundenpräferenzen interpretieren: Sogenannte Privatsphäre-BFOQs („privacy BFOQs“) beruhen im Kern auf einem Wunsch der Kunden nach dem Schutz ihrer Privatsphäre,238 entsprechendes gilt auch für die SicherheitsBFOQs („safety BFOQs“)239 und die Authentizitäts-BFOQs („autheticity BFOQs“).240 Dies wird sogleich bei genauerer Betrachtung der einzelnen Fallgruppen deutlich werden. Innerhalb der drei Kategorien „Authentizität“, „Privatsphäre“ und „Sicherheit“ zieht die Rechtsprechung bestimmte Grenzen zulässiger BFOQs, sodass ein vorgebrachtes Authentizitäts-, Privatsphäre- oder Sicherheitsinteresse eine Ungleichbehandlung nicht per se rechtfertigt, wie bereits die Entscheidung Johnson Controls veranschaulicht hat.241 Nach der Betrachtung der drei Fallgruppen, in denen die Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtfertigung einer Diskriminierung anerkennt (dazu unter aa]-cc]), soll auf die Fallgruppe der Sachverhalte mit Auslandsberührung – die Präferenzen stammen von einem ausländischen Geschäftspartner oder Kunden des Arbeitgebers aus einem anderen Kulturkreis – eingegangen werden (dazu unter dd]). Auf diese Weise soll aufgezeigt werden, ob bzw. inwiefern die Rechtsprechung diese Fälle anders beurteilt als Fälle ohne Auslandsberührung.

235  Sirota

Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025, 1059. z. B. Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 17, der die EscortDame als Beispiel für die Fallgruppe der Authentizität nennt. 237  Vgl. Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 178. 238  So z. B. Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 519; Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1261, 1264; Sirota Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025, 1064 f.; Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 361, 372; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 149 f. 239  So z. B. Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 504 f.; vgl. zu der Qualifikation dieser Fälle als „Kundenpräferenzfälle“ außerdem Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 290. 240  So z. B. Lidge Connecticut Law Review 38 (2005), 159, 169. 241  Siehe dazu bereits unter C. III. 3. b) bb). 236  Vgl.

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

aa) Authentizität Erfolgt die Benachteiligung eines Geschlechts aus Gründen der Authentizität, weil nur Personen eines bestimmten Geschlechts die Anforderungen an den Job glaubwürdig erfüllen können, bejahen sowohl die Richtlinien der EEOC242 als auch die Gerichte eine BFOQ-Ausnahme. (1) Zulässige Authentizität-BFOQs Der New York Supreme Court243 stellte im Jahr 1973 in Button v. Rockefeller fest, dass das Geschlecht eine BFOQ bei der Einstellung verdeckter Ermittler sei.244 Das Standardbeispiel in diesem Zusammenhang ist jedoch das des Schauspielers bzw. der Schauspielerin, das auch die EEOCRichtlinien ausdrücklich nennen.245 Darüber hinaus fallen typische Berufe aus der Sex- und Erotikindustrie im weiteren Sinne in diese Kategorie. Aufschlussreich sind die diesbezüglichen Ausführungen des U.S. District Court for the Northern District of Texas im Fall Wilson v. Southwest Airlines Co. aus dem Jahr 1981: „[I]n Jobs where sex or vicarious sexual recreation is the primary service provided, e. g. a social escort or a topless dancer, the job automatically calls for one sex exclusively; […].“246

Neben den Fällen der Oben-ohne-Tänzer / innen sowie der Escorts nannte das Gericht die „Playboy-Bunnies“ als Fall der Authentizitäts-BFOQ.247 Weiter verwies es auf eine Entscheidung des U.S. District Court for the Central District of California, derzufolge ein Fall der Authentizitäts-BFOQAusnahme wohl (Obiter Dictum) vorliege, wenn ein chinesisches Restaurant lediglich Chinesen beschäftige, um authentisch die Atmosphäre eines chine242  29

C.F.R. § 1604.2(a)(2). Siehe dazu bereits unter C. III. 2. Court“ ist auf Bundesebene und in den meisten Bundesstaaten der USA die Bezeichnung des höchsten Gerichts. Der New York Supreme Court ist indes nicht das höchste Gericht im Bundesstaat New York. Er fungiert als erste Instanz und ist zudem in seinen „appellate divisions“ Berufungsinstanz. Das höchste Gericht im Bundesstaat New ist der New York Court of Appeals. Vgl. instruktiv zum Gerichtssystem im Bundesstaat New York Johnstone New York Law School Law Review 43 (1999–2000), 915 ff. 244  Button v. Rockefeller 351 N.Y.S.2d 488, 492 (N.Y. Sup. Ct. 1973). 245  29 C.F.R. § 1604.2(a)(2). 246  Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 301 (N.D. Tex. 1981). 247  Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 301 m. w. N. (N.D. Tex. 1981); vgl. außerdem McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 269 f. m. w. N. 243  „Supreme



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 139

sischen Restaurants zu vermitteln.248 Deutlich wird aber auch, dass diese Ausnahme nur dann greifen soll, wenn das Geschlecht eine wesentliche Erfolgsbedingung für die Erfüllung der Tätigkeit ist.249 Die Grenze ist besonders in solchen Fällen schwer zu ziehen, in denen die Kommerzialisierung von Sex-Appeal eine Rolle spielt.250 Wenn das Produkt des Unternehmens, wie in den von Yuracko so bezeichneten „sex businesses“, in der sexuellen Stimulierung besteht, ist ein bestimmtes Geschlecht eine Bedingung für die Ausübung einer Tätigkeit in diesem Unternehmen.251 (2) Unzulässige Authentizität-BFOQs Schwieriger ist die Beurteilung der sogenannten „plus-sex businesses“, also der Unternehmen, die ein nicht sexuelles Produkt oder eine Dienstleistung mit Hilfe des Einsatzes von Sex-Appeal verkaufen.252 Es stellt sich die Frage, inwiefern der Sex-Appeal selbst dann auch Teil des Produktes ist.253 Besonders anschaulich wird diese Problematik in den „Flugbegleiter-Fällen“, die die US-Gerichte immer wieder beschäftigten. Neben der Entscheidung Diaz, in der der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit den „essence of the business“-Test entwickelte,254 ist der wohl prominenteste Fall die bereits angesprochene Entscheidung Wilson v. Southwest Airlines Co. („Southwest“).255 (a) Wilson v. Southwest Airlines Co. Die Fluggesellschaft Southwest, deren Kundschaft hauptsächlich aus männlichen Geschäftsleuten bestand,256 entwarf ein neues Unternehmenskonzept samt einer dazugehörigen Marketingstrategie. Danach begriff sich 248  Utility Workers v. Southern California Edison 320 F. Supp. 1262, 1265 (C.D. Cal. 1970). 249  Vgl. Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 181. 250  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 18. 251  Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 152, 157. 252  Begriff nach Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 152. 253  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 494; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 185. 254  Siehe dazu bereits unter C. III. 3. a) bb). 255  Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292 ff. (N.D. Tex. 1981); vgl. dazu Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 158; instruktive Zusammenfassungen des Falles finden sich z. B. bei Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 184 f.; McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 267 und Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 370 f. 256  Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 294 (N.D. Tex. 1981).

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Southwest als „love airline“ und warb mit der Fähigkeit, den Fluggästen „warme liebevolle Betreuung“ („tender loving care“) zukommen zu lassen.257 Im Einklang damit wurden auf den Flügen „love bites“ (geröstete Mandeln) und „love potions“ (Cocktails) serviert.258 Darüber hinaus wurde eine „quickie machine“ (Ticketautomat) verwendet, die „instant gratification“ (schnellen Service) ermöglichte.259 Teil dieses neuen Unternehmenskonzeptes war es auch, bei Tätigkeiten mit viel Kundenkontakt, also als Flugbegleiter und Mitarbeiter am Abfertigungsschalter, ausschließlich Frauen zu beschäftigen, mit deren Attraktivität das Unternehmen warb.260 Die Arbeitsbekleidung der Flugbegleiterinnen bestand unter anderem aus Hotpants und hohen Stiefeln.261 Eine Gruppe von Männern, deren Bewerbungen vor diesem Hintergrund zurückgewiesen wurden, erhob daraufhin Klage gegen Southwest wegen Geschlechtsdiskriminierung.262 Southwest brachte vor, dass eine entsprechende Einstellungspolitik im Hinblick auf die Identität als „love airline“ wesentlich für das Unternehmen sei.263 Obwohl der U.S. District Court for the Northern District of Texas anerkannte, dass Southwest gerade auf Grund dieses Konzeptes und der Marketingstrategie florierte,264 verneinte er das Vorliegen einer BFOQ.265 Er unterstrich, dass die wesentliche Funktion von Southwest trotz der Marketingstrategie in der sicheren Beförderung von Passagieren bestehe.266 Darüber hinaus stellte er fest: „[S]ex does not become a BFOQ merely because an employer chooses to exploit female sexuality as a marketing tool, or to better insure profitability.“267

Damit erteilte das Gericht der kommerziellen Ausnutzung von Kundenpräferenzen in Unternehmen, deren Hauptprodukt nicht in dem Verkauf von Sex oder Sex-Appeal besteht, eine Absage.268 Dieses Ergebnis begründet es mit dem Hinweis auf das Wesen des Unternehmens, also die essence of the business.269 Gleichzeitig veranschaulicht dieser Fall aber auch die Schwie257  Wilson 258  Wilson

v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 294 (N.D. Tex. 1981). v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 294 Fn. 4 (N.D. Tex.

259  Wilson

v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 294 Fn. 4 (N.D. Tex.

1981). 1981).

260  Wilson

v. Southwest Airlines v. Southwest Airlines 262  Wilson v. Southwest Airlines 263  Wilson v. Southwest Airlines 264  Wilson v. Southwest Airlines 265  Wilson v. Southwest Airlines 266  Wilson v. Southwest Airlines 267  Wilson v. Southwest Airlines 268  Vgl. auch Bartlett Michigan 269  Wilson v. Southwest Airlines 261  Wilson

Co 517 F. Supp. 292, 295 (N.D. Tex. 1981). Co 517 F. Supp. 292, 295 (N.D. Tex. 1981). Co 517 F. Supp. 292, 293 (N.D. Tex. 1981). Co 517 F. Supp. 292, 295 (N.D. Tex. 1981). Co 517 F. Supp. 292, 295 f. (N.D. Tex. 1981). Co 517 F. Supp. 292, 302 (N.D. Tex. 1981). Co 517 F. Supp. 292, 302 (N.D. Tex. 1981). Co 517 F. Supp. 292, 303 (N.D. Tex. 1981). Law Review 92 (1993–1994), 2541, 2578 f. Co 517 F. Supp. 292, 302 (N.D. Tex. 1981).



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 141

rigkeiten bei der Bestimmung der wesentlichen Aufgabe des Unternehmens, die sich vor allem bei den plus-sex businesses stellt.270 (b) EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. Die Authentizitäts-BFOQ-Ausnahme scheitert nicht nur in Fällen der plus-sex businesses, auch sonst wird sie nur sehr restriktiv bejaht.271 Dies lässt sich anhand der Entscheidung EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. des U.S. Court of Appeals for the Eleventh Circuit („Joe’s Stone Crab“) aus dem Jahr 2000 illustrieren.272 Die EEOC hatte im Jahr 1991 Klage gegen Joe’s Stone Crab, ein Fischrestaurant, erhoben und geltend gemacht, das Restaurant diskriminiere Frauen bei der Einstellung.273 In dem der Klage vorangehenden Zeitraum zwischen 1986 und 1990 hatte Joe’s Stone Crab 108 Männer und keine Frau als Kellner eingestellt.274 Das Restaurant wollte den Gästen ein Ambiente der „Alten Welt“ („old world fine dining ambience“) bieten, das man mit europäischen Restaurants der gehobenen Küche verbinde.275 Dieses Ambiente sei untrennbar mit dem ausschließlichen Einsatz männlicher Kellner verbunden.276 Der U.S. District Court for the Southern District of Florida verneinte das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung277 und erkannte damit die Fähigkeit eines Bewerbers, zu einer bestimmten Atmosphäre beizutragen, als legitimen, von Joe’s Stone Crab geforderten Soft Skill an.278 Der U.S. Court of Appeals for the Eleventh Circuit vertrat jedoch eine andere Auffassung.279 Die vom U.S. District Court for the Southern District of Florida festgestellten Tatsachen ließen auch den Schluss zu, dass in Joe’s Stone Crab’s Einstellungspraxis eine Form der unmittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts zu sehen sei,280 sodass der U.S. Court of Appeals for the Eleventh Circuit den Fall an die vorgehende Instanz zurückverwies. Ausdrücklich ging er nicht auf die BFOQ-Ausnahme ein. Doch wird in seinen Ausführungen deutlich, dass 270  Vgl. auch Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 17; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 181. 271  So Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 181. 272  EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. 220 F.3d 1263 ff. (11th Cir. 2000); vgl. auch vorgehend EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc, 969 F. Supp. 727 ff. (S.D. Fla. 1997). 273  Vgl. dazu auch Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 188 f. 274  EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. 969 F. Supp. 727, 733 (S.D. Fla. 1997). 275  EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. 969 F. Supp. 727, 732 f. (S.D. Fla. 1997). 276  EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. 969 F. Supp. 727, 731 f. (S.D. Fla. 1997). 277  EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. 969 F. Supp. 727, 741 (S.D. Fla. 1997). 278  Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 188. 279  EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. 220 F.3d 1263 (11th Cir. 2000). 280  EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. 220 F.3d 1263, 1281 (11th Cir. 2000).

142

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

er bei Feststellung einer unmittelbaren Benachteiligung durch den U.S. District Court for the Southern District of Florida von deren Unzulässigkeit ausgeht, mit anderen Worten also eine Rechtfertigungsmöglichkeit ausschließt.281 Manley liest dies dahingehend, dass das Gericht letztlich eine Authentizitäts-BFOQ verneine.282 Interessant ist ein Vergleich mit der von der Rechtsprechung für zulässig gehaltenen Authentizitäts-BFOQ des chinesischen Restaurants für die Einstellung chinesischen Bedienungspersonals:283 In beiden Fällen soll Personal mit bestimmten Merkmalen zu der Schaffung eines besonderen Ambientes beitragen. Anders als ein „chinesisches Am­ biente“ hängt ein „Alte Welt Ambiente“ allerdings mit traditionellen Rol­ lenbildern und Klischees von Mann und Frau zusammen, die Title VII beseitigen möchte.284 Dies bestätigen auch zwei weitere Entscheidungen: In Bollenbach v. Board of Education („Bollenbach“) aus dem Jahr 1987 entschied der U.S. District Court for the Southern District of New York, dass das männliche Geschlecht keine BFOQ für Schulbusfahrer sei und dass auch eine entsprechende Präferenz religiöser Eltern die Diskriminierung weiblicher Schulbusfahrer nicht rechtfertige.285 Außerdem urteilte der U.S. District Court for the Eastern District of Louisiana in Coker v. Dixie Motors, Inc. („Coker“) aus dem Jahr 2002, dass Kundenpräferenzen für männliche Autoteileverkäufer eine Diskriminierung weiblicher Autoteileverkäufer nicht rechtfertigen könnten.286 Im konkreten Fall hatte ein Kunde solange keine Autoteile von Dixie Motors abgenommen, wie eine Frau die Abteilung für den Autoteileverkauf leitete.287 Allerdings konnte Dixie Motors nicht nachweisen, dass der Einsatz der Frau unternehmensweite Auswirkungen hatte, die eine glaubwürdige Bedrohung für die Profitabilität des Unternehmens dargestellt hätten.288 Wie Joe’s Stone Crab zeigen die Entscheidungen Bollenbach und Coker, dass Kundenpräferenzen eine Diskriminierung nicht EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. 220 F.3d 1263, 1282 ff. (11th Cir. 2000). Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 181. 283  Vgl. Utility Workers v. Southern California Edison 320 F. Supp. 1262, 1265 (C.D. Cal. 1970). Siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) aa) (1). 284  Vgl. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 767 m. w. N.; Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1258, 1266 m. w. N.; Post California Law Review 88 (2000), 1, 19. 285  Bollenbach v. Board of Education 659 F. Supp. 1450, 1472 (S.D.N.Y. 1987). 286  Coker v. Dixie Motors, Inc. 2002 U.S. Dist. LEXIS 27751, 24 f. (E.D. La. 2002). 287  Coker v. Dixie Motors, Inc. 2002 U.S. Dist. LEXIS 27751, 4  f. (E.D. La. 2002). 288  Coker v. Dixie Motors, Inc. 2002 U.S. Dist. LEXIS 27751, 25 (E.D. La. 2002). 281  Vgl.

282  Manley



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 143

rechtfertigen können, wenn sie in klischeehaften Vorstellungen über Rollenbilder oder klassische Männer- und Frauenjobs wurzeln. In Bezug auf Joe’s Stone Crab sind zudem die bereits vorgestellten Studienergebnisse interessant, nach denen hochpreisige Restaurants tendenziell eher Männer als Bedienungen beschäftigen, wobei die Vergütung in den Restaurants der gehobenen Preisklasse höher ist.289 Auch diese Zusammenhänge mögen erklären, wieso die Rechtsprechung einer Frauen ausschließenden Bedienungspersonalpolitik hochpreisiger Restaurants ablehnend gegenübersteht.290 (3) Zusammenfassende Beobachtungen zur Authentizitäts-BFOQ Zusammenfassend bejaht die Rechtsprechung die Voraussetzungen der Authentizitäts-BFOQ nur in wenigen Ausnahmefällen. Die glaubwürdige Erbringung einer Arbeitsleistung durch Personen eines bestimmten Geschlechts muss durch das Wesen des Unternehmens – die „essence of the business“ – gefordert sein. Diese Voraussetzung verneinen die Gerichte insbesondere bei dem Einsatz von Sex-Appeal zur Vermarktung anderer Produkte oder Dienstleistungen. Außerdem akzeptiert die Rechtsprechung eine BFOQ-Ausnahme auch dann nicht, wenn das authentisch zu vermittelnde Ambiente auf klischeehaften, traditionellen Rollenbildern von Mann und Frau beruht. Als Faustregel lässt sich – stark vereinfacht – festhalten, dass Stripbars sich zur Rechtfertigung einer Geschlechtsdiskriminierung auf Kundenpräferenzen berufen können, Restaurants und Fluglinien hingegen nicht.291 bb) Privatsphäre Die zweite Fallgruppe, in der es Arbeitgebern oft gelingt, erfolgreich eine BFOQ-Ausnahme geltend zu machen, greift, wenn Privatsphäreinteressen der Kunden betroffen sind.292 Der U.S. Supreme Court musste zwar noch nie einen entsprechenden Fall entscheiden,293 doch hat er in dem Urteil 289  Siehe

dazu bereits unter B. II. 4. d) bb). z. B. auch Levendos v. Stern Entertainment, Inc. 723 F. Supp. 1104, 1107 (W.D. Pa. 1989); reversed on other grounds 909 F.2d 747 (3d Cir. 1990); vgl. dazu Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 506. 291  Bartlett Michigan Law Review 92 (1993–1994), 2541, 2579. 292  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 18; Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 502; Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1264; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 176; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 156. 293  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 361. 290  So

144

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Johnson Controls294 angedeutet, dass Privatsphäreinteressen eine legitime BFOQ-Ausnahme begründen könnten.295 Wörtlich bemerkte er: „We have never addressed privacy-based sex discrimination, and shall not do so here, because the sex-based discrimination at issue today does not involve the privacy interests of Johnson Controls’ customers. Nothing in our discussion of the ‚essence of the business test,‘ however, suggests that sex could not constitute a BFOQ when privacy interests are implicated.“296

In diesem Sinne haben die Instanzgerichte die Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen für Beschäftigte eines bestimmten Geschlechts in einer Reihe von Fällen anerkannt, in denen die Privatsphäreinteressen der Kunden betroffen waren.297 Entsprechende Fälle treten vor allem in drei Schauplätzen auf: erstens in Gefängnissen298 – die „Kunden“ sind in diesem Fall die Inhaftierten, zweitens im Zusammenhang mit Tätigkeiten von Reinigungspersonal oder Hausmeistern in Umkleide- oder Duschräumen sowie drittens in Einrichtungen aus dem Bereich des Gesundheitswesens wie Krankenhäusern, Arztpraxen, Psychiatrien oder auch Fitnessstudios.299 Wenn die Gerichte mit Privatsphärefällen konfrontiert werden, gehen sie regelmäßig in zwei Prüfungsschritten vor:300 Erstens muss der Arbeitgeber zeigen, dass die Einstellung von Personen eines bestimmten Geschlechts die „essence of the business“ unterlaufen würde. Zweitens obliegt dem Arbeitgeber der Beweis, dass keine zumutbare, weniger diskriminierend wirkende Alternativmaßnahme existiert, mit deren Hilfe der Konflikt zwischen gleichen Beschäftigungschancen und Privatsphäreinteressen abgemildert oder vermieden werden kann. Sie legen also den Fokus nicht auf den „all or substantially all“-Test, sondern auf den „essence of the business“- und den „less discriminatory alternatives“-Test. Das Vorliegen der Voraussetzungen des „less discriminatory alternatives“-Tests ist der Hauptstreitpunkt in den meisten Privatsphärefällen.301 Zur Veranschaulichung sollen nun einige Entscheidungen dargestellt werden, in denen die 294  Siehe

dazu bereits unter C. III. 3. b) bb). Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 176. 296  International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 206 Fn. 4 (1991). 297  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1259 m. w. N. 298  Eingehend zu der Privatsphäre-BFOQ im Gefängniszusammenhang vgl. Tharnish Iowa Law Review 65 (1979–1980), 428 ff. 299  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 372 m. w. N. Vgl. auch Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 18 sowie Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 502 f. 300  Vgl. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 753; Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 372. 301  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 18. 295  Manley



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 145

Gerichte eine BFOQ-Ausnahme im Zusammenhang mit der Privatsphäre der Kunden bejaht bzw. verneint haben. (1) Zulässige Privatsphäre-BFOQs Beispiele zulässiger Privatsphäre-BFOQ-Ausnahmen finden sich in allen drei angesprochenen Schauplätzen – im Zusammenhang mit Hausmeistertätigkeiten [dazu unter (a)], im Gesundheitswesen [dazu unter (b)] und in Haftanstalten [dazu unter (c)]. (a) Hausmeistertätigkeiten Diskriminierungen wegen des Geschlechts bei Hausmeistertätigkeiten wurden z.  B. in den Entscheidungen Brooks v. ACF Industries, Inc. („Brooks“)302 aus dem Jahr 1982 sowie Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. („Norwood“)303 aus dem Jahr 1984 für zulässig gehalten. In Brooks ging es darum, ob einer weiblichen Reinigungskraft die Tätigkeit in den Wasch- und Umkleideräumen der Männer eines Automobilwerks verweigert werden konnte. Der U.S. District Court for the Southern District of West Virginia bejahte die Voraussetzungen der BFOQ-Ausnahme. Die männlichen Fabrikarbeiter seien unbekleidet den Blicken der Reinigungskraft ausgesetzt.304 Dies verletze bei Einsatz einer weiblichen Reinigungskraft die Privatsphäre der Arbeiter:305 „[W]hile using any of the bathhouses, the male employees had legitimate privacy rights that would have been violated by a female’s entering and performing janitorial duties therein during the use thereof, and to protect those rights, those male employees were entitled to insist that defendant not assign plaintiff to do so.“306

Ähnlich entschied der U.S. District Court for the Northern District of ­Illinois in dem Fall Norwood. Die Einstellungspolitik des Arbeitgebers für 302  Brooks

v. ACF Industries, Inc. 537 F. Supp. 1122 ff. (S.D. W. Va. 1982). v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410 ff. (N.D. Ill.

303  Norwood

1984).

304  Brooks

v. ACF Industries, Inc. 537 F. Supp. 1122, 1125 (S.D. W. Va. 1982). erfolgte die Benachteiligung der weiblichen Reinigungskraft in Brooks nicht im Hinblick auf die Privatsphäre von Kunden, sondern von anderen Beschäftigten des Arbeitgebers. Ein „Kundenpräferenzfall“ läge vor, wenn das Automobilwerk, bei dem die Fabrikarbeiter angestellt waren, eine Reinigungsfirma beauftragt hätte und von dieser erwartet hätte, dass sie nur männliche Reinigungskräfte in den Männer-Umkleideräumen des Automobilwerks einsetzte. Wie die Entscheidung Norwood zeigt, stellen die Gerichte in entsprechenden Kundenpräferenzkonstellationen aber vergleichbare Überlegungen wie das Gericht in Brooks an. 306  Brooks v. ACF Industries, Inc. 537 F. Supp. 1122, 1132 (S.D. W. Va. 1982). 305  Freilich

146

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Reinigungskräfte der sanitären Anlagen eines Bürogebäudes stellte sicher, dass die Männertoiletten nur von männlichen, die Frauentoiletten nur von weiblichen Reinigungskräften geputzt wurden.307 Deshalb wurde die Bewerbung von Vera Norwood auf die Stelle einer Reinigungskraft für die Männertoiletten abgelehnt.308 Das Gericht bejahte die Voraussetzungen einer Privatsphäre-BFOQ-Ausnahme.309 Es stellte fest: „A defendant in privacy rights cases may satisfy its burden of proving a factual basis for a sex-based hiring policy by showing that the clients or guests of a particular business would not consent to service by a member of the opposite sex, and that the clients or guests would stop patronizing the business if members of the opposite sex were allowed to perform the service.“310

Dieser Beweislast sei der Arbeitgeber nachgekommen.311 Dabei stützte er sich vor allem auf ein Sachverständigengutachten.312 Der Sachverständige hatte informelle Befragungen der im Bürogebäude tätigen Beschäftigten durchgeführt. Auf Grundlage dieser Befragungen kam er zu folgendem Schluss: „[T]he current same sex policy imposes no stress on the users of the washrooms, whereas an opposite sex procedure would cause embarrassment and increased stress (e. g., men would not be able to urinate if a women were present in the men’s washroom).“313

Sowohl in Brooks als auch in Norwood setzten die Gerichte sich ausführlich mit der Frage auseinander, ob eine zumutbare, weniger diskriminierend wirkende Alternativmaßnahme existierte.314 Unter anderem stand jeweils der Vorschlag im Raum, die sanitären Anlagen für den Zeitraum der Reinigung zu schließen. Das wurde jedoch nach eingehender Betrachtung in beiden Fällen – wie auch weitere erwogene mildere Mittel – als hochgradig 307  Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410, 1412 f. (N.D. Ill. 1984). 308  Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410, 1413 f. (N.D. Ill. 1984). 309  Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410, 1423 (N.D. Ill. 1984). 310  Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410, 1416 (N.D. Ill. 1984). 311  Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410, 1417 (N.D. Ill. 1984). 312  Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410, 1416 f. (N.D. Ill. 1984). 313  Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410, 1417 (N.D. Ill. 1984). 314  Brooks v. ACF Industries, Inc. 537 F. Supp. 1122, 1132 ff. (S.D. W. Va. 1982); Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410, 1417 ff. (N.D. Ill. 1984).



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 147

unpraktisch und unvernünftig („highly impracticable and unreasonable“) abgelehnt.315 (b) Tätigkeiten im Gesundheitswesen Besonders viele Beispiele zulässiger Diskriminierungen wegen des Geschlechts im Hinblick auf die Privatsphäre der Kunden sind im Gesundheitsbereich zu finden. (aa) Tätigkeiten auf der Entbindungsstation So hält die Rechtsprechung eine Geschlechtsdiskriminierung bei Geburtshilfen bzw. bei Krankenpflegepersonal auf der Geburtsstation eines Krankenhauses für zulässig. Zwei dafür stehende Beispiele316 sind die Entscheidungen Backus v. Baptist Medical Center („Backus“)317 aus dem Jahr 1981 und EEOC v. Mercy Health Center („Mercy Health“)318 aus dem Jahr 1982. Beide Fälle betrafen Einstellungspolitiken medizinischer Einrichtungen, wonach ausschließlich Krankenschwestern (nicht: -pfleger) auf der Geburtsstation eines Krankenhauses beschäftigt wurden. Die damit befassten Gerichte bejahten jeweils die Voraussetzungen einer BFOQ-Ausnahme. Das Baptist Medical Center in dem Fall Backus führte an, dass es im Hinblick auf den Schutz von Privatsphäre und Würde der Patientinnen auf der Geburtsstation für einen männlichen Beschäftigten unmöglich sei, die Arbeitspflichten effektiv zu erfüllen.319 Der U.S. District Court for the Eastern District of Arkansas wies darauf hin, dass eine Entbindungspatientin durchgehend ihre Genitalien entblößen müsse und nur wenige Pflichten einer Krankenschwester gegenüber der Entbindungspatientin nicht sehr intimer Natur seien.320 Mit einer entsprechenden Begründung berief sich das Mercy Health Center in Mercy Health auf die BFOQ-Ausnahme: „Mercy has contended that gender (female) is a bona fide occupational qualification and has based its policy upon its belief in the patient’s right to privacy and 315  Brooks v. ACF Industries, Inc. 537 F. Supp. 1122, 1127 (S.D. W. Va. 1982); vgl. auch Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. 590 F. Supp. 1410, 1422 (N.D. Ill. 1984). 316  So z. B. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 755 f.; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 156 mit Fn. 22, 170 mit Fn. 78. 317  Backus v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191  ff. (E.D. Ark. 1981); reversed on other grounds 671 F.2d 1100 (8th Cir. 1982). 318  EEOC v. Mercy Health Center 29 FEP Cases (BNA) 159  ff. (W.D. Okla. 1982). 319  Backus v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191, 1192 (E.D. Ark. 1981). 320  Backus v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191, 1193 (E.D. Ark. 1981).

148

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

upon the medical necessity of minimizing the tension, fear, and stress which accompanies the labor and delivery experience.“321

Das Gericht in Backus machte einen entscheidenden Unterschied zwischen den Privatsphärerechten und einer „reinen Kundenpräferenz“ aus: „It is important not to confuse the privacy rights […] with a mere ‚customer preference.‘ Whereas a ‚customer preference‘ will not justify a job qualification based on sex, an invasion of privacy will.“322

Mithilfe von Zeugenaussagen des medizinischen Personals gelang es dem Baptist Medical Center, das Gericht davon zu überzeugen, dass die Patientinnen die intime Berührung durch männliche Krankenpfleger ablehnen würden und deren Einsatz den Geschäftsbetrieb des Krankenhauses untergraben würde.323 In Mercy Health ließ sich der U.S. District Court for the Western District of Oklahoma von einer vorgebrachten Umfrage überzeugen, die belegte, dass sechzig bis siebzig Prozent der Mütter und ein größerer Prozentsatz der Väter (keine genaue Prozentzahlangabe) einem Einsatz männlicher Krankenpfleger im Kreissaal widersprachen.324 Bemerkenswert ist, dass die Gerichte hinnahmen, dass die Patientinnen in beiden Krankenhäusern von männlichen Gynäkologen behandelt wurden.325 Schließlich gingen die Gerichte in beiden Fällen ausführlich auf zumutbare, weniger diskriminierend wirkende Alternativmaßnahmen ein und kamen jeweils zu dem Schluss, dass sie nicht existierten.326 Insbesondere sei es nicht möglich, die Arbeit auf der Geburtsstation so zu organisieren, dass männliche Krankenpfleger nur nicht-intime Aufgaben erfüllten, weil nahezu alle Aufgaben einen zumindest visuellen Kontakt mit dem entblößten Genitalbereich der Entbindungspatientinnen erforderten.327 (bb) Pflegetätigkeiten in Altersheimen Die gleiche Problematik stellt sich in Altersheimen. Dort lässt die Rechtsprechung eine geschlechtsdiskriminierende Einstellungspolitik ebenfalls zu. 321  EEOC

1982).

322  Backus

v. Mercy Health Center 29 FEP Cases (BNA) 159, 160 f. (W.D. Okla.

v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191, 1194 (E.D. Ark. 1981). v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191, 1196 (E.D. Ark. 1981). 324  EEOC v. Mercy Health Center 29 FEP Cases (BNA) 159, 163 (W.D. Okla. 1982). 325  Vgl. auch Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1264 f. 326  Backus v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191, 1197 (E.D. Ark. 1981); EEOC v. Mercy Health Center 29 FEP Cases (BNA) 159, 163 (W.D. Okla. 1982). 327  Backus v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191, 1197 (E.D. Ark. 1981); EEOC v. Mercy Health Center 29 FEP Cases (BNA) 159, 163 (W.D. Okla. 1982). 323  Backus



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 149

Aufschlussreich sind die Ausführungen des U.S. District Court for the District of Delaware in der Entscheidung Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. („Fesel“) aus dem Jahr 1978.328 Frederik Fesel hatte eine Diskriminierungsklage gegen das Altersheim erhoben, nachdem es seine Bewerbung auf einen Posten als Altenpfleger abgelehnt und stattdessen eine Frau eingestellt hatte.329 Das Masonic Home beherbergte zu der Zeit dreißig Senioren, von denen 22 weiblich waren.330 Zur Rechtfertigung berief es sich auf die BFOQ-Ausnahme und brachte vor, dass die Einstellung eines männlichen Altenpflegers den Geschäftsbetrieb des Altenheims untergraben hätte.331 Nach den Feststellungen des Gerichts beinhalteten die Arbeitspflichten des Altenpflegepersonals unter anderem intime persönliche Betreuungsleistungen wie Anziehen, Baden, das Auswechseln von Slipeinlagen inkontinenter Patienten oder auch die Unterstützung bei Toilettengängen und dem Gebrauch von Bettpfannen.332 Die älteren Damen würden eine Betreuung durch einen männlichen Altenpfleger ablehnen.333 Zum Beweis legte das Masonic Home eidesstattliche Versicherungen von neun weiblichen Residenten des Altersheims vor, in denen diese angaben, einer Pflege durch einen männlichen Krankenpfleger nicht zuzustimmen.334 Darüber hinaus sagten drei Kinder von in dem Masonic Home lebenden älteren Damen aus, dass sie ihre Mütter in einem anderen Heim unterbringen würden, wenn diese von einem Mann gepflegt würden.335 Des Weiteren betonten die zwei im Altersheim behandelnden Ärzte, dass die Anwesenheit eines männlichen Krankenpflegers im Heim zu einer großen Beunruhigung führen würde.336 Acht weitere weibliche Residenten des Heims bezeugten zudem vor Ge328  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346  ff. (D. Del. 1978). Eine ausführliche Besprechung dieser Entscheidung liefert Kingma Valparaiso University Law Review 14 (1979–1980), 577 ff. 329  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1348 (D. Del. 1978). 330  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1348 (D. Del. 1978). 331  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1352 (D. Del. 1978). 332  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1348 (D. Del. 1978). 333  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1352 (D. Del. 1978). 334  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1352 (D. Del. 1978). 335  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1352 (D. Del. 1978). 336  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1352 (D. Del. 1978).

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

richt, dass sie nicht in eine Pflege durch einen männlichen Krankenpfleger einwilligen würden.337 Das Gericht sah sich im Ergebnis davon überzeugt, dass sich die Mehrzahl der älteren Damen einer Pflege durch einen Mann widersetzen würde.338 Daraufhin fuhr es fort: „[T]he attitudes of the nonconsenting female guests at the Home are undoubtedly attributable to their upbringing and to sexual stereotyping of the past. While these attitudes may be characterized as ‚customer preference‘, this is, nevertheless, not the kind of case governed by the regulatory provision that customer preference alone cannot justify a job qualification based upon sex. Here personal privacy interests are implicated which are protected by law and which have to be recognized by the employer in running its business.“339

Das Gericht gestand dem Kläger folglich zu, dass die Wünsche der älteren Damen auf in ihrer Erziehung vermittelten Klischeevorstellungen beruhten und als Kundenpräferenzen zu qualifizieren waren. Trotzdem unterschied es diese auf Privatsphäreinteressen beruhenden Kundenpräferenzen von solchen, die nach den EEOC-Richtlinien verboten sind.340 Ähnlich nahm auch das Gericht in Backus eine „distinction between a privacy right and a mere customer preference“341 vor. Anders als der U.S. District Court for the District of Delaware in Fesel führte der U.S. District Court for the Eastern District of Arkansas in Backus die Privatsphäreinteressen freilich nicht auf geschlechtsbezogene Stereotypen, sondern auf das natürliche menschliche Schamgefühl zurück.342 Darin spiegelt sich die Auffassung wider, dass Kundenpräferenzen für die Betreuung durch einen Pfleger des gleichen Geschlechts nicht auf bösartigen bzw. chauvinistischen Klischeevorstellungen beruhen.343 Wie in den anderen, Privatsphäreinteressen der Kunden betreffenden Fällen auch untersuchte das Gericht in Fesel ausführlich die Frage zumutbarer, weniger diskriminierend wirkender Alternativmaßnahmen, verneinte deren Existenz jedoch im Ergebnis.344

337  Fesel

v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1352 (D. Del.

338  Fesel

v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1352 (D. Del.

339  Fesel

v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1352 (D. Del.

1978). 1978). 1978).

340  Winterscheidt

University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 193. v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191, 1194 (E.D. Ark. 1981). 342  Backus v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191, 1194 (E.D. Ark. 1981). 343  Vgl. dazu Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 376. 344  Fesel v. Masonic Home of Delaware, Inc. 447 F. Supp. 1346, 1353 f. (D. Del. 1978). 341  Backus



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 151

(cc) Weitere Beispiele aus dem Gesundheitsbereich Zwei weitere Beispiele aus dem Gesundheitsbereich sind die Entscheidungen Jones v. Hinds General Hospital („Jones“) aus dem Jahr 1987345 sowie Healey v. Southwood Psychiatric Hospital („Healy“) aus dem Jahr 1996.346 Der Fall Jones ist deshalb erwähnenswert, weil es dort – anders als in den anderen bisher aus dem Gesundheitswesen angesprochenen Beispielen – um eine Benachteiligung von Frauen ging347 und die Ausführungen des Gerichts in einem Spannungsverhältnis zu der Entscheidung Fesel stehen. Das Urteil Jones beruhte auf dem Sachverhalt, dass in dem Hinds General Hospital ursprünglich rund sechzig Krankenschwestern und -pfleger beschäftigt waren, von denen sieben männlich waren.348 Als das Krankenhaus elf Mitarbeiter entlassen musste, wurden trotz zum Teil geringerer Seniorität der Männer ausschließlich Frauen entlassen.349 Das Krankenhaus berief sich dabei auf die Privatsphäre und Würde der männlichen Patienten: Um diese zu bewahren, müsse man eine ausreichende Anzahl männlicher Krankenpfleger beschäftigen, sodass man keinen der Krankenpfleger entlassen könne.350 Der U.S. District Court for the Southern District of Mississippi bejahte im Ergebnis eine Rechtfertigung der Diskriminierung wegen des Geschlechts351 und führte aus: „The job duties of male and female orderlies often require that such employee view or touch the private parts of their patients. While at the time of the layoffs there was an abundance of female nurse assistants available for female patients, the Hospital had very few male personnel who could perform these functions for male patients.“352

Zudem beschäftigte sich das Gericht in Jones eingehend mit der Frage zumutbarer, weniger diskriminierend wirkender Alternativmaßnahmen, deren Existenz es aber verneinte.353 In der Gegenüberstellung mit dem Fall Fesel zeigt sich ein entscheidender Unterschied: Während das Krankenhaus in Jones die Privatsphärebedürfnisse von Männern und Frauen gleich gewichtete, war das Masonic Home in Fesel lediglich um den Schutz der 345  Jones

v. Hinds General Hospital 666 F. Supp. 933 ff. (S.D. Miss. 1987). v. Southwood Psychiatric Hospital 78 F.3d 128 ff. (3d Cir. 1996). 347  Vgl. dazu Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 374 f. 348  Jones v. Hinds General Hospital 666 F. Supp. 933, 934 (S.D. Miss. 1987). 349  Jones v. Hinds General Hospital 666 F. Supp. 933, 934 (S.D. Miss. 1987). 350  Jones v. Hinds General Hospital 666 F. Supp. 933, 935 (S.D. Miss. 1987). 351  Jones v. Hinds General Hospital 666 F. Supp. 933, 937 (S.D. Miss. 1987). 352  Jones v. Hinds General Hospital 666 F. Supp. 933, 936 (S.D. Miss. 1987). 353  Jones v. Hinds General Hospital 666 F. Supp. 933, 937 (S.D. Miss. 1987); vgl. dazu Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 755. 346  Healey

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Privatsphäre der weiblichen Residenten besorgt. Den weiblichen Bewohnern in Fesel sollte nicht zugemutet werden, sich gegenüber einem männlichen Altenpfleger entblößen zu müssen. Demgegenüber mussten sich die älteren Herren von Krankenschwestern pflegen lassen. Der U.S. District Court for the District of Delaware in Fesel lässt diese asymmetrische Diskriminierung zu.354 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der Rechtsprechung insbesondere auf dem Gebiet der Privatsphäre-BFOQ zu Recht Inkonsistenz vorgeworfen wird.355 Ein letztes nennenswertes Urteil aus dem Gesundheitsbereich ist die Entscheidung Healey. Der U.S. Court of Appeals for the Third Circuit hielt eine Geschlechtsdiskriminierung bei dem in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses tätigen Personal, das emotional gestörte und zum Teil auch sexuell missbrauchte Kinder behandelte, für zulässig. Zur Begründung verwies das Gericht auf den therapeutischen Zweck sowie auf die Privatsphäre der Patienten: „The ‚essence‘ of Southwood’s business is to treat emotionally disturbed and sexually abused adolescents and children. […] ‚Role modeling‘, including parental role modeling, is an important element of the staff’s job, and a male is better able to serve as a male role model than a female and vice versa. […] In addition to therapeutic goals, privacy concerns justify Southwood’s discriminatory staffing policy. Southwood established that adolescent patients have hygiene, menstrual, and sexuality concerns which are discussed more easily with a staff member of the same sex. Child patients often must be accompanied to the bathroom, and sometimes even must be bathed.“356

Dieser Fall bildet ein Beispiel für eine Tätigkeit mit bestimmten psychologischen Anforderungen als Unterkategorie der Privatsphärefälle.357 Bemerkenswert ist, dass das Gericht in Healey, anders als in den meisten anderen Privatsphärefällen, weder ausführlich auf die Frage zumutbarer, weniger diskriminierend wirkender Alternativmaßnahmen einging noch strenge Anforderungen an den Beweis durch das Krankenhaus stellte. So bejahte es die Voraussetzungen der BFOQ-Ausnahme trotz Fehlens jeglichen wissendazu Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 767 f. z. B. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 769; vgl. auch Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 19; Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 490; Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1264 f.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 186 ff. 356  Healey v. Southwood Psychiatric Hospital 78 F.3d 128, 132 f. (3d Cir. 1996). 357  Vgl. dazu Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 178 sowie Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 386 f. Von einer gesonderten Kategorie der „role model BFOQ“ sprechen Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 20 ff. und Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1259. 354  Vgl. 355  So



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 153

schaftlichen Beweises bzw. Sachverständigenaussagen von Psychologen.358 Dies könnte daran liegen, dass die Rechtsprechung auf dem Gebiet „therapeutischer BFOQ“359 – bei Betroffenheit psychologischer Bedürfnisse vor allem minderjähriger Kunden360 – generell etwas nachgiebiger zu sein scheint. Andererseits könnte auch von Bedeutung sein, dass in Healey nicht nur psychologische Bedürfnisse, sondern zusätzlich die Sorge um die körperliche Privatsphäre eine Rolle spielten. (c) Tätigkeiten in Gefängnissen Noch weiter361 geht die Entscheidung Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services („Torres“) aus dem Jahr 1988.362 Sie betraf die Zulässigkeit der Einstellungspolitik eines Hochsicherheitsgefängnisses, in den Wohneinheiten für Frauen ausschließlich weibliche Justizvollzugsbeamte zu beschäftigen.363 Obwohl die Rechtsprechung bei der Anerkennung einer Diskriminierungsrechtfertigung im Hinblick auf die Privatsphäreinteressen Inhaftierter eher zurückhaltend ist,364 bejahte der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit in Torres eine BFOQ-Ausnahme. Ungeachtet etwaiger körperlicher Privatsphäreinteressen der Gefangenen erkannte das Gericht eine Diskriminierungsrechtfertigung allein im Hinblick auf die Resozialisierung der Häftlinge an.365 Der Arbeitgeber berief sich dabei auf das professionelle Urteil der Gefängnisleiterin.366 Danach sei es im Hinblick auf das Ziel der Resozialisierung entscheidend, den inhaftierten Frauen einen Lebensraum ohne Anwesenheit männlicher Autoritätspersonen zu bieten.367 Diese Einschätzung der Gefängnisleiterin beruhte auf ihrer Berufserfahrung, Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 178. einer „therapeutic BFOQ“ spricht Lidge Connecticut Law Review 38 (2005), 159, 169 ff. 360  Vgl. dazu Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 20 ff. sowie Sirota Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025, 1068 ff. 361  Vgl. dazu Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 491 f.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 179. 362  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 859 F.2d 1523 ff. (7th Cir. 1988). 363  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 859 F.2d 1523, 1524 (7th Cir. 1988). 364  Siehe dazu sogleich unter C. III. 3. c) bb) (2) (a). 365  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 859 F.2d 1523, 1529 f. (7th Cir. 1988). 366  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 859 F.2d 1523, 1530 (7th Cir. 1988). 367  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 859 F.2d 1523, 1530 (7th Cir. 1988). 358  Vgl. 359  Von

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Gesprächen und täglichem Kontakt mit den Gefangenen.368 Ein weiterer Grund für die geschlechtsdiskriminierende Einstellungspraxis war, dass ein hoher Anteil (ca. sechzig Prozent) der weiblichen Häftlinge physisch und sexuell missbraucht worden war.369 Der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit folgte dieser Argumentation. Zunächst stellte er fest, dass die „essence of the business“ einer Haftanstalt in der Resozialisierung der Inhaftierten bestehe.370 Weiter führte er aus: „[W]e are not dealing here with a mere matter of ‚consumer preference‘. The issue here is not what the prisoners want or believe is beneficial or appropriate. Rather, the issue is whether the state, charged with the responsibility of rehabilitation – a responsibility not only to the inmate but to the public – may pursue that goal in the manner at issue here.“371

Dies erinnert an die Argumentation der Gerichte in Backus und Fesel.372 Auch diese nahmen jeweils eine Abgrenzung zu Fällen der „reinen Kundenpräferenzen“ im Sinne der EEOC-Richtlinien vor. Ungeachtet dessen handelt es sich angesichts des hier verwendeten, weiten Kundenpräferenzbegriffs373 bei allen diesen Fällen um Kundenpräferenzfälle im Sinne dieser Arbeit. Der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit in Torres befand weiter: „[T]he presence of unrelated males in living spaces where intimate bodily functions take place is a cause of stress to females.“374

Er folgte damit der Argumentation des Arbeitgebers und ließ die professionelle Einschätzung der Gefängnisleitung als Beweis ausreichen, ohne dass darüber hinaus weitere empirische Beweise gefordert wurden.375 Dieser Fall verdeutlicht zweierlei: zum einen die größere Bereitschaft der Rechtsprechung, eine Diskriminierungsrechtfertigung dann anzuerkennen, wenn psychologische bzw. therapeutische Zwecke verfolgt werden. Zum anderen zeigt Torres, dass die Gerichte sehr unterschiedliche Beweisanforderungen 368  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 1530 (7th Cir. 1988). 369  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 1530 (7th Cir. 1988). 370  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 1530 (7th Cir. 1988). 371  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 1530 (7th Cir. 1988). 372  Siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (b) (bb). 373  Siehe dazu bereits unter B. I. 1. b). 374  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 1531 (7th Cir. 1988). 375  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 1532 (7th Cir. 1988).

859 F.2d 1523, 859 F.2d 1523, 859 F.2d 1523, 859 F.2d 1523,

859 F.2d 1523, 859 F.2d 1523,



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 155

stellen. Auch aus diesem Grund sieht sich die Rechtsprechung insbesondere im Zusammenhang mit der Privatsphäre-BFOQ dem Vorwurf der Inkonsistenz ausgesetzt.376 (2) Unzulässige Privatsphäre-BFOQs Wie bereits bei der Authentizitäts-BFOQ ist auch bei der PrivatsphäreBFOQ die Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Rechtfertigungen fließend. (a) Tätigkeiten in Gefängnissen Argumentiert der Arbeitgeber in den Gefängnisfällen nicht mit dem Resozialisierungsinteresse, sondern allein mit körperlichen Privatsphäreinteressen der inhaftierten „Kunden“, verneint die Rechtsprechung regelmäßig eine zulässige Privatsphäre-BFOQ.377 Exemplarisch dafür steht der Fall Griffin v. Michigan Department of Corrections („Griffin“) aus dem Jahr 1982.378 Gefängniswärterinnen hatten Klage wegen Geschlechtsdiskriminierung erhoben, weil ihre Bewerbungen für Arbeitsplätze in einer Männerhaftanstalt abgelehnt worden waren.379 Zur Rechtfertigung berief sich die Gefängnisbehörde von Michigan auf die BFOQ-Ausnahme. Sie führte aus, dass es zu den Arbeitspflichten der Justizvollzugsbeamten gehöre, häufig unangekündigte Sicherheitschecks vorzunehmen, indem sie in die Zellen guckten. Somit lasse es sich nicht vermeiden, dass sie die Insassen (teilweise) unbekleidet sehen würden.380 Unbekleidet oder während eines Toilettenganges von einem Wärter des anderen Geschlechts beobachtet zu werden, sei entwürdigend und würde deshalb zu großem Unmut bei den Häftlingen führen.381 Der U.S. District Court for the Eastern District of Michigan räumte zwar ein, dass die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in jedem 376  Eingehend dazu Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 188 ff. 377  Vgl. Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 18; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 177; Shartsis Detroit College of Law Review (1985), 865, 893. 378  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690  ff. (E.D. Mich. 1982). 379  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690, 693 (E.D. Mich. 1982). 380  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690, 699 (E.D. Mich. 1982). 381  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690, 699 (E.D. Mich. 1982).

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Gefängnis wesentlich sei und die Überwachung der Zellen und Duschräume im Hinblick auf dieses Ziel eine wichtige Aufgabe der Wärter sei.382 Nichtsdestotrotz widersprach das Gericht dem Privatsphäre-BFOQ-Argument der Gefängnisbehörde: „[I]t is based on stereotypical sexual characterization that a viewing of an inmate while nude or performing bodily functions, by a member of the opposite sex, is intrinsically more odious than the viewing by a member of one’s own sex.“383

Weiter befand es: „[T]he viewing of urinating, defecating, or showering by anyone offends the actor’s sensibilities. But once such a viewing is justified by the prison’s need for security, the viewing is not demonstrably more significant whether by male or female.“384

Und schließlich verwies das Gericht noch auf eine Passage aus der Entscheidung Gunther v. Iowa State Men’s Reformatory385, in der es heißt: „[M]ores as to being viewed naked by the opposite sex under certain circumstances are bound to change as women become further integrated in the occupational and professional world […]. The traditional rule that only male guards may view male inmates under these conditions may derive from just the type of stereotypical value system condemned by Title VII.“386

Diese Feststellungen veranschaulichen, inwiefern die Rechtsprechung die Privatsphäreinteressen der Häftlinge besonders gering gewichtet und sie tendenziell eher zugunsten der gleichen Arbeitsplatzchancen der Beschäftigten zurückstellt.387 Ungeachtet dessen stehen sie aber auch in direktem Widerspruch zu den Ausführungen der Gerichte in Backus und Fesel.388

382  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690, 701 (E.D. Mich. 1982). 383  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690, 701 (E.D. Mich. 1982). 384  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690, 702 (E.D. Mich. 1982) unter Verweis auf re Montgomery (nicht veröffentlicht). 385  Gunther v. Iowa State Men’s Reformatory 462 F. Supp. 952 ff. (N.D. Iowa 1979); affirmed 612 F.2d 1079 ff. (8th Cir. 1980); certiorari denied 446 U.S. 966 (1980). 386  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690, 702 (E.D. Mich. 1982). 387  Vgl. dazu Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1272 f. 388  Vgl. dazu Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 188 f.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 157

(b) Tätigkeiten im Gesundheitswesen Nicht nur in den Gefängnisfällen, auch im Gesundheitswesen erkennt die Rechtsprechung Privatsphäre-BFOQs zum Teil nicht an. Die Beispielsfälle dafür stammen aus dem Bereich der Fitnessindustrie. (aa) EEOC v. Sedita In der Entscheidung EEOC v. Sedita („Sedita“) aus dem Jahr 1991 ging es um die Einstellungspolitik von Women’s Workout World, einem Fitnesscenter ausschließlich für Frauen, das die Positionen der Leitung, der stellvertretenden Leitung und der Trainer nur mit Frauen besetzte.389 Dies wurde damit begründet, dass die primären Aufgaben dieser Jobs einen erheblichen Anteil von physischem Kontakt mit den Körpern der Kundinnen erforderten. Außerdem müssten die Beschäftigten regelmäßig neuen Fitnessclubmitgliedern die Räumlichkeiten zeigen, wodurch sie in den Umkleidekabinen und Duschräumen auch unbekleidete Mitglieder sähen.390 Die wesentlichen Aufgaben der Beschäftigten berührten folglich das Privatsphäre­ interesse der Kundinnen. Der U.S. District Court for the Northern District of Illinois stellte hohe Beweisanforderungen an den Arbeitgeber: „The defendant must prove that clients would stop patronizing his business if members of the opposite sex are hired.“391

Zunächst konstatierte er, dass die wesentliche Aufgabe des Fitnesscenters darin bestehe, individualisierte Fitnessberatung und Anweisungen für Übungen zu geben.392 Vor diesem Hintergrund müsse der Arbeitgeber nun beweisen, dass er diese Aufgabe nicht erfüllen könne, wenn auch Männer eingestellt würden und dass es auch keine zumutbaren, weniger diskriminierenden Maßnahmen gebe. Den Beweis hätte der Arbeitgeber mit Hilfe von Daten über Kosten, Studien über die Realisierbarkeit von Alternativen bzw. mögliche Auswirkungen solcher Alternativen in Form von Verlusten erbringen müssen, was ihm aber nicht gelungen sei.393 In einem Obiter Dictum394 merkte das Gericht allerdings an, dass es keine generelle Voraussetzung der BFOQ-Ausnahme sei, objektive, empirische Beweise beizubringen. Tatsächlich ließe sich eine BFOQ-Ausnahme in vielen Fällen im Hinblick auf den gesunden Menschenverstand begründen. Im vorliegenden Fall sei aber zu 389  EEOC 390  EEOC 391  EEOC 392  EEOC 393  EEOC 394  EEOC

v. v. v. v. v. v.

Sedita Sedita Sedita Sedita Sedita Sedita

755 755 755 755 755 755

F. F. F. F. F. F.

Supp. Supp. Supp. Supp. Supp. Supp.

808, 808, 808, 808, 808, 808,

809 811 811 812 812 812

(N.D. Ill. 1991). (N.D. Ill. 1991). (N.D. Ill. 1991). (N.D. Ill. 1991). (N.D. Ill. 1991). Fn. 2 (N.D. Ill. 1991).

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

bedenken, dass es in den USA zahlreiche Fitnesscenter gebe, die sowohl Männer als auch Frauen beschäftigten, ohne dass eine Privatsphäreverletzung im Raum stünde. Vor diesem Hintergrund seien die hohen Beweisanforderungen im zu beurteilenden Fall begründet. (bb) Körperliche Privatsphäre nur minimal betroffen Ein weiteres Argument für die Ablehnung einer Privatsphäre-BFOQ in der Fitnessindustrie ist die nur minimale Betroffenheit der körperlichen Privatsphäre.395 Die Aufgaben des Beschäftigten können möglicherweise etwas Unbehagen oder Verlegenheit bei den Kunden hervorrufen, wenn sie von einer Person des anderen Geschlechts ausgeübt werden. Dabei sieht oder berührt der Beschäftigte aber nicht notwendigerweise den unbekleideten Körper der Kunden. Das Standardbeispiel396 dafür bildet der Fall EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. („HI 40 Corporation“) aus dem Jahr 1996.397 Darin ging es um die Zulässigkeit der Einstellungspolitik eines Gewichtsabnahme-Centers, die Stellen der dort tätigen Ernährungsberater ausschließlich mit Frauen zu besetzen. Die Kundschaft des Centers bestand zu 95  % aus Frauen.398 Die Aufgabe der Ernährungsberater war unter anderem, den Körperfettanteil der Kunden zu messen.399 Der U.S. District Court for the Western District of Missouri erkannte an, dass diese Körperfettanteilmessungen für die Kunden potentiell mit einem Gefühl der Peinlichkeit und Betretenheit verbunden seien.400 Weiter stellte er fest: „Some female customers of Physicians Weight Loss object to having their measurements […] taken by a man and would not feel comfortable discussing emotional and physiological issues associated with weight loss with a man. These emotional and physiological issues may involve sexual relationships and physical issues uniquely related to women.“401

Nichtsdestotrotz verneinte das Gericht eine zulässige BFOQ-Ausnahme.402 Zu diesem Ergebnis kam es auf Grund einer Abwägungsentscheidung. Es wog den Grad der Verletzung der Privatsphäre der Kunden einerseits gegen Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 157. z. B. Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 503 f.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 189 f.; Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 384 f.; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 157 mit Fn. 25. 397  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301 ff. (W.D. Mo. 1996). 398  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 302 (W.D. Mo. 1996). 399  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 303 (W.D. Mo. 1996). 400  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 303 (W.D. Mo. 1996). 401  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 303 (W.D. Mo. 1996). 402  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 305 (W.D. Mo. 1996). 395  Vgl. 396  Vgl.



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das Ausmaß der Begrenzung der Arbeitschancen andererseits ab.403 Dabei stellte es fest: „A minimal intrusion on the privacy of customers must be tolerated if the elimination of that intrusion ‚tramples‘ the employment opportunities of male weight loss counselors. […] In this case, the Court finds that the intrusion on the privacy interests of customers of Physicians Weight Loss is only minimal. The real privacy interests of customers only extend to the intrusions created by the physical measurement which the counselors take.“404

Damit unterstrich der U.S. District Court for the Western District of Missouri, dass es auf die körperliche Privatsphäre ankomme.405 Diese sei auch deshalb nur minimal betroffen, weil die Körperfettmessungen oft durch die Kleidung hindurch erfolgten.406 War dies nicht möglich, wurde den Kunden erlaubt, die Messungen entweder selbst durchzuführen oder es wurde schlicht auf sie verzichtet.407 Demgegenüber beurteilte das Gericht die durch die Einstellungspolitik herbeigeführten Beschäftigungsbeschränkungen für Männer als gravierend; die Beschäftigungschancen männlicher Bewerber würden vollständig eliminiert.408 Daher schloss es: „As a result, the privacy interests of customers cannot be used to justify a policy of not hiring male counselors because the minimal impact of male counselors on the privacy interests of customers is outweighed by the substantial impact on the employment opportunities of male applicants.“409

Darüber hinaus wies das Gericht ausdrücklich darauf hin, dass die wesentliche Aufgabe des Weight Loss Centers darin bestehe, Menschen beim Abnehmen zu helfen.410 Dem Arbeitgeber sei es nicht gelungen, zu zeigen, dass Frauen besser in der Lage seien, akkurate Körperfettmessungen und Beratungen durchzuführen.411 Insbesondere spielten die von dem Weight Loss Center angeführten Kundenpräferenzen keine Rolle, zumal diese nicht wissenschaftlich nachgewiesen worden seien.412 Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen zulässiger und unzulässiger Privatsphäre-BFOQ unscharf sind. Schließlich spielten 403  EEOC

v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 304 (W.D. Mo. 1996). v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 304 (W.D. Mo. 1996). 405  Vgl. Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 384. 406  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 304 (W.D. Mo. 1996). 407  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 304 (W.D. Mo. 1996). 408  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 304 f. (W.D. Mo. 1996). 409  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 305 (W.D. Mo. 1996). 410  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 305 (W.D. Mo. 1996). 411  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 305 (W.D. Mo. 1996). 412  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 305 f. (W.D. Mo. 1996). 404  EEOC

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

in HI 40 Corporation wie in Healey413 und Torres414 therapeutische bzw. psychologische Zwecke eine Rolle. Der U.S. District Court for the Western District of Missouri stellte ausdrücklich fest, dass die Ernährungsberater als Vorbilder („role models“) der Kundinnen fungierten und einige Kundinnen emotionale Probleme bei Gewichtsmessungen durch einen Mann hätten.415 Das Gericht verneinte letztlich trotzdem, anders als die Gerichte in Healey bzw. Torres, eine zulässige Privatsphäre-BFOQ. (3) Zusammenfassende Beobachtungen zur Privatsphäre-BFOQ Bereits die Vielzahl der angesprochenen Beispiele sowie die aufgezeigten Inkonsistenzen der Rechtsprechung auf dem Gebiet der Privatsphärefälle verdeutlichen, dass und wieso die Privatsphäre-BFOQ sehr kontrovers diskutiert wird. Bei Betrachtung der Fälle lassen sich eine Reihe von Beobachtungen machen: Zum einen bejaht die US-Rechtsprechung eine zulässige BFOQ-Ausnahme vor allem dann, wenn die körperliche Privatsphäre der Kunden betroffen ist und die Beschäftigten den teilweise oder völlig unbekleideten Körper der Kunden sehen oder sogar berühren.416 Zum anderen erkennen die Gerichte eine Diskriminierungsrechtfertigung im Gesundheitswesen eher an als in Haftanstalten.417 Die Rechtsprechung scheint also die Privatsphäre Kranker höher zu gewichten als die Inhaftierter.418 In diesem Sinne beobachtet Frank, dass die Gerichte den Privatsphäreinteressen „gewöhnlicher“ Kunden im Vergleich zu den Privatsphäreinteressen von Patienten-Kunden weniger Bedeutung beimäßen.419 So lässt sich die geringere Gewichtung der psychologischen Bedürfnisse der Kunden des Gewichtsabnahme-Centers in HI 40 Corporation im Vergleich mit den Patienten der Psychiatrie in Healey besser verstehen. Diese Rechtsprechung ist im Hinblick auf die eingangs zum Kundenbegriff bemerkten unterschiedlichen 413  Siehe

dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (b) (cc). dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (c). 415  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301, 303 (W.D. Mo. 1996). 416  Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 177; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 156 f.; vgl. auch Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 18; Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 750; McGowan Columbia Journal of Gender and Law 12 (2003), 77, 78; Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 383. 417  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 18 f. m. w. N. zur Rspr.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 177; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 156 Fn. 21; vgl. auch Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1272 f. sowie Shartsis Detroit College of Law Review (1985), 865, 893. 418  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1273; Post California Law Review 88 (2000), 1, 27. 419  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 491. 414  Siehe



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 161

Machtverhältnisse in den verschiedenen Kundenbeziehungen420 interessant: Der auf Pflege in einem Altersheim oder Krankenhaus angewiesene Patient befindet sich in einem größeren Abhängigkeitsverhältnis zu dem Personal als die Kunden eines Gewichtsabnahme-Centers oder eines Fitnessstudios. Diese unterschiedlichen Kundenrollen bieten ein mögliches Erklärungsmuster für die besonders hohe Gewichtung der Privatsphäreinteressen von Pa­ tienten durch die Gerichte. Eine weitere Beobachtung betrifft die Handhabung des „essence of the business“-Tests. Im Kern stellen die Gerichte zwei Fragen: Können die ausgeschlossenen Bewerber die Privatsphäreinteressen der Kunden ausreichend wahren?421 Ist der Schutz der Privatsphäre der Kunden entscheidend für die wesentliche Aufgabe des Unternehmens?422 Insbesondere in den aus dem Gesundheitswesen stammenden Fällen (mit Ausnahme der Fitnessindustrie) beantwortet die Rechtsprechung diese Fragen eher großzügig zugunsten der Arbeitgeber.423 Schließlich unterscheiden die Gerichte zum Teil zwischen unzulässigen Rechtfertigungen im Hinblick auf „reine“ Kundenpräferenzen und solchen zulässigen Rechtfertigungen, die in Privatsphäreinteressen der Kunden wurzeln. Diese von den Gerichten getroffene Differenzierung sensibilisiert für Folgendes: Werden im Schrifttum oder in der Rechtsprechung Rechtfertigungen unter Berufung auf Kundenpräferenzen pauschal für unzulässig erklärt, ist genau zu untersuchen, welche Fälle der betreffende Autor oder das Gericht jeweils unter den Begriff der Kundenpräferenzen subsumiert. cc) Sicherheit Auch Sicherheitsinteressen Dritter können die Rechtfertigung einer Diskriminierung begründen. Angesichts des hier verwendeten weiten Kundenpräferenzbegriffs ist die Rechtfertigung im Hinblick auf Sicherheitsinteressen Dritter ein Kundenpräferenzfall. Die Fälle betroffener Sicherheitsinteressen Dritter ordnet auch der U.S. Supreme Court in die Kategorie der „customer safety“ ein.424 Die Sicherheits-BFOQ spielt im Bereich des hier nicht vertieft betrachteten ADEA bei Altersdiskriminierungen die größte Rolle.425 Dabei stehen 420  Siehe

dazu bereits unter B. I. 1. b). University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 490. 422  Vgl. Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 177 m. w. N. 423  Vgl. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 753. 424  Vgl. International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 203 (1991). 425  Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 19; Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 485 f. 421  Frank

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Fälle im Mittelpunkt, in denen für Beschäftigte mit einer hohen Sicherheitsverantwortung für die Kunden eine Altersgrenze für die Versetzung in den Ruhestand festgelegt wird. Diese Problematik stellt sich in der Praxis vor allem bei Piloten und Flugingenieuren426 sowie bei Polizeibeamten427, aber auch bei Busfahrern428. (1) Zulässige Sicherheits-BFOQ In Bezug auf die Geschlechtsdiskriminierung berufen sich Arbeitgeber vor allem in zwei Schauplätzen auf die Sicherheits-BFOQ: in dem Bereich der Flugindustrie sowie – einmal mehr – im Bereich der Haftanstalten. (a) Tätigkeiten bei Fluggesellschaften Fluggesellschaften gelingt es in der Regel, sich zur Rechtfertigung einer Geschlechtsdiskriminierung schwangerer Flugbegleiterinnen, denen aus Sicherheitsgründen die Tätigkeit an Bord untersagt wird, erfolgreich auf die Sicherheits-BFOQ zu berufen.429 Ein Beispiel für die Zulässigkeit einer Diskriminierung schwangerer Flugbegleiterinnen ist die Entscheidung Levin v. Delta Air Lines, Inc. („Levin“) aus dem Jahr 1984.430 Eine Gruppe von Flugbegleiterinnen und die EEOC wandten sich gegen die Unternehmenspolitik von Delta, schwangeren Flugbegleiterinnen die Tätigkeit an Bord zu untersagen.431 Dabei erlaubte Delta den betroffenen Flugbegleiterinnen allerdings seit 1974, auf offene Stellen des Bodenpersonals zu wechseln.432 Title VII definiert – wie das deutsche Recht in § 3 Abs. 1 S. 2 AGG – die Benachteiligung wegen einer Schwangerschaft als unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts.433 Demzufolge beurteilte der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit in Levin die Zulässigkeit der Beschäftigungspraxis von Delta anhand der für die BFOQ-Ausnahme entz. B. Western Airlines, Inc. v. Criswell 472 U.S. 400 ff. (1985). dazu ausführlich Capitano Hofstra Labor Law Journal 4 (1986), 153 ff. sowie Fox Suffolk Journal of Trial and Appellate Advocacy 5 (2000), 101 ff., jew. m. w. N. zur Rspr. 428  Siehe z. B. Hodgson v. Greyhound Lines, Inc. 499 F.2d 859 ff. (7th Cir. 1974). 429  So z. B. Levin v. Delta Air Lines, Inc. 730 F.2d 994 ff. (5th Cir. 1984); Harriss v. Pan American World Airways 649 F.2d 670 ff. (9th Cir. 1980); Burwell v. Eastern Air Lines, Inc. 633 F.2d 361 ff. (4th Cir. 1980); Condit v. United Air Lines, Inc. 558 F.2d 1176 f. (4th Cir. 1977). 430  Levin v. Delta Air Lines, Inc. 730 F.2d 994 ff. (5th Cir. 1984). 431  Levin v. Delta Air Lines, Inc. 730 F.2d 994 f. (5th Cir. 1984). 432  Levin v. Delta Air Lines, Inc. 730 F.2d 994, 996 (5th Cir. 1984). 433  Siehe § 3 Abs. 1 S. 2 AGG sowie 42 U.S.C. § 2000e(k). 426  Siehe 427  Vgl.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 163

wickelten Tests.434 Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Gewährleistung von Sicherheit eine wesentliche Aufgabe („essence of the business“) von Fluggesellschaften sei.435 Delta hatte medizinischen Beweis dafür vorgebracht, dass schwangere Frauen gewissen schwangerschaftsbedingten Beschwerden wie z. B. Morgenübelkeit, Müdigkeit oder auch dem Risiko einer spontanen Fehlgeburt ausgesetzt seien.436 Dies könne dazu führen, dass die schwangere Flugbegleiterin plötzlich nicht mehr in der Lage sei, ihre routinemäßigen Sicherheitsaufgaben zu erfüllen oder gar bei einem Notfall den Passagieren ihre lebenswichtige Hilfe zukommen zu lassen.437 Obwohl die Klägerseite dem Beweise für die mathematische Unwahrscheinlichkeit sehr plötzlicher, unerwarteter Schwangerschaftsbeschwerden oder gar ihres gleichzeitigen Auftretens mit einem Notfall entgegen hielt, folgte das Gericht der Argumentation von Delta.438 Es betonte, dass sich der zu gewichtende Sicherheitsaspekt als Produkt aus der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit und der Größe des Schadens ergebe.439 Angesichts der Größe des eventuell eintretenden Schadens sei Deltas Annahme gerechtfertigt, dass eine schwangere Frau nicht in der Lage sei, die Sicherheitsaufgaben einer Flugbegleiterin angemessen zu erfüllen.440 Daraufhin ging der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit auf den „all or substantially all“-Test ein. Er befand, dass alle oder im Wesentlichen alle von Schwangerschaftsbeschwerden betroffenen Flugbegleiterinnen ihre Arbeitspflichten nicht sicher erfüllen könnten.441 Zwar seien bei Weitem nicht alle oder im Wesentlichen alle schwangeren Frauen von entsprechenden Beschwerden betroffen.442 Doch sei es unmöglich, im Vorhinein festzustellen, welche Flugbegleiterin betroffen sein könne.443 Demzufolge bejahte das Gericht auch die Voraussetzungen des „all-or-substantially-all“-Tests.444 Schließlich wandte es sich dem „less discriminatory alternatives“-Test zu.445 Es stellte fest, dass die Überleitung schwangerer Flugbegleiterinnen in eine Position des Bodenpersonals keine zumutbare Alternativmaßnahme sei; die für das Bodenpersonal und die Flugbegleiter erforderlichen Qualifikationen und 434  Levin 435  Levin 436  Levin 437  Levin 438  Levin 439  Levin 440  Levin 441  Levin 442  Levin 443  Levin 444  Levin 445  Levin

v. v. v. v. v. v. v. v. v. v. v. v.

Delta Delta Delta Delta Delta Delta Delta Delta Delta Delta Delta Delta

Air Air Air Air Air Air Air Air Air Air Air Air

Lines, Lines, Lines, Lines, Lines, Lines, Lines, Lines, Lines, Lines, Lines, Lines,

Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc.

730 730 730 730 730 730 730 730 730 730 730 730

F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d

994, 994, 994, 994, 994, 994, 994, 994, 994, 994, 994, 994,

997 ff. (5th Cir. 1984). 997 (5th Cir. 1984). 997 (5th Cir. 1984). 997 (5th Cir. 1984). 997 f. (5th Cir. 1984). 997 (5th Cir. 1984). 997 f. (5th Cir. 1984). 998 f. (5th Cir. 1984). 998. (5th Cir. 1984). 998 (5th Cir. 1984). 998 (5th Cir. 1984). 999 ff. (5th Cir. 1984).

164

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Fähigkeiten unterschieden sich grundlegend.446 Deshalb habe Delta auch vor 1974 – seit diesem Jahr bot Delta von sich aus einen entsprechenden Jobwechsel an – nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen.447 Zusammenfassend zeigt diese Entscheidung Folgendes: Je größer der poten­ tielle Schaden bei Unterlassung der Diskriminierung, desto eher lässt die Rechtsprechung eine Diskriminierung zur Vermeidung des Schadens zu.448 (b) Tätigkeiten in Gefängnissen Ein zweiter wichtiger Anwendungsbereich der Sicherheits-BFOQ sind die geschlechtsdiskriminierenden Beschäftigungspraktiken in Gefängnissen. Das Standardbeispiel für eine zulässige Benachteiligung im Hinblick auf Sicherheitsbedenken ist die bereits dargestellte U.S. Supreme Court-Entscheidung Dothard.449 Dort hielt das Gericht es im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Sicherheit für zulässig, dass ein Hochsicherheitsgefängnis Frauen von sogenannten „Kontaktpositionen“, also Tätigkeiten, die fortwährend in körperlicher Nähe zu den männlichen Insassen ausgeübt wurden, ausschloss. (2) Unzulässige Sicherheits-BFOQ Die zweite, oben bereits dargestellte Entscheidung des U.S. Supreme Court zur BFOQ-Ausnahme, Johnson Controls,450 markiert die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Sicherheits-BFOQ. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber versucht, eine Beschäftigungspolitik, die gebärfähige Frauen diskriminierte, im Hinblick auf die Sicherheit ungeborener Kinder zu rechtfertigen und war gescheitert. Das Gericht grenzte den Fall von solchen Konstellationen ab, in denen die Sicherheit der Kunden oder anderer dritter Parteien beeinträchtigt würde.451 Deshalb wird es im Schrifttum für unwahrscheinlich gehalten, dass der Arbeitgeber eine Diskriminierung nach Johnson Controls allein auf den Schutz des Beschäftigten selbst oder seines ungeborenen Kindes stützen kann, solange nicht auch die 446  Levin

v. Delta Air Lines, Inc. 730 F.2d 994, 1001 f. (5th Cir. 1984). v. Delta Air Lines, Inc. 730 F.2d 994, 1002 (5th Cir. 1984). 448  Vgl. Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 485. 449  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321 ff. (1977); dazu bereits ausführlich unter C. III. 3. b) aa). 450  International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187 ff. (1991); siehe dazu bereits unter C. III. 3. b) bb). 451  International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. 499 U.S. 187, 203 (1991). 447  Levin



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 165

Sicherheit der Kunden oder anderer dritter Parteien gefährdet ist.452 Darin kommt die Überzeugung zum Ausdruck, dass persönliche Risikoentscheidungen vom Beschäftigten selbst getroffen werden sollen. Angesichts dieser aus Johnson Controls folgenden Wertung wird zum Teil die Gültigkeit des Urteils Kern v. Dynalectron Corporation („Kern“)453 aus dem Jahr 1983, also vor der Entscheidung Johnson Controls im Jahr 1991, in Zweifel gezogen.454 Die Darstellung dieser Entscheidung leitet zu der sogleich anzusprechenden Fallgruppe der Präferenzen von Kunden aus einem anderen Kulturkreis über.455 Kern betraf eine Klage wegen Religionsdiskriminierung. Der Arbeitgeber Dynalectron hatte einen Vertrag mit einem Geschäftspartner in Saudi-Arabien, wonach er Helikopterpiloten zur Verfügung stellte, die Flüge in Saudi-Arabien durchführten.456 Dynalectron forderte von seinen nach Mekka fliegenden Piloten, zum Islam zu konvertieren.457 Das wurde damit begründet, dass das saudi-arabische Recht NichtMuslimen unter Todesstrafe der Enthauptung verbot, das heilige Mekka zu betreten.458 Der U.S. District Court for the Northern District of Texas stellte ausdrücklich fest, dass Sicherheitsinteressen lediglich der Beschäftigten selbst, nicht hingegen Dritter betroffen seien.459 In der späteren Entscheidung Johnson Controls verneinte der U.S. Supreme Court eine Rechtfertigung unter Berufung auf den Schutz der weiblichen Beschäftigten selbst bzw. ihrer ungeboren Kinder. Der U.S. District Court for the Northern District of Texas in Kern hatte hingegen eine Rechtfertigung bejaht,460 obwohl sie „the safety of the employee only, not that of third parties“461 betraf. Zunächst befand er, dass im Sinne des „all or substantially all“-Tests alle Nicht-Muslime nicht in der Lage seien, die Aufgaben eines Piloten in Mekka sicher zu erfüllen.462 Darüber hinaus bestehe die wesentliche Aufgabe des Unternehmens („essence of the business“) darin, Helikopterpiloten insbesondere für Flüge nach Mekka zur Verfügung zu stellen.463 Diese Aufga452  Vgl. Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 487; Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S. 131. 453  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196 ff. (N.D. Tex. 1983). 454  So Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 487; vgl. auch Cohn New York University Law Review 62 (1987), 1288, 1306 f. 455  Siehe dazu sogleich unter C. III. 3. c) dd). 456  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1197 (N.D. Tex. 1983). 457  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1198 (N.D. Tex. 1983). 458  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1198 (N.D. Tex. 1983). 459  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1200 (N.D. Tex. 1983). 460  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1202 (N.D. Tex. 1983). 461  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1200 (N.D. Tex. 1983). 462  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1200 (N.D. Tex. 1983). 463  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1200 (N.D. Tex. 1983).

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

be würde durch die Enthauptung aller nicht-muslimischen Piloten in Mekka untergraben.464 Schließlich führte er aus, dass und weshalb es sich nicht um eine Diskriminierung im Hinblick auf reine Kundenpräferenzen handelte – die drohende Enthauptung nicht-muslimischer Piloten sei schließlich in Saudi-Arabien gesetzlich vorgesehen.465 Während einerseits die Gültigkeit dieser Rechtsprechung nach Johnson Controls bezweifelt wird,466 wird von anderer Seite darauf hingewiesen, dass es keine notwendige Voraussetzung für die wesentliche Aufgabe eines Helikopterpiloten sei, Moslem zu sein.467 Diese Kritik verdeutlicht die Probleme bei der Anwendung des „essence of the business“-Tests:468 Es ist unklar, aus wessen Perspektive das Wesen des Unternehmens zu bestimmen ist.469 Zudem lässt sich die wesentliche Aufgabe unterschiedlich eng oder weit interpretieren. Wenn man sie nämlich, wie der U.S. District Court for the Northern District of Texas in Kern, als Bereitstellung von Piloten für Flüge nach Mekka definiert, dann sind die Voraussetzungen der BFOQ-Ausnahme unabhängig von der Frage, wessen Sicherheit betroffen ist, zu bejahen. (3) Zusammenfassende Beobachtungen zur Sicherheits-BFOQ Zusammenfassend kann sich der Arbeitgeber dann erfolgreich auf die Sicherheits-BFOQ berufen, wenn die Gewährleistung von Sicherheit zur wesentlichen Aufgabe des Unternehmens gehört. Je größer der potentielle Schaden im Falle der Unterlassung der Diskriminierung, desto eher wird die Benachteiligung von der Rechtsprechung für zulässig gehalten. Allerdings muss das Sicherheitsrisiko nach Johnson Controls für Kunden oder andere dritte Personen und nicht für den Beschäftigten selbst oder für sein ungeborenes Kind bestehen.

464  Kern

v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1200 (N.D. Tex. 1983). v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196, 1201 f. (N.D. Tex. 1983). 466  Siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) cc) (2) die Nachweise in Fn. 454. 467  So Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 336 Fn. 4. 468  Vgl. dazu insbesondere die Kritik an der „essence of the business“-Rechtsprechung bei Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 283 ff. und Yuracko California Law Review 92 (2004), 147 ff. Siehe dazu später unter C. III. 4. b) aa) (1) und (2). 469  Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten eingehend Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 160 ff. 465  Kern



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 167

dd) Fälle mit Auslandsberührung – Präferenzen von Kunden eines anderen Kulturkreises Eine weitere Fallgruppe bilden die Sachverhalte mit Auslandsberührung. Damit sind Situationen angesprochen, in denen die Präferenzen von Kunden des Arbeitgebers aus einem anderen Kulturkreis stammen. Die US-amerikanische Rechtsprechung lehnt eine so begründete Diskriminierungsrechtfertigung grundsätzlich ab. (1) American Jewish Congress v. Carter Eine sehr frühe Entscheidung, die die Diskriminierung wegen der Religion betraf, ist American Jewish Congress v. Carter („Carter“) des New York Supreme Court470 aus dem Jahr 1959.471 Darin ging es um die amerikanischarabische Ölfirma Aramco, die Geschäfte in Saudi-Arabien machte. Das Unternehmen entsandte keine jüdischen Ingenieure nach Saudi-Arabien, weil die Saudi-Araber die Beschäftigung von Juden in ihrem Land verboten.472 Zwar war Title VII zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft, doch das Gericht entschied den Fall auf Basis des bundesstaatlichen Rechts, das ein Diskriminierungsverbot auf Grund der Religion sowie eine Title VII entsprechende BFOQ-Ausnahme enthielt.473 Nach einer scharf formulierten Auffassung des Gerichts konnte sich Aramco zur Rechtfertigung der Diskriminierung nicht auf diese BFOQ-Ausnahme berufen: „New York State is not a province of Saudi Arabia, nor is the Constitution and statute of New York State to be cast aside to protect the oil profits of Aramco.“474

Die aus dem Gastland stammenden Präferenzen für nicht-jüdische Beschäftigte könnten keine BFOQ-Ausnahme begründen: „An engineer who is Jewish is no less an engineer by being so – and no cavalier attempt to classify him as not having a ‚bona fide qualification‘ because he is Jewish will be countenanced by this court.“475 470  Siehe zu der Stellung des New York Supreme Court im Gerichtssystem des Bundesstaates New York bereits unter C. III. 3. c) aa) (1) in Fn. 243. 471  American Jewish Congress v. Carter 190 N.Y.S.2d 218  ff. (N.Y. Sup. Ct. 1959); modified 10 A.D.2d 833 (1960); affirmed 9 N.Y.2d 223 (1961). 472  American Jewish Congress v. Carter 190 N.Y.S.2d 218, 221 (N.Y. Sup. Ct. 1959). 473  Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 348; Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 189 Fn. 51. 474  American Jewish Congress v. Carter 190 N.Y.S.2d 218, 222 (N.Y. Sup. Ct. 1959). 475  American Jewish Congress v. Carter 190 N.Y.S.2d 218, 223 (N.Y. Sup. Ct. 1959).

168

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Dieser Entscheidung lässt sich das 24 Jahre jüngere Urteil Kern476 gegenüberstellen. Dort erkannte der U.S. District Court for the Northern District of Texas die Zugehörigkeit zur muslimischen Religion als BFOQ für Helikopterpiloten an, die Flüge in Saudi-Arabien durchführten. Da allen nichtmuslimischen Piloten bei Flügen nach Mekka die Enthauptung drohte, könnte der Arbeitgeber bei ihrem Einsatz seine wesentliche Aufgabe – die Durchführung von Flügen auch nach Mekka – nicht erfüllen. (2) Fernandez v. Wynn Oil Co. Ein nach der BFOQ-Ausnahme des Title VII zu beurteilender Fall der Geschlechtsdiskriminierung lag der Entscheidung Fernandez v. Wynn Oil Co. („Fernandez“) aus dem Jahr 1981 zugrunde.477 Delia L. Fernandez war von Wynn Oil Co. die Beförderung auf die Stelle als Vizepräsidentin der International Operations Division versagt worden.478 Dies wurde unter anderem damit begründet, dass diese Position die Interaktion mit lateinamerikanischen Geschäftspartnern erfordere, die negativ auf eine Frau in dieser Position reagieren würden.479 Sie würden sich weigern, mit einer Frau als Vizepräsidentin Geschäfte zu machen.480 Daher sei die Eigenschaft des Mannseins eine BFOQ für die betreffende Stelle.481 Zwar wies der U.S. Court of Appeals for the Ninth Circuit die Klage aus anderen Gründen zurück,482 doch nahm er in einem Obiter Dictum ausführlich dazu Stellung, dass keine BFOQ vorliege. Das Gericht widersprach der Feststellung der vorgehenden Instanz: „[The district court] held that customer preferences rise to the dignity of a bona fide occupational qualification if ‚no customer will do business with a member of one sex either because it would destroy the essence of the business or would ­create serious safety and efficacy problems.̒ On this basis, the district court found the customer preferences of Wynn’s clients a BFOQ. This conclusion cannot stand.“483

Nach Auffassung des Gerichts könnten auf sexuellen Stereotypen beruhende Kundenpräferenzen diskriminierende Beschäftigungspraktiken selbst dann 476  Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196  ff. (N.D. Tex. 1983); siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) cc) (2). 477  Fernandez v. Wynn Oil Co. 653 F.2d 1273 ff. (9th Cir. 1981). 478  Fernandez v. Wynn Oil Co. 653 F.2d 1273, 1274 (9th Cir. 1981). 479  Fernandez v. Wynn Oil Co. 653 F.2d 1273, 1274 f. (9th Cir. 1981). 480  Fernandez v. Wynn Oil Co. 653 F.2d 1273, 1276. (9th Cir. 1981). 481  Fernandez v. Wynn Oil Co. 653 F.2d 1273, 1275 (9th Cir. 1981). 482  Fernandez v. Wynn Oil Co. 653 F.2d 1273, 1275 f. (9th Cir. 1981). 483  Fernandez v. Wynn Oil Co. 653 F.2d 1273, 1276 (9th Cir. 1981).



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 169

nicht rechtfertigen, wenn dadurch das Wesen des Unternehmens zerstört werde. Dieser Grundsatz gelte auch in internationalen Zusammenhängen: „Though the United States cannot impose standards of non-discriminatory conduct on other nations through its legal system, the district court’s rule would allow other nations to dictate discrimination in this country. No foreign nation can compel the non-enforcement of Title VII here.“484

Damit drückte der U.S. Court of Appeals for the Ninth Circuit den Gedanken aus, den der Supreme Court of New York in Carter pointierter mit der Formulierung „New York State is not a province of Saudi Arabia“485 zum Ausdruck gebracht hatte. (3) Ames v. Cartier, Inc. Im Einklang damit steht die Aussage des U.S. District Court for the Southern District of New York in dem Fall Ames v. Cartier, Inc. („Ames“) aus dem Jahr 2002.486 Das Gericht hatte die Verkaufspolitik des Juweliers Cartier zu beurteilen, zur Beratung russischer Kunden bevorzugt blonde Frauen einzusetzen. Der männliche, philippinische Kläger Ireneo G. Ames, dem dadurch Provisionschancen entgingen, berief sich zur Begründung seiner Diskriminierungsklage wegen der Merkmale Geschlecht und nationale Herkunft unter anderem auf diese Verkaufspolitik. Der Arbeitgeber erklärte, dass russische Männer bekanntermaßen gerne mit hübschen Blondinen flirteten.487 Zudem verkauften einige Mitarbeiter effektiver als andere, weil sie bestimmte Aspekte ihres Lebens mit den Kunden teilten. Die meisten Leute fühlten sich eher von solchen Leuten verstanden, die so aussähen wie sie selbst und einige Gemeinsamkeiten mit ihnen hätten.488 Folglich stand in dem Fall auch die Rechtfertigung einer Diskriminierung im Hinblick auf die Präferenzen insbesondere russischer Kunden zur Debatte. Die Entscheidung des U.S. District Court for the Southern District of New York betraf allerdings nur einen – im Ergebnis abgelehnten – Antrag des Arbeitgebers auf ein summarisches Verfahren („motion for summary judgement“),489 484  Fernandez 485  American

1959).

486  Ames

v. Wynn Oil Co. 653 F.2d 1273, 1277 (9th Cir. 1981). Jewish Congress v. Carter 190 N.Y.S.2d 218, 222 (N.Y. Sup. Ct.

v. Cartier, Inc. 193 F. Supp. 2d 762 ff. (S.D.N.Y. 2002). v. Cartier, Inc. 193 F. Supp. 2d 762, 765 (S.D.N.Y. 2002). 488  Ames v. Cartier, Inc. 193 F. Supp. 2d 762, 765 (S.D.N.Y. 2002). Diese Aussage gibt letztlich die im ökonomischen Teil der Arbeit vorgestellte Kundendiskriminierungshypothese wieder, siehe dazu bereits ausführlich unter B. II. 4. a). 489  Eine motion for summary judgement ist ein vorgerichtlicher Rechtsbehelf. Sie zielt auf eine Entscheidung ohne Gerichtsverhandlung ab und kann gestattet werden, wenn keine wesentlichen Tatsachen strittig sind, die eine Verhandlung erforderlich 487  Ames

170

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

sodass das Gericht keine umfassende Prüfung der Streitfragen vornahm.490 Nichtsdestotrotz ging es – wenngleich nicht ausdrücklich im Zusammenhang der BFOQ-Ausnahme – auf die Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen ein und erteilte ihr, das Urteil Diaz491 zitierend, eine klare Absage: „The gist of plaintiff’s allegations is that defendant’s white male customers were to be served by white female sales associates. While pandering to customers’ discriminatory preferences could very well help effectuate a sale, employers ­nevertheless ‚may not discriminate on the basis of their customers’ preferences.̒ […].“492

Demzufolge schenkte das Gericht dem Aspekt, dass die in Frage stehenden Vorlieben von Kunden aus einem anderen Kulturkreis stammten, keine Beachtung. (4) Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano Relativiert wird die enge Auslegung der BFOQ in Fällen mit Auslandsberührung wie insbesondere Carter und Fernandez indes durch die U.S. Supreme Court-Entscheidung Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano („Avagliano“) aus dem Jahr 1982.493 Das Gericht setzte sich darin mit der Beschäftigungspraxis einer in den USA ansässigen, hundertprozentigen Tochtergesellschaft eines japanischen Mutterkonzerns auseinander.494 Das Unternehmen beschäftigte in Management-Positionen mutmaßlich ausschließlich männliche Japaner, die von den Geschäftskunden des Unternehmens aus Übersee akzeptiert wurden.495 Dagegen ging eine Gruppe von Sekretärinnen aus der New Yorker Tochtergesellschaft mit einer Sammelklamachen. Gelingt es dem Antragsgegner, zu zeigen, dass wesentliche Tatsachen strittig sind, wird der Antrag, wie in Ames, abgelehnt, Ames v. Cartier, Inc. 193 F. Supp. 2d 762, 773 (S.D.N.Y. 2002). Instruktiv zum summary judgement in arbeitsrecht­ lichen Diskriminierungsfällen vgl. Ware Employee Rights and Employment Policy Journal 4 (2000), 37 ff. 490  Zu dem von ihm angewendeten Prüfungsmaßstab stellte das Gericht in Ames v. Cartier, Inc. 193 F. Supp. 2d 762, 767 (S.D.N.Y. 2002) fest: „On a motion for summary judgment, it is not for the district court to actually try the issues; rather, its function is to determine whether there is any evidence in the record from any source from which a reasonable inference could be drawn in favor of the nonmoving party as to any material fact.“ 491  Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385 ff. (5th Cir. 1971); siehe dazu bereits ausführlich unter C. III. 3. a) bb). 492  Ames v. Cartier, Inc. 193 F. Supp. 2d 762, 768 f. (S.D.N.Y. 2002). 493  Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano 457 U.S. 176 ff. (1982). 494  Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano 457 U.S. 176 (1982). 495  Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano 457 U.S. 176, 178 (1982).



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 171

ge wegen Diskriminierung auf Grund des Geschlechts und der nationalen Herkunft vor.496 Zur Verteidigung berief sich Sumitomo auf den 1953 ­Treaty of Friendship, Commerce and Navigation497 zwischen Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika, der hundertprozentige japanische Tochtergesellschaften von der Anwendung des Title VII ausnahm.498 Im Zentrum des Rechtsstreits stand mithin die Frage der Anwendbarkeit dieses Vertrages, die der U.S. Supreme Court im Ergebnis ablehnte, sodass das Diskriminierungsverbot des Title VII auch für Sumitomo galt.499 Jedoch lies das Gericht die Frage offen, ob die Beschäftigungspolitik von Sumitomo gerechtfertigt sei.500 In einem Obiter Dictum bemerkte es: „We express no view as to whether Japanese citizenship may be a bona fide occupational qualification for certain positions at Sumitomo or as to whether a business necessity defense may be available. There can be little doubt that some positions in a Japanese controlled company doing business in the United States call for great familiarity with not only the language of Japan, but also the culture, customs, and business practices of that country.“501

Auf diese Weise scheint das Gericht zu implizieren, dass bei internationalen Handelsbeziehungen Besonderheiten zu beachten sind, die möglicherweise für die Berücksichtigung von Kundenpräferenzen aus Gastländern sprechen könnten.502 (5) Zusammenfassende Beobachtungen Eine als verbindlichen Präzedenzfall heranzuziehende Entscheidung bezüglich der Frage, inwiefern Kundenpräferenzen in Fällen mit Auslandsberührung eine Diskriminierung nach Title VII rechtfertigen können, gibt es nicht. Der Fall Carter stammt aus der Zeit vor Inkrafttreten des Titel VII, die Aussagen in Fernandez sind ein Obiter Dictum, im Fall Ames prüfte das Gericht nur kursorisch das Vorliegen einer Diskriminierung, ohne die BFOQ-Ausnahme als solche zu benennen, und in Avagliano lies der U.S. Supreme Court diese Frage ausdrücklich offen. Nichtsdestotrotz wird in den Fällen Carter, Fernandez und Ames eine starke Tendenz der Recht496  Sumitomo

Shoji America, Inc. v. Avagliano 457 U.S. 176, 178 (1982). of Friendship, Commerce and Navigation between the United States and Japan, 4 U.S.T. 2063, T.I.A.S. No. 2863 (1953). 498  Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano 457 U.S. 176, 179 (1982). 499  Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano 457 U.S. 176, 182 f. (1982). 500  Vgl. dazu Reich Boston College Third World Law Journal 10 (1990), 259, 269 ff. 501  Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano 457 U.S. 176, 189 Fn. 19 (1982). 502  Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S. 143; Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 352. 497  Treaty

172

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

sprechung deutlich, diese Fälle nicht anders als Fälle ohne Auslandsberührung zu behandeln. Die Ausführungen des U.S. Supreme Court in Avagliano lassen sich freilich als Relativierung der Entscheidungen Carter, Fernandez und Ames lesen. d) Fälle zu Kundenpräferenzen bezüglich der Rasse Auch wenn der Blick in das US-amerikanische Recht zentral auf die Rechtfertigung von Geschlechtsbenachteiligungen gerichtet ist, lohnt eine Betrachtung solcher Fälle, in denen die Arbeitgeber eine Rassendiskriminierung im Hinblick auf Kundenpräferenzen zu rechtfertigen versuchten. Angesichts der fehlenden BFOQ-Ausnahme für das Merkmal „Rasse“ stellte die Rechtsprechung wiederholt klar, dass eine unmittelbare Rassendiskriminierung nicht zu rechtfertigen sei.503 Demgegenüber sieht die AntirassismusRL und mit ihr § 8 Abs. 1 AGG auch für dieses geschützte Merkmal eine Rechtfertigungsmöglichkeit vor.504 Diesbezüglich wird vermutet, dass Art. 5 (2) des britischen Race Relations Act 1976505 als Vorbild diente,506 der besagt: „Being of a particular racial group is a genuine occupational qualification for a job only where— (a) the job involves participation in a dramatic performance or other entertainment in a capacity for which a person of that racial group is required for reasons of authenticity; or (b)  the job involves participation as an artist’s or photographic model in the production of a work of art, visual image or sequence of visual images for which a person of that racial group is required for reasons of authenticity; or (c) the job involves working in a place where food or drink is (for payment or not) provided to and consumed by members of the public or a section of the public in a particular setting for which, in that job, a person of that racial group is required for reasons of authenticity; or (d)  the holder of the job provides persons of that racial group with personal services promoting their welfare, and those services can most effectively be provided by a person of that racial group.“ 503  Siehe dazu die umfassenden Nachweise bei Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 213 f. Fn. 12–20 sowie bei Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 496 Fn. 161. 504  Kritisch diesbezüglich Schiek NZA 2004, 873, 876. 505  Der Race Relations Act 1976 ist mittlerweile abgelöst durch den Equality Act 2010, in dem die vorher bestehende britische Antidiskriminierungsgesetzgebung zusammengefasst wurde, beide Gesetze abrufbar unter www.statutelaw.gov.uk (Abruf vom 26.07.2015). 506  Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 11; Schiek AuR 2003, 44, 48.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 173

Die Norm zählt mithin detailliert einzelne Fälle zulässiger Ungleichbehandlungen wegen der Rasse auf, die sich mit Krause unter den Oberbegriff der Authentizitätswahrung fassen lassen.507 Obwohl das US-amerikanische Recht keine entsprechende Regelung enthält, illustrieren die folgenden Entscheidungen aus der Rechtsprechung, dass die in Art. 5 (2) des britischen Race Relations Act 1976 aufgezählten Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot wegen der Rasse auch in den USA diskutiert werden. Ihre Betrachtung verspricht insofern einen Erkenntnisgewinn, als deutlich wird, in welchen Situationen die Rechtfertigungsproblematik im Kontext der Rassendiskriminierung in der Praxis relevant wird. aa) Miller v. Texas State Board of Barber Examiners Besonders aufschlussreich ist die Entscheidung Miller v. Texas State Board of Barber Examiners („Miller“) aus dem Jahr 1980.508 Bei dem Arbeitgeber handelte es sich um eine staatliche Behörde in Texas, die für die Lizensierung und Kontrolle der Friseurläden in Texas verantwortlich war.509 James Miller arbeitete für die Behörde als Kontrolleur.510 Dabei wurden ihm, der selbst schwarz war, ausschließlich Friseurgeschäfte schwarzer Inhaber und Kundschaft zur Überprüfung zugewiesen.511 Dies beruhte darauf, dass die weißen Kontrolleure sich aus Angst vor physischer Gewalt weigerten, die entsprechenden Läden zu überprüfen.512 In der Auseinandersetzung mit dieser Beschäftigungspolitik der Behörde, die eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Rasse beinhaltete, beschäftigte sich der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit mit der Frage, ob diese unmittelbare Diskriminierung Millers auf Grund seiner Rasse gerechtfertigt sein könnte.513 Nachdem das Gericht festgestellt hatte, dass die BFOQ-Ausnahme des Title VII nach dem Willen des Gesetzgebers nicht für das Merkmal der Rasse gelte,514 wandte es sich 507  Krause 508  Miller

FS Adomeit (2008), 377, 382. v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650 ff. (5th Cir.

509  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 651 (5th Cir.

510  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650,651 (5th Cir.

511  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 651 (5th Cir.

512  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 651 (5th Cir.

513  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 652 (5th Cir.

514  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 652 (5th Cir.

1980). 1980). 1980).

1980). 1980). 1980). 1980).

174

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

der auch in Fällen der Rassendiskriminierung offenstehenden „business necessity defense“ zu.515 Freilich greife diese nur in Fällen der mittelbaren Diskriminierung.516 In einem Obiter Dictum erwog das Gericht daraufhin, dass es angebracht sein könnte, die business necessity defense auch in Fällen der unmittelbaren Diskriminierung zugänglich zu machen.517 So sei eine solche Rechtfertigungsmöglichkeit trotz unmittelbarer Diskriminierung z. B. im Fall des verdeckten Ermittlers für eine ausschließlich aus Afroamerikanern bestehende kriminelle Organisation sinnvoll.518 Zum anderen ging der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit auf den Beruf des Schauspielers ein: „A business necessity exception may also be appropriate in the selection of actors to play certain roles. For example, it is likely that a black actor could not appropriately portray George Wallace, and a white actor could not appropriately portray Martin Luther King, Jr.“519

Allerdings entschied er in Miller die Frage, ob die „business necessity defense“ tatsächlich auszuweiten sei, nicht, weil die Parteien sie nicht aufgeworfen hatten und sie auch aus anderen Gründen nicht entscheidungserheblich war.520 Der Ansatz der Ausweitung der business necessity defense wurde von der Rechtsprechung nie ausdrücklich anerkannt.521 Mit der Kodifikation der „business necessity defense“ im Jahr 1991 in Title VII als Rechtfertigungsmöglichkeit für eine mittelbare und nicht auch für eine unmittelbare Diskriminierung scheint dieser Weg der richterlichen Rechtsfortbildung verschlossen.522 bb) Rucker v. Higher Educational Aids Board Aus dem Jahr 1982 stammt die Entscheidung Rucker v. Higher Education­ al Aids Board („Rucker“) des U.S. Court of Appeals for the Seventh Cir515  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 653 (5th Cir.

516  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 653 (5th Cir.

517  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 653 f. (5th Cir.

518  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 653 (5th Cir.

519  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 654 (5th Cir.

520  Miller

v. Texas State Board of Barber Examiners 615 F.2d 650, 654 (5th Cir.

1980). 1980). 1980).

1980). 1980). 1980).

521  Vgl.

516.

Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473,

522  Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 231; vgl. auch Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 516.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 175

cuit.523 Der Arbeitgeber war das Higher Educational Aids Board, eine staatliche Behörde in Wisconsin, die Beratungsdienstleistungen für benachteiligte Jugendliche anbot. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall stellte sich unter anderem die Frage, inwiefern das Higher Educational Aids Board bei der Besetzung der Beraterjobs Kundenpräferenzen hinsichtlich der Rasse der Berater beachten durfte.524 Der Arbeitgeber hatte versucht, eine weiße, vormals als Schreibkraft beschäftigte Angestellte mit der Begründung nicht als Beraterin einzusetzen, dass die überwiegend schwarze Klientel eine Beraterin der gleichen Rasse bevorzuge.525 Dieser Fall ist ein Beispiel für eine Beschäftigungspolitik, die unter Art. 5 (2)(d) des britischen Race Relations Act 1976 zu diskutieren wäre. Der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit, der den Fall zu beurteilen hatte, stellte fest, dass ihm keine Fälle bekannt seien, die die Kundenpräferenzproblematik im Kontext der Rassendiskriminierung behandelten.526 Dies liege daran, dass sich die Kundenpräferenzfrage im Rahmen der BFOQ-Ausnahme des Title VII stelle, die aber für die Merkmale Rasse und Hautfarbe nicht gelte. Die Entscheidung Miller zitierend fuhr er fort: „Subject, possibly, to an extremely narrow judge-made exception for ‚business necessity,‘ […], which the defendant in this case does not claim to be within, Title VII is a blanket prohibition of racial discrimination, rational and irrational alike, even more so than of other forms of discrimination attacked in Title VII.“527

Hinsichtlich der Kundenpräferenzproblematik schloss das Gericht: „It is […] not irrational, but it is clearly forbidden by Title VII, to refuse on racial grounds to hire someone because your customers or clientele do not like his race.“528

Der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit betonte folglich das umfassende Verbot der Rassendiskriminierung durch Title VII. Gleichzeitig griff er die von dem U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit in Miller angesprochene Möglichkeit der Ausweitung der business necessity defense auf, entschied aber nicht zur Sache, weil sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen habe. Insofern scheint der U.S. Court of Appeals for the Seventh 523  Rucker 524  Rucker

v. Higher Educational Aids Board 669 F.2d 1179 ff. (7th Cir. 1982). v. Higher Educational Aids Board 669 F.2d 1179, 1181 (7th Cir.

525  Rucker

v. Higher Educational Aids Board 669 F.2d 1179, 1180 (7th Cir.

526  Rucker

v. Higher Educational Aids Board 669 F.2d 1179, 1181 (7th Cir.

527  Rucker

v. Higher Educational Aids Board 669 F.2d 1179, 1181 (7th Cir.

528  Rucker

v. Higher Educational Aids Board 669 F.2d 1179, 1181 (7th Cir.

1982). 1982). 1982). 1982). 1982).

176

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Circuit diese Möglichkeit nicht völlig auszuschließen. Diese Entscheidung datiert freilich vor der Kodifizierung der business necessity defense als Rechtfertigungsmöglichkeit nur für die mittelbare Diskriminierung im Jahr 1991. cc) Ray v. University of Arkansas Dass legitime rationale Motive für eine Rassen-BFOQ grundsätzlich denkbar sind, indizierte auch die Entscheidung Ray v. University of Arkansas („Ray“) aus dem Jahr 1994.529 Darin ging es um die Entlassung von Kenneth Ray, der in der Abteilung für öffentliche Sicherheit der University of Arkansas als Polizist gearbeitet hatte.530 Die Studentenschaft der Universität war überwiegend schwarzer Hautfarbe.531 Viele der schwarzen Studenten und Universitätsverantwortlichen hatten sich über den weißen Polizisten Ray beschwert.532 Immer wieder kam es zu Zwischenfällen, so schossen afroamerikanische Studenten auf Ray, andere beleidigten ihn mit rassistischen Schimpfwörtern.533 Angesichts dessen befanden seine Vorgesetzten, dass Rays Rasse seine Effektivität als Polizist mindere.534 Der selbst schwarze Polizeipräsident ging davon aus, dass jeder weiße Polizist von bestimmten Teilen der Studentenschaft negativ wahrgenommen würde, woraufhin diese rassistisch motivierte Konfrontationen provozierten.535 Vor diesem Hintergrund entließ die Universität Ray, der gegen die Kündigung unter anderem wegen Rassendiskriminierung vorging. Der U.S. District Court for the Eastern District of Arkansas setzte sich mit dem Vorliegen einer BFOQ-Ausnahme auseinander und konstatierte, nachdem er deren Gesetzestext zitiert hatte: „Race is conspicuously absent from the statutory exceptions. This was clearly not an oversight. The plain language of the statute thus precludes a race-based bfoq.“536

Die Entscheidung Rucker zitierend folgerte das Gericht weiter, dass auch Kundenpräferenzen hinsichtlich der Rasse eine Rechtfertigung der Diskrimi529  Ray

v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104 ff. (E.D. Ark. 1994). v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104 (E.D. Ark. 1994). 531  Ray v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104 (E.D. Ark. 1994). 532  Ray v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104, 1106 (E.D. Ark. 1994). 533  Ray v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104, 1107, 1109 (E.D. Ark. 1994). 534  Ray v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104, 1107, 1109 (E.D. Ark. 1994). 535  Ray v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104, 1126 (E.D. Ark. 1994). 536  Ray v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104, 1126 (E.D. Ark. 1994). 530  Ray



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 177

nierung nicht begründen könnten.537 Zudem konstatierte es, dass die Präferenzen der Studenten für schwarze Polizisten selbst dann kein zulässiger Rechtfertigungsgrund für eine Diskriminierung wären, wenn es eine RassenBFOQ gäbe: „[E]ven if a race-based bfoq was permissible under the statute, bfoqs are to be construed extremely narrowly, and the circumstances of this case would not warrant the exception.“538

Zudem unterstrich der U.S. District Court for the Eastern District of Arkansas unter Berufung auf die U.S. Supreme Court-Entscheidung Dothard539 die extrem enge Auslegung der BFOQ-Ausnahme und schloss: „In the instant case, it is clear that there are some students […] with a predisposition of racial animus toward white officers, and Officer Ray in particular. This form of ‚client‘ preference is no more permissible than any other, and will not justify the different treatment of white officers.“540

Mit der Ablehnung einer hypothetischen Rassen-BFOQ angesichts der Faktenlage in Ray indizierte das Gericht, dass eine Rassen-BFOQ in anderen Fällen durchaus sinnvoll sein könnte, aber angesichts der klaren Gesetzeslage nicht möglich ist. Anders als der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit in Rucker griff der U.S. District Court for the Eastern District of Arkansas in Ray die vom U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit in Miller angesprochene mögliche Ausweitung der „business necessity defense“ nicht mehr auf und scheint ihr damit eine Absage zu erteilen. Dies lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass die Entscheidung aus dem Jahr 1994 – also einem Zeitpunkt nach der gesetzlichen Anerkennung der „business necessity defense“ als Rechtfertigung für eine mittelbare Diskriminierung im Jahr 1991 – datiert. dd) Chaney v. Plainfield Healthcare Center Ein weiteres Beispiel für ein Faktenszenario, in dem Kundenpräferenzen hinsichtlich der Rasse der Beschäftigten eine Rolle spielen, bietet die Entscheidung Chaney v. Plainfield Healthcare Center („Chaney“) aus dem Jahr 2010.541 Wie bereits in Rucker war es wiederum der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit, der über den Fall zu befinden hatte. Es ging um die 537  Ray

v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104, 1126 (E.D. Ark. 1994). v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104, 1126 (E.D. Ark. 1994). 539  Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321 ff. (1977); siehe dazu bereits unter C. III. 3. b) aa). 540  Ray v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104, 1126 (E.D. Ark. 1994). 541  Chaney v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 908 ff. (7th Cir. 2010); siehe dazu auch bereits unter B. III. 2. b) bb) (2). 538  Ray

178

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Zulässigkeit einer bestimmten Beschäftigungspolitik des Plainfield Healthcare Center. Das Pflegeheim beherbergte unter anderem eine Kundin, die die Pflege durch schwarze Pflegehilfen ablehnte.542 Um diese Präferenz zu bedienen, wurde der schwarzen Pflegehelferin Brenda Chaney jeden Tag schriftlich mitgeteilt, dass keine schwarzen Pflegehilfen jemals das Zimmer der betreffenden Kundin betreten, geschweige denn sie versorgen dürften.543 Chaney erhob Diskriminierungsklage gegen das Plainfield Healthcare Center. Letzteres berief sich zur Rechtfertigung seiner Beschäftigungspraxis auf die BFOQ-Ausnahme des Title VII und führte eine Reihe von Fällen an, in denen die Gerichte Geschlechtsdiskriminierungen im Gesundheitswesen für zulässig erklärt hatten.544 Quintessenz dieser Entscheidungen sei, dass eine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zulässig sei, wenn sie dem Schutz der Privatsphäre der Patienten diene.545 Daraus, so der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit, folge jedoch nicht, dass Privatsphäreinteressen der Patienten auch eine Ungleichbehandlung auf Grund der Rasse rechtfertigen könnten.546 Schließlich enthalte Title VII keine BFOQ-Ausnahme im Hinblick auf die Rasse und die vom Pflegeheim angeführten Entscheidungen zu Geschlechtspräferenzen im Gesundheitswesen illustrierte, weshalb das so sei: „The privacy interest that is offended when one undresses in front of a doctor or nurse of the opposite sex does not apply to race. Just as the law tolerates same-sex restrooms or same-sex dressing rooms, but not white-only rooms, to accommodate privacy needs, Title VII allows an employer to respect a preference for same-sex health providers, but not same-race providers.“547

Damit stellte das Gericht klar, dass auch im Gesundheitswesen, einem Feld, in dem die Rechtsprechung die Rechtfertigung von Geschlechtsdiskriminierungen im Hinblick auf die Kundenprivatsphäre besonders großzügig anerkennt,548 keine Ausnahme vom umfassenden Verbot der Rassendiskriminierung gilt. Auch die in Miller erwogene Ausweitung der business necessity defense spricht der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit – anders als noch in seiner fast dreißig Jahre älteren Entscheidung Rucker – nicht mehr an. Dies deutet darauf hin, dass auch der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit die Ausweitung der business necessity defense auf Fälle der unmittelbaren Diskriminierung nach der Gesetzesänderung im Jahr 1991 nunmehr für ausgeschlossen hält. 542  Chaney

v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 544  Chaney v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 545  Chaney v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 546  Chaney v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 547  Chaney v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 548  Siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (b). 543  Chaney

908, 908, 908, 908, 908, 908,

910 910 913 913 913 913

(7th (7th (7th (7th (7th (7th

Cir. Cir. Cir. Cir. Cir. Cir.

2010). 2010). 2010). 2010). 2010). 2010).



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 179

ee) Zusammenfassende Beobachtungen Anders als das britische Vorbild für das europäische und deutsche Recht sieht das US-amerikanische Recht zwar keine Rechtfertigungsmöglichkeit für unmittelbare Rassendiskriminierungen vor. Die dargestellten Entscheidungen zeigen indes, dass und in welchen Fällen sich die Frage der Diskriminierungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen für eine bestimmte Rasse stellen kann. Insbesondere das Gericht in Miller nennt dabei die Beispiele des verdeckten Ermittlers in einer kriminellen Organisation von Afroamerikanern bzw. des Schauspielers, für den der Art. 5 (2)(a) des britischen Race Relations Act 1976 explizit eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot vorsieht. Auch die Gerichte in Rucker und Ray haben angedeutet, dass legitime rationale Motive für Kundenpräferenzen auf Grund der Rasse durchaus denkbar seien. Doch unabhängig davon könnten sie angesichts der fehlenden BFOQ-Ausnahme für eine Rassendiskriminierung in Title VII nicht als Rechtfertigungsgrund für eine unmittelbare Rassendiskriminierung dienen. Auch die von dem U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit in Miller angesprochene Ausweitung der business necessity defense auf Fälle unmittelbarer Diskriminierung wurde in über dreißig Jahren seit der Entscheidung nicht eingehend von der Rechtsprechung diskutiert, geschweige denn anerkannt. Spätestens seit der Kodifizierung der business necessity defense als Rechtfertigung für eine mittelbare disparate impact Diskriminierung im Jahr 1991 ist diese Möglichkeit wohl ausgeschlossen. e) Ergebnis zur Rechtsprechung bezüglich der BFOQ-Ausnahme Die Gerichte legen die für die Beurteilung der Kundenpräferenzproblematik entscheidende BFOQ-Rechtfertigungsvorschrift des Title VII, die nicht in Fällen der Rassendiskriminierung offensteht, grundsätzlich eng aus. Deren abstrakte Voraussetzungen haben sie mit Hilfe eines aus drei Elementen bestehenden Tests konkretisiert. Im Zentrum steht die Frage nach dem Wesen bzw. der wesentlichen Funktion oder primären Aufgabe eines Unternehmens, der „essence of the business“. Kundenpräfenzen sollen nur beachtlich sein, wenn sie die primäre Aufgabe des Unternehmens betreffen, die es sonst nicht erfüllen könnte. Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet. Dem Arbeitgeber gelingt es vor allem dann, sich zur Rechtfertigung einer Diskriminierung auf Kundenerwartungen zu berufen, wenn diese auf Authentizitäts-, Privatsphäre- oder Sicherheitserwägungen beruhen. Allerdings zeigt sich, dass die innerhalb dieser Fallgruppen gezogenen Grenzen zwischen zulässiger und unzulässiger Diskriminierung unscharf sind. Insbesondere in der Fallgruppe der Privatsphäre-BFOQs gibt es reichhaltiges Fallmaterial, das zum Teil inkonsis-

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

tent ist. Angesichts dessen soll in einem nächsten Abschnitt auf die Rezeption dieser Rechtsprechung im Schrifttum und auf einige dort vorgeschlagene Lösungsmodelle eingegangen werden. 4. Schrifttum zur BFOQ-Ausnahme a) Meinungsspektrum zur BFOQ-Ausnahme Das Meinungsspektrum zu der BFOQ-Ausnahme im Schrifttum ist breit gefächert. Vereinzelt werden die Extrempositionen vertreten: die Forderung der Abschaffung der BFOQ-Ausnahme einerseits549 bzw. das Plädoyer für die Abschaffung des Title VII, also der Diskriminierungsgesetzgebung, andererseits.550 Überwiegend werden aber vermittelnde Auffassungen zwischen diesen Polen befürwortet, die die Rechtfertigungsmöglichkeit in einigen Aspekten eingeschränkt551 bzw. ausgeweitet552 ausgelegt wissen wollen oder ihrer Interpretation durch die Rechtsprechung im Ergebnis (weitestgehend) zustimmen.553 b) Problemkreise Einige Stimmen aus dem Schrifttum besprechen die Rechtsprechung zur BFOQ-Ausnahme allgemein, häufig werden aber bestimmte Aspekte der BFOQ-Ausnahme herausgegriffen und diskutiert. Zur besseren Übersichtlichkeit sollen die Beiträge aus dem Schrifttum fünf Problemkreisen zugeordnet werden, die sich grob an den in dem Rechtsprechungsabschnitt aufgezeigten Fallgruppen orientieren. Die Auseinandersetzung mit den Problemkreisen und den im Schrifttum vorgebrachten Argumentationen schafft ein Bewusstsein für die Fragen, die sich auch im deutschen Recht stellen werden, und liefert einen Fundus an möglichen Antworten.

Wilhelm Women’s Rights Reporter 28 (2007), 73, 91. Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 289, 300. 551  Vgl. z. B. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 762, 775; Bratt Albany Law Review 48 (1983–1984), 923, 949 f.; Calloway Fordham Law Review 54 (1985–1986), 327, 375; Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1262, 1292 f.; McGowan Columbia Journal of Gender and Law 12 (2003), 77, 79; Shartsis Detroit College of Law Review (1985), 865, 902. 552  Vgl. z. B. Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 363. 553  Vgl. Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 154, 212 f.; wohl auch Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 210. 549  Vgl. 550  Vgl.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 181

aa) Themenkomplex 1: BFOQ-Ausnahme und der „essence of the business“-Test Die erste Gruppe von Aufsätzen beschäftigt sich allgemein mit der BFOQRechtfertigungsmöglichkeit und geht dabei besonders auf die Auslegung des „essence of the business“-Tests durch die Gerichte ein.554 Dabei stehen insbesondere zwei Fragen im Mittelpunkt: Wie eng / weit ist die BFOQ-Ausnahme auszulegen? Wie ist die „essence of the business“ zu bestimmen? (1) Epstein Die wohl prominenteste und zugleich schärfste Kritik an der Auslegung der BFOQ-Ausnahme durch die Gerichte stammt von Epstein.555 Er führt aus, dass weder Wortlaut noch Systematik oder Gesetzgebungsgeschichte der Norm die von der Rechtsprechung ausgegebene Devise einer engen Auslegung rechtfertigten. Die Gerichte läsen die BFOQ-Ausnahme so, als wenn diese im Wortlaut besagte: „[I]t shall not be an unlawful employment practice for an employer to hire and employ employees […] on the basis of their religion, sex, or national origin in those rare or extraordinary instances where discrimination on the basis of their religion, sex, or national origin is a manifest business necessity for the economic survival or social authenticity of that particular business or enterprise [Hervorhebung durch Verf.].“556

Diese Lesart sei in keinster Weise mit dem tatsächlichen Wortlaut der Norm zu vereinbaren.557 Epstein selbst kommt hingegen bei Auslegung der BFOQ-Ausnahme zu dem Ergebnis, dass das Gesetz keine enge Interpretation der Rechtfertigungsvorschrift vorgebe.558 Zudem argumentiert er mit klassischen Schlagwörtern des Wirtschaftsliberalismus, und zwar mit der Kraft des Marktes,559 mit Wettbewerbsgesichtspunkten560 und der Effi­ zienz.561 So möchte er insbesondere Kostenüberlegungen des Arbeitgebers 554  Vgl. z. B. Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5 ff.; Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493 ff.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169 ff.; Sirota Texas Law Review 55 (1976–1977), 1025 ff.; Wilhelm Women’s Rights Reporter 28 (2007), 73 ff.; Yuracko California Law Review 92 (2004), 147 ff. 555  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 283 ff. 556  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 284. 557  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 284 f. 558  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 287. 559  Vgl. z. B. Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 289, 294, 300, 302, 303, 306, 311. 560  Vgl. z. B. Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 302. 561  Vgl. z. B. Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 300, 302, 305, 308.

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

als legitime Rechtfertigungsgründe562 anerkennen563 und die Ungleichbehandlung im Hinblick auf Kundenpräferenzen weitgehend zulassen.564 Die Hauptaufgabe bestehe nach seiner Formulierung in Folgendem: „The task […] is to try to find some way in which to distinguish between the informed and honest preferences of the vast majority of well-meaning people and the intensely irrational or invidious preferences of the bigoted few.“565

Besonders harsche, nahezu polemische Kritik übt er an dem in Diaz566 formulierten „essence of the business“-Test.567 Der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit habe in Diaz festgelegt, dass das Wesen der Fluglinie einzig im sicheren Transport der Passagiere bestehe. Dadurch habe er den Markt in allen nicht sicherheitsrelevanten Bereichen kartellisiert.568 Die Kunden träfen ihre Entscheidung für eine bestimmte Fluglinie aber nicht nur im Hinblick auf die Sicherheit – auch Faktoren wie Preis, Uhrzeit, Bodenservice, Mahlzeiten und der Service an Bord spielten eine Rolle.569 Insofern erfordere ein gesunder Markt Wettbewerb der Fluglinien in allen diesen Bereichen.570 Auf den Punkt gebracht fragt Epstein: „Who runs a business, its management or the courts?“571

Darüber hinaus sei es nicht die Aufgabe der Gerichte, bestimmte Präferenzen zu verformen – dies würde der Markt regeln:572 „[The] dangers of government tyranny are systematically underestimated when the statute tells a firm that it cannot provide its customers with the services they want and instead tells customers to like the services that are provided; as a matter of fact preferences shift as a result of new opportunities and demands.“573

Dies führt zu seiner Schlussfolgerung, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Anforderungen eines Arbeitsplatzes am Arbeitsplatz selbst und nicht von den Gerichten zu treffen seien.574 562  Vgl.

1 ff.

zu dieser Frage auch ausführlich Lidge Arkansas Law Review 58 (2005),

563  Epstein

Forbidden Grounds (1995), S. 293 f. Forbidden Grounds (1995), S. 299 ff. 565  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 300. 566  Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385 ff. (5th Cir. 1971); siehe dazu bereits ausführlich unter C. III. 3. a) bb). 567  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 300 ff. 568  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 302. 569  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 302. 570  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 302. 571  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 302. 572  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 306. 573  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 305. 574  Epstein Forbidden Grounds (1995), S. 312. 564  Epstein



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 183

(2) Yuracko Yurackos575 Kritik an der Rechtsprechung setzt nicht bei deren Ergebnissen zur BFOQ-Ausnahme, sondern bei der zur Begründung herangezogenen „essence of the business“-Rhetorik an. Auf den Punkt gebracht stellt Yuracko fest: „[H]ow one determines the essence of a business is both facially unclear and radically undertheorized by the courts.“576

Tatsächlich machten die Gerichte zwei Unterscheidungen:577 Zum einen differenzierten sie zwischen Privatsphäre-Fällen („privacy-based BFOQ cases“) und solchen, in denen die Erregung sexueller Lust („sexual titillationbased BFOQ cases“) eine Rolle spiele.578 Dabei bejahe die Rechtsprechung eine BFOQ-Ausnahme wesentlich eher in Fällen, in denen Privatsphärebe­ lange betroffen seien. Zum anderen differenzierten die Gerichte innerhalb der Gruppe der sexual titillation-based BFOQ cases zwischen „sex businesses“, bei denen das eigentliche Produkt in der sexuellen Stimulierung bestehe und „plus-sex businesses“, also Unternehmen, die ein für sich genommen nicht sexuelles Produkt mit Hilfe des Einsatzes von Sex-Appeal verkauften.579 Die Rechtfertigung einer Diskriminierung würden die Gerichte nur für sex businesses anerkennen. Obwohl Yuracko diesen Unterscheidungen zustimmt, kritisiert sie die von der Rechtsprechung zur Begründung herangezogene „essence of the business“-Rhetorik als leer und inadäquat. Sie bietet selbst einen alternativen Erklärungsansatz für die von der Rechtsprechung getroffenen Entscheidungen an, die letztere auf ein schlüssiges Fundament stellten.580 Die Nachsichtigkeit der Gerichte in privacybased BFOQ cases gegenüber sexual titillation-based BFOQ cases ließe sich im Hinblick auf die Schaffung gleicher Beschäftigungschancen für die Geschlechter erklären.581 Bei Privatsphärefällen gebe es eine Parität des Ausschlusses: Während Frauen bestimmte Jobs verwehrt würden, um die Privatsphäre der Männer zu schützen, gelte dies gleichermaßen auch umgekehrt.582 Somit ergebe sich eine Symmetrie des Ausschlusses und der Beschäftigungsmöglichkeiten.583 Diese Symmetrie bestehe bei den sexual 575  Yuracko 576  Yuracko 577  Yuracko 578  Yuracko 579  Yuracko 580  Yuracko 581  Yuracko 582  Yuracko 583  Yuracko

California California California California California California California California California

Law Law Law Law Law Law Law Law Law

Review Review Review Review Review Review Review Review Review

92 92 92 92 92 92 92 92 92

(2004), (2004), (2004), (2004), (2004), (2004), (2004), (2004), (2004),

147 ff. 147, 152. 147, 151. 147, 151 f. 147, 152. 147, 175 ff. 147, 152 f., 181. 147, 181. 147, 183.

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

titillation Fällen jedoch nicht. Der Markt für die kommerzialisierte weibliche Sexualität sei wesentlich größer als der für die kommerzialisierte männliche Sexualität. Würden Gerichte Arbeitgebern erlauben, Berufe wie z. B. den des Flugbegleiters zu sexualisieren und die Sexualität auszubeuten, würde dies zu einem asymmetrischen Ausschluss der Männer von bestimmten Berufen führen. Darüber hinaus sei die unterschiedliche Beurteilung der privacy und der sexual titillation Fälle durch die Rechtsprechung Ausdruck der Gewichtung persönlicher Präferenzen.584 Die Gerichte hielten die auf Privatsphäreinteressen beruhenden Präferenzen schlicht für entscheidender im Hinblick auf die Würde und Identität der Kunden als Präferenzen für sexuelle Erregung. Schließlich lasse sich die ablehnende Haltung der Gerichte gegenüber Unternehmenskonzepten, die ein bestimmtes Produkt mit Hilfe des Einsatzes von Sex-Appeal verkaufen wollen (plussex businesses), wie folgt erklären: Indem die Rechtsprechung derartige Konzepte nicht billige, wolle sie erreichen, dass Frauen sich in Arbeitsumgebungen entfalten könnten, die ihre intellektuellen Fähigkeiten würdigten und sie nicht als Sexobjekte herunterqualifizierten.585 Je weiter man aber die Sexualisierung aller möglichen Berufe über die reine Sexindustrie hinaus zulasse, desto weniger Bereiche hätten Frauen in der Arbeitswelt, sich dementsprechend zu entfalten.586 Gleichermaßen bestehe die Gefahr, dass sich mit zunehmender Sexualisierung allgemeiner Jobs wegen der größeren Nachfrage nach weiblicher Sexualität die Arbeitsmarktchancen für Männer verringerten.587 (3) Cantor Bemerkenswert ist zudem der Beitrag von Cantor588, deren Ansatz von einer ökonomischen Sichtweise auf die BFOQ-Problematik geprägt ist. Dies lässt sich bereits daran ablesen, dass sie – soweit ersichtlich als einzige der Stimmen aus dem Schrifttum – durchgängig von Konsumentenpräferenzen („consumer preferences“) anstatt von Kundenpräferenzen („customer preferences“) spricht. Sie geht davon aus, dass ein bestimmtes Geschlecht der Beschäftigten im Falle ausreichend starker diesbezüglicher Kundenpräferenzen kein unzulässiges Diskriminierungsmerkmal, sondern vielmehr Teil des Produktes selbst sei.589 Insofern handele es sich um die Präferenz für ein 584  Yuracko

California Law Review 92 (2004), 153, 191. California Law Review 92 (2004), 147, 202. 586  Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 201 f. 587  Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 201. 588  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493 ff. 589  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 510. 585  Yuracko



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 185

bestimmtes Produkt und nicht mehr um Diskriminierung, bildlich formuliert Cantor: „[I]t does not discriminate against an apple to buy an orange.“590

Die entscheidende Frage sei demnach, wann das Geschlecht des Beschäftigten Teil des Produktes sei.591 Das von Cantor präsentierte Lösungsmodell ist der wohl komplexeste Ansatz bezüglich der BFOQ-Problematik aus dem Schrifttum. Zentraler Bestandteil ihres Konzeptes ist die Bestimmung des Marktes, auf dem ein Unternehmen konkurriert.592 Sei eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts in allen auf dem betreffenden Markt konkurrierenden Unternehmen zu beobachten, sei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass das Geschlecht des Beschäftigten ein Definitionskriterium des Marktes sei, das die wesentliche Aufgabe des Unternehmens, die essence of the business, betreffe und somit eine BFOQ-Ausnahme begründe.593 Zur Bestimmung des relevanten Produktmarktes greift sie auf Prinzipien aus der Volkswirtschaftslehre und dem Kartellrecht zurück.594 In einem ersten Schritt sei die Zusammensetzung des Produktpreises zu untersuchen.595 Seien Kunden bereit, mehr für das Produkt zu bezahlen, wenn es mit dem Beschäftigten eines bestimmten Geschlechts verbunden werde, sei dies ein starkes Indiz dafür, dass das Geschlecht des Beschäftigten Teil des Produktes selbst sei.596 Vor diesem Hintergrund stellt Cantor beispielsweise die Entscheidung des U.S. District Court for the Northern District of Texas in Southwest – die Fluggesellschaft mit der Marketingstrategie als „love airline“, deren Unternehmenskonzept die Beschäftigung ausschließlich weiblicher Flugbegleiter beinhaltete597 – in Frage. Das Gericht hätte die Preisstruktur von Southwest analysieren und feststellen sollen, ob Southwest als „love airline“ höhere Preise als andere Fluggesellschaften verlangen konnte.598 Gleichermaßen sei es interessant, zu untersuchen, ob Southwest die Preise nach dem Urteil und der Beendigung dieser Einstellungspolitik herabsetzen musste.599 Die Preisanalyse ist in dem Lösungsmodell Cantors ein erster Schritt bei der Ermittlung, ob das Beschäf590  Cantor

University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 510. University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 494. 592  Vgl. Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 510 ff. 593  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 494 f., 512. 594  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 495, 510. 595  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 511. 596  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 511. 597  Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292 ff. (N.D. Tex. 1981); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) aa) (2) (a). 598  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 511. 599  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 511. 591  Cantor

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

tigtengeschlecht Bestandteil des Produktes ist. Diese Vorgehensweise sei aber nicht immer fehlerfrei.600 Insofern könne in einem zweiten Schritt auf die Methoden zur Bestimmung des relevanten Produktmarktes aus dem Kartellrecht zurückgegriffen werden. Diese setzten bei der Nachfrageelastizität601 an.602 Die Grenzen des relevanten Produktmarktes ließen sich im Hinblick auf die Austauschbarkeit eines Produktes und entsprechender Substitute ermitteln.603 Vereinfacht ausgedrückt zeichnet sich diese von Cantor vorgeschlagene Vorgehensweise dadurch aus, dass untersucht wird, inwiefern die Kunden ein Produkt bei Preiserhöhungen durch das eines anderen Unternehmens ersetzen.604 Diese Methode lässt sich anhand des Beispiels einer Fluggesellschaft, die lediglich weibliche Flugbegleiter beschäftigt, veranschaulichen: Zu analysieren wäre, ob die Kunden der Airline auf Preiserhöhungen mit einem Wechsel zu einer Fluggesellschaft, die auch männliche Flugbegleiter beschäftigt, reagieren würden.605 Wäre das der Fall, würden die Fluggesellschaften auf demselben Markt konkurrieren, auf dem das Geschlecht des Flugbegleiters keine Rolle spielte. Könnte die Airline mit ausschließlich weiblichen Flugbegleitern hingegen Preiserhöhungen vornehmen, ohne dass die Fluggäste zu einer Fluggesellschaft, die auch männliche Flugbegleiter beschäftigt, wechselten, konkurrierten die Airlines nicht auf demselben Markt. In diesem Fall wäre das Geschlecht des Flugbegleiters Teil des Produktes, definierte das Wesen des Betriebes und begründete die Rechtfertigung einer Diskriminierung.606 Schließlich sei dieser Lösungsansatz auch mit dem Zweck des Title VII vereinbar, der zwar Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern beseitigen, nicht aber Märkte für Sex bzw. Stimulierung zerstören wolle.607

600  Cantor

University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 512. Gabler Wirtschaftslexikon des Springer Gabler Verlags beschreibt die Nachfrageelastizität die „relative Änderung der nachgefragten Menge (Nachfrage) bezogen auf eine relative, (infinitesimal) kleine Änderung des Preises (Preiselastizität) oder eine (infinitesimal) kleine Änderung des Einkommens (Einkommenselastizität der Nachfrage)“, abrufbar unter http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/ 137918/nachfrageelastizitaet-v5.html (Abruf vom 26.07.2015). 602  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 512. 603  Vgl. Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 512 ff. 604  Vgl. Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 512 f. m. w. N. 605  Vgl. auch die Veranschaulichung der Methodik anhand eines U.S. Supreme Court-Falles aus dem Kartellrecht bei Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 514 f. m. w. N. 606  Vgl. Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 515. 607  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 517. 601  Laut



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 187

(4) Zusammenfassung Die Stimmen aus dem Schrifttum, die sich allgemein mit der Interpretation der BFOQ-Ausnahme auseinandersetzen, greifen ganz unterschiedliche Aspekte auf und schlagen verschiedene Lösungswege vor. Aus einer ökonomischen Perspektive argumentieren Epstein und Cantor für einen weiteren Anwendungsbereich der BFOQ-Ausnahme. Yuracko vertritt dagegen eine eher moderate Sichtweise und stimmt der BFOQ-Auslegung durch die Gerichte im Ergebnis zu, wobei sie einen kohärenteren Begründungsansatz als die Rechtsprechung vorschlägt. Vor allem das von Cantor vorgeschlagene Lösungsmodell ist ein interessanter Ideengeber. Im Hinblick auf die Bestimmung der wesentlichen Aufgabe eines Unternehmens kann es insbesondere in den Fällen der plus-sex businesses bei der Abgrenzung helfen, ob bzw. inwiefern das Geschlecht des Beschäftigten Bestandteil des Produktes ist. Eben jene Problematik steht auch im Zentrum des zweiten Themenkomplexes, auf den in einem nächsten Schritt eingegangen werden soll. bb) Themenkomplex 2: Plus-sex businesses Der zweite, im Schrifttum behandelte Problemkreis legt den Fokus auf die Fallgruppe der Authentizität und dort insbesondere auf die Fälle der plus-sex businesses.608 Somit geht es um die Frage, inwieweit Unternehmen gezielt (meist weiblichen) Sex-Appeal einsetzen dürfen, um ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung, die für sich genommen nicht sexueller Natur ist, zu verkaufen.609 Ein markantes Beispiel für ein entsprechendes Unternehmen ist die US-amerikanische Restaurantkette „Hooters“,610 die zur Veranschaulichung als Ausgangspunkt für diesen Themenkomplex dienen soll [dazu unter (1)]. McGinley zeigt Aspekte auf, die für eine einschränkende Auslegung der BFOQ-Ausnahme bei plus-sex businesses sprechen [dazu unter (2)], Cahills Beitrag lenkt den Blick auch auf Argumente für eine Zulässigkeit der Geschlechtsdiskriminierung in plus-sex businesses [dazu unter (3)].

608  Vgl. McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257  ff.; Schneyder University of Michigan Journal of Law Reform 31 (1997–1998), 551 ff. 609  Siehe dazu auch bereits unter C. III. 3. c) aa) (2) und C. III. 4. b) aa) (2). 610  Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 158 Fn. 28: „Hooters restaurants are perhaps the most obvious current example of a plus-sex business.“

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

(1) H  ooters als Anschauungsbeispiel für die plus-sex business Problematik Hooters Restaurants zeichnen sich durch ein Strandparty-Ambiente aus, das mit Hilfe einer Einrichtung z. B. bestehend aus Tischen mit Barstühlen, Holzfußböden und Holzwänden erzeugt werden soll.611 Die Wände sind mit sexuell konnotierten Postern dekoriert.612 Als Bedienungen beschäftigt Hooters ausschließlich junge Frauen, die sogenannten „Hooters Girls“.613 Deren Arbeitskleidung besteht aus einem engen Tanktop mit dem Hooters Logo und orangen Shorts.614 Hooters selbst führt zu der Rolle der Hooters Girls aus: „Hooters Girls are the very essence of Hooters. Trained to excel in customer service, they provide the energy, charisma and engaging conversation that keep guests coming back.“615

In diesem Sinne „verkauft“ die Restaurantkette auch den Sex-Appeal der dort tätigen Bedienungen. Somit lässt sich Hooters zwischen einem StripClub, in dem das Geschlecht des Beschäftigten als BFOQ anerkannt ist,616 und einem klassischen Restaurant, das nicht im Hinblick auf das Geschlecht diskriminieren darf, einordnen.617 Die Restaurantkette sah sich im Jahr 1997 einer Sammelklage männlicher Bewerber ausgesetzt, denen eine Stelle als Bedienungspersonal versagt worden war.618 Zur Rechtfertigung seiner Einstellungspraxis berief sich Hooters auf die BFOQ-Ausnahme.619 Deren 611  Schneyder University of Michigan Journal of Law Reform 31 (1997–1998), 551, 565. 612  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1126; Schneyder University of Michigan Journal of Law Reform 31 (1997–1998), 551, 566. 613  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1126; Schneyder University of Michigan Journal of Law Reform 31 (1997–1998), 551, 565 m. w. N.; vgl. dazu außerdem Bartlett Michigan Law Review 92 (1993–1994), 2541, 2578 m. w. N.: „Hooters is a restaurant chain with an image based on the ‚Hooters girl‘ concept, which is ‚indisputably sexy in tone‘.“ 614  Bartlett Michigan Law Review 92 (1993–1994), 2541, 2578 m. w. N.; ganze Law Review Aufsätze widmen sich den Rechtsfragen, die die bei Hooters für Bedienungen vorgeschriebene Arbeitskleidung mit sich bringt, vgl. Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107 ff. sowie Rhee Harvard Women’s Law Journal 20 (1997), 163 ff. 615  Siehe den Abschnitt „About Hooters“ auf der Hooters-Homepage, abrufbar unter http://www.hooters.com/Company/About.aspx (Abruf vom 26.07.2015). 616  Siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) aa) (1). 617  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 494. 618  Giordano Emory Law Journal 49 (2000), 993, 994 f. m. w. N. 619  Adamitis Washington Law Review 75 (2000), 195, 209 Fn. 112; Schneyder University of Michigan Journal of Law Reform 31 (1997–1998), 551, 567 m. w. N.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 189

­ oraussetzungen lägen vor, weil die Restaurantkette ausdrücklich nicht nur V Mahlzeiten, sondern mit Hilfe der jungen, attraktiven, leicht bekleideten und ausschließlich weiblichen Bedienungen auch die Erregung heterosexueller Männer („heterosexual male arousal“) verkaufe.620 Inwiefern die Rechtsprechung dieser Argumentation folgen würde, blieb indes ungeklärt. Die Parteien des Rechtsstreites verglichen sich, die Gruppe der klagenden Männer wurde mit einem Betrag von 3,75 Millionen US-$ abgefunden.621 Der Hooters-Fall ist ein Paradebeispiel für die Problemgruppe der plus-sex businesses und die Schwierigkeiten bei der Einschätzung, ob eine Diskriminierung männlicher Bedienungen im Hinblick auf die (antizipierten) Präferenzen der männlichen Kunden zulässig ist. Zentral ist die noch nicht eindeutig geklärte622 Frage, ob und in welchen Fällen Sex-Appeal eine BFOQ sein kann. Dies ist insbesondere in Bezug auf Unternehmen wie Hooters schwer zu beantworten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der „Verkauf“ von Sex-Appeal, wenn auch nicht die Hauptaufgabe der Bedienungen (das Servieren von Essen und Getränken), so doch zumindest einen (wesentlichen) Teil des von Hooters verkauften Produktes ausmacht.623 (2) McGinley Interessante Aspekte und Denkanstöße zu dieser Frage liefert McGinley, die die Problematik anhand der Kasinos in Las Vegas und ihrer Einstellungspraxis diskutiert, als Cocktail-Kellner („cocktail server“) ausschließlich attraktive Frauen zu beschäftigen, die aufreizende Arbeitskleidung tragen müssen.624 Während als Bedienungen nur Frauen eingesetzt würden, seien ausschließlich Männer auf den Positionen der Hausherren („casino hosts“) tätig.625 Diese Jobverteilung führe zu einer geteilten Arbeitswelt, wobei die Frauen die weniger begehrten, schlechter angesehenen und schlechter bezahlten Tätigkeiten übernähmen.626 Zudem würden dadurch die traditionellen Rollenbilder von Männern und Frauen verfestigt: Männer 620  Yuracko

California Law Review 92 (2004), 147, 173 Fn. 87. Emory Law Journal 49 (2000), 993, 995 Fn. 13 m. w. N. 622  Adamitis Washington Law Review 75 (2000), 195, 209 Fn. 112; Schneyder University of Michigan Journal of Law Reform 31 (1997–1998), 551, 558. 623  Davon geht Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1131 f., 1144 aus. Gemäß Cantor wäre mit Hilfe der Preisanalyse und der Überprüfung der Nachfrageelastizität erst festzustellen, ob bzw. inwiefern das Geschlecht der Bedienungen tatsächlich Teil des von Hooters verkauften Produktes ist, vgl. Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 494, 511 f., 515 f. 624  McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257 ff. 625  McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 262. 626  McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 273 f. 621  Giordano

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

seien die rationalen Wesen, Frauen hingegen die emotionalen Sex-Objekte, die Männer mit einem Lächeln bedienten.627 Dies sei auch insofern schädlich, als die Gesellschaft davon ausgehe, dass Jobs mit einer sexuellen Komponente geringe andere Qualifikationen erforderten.628 Die Gefahr rühre indes nicht von der Sexualisierung der Frauen im Job an sich her.629 Vielmehr liege das Problem darin, dass ausschließlich Frauen sexualisiert würden.630 Gleichzeitig erkennt McGinley an, dass bestimmte Tätigkeiten wie die der Cocktail-Kellnerin in Las Vegas ein Performance-Element aufwiesen und der Verkauf einer gewissen durch weibliche, aufreizend gekleidete Cocktail-Kellner transportierten Illusion zum Unternehmenskonzept gehöre:631 „Men who come to the casinos step into a bubble of fantasy. Cocktail waitresses, dressed in sexy uniforms, work to fulfill the fantasy.“632

Um entsprechende Unternehmenskonzepte in Branchen mit Unterhaltungscharakter bei Tätigkeiten mit Performance-Element633 zu ermöglichen, dabei aber den Gefahren einer Kommerzialisierung weiblichen Sex-Appeals zu begegnen, schlägt McGinley einen Mittelweg vor: „Employers who use sex appeal to entertain their customers should have the right to do so. That right, however, should not extend to the selling of female sexuality without the selling of its male counterpart.“634

Die Lösung bezogen auf den Cocktail-Kellner-Job bestehe also darin, die Kasinos vor die Wahl zu stellen, entweder den Cocktail-Kellner-Job völlig zu entsexualisieren und sowohl Frauen als auch Männer auf diesen Positionen zu beschäftigen, oder aber die sexuelle Komponente des Jobs beizubehalten, Frauen und Männer einzustellen und sie gleichermaßen aufreizend zu kleiden.635 Notfalls müsse aktiv versucht werden, gerade auch Männer für diese Positionen zu gewinnen.636 Dadurch würde die traditionelle Wahrnehmung der Frauen als Sex-Objekte und der Männer als rationale Vernunftwesen herausgefordert;637 traditionelle Geschlechterrollen würden in 627  McGinley

Duke Journal of Gender Law Duke Journal of Gender Law 629  McGinley Duke Journal of Gender Law 630  Vgl. McGinley Duke Journal of Gender 631  McGinley Duke Journal of Gender Law 632  McGinley Duke Journal of Gender Law 633  McGinley Duke Journal of Gender Law 634  McGinley Duke Journal of Gender Law 635  McGinley Duke Journal of Gender Law 636  McGinley Duke Journal of Gender Law 637  McGinley Duke Journal of Gender Law 628  McGinley

& Policy 14 (2007), 257, & Policy 14 (2007), 257, & Policy 14 (2007), 257, Law & Policy 14 (2007), & Policy 14 (2007), 257, & Policy 14 (2007), 257, & Policy 14 (2007), 257, & Policy 14 (2007), 257, & Policy 14 (2007), 257, & Policy 14 (2007), 257, & Policy 14 (2007), 257,

274. 274. 274. 257, 274. 261. 270 f. 260, 281. 282. 275. 279. 274.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 191

Frage gestellt.638 Dies wäre für die Kunden ungewohnt, würde sie irritieren und dadurch den Darbietungs-Aspekt des Jobs ins Bewusstsein rufen.639 Auf diese Weise zeigt McGinley einen Weg für plus-sex businesses mit Entertainmentcharakter auf, den Sex-Appeal der Beschäftigten als Verkaufsfaktor beizubehalten und in das Unternehmenskonzept einzubinden. Freilich bleibt die Frage offen, unter welchen konkreten Voraussetzungen einem Job in einem Unternehmen ein Darbietungselement innewohnen soll. Ob sie den Hooters Restaurants einen solchen Charakter zumessen würde, bleibt unklar. Es ist ein Hinweis darauf zu finden, der dagegen spricht, so stellt sie fest: „There is, no doubt, an element of performance in the job of casino cocktail waitress that is lacking in the job of waitress in a greasy spoon restaurant.“640

Sie grenzt also den Cocktail-Kellner-Job von dem einer Bedienung in einem günstigen Schnellrestaurant („greasy spoon restaurant“) ab. Andererseits ist wiederum fraglich, ob Hooters – angesichts der von der Restaurantkette kreierten Marke und des auf das Hooters Girl ausgerichteten Unternehmenskonzepts – tatsächlich dem von ihr angesprochenen günstigen Schnellrestaurant entspricht. (3) Cahill Eine Reihe bedenkenswerter Aspekte in Bezug auf plus-sex businesses, insbesondere Hooters, nennt zudem Cahill.641 Einerseits weist sie auf die von plus-sex businesses im Vergleich zu reinen sex businesses ausgehende größere Gefahr für das Frauenbild in der Gesellschaft hin:642 Die Behandlung von Frauen als Sex-Objekt sei in Strip-Clubs offensichtlich. Unternehmen wie Hooters oder auch die Southwest Fluglinie mit der „love airline“Marketingstrategie643 verbreiteten das Bild der Frau als Sex-Objekt hingegen unterschwellig.644 Weil die Verbreitung traditioneller Rollenbilder durch Unternehmen wie Hooters einerseits subtiler erfolge, andererseits ein Hooters-Besuch gesellschaftlich stärker akzeptiert sei als ein Besuch im StripClub, gehe von Hooters eine größere Gefahr der Verfestigung traditioneller Rollenbilder aus, die Frauen einen größeren Schaden zufüge.645 638  McGinley

Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 274. Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 274, 281. 640  McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 280. 641  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107 ff. 642  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144 Fn. 193. 643  Siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) aa) (2) (a). 644  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144 Fn. 193. 645  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144 Fn. 193. 639  McGinley

192

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Andererseits weist Cahill aber auch (im Einklang mit der Argumentation liberaler Feministen)646 darauf hin, dass Unternehmen wie Hooters Frauen eine im Vergleich zu Strip-Clubs moderatere Möglichkeit böten, aus ihrem Sex-Appeal Profit zu schlagen.647 Wollten sie also die ökonomischen Vorteile ihres Geschlechts nutzen, seien sie nicht ausschließlich auf Tätigkeiten in reinen sex businesses verwiesen.648 Man eröffne den Frauen als selbstbestimmten Wesen weitere Arbeitschancen, statt sie mit einem Staatspaternalismus zu bevormunden.649 Zudem böten Jobs, in denen Frauen auch ihren Sex-Appeal einsetzten, oft höhere Bezahlungen als entsprechende entsexualisierte Jobs.650 Dies ist ein Argument dafür, Frauen die Freiheit zu geben, ihren Sex-Appeal als Mittel zum Zweck einzusetzen, weshalb liberale Feministen zum Teil sogar für eine Ausweitung der BFOQ-Ausnahme im Hinblick auf plus-sex businesses plädieren.651 (4) Zusammenfassung Der Problemkreis der plus-sex businesses wirft die Frage auf, ob und inwieweit der Arbeitgeber (weiblichen) Sex-Appeal neben einem anderen, nicht sexuellen Produkt verkaufen darf. Die Restaurantkette Hooters mit dem auf die Hooters Girls ausgerichteten Unternehmenskonzept bildet ein Paradebeispiel für ein solches Unternehmen. McGinley will Unternehmen mit Unterhaltungscharakter die Sexualisierung bestimmter Tätigkeiten nur dann erlauben, wenn dies in Bezug auf beide Geschlechter erfolgt. Cahill weist hingegen auch auf mögliche Chancen entsprechender Jobs für Frauen hin und steht damit auf einer Argumentationslinie mit liberalen Feministen, die die BFOQ-Ausnahme im Hinblick auf die Bejahung einer Diskriminierungsrechtfertigung in plus-sex businesses ausweiten wollen.

646  Vgl. dazu Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 205 f. m. w. N.; McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 273 m. w. N. 647  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1143 f. 648  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144. 649  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1145 f. 650  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144 f. 651  Vgl. zu diesem Argument Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 205 f. sowie McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 273, jew. m. w. N.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 193

cc) Themenkomplex 3: Privatsphäre-BFOQ Die größte Aufmerksamkeit zieht in der Literatur die Rechtsprechung zur Privatsphäre-BFOQ auf sich.652 Insbesondere geht es dabei um die von den Gerichten vorgenommene Differenzierung zwischen rechtfertigend wirkenden, auf Privatsphäreinteressen beruhenden Kundenpräferenzen und nicht rechtfertigend wirkenden, „reinen“ Kundenpräferenzen. Die überwältigende Mehrheit der Autoren plädiert für eine starke Einschränkung der Rechtfertigungsmöglichkeiten einer Geschlechtsdiskriminierung im Hinblick auf die Privatsphäre der Kunden.653 Exemplarisch sollen hier die wesentlichen Kritikpunkte von Kapczynski [dazu unter (1)] und Berman [dazu unter (2)] vorgestellt werden. Dem soll der Ansatz von Waldman [dazu unter (3)] gegenübergestellt werden, die einen Vorschlag für eine Ausweitung der Privatsphäre-BFOQ unterbreitet. (1) Kapczynski Ausgangspunkt von Kapczynkis Kritik an der Rechtsprechung zur Privatsphäre-BFOQ ist ihre Feststellung, dass die von den Gerichten eingeräumten Privatsphäre-BFOQs im Kern Zugeständnisse an Kundenpräferenzen seien.654 Title VII bezwecke indes die Beseitigung diskriminierender Kundenpräferenzen, die Abschaffung von Geschlechterstereotypen im Job und der nach Geschlechtern geteilten Arbeitswelt. Angesichts dessen sei die Privatsphäre-BFOQ-Rechtsprechung widersprüchlich.655 Die Widersprüchlichkeit dieser Rechtsprechung zeige sich auch in Form zweier Asymmetrien: Erstens irritiere es die Gerichte in Fällen wie beispielsweise Fesel656 anscheinend nicht, dass das Altersheim zwar keine männlichen Altenpfleger für weibliche Residenten einstellen wollte, den weiblichen Altenpflegern aber regelmäßig die Pflege männlicher Patienten gestattete.657 Zweitens stießen 652  Vgl. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749  ff.; Bratt Albany Law Review 48 (1983–1984), 923 ff.; Calloway Fordham Law Review 54 (1985–1986), 327 ff.; Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257 ff.; Kingma Valparaiso University Law Review 14 (1979–1980), 577 ff.; McGowan Columbia Journal of Gender and Law 12 (2003), 77 ff.; Shartsis Detroit College of Law Review (1985), 865 ff.; Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357 ff. 653  Siehe dazu bereits unter C. III. 4. a) die Nachweise in Fn. 551. 654  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1261. 655  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1260, 1263, 1266. 656  Siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (b) (bb). 657  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1264 m. w. N.

194

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

sich die Gerichte grundsätzlich wie z. B. in dem Fall Mercy Health658 nicht daran, dass das Krankenhaus zwar keine männlichen Krankenpfleger auf der Geburtsstation beschäftigen wollte, gleichzeitig aber regelmäßig männlichen Ärzten erlaubte, Untersuchungen und Behandlungen am Intimbereich der Patientinnen vorzunehmen.659 Damit würden Privatsphäre-BFOQs auf eine Weise vorgebracht und gestattet, die die althergebrachten Rollenbilder und die traditionelle Arbeitsmarktteilung verfestige: Männer übernähmen die Positionen der Ärzte, Frauen die der Krankenschwestern.660 Die Begründung der Gerichtsentscheidungen in den Privatsphäre-BFOQ-Fällen sei angesichts folgender Beobachtung umso erstaunlicher:661 In allen anderen Rechtsgebieten würde die Privatheit einer Handlung nur danach beurteilt, wer einen Körper unter welchen Bedingungen sehe. Keine Rolle spiele hingegen, welches Geschlecht der Beobachter habe. Damit spricht Kapczynski einen Aspekt an, den auch bereits der U.S. District Court for the Eastern District of Michigan in Griffin genannt hatte.662 Das Gericht hatte es für unzulässig gehalten, dass die Gefängnisbehörde in Michigan in Männerhaftanstalten im Hinblick auf die Privatsphäre der Insassen ausschließlich männliche Gefängniswärter beschäftigte. Die Argumentation des Gerichts in dem Fall Griffin ist freilich inkonsistent mit den Gerichtsentscheidungen zur Privatsphäre-BFOQ aus dem Gesundheitswesen.663 Auf jene bezieht sich dementsprechend auch Kapczynskis Kritik. Des Weiteren konstatiert Kapczynski, dass die Rechtsprechung bei der Bejahung der Privatsphäre-BFOQs anscheinend davon ausgehe, dass alle betroffenen Kunden heterosexuell seien.664 Sie ignoriere die Vielfalt sexueller Identitäten.665 Auf dieser Grundlage kommt Kapczynski zu dem Schluss, dass eine Privatsphäre-BFOQ nur – wenn überhaupt – in ganz seltenen Fällen anzuerkennen sei.666

658  Siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (b) (aa). 659  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1264 f. m. w. N. 660  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1265 m. w. N. 661  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1269. 662  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690, 702 (E.D. Mich. 1982) unter Verweis auf re Montgomery (nicht veröffentlicht); siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (2) (a). 663  Siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (b). 664  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1287. 665  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1287; vgl. ähnlich im Zusammenhang der plus-sex businesses McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 281. 666  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1262, 1288.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 195

(2) Berman Wie Kapczynski wirft auch Berman der Rechtsprechung Inkonsistenz in Bezug auf die Privatsphäre-BFOQ vor.667 Sie möchte deren Anwendbarkeit mit Hilfe zweier Regeln einschränken, die letztlich auf der Annahme beruhen, dass asymmetrische Beschäftigungspraktiken des Arbeitgebers unzulässig sein sollten.668 Erstens sei eine Rechtfertigung im Hinblick auf die Kunden-Privatsphäre zu verneinen, wenn der Arbeitgeber die Behandlung weiblicher Patienten durch männliches Pflegepersonal ablehne, gleichzeitig aber weibliches Pflegepersonal männliche Patienten behandeln lasse.669 Schließlich sei es nicht plausibel, dass der Schutz der Privatsphäre der Kunden zur wesentlichen Aufgabe des Unternehmens (essence of the business) gehöre, wenn männliche Kunden nicht geschützt würden.670 Zweitens sei eine Privatsphäre-BFOQ-Ausnahme in den Fällen nicht anzuerkennen, in denen der Arbeitgeber Ärzten erlaube, Patienten beider Geschlechter zu behandeln, in Bezug auf das Pflegepersonal aber lediglich gleichgeschlechtliche Behandlung zulasse.671 Entsprechende Beschäftigungspolitiken bei Arbeitgebern deuteten darauf hin, dass die in solchen Fällen geltend gemachten Privatsphäre-BFOQs auf Vorurteilen über Geschlechterrollen und auf unzulässigen Kundenpräferenzen beruhten,672 deren Abschaffung Title VII bezwecke.673 (3) Waldman Auch Waldman argumentiert mit dem Zweck des Title VII. Er bestehe darin, zu verhindern, dass gleich qualifizierten Beschäftigten auf Grund von Vorurteilen oder Stereotypen der Zugang zu bestimmten Arbeitsplätzen verwehrt werde.674 Vor diesem Hintergrund plädiert sie indes – anders als Kapczynski und Berman – für eine Ausweitung der Privatsphäre-BFOQ in Fällen aus dem Bereich des Gesundheitswesens.675 Anknüpfungspunkt ihres 667  Berman

769.

668  Berman

University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 751 f., 759 ff.,

University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 752, 762 ff. University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 767. 670  Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 767. 671  Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 769. 672  Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 762. 673  Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 767. 674  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 387. 675  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 363. 669  Berman

196

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Beitrags sind folgende Entwicklungen, die sie anhand diverser Zeitungsartikel dokumentiert: Es bestehe eine Patientenpräferenz für Gynäkologen weiblichen Geschlechts; der Frauenanteil unter den Gynäkologen in den USA sei von weniger als fünfzig Prozent auf über zwei Drittel676 angestiegen und gynäkologische Praxen und Kliniken mit ausschließlich weiblichem Personal erfreuten sich immer größerer Beliebtheit.677 Diese Beobachtungen Waldmans überraschen auf den ersten Blick angesichts der in dieser Arbeit vorgestellten wissenschaftlichen Studien: So kam eine 1999 in Kalifornien durchgeführte Studie zu dem Ergebnis, dass 52,2  % der Patientinnen eine Gynäkologin bevorzugten und 42  % äußerten, es käme ihnen nicht auf das Geschlecht des Arztes an.678 In einer 2005 in Connecticut durchgeführten Patientinnenbefragung gaben sogar 66,6  % an, dass das Geschlecht des Arztes für sie keine Rolle spiele, während 27,6  % eine Frauenärztin bevorzugten.679 Allerdings sind die Ergebnisse dieser Studien nur begrenzt aussagefähig, sie unterscheiden sich in Größe der Befragungsgruppe, Ort, Zeitpunkt und verwendeten Befragungsbögen.680 Daher erzeugen sie nicht notwendigerweise Zweifel an der Plausibilität der von Waldman beobachteten größeren Nachfrage nach weiblichen Frauenärzten. Angesichts der wachsenden Nachfrage nach weiblichen Frauenärzten legt Waldman ihren Fokus auf die Frage, inwiefern die Diskriminierung männlicher Frauenärzte durch gynäkologische Praxen und Kliniken als BFOQ-Ausnahme gerechtfertigt ist.681 Da Title VII nur solche Kundenpräferenzen bekämpfen wolle, die auf überkommenen Vorurteilen über die Rollenbilder von Männern und Frauen beruhten, untersucht Waldman die Motive für die Bevorzugung einer Frauenärztin. Mittels einer Analyse der Aussagen zahlreicher Frauen aus Zeitungsartikeln, die den Trend hin zu weiblichen Gynäkologen dokumentieren,682 identifiziert Waldman drei Beweggründe der Frauen: Erstens fühlten sich die Patientinnen bei der Besprechung intimer Themen häufig wohler, wenn ihr Gegenüber das gleiche 676  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357 m. w. N. 677  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357 f. m. w. N. 678  Schmittdiel et al. Journal of Women’s Health & Gender-Based Medicine 8 (1999), 825; siehe dazu bereits unter B. II. 4. c) bb). 679  Johnson et al. Journal of the American Osteopathic Association 105 (2005), 369, 374; siehe dazu bereits unter B. II. 4. c) bb). 680  Siehe dazu bereits unter B. II. 4. c) cc). 681  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 359. 682  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 379 ff. m. w. N.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 197

Geschlecht habe.683 Diesen Aspekt könne man als „psychologische Privatsphäreinteressen“ („psychological privacy“) bezeichnen, die Patienten zum Teil sogar als wichtiger als ihre physischen Privatsphäreinteressen bewerteten.684 Je eher die Patienten bereit seien, ihre geschlechtsspezifischen Probleme gegenüber einem Arzt oder dem Pflegepersonal zu offenbaren, desto besser könne ihnen geholfen werden.685 Somit betreffe dieser Aspekt unmittelbar die essence of the business. Ein zweites von Waldman identifiziertes Motiv für die Bevorzugung gleichgeschlechtlichen medizinischen Personals bezeichnet sie als „gemeinsame Körperlichkeit“ („shared physicality“).686 Im Gynäkologenkontext hätten viele Frauen erklärt, dass sie beispielsweise Menstruationsbeschwerden lieber mit jemandem besprächen, der selbst einmal diese Erfahrung gemacht habe. Den dritten von Waldman herausgearbeiteten Grund für die besagten Kundenpräferenzen behandelt sie unter dem Stichwort „role model“ – es geht also um die Vorbildfunktion.687 Gleichgeschlechtliche Beschäftigte könnten oft besser als Vorbilder dienen.688 Diese Funktion sei insbesondere im Bereich der psychischen Gesundheit von Bedeutung, wie z. B. die Entscheidung Healey689 verdeutliche.690 In Healey hatte der U.S. Court of Appeals for the Third Circuit die Geschlechtsdiskriminierung bei dem in der psychiatrischen Abteilung tätigen Personal eines Krankenhauses, das emotional gestörte und zum Teil auch sexuell missbrauchte Kinder behandelte, für zulässig gehalten. Auch im Zusammenhang mit der Beratung bei der Gewichtsabnahme wie im Fall HI 40 Corporation691 könne der role model683  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 387. 684  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 387. 685  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 387 f.; vgl. zu diesem Argument auch Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 287 f. 686  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 388. 687  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 387. Mit der „role-modeling BFOQ“ (allerdings im Bildungsbereich) befasst sich zudem eingehend der Beitrag aus jüngerer Zeit von Hoerner University of Pennsylvania Journal of Business Law 16 (2014), 1211 ff. 688  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 387. 689  Healey v. Southwood Psychiatric Hospital 78 F.3d 128 ff. (3d Cir. 1996); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (b) (cc). 690  Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 387. 691  EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. 953 F. Supp. 301 ff. (W.D. Mo. 1996); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) bb) (2) (b) (bb).

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Aspekt nach Waldmans Auffassung eine bedeutende Rolle spielen,692 wobei der U.S. District Court for the Western District of Missouri dies freilich anders sah. Aus der Identifikation dieser Motive folgert Waldman, dass die betreffenden Vorlieben sich qualitativ von solchen – durch Title VII bekämpften – Präferenzen unterschieden, die Ausdruck von bösartigen, chauvinistischen oder überholten Ansichten über traditionelle Rollenbilder seien.693 Frauen entschieden sich nicht deshalb für weibliche Frauenärzte, weil sie Männer für weniger intelligent hielten.694 Daher plädiert Waldman für eine erweiterte Anwendung der Privatsphäre-BFOQ auch in Fällen, in denen keine körperlichen, aber psychologische Privatsphäreinteressen betroffen sind.695 Die Gerichte würden bislang den Fokus zu stark darauf legen, ob die körperliche Privatsphäre der Kunden berührt werde.696 Dabei berücksichtigten sie die psychologische bzw. therapeutische Komponente der betroffenen Privatsphäre zu wenig. „[T]he privacy BFOQ should apply in all instances where courts find that customers have: (1) a preference for same-gender care in (2) a business that itself implicates privacy or therapeutic interests that are specifically gender-related, and (3) the preference is not based on, and does not perpetuate, malignant characterizations of the genders.“697

Diese Voraussetzungen, so stellt sie abschließend fest, lägen im Falle der Kundenpräferenz für eine Gynäkologin vor.698 (4) Zusammenfassung Die Stimmen aus dem Schrifttum, die sich mit der Privatsphäre-BFOQ befassen, kritisieren allesamt deren Anwendung durch die Rechtsprechung. Die Beiträge von Kapczynski und Berman stehen beispielhaft für die Grup692  Waldman University of Pennsylvania 6 (2004), 357, 387. 693  Waldman University of Pennsylvania 6 (2004), 357, 365, 375, 388. 694  Waldman University of Pennsylvania 6 (2004), 357, 392. 695  Waldman University of Pennsylvania 6 (2004), 357, 363 f., 383 f. 696  Waldman University of Pennsylvania 6 (2004), 357, 382, 387. 697  Waldman University of Pennsylvania 6 (2004), 357, 383 f. 698  Waldman University of Pennsylvania 6 (2004), 357, 391 f.

Journal of Labor and Employment Law Journal of Labor and Employment Law Journal of Labor and Employment Law Journal of Labor and Employment Law Journal of Labor and Employment Law Journal of Labor and Employment Law Journal of Labor and Employment Law



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 199

pe der Autoren, die die Kritik an der inkonsistenten Rechtsprechung zum Anlass nehmen, eine Einschränkung der Rechtfertigungsmöglichkeit zu fordern. Kapczynski hebt dabei hervor, dass die Betroffenheit der Privatsphäre nicht vom Geschlecht der anderen Person abhänge. Außerdem blende die Rechtsprechung in ihren Entscheidungen die Vielfalt sexueller Identitäten aus, indem sie davon ausgehe, dass jeder die Entblößung gegenüber dem anderen Geschlecht als unangenehmer empfinde. Bermans Beitrag enthält ein Plädoyer dafür, bei asymmetrischen Beschäftigungspolitiken des Arbeitgebers keine BFOQ-Ausnahme anzuerkennen und den Urteilen dadurch zu mehr Schlüssigkeit zu verhelfen. Waldman entwickelt anhand einer rechtstatsächlichen Analyse der Motive für eine gleichgeschlechtliche Behandlung im Gesundheitswesen einen dreistufigen Test für das Vorliegen einer Privatsphäre-BFOQ. Auf dessen Grundlage kann eine Rechtfertigung im Hinblick auf die Privatsphäre auch dann bejaht werden, wenn zwar keine körperlichen, wohl aber psychologische bzw. therapeutische Privatsphärebelange betroffen sind. dd) Themenkomplex 4: Fälle mit Auslandsberührung Die vierte Gruppe von Autoren befasst sich mit den Sachverhalten mit Auslandsberührung.699 Es stellt sich die Frage, ob für die Rechtfertigungsmöglichkeiten einer Diskriminierung im Hinblick auf Präferenzen eines Kunden aus einem anderen Kulturkreis Besonderheiten gelten sollen. Anknüpfungspunkt für die Diskussion im Schrifttum bildet insbesondere der Fall Fernandez,700 in dem der U.S. Court of Appeals for the Ninth Circuit sich deutlich gegen eine Sonderbehandlung für entsprechende Fälle aussprach. Kritik an dieser Auffassung üben insbesondere Winterscheidt und Lewis / Ottley [dazu unter (1)], Zuspruch findet sie hingegen von Cohn und Stegura [dazu unter (2)]. (1) Winterscheidt und Lewis / Ottley Sowohl Winterscheidt als auch Lewis / Ottley betonen, dass der entscheidende Maßstab für die Zulässigkeit einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen auch in Fällen mit Auslandsberührung sein müsse, inwie699  Vgl. Cohn New York University Law Review 62 (1987), 1288 ff.; Lewis/Ottley Ohio State Law Journal 44 (1983), 45 ff.; Reich Boston College Third World Law Journal 10 (1990), 259 ff.; Stegura Southern California Law Review 57 (1983– 1984), 335 ff.; Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183 ff. 700  Fernandez v. Wynn Oil Co. 653 F.2d 1273 ff. (9th Cir. 1981); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) dd) (2).

200

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

fern das Geschlecht im Sinne des Gesetzestextes der BFOQ-Ausnahme „reasonably necessary to the normal operation of that particular business“ sei.701 Dies habe das Gericht in Fernandez fehlinterpretiert. Da dort die Beachtlichkeit ausländischer Kundenpräferenzen kategorisch ausgeschlossen wurde, sei diese Entscheidung unnötig unflexibel.702 Winterscheidt und Lewis / Ottley gehen insbesondere auf zwei Aspekte ein, die das Gericht nicht genügend beachtet habe: Zum einen argumentieren sie ökonomisch, so weisen Lewis /  Ottley darauf hin, dass das Überleben eines Unternehmens auf dem ausländischen Markt davon abhänge, dass es die Präferenzen der dortigen Kunden bediene.703 Winterscheidt setzt sich mit dem Argument auseinander, dass die Diskriminierungsgesetzgebung des Title VII gleichermaßen für alle Arbeitgeber in den USA gelte und es demzufolge keine unzumutbare Härte für den einzelnen Arbeitgeber sei, nicht diskriminieren zu dürfen. Dem entgegnet sie, dass Arbeitgeber im Ausland nicht in einer diskriminierungsfreien Umgebung konkurrierten und sie sich damit in einer grundsätzlich anderen Ausgangslage befänden.704 Damit habe sich das Gericht in Fernandez nicht auseinandergesetzt. Zum anderen verweisen Winterscheidt und Lewis / Ottley jeweils auf die Anerkennung der Privatsphäre-BFOQ durch die Rechtsprechung und ziehen eine Parallele zu den Präferenzen ausländischer Kunden. So zeichneten sich Privatsphäre-Fälle dadurch aus, dass sie tief sitzende, für unumstößlich gehaltene Tabus beträfen.705 Die Rechtsprechung halte eine Diskriminierung für gerechtfertigt, wenn eine Beschäftigungspraxis derart tabu ist, dass die ablehnende Haltung der Kunden gegenüber dieser Praxis für unveränderbar gehalten wird.706 Bestimmte, kulturell tief verwurzelte Stereotype über Männer und Frauen aus anderen Ländern könne man auch als unveränder­bare Tabus in diesem Sinne ansehen: „It seems contradictory to allow the unalterable sexual stereotypes of our citizens to defeat the intended full extension of Title VII protection, and not extend the same type of understanding to people in a foreign culture with similar sexual stereotypes.“707

Dieser Aspekt lässt sich wohl als Argument gegen den US-amerikanischen „Kulturimperialismus“ deuten. In diesem Sinne betonen Lewis / Ottley, dass 701  Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 196; Lewis/Ottley Ohio State Law Journal 44 (1983), 45, 87. 702  Lewis/Ottley Ohio State Law Journal 44 (1983), 45, 87. 703  Lewis/Ottley Ohio State Law Journal 44 (1983), 45, 87. 704  Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 197. 705  Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 192. 706  Vgl. Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 197 m. w. N. 707  Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183, 197; vgl. in die gleiche Richtung Lewis/Ottley Ohio State Law Journal 44 (1983), 45, 87.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 201

es nicht dem Ziel des Title VII entspreche, US-amerikanische Unternehmen von ausländischen Märkten fernzuhalten oder Sitten, Gebräuche und Sensibilitäten anderer Länder zu ändern.708 Winterscheidt und Lewis / Ottley halten es jeweils angesichts der besonderen Wettbewerbssituation von Unternehmen im Ausland für angezeigt, bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Diskriminierungsrechtfertigung zusätzliche Faktoren zu beachten: Winterscheidt schlägt einen speziellen, fünfstufigen BFOQ-Test vor, wobei die ersten drei Voraussetzungen den von der Rechtsprechung entwickelten Elementen des „essence of the business“-, des „all or substantially all“- sowie des „less discriminatory alternatives“Tests entsprechen. Darüber hinaus sei in Fällen mit Auslandsberührung viertens eine Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit des Arbeitgebers im Ausland vorzunehmen, um zu ermitteln, ob seine Bindung an das Diskriminierungsverbot eine lähmende Benachteiligung ist; und fünftens müsse eine Abwägung zwischen den potentiellen Einnahmeverlusten des Unternehmens und den individuellen Rechten der Beschäftigten aus den USA auf Schutz unter den Diskriminierungsverboten des Title VII erfolgen,709 was letztlich der auch dem europäischen und deutschen Recht vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne entspricht.710 Ähnlich plädieren Lewis / Ottley dafür, dass die Gerichte die in Frage stehenden Tätigkeiten auf ihre Beziehung zu ausländischen Kunden und Märkten hin und den Anteil des Kontaktes zwischen Beschäftigtem und anderem Land bzw. seiner Bürger untersuchen sollten.711 Darüber hinaus müssten sie die spezifischen Anforderungen der betreffenden Stelle sowie die Gebräuche und Charakteristika des Landes und seiner Geschäftswelt ermitteln, mit dem der Handel betrieben werden soll.712 Komme das Gericht auf dieser Grundlage zu dem Schluss, dass ein bestimmtes Merkmal „reasonably necessary to the position or the employer’s business“ sei, führe die Bejahung einer Rechtfertigung zu einem angemessenen Ausgleich der wirtschaftlichen Interessen der USA und ihrer Antidiskriminierungspolitik.713 Zwar blieben einigen Beschäftigten bestimmte Positionen verschlossen, doch insgesamt würde der verstärkte Handel mit dem Ausland zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.714 708  Lewis/Ottley 709  Vgl.

198.

Ohio State Law Journal 44 (1983), 45, 86 f. Winterscheidt University of Kansas Law Review 31 (1982–1983), 183,

710  Siehe dazu später E. V. 2. d) cc). 711  Lewis/Ottley Ohio 712  Lewis/Ottley Ohio 713  Lewis/Ottley Ohio 714  Lewis/Ottley Ohio

insbesondere unter D. V. 2. a) ee), E. III. 1. b) cc) sowie State State State State

Law Law Law Law

Journal Journal Journal Journal

44 44 44 44

(1983), (1983), (1983), (1983),

45, 45, 45, 45,

87. 87. 87. 87.

202

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

(2) Stegura und Cohn Gegen eine Sonderbehandlung für Fälle mit Auslandsberührung sprechen sich Stegura und Cohn aus, wobei Cohn formuliert: „Customer preference is no more a defense to discrimination in employment abroad than it is at home.“715

Stegura knüpft, im Ausgangspunkt wie Winterscheidt und Lewis / Ottley bei der Formulierung des Gesetzestextes „reasonably necessary to the normal operation of that particular business“ an.716 Anhand einer Analyse der diesbezüglichen Rechtsprechung kommt sie zu dem Schluss, dass der Maßstab „reasonably necessary“ hohe Anforderungen stelle.717 Es sei unwahrscheinlich, dass die Einnahmeverluste eines Unternehmens jemals so hoch sein könnten, dass sie eine Diskriminierung rechtfertigten.718 Ökonomische Argumente für eine Sonderbehandlung der Fälle mit Auslandsberührung hält sie für nicht überzeugend: „[T]hese arguments do not, as a matter of logic, make discrimination any more ‚reasonably necessary‘ in the foreign situation than in a domestic situation.“719

Während Stegura sich zuvorderst gegen die ökonomische Argumentation der Befürworter einer Sonderbehandlung in Fällen mit Auslandsberührung wendet, richtet sich Cohn auch gegen den Vergleich tief verwurzelter kultureller Überzeugungen ausländischer Kunden mit den Privatsphäreempfindungen US-amerikanischer Bürger. Dieser Vergleich missachte, dass Privatsphäre-Interessen der Kunden nur dann zur Rechtfertigung einer Diskriminierung führen könnten, wenn sie die wesentliche Aufgabe der Tätigkeit beträfen.720 Dieses Erfordernis scheint Cohn in Bezug auf kulturelle Überzeugungen ausländischer Kunden für regelmäßig nicht vorliegend anzusehen. Des Weiteren hält sie die Gefahr eines „Kulturimperialismus“ für gering. Schließlich gelte das Diskriminierungsverbot des Title VII nicht unmittelbar für Bürger des anderen Landes.721 Allein deshalb seien die Auswirkungen auf örtliche Empfindlichkeiten minimal.722 Davon abgesehen würden die USA in vielen anderen Fällen ohne Sorge um die kulturelle Autonomie anderer Länder handeln, wenn es um die Verbreitung der Menschenrechte 715  Cohn New York University Law Review 62 (1987), 1288, 1304; vgl. auch Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 356. 716  Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 342. 717  Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 356. 718  Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 356. 719  Stegura Southern California Law Review 57 (1983–1984), 335, 356. 720  Cohn New York University Law Review 62 (1987), 1288, 1305. 721  Cohn New York University Law Review 62 (1987), 1288, 1305. 722  Cohn New York University Law Review 62 (1987), 1288, 1305.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 203

im Ausland gehe.723 Handelten Arbeitgeber im Einklang mit Title VII, förderten sie letztlich den internationalen Konsens über die Menschenrechte und gegen Diskriminierung im Arbeitsleben.724 (3) Zusammenfassung Die Frage, ob in Fällen mit Auslandsberührung Besonderheiten hinsichtlich einer Diskriminierungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen zu beachten sind, wird uneinheitlich beantwortet. Die Befürworter einer Sonderbehandlung wie Winterscheidt und Lewis / Ottley argumentieren dabei aus einer ökonomischen Perspektive mit der speziellen Wettbewerbssitua­ tion im Ausland tätiger Unternehmen. Sie konkurrierten nicht auf einem diskriminierungsfreien Markt. Im Hinblick auf eine Kosten-Nutzen-Abwägung wollen diese Autoren den (auch) im Ausland tätigen Unternehmen mehr Spielraum bei ihrer Beschäftigungspolitik geben. Dabei unterstreichen sie die Gefahr eines US-amerikanischen „Kulturimperialismus“. Die Gegner einer Sonderbehandlung von Fällen mit Auslandsberührung wie Stegura und Cohn betonen vor allem die Schaffung gleicher Beschäftigungschancen für alle US-amerikanischen Bürger als zentralen Zweck des Title VII. Angesichts dessen müssten nach Stegura ökonomische Interessen des Arbeitgebers zurückstehen. Cohn relativiert den Aspekt des „Kulturimperialismus“, indem sie ihn eher als Förderung der universellen Menschenrechte deutet. ee) Themenkomplex 5: Notwendigkeit einer Rassen-BFOQ Eine weitere Gruppe von Autoren widmet sich schließlich der Frage, inwiefern die Schaffung einer Rechtfertigungsmöglichkeit für Diskriminierungen auf Grund der Rasse oder Hautfarbe notwendig bzw. wünschenswert ist.725 Diese Frage stellt sich nach deutschem und europäischem Recht angesichts der vorhandenen Rechtfertigungsmöglichkeit für unmittelbare Benachteiligungen auf Grund der Rasse oder ethnischen Herkunft nicht. Trotzdem lohnt ein Blick in die im US-amerikanischen Schrifttum geführte Diskussion. Er verspricht Aufschluss über die besonderen Sachgesetzlichkeiten des Merkmals Rasse [dazu unter (1)]. Ob trotz der Besonderheiten 723  Cohn

New York University Law Review 62 (1987), 1288, 1305. New York University Law Review 62 (1987), 1288, 1305. 725  Vgl. Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211 ff.; Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473 ff.; vgl. außerdem Kim Hastings Communications and Entertainment Law Journal 20 (1998), 397, 408 ff.; Peterson Columbia Journal of Art and the Law 9 (1985), 351 ff.; Robinson California Law Review 95 (2007), 1, 40 ff. sowie Sheppard Columbia-VLA Journal of Law & the Arts 15 (1991), 267, 275 ff. 724  Cohn

204

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

eine BFOQ-Ausnahme auch für das Merkmal Rasse sinnvoll ist, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Die Fälle, in denen eine Ungleichbehandlung auf Grund der Rasse für legitim und eine Rechtfertigungsmöglichkeit zum Teil für notwendig gehalten wird, bieten Anhaltspunkte dafür, in welchen Fällen die im deutschen Recht bestehende Rechtfertigungsmöglichkeit greifen könnte. Bevor die Argumente der Befürworter (insbesondere Bryant726) und der Gegner (insbesondere Frank727), einer Rassen-BFOQ dargestellt werden sollen [dazu unter (3)], ist ein Blick auf die von Frymer / Skrentny728 beschriebenen Entwicklungen in der Rechtspraxis [dazu unter (2)] aufschlussreich. (1) Besonderheiten des Merkmals Rasse Die Besonderheiten des Merkmals Rasse werden im Schrifttum in der Gegenüberstellung mit dem Merkmal Geschlecht verdeutlicht. So wird zutreffend darauf hingewiesen, dass sich das Geschlecht biologisch systematisch in die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ unterteilen lässt. Ein korrespondierendes schlüssiges System zur Klassifikation von Rassen gibt es indes nicht.729 Die theoretische Einordnung der Menschen in Gruppen wie „Kaukasier“ und „Schwarzafrikaner“ entspricht keiner biologischen Systematisierung.730 Zwar bestehen morphologische Unterschiede zwischen den Menschen, doch diese – so der Konsens in der Humanbiologie – sind nicht mit einem bestimmten biologischen Wesen geschweige denn mit auf diesem Wesen beruhenden spezifischen Verhaltensweisen verbunden.731 In diesem Sinne erklärt auch die EU in ErwG 6 AntirassismusRL, dass sie „Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, zurück[weist]“; „[d]ie Verwendung des Begriffs ‚Rasse‘ in dieser Richtlinie impliziert nicht die Akzeptanz solcher Theorien“. Die unterschiedlichen Geschlechter lassen sich hingegen biologisch klar auf die X- und Y-Chromosomen zurückführen.732 In diesem Zusam726  Bryant

Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211 ff. University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473 ff. 728  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677 ff. 729  Appiah Journal of Philosophy 87 (1990), 493, 496. 730  Lopez Harvard Civil Rights-Civil Liberties Law Review 29 (1994), 1, 61: „Biological race is an illusion.“ Vgl. aus dem deutschen Schrifttum z. B. Husmann ZESAR 2005, 107, 111 sowie Schiek NZA 2004, 873, 874: „Es gibt keine unterschiedlichen menschlichen Rassen, […].“ 731  Appiah Journal of Philosophy 87 (1990), 493, 496; Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 682 f. m. w. N.; Schiek AuR 2003, 44 sowie ausführlich dies. Differenzierte Gerechtigkeit (2000), S. 28 ff. m. w. N. 732  Appiah Journal of Philosophy 87 (1990), 493, 496. 727  Frank



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 205

menhang wird im US-amerikanischen Schrifttum auch darauf hingewiesen, dass Menschen sich eher über das Geschlecht als über die Rasse identifizierten.733 Dies mag erklären, wieso Ungleichbehandlungen auf Grund der Rasse in den USA gesellschaftlich weniger akzeptiert sind als solche auf Grund des Geschlechts.734 Hinzu kommen schließlich die Wurzeln der Antidiskriminierungsgesetze in den USA als Mittel zur Bekämpfung der Folgen der Sklaverei.735 Angesichts dessen sind nach US-amerikanischem Recht theoretisch keine Beschäftigungspolitiken möglich, die die Rasse oder Hautfarbe als Differenzierungskriterium heranziehen. (2) Frymer / Skrentny Frymer / Skrentny beobachten jedoch eine Diskrepanz zwischen der Rechtslage in der Theorie und der gelebten Praxis, sie sprechen von einer „long-standing disjuncture between law in practice and law on the books“.736 Obwohl es keine gesetzliche BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit für das Merkmal Rasse gebe, würden Arbeitgeber faktisch – anscheinend gesellschaftlich akzeptiert – in vielen Fällen Beschäftigungsentscheidungen von der Rasse abhängig machen.737 Sie identifizieren dabei einen extensiven Gebrauch von Rassen-BFOQs in den drei Bereichen des Polizeiwesens, des Bildungssektors und der allgemeinen Geschäftswelt. (a) Polizeiwesen und Bildungssektor Polizeidienststellen738 und Schulen739 beachteten die Rasse seit langer Zeit als Einstellungskriterium und beschäftigten gezielt Polizisten bzw. Lehrer, die einer ethnischen Minderheit angehörten. Darin komme das „demo733  Post California Law Review 88 (2000), 1, 37; vgl. auch Appiah Journal of Philosophy 87 (1990), 493, 497. Vgl. dazu aber auch Grillo/Wildman Duke Law Journal 1991, 397, 398, die darauf hinweisen, dass zwar Weiße sich nicht über ihre Rasse definierten, Farbige hingegen sehr wohl: „To people of color, who are the victims of racism/white supremacy, race is a filter through which they see the world. Whites do not look at the world through this filter of racial awareness, even though they also compromise a race.“ Ähnlich argumentiert auch Flagg Yale Law Journal 104 (1995), 2009, 2013. 734  Vgl. dazu auch Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 210. 735  Schiek AuR 2003, 44, 48; siehe dazu auch bereits unter C. I. 2. 736  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 680. 737  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 682 f. 738  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 688. 739  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 698 ff.

206

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

graphic matching“ zum Ausdruck.740 Für das Polizeiwesen beschreibt es den Versuch der Polizeidienststellen, ihre Einstellungspolitik an der ethnischen Zusammensetzung der Gemeinde auszurichten und eine entsprechende Zusammensetzung in der Belegschaft zu erreichen.741 Im Sinne einer effektiven Verbrechensbekämpfung solle so erreicht werden, dass die Gemeinde größeres Vertrauen in die Polizei habe und besser mit ihr kooperieren und kommunizieren könne.742 Im Bildungssektor beruhe eine entsprechende Einstellungspolitik auf der Auffassung, dass Lehrer ethnischer Minderheiten besser als Vorbilder für Schüler ethnischer Minderheiten dienen könnten.743 Sie zeigten beispielsweise, dass man trotz Zugehörigkeit zu einer Minderheit erfolgreich sein könne.744 Auch gelänge es diesen Lehrern besser, die Eltern der Kinder ethnischer Minderheiten in den Bildungsprozess ihrer Kinder einzubinden.745 Diese langjährige Einstellungspraxis bei Polizeidienststellen und in Schulen in den USA ist auch im Hinblick auf Folgendes bemerkenswert: In mehreren Bundesländern in Deutschland gibt es in jüngerer Zeit ebenfalls Initiativen, in Gebieten mit hohem Migrantenanteil gezielt Menschen mit Migrationshintergrund für den Lehrer- oder Polizistenberuf zu gewinnen,746 sodass die Frage der Rechtfertigungsmöglichkeit entsprechender Einstellungspraktiken im deutschen Recht tatsächlich praktisch relevant ist.747

Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 690, 692. Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 690. 742  Vgl. Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 693, 695 m. w. N. 743  Vgl. Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 699  ff. m. w. N. Vgl. zu der Vorbildfunktion von Lehrern (allerdings im Kontext der Geschlechtsdiskriminierung) auch Hoerner University of Pennsylvania Journal of Business Law 16 (2014), 1211, 1248 ff. m. w. N. 744  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 701 m. w. N. 745  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 699 m. w. N. 746  Eine Aufzählung der Maßnahmen verschiedener Bundesländer zur gezielten Anwerbung von Migranten als Lehrer und Polizisten findet sich in dem Nationalen Aktionsplan Integration der Bundesregierung, S. 418 ff. Der Aktionsplan wurde auf dem 5. Integrationsgipfel am 31. Januar 2012 vorgestellt und ist abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerInte gration/nap/nationaler-aktionsplan/_node.html (Abruf vom 26.07.2015). Siehe dazu auch später unter E. V. 2. b) bb) (4) (b) (bb). 747  Im deutschen Recht ist neben einer Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG (siehe dazu auch später ausführlich in Teil E.) zu erwägen, ob entsprechende Einstellungspraktiken als positive Maßnahmen nach dem hier nicht näher beleuchteten § 5 AGG zulässig sind. 740  Vgl.

741  Frymer/Skrentny



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 207

(b) Geschäftswelt Zudem spiele die Rasse als Einstellungskriterium – speziell auch im Hinblick auf Kundenpräferenzen – in der Geschäftswelt eine Rolle.748 Die Praxis, die ethnische Zusammensetzung der Belegschaft der Zusammensetzung des Kundenstamms anzupassen, sei weit verbreitet.749 Frymer / Skrentny zitieren eine Studie, nach der 70  % der befragten Einzelhändler angegeben hätten, entsprechende Einstellungspolitiken zu verfolgen.750 Darüber hinaus sei das „race or ethnicity matching“, also der Versuch, durch die Beschäftigten die ethnische Zusammensetzung der Kundschaft widerzuspiegeln, in Krankenhäusern und in großen Kaufhäusern gängige Praxis.751 Somit deuten die Ausführungen von Frymer / Skrentny darauf hin, dass Arbeitgeber nach der bereits im Zusammenhang mit den Studien zu Kundenpräferenzen vorgestellten Kundendiskriminierungshypothese handeln. Sie stellen – unabhängig von der Wahrheit dieser Annahme752 – so ein, als ob die Kunden ihnen demographisch ähnliche Beschäftigte bevorzugten.753 Zudem sprechen Frymer / Skrentny insbesondere den Bereich der Medien an.754 So könne es in den USA beispielsweise notwendig sein, gezielt Journalisten ethnischer Minderheiten einzustellen, um über Nachrichten und Probleme, die diese Minderheiten betreffen, zu berichten. (3) Bryant vs. Frank Sowohl Bryant als Befürworter755 als auch Frank als Gegner756 einer Ausweitung der BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit auf das Merkmal „Rasse“ beschreiben verschiedene Einstellungspraktiken, in denen die Differenzierung nach der Rasse sinnvoll und gesellschaftlich akzeptiert sei und zum Teil auch bereits praktiziert werde. Beide knüpfen bei dem Beispiel an, dass für die Rolle des Martin Luther King in einem Film ausschließlich Afro748  Frymer/Skrentny

Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 704 ff. Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 712. 750  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 712 f. m. w. N. 751  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 713 m. w. N. 752  Leonard/Levine/Joshi Journal of Organizational Behavior 25 (2004), 731, 733 konstatieren einen „lack of consistent evidence“; siehe dazu bereits die unter B. II. 4. d) aa) vorgestellten Studienergebnisse. 753  Siehe zu der Kundendiskriminierungshypothese bereits unter B. II. 4. a). 754  Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 713 f. 755  Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211 ff.; dafür außerdem Appiah California Law Review 88 (2000), 41, 47; Krieger Syracuse Law Review 43 (1992), 839, 865. 756  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473 ff. 749  Frymer/Skrentny

208

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

amerikaner in Betracht gezogen werden.757 Bryant verweist zudem auf den verdeckten Ermittler in einer kriminellen Gruppe einer homogenen Rasse.758 Nach Frank könne die Rasse des Beschäftigten eine wesentliche Rolle bei Berufen spielen, in denen der Beschäftigte – wie z. B. der Lehrer – als Vorbild für Kinder fungiere.759 Auch Personen aus der Medienwelt in der Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie dienten oft als Vorbilder.760 In der Nachrichtenindustrie könne es außerdem notwendig sein, Reporter einer bestimmten Rasse einzustellen, um verdeckt Berichte über den Ku Klux Klan zu recherchieren.761 Darüber hinaus seien beispielsweise Asiaten häufig gesprächsbereiter gegenüber anderen Asiaten, sodass es einem asiatischen Reporter eher gelingen könne, in einem Interview mit einem anderen Asiaten wichtige oder interessante Informationen zu bekommen. Aus der Feststellung, dass es Fälle legitimer, sinnvoller, gesellschaftlich akzeptierter und praktizierter Differenzierungen nach der Rasse gibt, ziehen Bryant und Frank indes unterschiedliche Schlüsse. (a) Bryants Argumente für die Schaffung einer Rassen-BFOQ Nach Bryant sei die Erweiterung der BFOQ-Ausnahme auf das Merkmal „Rasse“ durch den Gesetzgeber notwendig.762 Zwar hält er es mit Blick auf die Unterhaltungsindustrie für unwahrscheinlich, dass es jemals zu einer Diskriminierungsklage eines benachteiligten Schauspielers komme.763 Auch andere Autoren heben hervor, dass es bisher trotz regelmäßiger Beachtung des Kriteriums Rasse im Entertainmentbusiness noch nicht zu einer Diskriminierungsklage eines Künstlers gekommen sei.764 Nichtsdestotrotz sei eine BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit für das Merkmal Rasse notwendig, um 757  Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 229; Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473. 758  Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 231. 759  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 499. 760  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 500. 761  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 506. 762  Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 236. 763  Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 229. 764  Vgl. Chen Hofstra Labor & Employment Law Journal 16 (1999), 515; Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 474, 512; Kim Hastings Communications and Entertainment Law Journal 20 (1998), 397, 400; Krieger Syracuse Law Review 43 (1992), 839, 840; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 196; Peterson Columbia Journal of Art and the Law 9 (1985), 351, 354; Robinson California Law Review 95 (2007), 1, 2; Sheppard Columbia-VLA Journal of Law & the Arts 15 (1991), 267, 279; Williams Journal of Gender, Race and Justice 4 (2000), 99, 129.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 209

die derzeit illegalen Praktiken zu legalisieren.765 Nicht nur aus Gründen der Authentizität, auch in Gefängnissen und Polizeidienststellen – und dort letztlich aus Sicherheitsgründen – hält Bryant Differenzierungen nach der Rasse in bestimmten Fällen für erforderlich. Dabei bezieht er sich auf Einstellungspolitiken von Gefängnissen, die darauf ausgerichtet sind, dass die ethnische Zusammensetzung des Wachpersonals die der Inhaftierten widerspiegelt.766 Die Anforderungen an eine Rechtfertigung müssten in diesen Fällen indes sehr hoch sein: „The situation, however, would have to be so extreme as to result in an almost complete impossibility of performance for members of the excluded races in order to circumvent the prohibitions against customer preference constituting a BFOQ.“767

Solche Umstände seien beispielweise in Zeiten starker Rassenunruhen vorstellbar.768 Unter entsprechend strengen Voraussetzungen könne es auch legitim sein, wenn Polizeidienststellen Polizisten entsprechend der ethnischen Zusammensetzung der Gemeinde einstellten.769 (b) Franks Argumente gegen die Schaffung einer Rassen-BFOQ Aus der Feststellung, dass es trotz Heranziehung der Rasse als Einstellungskriterium in der Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie nicht zu Diskriminierungsklagen komme,770 zieht Frank andere Schlüsse. Auf Grund ihres gesunden Menschenverstandes nähmen die meisten Menschen die Beachtung des Kriteriums der Rasse bei der Einstellung eines Schauspielers oder eines Reporters nicht als Problem wahr.771 Deshalb werde dagegen nicht geklagt und es bestehe kein Bedürfnis für eine Gesetzesänderung.772 Neben der fehlenden Notwendigkeit einer Rassen-BFOQ macht Frank weitere Gründe gegen die Schaffung einer entsprechenden Rechtfertigungsmöglichkeit aus.773 Insbesondere sieht er die Gefahr, dass eine Rassen-BFOQ765  Bryant

Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 229. Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 232. 767  Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 232. 768  Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 233. 769  Bryant Georgia Law Review 33 (1998–1999), 211, 234 f. 770  Mögliche Erklärungen dafür untersucht Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 506; vgl. auch Peterson Columbia Journal of Art and the Law 9 (1985), 351, 355 f.; Williams Journal of Gender, Race and Justice 4 (2000), 99, 129. 771  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 515; vgl. auch Robinson California Law Review 95 (2007), 1, 73. 772  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 519. 773  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 519. 766  Bryant

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Ausnahme Diskriminierungen in der Medienwelt verstärken könnte, weil sie Arbeitgebern eine offizielle Rechtfertigung für diskriminierende Praktiken gebe. In diesem Zusammenhang beschreibt Frank das bereits trotz Fehlens einer Rechtfertigungsmöglichkeit bestehende Problem der „whiteness of television“.774 Dieser Terminus bezieht sich auf das Verhalten weißer Fernsehzuschauer, tendenziell Filme und Sendungen mit weißen Schauspielern zu schauen.775 Die Logik der Programmdirektoren sei wie folgt: Die Mehrzahl der US-Amerikaner ist weiß und bevorzugt Filme und Sendungen mit weißen Schauspielern, dadurch lassen sich höhere Gewinne erzielen, wenn man mehr weiße Schauspieler beschäftigt.776 Letztlich sei also die Hautfarbe der Menschen, die man im Fernsehen sehe, ein reines Produkt ökonomischen Denkens.777 Dadurch seien viele Minderheiten im Fernsehen unterrepräsentiert.778 Problematisch an dieser wirtschaftlichen Argumentation der Programmverantwortlichen sei, dass sich auf diese Weise auch getrennte Essbereiche für Schwarze und Weiße in Restaurants rechtfertigen ließen, wenn dies die weißen Kunden wünschten.779 Nach Abwägung der Argumente für und gegen die Schaffung einer BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit kommt Frank zu dem Schluss, dass diese im Ergebnis mehr Schaden als Nutzen bringe und deshalb abzulehnen sei.780 (4) Zusammenfassung Der Blick auf die Diskussion einer Rassen-BFOQ-Ausnahme verdeutlicht die besonderen Sachgesetzlichkeiten des Merkmals Rasse insbesondere im Gegensatz zu dem Merkmal Geschlecht. Es gibt keine systematische biologische Klassifikation verschiedener Rassen und die Rasse ist weniger bedeutsam für die Identität. Deshalb und angesichts der besonderen geschichtlichen Bedeutung der Bekämpfung der Rassendiskriminierung in den USA wird Rassendiskriminierung dort weniger akzeptiert als die Ungleichbehandlung auf Grund anderer Merkmale. Nichtsdestotrotz wird im Schrifttum die Existenz einer Reihe gesellschaftlich akzeptierter, legitim erscheinender 774  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 521 ff.; vgl. dazu eingehend Williams Journal of Gender, Race and Justice 4 (2000), 99 ff. 775  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 521. 776  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 521. 777  Vgl. Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 522 m. w. N. 778  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 522 f. m. w. N. 779  Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 522. 780  Vgl. Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 525.



III. Bona fide occupational qualification defense des Title VII 211

Einstellungspraktiken im Hinblick auf Kundenpräferenzen, die das Kriterium der Rasse beachten, konstatiert. Diese finden sich vor allem in der Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie, im Polizeiwesen, in Gefängnissen sowie im Bildungssektor. Bryant möchte diese Diskrepanz zwischen Recht und Realität der Arbeitswelt durch Schaffung einer BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit für das Merkmal Rasse auflösen. Die Gefahr der Aushöhlung des Rassendiskriminierungsverbots bestehe angesichts der engen Auslegung der BFOQ-Ausnahme durch die Gerichte nicht. Frank hingegen hält die Schaffung einer Rassen-BFOQ-Ausnahme – speziell in Anbetracht fehlender Rechtsstreitigkeiten – nicht für notwendig. Die Gefahr der Aufweichung des Verbots der Rassendiskriminierung hält er für größer als den Nutzen einer Rassen-BFOQ-Rechtfertigungsmöglichkeit. c) Ergebnis zur Diskussion der BFOQ-Ausnahme im Schrifttum Das Schrifttum setzt sich differenziert mit der Rechtsprechung zur BFOQAusnahme auseinander. Bei Betrachtung der Beiträge kristallisieren sich fünf Hauptproblemkreise heraus, denen die einzelnen Aufsätze und die in ihnen vorgetragenen Argumente der Übersichtlichkeit halber zugeordnet wurden: (1) Wie ermittelt man die essence of the business? (2) Inwieweit dürfen Unternehmen gezielt (meist weiblichen) Sex-Appeal dazu einsetzen, ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen, wie dies z. B. bei dem Einsatz junger, weiblicher und attraktiver Hostessen auf Messen der Fall ist? (3) Inwieweit sollte es möglich sein, eine Diskriminierung im Hinblick auf Kundenpräferenzen für Privatsphäre zu rechtfertigen, wie z. B. im Falle der Beschäftigung ausschließlich weiblichen Personals durch eine gynäkologische Klinik? (4) Bedürfen Fälle mit Auslandsberührung einer Sonderbehandlung? Sind Kundenpräferenzen anders zu bewerten, wenn sie von Geschäftspartnern aus einem anderen Kulturkreis stammen, wie z. B. bei Geschäftspartnern in arabischen Ländern, die Frauen als Verhandlungspartner nicht akzeptieren? (5) Sollte es überhaupt eine Rechtfertigungsmöglichkeit für unmittelbare Rassendiskriminierungen geben? Diese Frage stellt sich insbesondere im Bereich der Entertainment-Industrie, z. B., wenn die Rolle des Martin Luther King Jr. – auch im Hinblick auf die Erwartungen der Zuschauer – in einem Film mit einem Afroamerikaner besetzt werden soll. Die Betrachtung und Strukturierung der im US-amerikanischen Schrifttum geführten Diskussionen liefert einen Grundstock an Argumenten, aus dem im Rahmen der Entwicklung eines Lösungsmodells im deutschen Recht geschöpft werden kann. Besonders auffällig an der in der Literatur geübten Kritik an der Rechtsprechung und an den vorgeschlagenen Lösungsansätzen ist dreierlei: Zum einen wird großes Gewicht auf die Herstellung der Konsistenz bei der

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Auslegung des BFOQ-Rechtfertigungsgrundes gelegt. Zum anderen bestehen die Lösungsansätze – wie z. B. bei Cantor, Waldman und Winterscheidt – bevorzugt aus mehrstufigen Tests, die anscheinend als adäquates Mittel zur Lösung des jeweils behandelten spezifischen Problems angesehen werden. Darüber hinaus werden die unterschiedlichen Auffassungen häufig unter Berufung auf den Zweck des Title VII, der Bekämpfung von Vorurteilen und Stereotypen, die gleich qualifizierten Bewerbern den Zugang zu bestimmten Positionen verwehren, begründet. Trotz Einigkeit über diesen Zweck werden aus ihm unterschiedliche Schlüsse in Bezug auf die Zulässigkeit einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen gezogen, je nachdem, ob dem Aspekt der Schaffung gleicher Beschäftigungschancen oder der Wahrung der unternehmerischen Freiheit größeres Gewicht beigemessen wird.

IV. Business necessity defense des Title VII Während die BFOQ-Ausnahme eine Rechtfertigungsmöglichkeit für eine unmittelbare Diskriminierung eröffnet, bildet die business necessity defense den Maßstab für die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung. Ihre Reichweite ist allerdings unklar, im Schrifttum wird konstatiert: „[V]irtually no aspect of the business necessity defense is settled law.“781

Ihre konkreten Voraussetzungen sind eine Frage des Einzelfalls, da die Gerichte bei der Auslegung der business necessity defense einen weiten Ermessensspielraum ausüben und sie sehr unterschiedlich interpretieren.782 Folglich soll der Fokus bei dem Blick ins US-amerikanische Recht zur Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen unter Berufung auf Kundenpräferenzen auf einige Gerichtsentscheidungen gelegt werden.783 Die business necessity defense spielt im Zusammenhang mit Kundenpräferenzen vor allem in zwei Szenarien eine Rolle: bei Diskriminierungen auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes und bei der Einführung sogenannter „EnglishOnly Rules“. Die English-Only Rules betreffen das unter Androhung von Sanktionen bis hin zur Kündigung ausgesprochene Verbot, bei der Arbeit eine andere Sprache als Englisch zu sprechen.784 Häufig gibt es aber eine 781  Wax William and Mary Law Review 53 (2011), 621, 625; vgl. außerdem Jacobsen Journal of Small and Emerging Business Law 5 (2001), 265, 278 und Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181 (200), die beide von einem „vague concept in the law“ sprechen. 782  Vgl. Wax William and Mary Law Review 53 (2011), 621, 633. 783  Vgl. auch Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 202. 784  Ainsworth Seattle Journal for Social Justice 9 (2010), 233, 234.



IV. Business necessity defense des Title VII213

Reihe von Ausnahmen von dem Verbot wie z. B. die Erlaubnis, während der Pausen oder auch mit ausländischen Kunden in deren Muttersprache zu kommunizieren.785 Nachdem einige exemplarische Entscheidungen vorgestellt werden (dazu unter 3.), soll deren Rezeption im Schrifttum besprochen werden (dazu unter 4.). Anders als bei der BFOQ-Ausnahme verspricht eine ausführliche Auseinandersetzung mit Gesetzgebungsgeschichte und EEOCRichtlinien bezüglich der business necessity defense keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn (dazu unter 1. und 2.). 1. Gesetzgebungsgeschichte der business necessity defense Die business necessity defense wurde ursprünglich von der Rechtsprechung entwickelt.786 Ihre gesetzliche Anerkennung in Title VII erfuhr sie durch den Civil Rights Act of 1991.787 Dessen Section 105(b) erhält den Hinweis für die Rechtsprechung, dass die Gerichte bei der Auslegung der business necessity defense mit Ausnahme eines beiliegenden „Interpretive Memorandum“ jegliche Gesetzgebungsgeschichte missachten sollten. In diesem Memorandum heißt es: „[T]he terms ‚business necessity‘ and ‚job relatedness‘ are intended to reflect the concepts enunciated by the Supreme Court in Griggs v. Duke Power Co. and in the other Supreme Court decisions prior to Wards Cove Packing Co. v. Atonio.“788

Das Memorandum verweist also auf eine Reihe von Entscheidungen. Allerdings ist die Auslegung der business necessity defense in diesen Entscheidungen inkonsistent.789 Insofern wurde im Schrifttum zutreffend darauf hingewiesen, dass sich der Gesetzgebungsgeschichte der business necessity defense keinerlei Erkenntnisse bezüglich ihrer Interpretation entnehmen lassen.790

785  Prescott University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 9 (2007), 445, 448 m. w. N.; vgl. Pedrioli Harvard Journal on Racial & Ethnic Justice 27 (2011), 97, 99. 786  Belton Hofstra Labor & Employment Law Journal 22 (2005), 431, 446 m. w. N. 787  42 U.S.C. § 2000e-2(k). 788  137 Cong. Rec. S15276 (daily ed. Oct. 25, 1991). 789  Grover Georgia Law Review 30 (1995–1996), 387, 393. Vgl. zudem Lidge Arkansas Law Review 58 (2005), 1, 25 ff., 28 und Rutherglen Fordham Law Review 74 (2006), 2313, 2314 ff., 2317, die die unklare Auslegung der „business necessity defense“ in der Rechtsprechung ausführlich darstellen. 790  Vgl. Grover Georgia Law Review 30 (1995–1996), 387, 393; Rutherglen Fordham Law Review 74 (2006), 2313, 2317.

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

2. Guidelines der EEOC Ähnlich verhält es sich mit den Richtlinien der EEOC. Sie enthalten keine allgemeine Aussage zur Auslegung der business necessity defense. Lediglich spezifisch in Bezug auf das Problem der English-Only Rules hat die EEOC eine Position formuliert.791 Im Jahr 1980 fügte sie in ihren Richtlinien einen Abschnitt ein, der sich mit den English-Only Rules als Form der Diskriminierung wegen der nationalen Herkunft befasst. Danach unterscheidet die EEOC zwischen absoluten English-Only Rules, die immer gelten, und eingeschränkten English-Only Rules, die nur zu bestimmten Zeiten angewendet werden.792 In den Richtlinien heißt es: „(a) When applied at all times. A rule requiring employees to speak only English at all times in the workplace is a burdensome term and condition of employment. The primary language of an individual is often an essential national origin characteristic. Prohibiting employees at all times, in the workplace, from speaking their primary language or the language they speak more comfortably, disadvantages an individual’s employment opportunities on the basis of national origin. It may also create an atmosphere of inferiority, isolation, and intimidation based on national origin which could result in a discriminatory working environment. Therefore, the Commission will presume that such a rule violates title VII and will closely scrutinize it. (b) When applied only at certain times. An employer may have a rule requiring that employees speak only English at certain times where the employer can show that the rule is justified by business necessity.“793

Daraus geht hervor, dass die EEOC English-Only Rules grundsätzlich eine diskriminierende Wirkung zuschreibt.794 Dementsprechend soll es dem Arbeitgeber obliegen, zu beweisen, dass eine von ihm implementierte English-Only-Politik gegebenenfalls gerechtfertigt ist. Die Frage der Rechtfertigung unter Berufung auf Kundenpräferenzen ist indes eher bei eingeschränkten English-Only Rules von Bedeutung. So ist es vorstellbar, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten mit Kundenkontakt verbietet, in deren Anwesenheit untereinander z. B. Spanisch zu sprechen, damit Kunden, die Spanisch nicht verstehen, sich nicht missachtet fühlen. Eine Arbeitsanweisung, nach der die Beschäftigten jederzeit, also auch während der Pausen, untereinander nur Englisch reden dürfen, obwohl dies nicht ihre Muttersprache ist, lässt sich dagegen nicht sinnvoll mit Kundenwünschen begründen. Weiter eingeschränkt wird die Bedeutung der Aussagen der Richtlinien über 791  Vgl. dazu ausführlich Robinson University of Pennsylvania Law Review 157 (2009), 1513 ff. sowie Stoter Villanova Law Review 53 (2008), 595 ff. 792  Colón Yale Law and Policy Review 20 (2002), 227, 235. 793  29 C.F.R. § 1606.7. 794  Rutherglen Employment Discrimination Law (2010), S. 145.



IV. Business necessity defense des Title VII215

English-Only Rules dadurch, dass in der Rechtsprechung – anders als bezüglich der Richtlinienaussagen zu der BFOQ-Ausnahme – große Uneinigkeit darüber herrscht, ob bzw. wieviel Bedeutung ihnen beizumessen ist.795 Somit eignen sich EEOC-Richtlinien nicht als Orientierungshilfen für die Auslegung der business necessity defense. 3. Rechtsprechung zur business necessity defense Eine Betrachtung der Entscheidungen, in denen die business necessity defense im Zusammenhang mit Kundenpräferenzen eine Rolle spielt, zeigt, dass diese Rechtfertigungsmöglichkeit in der Praxis vor allem in zwei Fallgruppen vorgebracht wird: bei Diskriminierungen auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes (dazu unter a]) und bei der Einführung der EnglishOnly Rules (dazu unter b]). a) Äußeres Erscheinungsbild des Beschäftigten Bestimmte Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild des Beschäftigten im Hinblick auf Kundenvorlieben werden in unterschiedlichen Bereichen gestellt. Praktische Beispiele aus der Rechtsprechung reichen von Gewichtsbeschränkungen für Flugbegleiterinnen unter Berufung auf Kundenpräferenzen für attraktive Stewardessen796 bis hin zu der Entlassung einer nach Zuschauerbefragungen als zu alt, zu unattraktiv und von Männern nicht ausreichend respektiert bewerteten Fernsehnachrichtensprecherin.797 Auch bekannte Modeunternehmen wie Abercrombie & Fitch oder L’Oréal wählen ihr Verkaufspersonal offen nach dem Kriterium der Attraktivität aus, um dadurch ihr „hippes, stylishes“ Image zu projizieren.798 Vor diesem Hintergrund sah sich Abercrombie & Fitch Klagen wegen (mittelbarer) Diskriminierungen auf Grund der Rasse799, des Geschlechts sowie der Re795  Robinson University of Pennsylvania Law Review 157 (2009), 1513, 1515; vgl. auch Prescott University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 9 (2007), 445, 449 m. w. N. 796  Vgl. dazu z. B. Gerdom v. Continental Airlines, Inc. 692 F.2d 602 ff. (9th Cir. 1982). 797  Vgl. dazu Craft v. Metromedia, Inc. 766 F.2d 1205 ff. (8th Cir. 1985). 798  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483; Rhode Stanford Law Review 61 (2009), 1033, 1064; vgl. dazu auch Novara NZA 2015, 142. 799  Die Verfahren gegen Abercrombie & Fitch wegen Rassen- bzw. Geschlechtsdiskriminierung endeten mit einem Vergleich, vgl. dazu Corbett Catholic University Law Review 60 (2011), 615, 634 m. w. N.; Desir University of Illinois Law Review 2010, 629, 633 ff.; Fleener Washington University Law Quarterly 83 (2005), 1295 ff. m. w. N. sowie Rhode Stanford Law Review 61 (2009), 1033, 1064 Fn. 198 m. w. N.

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ligion800 und L’Oréal einer Klage wegen Geschlechtsdiskriminierung801 ausgesetzt. Anlass für Diskriminierungsklagen bilden häufig Kleiderordnungen für Beschäftigte, mit Hilfe derer ein Unternehmen ein bestimmtes Image propagieren möchte. Dies lässt sich anhand dreier Entscheidungen zur Diskriminierung auf Grund des Merkmals Rasse (dazu unter aa]) sowie zwei Entscheidungen, in denen es um Benachteiligungen auf Grund des Merkmals Religion ging (dazu unter bb]), illustrieren. aa) Diskriminierung auf Grund des Merkmals Rasse Im Zusammenhang der Rassendiskriminierung wird zunächst auf die Entscheidung Rogers v. American Airlines [dazu unter (1)] einzugehen sein. Die Reichweite der business necessity defense im Hinblick auf Kundenpräferenzen für ein bestimmtes Aussehen der Beschäftigten lässt sich zudem anhand der Entscheidungen Woods v. Safeway Stores, Inc. [dazu unter (2)] sowie Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc. [dazu unter (3)] veranschaulichen. In beiden Fällen ging es um die Zulässigkeit von Anweisungen des Arbeitgebers, die den Beschäftigten das Tragen eines Bartes untersagten.802

Die Problematik der Attraktivität als Einstellungskriterium erläutern am Beispiel von Abercrombie & Fitch zudem ausführlich Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483 ff.; James Valparaiso University Law Review 42 (2008), 629, 654 ff. und Zakrzewski University of Pennsylvania Journal of Labor & Employment Law 7 (2005), 431 ff. 800  In der Entscheidung EEOC v. Abercrombie & Fitch Stores, Inc. 575 U.S. (2015) vom 01.06.2015 befasste sich der U.S. Supreme Court jüngst mit dem Fall einer Muslimin, die bei Abercrombie nicht eingestellt worden war, weil sie ein Kopftuch trug. Gemäß Abercrombies Kleiderordnung war das Tragen von Mützen („caps“) untersagt. Diese Kleiderordnung hatte Abercrombie, wie das Gericht feststellte, im Hinblick auf ein bestimmtes Image implementiert, das die Modekette projizieren wollte: „Consistent with the image Abercrombie seeks to project for each store, the company imposes a Look Policy that governs its employees’ dress.“ Abercrombie verteidigte sich unter anderem damit, dass die Kleiderordnung eine neutrale Maßnahme und keine vorsätzliche Diskriminierung sei. Das Gericht qualifizierte die Ablehnung der Bewerberin jedoch als unmittelbare Benachteiligung wegen der Religion. Die Frage einer Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen war nicht Gegenstand der Entscheidung. Bis zur Veröffentlichung in der offiziellen Sammlung wird die Entscheidung zunächst noch einer formalen Überprüfung unterzogen. Die Entscheidung ist abrufbar unter http://www.supremecourt.gov/opinions/14pdf/14-86_ p86b.pdf (Abruf vom 09.07.2015). 801  Yanowitz v. L’Oreal USA, Inc. 36 Cal. 4th 1028 ff. (Cal. 2005); vgl. dazu Baron Boston College Law Review 46 (2005), 359, 361, 374 f., 387 ff. 802  Für einen kurzen Überblick über die Behandlung von Bartverboten in der USamerikanischen Rechtsprechung vgl. Kamer/Keller Gaming Law Review 7 (2003), 335, 337 f.



IV. Business necessity defense des Title VII217

(1) Rogers v. American Airlines Eine Entscheidung aus dem Bereich der für Diskriminierungsklagen anscheinend besonders anfälligen Flugindustrie803 ist Rogers v. American Airlines („Rogers“) aus dem Jahr 1981.804 Darin ging es um die Zulässigkeit der Kleiderordnung von American Airlines, nach der es Beschäftigten auf bestimmten Positionen untersagt war, eine Frisur bestehend aus lauter kleinen, eng am Kopf geflochtenen Zöpfen (bekannt als „Cornrow Style“)805 zu tragen.806 Die afroamerikanische Beschäftigte Renee Rogers, die von diesem Verbot betroffen war, wehrte sich dagegen mit einer Diskriminierungsklage. Sie war bei American Airlines als „Airport Operations Agent“ beschäftigt. Diese Position war mit umfassendem Kundenkontakt verbunden, ihre Aufgaben bestanden unter anderem in der Begrüßung der Passagiere, dem Ausstellen von Boarding Pässen sowie der Abwicklung der Gepäckaufgabe.807 Rogers machte geltend, dass das Verbot, die Haare im Cornrow Style zu tragen, mittelbar diskriminierend auf Grund der Rasse sei. So habe diese Frisur eine besondere Bedeutung für schwarze Frauen, sie reflektiere ihre historischen und kulturellen Wurzeln.808 American Airlines berief sich hingegen darauf, dass diese Kleiderpolitik eine betriebliche Notwendigkeit sei: Sie diene der Vermittlung des konservativen, geschäftlichen Unternehmensimages von American Airlines.809 Die Fluglinie kam Rogers 803  Siehe z. B. Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385 ff. (5th Cir. 1971), dazu bereits unter C. III. 3. a) bb); Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292 ff. (N.D. Tex. 1981), dazu bereits unter C. III. 3. c) aa) (2) (a); Levin v. Delta Air Lines, Inc. 730 F.2d 994 ff. (5th Cir. 1984), dazu bereits unter C. III. 3. c) cc) (1) (a); Harriss v. Pan American World Airways 649 F.2d 670 ff. (9th Cir. 1980); Burwell v. Eastern Air Lines, Inc. 633 F.2d 361 ff. (4th Cir. 1980); Condit v. United Air Lines, Inc. 558 F.2d 1176 f. (4th Cir. 1977) sowie Gerdom v. Continental Airlines, Inc. 692 F.2d 602 ff. (9th Cir. 1982). 804  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229 ff. (S.D.N.Y. 1981). 805  Für einen kurzen Überblick über Streitfragen im Zusammenhang mit unkonventionellen Frisuren vgl. Kamer/Keller Gaming Law Review 7 (2003), 335, 339. 806  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229, 231 (S.D.N.Y. 1981). 807  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229, 231 (S.D.N.Y. 1981). 808  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229, 232 (S.D.N.Y. 1981). 809  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229, 233 (S.D.N.Y. 1981). Vgl. allerdings aus der deutschen Rechtsprechung eine Überlegung des LAG Köln, wonach „das von den Kunden wahrgenommene Erscheinungsbild der Mitarbeiter wesentlich durch deren einheitliche Kleidung geprägt [wird]. Haarfarbe und Frisur sind hierfür eher unbedeutend“, LAG Köln 18.08.2010  – 3 TaBV 15/10 juris Rn. 70. Diesen Gedanken äußerte das Gericht in Bezug auf eine Regelung, die den männlichen Mitarbeitern eines Unternehmens, das im Auftrag der Bundespolizei Fluggastkontrollen durchführte, vorschrieb, bei Haarfärbungen lediglich natürlich wirkende Farben zu verwenden und die das Tragen von künstlichen Haaren oder Einflechtungen verbot, wenn es die Natürlichkeit der Haarpracht beeinträchtigte. Darin sah das

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aber insoweit entgegen, als sie es für ausreichend hielt, dass Rogers die Zöpfe in einem festen Haarknoten zusammenband, was die Klägerin aber ablehnte.810 Angesichts der Tatsache, dass die Projektion eines bestimmten Images letztlich auf die Kundengewinnung abzielt,811 lässt sich diese Rechtfertigung im Kern als eine Berufung auf Kundenpräferenzen lesen. Zwar setzte sich der U.S. District Court for the Southern District of New York mit der Rechtfertigung nicht im Detail auseinander, weil er bereits die benachteiligende Wirkung der Kleiderordnung für Afroamerikanerinnen ablehnte.812 Er sprach die von American Airlines vorgebrachte Rechtfertigung aber in einem Obiter Dictum an: Das Ziel der Vermittlung eines konservativen und geschäftlichen Unternehmensimages sei als echter Geschäftszweck („bona fide business purpose“) anzuerkennen.813 Zudem falle mildernd zugunsten der Fluglinie ins Gewicht, dass sie Rogers angeboten habe, ihre kleinen Zöpfe während der Arbeit zu einem Haarknoten zusammenzubinden.814 Demzufolge scheint das Gericht die Voraussetzungen einer Rechtfertigung für gegeben zu halten. Bemerkenswert ist dabei die Wortwahl des U.S. District Court for the Southern District of New York: er spricht von einem „bona fide business purpose“, nicht von einer „business necessity“. Der Begriff „bona fide business purpose“ kommt dem für die Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung nach deutschem Recht (§ 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG) vorausgesetzten „rechtmäßigen Zweck“ näher als die höhere Anforderungen statuierende „business necessity“. Bereits in der Wahl dieser Terminologie kommt zum Ausdruck, dass das Gericht nicht allzu hohe Anforderungen an die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung stellt.815

Gericht einen Verstoß gegen das Geschlechtsbenachteiligungsverbot. In der betreffenden Entscheidung setzte sich das LAG Köln noch mit diversen weiteren, in einer Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelungen zum äußeren Erscheinungsbild der Beschäftigten auseinander und überprüfte sie auf ihre Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der allgemeinen Handlungsfreiheit der Mitarbeiter. Vgl. zu der Thematik und der Entscheidung auch Brose/Greiner/Preis NZA 2011, 369 ff. 810  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229, 233 (S.D.N.Y. 1981). 811  Vgl. dazu speziell in Bezug auf den Fall Rogers auch Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 334. 812  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229, 232 (S.D.N.Y. 1981). 813  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229, 233 (S.D.N.Y. 1981). 814  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229, 233 (S.D.N.Y. 1981). 815  Vgl. zu dem Prüfungsmaßstab des „bona fide business purpose“ auch Adamitis Washington Law Review 75 (2000), 195, 211, die ausdrücklich darauf hinweist, dass dieser von dem der „business necessity“ zu unterscheiden sei und geringere Anforderungen stelle.



IV. Business necessity defense des Title VII219

(2) Woods v. Safeway Stores, Inc. Aus dem Jahr 1976 stammt die Entscheidung Woods v. Safeway Stores, Inc. („Woods“)816 über die Zulässigkeit der Kleiderordnung des Lebensmittel­ geschäftes Safeway. Die Kleiderordnung sah vor, dass die Angestellten ihre Gesichter rasieren mussten.817 Andrew Woods, ein Angestellter schwarzer Hautfarbe, wurde wegen Verstoßes gegen diese Kleiderordnung entlassen.818 Woods trug auf Rat seines Hautarztes einen Bart, um so die Hauterkrankung „pseudofolliculitis barbae“ (PFB), eine Form des krankhaften Rasurbrandes, zu behandeln.819 Von PFB sind nahezu ausschließlich Schwarze betroffen.820 Der U.S. District Court for the Eastern District of Virginia stellte fest, dass das Bartverbot Beschäftigte schwarzer Hautfarbe im Hinblick auf ihre überproportionale Betroffenheit von PFB mittelbar benachteiligen könne.821 Daraufhin wandte er sich der business necessity defense zu: „The test is whether there exists an overriding legitimate business purpose such that the practice is necessary to the safe and efficient operation of the business. Thus, the business purpose must be sufficiently compelling to override any racial impact; carry out the business purpose it is alleged to serve; and there must be available no acceptable or alternative policies or practices which would better accomplish the business purpose advanced, or accomplish it equally well with a lesser differential racial impact.“822

Die Bewertung hänge dabei von der Art des Unternehmens, der angewendeten Unternehmenspolitik sowie dem Grad der diskriminierenden Wirkung ab.823 Dieses abstrakt formulierte Prüfungsraster übertrug das Gericht sodann auf den konkreten Fall. Bei Safeway handele es sich um ein Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie, das auf einem stark umkämpften Markt tätig sei.824 Den Aspekt der Kundenpräferenzen ansprechend fuhr der U.S. District Court for the Eastern District of Virginia fort: „Since the product sold is intended, for the most part to be consumed, overall store hygiene and an appearance of cleanliness is an important aspect of cus816  Woods 817  Woods

1976).

818  Woods

v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35 ff. (E.D. Va. 1976). v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 37 mit Fn. 2, 41 (E.D. Va.

v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 37, 41 (E.D. Va. 1976). v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 37 (E.D. Va. 1976). 820  Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 37, 41 (E.D. Va. 1976). 821  Vgl. Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 42 (E.D. Va. 1976). Denkbar wäre auch, in diesen Fällen eine unmittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung anzunehmen, Thüsing JZ 2006, 223, 225. 822  Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 42 (E.D. Va. 1976). 823  Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 42 (E.D. Va. 1976). 824  Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 43 (E.D. Va. 1976). 819  Woods

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

tomer preference. It was the judgment of the Safeway management […] that a grooming code, maintaining an image of cleanliness, was necessary to attract and retain customers.“825

Safeway sei nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung zu dem Schluss gekommen, dass das Bartverbot ein notwendiger Bestandteil der Kleiderordnung sei.826 Dies sei eine legitime Unternehmerentscheidung, die Safeway unter Widerspiegelung der Präferenzen der Kundschaft getroffen habe.827 Zudem sei die diskriminierende Wirkung des Bartverbotes eher als gering einzuschätzen.828 Obwohl Safeway eine Reihe schwarzer Angestellter beschäftige, sei Woods der einzige, den das Bartverbot benachteilige.829 Darüber hinaus habe man ihm eine Tätigkeit im Lager ohne Kundenkontakt und entsprechende Kleiderordnung angeboten.830 Wegen der Entfernung des Lagers von Woods’ Wohnort habe es sich allerdings nicht um eine finanziell machbare Alternative gehandelt.831 Nach alledem bejahte das Gericht die Voraussetzungen der business necessity defense. Wie der U.S. District Court for the Southern District of New York in Rogers verwendet auch der U.S. District Court for the Eastern District of Virginia in Woods die an die Terminologie des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG erinnernde Formulierung „legitimate business purpose“ statt der höhere Anforderungen stellenden „business necessity“. (3) Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc. Anders urteilte der U.S. Court of Appeals for the Eighth Circuit in der Entscheidung Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc. („Bradley“) aus dem Jahr 1993.832 Wie die Entscheidung Woods betraf auch die Entscheidung Bradley die Zulässigkeit eines durch den Arbeitgeber ausgesprochenen Bartverbotes. Bei dem Arbeitgeber handelte es sich um einen Pizza-Lieferservice. Pizzaco war ein Franchisenehmer von dem Franchisegeber Domino’s Pizza (Domino’s), der unternehmensweit ein Bartverbot für Pizzalieferanten vorschrieb.833 Der Pizzalieferant Langston Bradley verstieß gegen das Bartverbot, woraufhin ihm gekündigt wurde.834 Bradley litt, wie Woods in der 825  Woods

v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 43 (E.D. Va. 1976). v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 43 (E.D. Va. 1976). 827  Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 43 (E.D. Va. 1976). 828  Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 43 (E.D. Va. 1976). 829  Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 43 (E.D. Va. 1976). 830  Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 43 (E.D. Va. 1976). 831  Woods v. Safeway Stores, Inc. 420 F. Supp. 35, 43 (E.D. Va. 1976). 832  Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc. 7 F.3d 795 ff. (8th Cir. 1993). 833  Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc. 7 F.3d 795, 796 (8th Cir. 1993). 834  Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc. 7 F.3d 795, 796 (8th Cir. 1993). 826  Woods



IV. Business necessity defense des Title VII221

gleichnamigen Entscheidung, an der Hauterkrankung PFB.835 Deshalb brachte er vor, dass er sich nicht rasieren könne. Domino’s berief sich zur Rechtfertigung des Bartverbotes auf Kundenpräferenzen. Zum Beweis legte Domino’s eine Studie vor, nach der 20  % der befragten Kunden negativ auf einen Pizzalieferanten mit Bart reagieren würden.836 Bei der Prüfung der Voraussetzungen der business necessity defense konstatierte das Gericht zunächst, dass die Beweislast des Arbeitgebers schwer sei.837 Eine Reihe anderer Entscheidungen zitierend befand es: „Domino’s must show a ‚manifest relationship to the employment in question‘ […]. Domino’s must also show a ‚compelling need … to maintain that practice … and that there is no alternative to the challenged practice‘ […].“838

Dies sei Domino’s nicht gelungen. Zwar habe sich der U.S. Court of Appeals for the Eighth Circuit selbst noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit Kundenpräferenzen im Rahmen der business necessity defense ein Rechtfertigungsgrund für mittelbare Diskriminierungen seien.839 Doch indizierten Entscheidungen anderer Kammern zur Zulässigkeit einer unmittelbaren Diskriminierung gemäß der BFOQ-Ausnahme, dass die Rechtsprechung einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen generell ablehnend gegenüberstehe. Der Bart eines Pizzalieferanten habe keinerlei Einfluss auf seine Fähigkeit, Pizza zuzubereiten und an die Kunden zu liefern. Konkret auf die Problematik der Kundenvorlieben eingehend führte das Gericht weiter aus: „Customer preference, which is at best weakly shown by Domino’s survey, is clearly not a colorable business justification defense in this case. Significantly, the survey makes no showing that customers would order less pizza in the absence of a strictly enforced no-beard rule.“840

Demzufolge sei es Domino’s nicht gelungen, seine Beweislast zu erfüllen; die Voraussetzungen einer business necessity defense lägen nicht vor.841 (4) Zusammenfassung Den Entscheidungen Rogers und Woods ist gemeinsam, dass sie dem Arbeitgeber bei der Beurteilung einer betrieblichen Notwendigkeit verhältnismäßig viel Spielraum einräumen, sodass die Voraussetzungen der busi835  Bradley 836  Bradley 837  Bradley 838  Bradley 839  Bradley 840  Bradley 841  Bradley

v. v. v. v. v. v. v.

Pizzaco Pizzaco Pizzaco Pizzaco Pizzaco Pizzaco Pizzaco

of of of of of of of

Nebraska, Nebraska, Nebraska, Nebraska, Nebraska, Nebraska, Nebraska,

Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc. Inc.

7 7 7 7 7 7 7

F.3d F.3d F.3d F.3d F.3d F.3d F.3d

795, 795, 795, 795, 795, 795, 795,

796 799 798 798 799 799 799

(8th (8th (8th (8th (8th (8th (8th

Cir. Cir. Cir. Cir. Cir. Cir. Cir.

1993). 1993). 1993). 1993). 1993). 1993). 1993).

222

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

ness necessity defense anscheinend nicht besonders eng ausgelegt werden. Dieser Eindruck wird durch die Verwendung des Begriffs „bona fide / legitimate business purpose“, der dem in § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG vorausgesetzten „rechtmäßigen Zweck“ näher kommt als die „business necessity“, bestätigt. Anderes ergibt sich indes bei Betrachtung der Entscheidung Bradley. Sowohl in Woods als auch in Bradley ging es um mittelbare Diskriminierungen auf Grund der Rasse im Zusammenhang mit einem Bartverbot und der Hauterkrankung PFB. Die Arbeitgeber beriefen sich zur Rechtfertigung jeweils auf Kundenpräferenzen für Beschäftigte ohne Bart. Eine weitere Gemeinsamkeit der Fälle besteht darin, dass die Arbeitgeber jeweils mit dem Verkauf bzw. sogar der Herstellung von Nahrungsmitteln befasst waren. Trotzdem wurden die Sachverhalte von den Gerichten ganz unterschiedlich beurteilt. Der U.S. District Court for the Eastern District of Virginia in Woods hielt das Bartverbot für eine vernünftige kaufmännische Entscheidung und die von dem Arbeitgeber behaupteten Kundenpräferenzen für plausibel. Letztlich scheint das Gericht die Unternehmerentscheidung hauptsächlich auf Legitimität zu überprüfen. Der U.S. Court of Appeals for the Eighth Circuit in Bradley beurteilte die von dem Arbeitgeber vorgebrachte Rechtfertigung der Kundenpräferenzen nach wesentlich strengeren Maßstäben und ließ sich auch von einer als Beweis vorgelegten Umfrage nicht überzeugen. Trotz vieler Ähnlichkeiten der von den Gerichten zu bewertenden Sachverhalte stellten die Gerichte unterschiedliche Anforderungen an die vorzubringenden Beweise und kamen zu verschiedenen Ergebnissen. Dies veranschaulicht, dass die Voraussetzungen und Grenzen der business necessity defense insbesondere bei der Berufung auf Kundenpräferenzen nicht klar definiert sind. bb) Diskriminierung auf Grund des Merkmals Religion In Bezug auf Religionsdiskriminierungen hält das US-amerikanische Recht eine Besonderheit bereit: Die gesetzliche Definition des Merkmals Religion ist an die Pflicht des Arbeitgebers geknüpft, angemessene Vorkehrungen zu treffen („duty to reasonable accommodation“),842 um dem Beschäftigten die Ausübung und Befolgung seiner Religion zu ermöglichen.843 Die Pflicht wird dadurch begrenzt, dass die zu treffenden Maßnahmen keine unverhältnismäßige Belastung („undue hardship“) sein dürfen. Belasten die Maßnahmen den Arbeitgeber unverhältnismäßig, liegt keine Religi842  Zu der wachsenden Bedeutung der „reasonable accommodation“ für das Konzept der Diskriminierung in Europa vgl. Waddington/Hendriks International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2002, 403 ff. 843  42 U.S.C. § 2000e(j).



IV. Business necessity defense des Title VII223

onsdiskriminierung vor.844 Das europäische Recht kennt diese Pflicht nur in Bezug auf das Merkmal Behinderung.845 Die Feststellungen der Gerichte zur Bedeutung der Kundenpräferenzen in den Fällen EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. [dazu unter (1)] sowie Cloutier v. Costco Wholesale Corporation [dazu unter (2)] werden zu der Frage getroffen, ob der Arbeitgeber unverhältnismäßig belastet wurde. Da sie grundsätzliche Ausführungen über die Legitimität der Berufung auf Kundenpräferenzen enthalten, sind sie auch für die Frage der Rechtfertigung aufschlussreich. (1) EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. In der Entscheidung EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. („Sambo’s“) aus dem Jahr 1981 ging es um die Ablehnung der Bewerbung von Mohan Singh Tucker, einem Sikh, für die Position des Restaurantmanagers.846 Die Kleiderordnung der Restaurantkette sah vor, dass die Restaurantmanager ein gepflegtes Äußeres aufweisen mussten und insbesondere keine Bärte, langen Schnurrbärte oder Kopfbedeckungen tragen durften.847 Da die Sikh-Religion ihren Anhängern verbietet, die Gesichtsbehaarung abzuschneiden oder abzurasieren und Tucker die Kleiderordnung nicht befolgen konnte, wurde seine Bewerbung für die Position des Restaurantmanagers abgelehnt. Der Grund für das Bartverbot der Restaurantkette war, dass Kunden eine Präferenz für Restaurants aufwiesen, deren Manager und Personal glatt rasierte Gesichter hatten.848 Der U.S. District Court for the Northern District of Georgia stellte fest, dass eine ablehnende Reaktion gegenüber Bartträgern in dem betreffenden Marktsegment Ausdruck der Besorgnis sei, dass Bärte unhygienisch seien oder zu unhygienischen Bedingungen beitrügen.849 Es könne bei einem von einem Bartträger geführten Restaurant der Eindruck entstehen, dass die Maßstäbe an Sauberkeit und Hygiene nicht so ernst genommen würden. Darüber hinaus zitierte das Gericht eine Studie der „National Restaurant Association“, derzufolge die Sauberkeit der Restaurants eines der wichtigsten Anliegen der Konsumenten sei. Insofern sah der U.S. District Court for the Northern District of Georgia es als erwiesen an, dass es die Restaurantkette unverhältnismäßig belasten würde, für Tucker eine Ausnahme vom Bartverbot zu machen: 844  42

U.S.C. § 2000e(j). Art. 5 BeschäftiggsRL. Das AGG enthält keine derartige Bestimmung. 846  EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. 530 F. Supp. 86 ff. (N.D. Geo. 1981). 847  EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. 530 F. Supp. 86, 89 (N.D. Geo. 1981). 848  EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. 530 F. Supp. 86, 89 (N.D. Geo. 1981). 849  EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. 530 F. Supp. 86, 89 (N.D. Geo. 1981). 845  Vgl.

224

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

„The evidence shows that relaxation of Sambo’s grooming standards as to facial hair on restaurant managers – or exceptions from those standards – would impose an undue hardship on Sambo’s in that doing so would adversely affect Sambo’s public image and the operation of the affected restaurant or restaurants as a consequence of offending certain customers and diminishing the ‚clean cut‘ image of the restaurant and its personnel; […].“850

In der Terminologie der business necessity defense stellte das Gericht zudem fest: „The requirement that Sambo’s restaurant managers be clean-shaven is tailored to actual business needs, has a manifest and demonstrable relation to job performance, and is necessary to the safe and efficient operation of Sambo’s Restaurants.“851

Weil es also den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten würde, für Tucker eine Ausnahme vom Bartverbot zu machen, liege keine Diskriminierung wegen der Religion vor. Selbst wenn man diese aber bejahte, wäre sie nach Auffassung des Gerichts jedenfalls gerechtfertigt gewesen. Unter Verweis auf die Entscheidung Woods unterstrich der U.S. District Court for the Northern District of Georgia, dass Kundenpräferenzen grundsätzlich ein zulässiger Rechtfertigungsgrund für eine Diskriminierung sein könnten – und dies im vorliegenden Fall seien.852 (2) Cloutier v. Costco Wholesale Corporation In der Entscheidung Cloutier v. Costco Wholesale Corporation („Cloutier“) aus dem Jahr 2004 prüfte der U.S. Court of Appeals for the First Circuit die Kleiderordnung der Warenhauskette Costco auf ihre Vereinbarkeit mit dem Verbot der Religionsdiskriminierung.853 Der Dresscode enthielt eine Bestimmung, der zufolge die Beschäftigten – abgesehen von Ohrringen – keinen Schmuck im Gesicht tragen durften.854 Die Kassiererin Kimberly Cloutier war Mitglied der „Church of Body Modification“, die ihren Mitgliedern nahelegt, durch Tattoos,855 Piercings und andere Formen der 850  EEOC

v. Sambo’s of Georgia, Inc. 530 F. Supp. 86, 90 (N.D. Geo. 1981). v. Sambo’s of Georgia, Inc. 530 F. Supp. 86, 90 (N.D. Geo. 1981). 852  EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. 530 F. Supp. 86, 91 (N.D. Geo. 1981). 853  Cloutier v. Costco Wholesale Corporation 390 F.3d 126 ff. (1st Cir. 2004). 854  Cloutier v. Costco Wholesale Corporation 390 F.3d 126, 129 (1st Cir. 2004). 855  Deutsche Verwaltungsgerichte beschäftigten sich wiederholt mit der Ablehnung von Bewerbern für den Polizeivollzugsdienst aufgrund von Tätowierungen, vgl. z. B. VG Darmstadt 27.05.2014 – 1 L 528/14.DA, juris; VG Aachen 29.11.2012 – 1 K 1518/12 juris; VG Köln 23.08.2012  – 19 L 993/12 juris sowie VG Aachen 31.07.2012 – 1 L 277/12 juris. Dabei ging es um die Frage, ob Tätowierungen einen Eignungsmangel der Bewerber begründeten. Eine Benachteiligung aufgrund eines nach § 1 AGG geschützten Merkmals stand indes nicht im Raum. 851  EEOC



IV. Business necessity defense des Title VII225

Körperveränderung als Individuen zu wachsen.856 Cloutier „praktizierte“ diverse Formen dieser Körperveränderungen und hatte unter anderem ein Augenbrauenpiercing.857 Sie war nicht bereit, es während der Arbeit abzunehmen. Auch auf vom Arbeitgeber angebotene Kompromisse wie z. B. die Abdeckung der Piercings mit einem Pflaster oder die Einsetzung durchsichtiger Platzhalter ließ sie sich nicht ein, sodass sie schließlich entlassen wurde.858 Der U.S. Court of Appeals for the First Circuit stellte fest, dass der Zweck des Dresscodes darin bestehe, ein gepflegtes, sauberes und professionelles Image zu vermitteln. Dies hielt das Gericht für unmittelbar einleuchtend und damit nicht weiter beweisbedürftig:859 „It is axiomatic that, for better or for worse, employees reflect on their employers. This is particularly true of employees who regularly interact with customers, as Cloutier did in her cashier position. Even if Cloutier did not personally receive any complaints about her appearance, her facial jewelry influenced Costco’s public image and, in Costco’s calculation, detracted from its professional­ ism.“860

Costco habe überzeugend darlegen können, dass Piercings im Gesicht der Beschäftigten dem gepflegten, sauberen und professionellen Image abträglich seien, das Costco zu kultivieren versuche.861 Insofern würde es den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten, Cloutier von dem Piercingverbot zu befreien. Dabei ließ der U.S. Court of Appeals for the First Circuit die Frage, ob die „Church of Body Modification“ eine Kirche und das Piercing eine religiöse Handlung sei, ausdrücklich offen.862 Eine Diskriminierung wegen der Religion sei im Ergebnis jedenfalls zu verneinen, weil der Arbeitgeber Cloutier Kompromissregelungen angeboten hatte, damit seiner Pflicht, angemessene Vorkehrungen zu treffen, nachgekommen sei und eine vollständige Befreiung vom Dresscode den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten würde. (3) Zusammenfassung Die Entscheidungen Sambo’s und Cloutier offenbaren ein großes Verständnis der Rechtsprechung für Kundenpräferenzen in Bezug auf ein be856  Cloutier

v. Costco Wholesale Corporation v. Costco Wholesale Corporation 858  Cloutier v. Costco Wholesale Corporation 859  Vgl. dazu Thüsing JZ 2006, 223, 227. 860  Cloutier v. Costco Wholesale Corporation 861  Cloutier v. Costco Wholesale Corporation 862  Cloutier v. Costco Wholesale Corporation 857  Cloutier

390 F.3d 126, 129 (1st Cir. 2004). 390 F.3d 126, 129 (1st Cir. 2004). 390 F.3d 126, 130 (1st Cir. 2004). 390 F.3d 126, 135 (1st Cir. 2004). 390 F.3d 126, 136 (1st Cir. 2004). 390 F.3d 126, 131 (1st Cir. 2004).

226

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

stimmtes äußeres Erscheinungsbild. Aus den Urteilen lässt sich ablesen, dass hinter diesen Präferenzen oft legitime Bedürfnisse nach Hygiene, Sauberkeit und Professionalität stehen. Sie wurzeln nicht in der Abneigung gegenüber bestimmten religiösen Gruppen. Das Bestreben des Arbeitgebers, ein professionelles Image zu vermitteln und dafür die Beschäftigten in die Pflicht zu nehmen, wird für zulässig gehalten. Dabei beachtete der U.S. Court of Appeals for the First Circuit in Cloutier auch, dass der Arbeitgeber der Beschäftigten bei der Kollision von Kleiderordnung und religiösen Pflichten mit Kompromissvorschlägen entgegenkam. Mit dem Entgegenkommen ist die Frage nach dem „milderen Mittel“ angesprochen, die als Aspekt der Verhältnismäßigkeit bei Rechtfertigungen regelmäßig berücksichtigt wird. Im Zusammenhang mit der BFOQ-Ausnahme findet sie im less discriminatory alternatives-Test Ausdruck.863 b) English-Only Rules Entscheidungen zur Auslegung der business necessity defense im Hinblick auf Kundenpräferenzen finden sich zudem zu der Problematik der English-Only Rules. Dabei handelt es sich um Arbeitsanweisungen, während der Arbeit (mit zum Teil genau definierten Ausnahmen) ausschließlich Englisch zu sprechen. Diese Anweisungen gelten regelmäßig unabhängig von der Rasse oder der nationalen Herkunft für alle Beschäftigten. Weit überwiegend analysieren die Gerichte entsprechende Fälle daher unter dem Aspekt der mittelbaren Diskriminierung; das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung wird nur selten angesprochen.864 Eine mittelbare Diskriminierung Angehöriger bestimmter Nationalitäten, deren Muttersprache nicht Englisch ist, ist insofern möglich, als ihnen die Kommunikation in Englisch schwerer fallen kann. Viele Gerichte verneinen indes bereits die benachteiligende Wirkung der English-Only Rules, insbesondere, wenn die betroffenen Beschäftigten bilingual sind. Dann stellt sich die Frage der Rechtfertigung einer eventuellen Diskriminierung nicht mehr. Dies illustrieren beispielsweise die Entscheidungen Garcia v. Gloor865 (dazu unter aa]) sowie Jurado v. Eleven-Fifty Corporation866 (dazu unter bb]), in denen jeweils 863  Siehe

dazu bereits ausführlich unter C. III. 3. a) cc). Catholic University Law Review 47 (1998), 1327, 1342; Colón Yale Law and Policy Review 20 (2002), 227, 233 f.; Klaeren University of Cincinnati Law Review 77 (2008), 349, 355; Leonard University of Michigan Journal of Law Reform 38 (2004), 57, 92 f.; Wiley Georgia Law Review Association 29 (1995), 539, 549. 865  Garcia v. Gloor 618 F.2d 264 ff. (5th Cir. 1980). 866  Jurado v. Eleven-Fifty Corporation 813 F.2d 1406 ff. (9th Cir. 1987). 864  Adams



IV. Business necessity defense des Title VII227

auch Kundenpräferenzen eine Rolle spielten. Darüber hinaus sollen die Entscheidungen EEOC v. Sephora USA, LLC867 (dazu unter cc]) sowie Pacheco v. New York Presbyterian Hospital868 (dazu unter dd]) dargestellt werden. In diesen Fällen bejahten die Gerichte jeweils die benachteiligende Wirkung von English-Only Rules, um sich daraufhin mit der Frage der Rechtfertigung auseinanderzusetzen. aa) Garcia v. Gloor In der Entscheidung Garcia v. Gloor („Garcia“) aus dem Jahr 1980 setzte sich der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit mit der EnglishOnly Rule des in Texas ansässigen Holzfachhandels Gloor auseinander.869 Sieben der acht bei Gloor beschäftigten Verkäufer waren Lateinamerikaner, die alle bilingual (Englisch, Spanisch) waren. Nach einer Arbeitsanweisung war es ihnen untersagt, während der Arbeit Spanisch zu sprechen, außer bei der Kommunikation mit Spanisch sprechenden Kunden.870 Hector Garcia, einer der bei Gloor beschäftigten Verkäufer, wurde wegen Verstoßes gegen diese Arbeitsanweisung entlassen.871 Garcia wehrte sich mit einer Klage wegen Diskriminierung auf Grund der nationalen Herkunft. Gloor führte für seine Sprachpolitik geschäftliche Gründe an und legte unter anderem dar, dass Englisch sprechende Kunden Einwände gegen Unterhaltungen unter den Beschäftigten hätten, die sie nicht verstehen könnten.872 Mit dieser Rechtfertigung setzte sich der U.S. Court of Appeals for the Fifth Circuit indes nicht mehr auseinander. Er entschied, dass eine EnglishOnly-Politik des Arbeitgebers jedenfalls dann keine benachteiligende Wirkung auf die Beschäftigten habe, wenn diese zweisprachig seien.873 In diesen Fällen sei die von den Beschäftigten verwendete Sprache eine Frage von deren persönlicher Präferenz: „[T]here is no disparate impact if the rule is one that the affected employee can readily observe and nonobservance is a matter of individual preference. Mr. Garcia could readily comply with the speak-English-only rule; as to him nonobservance was a matter of choice.“874 867  EEOC

v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408 ff. (S.D.N.Y. 2005). v. New York Presbyterian Hospital 593 F. Supp. 2d 599 ff. (S.D.N.Y.

868  Pacheco

2009).

869  Garcia 870  Garcia 871  Garcia 872  Garcia 873  Garcia 874  Garcia

v. v. v. v. v. v.

Gloor Gloor Gloor Gloor Gloor Gloor

618 618 618 618 618 618

F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d F.2d

264 ff. (5th Cir. 1980). 264, 266 (5th Cir. 1980). 264, 266, 272 (5th Cir. 1980). 264, 267 (5th Cir. 1980). 264, 272 (5th Cir. 1980). 264, 270 (5th Cir. 1980).

228

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Gleichzeitig ließ das Gericht aber die Frage offen, wie English-Only Regelungen in solchen Fällen zu beurteilen sind, in denen die Beschäftigten der englischen Sprache nur eingeschränkt bzw. gar nicht mächtig sind. bb) Jurado v. Eleven-Fifty Corporation Auch in den Medien können English-Only Regelungen eine Rolle spielen, wie der Fall Jurado v. Eleven-Fifty Corporation („Jurado“) aus dem Jahr 1987 zeigt.875 Darin befasste sich der U.S. Court of Appeals for the Ninth Circuit mit der Entlassung des Radiomoderators Valentine Jurado durch seinen Arbeitgeber, den Radiosender KIIS in Los Angeles. Dem zweisprachig (Englisch, Spanisch) aufgewachsenen Jurado, der mexikanische Wurzeln hatte, war gekündigt worden, weil er die Anweisung, in seiner Sendung ausschließlich Englisch zu sprechen, nicht befolgen wollte.876 Eine Marktanalyse hatte ergeben, dass der Einbau umgangssprachlicher spanischer Wörter und Phrasen in die Moderationen den Einschaltquoten des Radiosenders schadete. Gegen die Kündigung ging Jurado mit einer Diskriminierungsklage vor.877 Wie in Garcia verneinte das Gericht aber eine mittelbare Benachteiligung von Beschäftigten lateinamerikanischer Herkunft bereits deshalb, weil sich Jurado als bilingualer, sowohl Englisch als auch Spanisch fließend sprechender Beschäftigter problemlos an die EnglishOnly Regelung halten könne.878 Das zeigt, dass die Rechtsprechung nicht das abstrakte Potenzial einer Arbeitgebermaßnahme, bestimmte Merkmalsträger zu benachteiligen, prüft, sondern fordert, dass im konkreten Fall eine benachteiligende Wirkung gegeben ist. Da sowohl Garcia als auch Jurado bilingual waren, wurden sie durch die English-Only Rules nicht konkret benachteiligt, anders als dies möglicherweise bei nicht Englisch sprechenden Beschäftigten der Fall gewesen wäre. cc) EEOC v. Sephora USA, LLC Explizit im Zusammenhang der business necessity defense wird die Problematik der Kundenpräferenzen in der Entscheidung EEOC v. Sephora USA, LLC („Sephora“) aus dem Jahr 2005 diskutiert.879 Darin befasste sich der U.S. District Court for the Southern District of New York mit der Sprachpo875  Jurado

v. Eleven-Fifty Corporation 813 F.2d 1406 ff. (9th Cir. 1987). v. Eleven-Fifty Corporation 813 F.2d 1406, 1408 (9th Cir. 1987). 877  Jurado v. Eleven-Fifty Corporation 813 F.2d 1406, 1409 (9th Cir. 1987). 878  Vgl. Jurado v. Eleven-Fifty Corporation 813 F.2d 1406, 1412 (9th Cir. 1987). 879  EEOC v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408 ff. (S.D.N.Y. 2005). 876  Jurado



IV. Business necessity defense des Title VII229

litik von Sephora,880 einer Drogeriekette für Kosmetikartikel. Danach sollten Beschäftigte mit Kundenkontakt (Verkäufer an der Kasse und im Kundenraum tätige Berater) während der Arbeit in Anwesenheit von Kunden Englisch sprechen. Sollten Kunden mit einem Beschäftigten in einer anderen Sprache kommunizieren wollen, derer der betreffende Beschäftigte mächtig war, begrüßte Sephora die Verwendung der entsprechenden Sprache durch den Beschäftigten. In einem von der EEOC zusammen mit fünf ehemaligen Sephora-Beschäftigten initiierten Verfahren setzte sich das Gericht mit der Zulässigkeit dieser Sprachanweisung auseinander.881 Fraglich war, ob die Anweisung die lateinamerikanischen Beschäftigten mittelbar auf Grund ihrer nationalen Herkunft diskriminierte. Sie waren alle zweisprachig und beherrschten sowohl die spanische als auch die englische Sprache. Der U.S. District Court for the Southern District of New York ließ die Frage, ob die Sprachanweisung die bilingualen Beschäftigten überhaupt benachteiligen könne, ausdrücklich offen.882 Daraufhin widmete er sich eingehend der Stufe der Rechtfertigung und den von den Parteien diesbezüglich vorgetragenen Argumenten. Sephora berief sich darauf, dass die Anweisung für das im Verkaufsraum tätige Personal, in Anwesenheit der Kunden Englisch zu sprechen, berufsbezogen und eine betriebliche Notwendigkeit sei: Die Sprachpolitik entspreche den Anforderungen der Höflichkeit und Ansprechbarkeit, die wiederum zum Kundenservice gehörten.883 Die EEOC entgegnete die Entscheidung Bradley884 zitierend, dass Kundenpräferenzen keine Rechtfertigung einer Diskriminierung begründen könnten.885 Diesem Argument widersprach das Gericht. Es stellte fest, dass Kundenpräferenzen nur dann keinen zulässigen Rechtfertigungsgrund bildeten, wenn sie in keinem Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stünden. Weiter führte es aus: „If a customer preference is sufficiently related to job performance then it qualifies as a ‚business necessity.‘ […] The requirement that a customer preference relate to job performance prevents employers from using customers’ intolerance as a business necessity justification for a policy that has a disparate impact on a protected class. […] Helpfulness, politeness and approachability, however, are central to the job of a sales employee at a retail establishment, and are distinct from customers’ prejudices.“886 880  EEOC

v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408, 411 (S.D.N.Y. 2005). v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408, 409 (S.D.N.Y. 2005). 882  EEOC v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408, 414 (S.D.N.Y. 2005). 883  EEOC v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408, 416 (S.D.N.Y. 2005). 884  Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc. 7 F.3d 795 ff. (8th Cir. 1993); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. IV. 3. a) aa) (3). 885  EEOC v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408, 416 (S.D.N.Y. 2005). 886  EEOC v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408, 416 f. (S.D.N.Y. 2005). 881  EEOC

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Verwendeten die Verkäufer eine Sprache, die die Kunden nicht verstünden, habe dies spürbare Auswirkungen auf Hilfsbereitschaft, Höflichkeit und Ansprechbarkeit. Die Anweisung, in Anwesenheit der Kunden Englisch zu sprechen, fördere die Höflichkeit gegenüber Kunden und entspreche daher einer betrieblichen Notwendigkeit.887 Insofern kommt der U.S. District Court for the Southern District of New York zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen der business necessity defense vorlagen.888 dd) Pacheco v. New York Presbyterian Hospital Ein weiteres Beispiel zu der Anerkennung von Kundenpräferenzen als Rechtfertigungsgrund im Rahmen der business necessity defense bildet schließlich die Entscheidung Pacheco v. New York Presbyterian Hospital („Pacheco“) aus dem Jahr 2009.889 Darin ging es unter anderem um die Zulässigkeit einer English-Only Anweisung eines Krankenhauses. Hintergrund dieser Anweisung waren Beschwerden mehrerer Patienten über Krankenhausangestellte, die sich untereinander in Anwesenheit der Patienten in Spanisch unterhielten und lachten. Infolgedessen monierten die Patienten, dass sie den Eindruck hätten, die Krankenhausmitarbeiter machten sich über sie lustig.890 Daraufhin wurde unter anderem der Kläger Jose Pacheco, ein bilingualer (Englisch und Spanisch) Krankenhausangestellter puertorikanischen Ursprungs, angewiesen, während der Ausführung seiner Aufgaben in Anwesenheit von Patienten nur Englisch zu sprechen.891 Von dieser Regel wurde immer dann eine Ausnahme gemacht, wenn ein Spanisch sprechender Patient die Unterstützung durch einen Angestellten in Spanisch wünschte. Pacheco war mit dieser Anweisung nicht einverstanden und wandte sich in seiner Diskriminierungsklage unter anderem gegen diese Anweisung. Wie bereits in den Fällen Garcia, Jurado und Sephora war wiederum fraglich, ob bzw. inwiefern diese Sprachanweisung Spanisch sprechende Beschäftigte auf Grund der nationalen Herkunft mittelbar benachteiligte. Der U.S. District Court for the Southern District of New York nahm entsprechend seiner bereits in Sephora angewendeten Vorgehensweise hypothe887  EEOC

v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408, 417 (S.D.N.Y. 2005). v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408, 418 (S.D.N.Y. 2005). 889  Pacheco v. New York Presbyterian Hospital 593 F. Supp. 2d 599 ff. (S.D.N.Y. 2009). 890  Pacheco v. New York Presbyterian Hospital 593 F. Supp. 2d 599, 606 (S.D.N.Y. 2009). 891  Pacheco v. New York Presbyterian Hospital 593 F. Supp. 2d 599, 606 (S.D.N.Y. 2009). 888  EEOC



IV. Business necessity defense des Title VII231

tisch eine benachteiligende Wirkung der Anweisung an,892 um sich sodann ausführlich mit der business necessity defense auseinanderzusetzen. Bezüglich der zur Rechtfertigung vorgebrachten Patientenpräferenzen traf er folgende Feststellungen:893 Der Arbeitgeber müsse nicht zeigen, dass ein bestimmter Prozentsatz seiner Kunden seine kaufmännische Beurteilung ­ bekräftigte, dass gewisse Verhaltensweisen Unhöflichkeit und fehlende Hilfsbereitschaft vermittelten. Vielmehr begründe eine Kundenpräferenz dann eine business necessity, wenn sie ausreichend im Zusammenhang mit der Erfüllung der Arbeitsaufgabe stehe. Die respektvolle Behandlung von Patienten sei eines der Leitprinzipien des Krankenhauses. Ein bedeutendes Element der Tätigkeit des Klägers bestehe in einer mitfühlenden und effektiven Kommunikation mit den Patienten. Dabei sei auch zu beachten, dass viele Patienten sich ohnehin in großen Stresssituationen befänden, die nicht zusätzlich verstärkt werden sollten. Die Anweisung, während der Arbeit in Anwesenheit englischsprachiger Patienten Englisch zu sprechen, solle sicherstellen, dass den Patienten nicht der Eindruck vermittelt würde, dass die Angestellten hinter ihrem Rücken über sie redeten. Folglich kam das Gericht zu dem Schluss: „Under these circumstances, it cannot be seriously contested that Defendant has established a valid business reason to ask bilingual employees such as Plaintiff to speak English around patients.“894

Demnach konnten die Kundenpräferenzen nach Auffassung des U.S. District Court for the Southern District of New York eine business necessity defense begründen. Eine eventuelle mittelbare Diskriminierung durch die Sprachanweisung auf Grund der nationalen Herkunft sah das Gericht als jedenfalls gerechtfertigt an. ee) Zusammenfassung Die zu der English-Only Problematik dargestellten Entscheidungen veranschaulichen die Relevanz von Sprachanweisungen in den verschiedensten Branchen, vom Einzelhandel über die Medienindustrie bis hin zum Gesundheitswesen. Deutlich wird, dass die Rechtsprechung diesen Sprachanforderungen generell sehr wohlwollend gegenübersteht. Höchstrichterlich noch nicht geklärt ist die Frage, ob Sprachregelungen überhaupt eine benachtei892  Pacheco v. New York Presbyterian Hospital 593 F. Supp. 2d 599, 621 (S.D.N.Y. 2009). 893  Pacheco v. New York Presbyterian Hospital 593 F. Supp. 2d 599, 621  f. (S.D.N.Y. 2009). 894  Pacheco v. New York Presbyterian Hospital 593 F. Supp. 2d 599, 622 (S.D.N.Y. 2009).

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

ligende Wirkung zugesprochen werden soll. Instanzgerichtsentscheidungen wie Sephora und Pacheco zeigen aber, dass selbst bei Annahme einer solchen benachteiligenden Wirkung eine Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen möglich ist, sofern die Präferenzen im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Beschäftigten stehen. c) Ergebnis zur Rechtsprechung bezüglich der business necessity defense Obwohl die Konturen und Beweisanforderungen der business necessity defense nicht eindeutig geklärt sind, lassen sich anhand der dargestellten Entscheidungen einige Orientierungssätze ableiten. Die Berufung auf Kundenpräferenzen zur Rechtfertigung einer mittelbar diskriminierenden Praxis ist dann erfolgreich, wenn die Präferenzen einen ausreichend starken Bezug zur sicheren und effizienten Erbringung der Arbeitsleistung haben. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Arbeitgeber die Intoleranz seiner Kunden nicht als Vorwand für eine diskriminierende Beschäftigungspolitik verwenden kann. Dabei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: die Art des in Frage stehenden Unternehmens bzw. des vertriebenen Produktes, die genaue Ausgestaltung der (vermeintlich) diskriminierenden Praxis sowie der Grad der diskriminierenden Wirkung. Diese Aspekte können Anhaltspunkte dafür liefern, inwiefern Kundenvorlieben ein Rechtfertigungsgrund für mittelbare Benachteiligungen sind. 4. Schrifttum zur business necessity defense Parallel zu der Darstellung der Rechtsprechung zur business necessity defense soll auch deren Diskussion im Schrifttum anhand der zwei Problemkreise „Äußeres Erscheinungsbild des Beschäftigten“ (dazu unter a]) und „English-Only Rules“ (dazu unter b]) nachgezeichnet werden. Die Brisanz dieser zwei Themenkomplexe spiegelt sich in der Vielzahl der dazu erschienenen Beiträge aus der Literatur wider.895 a) Themenkomplex 1: Äußeres Erscheinungsbild des Beschäftigten Diskriminierung auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes ist in den letzten Jahren immer stärker in das Blickfeld des US-amerikanischen

895  Siehe dazu die Nachweise unter C. IV. 4. a) in Fn. 898–901 (äußeres Erscheinungsbild) und insbesondere unter C. IV. 4. b) in Fn. 953 (English-Only Rules).



IV. Business necessity defense des Title VII233

Schrifttums zum Antidiskriminierungsrecht gerückt.896 Allerdings wird hierbei der Fokus überwiegend nicht auf die Rechtfertigung, sondern auf die Notwendigkeit der Ausweitung der Diskriminierungsverbote gelegt. Diskutiert wird, ob der Gesetzgeber auf nationaler Ebene ein Verbot der Benachteiligung wegen des äußeren Erscheinungsbildes schaffen sollte.897 Dies wird von einer Reihe von Autoren bejaht.898 Zum Teil wird eine solche Gesetzgebung auch für wünschenswert, aber unwahrscheinlich gehalten.899 Andere sprechen sich hingegen dafür aus, die vorhandenen gesetzlichen Mittel stärker zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen des Aussehens einzusetzen und die Problematik der Benachteiligung wegen des äußeren Erscheinungsbildes durch Auslegung des Title VII zu lösen.900 Schließlich mahnen auch einige Stimmen aus dem Schrifttum zur Zurückhaltung in Bezug auf die weitere Ausdehnung der Diskriminierungsverbote.901 Die Skepsis kommt beispielsweise in den Fragen zum Ausdruck, ob die EEOC gegebenenfalls in ihren Richtlinien einen Attraktivitätsmaßstab etablieren würde oder ob Juroren von Schönheitswettbewerben demnächst als Sachverständige in Diskriminierungsprozessen auftreten würden.902 Die Einstellung (auch) nach dem Kriterium des äußeren Erscheinungsbildes oder die Einführung bestimmter Kleiderordnungen sind häufig Teil einer Marketingstrategie des Unternehmens.903 Derartige Beschäftigungspolitiken tragen zu der 896  Corbett Catholic University Law Review 60 (2011), 615, 617; Desir University of Illinois Law Review 2010, 629, 630. 897  Entsprechende Diskriminierungsverbote auf Grund der Merkmale „äußeres Erscheinungsbild“, „Größe“ oder „Gewicht“ existieren zum Teil auf lokaler bzw. bundesstaatlicher Ebene bereits, siehe dazu ausführlich Rhode Stanford Law Review 61 (2009), 1033, 1081 ff. sowie Zakrzewski University of Pennsylvania Journal of Labor & Employment Law 7 (2005), 431, 445 ff. Vgl. außerdem Adamitis Washington Law Review 75 (2000), 195, 209 ff.; Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 504 f. und Desir University of Illinois Law Review 2010, 629, 638 ff. 898  So z. B. Adamitis Washington Law Review 75 (2000), 195, 223; Desir University of Illinois Law Review 2010, 629, 653; Fleener Washington University Law Quarterly 83 (2005), 1295, 1299, 1324 ff.; Rhode Stanford Law Review 61 (2009), 1033, 1035, 1097 ff.; Zakrzewski University of Pennsylvania Journal of Labor & Employment Law 7 (2005), 431, 432, 461; wohl auch Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 505 f. 899  So Corbett Catholic University Law Review 60 (2011), 615, 660; ders. Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 153, 158, 178. 900  Vgl. z. B. Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287 ff.; Sablosky New York University Review of Law & Social Change 30 (2006), 325 ff. 901  Vgl. z. B. James Valparaiso University Law Review 42 (2008), 629 ff.; Vo Southern Illinois University Law Journal 26 (2002), 339, 341, 358 f. 902  So McDonald Employee Relations Law Journal 29 (2003), 118, 127. 903  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483; Fleener Washington University Law Quarterly 83 (2005), 1295, 1298.

234

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Schaffung eines bestimmten Unternehmensimages bei und antizipieren z. B. Kundenvorlieben für optisch ansprechende Beschäftigte.904 Wirkt sich eine Beschäftigungspraxis besonders nachteilig auf eine der von Title VII geschützten Personengruppen aus, stellt sich die Frage nach einer mittelbaren Benachteiligung und deren Rechtfertigung. Für eine enge Auslegung der business necessity defense in diesem Zusammenhang plädieren insbesondere Turner (dazu unter aa]) und Bello (dazu unter bb]). Größeren Raum speziell für die Berücksichtigung von Kundenpräferenzen lässt hingegen Bandsuch in seinem Lösungsmodell (dazu unter cc]). aa) Turner Für eine sehr enge Auslegung der business necessity defense im Zusammenhang mit Kleiderordnungen spricht sich Turner aus.905 Anknüpfungspunkt ihrer Analyse der Zulässigkeit von Kleiderordnungen ist der Fall Rogers906 zu dem von American Airlines ausgesprochenen Verbot, Haare im sogenannten „Cornrow Style“ zu tragen. Als Verfechterin der Vielfalt am Arbeitsplatz unterstreicht Turner die Bedeutung der Frisurenwahl für das Selbstbestimmungsrecht und die Bewahrung des kulturellen Erbes der Beschäftigten.907 Kleiderordnungen wie die von American Airlines wirkten sich häufig auf Personen bestimmter Rassen, Religionen oder auch Geschlechter stärker negativ aus und seien somit mittelbar diskriminierend. Dies habe der U.S. District Court for the Southern District of New York in der Entscheidung Rogers verkannt.908 Zwar stehe den Arbeitgebern grundsätzlich die Rechtfertigungsmöglichkeit der business necessity defense offen, diese sei jedoch – anders als von den Gerichten praktiziert909 – eng auszulegen. Als legitime geschäftliche Gründe für eine diskriminierend wirkende Kleiderordnung seien das öffentliche Ansehen des Arbeitgebers, Sicherheitsbedenken oder die Verbesserung der Beschäftigtenmoral und -produktivität durch die Vermeidung von Konflikten oder Ablenkungen denkbar.910 Für sinnvoll und sozial erwünscht hält sie z. B. die Anweisung an Beschäftigte im Gesundheitswesen, sterile Kleidung zu tragen, das Verbot für Piloten, Bärte zu tragen, die die Funktion einer Sauerstoffmaske beeinträchtigen könnten oder 904  Vgl. Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 498 f.; James Valparaiso University Law Review 42 (2008), 629, 638. 905  Turner Cardozo Women’s Law Journal 7 (2001), 115, 161. 906  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229 ff. (S.D.N.Y. 1981); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. IV. 3. a) aa) (1). 907  Turner Cardozo Women’s Law Journal 7 (2001), 115, 116 f., 151. 908  Turner Cardozo Women’s Law Journal 7 (2001), 115, 129 ff. 909  Vgl. Turner Cardozo Women’s Law Journal 7 (2001), 115, 122 f. 910  Turner Cardozo Women’s Law Journal 7 (2001), 115, 122 m. w. N.



IV. Business necessity defense des Title VII235

auch das Verbot für Lehrer, das Symbol des Hakenkreuzes im Unterricht zu tragen, wodurch die Schüler dieser Symbolik unfreiwillig ausgesetzt würden.911 Turner will also eine Rechtfertigung diskriminierend wirkender Kleiderordnungen dann zulassen, wenn sie dem Schutz der Gesundheit oder der Sicherheit dienen.912 Gesundheits- oder Sicherheitsinteressen von American Airlines für das Verbot, Frisuren im Cornrow Style zu tragen, seien nicht erkennbar. Deswegen müsse in diesem Fall das Recht der Beschäftigten zur Selbstdarstellung überwiegen.913 Zwar nennt Turner auch das „öffentliche Image des Arbeitsgebers“ als einen der denkbar zulässigen Rechtfertigungsgründe. Dennoch deuten die von ihr genannten Beispiele und die starke Betonung des hohen Wertes des Selbstbestimmungsrechts der Beschäftigten darauf hin, dass Kundenpräferenzen bzw. die Vermittlung eines bestimmten Unternehmensimages den Anforderungen an einen Rechtfertigungsgrund nach Turner wohl nicht gerecht würden. bb) Bello Ausgehend von der Feststellung, dass immer mehr Unternehmen wie Abercrombie & Fitch oder auch L’Oréal ihre Mitarbeiter nach dem Kriterium der Attraktivität auswählten,914 untersucht Bello die Verwendung dieses Kriteriums auf dessen diskriminierende Wirkung. Marktanalysten seien sich einig, dass die Einstellung attraktiver Beschäftigter zur Vermittlung eines bestimmten Markenimages eine effektive und intelligente Marketingstrategie sei.915 Aus sozialpsychologischen Studien ergebe sich, dass die Attraktivität der Mitarbeiter die Wahrnehmung eines Produktes oder eines Unternehmensimages durch die Kunden positiv beeinflusse.916 Der Maßstab für Attraktivität unterscheide sich in verschiedenen Zeiten und Kulturen und sei stark von der Wahrnehmung der Mehrheit geprägt.917 In der US-amerikanischen Gesellschaft hätten sich Attraktivitätsnormen herausgebildet, nach denen Kaukasier von Personen aller Ethnien als attraktivste Gruppe wahrgenommen würden.918 Dies zeigten beispielsweise die von Asia­ ten in den USA vorgenommenen Schönheitsoperationen: So ließen asiatische Amerikaner Schönheitsoperationen durchführen, die ihnen zu „kaukasischen“ 911  Turner

Cardozo Women’s Law Journal 7 (2001), 115, 161. auch Adamitis Washington Law Review 75 (2000), 195, 221. 913  Vgl. Turner Cardozo Women’s Law Journal 7 (2001), 115, 162. 914  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 497. 915  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483 m. w. N. 916  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 495 m. w. N. 917  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 497 m. w. N. 918  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 497 f. m. w. N. 912  Ähnlich

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Eigenschaften verhülfen,919 wie z. B. Operationen des Augenlieds, um die Augen größer und runder erscheinen zu lassen.920 Das Zusammenspiel der Bevorzugung attraktiver Mitarbeiter durch Kunden und genereller Schönheitsstandards führe dazu, dass die Einstellung nach dem Kriterium der Attraktivität mittelbar rassendiskriminierend sein könne.921 Angesichts dessen beleuchtet Bello den Einfluss genauer, den die Attraktivität der Mitarbeiter auf die Kundenwahrnehmungen von dem Produkt bzw. Unternehmen hat. Studien hätten ergeben, dass die Kunden die attraktiven Verkäufer als Experten für die Produkte wahrnähmen.922 Der Einsatz attraktiven Verkaufspersonals beeinflusse die Kundenwahrnehmung von einem Produkt aber nur dann positiv, wenn das Produkt selbst der Verbesserung der Attraktivität diene.923 In diesem Fall erhöhe die Schönheit des Verkaufspersonals dessen Vertrauens- und Glaubwürdigkeit.924 Letztlich geht es also um Authentizität.925 Eine Rechtfertigung mittelbar diskriminierend wirkender Einstellungspraktiken nach dem Attraktivitätskriterium käme deshalb nur für solche Unternehmen in Frage, deren Produkte auf die Erhöhung der Attraktivität der Kunden abzielten.926 Aber selbst in diesen Fällen gebe es ein milderes Mittel, auf das der Arbeitgeber verwiesen werden könne, und zwar die Beschäftigung solcher Beschäftigter, die Experten für die attraktivitätserhöhenden Produkte des Unternehmens seien und die Fähigkeit besäßen, den Kunden ihre Expertise zu vermitteln.927 Schließlich sei es der (vermeintliche) Sachverstand, der die Kunden anziehe. Dementsprechend hält Bello die Einstellung nach dem Attraktivitätskriterium selbst bei Unternehmen, deren Produkte die Attraktivität der Kunden erhöhen sollen, im Ergebnis nicht für gerechtfertigt. cc) Bandsuch Einen ganzheitlichen Ansatz zur diskriminierungsrechtlichen Beurteilung von Beschäftigungspolitiken, die das äußere Erscheinungsbild der Beschäftigten betreffen, präsentiert Bandsuch.928 Anders als die Beiträge von Turner 919  Bello

Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 498 m. w. N. dazu Kang Michigan Journal of Race & Law 2 (1997), 283, 333 ff. 921  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 499. 922  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 500 m. w. N. 923  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 500 f. m. w. N. 924  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 501 m. w. N. 925  Vgl. Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 502. 926  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 501. 927  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 501. 928  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287 ff. 920  Vgl.



IV. Business necessity defense des Title VII237

und Bello lässt er mehr Raum für die Berücksichtigung von Kundenpräferenzen als Rechtfertigungsgrund.929 Bandsuchs Ansatz enthält eine Reihe interessanter, im Rahmen eines Lösungsmodells aufzugreifender Aspekte, sodass ein genauer Blick darauf lohnt. (1) TOC Framework Ausgangspunkt von Bandsuchs Analyse ist die Beobachtung, dass Vorschriften des Arbeitgebers über Kleidung, Frisur und Make-up der Beschäftigten neue, subtilere Formen der Diskriminierung wegen bestimmter Merkmale seien. Kleiderordnungen spiegelten in der Regel die Vorstellungen weißer männlicher Europäer über angemessenes geschäftliches Auftreten wider.930 Um diese neuen Erscheinungsformen der Diskriminierung adäquat zu erfassen und zu bekämpfen, schlägt er einen neuen analytischen Rahmen zur Anwendung der bestehenden Diskriminierungsverbote vor, das sogenannte „totality of the circumstances (TOC) framework“.931 Im Kern handelt es sich dabei um eine Abwägungslösung, bei der der Schaden für den geschützten Beschäftigten gegen die Bedeutung des geschäftlichen Grundes des Arbeitgebers für die Beschäftigungspraxis (z. B. eine Kleiderordnung) abgewogen wird.932 Zunächst werden die nachteiligen Auswirkungen der Arbeitgebermaßnahme bewertet. Dabei sollen vier Faktoren eine Rolle spielen, die Bandsuch unter den Überschriften „hierarchy of protected groups“, „group identity and individual harm“, „severity of harm“ und „cognitive bias“ zusammenfasst.933 Daraufhin erfolgt in einem zweiten Schritt die Gewichtung des vom Arbeitgeber vorgebrachten Rechtfertigungsgrundes. Dabei sollen drei Elemente betrachtet werden, die Bandsuch als „importance of the business rea­son“, „fit between the appearance policy and its business justification“934 und „reasonable alternatives and mitigating factors“935 bezeichnet.936 Die Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 321. Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 290, 296, 314, 328, 330. 931  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 304. 932  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 304 f. 933  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 306 ff. 934  Diese Voraussetzung erinnert an die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der AGG-Rechtfertigungsgründe zu prüfende „Geeignetheit“, siehe dazu später unter E. V. 2. d) aa). 935  Diese Voraussetzung erinnert an die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der AGG-Rechtfertigungsgründe zu prüfende „Erforderlichkeit“, siehe dazu später unter E. V. 2. d) bb). 936  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 319 ff. 929  Vgl.

930  Bandsuch

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Funktionsweise dieses Ansatzes erläutert Bandsuch anhand der Kleiderordnung von American Airlines im Fall Rogers937, die das Tragen der Haare im „Cornrow Style“ untersagte. Zur Veranschaulichung der Gewichtung ordnet er jedem der betrachteten Faktoren einen Wert zwischen eins und zehn zu.938 (2) F  unktionsweise des Ansatzes anhand des Anschauungsbeispiels Rogers Auf Seiten der nachteiligen Auswirkungen bewertet Bandsuch z. B. das Kriterium „hierarchy of protected groups“. Er geht also davon aus, dass es eine Hierarchie der geschützten Merkmale gebe.939 Die Existenz einer solchen Hierarchie lasse sich beispielsweise an unterschiedlichen Erfolgsraten der Diskriminierungsklagen zu den einzelnen Merkmalen oder auch an der Verfügbarkeit und Stärke der jeweiligen Rechtfertigungsmöglichkeiten des Arbeitgebers festmachen.940 In den USA sei der Schutz vor Rassendiskriminierungen am stärksten. Im Fall Rogers könne die Kleiderordnung von American Airlines insbesondere Afroamerikaner nachteilig betreffen.941 Hinzu komme, dass American Airlines ca. 90.000 Arbeitnehmer beschäftige, die zu 31  % aus Minderheiten bestünden, sodass eine große Zahl von Beschäftigten potentiell betroffen sei.942 Auf einer Skala von eins bis zehn bewertet Bandsuch diese Kategorie mit einem Schweregrad von acht.943 Ein Beispiel für einen auf Seiten des vom Arbeitgeber vorgebrachten Geschäftsgrundes zu berücksichtigenden Faktor ist die „importance of the business reason“. Dabei seien zum einen dessen „importance“, zum anderen die „job-relatedness“ zu untersuchen.944 Je höher der Grad an Kundeninteraktion in dem Unternehmen und je wichtiger die Vermittlung eines professionellen Images, desto wichtiger sei die Kleiderordnung für das Unternehmen.945 An dieser Stelle seien die Kundenpräferenzen zu berücksichtigen, 937  Rogers v. American Airlines 527 F. Supp. 229 ff. (S.D.N.Y. 1981); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. IV. 3. a) aa) (1). 938  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 326 f. 939  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 307, siehe zu der Frage einer Merkmalshierarchie im europäischen und deutschen Recht unter D. V. 1. und E. II. 2. b) aa). 940  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 308  f. m. w. N. 941  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 327. 942  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 327 f. 943  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 328. 944  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 320 f. 945  Vgl. Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 320 f.



IV. Business necessity defense des Title VII239

die eine bedeutende Rolle bei der Gewichtung des Arbeitgeberinteresses für die Einführung einer bestimmten Kleiderordnung spielen könnten.946 Die Untersagung bestimmter Frisuren durch American Airlines diene im konkreten Fall nicht der Herstellung von Sicherheit,947 einem besonders hoch zu bewertenden Ziel. Vielmehr bezwecke sie die Vermittlung eines professionellen Images und der Schaffung einer erfolgreichen Marke, um letztlich die Kundenzufriedenheit und die Umsätze zu erhöhen. Dies bemisst Bandsuch mit einem Wert von sechs Punkten, wobei er ausdrücklich darauf hinweist, dass diese Wertung für eine Regelung, die nicht der Sicherheit dient, vergleichsweise hoch sei.948 Diesen Bewertungsvorgang spielt Bandsuch in Bezug auf die Kleiderordnung von American Airlines im Fall Rogers auch für die anderen in den Abwägungsvorgang einzustellenden Faktoren durch.949 Im Ergebnis erhält er einen Gesamtpunktewert für das Gewicht der nachteiligen Auswirkungen der Arbeitgebermaßnahme, der einem Gesamtpunktewert für das Gewicht des Rechtfertigungsgrundes des Arbeitgebers gegenübersteht. Auf der ersten Stufe ist eine Gesamtpunktzahl von vierzig, auf der zweiten eine von dreißig erreichbar. Multiplizierte man nun das Punkteergebnis auf der zweiten Stufe mit dem Faktor 4 / 3,950 erreichte man eine mathematische Vergleichbarkeit der Prüfungsstufen. Die sich gegenüberstehenden Zahlenwerte indizieren, ob das Gewicht des Rechtfertigungsgrundes die nachteiligen Auswirkungen für die Beschäftigten überwiegen kann. Auch Bandsuch selbst weist darauf hin, dass man den TOC-Ansatz nicht auf eine mathematische Gleichung reduzieren solle.951 Die klare Definition zu beachtender Abwägungskriterien und die Bemessung mit Punktewerten ist jedoch grundsätzlich ein Mittel, die Transparenz und die Berechenbarkeit des Ergebnisses der Interessenabwägung zu erhöhen.952 In Diskriminierungsfällen stehen sich letztlich zwei fundamentale Rechte, das auf Gleichheit des Beschäftigten und die Unternehmerfreiheit auf Seiten des Arbeitgebers, gegenüber. Je gravierender die nachteiligen Auswirkungen für den Beschäftigten sind, desto höher sind auch die Anforderungen an die vom Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 321. Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 334. 948  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 334. 949  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 326 ff. 950  Vgl. Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 335, der allerdings aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht den Faktor 4/3, sondern den Faktor 2 wählt. 951  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 326 f. 952  Vgl. zu den Anforderungen der Transparenz und Berechenbarkeit des Abwägungsergebnisses Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 372. 946  Vgl.

947  Bandsuch

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C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

Arbeitgeber vorgetragene Rechtfertigung. Der TOC-Ansatz rückt stärker als andere Lösungsansätze die Abhängigkeit der Rechtfertigungsvoraussetzungen vom Schweregrad der Benachteiligung in den Blick. Das führt dazu, dass auch Kundenpräferenzen nicht kategorisch als Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen werden. Ihr Potential, eine Diskriminierung zu rechtfertigen, hängt vielmehr von dem Schweregrad der nachteiligen Auswirkungen und ihrer eigenen Bedeutung ab. dd) Zusammenfassung Anders als die Rechtsprechung scheint das Schrifttum überwiegend von einer (insbesondere hinsichtlich des Merkmals Rasse) diskriminierenden Wirkung von Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild auszugehen, wie die Beiträge von Turner, Bello, und Bandsuch beispielhaft illustrieren. Speziell die Entscheidung Rogers wird insofern kritisch aufgenommen. Die von den Autoren diskutierten zulässigen Ausnahmen erinnern an die bereits zur BFOQ-Ausnahme angesprochenen Fallgruppen: Turner und Bandsuch betonen das hohe Rechtfertigungspotenzial von Sicherheitsinteressen der Kunden, Bello befasst sich mit Authentizitätsinteressen. Sowohl Turner als auch Bello plädieren für eine enge Auslegung der business necessity defense und stehen Kundenvorlieben als Rechtfertigungsgründen eher ablehnend gegenüber. Bandsuch hingegen präsentiert ein Prüfungsraster zur Beurteilung von Kleiderordnungen, das Raum für die Beachtung von Kundenpräferenzen lässt, die die Gesamtabwägung – abhängig von dem Grad der nachteiligen Auswirkungen für die Beschäftigten – zugunsten des Arbeitgebers beeinflussen können. b) Themenkomplex 2: English-Only Rules Der zweite Themenkomplex im Zusammenhang mit der mittelbaren Diskriminierung, der im Schrifttum in einer unüberschaubaren Flut von Beiträgen besprochen wird, betrifft die English-Only Rules.953 Diese Regelun953  Vgl. z. B. allein seit dem Jahr 2000 Ainsworth Seattle Journal for Social Justice 9 (2010), 233 ff.; Colón Yale Law and Policy Review 20 (2002), 227 ff.; Crowe Journal of Corporation Law 30 (2005), 593 ff.; Flores Harvard Latino Law Review 14 (2011), 193 ff.; Hentzen UMKC Law Review 69 (2000), 439 ff.; Hill et al. University of Kansas Law Review 57 (2009), 669 ff.; Jacobsen Journal of Small and Emerging Business Law 5 (2001), 265 ff.; Klaeren University of Cincinnati Law Review 77 (2008), 349 ff.; Leonard Missouri Law Review 72 (2007), 745 ff.; ders. University of Michigan Journal of Law Reform 38 (2004), 57 ff.; Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181 ff.; Lynch Temple Political & Civil Rights Law Review 16 (2006), 65 ff.; McCalips University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 4 (2002), 417 ff.; Meitus Denver University Law Review 84 (2007),



IV. Business necessity defense des Title VII241

gen werfen verschiedene Rechtsfragen auf.954 Besonders kontrovers diskutiert wird die in der Rechtsprechung uneinheitlich beantwortete Frage, ob diese Sprachregelungen benachteiligende Auswirkungen auf Menschen bestimmter nationaler Herkunft haben und damit eine mittelbare Diskriminierung begründen können. Auf die Rechtfertigungsmöglichkeit der business necessity defense wird eher am Rande eingegangen. Im Folgenden sollen einige Gedanken aus dem Schrifttum zur Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen unter Berufung auf Kundenpräferenzen im Kontext der English-Only Rules herausgegriffen werden. Das Schrifttum steht der Implementierung von English-Only Rules im Hinblick auf Kundenpräferenzen ablehnender als die Rechtsprechung gegenüber, wie die Beiträge von Jacobsen und Rodríguez (dazu unter aa]) und Lloyd (dazu unter bb]) zeigen. aa) Jacobsen und Rodríguez Jacobsen und Rodríguez identifizieren jeweils verschiedene Begründungsstränge für die Einführung von English-Only Rules in Unternehmen wie die Gewährleistung von Sicherheit und Effizienz, die Herstellung von Eintracht zwischen Beschäftigten oder die Verbesserung der Kundenzufriedenheit.955 Jacobsen untersucht die spezielle Situation kleinerer Unternehmen und weist darauf hin, dass die Mitarbeiter dort gezwungen seien, (auch physisch) besonders eng zusammenzuarbeiten, sodass eine English-Only Rule große Bedeutung für die Gewährleistung von Sicherheit und Effizienz haben könne.956 Zudem sei es in kleineren Unternehmen oft besonders wichtig, dass die Kunden sich willkommen und nicht eingeschüchtert fühlten. Deshalb sei es beispielsweise im Einzelhandel sinnvoll, im Verkaufsbereich eine allgemeine English-Only Politik durchzusetzen, die Beschäftigte anweist, auch untereinander in Englisch zu kommunizieren.957 Hingegen könne der Arbeitgeber eine Sprachanweisung nicht im Hinblick auf Ängste oder Vorur901 ff.; Pedrioli Harvard Journal on Racial & Ethnic Justice 27 (2011), 97 ff.; Prescott University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 9 (2007), 445 ff.; Robinson University of Pennsylvania Law Review 157 (2009), 1513 ff.; Rodríguez Northwestern University Law Review 100 (2006), 1689; dies. Harvard Civil RightsCivil Liberties Law Review 36 (2001), 133 ff.; Stoter Villanova Law Review 53 (2008), 595 ff.; Thorpe-Lopez California Western International Law Journal 38 (2007), 217 ff.; Weeden Nevada Law Journal 7 (2007), 947 ff. 954  Vgl. Colón Yale Law and Policy Review 20 (2002), 227, 230 ff. 955  Jacobsen Journal of Small and Emerging Business Law 5 (2001), 265, 278 ff.; Rodríguez Northwestern University Law Review 100 (2006), 1689, 1761; vgl. zu den Motiven Arbeitsplatzharmonie/Sicherheit auch Crowe Journal of Corporation Law 30 (2005), 593, 604 ff. 956  Jacobsen Journal of Small and Emerging Business Law 5 (2001), 265, 277. 957  Jacobsen Journal of Small and Emerging Business Law 5 (2001), 265, 282.

242

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

teile der Kunden erteilen. Die Berufung auf Kundenpräferenzen allein sei selbst in kleinen Unternehmen nicht ausreichend, um eine Rechtfertigung zu begründen.958 Vielmehr müssten andere Gründe wie die Gewährleistung einer effektiven Überwachung der Beschäftigten und die Herstellung von Harmonie zwischen den Beschäftigten, die in kleinen Unternehmen besonders wichtig sei, hinzukommen.959 Zur Beurteilung der Voraussetzungen einer business necessity defense für English-Only Regelungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen betrachtet Rodríguez das Gewicht der zugrunde liegenden Interessen. Aus der Perspektive des Arbeitgebers stehe das Interesse im Mittelpunkt, einen sicheren Raum für die Kunden zu schaffen, in dem sie nicht Sprachen ausgesetzt sind, die sie nicht verstehen.960 Zu bedenken sei aber auch, dass der Arbeitgeber bei Unzulässigkeit der English-Only Regelungen nicht Gefahr liefe, Kunden an Wettbewerber zu verlieren, da auch sie keine English-Only Politik einführen könnten. Zudem sei es in einer multikulturellen Gesellschaft nahezu unmöglich, einen sprachlich abgeschirmten Raum zu schaffen – schließlich würden und könnten die Unternehmen auch ihren Kunden nicht die Kommunikation in Englisch vorschreiben.961 Gleichzeitig hält Rodríguez das Kundeninteresse, vor Unterhaltungen in ihnen nicht verständlichen Sprachen abgeschirmt zu werden oder den Inhalt von Unterhaltungen zu verstehen, an denen sie nicht selbst beteiligt sind, nicht für schützenswert. Zudem weist Rodríguez auch auf folgenden, bereits von Yuracko962 angesprochenen Aspekt hin: Präferenzen seien umso bedeutender, je wichtiger sie für die persönliche Integrität des Kunden und das „menschliche Gedeihen“ seien. Vor Unterhaltungen verschont zu bleiben, die man nicht versteht, sei aber gerade nicht wichtig für das menschliche Gedeihen.963 Demgegenüber bestehe in einer multikulturellen Gesellschaft ein starkes gesellschaftliches Interesse daran, dass Kunden der demographischen Vielfalt mit einem gewissen Maß an Toleranz begegneten.964 Zu der Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen folgert sie deshalb: „[L]anguage regulation in response to customer preferences will almost never be legitimate, unless the regulation is of the primary, transactional interaction between the customer and the service provider.“965 958  Jacobsen

Journal of Small and Emerging Business Law 5 (2001), 265, 283. Jacobsen Journal of Small and Emerging Business Law 5 (2001), 265, 279 f., 283 f. 960  Rodríguez Northwestern University Law Review 100 (2006), 1689, 1769. 961  Rodríguez Northwestern University Law Review 100 (2006), 1689, 1769. 962  Yuracko California Law Review 92 (2004), 153, 191; siehe dazu bereits unter C. III. 4. b) aa) (2). 963  Rodríguez Northwestern University Law Review 100 (2006), 1689, 1769 f. 964  Rodríguez Northwestern University Law Review 100 (2006), 1689, 1770. 965  Rodríguez Northwestern University Law Review 100 (2006), 1689, 1770. 959  Vgl.



IV. Business necessity defense des Title VII243

Zulässig sein sollen Sprachanweisungen demgegenüber, wenn sie unmittelbar der Effizienz oder Sicherheit dienten. bb) Lloyd Mit English-Only Regelungen und ihrer Rechtfertigung im Bereich des Profisports beschäftigt sich Lloyd.966 Den Anknüpfungspunkt für seinen Beitrag bildet eine von der Ladies Professional Golf Association (LPGA), der US-amerikanischen Organisation für Profigolferinnen, erwogene Sprachpolitik. Danach sollten alle Spielerinnen – unter Androhung der Sperrung im Falle des Verstoßes – in Interviews mit den Medien, bei ihrer Siegesrede sowie in der Kommunikation mit Spielpartnern während der Turniere Englisch reden.967 Dadurch wollte die LPGA die Vermarktungsfähigkeit der aus vielen verschiedenen Nationen stammenden Spielerinnen erhöhen, im Jahr 2009 spielten Golferinnen aus 26 Ländern in der LPGA.968 Diese Begründung beruht auf der Kundenpräferenzlogik: Die LPGA zielt darauf ab, die Kommunikation zwischen Spielerinnen und den Medien, Zuschauern sowie Sponsoren – also den verschiedenen Kundengruppen – zu fördern.969 Unter der Annahme, dass es sich bei dem Verhältnis zwischen Spielerinnen und LPGA um ein Arbeitsverhältnis handelt und der Schutz von Title VII greift,970 untersucht Lloyd die Zulässigkeit dieser English-Only Regelung und das Vorliegen der Voraussetzungen einer business necessity defense. In Bezug auf mögliche Rechtfertigungsstrategien der LPGA für deren English-Only Regelung hält Lloyd die Berufung auf Kundenpräferenzen für das zentrale und stärkste Argument der LPGA.971 Aus Sicht der LPGA böte sich eine Analogie zu den Fällen Sephora972 und Jurado973 an: In Sephora bejahte der U.S. District Court for the Southern District of New York die Rechtfertigungsvoraussetzungen für eine unter Berufung auf Kundenpräferenzen implementierte English-Only Regelung einer Drogeriekette für im Verkaufsbereich tätige Beschäftigte; in Jurado hielt der U.S. Court of Ap966  Lloyd 967  Lloyd

Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181 ff. Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 182 f.

m. w. N. 968  Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 182 f., 206 f. 969  Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 208. 970  Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 185 ff. 971  Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 208. 972  EEOC v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408 ff. (S.D.N.Y. 2005); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. IV. 3. b) cc). 973  Jurado v. Eleven-Fifty Corporation 813 F.2d 1406 ff. (9th Cir. 1987); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. IV. 3. b) bb).

244

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

peals for the Ninth Circuit die im Hinblick auf Hörerpräferenzen gegebene Weisung an einen Radiomoderator, während der Sendung nur English zu reden, für zulässig. Zwar befänden sich die Golfspielerinnen, die bei einem der von der LPGA ausgerichteten Turniere spielten und beispielsweise mit den Medien sprächen, in einer den Verkäufern im Einzelhandel vergleichbaren Situation, beide müssten im Rahmen ihrer Arbeit mit Kunden umgehen.974 Zudem könnte man die Situation der Spielerinnen auch mit der des Radiomoderators vergleichen, wie die Radiohörer in dem besagten Fall hätten auch die Zuschauer, Sponsoren und Medien in Bezug auf die Golfspielerinnen den Wunsch, die Spielerinnen Englisch sprechen zu hören.975 Doch gebe es entscheidende Unterschiede insbesondere zwischen den Verkäufern in dem Fall Sephora und den Golferinnen.976 Die Interaktion mit Kunden sei zentrale Aufgabe des Verkaufspersonals von Sephora. Demgegenüber sei es sehr zweifelhaft, den Umgang mit Medienpartnern, Sponsoren und Zuschauern als wesentlichen Bestandteil des Berufs einer professionellen Golferin zu anzusehen.977 Die Arbeitsleistung eines Golfers beruhe allein auf der Fähigkeit, Golf zu spielen und werde nicht nach den englischen Sprachkenntnissen beurteilt. Die Vermarktung der Golfturniere sei nicht wesentliche Aufgabe eines Profigolfers.978 Daher seien die Kundenpräferenzen für Englisch sprechende Golferinnen eher mit denen der Kunden im Fall Bradley979 vergleichbar,980 dort bevorzugten die Kunden eines Pizzalieferservices Lieferanten ohne Bart. Nach Auffassung des U.S. Court of Appeals for the Eighth Circuit bestand kein Bezug dieser Präferenz zu der Fähigkeit, Pizza zu liefern, sodass die Kundenpräferenzen nicht als Rechtfertigungsgrund dienen konnten. Ähnlich verhalte es sich laut Lloyd auch mit den Präferenzen der Kunden der LPGA, sodass er die Sprachanweisung der LPGA im Ergebnis für nicht gerechtfertigt hält.981 Lloyds Beitrag beleuchtet das Feld des Profisports und schärft das Bewusstsein dafür, inwiefern Kundenpräferenzen dort zu Diskriminierungen führen können. Er verdeutlicht, dass es zentral darauf ankommt, inwiefern die Vermarktung Teil des Berufes ist. Dies führt zu der Frage, ob es Sportarten gibt, die so stark kommerzialisiert sind, dass die Vermarktung des 974  Lloyd

Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 208. Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 208. 976  Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 211. 977  Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 212. 978  Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 212 f. 979  Bradley v. Pizzaco of Nebraska, Inc. 7 F.3d 795 ff. (8th Cir. 1993); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. IV. 3. a) aa) (3). 980  Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 212 f. 981  Lloyd Virginia Sports and Entertainment Law Journal 9 (2009), 181, 216. 975  Lloyd



IV. Business necessity defense des Title VII245

Sports als wesentliche Aufgabe des Sportlers angesehen werden kann. Diese Problematik kann nicht nur im Zusammenhang mit Sprachregelungen, sondern auch mit Bekleidungsvorschriften in einigen Sportarten auftreten. Ein Beispiel hierfür sind die im Sinne der besseren Vermarktung erlassenen, mittlerweile reformierten Bekleidungsvorschriften im Frauenbeachvolleyball, die den Sportlerinnen knappe Bikinis vorschrieben.982 Sie bargen die Gefahr einer Diskriminierung z. B. von Spielerinnen, denen wegen der freizügigen Kleidungsvorschriften eine Teilnahme an den Turnieren aus religiösen Gründen nicht möglich war. Nach alledem lenkt Lloyds Beitrag die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Bereich, in dem Kundenpräferenzen als Rechtfertigung für eine Sprach- oder auch Bekleidungsregelung praktisch relevant werden können und illustriert damit einmal mehr die Facettenvielfalt, in der die Kundenpräferenzproblematik auftreten kann. cc) Zusammenfassung Die drei zu der business necessity defense im Kontext der English-Only Regelungen betrachteten Beiträge verdeutlichen allesamt die große Bedeutung, die der genauen Analyse der Arbeitsaufgaben des Beschäftigten, für den die Sprachregelung gelten soll, in dem konkreten betrieblichen Kontext zukommt. Sowohl Jacobsen als auch Rodríguez untersuchen verschiedene Begründungsstränge für die Rechtfertigung einer English-Only Regelung. Beide halten eine Sprachregelung vor allem dann für gerechtfertigt, wenn sie im Hinblick auf die Sicherheit oder die Effizienz erforderlich ist. Jacobsen weist auf die spezielle Situation kleiner Unternehmen hin, in denen ein enges Kundenverhältnis von besonders großer Bedeutung sei. Es sei ein legitimes Anliegen der Unternehmen, die Einschüchterung von Kunden durch Unterhaltungen, die sie nicht verstehen, zu vermeiden. Rodríguez kommt hingegen zu dem Schluss, dass das Kundeninteresse an der Abschirmung vor nicht verständlichen Unterhaltungen als nicht sehr gewichtig einzustufen sei und eine English-Only Politik nicht rechtfertigen könne. Lloyd scheint zwar grundsätzlich mit der Rechtsprechung zu Sprachregelungen und Kundenpräferenzen einverstanden zu sein: Danach können Kundenvorlieben durchaus eine English-Only Regelung rechtfertigen. Dies hänge aber, wie Lloyd unterstreicht, stark von dem konkreten Beruf ab. Sei der Umgang mit Kunden – wie bei Profigolferinnen – nicht zentraler Bestandteil der Arbeitsaufgabe, dann könnten Kundenwünsche keinen zulässigen Rechtfertigungsgrund für eine Sprachregelung begründen. 982  Vgl. dazu Hannemann Welt Online vom 22.03.2012, abrufbar unter http:// www.welt.de/sport/olympia/article13939167/Aesthtetik-der-Frauenkoerper-locktzum-Beachvolleyball.html (Abruf vom 26.07.2015).

246

C. Kundenpräferenzen im US-amerikanischen Recht

c) Ergebnis zum Schrifttum bezüglich der business necessity defense Bezüglich der Problemkreise „Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild des Beschäftigten“ und „English-Only Rules“ und ihrer Zulässigkeit im Hinblick auf Kundenwünsche ist das Schrifttum restriktiver als die Rechtsprechung. Eine benachteiligende Wirkung für bestimmte Merkmalsträger (vor allem: Menschen bestimmter ethnischer Herkunft oder Nationalität) wird regelmäßig bejaht. Die Rechtfertigungsmöglichkeit der business necessity defense wird eng ausgelegt. Im Hinblick auf Kundenpräferenzen wird sie tendenziell eher bejaht, wenn ein Sicherheits- oder Authentizitätsinteresse der Kunden berührt ist oder die zu beurteilende Arbeitgebermaßnahme der Effizienz dient. Verneint werden soll eine Rechtfertigung hingegen, wenn die Kundenpräferenzen Ausdruck von Vorurteilen oder Ängsten vor dem Unbekannten und Anderen sind, wobei in der Literatur stärker als in der Rechtsprechung auf die große Bedeutung von Toleranz und Vielfalt in einer multikulturellen Gesellschaft hingewiesen wird.

V. Zusammenfassung der Ergebnisse des Blicks in das US-amerikanische Recht Ziel des Blicks in das US-amerikanische Recht war die Identifikation von Problemkreisen der Diskriminierungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen, die Ortung von Fallgruppen sowie das Aufzeigen von Argumenten und Lösungsansätzen, die als Inspirationsquelle für den Umgang mit der Problematik nach deutschem Recht dienen können. Vor diesem Hintergrund lassen sich folgende wesentliche Erkenntnisse zusammenfassen: 1. Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen Die Kundenpräferenzproblematik wird bei der Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen besonders umfassend im Zusammenhang mit Geschlechtsdiskriminierungen diskutiert. Zur Prüfung der Rechtfertigungsvoraussetzungen haben die Gerichte einen mehrstufigen Test entwickelt. In dessen Zentrum steht die Frage nach der wesentlichen Funktion bzw. primären Aufgabe eines Unternehmens (essence of the business). In der Rechtsprechungspraxis haben sich drei Fallgruppen herausgebildet, denen sich die als zulässig anerkannten Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot zuordnen lassen: sie beruhen regelmäßig auf einem Authentizitäts-, Privatsphäre- oder Sicherheitsinteresse der Kunden. Besonders umfangreich, zum Teil jedoch inkonsistent ist die Rechtsprechung zu Ungleichbehandlungen im Hinblick auf die Privatsphäre der Kunden.



V. Zusammenfassung 247

Bei der Betrachtung der Rechtsprechung und der Beiträge aus dem Schrifttum kristallisieren sich fünf Problemkreise heraus: (1) Wie ermittelt man die essence of the business? (2) Inwieweit dürfen Unternehmen gezielt Sex-Appeal dazu einsetzen, ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen? (3) Inwieweit können Privatsphäreinteressen der Kunden Benachteiligungen rechtfertigen? (4) Bedürfen Fälle mit Auslandsberührung einer Sonderbehandlung? (5) In welchen Fällen ist eine Rechtfertigung unmittelbarer Rassendiskriminierungen legitim? Die Identifikation verschiedener Fallgruppen und Problemkreise sowie die hierzu formulierten Argumente und Lösungsansätze bilden einen Fundus, auf den bei dem Entwurf eines deutschen Lösungsmodells zurückgegriffen werden kann. Ein besonders interessanter Ideengeber ist zudem das Lösungsmodell von Cantor, die zur Ermittlung der wesentlichen Aufgabe eines Unternehmens Methoden aus dem Kartellrecht und der Volkswirtschaftslehre heranzieht. 2. Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen Im Zusammenhang der Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen kristallisieren sich zwei Problemkreise heraus, in denen die Kundenpräferenzproblematik eine Rolle spielt: bei Diskriminierungen auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes und bei der Einführung bestimmter Sprachregelungen, sogenannter English-Only Rules. Sowohl die Betrachtung der Rechtsprechung als auch ihre Rezeption in der Literatur verdeutlichen, dass die Beachtlichkeit von Kundenpräferenzen sehr stark von der Art des Unternehmens, dem Produkt und der konkreten Arbeitsaufgabe, vor allem dem Ausmaß des Kundenkontaktes des Beschäftigten abhängt. Dabei soll die Berufung auf Kundenpräferenzen zur Rechtfertigung einer mittelbar diskriminierenden Praxis zuvorderst dann erfolgreich sein, wenn die Präferenzen einen ausreichend starken Bezug zur sicheren, authentischen und effizienten Erbringung der Arbeitsleistung haben. Stärker als die Rechtsprechung plädieren Stimmen aus dem Schrifttum für eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers zu Gunsten der Vielfalt am Arbeitsplatz. Besonders bemerkenswert ist der ganzheitliche Lösungsansatz von Bandsuch, der zunächst eine Bewertung der nachteiligen Auswirkungen einer Maßnahme und dann eine Bewertung des Rechtfertigungsgrundes des Arbeitgebers vornimmt. Die Definition zu beachtender Abwägungskriterien und die Bemessung mit Punktewerten sind ein Mittel, die Transparenz und die Berechenbarkeit des Ergebnisses der in Diskriminierungsfällen vorzunehmenden Interessenabwägung zu erhöhen.

D. Europarechtliche Vorgaben Nach deutschem Recht bemisst sich die Zulässigkeit der Benachteiligungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen an den Regelungen der §§ 8 Abs. 1, 10 S. 1 und 2 sowie 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG.1 Das AGG ist ein Implementierungsgesetz,2 dem vier europäische Richtlinien zugrunde liegen. Die Richtlinien enthalten bindende Vorgaben für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts durch die deutschen Gerichte.3 Insofern sind die für die Kundenpräferenzproblematik relevanten Rechtfertigungsbestimmungen des AGG als nationales Transformationsrecht, soweit irgend möglich,4 im Sinne der zugrunde liegenden EU-Richtlinien auszulegen.5 Deshalb bildet die Herausarbeitung der europäischen Vorgaben speziell im Hinblick auf die Rechtfertigungsregelungen für Diskriminierungen die Voraussetzung für die Analyse der Kundenpräferenzproblematik nach deutschem Recht. Zunächst soll in einem Grundlagenabschnitt ein Überblick über die Richtlinien und die für die Kundenpräferenzproblematik entscheidenden europäischen Vorschriften gegeben werden (dazu unter I.). Die Natur dieser Vorschriften als Generalklauseln gibt die weitere Struktur dieses Kapitels vor, die deshalb nach einer ersten Betrachtung der Generalklauseln vorgestellt und erläutert werden soll (dazu unter I. 3.).

1  Siehe

dazu bereits unter B. III. 2. b) cc). Einl. AGG Rn. 69. 3  Bauer/Krieger Einl. AGG Rn. 45; Meinel/Heyn/Herms Einl. AGG Rn. 37. 4  Vgl. zu den Grenzen richtlinienkonformer Auslegung EuGH 08.10.1987 (Kolpinghuis Nijmegen)  – C-80/86 juris Rn. 13; EuGH 04.07.2006 (Adeneler) NZA 2006, 909, 911; EuGH 15.04.2008 (Impact) NZA 2008, 581, 586 f. sowie in entsprechender Anwendung auf Rahmenbeschlüsse EuGH 16.06.2005 (Pupino) EuZW 2005, 433, 435. Für umfassende Nachweise zur mitgliedstaatlichen Rechtsprechung vgl. Calliess/Ruffert-Ruffert Art. 288 AEUV Rn. 77 Fn. 287. Vgl. zu den Grenzen richtlinienkonformer Auslegung zudem Jarass EuR 1991, 211, 217 ff. 5  Vgl. Adomeit/Mohr RdA 2011, 102 (103); Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 77 ff. mit umfassenden Nachweisen zur Rspr.; Lenz/Borchardt-Hetmeier Art. 288 AEUV Rn. 12; Lutter JZ 1992, 593, 604; Meinel/Heyn/Herms Einl. AGG Rn. 16 m. w. N. zur Rspr. 2  Schiek-Schiek



I. Grundlagen249

I. Grundlagen 1. EU-Richtlinien Für den Bereich des Arbeitsrechts dient das AGG der Umsetzung dreier Richtlinien, und zwar der AntirassismusRL6, der BeschäftiggsRL7 und der GenderRL8. Zudem setzt das AGG außerhalb des Arbeitsrechts für den Zivilrechtsverkehr die GenderZivRL9 um. Im Mittelpunkt der Untersuchung der europarechtlichen Vorgaben sollen die drei Richtlinien stehen, die die arbeitsrechtlichen Regelungen des AGG determinieren. Die AntirassismusRL enthält Regelungen über Diskriminierungen auf Grund der Rasse oder der ethnischen Herkunft.10 Die BeschäftiggsRL11 bezweckt den Schutz vor Benachteiligungen auf Grund der Merkmale Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung12 und die GenderRL13 regelt geschlechtsspezifische Benachteiligungen. Die GenderZivRL schließlich weitet den zivilrechtlichen Schutz vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts über das Arbeitsrecht hinaus auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen aus. Dies deutet bereits darauf hin, dass die Richtlinien hinsichtlich der 6  Richtlinie

2000/43/EG, siehe dazu bereits unter A. in Fn. 13. 2000/78/EG, siehe dazu bereits unter A. in Fn. 14. 8  Richtlinie 2002/73/EG, siehe dazu bereits unter A. in Fn. 15. 9  Richtlinie 2004/113/EG, siehe dazu bereits unter A. in Fn. 17. 10  Instruktiv dazu vgl. Guild Industrial Law Journal 29 (2000), 416 ff.; Mahlmann ZEuS 2002, 407 ff.; Nickel NJW 2001, 2668 ff.; Schiek AuR 2003, 44 ff. sowie Waas ZIP 2000, 2151 ff. 11  Überblicksartig dazu Skidmore Industrial Law Journal 30 (2001), 126 ff.; monografisch vgl. Kummer Antidiskriminierungsrichtlinie (RL 2000/78/EG) (2003), passim. 12  Leicht abweichend wird im AGG der Begriff der „sexuellen Identität“ verwendet. Damit wollte der Gesetzgeber an die bereits zur Umsetzung der BeschäftiggsRL in § 75 BetrVG erfolgte Wortwahl anknüpfen, vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 31. In der Begründung der Gesetzesänderung des § 75 BetrVG heißt es schlicht, dass die Einfügung des Begriffs der „sexuellen Identität“ in § 75 BetrVG der Umsetzung des Diskriminierungsverbots aufgrund der sexuellen Ausrichtung in der BeschäftiggsRL diene, vgl. BT-Drs. 14/5741, S. 45. Vor diesem Hintergrund ist mit dem überwiegenden Schrifttum davon auszugehen, dass die Begriffe der sexuellen „Ausrichtung“ und „Identität“ gleichbedeutend sind, so auch Meinel/Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 29; Nollert-Borasio/Perreng § 1 AGG Rn. 41; MüKo-Thüsing § 1 AGG Rn. 89; wohl auch Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 49 und Schleusener/Suckow/VoigtSchleusener § 1 AGG Rn. 73 f. Den Begriff der „Identität“ indes für weiter haltend Annuß BB 2006, 1629, 1630 f., kritisch dazu Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 88. 13  Einführend dazu Hadeler NZA 2003, 77 f. sowie Rust NZA 2003, 72 ff. 7  Richtlinie

250

D. Europarechtliche Vorgaben

Reichweite der Diskriminierungsverbote differieren:14 Am weitesten reicht der Schutz vor Benachteiligungen auf Grund der Rasse oder ethnischen Herkunft. Er bezieht sich nicht nur auf den Bereich der Beschäftigung und des Berufs, sondern gilt darüber hinaus für die Bereiche des Sozialschutzes bzw. sozialer Vergünstigungen, der Bildung und des Zugangs sowie der Versorgung mit öffentlich zur Verfügung stehenden Gütern und Dienstleistungen. An zweiter Stelle folgt das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts, das sich auf die Bereiche der Beschäftigung und des Berufs sowie auf die Versorgung der Öffentlichkeit mit Gütern und Dienstleistungen erstreckt. Am geringsten ausgeprägt ist der Schutz vor Diskriminierungen wegen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, er bezieht sich nur auf den Bereich der Beschäftigung und des Berufs. 2. Wesentliche Vorschriften a) Diskriminierungsverbote Im Zentrum der Richtlinien stehen die Diskriminierungsverbote15 auf Grund der verschiedenen Merkmale. Diese sind – nahezu wortgleich – jeweils in Art. 2 der betreffenden Richtlinien enthalten.16 Exemplarisch heißt es in Art. 2 AntirassismusRL:17 „(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet „Gleichbehandlungsgrundsatz“, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft geben darf. (2)  Im Sinne von Absatz 1 a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person aufgrund ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft in einer vergleichbaren Situation eine weniger 14  Annuß

BB 2006, 1629; Fredman Industrial Law Journal 30 (2001), 145, 151. als in den Richtlinien wird im AGG nicht der Begriff der „Diskriminierungs-“, sondern der „Benachteiligungsverbote“ verwendet. Dadurch möchte der deutsche Gesetzgeber deutlich machen, dass nicht jede unterschiedliche Behandlung, die mit der Zufügung eines Nachteils verbunden ist, diskriminierenden Charakter hat, vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 30. Unter „Diskriminierung“ werde nämlich im allgemeinen Sprachgebrauch nur die rechtswidrige, sozial verwerfliche Ungleichbehandlung verstanden. Da die §§ 5, 8 bis 10 und 20 AGG zeigten, dass es auch Fälle der zulässigen unterschiedlichen Behandlung gebe, zieht der deutsche Gesetzgeber den Benachteiligungsbegriff vor, vgl. dazu Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert § 3 AGG Rn. 7 ff. sowie Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 31. 16  Baer ZESAR 2004, 204, 205. 17  Entsprechende Regelungen finden sich in Art. 2 BeschäftiggsRL (Religion oder der Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Ausrichtung) sowie in Art. 2 GenderRL (Geschlecht), nunmehr Art. 2, 14 GenderNeuRL. 15  Anders



I. Grundlagen251 günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde; b) liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“

Damit definieren und verbieten die Richtlinien ausdrücklich die unmittelbare sowie die mittelbare Diskriminierung.18 b) Rechtfertigungsmöglichkeiten Sowohl in Bezug auf die unmittelbare als auch in Bezug auf die mittelbare Diskriminierung lassen die Richtlinien bestimmte Ausnahmen zu, sodass die Möglichkeit einer Rechtfertigung besteht. Im Fokus sollen diejenigen Bestimmungen stehen, die durch die für die Kundenpräferenzfrage einschlägigen §§ 8 Abs. 1, 10 S. 1 und 2 sowie 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG umgesetzt werden. aa) Durch § 8 Abs. 1 AGG umgesetzte Regelungen § 8 Abs. 1 AGG dient der Umsetzung der Art. 4 AntirassismusRL, Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 6 GenderRL (nunmehr Art. 14 Abs. 2 GenderNeuRL). Diese Richtlinienregelungen ermöglichen jeweils eine Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen wegen beruflicher Anforderungen. So heißt es in Art. 4 AntirassismusRL: „Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung aufgrund eines mit der Rasse oder der ethnischen Herkunft zusammenhängenden Merkmals keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt und sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.“

Wie bereits bei dem Diskriminierungsverbot sind auch bezüglich der Ausnahme der beruflichen Anforderungen in den anderen beiden Richtlinien nahezu wortgleiche Bestimmungen enthalten. 18  Darüber hinaus werden die Benachteiligungsformen der (sexuellen) Belästigung sowie der Anweisung zur Diskriminierung definiert und untersagt, vgl. Art. 2 Abs. 3, 4 AntirassismusRL; Art. 2 Abs. 3, 4 BeschäftiggsRL; Art. 2 Abs. 2–4 GenderRL (nunmehr Art. 2 Abs. 1c) und d) sowie Abs. 2a) und b) i. V. m. Art. 14 Abs. 1 GenderNeuRL).

252

D. Europarechtliche Vorgaben

bb) Durch § 10 S. 1 und 2 AGG umgesetzte Regelung Dem besonderen Rechtfertigungsgrund für Benachteiligungen auf Grund des Alters in § 10 S. 1 und 2 AGG liegt die Regelung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 BeschäftiggsRL zugrunde. Diese lautet: „Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.“

Art. 6 Abs. 1 S. 2 BeschäftiggsRL enthält drei Regelbeispiele („insbesondere“) zur Präzisierung der Ausnahmeregelung des S. 1.19 Danach soll erstens die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungsund Arbeitsbedingungen zulässig sein, wenn sie darauf abzielen, die berufliche Eingliederung von „Problemgruppen“20 (Jugendliche, ältere Beschäftigte und Personen mit Fürsorgepflichten) zu fördern oder ihren Schutz ­sicherzustellen. Das zweite Regelbeispiel betrifft die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile. Drittens schließlich soll die Festsetzung eines Höchst­ alters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand zulässig sein. Ausdrücklich erwähnt sind Kundenpräferenzen in keiner der drei genannten Fallgestaltungen. Lediglich unter das zweite Regelbeispiel – die Festsetzung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter – ließen sich bestimmte Fälle der Ungleichbehandlung im Hinblick auf Kundenpräferenzen subsumieren.21 Indes sind auch für die Regelbeispiele in jedem Einzelfall die Legitimität des mit der Maßnahme verbundenen Ziels sowie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 BeschäftiggsRL zu prüfen.22 Für die Frage der Zuläs19  Vgl. dazu König ZESAR 2005, 218, 220; Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 22, 26 f. sowie Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 85 ff. 20  König ZESAR 2005, 218, 220. 21  Vgl. von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 249 (in Bezug auf § 10 S. 3 Nr. 2 AGG). 22  Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 85; vgl. auch König ZESAR 2005, 218, 220; Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 22, 26 sowie in Bezug auf § 10 S. 3 Nr. 2 AGG von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 249.



I. Grundlagen253

sigkeit einer Altersdiskriminierung im Hinblick auf Kundenpräferenzen kommt es demnach entscheidend auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Generalklausel des Art. 6 Abs. 1 S. 1 BeschäftiggsRL an. cc) Durch § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG umgesetzte Regelungen § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG regelt den tatbestandlichen Ausschluss einer mittelbaren Benachteiligung bei Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung. Damit werden die Regelungen der Art. 2 Abs. 2 b) AntirassismusRL, Art. 2 Abs. 2 b) i) BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 2 2. Spiegelstrich GenderRL (nunmehr Art. 2 Abs. 1 b) GenderNeuRL) umgesetzt, die wiederum die langjährige EuGH-Rechtsprechung zur mittelbaren Diskriminierung kodifizieren.23 Eine mittelbare Diskriminierung durch dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, soll gemäß Art. 2 Abs. 2 b) AntirassismusRL dann nicht vorliegen, wenn „die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren […] durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich [sind].“

Diese Rechtfertigungsmöglichkeit auf Tatbestandsebene ist wiederum in den anderen Richtlinien nahezu wortgleich formuliert. dd) Weitere Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot Neben diesen Rechtfertigungsmöglichkeiten, die den für die Kundenpräferenzproblematik relevanten AGG-Bestimmungen zugrunde liegen, sehen die Richtlinien eine Reihe weiterer Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot vor.24 Zu nennen ist hier insbesondere Art. 4 Abs. 2 BeschäftiggsRL. Diese Bestimmung betrifft das Merkmal Religion und Weltanschauung und trägt der besonderen Stellung der Kirchen Rechnung,25 auf ihr basiert die Regelung des § 9 AGG.

23  Kuras

RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 11, 13 m. w. N. zur Rspr. einen guten Überblick dazu vgl. Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 22, 26 f.; Schiek NZA 2004, 873, 876 f. sowie Wank NZA 2004 Sonderbeilage zu Heft 22, 16, 22 ff. 25  Deinert EuZA 2009, 332, 333; Schiek NZA 2004, 873, 876. 24  Für

254

D. Europarechtliche Vorgaben

Darüber hinaus gestattet Art. 3 Abs. 4 BeschäftiggsRL den Mitgliedstaaten, ihre Streitkräfte gänzlich vom Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung oder des Alters auszunehmen. Ebenfalls in der BeschäftiggsRL ist eine weitere Ausnahme vom Diskriminierungsverbot enthalten, die sich auf alle von der Richtlinie betroffenen Merkmale (Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung) bezieht: Laut Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL steht diese Richtlinie solchen Maßnahmen nicht entgegen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zum Gesundheitsschutz und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.26 Für die Merkmale Geschlecht und Rasse oder ethnische Herkunft finden sich indes keine entsprechenden Vorschriften in der GenderRL und in der AntirassismusRL.27 Demgegenüber enthalten die Richtlinien für alle Merkmale – also auch Geschlecht und Rasse bzw. ethnische Herkunft – Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot im Falle positiver Maßnahmen, Art. 5 AntirassismusRL, Art. 7 BeschäftiggsRL, Art. 2 Abs. 8 GenderRL (nunmehr Art. 3 Gender­ NeuRL).28 Demzufolge dürfen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die volle Gewährleistung der Gleichstellung spezifische Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Ausgleich einer Diskriminierung wegen eines der geschützten Merkmale beibehalten oder einführen. 3. Problematik der Generalklauseln und Folgerungen für die weitere Struktur dieses Kapitels Dieser erste Blick auf den Inhalt der für die Kundenpräferenzfrage relevanten Richtlinienregelungen offenbart, dass die Vorgaben des europäischen Gesetzgebers von hohem Abstraktionsgrad sind.29 Insofern kritisiert Thüsing die nur vage Konturierung der Rechtfertigungsgründe in den Richtlinien als einen der größten Schwachpunkte des europäischen Diskriminierungsschutzes.30 Auch andere Stimmen aus dem Schrifttum konstatieren einen „lack of definitions for key terms“31 und bezeichnen die in allen Richtlinien vorge26  Vgl. dazu König ZESAR 2005, 218, 220, die von der „Ordre public“-Ausnahme spricht; Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 22, 26; Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 82. 27  Defeis Georgia Journal of International and Comparative Law 32 (2004), 73, 92. 28  Vgl. dazu monografisch Burg Positive Maßnahmen (2009), passim. 29  Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 75. 30  Thüsing ZfA 2001, 397, 417; ders. International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2003, 187, 217. 31  Skidmore Industrial Law Journal 30 (2001), 126, 132.



I. Grundlagen255

sehene Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen als „ambivalent“32 bzw. als „politische Kompromissformel, deren sprachliche Stringenz niemanden wirklich interessierte“33. Vor diesem Hintergrund wird immer wieder auf die besondere Bedeutung der Rechtsprechung bei der Konkretisierung der Generalklauseln – speziell auch in Bezug auf die Frage der Kundenpräferenzen34 – hingewiesen.35 Diese ist umso größer, da auch der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung der Regelungen auf Generalklauseln zurückgegriffen und keine wesentliche Konkretisierung der Ausnahmeregelungen vorgenommen hat, obwohl im Schrifttum zum Teil vor einer generalklauselartigen Übernahme des Richtlinientextes gewarnt und die Wahrnehmung der Gestaltungsaufgabe durch den Gesetzgeber selbst gefordert wurde.36 In Anbetracht der Vorbildfunktion des US-amerikanischen Rechts bei dem Entwurf der Richtlinien37 prophezeit Thüsing die Orientierung europäischer und deutscher Rechtsprechung an US-amerikanischen Gerichtsentscheidungen.38 Die Verwendung von abstrakten Generalklauseln führt zu der Schwierigkeit, konkrete Vorgaben des europäischen Gesetzgebers für die Frage der Diskriminierungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen abzuleiten. Den Schlüssel zu einem besseren Verständnis der Richtlinienbestimmungen bildet die Betrachtung des geschichtlichen Hintergrundes (dazu unter II.) und der programmatischen Ausrichtung (dazu unter III.) der Richtlinien,39 da „nur der Grund einer Regelung zuverlässig Aufschluss über deren Grenzen geben kann“40. Dieser Aspekt ist im Hinblick auf die in allen einschlägigen Rechtfertigungsbestimmungen vorausgesetzte Verhältnismäßigkeitsprüfung besonders wichtig. Deren Ergebnis wird von den Werten, Prinzipien und fundamentalen Zielen der Rechtsordnung determi32  Baer

ZESAR 2004, 204, 206. ZfA 2006, 479, 483. 34  Seifert German Law Journal 4 (2003), 559, 568. 35  Kuras RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 11, 12; Skidmore Industrial Law Journal 30 (2001), 126, 132; Thüsing ZfA 2006, 241, 243, 254. Siehe dazu außerdem Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 376 m. w. N., der den Richter als „wahren Herrn des Diskriminierungsrechts“ bezeichnet. 36  So in Bezug auf Art. 6 BeschäftiggsRL Waltermann NZA 2005, 1065, 1067 f.; vgl. auch Defeis Georgia Journal of International and Comparative Law 32 (2004), 73, 92. 37  Defeis Georgia Journal of International and Comparative Law 32 (2004), 73, 82. 38  Thüsing ZfA 2006, 241, 243 f. 39  Vgl. Baer ZESAR 2004, 204, 205; Högenauer Richtlinien gegen Diskriminierung (2002), S. 29; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 41. 40  Lobinger EuZA 2009, 365, 374. 33  Däubler

256

D. Europarechtliche Vorgaben

niert, in der sie vorgenommen wird.41 Auch die Rechtsprechung des EuGH ist bei der Auslegung der Richtlinienbestimmungen zu berücksichtigen. Deshalb lohnt ein Blick auf EuGH-Fälle, in denen eine Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen im Raum stand. Diese Fälle werden zunächst im Zusammenhang dargestellt (dazu unter IV.). Anschließend werden die durch die Rechtfertigungsregelungen auf europäischer Ebene gesetzten Grenzen der Rechtfertigungsvoraussetzungen durch Auslegung ermittelt (dazu unter V.). Dabei kann zum einen auf die Erkenntnisse aus den dargestellten ­EuGH-Entscheidungen zurückgegriffen werden, zum anderen wird weitere EuGH-Rechtsprechung berücksichtigt, die zwar keinen konkreten Bezug zu Kundenpräferenzen aufweist, jedoch Aussagen zur Konkretisierung der Rechtfertigungsvoraussetzungen enthält.

II. Geschichtlicher Hintergrund der Richtlinien 1. Ursprung: Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung Der europäische Diskriminierungsschutz, wie er sich heute in Gestalt der Gleichbehandlungsrichtlinien darstellt, findet seinen Ursprung im Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts.42 Ausgangspunkt war der schon in der Urfassung des EWG-Vertrages von 1957 enthaltene Grundsatz der Entgeltgleichheit in Art. 119 EWG, der historisch ersten Antidiskriminierungsnorm auf europäischer Ebene43 (später geregelt in Art. 141 Abs. 1 EG; heute enthalten in Art. 157 Abs. 1 AEUV). Entsprechend dem Charakter der EWG als Wirtschaftsgemeinschaft diente der primärrechtlich verankerte Grundsatz der Lohngleichheit ursprünglich funktional der Verwirklichung des gemeinsamen Marktes, der Schwerpunkt lag folglich auf seiner wettbewerbspolitischen Ausrichtung.44 So ging seine Aufnahme 1957 in den Vertrag auf die Befürchtung insbesondere Frankreichs zurück, Wettbewerbsnachteile zu erleiden, sollte die – damals in Frankreich bereits eingeführte – Regel des gleichen Entgelts für männliche und weibliche Arbeitskräfte bei gleicher Arbeit nicht in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen angewendet werden.45 Barbera Industrial Law Journal 31 (2002), 82, 85. § 10 Rn. 27; MüKo-Thüsing Einl. AGG Rn. 13. Für einen kurzen Überblick über die Entwicklung des europäischen Antidiskriminierungsrechts vgl. auch Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 41 ff. m. w. N. 43  MünchArb-Oetker § 10 Rn. 27; Raasch KJ 2004, 394, 402. 44  Adomeit/Mohr Einl. AGG Rn. 79; Barbera Industrial Law Journal 31 (2002), 82, 85; Calliess/Ruffert-Krebber Art. 157 AEUV Rn. 3; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 26. 45  Grabitz/Hilf/Nettesheim-Langenfeld Art. 157 AEUV Rn. 3; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 26; Schlachter NZA 1995, 393. 41  Vgl.

42  MünchArb-Oetker



II. Geschichtlicher Hintergrund der Richtlinien257

In seiner ersten Grundsatzentscheidung zum heutigen Art. 157 Abs. 1 AEUV Defrenne II46 aus dem Jahr 1976 erkannte der EuGH ausdrücklich an, dass das Gebot der Entgeltgleichheit auch sozialen Zielen diene.47 Unter anderem durch diese Entscheidung wurde die Diskussion um die Lohngleichheit in der damaligen EWG angeregt.48 Dies war der Ausgangspunkt für eine Reihe von Maßnahmen der EWG auf dem Gebiet der Geschlechtergleichbehandlung.49 Hervorzuheben ist der Erlass der Richt­ linie  76 / 207 / EWG50 („GenderVorgRL“), die das Gleichbehandlungsgebot auf den Bereich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung, zum beruflichen Aufstieg sowie auf die Arbeitsbedingungen ausdehnte. In der durch die GenderRL geänderten Fassung bildet sie eine der Grundlagen des AGG. 2. Neue Beschäftigungsvorschriften durch den Vertrag von Amsterdam Bis zum Amsterdamer Vertrag vom 2. Oktober 199751 fehlte auf europäischer Ebene eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Maßnahmen bezüglich der anderen, inzwischen von den Antidiskriminierungsrichtlinien erfassten Diskriminierungsgründe. Dies änderte sich jedoch mit Aufnahme einer Reihe neuer Beschäftigungsvorschriften in dem Vertrag von Amsterdam.52 Zentrale Neuerungen auf dem Gebiet der Gleichbehandlung brachten insbesondere Art. 141 Abs. 3 EG (nunmehr Art. 157 AEUV) und Art. 13 EG (nunmehr Art. 19 AEUV).

46  EuGH

08.04.1976 (Defrenne II) NJW 1976, 2068 ff. Einl. AGG Rn. 26; Schlachter NZA 1995, 393. 48  Grabitz/Hilf/Nettesheim-Langenfeld Art. 157 AEUV Rn. 9. 49  Zu weiteren Maßnahmen auf dem Gebiet der Geschlechtergleichbehandlung in den 70er, 80er und 90er Jahren vgl. Högenauer Richtlinien gegen Diskriminierung (2002), S. 30 f.; Grabitz/Hilf/Nettesheim-Langenfeld Art. 157 AEUV Rn. 9 ff. 50  Richtlinie 207/76/EWG des Rates vom 9.  Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. L 39 vom 14.02.1976, S. 40–42. 51  Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. C 340 vom 10.11.1997, S. 1–144. Für einen Überblick über die dadurch veranlassten wichtigsten Änderungen im Europarecht vgl. Hilf/Pache NJW 1998, 705 ff. 52  Vgl. dazu eingehend Steinmeyer RdA 2001, 10, 12 ff. 47  Schiek-Schiek

258

D. Europarechtliche Vorgaben

a) Art. 141 Abs. 3 EG (nunmehr Art. 157 Abs. 3 AEUV) Durch die Neufassung des Art. 119 EWG in seiner Nachfolgevorschrift Art. 141 EG wurde der Regelungsgehalt beträchtlich erweitert.53 Insbesondere wurde der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr aufgegangen in der Europäischen Union) durch den neu eingeführten Abs. 3 ausdrücklich die Kompetenz zugewiesen, Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit von Männern und Frauen im Arbeits- und Beschäftigungsleben zu beschließen. Dadurch wurde der bisherige Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgebots von der Frage des Entgelts generell auf das Arbeitsleben und die Beschäftigung ausgedehnt,54 die Vorschrift setzt die Existenz eines allgemeinen, über Fragen des Entgelts hinausgehenden Gleichbehandlungsanspruchs voraus.55 Freilich hatte die Gemeinschaft, wie der Erlass der GenderVorgRL zeigt, auch nach früherem Rechtszustand unter Heranziehung des damaligen Art. 235 EWG (später Art. 308 EG, nunmehr Art. 352 AEUV)56 i. V. m. Art. 119 EWG bereits Wege gefunden, über den Bereich des Entgelts hinauszugehen. Gleichwohl verlieh der „formale“57 Wegfall der Beschränkung auf Fragen des Entgelts der weiteren Entwicklung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Geschlechtergleichbehandlung neuen Impetus, der sich nicht zuletzt in dem Erlass der GenderRL manifestierte. b) Art. 13 EG (nunmehr Art. 19 AEUV) Eine weitere, herauszustellende Neuerung auf dem Gebiet des Diskriminierungsrechts durch den Vertrag von Amsterdam ist die Einführung des Art. 13 EG (nunmehr Art. 19 AEUV). Dieser ermöglicht der Europäischen Gemeinschaft (bzw. nunmehr Union), im Rahmen der auf sie übertragenen Zuständigkeiten geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Art. 13 EG enthält selbst kein direkt anwendbares Diskriminierungsverbot, begründet also keine subjektiven 53  Calliess/Ruffert-Krebber

17.

54  Vgl.

Art. 157 AEUV Rn. 1; Steinmeyer RdA 2001, 10,

Grabitz/Hilf/Nettesheim-Langenfeld Art. 157 AEUV Rn. 79. Art. 157 AEUV Rn. 72; ErfK-Schlachter Art. 157 AEUV Rn. 28. 56  Diese Kompetenzvorschrift wurde auch „Flexibilitätsklausel“ genannt, Grabitz/Hilf/Nettesheim-Winkler Art. 352 AEUV Rn. 1. 57  Steinmeyer RdA 2001, 10, 17. 55  Calliess/Ruffert-Krebber



II. Geschichtlicher Hintergrund der Richtlinien259

Rechte, sondern ist eine Rechtsgrundlage zum Erlass von Sekundärrecht zur Bekämpfung von Diskriminierungen.58 3. Maßnahmen auf Grundlage der Art. 141 Abs. 3 EG und Art. 13 EG Unmittelbar nach der Verabschiedung des Vertrags von Amsterdam brachte die Gemeinschaft sekundärrechtliche Maßnahmen zur Ausgestaltung des Europäischen Antidiskriminierungsrechts auf den Weg.59 a) Maßnahmenpaket auf Grundlage des Art. 13 EG Auf Grundlage des damaligen Art. 13 EG legte die Kommission am 25. November 1999 ein dreiteiliges Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Diskriminierungen vor, bestehend aus Vorschlägen für die Antirassis­ musRL,60 die BeschäftiggsRL61 sowie einem Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen62. Die Behandlung des Merkmals Rasse bzw. ethnische Herkunft in einer gesonderten Richtlinie lässt sich mit dem politischen Klima in Europa zu der Zeit erklären: Der Wahlerfolg der rechtskonservativen FPÖ in Österreich mit Jörg Haider an der Spitze und ihre Regierungsbeteiligung 1999 wurde in der damaligen EG mit Sorge beobachtet.63 In diesem Zusammenhang hielt man es – kurz vor der EU-Osterweiterung – für geboten, ein deutliches Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Insofern war der politische Gestaltungswille im Jahr 1999 im Hinblick auf die Bekämpfung von Rassendiskriminierung besonders ausgeprägt.64 Dies beschleunigte den Gesetzgebungsprozess, sodass die AntirassismusRL bereits am 29. Juni 2000 vom Rat verabschiedet wurde.65 Die BeschäftiggsRL wurde knapp fünf Monate später, am 27. November 2000, vom Rat angenommen. Am selben Tag erging auch der Beschluss des Rates 2000 / 750 / EG 58  Dieball EuR 2000, 274, 278 f.; Calliess/Ruffert-Epiney Art. 19 AEUV Rn. 1 m. w. N.; Grabitz/Hilf/Nettesheim-Grabenwarter Art.  19 AEUV Rn.  6 m. w. N. 59  Vgl. Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 35. 60  KOM(1999) 566 endg. 61  KOM(1999) 565 endg. 62  KOM(1999) 567 endg. 63  Defeis Georgia Journal of International and Comparative Law 32 (2004), 73, 82; Högenauer Richtlinien gegen Diskriminierung (2002), S. 38; Schiek AuR 2003, 44. 64  Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 35. 65  Guild Industrial Law Journal 29 (2000), 416.

260

D. Europarechtliche Vorgaben

über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen (2001–2006).66 b) Maßnahmen auf Grundlage des Art. 141 Abs. 3 EG Die Verabschiedung dieser neuen Richtlinien führte kurzfristig dazu, dass die sekundärrechtliche Gewährleistung der Geschlechtergleichheit hinter der Gewährleistung der „neuen Gleichheiten“ zurückblieb.67 Diesem Nachholbedarf wurde durch die Neufassung der GenderVorgRL in der GenderRL vom 23. September 2002 abgeholfen. Die Vorschriften zur Geschlechtergleichheit wurden an die der AntirassismusRL und der BeschäftiggsRL angeglichen,68 die ihrerseits wiederum auf Entwicklungen in der Rechtsprechung zur Geschlechtsdiskriminierung aufbauten.69 Weitere zwei Jahre später, am 13. Dezember 2004, wurde schließlich die GenderZivRL erlassen, die die Geschlechtsdiskriminierung auch außerhalb des Erwerbslebens regelt. Rechtsgrundlage hierfür war indes nicht Art. 141 Abs. 3 EG, da er nur zu Maßnahmen zur Gewährleistung der Geschlechtergleichheit in Beschäftigung und Beruf ermächtigt. Folglich ist die GenderZivRL auf Art. 13 EG gestützt.

III. Programmatische Ausrichtung und Gleichheitskonzept der Richtlinien In der Diskussion um die programmatische Ausrichtung und das spezifische Gleichheitskonzept der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien sind verschiedene Systematisierungen zu finden. So wird beispielsweise zum Teil zwischen formaler und materieller Gleichheit differenziert,70 andere legen den Fokus auf die Unterscheidung zwischen individuellen und 66  ABl. L 303 vom 02.12.2000, S. 23–28. Das Programm lief vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2006. Es wurde durch das Programm „Progress“ abgelöst, das im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2013 durchgeführt wurde, vgl. Beschluss Nr. 1672/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006 über ein Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität – Progress, ABl. L 315 vom 15.11.2006, S. 1–8. 67  Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 36. 68  KOM(2000) 334 endg., S. 3 f.; vgl. auch ErwG 6 GenderRL. 69  Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 36. 70  Vgl. dazu Barnard/Hepple Cambridge Law Journal 59 (2000), 562 ff. (formal vs. substantive equality) und Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 51 ff. m. w. N. (formale vs. materielle Gleichheit) sowie dies. International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2002, 149 ff. (arithmetic vs. substantive equality).



III. Programmatische Ausrichtung und Gleichheitskonzept der Richtlinien 261

gruppenbezogenen Ansätzen zur Diskriminierungsbekämpfung.71 Im Zusammenhang mit der Benachteiligungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen ist eine von Lobinger herausgearbeitete Einteilung verschiedener Antidiskriminierungspolitiken besonders hilfreich, weil sich aus ihr konkrete Schlüsse für die Beantwortung der Kundenpräferenzfrage ableiten lassen. 1. Verschiedene Antidiskriminierungsprogrammatiken nach Lobinger Lobinger unterscheidet im europäischen Kontext zwischen drei verschiedenen Antidiskriminierungsprogrammatiken, namentlich sind das (1) integritätsschützende, (2) integrations- und verteilungspolitisch motivierte und (3) sozial- und moralpädagogisch motivierte Grundansätze der Diskriminierungsbekämpfung.72 Integritätsschützende Ansätze sehen die Funktion von Antidiskriminierungsrecht in erster Linie im Schutz der Würde des Menschen und des Persönlichkeitsrechts, also im klassischen Rechtsgüterschutz.73 Dementsprechend werden die Abwehrfunktion der Antidiskriminierungsgesetze und das Ziel der Wahrung bestehender Rechtspositionen in den Mittelpunkt gerückt. Auf Grundlage der integritätsschützenden Ansätze ist Lobinger zufolge eine differenzierende Lösung der Kundenpräferenzfrage möglich. Daher hält er selbst diese Ansätze für maßgeblich. Angesichts ihrer Ausrichtung auf den Persönlichkeitsrechtsschutz komme es für die Zulässigkeit einer Diskriminierungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen auf den herabwürdigenden Gehalt der Kundenforderung selbst an.74 Dieser sei letztlich eine Frage des Einzelfalls.75 71  Vgl. dazu Bell/Waddington European Law Review 28 (2003), 349, 350  ff. (individual vs. group justice) sowie Fredman Industrial Law Journal 30 (2001), 145, 154 f., die selbst die Gleichheitskonzepte allerdings mit Hilfe von vier Wertegruppen beschreibt, die sie prägen könnten: individual dignity and worth, restitution, redistribution and democracy. 72  Lobinger EuZA 2009, 365, 374  ff.; ders. in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung (2007), 99, 119 ff. Eine in der Sache entsprechende, nur terminologisch abweichende Unterteilung der Antidiskriminierungspolitiken in „freiheitliche“, „ökonomische“ und „präventiv verhaltenssteuernde“ Ansätze nehmen Adomeit/Mohr RdA 2011, 102, 104 f. vor. 73  Lobinger EuZA 2009, 365, 374, 378. 74  Lobinger EuZA 2009, 365, 378. 75  Lobinger EuZA 2009, 365, 379. Auch wenn es sich grundsätzlich um eine Einzelfallfrage handelt, formuliert Lobinger einige Leitlinien, siehe dazu später unter E. IV. 2. c) aa) (1).

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D. Europarechtliche Vorgaben

Integrations- und verteilungspolitische Ansätze setzen sich die Verbesserung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilhabe benachteiligter Personen zum Ziel, dementsprechend steht die Erlangung neuer Rechtspositionen der betreffenden Personen im Fokus.76 Sie verstehen die Antidiskriminierungsgesetzgebung als ein Instrument sozialstaatlicher Integrationsund Verteilungspolitik.77 Auf ihrer Basis lassen sich gemäß Lobinger die stärksten Argumente für eine gänzliche Unzulässigkeit der Diskriminierungsrechtfertigung unter Berufung auf Kundenpräferenzen finden.78 Verteilungspolitik sei ihrer Natur nach gegen den Markt gerichtet, daher sei das Interesse des Arbeitgebers, sich am Markt – den Kundenpräferenzen – auszurichten, gerade unbeachtlich. Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot ließen sich lediglich dann begründen, wenn ein Merkmal für eine Tätigkeit unverzichtbar79 sei und bei einem Differenzierungsverbot die Gefahr bestünde, dass andernfalls ganze Marktsegmente wegbrächen, wodurch wiederum das Verteilungsproblem verschärft würde.80 Die sozial- und moralpädagogische Sichtweise auf das Antidiskriminierungsrecht bezweckt schließlich primär die Änderung der Sozialmoral und verfolgt erzieherische Intentionen.81 Der Fokus ist auf die Erziehung zu politisch korrektem und moralisch richtigem Verhalten gerichtet, und zwar unabhängig davon, ob eine konkrete Rechtsgutsverletzung oder eine gerechtigkeitsdefizitäre Verteilungslage vorliegt. Nach Lobinger bieten diese Ansätze die beste Argumentationsbasis für eine grundsätzliche Zulässigkeit der Benachteiligungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen.82 Schließlich liege die „falsche“ Gesinnung nicht bei dem Arbeitgeber, sondern bei den Kunden vor. Insofern ergebe es wenig Sinn, die Erziehung beim Arbeitgeber und nicht unmittelbar bei den Kunden selbst anzusetzen, sodass viel dafür spreche, die Diskriminierungsrechtfertigung für den Arbeitgeber zu bejahen.83 Dieses Ergebnis Lobingers überrascht, führt es doch dazu, dass der weitestgehende Ansatz zur Diskriminierungsbekämpfung die Rechtfertigung von Benachteiligungen besonders weitgehend zulässt. Sieht 76  Lobinger

in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung (2007), 99, 121. EuZA 2009, 365, 376. 78  Lobinger EuZA 2009, 365, 376. 79  An dieser Stelle kommt freilich eine große Unsicherheit in die Argumenta­tion, da eine klare Definition dafür fehlt, wann genau ein Merkmal „unverzichtbar“ für eine bestimmte Tätigkeit ist. Insofern führt sie zurück zur Ausgangsfrage, nicht zu ihrer Lösung. 80  Lobinger EuZA 2009, 365, 376. 81  Lobinger EuZA 2009, 365, 375; ders. in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung (2007), 99, 122. 82  Lobinger EuZA 2009, 365, 375. 83  Lobinger EuZA 2009, 365, 375. 77  Lobinger



III. Programmatische Ausrichtung und Gleichheitskonzept der Richtlinien 263

man das Ziel der Antidiskriminierungsgesetzgebung in der Veränderung bestimmter Ansichten und Einstellungen in der Gesellschaft, ließe sich damit auch die grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Kundenwünschen begründen: Zum einen erreicht man über die Versagung der Berufung auf Kundenpräferenzen für den Arbeitgeber letztlich doch die Kunden und ihre Einstellungen. Wird den Arbeitgebern flächendeckend eine Rechtfertigung versagt, werden die Kundenpräferenzen auch nicht bei Ausweichen der Kunden zu anderen Unternehmen bedient. Auf diese Weise könnte man bestimmte Präferenzen über die Zeit „austrocknen“84 und das Ziel einer Einstellungsänderung erreichen. Zum anderen lässt sich argumentieren, dass sich der Kundeninteressen nachgebende Arbeitgeber die Haltung der Kunden in gewisser Weise zu Eigen macht.85 Mithin ist er nicht so „unschuldig“, wie er scheint. Dies gilt besonders in den Fällen, in denen durch Unternehmerkonzepte Präferenzen antizipiert und möglicherweise erst geweckt werden. Nach alledem wird deutlich, dass die sozial- und moralpädagogischen Ansätze zwar durchaus zur Begründung einer grundsätzlichen Beachtlichkeit von Kundenpräferenzen herangezogen werden können, dass dieser Schluss aber keineswegs zwingend ist. 2. Programmatik der Antidiskriminierungsrichtlinien Lobingers konkrete Schlüsse in Bezug auf die Beantwortung der Kundenpräferenzfrage können zwar nicht durchweg überzeugen. Nichtsdestotrotz ist die von ihm herausgearbeitete Systematisierung ein hilfreicher Analyserahmen zur Bestimmung von Grund und Zielsetzungen der Antidiskriminierungsrichtlinien. Somit ist in einem nächsten Schritt zu untersuchen, welche Politik den Antidiskriminierungsrichtlinien zugrunde liegt bzw. inwieweit Lobinger in seinem Plädoyer für die integritätsschützenden Ansätze zuzustimmen ist. Zur Ermittlung der den europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien zugrunde liegenden Politik kann nicht nur auf den Wortlaut der Richtlinien selbst, insbesondere ihre Erwägungsgründe,86 sondern auch – soweit veröffentlicht87 – auf die Kommissionsbegründungen in Vorschlägen und Vorentwürfen, die Arbeiten des Europäischen Parlamentes oder auch die Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses zurückgegriffen werden.88 84  Begriff von Krause FS Adomeit (2008), 377, 385; übernommen von Lobinger EuZA 2009, 365, 372. 85  Siehe dazu bereits unter B. III. 2. b) bb) (3) mit den Nachweisen in Fn. 358. 86  Vgl. Körner NZA 2008, 497, 498. 87  Vgl. Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre (2015), 199, 213. 88  Vgl. Bleckmann NJW 1982, 1177, 1178; Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 135; Husmann NZS 2010, 655, 658 f.

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D. Europarechtliche Vorgaben

a) Elemente integritätsschützender Ansätze Dass die Richtlinien eine abwehrrechtliche Dimension aufweisen, die auf Integritätsschutz ausgerichtet ist,89 kommt am deutlichsten in dem Konzept der von den Richtlinien untersagten (sexuellen) Belästigung90 zum Ausdruck.91 Eine Belästigung besteht in solchen Verhaltensweisen, die „bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“92. In dem Tatbestand der Belästigung wird mithin explizit der Zusammenhang mit dem Würdeschutz hergestellt. Auch in den Kommissionsbegründungen der Richtlinienentwürfe wird auf den Integritäts- und Würdeschutz eingegangen. So wird beispielsweise in der Begründung der AntirassismusRL auf die „Gefahren des Rassismus und die aus dem Rassismus erwachsenden schwerwiegenden Angriffe auf die Menschenwürde“93 verwiesen. Ihnen müsse durch gesetzliche Maßnahmen begegnet werden. In den Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln der BeschäftiggsRL wird die Funktion des Belästigungsverbotes als Integritätsschutz herausgestellt.94 Ähnlich wird in der Kommissionsbegründung95 des Verbots der sexuellen Belästigung in der GenderRL und in der diesbezüglichen Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses96 die besondere Bedeutung des Würdeschutzes betont. Des Weiteren wird in den Erwägungsgründen der Richtlinien97 sowie in den Kommissionsbegründungen98 auf die Bedeutung der Menschenrechte hingewiesen,99 die ihre Grundlage wiederum Neuner European Review of Contract Law 2 (2006), 35, 42. Abs. 3 AntirassismusRL; Art. 2 Abs. 3 BeschäftiggsRL; Art. 2 Abs. 2, 3 GenderRL. 91  Fredman Industrial Law Journal 30 (2001), 145, 160  f.; Lobinger EuZA 2009, 365, 378; Repgen in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung (2007), 11, 29; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 43. 92  Art. 2 Abs. 3 AntirassismusRL; Art. 2 Abs. 3 BeschäftiggsRL; Art. 2  Abs. 2 3. Spiegelstrich GenderRL. 93  KOM(1999) 566 endg., S. 2. 94  KOM(1999) 565 endg., S. 10. 95  KOM(2000) 334 endg., S. 6. 96  ABl. C 123 vom 25.04.2001, S. 82. 97  ErwG 1, 2, 25 AntirassismusRL; ErwG 1, 4 BeschäftiggsRL; ErwG 1, 2, 3 GenderRL. 98  KOM(1999) 565 endg., S. 4, 7; KOM(1999) 566 endg., S. 3 ff.; KOM(2000) 334 endg., S. 3. 99  Baer ZESAR 2004, 204, 205; Nickel NJW 2001, 2668, 2669; WendelingSchröder NZA 2004, 1320, 1321. 89  Vgl.

90  Art. 2



III. Programmatische Ausrichtung und Gleichheitskonzept der Richtlinien 265

in der Achtung der Menschenwürde haben.100 In ErwG 3 GenderRL wird zudem die Charta der Grundrechte der Europäischen Union101 in Bezug genommen.102 Die Charta stellt die Unantastbarkeit der Menschenwürde in Art. 1 an ihre Spitze, ihre Inbezugnahme ist Ausdruck der integritätsschützenden Dimension der Antidiskriminierungsrichtlinien.103 Dementsprechend liegt den Antidiskriminierungsrichtlinien – jedenfalls auch – ein Verständnis von Diskriminierung als Würdeverletzung zugrunde.104 b) Elemente integrations- und verteilungspolitischer Ansätze Die verteilungspolitische Intention der Antidiskriminierungsrichtlinien offenbart sich zum einen in der Untersagung der mittelbaren Diskriminierung.105 Dabei steht nicht mehr allein die Abwehr von unmittelbar an eines der geschützten Merkmale anknüpfenden Ungleichbehandlungen als Persönlichkeitsrechtsverletzung im Mittelpunkt.106 Indem die mittelbare Diskriminierung den Fokus auf die Wirkung für sich genommen neutraler Arbeitgebermaßnahmen legt, zielt sie – unabhängig von tatbestandlichen Herabwürdigungen – auf die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit. Am deutlichsten wird diese Zielsetzung der Richtlinien in den Erwägungsgründen. In ErwG 12 AntirassismusRL heißt es, die vorgesehenen Maßnahmen dienten dazu, „die Entwicklung demokratischer und toleranter Gesellschaften zu gewährleisten, die allen Menschen – ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft – eine Teilhabe ermöglichen“.107 Der Begriff der Teilhabe wird ebenso in ErwG 9 BeschäftiggsRL genannt. Demnach seien Beschäftigung und Beruf Bereiche, „die für die Gewährleistung gleicher Chancen für alle und für eine volle Teilhabe der Bürger am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben sowie für die individuelle Entfaltung von entscheidender Bedeutung sind“. Schließlich wird auch in ErwG 13 GenderRL ausdrücklich die „Entschließung des Rates und der im Rat Vereinigten Minister für Beschäftigung und Sozialpolitik vom 29. Juni 2000 über 100  Husmann

ZESAR 2005, 107, 114. C 364 vom 18.12.2000, S. 1–22. 102  Vgl. dazu auch Wendeling-Schröder NZA 2004, 1320, 1321. 103  Die GenderRL ist die jüngste der drei arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinien. Zum Zeitpunkt der Ratifizierung der AntirassismusRL und der BeschäftiggsRL hatte die Grundrechtecharta noch keine Rechtskraft erlangt. Dies könnte die fehlende Inbezugnahme in den beiden älteren Richtlinien erklären. 104  So z. B. auch Barbera Industrial Law Journal 31 (2002), 82, 89; Lobinger EuZA 2009, 365, 378; Schiek-Schiek Einl AGG Rn. 43. 105  Vgl. Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 44. 106  Vgl. Adomeit/Mohr RdA 2011, 102, 104. 107  Vgl. dazu auch Nickel NJW 2001, 2668, 2669. 101  ABl.

266

D. Europarechtliche Vorgaben

eine ausgewogene Teilhabe von Frauen und Männern am Berufs- und Familienleben“108 in Bezug genommen. Der Teilhabe-Terminus ist eines der Schlüsselwörter einer verteilungspolitisch orientierten Antidiskriminierungspolitik. Die durch ihn angesprochene integrationspolitische Zielsetzung ist zudem in den Kommissionsbegründungen der Richtlinienvorschläge wiederzufinden. Bezüglich der AntirassismusRL führt die Kommission über ihr Gleichheitskonzept aus: „Die Europäische Union hat erkannt – nicht zuletzt im Kontext der koordinierten Beschäftigungsstrategie –, dass eine Teilhabe am wirtschaftlichen Leben häufig Vorbedingung ist für eine erfolgreiche weitergehende soziale Eingliederung.“109

In diesem Sinne hält die Kommission es für einen der wesentlichen Effekte der Richtlinienbestimmungen, „soziale Ausgrenzung zu vermeiden und eine Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen, indem sie den Betroffenen ermöglicht, ihr wirtschaftliches Potenzial zu nutzen […] und weniger auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein“110. Die Kommissionsbegründungen der BeschäftiggsRL111 sowie der GenderRL112 enthalten entsprechende Ausführungen. Demzufolge zeigt sich, dass die Antidiskriminierungsrichtlinien auch eine verteilungspolitische Dimension aufweisen.113 c) Elemente sozial- und moralpädagogischer Ansätze Hinweise auf eine moralpädagogische Ausrichtung des europäischen Antidiskriminierungsrechts lassen sich zunächst aus der Kommissionsbegründung der AntirassismusRL ablesen. So stellt die Kommission fest, dass „die Einstellungen der Menschen [mit Antirassismusgesetzen] nachhaltig beeinflusst werden“114 könnten. Im Schrifttum wird zum Teil darauf hingewiesen, dass die Richtlinien ein Umdenken in der Gesellschaft bewirken sollten,115 also neue soziale Normen implementiert und nicht lediglich bereits vorhandene soziale Normen nachvollzogen werden sollten.116 Dem108  ABl.

C 218 vom 31.07.2000, S. 5–7. 566 endg., S. 5. 110  KOM(1999) 566 endg., S. 23. 111  KOM(1999) 565 endg., S. 7, 29. 112  KOM(2000) 334 endg., S. 23. 113  So z. B. auch Baer ZESAR 2004, 204, 205; Kocher KJ 2006, 356, 357; Picker in: Lorenz, Haftung wegen Diskriminierung (2005), 7, 18; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 44. Die integrationspolitische Motivation für die Schaffung des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots wegen der Rasse und der ethnischen Herkunft unterstreicht Rösler European Review of Private Law 4 (2010), 729, 748. 114  KOM(1999) 566 endg., S. 2. 115  Wendeling-Schröder NZA 2004, 1320. 116  Vgl. Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 55. 109  KOM(1999)



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zufolge wird ein moralischer117 bzw. sozialpädagogischer Impetus118 festgestellt. Andererseits wird in der Kommissionsbegründung der GenderRL in Bezug auf die Rechtfertigungsmöglichkeit für Benachteiligungen ausgeführt, dass „die Ausnahmeregelungen hinreichend durchschaubar zu sein haben, um von der Kommission wirksam kontrolliert werden zu können, und dass sie für eine Anpassung an die gesellschaftliche Entwicklung geeignet sein müssen“119. Dies lasse sich am Beispiel des Hebammenberufs verdeutlichen. Im Jahr 1983 hatte der EuGH festgestellt, dass „zum gegenwärtigen Zeitpunkt persönliche Empfindsamkeiten in den Beziehungen zwischen der Hebamme und ihrer Patientin eine bedeutende Rolle spielen können“120. Deshalb hielt der EuGH den Ausschluss von Männern vom Zugang zu diesem Beruf im Vereinigten Königreich für zulässig. Mittlerweile, so stellt die Kommission fest, stehe der Zugang zu diesem Beruf allen Männern in sämtlichen Mitgliedstaaten offen, sodass eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot heute nicht mehr zulässig sei.121 Folglich nehmen sowohl der EuGH als auch die Kommission an, dass das Recht gegebenenfalls den gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen sei, die Entwicklungen aber nicht mithilfe des Rechts erzwungen werden sollen. Eine moralpädagogische Zielsetzung steht nicht im Fokus der Richtlinien. Sie wird in erster Linie nicht durch die Richtlinien selbst, sondern mit Hilfe der die legislativen Maßnahmen ergänzenden, bewusstseinsbildenden Maßnahmen verfolgt. Grundlage dafür bildete das Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen,122 das die Kommission im Rahmen des dreiteiligen Maßnahmenpakets gemeinsam mit der AntirassismusRL und der BeschäftiggsRL vorschlug und das im Zeitraum 2001 bis 2006 durchgeführt wurde.123 Das Programm „kombiniert[e] […] die Unterstützung legislativer Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen mit einer breiter angelegten Förderung sowohl einer diskriminierungsfreien, auf einer positiven Einstellung gegenüber dem Anderssein beruhenden Praxis als auch eines 117  So Hense in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung (2007), 181, 184; vgl. auch Blanke NZA 2006, 1304, 1305: „Antidiskriminierungsrecht verankert den Stachel moralischer Empörung im Rechtssystem.“ 118  So Picker in: Lorenz, Haftung wegen Diskriminierung (2005), 7, 25, der starke Kritik an dieser Zielsetzung übt. 119  KOM(2000) 334 endg., S. 8. 120  EuGH 08.11.1983 (Kommission/Vereinigtes Königreich) NJW 1985, 539, 540; siehe dazu auch später unter D. IV. 1. a). 121  KOM(2000) 334 endg., S. 8. 122  Beschluss 2000/750/EG. Siehe dazu auch bereits unter D. II. 3. a). 123  Das Programm lief vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2006. Es wurde durch das Programm „Progress“ abgelöst, das vom 1. Januar 2007 bis zum 31.  Dezember 2013 durchgeführt wurde, vgl. Beschluss Nr. 1672/2006/EG. Siehe dazu bereits unter D. II. 3. a) in Fn. 66.

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D. Europarechtliche Vorgaben

langfristiger angelegten Wandels der Einstellungen“124. Zu diesem Zweck sah es z. B. „Sensibilisierungsmaßnahmen [vor], insbesondere um die europäische Dimension des Kampfes gegen Diskriminierungen zu verdeutlichen […], vor allem durch Kommunikation, Veröffentlichungen, Kampagnen und Veranstaltungen“, Art. 3 Abs. 1c) Beschluss 2000 / 750 / EG. d) Schwerpunkt Da die Richtlinien sowohl Elemente einer integritätsschützenden als auch einer verteilungspolitischen Antidiskriminierungspolitik aufweisen, ist fraglich, ob sich ein Schwerpunkt ausmachen lässt. aa) Fundierung im Schutz der Menschenwürde Zunächst ist bei dem Charakter der von den Richtlinien statuierten Diskriminierungsverbote anzusetzen. Es handelt sich um besondere Diskriminierungsverbote, die in ihrer ursprünglichen Funktion vom allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz abzugrenzen sind.125 Während letzterer aus einem aristotelischen Verteilungsdenken entspringt,126 wurzeln die besonderen Diskriminierungsverbote im Schutz der Menschenwürde.127 Sie verbieten die Anknüpfung an bestimmte Merkmale als Unterscheidungskriterium, dienen damit in erster Linie dem Schutz bestimmter benachteiligter Bevölkerungsgruppen und nicht der Verteilungsgerechtigkeit bei der Zuweisung von Gütern und Lasten. Die Fundierung der besonderen Diskriminierungsverbote im Menschenwürdeschutz lässt den Schluss zu, dass auch der Fokus der europäischen Antidiskriminierungspolitik auf den Integritätsschutz gerichtet ist.128

124  KOM(1999)

567 endg., S. 3. dazu auch bereits unter B. III. 2. a) dd). 126  Wiedemann Gleichbehandlungsgebote (2001), S. 59. 127  Repgen in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung (2007), 11, 29; MüKo-Thüsing § 1 AGG Rn. 6. Vgl. auch Däubler/Bertzbach-Blanke/Graue Einl. AGG Rn. 237 („Fundierung im Grundsatz der Menschenwürde“); Lindner NJW 2008, 2750, 2751 und Wiedemann Gleichbehandlungsgebote (2001), S. 13, der allerdings auch den Menschenwürdegedanken eher bei dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verortet und den sozialen Schutzcharakter der besonderen Dis­ kriminierungsverbote unterstreicht. Zu der grundlegenden Bedeutung des Dis­ kriminierungsschutzes als Menschenwürdeschutz vgl. schließlich auch Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 46 ff. m. w. N. 128  Dafür z. B. Lobinger EuZA 2009, 365, 378; Repgen in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung (2007), 11, 29; MüKo-Thüsing § 1 AGG Rn. 6. 125  Siehe



III. Programmatische Ausrichtung und Gleichheitskonzept der Richtlinien 269

bb) Verteilungspolitische Ausrichtung im Kontext der Beschäftigungsstrategie Trotz der Verwurzelung des Antidiskriminierungsrechts im Menschenwürdeschutz darf bei der Ermittlung der den europäischen Richtlinien zugrunde liegende Programmatik nicht der konkrete politische Kontext ihrer Verabschiedung außer Acht gelassen werden. Sie sind in die gemeinsame Europäische Beschäftigungsstrategie eingebettet,129 die seit dem Beschäftigungsgipfel in Luxemburg im November 1997 entwickelt wird.130 Ein übergreifendes Ziel der Strategie ist die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes und größeren sozialen Zusammenhaltes131 im Sinne der Förderung der Chancengleichheit.132 Die Arbeitslosigkeit soll nicht durch eine niedrige Erwerbsbeteiligung bestimmter Gruppen wie Frauen oder Älterer, sondern im Gegenteil durch ihre stärkere Eingliederung in den Arbeitsmarkt gesenkt werden.133 Betrachtet man die Richtlinien vor diesem Hintergrund, liegt ein besonderes Augenmerk auf ihrer verteilungspolitischen Zielsetzung. Das spiegelt sich in den Titeln der Richtlinien wider, die allesamt die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes enthalten. Dadurch rückt die integrationspolitische Motivation im Gegensatz zu den auch bezweckten Zielen des Würde- und Persönlichkeitsschutzes in den Vordergrund.134 Zudem legen die Kommissionsbegründungen der Richtlinienentwürfe den Fokus in der Folgenabschätzung auf die soziale Inklusion benachteiligter Gruppen.135 Besonders deutlich wird die starke Betonung der Teilhabeziel129  Vgl. Senne Altersdiskriminierung (2006), S. 130 f.; Wendeling-Schröder NZA 2004, 1320 f. Die Einbettung der Richtlinien in die Beschäftigungsstrategie lässt sich daran ablesen, dass die Strategie bzw. die Leitlinien, auf denen sie beruht, in den Kommissionbegründungen (KOM(1999) 565 endg., S. 6; KOM(1999) 566 endg., S. 5; KOM(2000) 334 endg., S. 23) sowie in den Erwägungsgründen der Richtlinien (ErwG 8 AntirassismusRL; ErwG 7, 8 BeschäftiggsRL) ausdrücklich in Bezug genommen werden. 130  Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Strategie auch KOM(2002) 416 endg., S. 5 ff. sowie knapp Lang/Bergfeld EuR 2005, 381, 382 f. 131  Vgl. Klosse International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2005, 5, 7; Lang/Bergfeld EuR 2005, 381, 382; Grabitz/Hilf/NettesheimMarauhn/Simon Art. 145 AEUV Rn. 12; vgl. außerdem KOM(2000) 548 endg., S. 4; KOM(2003) 6 endg., S. 11, 18. 132  Klosse International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2005, 5, 8; Senne Altersdiskriminierung (2006), S. 130; Wendeling-Schröder NZA 2004, 1320, 1321. 133  Vgl. Wendeling-Schröder NZA 2004, 1320, 1321; KOM(2000) 379 endg., S.  13, 24 ff. 134  Däubler/Bertzbach-Blanke/Graue Einl. AGG Rn. 220. 135  Vgl. KOM(1999) 566 endg., S. 23; KOM(1999) 565 endg., S. 29 sowie KOM(2000) 334 endg., S. 23.

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setzung im Zusammenhang mit dem Verbot der Altersdiskriminierung. So ist in ErwG 6 BeschäftiggsRL von der „sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung älterer Menschen“ die Rede. In ErwG 8 BeschäftiggsRL werden die beschäftigungspolitischen Leitlinien angesprochen und die Bedeutung der „Unterstützung älterer Arbeitnehmer mit dem Ziel der Erhöhung ihres Anteils an der Erwerbsbevölkerung“ unterstrichen. In diesem Sinne wird das Altersdiskriminierungsverbot in ErwG 25 BeschäftiggsRL schließlich als „wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung“ bezeichnet. Mithin stellen die Erwägungsgründe hinsichtlich des Altersdiskriminierungsverbots ökonomische Überlegungen sowie den sozialen Schutz älterer Beschäftigter in den Mittelpunkt.136 In Anbetracht dessen wird im Schrifttum die Rolle des Antidiskriminierungsrechts als Instrument der Marktregulierung hervorgehoben,137 zum Teil wird gar von einem „Paradigmenwechsel“ des europäischen Diskriminierungsschutzes gesprochen, bei dem nunmehr auch die „iustitia distributiva“ im Spiel sei.138 Auffällig ist, dass die Ermöglichung der Teilhabe gerade für ältere Beschäftigte betont wird, obwohl das Verbot der Altersdiskriminierung alle Altersgruppen, also auch jüngere vor einer Benachteiligung gegenüber älteren, schützt. Das zeigt, dass die europäische Antidiskriminierungspolitik einige Gruppen für besonders benachteiligt hält und die Verbesserung ihrer Teilhabechancen als besonders wichtig erachtet.139 Neben den älteren Beschäftigten betrifft das zuvorderst Frauen. Das ergibt sich aus der in ErwG 13 GenderRL in Bezug genommenen „Entschließung des Rates und der im Rat Vereinigten Minister für Beschäftigung und Sozialpolitik vom 29. Juni 2000 über eine ausgewogene Teilhabe von Frauen und Männern am Berufs- und Familienleben“. Gemäß dem ErwG 2 dieser Entschließung sei „die Beseitigung der Benachteiligung, die Frauen in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zum und die Teilhabe am Arbeitsmarkt und Männer in Bezug auf die Bedingungen für die Teilhabe am Familienleben trifft und die sich aus einer gesellschaftlichen Tradition ergibt“, angezeigt. Was die Teilhabe am Arbeitsmarkt anbelangt, geht die Kommission demnach von einer besonderen Benachteiligung von Frauen aus, die es zu beheben gilt. ErwG 14 AntirassismusRL und ErwG 3 BeschäftiggsRL bestätigen diese Annahme. Dort wird jeweils konstatiert, dass gerade „Frauen häufig Opfer mehrfacher Diskriminierungen sind“. Eine weitere, für besonders be136  Swift Industrial Law Journal 35 (2006), 228, 244 Fn. 18; vgl. außerdem Kuras RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 11. 137  Däubler/Bertzbach-Blanke/Graue Einl. AGG Rn. 237. 138  Adomeit/Mohr Einl. AGG Rn. 82. 139  Vgl. Körner NZA 2008, 497, 499.



III. Programmatische Ausrichtung und Gleichheitskonzept der Richtlinien 271

nachteiligt gehaltene Gruppe sind Menschen mit Behinderungen. Das ergibt sich aus den ErwG 6, 8, 16 und 27 BeschäftiggsRL. Dort wird wiederholt darauf hingewiesen, wie wichtig ihre soziale und wirtschaftliche Eingliederung sei. Darüber hinaus ergibt sich aus ErwG 8 AntirassismusRL, dass es bei der Diskriminierungsbekämpfung wegen der Rasse speziell um die soziale Integration ethnischer Minderheiten geht. Schließlich geht aus der Kommissionsbegründung der BeschäftiggsRL hervor, dass Minderheiten generell, also nicht nur ethnische, sondern z. B. auch religiöse Minderheiten, mit besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt konfrontiert seien und es daher speziell um die Erleichterung der Eingliederung dieser benachteiligten Gruppen geht.140 Es lässt sich also feststellen, dass die Antidiskriminierungsrichtlinien in ihrer verteilungspolitischen Motivation zuvorderst auf die Verbesserung der Teilhabechancen bestimmter besonders benachteiligter Gruppen – namentlich ältere Beschäftigte, Frauen, Menschen mit Behinderung sowie ethnische, religiöse und andere Minderheiten – abzielen. 3. Zusammenfassung des Ergebnisses zur programmatischen Ausrichtung Die Analyse der programmatischen Ausrichtung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien sollte Aufschluss über den Grund der Richtlinien geben, um bei der Auslegung der generalklauselartig formulierten Rechtfertigungsgründe ihre Grenzen ausloten zu können. Die europäische Diskriminierungspolitik enthält sowohl eine integritätsschützende als auch eine verteilungspolitische sowie eine moralpädagogische Dimension. Auf Grund der Fundierung des Benachteiligungsschutzes mittels besonderer Diskriminierungsverbote im Menschenwürdeschutz kommt der integritätsschützenden Ausrichtung herausragende Bedeutung zu. Daneben tritt – angesichts des konkreten rechtspolitischen Kontexts, in dem die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien erlassen wurden – eine starke verteilungspolitische Motivation. Sie zielt vor allem auf die Verbesserung der Teilhabe bestimmter, besonders benachteiligter Gruppen. Die zuvorderst im Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Diskriminierungen zu Tage tretende moralpädagogische Zielsetzung tritt demgegenüber in den Hintergrund. Sie wird in erster Linie nicht durch die Richtlinien selbst, sondern mit Hilfe der die legislativen Maßnahmen ergänzenden, bewusstseinsbildenden Maßnahmen verfolgt. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien im Kern den Integritätsschutz beabsichtigen, dabei aber einen starken verteilungspolitischen Einschlag insbesondere zu Gunsten von 140  KOM(1999)

565 endg., S. 6.

272

D. Europarechtliche Vorgaben

Frauen, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen sowie ethnischen, religiösen und anderen Minderheiten aufweisen. Bei Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen ist mithin zu fragen, ob die Vorliebe des Kunden und die darauf beruhende Ungleichbehandlung durch den Arbeitgeber eine Herabwürdigung des Beschäftigten beinhaltet. Zudem ist zu untersuchen, inwiefern durch sie die Teilhabechancen bestimmter benachteiligter Gruppen derart vermindert werden, dass dies dem Ziel der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung speziell dieser Gruppen zuwiderläuft. Werden die Ziele der Antidiskriminierungsgesetzgebung durch eine Beschäftigungspraxis konterkariert, spricht das gegen die Zulässigkeit einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen.

IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen Der EuGH hatte sich mehrfach mit Fällen auseinanderzusetzen, in denen die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung (auch) im Hinblick auf Interessen Dritter, im Raum stand. Am umfangreichsten ist die Rechtsprechung zur Geschlechtsdiskriminierung (dazu unter 1.). Wiederholt spielten Kundenpräferenzen im weitesten Sinne zudem bei der Rechtfertigung von Altersbenachteiligungen eine Rolle (dazu unter 2.). Ein besonderes Augenmerk soll des Weiteren auf der Entscheidung Feryn141 liegen, die eine Diskriminierung wegen der Rasse bzw. ethnischen Herkunft betraf (dazu unter 3.). Schließlich bildet die Rechtssache Asociatia ACCEPT142 zur Benachteiligung wegen der sexuellen Ausrichtung den Ausgangspunkt für die Betrachtung homophober Einstellungen gegenüber Fußballspielern (dazu unter 4.). Im Zusammenhang mit Benachteiligungen wegen einer Behinderung spielte eine Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen in der EuGH-Rechtsprechung noch keine Rolle.143 Entsprechendes gilt – bislang –144 für das Merkmal Religion. 141  EuGH

10.07.2008 (Feryn) NZA 2008, 929 ff. 25.04.2013 (Asociatia ACCEPT)  – C-81/12 juris. 143  In einem jüngeren Fall setzte sich der EuGH mit dem Merkmal der Behinderung und der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen Adipositas eine Behinderung im Sinne der BeschäftiggsRL ist, vgl. EuGH 18.12.2014 (FOA) NZA 2015, 33 ff. Eine Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen wurde vom EuGH weder angesprochen noch ergeben sich aus dem Tatbestand der Entscheidung Anknüpfungspunkte für die Diskussion einer entsprechenden Rechtfertigungsmöglichkeit. Vgl. hingegen zu der Thematik aus der deutschen Rechtsprechung auch ArbG Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris, in der eine Benachteiligung im Hinblick auf Glaubwürdigkeitsinteressen Dritter im Raum stand, siehe für eine Darstellung der Entscheidung später unter E. III. 2. e) dd). 144  Mit am 24. April 2015 eingereichtem Vorabentscheidungsersuchen hat die Cour de Cassation (Frankreich) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 4 Abs. 1 142  EuGH



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen273

1. Geschlecht Die EuGH-Entscheidungen aus dem Bereich der Geschlechtsdiskriminierung lassen sich zwei der drei im US-amerikanischen Recht entwickelten Fallgruppen (Privatsphäre, Sicherheit, Authentizität)145 zuordnen. Es finden sich Urteile, in denen „Privatsphäreinteressen“ (dazu unter a]), „Sicherheitsinteressen“ (dazu unter b]) bzw. beide (dazu unter c]) eine Rolle spielen. Alle diese Urteile sind zu Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL, der Vorgängerreglung des Rechtfertigungsgrundes wegen beruflicher Anforderungen in den heutigen Gleichbehandlungsrichtlinien, ergangen.146 Gemäß Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL konnten die Mitgliedstatten „solche beruflichen Tätigkeiten […], für die das Geschlecht auf Grund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt“, vom Anwendungsbereich des Geschlechtsdiskriminierungsverbots ausschließen. Im Anschluss an die Darstellung der Entscheidungen folgt eine Zusammenfassung, wobei Beobachtungen im Vergleich mit der Rechtsprechung US-amerikanischer Gerichte herausgearbeitet sowie die Grundsätze des EuGH zu der Auslegung der Rechtfertigungsmöglichkeit eruiert werden (dazu unter d]). a) Privatsphäreinteressen Bereits im Jahr 1983 hatte der EuGH in der Entscheidung Kommission /  Vereinigtes Königreich147 unter anderem zu beurteilen, ob der Ausschluss von Männern vom Hebammenberuf eine zulässige Ausnahme vom Geschlechtsdiskriminierungsverbot der GenderVorgRL148 war. Eine Gesetzesnorm des Vereinigten Königreichs nahm den Hebammenberuf von der Geltung des Diskriminierungsverbots wegen des Geschlechts aus. Das Vereinigte Königreich berief sich auf Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL, die Vorgängerregelung des Rechtfertigungsgrundes wegen beruflicher Anforderungen BeschäftiggsRL dahin auszulegen ist, dass der Wunsch eines Kunden einer Informatikberatungsgesellschaft, die informationstechnischen Leistungen dieses Unternehmens nicht mehr von einer angestellten Projektingenieurin, die einen islamischen Schleier trägt, ausführen zu lassen, eine aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist. Das Verfahren ist bei dem EuGH unter dem Az. C-188/15 anhängig, ABl. C 221 vom 06.07.2015, S. 2–3. 145  Siehe dazu bereits ausführlich unter C. III. 3. c). 146  Zu der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf den Rechtfertigungsgrund wegen beruflicher Anforderungen in den heutigen Gleichbehandlungsrichtlinien siehe später unter D. V. 2. a) aa). 147  EuGH 08.11.1983 (Kommission/Vereinigtes Königreich) NJW 1985, 539 f. 148  Siehe dazu bereits unter D. II. 1. und D. V. 2. a) aa).

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D. Europarechtliche Vorgaben

in den heutigen Gleichbehandlungsrichtlinien.149 Es führte aus, dass der Hebammenberuf im Vereinigten Königreich traditionsgemäß nicht von Männern ausgeübt werde, da in diesem Bereich die Achtung der Gefühle der Patienten ganz besondere Bedeutung habe. Der EuGH akzeptierte diese Argumentation. Er erkannte an, „dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt persönliche Empfindsamkeiten in den Beziehungen zwischen der Hebamme und ihrer Patientin eine bedeutende Rolle spielen“150 könnten. Deshalb bejahte das Gericht die Voraussetzungen der Rechtfertigungsmöglichkeit. Der EuGH erklärte, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung speziell bei Beschäftigungen in Privathaushalten mit dem ebenfalls grundlegenden Prinzip der Achtung des Privatlebens in Einklang zu bringen sei.151 Dies deutet auf die grundsätzliche Anerkennung einer Rechtfertigungsmöglichkeit im Hinblick auf Privatsphäreinteressen von Kunden hin. Dabei geht das Gericht allerdings davon aus, dass die Privatsphäreempfindungen „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ bestünden. Das bedeutet, dass der EuGH die Privatsphärepräferenzen für veränderbar hält. Gleichzeitig scheint er diese Veränderung – wie bereits bei der Untersuchung der Programmatik der Gleichbehandlungsrichtlinien festgestellt152 – aber nicht als Aufgabe des Antidiskriminierungsrechts anzusehen. Das Gericht nimmt an, dass das Recht gegebenenfalls den gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen sei, die Entwicklungen aber nicht mithilfe des Rechts erzwungen werden sollen. Mittlerweile geht die Kommission von einer Unzulässigkeit einer Rechtfertigung im Hebammenfall aus. Hintergrund dieser Auffassung sind die gesellschaftlichen Entwicklungen, wonach der „Zugang zu diesem Beruf heute allen Männern in sämtlichen Mitgliedstaaten offen[steht]“153. b) Sicherheitsinteressen In drei Fällen hatte der EuGH Ungleichbehandlungen wegen des Geschlechts zu beurteilen, die – unter anderem – auf Sicherheitserwägungen und damit auf Kundenpräferenzen für Sicherheit beruhten.154 149  EuGH

08.11.1983 (Kommission/Vereinigtes Königreich) NJW 1985, 539,

150  EuGH

08.11.1983 (Kommission/Vereinigtes Königreich) NJW 1985, 539,

151  EuGH

08.11.1983 (Kommission/Vereinigtes Königreich) NJW 1985, 539,

540. 540. 540.

152  Siehe

dazu bereits unter D. III. 2. c). 334 endg., S. 8. 154  Siehe zur Einordnung dieser Fälle als Kundenpräferenzfälle im Zusammenhang mit dem Merkmal Geschlecht bereits unter C. III. 3. b) aa), in Bezug auf das Alter unter B. III. 2. a) ee) (2) (b). 153  KOM(2000)



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen275

aa) Johnston In der Entscheidung Johnston aus dem Jahr 1986155 stellte sich die Frage, ob Frauen zulässigerweise von hilfspolizeilichen Tätigkeiten in Nordirland ausgeschlossen werden konnten, die das Tragen und den Gebrauch von Schusswaffen erforderten. Zur Begründung seiner entsprechenden Beschäftigungspolitik führte das Vereinigte Königreich drei Hauptargumente an:156 Erstens seien Frauen im Fall ihrer Ausrüstung mit Schusswaffen in höherem Maße der Gefahr von Anschlägen ausgesetzt als Männer. Zweitens würde die Bewaffnung von Frauen in der Öffentlichkeit schlecht aufgenommen, da sie – wesentlich stärker als die Bewaffnung von Männern – im Widerspruch zum Ideal einer unbewaffneten Polizei stünde. Drittens könne man bewaffnete Frauen für polizeiliche Aufgaben im sozialen Kontakt mit Familien und Kindern weniger wirksam einsetzen. Dort sei ihre Tätigkeit jedoch besonders wertvoll. In seiner Entscheidung stellte der EuGH zunächst fest, dass die Ausnahmebestimmung Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL eng auszulegen sei.157 Eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung komme im vorliegenden Fall nicht auf Grund der Art der beruflichen Tätigkeit, sondern nur auf Grund der Bedingungen ihrer Ausübung in Frage.158 Die Bedingungen der Ausübung bestimmter polizeilicher Tätigkeiten seien in Nordirland durch starke innere Unruhen gekennzeichnet. Der EuGH ging davon aus, dass die Gefahr von Anschlägen auf Frauen erhöht würde, wenn sie Schusswaffen trügen.159 Insofern sei das Geschlecht eine „unabdingbare Voraussetzung“ für die Ausübung der hilfspolizeilichen Tätigkeiten in Nordirland, die mit dem Tragen von Waffen verbunden seien.160 Dabei habe der Mitgliedstaat aber regelmäßig unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung zu prüfen, ob die Ausnahme noch aufrechterhalten werden könne.161 Im Übrigen sei die Verhältnismäßigkeit zu prüfen, dies sei aber Sache der mitgliedsstaatlichen Gerichte.162

155  EuGH 15.05.1986 ter D. V. 2. a) dd) (1). 156  EuGH 15.05.1986 157  EuGH 15.05.1986 158  EuGH 15.05.1986 159  EuGH 15.05.1986 160  EuGH 15.05.1986 161  EuGH 15.05.1986 162  EuGH 15.05.1986

(Johnston) Slg. 1986, 01651. Siehe dazu auch bereits un(Johnston) (Johnston) (Johnston) (Johnston) (Johnston) (Johnston) (Johnston)

Slg. Slg. Slg. Slg. Slg. Slg. Slg.

1986, 1986, 1986, 1986, 1986, 1986, 1986,

01651 01651 01651 01651 01651 01651 01651

Rn. 31, 35. Rn. 36. Rn. 34. Rn. 36. Rn. 37. Rn. 37. Rn. 39.

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D. Europarechtliche Vorgaben

bb) Sirdar In der Rechtssache Sirdar aus dem Jahr 1999163 befasste sich der EuGH mit dem Ausschluss von Frauen von Tätigkeiten bei der speziellen britischen Kampfeinheit der „Royal Marines“. Frau Sirdar war eine Position als Köchin bei dieser Kampfeinheit verwehrt worden.164 Gemäß der Einstellungspolitik der zuständigen Stelle wurden Frauen vom Dienst bei den „Royal Marines“ ausgeschlossen. Zur Begründung wurde auf das Erfordernis der „allseitigen Verwendbarkeit“ verwiesen, mit dem die Anwesenheit von Frauen unvereinbar sei.165 Mit diesem Erfordernis war die Notwendigkeit gemeint, dass jeder Marineinfanterist unabhängig von seiner Spezialisierung fähig sein musste, in einer Kommandoeinheit zu kämpfen. In Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL unterstrich der EuGH zunächst, dass diese Rechtfertigungsmöglichkeit eng auszulegen sei166 und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten sei.167 Gleichzeitig räumte er ein, dass die nationalen Stellen über einen bestimmten Ermessensspielraum verfügten, wenn sie die für die öffentliche Sicherheit eines Mitgliedstaats erforderlichen Maßnahmen träfen.168 Bei der Organisation der Streitkräfte handele es sich um solche für die öffentliche Sicherheit erforderlichen Maßnahmen. Die „Royal Marines“ bildeten die Speerspitze der britischen Streitkräfte, deren Angehörige an vorderster Front eingreifen müssten. Auch Köche hätten gegebenenfalls in einem Kampftrupp zu dienen.169 Auf Grund dieser speziellen Bedingungen, insbesondere der Regel der „allseitigen Verwendbarkeit“, und unter Berücksichtigung des Ermessens der zuständigen Stellen sei ein Ausschluss der Frauen von diesen Kampfeinheiten gerechtfertigt.170 cc) Kreil In der Entscheidung Kreil aus dem Jahr 2000171 stand die Vereinbarkeit nationaler Bestimmungen des deutschen Rechts mit der GenderVorgRL in Frage, denen zufolge Frauen vom Dienst mit der Waffe ausgeschlossen 163  EuGH 164  EuGH 165  EuGH 166  EuGH 167  EuGH 168  EuGH 169  EuGH 170  EuGH 171  EuGH

26.10.1999 26.10.1999 26.10.1999 26.10.1999 26.10.1999 26.10.1999 26.10.1999 26.10.1999 11.01.2000

(Sirdar) Slg. 1999, I-07403. (Sirdar) Slg. 1999, I-07403 Rn. 9. (Sirdar) Slg. 1999, I-07403 Rn. 7. (Sirdar) Slg. 1999, I-07403 Rn. 23. (Sirdar) Slg. 1999, I-07403 Rn. 26. (Sirdar) Slg. 1999, I-07403 Rn. 27. (Sirdar) Slg. 1999, I-07403 Rn. 30. (Sirdar) Slg. 1999, I-07403 Rn. 31. (Kreil) Slg. 2000, I-00069.



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen277

wurden und die ihnen nur den Zugang zum Sanitäts- und Militärmusikdienst erlaubten. Der EuGH prüfte diese Regelungen wiederum am Maßstab des Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL. Unter Verweis auf die Urteile Johnston und Sirdar betonte er einmal mehr, dass diese Ausnahmebestimmung grundsätzlich eng auszulegen sei.172 Zudem wies er auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten hin, Tätigkeiten, die unter die Ausnahmebestimmung zu subsumieren sind, in regelmäßigen Abständen zu prüfen. Auf diese Weise solle unter der Berücksichtigung der sozialen Entwicklung festgestellt werden, ob die Ausnahme noch aufrechterhalten werden könne.173 Weiter müsse die Ausnahme mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein.174 Gehe es um Maßnahmen für die öffentliche Sicherheit, verfügten die Mitgliedstaaten freilich über einen bestimmten Ermessensspielraum.175 Unter Beachtung dieser Grundsätze verneinte der EuGH die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL für den Ausschluss der Frauen vom Dienst an der Waffe. Sein Hauptargument war, dass der Ausschluss zu weitgehend sei, die Ausnahmebestimmung aber nur für spezifische Tätigkeiten gelte.176 Insbesondere rechtfertige die Tatsache, dass Angehörige der Streitkräfte zum Einsatz von Waffen verpflichtet sein könnten, einen Ausschluss von Frauen vom Zugang zu militärischen Verwendungen nicht. Schließlich erfolge auch in den Bundeswehrdiensten, die Frauen offenstünden, eine Ausbildung an der Waffe zu Zwecken der Selbstverteidigung und Nothilfe.177 c) Privatsphäre- und Sicherheitsinteressen? In Kommission / Frankreich aus dem Jahr 1988178 ging die Kommission davon aus, dass die besondere Eigenart der Aufseherposten in Haftanstalten und die Bedingungen, unter denen diese Tätigkeit ausgeübt wird, es rechtfertigten, diese Posten in Männergefängnissen hauptsächlich Männern und in Frauengefängnissen hauptsächlich Frauen vorzubehalten.179 Der EuGH folgte dieser Annahme ohne weitere Begründung. Da die Chefaufseher aus den Aufsehern rekrutiert wurden, leitete der EuGH aus dem Erfordernis der geschlechtsspezifischen Besetzung der Aufseher ab, dass die Ausnahmebestimmung des Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL sich auch auf die Chefaufseher172  EuGH 173  EuGH 174  EuGH 175  EuGH 176  EuGH 177  EuGH 178  EuGH 179  EuGH

11.01.2000 11.01.2000 11.01.2000 11.01.2000 11.01.2000 11.01.2000 30.06.1988 30.06.1988

(Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 20. (Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 22. (Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 23. (Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 24. (Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 27. (Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 28. (Kommission/Frankreich) Slg. 1988, 03559. (Kommission/Frankreich) Slg. 1988, 03559 Rn. 12.

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D. Europarechtliche Vorgaben

tätigkeit erstrecke.180 Anderes ergebe sich nicht daraus, dass die Chefaufseher einige Tätigkeiten ausübten, die nicht notwendigerweise von Personen eines bestimmten Geschlechts ausgeübt werden müssten. Unklar bleibt, aus welchen Gründen der EuGH die geschlechtsspezifische Besetzung von Aufseherposten in Gefängnissen akzeptiert. Ruft man sich die diesbezügliche Rechtsprechung US-amerikanischer Gerichte ins Gedächtnis, kommen sowohl Sicherheits- als auch Privatsphäreerwägungen in Betracht. Im Zusammenhang mit Sicherheitserwägungen führen die US-amerikanischen Gerichte ausführlich aus, welche Bedingungen es in Haftanstalten erforderlich machten, dass Aufseher ein bestimmtes Geschlecht haben. In dem Fall Dothard beschrieb der U.S. Supreme Court beispielweise eine „Dschungelatmosphäre“ und eine „Situation zügelloser Gewalt“ in Männergefängnissen, die bei Einsatz von Frauen in dem Gefängnis zu eskalieren drohe.181 Zum anderen kann eine nach Geschlechtern getrennte Einstellungspolitik in Haftanstalten aber auch in Privatsphäreschutzerwägungen zugunsten der Häftlinge wurzeln, wie die Fälle Torres182 und Griffin183 zeigen. Der EuGH behauptet das Erfordernis, dass Aufseher in Männergefängnissen männlich, in Frauengefängnissen weiblich sein müssten, ohne weitere Begründung. Somit lässt sich nur vermuten, dass dem letztlich auch Sicherheits- und / oder Privatsphäreüberlegungen zugrunde liegen. d) Zusammenfassung / Beobachtungen Bei Betrachtung der von dem EuGH zu beurteilenden Fälle fällt in tatsächlicher Hinsicht auf, dass die Sachverhalte bereits aus dem Blick ins US-amerikanische Recht bekannt sind. Ähnlich wie der EuGH im „Hebammenfall“ setzten sich US-amerikanische Gerichte mit der Zulässigkeit der Beschäftigung ausschließlich weiblicher Krankenschwestern auf Geburtshilfestationen auseinander.184 Insbesondere Geschlechtsdiskriminierungen in Haftanstalten wie im Fall Kommission / Frankreich beschäftigten US-ameri180  EuGH

30.06.1988 (Kommission/Frankreich) Slg. 1988, 03559 Rn. 17. v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 (1977); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. b) aa). 182  Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 859 F.2d 1523 ff. (7th Cir. 1988), siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (c). 183  Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690  ff. (E.D. Mich. 1982); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) bb) (2) (a). 184  Vgl. z. B. Backus v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191 ff. (E.D. Ark. 1981) sowie EEOC v. Mercy Health Center 29 FEP Cases (BNA) 159 ff. (W.D. Okla. 1982). Siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (b) (aa). 181  Dothard



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen279

kanische Gerichte immer wieder.185 Auch Ungleichbehandlungen von Polizisten aus Sicherheitsgründen hatten die US-amerikanischen Gerichte zu beurteilen.186 In Bezug auf die rechtliche Würdigung bleiben die EuGH-Entscheidungen im Vergleich mit den Entscheidungen der US-amerikanischen Gerichte oberflächlich. Verhältnismäßig ausführlich begründet der EuGH das Vorliegen der Voraussetzungen der Rechtfertigung lediglich in dem Urteil Johnston. Er akzeptiert die Argumentation des Vereinigten Königreichs. Danach würden Waffen tragende Frauen in der Öffentlichkeit schlecht aufgenommen. Zudem seien sie in höherem Maße der Gefahr von Anschlägen ausgesetzt als Männer. Darüber hinaus seien Frauen wirksamer für polizeiliche Aufgaben im sozialen Kontakt mit Familien und Kindern einzusetzen. Die konkreten Gründe und Auswirkungen der stärkeren Gefährdung von Frauen werden indes auch in Johnston nicht weiter erläutert. Insbesondere der Verweis auf das Kerneinsatzgebiet von Frauen in der Arbeit mit Kindern und Familie ist ein klassisches Vorurteil über „Männerberufe“ und „Frauenberufe“. Im US-amerikanischen Recht werden derartige Begründungen zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ausdrücklich nicht akzeptiert.187 Bei Betrachtung der Urteile lassen sich fünf Grundsätze des EuGH zur Auslegung der Rechtfertigungsmöglichkeit für unmittelbare Geschlechtsdiskriminierungen eruieren.188 Erstens ist die Ausnahmebestimmung eng auszulegen. Zweitens ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Sofern die Ungleichbehandlung drittens im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit – mit anderen Worten auf „Kundenpräferenzen“ für Sicherheit – begründet wird, verfügen die Mitgliedstaaten über einen gewissen Ermessensspielraum, wenn sie die erforderlichen Maßnahmen treffen. Viertens muss die Rechtfertigung in Bezug auf spezifische Tätigkeiten erfolgen. Und fünftens muss in regelmäßigen Abständen unter Berücksichtigung der sozia­ len Umstände geprüft werden, ob die Ausnahme aufrechterhalten werden kann. Diese Grundsätze hat der EuGH in Bezug auf Fälle entwickelt, in denen der Mitgliedstaat selbst der Arbeitgeber war, der jeweils mit öffentli185  Vgl. Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 (1977), siehe dazu bereits unter C.III.3.b)aa); Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 859 F.2d 1523 ff. (7th Cir. 1988), siehe dazu bereits unter C.III.3.c)bb)(1)(c) sowie Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690 ff. (E.D. Mich. 1982), siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (2) (a). 186  Vgl. Ray v. University of Arkansas 868 F. Supp. 1104 ff. (E.D. Ark. 1994), dazu bereits unter C. III. 3. d) cc). Ray betraf freilich keine Geschlechts-, sondern eine Rassendiskriminierung. 187  So z.  B. die EEOC-Richtlinien, 29 C.F.R. § 1604.2(a), siehe dazu bereits unter C. III. 2. a). 188  Vgl. dazu auch KOM(2000) 334 endg., S. 7 ff.

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chen Sicherheitsinteressen argumentiert hat. Abgesehen von dem mitgliedstaatlichen Ermessen sind sie aber auch auf Fälle übertragbar, in denen ein privater Arbeitgeber mit Sicherheitsinteressen der Kunden argumentiert.189 2. Alter In einer Reihe jüngerer EuGH-Entscheidungen zu Altersdiskriminierungen190 spielten Erwägungen des Arbeitgebers zu Sicherheitsinteressen Dritter – also zu Kundenpräferenzen für Sicherheit – eine Rolle. Dies sind namentlich die Urteile Petersen191 (dazu unter a]), Wolf192 (dazu unter b]) und Prigge193 (dazu unter c]). Wie in sämtlichen zur Geschlechtsdiskriminierung dargestellten Entscheidungen ging es auch in den Entscheidungen Petersen, Wolf und Prigge nicht um diskriminierende Maßnahmen eines privatwirtschaftlichen Arbeitgebers, sondern um solche des Staates bzw. der Tarifvertragsparteien. Im Zusammenhang mit möglicherweise betroffenen Sicherheitsinteressen ist auf zwei besondere Vorschriften der BeschäftiggsRL hinzuweisen, Art. 3 Abs. 4 BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL.194 Art. 3 Abs. 4 BeschäftiggsRL gestattet den Mitgliedstaaten, ihre Streitkräfte gänzlich vom Verbot der Diskriminierung wegen des Alters oder einer Behinderung auszunehmen. Anders als in den Fällen Kreil und Sirdar, in denen es um Geschlechtsdiskriminierungen in mitgliedstaatlichen Streitkräften ging, muss sich ein Mitgliedstaat für entsprechende Ungleichbehandlungen wegen des Alters oder Behinderungen nicht rechtfertigen. Zudem stehen die Diskriminierungsverbote wegen der Merkmale Alter, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, und sexuelle Ausrichtung gemäß Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL solchen mitgliedstaatlichen Maßnahmen nicht entgegen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zum Gesundheitsschutz und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Diese Vorschrift soll den Streitkräften sowie der Polizei, den Haftanstalten oder 189  Zweifelnd indes Rebhahn-Windisch-Graetz § 20 GlBG Rn. 3; dagegen wohl Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 9, die diese Grundsätze nur im Bereich „eigenstaatlicher Organisationsentscheidungen“ der Mitgliedstaaten für anwendbar zu halten scheint. 190  Vgl. für einen instruktiven Überblick über die und eine grundsätzliche Kritik an der EuGH-Rechtsprechung zur Altersdiskriminierung Nettesheim EuZW 2013, 48 ff.; vgl. außerdem Preis NZA 2010, 1323 ff. 191  EuGH 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, 137 ff. 192  EuGH 12.01.2010 (Wolf) EuZW 2010, 142 ff. 193  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039 ff. 194  Siehe dazu bereits unter D. I. 2. b) dd).



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen281

den Notfalldiensten ermöglichen, die Einsatzbereitschaft dieser Dienste zu wahren.195 Im Schrifttum wird zum Teil vermutet, dass es sich dabei um eine Überreaktion des Gesetzgebers auf das Urteil Kreil handele.196 In Kreil hatte der EuGH die GenderVorgRL für anwendbar auf den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr gehalten, da die Richtlinie keinen allgemeinen Vorbehalt für die öffentliche Sicherheit enthielt.197 Freilich können die Mitgliedstaaten ihre Streitkräfte bereits gemäß Art. 3 Abs. 4 BeschäftiggsRL zumindest von den Diskriminierungsverboten wegen des Alters und der Behinderung ausnehmen. Von Art. 3 Abs. 4 BeschäftiggsRL unterscheidet sich Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL dadurch, dass letzterer die „Notwendigkeit“ der Maßnahme erfordert. Das bedeutet, dass die Maßnahme geeignet und erforderlich sein muss.198 Beruft sich der Staat zur Rechtfertigung einer diskriminierenden Maßnahme also auf öffentliche Sicherheitsinteressen, kann diese Vorschrift eine Rolle spielen. Der EuGH scheint indes über ihre genaue Reichweite noch im Unklaren zu sein, wie die Betrachtung der folgenden Entscheidungen zeigt. a) Petersen In der Entscheidung Petersen aus dem Jahr 2010199 hatte der EuGH gesetzliche Höchstaltersgrenzen für die Ausübung des Vertragszahnarzt-Berufs zu beurteilen. Nach dem mittlerweile aufgehobenen § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V endete die Zulassung als Vertragszahnarzt mit Ablauf des Kalendervierteljahres, in dem der Zahnarzt das 68. Lebensjahr vollendete. Auf Grundlage privatrechtlicher Verträge konnten die Zahnärzte Patienten jedoch auch nach Überschreiten dieser Altersgrenze behandeln. Zur Begründung dieser gesetzlichen Regelung wurden drei Zielsetzungen genannt: erstens der Schutz der Gesundheit der gesetzlich krankenversicherten Patienten, da die Leistungsfähigkeit der Zahnärzte von einem bestimmten Alter an abnehme, zweitens die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen und drittens die ausgewogene Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems.200 Anhand des Prüfungsmaßstabs Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL beurteilte der EuGH lediglich die zweitgenannte Zielsetzung „Verteilung der Berufs195  ErwG 18 BeschäftiggsRL; vgl. dazu auch Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 22, 26. 196  So Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 82. 197  Vgl. EuGH 11.01.2000 (Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 16 ff. 198  Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 82. 199  EuGH 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, 137 ff. 200  EuGH 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, 137, 138 f.

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chancen zwischen den Generationen“.201 Für das hier unter dem Aspekt der Kundenpräferenzen interessierende erstgenannte Ziel „Schutz der Patientengesundheit“ prüfte der EuGH die Rechtfertigung der Altersgrenzen – anders als das vorlegende SG Dortmund – nicht an Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL, sondern an Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL. Zunächst erinnerte er daran, dass den Mitgliedstaaten für Maßnahmen zum Gesundheitsschutz ein Wertungsspielraum zuzuerkennen sei.202 In diesem Rahmen könne ein Mitgliedstaat es für erforderlich halten, für die Ausübung ärztlicher Berufe Altersgrenzen festzulegen, um die Gesundheit der Patienten zu schützen. Zudem prüfte der EuGH die Geeignetheit der Maßnahme im Hinblick auf das Ziel des Gesundheitsschutzes.203 Diese erfordere die Kohärenz der Maßnahme. Die Altersgrenze galt nur für Vertragszahnärzte, während die Behandlung von Patienten außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung möglich blieb. Damit konnten immer noch 10 % der deutschen Bevölkerung auf Grund privater Verträge weiter behandelt werden.204 Dieser nicht unerhebliche Teil der deutschen Bevölkerung wurde mithin nicht von der Maßnahme zum Gesundheitsschutz erfasst. Deshalb stellte der EuGH fest, dass die gesetzliche Altersgrenze das Ziel des Gesundheitsschutzes nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolge, somit nicht geeignet und nicht von Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL gedeckt sei.205 b) Wolf Am selben Tag wie die Rechtssache Petersen entschied der EuGH den Fall Wolf206, in dem es um die landesrechtlich festgelegte Höchstaltersgrenze von dreißig Jahren für die Einstellung von Feuerwehrleuten in den mittleren technischen Dienst im Land Hessen ging. Anders als in der Rechtssache Petersen prüfte der EuGH diese Regelung jedoch nicht an Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL und auch nicht vorrangig, wie das vorlegende Gericht, an der speziellen Rechtfertigungsmöglichkeit für Altersdiskriminierungen, Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL.207 Vielmehr stellte er den Maßstab der Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen gemäß Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL in den Mittelpunkt seiner Prüfung. Anknüpfungspunkt bilde die „körperliche Eignung“ als „im Zusammenhang mit dem Alter stehendem 201  EuGH

12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, 137, 141 f. 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, 137, 139. 203  EuGH 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, 137, 140. 204  Vgl. dazu auch Mohr EuZA 2010, 371, 380; Röbke EuZW 2010, 145, 146. 205  EuGH 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, 137, 140. 206  EuGH 12.01.2010 (Wolf) EuZW 2010, 142 ff. 207  EuGH 12.01.2010 (Wolf) EuZW 2010, 142, 143. 202  EuGH



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen283

Merkmal“.208 In einem ersten Prüfungsschritt stellte der EuGH die „Rechtmäßigkeit des Zwecks“ der Regelung – die Gewährleistung des ordnungsgemäßen Funktionierens der Berufsfeuerwehr – fest.209 Daraufhin wendete er sich der „wesentlichen und entscheiden beruflichen Anforderung“ zu. Er beschrieb die genauen Tätigkeiten der Feuerwehrleute im mittleren technischen Dienst, z. B. Brandbekämpfung und Personenrettung und qualifizierte sie als Tätigkeiten körperlicher Art. Daraus folgerte er, dass die besonders ausgeprägte körperliche Eignung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung sei.210 Dass die körperliche Eignung mit dem Merkmal Alter in Zusammenhang stehe, habe die deutsche Regierung überzeugend durch arbeits- und sportmedizinische Untersuchungen nachgewiesen.211 Aus den Untersuchungen gehe hervor, dass die Leistungsfähigkeit der Lungen, der Muskulatur und die körperliche Widerstandsfähigkeit mit dem Alter nachließen, sodass nur sehr wenige über 45-jährige Beamte über die hinreichende körperliche Eignung für Tätigkeiten in der Brandbekämpfung verfügten. In einem letzten Schritt prüfte der EuGH schließlich die Verhältnismäßigkeit der Regelung.212 Er bejahte sie. Das effiziente Funktionieren des mittleren feuerwehrtechnischen Dienstes setze voraus, dass die Beamten mehrheitlich in der Lage seien, die körperlich anspruchsvollen Aufgaben zu erfüllen. Durch das Einstellungshöchstalter werde sichergestellt, dass die Beamten die Anforderungen an die besondere körperliche Eignung über einen relativ langen Zeitraum ihrer Karriere erfüllten. Da die Einstellungshöchstaltersgrenze nach Auffassung des EuGH bereits nach Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL gerechtfertigt war, hielt er eine Prüfung des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL für entbehrlich.213 c) Prigge In der Entscheidung Prigge aus dem Jahr 2011214 ging es um die Zulässigkeit tariflicher Altersgrenzen für Piloten. Diese sahen die automatische Beendigung der Arbeitsverträge der Piloten im Alter von sechzig Jahren vor. Zur Rechtfertigung der Bestimmungen wurde das Ziel „Gewährleistung der Flugsicherheit“ genannt. Weiter wurde ausgeführt, dass es um die 208  EuGH

12.01.2010 12.01.2010 210  EuGH 12.01.2010 211  EuGH 12.01.2010 212  EuGH 12.01.2010 213  EuGH 12.01.2010 214  EuGH 13.09.2011 D. V. 2. c) aa). 209  EuGH

(Wolf) EuZW 2010, 142, 144. (Wolf) EuZW 2010, 142, 144. (Wolf) EuZW 2010, 142, 144. (Wolf) EuZW 2010, 142, 144. (Wolf) EuZW 2010, 142, 144. (Wolf) EuZW 2010, 142, 145. (Prigge) NZA 2011, 1039 ff., siehe dazu auch bereits unter

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Vermeidung des Unfallrisikos und den Gesundheitsschutz und die Sicherheit von Piloten, Passagieren und der Bewohner der überflogenen Gebiete gehe.215 Der EuGH prüfte die Zulässigkeit der Altersgrenze im Hinblick auf diese Zielsetzung. Er begann mit dem Maßstab des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL. Zunächst unterstrich er, dass diese Bestimmung als Ausnahme zu dem Diskriminierungsverbot grundsätzlich eng auszulegen sei.216 Die Altersgrenze für Piloten sei eine Maßnahme, die auf die Verhinderung von Flugzeugunglücken durch Kontrolle der Eignung und physischen Fähigkeiten der Piloten abziele. Demzufolge hielt der EuGH die Altersgrenze für geeignet, die öffentliche Sicherheit im Sinne von Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL zu gewährleisten.217 Dass die fragliche Altersgrenze in einem Tarifvertrag und nicht in einer Gesetzesnorm enthalten sei, stehe der Anwendung des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL nicht entgegen. Die Mitgliedstaaten könnten die Normsetzung auf die Sozialpartner delegieren.218 Doch die tarifvertragliche Altersgrenze sei deshalb nicht erforderlich und damit nicht „notwendig“ im Sinne des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL, weil sie ein strengeres Schutzniveau vorsehe als bundesrechtliche und internationale Normen, die den Piloten die Ausübung ihrer Tätigkeit nach Vollendung des sechzigsten Lebensjahres nicht vollständig untersagten, sondern lediglich beschränkten.219 Daraufhin prüfte der EuGH eine Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen gemäß Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL. Er erkannte die Voraussetzung „besondere körperliche Fähigkeiten“ als „wesentliche und entscheidende Anforderung“ an den Pilotenberuf an. Die körperlichen Fähigkeiten nähmen „[u]nbestreitbar […] auch mit zunehmendem Alter ab“220. Des Weiteren sah er in der Gewährleistung der Flugsicherheit einen rechtmäßigen Zweck.221 Daraufhin wandte sich der EuGH der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu. Er legte unter Bezugnahme auf die Urteile Johnston222 und Sirdar223 zur Geschlechtsdiskriminierung einen engen Prüfungsmaßstab an.224 Die tarif­ 215  EuGH

13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1042. 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1042. 217  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1042. 218  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1042, vgl. dazu Temming EuZA 2012, 205, 212. 219  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1042. 220  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1043. 221  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1043. 222  EuGH 15.05.1986 (Johnston) Slg. 1986, 01651, siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter D. IV. 1. b) aa). 223  EuGH 26.10.1999 (Sirdar) Slg. 1999, I-07403, siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter D. IV. 1. b) bb). 224  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1043. 216  EuGH



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen285

liche Altersgrenze sei unverhältnismäßig, weil sie den Piloten strengere Anforderungen auferlege als die Vorschriften des nationalen und interna­ tionalen Luftsicherheitsrechts. Abschließend ging der EuGH auf den speziellen Rechtfertigungsgrund für Altersdiskriminierungen des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL ein. Nach seiner Auffassung können aber nur sozialpolitische Ziele „legitim“ im Sinne der Norm sein.225 Die „Gewährleistung der Flugsicherheit“ sei kein Ziel in diesem Sinne. Eine Rechtfertigung der tariflichen Altersgrenze scheitere deshalb bereits an dem Erfordernis des „legitimen Ziels“. d) Zusammenfassung / Beobachtungen Eine vergleichende Betrachtung der Entscheidungen Petersen, Wolf und Prigge offenbart einige Gemeinsamkeiten in Bezug auf die faktische Ausgangslage. Alle drei Fälle betrafen Vorlageverfahren deutscher Gerichte, in denen es um Ungleichbehandlungen auf Grund des Merkmals Alter ging. Diskriminiert wurden jeweils ältere Beschäftigte. Gemeinsam ist den Fällen darüber hinaus, dass die benachteiligenden Maßnahmen nicht von einem privaten Arbeitgeber ausgingen. Vielmehr ging es um die Zulässigkeit normativer Regelungen in Form von Bundesrecht (Petersen), Landesrecht (Wolf) bzw. Tarifvertag (Prigge). Zur Rechtfertigung der diskriminierenden Maßnahmen wurden in allen drei Fällen öffentliche Sicherheits- bzw. Schutzinteressen Dritter vorgebracht. Trotz dieser Gemeinsamkeiten gibt es beträchtliche Unterschiede in der rechtlichen Analyse durch den EuGH. Während das Gericht den Patientenschutz in der Rechtssache Petersen am Maßstab des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL prüfte, erwähnte es diese Vorschrift im Fall Wolf nicht und stellte stattdessen die Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen gemäß Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL in den Mittelpunkt.226 Da der EuGH dessen Voraussetzungen bejahte, entfiel die Auseinandersetzung mit der Rechtfertigungsmöglichkeit für Altersdiskriminierungen, Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL. In der Entscheidung Prigge wiederum wurden alle drei Ausnahmebestimmungen geprüft. Die dogmatische Einordnung des Art.  2 Abs.  5 BeschäftiggsRL als Rechtfertigungsmöglichkeit und nicht als Bereichsausnahme in den Rechtssachen Petersen227 und Prigge überrascht und ist nicht zwingend. In seinen Schlussanträgen erklärt Generalanwalt Bot dieses Vorgehen offen mit der 225  EuGH

13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1044. EuZA 2010, 371, 374. 227  Vgl. dazu auch Mohr EuZA 2010, 371, 374, 380 f. 226  Mohr

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EuGH-Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL seit dem Fall Age Concern.228 Danach soll diese Rechtfertigungsmöglichkeit nur in Fällen sozialpolitischer Zielsetzungen offenstehen. Vor diesem Hintergrund scheint der Generalanwalt – und ihm folgend auch der EuGH – eine dogmatische Korrektur für notwendig zu halten. Dies spricht dafür – soviel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen –, den Begriff des „legitimen Ziels“ in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL nicht auf sozialpolitische Ziele mit Allgemeinwohlbezug zu beschränken.229 Dann wären derartige Griffe in die „dogmatische Trickkiste“ nicht notwendig. Zudem ist der EuGH in seiner Anwendung des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL als Rechtfertigungsgrund selbst inkonsequent: Im Fall Wolf erwähnt er Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL nicht. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL zitiert der EuGH die Entscheidungen Johnston und Sirdar zur Rechtfertigung einer Geschlechtsdiskriminierung. Den in diesen Entscheidungen etablierten strengen Prüfungsmaßstab möchte er auf die Rechtfertigung von Altersdiskriminierungen übertragen. Obwohl der EuGH sich in den Altersdiskriminierungsfällen auf die Entscheidungen aus dem Bereich der Geschlechtsdiskriminierung beruft, fällt ein wesentlicher Unterschied auf, und zwar die größere Argumentationstiefe in den Urteilen zur Altersdiskriminierung. Insbesondere in dem Urteil Wolf beschreibt der EuGH die beruflichen Anforderungen des mittleren feuerwehrtechnischen Dienstes detailliert und erläutert nachvollziehbar, weshalb sie eine besondere körperliche Eignung voraussetzten. Auch die Verhältnismäßigkeit der jeweils in Frage stehenden Regelungen prüft der EuGH selbst ausführlich. In der Entscheidung Johnston hatte er die Verhältnismäßigkeitsprüfung noch als Aufgabe der mitgliedstaatlichen Gerichte angesehen.230 An dem Verhältnismäßigkeitserfordernis lässt er sogar in den Fällen Petersen und Prigge eine Rechtfertigung im Hinblick auf Sicherheitsinteressen scheitern.

228  So Schlussanträge des Generalanwalts Bot 03.09.2009  – Rs. C-341/08 (Petersen), Slg. 2010, I-00047 Rn. 55; vgl. dazu auch Mohr EuZA 2010, 371, 380 f. 229  Siehe dazu später ausführlich unter D. V. 2. c) aa). 230  EuGH 15.05.1986 (Johnston) Slg. 1986, 01651 Rn. 39, siehe dazu bereits unter D. IV. 1. b) aa).



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3. Rasse oder ethnische Herkunft – Feryn Besondere Beachtung verdient die viel besprochene231 Rechtssache Feryn232, die der EuGH im Jahr 2008 zu beurteilen hatte und in der eine Diskriminierung wegen der Rasse oder ethnischen Herkunft unter Berufung auf fremdenfeindliche Kundenpräferenzen im Raum stand. a) Sachverhalt Zu beurteilen war die Beschäftigungspolitik der belgischen Firma Feryn, die einen auf den Verkauf und den Einbau von Garagentoren spezialisierten Betrieb führte. Feryn suchte Monteure für den Einbau von Schwingtüren in die Häuser der Kunden. Daraufhin erschienen Artikel in mehreren Tageszeitungen, denen zufolge Pascal Feryn, einer der Direktoren der Firma, gesagt haben soll, dass seine Firma keine Personen marokkanischer Herkunft einstelle. In einem Zeitungsinterview wurde Pascal Feryn wie folgt zitiert: „Außer diesen Marokkanern hat in vierzehn Tagen niemand anders auf unseren Aufruf reagiert … Marokkaner suchen wir aber nicht. Unsere Kunden wollen sie nicht. Sie müssen in Privatwohnungen, oft in Villen, Schwingtüren einbauen, und diese Kunden wollen sie nicht in ihren Wohnungen haben.“233

Die Aussagen in den Zeitungen bestritt Feryn. Doch im belgischen na­ tionalen Fernsehen erschien ein Interview, in dem er unbestritten sagte: „Ich muss mich nach den Forderungen meiner Kunden richten. Wenn sie sagen, ‚ich will dieses bestimmte Produkt oder ich will es so oder so ausgeführt haben‘, und wenn ich dann sage, ‚das mache ich nicht, ich schicke diese Leute doch vorbei‘, dann werden sie mir sagen, ‚ich brauche diese Tür nicht unbedingt von Ihnen‘. Dann kann ich mein eigenes Geschäft schließen. Wir müssen den Forderungen unserer Kunden nachkommen. Es ist nicht mein Problem, ich habe dieses Problem in Belgien nicht verursacht. Ich will, dass die Firma läuft und dass wir am Jahresende unseren Umsatz erreichen, und wie schaffe ich das? Indem ich es so mache, wie der Kunde es will!“234

Seine Kunden lehnten Monteure fremder Herkunft ab, weshalb Feryn ausschließlich einheimische Monteure beschäftigen wollte. Obwohl sich 231  Siehe z. B. Böhm BB 2008, 2193 f.; Bayreuther NZA 2008, 986 ff.; Junker RIW 2008, 824, 830; Lindner NJW 2008, 2750 ff.; ders. RdA 2009, 45 ff.; Lobinger EuZA 2009, 365  ff.; Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S.  341 ff.; Sprenger BB 2008, 2405 ff. 232  EuGH 10.07.2008 (Feryn) NZA 2008, 929 ff. 233  Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro 12.03.2008  – C-54/07 (Feryn), Slg. 2008, I-05187 Rn. 3; vgl. zu den Schlussanträgen auch Reich EuZW 2008, 229 f. 234  EuGH 10.07.2008 (Feryn) NZA 2008, 929.

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kein Bewerber gemeldet hatte, der sich diskriminiert fühlte, erhob das „Zentrum für Chancengleichheit und für Bekämpfung des Rassismus“, eine belgische Einrichtung zur Förderung der Gleichbehandlung, Klage. Ziel dieser Klage war, feststellen zu lassen, dass Feryn eine diskriminierende Einstellungspolitik betreibe. b) Schlussanträge des Generalanwalts / Entscheidung des EuGH Der Fall warf unter anderem die Frage nach der Beachtlichkeit von Kundenerwartungen für die Diskriminierungsbefugnis des Arbeitgebers auf. Angesichts des bestehenden Klärungsbedarfs wurde die Entscheidung mit Spannung erwartet.235 Das Erstaunen und das Bedauern waren umso größer, als der EuGH sich zu dieser Frage nicht äußerte.236 Das Gericht legte den Fokus seiner Ausführungen auf die Frage, ob bereits in der öffentlichen Äußerung des Arbeitgebers eine unmittelbare Diskriminierung lag.237 Es bejahte eine unmittelbare Diskriminierung,238 ging aber mit keinem Wort auf die Frage der Rechtfertigung ein. Der Generalanwalt Poiares Maduro hatte die Problematik in seinen Schlussanträgen immerhin mit einigen knappen Ausführungen bedacht. So sei Pascal Feryns Behauptung, dass seine Kunden Beschäftigten einer bestimmten ethnischen Herkunft gegenüber nicht günstig gestimmt seien, unbeachtlich: „Selbst wenn diese Behauptung zuträfe, würde sie nur den Satz ‚markets will not cure discrimination‘ […] (Märkte sind kein Heilmittel gegen Diskriminierung) und die Notwendigkeit eines regulierenden Eingreifens veranschaulichen. Außerdem hilft der Erlass regulierender Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene bei der Lösung des für Arbeitgeber bestehenden Problems von Kollektivklagen, indem die Wettbewerbsverzerrung verhindert wird, die – gerade aufgrund dieses Versagen des Marktes – entstehen könnte, wenn verschiedene Standards des Diskriminierungsschutzes auf nationaler Ebene existierten.“239 235  So auch Hwang Rechtfertigung von Benachteiligungen nach § 8 AGG (2014), S. 60; vgl. z. B. Bissels/Lützeler BB 2008, 666, 670; Krause FS Adomeit (2008), 377, 378; Thüsing RdA 2007, 307, 309. 236  Vgl. z. B. Bayreuther NZA 2008, 986, 988; Bissels/Lützeler BB 2009, 833, 834; Lindner NJW 2008, 2750, 2751; Lobinger EuZA 2009, 365, 371; Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 403 f., 409. 237  Vgl. für eine ausführliche Besprechung der Entscheidung unter der Gesichtspunkt der hypothetischen Diskriminierung Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 341 ff. 238  EuGH 10.07.2008 (Feryn) NZA 2008, 929, 931. 239  Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro 12.03.2008 – Rs. C-54/07 (Feryn), Slg. 2008, I-05187 Rn. 18.



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen289

Im Gegensatz zu dem EuGH liefert der Generalanwalt damit zumindest eine kurze Begründung für das auch vom EuGH gefundene Ergebnis, dass eine Rechtfertigung in dem konkreten Fall nicht in Betracht kommt. c) Vereinbarkeit mit europäischer Antidiskriminierungsprogrammatik Die anhand der Entscheidung Feryn gewonnenen Erkenntnisse für die Recht­fertigung einer Rassendiskriminierung lassen sich mangels diesbezüglicher Ausführungen des EuGH nicht „zusammenfassen“. Die Entscheidung steht – soviel lässt sich an dieser Stelle jedoch bereits feststellen – jedenfalls im Einklang mit der Zielsetzung der europäischen Antidiskriminierungsprogrammatik. Auch wenn die EuGH-Entscheidung in der (fehlenden) Begründung zu der Frage der Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen nicht überzeugt, hat sie im Ergebnis im Schrifttum Zustimmung erfahren.240 Das Ergebnis, dass die Kundenpräferenzen in dem Fall Feryn keine Rechtfertigung begründen können, ist im Hinblick auf den Integritätsschutz gefordert. Die Ablehnung von Monteuren fremder Herkunft, denen die Kunden keinen Zutritt zu ihren Villen oder Privatwohnungen erlauben wollten, ist im Fall Feryn ein Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit.241 Es sind keine Anzeichen da­ für ersichtlich, dass belgische Monteure in dem Ruf stünden, besonders qualifizierte Monteure zu sein, die im Vergleich zu Monteuren fremder Herkunft hervorragende Arbeit leisteten. Auch unter Rückgriff auf die Fallgruppen „Privatsphäre, Authentizität, Sicherheit“, in denen die US-amerikanischen Gerichte Rechtfertigungen bejahen, ist kein sachlicher, nicht herabwürdigender Grund für Feryns Einstellungspolitik erkennbar. Der Einbau von Türen und Toren kann nicht authentischer von Einheimischen erfolgen.242 Zwar ließe sich erwägen, dass die Privatsphäre der Kunden betroffen sein könnte, da die von den Monteuren zu erbringende Dienstleistung auf den Grundstücken der Kunden erfolgte. Eine ähnliche Überlegung stellt Schnabel an, dergemäß „es durchaus möglich gewesen [wäre], im Fall Feryn das Verlangen der Kunden nach nicht-marokkanischen Monteuren als vertrauensbezogen zu begründen, da diese in marokkanische Monteure kein Vertrauen hatten“243. Mit der Privatsphäre argumentierte auch der Arbeitgeber, ein Krankenhaus, in dem US-amerikanischen Fall Chaney:244 Die Ablehnung einer schwarzen Kran240  So auch Bayreuther NZA 2008, 986, 988  f.; Lindner NJW 2008, 2750 f.; Lobinger EuZA 2009, 365, 383; Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S.  403 f. 241  So auch Bayreuther NZA 2008, 986, 989. 242  So auch Lobinger EuZA 2009, 365, 382. 243  Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 408. 244  Chaney v. Plainfield Healthcare Center 612 F.3d 908 ff. (7th Cir. 2010). Siehe für eine ausführliche Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. d) dd).

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D. Europarechtliche Vorgaben

kenschwester durch eine Patientin veranlasste das Krankenhaus zu einer diskriminierenden Beschäftigungspolitik. Das Krankenhaus verwies zu seiner Rechtfertigung auf die Anerkennung von Privatsphäre-Ausnahmen in Fällen der Geschlechtsdiskriminierung und wollte Rassendiskriminierungsfälle ähnlich beurteilt wissen. Der U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit erteilte dieser Begründung aber eine Absage. Zwar sei ein Privatsphäreinteresse verletzt, wenn man sich vor einer Person des anderen Geschlechts entkleiden müsste. Eine Entsprechung in Fällen der Rassendiskriminierung gebe es aber nicht. Vor diesem Hintergrund eignen sich Privatsphäreinteressen von Kunden in Rassendiskriminierungsfällen nicht zur Begründung einer Rechtfertigung. Schließlich ergeben sich im konkreten Fall auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Monteure fremder Herkunft ein größeres Sicherheitsrisiko für die Kunden mit sich brächten. Vielmehr enthielt die „ohne jede Einzelprüfung vorgenommene pauschale Ablehnung von Marokkanern […] implizit eine herabwürdigende Aussage zumindest dergestalt, dass Marokkaner von Natur aus Diebe und Einbrecher seien, denen man grundsätzlich nicht vertrauen könne“245, wie Lobinger zutreffend feststellt. Als Ausdruck von Vorurteilen über die pauschal geringere Vertrauenswürdigkeit Fremder läuft Feryns Beschäftigungspolitik der Zielsetzung des Integritätsschutzes zuwider.246 Gleichermaßen widerspricht sie der integrationspolitischen Zielsetzung der Richtlinien, die auf die Verbesserung der Teilhabe benachteiligter Gruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten, ausgerichtet ist. Durch Feryns Einstellungspolitik werden die Teilhabechancen ethnischer Minderheiten verringert. 4. Sexuelle Ausrichtung  – Asociatia ACCEPT Ein weiteres EuGH-Urteil, in dessen Zusammenhang die Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen im Schrifttum angesprochen wurde,247 ist die Rechtssache Asociatia ACCEPT aus dem Jahr 2013.248 a) Fall als Ausgangspunkt für Überlegungen zu homophoben Fanpräferenzen In dem zugrunde liegenden Fall stand eine homophobe Einstellungspolitik des rumänischen Profifußballclubs SC Fotbal Club Steaua București SA 245  Lobinger

EuZA 2009, 365, 382. Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 408. 247  Thüsing/Stiebert ZESAR 2012, 283, 284. 248  EuGH 25.04.2013 (Asociatia ACCEPT)  – C-81/12 juris; vgl. dazu auch ­Benecke/Böglmüller EuZW 2013, 474 f.; Jacobs NZA-Beilage 2014, 82, 83 sowie Husemann EuZA 2014, 241, 243 ff., der die Entscheidung insbesondere unter dem Aspekt der Vernachlässigung der Meinungsfreiheit kritisiert. 246  Schnabel



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen291

(„FC Steaua“) im Raum. Der sich als Geschäftsführer des Vereins darstellende und von der Öffentlichkeit als solcher wahrgenommene „Patron“ des FC Steaua, George Becali, hatte sich in Interviews abfällig über homosexuelle Fußballspieler geäußert und insbesondere die Einstellung des als homosexuell dargestellten Fußballspielers X durch den Verein ausgeschlossen.249 Dagegen wandte sich Accept, eine Nichtregierungsorganisation, die die Förderung und den Schutz der Rechte lesbischer, schwuler, bi- und transsexueller Personen zum Ziel hat. Ihr Vorgehen nicht nur gegen Becali selbst, sondern auch gegen den FC Steaua begründete Accept insbesondere damit, dass sich der Fußballverein zu keiner Zeit von Becalis Äußerungen distanziert hatte. Vielmehr habe der Anwalt des FC Steaua sogar bestätigt, „dass es sich dabei um die Einstellungspolitik des Vereins handele, da ‚die Mannschaft eine Familie [sei]‘ und die Anwesenheit eines Homosexuellen in der Mannschaft ‚zu Spannungen bei der Mannschaft und in den Reihen der Zuschauer führen würde‘ “250. Darin klingt an, dass Fanpräferenzen für heterosexuelle Fußballspieler auch eine Rolle bei der diskriminierenden Einstellungspolitik gehabt haben könnten. Im Zentrum der EuGH-Entscheidung stand indes die Frage, ob aus Becalis Äußerungen auf eine diskriminierende Einstellungspolitik des FC Steaua geschlossen werden konnte,251 obwohl Becali rechtlich nicht dazu befugt war, den Verein bei Entscheidungen zu binden oder bei Einstellungen zu vertreten.252 Im Ergebnis bejahte der EuGH diese Frage.253 Auf eine mögliche Rechtfertigung ging das Gericht nicht ein.254 Thüsing / Stiebert stellen die Überlegung an, ob der öffentliche Druck der Medien sowie der Fans bei einer (angeblichen) Homosexualität eines Profifußballers so stark werden könnte, dass ein erfolgreiches Spiel nicht mehr möglich ist.255 In diesem 249  EuGH

25.04.2013 (Asociatia ACCEPT)  – C-81/12 juris Rn. 2. 25.04.2013 (Asociatia ACCEPT)  – C-81/12 juris Rn. 27. Der EuGH geht in seinem Urteil nicht auf die Stellungnahme des Anwalts ein, wie Husemann EuZA 2014, 241, 252 zutreffend kritisch feststellt. 251  Diese Frage stellte sich im Rahmen der Beweislastregelung des Art.  10 Abs. 1 BeschäftiggsRL. Der EuGH hatte darüber zu entscheiden, ob die Äußerungen Becalis als „Tatsachen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen“ im Sinne des Art. 10 Abs. 1 BeschäftiggsRL mit der Folge einer Beweislastumkehr auf den FC Stetaua gewertet werden konnten. Vgl. dazu Husemann EuZA 2014, 241, 245 ff. 252  EuGH 25.04.2013 (Asociatia ACCEPT)  – C-81/12 juris Rn. 40 ff. 253  EuGH 25.04.2013 (Asociatia ACCEPT)  – C-81/12 juris Rn. 53. 254  Den Anknüpfungspunkt für die Diskussion einer Rechtfertigung im Hinblick auf Fanpräferenzen bildet hier die Stellungnahme des Anwalts des FC Steaua. In Becalis Aussagen ist indes – wie Husemann EuZA 2014, 241, 244 zutreffend feststellt – kein Hinweis enthalten, der seine Aussagen rechtfertigen könnte. 255  Thüsing/Stiebert ZESAR 2012, 283, 284. 250  EuGH

292

D. Europarechtliche Vorgaben

Fall könnte man erwägen, dass die Heterosexualität eine „wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“ für die Tätigkeit als Profifußballer insbesondere in Osteuropa, wo sich die Problematik homophober Fans verschärft stellt,256 ist. Angesichts der hohen Hürden des Rechtfertigungsgrundes lehnen Thüsing / Stiebert das Vorliegen einer zulässigen Ausnahme vom Diskriminierungsverbot im Ergebnis ab. b) Vereinbarkeit mit europäischer Antidiskriminierungsprogrammatik Auch wenn der FC Steaua die von Thüsing / Stiebert angesprochene Argumentation im Hinblick auf homophobe Fanpräferenzen nicht vorbrachte, bietet der Fall Gelegenheit, die Vereinbarkeit einer entsprechenden Rechtfertigung mit der europäischen Antidiskriminierungsprogrammatik zu beleuchten. Die Bedienung homophober Fanpräferenzen läuft der Zielsetzung der europäischen Antidiskriminierungsprogrammatik zuwider. Die Ablehnung homosexueller Fußballprofis durch die Fans ist Ausdruck von Homophobie, also einer starken Abneigung gegen Homosexuelle.257 Sie beinhaltet eine Herabwürdigung homosexueller Menschen. Gleichermaßen widerspricht die kategorische Nicht-Beschäftigung homosexueller Fußballer der integrationspolitischen Zielsetzung der Richtlinien, die auf die Verbesserung der Teilhabe benachteiligter Gruppen ausgerichtet ist. In Bezug auf das Merkmal der sexuellen Ausrichtung bilden heterosexuell orientierte Menschen die gesellschaftlich dominante Gruppe. Homosexuelle Menschen sind somit eine der Minderheiten, deren verbesserte Teilhabe die Richtlinien bezwecken. Zwar ließe sich einwerfen, dass ohnehin nur eine sehr geringe Zahl von Menschen den Beruf des Fußballprofis ausüben kann, sodass sich der Ausschluss von dieser Tätigkeit nur minimal auf die Teilhabechancen der Homosexuellen auswirkte. Doch geht vom Fußball, den Spielern und dem Umgang mit ihnen eine große gesellschaftliche Vorbildwirkung aus. Eine Akzeptanz homophober Einstellungen in Bezug auf den Fußballsport birgt die Gefahr, auch auf andere Bereiche auszustrahlen und die Teilhabechancen homosexueller Menschen insgesamt, nicht nur begrenzt auf den Bereich des Profifußballs, zu verringern. 256  Vgl. dazu Blaschke Süddeutsche Zeitung vom 08.05.2012, S. 9. Auch in Deutschland ist Homophobie im Fußball ein brisantes Thema. Am 17. Juli 2013 unterzeichneten Vertreter des deutschen Spitzen- und Breitensports deshalb die „Berliner Erklärung: Gemeinsam gegen Homophobie. Für Vielfalt, Respekt und Akzeptanz im Sport“, Informationen dazu abrufbar unter http://www.antidiskriminierungs stelle.de/SharedDocs/Aktuelles/DE/_Archiv/2013/Berliner-Erklaerung-gegen-Homo phobie-im-Fussball-20130717.html (Abruf vom 26.07.2015). 257  Vgl. zur Homophobie im Fußball allgemein Eggeling APuZ 15–16 (2010), 20, 22 ff.



IV. Rechtsprechung des EuGH zu Kundenpräferenzfällen293

5. Zusammenfassung des Ergebnisses der Betrachtung der EuGH-Rechtsprechung Bereits in Bezug auf Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL, die Vorgängerregelung der Rechtfertigungsbestimmungen wegen beruflicher Anforderungen in den heutigen Gleichbehandlungsrichtlinien, stellte der EuGH fest, dass die Ausnahme vom Diskriminierungsverbot grundsätzlich eng auszulegen sei, eine Rechtfertigung in Bezug auf spezifische Tätigkeiten zu erfolgen habe und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten werden müsse. Im Vergleich mit der US-amerikanischen Rechtsprechung fällt auf, dass die Begründungen der EuGH-Entscheidungen zu den Ausnahmen vom Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts oberflächlich sind. Wesentlich größer ist die Argumentationstiefe der EuGH-Entscheidungen in Bezug auf die Rechtfertigung von Altersdiskriminierungen. Wird die Rechtfertigung auf den Schutz von Leib und Leben Dritter – also auf „Kundenpräferenzen“ für Sicherheit – gestützt, zieht der EuGH als Rechtfertigungsmaßstab Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL, die Rechtfertigungsmöglichkeit wegen „wesentlicher und entscheidender beruflicher Voraussetzungen“ sowie Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL heran. Den speziellen Rechtfertigungsgrund für Altersbenachteiligungen, Art. 6 BeschäftiggsRL, hält der EuGH nicht für einschlägig: Nach seiner Auffassung können „legitime Ziele“ im Sinne dieser Norm nur sozialpolitische Ziele im Allgemeininteresse, nicht aber der Gesundheitsschutz oder die Flugsicherheit sein. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL überträgt der EuGH den in den Entscheidungen zur Geschlechtsdiskriminierung etablierten strengen Prüfungsmaßstab auf die Rechtfertigung von Altersdiskriminierungen. Zudem hat die Betrachtung der EuGH-Rechtsprechung zur Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung im Hinblick auf Sicherheitsinteressen Dritter den Blick auf die Vorschrift des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL gelenkt. Hierauf können mitgliedstaatliche Maßnahmen gestützt werden, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zum Gesundheitsschutz und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Der EuGH ordnet diese Vorschrift dogmatisch als Rechtfertigungsmöglichkeit und nicht als Bereichs­ ausnahme ein. Im Rahmen der „Notwendigkeit“ prüft er die „Geeignetheit“ und die „Erforderlichkeit“ der Maßnahme, wobei das Gericht insbesondere die Kohärenz der Maßnahme untersucht. In den Entscheidungen Feryn und Asociatia ACCEPT zu Diskriminierungen wegen der ethnischen Herkunft bzw. der sexuellen Ausrichtung bejahte der EuGH jeweils eine Diskriminierung. Obwohl die Benachteiligungen (auch) auf fremdenfeindliche bzw. homophobe Kunden- bzw. Fanpräferenzen gestützt wurden, zog das Gericht eine Rechtfertigung nicht in Betracht.

294

D. Europarechtliche Vorgaben

V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien Unter Berücksichtigung der Zielsetzungen „Integritätsschutz“ und „Verbesserung der Teilhabe benachteiligter Gruppen“ sowie der Rechtsprechung des EuGH sollen nun mittels Auslegung die Grenzen der Rechtfertigungsvorschriften ausgelotet werden. Die Richtlinien sehen übereinstimmend jeweils eine Ausnahme vom Verbot unmittelbarer Diskriminierungen auf Grund „beruflicher Anforderungen“ und vom Verbot mittelbarer Diskriminierungen auf Grund einer „sachlichen Rechtfertigung“ vor. Da die Richtlinien sich jedoch in ihrer Reichweite unterscheiden258 und insbesondere für Altersdiskriminierungen weitergehende Rechtfertigungsmöglichkeiten bestehen, wird im Schrifttum die Frage aufgeworfen, ob sie eine Hierarchie der Merkmale statuieren.259 Das könnte gegebenenfalls bedeuten, dass die Rechtfertigungsbestimmungen bezüglich unterschiedlicher Merkmale unterschiedlich eng oder weit auszulegen wären.260 Bevor auf die einzelnen Rechtfertigungsbestimmungen eingegangen wird (dazu unter 2.), ist deshalb die Frage der Merkmalshierarchie zu klären (dazu unter 1.). 1. Hierarchie der Diskriminierungsmerkmale Wie im US-amerikanischen Antidiskriminierungsrecht,261 so wird auch im europäischen Diskriminierungsschutz teilweise vertreten, dass es eine Hierarchie der geschützten Merkmale gebe.262 An deren Spitze soll das Merkmal Rasse oder ethnische Herkunft stehen, gefolgt von dem Geschlecht.263 In der Mitte der Skala werden die sexuelle Ausrichtung und die Religion oder Weltanschauung angesiedelt, wobei hier zum Teil von 258  Siehe

dazu bereits unter D. I. 1. European Law Review 28 (2003), 349, 350 m. w. N.; Fredman Industrial Law Journal 30 (2001), 145, 151, 157 f.; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 36; dies. European Law Journal 8 (2002), 290, 308 ff.; Vickers Industrial Law Journal 32 (2003), 23, 34; Wank FS Wissman (2005), 599, 611 f. 260  Vgl. Thüsing ZfA 2006, 241, 246; vgl. außerdem Däubler/Bertzbach-Blanke/ Graue Einl. AGG Rn. 225, denen zufolge „die Ansätze, die Begründung und Reichweite rechtlicher Schutzbestimmungen vor diskriminierenden Praktiken jeweils unterschiedlich ausgestaltet sein müssen“ sowie Schiek European Law Journal 8 (2002), 290, 310. 261  Vgl. dazu Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 307 ff.; siehe dazu bereits unter C. IV. 4. a) cc) (2). 262  Vgl. dazu auch Brors RdA 2012, 346, 351 f.; allgemein zu dem „Hierarchisierungsproblem“ auch Baer NJW 2013, 3145, 3149. 263  Fredman Industrial Law Journal 30 (2001), 145, 151; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 36; Vickers Industrial Law Journal 32 (2003), 23, 34; vgl. auch Skidmore Industrial Law Journal 30 (2001), 126, 129. 259  Bell/Waddington



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien295

einem Vorrang der sexuellen Ausrichtung ausgegangen wird.264 Dann folgen schließlich die Merkmale Behinderung und – am unteren Ende des Skala – das Alter.265 a) Argumente für eine Hierarchie Zur Begründung werden im Wesentlichen drei Argumente herangezogen: erstens die unterschiedliche Reichweite der Richtlinien, zweitens die in den Richtlinien eingeräumten verschiedenen Möglichkeiten der Durchbrechung der Diskriminierungsverbote für die Merkmale sowie drittens die unterschiedliche Natur der Merkmale selbst. Die AntirassismusRL hat die größte Reichweite, an zweiter Stelle steht mit der GenderRL und der GenderZivRL die Reichweite des Schutzes vor Geschlechtsdiskriminierungen.266 Daraus wird auf die privilegierte Stellung des Merkmals Rasse und den ebenfalls hohen Rang des Merkmals Geschlecht geschlossen.267 Die größte Flexibilität wird in den Richtlinien in Bezug auf das Merkmal Alter eingeräumt, wie sich insbesondere aus der Rechtfertigungsmöglichkeit des Art. 6 BeschäftiggsRL ergibt.268 Weitergehende Durchbrechungen weist das Diskriminierungsverbot zudem im Hinblick auf das Merkmal Behinderung auf, zum Beispiel in Art. 2 Abs. 2 b) ii) BeschäftiggsRL oder in dem für die Merkmale Alter und Behinderung geltenden Art. 3 Abs. 4 BeschäftiggsRL. Auf dieser Grundlage werden die Merkmale Behinderung und Alter am unteren Ende der Hierarchie eingeordnet.269 Hinsichtlich der Natur der Merkmale lässt sich danach differenzieren, ob ein Charakteristikum ein schicksalhaft „gegebenes“ Merkmal ist, das einen biologischen Unterschied widerspiegelt (Geschlecht, Alter, Behinderung), oder auch das Resultat einer sozialen Zuschreibung ist (Rasse) oder ob es bzw. zumindest die Offenbarung der Merkmalsträgerschaft auf der freien Entscheidung beruht und einen Lebensstil oder eine in mancher Hinsicht „gewählte“ Identität beschreibt (Religion, in Bezug auf die Offenbarung der 264  Vickers

Industrial Law Journal 32 (2003), 23, 34. Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 36; Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 89; Senne Altersdiskriminierung (2006), S. 187; Skidmore Industrial Law Journal 30 (2001), 126, 130. 266  Siehe dazu bereits unter D. I. 1. 267  Fredman Industrial Law Journal 30 (2001), 145, 151; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 36; vgl. außerdem dies. European Law Journal 8 (2002), 290, 300 f. 268  Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 89; Skidmore Industrial Law Journal 30 (2001), 126, 130. 269  Schiek-Schiek Einl. AGG Rn.  36; vgl. auch Senne Altersdiskriminierung (2006), S. 187. 265  Vgl.

296

D. Europarechtliche Vorgaben

Merkmalsträgerschaft: sexuelle Ausrichtung270).271 Benachteiligungen auf Grund von Merkmalen der letztgenannten Gruppe erscheinen als leichter vermeidbar. Die betroffenen Personen haben es in der Hand, die Merkmals­ trägerschaft zu offenbaren oder nicht,272 auch wenn eine Verheimlichung unter Umständen mit großen emotionalen Kosten verbunden ist.273 Eine ähnliche Unterscheidung ist die zwischen unveränderlichen und veränderbaren Eigenschaften. Im Hinblick auf diese Differenzierung lässt sich wiederum eine besonders hohe Rangposition der Merkmale Rasse und Geschlecht begründen, da diese statisch (im Gegensatz zu dem dynamischen Alter)274 und schicksalhaft gegeben sind und nicht oder nur sehr schwer zu verheimlichen sind, dies trifft zum Teil auch auf das Merkmal Behinderung zu. Die aufgeführten Argumente könnten eine Hierarchie der Merkmale stützen, die wiederum eine besonders enge Auslegung der Ausnahmebestimmungen für Rassen- und auch Geschlechtsdiskriminierungen und eine eher weite Auslegung der Rechtfertigungsmöglichkeiten insbesondere für die Altersdiskriminierung begründen könnte. b) Argumente gegen eine Hierarchie Trotz der Indizien für eine durch die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien statuierte Hierarchie der Diskriminierungsverbote sprechen gewichtige Argumente dagegen. Diese sind vor allem in den Gesetzgebungsmaterialien zu finden. So wird in der Begründung des zusammen mit der AntirassismusRL und der BeschäftiggsRL in einem gemeinsamen Maßnahmenpaket zur Diskriminierungsbekämpfung vorgeschlagenen Aktionsprogramms darauf hingewiesen, dass die „berücksichtigten Diskriminierungsformen […] nicht hierarchisch gegliedert“275 seien. In der Kommissions­ 270  Die sexuelle Ausrichtung ist keine gewählte Identität. Homosexualität ist ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, deren Ursache nach jüngeren wissenschaftlichen Erkenntnissen (vgl. die Studie von Rice/Friberg/Gavrilets Quarterly Review of Biology 87 (2012), 343 ff.) in der Genregulation, in sog. epigenetischen Faktoren, zu finden ist. 271  Vgl. Bell/Waddington European Law Review 28 (2003), 349, 362; Däubler/ Bertzbach-Blanke/Graue Einl. AGG Rn. 225; Schiek European Law Journal 8 (2002), 290, 309 f. 272  Vgl. Schiek European Law Journal 8 (2002), 290, 310; vgl. auch Baer ZRP 2002, 290, 294; Bell/Waddington European Law Review 28 (2003), 349, 362, die zwar die Unterschiede feststellen, aber damit keine Hierarchie der Merkmale begründen wollen. 273  Bell/Waddington European Law Review 28 (2003), 349, 363  f.; vgl. auch Schiek European Law Journal 8 (2002), 290, 310. 274  Vgl. dazu Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 22, 25. 275  KOM(1999) 567 endg., S. 3.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien297

begründung zur BeschäftiggsRL wird ausgeführt, dass der Vorschlag – mit Ausnahme des Geschlechts – sämtliche in Art. 13 EG (nunmehr Art. 19 AEUV) genannten Diskriminierungsgründe abdecke, und zwar ausdrücklich „ohne dass irgendeine Gewichtung vorgenommen würde“276, weiter ist von dem „Verzicht auf die Festlegung einer qualitativen Hierarchie“277 die Rede. Deutlich wird, dass jedenfalls keine Hierarchie derjenigen Merkmale besteht, die von der BeschäftiggsRL erfasst werden, also Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter sowie sexuelle Ausrichtung.278 In der Begründung werden freilich alle in Art. 13 EG genannten Merkmale in Bezug genommen und nur das Geschlecht wird explizit ausgenommen. Dass Art. 13 EG auch die Rasse bzw. die ethnische Herkunft erfasst, spricht dafür, dass auch dieses Merkmal hierarchisch nicht über den anderen Diskriminierungsgründen stehen soll. Dieser Eindruck wird durch die Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zu dem Maßnahmenpaket aus AntirassismusRL, BeschäftiggsRL und Aktionsprogramm bestätigt. Dort beklagt der Ausschuss, „dass durch den schrittweisen Ansatz der Kommission in Form der Einführung vertikaler Rechtsvorschriften der Eindruck einer Hierarchie zwischen den einzelnen Diskriminierungsformen entstehen könnte“279. Daraus lässt sich schließen, dass eine solche Hierarchie nicht intendiert ist. Dass sich speziell mit der unterschiedlichen Reichweite der Richtlinien eine Rangordnung der Merkmale nicht begründen lässt, zeigt schließlich die von der Kommission am 2. Juli 2008 vorgeschlagene „Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“280. Ziel dieses Vorschlags ist es, den Diskriminierungsschutz in Bezug auf die Merkmale Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter sowie sexuelle Ausrichtung über den Arbeitsmarkt hinaus auszudehnen.281 Erfasst werden sollen nunmehr auch die Bereiche des Sozialschutzes, der sozialen Vergünstigungen, der Bildung sowie der Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum.282 Bei Erlass 276  KOM(1999)

565 endg., S. 7. 565 endg., S. 7. 278  So auch die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón 19.05.2011 – Rs.  C-447/09 (Prigge), Celex-Nr. 62009CC0447 Rn. 32 f. 279  ABl. C 226 vom 08.08.2000, S. 3. 280  KOM(2008) 426 endg. Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen, Informationen zum Verfahrensstand sind abrufbar unter http://eur-lex. europa.eu/legal-content/DE/HIS/?uri=CELEX:52009AP0211&qid=1436324286630 (Abruf vom 08.07.2015). 281  KOM(2008) 426 endg., S. 2. 282  Art. 3 des Richtlinienvorschlags, KOM(2008) 426 endg., S. 20. 277  KOM(1999)

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D. Europarechtliche Vorgaben

der Richtlinie würde die Reichweite des Diskriminierungsschutzes für die besagten Merkmale der Reichweite des Schutzes vor Rassendiskriminierungen angeglichen. c) Gründe für die unterschiedliche Behandlung der Diskriminierungsgründe Die unterschiedliche Behandlung der Diskriminierungsgründe in den Richtlinien trägt mithin nicht einer Hierarchie Rechnung. Vielmehr ist sie den sachlichen Unterschieden zwischen den Merkmalen, „den unterschiedlichen Gefährdungssituationen und ihrer Wahrnehmung durch die politischen Akteure geschuldet“283. Der besonders starke Schutz vor Rassendiskriminierungen lässt sich auf mehrere Faktoren gründen. Zum einen beruht er auf der Wahrnehmung innerhalb der EU, dass sich Diskriminierungen auf Grund der Rasse besonders nachteilig auswirken.284 Sie erscheinen – speziell im Vergleich zu Diskriminierungen wegen der Religion oder der sexuellen Ausrichtung – als stärker vorherrschend. Dies könnte wiederum darauf zurückzuführen sein, dass sich eine bestimmte Religion oder sexuelle Ausrichtung leichter verbergen lässt. Hinzu kam bei Richtlinienerlass die politische Motivation der EU, angesichts der Entwicklungen in Österreich ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen.285 Darüber hinaus gab es starke Lobbygruppen auf dem Feld der Bekämpfung von Rassendiskriminierung.286 Schließlich spiegelt sich in dem unterschiedlich stark ausgeprägten Diskriminierungsschutz auch die Erfahrung der Mitgliedstaaten im Umgang mit den verschiedenen Diskriminierungsformen wider:287 Viele Mitgliedstaaten haben umfangreiche langjährige Erfahrung mit der Bekämpfung von Rassen- und Geschlechtsdiskriminierungen, nicht hingegen mit der Bekämpfung von Altersdiskriminierungen. Dies erklärt die Zurückhaltung in der Bekämpfung der Altersdiskriminierung und die weiter reichenden Rechtfertigungsmöglichkeiten. Das Alter unterscheidet sich zudem dadurch von anderen Diskriminierungsgründen, dass es eine sich ständig verändernde Eigen283  Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 113; vgl. auch Zöllner GS Blomeyer (2003), 517, 532; Thüsing ZfA 2006, 241, 245 f. sowie die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón 19.05.2011  – Rs. C-447/09 (Prigge), CelexNr. 62009CC0447 Rn. 33. 284  Bell/Waddington European Law Review 28 (2003), 349, 363 ff. 285  Bell/Waddington European Law Review 28 (2003), 349, 365; dazu auch bereits unter D. II. 3. a). 286  Bell/Waddington European Law Review 28 (2003), 349, 367; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 35. 287  Bell/Waddington European Law Review 28 (2003), 349, 365 ff.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien299

schaft ist, während die anderen Merkmale in der Regel invariant sind.288 Dadurch ist potenziell jeder von Altersdiskriminierung betroffen. Auch das Merkmal Behinderung zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Die Diskriminierungsgründe Rasse, Geschlecht, Religion oder auch sexuelle Ausrichtung können klarer in verschiedene Gruppen (z. B. Europäer / Asiaten, Männer / Frauen, Muslime / Christen) unterteilt werden. Menschen mit Behinderungen bilden hingegen keine homogenen Gruppen.289 Es gibt verschiedene Formen der Behinderung mit unzähligen Variationen. d) Unterschiede bei der Auslegung der Rechtfertigungsbestimmungen Es besteht keine Hierarchie der Diskriminierungsmerkmale. Nichtsdestotrotz enthalten die Richtlinien Unterschiede bei der Bekämpfung von Diskriminierungen wegen der verschiedenen Gründe, die angesichts der tatsächlichen Unterschiedlichkeit der Merkmale angezeigt sind. Die Auslegung der Rechtfertigungsgründe lässt durch die in ihrem Rahmen vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung Raum für die Berücksichtigung der spezifischen Sachgesetzlichkeiten der einzelnen Merkmale.290 Dabei wird insbesondere zu berücksichtigen sein, ob für eine Differenzierung an ein schicksalhaft gegebenes Merkmal angeknüpft wird oder an ein Charakteristikum, das einen Lebensstil oder eine gewählte Identität beschreibt. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, ob das betreffende Merkmal statisch oder veränderbar ist, ob Diskriminierungen auf Grund des Merkmals vom Merkmalsträger selbst vermieden werden können und wie hoch gegebenenfalls die emotionalen Kosten sind. In diesem Sinne weist auch der US-amerikanische Rechtsphilosoph Wertheimer darauf hin, dass die Beachtung von Kundenpräferenzen für solche Charakteristika der Beschäftigten, die erarbeitet bzw. selbst gewählt sind, generell legitimer erscheint als die Beachtung von Präferenzen für bestimmte angeborene Eigenschaften der Beschäftigten.291 2. Rechtfertigungsbestimmungen – Auslegung Die Ausnahmebestimmungen der Gleichbehandlungsrichtlinien sind als Generalklauseln gefasst. Der EuGH entscheidet im Rahmen des Vorabent­ 288  Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 22, 25; MüKo-Thüsing § 1 AGG Rn. 86. 289  Whittle European Law Review 27 (2002), 303, 309. 290  Insofern überzeugt die vom EuGH in der Entscheidung Prigge (siehe dazu bereits unter D. IV. 2. c]) vorgenommene Übertragung des strengen Prüfungsmaßstabs bei Geschlechtsdiskriminierungen auf Altersdiskriminierungen nicht. 291  Wertheimer Ethics 94 (1983), 99, 107.

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D. Europarechtliche Vorgaben

scheidungsverfahrens gemäß Art. 267 S. 1 b) AEUV über die Auslegung der Handlungen der Organe der Union. Die Auslegung unionsrechtlicher Begriffe erfolgt demnach auf europäischer Ebene. Die Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall ist hingegen der mitgliedstaatlichen Ebene vorbehalten.292 Freilich lassen sich Auslegung und Anwendung in der Regel nicht so klar voneinander trennen.293 Da der EuGH insbesondere die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe des Unionsrechts regelmäßig den nationalen Gerichten überlässt,294 soll die Kernarbeit der Ausfüllung der Rechtfertigungsbestimmungen im Hinblick auf die Kundenpräferenzfrage auf Ebene des deutschen Rechts erfolgen. Auf der europäischen Ebene sind durch Auslegung die äußeren Grenzen der Rechtfertigungsbestimmungen aufzuzeigen. Das Unionsrecht ist grundsätzlich europäisch-autonom auszulegen.295 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist zuvorderst dann anzunehmen, wenn der europäische Gesetzgeber begrifflich explizit auf das mitgliedstaatliche Recht verweist. Bei Fehlen entsprechender Verweisungen wird mit Röthel „im Zweifel davon auszugehen sein, dass der Unionsgesetzgeber mit der Rechtsangleichung auch die Prägung der tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen selbst vornehmen wollte“296. Nach Riesenhuber ist im Rahmen der grammatikalischen Auslegung „zunächst zu ermitteln, ob die Wortwahl autonom-unionsrechtlich oder als Verweisung auf das mitgliedstaatliche Recht zu verstehen ist“297, wobei „[f]ür ersteres […] allerdings eine Vermutung“298 spricht. Neben der grammatikalischen Auslegung gelten für die Auslegung von Richtlinien auch die weiteren aus dem nationalen Recht bekannten Grundsätze.299 Es können also historische, systematische und teleologische Argumente herangezogen werden.

292  St. Rspr., vgl. nur EuGH 28.03.1979 (ICAP) Slg. 1979, 1163 Rn. 10 sowie speziell für das Diskriminierungsrecht jüngst EuGH 25.04.2013 (Asociatia ­ACCEPT) – C-81/12 juris Rn. 41 f.; Calliess/Ruffert-Wegener Art. 267 AEUV Rn. 5; ErfK-Wißmann Art. 267 AEUV Rn. 6. 293  Schmidt Konkretisierung von Generalklauseln (2009), S. 53 ff. 294  So z. B. EuGH 31.03.1981 (Jenkins) Slg. 1981, I-00911 Rn.  14; EuGH 13.05.1986 (Bilka) NZA 1986, 599, 600; EuGH 13.07.1989 (Rinner-Kühn) Slg. 1989, I-02743 Rn. 15; EuGH 02.10.1997 (Gerster) Slg. 1997, I-05253 Rn. 35; EuGH 02.10.1997 (Kording) Slg. 1997, I-05289 Rn. 20; siehe auch ErfK-Wißmann Art. 267 AEUV Rn.  6 m. w. N. 295  Vgl. Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre (2015), 199, 201  f. m. w. N. zur Rspr. 296  Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre (2015), 225, 231. 297  Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre (2015), 199, 204. 298  Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre (2015), 199, 204. 299  Vgl. dazu ausführlich Larenz Methodenlehre (1991), S. 320 ff.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien301

a) Rechtfertigung wegen beruflicher Voraussetzungen Die in Art. 4 AntirassismusRL300 enthaltene Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Voraussetzungen erlaubt den Mitgliedstaaten, vorzusehen, „dass eine Ungleichbehandlung aufgrund eines mit der Rasse oder der ethnischen Herkunft zusammenhängenden Merkmals [dazu unter bb)] keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal [dazu unter cc)] aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung [dazu unter dd)] darstellt und sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung [dazu unter ee)] handelt [Hervorhebungen durch Verf.]“. Der EuGH äußerte sich bislang erst in wenigen Urteilen zu der Auslegung dieser Voraussetzungen. Die Rechtsprechung zu der Vorgängerregelung in Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL, der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen „unabdingbarer Voraussetzungen“, ist indes etwas umfangreicher.301 Insofern ist vorab zu klären, inwieweit bei der Auslegung der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen „wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen“ auch auf die EuGH-Rechtsprechung zu Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL zurückgegriffen werden kann (dazu sogleich unter aa]). aa) Vorläuferregelung Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL Gemäß Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL konnten die Mitgliedstaaten „solche beruflichen Tätigkeiten […], für die das Geschlecht auf Grund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt“, vom Anwendungsbereich des Geschlechtsdiskriminierungsverbots ausschließen. Der Wortlaut der aktuellen Fassung der Rechtfertigungsmöglichkeit in der GenderRL bzw. der GenderNeuRL weicht in zwei Hinsichten davon ab: Zum einen sieht er statt einer „unabdingbaren Voraussetzung“ eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ vor. Zum anderen enthält er mit dem „rechtmäßigen Zweck“ und der „angemessenen Anforderung“ ausdrücklich Elemente einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Verhältnismäßigkeit sah der EuGH aber bereits in Bezug auf die alte Regelung als ungeschriebene Voraussetzung der Rechtfertigungsmöglichkeit an,302 sodass sich 300  Nahezu wortgleich: Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 6 RL GenderRL (nunmehr Art. 14 Abs. 2 GenderNeuRL). 301  Siehe dazu bereits unter D. IV. 1. 302  EuGH 15.05.1986 (Johnston) Slg. 1986, 01651 Rn. 39; EuGH 26.10.1999 (Sirdar) Slg. 1999, I-07403 Rn. 26; EuGH 11.01.2000 (Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 23.

302

D. Europarechtliche Vorgaben

dieser Unterschied relativiert. Ob auch die „unabdingbare Voraussetzung“ der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ entspricht, ist durch Auslegung zu ermitteln. (1) Grammatikalische Auslegung Den Ausgangspunkt der Auslegung bildet der Wortlaut.303 Die Besonderheit bei der Auslegung von Richtlinien besteht darin, dass auch weitere sprachliche Fassungen heranzuziehen sind, um festzustellen, welche Formulierung „eigentlich“ gemeint ist.304 In den deutschen Sprachfassungen der Richtlinienbestimmungen werden mit der „unabdingbaren Voraussetzung“ und der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ unterschiedliche Begriffe verwendet. Hinweise für eine Verweisung auf mitgliedstaatliches Recht bestehen nicht, sodass die Begriffe europäisch-autonom auszulegen sind. „Unabdingbar“ bedeutet „als Voraussetzung, Anspruch unerlässlich; nicht abdingbar“305. „Wesentlich“ wird definiert als „den Kern einer Sache ausmachend und daher besonders wichtig; von entscheidender Bedeutung“306. „Entscheidend“ heißt „ausschlaggebend, von richtungweisender Bedeutung“307. Aus diesen Definitionen lässt sich nicht ablesen, ob zwischen „unabdingbar“ und „wesentlich und entscheidend“ ein gradueller Unterschied besteht. Im Schrifttum wurde zum Teil darauf hingewiesen, dass die Formulierung „unabdingbar“ etwas strikter als „wesentlich und entscheidend“ klinge.308 Dafür, dass mit der „unabdingbaren Voraussetzung“ in der Sache das Gleiche wie mit der „wesentlichen und entscheidenden Voraussetzung“ gemeint ist,309 spricht jedoch die Betrachtung der englischen und französischen Sprachfassungen der Richtlinien. Die „unabdingbare“ Voraussetzung war laut englischer bzw. französischer Richtlinienfassung ein „determining factor / une condition déterminante“. Die Formulierung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ lautet in der 303  Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre (2015), 199, 204 m. w. N. zur Rspr. 304  Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre (2015), 199, 205 m. w. N. zur Rspr. 305  Duden online zu „unabdingbar“, abrufbar unter http://www.duden.de/ rechtschreibung/unabdingbar (Abruf vom 26.07.2015). 306  Duden online zu „wesentlich“, abrufbar unter http://www.duden.de/recht schreibung/wesentlich (Abruf vom 26.07.2015). 307  Duden online zu „entscheidend“, abrufbar unter http://www.duden.de/recht schreibung/entscheidend (Abruf vom 26.07.2015). 308  So Schiek-Schmidt § 8 AGG Rn. 2. 309  So z.  B. auch Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 8; Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 7; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 6; Schiek-Schmidt § 8 AGG Rn. 2.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien303

englischen bzw. französischen Sprachfassung „genuine and determining occupational requirement / exigence professionnelle essentielle et déterminante“. Die Begriffe „determining / déterminante“ werden also sowohl in der alten als auch in der neuen Richtlinienfassung verwendet.310 Sie entsprechen den in der deutschen Richtlinie verwendeten Begriffen „unabdingbar“ und „entscheidend“, sodass sich „entscheidend“ als Kernbegriff der aktuellen Rechtfertigungsregelung herauskristallisiert. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass die „unabdingbare“ Voraussetzung jedenfalls kein strengerer Maßstab als die „wesentliche und entscheidende“ Voraussetzung ist. (2) Historische Auslegung Im Rahmen der historischen Auslegung kann die Entstehungsgeschichte einer Norm Hinweise auf den mit ihr verfolgten Willen des Gesetzgebers geben. Zur Ermittlung des historischen Gesetzgeberwillens können die veröffentlichten Gesetzgebungsmaterialien herangezogen werden.311 Als aufschlussreich erweisen sich insbesondere die Kommissionsbegründungen der Richtlinienvorschläge. Aus der Kommissionsbegründung des Vorschlags der GenderRL ergibt sich, dass die Kommission die zu Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL ergangene Rechtsprechung zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bezüglich ausnahmsweise erlaubter Ungleichbehandlungen machte.312 Auch aus den Richtlinienbegründungen zu Art. 4 AntirassismusRL313 und zu Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL314 geht nicht hervor, dass eine Änderung des Rechtfertigungsmaßstabs beabsichtigt wurde. Im Gegenteil wird Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL in der Begründung des Art. 4 AntirassismusRL – neben ähnlichen Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften z. B. aus Dänemark, Irland, den Niederlanden oder auch dem Vereinigten Königreich – sogar ausdrücklich als Regelung in Bezug genommen, auf der die Ausnahmenregelung des Art. 4 AntirassismusRL beruhe.315 Das spricht dafür, dass der in Bezug auf die „unabdingbare Voraussetzung“ entwickelte Maßstab – trotz unterschiedlicher Terminologie in der Neufassung der Ausnahmebestimmung – beibehalten werden sollte.316

310  Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 8; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 6; vgl. dazu auch Triebel Religionsrecht (2005), S. 145. 311  Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre (2015), 199, 212 f. 312  KOM(2000) 334 endg., S. 7 ff. 313  KOM(1999) 566 endg., S. 9. 314  KOM(1999) 565 endg., S. 11. 315  KOM(1999) 566 endg., S. 9. 316  So auch Schiek-Schmidt § 8 AGG Rn. 2.

304

D. Europarechtliche Vorgaben

(3) Teleologische Auslegung Die teleologische Auslegung dient der Ermittlung des Gesetzeszwecks. Diesbezügliche Anhaltspunkte liefern vor allem die Erwägungsgründe der Richtlinien.317 Die Begründungserwägungen können sowohl bei der historischen als auch bei der teleologischen Auslegung herangezogen werden.318 Da der EuGH sie zuvorderst im Rahmen der teleologischen Auslegung bespricht, soll hier ebenso verfahren werden.319 Die Erwägungsgründe bestätigen, dass der Wille des Gesetzgebers nicht auf eine Änderung des Rechtfertigungsmaßstabs gerichtet war. Sie enthalten keine Hinweise darauf, dass der Rechtfertigungsmaßstab im Zuge der Neufassung der GenderRL verändert werden sollte. Im Gegenteil wird in ErwG 11 GenderRL für die Auslegung der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen ausdrücklich auf die zur Vorgängerregelung des Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL ergangene EuGH-Rechtsprechung verwiesen. (4) Ergebnis Die Auslegung der Rechtfertigungsbestimmung wegen „wesentlicher und entscheidender beruflicher Voraussetzungen“ ergibt, dass dieser Maßstab mit dem der „unabdingbaren Voraussetzung“ in der Vorgängerregelung des Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL gleichläuft. Für die Auslegung der Art. 4 AntirassismusRL, Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 6 GenderRL (nunmehr Art. 14 Abs. 2 GenderNeuRL) kann demzufolge auch auf die zu Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. bb) „Zusammenhängendes Merkmal“ – Bezugspunkt der beruflichen Anforderung Der Wortlaut der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen sieht in den Fassungen der AntirassismusRL und in der BeschäftiggsRL vor, dass eine Ungleichbehandlung auf Grund eines mit der Rasse oder ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, der sexuellen Ausrichtung, der Behinderung oder dem Alter „zusammenhängenden Merk317  Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre (2015), 199, 215 m. w. N. zur Rspr. 318  Vgl. Schaub-Linck § 5 Rn. 6; Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre (2015), 199, 213, 215 m. w. N. zur Rspr. 319  Vgl. dazu die umf. Rspr.-Nachw. bei Dauses-Bleckmann/Pieper B. I. Rechtsquellen Rn. 17.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien305

mals“ ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann, wenn das betreffende Merkmal eine berufliche Anforderung im Sinne der Ausnahmevorschriften ist. Danach bezieht sich die Rechtfertigungsmöglichkeit nicht auf Ungleichbehandlungen wegen der geschützten Merkmale (also Rasse, Religion etc.) selbst, sondern auf mit den geschützten Merkmalen „zusammenhänge Merkmale“. Auch der EuGH hat in zwei jüngeren Entscheidungen explizit auf diesen Bezugspunkt der beruflichen Anforderung hingewiesen. In dem Urteil Wolf vom 12. Januar 2010 bemerkte er, dass „nicht der Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen“320 müsse. Dies wurde in der Entscheidung Prigge vom 13. September 2011 noch einmal unterstrichen.321 In der Rechtfertigungsregelung der GenderRL wird nicht auf das Geschlecht als Bezugspunkt der beruflichen Anforderung abgestellt, sondern auf ein „geschlechtsbezogenes Merkmal“, Art. 2 Abs. 6 GenderRL. Im Gegensatz dazu knüpft die Umsetzungsregelung § 8 Abs. 1 AGG für eine Rechtfertigung direkt an die geschützten Merkmale an, die eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung sein müssen. Im Schrifttum wird vielfach über den von den Richtlinien vorgegebenen Bezugspunkt für die Rechtfertigung hinweggegangen oder die Richtlinienvorschriften werden ungenau wiedergegeben, als ob sie auch auf die geschützten Merkmale als Bezugspunkt für die Rechtfertigung abstellten.322 Doch stellt sich die Frage, wie die Richtlinienformulierung zu verstehen ist, ob sie also tatsächlich mit der des § 8 Abs. 1 AGG gleichbedeutend ist. (1) Grammatikalische Auslegung Bei Betrachtung des Wortlauts entsteht der Eindruck, dass die Richtlinienvorschriften ihrem Wortlaut nach enger sind als die Regelung des § 8 Abs. 1 AGG und dass der deutsche Gesetzgeber die Rechtfertigungsmöglichkeit auf Fälle ausgedehnt hat, in denen der Benachteiligungsgrund selbst die berufliche Anforderung ist.323 Der Blick auf die Formulierungen der 320  EuGH 12.01.2010 (Wolf) EuZW 2010, 142, 144, siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter D. IV. 2. b). 321  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1043 siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter D. IV. 2. c). 322  Vgl. z. B. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 13; Kocher KJ 2009, 386, 395; Mahlmann ZEuS 2002, 407, 414; Nickel NJW 2001, 2668, 2670; Nollert-Borasio/Perreng § 8 AGG Rn. 1; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 4; Wank NZA 2004 Sonderbeilage zu Heft 22, 16, 22 f. 323  So Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 2; vgl. für die gegenteilige Lesart, die Richtlinien seien ihrem Wortlaut nach weiter als § 8 Abs. 1 AGG MüKo-Thüsing § 8

306

D. Europarechtliche Vorgaben

englischen bzw. französischen Richtlinienfassungen ist nicht aufschlussreich. Dort wird auf ein „characteristic related to“ bzw. auf ein „caractéristique liée à“, also auch auf ein mit dem Diskriminierungsgrund zusammenhängendes Merkmal abgestellt. Indes indizieren die englischen und französischen Formulierungen stärker als die deutsche Formulierung, dass eine untrennbare Verbindung zwischen dem Diskriminierungsgrund und dem Merkmal, das die berufliche Anforderung sein soll, bestehen muss. „Related to“ und „liée à“ lassen sich auch als „verbunden mit“324 übersetzen. Dies bringt eine größere Nähe zum Ausdruck als die in der deutschen Fassung gewählte Formulierung „zusammenhängend“. Zur Verdeutlichung sollte besser von einem „untrennbaren Zusammenhang“ gesprochen werden. Ein Beispiel für ein in diesem Sinne mit dem geschützten Diskriminierungsgrund „ethnische Herkunft“ untrennbar zusammenhängendes Merkmal ist die Hautfarbe.325 Dieses Beispiel deutet darauf hin, dass sich die Rechtfertigungsmöglichkeiten in den Richtlinien und § 8 Abs. 1 AGG im Ergebnis entsprechen. Die Richtlinien verlangen lediglich eine differenziertere Formulierung des Aspektes eines Diskriminierungsmerkmals, der die geforderte Qualifikation ausmacht. (2) Systematische Auslegung Dass die europäischen Richtlinien die Benachteiligungsgründe und Merkmale, die damit (untrennbar) zusammenhängen, gleichsetzen und § 8 Abs. 1 AGG den Richtlinienvorgaben entspricht,326 bestätigt auch eine Auslegung im systematischen Zusammenhang. So gilt nach dem Richtlinienverständnis in Anschluss an die EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache Dekker327 eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft – einem untrennbar mit dem weiblichen Geschlecht in Zusammenhang stehenden Merkmal – als unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts.328

AGG Rn. 5 und in früheren Auflagen noch der ErfK, vgl. z. B. ErfK-Schlachter (12. Aufl.) § 8 AGG Rn. 1: „Die RL setzt ein Merkmal voraus, das ‚im Zusammenhang mit einem der Diskriminierungsgründe‘ steht, ist insoweit also weiter.“ Die aktuelle Auflage enthält diesen Hinweis indes nicht mehr. 324  Vgl. Pons Online-Wörterbuch zu „related to“ und „liée à“, abrufbar unter http://de.pons.eu/dict/search/results/?q=related&l=deen&in=&lf=de und http://de. pons.eu/dict/search/results/?q=lie %C3 %A9+ %C3 %A0&l=defr&in=&lf=de (Abruf vom 26.07.2015). 325  Vgl. zu dem Beispiel Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 56 sowie § 3 AGG Rn. 19. 326  Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 55 f. sowie § 8 AGG Rn. 2. 327  EuGH 08.11.1990 (Dekker) NZA 1991, 171, 172. 328  ErwG 12 GenderRL.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien307

(3) Historische / Teleologische Auslegung Auch eine Betrachtung der Richtlinienrechtfertigungsvorschriften wegen beruflicher Anforderungen unter teleologischen Aspekten bekräftigt, dass es sich bei der Differenzierung zwischen dem Diskriminierungsgrund und dem damit zusammenhängenden Merkmal um Feinheiten einer differenzierten Formulierung, nicht aber um einen Unterschied in der Sache handelt. In der Kommissionsbegründung der AntirassismusRL werden zwei Beispiele für praktische Anwendungsfälle der Ausnahmevorschrift aufgeführt, die dem Zweck der Vorschrift entsprechen sollen. Wörtlich heißt es: „Hier wäre beispielsweise der Fall denkbar, dass aus Gründen der Authentizität ein Schauspieler benötigt wird, der einer bestimmten Rasse oder ethnischen Gruppe angehört, oder der Fall, dass im Rahmen einer Tätigkeit persönliche Dienstleistungen für Angehörige einer bestimmten ethnischen Gruppe zu erbringen sind und dies am effektivsten von einem Angehörigen dieser Gruppe geleistet werden kann.“329

In beiden Beispielsfällen wird ausdrücklich direkt an das geschützte Merkmal selbst (Rasse oder ethnische Herkunft) und nicht an ein damit zusammenhängendes Merkmal angeknüpft. Daraus folgt, dass die Umsetzung der Richtlinienvorschrift in § 8 Abs. 1 AGG, die ebenfalls unmittelbar auf das geschützte Merkmal als berufliche Anforderung abstellt, richtlinienkonform ist. Der deutsche Gesetzgeber ging umgekehrt bei der Schaffung des § 8 Abs. 1 AGG davon aus, dass von dieser Regelung auch eine Anknüpfung an einem mit dem Benachteiligungsgrund zusammenhängenden Merkmal umfasst war, wie die Gesetzgebungsgeschichte zeigt: In dem ursprünglichen ADG-Entwurf,330 dem Vorläufer des AGG, war ein ausdrückliches Benachteiligungsverbot wegen eines Merkmals, das mit einem geschützten Merkmal in Zusammenhang steht, enthalten (§ 3 Abs. 1 S. 2 ADG-E).331 Dementsprechend wurde auch in Bezug auf die Rechtfertigungsmöglichkeiten explizit klargestellt, dass sie gleichermaßen für eine unterschiedliche Behandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der geschützten Merkmale steht, gelten sollte (§ 8 Abs. 3 ­ADG-E).332 Diese Regelungen fielen aber weg,333 der Gesetzgeber hielt sie für eine unnötige Dopplung, „weil der Fall einer unmittelbaren Diskriminierung auch vorliegt, wenn die Ungleichbehandlung mit vorgeschobenen 329  KOM(1999)

566 endg., S. 9. eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien (ADG-E) vom 16.12.2004, BT-Drs. 15/4538. Siehe dazu auch später unter E. II. 2. a) und b) aa). 331  BT-Drs. 15/4538, S. 5. 332  BT-Drs. 15/4538, S. 6. 333  BT-Drs. 15/5717, S. 20, 22. 330  Entwurf

308

D. Europarechtliche Vorgaben

Gründen gerechtfertigt wird, indem z. B. ein Anbieter, um eine Person wegen ihrer sexuellen Identität zu diskriminieren, das Bestehen einer Ehe zur Voraussetzung macht“334. Das zeigt, dass auch der deutsche Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Anknüpfung an ein Benachteiligungsmerkmal und die Anknüpfung an ein damit zusammenhängendes Merkmal gleichzusetzen sind.335 (4) Ergebnis Die Richtlinienformulierungen sind gleichbedeutend mit der des § 8 Abs. 1 AGG. cc) „… wenn das betreffende Merkmal“ – Positive Anknüpfung an das geschützte Merkmal Weiter erlauben die europäischen Richtlinienbestimmungen die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nur dann, „wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt“. Thüsing weist darauf hin, dass damit nur die positive Anknüpfung an ein bestimmtes Differenzierungsmerkmal erfasst sei.336 Das bedeutet, dass der Arbeitgeber ausnahmsweise auf das Vorhandensein eines bestimmten Merkmals bestehen könne. Nach der europarechtlichen Konzeption des Rechtfertigungsgrundes erfasse dieser nicht die Möglichkeit, zum Nachteil einer bestimmten Gruppe an ein bestimmtes Merkmal anzuknüpfen,337 also auf das Fehlen eines Merkmals zu bestehen. Stellt beispielsweise der Inhaber eines asiatischen Restaurants im Hinblick auf Kundenpräferenzen ausschließlich asiatisches Bedienungspersonal ein, wäre eine entsprechende positive Anknüpfung an ein Diskriminierungsmerkmal gegeben. Anders verhielte es sich, wenn ein Restaurantinhaber auf Grund der Ablehnung muslimischen Bedienungspersonals durch seine Kundschaft nur muslimische Kellner von einer Beschäftigung ausschlösse. Dieser Fall wäre von den Erlaubnistatbeständen wegen beruflicher Anforderungen nicht gedeckt. Die Beispiele verdeutlichen, dass positive und negative Anknüpfung lediglich dann zwei Seiten derselben Medaille sind, wenn ein Merkmal – wie das Geschlecht, sofern man die Zwischengeschlechtlich334  BT-Drs.

15/5717, S. 36. dazu auch Rupp RdA 2009, 307, 308 f. 336  MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 6. 337  MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 6. 335  Vgl.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien309

keit ausblendet338 – in nur zwei Ausprägungen vorkommt. In allen anderen Fällen wirken sich positive und negative Anknüpfung unterschiedlich aus. Ob diese Lesart der Rechtfertigungsmöglichkeit zutreffend ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. (1) Grammatikalische Auslegung Der Wortlaut der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen lässt eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals zu, „wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt“. Es wird nicht darauf abgestellt, dass „das betreffende Merkmal oder dessen Fehlen“ eine berufliche Anforderung sein kann. Das spricht dafür, dass der europäische Gesetzgeber tatsächlich nur eine positive Anknüpfung an ein geschütztes Merkmal zulassen wollte. (2) Historische Auslegung Auch die historische Auslegung deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber die Rechtfertigungsmöglichkeit für solche Fälle eröffnen wollte, in denen der Arbeitgeber das Vorhandensein eines bestimmten Merkmals positiv zur Voraussetzung für eine Tätigkeit macht. Als Beispiele gerechtfertigter Ungleichbehandlungen führt die Kommission in der Begründung der AntirassismusRL an, „dass aus Gründen der Authentizität ein Schauspieler benötigt wird, der einer bestimmten Rasse oder ethnischen Gruppe angehört, oder der Fall, dass im Rahmen einer Tätigkeit persönliche Dienstleistungen für Angehörige einer bestimmten ethnischen Gruppe zu erbringen sind und dies am effektivsten von einem Angehörigen dieser Gruppe geleistet werden kann“339. In diesen Anwendungsfällen der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen wird jeweils positiv die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse oder ethnischen Herkunft gefordert. Das ist ein Indiz dafür, dass die Rechtfertigungsmöglichkeit für Fälle einer positiven Anknüpfung geschaffen wurde.

338  Siehe

dazu auch später unter E. V. 2. b) aa). 566 endg., S. 9.

339  KOM(1999)

310

D. Europarechtliche Vorgaben

(3) Teleologische Auslegung Die Auslegung der Rechtfertigungsbestimmungen im Lichte ihres Zwecks bestätigt das Ergebnis der grammatikalischen und der historischen Auslegung. Die Gleichbehandlungsrichtlinien zielen in erster Linie auf den Schutz der Menschenwürde, indem sie gegen Herabwürdigung durch Ausgrenzung gerichtet sind. Das Ausgrenzungspotential einer Ungleichbehandlung ist bei negativen Anknüpfungen besonders groß. Beschäftigt ein chinesisches Spezialitätenrestaurant nur Kellner chinesischer Herkunft und lehnt deshalb Bewerber arabischer, italienischer, französischer usw. Herkunft ab, hat diese Ablehnung in der Regel keinen herabwürdigenden Charakter.340 Es wird nicht eine bestimmte Merkmalsträgergruppe ausgegrenzt. Anders verhält es sich hingegen, wenn ein Restaurant-Betreiber explizit keine Araber beschäftigt, aber sonst bei der Personalauswahl nicht bezüglich der ethnischen Herkunft differenziert. In dem Fall, dass der Arbeitgeber eine bestimmte Merkmalsträgergruppe negativ ausschließt, ist eine Herabwürdigung dieser Gruppe wahrscheinlicher als in dem Fall der positiven Anknüpfung, in dem eine Gruppe bevorzugt und alle anderen Gruppen ausgeschlossen werden. Deshalb spricht auch die teleologische Auslegung dafür, nur eine positive Anknüpfung an ein geschütztes Merkmal zuzulassen. (4) Ergebnis Die Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen erlaubt nur eine positive Anknüpfung an ein bestimmtes Differenzierungsmerkmal. Der Arbeitgeber kann ausnahmsweise auf das Vorhandensein eines geschützten Merkmals, nicht aber auf sein Fehlen bestehen. dd) „Wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“ Das zentrale Tatbestandsmerkmal der Rechtfertigungsmöglichkeit ist die „wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“. (1) Grammatikalische Auslegung Der Wortlaut der Richtlinienvorschriften setzt voraus, dass das betreffende Merkmal „aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt“. Die vom Arbeitgeber gestellte Anfor340  Vgl.

Lobinger EuZA 2009, 365, 380 f.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien311

derung ist durch drei Adjektive qualifiziert: beruflich, wesentlich und entscheidend. Die wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist darüber hinaus durch die adverbiale Bestimmung des Grundes „wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung“ näher charakterisiert. „Beruflich“ bedeutet „den Beruf betreffend“341, der „Beruf“ wird definiert als „(erlernte) Arbeit, Tätigkeit, mit der jemand sein Geld verdient; Erwerbstätigkeit“342. Dies spricht dafür, dass auf die konkrete Tätigkeit abzustellen ist, die auf dem in Frage stehenden Arbeitsplatz auszuüben ist. Auch der EuGH hat wiederholt klargestellt, dass die Ausnahmebestimmungen nur spezifische Tätigkeiten betreffen können.343 Der Terminus „wesentlich“ bedeutet „den Kern einer Sache ausmachend und daher besonders wichtig; von entscheidender Bedeutung; grund­ legend“344. Der Begriff „entscheidend“ wird definiert als „ausschlaggebend, von richtungweisender Bedeutung“345. Im Schrifttum wird zutreffend darauf hingewiesen, dass „entscheidend“ die stärkere Formulierung ist.346 Aus dem Wesentlichkeitskriterium kann die Statuierung einer Erheblichkeitsschwelle gefolgert werden, wonach das geschützte Merkmal nicht nur eine untergeordnete Rolle spielen, sondern zentraler Bestandteil für die auszuübende Tätigkeit sein muss; „entscheidend“ setzt darüber hinaus voraus, dass die Tätigkeit andernfalls nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden könnte.347 Dass „entscheidend“ der Kernbegriff der Rechtfertigungsregelung ist,348 hat 341  Duden online zu „beruflich“, abrufbar unter http://www.duden.de/rechtschrei bung/beruflich (Abruf vom 26.07.2015). 342  Duden online zu „Beruf“, abrufbar unter http://www.duden.de/rechtschrei bung/Beruf (Abruf vom 26.07.2015). 343  EuGH 30.06.1988 (Kommission/Frankreich) Slg. 1988, 03559 Rn. 25, siehe dazu bereits unter D. IV. 1. c); EuGH 11.01.2000 (Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 27, siehe dazu bereits unter D. IV. 1. b) cc). 344  Duden online zu „wesentlich“, abrufbar unter http://www.duden.de/recht schreibung/wesentlich (Abruf vom 26.07.2015). 345  Duden online zu „entscheidend“, abrufbar unter http://www.duden.de/recht schreibung/entscheidend (Abruf vom 26.07.2015). 346  Thüsing/Fink-Jamann/von Hoff ZfA 2009, 153, 172; Triebel Religionsrecht (2005), S. 145. 347  So in Bezug auf den gleichlautenden § 8 Abs. 1 AGG Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn.  22 f.; Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 7; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 9; vgl. auch Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 21, 23 f.; ErfK-Schlachter § 8 AGG Rn. 6; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 10. Hingegen nicht im Einzelnen zwischen „wesentlich“ und „entscheidend“ differenzierend Schleusener/ Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 12 ff.; vgl. auch Nollert-Borasio/Perreng § 8 AGG Rn. 6. 348  Triebel Religionsrecht (2005), S. 145.

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D. Europarechtliche Vorgaben

zudem bereits der sprachliche Vergleich mit den englischen und französischen Richtlinienfassungen gezeigt.349 Der EuGH hat sich in seinen bislang zur Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen ergangenen Entscheidungen nicht weiter mit der Definition der Begriffe „wesentlich und entscheidend“ befasst.350 Lediglich in den Schlussanträgen des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Prigge ist ein diesbezüglicher Hinweis zu finden: Danach kann eine Differenzierung in Bezug auf eine bestimmte berufliche Tätigkeit zulässig sein, wenn andernfalls „die Fähigkeit der Person, diese Tätigkeit korrekt und effizient zu verrichten, empfindlich (oder, mit den Worten der Bestimmung, wesentlich und entscheidend) abnehme“351. Die Fähigkeit, eine Tätigkeit effizient ausführen zu können, kann von Kundenpräferenzen abhängen. Dies lässt sich mithilfe des von dem USamerikanischen Rechtsphilosophen Wertheimer entwickelten Terminus der Reaktionsqualifikationen („reaction qualifications“) erklären, die von rein technischen Qualifikationen („technical qualifications“) zu unterschieden sind: „Reaction qualifications refer to those abilities or characteristics which contribute to job effectiveness by causing or serving as the basis of the appropriate reaction in the recipients. Technical qualifications refer to all those other qualifications (of an ordinary sort).“352 Mit Wertheimer lässt sich feststellen, dass Reaktionsqualifikationen oft eine entscheidende Rolle spielen. Tatsächlich geht es bei einer Vielzahl von Berufen gerade darum, eine angemessene Reaktion hervorzurufen.353 Zur Veranschaulichung der wichtigen zwischenmenschlichen Dimension354 vieler Tätigkeiten führt er unter anderem das Beispiel eines hochschulärztlichen Dienstes an, der bei der Besetzung einer Gynäkologen-Stelle zwischen einer weiblichen Bewerberin und einem männlichen Bewerber auswählen muss.355 Zwar ist der männliche Kandidat in dem konkreten Fall ein besserer Diagnostiker, doch fühlen sich viele weibliche Studierende bei der Behandlung durch eine Frau wohler, vertrauen sich ihr eher an und suchen im Krankheitsfall einen männlichen Arzt nicht auf. Durch die Einstellung der Frau können medizinische Probleme wirksamer behoben werden. Dieses Beispiel illustriert die Bedeutung der Reaktionsqualifikationen für die effektive Ausübung einer 349  Siehe

dazu bereits soeben unter D. V. 2. a) aa) (1). EuGH 12.01.2010 (Wolf) EuZW 2010, 142, 144; EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1043. 351  Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón 19.05.2011  – Rs. C-447/09 (Prigge), Celex-Nr. 62009CC0447 Rn. 61. 352  Wertheimer Ethics 94 (1983), 99, 100. 353  Wertheimer Ethics 94 (1983), 99, 101. 354  Wertheimer Ethics 94 (1983), 99, 102. 355  Wertheimer Ethics 94 (1983), 99, 101. 350  Vgl.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien313

Tätigkeit. Ein weiteres der von Wertheimer angeführten Beispiele ist der schwarze Polizist, der seine Tätigkeit auf Grund des größeren Vertrauens, dass die überwiegend schwarzen Bürger seiner Gemeinde ihm entgegenbringen, wirkungsvoller ausführen kann als ein weißer Polizist: „[T]he reaction of black citizens to a police officer’s race may, of itself, enable a black to perform more effectively than his white counterpart.“356 Das zeigt, dass die Fähigkeit, eine Tätigkeit korrekt und effizient auszuführen, empfindlich von den Kundenreaktionen abhängen kann. Die vom Generalanwalt Cruz Villalón verwendete Definition der Begriffe „wesentlich und entscheidend“ schließt eine Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen folglich nicht aus. Durch die Kausalbestimmung „wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung“ ist klargestellt, dass – anders als im Schrifttum zum Teil angenommen357 – nicht nur rein tätigkeitsbezogene358, sondern auch umweltbezogene Anforderungen eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ sein können. Auch der EuGH hat in der Rechtssache Johnston die Argumentation des Vereinigten Königreichs anerkannt, dass Schusswaffen tragende Frauen von der Öffentlichkeit schlechter aufgenommen würden und bei schweren inneren Unruhen einer größeren Anschlagsgefahr ausgesetzt seien: „Unter diesen Umständen können die Bedingungen der Ausübung bestimmter polizeilicher Tätigkeiten so beschaffen sein, dass das Geschlecht eine unabdingbare Vorrausetzung für ihre Ausübung darstellt. In solchen Fällen kann ein Mitgliedstaat diese Aufgaben und die auf sie vorbereitende berufliche Ausbildung Männern vorbehalten.“359

Für die Kundenpräferenzproblematik ist die Zulässigkeit auch umweltbezogener Anforderungen besonders relevant, da, wie das ArbG Köln feststellte, „die Erwartung[en] von Kunden, Klienten, Mandanten zu einem Geschlecht, der ethnischen Herkunft etc. […] nicht tätigkeits-, sondern vorrangig umweltbezogen sind“360. Weiter wies es jedoch darauf hin, dass die 356  Wertheimer

Ethics 94 (1983), 99. Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 20; Schiek NZA 2004, 873, 879; vgl. auch Novara NZA 2015, 142, 143, 146 f.; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 15, 23. 358  „Rein tätigkeitsbezogene Anforderungen“ werden hier in einem engen Sinne als sich unmittelbar aus der Eigenart der Tätigkeit selbst ergebende technische Qualifikationen verstanden. Einen weiteren Tätigkeitsbezugsbegriff verwendet hingegen Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 6 ff., die zwar immer einen Tätigkeitsbezug fordert, diesen aber z. T. auch bei der Berufung auf Kundenerwartungen für gegeben hält. 359  EuGH 15.05.1986 (Johnston) Slg. 1986, 01651 Rn. 37, siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter D. IV. 1. b) aa). 360  ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 51. Siehe für eine Darstellung der Entscheidung später unter E. III. 2. a) aa) (3) (a). Vgl. auch Rust/Falke357  So

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D. Europarechtliche Vorgaben

Haltung, Einstellung und Erwartung Dritter dann zu einer tätigkeitsbezogenen Anforderung führen könne, wenn die Tätigkeit ohne ihre Beachtung nicht ausgeübt werden könne, weil sie in dem betreffenden Marktsegment von ganz entscheidender Bedeutung ist.361 Das zeigt einerseits, dass der Übergang zwischen umwelt- und tätigkeitsbezogenen Anforderungen fließend ist.362 Gleichzeitig kommt es auf diese Differenzierung aber nicht an, da sich aus dem Wortlaut der Norm keine Begrenzung einer Rechtfertigungsmöglichkeit auf Fälle rein tätigkeitsbezogener Anforderungen ergibt. (2) Systematische Auslegung Die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist die zentrale Voraussetzung des allgemeinen Rechtfertigungsgrundes für unmittelbare Benachteiligungen. Zu untersuchen ist, ob sich aus einem systematischen Vergleich mit weiteren, in den Richtlinien enthaltenen Rechtfertigungsgründen Schlüsse für ihre Auslegung ziehen lassen. (a) Arbeitsrechtlicher Rechtfertigungsgrund gemäß Art. 4 Abs. 2 BeschäftiggsRL In der BeschäftiggsRL ist die Ausnahmebestimmung wegen „wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen“ in Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL in unmittelbarem Zusammenhang mit der speziellen Rechtfertigungsmöglichkeit für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Art. 4 Abs. 2 BeschäftiggsRL geregelt. Letztere erlaubt Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung, wenn dieses Merkmal „nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt“. Im Gegensatz zu der allgemeinen Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen fehlt das Kriterium „entscheidend“. Die Rechtfertigungsmöglichkeit des Art. 4 Abs. 2 BeschäftiggsRL enthält eine besondere Privilegierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften,363 die Hürden an eine Rechtfertigung sollFalke § 8 AGG Rn. 20, die Kundenerwartungen ebenfalls als „nicht tätigkeits-, sondern umweltbezogen“ qualifizieren. 361  ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 51. 362  Vgl. in Bezug auf die entsprechende Unterscheidung zwischen technischen Qualifikationen und Reaktionsqualifikationen Wertheimer Ethics 94 (1983), 99, 101 f. 363  So in Bezug auf die AGG-Umsetzungsregelung in § 9 Abs. 1 AGG Bauer/ Krieger § 9 Abs. 1 AGG Rn. 5; Joussen NZA 2008, 675.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien315

ten dadurch abgeschwächt werden.364 Dadurch wird das Ergebnis der Wortlautauslegung bestätigt, dass dem Begriff „entscheidend“ ein eigener, über die Voraussetzung „wesentlich“ hinausgehender Gehalt zukommt. Weitergehende Erkenntnisse für die Auslegung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen“ speziell im Hinblick auf die Rechtfertigung unter Berufung auf Kundenpräferenzen lassen sich aus einem systematischen Vergleich mit Art. 4 Abs. 2 BeschäftiggsRL jedoch nicht gewinnen. (b) Z  ivilrechtlicher Rechtfertigungsgrund gemäß Art. 4 Abs. 5 GenderZivRL Als aufschlussreich erweist sich die systematische Einordnung der Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen im Hinblick auf die in der GenderZivRL enthaltene Rechtfertigungsmöglichkeit. Gemäß Art. 4 Abs. 5 GenderZivRL kann „es gerechtfertigt sein […], Güter und Dienstleistungen ausschließlich oder vorwiegend für die Angehörigen eines Geschlechts bereitzustellen“365. Art. 4 Abs. 5 GenderZivRL wird durch die ErwG 16 und 17 GenderZivRL näher erläutert. In ErwG 16 GenderZivRL heißt es, dass eine unterschiedliche Behandlung „nur dann zulässig sein [kann], wenn sie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist“. Ein legitimes Ziel könne dabei beispielsweise der „Schutz der Privatsphäre und des sittlichen Empfindens“ oder auch „die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter oder der Interessen von Männern und Frauen (wie ehrenamtliche Einrichtungen, die nur den Angehörigen eines Geschlechts zugänglich sind)“, sein. Das zeigt, dass der europäische Gesetzgeber die Ausrichtung bestimmter Angebote auf eine merkmalsgeprägte Klientel für zulässig hält. Angesichts dessen wäre es widersinnig, gleichzeitig die Durchführung der entsprechenden Konzepte mit Beschäftigten, die ebenfalls Merkmalsträger sind, zu untersagen. Ist es einer Einrichtung zur Beratung weiblicher Opfer männlicher sexueller Gewalt erlaubt, männlichen „Kunden“ im Hinblick auf mögliche Privatsphäre- oder Sicherheitsinteressen der weiblichen Kunden den Zutritt zu versagen, wäre es widersprüchlich, die Durchführung des Konzeptes mit ausschließlich weiblichem Personal zu verbieten. Demzufolge spricht die Auslegung der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen „wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen“ im systematischen Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 5 GenderZivRL dafür, dass die Unternehmensausrichtung auf eine merkmalsgeprägte Klientel – insbesondere im Falle betroffener Privatsphäreinteressen – zulässig ist und die Beschäftigung entsprechender 364  Vgl. dazu Thüsing/Fink-Jamann/von Hoff ZfA 2009, 153, 172; Triebel Religionsrecht (2005), S. 144 f. 365  BT-Drs. 16/1780, S. 43.

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D. Europarechtliche Vorgaben

Merkmalsträger die Voraussetzung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ erfüllen kann. (3) Historische Auslegung Bei Betrachtung der Entstehungsgeschichte der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ fällt auf, dass in den ursprünglichen Kommissionsvorschlägen der AntirassismusRL und der BeschäftiggsRL lediglich eine „wesentliche berufliche Anforderung“ vorausgesetzt wurde.366 Auch die Stellungnahmen des Ausschusses der Regionen,367 des Wirtschaftsund Sozialausschusses368 und des Europäischen Parlaments369 sowie die daraufhin von der Kommission geänderte und dem Rat übermittelte Fassung des Richtlinienvorschlags370 enthielten den Zusatz „und entscheidende“ noch nicht. Er wurde erst nach den Beratungen des Ausschusses der Ständigen Vertreter im Rahmen der politischen Einigung im Rat knapp ­ ­einen Monat vor Inkrafttreten der Richtlinie in Art. 4 AntirassismusRL eingefügt.371 Zur Angleichung an den Richtlinientext der AntirassismusRL wurde das Adjektiv „entscheidend“ später auch in beiden Absätzen des Art. 4 BeschäftiggsRL, also in der allgemeinen Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen (Abs. 1) und in dem besonderen Rechtfertigungsgrund für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Abs. 2) hinzugefügt.372 Während dieser Zusatz in Abs. 2 nach den Beratungen des Ausschusses der Ständigen Vertreter wieder entfiel, blieb er in Abs. 1 erhalten.373 Die Streichung des Begriffs „entscheidend“ in Art. 4 Abs. 2 BeschäftiggsRL wurde von den Delegationen überwiegend als Abschwächung empfunden: Insbesondere die belgische, unterstützt von der spanischen Delegation, übte Kritik an dieser Abschwächung, wohingegen die deutsche, die portugiesische und die luxemburgische Delegation explizit ihre Bereitschaft zur Zustimmung „trotz der verschiedenen Abschwächungen“ erklär366  KOM(1999)

566 endg., S. 17; KOM(1999) 565 endg., S. 22. Stellungnahme des Ausschusses der Regionen vom 12.04.2000, ABl. C 226 vom 08.08.2000, S. 3. 368  Vgl. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 25.05.2000, ABl. C 204 vom 18.07.2000, S. 85. 369  Vgl. Änderungsanträge des Europäischen Parlaments vom 18.05.2000, ABl. C 59 vom 23.02.2001, S. 270. 370  Vgl. KOM(2000) 328 endg., S. 9. 371  Dokument des Rates 9055/00 vom 31.05.2000, S. 10. 372  Dokument des Rates 9423/00 vom 20.06.2000, S. 1, 16; vgl. dazu auch Triebel Religionsrecht (2005), S. 144. 373  Dokument des Rates 12269/00 vom 11.10.2000, S. 14; vgl. dazu auch Triebel Religionsrecht (2005), S. 144. 367  Vgl.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien317

ten.374 Insofern bestätigt die historische Auslegung das bei der grammatikalischen und systematischen Einordnung gefundene Ergebnis, dass „entscheidend“ stärker ist als „wesentlich“. Die Formulierung der Ausnahmebestimmung wegen beruflicher Anforderungen in dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag für die Neufassung der GenderRL setzte eine „echte berufliche Voraussetzung“ voraus.375 Nach der ersten Lesung im Europäischen Parlament übermittelte dieses einen Änderungsvorschlag, demgemäß eine „deutliche und maßgebliche Voraussetzung“ verlangt wurde.376 In dem anschließend geänderten Vorschlag der Kommission erforderte eine Rechtfertigung, dass das „Merkmal eine eindeutig definierte und schlüssig begründete Voraussetzung“ darstellen müsse.377 Daraufhin entwarf der Rat einen gemeinsamen Standpunkt, der die auch im endgültigen Richtlinientext übernommene Formulierung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ enthielt.378 Unter Verweis auf die entsprechenden Rechtfertigungsbestimmungen in den AntirassismusRL und BeschäftiggsRL führte der Rat aus, dass er „im Rahmen des Möglichen darum bemüht [war], den gleichen Wortlaut für gleiche Bestimmungen in den drei Texten zu wählen“379. Aus der Entstehungsgeschichte der Formulierung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ lässt sich vor allem schließen, dass in den Gleichbehandlungsrichtlinien ein einheitlicher Maßstab für Rechtfertigungen wegen beruflicher Anforderungen geschaffen werden sollte. Zu der inhaltlichen Bedeutung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ enthalten die Gesetzgebungsmaterialien nur wenige Hinweise. So sollen die beruflichen Anforderungen laut Kommissionsbegründung der AntirassismusRL „im engen Sinne verstanden werden, sodass sie nur solche beruflichen Anforderungen abdecken, die unbedingt notwendig sind zur Ausführung der betreffenden Tätigkeiten“380. Die Kommission nennt zwei Anwendungsbeispiele für die Ausnahmebestimmung, und zwar zum einen den Fall, „dass aus Gründen der Authentizität ein 374  Addendum zum Dokument des Rates 12270/00 vom 12.10.2000, S. 2; vgl. dazu auch Thüsing/Fink-Jamann/von Hoff ZfA 2009, 153, 172 sowie Triebel Reli­ gionsrecht (2005), S. 144. 375  KOM(2000) 334 endg., S. 18. 376  Änderungsanträge des Europäischen Parlaments vom 31.05.2001, ABl. C 47 E vom 21.02.2002, S. 166. 377  KOM(2001) 321 endg., S. 14. 378  Dokument des Rates 9848/01 vom 17.07.2001, S. 10. 379  Addendum zum Dokument des Rates 9848/01 vom 12.07.2001, S. 6. 380  KOM(1999) 566 endg., S. 9.

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D. Europarechtliche Vorgaben

Schauspieler benötigt wird, der einer bestimmten Rasse oder ethnischen Gruppe angehört“381, und zum anderen den Fall, „dass im Rahmen einer Tätigkeit persönliche Dienstleistungen für Angehörige einer bestimmten ethnischen Gruppe zu erbringen sind und dies am effektivsten von einem Angehörigen dieser Gruppe geleistet werden kann“382 Für das Merkmal Geschlecht verweist die Kommission lediglich auf die einschlägige EuGHRechtsprechung383 und unterstreicht, dass die Rechtfertigungsmöglichkeit „eng ausgelegt werden und nur solche beruflichen Anforderungen erfassen [soll], die sich daraus ergeben, dass die betreffenden Tätigkeiten nur von Frauen bzw. Männern ausgeübt werden können“384. Somit sollten „Fälle der unterschiedlichen Behandlung aus Gründen des Geschlechts […] die Ausnahme bleiben“385. In Bezug auf die übrigen geschützten Benachteiligungsgründe finden sich in den Richtlinienbegründungen keine konkreten Anwendungsbeispiele der Ausnahmebestimmungen. Die historische Auslegung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ ergibt, dass ein einheitlicher Rechtfertigungsmaßstab für alle Merkmale geschaffen werden sollte und dieser eng auszulegen ist. Die Rechtfertigungsschwelle kann aber – wie die von der Kommission angeführten Anwendungsbeispiele zeigen – bei Authentizitätsinteressen von Kunden überschritten werden. (4) Teleologische Auslegung Hinweise bezüglich des mit der Rechtfertigungsregelung verfolgten Zwecks können sich zunächst aus den Erwägungsgründen ergeben. ErwG 18 AntirassismusRL und ErwG 23 BeschäftiggsRL besagen jedoch lediglich, dass eine unterschiedliche Behandlung „[u]nter sehr begrenzten Bedingungen“ gerechtfertigt sein kann. Im Übrigen wiederholen sie nur den Wortlaut der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen einer beruflichen Anforderung. Etwas ausführlicher heißt es in ErwG 19 GenderNeuRL, dass „[d]ie Sicherstellung des gleichen Zugangs zur Beschäftigung und zur entsprechenden Berufsbildung […] grundlegend für die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen [ist]“. Deshalb sollte „[j]ede Einschränkung dieses Grundsatzes […] auf diejenigen beruflichen Tätigkeiten beschränkt bleiben, die aufgrund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung die Beschäftigung einer 381  KOM(1999)

566 566 383  KOM(2000) 334 384  KOM(2000) 334 385  KOM(2000) 334 382  KOM(1999)

endg., endg., endg., endg., endg.,

S. 9. S. 9. S. 7 ff. Siehe dazu auch bereits unter D. IV. 1. S. 9. S. 9.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien319

Person eines bestimmten Geschlechts erfordern, sofern damit ein legitimes Ziel verfolgt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird“. In diesem Sinne hat der EuGH in der Entscheidung Prigge für die Vorgängerregelung Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL386 und – unter Zitierung der Rechtsprechung zu Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL – auch für Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL387 festgestellt, dass die Ausnahmebestimmung eng auszulegen sei. Des Weiteren lassen sich die Rechtfertigungsregelungen im Lichte der mit den Gleichbehandlungsrichtlinien primär verfolgten Zielsetzung „Schutz der Menschenwürde“ betrachten. Die Richtlinien bezwecken, sozial verwerfliche, herabwürdigende und ausgrenzende Ungleichbehandlungen zu verhindern und zu beseitigen.388 Nicht jede Unterscheidung nach einem geschützten Merkmal ist sozial verwerflich. Vor diesem Hintergrund gelten die Benachteiligungsverbote nicht absolut, die „Möglichkeit der Rechtfertigung ist ein zentraler und auch notwendiger Baustein im Recht der Antidiskriminierung“389. Sie bezweckt, Raum für die Berücksichtigung der Unternehmerfreiheit wie auch der Interessen dritter Personen wie z. B. Kunden einzuräumen.390 Meinel / Heyn / Herms bringen insofern in Bezug auf die Umsetzungsregelung des § 8 Abs. 1 AGG auf den Punkt: „Gerade bei der Interpretation der Merkmale ‚entscheidend‘ und ‚wesentlich‘ wird sich herausstellen, ob es der Rechtsprechung gelingen wird, die Unternehmerfreiheit zu wahren und nicht zu beanstandende Segmentierungen innerhalb der Gesellschaft möglich zu machen, ohne den Diskriminierungsschutz zu entwerten.“391 Die teleologische Auslegung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ ergibt, dass diese Anforderung zwar grundsätzlich eng auszulegen ist. Gleichzeitig ist die Ausnahmebestimmung aber das Instrument, um der Unternehmerfreiheit und möglicherweise betroffenen Kundeninteressen trotz Diskriminierungsschutz zur Wirksamkeit zu verhelfen. Folglich lässt sich aus der teleologischen Auslegung der Richtlinienvorgabe zwar schließen, dass die „wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“ eine Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen nicht ausschließt. Doch lassen sich keine konkreteren Schlüsse ziehen, wann entsprechende Kundenpräferenzen den Grad einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ erreichen. 386  EuGH 15.05.1986 (Johnston) Slg. 1986, 01651 Rn. 36; EuGH 26.10.1999 (Sirdar) Slg. 1999, I-07403 Rn. 23. 387  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1043. 388  Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 4. 389  MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 2. 390  Vgl. Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 9; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 2. 391  Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 9.

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D. Europarechtliche Vorgaben

(5) Ergebnis Nach der grammatikalischen, systematischen, historischen und teleologischen Auslegung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ lassen sich folgende Leitlinien der europäischen Vorgaben festhalten: Der Gesetzgeber wollte für alle geschützten Merkmale einen einheit­ lichen Rechtfertigungsmaßstab schaffen, der eng auszulegen ist. Bei der Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ ist auf die spezifische berufliche Tätigkeit abzustellen. Berufliche Voraussetzungen können sich grundsätzlich sowohl aus tätigkeits- als auch aus umweltbezogenen Anforderungen – und damit auch aus Kundenpräferenzen – ergeben. Insbesondere Authentizitätsinteressen können eine Rechtfertigung begründen. Zudem hält der Gesetzgeber auch die Berücksichtigung von Privatsphäreinteressen der Kunden und die Ausrichtung auf eine merkmalsgeprägte Klientel für legitim. Dies spricht dafür, dass die Merkmalsträgerschaft der Beschäftigten bei Ausrichtung auf eine merkmalsgeprägte Klientel grundsätzlich eine „wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“ sein kann. Durch das Wesentlichkeitskriterium wird eine Erheblichkeitsschwelle statuiert, das Kriterium „entscheidend“ verlangt darüber hinaus, dass eine Tätigkeit nur von einem Merkmalsträger ordnungsgemäß ausgeführt werden kann. Die weitergehende Konkretisierung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ im Hinblick auf die Kundenpräferenzfrage wird auf mitgliedstaatlicher Ebene erfolgen. ee) „Rechtmäßiger Zweck“ und „angemessene Anforderung“ Schließlich setzt die Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen einen „rechtmäßigen Zweck“ und eine „angemessene Anforderung“ voraus, deren Bedeutung wiederum durch Auslegung zu ermitteln ist. (1) Grammatikalische Auslegung Der Zweck der ungleich behandelnden Maßnahme muss „rechtmäßig“, also „dem Recht nach; gesetzlich“392 sein. Dadurch werden solche Zwecke ausgeschlossen, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Anderes ergibt sich auch nicht bei einer sprachvergleichenden Auslegung. In der englischen Sprachfassung wird der Begriff „legitimate“, in der französischen „légitime“ verwendet, denen ebenfalls die Bedeutung „rechtmäßig“ bzw. das synonym 392  Duden online zu „rechtmäßig“, abrufbar unter http://www.duden.de/recht schreibung/rechtmaeszig (Abruf vom 26.07.2015).



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien321

verwendete „legitim“ oder auch „rechtsgültig“ zukommt.393 Der EuGH hält die Bedeutung dieses Terminus für selbsterklärend, sodass er die Voraussetzung des rechtmäßigen Zwecks nicht weiter definiert, sondern unmittelbar unter dieses Tatbestandsmerkmal subsumiert. So hat er z. B. festgestellt, dass die Gewährleistung der Einsatzbereitschaft und des ordnungsgemäßen Funktionierens der Berufsfeuerwehr394 sowie die Gewährleistung der Flugsicherheit395 rechtmäßige Zwecke im Sinne des Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL seien. Diese vom EuGH bislang entschiedenen Fälle betrafen zwar keine wirtschaftlichen Zielsetzungen. Aus der Anforderung des „rechtmäßigen Zwecks“ lässt sich indes nicht ablesen, dass wirtschaftliche Zielsetzungen keine rechtmäßigen Zwecke sein könnten.396 Dies ist für die Kundenpräferenzproblematik insofern von Bedeutung, als die Ausrichtung der Beschäftigungspolitik an Kundenvorlieben – jedenfalls, wenn auf Arbeitgeberseite ein privatwirtschaftliches Unternehmen steht – der profitablen Verfolgung eines unternehmerischen Konzeptes dient.397 Dass die berufliche Anforderung „angemessen“ sein muss, bedeutet dem Wortlaut nach, dass sie „richtig bemessen; adäquat“398 sein muss. Die eigentliche Bedeutung dieser Voraussetzung offenbart sich bei einer sprachvergleichenden Auslegung. In der englischen Sprachfassung wird der Begriff „proportionate“, in der französischen „proportionnée“ verwendet. Diese Begriffe erinnern an das deutsche „proportional“, das wiederum „nach ­Größe, Grad, Anzahl, Intensität o. Ä. in einem ausgewogenen Verhältnis zu etwas stehend; verhältnisgleich“399 bedeutet und damit auf die Verhältnismäßigkeit verweist. Auch der EuGH versteht die Voraussetzung der Angemessenheit als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Er liest „angemessen“ explizit als „verhältnismäßig“, was wiederum bedeute, dass 393  Vgl. Pons Online-Wörterbuch zu „legitimate“ und „légitime“, abrufbar unter  http://de.pons.eu/dict/search/results/?q=legitimate&l=deen&in=ac_en&lf=de und http://de.pons.eu/franzosisch-deutsch/l %C3 %A9gitime (Abruf vom 26.07.2015). 394  EuGH 12.01.2010 (Wolf) EuZW 2010, 142, 144; siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter D. IV. 2. b). 395  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1043; siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter D. IV. 2. c). 396  Vgl. allgemein zur Berufung auf ökonomische Argumente zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung Thüsing NJW 2003, 405, 406; ders. ZfA 2006, 241, 246; Wank NZA 2004 Sonderbeilage zu Heft 22, 16, 23 und Kuras RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 11, 13 sowie sehr restriktiv Schiek NZA 2004, 873, 879. 397  Vgl. dazu von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 250 f.; siehe dazu auch bereits unter B. III. 1. b) bb) und später unter E. V. 2. c). 398  Duden online zu „angemessen“, abrufbar unter http://www.duden.de/recht schreibung/angemessen (Abruf vom 26.07.2015). 399  Duden online zu „proportional“, abrufbar unter http://www.duden.de/recht schreibung/proportional (Abruf vom 26.07.2015).

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D. Europarechtliche Vorgaben

die die Ungleichbehandlung begründende Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein müsse und nicht über das hinausgehen dürfe, was hierzu erforderlich ist.400 Das verfolgte Ziel, also der rechtmäßige Zweck, lässt sich als Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch als ein Teil von ihr verstehen. In der Entscheidung Johnston zu Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL stellte der EuGH noch fest, dass es den mitgliedstaatlichen Gerichten obliege, die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme zu prüfen.401 In der Rechtssache Kreil ebenfalls zu Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL konstatierte der EuGH indes selbst einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.402 Auch in jüngeren Urteilen zu Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL übernahm der EuGH die Prüfung der Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit.403 An dieser Stelle wird deutlich, dass die Grenzen zwischen der Anwendung des europäischen Rechts, die Sache der Mitgliedstaaten ist, und seiner Auslegung, die grundsätzlich dem EuGH obliegt, in der Praxis verschwimmen. (2) Historische Auslegung Die Tatbestandsmerkmale des „rechtmäßigen Zwecks“ und der „angemessenen Anforderung“ waren in den ursprünglichen Kommissionsvorschlägen der Richtlinie nicht enthalten. Wie das Adjektiv „entscheidend“ wurde auch der Zusatz „sofern es sich um einen legitimen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt“ erst im Rahmen der politischen Einigung im Rat in Art. 4 AntirassismusRL eingefügt,404 wobei der Begriff „legitim“ in der verabschiedeten deutschen Richtlinienfassung durch „rechtmäßig“ ersetzt wurde. Zur Angleichung an den Richtlinientext der AntirassismusRL wurden die Tatbestandsmerkmale des rechtmäßigen Zwecks und der angemessenen Anforderung später auch in beiden Absätzen des Art. 4 BeschäftiggsRL, also in der allgemeinen Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen (Abs. 1) und in dem besonderen Rechtfertigungsgrund für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Abs. 2) hinzugefügt.405 Wie bereits der Begriff „entscheidend“ entfiel auch dieser Zusatz in Abs. 2 400  EuGH

12.01.2010 (Wolf) EuZW 2010, 142, 144. 15.05.1986 (Johnston) Slg. 1986, 01651 Rn. 39, siehe dazu bereits unter D. IV. 1. b) aa). 402  EuGH 11.01.2000 (Kreil) Slg. 2000, I-00069 Rn. 29, siehe dazu bereits unter D. IV. 1. b) cc). 403  Vgl. EuGH 12.01.2010 (Wolf) EuZW 2010, 142, 144; EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1043. 404  Dokument des Rates 9055/00 vom 31.05.2000, S. 10. 405  Dokument des Rates 9423/00 vom 20.06.2000, S. 1, 16. 401  EuGH



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien323

später wieder und wurde nicht in den endgültigen Richtlinientext aufgenommen.406 Dies wurde im Schrifttum als bewusster Verzicht auf die Verhältnismäßigkeitsklausel in Art. 4 Abs. 2 BeschäftiggsRL beschrieben.407 Das bestätigt, dass die Voraussetzungen des „rechtmäßigen Zwecks“ und der „angemessenen Anforderung“ allgemein als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufgefasst werden. In dem sich über zwei Jahre hinziehenden Gesetzgebungsprozess408 der GenderRL wurden die Voraussetzungen des „rechtmäßigen Zwecks“ und der „angemessenen Anforderung“ bereits vergleichsweise früh, und zwar in den Abänderungsanträgen des Europäischen Parlaments nach der ersten Lesung (von insgesamt drei Lesungen) in Art. 2 Abs. 2 GenderRL eingefügt.409 Die Kommission übernahm diesen Zusatz in der anschließend geänderten und dem Rat übermittelten Fassung des Richtlinienvorschlags.410 Auch in dem daraufhin vom Rat entwickelten gemeinsamen Standpunkt wurde diese Formulierung aufgenommen,411 die letztlich im endgültigen Richtlinientext erhalten blieb. Dass dadurch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen werden sollte, wird freilich bereits in der Kommissionsbegründung des ursprünglichen Richtlinienvorschlags deutlich, der diese Voraussetzungen noch nicht explizit enthielt. Dort führt die Kommission, das EuGHUrteil Johnston412 zitierend, aus: „Ausnahmen vom Recht auf Gleichbehandlung von Frauen und Männern sind eng auszulegen und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anzuwenden. Nach diesem Grundsatz dürfen Ausnahmen nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessene und erforderliche Maß hinausgehen.“413 Die historische Auslegung bestätigt, dass durch die Voraussetzungen des „rechtmäßigen Zwecks“ und „angemessenen Anforderung“ eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert werden sollte.

406  Dokument

des Rates 12269/00 vom 11.10.2000, S. 14. Hoff ZfA 2009, 153, 171. 408  Vgl. Gröner Streit 2002, 141, 142; Hadeler NZA 2003, 77. 409  Änderungsanträge des Europäischen Parlaments vom 31.05.2001, ABl. C 47 E vom 21.02.2002, S. 166. 410  KOM(2001) 321 endg., S. 14. 411  Dokument des Rates 9848/01 vom 17.07.2001, S. 10. 412  EuGH 15.05.1986 (Johnston) Slg. 1986, 01651. Siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter D. IV. 1. b) aa). 413  KOM(2000) 334 endg., S. 7. 407  Thüsing/Fink-Jamann/von

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D. Europarechtliche Vorgaben

(3) Teleologische Auslegung Besonders deutlich wird die Statuierung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den „rechtmäßigen Zweck“ und die „angemessene Anforderung“ schließlich, wenn man ihren in den Erwägungsgründen der Richtlinien zum Ausdruck kommenden Zweck betrachtet. In ErwG 19 GenderNeuRL wird in Bezug auf Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz wegen beruflicher Anforderungen klargestellt, dass „[j]ede Einschränkung dieses Grundsatzes […] auf diejenigen beruflichen Tätigkeiten beschränkt bleiben [sollte], die aufgrund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung die Beschäftigung einer Person eines bestimmten Geschlechts erfordern, sofern damit ein legitimes Ziel verfolgt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird“. (4) Ergebnis Die Auslegung der Voraussetzungen des „rechtmäßigen Zwecks“ und der „angemessenen Anforderung“ ergibt, dass dadurch zum einen klargestellt werden sollte, dass solche ungleich behandelnden Maßnahmen nicht gerechtfertigt werden können, deren Zweck gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Zum anderen setzt eine Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus. b) Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung Eine mittelbare Diskriminierung durch dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, soll gemäß Art. 2 Abs. 2 b) AntirassismusRL und den nahezu wortgleichen Art. 2 Abs. 2 b) i) BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 2 2. Spiegelstrich GenderRL (nunmehr Art. 2 Abs. 1 b) GenderNeuRL) dann nicht vorliegen, wenn „die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren […] durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt [dazu unter aa)], und die Mittel […] zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich [sind (dazu unter bb]), Hervorhebungen durch Verf.]“. Gesetzestechnisch führt das Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung bereits zum Tatbestandsausschluss einer mittelbaren Diskriminierung.414 Die „Rechtfertigungsgründe“ einer mittelbaren Diskriminierung sind – wie 414  Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert § 3 AGG Rn. 52 (in Bezug auf die AGG-Regelungen).



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien325

auch in der Umsetzungsregelung des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG415 – als negative Tatbestandsmerkmale geregelt.416 Die Definition der mittelbaren Diskriminierung einschließlich der sachlichen Rechtfertigung in den Richtlinien kodifiziert die jahrelange EuGHRechtsprechung zur mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung.417 Wenngleich der EuGH in seinen Entscheidungen gebetsmühlenartig die Formel wiederholt, dass den nationalen Gerichten die Beurteilung obliege, ob und unter welchen konkreten Umständen eine sachliche Rechtfertigung gegeben sei,418 so gibt er doch Hinweise.419 Sie sind bei der Auslegung der Rechtfertigungsvoraussetzungen zu berücksichtigen. aa) „… durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt“ Zunächst setzt eine Ausnahme vom Verbot mittelbarer Benachteiligungen eine sachliche Rechtfertigung durch ein rechtmäßiges Ziel voraus. (1) Grammatikalische Auslegung Die Formulierung des „rechtmäßigen Ziels“ erinnert stark an die des „rechtmäßigen Zwecks“ in der Ausnahmebestimmung wegen beruflicher Anforderungen. Auch in den englischen Richtlinienfassungen werden mit dem „legitimate objective“ in der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen und dem für die Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen vorausgesetzten „legitimate aim“ leicht abweichende Termini verwendet. Die Begriffe „Zweck“ und „Ziel“ werden synonym gebraucht.420 415  Siehe

dazu bereits unter B. III. 2. b) cc) (2). NZA 2004 Sonderbeilage zu Heft 22, 16, 22; vgl. auch in Bezug auf die AGG-Regelungen ErfK-Schlachter § 3 AGG Rn. 13. 417  Kuras RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 11, 14. 418  EuGH 31.03.1981 (Jenkins) Slg. 1981, I-00911 Rn. 14; EuGH 13.05.1986 (Bilka) NZA 1986, 599, 600; EuGH 13.07.1989 (Rinner-Kühn) Slg. 1989, I-02743 Rn. 15; EuGH 02.10.1997 (Gerster) Slg. 1997 I-05253 Rn. 35; EuGH 02.10.1997 (Kording) Slg. 1997, I-05289 Rn. 20. 419  EuGH 06.02.1996 (Lewark) NZA 1996, 319, 321; EuGH 07.03.1996 (Freers/ Speckmann) Slg. 1996, I-01165 Rn. 24; EuGH 17.06.1998 (Hill/Stapleton) Slg. 1998, I-03739 Rn. 36; EuGH 09.02.1999 (Seymour-Smith/Perez) Slg. 1999, I-00623 Rn. 68; EuGH 20.03.2003 (Kutz-Bauer) NZA 2003, 506, 508; EuGH 23.10.2003 (Schönheit/Becker) Slg. 2003, I-12575 Rn. 83; EuGH 10.03.2005 (Nikoloudi) NZA 2005, 807, 810. 420  Vgl. Duden online zu „Zweck“ und „Ziel“, abrufbar unter http://www.duden. de/rechtschreibung/Zweck und http://www.duden.de/rechtschreibung/Ziel (Abruf vom 26.07.2015). 416  Wank

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D. Europarechtliche Vorgaben

Das deutet darauf hin, dass der „rechtmäßige Zweck“ und das „rechtmäßige Ziel“ identische Anforderungen stellen. Tatsächlich offenbart eine sprachvergleichende Betrachtung der französischen Richtlinienfassungen, dass sich diese Voraussetzungen entsprechen. In den französischen Richtlinienfassungen ist in den Rechtfertigungsbestimmungen wegen beruflicher Anforderungen und in der Rechtfertigungsmöglichkeit für mittelbare Benachteiligungen einheitlich jeweils von einem „objectif légitime“ die Rede.421 Insofern gilt für das „rechtmäßige Ziel“ das für den „rechtmäßigen Zweck“ Gesagte: Diese Anforderung führt dazu, dass solche Ziele einer Ungleichbehandlung nicht rechtfertigungsfähig sind, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Die Diskriminierung muss zudem „sachlich gerechtfertigt“ sein. „Sachlich“ bedeutet „nur von der Sache selbst, nicht von Gefühlen oder Vorurteilen bestimmt; nur auf die Sache, auf den infrage stehenden Sachzusammenhang bezogen; objektiv“422. Diese Bedeutung ergibt sich auch bei Betrachtung der englischen und französischen Sprachfassungen, denen gemäß die Arbeitgebermaßnahme „objectively justified“ bzw. „objectivement justifié“ sein muss. (2) Historische Auslegung Die Formulierung der tatbestandlichen Rechtfertigungsmöglichkeit für mittelbare Diskriminierungen in den ursprünglichen Kommissionsvorschlägen weicht von der endgültig verabschiedeten Richtlinienfassung ab. In den Vorschlägen der AntirassismusRL war nicht von einer „sachlichen“ Rechtfertigung durch ein „rechtmäßiges“, sondern von einer „objektiven“ Rechtfertigung durch ein „legitimes“ Ziel die Rede.423 Die Ersetzung des Begriffs „legitim“ durch „rechtmäßig“ und „objektiv“ durch „sachlich“ erfolgte erst kurz vor Verabschiedung der Richtlinie nach einer Überarbeitung der Fassung, über die im Rat politisches Einvernehmen erzielt werden konnte, durch Rechts- und Sprachsachverständige.424 Freilich sind diese sprachlichen Unterschiede nicht mit inhaltlichen Unterschieden verbunden. Ein weiterer Unterschied in dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag besteht darin, dass das „legitim“ durch einen Zusatz näher beschrieben wurde. Eine Ausnahme vom Verbot der mittelbaren Benachteiligung 421  Lediglich in der Rechtfertigungsbestimmung für mittelbare Benachteiligungen in der Directive 2002/73/CE ist abweichend von einem „but légitime“ die Rede. 422  Duden online zu „sachlich“, abrufbar unter http://www.duden.de/rechtschrei bung/sachlich (Abruf vom 26.07.2015). 423  KOM(1999) 566 endg., S. 16. 424  Vgl. Dokument des Rates 9499/00 vom 19.06.2000, S. 2, Dokument des Rates 9339/00 vom 20.06.2000, S. 9.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien327

setzte voraus, dass sie durch ein „legitimes Ziel, das nichts mit der Rasse oder der ethnischen Herkunft einer Person oder Personengruppe zu tun hat, objektiv gerechtfertigt“425 war. Dieser Zusatz fiel im Rahmen der politischen Einigung im Rat weg.426 In dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag der BeschäftiggsRL waren zwar auch die Begriffe des „legitimen“ statt „rechtmäßigen“ Ziels und der „objektiven“ statt der „sachlichen“ Rechtfertigung enthalten, ein das „legitime“ Ziel weiter erläuternder Einschub war aber von Anfang an nicht vorgesehen.427 Die Formulierung der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung in dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag der GenderRL lautete wiederum, dass die Arbeitgebermaßnahme „durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt“428 werden konnte, die Anforderung eines „rechtmäßigen Ziels“ fehlte völlig. Die Fassung der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung, wie sie letztlich Eingang in die endgültig verabschiedete Richtlinie fand, geht auf einen Änderungsantrag des Europäischen Parlaments nach der ersten Lesung zurück.429 Er wurde von der Kommission in ihrem daraufhin geänderten und dem Rat übermittelten Richtlinienvorschlag430 aufgegriffen und schließlich auch vom Rat in seinen Gemeinsamen Standpunkt431 übernommen. Zwar ist der in den ursprünglichen Vorschlägen der AntirassismusRL und der GenderRL jeweils enthaltene Einschub, wonach das „legitime Ziel“ bzw. der „sachliche Grund“ keinen Bezug zum geschützten Merkmal aufweisen darf, weggefallen. Nichtsdestotrotz können nur solche Ziele rechtmäßig sein, die nicht mit einem Benachteiligungsgrund in Zusammenhang stehen.432 Aus den Kommissionsbegründungen der Richtlinienvorschläge geht hervor, dass durch die Definition der mittelbaren Diskriminierung einschließlich ihrer sachlichen Rechtfertigung die jahrelange diesbezügliche EuGH-Rechtsprechung kodifiziert werden sollte.433 Wiederholt hat der EuGH im Zusammenhang mit der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts klargestellt, dass eine Maßnahme des Arbeitgebers dann nicht 425  KOM(1999)

566 endg., S. 16. Dokument des Rates 9055/00 vom 31.05.2000, S. 8. 427  KOM(1999) 565 endg., S. 21. 428  KOM(2000) 334 endg., S. 18. 429  Änderungsanträge des Europäischen Parlaments vom 31.05.2001, ABl. C 47 E vom 21.02.2002, S. 164. 430  KOM(2001) 321 endg., S. 13. 431  Dokument des Rates 9848/01 vom 17.07.2001, S. 9; vgl. dazu auch Addendum zum Dokument des Rates 9848/01 vom 12.07.2001, S. 4. 432  Schiek-Schiek § 3 AGG Rn. 27, 48; so außerdem in Bezug auf die AGGRegelungen Bauer/Krieger § 3 AGG Rn. 33. 433  Vgl. KOM(1999) 566 endg., S. 7; KOM(1999) 565 endg., S. 9. 426  Vgl.

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D. Europarechtliche Vorgaben

mittelbar diskriminierend sei, wenn sie „auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben“434. Die Voraussetzung des „rechtmäßigen“ Ziels lässt sich demnach dahingehend konkretisieren, dass dadurch solche Zielsetzungen nicht rechtfertigungsfähig sind, die selbst einem diskriminierenden Zweck dienen.435 Durch die Bedienung von Kundenpräferenzen verfolgt der Arbeitgeber regelmäßig wirtschaftliche (oder auch gesellschaftliche, soziale oder politische) Zielsetzungen436 und keine merkmalsbezogenen Interessen. Bietet ein Unternehmen beispielsweise Lektorierungen an und beschäftigt ausschließlich Lektoren, die die deutsche Sprache hervorragend beherrschen, könnte dies Personen nicht-deutscher Herkunft wegen der Ethnie mittelbar benachteiligen. Der Arbeitgeber bedient damit jedoch Kundenerwartungen hinsichtlich der Sprachkenntnisse der vermittelten Lektoren, beherrschten seine Beschäftigten die deutsche Sprache nicht hervorragend, würde er Kunden verlieren und sein Unternehmen nicht profitabel betreiben können. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass die Beschränkung des „rechtmäßigen Ziels“ auf nicht diskriminierende Zwecke eine Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen nicht ausschließt. Dies wird durch die weitere, vom EuGH vorgenommene Konkretisierung der „sachlichen Rechtfertigung“ bestätigt. Danach müsse die Arbeitgebermaßnahme „einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen“437. Das bedeutet, dass sachliche Gründe, anders als beim allgemeinen Gleich­ behandlungsgrundsatz,438 nicht zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung ausreichen.439 Es findet nicht nur eine bloße Willkürkontrolle, sondern eine inhaltliche Überprüfung der Unternehmerentscheidung statt.440 Ein „wirkliches Bedürfnis“ liegt aber nicht erst dann vor, wenn das Bestandsinteresse des Unternehmens berührt ist.441 Auf Seiten des Arbeitgebers kommen für eine sachliche Rechtfertigung nach der EuGH-Rechtsprechung vor allem betriebswirtschaftliche Gründe und Notwendigkeiten in Be434  EuGH 13.05.1986 (Bilka) NZA 1986, 599, in diesem Sinne z. B. auch EuGH 13.07.1989 (Rinner-Kühn) Slg. 1989, I-02743 Rn. 12; EuGH 06.02.1996 (Lewark) NZA 1996, 319, 321; EuGH 17.06.1998 (Hill/Stapleton) Slg. 1998, I-03739 Rn. 34; EuGH 20.03.2003 (Kutz-Bauer) NZA 2003, 506; EuGH 10.03.2005 (Nikoloudi) NZA 2005, 807, 809. 435  Vgl. ErfK-Schlachter § 3 AGG Rn. 13. 436  Siehe zu den Arbeitgeberinteressen bereits unter B. III. 1. b) bb). 437  EuGH 13.05.1986 (Bilka) NZA 1986, 599. 438  Siehe dazu bereits unter B. III. 2. a) dd). 439  Nollert-Borasio/Perreng § 3 AGG Rn. 19a; Pfarr NZA 1986, 585, 587; a. A. MüKo-Thüsing § 3 AGG Rn. 39. 440  Nollert-Borasio/Perreng § 3 AGG Rn. 19a; Pfarr NZA 1986, 585, 587. 441  Staudinger-Annuß § 611a BGB Rn. 71.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien329

tracht.442 Diese müssen freilich auf vernünftigen und einleuchtenden Erwägungen beruhen, der EuGH hat mehrfach darauf hingewiesen, dass allgemeine Behauptungen nicht ausreichend seien.443 Ausgangspunkt einer sachlichen Rechtfertigung können zudem – insbesondere auf Seiten des Staates als Arbeitgeber oder bei der Prüfung einer Rechtsnorm – sozialpolitische Überlegungen sein.444 Haushaltserwägungen als solche können eine mittelbare Diskriminierung jedoch nicht rechtfertigen.445 Der Staat als Arbeitgeber kann sich nicht erfolgreich allein auf das Argument zusätzlicher Kostenverursachung bei Ausschaltung der Diskriminierung berufen.446 Die historische Auslegung der Rechtfertigungsbestimmungen für die mittelbare Diskriminierung ergibt, dass dadurch die diesbezügliche EuGHRechtsprechung kodifiziert werden sollte. Der EuGH-Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass rechtmäßig nur solche Ziele sein können, die selbst nicht diskriminierend sind. Insbesondere betriebswirtschaftliche Gründe sind dabei zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung geeignet. Da die Bedienung von Kundenwünschen jedenfalls bei privatwirtschaftlichen Unternehmen regelmäßig ökonomischen Interessen des Arbeitgebers dient, kann sie grundsätzlich eine „sachliche Rechtfertigung“ durch ein „rechtmäßiges Ziel“ begründen. (3) Teleologische Auslegung Der Zweck des Verbots der mittelbaren Diskriminierung besteht darin, den Diskriminierungsverboten wegen der geschützten Merkmale zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen; die Umgehung des Diskriminierungsverbots durch das Anknüpfen an scheinbar neutrale Merkmale soll verhindert werden.447 Demnach ist die mittelbare Diskriminierung ein Hilfsinstrument zur 442  EuGH 31.03.1981 (Jenkins) Slg. 1981, 00911 Rn. 12; EuGH 13.05.1986 (Bilka) NZA 1986, 599, 600; so außerdem in Bezug auf die AGG-Regelungen Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 3 AGG Rn. 89. 443  EuGH 17.06.1998 (Hill/Stapleton) Slg. 1998, I-03739 Rn. 38; EuGH 09.02.1999 (Seymour-Smith/Perez) Slg. 1999, I-00623 Rn. 76; EuGH 20.03.2003 (Kutz-Bauer) NZA 2003, 506, 508; EuGH 10.03.2005 (Nikoloudi) NZA 2005, 807, 810. 444  EuGH 07.03.1996 (Freers/Speckmann) Slg. 1996, I-01165 Rn. 27; EuGH 06.04.2000 (Jørgensen) Slg. 2000, I-02447 Rn. 41 f.; EuGH 26.09.2000 (Kachelmann) NZA 2000, 1155, 1156. 445  EuGH 06.04.2000 (Jørgensen) Slg. 2000, I-02447 Rn. 42; EuGH 10.03.2005 (Nikoloudi) NZA 2005, 807, 810. 446  EuGH 17.06.1998 (Hill/Stapleton) Slg. 1998, I-03739 Rn. 40; EuGH 23.10.2003 (Schönheit/Becker) Slg. 2003, I-12575 Rn. 84. 447  Koch/Nguyen EuR 2010, 364, 365.

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D. Europarechtliche Vorgaben

Durchsetzung des eigentlichen Verbots der direkten Diskriminierung.448 Diesem Zweck entspricht es, als „rechtmäßige Ziele“ einer sachlichen Rechtfertigung nur solche Ziele anzuerkennen, die selbst nicht diskriminierend sind. Darüber hinaus ist das Verbot mittelbarer Diskriminierungen Ausdruck der verteilungspolitischen Ausrichtung der Gleichbehandlungsrichtlinien,449 die zwar primär den Schutz der Menschenwürde bezwecken, daneben aber auch auf die Verbesserung der Teilhabe besonders benachteiligter Gruppen am Arbeitsmarkt abzielen.450 Diese Zielsetzung kann nur erreicht werden, wenn die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung durch ein rechtmäßiges Ziel über ein bloßes Willkürverbot hinausgehen. Im Einklang mit dem EuGH ist zu fordern, dass die benachteiligend wirkende Arbeitgebermaßnahme einem wirklichen, einleuchtend und vernünftig begründeten Bedürfnis des Arbeitgebers dient.451 Das schließt eine Rechtfertigung im Hinblick auf die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen durch die Bedienung von Kundenpräferenzen nicht aus. Die teleologische Auslegung bestätigt das Ergebnis der historischen Auslegung, dass nur solche Ziele „rechtmäßig“ im Sinne einer sachlichen Rechtfertigung sein können, die selbst nicht diskriminierend sind. Zudem muss die benachteiligend wirkende Arbeitgebermaßnahme einem wirklichen, nachvollziehbar begründeten Bedürfnis des Arbeitgebers dienen. Aus der Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke durch die Bedienung von Kundenpräferenzen kann sich grundsätzlich ein solches Bedürfnis ergeben. (4) Ergebnis Die Auslegung des „rechtmäßigen Ziels“ ergibt, dass eine mittelbare Diskriminierung nur durch legale, nicht diskriminierende Ziele gerechtfertigt werden kann. Durch die Anforderung einer „sachlichen Rechtfertigung“ ist zudem klargestellt, dass eine auf Gefühlen oder Vorurteilen beruhende Begründung nicht ausreicht. Vielmehr muss die benachteiligend wirkende Arbeitgebermaßnahme einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers dienen, wozu insbesondere betriebswirtschaftliche Gründe – also auch die Bedienung von Kundenpräferenzen zur profitablen Verfolgung eines unternehmerischen Konzeptes – zählen können. 448  Bauer/Krieger § 3 AGG Rn. 20; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 3 AGG Rn. 17. 449  Vgl. dazu Adomeit/Mohr § 3 AGG Rn. 123 f. 450  Siehe dazu bereits unter D. III. 2. b) und d) bb). 451  Siehe dazu bereits unter D. V. 2. b) aa) (2) die Nachweise in Fn. 437 und 443.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien331

bb) „… und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“ Neben dem rechtmäßigen Ziel setzt die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung voraus, dass die Mittel zur Erreichung dieses Ziels „angemessen und erforderlich“ sind. (1) Grammatikalische Auslegung Der Begriff „angemessen“ ist bereits aus der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen bekannt. Doch während er dort in den englischen und französischen Sprachfassungen als „proportional“ bzw. „proportionnée“ übersetzt wird, was dem Begriff „verhältnismäßig“ näher kommt, finden sich für den Begriff „angemessen“ in den Bestimmungen zur mittelbaren Diskriminierung in den englischen und französischen Richtlinienfassungen die Termini „appropriate“ bzw. „appropriés“. Letzteren kommt insbesondere die Bedeutung „geeignet“ zu.452 Das lässt darauf schließen, dass die Angemessenheitsbegriffe beider Vorschriften nicht identisch sind. Die Angemessenheit im Sinne der Verhältnismäßigkeit in der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen ist weiter zu verstehen als die Angemessenheit im Sinne der Geeignetheit bei der Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen. Der EuGH konkretisiert die Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit bei der Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen dahingehend, dass sie die Geeignetheit und die Erforderlichkeit umfasse.453 Im Gegensatz zu dem Wortlaut der Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen setzt der Wortlaut der Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen aber nicht nur die „Angemessenheit“, sondern die „Angemessenheit und Erforderlichkeit“ voraus. Liest man diese Voraussetzung als „geeignet und erforderlich“, entspricht dies letztlich der Angemessenheitsprüfung bei der Rechtfertigungsmöglichkeit für unmittelbare Diskriminierungen. Obwohl sich die Angemessenheitsbegriffe in den Rechtfertigungsmöglichkeiten für unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen nicht entsprechen, wird durch den Zusatz „und erforderlich“ in der Rechtfertigungsmöglichkeit für mittelbare Benachteiligungen eine Entsprechung erreicht.

452  Vgl. Pons Online-Wörterbuch zu „appropriate“ und „approprié(e)“, abrufbar unter http://de.pons.eu/ %C3 %BCbersetzung?q=appropriate&l=deen&in=&lf=en und http://de.pons.eu/ %C3 %BCbersetzung/franz %C3 %B6sisch-deutsch/appropri %C3  %A9 (Abruf vom 26.07.2015). 453  EuGH 12.01.2010 (Wolf) EuZW 2010, 142, 144.

332

D. Europarechtliche Vorgaben

(2) Historische Auslegung Die Entstehungsgeschichte der Richtlinienbestimmungen zur mittelbaren Diskriminierung zeigt, dass in den ursprünglichen Kommissionsvorschlägen der AntirassismusRL und der BeschäftiggsRL jeweils die Formulierung „geeignet und erforderlich“ statt „angemessen und erforderlich“ enthalten war.454 Auch die Richtlinienfassung der zuerst verabschiedeten AntirassismusRL, über die am Ende des Gesetzgebungsprozesses im Rat politisches Einvernehmen erzielt werden konnte, enthielt noch den Begriff „geeignet“ statt „angemessen“.455 Der Ersatz von „geeignet“ durch „angemessen“ geht auf eine Überarbeitung dieser Fassung durch Rechts- und Sprachsachverständige unmittelbar vor Verabschiedung der Richtlinie zurück.456 Dass letztlich auch in der BeschäftiggsRL und in der GenderRL jeweils der Terminus „angemessen“ statt „geeignet“ verwendet wurde, lässt sich wiederum durch die sprachliche Anpassung an die AntirassismusRL erklären. Diese sprachliche Korrektur in der AntirassismusRL in letzter Sekunde verwundert: Schließlich geht die Richtliniendefinition der mittelbaren Diskriminierung einschließlich ihrer sachlichen Rechtfertigung aus der langjährigen EuGH-Rechtsprechung zur mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung hervor. Der EuGH hatte schon in seiner grundlegenden Entscheidung Bilka formuliert, dass die zur Erreichung des Zwecks vom Arbeitgeber gewählten Mittel „geeignet und erforderlich“457 – nicht „angemessen und erforderlich“ – sein müssten. Schließlich ist die Ersetzung von „geeignet“ durch „angemessen“ auch insofern unglücklich, als dadurch der Eindruck entstehen könnte, dass „angemessen und erforderlich“ bei der Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung mehr voraussetzt als nur „angemessen“ bei der Rechtfertigung einer unmittelbaren Benachteiligung wegen beruflicher Anforderungen. Dass letztlich in beiden Fällen gleichermaßen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung mit den Elementen der „Geeignetheit“ und der „Erforderlichkeit“ statuiert werden sollte, hat bereits die sprachvergleichende Auslegung gezeigt. (3) Ergebnis Die Auslegung der Anforderung „angemessen und erforderlich“ in der Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung ergibt, dass dadurch – genau wie durch das Erfordernis „angemessen“ bei der Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen – eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert wer454  KOM(1999)

566 endg., S. 16; KOM(1999) 565 endg., S. 21. des Rates 9055/00 vom 31.05.2000, S. 8. 456  Dokument des Rates 9499/00 vom 19.06.2000, S. 2; Dokument des Rates 9339/00 vom 20.06.2000, S. 9. 457  EuGH 13.05.1986 (Bilka) NZA 1986, 599. 455  Dokument



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien333

den sollte. Diese setzt nach der Terminologie des EuGH voraus, dass die Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich sind. Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist also – wie bei der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen auch – das rechtmäßige Ziel, das insofern Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist. Die genauere Konkretisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die Kundenpräferenzfrage wird auf Ebene des mitgliedstaatlichen Rechts erfolgen.458 c) Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL erlaubt den Mitgliedstaaten, vorzusehen, „dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen [dazu unter cc)] sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel [dazu unter aa)], worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich [dazu unter bb)] sind [Hervorhebungen durch Verf.]“. aa) „Legitimes Ziel“ Das Tatbestandsmerkmal des „legitimen Ziels“ erinnert an die Anforderung des „rechtmäßigen Ziels“ bei der Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen. In den englischen und französischen Sprachfassungen wird sowohl in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL als auch in Bezug auf die Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen gleichermaßen ein „legitimate aim“ bzw. ein „objectif légitime“ vorausgesetzt. Das spricht dafür, dass in beiden Fällen identische Anforderungen an die Legitimität des Ziels zu stellen sind. Der EuGH hat indes in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL in der Entscheidung Age Concern festgestellt, „dass die Ziele, die als ‚rechtmäßig‘ im Sinne dieser Bestimmung und damit als geeignet angesehen werden können, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung sind. Diese Ziele unterscheiden sich insoweit, als sie im Allgemeininteresse stehen, von rein individuellen Beweggründen, die der Situation des Arbeitgebers eigen sind, wie Kostenreduzierung oder Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, ohne dass allerdings ausgeschlossen werden kann, dass eine nationale Rechtsvorschrift bei der Verfolgung der genannten rechtmäßigen Ziele den Arbeitgebern einen gewissen Grad an Flexibilität 458  Siehe

dazu später unter E. V. 2. d).

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D. Europarechtliche Vorgaben

einräumt“459. Der EuGH geht folglich von einer Beschränkung der „legitimen Ziele“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL auf sozialpolitische Ziele mit Allgemeinwohlbezug aus. Aus der Regierungsbegründung der deutschen Umsetzungsbestimmung § 10 AGG geht hervor, dass hierüber nicht nur Ziele der Allgemeinheit, sondern auch solche des einzelnen Arbeitgebers verfolgt werden können.460 Die Frage, ob nur sozialpolitische Ziele mit Allgemeinwohlbezug461 oder auch individuelle Interessen des Arbeitgebers462 „legitime Ziele“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL – und des richtlinienkonform auszulegenden § 10 AGG – sein können, ist für die Beurteilung der Kundenpräferenzproblematik zentral: In erster Linie verfolgt der Arbeitgeber bei der Beachtung von Kundenpräferenzen spezifisch unternehmens- oder betriebsbezogene wirtschaftliche Interessen. Nur, wenn auch solche Ziele legitime Ziele sein können, greift der erleichterte Rechtfertigungsmaßstab für unmittelbare Altersdiskriminierungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen. Andernfalls sind mit Kundenwünschen begründete Altersdiskriminierungen am strengen Maßstab des Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL und an § 8 Abs. 1 AGG des nationalen Rechts zu messen. Eine andere Beurteilung könnte höchstens bezüglich solcher Fälle angezeigt sein, in denen im Hinblick auf die Sicherheit Dritter bzw. der Allgemeinheit bestimmte Altersgrenzen für Beschäftigte gelten,463 in denen also ein Allgemeininteresse als Rechtfertigung für eine Altersdiskriminierung in den Vordergrund rückt. Angesichts der Verwendung eines weiten Kundenpräferenzbegriffs werden auch diese Fälle hier unter dem Stichwort der „Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen“ behandelt.464 459  EuGH 05.03.2009 (Age Concern) NZA 2009, 305, 308; vgl. außerdem EuGH 18.06.2009 (Hütter) NZA 2009, 891, 893; EuGH 21.07.2011 (Fuchs/Köhler) AP Nr. 21 zu Richtlinie 2000/78/EG Rn. 52 sowie EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1044, siehe für eine Darstellung der Entscheidung Prigge auch bereits unter D. IV. 2. c). 460  BT-Drs. 16/1780, S. 36. Siehe dazu auch später unter E. II. 2. d) bb) (2). 461  Dafür z. B. Däubler/Bertzbach-Brors § 10 AGG Rn. 14 f.; Groß Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung (2010), S. 70; Lüderitz Altersdiskriminierung (2005), S.  88 f.; Nollert-Borasio/Perreng § 10 AGG Rn. 7 f.; Novara NZA 2015, 142, 143; Senne Altersdiskriminierung (2006), S. 190; Wiedemann/Thüsing NZA 2002, 1234, 1237 f.; zweifelnd Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, 22, 26. 462  Dafür z. B. Kamanabrou RdA 2006, 321, 329; König ZESAR 2005, 218, 220; Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 192; Meinel/Heyn/Herms § 10 AGG Rn. 18a; von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 220; Waltermann ZfA 2006, 305, 315; Wendeling-Schröder NZA 2007, 1399, 1400 f. 463  Vgl. MüKo-Thüsing § 10 AGG Rn. 16. 464  Vgl. auch Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 290 Fn. 336; siehe dazu außerdem bereits unter B. III. 2. a) ee) (2) (b).



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien335

Namentlich geht es dabei beispielsweise um die Berufsgruppe der Piloten.465 Hier kann man eine „Präferenz“ der Fluggäste für eine sichere Beförderung und der Allgemeinheit für die Sicherstellung der Flugsicherheit annehmen. Diese Präferenz stellt sich wiederum als Vorliebe für jüngere, der Vermutung nach körperlich und geistig „fittere“ Piloten dar. Ein weiteres Beispiel ist die Berufsgruppe der Feuerwehrleute, zu denken ist zudem an Polizisten, Busfahrer oder auch an angestellte Ärzte. Indes hat der EuGH in seiner Entscheidung Prigge die Auffassung vertreten, dass nur sozialpolitische Ziele legitim im Sinne des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL seien und die Flugsicherheit nicht zu den von dieser Vorschrift erfassten Zielen gehöre.466 Selbst die als Kundepräferenzfälle im weitesten Sinne zu verstehenden Konstellationen, in denen Sicherheitsinteressen Dritter oder der Allgemeinheit betroffen sind, wären also, folgte man dem EuGH, an dem Maßstab des Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL und nicht an Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL zu messen. Folgte man hingegen dem Verständnis der „legitimen Ziele“, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL durch § 10 AGG zugrunde legte, gilt für die Rechtfertigung unmittelbarer Altersdiskriminierungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen der Maßstab des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL bzw. des § 10 S. 1 und 2 AGG. Welches Verständnis der „legitimen Ziele“ maßgeblich ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. (1) Grammatikalische Auslegung Der Begriff des „legitimen Ziels“ wird in dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL in zweierlei Hinsicht näher beschrieben: Erstens soll eine Ungleichbehandlung „im Rahmen des nationales Rechts durch ein legitimes Ziel“ gerechtfertigt sein, zweitens sind unter legitimen Zielen „insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen“. Der Zusatz „im Rahmen des nationalen Rechts“ indiziert, dass den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Art möglicher legitimer Ziele eigene Gestaltungsspielräume eingeräumt werden sollten.467 Das spricht dafür, dass die Wortwahl trotz des Grundsatzes europäisch-autonomer Auslegung ausnahmsweise als Verweisung auf das mitgliedstaatliche Recht zu verstehen ist und das mitgliedstaatliche Verständnis dieses Begriffs maßgeblich Groß Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung (2010), S. 115 f., 123. 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039, 1044; siehe dazu bereits unter D. IV. 2. c). 467  Vgl. dazu auch Waltermann ZfA 2006, 305, 316. 465  Vgl.

466  EuGH

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D. Europarechtliche Vorgaben

ist. In diese Richtung deutet auch die Formulierung des EuGH in der Entscheidung Age Concern, wonach nicht ausgeschlossen ist, „dass eine nationale Rechtsvorschrift bei der Verfolgung der genannten rechtmäßigen Ziele den Arbeitgebern einen gewissen Grad an Flexibilität einräumt“468. Unabhängig davon lässt sich aber selbst bei europäisch-autonomer Auslegung des Wortlauts des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL keine Beschränkung auf sozialpolitische Ziele im Interesse der Allgemeinheit feststellen. Legitime Ziele sind „insbesondere“ solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung. Der „insbesondere“-Einschub zeigt, dass die Aufzählung nicht abschließend ist469 und über die beispielhaft genannten legitimen Ziele hinaus noch weitere Ziele legitim im Sinne der Vorschrift sein können. Einerseits könnte man zwar aus der Qualität der ausdrücklich genannten legitimen Ziele, die allesamt Allgemeininteressen dienen, schließen, dass weitere legitime Ziele jedenfalls qualitativ gleichwertig sein müssen.470 Andererseits ist der Begriff des legitimen Ziels selbst in der Norm nicht qualifiziert, der europäische Gesetzgeber hat also nicht nur „sozialpolitische legitime Ziele“ oder auch „im Allgemeininteresse stehende legitime Ziele“ in Bezug genommen.471 Auch eine sprachvergleichende Betrachtung der englischen und französischen Sprachfassungen ergibt nichts Gegenteiliges. Vielmehr deutet die Tatsache, dass sowohl in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL als auch in Bezug auf die Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen gleichermaßen ein „legitimate aim“ bzw. ein „objectif légitime“ vorausgesetzt wird, darauf hin, dass jeweils die gleichen Anforderungen an die Legitimität des Ziels gestellt werden und im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL wie bei der Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen auch betriebswirtschaftliche Gründe eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können. (2) Systematische Auslegung Bei der systematischen Auslegung fällt auf, dass der Einschub „im Rahmen des nationalen Rechts“ nur in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL, nicht hingegen in der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen (Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL) oder in der Rechtfertigungsregelung für mittelbare Diskriminierungen (Art. 2 Abs. 2 b) i) BeschäftiggsRL) enthalten 468  EuGH 05.03.2009 (Age Concern) NZA 2009, 305, 308 sowie EuGH 21.07.2011 (Fuchs/Köhler) AP Nr. 21 zu Richtlinie 2000/78/EG Rn. 52. 469  Forst EWiR 2011, 653, 654; Gaul/Niklas NZA-RR 2009, 457, 461; Kamanabrou RdA 2006, 321, 329. 470  So z. B. Däubler/Bertzbach-Brors § 10 AGG Rn. 15. 471  Vgl. Kamanabrou RdA 2006, 321, 329.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien337

ist. Das spricht dafür, dass es sich bei dem Zusatz „im Rahmen des nationalen Rechts“ in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL nicht um eine Standardformulierung der Rechtfertigungsgründe handelt, sondern dass dadurch bewusst eine Verweisung auf mitgliedstaatliches Recht geschaffen werden sollte, die den Mitgliedstaaten die Bestimmung der Art legitimer Ziele selbst überlässt. Aber auch bei einer europäisch-autonomen Betrachtung des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL im systematischen Zusammenhang tritt ein Aspekt hervor, der gegen eine Beschränkung „legitimer Ziele“ auf sozialpolitische Ziele von allgemeinem Interesse spricht. Die Regelbeispiele rechtfertigungsfähiger Ungleichbehandlungen auf Grund des Alters unter den Buchstaben b) und c) des Art. 6 Abs. 1 S. 2 BeschäftiggsRL enthalten Fallgruppen, die nicht nur öffentliche Interessen widerspiegeln.472 Art. 6 Abs. 1 S. 2  b) BeschäftiggsRL ermöglicht die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile. Kamanabrou verweist hier auf das Beispiel eines Mindestdienstalters für die Beförderung auf leitende Positionen.473 Wären nur öffentliche Interessen legitime Ziele im Sinne des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL, könnten zwar im öffentlichen Dienst derartige Anforderungen aufgestellt werden. Schließlich könne man bei Personen mit einem gewissen Dienstalter davon ausgehen, dass sie auf Grund ihrer Erfahrung die Leitungsfunktion gut erfüllten. Dies wiederum läge im öffentlichen Interesse. Anders verhielte es sich aber bei Arbeitgebern aus der Privatwirtschaft, die durch eine entsprechende Unternehmenspolitik ihr eigenes Interesse nach wirtschaftlicher Betriebsführung verfolgten. Ähnlich verhält es sich mit dem Regelbeispiel des Art. 6 Abs. 1 S. 2 c) BeschäftiggsRL,474 auch das BAG hat aus dieser Vorschrift die Zulässigkeit unternehmensbezogener Interessen abgeleitet.475 Danach kann der Arbeitgeber ein Höchstalter für die Einstellung vorsehen, und zwar aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand. Während sich die Vermeidung wirtschaftlich sinnloser Einstellungen bei dem Staat als Arbeitgeber als öffentliches Interesse verstehen ließe, würde dies nicht für die Festlegung von Höchstaltersgrenzen durch den privaten Arbeitgeber gelten. Es gibt keine 472  Kamanabrou RdA 2006, 321, 329; von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 219. 473  Kamanabrou RdA 2006, 321, 329. 474  Kamanabrou RdA 2006, 321, 329; von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 219; vgl. dazu auch Gaul/Niklas NZA-RR 2009, 457, 461. 475  BAG 22.01.2009 NZA 2009, 945, 949. Siehe zu den unterschiedlichen Auffassungen der einzelnen Senate des BAG ausführlich später unter E. III. 1. c) dd) (1) (a).

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D. Europarechtliche Vorgaben

Anhaltspunkte dafür, dass der europäische Richtliniengeber Art. 6 Abs. 1 S. 2 b) und c) BeschäftiggsRL auf Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes beschränken wollte.476 Daher sprechen diese Fallgruppen dafür, dass auch genuine Arbeitgeberinteressen legitime Ziele im Sinne des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL sein können. (3) Historische Auslegung Die Bestimmung zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen des Alters war im Entstehungsprozess der BeschäftiggsRL einer der Hauptstreitpunkte. Sie wurde von dem Rat neben der speziellen Rechtfertigungsregelung für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Art.  4 Abs. 2 BeschäftiggsRL als eine der „Kernfragen“ bezeichnet, immer wieder überarbeitet und war zum Teil Gegenstand gesonderter Beratungen.477 Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag sah in Art. 5 eine Bestimmung vor, der gemäß „insbesondere die nachstehenden Ungleichbehandlungen keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Alters dar[stellen], sofern sie durch ein legitimes Ziel objektiv gerechtfertigt und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind: […]“478. Daraufhin folgte eine Auf­ listung von sechs verschiedenen Anwendungsfällen der Ausnahmebestimmung, wobei es sich nach der Kommissionsbegründung um eine „nicht erschöpfende Aufzählung“479 handelte. Dieser ursprüngliche Vorschlag enthielt bezüglich der „legitimen Ziele“ weder einen Verweis auf das nationale Recht noch einen „insbesondere“-Einschub. Auch die Stellungnahmen des Ausschusses der Regionen480 und des Wirtschafts- und Sozialausschusses481 soKamanabrou RdA 2006, 321, 329. Dokument des Rates 9423/00 vom 06.06.2000, S. 5, 17 f.; Dokument des Rates 10159/00 vom 07.07.2000, S. 5; Dokument des Rates 10254/00 vom 27.07.2000, S. 16; Dokument des Rates 11352/00 vom 18.09.2000, S. 18; Dokument des Rates 11682/00 vom 29.09.2000, S. 14; Dokument des Rates 11713/00 vom 29.09.2000, S. 5 f. (nur in französischer Sprache verfügbar); Dokument des Rates 12269/00 vom 11.10.2000, S. 15; Dokument des Rates 12270/00 vom 12.10.2000, S. 2 i. V. m. Addendum zum Dokument des Rates 12270/00 vom 12.10.2000, S. 3, 5; Dokument des Rates 12494/00 vom 20.10.2000, S. 14 sowie schließlich Dokument des Rates 13558/00 vom 17.11.2000, S. 2 i. V. m. Dokument des Rates 12617/00 vom 17.11.2000, S. 14. 478  KOM(1999) 565 endg., S. 22. 479  KOM(1999) 565 endg., S. 12. 480  Vgl. Stellungnahme des Ausschusses der Regionen vom 12.04.2000, ABl. C 226 vom 08.08.2000, S. 3. 481  Vgl. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 25.05.2000, ABl. C 204 vom 18.07.2000, S. 87. 476  Vgl.

477  Vgl.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien339

wie des Europäischen Parlaments482 enthielten keine dahingehenden Änderungsvorschläge. (a) E  ntstehungsgeschichte der Formulierung „im Rahmen des nationalen Rechts“ Der Zusatz „im Rahmen des nationalen Rechts“ wurde erst in den Beratungen des Rates vom 17. Oktober 2000, in denen schließlich politisches Einvernehmen erzielt wurde, eingefügt.483 Nach Beratungen des Ausschusses der Ständigen Vertreter vom 12. Oktober 2000 gehörte die Formulierung des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL noch zu den „wichtigsten ungeklärten Fragen“484. Die britische Delegation hatte einen neuen Vorschlag unterbreitet, wonach die Regelung in Abs. 1 wie folgt formuliert werden sollte: „Die Mitgliedstaaten legen die Ungleichbehandlungen, die eine Diskriminierung im Sinne des Artikels 2 darstellen, fest.“485 Gemäß Abs. 2 sollten die Mitgliedstaaten zudem vorsehen können, „dass insbesondere die folgenden Ungleichbehandlungen keine Diskriminierung darstellen“486, worauf ein nicht abschließender Ausnahmekatalog zulässiger Altersdiskriminierungen folgte. Dieser Vorschlag fand keine mehrheitliche Zustimmung bei den anderen Delegationen und auch die Kommission lehnte ihn mit der Befürchtung ab, dass er darauf hinauslaufe, das Alter aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herauszunehmen.487 Die britische Delegation erklärte daraufhin, dass dies nicht ihre Absicht sei, sie sich jedoch wünsche, dass die Mitgliedstaaten über einen größeren Ermessensspielraum verfügten. Vor diesem Hintergrund liest sich der in den Beratungen vom 17. Oktober 2000 eingefügte Zusatz „im Rahmen des nationalen Rechts“ als Konzession an die britische Regierung. Das bestätigt das bereits im Rahmen der grammatikalischen und systematischen Auslegung erzielte Ergebnis, dass den Mitgliedstaaten bei der Festlegung möglicher legitimer Ziele ein großer Gestaltungsspielraum eingeräumt werden sollte, der auch die Festlegung der Art möglicher legitimer Ziele umfasst. Dass auch die Kommission den Mitgliedstaaten bei der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen des Alters einen weiten Ermessensspielraum zubilligen wollte, geht aus der 482  Vgl. Änderungsanträge des Europäischen Parlaments vom 05.10.2000, ABl. C 178 vom 22.06.2001, S. 263. 483  Dokument des Rates 12494/00 vom 20.10.2000, S. 14. 484  Dokument des Rates 12270/00 vom 12.10.2000, S. 2; Addendum zum Dokument des Rates 12270/00 vom 12.10.2000, S. 1, 3, 5. 485  Addendum zum Dokument des Rates 12270/00 vom 12.10.2000, S. 5. 486  Addendum zum Dokument des Rates 12270/00 vom 12.10.2000, S. 5. 487  Addendum zum Dokument des Rates 12270/00 vom 12.10.2000, S. 3.

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D. Europarechtliche Vorgaben

Kommissionsbegründung der Richtlinie hervor. Danach stehe „es den Mitgliedstaaten frei, im Einklang mit ihrer Rechtstradition und ihren politischen Prioritäten andere als die in Artikel 5 [später verabschiedet als Art. 6] aufgeführten Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters zuzulassen, sofern diese angemessen und zur Erreichung eines legitimen Ziels erforderlich sind“488. Dass die Mitgliedstaaten dabei auf legitime sozialpolitische Ziele beschränkt sein sollten, lässt sich auch bei einer historischen Auslegung des „insbesondere“-Einschubs nicht feststellen: (b) Entstehungsgeschichte des „insbesondere“-Einschubs Der insbesondere-Einschub war zwar nicht in der ursprünglichen Fassung des Kommissionsvorschlags, jedoch in der später abgeänderten Fassung enthalten. Danach sollten Ungleichbehandlungen wegen des Alters „durch ein legitimes Ziel, insbesondere durch legitime beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitische Ziele“489, gerechtfertigt werden können. Auch in den über Monate hinweg immer wieder stattfindenden Beratungen des Rates wurde dem „legitimen Ziel“ bereits zu einem frühen Zeitpunkt ein präzisierender Einschub beigefügt. Dieser war zunächst so formuliert, dass „auch“490, dann, dass „insbesondere“491, später, dass „insbesondere auch“492 und daraufhin wieder schlicht „auch“493 legitime beschäftigungspolitische und Arbeitsmarktziele legitime Ziele sein könnten, bevor man endgültig zu nur „insbesondere“494 zurückfand. Der zwischenzeitlich enthaltene Zusatz „auch“ lässt sich mit Blick auf die EuGH-Rechtsprechung zu möglichen legitimen Zielen bei der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung erklären: In seinem grundlegenden Urteil Bilka hatte der EuGH festgestellt, dass legitime Ziele insbesondere betriebswirtschaftliche Gründe und Notwendigkeiten sein könnten.495 Später stellte er dann fest, dass auch sozialpolitische Ziele rechtmäßige Ziele zur Rechtfertigung einer mittelbaren 488  KOM(1999)

565 endg., S. 12. 652 endg., S. 12. 490  Dokument des Rates 9423/00 vom 06.06.2000, S. 17. 491  Dokument des Rates 10159/00 vom 07.07.2000. 492  Dokument des Rates 10254/00 vom 27.07.2000, S. 16. 493  Dokument des Rates 11352/00 vom 18.09.2000, S. 18; Dokument des Rates 11682/00 vom 29.09.2000, S. 14. 494  Dokument des Rates 12269/00 vom 11.10.2000, S. 15; Dokument des Rates 12494/00 vom 20.10.2000, S. 14 sowie schließlich Dokument des Rates 12617/00 vom 17.11.2000, S. 14. 495  EuGH 13.05.1986 (Bilka) NZA 1986, 599, 600; vgl. außerdem bereits EuGH 31.03.1981 (Jenkins) Slg. 1981, 00911 Rn. 12. 489  KOM(2000)



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien341

Diskriminierung sein könnten.496 Das spricht dafür, dass dem „insbesondere“Einschub in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL eine klarstellende Funktion dahingehend zukommen sollte, dass – wie bei der Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen – nicht nur betriebswirtschaftliche Gründe, sondern auch sozialpolitische Gründe legitime Ziele sein können. Auch die Kommissionsbegründung spricht im Übrigen dafür, dass für die Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung die gleichen Maßstäbe wie für die Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen gelten sollen.497 So heißt es bezüglich der Ausnahmen vom Verbot der Altersdiskriminierung, dass diese „den vom Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Begriff der mittelbaren Diskriminierung festgelegten Grundsätzen der Erforderlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Legitimität genügen“498 müssen. Die Legitimität in diesem Sinne ist nicht auf sozialpolitische, im Allgemeininteresse stehende Ziele beschränkt. Ein weiteres Indiz dafür, dass nicht nur sozialpolitische Ziele legitim im Sinne des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL sein können, ist in den Materialien des Rates zu finden. Daraus geht hervor, dass die niederländische, unterstützt von der dänischen Delegation vorgeschlagen hatte, der Liste mit den Regelbeispielen zulässiger Ungleichbehandlungen den Punkt „Ungleichbehandlungen auf Grund eines wesentlichen Bedarfs des Unternehmens“ hinzuzufügen.499 Zwar hielt die Kommission den Vorschlag für unklar, lehnte ihn aber nicht mit der Begründung ab, dass unternehmensbezogene Interessen grundsätzlich nicht die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung begründen könnten. Der Vorschlag der niederländischen Delega­ tion und die Begründung der ablehnenden Haltung der Kommission deuten darauf hin, dass der Begriff der Legitimität im Sinne des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL nicht auf sozialpolitische Ziele beschränkt sein sollte. (4) Teleologische Auslegung Hinweise auf den im Rahmen der teleologischen Auslegung zu ermittelnden Gesetzeszweck können sich aus den Erwägungsgründen der Richtlinie ergeben. In Bezug auf Art. 6 BeschäftiggsRL heißt es in ErwG 25 BeschäftiggsRL, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein können und „daher besondere Bestimmungen [erfordern], die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich 496  EuGH 07.03.1996 (Freers/Speckmann) Slg. 1996, I-01165 Rn. 27; EuGH 06.04.2000 (Jørgensen) Slg. 2000, I-02447 Rn. 41 f.; EuGH 26.09.2000 (Kachelmann) NZA 2000, 1155, 1156. 497  Vgl. von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 206. 498  KOM(1999) 565 endg., S. 12. 499  Dokument des Rates 10254/00 vom 27.07.2000, S. 16 Fn. 29.

342

D. Europarechtliche Vorgaben

sein können“. Dies spricht zum einen dafür, dass es dem Zweck der Bestimmung entspricht, den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume zu eröffnen und ihnen die Festlegung möglicher legitimer Ziele zu überlassen. Zum anderen weist Kamanabrou zutreffend darauf hin, dass in ErwG 25 BeschäftiggsRL ein besonderer Maßstab für die rechtfertigenden Gründe ebenso wenig wie im Richtlinientext selbst erwähnt wird, dies aber „zu erwarten gewesen [wäre], wenn die EU die Ausnahme entsprechend hätte beschränken wollen“500. Zwar bezweckt die Richtlinie in erster Linie, herabwürdigende Ungleichbehandlungen zu verhindern und daneben, die Teilhabe besonders benachteiligter Gruppen wie älterer Menschen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Insofern könnte eine enge Auslegung der Ausnahmebestimmung angezeigt sein. Andererseits soll die Ausnahmeregelung aber gerade Abweichungen vom Verbot der Ungleichbehandlung zulassen. Deshalb kann, wie Kamanabrou zutreffend feststellt, „das grundsätzliche Verbot der Ungleichbehandlung nur wenig über die Reichweite der Ausnahme aussagen“501. Insofern vermag auch der Richtlinienzweck das Auslegungsergebnis der „legitimen Ziele“ nicht auf sozialpolitische Ziele festzulegen. (5) Ergebnis Die Auslegung des „legitimen Ziels“ in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL ergibt, dass den Mitgliedstaaten bei der Festlegung legitimer Ziele ein eigener Gestaltungsspielraum eröffnet werden sollte. Dies spricht dafür, dass das mitgliedstaatliche Verständnis der „legitimen Ziele“ maßgeblich ist. Unabhängig davon zeigen insbesondere die systematische und die historische Auslegung des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL, dass auch genuine betriebs- oder unternehmensbezogene Interessen des Arbeitgebers legitime Ziele im Sinne der Norm sein können. Auch aus der grammatikalischen und der teleologischen Auslegung lässt sich keine Beschränkung auf im Allgemeininteresse stehende, sozialpolitische Ziele ableiten. Die Interpretation des EuGH ist abzulehnen. Da legitime Ziele im Sinne des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL auch individuelle Interessen des Arbeitgebers sein können, ist die Rechtfertigung unmittelbarer Altersdiskriminierungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen an Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL und nicht lediglich an der strengeren Rechtfertigungsbestimmung wegen beruflicher Anforderungen gemäß Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL zu messen.

500  Kamanabrou 501  Kamanabrou

RdA 2006, 321, 329. RdA 2006, 321, 329.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien343

bb) „… die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich“ Neben dem „legitimen Ziel“ setzt Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL analog dem Rechtfertigungstatbestand für mittelbare Diskriminierungen voraus, dass die Mittel zur Erreichung dieses Ziels „angemessen und erforderlich“ sind. Auch in den englischen und französischen Sprachfassungen entspricht diese Formulierung der bei der Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen („appropriate and necessary“ bzw. „appropriés et nécessaires“). Wie die Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen enthielt auch die Rechtfertigungsmöglichkeit für Altersdiskriminierungen in der deutschen Sprachfassung zunächst die Formulierung, dass die Mittel „geeignet und erforderlich“ sein müssten.502 Selbst in der Fassung, über die im Rat gegen Ende des Gesetzgebungsprozesses politisches Einvernehmen hergestellt werden konnte, ist noch der Begriff „geeignet“ anstelle von „angemessen“ zu finden.503 Der Austausch von „geeignet“ durch „angemessen“ geht wiederum erst auf eine Überarbeitung dieser Fassung durch Rechts- und Sprachsachverständige unmittelbar vor Verabschiedung der Richtlinie zurück.504 Er ist – wie bereits im Rechtfertigungstatbestand für mittelbare Diskriminierungen – als unglücklich zu bezeichnen. Aus der Kommissionsbegründung der Richtlinie geht hervor, dass diese Voraussetzung der EuGH-Rechtsprechung zur Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen entnommen wurde.505 Somit kann unter Rückgriff auf die diesbezüglichen Ausführungen festgestellt werden, dass durch die Voraussetzung der „angemessenen und erforderlichen Mittel“ – wie durch die „angemessene Anforderung“ in der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Voraussetzungen – eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert werden sollte. cc) Objektiv und angemessen Anders als die Rechtfertigungsmöglichkeit mittelbarer Diskriminierungen setzt Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL voraus, dass die Ungleichbehandlung nicht nur „sachlich“, sondern „objektiv und angemessen“ gerechtfertigt sein muss. In dem Wortlaut der englischen und französischen Richtlinienfassung ist in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL insofern die Formulierung „objectively and reasonably“ bzw. „objectivement et raisonnablement“ im Gegensatz zu 502  KOM(1999)

565 endg., S. 22. des Rates 12494/00 vom 20.10.2000, S. 14. 504  Dokument des Rates 13558/00 vom 17.11.2000, S. 2; Dokument des Rates 12617/00 vom 17.11.2000, S. 14. 505  Vgl. KOM(1999) 565 endg., S. 12. 503  Dokument

344

D. Europarechtliche Vorgaben

„objectively“ bzw. „objectivement“ in der ansonsten nahezu wortgleichen Rechtfertigungsmöglichkeit für mittelbare Diskriminierungen enthalten.506 Tatsächlich ist aber nicht vorstellbar, dass eine Ungleichbehandlung einerseits durch ein mit „angemessenen und erforderlichen Mitteln erreichtes legitimes Ziel“ gerechtfertigt sein kann, die Rechtfertigung aber gleichzeitig nicht „angemessen“ („reasonable“ / „raisonnablement“) ist. Insofern handelt es sich bei diesem Zusatz in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL um eine Dopplung, der keine eigenständige Bedeutung zukommt.507 Dies hat auch der EuGH in der Entscheidung Age Concern bestätigt,508 im Schrifttum ist zum Teil von einem „Redaktionsversehen“509 die Rede. Folglich ist die „objektive und angemessene“ Rechtfertigung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL gleichbedeutend mit der „sachlichen Rechtfertigung“ einer mittelbaren Diskriminierung: Eine auf Gefühlen oder Vorurteilen beruhende Begründung reicht nicht aus. Vielmehr muss die benachteiligend wirkende Arbeitgebermaßnahme einem selbst nicht in der Diskriminierung liegenden Zweck und einem „wirklichen Bedürfnis“ des Arbeitgebers dienen. d) Verhältnis der Rechtfertigungsgründe zueinander Unmittelbare Diskriminierungen wegen aller geschützten Merkmale können wegen beruflicher Anforderungen gerechtfertigt werden, wobei diese Rechtfertigungsmöglichkeit eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“, einen „rechtmäßigen Zweck“ und eine „angemessene Anforderung“ voraussetzt. Die sachliche Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung erfordert ein „rechtmäßiges Ziel“ und „angemessene und erforderliche“ Mittel. Eine spezielle Ausnahmebestimmung für Altersdiskriminierungen setzt ein „legitimes Ziel“ und „angemessene und erforderliche“ Mittel voraus. Die Auslegung der Bestimmungen hat gezeigt, dass durch die „angemessene Anforderung“ sowie durch die Anforderung der „angemessenen und erforderlichen“ Mittel jeweils eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert wird und dieser Voraussetzung in Bezug auf alle Rechtfertigungsbestimmungen die gleiche Bedeutung zukommt. Gleichermaßen sind die Anforderungen des „rechtmäßigen Zwecks“, des „rechtmäßigen Ziels“ und des „legitimen Ziels“, die sich in der französischen Sprachfassung in allen Rechtfertigungsbestimmungen einheitlich als „objectif légitime“ wiederfinden, identisch; insbesondere ist das „legitime Ziel“ in Art. 6 Abs. 1 Beschäfdazu Sprenger EuZA 2009, 355, 359. Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 206. 508  EuGH 05.03.2009 (Age Concern) NZA 2009, 305, 310. 509  Schmidt/Senne RdA 2002, 80, 85 Fn. 55; Sprenger EuZA 2009, 355, 359. 506  Vgl. 507  von



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien345

tiggsRL nicht auf sozialpolitische Zielsetzungen beschränkt. Das bedeutet, dass die Anforderungen der Rechtfertigungsmöglichkeit für mittelbare Diskriminierungen und die des speziellen Rechtfertigungsgrundes für Altersdiskriminierungen deckungsgleich sind. Zudem sind sie vollständig in dem allgemeinen Rechtfertigungstatbestand für unmittelbare Diskriminierungen enthalten, der darüber hinaus eine „wesentliche und entscheidende beruf­ liche Anforderung“ voraussetzt. Unmittelbare Diskriminierungen können grundsätzlich nur nach den strengen Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung wegen beruflicher Anforderungen gerechtfertigt werden. Im Falle einer unmittelbaren Diskriminierung wegen des Merkmals Alter ist der Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL neben der Ausnahme vom Diskriminierungsverbot wegen beruflicher Anforderungen gemäß Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL anwendbar, es besteht Idealkonkurrenz.510 Da die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL nach hier vertretener Auffassung vollständig in denen des Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL enthalten sind, ist mit von Hoff davon auszugehen, dass die Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen bei unmittelbaren Altersdiskriminierungen neben dem besonderen Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL praktisch bedeutungslos ist.511 Bei mittelbaren Diskriminierungen führt das Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung gesetzestechnisch bereits zum Tatbestandsauschluss, sodass der Rechtfertigungsgrund wegen beruflicher Anforderungen auch in diesen Fällen tatsächlich keine Rolle spielt. Art. 6 BeschäftiggsRL eröffnet eine Rechtfertigungsmöglichkeit sowohl für unmittelbare als auch für mittelbare Diskriminierungen wegen des Alters.512 Das zeigt ein Blick in die Gesetzgebungsgeschichte der Norm: Im Wortlaut früherer Fassungen war noch eine Beschränkung auf unmittelbare Diskriminierungen enthalten.513 Die luxemburgische Delegation schlug die Streichung des Adjektivs „unmittelbare“ vor, da es nicht mit den in der Vorschrift genannten Regelbeispielen vereinbar sei, die auch mittelbare Differenzierungskriterien enthielten.514 510  Mohr EuZA 2010, 371, 374 f.; vgl. zu dem Verhältnis dieser beiden Rechtfertigungsgründe Groß Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung (2010), S. 49 sowie ausführlich von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 196 ff. 511  Vgl dazu von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 198 ff. 512  König ZESAR 2005, 218, 220, Sprenger EuZA 2009, 355, 360; vgl. in Bezug auf die AGG-Regelungen Meinel/Heyn/Herms § 10 AGG Rn. 5. 513  KOM(1999) 565 endg., S. 22; KOM(2000) 652 endg., S. 12; Dokument des Rates 9423/00 vom 06.06.2000, S. 17; Dokument des Rates 10159/00 vom 07.07.2000, S. 5; Dokument des Rates 10254/00 vom 27.07.2000, S. 16; Dokument des Rates 11352/00 vom 18.09.2000, S. 18. 514  Dokument des Rates 11352/00 vom 18.09.2000, S. 18 Fn. 37.

346

D. Europarechtliche Vorgaben

Daraufhin entfiel der Begriff „unmittelbare“ in späteren Richtlinienfassungen515 und ist auch nicht im endgültigen Richtlinientext enthalten. Angesichts der allgemeinen tatbestandlichen Rechtfertigungsbestimmungen für mittelbare Diskriminierungen gemäß Art. 2 Abs. 2 b) i) BeschäftiggsRL hat der Gesetzgeber einen Doppeltatbestand für die Rechtfertigung mittelbarer Altersdiskriminierungen geschaffen.516 Da die Rechtfertigungsmöglichkeit des Art. 2 Abs. 2 b) i) BeschäftiggsRL technisch bereits zum Tatbestandsausschluss führt, wird sich das Problem der Rechtfertigung mittelbarer Altersdiskriminierungen regelmäßig nicht mehr bei Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL stellen.517 Dies hat auch der EuGH in der Entscheidung Age Concern festgestellt.518 Nach alledem sind mittelbare Diskriminierungen wegen aller geschützten Merkmale bereits tatbestandlich gerechtfertigt, wenn sie den Anforderungen eines rechtmäßigen Ziels und der Verhältnismäßigkeit genügen. Unter den gleichen Voraussetzungen können auch unmittelbare Altersdiskriminierungen gerechtfertigt werden. Bei der Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen wegen der anderen geschützten Merkmale ist darüber hinaus das Vorliegen einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ zu prüfen. 3. Zusammenfassung der europarechtlichen Vorgaben Die wesentlichen Ergebnisse der Analyse der europäischen Richtlinienvorgaben zu den Bestimmungen, die die Maßstäbe für die Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen bilden, lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1.  Die Richtlinien statuieren keine Hierarchie der geschützten Merkmale. Nichtsdestotrotz ist der Unterschiedlichkeit und den spezifischen Sachgesetzlichkeiten der Merkmale bei der Auslegung der Rechtfertigungsgründe Rechnung zu tragen. Dabei spielen folgende Aspekte eine Rolle: Wird durch die Differenzierung an ein schicksalhaft „gegebenes“ Merkmal angeknüpft oder an ein Charakteristikum, das auf der freien Entscheidung beruht und einen Lebensstil oder eine gewählte Identität beschreibt? Ist das betreffende 515  Dokument des Rates 11682/00 vom 29.09.2000, S. 14; Dokument des Rates 12269/00 vom 11.10.2000, S. 15; Dokument des Rates 12617/00 vom 17.11.2000, S. 14. 516  Sprenger EuZA 2009, 355, 360. 517  Sprenger EuZA 2009, 355, 360; vgl. in Bezug auf die AGG-Regelungen Bauer/Krieger § 10 AGG Rn. 13; Meinel/Heyn/Herms § 10 AGG Rn. 5; Schleusener/ Suckow/Voigt-Voigt § 10 AGG Rn. 5. 518  EuGH 05.03.2009 (Age Concern) NZA 2009, 305, 310.



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien347

Merkmal statisch oder veränderbar? Können Diskriminierungen auf Grund des Merkmals gegebenenfalls vom Merkmalsträger selbst vermieden werden? Falls ja, wie hoch sind dann die emotionalen Kosten? 2. Die Ausnahmebestimmungen der Gleichbehandlungsrichtlinien sind als Generalklauseln gefasst. Die Kernarbeit der Ausfüllung der Rechtfertigungsbestimmungen im Hinblick auf die Kundenpräferenzfrage hat auf Ebene des deutschen Rechts zu erfolgen. Auf der europäischen Ebene können durch europäisch-autonome Auslegung die äußeren Grenzen der Rechtfertigungsbestimmungen aufgezeigt werden. 3. Die Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung gemäß Art. 4 AntirassismusRL, Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 6 GenderRL (nunmehr Art. 14 Abs. 2 GenderNeuRL) erfordert eine „wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“, einen „rechtmäßigen Zweck“ und eine „angemessene Anforderung“. Der dadurch statuierte Maßstab entspricht dem der Vorgängerregelung des Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL, der eine „unabdingbare Voraussetzung“ verlangte. Eine Rechtfertigung setzt voraus, dass ein mit dem geschützten Diskriminierungsgrund zusammenhängendes Merkmal oder – trotz unklarer Richtlinienformulierung – das geschützte Merkmal selbst eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist. Dabei ist nur eine positive Anknüpfung an das Differenzierungsmerkmal zulässig. Der Arbeitgeber kann ausnahmsweise auf das Vorhandensein eines bestimmten Merkmals, nicht aber auf sein Fehlen bestehen. Der Gesetzgeber hat für alle geschützten Merkmale einen einheitlichen, eng auszulegenden Rechtfertigungsmaßstab geschaffen. Bei der Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ ist auf die spezifische berufliche Tätigkeit abzustellen. Berufliche Voraussetzungen können sich grundsätzlich sowohl aus tätigkeits- als auch aus umweltbezogenen Anforderungen – und damit auch aus Kundenpräferenzen – ergeben. Insbesondere Authentizitätsinteressen können eine Rechtfertigung begründen. Zudem hält der Gesetzgeber die Berücksichtigung von Privatsphäreinteressen der Kunden und die Ausrichtung auf eine merkmalsgeprägte Klientel für legitim. Daraus lässt sich folgern, dass die Merkmalsträgerschaft der Beschäftigten im Hinblick auf die Ausrichtung auf die merkmalsgeprägte Klientel grundsätzlich eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung sein kann. Durch das Wesentlichkeitskriterium wird eine Erheblichkeitsschwelle statuiert, das Kriterium „entscheidend“ verlangt darüber hinaus, dass eine Tätigkeit nur von einem Merkmalsträger ordnungsgemäß ausgeführt werden kann.

348

D. Europarechtliche Vorgaben

Durch die Voraussetzung des „rechtmäßigen Zwecks“ wird klargestellt, dass solche ungleich behandelnden Maßnahmen nicht gerechtfertigt werden können, deren Zweck gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Durch das Erfordernis der „angemessenen Anforderung“ wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert. 4.  Mittelbare Diskriminierungen sind gemäß Art. 2 Abs. 2 b) AntirassismusRL und den nahezu wortgleichen Art. 2 Abs. 2 b) i) BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 2 2. Spiegelstrich GenderRL (nunmehr Art. 2 Abs. 1 b) GenderNeuRL) bereits tatbestandlich ausgeschlossen, wenn sie durch ein „rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt“ sind und die Mittel zur Zielerreichung „angemessen und erforderlich“ sind. Aus dem Erfordernis des „rechtmäßigen Ziels“ folgt, dass nur legale, nicht diskriminierende Ziele rechtfertigend wirken können. Durch die Anforderung einer „sachlichen Rechtfertigung“ ist zudem klargestellt, dass eine auf Gefühlen oder Vorurteilen beruhende Begründung nicht ausreicht. Vielmehr muss die benachteiligend wirkende Arbeitgebermaßnahme einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers dienen, wozu insbesondere betriebswirtschaftliche Gründe – also auch die Bedienung von Kundenpräferenzen zur profitablen Verfolgung eines unternehmerischen Konzeptes – zählen können. Durch die Voraussetzung, dass die Mittel zur Zielerreichung „angemessen und erforderlich“ sein müssen, wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert. 5. Die Ausnahme vom Verbot einer Altersdiskriminierung gemäß Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL setzt eine „objektive und angemessene Rechtfertigung“ durch ein „legitimes Ziel“ und „angemessene und erforderliche“ Mittel zur Zielerreichung voraus. Während der EuGH nur sozialpolitische Ziele im Allgemeininteresse als „legitime Ziele“ im Sinne dieser Norm anerkennt, hielt der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Norm auch individuelle Arbeitgeberinteressen für legitime Ziele. Die Auslegung ergibt, dass den Mitgliedstaaten bei der Festlegung legitimer Ziele ein eigener Gestaltungsspielraum eröffnet werden sollte. Dies spricht dafür, dass das mitgliedstaatliche Verständnis der legitimen Ziele maßgeblich ist. Unabhängig davon ergibt die europäisch-autonome Auslegung des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL, dass auch genuine betriebs- bzw. unternehmensbezogene Interessen des Arbeitgebers legitime Ziele im Sinne der Norm sein können. Daher ist die Rechtfertigung unmittelbarer Altersdiskriminierungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen, bei der der Arbeitgeber in der Regel individuelle betriebs- oder unternehmensbezogene wirtschaftliche Interessen verfolgt, an Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL und nicht an der strengeren Rechtfertigungsbestimmung wegen beruf­ licher Anforderungen gemäß Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL zu messen. Der Anforderung des „legitimen Ziels“ kommt demnach die gleiche Bedeutung



V. Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien349

zu wie der Voraussetzung des „rechtmäßigen Ziels“ bei der Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung. Auch im Übrigen entsprechen sich die Voraussetzungen der beiden Rechtfertigungsmöglichkeiten: Dem Erfordernis der „objektiven und angemessenen Rechtfertigung“ in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL kommt die gleiche Bedeutung wie der „sachlichen Rechtfertigung“ einer mittelbaren Diskriminierung zu. Zudem wird durch die Voraussetzung der „angemessenen und erforderlichen Mittel“ analog der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert. 6. Alle drei Rechtfertigungsmöglichkeiten stimmen darin überein, dass sie jeweils eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetzen. Auch die Bedeutung des „rechtmäßigen Zwecks“ bei der Rechtfertigung wegen beruflicher Voraussetzungen, des „rechtmäßigen Ziels“ bei der Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen und des „legitimen Ziels“ bei der Rechtfertigungsmöglichkeit für Altersdiskriminierungen ist identisch. Folglich sind die Voraussetzungen der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung und einer Altersdiskriminierung kongruent und vollständig in der Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen wegen beruflicher Anforderungen enthalten. Letztere erfordert darüber hinaus eine „wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“. Die Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen und der spezielle Rechtfertigungsgrund für Altersdiskriminierungen sind bei mittelbaren Benachteiligungen praktisch bedeutungslos, weil eine Rechtfertigung hier regelmäßig schon zum Tatbestandsausschluss führt. Die Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Voraussetzungen hat zudem nach hier vertretener Auffassung keine Relevanz in Fällen der unmittelbaren Altersdiskriminierung, weil sie bereits nach den erleichterten Voraussetzungen der speziellen Ausnahmebestimmung für Altersdiskriminierungen gerechtfertigt werden können.

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen nach deutschem Recht Den Maßstab für die Zulässigkeit der Benachteiligungsrechtfertigung durch den Arbeitgeber im Hinblick auf Kundenpräferenzen im deutschen Recht bildet das AGG, wobei die Vorschriften § 8 Abs. 1 AGG, § 10 S. 1 und 2 AGG sowie § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG im Mittelpunkt stehen. Diese nahezu wörtlich den zugrunde liegenden Richtlinienbestimmungen entsprechenden Vorschriften wurden bereits vorgestellt,1 sodass an dieser Stelle in einer tabellarischen Gegenüberstellung mit den Richtlinienvorschriften lediglich auf zwei Abweichungen und ihre Bedeutung hingewiesen werden soll (dazu unter I.). Die für die Kundenpräferenzfrage maßgeblichen Ausnahmebestimmungen sind auch auf Ebene des nationalen Rechts durch die Verwendung von Generalklauseln gekennzeichnet. Bei ihrer Auslegung bildet die Zielsetzung der europäischen Antidiskriminierungsprogrammatik eine Orientierungshilfe. Ein tiefergehendes Hintergrundverständnis der Normen erfordert darüber hinaus eine Auseinandersetzung mit der konkreten Zielsetzung des AGG im Allgemeinen und der Ausnahmebestimmungen im Besonderen, die wiederum mit der Betrachtung ihrer Gesetzgebungsgeschichte einhergeht (dazu unter II.). In diesem Zusammenhang wird auch auf die Bedeutung der Vorläufervorschrift der AGG-Rechtfertigungsmöglichkeiten, § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F., einzugehen sein. Daraufhin wird ein Blick auf die Konkretisierung der Voraussetzungen der Rechtfertigungsvorschriften durch die Rechtsprechung (dazu unter III.) vorgenommen. Anschließend werden Lösungsansätze zur Kundenpräferenzproblematik aus dem Schrifttum (dazu unter IV.) beleuchtet, bevor schließlich ein eigenes Prüfungsraster für die Lösung dieser Fälle entwickelt wird (dazu unter V.). Dessen Funktionsweise soll abschließend durch die Anwendung auf ausgewählte Fälle illustriert werden (dazu unter VI.).

1  Siehe

dazu bereits unter B. III. 2. b) cc).



I. Gegenüberstellung / Abweichungen von den Richtlinien351

I. Gegenüberstellung / Abweichungen von den Richtlinien 1. Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen gemäß § 8 Abs. 1 AGG Die Formulierung der Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen in § 8 Abs. 1 AGG ist sehr nah an die zugrunde liegenden Richtlinienbestimmungen angelehnt, wie die folgende tabellarische Gegenüberstellung veranschaulicht: Tabelle 1 Zeile Art. 4 AntirassismusRL2

2

§ 8 Abs. 1 AGG

1

… dass eine Ungleichbehandlung aufgrund eines mit der Rasse oder der ethnischen Herkunft zusammenhängenden Merkmals keine Diskriminierung darstellt,

Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig,

2

wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt

wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt,

3

und sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck

sofern der Zweck rechtmäßig

4

und eine angemessene Anforderung handelt.

und die Anforderung angemessen ist.

Bei einem Vergleich der Vorschriften fällt auf, dass § 8 Abs. 1 AGG hinsichtlich des Bezugspunktes der beruflichen Anforderung von Art. 4 AntirassismusRL und Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL abweicht. In Art. 4 Anti­ rassismusRL und Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL wird auf ein mit dem Diskriminierungsmerkmal „zusammenhängendes Merkmal“ abgestellt, in § 8 Abs. 1 AGG hingegen direkt auf den Benachteiligungsgrund selbst (Tabelle 1, Zeile 1). Wie aber bereits im Kontext der europäischen Vorgaben erläutert, ist die Richtlinienformulierung im Ergebnis gleichbedeutend mit der des AGG.3 Es verstößt nicht gegen die europarechtlichen Vorgaben, bei der 2  Exemplarisch wird auf die Regelungen der AntirassismusRL abgestellt, entsprechende Regelungen finden sich auch in Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 6 RL GenderRL (nunmehr Art. 14 Abs. 2 GenderNeuRL). 3  Siehe dazu bereits unter D. V. 2. a) bb).

352

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Rechtfertigung einer Diskriminierung unmittelbar an den Benachteiligungsgrund selbst und nicht lediglich an ein mit ihm „zusammenhängendes Merkmal“ anzuknüpfen. 2. Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung gemäß § 10 S. 1 und 2 AGG Von der durch Art. 6 Abs. 1 S. 1 BeschäftiggsRL eingeräumten Möglichkeit, weitere Ausnahmen von dem Verbot der Altersdiskriminierung vorzusehen, macht der Gesetzgeber in § 10 S. 1 und 2 AGG Gebrauch. Er bleibt dabei wiederum sehr nah an dem Wortlaut der Richtlinienvorschrift, wie Tabelle 2 veranschaulicht: Tabelle 2 Zeile Art. 6 Abs. 1 S. 1 BeschäftiggsRL

§ 10 S. 1 und 2 AGG

1

…, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind

Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen

2

und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind

und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.

3

und die Mittel zur Erreichung dieses Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und Ziels angemessen und erforderlich erforderlich sein. sind.

Neben den Gemeinsamkeiten zwischen der Formulierung in Art. 6 Abs. 1 S. 1 BeschäftiggsRL und in § 10 S. 1 und 2 AGG fällt ein Unterschied auf: Im AGG fehlt die in der BeschäftiggsRL vorgenommene „insbesondere-Aufzählung“ möglicher legitimer Ziele (Tabelle 2, Zeile 2). Aus der „insbesondere-Aufzählung“ in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL lässt sich nach hier vertretener Auffassung keine Begrenzung zulässiger legitimer Ziele auf sozialpolitische Ziele mit Allgemeinwohlbezug ableiten.4 Durch die Weglassung des „insbesondere-Einschubs“ ähnelt die AGG-Formulierung in § 10 S. 1 und 2 AGG noch stärker als die ihr zugrunde liegende Richtlinienvorgabe der 4  Siehe

dazu bereits unter D. V. 2. c) aa).



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift353

Rechtfertigungsmöglichkeit für eine mittelbare Diskriminierung, mit deren Prüfungsmaßstab sie – nach hier vertretener Auffassung – gleichläuft.5 3. Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung Die tatbestandliche Rechtfertigungsmöglichkeit einer mittelbaren Benachteiligung übernimmt der Gesetzgeber in der Definition der mittelbaren Benachteiligung in § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG wörtlich ohne jegliche Abweichung aus den zugrunde liegenden Richtlinien: Tabelle 3 Zeile Art. 2 Abs. 2 b) Hs. 2 AntirassismusRL6

6

§ 3 Abs. 2 Hs.  2 AGG

1

… es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Ver­ fahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt,

… es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Ver­ fahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt

2

und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. Wie auf europarechtlicher Ebene nahm der arbeitsrechtliche Diskriminierungsschutz auch auf Ebene des nationalen Rechts seinen Ausgangspunkt im Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts (dazu unter 1.), bevor die diesbezügliche Regelung durch das AGG abgelöst wurde (dazu unter 2.). 1. Ausgangspunkt: Verbot der geschlechtsbezogenen Benachteiligung Das Verbot der geschlechtsbezogenen Benachteiligung war von 1980 bis 2006 in § 611a BGB a. F. geregelt, mit Inkrafttreten des AGG wurde diese Norm aufgehoben. Ihr kommt insofern eine Vorreiterfunktion zu.7 Nach der 5  Siehe

dazu bereits unter D. V. 2. d). wird auf die Regelungen der AntirassismusRL abgestellt, entsprechende Regelungen finden sich auch in Art. 2 Abs. 2 b) i) BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 2 2. Spiegelstrich Hs. 2 GenderRL (nunmehr Art. 2 Abs. 1 b) Hs. 2 GenderNeuRL). 7  Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 32. 6  Exemplarisch

354

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

für die Beurteilung einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen maßgeblichen Ausnahmebestimmung in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. war eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts jedoch zulässig, „soweit eine Vereinbarung oder eine Maßnahme [des Arbeitgebers] die Art der vom Arbeitnehmer auszuübenden Tätigkeit zum Gegenstand hat[te] und ein bestimmtes Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für diese Tätigkeit“ war. Ein terminologischer Unterschied zwischen der zugrunde ­ liegenden Richtlinienbestimmung Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL und § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. besteht darin, dass Art. 2 Abs. 2 GenderVorgRL eine „unabdingbare Voraussetzung“ fordert, während in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. von einer „unverzichtbaren Voraussetzung“ die Rede ist. Laut Duden sind die Begriffe „unverzichtbar“ und „unabdingbar“ Synonyme,8 sodass trotz des unterschiedlichen Wortlauts in der Sache auf nationaler Ebene keine unterschiedlichen Voraussetzungen statuiert wurden. Die Deckungsgleichheit der Begriffe stellte auch das BAG fest.9 Aus der Gesetzgebungsgeschichte des § 611a Abs. 1 BGB a. F. (dazu unter a]-e]) lassen sich Hinweise hinsichtlich der Zulässigkeit der Geschlechtsbenachteiligung im Hinblick auf Kundenpräferenzen entnehmen. a) Geschichtlicher Hintergrund des Benachteiligungsverbots Hintergrund der Entstehung der § 611a BGB a. F. waren gemeinschaftsrechtliche Aktivitäten auf dem Gebiet der Gleichbehandlung von Mann und Frau.10 Mit seinem Erlass kam der Gesetzgeber seiner Umsetzungspflicht in Bezug auf die Gleichbehandlungsrichtlinie GenderVorgRL, der Vorläuferin der heutigen GenderRL, nach. In der Gesetzesbegründung wird als Zielsetzung explizit die Anpassung des deutschen Arbeitsrechts an die Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft genannt.11 Daneben diente seine Schaffung der Rechtsklarheit, um „dem Gleichbehandlungsgrundsatz in der Praxis weiter zum Durchbruch zu verhelfen“12. Der Gesetzgeber wies darauf hin, dass die Geschlechtsdiskriminierung im Arbeitsrecht im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte und den allgemeinen Gleichbehandlungssatz auch vor Einführung des § 611a BGB a. F. unzulässig gewe8  Vgl. Duden online zu „unverzichtbar“, abrufbar unter http://www.duden.de/ rechtschreibung/unverzichtbar (Abruf vom 26.07.2015). 9  BAG 27.04.2000  – 8 AZR 295/99 juris Rn. 31. 10  Vgl. zur Entstehungsgeschichte Staudinger-Annuß §  611a BGB Rn.  1  f.; MüKo-Müller-Glöge (4. Aufl.) § 611a BGB Rn. 3 f.; KR-Pfeiffer (7. Aufl.) § 611a BGB Rn. 1. 11  BT-Drs. 8/3317, S. 6. 12  BT-Drs. 8/3317, S. 1.



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift355

sen sei. Er räumte aber ein, dass die diesbezügliche Rechtsprechung für den einzelnen Arbeitnehmer nicht durchschaubar sei, sodass mit dem § 611a BGB a. F. eine klare Rechtsgrundlage geschaffen werde.13 Im Schrifttum wird konstatiert, dass der Gesetzgeber seiner Umsetzungspflicht nur „widerwillig“14 nachkam, er die europäischen Vorgaben „nur im Rahmen des nach Gemeinschaftsrecht unbedingt Erforderlichen“15 umsetzen wollte und deswegen einen „bewusst eng gefasste[n] Ansatz“16 verfolgte. Somit offenbart sich die starke Bedeutung des Gleichheitskonzepts des europäischen Gesetzgebers für die Auslegung des Umsetzungsgesetzes. Speziell die Rechtfertigungsregelung war im Gesetzgebungsprozess nicht unumstritten, wie der nun folgende Blick in die Gesetzgebungsmaterialien zeigt. b) Begründung der Rechtfertigungsregelung in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. Die Bundesregierung führt in der Begründung zu § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. als Beispiele für weiterhin zulässige Unterscheidungen nach dem Geschlecht einerseits die männliche Schauspielrolle an, bei deren Besetzung mit einem Mann nach dem Geschlecht differenziert werden dürfe. Als zweites Beispiel einer gerechtfertigten Differenzierung wird die ausschließliche Einstellung weiblichen Aufsichtspersonals für weibliche Gefangene genannt.17 Während sich hinter dem ersten Beispiel noch recht eindeutig die aus dem US-amerikanischen Recht bekannte Ratio der Authentizitätswahrung erkennen lässt, ist nicht offenkundig, worauf der Gesetzgeber die Zulässigkeit des zweiten Beispiels stützen wollte. In Frage kommen hier – wie ein Blick in die US-amerikanische Rechtsprechung zeigt – sowohl Privatsphäre- als auch Sicherheitserwägungen. Speziell vor dem Hintergrund, dass der U.S. Supreme Court die Berufung auf Sicherheitsinteressen in einem Gefängnis anerkannt hat,18 die US-amerikanische Rechtsprechung andererseits aber Privatsphäreinteressen von Insassen regelmäßig nicht für eine Rechtfertigung ausreichen lässt,19 wären weitere Erläuterungen des deutschen Gesetzgebers zu den Gründen dieser Ausnahme hilfreich gewesen. 13  BT-Drs.

8/3317, S. 1, 6. § 611a BGB Rn. 2. 15  ErfK-Schlachter (7. Aufl.) § 611a BGB Rn. 1 m. w. N. 16  HWK-Thüsing (2. Aufl.) § 611a BGB Rn. 1. 17  BT-Drs. 8/3317, S. 9. 18  So Dothard v. Rawlinson 433 U.S. 321, 334 (1977); dazu bereits unter C. III. 3. b) aa). 19  So z. B. Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 859 F.2d 1523 ff. (7th Cir. 1988), dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (c) sowie Griffin v. Michigan Department of Corrections 654 F. Supp. 690 ff. (E.D. Mich. 1982), 14  Staudinger-Annuß

356

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

c) Stellungnahme des Bundesrates Auch der Bundesrat übte in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf scharfe Kritik an der Regelung des Benachteiligungsverbots, der er „schwerwiegende sprachliche und gesetzestechnische Mängel“20 attestierte. In Bezug auf § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. bemängelte er, dass § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. die Voraussetzungen einer Rechtfertigung zu eng ziehe. So sei es beispielsweise nicht mehr möglich, als Verkaufspersonal in bestimmten Fachbereichen aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten nur Männer oder nur Frauen zu beschäftigen, oder bei körperlich besonders anstrengenden und deshalb besser bezahlten Tätigkeiten Männern den Vorzug zu geben. Dieses Ergebnis hielt der Bundesrat für nicht sachgerecht und für von dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gefordert.21 Zudem fordere auch die GenderVorgRL keinen derart weitgehenden Eingriff in die Abschlussfreiheit und die negative personelle Auswahlfreiheit des Arbeitgebers. Der Gesetzgeber nehme hier eine gesetzliche Konkretisierung der Wertmaßstäbe des Grundgesetzes im Bereich der Privatrechtsordnung vor. Dabei habe er aber in der Abwägung der betroffenen Grundrechte, des Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG mit der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes Vertragsfreiheit des Arbeitgebers eben diese Vertragsfreiheit zu weit zurückgedrängt.22 Vor diesem Hintergrund schlug der Bundesrat eine Änderung der Rechtfertigungsregelung vor. Danach sollte eine Benachteiligung nicht vorliegen, „wenn nicht ausschließlich auf das Geschlecht bezogene Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen“23. d) Antwort der Bundesregierung In ihrer Gegenäußerung wies die Bundesregierung diese Kritik an ihrem Formulierungsvorschlag zurück.24 Sie berief sich dabei auf die Rechtsprechung des BAG in Bezug auf das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG. Danach sei die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, aus sachlichen Gründen bis zur Grenze der Willkür zu differenzieren, insoweit ausgeschlossen, als das männliche oder weibliche Geschlecht als Unterscheidungsmerkmal dienen solle. Die biologischen und funktionalen Unterschiedazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (2) (a). Vgl. auch Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 18; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 177. 20  BT-Drs. 8/3317, S. 12. 21  BT-Drs. 8/3317, S. 12. 22  BT-Drs. 8/3317, S. 12 f. 23  BT-Drs. 8/3317, S. 13. 24  BT-Drs. 8/3317, S. 15.



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift357

de der Geschlechter seien nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers grundsätzlich unbeachtlich, solange sie nicht unterschiedliche Regelungen geradezu geböten. Demnach hielt die Bundesregierung an der von ihr vorgeschlagenen Formulierung fest, die so letztlich verabschiedet wurde und – anders als die zweifach nachgebesserten Regelungen über die Rechtsfolgen in § 611a Abs. 2 ff. BGB a. F. – 26 Jahre unverändert in Kraft war. e) Liste der Bundesregierung Im Jahr 1987 übersandte die Bundesregierung der Europäischen Kommission eine Liste mit aus ihrer Sicht gerechtfertigten Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen.25 Diese Liste war rechtlich nicht verbindlich und gibt lediglich den Standpunkt der Bundesregierung zum damaligen Zeitpunkt wieder.26 Die Bundesregierung selbst wies darauf hin, dass die rechtsverbindliche Entscheidung über die Auslegung von Gesetzen und damit über die Tragweite der Generalklausel des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. allein den zuständigen Gerichten obliege.27 Der vorgeschlagene Ausnahmekatalog enthielt sechs Gruppen: Erstens wurden berufliche Tätigkeiten, bei denen die authentische Erfüllung einer Rolle oder einer Aufgabe von einem bestimmten Geschlecht abhängig ist, aufgeführt. Diese wurden durch eine Reihe von Beispielen weiter konkretisiert: Schauspieler / in, Sänger / in, Tänzer / in und sonstige darstellende Künstler, die eine männliche oder weibliche Rolle zu spielen haben. Die zweite Gruppe betraf berufliche Tätigkeiten im kirchlichen Bereich, soweit der Verkündungsauftrag der Kirche berührt ist, wie z. B. bei Pfarrern in der katholischen Kirche oder bei Lehrpersonal an theologischen Fakultäten. Die dritte Ausnahme bildeten berufliche Tätigkeiten außerhalb der damaligen EG, bei denen auf Grund gesetzlicher Vorschriften, religiöser Überzeugungen oder kultureller Besonderheiten nur ein Geschlecht akzeptiert wird. Viertens wurden berufliche Tätigkeiten in einem Frauenhaus genannt, sofern das Betreuungskonzept des Frauenhausträgers ihre Ausübung ausschließlich durch Frauen erfordert. Die fünfte Fallgruppe betraf berufliche Tätigkeiten im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit, namentlich bei den Streitkräften und im Polizeivollzugsdienst. Sechstens wurden schließlich berufliche Tätigkeiten im Justizvollzugsdienst genannt. Die pauschale Aussage, dass bei Streitkräften eine Ausnahme von dem Verbot der Geschlechtsbenachteiligung gemacht werden könne, ist nach der 25  BArbBl.

11/1987, S. 40 ff. § 8 AGG Rn. 60; vgl. dazu außerdem ErfK-Schlachter (7. Aufl.) § 611a BGB Rn. 23; Thüsing RdA 2001, 319 f. 27  BArbBl. 11/1987, S. 40. 26  Rust/Falke-Falke

358

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Kreil28 mittlerweile überholt.29 Doch auch, wenn diese Liste „europarechtlich nicht der Weisheit letzter Schluss ist“30, kann sie als Auslegungshilfe genutzt werden.31 Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass sich die genannten Fälle den drei bereits aus dem US-Recht bekannten Fallgruppen zulässiger Benachteiligungen zuordnen lassen. Danach können Benachteiligungen vor allem dann gerechtfertigt werden, wenn sie auf einem Authentizitäts-, Privatsphäre- oder Sicherheitsinteresse Dritter („Kunden“) beruhen. In der ersten in der Liste enthaltenen Fallgruppe wird die Authentizität explizit genannt. Auch die zweite Fallgruppe (berufliche Tätigkeiten im kirchlichen Bereich) lässt sich dieser Kategorie zuordnen. Die Sicherheit wird in der fünften Fallgruppe (Streitkräfte, Polizeivollzugsdienst) ausdrücklich als Ratio angeführt. Der „Schutz der Persönlichkeitsrechte von Patienten oder Betreuten“ sowie die „Aufrechterhaltung eines sozialpädagogischen oder therapeutischen Konzepts“ lassen sich hinter der vierten Fallgruppe (Frauenhaus) vermuten.32 Diese Überlegungen stellen sich letztlich wiederum als Ausdruck eines weit verstandenen, nicht nur körperliche, sondern auch psychische Aspekte umfassenden Privatsphäreinteresses dar.33 Auch der in Fallgruppe drei angesprochene Problemkreis der kulturkreisübergreifenden Präferenzen ist bereits aus dem US-amerikanischen Recht bekannt. Zwar sollte die Konkretisierung des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. nach Auffassung der Bundesregierung letzten Endes der Rechtsprechung überlassen bleiben. Doch lässt sich aus der Betrachtung ihrer Liste der Schluss ziehen, dass die Frage nach einem möglicherweise betroffenen Authentizitäts-, Privatsphäre- oder Sicherheitsinteresse der Kunden eine Orientierungshilfe bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Rechtfertigungsgrundes bilden kann. Diese Liste wurde von der Rechtsprechung im Zuge der Konkretisierung des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. immer wieder aufgegriffen.34 28  EuGH 11.01.2000 (Kreil) Slg. 2000, I-00069; siehe dazu bereits unter D. IV. 1. b) cc). 29  Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 60, der insofern von einer „überholten Liste“ spricht; vgl. auch KR-Pfeiffer (7. Aufl.) § 611a BGB Rn. 49. 30  Thüsing RdA 2001, 319, 320; vgl. auch Staudinger-Annuß §  611a BGB Rn. 57. 31  Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 10; vgl. ErfK-Schlachter (7. Aufl.) § 611a BGB Rn. 23. 32  Vgl. ErfK-Schlachter (7. Aufl.) § 611a BGB Rn. 23. 33  Vgl. dazu Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 178 sowie Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 386 f.; siehe dazu auch bereits unter C. III. 4. b) cc) (3). 34  So z. B. BAG 12.11.1998 NZA 1990, 371, 373; LAG Hamm 10.04.1997 NZA-RR 1997, 315, 317 f.; LAG Hamm 23.07.1998  – 17 Sa 870/98 Rn. 313 ff.;



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift359

2. Ablösung durch das AGG Im Jahr 2006 wurde § 611a BGB a. F. durch das AGG abgelöst. Nach einer Betrachtung seiner Entstehungsgeschichte (dazu unter a]) wird auf die Hauptstreitpunkte in den Plenardebatten (dazu unter b]) einzugehen sein. Ihnen lassen sich bereits erste Hinweise zur Kundenpräferenzfrage und zu der für ihre Beantwortung aufschlussreichen Zielsetzung der deutschen Antidiskriminierungspolitik entnehmen. Daraufhin werden die Zielsetzung des AGG im Allgemeinen (dazu unter c]) und seiner für die Kundenpräferenzproblematik ausschlaggebenden Ausnahmebestimmungen im Besonderen (dazu unter d]) genauer beleuchtet. a) Entstehungsgeschichte des AGG Der Gesetzgeber brauchte mehrere Anläufe zur Umsetzung der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien.35 Am 16. Dezember 2004 – dies war bereits der dritte Anlauf zur Richtlinienumsetzung36 – brachten die Regierungsfraktionen aus SPD und Grünen den „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien“ (ADG-E) in den Bundestag ein.37 Nach kontroversen Diskussionen wurde er in geänderter Fassung38 am 17. Mai 2005 zwar vom Bundestag angenommen,39 der Bundesrat überwies ihn jedoch ins Vermittlungsverfahren. Die endgültige Verabschiedung scheiterte schließlich am vorzeitigen Ende der 15. Legislaturperiode des Bundestages auf Grund vorgezogener Neuwahlen.40 Nach den Wahlen brachte die große Koalition aus CDU / CSU und SPD eine in wenigen Punkten geänderte Fassung des ADG-E erneut – nunmehr unter dem Titel „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG) – in den Bundestag ArbG München 14.02.2001 NZA-RR 2001, 365; ArbG Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100, 102. 35  Vgl. dazu ausführlich Bauer/Krieger Einl. AGG Rn. 31 ff.; Rust/Falke-Rust Einl. AGG Rn. 421; zur Entstehung des AGG vgl. auch Hwang Rechtfertigung von Benachteiligungen nach § 8 AGG (2014), S. 1 f. sowie Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 105 ff. 36  Ein erster Gesetzesentwurf vom 10. Dezember 2001 wurde gar nicht erst in den Bundestag eingebracht, nachdem er im Vorfeld bereits viel Kritik auf sich gezogen hatte, vgl. Eggert-Weyand ZESAR 2005, 254; ErfK-Schlachter (12. Aufl.) Vorb. AGG Rn. 1. Ein zweiter Diskussionsentwurf stammte vom 6. Mai 2004, er wurde der Öffentlichkeit jedoch nicht zugänglich gemacht, vgl. dazu Bauer/Krieger Einl. AGG Rn. 31. 37  BT-Drs. 15/4538. 38  BT-Drs. 15/5717. 39  BT-Drs. 445/05. 40  Annuß BB 2006, 1629 Fn. 4; ErfK-Schlachter (12. Aufl.) Vorb. AGG Rn. 1.

360

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

ein.41 Nach wiederum turbulenten Debatten wurde das AGG schließlich mit einigen vom Rechtsausschuss in letzter Minute erwirkten Änderungen42 verabschiedet.43 b) Hauptstreitpunkte in der rechtspolitischen Debatte Dieser im Schrifttum zum Teil mit dem Bild der langen „Geburtswehen“44 beschriebene mühsame Gesetzgebungsprozess ging mit hitzigen Plenardebatten einher. Der Hauptstreitpunkt zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen betraf sowohl in Bezug auf den ADG-E als auch später in Bezug auf das AGG die Frage, inwieweit die diskutierten Gesetzesentwürfe über die Vorgaben der Richtlinien hinausgingen. Dabei ging es insbesondere um die Ausweitung des zivilrechtlichen Diskriminierungsschutzes auf alle Merkmale, der in der Form europarechtlich nicht gefordert war. aa) ADG-E-Beratungen In den Beratungen des ADG-E standen sich als Befürworter des Gesetzesentwurfes Abgeordnete der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen auf der einen Seite und als Gegner die Abgeordneten der Oppositionsfraktionen von CDU / CSU und FDP auf der anderen Seite gegenüber.45 Die Gegner waren der Auffassung, dass der Entwurf weit über die europarechtlichen Vorgaben hinausgehe und forderten konsequent eine „Eins-zu-EinsUmsetzung“.46 Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen betonten hingegen immer wieder, dass der ADG-E nur in sehr geringem Maße – nämlich hauptsächlich in der Ausweitung des zivilrechtlichen Diskriminierungsschutzes auf alle Merkmale – über die Vorgaben der Gleichbehandlungs41  Vgl. für eine Darstellung der wesentlichen Unterschiede Bauer/Krieger Einl. AGG Rn. 32. 42  BT-Drs. 16/2022. 43  Nur kurze Zeit nach seinem Inkrafttreten am 18. August 2006 wurde das AGG bereits erstmalig geändert, das Korrekturgesetz trat am 3. Dezember 2006 in Kraft. Drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen fehlerhafter Umsetzung der AntirassismusRL, der BeschäftiggsRL und der neugefassten GenderRL stellte die Kommission im Jahr 2010 ein, vgl. dazu Bauer/Krieger Einl. AGG Rn. 23a, 32a. 44  So z. B. Bauer/Thüsing/Schunder NZA 2006, 774; Eckert BC 2006, 283. 45  Für eine gute Zusammenfassung der verschiedenen Positionen vgl. BT-Drs. 15/1517, S. 34 f. 46  So z. B. Maria Eichhorn (CDU/CSU) BT-PlPr. 15/152, S. 14260; Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) BT-PlPr. 15/152, S. 14264; Hannelore Roedel (CDU/CSU) BTPlPr. 15/182, S. 17203; Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU) BT-PlPr. 15/182, S. 17209.



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift361

richtlinien hinausgehe.47 Eben jene Ausweitung sei insbesondere deshalb gefordert, weil man eine Hierarchisierung von Diskriminierungsopfern mit Betroffenen von Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft und Zugehörigkeit an der Spitze verhindern wolle.48 Das zeigt, dass, wie auf europarechtlicher Ebene,49 auch auf nationaler Ebene keine Hierarchie der geschützten Merkmale geschaffen werden sollte. Eine arbeitsrechtliche Regelung, die der Opposition besonders missfiel, war der § 16 des ursprünglichen ADG-E, der eine Haftung des Arbeitgebers wegen diskriminierenden Verhaltens Dritter – insbesondere Kunden – enthielt. Die darin vorgesehene verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung für das Verhalten Dritter war europarechtlich nicht gefordert. Der Abgeordnete Laumann von der CDU / CSU-Fraktion führte dazu aus: „Unterstellt, in eine Bank, in der viele weibliche Mitarbeiter beschäftigt sind, kommt ein muslimischer Mitbürger – das ist ein sehr realer Fall, den ich jetzt beschreibe –, der sich in Geldangelegenheiten nicht von einer Frau beraten lässt. Es ist völlig klar, dass das eine Diskriminierung ist. Das ist nicht in Ordnung. Da sind wir uns völlig einig. Aber was soll jetzt der arme Arbeitgeber machen? Er könnte die Frau auf einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt versetzen und einen Mann mit ihrer Aufgabe betrauen, damit das Problem für diesen Kundenbereich – diese Kunden will man ja behalten – gelöst wird. Wenn die Frau aber mit dieser Versetzung nicht einverstanden ist und der Kunde sein Verhalten nicht ändert, ist der Arbeitgeber dafür haftbar. Er kann aber für diese Situation nichts. Es ist doch geradezu irrsinnig und weltfremd, was Sie hier vorschlagen.“50

§ 16 des ursprünglichen ADG-E hätte zu einer weitgehenden Haftung des Arbeitgebers im Fall diskriminierender Kundenpräferenzen geführt. Nachdem sich aber nicht nur die Oppositionsfraktionen, sondern auch eine Reihe Sachverständiger in einer öffentlichen Anhörung des federführenden Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gegen diese Regelung ausgesprochen hatten,51 wurde sie schließlich in der geänderten 47  So z. B. Olaf Scholz (SPD) BT-PlPr. 15/152, S. 14259; Christel Humme (SPD) BT-PlPr. 15/152, S. 14266; Irmingard Schewe-Gerigk (Bündnis 90/Die Grünen) BT-PlPr. 15/182, S. 17205; Renate Gradistanac (SPD) BT-PlPr. 15/182, S. 17207. 48  So Sebastian Edathy (SPD), BT-PlPr. 15/152, S. 14277. 49  Siehe dazu bereits ausführlich unter D. V. 1. 50  BT-PlPr. 15/152, S. 14269. 51  Wortprotokoll des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nr. 15/51, S. 23 (Dr. Andrea Nicolai), S. 44 (Prof Dr. Gregor Thüsing und Prof. Dr. Volker Rieble), S. 100 (Prof. Dr. Heinz Josef Willemsem, Deutscher Anwaltverein), S. 121 (Ulrich Herfurth, Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer), S. 122 (Heribert Jöris, Hauptverband des Deutschen Einzelhandels), S. 123 (Sandra Warden, Deutscher Hotel- und Gaststättenverband).

362

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

ADG-E-Fassung gestrichen.52 Die Streichung von § 16 des ursprünglichen ADG-E im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens indiziert, dass eine Bedienung benachteiligender Kundenpräferenzen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht ausgeschlossen ist. Die für die Kundenpräferenzproblematik relevanten Rechtfertigungsregelungen standen indes nicht im Zentrum der Debatte. In den ADG-E-Beratungen wurden sie nur von zwei Abgeordneten thematisiert. Die fraktionslose Abgeordnete Pau kritisierte, dass der Gesetzesentwurf „zu viele und zu vage formulierte Ausnahmen“53 enthalte. Dass der Entwurf „größte Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Abgrenzung zwischen einer unzulässigen und einer zulässigen Benachteiligung“54 schaffe, bemängelte auch die Abgeordnete Roedel von der CDU / CSU-Fraktion. So sei z. B. nicht klar, ob „ein Fernseh- oder Radiosender in einer Stellenanzeige für einen Nachrichtensprecher künftig noch schreiben [darf], dass ein Muttersprachler gesucht wird oder wenigstens jemand, der akzentfrei deutsch spricht“55. bb) AGG-Beratungen Auch in den Plenardebatten zum AGG stritten Koalitions- und Opposi­ tionsfraktionen zentral über die Frage, inwiefern der Gesetzesentwurf die europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien überschießend umsetzte. Nach dem Regierungswechsel waren die Fronten freilich verschoben, die Mitglieder der gemeinsam mit der SPD in einer großen Koalition regierenden CDU und CSU waren nunmehr auf die Seite der Befürworter des Gesetzesentwurfs gewechselt. Dabei machten die Abgeordneten der CDU / CSU-Fraktionen deutlich, dass sie dem im AGG vorgesehenen Schutz vor Benachteiligungen nach wie vor sehr skeptisch gegenüberstanden, an dem Gesetz aber kein Weg vorbei führe, weil man zur Umsetzung der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien verpflichtet sei.56 52  So Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BT-Drs. 15/5717, S. 11, 34 und entsprechender Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages BT-Drs. 445/05. 53  BT-PlPr. 15/152, S. 14271. 54  BT-PlPr. 15/182, S. 17204. 55  BT-PlPr. 15/182, S. 17204. 56  Vgl. z. B. Markus Grübel (CDU/CSU) BT-PlPr. 16/35, S. 2945 f., der von „vergossene[r] Milch“ spricht und feststellt, dass man „die Richtlinien umsetzen und alle Kröten […] schlucken“ müsse; Stephan Mayer (CDU/CSU) BT-PlPr. 16/35, S. 2947 bezeichnet die Verabschiedung der Richtlinien als „Sündenfall“; vgl. auch die Aussagen von Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) PlPr. 16/38, S. 3515 und Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) PlPr. 16/38, S. 3523 sowie PlPr. 16/43, S. 4032. Norbert Geis (CDU/CSU) BT-PlPr. 16/38, S. 3526 f. bezeichnet die Richtlinien als „Katastrophe“



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift363

Während bei den Abgeordneten der CDU / CSU-Fraktion mithin die Umsetzungspflicht die Hauptmotivation für die Zustimmung zum AGG bildete, wurde in der SPD-Fraktion betont, dass man die Richtlinien nicht nur umsetzen müsse, sondern dies auch wolle.57 Dies wurde aus den Reihen der CDU / CSU-Fraktion mit dem Zwischenruf kommentiert, dass sich hier „die Motivationslagen der Koalitionspartner allerdings doch ein wenig“58 unterschieden. Die SPD ihrerseits bezeichnete das Gesetz als einen „Schritt in die richtige Richtung“59. Dadurch werde „die Würde des Menschen gestärkt, insbesondere derjenigen, die in dieser Gesellschaft benachteiligt sind“60. Als Hauptmotivationslage für das Gesetz wurde wiederholt dessen Funktion als Instrument zum Würdeschutz unterstrichen.61 c) Zielsetzung deutscher Antidiskriminierungsgesetzgebung Wie auf europarechtlicher Ebene ist auch auf Ebene des deutschen Rechts zu ermitteln, ob der Gesetzgeber vordergründig einen integritätsschützenden, einen integrations- und verteilungspolitisch motivierten oder einen sozial- und moralpädagogisch motivierten Grundansatz der Diskriminierungsbekämpfung verfolgt.62 Hinweise lassen sich den Plenardebatten im Bundestag sowie den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen. aa) Plenardebatten Trotz allen Streits über die Schaffung eines Gesetzes zur Umsetzung der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien scheint ein fraktionsübergreifender Konsens hinsichtlich der den Richtlinien und dem deutschen Transformationsgesetz zugrunde liegenden Zielrichtung der Antidiskriminierungspolitik zu bestehen. Zwar können die Auffassungen einzelner Abgeordneter nicht ohne weiteres dem Gesetzgeber zugerechnet werden. Besteht jedoch in einem bestimmten Punkt Konsens, lassen die diesbezüglichen Aussagen der Abgeordneten auf den Willen des Gesetzgebers schließen.63 und „großen Fehler“; Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) BT-PlPr. 16/43, S. 4038 stellt schließlich fest, dass man dem AGG-Entwurf, „wenn auch mit Bauchschmerzen, zustimmen“ müsse. 57  So Christoph Strässer (SPD) BT-PlPr. 16/35, S. 2949. 58  So Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) BT-PlPr. 16/35, S. 2949. 59  So Christoph Strässer (SPD) BT-PlPr. 16/35, S. 2949. 60  So Christoph Strässer (SPD) BT-PlPr. 16/35, S. 2949. 61  So Christine Lambrecht (SPD) BT-PlPr. 16/35, S. 2946; Renate Gradistanac (SPD) BT-PlPr.  16/35, S. 2948; Christoph Strässer (SPD) BT-PlPr. 16/35, S. 2949. 62  Siehe zu den Ansätzen bereits ausführlich unter D. III. 1.

364

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Wie der europäische Gesetzgeber versteht auch der deutsche Gesetzgeber den Diskriminierungsschutz in erster Linie als Integritätsschutz.64 Erstaunlich ist, dass nicht nur Abgeordnete der CDU / CSU-Fraktion65, sondern auch die der SPD-Fraktion66 und selbst Grüne67 und Linke bzw. PDSler68 in den Plenardebatten nicht eine verteilungspolitische Funktion der Antidiskriminierungsgesetzgebung in den Vordergrund stellten. Vielmehr betonten sie die integritätsschützende Funktion, indem sie die Bedeutung für den Schutz der Menschenwürde und den Schutz vor willkürlicher Ausgrenzung unterstrichen. 63

Analog der Richtlinienzielsetzung verfolgt auch das AGG sekundär eine verteilungspolitische Zielsetzung, bei der es um die Verbesserung der Teilhabe benachteiligter Gruppen geht. Dies kommt z. B. in den Ausführungen der Abgeordneten Humme von der SPD zum Ausdruck, dass „Menschen mit Behinderungen […] Chancengleichheit und eine bessere Integration und Teilhabe an der Gesellschaft erfahren“69 müssten, sowie speziell „die Rechte von Minderheiten […] gestärkt werden“70 müssten. Eine moralpädagogische Zielsetzung steht für den deutschen Gesetzgeber – wie bereits für den europäischen Richtliniengeber – indes nicht im Mittelpunkt. Dies bringt der Abgeordnete Beck von den Grünen auf den Punkt: „Ziel dieses Gesetzes ist es nicht, den Bürgerinnen und Bürgern vorzuschreiben, wie sie zu denken haben.“71 Die Analyse der Plenardebatten im Bundestag deutet somit darauf hin, dass die Zielsetzung der europäischen Antidiskriminierungspolitik mit ihrem Schwerpunkt auf dem Integritätsschutz und sekundär auf der Integration besonders benachteiligter Gruppen von dem deutschen Gesetzgeber über63  Vgl. dazu Larenz/Canaris Methodenlehre (1995), S. 150, denen zufolge „die zutage liegende Grundabsicht des Gesetzgebers und diejenigen Vorstellungen, die in den Beratungen der gesetzgebenden Körperschaft […] zum Ausdruck gebracht und ohne Widerspruch geblieben sind“, als Wille des Gesetzgebers anzusehen seien. 64  Eingehend mit der Qualifikation des AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz und hiergegen vorgebrachten Einwänden setzt sich Bader Diskriminierungsschutz als Privatrecht (2012), S. 125 ff. auseinander. 65  So Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) BT-PlPr. 15/152, S. 14267; Stephan Mayer (CDU/CSU) BT-PlPr. 16/35, S. 2947. 66  Siehe bereits unter E. II. 2. b) bb) die Nachweise in Fn. 61. 67  Vgl. Irmingard Schewe-Gerigk (Bündnis 90/Die Grünen) BT-PlPr. 15/182, S. 17204 sowie BT-PlPr. 16/35, S. 2939. 68  So Petra Pau (fraktionslos) BT-PlPr. 15/152, S. 14271 sowie BT-PlPr. 15/182, S. 17208. 69  BT-PlPr. 16/35, S. 2944. 70  BT-PlPr. 16/35, S. 2944. 71  BT-PlPr. 15/152, S. 14262.



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift365

nommen wurde. Speziell den Abgeordneten der CDU ging es in erster Linie um die Erfüllung der Umsetzungspflicht der europäischen Richtlinien. Eine weitere Aufladung deutscher Antidiskriminierungsgesetzgebung mit zusätzlichen, darüber hinausgehenden Zielen wollte man vermeiden. bb) Gesetzgebungsmaterialien Die Adaption der europarechtlichen Ausrichtung der Antidiskriminierungspolitik durch den deutschen Gesetzgeber bestätigt sich bei einer Untersuchung der Gesetzgebungsmaterialien. (1) Primär: Integritätsschützende Ausrichtung Die primär integritätsschützende Ausrichtung des AGG und die Verwurzelung des Antidiskriminierungsrechts im Menschenwürdeschutz werden in der Gesetzesbegründung wiederholt zum Ausdruck gebracht. So beruhe die Weiterentwicklung des Schutzes aller Menschen vor Diskriminierung auf der „Grundüberzeugung, dass alle Menschen in ihrer Würde, ihrem Wert und ihrem Rang gleich sind“72. Zudem ist von dem Menschenrechtsansatz zur Bekämpfung von Diskriminierungen die Rede, wobei „im Mittelpunkt die Anerkennung der gleichen Würde und des gleichen Wertes der Menschen“73 stehe. (2) S  ekundär: Verteilungspolitische Ausrichtung zugunsten besonders benachteiligter Gruppen Der Name des AGG als „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“ und nicht „Antidiskriminierungsgesetz“ könnte ein Indiz dafür sein, dass das AGG stärker als die Richtlinien eine verteilungspolitische Zielsetzung verfolgt. Dies würde im Einklang mit Lobingers Argumentation dazu führen, dass Ausnahmen vom Benachteiligungsverbot in geringerem Ausmaß zulässig wären: Verteilungspolitik sei ihrer Natur nach gegen den Markt gerichtet. Daher sei das Interesse des Arbeitgebers, sich am Markt – den Kundenpräferenzen – auszurichten, bei einer verteilungspolitischen Ausrichtung des Antidiskriminierungsrechts grundsätzlich unbeachtlich; eine Benachteiligungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen sei nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig.74 Der Titel „Allgemeines Gleichbehandlungsge72  BT-Drs.

16/1780, S. 20. 16/1780, S. 20. 74  Lobinger EuZA 2009, 365, 376. Siehe dazu bereits unter D. III. 1. 73  BT-Drs.

366

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

setz“ erinnert sprachlich an den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, der stärker als die besonderen Benachteiligungsverbote Ausdruck des Prinzips der Verteilungsgerechtigkeit ist.75 Fraglich ist, ob der Gesetzgeber mit dieser Bezeichnung eine entsprechende integrationspolitische Ausrichtung des Gesetzes untermauern wollte. Der Vorläufergesetzesentwurf hieß noch „Antidiskriminierungsgesetz“. Der Gesetzesbegründung lassen sich keine Erklärungen für die Titelwahl entnehmen. In den Plenardebatten stellte der Abgeordnete der Linken Seifert der damaligen Bundesjustizministerin Zypries von der SPD die Frage, was der Grund dafür sei, dass ein „Gleichbehandlungsgesetz“, und kein „Antidiskriminierungsgesetz“ verabschiedet werde.76 Die Antwort deutet darauf hin, dass der Namensgebung keine bestimmte verteilungspolitische Motivation zugrunde lag: „Materiell ist es derselbe Regelungsgehalt, es gibt keine Differenz: Es geht um die Umsetzung der europäischen Richtlinien, […].“77 Aus den Reihen der CDU / CSU-Fraktion kam der Zwischenruf: „Sprachlich viel schöner! Positiv besetzt! Sie sind halt ‚anti‘!“78 Das lässt vermuten, dass die Namensänderung des Gesetzesentwurfs eher sprachkosmetische als inhaltliche Gründe in Bezug auf eine bestimmte Ausrichtung der Antidiskriminierungspolitik hatte. Es ist unwahrscheinlich, dass der nunmehr von der CDU / CSU-Fraktion mitgetragene Entwurf stärker verteilungspolitisch ausgerichtet sein sollte als der als „Antidiskriminierungsgesetz“ bezeichnete Vorgängerentwurf der Regierung aus SPD und Grünen. Schließlich stand die CDU / CSU-Fraktion der Antidiskriminierungsgesetzgebung sehr skeptisch gegenüber.79 Folglich ist anzunehmen, dass die Umbenennung von „Antidiskriminierungsgesetz“ in „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“ lediglich der sprachlichen Abgrenzung vom Vorgängerentwurf einer anderen Regierungskoalition diente.80 Fraglich ist, ob das AGG, wie die europäischen Richtlinien, zumindest sekundär auch die Verbesserung der Teilhabe besonders benachteiligter Gruppen beabsichtigt. Dies könnte bei einem ersten Blick in die Gesetzesbegründung zweifelhaft wirken. Dort heißt es explizit, dass der Diskriminierungsschutz „nicht auf den Schutz besonderer Gruppen, sondern auf den Schutz jedes und jeder Einzelnen vor Benachteiligungen, die an Eigenschaften oder Lebensformen anknüpfen“81, ziele. Das könnte bedeuten, dass der Gesetzge75  Vgl. Wiedemann FS 50 Jahre BAG (2004), 265, 266, 268. Siehe dazu bereits unter B. III. 2. a) dd). 76  BT-Plpr. 16/38, S. 3519. 77  BT-PlPr. 16/38, S. 3519. 78  Markus Grübel (CDU/CSU) BT-PlPr. 16/38, S. 3519. 79  Siehe dazu bereits unter E. II. 2. b) bb). 80  Zu dem Begriff „Diskriminierung“ und seiner negativen Konnotation vgl. auch instruktiv Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 25 ff. 81  BT-Drs. 16/1780, S. 21.



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift367

ber nicht von der besonderen Betroffenheit bestimmter Gruppen ausgeht, deren Teilhabe in der Folge besonders zu fördern wäre. Doch stellt der Gesetzgeber klar, dass, auch wenn alle Menschen in der ein- oder anderen Form Träger der genannten Merkmale seien, nicht alle in gleichem Maße von Diskriminierungen betroffen seien.82 In den europäischen Richtlinien würden bestimmte Personengruppen als besonders schutzbedürftig definiert, und auch in Deutschland gebe es Hinweise darauf, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen schlechtere Chancen als andere hätten: „Insbesondere Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, behinderte und ältere Menschen sind schlechter in die Arbeitswelt eingebunden.“83 Eine Reihe von Untersuchungen zitierend wird ausgeführt, dass Migranten, Berufsanfänger, ältere Arbeitnehmer ab 55 Jahren, Behinderte, Homosexuelle und Frauen besonders von Ausgrenzung betroffen seien, wobei alle Merkmale geschlechtsspezifisch wirkten und das weibliche Geschlecht zu den sonstigen Merkmalen verstärkend hinzu käme.84 Insofern werde deutlich, dass diese Personengruppen in Deutschland besonders schutzbedürftig seien.85 Auch wenn in der Theorie jeder die geschützten Merkmale in irgendeiner Form verwirklicht und sich damit auf das Benachteiligungsverbot berufen kann, erkennt der Gesetzgeber an, dass es in der Praxis zu Benachteiligungen in der Regel wegen bestimmter Ausprägungen der Merkmale kommt.86 Plastisch gesprochen dürfte „[d]er heterosexuell veranlagte weiße Mann europäischer Herkunft […] in Deutschland vergleichsweise selten wegen eines der genannten Merkmale benachteiligt werden“87. Deshalb wird eine bessere Integration gerade der besonders benachteiligten Gruppen beabsichtigt.88 cc) Zwei Zielsetzungen – Orientierungshilfen für die Kundenpräferenzfrage Die Betrachtung der Plenardebatten und der Gesetzgebungsmaterialien zeigt, dass die Zielsetzung der deutschen Antidiskriminierungspolitik der Zielsetzung der europäischen Antidiskriminierungspolitik entspricht, die eine zweifache ist:89 Primär ist sie auf den Schutz der Würde des Menschen 82  BT-Drs.

16/1780, S. 21, 30. 16/1780, S. 23. 84  BT-Drs. 16/1780, S. 24. 85  BT-Drs. 16/1780, S. 25. 86  ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 1; vgl. auch Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 11; Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 5. 87  ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 1. 88  Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 25. 89  Vgl. Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 5. Vgl. außerdem Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 58, die insofern eine „Zweispurig83  BT-Drs.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

ausgerichtet, die das Schutzgut des AGG ist.90 Daraus folgt, dass solche Benachteiligungen verboten sein sollen, die einen herabwürdigenden, sozial verwerflichen Gehalt haben.91 Sekundär wird das Ziel der sozialen Eingliederung besonders benachteiligter Gruppen verfolgt. Bei der Beurteilung der Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen ist die entsprechende Benachteiligung folglich zum einen auf ihren herabwürdigenden Gehalt hin zu untersuchen. Zum anderen ist zu fragen, inwiefern die Benachteiligung der Verbesserung der Teilhabechancen besonders benachteiligter Gruppen zuwiderläuft. d) Insbesondere: Begründung und Entwicklung der Ausnahmebestimmungen Im Laufe der Entwicklungsgeschichte des AGG waren auch die für die Kundenpräferenzfrage maßgeblichen Ausnahmebestimmungen zum Teil von Änderungen betroffen. Diese und die jeweiligen Gesetzesbegründungen der Normen sollen im Folgenden beleuchtet werden. aa) Hintergrund des § 8 Abs. 1 AGG (1) Entstehungsgeschichte Der heutige § 8 Abs. 1 AGG unterscheidet sich insofern erheblich von der ursprünglichen Fassung im ADG-E, als letztere bei der Rechtfertigung zwischen Benachteiligungen wegen des Geschlechts und solchen wegen der anderen geschützten Merkmale differenzierte. § 8 Abs. 1 ADG-E lautete: „Eine unterschiedliche Behandlung wegen 1. des Geschlechts ist zulässig, wenn das Geschlecht wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unverzichtbare Voraussetzung für die Tätigkeit ist; 2. eines sonstigen in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.“92

Der Gesetzgeber hielt einen besonderen Maßstab für die Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen wegen des Geschlechts für notwendig, keit“ des Diskriminierungsrechts beobachtet, als nicht nur individuelle Interessen geschützt, sondern auch Allgemeinziele verfolgt würden. 90  Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 11. 91  Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 30; Adomeit/Mohr Einl. AGG Rn. 131. 92  BT-Drs. 15/4538, S. 6.



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift369

weil bestehende Vorschriften bei der Richtlinienumsetzung nicht verschlechtert werden dürften. Die Regelung in Nummer eins entspräche dem bisherigen § 611a Abs. 1 S. 2 BGB.93 Folglich nahm der Gesetzgeber an, dass der Maßstab der „unverzichtbaren Voraussetzung“ sich von dem der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ unterschied. Von dieser Annahme rückte er aber nach der öffentlichen Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ab. In ihren Stellungnahmen hatten einige Sachverständige darauf hingewiesen, dass ein unterschiedlicher Maßstab europarechtlich nicht gefordert sei.94 Der euro­ päische Gesetzgeber habe einen einheitlichen Schutzstandard eingeführt, um die Maßstäbe einander anzugleichen. Dabei wäre es widersinnig, gleichzeitig von einem Verbot auszugehen, eben jene Angleichung auf nationaler Ebene nachzuvollziehen.95 Mithin würde das Verschlechterungsverbot nur dann greifen, wenn bereits die deutsche Umsetzung in § 611a BGB Abs. 1 S. 2 BGB a. F. über das hinausginge, was europarechtlich gefordert war. Dies sei aber nicht der Fall gewesen.96 Der deutsche Gesetzgeber folgte dieser Argumentation und änderte den ADG-E dahingehend, dass der einheitliche Maßstab der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ nunmehr für alle geschützten Merkmale gelten sollte. In der Begründung wurde aber ausdrücklich darauf hingewiesen, „dass [e]ine Absenkung des Schutzstandards […] damit nicht verbunden“97 sei. Im AGG wurde die Rechtfertigungsmöglichkeit wegen beruflicher Anforderungen in dieser geänderten Fassung wieder aufgegriffen. (2) G  leichlauf der Maßstäbe von § 8 Abs. 1 AGG und § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. Dass der Gesetzgeber sich letztlich für einen einheitlichen Rechtfertigungsmaßstab für alle Benachteiligungsgründe entschieden hat, ist zu begrüßen. Die Anforderungen der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ in § 8 Abs. 1 AGG und die „unverzichtbare Voraussetzung“ in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. entsprechen sich in der Sache trotz ihres unterschiedlichen Wortlauts.98 Mit den beiden Vorschriften bezweckte 93  BT-Drs.

15/4538, S. 32. z. B. Rieble A.-Drs. 15(12)440-B, S. 4; Thüsing A.-Drs. 15(12)440-C, S.  6  f.; der Differenzierung hingegen zustimmend Wendeling-Schröder A.-Drs. 15(12)440-G, S.  13 f. 95  Thüsing A.-Drs. 15(12)440-C, S. 7. 96  Thüsing A.-Drs. 15(12)440-C, S. 7. 97  BT-Drs. 15/5717, S. 36. 98  Annuß BB 2006, 1629, 1632; Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 8; Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 7; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 6; Schiek-Schmidt § 8 94  So

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

der deutsche Gesetzgeber jeweils die Umsetzung europäischer Richtlinienvorgaben. Mithin bedeuten auch „unabdingbar“ bzw. „unverzichtbar“ und „entscheidend“ in der Sache das Gleiche.99 Die Maßstäbe des § 8 Abs. 1 AGG und des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. stimmen nach dem Willen des Gesetzgebers überein; zudem ist mit der Regelung im AGG keine Absenkung des Schutzstandards verbunden.100 Daher kann die zu § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. ergangene Rechtsprechung zur Konkretisierung der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG herangezogen werden.101 (3) Begründung zu § 8 Abs. 1 AGG Zum einen ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte und der Begründung des § 8 Abs. 1 AGG die Erkenntnis, dass die Norm den gleichen Maßstab wie § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. statuiert. Folglich sind die nach dem Willen des Gesetzgebers von § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. erfassten Beispiele zulässiger Ausnahmen vom Benachteiligungsverbot (geschlechtsspezifische Besetzung von Schauspielrollen, Einstellung ausschließlich weiblichen Aufsichtspersonals in Haftanstalten für Frauen) auf § 8 Abs. 1 AGG übertragbar.102. Zum anderen wird die Begründung des § 8 Abs. 1 AGG mit dem Hinweis eingeleitet, dass die Bestimmung der Umsetzung der Rechtfertigungsgründe wegen beruflicher Anforderungen in der AntirassismusRL, der BeschäftiggsRL sowie der GenderRL diene. Damit können auch die in den Richtlinienbegründungen genannten Beispiele zulässiger Benachteiligungen auf das AGG übertragen werden. Somit kann eine Benachteiligung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft bei der Besetzung von Schauspielern oder dann zulässig sein, wenn „im Rahmen einer Tätigkeit persönliche Dienstleistungen für Angehörige einer bestimmten ethnischen Gruppe zu erbringen sind und dies am effektivsten von einem Angehörigen dieser Gruppe geleistet werden kann“103. In Bezug auf die übrigen geschützten Benachteiligungsgründe finden sich in den Richtlinienbegründungen indes keine konkreten Anwendungsfälle der Ausnahmebestimmungen. Für das Merkmal Geschlecht verweist die Kommission lediglich auf die einschlägiAGG Rn. 3; ErfK-Schlachter § 8 AGG Rn. 6; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 5; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 5; a. A. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 16. 99  Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 8; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 6. 100  BT-Drs. 16/1780, S. 35. 101  Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 8; Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 18; Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 7; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 5; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 5. 102  BT-Drs. 8/3317, S. 9; siehe dazu bereits unter E. II. 1. b). 103  KOM(1999) 566 endg., S. 9.



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift371

gen EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen Kommission / Vereinigtes Königreich,104 Johnston,105 Kommission / Frankreich,106 Sirdar107 und Kreil108 und die daraus abgeleiteten Grundsätze.109 Aus diesen Fällen lässt sich ableiten, dass Privatsphäre- oder Sicherheitsinteressen Dritter unter bestimmten Voraussetzungen eine Benachteiligung wegen des Geschlechts rechtfertigen können. Auch der deutsche Gesetzgeber selbst führt lediglich ein Beispiel für eine nach § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigte Benachteiligung an. So könne es zulässig sein, „wenn bei Organisationen der in Deutschland anerkannten natio­ nalen Minderheiten und der anerkannten Regional- oder Minderheitensprachen Personen bevorzugt eingestellt werden, die der jeweiligen Gruppe angehören“110. Die diesem Beispiel zugrunde liegende Ratio offenbart der Gesetzgeber wie bereits bei den in der Begründung des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. genannten Beispielen111 nicht. Es ist aber zu vermuten, dass es bei dem genannten Beispiel um die Authentizitätswahrung geht. Inklusive der über die Verweise auf § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. und auf die Richtlinienvorschriften einbezogenen Beispiele entstammen die Anwendungsfälle zulässiger Benachteiligungen den drei aus der US-amerikanischen Rechtsprechung bekannten Fallgruppen anerkannter Rechtfertigungen: Authentizitäts-, Privatsphäre- sowie Sicherheitsinteressen.112 Darüber hinaus weist der deutsche Gesetzgeber darauf hin, dass bloße Zweckmäßigkeitserwägungen zur Rechtfertigung nicht ausreichten. Vielmehr müsse „die an den Beschäftigten gestellte Anforderung erforderlich sein und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen beruflichem Zweck und Schutz vor Benachteiligung standhalten“113. Zwar sollen einerseits bloße Zweckmäßigkeitserwägungen nicht ausreichen. Doch greift die Ausnahmebestimmung andererseits nicht erst dann ein, wenn andernfalls 104  EuGH 08.11.1983 (Kommission/Vereinigtes Königreich) NJW 1985, 539 f.; siehe dazu bereits unter D. IV. 1. a). 105  EuGH 15.05.1986 (Johnston) Slg. 1986, 01651; siehe dazu bereits unter D. IV. 1. b) aa). 106  EuGH 30.06.1988 (Kommission/Frankreich) Slg. 1988, 03559; dazu bereits unter D. IV. 1. c). 107  EuGH 26.10.1999 (Sirdar) Slg. 1999, I-07403; siehe dazu bereits unter D. IV. 1. b) bb). 108  EuGH 11.01.2000 (Kreil) Slg. 2000, I-00069; siehe dazu bereits unter D. IV. 1. b) cc). 109  KOM(2000) 334 endg., S. 7 ff.; siehe dazu bereits unter D. IV. 1. d). 110  BT-Drs. 16/1780, S. 35. 111  Siehe dazu bereits unter E. II. 1. b). 112  Siehe dazu bereits ausführlich unter C. III. 3. c). 113  BT-Drs. 16/1780, S. 35.

372

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

eine Gefahr für Leib und Leben bestünde. Darauf deuten die Aussagen des Abgeordneten der Linken Seifert hin. Er begründete seine Verweigerung der Zustimmung zum AGG insbesondere mit der Tatsache, dass zulässige Benachteiligungen darin nicht auf ein Mindestmaß, nämlich auf eine Ausnahme nur bei Gefahr für Leib und Leben, reduziert würden.114 Wo genau auf der Skala zwischen bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen und der Gefahr für Leib und Leben die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG angesiedelt sein sollen, lässt sich der Gesetzesbegründung indes nicht entnehmen. bb) Hintergrund des § 10 AGG (1) Entwicklungsgeschichte des § 10 AGG Der spezielle Rechtfertigungsgrund für Benachteiligungen wegen des Alters unterlag nicht nur im Laufe des Gesetzgebungsprozesses, sondern auch danach einigen Änderungen.115 Sie bezogen sich auf die Regelbeispiele in § 10 S. 3 Nr. 1–6 AGG. In der ursprünglichen Fassung des § 10 S. 3 ADG-E waren nur die ersten vier Nummern enthalten.116 Auf Anregung der von dem zuständigen Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gehörten Sachverständigen117 wurden noch vier weitere Nummern hinzugefügt.118 Zwei davon wurden jedoch kurz nach Inkrafttreten des AGG aus Gründen einer redaktionellen Anpassung wieder gestrichen,119 sodass der § 10 S. 3 AGG in der heutigen Fassung sechs Anwendungsbeispiele nennt. Weder die beiden gestrichenen, noch die sechs nach wie vor gültigen Regelbeispiele beziehen sich ausdrücklich auf Kundenpräferenzen. Für eine diesbezügliche Rechtfertigung ist die Generalklausel in § 10 S. 1 und 2 AGG maßgeblich, die weder im Laufe des Gesetzgebungsprozesses noch danach von Änderungen betroffen war. (2) Begründung zu § 10 S. 1 und 2 AGG In der Begründung des § 10 AGG wird einleitend unterstrichen, dass speziell dem Schutz Älterer im Beschäftigungsverhältnis besondere Bedeu114  BT-PlPr.

16/43, S. 4039. dazu Rust/Falke-Bertelsmann § 10 AGG Rn. 14 ff. 116  BT-Drs. 15/4538, S. 6 f. 117  Präzisierungsbedarf sahen z. B. Rieble A.-Drs. 15(12)440-B, S. 4 f.; Thüsing A.-Drs. 15(12)440-C, S. 10 f.; der Differenzierung hingegen zustimmend WendelingSchröder A.-Drs. 15(12)440-G, S. 13 f. 118  BT-Drs. 15/5717, S. 8 f. 119  BT-Drs. 16/3007, S. 10, 22; vgl. dazu Bauer/Preis/Schunder NZA 2006, 1261 ff. 115  Vgl.



II. Gesetzgebungsgeschichte und Vorläufervorschrift373

tung zukomme und bei gleicher Qualifikation nicht automatisch jüngeren der Vorzug gegeben werden solle.120 Dies zeigt einmal mehr, dass der Gesetzgeber ältere Beschäftigte für eine besonders benachteiligte Gruppe hält, deren Integration in den Arbeitsmarkt verbessert werden soll. In Bezug auf das Verhältnis zu § 8 AGG wird ausgeführt, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters über die allgemeine Regelung des § 8 AGG hinaus auch unter den Voraussetzungen des § 10 AGG zulässig sei.121 Folglich besteht – wie bei den europarechtlichen Vorgaben – Idealkonkurrenz zu § 8 AGG. Bezüglich des legitimen Ziels wird zunächst darauf hingewiesen, dass die Legitimität unter Berücksichtigung der fachlich-beruflichen Zusammenhänge aus Sicht des Arbeitgebers oder der Tarifvertragsparteien zu beurteilen sei. Ferner könnten legitime Ziele „auch Ziele sein, die über die Situation eines einzelnen Unternehmens oder einer Branche hinausgingen und von allgemeinem Interesse seien“122. Dass die Legitimität eines Ziels „aus Sicht des Arbeitgebers“ zu beurteilen ist und Ziele mit Allgemeinwohlbezug „auch“ legitim sein können, zeigt, dass nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers betriebs- oder unternehmensbezogene Ziele des einzelnen Arbeitgebers erst Recht legitim sein können.123 Nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers sind nicht nur sozialpolitische Ziele mit Allgemeinwohlbezug legitime Ziele im Sinne der Norm. Das wird auf Ebene des nationalen Rechts auch insofern deutlicher als auf Ebene der europarechtlichen Vorgabe in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL, als in § 10 S. 1 AGG nicht der „insbesondere“-Einschub des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL übernommen wurde. Danach können legitime Ziele „insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung“ sein. Die Befürworter der engen Auslegung des legitimen Zwecks berufen sich zur Begründung ihrer Position zum Teil auf eben jenen Einschub.124 Diskussionsstoff und Unklarheiten, die sich aus dem Einschub ergeben, 120  BT-Drs.

16/1780, S. 36. 16/1780, S. 36. 122  BT-Drs. 16/1780, S. 36. 123  Vgl. für die grundsätzliche Zulässigkeit auch unternehmensbezogener Interessen auch Adomeit/Mohr § 10 AGG Rn. 38; Bauer/Krieger § 10 AGG Rn. 20; Meinel/Heyn/Herms § 10 AGG Rn. 18a; Schleusener/Suckow/Voigt-Voigt § 10 AGG Rn.  16 f.; von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 220 f.; Wendeling-Schröder/ Stein-Stein/Wendeling-Schröder § 10 AGG Rn. 6 f.; wohl auch Hwang Rechtfertigung von Benachteiligungen nach § 8 AGG (2014), S. 60, 111, die das Merkmal „Alter“ bei der Untersuchung der Rechtfertigung durch Kundenerwartungen nach § 8 AGG im Hinblick auf die Regelung des § 10 AGG ausklammert; vgl. auch ErfKSchlachter § 10 AGG Rn. 2, die allerdings ausschließlich unternehmensbezogene Ziele nicht für zulässig hält; a. A. Däubler/Bertzbach-Brors § 10 AGG Rn. 14 f.; Nollert-Borasio/Perreng § 10 AGG Rn. 7a; Novara NZA 2015, 142, 143. 124  Vgl. z. B. Däubler/Bertzbach-Brors § 10 AGG Rn. 15. 121  BT-Drs.

374

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

bestehen auf Ebene des nationalen Rechts nicht mehr. Das bedeutet, dass speziell auch die Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen im Falle von Altersbenachteiligungen an § 10 S. 1 und 2 AGG und nicht an § 8 Abs. 1 AGG zu messen ist. Da sich nach hier vertretener Auffassung auch aus Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL keine Beschränkung auf sozialpolitische Zielsetzungen ergibt,125 ist dieses Verständnis des § 10 S. 1 AGG auch richtlinienkonform. (3) G  leichlauf der Maßstäbe von § 10 S. 1 und 2 AGG und § 3 Abs. 2 AGG Anders als in der Kommissionsbegründung zu Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL, wonach sichergestellt werden solle, dass die Ausnahmen vom Verbot der Altersdiskriminierung „den vom Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Begriff der mittelbaren Diskriminierung festgelegten Grundsätzen der Erforderlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Legitimität genügen“126, ist in der Begründung des § 10 AGG keine Aussage über dessen Verhältnis zu § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG enthalten. Der Gesetzgeber hat bei der Formulierung der Normen die Richtlinienbestimmungen nahezu wörtlich übernommen. Bei der Auslegung der Richtlinienvorschriften hat sich gezeigt, dass sich die im Wortlaut der Rechtfertigungsbestimmung für Altersdiskriminierungen und für mittelbare Diskriminierungen enthaltenen Unterschiede bei genauerer Betrachtung „in Luft auflösen“ und die Maßstäbe gleichlaufen.127 Die Zielsetzung des Gesetzgebers, die Richtlinienvorgaben umzusetzen sowie das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung sprechen dafür, dass das Verhältnis von § 10 S. 1 und 2 AGG und § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG dem der durch sie umgesetzten Richtlinienbestimmungen entspricht. Somit sind die Maßstäbe der beiden Vorschriften identisch.128 cc) Hintergrund des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG Die tatbestandliche Rechtfertigungsmöglichkeit für mittelbare Benachteiligungen in § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG erfuhr im Laufe des Gesetzgebungsprozesses keine Änderungen. In der Begründung der Norm weist der Gesetzgeber zunächst darauf hin, dass die Vorschrift der Umsetzung der entsprechenden Richtlinienbestimmungen diene und die Begriffsbestimmungen weitgehend 125  Siehe

dazu bereits ausführlich unter D. V. 2. c) aa). 565 endg., S. 12. 127  Siehe dazu bereits ausführlich unter D. V. 2. b)–d). 128  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 206; vgl. auch Schleusener/Suckow/ Voigt-Voigt § 10 AGG Rn. 12, 17. 126  KOM(1999)



III. Rechtsprechung375

wörtlich aus den Richtlinien übernommen wurden.129 Darüber hinaus sind die Ausführungen zur Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung sehr knapp. Der Gesetzgeber stellt schlicht fest, dass die Prüfung sachlich rechtfertigender Gründe bereits bei der Feststellung erfolge, ob tatbestandlich eine mittelbare Benachteiligung vorliege. Dadurch komme es auf die weiteren speziellen Rechtfertigungsgründe in den §§ 5, 8 bis 10 sowie § 20 AGG regelmäßig nicht mehr an.130 Die Haupterkenntnis der Begründung liegt darin, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das bereits im Rahmen der Richtlinienbestimmungen zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung Gesagte131 gilt. Danach sind die in jahrelanger EuGH-Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts für die Konkretisierung der Voraussetzungen maßgeblich. e) Ergebnis der Betrachtung der AGG-Gesetzgebungsgeschichte Bei Betrachtung der Gesetzgebungsgeschichte und Hintergründe des AGG und der Ausnahmebestimmungen kristallisieren sich zwei entscheidende Aspekte heraus: Zum einen ist das AGG – nicht zuletzt in seiner Programmatik – eng an die europäischen Richtlinienvorgaben angelehnt. Diese bilden im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung Orientierungspunkt und Maßstab. Zum anderen sind die Begründungen der Ausnahmebestimmungen in der Sache wenig konkret – Aufschluss kann hier die Betrachtung der Rechtsprechung, speziell auch zu § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F., bieten.

III. Rechtsprechung Bei Betrachtung der Rechtsprechung zu den Ausnahmebestimmungen vom Benachteiligungsverbot lässt sich auf den ersten Blick der Eindruck gewinnen, dass einzelfallbezogene Abwägungen überwiegen.132 Dies überrascht nicht angesichts des starken Wertungselements, das insbesondere in der von allen Ausnahmebestimmungen vorausgesetzten Verhältnismäßigkeitsprüfung enthalten ist. Die Beurteilung der Zulässigkeit einer Benachteiligung erfordert letztlich eine Abwägungsentscheidung, bei der Interessen des Arbeitgebers und der Kunden einerseits und Beschäftigteninteressen andererseits aufeinandertreffen.133 Bereits in Bezug auf § 611a Abs. 1 S. 2 129  BT-Drs.

16/1780, S. 32. 16/1780, S. 33. 131  Siehe dazu bereits ausführlich unter D. V. 2. b). 132  Krause FS Adomeit (2008), 377, 384. 133  Vgl. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 4; Annuß BB 2006, 1629, 1632; Däubler/ Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 3. 130  BT-Drs.

376

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

BGB a. F. wurde die Frage nach der Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen als „außerordentlich unklar“134 bezeichnet. Diese Unsicherheit setzt sich bei der Nachfolgeregelung des § 8 Abs. 1 AGG fort. So wird konstatiert, dass „[e]ine genaue Abgrenzung der Reichweite dieser Ausnahme […] noch zu leisten“135 bleibe. In der Kommentarliteratur wird die Rechtsprechung mit Hilfe von Einzelfalllisten zulässiger und unzulässiger Rechtfertigungen dargestellt.136 Freilich lassen sich der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung allgemeine Hinweise zur Konkretisierung der Ausnahmebestimmungen entnehmen, die in einem ersten Schritt dargestellt werden sollen (dazu unter 1.). Anschließend erfolgt eine systematisierte Darstellung und Analyse konkreter Fälle geordnet nach den verschiedenen geschützten Merkmalen (dazu unter 2.). 1. Konkretisierung der Rechtfertigungsbestimmungen durch die Bundesgerichte Die Bundesgerichte, vor allem das BAG, aber in Bezug auf § 10 AGG auch der BGH und das BVerwG,137 haben die Voraussetzungen der Rechtfertigungsvorschriften in mehreren Entscheidungen konkretisiert. a) Konkretisierung des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. durch das BAG Das BAG setzte sich mehrfach mit Fällen auseinander, in denen das Vorliegen der Anforderungen des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F., der Vorgängerregelung des § 8 Abs. 1 AGG, eine Rolle spielte.138 Dabei stellte das Gericht klar, dass eine „unverzichtbare Voraussetzung“ im Sinne dieser Norm erheblich höhere Anforderungen an das Gewicht des die Ungleichbehandlungen 134  Staudinger-Annuß

§ 611a BGB Rn. 63. § 8 AGG Rn. 2. 136  Vgl. z. B. Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 42; Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn.  19 ff., Nollert-Borasio/Perreng § 8 AGG Rn. 13 f.; ErfK-Schlachter § 8 AGG Rn. 2; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 27 f.; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 27 ff.; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 15 f. 137  Der Schutz des AGG umfasst nicht nur Arbeitnehmer, sondern über § 6 Abs. 3 AGG auch Selbstständige und Organmitglieder sowie gemäß § 24 AGG öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, siehe dazu bereits unter B. III. 2. b) aa) (2). Dies führt dazu, dass nicht nur die Arbeitsgerichtsbarkeit mit der Auslegung von Bestimmungen des AGG befasst ist. 138  BAG 14.03.1989 NZA 1990, 24; BAG 21.02.1991 NZA 1991, 719, 723; BAG 12.11.1998 NZA 1999, 371, 372 f.; BAG 14.08.2007 NZA 2008, 99, 101 f. 135  ErfK-Schlachter



III. Rechtsprechung377

rechtfertigenden Grundes stelle als ein sachlicher Grund. Insofern sei das Geschlecht nur dann unverzichtbar, „wenn ein Angehöriger des jeweils anderen Geschlechts die vertragsgemäße Leistung nicht erbringen könnte und dieses Unvermögen auf Gründen beruht, die ihrerseits der gesetzlichen Wertentscheidung der Gleichberechtigung beider Geschlechter genügen“139. Diese Rechtsprechung präzisierte das BAG in einem späteren Urteil mit Hilfe der von Thüsing140 vorgeschlagenen Differenzierung zwischen Unverzichtbarkeit im engeren Sinne und Unverzichtbarkeit im weiteren Sinne.141 Während erstere nur in Konstellationen vorliege, in denen einem Beschäftigten die Erfüllung der geschlechtsneutral formulierten Arbeitsaufgabe tatsächlich oder rechtlich unmöglich sei, könne zweitere bereits zu bejahen sein, wenn Beschäftigte eines bestimmten Geschlechts die Arbeitsleistung zwar erbringen können, jedoch schlechter als solche des anderen Geschlechts, und wenn dieser Qualifikationsnachteil wiederum auf biologischen Gründen beruhe. Da beide Varianten im konkret zu entscheidenden Fall142 nach Auffassung des BAG eindeutig nicht vorlagen, enthielt es sich weiterer Ausführungen zu der Unverzichtbarkeit im engeren bzw. im weiteren Sinne. b) Konkretisierung des § 8 Abs. 1 AGG durch das BAG In seinen Entscheidungen zu § 8 Abs. 1 AGG setzte das BAG sich ausführlich mit dessen Verhältnis zu § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. auseinander und griff in diesem Rahmen auch die Differenzierung zwischen Unverzichtbarkeit im engeren und im weiteren Sinne wieder auf.143 Es stellte fest, dass die „unverzichtbare Voraussetzung“ im Sinne des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. einer Erforderlichkeit des Merkmals zur Ausübung der Tätigkeit entsprochen habe. Nichts anderes bedeute die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“, sodass ihr materiell derselbe Gehalt wie der „unverzichtbaren Voraussetzung“ zukomme.144

139  BAG

12.11.1998 NZA 1999, 371, 372. Thüsing RdA 2001, 319, 322 ff.; siehe dazu und zur Kritik an dieser Differenzierung auch später unter E. IV. 2. a) aa). 141  BAG 14.08.2007 NZA 2008, 99, 102. 142  Es ging um die Frage, inwiefern die Bevorzugung männlicher Lehrkräfte in einer sonderpädagogischen Schule mit einem hohen Jungenanteil von über 90  % gerechtfertigt war. Siehe für eine Darstellung der Entscheidung später unter E. III. 2. a) bb) (1) (d). 143  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019. 144  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019; vgl. auch BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 875. 140  Vgl.

378

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

aa) Wesentlich und entscheidend Im Einklang mit der früheren Rechtsprechung zu § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. liege eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ vor, „wenn die Tätigkeit ohne dieses Merkmal bzw. ohne Fehlen dieses Merkmals entweder gar nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann und bezogen auf das Merkmal ‚Geschlecht‘ dieser Qualifikationsnachteil auf biologischen Gründen beruht“145. Diese Formel ist insofern mit den europarechtlichen Vorgaben unvereinbar, als sie auch eine negative Anknüpfung an das geschützte Merkmal zulässt („bzw. ohne Fehlen dieses Merkmals“).146 Da § 8 Abs. 1 AGG bei richtlinienkonformer Auslegung nur eine positive Anknüpfung an das geschützte Merkmal erlaubt, ist zu begrüßen, dass das BAG seine Formel in einem späteren Urteil wie folgt fasste: Ein Merkmal soll eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung bilden können, „wenn die Tätigkeit ohne das Merkmal jedenfalls nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann“147. Dabei müsse eine Erheblichkeitsschwelle überschritten werden, das Merkmal dürfe also nicht nur eine untergeordnete Rolle spielen, sondern müsse als zentraler Bestandteil für die auszuübende Tätigkeit prägende Bedeutung haben.148 Auf den zeitlichen Faktor komme es nicht an, „wesentlich“ könne nicht mit „überwiegend“ gleichgesetzt werden.149 Vielmehr sei eine funktionale Betrachtung aus objektiver Sicht maßgebend. Danach dürfe das Differenzierungsmerkmal nicht nur für unbedeutende, den Arbeitsplatz nicht charakterisierende Tätigkeiten erforderlich sein.150 bb) Berufliche Anforderung Weiter führt das BAG aus, dass dabei auf die konkret vom Beschäftigten auszuübende Tätigkeit abzustellen sei.151 Dies ergebe sich auch daraus, dass der Wortlaut des § 8 Abs. 1 AGG auf „die Art der auszuübenden Tätigkeit 145  BAG

146  Siehe

2. a) cc). 147  BAG 148  BAG 875. 149  BAG 150  BAG 875. 151  BAG 875.

28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019. zu den diesbezüglichen europarechtlichen Vorgaben bereits unter D. V. 18.03.2010 NZA 2010, 872, 875. 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019; BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019. 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019; BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019; BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872,



III. Rechtsprechung379

oder d[ie] Bedingungen ihrer Ausübung“ verweise.152 Diese konkret auszuübende Tätigkeit richte sich wiederum nach dem vom Arbeitgeber festgelegten unternehmerischen Zweck. Im Rahmen seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit könne er nicht nur den Zweck, sondern auch das Anforderungsprofil für die Arbeitsplätze, mit deren Hilfe er diesen Zweck verwirklichen wolle, festlegen.153 Entsprechend obliege es im Bereich des öffentlichen Dienstes „dem Dienstherrn, die Dienstposten nach organisatorischen Bedürfnissen und Möglichkeiten einzurichten und näher auszugestalten“154. Folglich unterliege es auch „seinem organisatorischen Ermessen, wie er einen Dienstposten zuschneiden will und welche Anforderungen demgemäß der Bewerberauswahl zugrunde zu legen sind“155. Für die Beurteilung der Frage, ob ein geschütztes Merkmal notwendig ist, um die Tätigkeit ordnungsgemäß erbringen zu können, können nach Auffassung des BAG auch Beziehungen zu Dritten ausschlaggebend sein. Schließlich könne die Verfolgung unternehmerischer Zwecke „nicht losgelöst von solchen Beziehungen, z. B. zu Kunden oder Personen, denen gegenüber bestimmte Leistungen zu erbringen sind, betrachtet werden“156. cc) Rechtmäßiger Zweck und Angemessenheit Die Anforderung des „rechtmäßigen Zwecks“ beziehe sich auf den unternehmerischen Zweck, der durch die von dem Beschäftigten auszuübende 152  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019. Siehe zur Bedeutung dieser Kausalbestimmung bereits im Zusammenhang der europarechtlichen Vorgaben unter D. V. 2. a) dd) (1). 153  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019  f. Vgl. zudem die Entscheidung BAG 23.08.2012 NZA 2013, 37, 39. Darin stellt das BAG – freilich nicht im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung nach § 8 Abs. 1 AGG, sondern bereits auf tatbestandlicher Ebene bei der Prüfung der „vergleichbaren Situation“ im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG – fest, dass der Arbeitgeber zwar grundsätzlich über den der Stelle zuzuordnenden Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stellenbewerbers frei entscheiden dürfe. Die Grenze dieser Entscheidungsfreiheit sei jedoch die Willkür. So dürfe der Arbeitgeber „durch das Stellen von Anforderungen an Bewerber, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt gedeckt sind, […] die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des AGG de facto beseitigen“. Deshalb sei „für die objektive Eignung nicht (allein) das Anforderungsprofil maßgeblich, welches der Arbeitgeber erstellt hat, sondern die Anforderungen, welche an die jeweilige Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung gestellt werden“. 154  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019; vgl. auch BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 155  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019. 156  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1020.

380

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Tätigkeit, für die ein in § 1 AGG genanntes Merkmal eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist, verfolgt werden solle. Dieser Zweck dürfe nicht gegen eine Verbotsnorm verstoßen.157 Die von § 8 Abs. 1 AGG vorausgesetzte „Angemessenheit“ verlange schließlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen dem verfolgten unternehmerischen Zweck einerseits und dem Nachteil für den Beschäftigten oder Bewerber andererseits. Zudem seien auch Rechte Dritter, die unmittelbar von der unternehmerischen Tätigkeit betroffen würden, in die Abwägung miteinzubeziehen.158 Beruhe das Unternehmenskonzept auf einer bestimmten Erwartung Dritter dürfe diese jedoch nicht ihrerseits diskriminierend sein. Legitim seien hingegen beispielsweise solche Erwartungen Dritter, „die auf deren Schamgefühl beruhen, ebenso wie die Notwendigkeit einer bestimmten Geschlechtszugehörigkeit zur Authentizität der Aufgabenwahrnehmung“159 sowie „wenn ein Vertrauensverhältnis zu einer bestimmten Gruppe erforderlich ist und dieses erfordert, dass der fragliche Arbeitnehmer selbst dieser Gruppe angehört“160. Die Konstellationen, in denen das Schamgefühl Dritter bzw. ein Vertrauensverhältnis betroffen ist, lassen sich auch unter dem Stichwort der „Privatsphärefälle“ im weiteren Sinne zusammenfassen, sodass das BAG letztlich zwei der drei aus dem US-amerikanischen Recht bekannten Fallgruppen anspricht. Zu verneinen sei die Angemessenheit hingegen, wenn der Arbeitgeber „in willkürlicher oder offensichtlich unvernünftiger oder offensichtlich unsachlicher Weise einen Arbeitsplatz eingerichtet hat, für dessen Ausübung gerade eines der in § 1 AGG genannten Merkmale unverzichtbar ist“161. Insofern habe eine Missbrauchskontrolle der unternehmerischen Entscheidung zu erfolgen. c) Konkretisierung des § 10 AGG durch die Bundesgerichte Mit der Konkretisierung der speziellen Rechtfertigungsmöglichkeit für unmittelbare Altersbenachteiligungen in § 10 AGG haben sich bereits mehrere Bundesgerichte, und zwar das BAG, das BVerwG und der BGH befasst. Hinsichtlich der Kernfrage, ob nur sozialpolitische, im allgemeinen Interesse stehende Ziele oder auch betriebs- bzw. unternehmensbezogene Ziele des einzelnen Arbeitgebers „legitim“ im Sinne der Norm sein können, herrscht 157  BAG

876.

158  BAG

28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021; BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872,

28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022. 18.03.2010 NZA 2010, 872, 877. 160  BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 877. 161  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022; vgl. auch BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 159  BAG



III. Rechtsprechung381

große Uneinigkeit. Nichtsdestotrotz lassen sich auch einige konsensfähige Anforderungen an eine Rechtfertigung nach § 10 AGG erkennen. aa) Keine rechtswidrigen Ziele Einigkeit besteht dahingehend, dass eine Ungleichbehandlung jedenfalls nicht nach § 10 AGG gerechtfertigt werden kann, „wenn das verfolgte Ziel gegen ein gesetzliches Verbot verstößt oder der Arbeitgeber durch die Verfolgung des Ziels die ihm unabhängig von den Vorschriften des AGG obliegenden Pflichten verletzt“162, wenn es also rechtswidrig ist. bb) Objektiv und angemessen Gemäß § 10 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie „objektiv und angemessen“ und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Der Begriff „objektiv“ bedeutet nach der Rechtsprechung nicht, „dass das Ziel exakt in Zahlen definierbar sein müsste, sondern erfordert das Vorliegen eines zusätzlichen sachlichen Differenzierungsgrundes, der eben nicht nur im Alter besteht“163. Er verlange die Prüfung, „ob das verfolgte Interesse auf tatsächlichen und nachvollziehbaren Erwägungen beruht und ob die Ungleichbehandlung nicht nur aufgrund von bloßen Vermutungen oder subjektiven Einschätzungen vorgenommen wird“164. An anderer Stelle formuliert das BAG, dass die Ungleichbehandlung „nicht mit Rücksicht auf persönlich-private oder zufällige Gesichtspunkte“165 erfolgen dürfe. Dem Begriff „angemessen“ in § 10 S. 1 AGG wird, sofern er überhaupt gesondert angesprochen wird, die Bedeutung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zugewiesen, der gemäß das verfolgte Ziel in einem angemessenen Verhältnis zu der Ungleichbehandlung stehen müsse.166 Dafür sei wiederum eine Abwägung zwischen dem Schutz vor Ungleichbehandlung und dem verfolgten Ziel vorzunehmen. Insofern kommt ihm, wie bereits die Auslegung des zugrunde liegenden Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL gezeigt hat,167 keine über die ohnehin nach § 10 S. 2 AGG vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung hinausgehende Funktion zu.

162  BAG

22.01.2009 NZA 2009, 945, 948. 19.02.2009 NVwZ 2009, 840, 841. 164  BAG 22.01.2009 NZA 2009, 945, 949; vgl. auch den fast identischen Wortlaut bei BAG 13.10.2009 NZA 2010, 327, 332. 165  BAG 06.11.2008 NZA 2009, 361, 366. 166  BAG 22.01.2009 NZA 2009, 945, 949. 167  Siehe dazu bereits bei den europarechtlichen Vorgaben unter D. V. 2. c) bb). 163  BVerwG

382

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

cc) Angemessen und erforderlich Die Mittel zur Erreichung des Ziels sind nach der Rechtsprechung „angemessen und erforderlich“ im Sinne des § 10 S. 2 AGG, wenn die in Frage stehende Maßnahme „im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unvernünftig erscheint und auf Beweismittel gestützt ist, deren Beweiskraft das nationale Gericht zu beurteilen hat“168. Es sei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.169 Die zu beurteilende Maßnahme müsse also zur Erreichung des Ziels geeignet und erforderlich sein. Zur Erreichung eines Ziels geeignet sei eine Regelung, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht werde, es in kohärenter und systematischer Weise zu verwirklichen.170 Im Rahmen der Erforderlichkeit wird insbesondere geprüft, ob keine gleich geeigneten, milderen Mittel erkennbar sind. Zudem müsse die Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gewahrt bleiben, was einen gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen erfordere.171 dd) Legitimes Ziel Unterschiedliche Auffassungen existieren in der Rechtsprechung hingegen zu der Frage, ob „legitime Ziele“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG nur sozialpolitische, im allgemeinen Interesse stehende Ziele oder auch betriebs- bzw. unternehmensbezogene Ziele des einzelnen Arbeitgebers sein können. Dabei treffen nicht nur die verschiedenen Bundesgerichte, sondern auch einzelne Senate der Gerichte uneinheitliche Aussagen. (1) Auffassungen der Arbeitsgerichte Insbesondere das BAG hat bezüglich der Frage, welche Ziele „legitim“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG sein können, keine einheitliche Linie gefunden [dazu unter (a)].172 Die Uneinheitlichkeit der BAG-Rechtsprechung spiegelt sich in den Entscheidungen der LAGe wider [dazu unter (b)].

168  BVerwG

23.02.2012 NVwZ 2012, 880, 883. BAG 06.11.2008 NZA 2009, 361, 367; BVerwG 19.02.2009 NVwZ 2009, 840, 841; BVerwG 23.02.2012 NVwZ 2012, 880, 883 f. 170  BVerwG 26.01.2011 NVwZ 2011, 569, 571. 171  BVerwG 19.02.2009 NVwZ 2009, 840, 842; vgl. auch BAG 06.11.2008 NZA 2009, 361, 367. 172  Straube/Hilgenstock ArbR 2010, 567. 169  Vgl.



III. Rechtsprechung383

(a) Auffassungen der BAG-Senate In einer Reihe jüngerer Entscheidungen aus den Jahren 2012 und 2013 subsumierten der 1.,173 2.,174 3.,175 7.176 und 9.177 BAG-Senat bei der Prüfung der „legitimen Ziele“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG unter „sozialpolitische, im Allgemeininteresse stehende Ziele“. Dass indes trotz Subsumtion unter „sozialpolitische Ziele“ nicht eindeutig geklärt ist, inwieweit betriebsund unternehmensbezogene Interessen „legitime Ziele“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG sein können, verdeutlichen die Ausführungen des 6. Senats in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010. Er stellte fest, dass „als rechtmäßig nur Ziele angesehen werden, die als sozialpolitische Ziele im allgemeinen Interesse stehen“178. Gleichzeitig lässt er aber ausdrücklich offen, „[i]nwieweit danach auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen Berücksichtigung finden können“179. Der 1. Senat hatte bereits 2009 in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL einerseits konstatiert, dass es sich bei den in der Norm ausdrücklich genannten Zielen um im Allgemeininteresse stehende sozialpolitische Ziele handele.180 Andererseits stellte er unter Berufung auf die Entscheidung Age Concern181 fest, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine nationale Rechtsvorschrift bei der Verfolgung der genannten rechtmäßigen Ziele den Arbeitgebern einen gewissen Grad an Flexibilität einräume. Daran anschließend bemerkte der 1. Senat, dass sich „[d]ie Frage, ob nach der Richtlinie 2000 / 78 / EG der nationale Gesetzgeber auch reine Arbeitgeberinteressen als legitime Ziele erachten darf, […] im vorlieBAG 14.05.2013  – 1 AZR 44/12 juris Rn. 21. BAG 20.06.2013  – 2 AZR 295/12 juris Rn. 46 sowie zu Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL BAG 15.12.2011 NZA 2012, 1044, 1049. Anders allerdings noch frühere Entscheidungen des Senats, vgl. BAG 06.11.2008 NZA 2009, 361, 366 mit der Anerkennung betriebs‑ und unternehmensbezogener Zwecke als „legitime Ziele“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG, offengelassen später in BAG 05.11.2009 NZA 2010, 457, 459. 175  So BAG 28.05.2013  – 3 AZR 210/11 juris Rn. 36, 43; BAG 17.04.2012 NZA 2012, 929, 934. 176  So BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575, 579; BAG 18.01.2012 NZA 2012, 691, 695 f.; BAG 15.02.2012  – 7 AZR 904/08 juris Rn. 42. Vgl. auch bereits BAG 06.04.2011 NZA 2011, 970, 971 sowie zu Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL BAG 08.12.2010 NZA 2011, 586, 591. 177  So BAG 20.03.2012 NZA 2012, 803, 805. Ausdrücklich offengelassen hingegen noch in BAG 13.10.2009 NZA 2010, 327, 332. 178  BAG 25.02.2010 NZA 2010, 561, 565. 179  BAG 25.02.2010 NZA 2010, 561, 565. 180  BAG 26.05.2009 NZA 2009, 849, 853. 181  EuGH 05.03.2009 (Age Concern) NZA 2009, 305 ff.; dazu auch bereits unter D. V. 2. c) aa) (1). 173  Vgl. 174  Vgl.

384

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

genden Zusammenhang nicht [stellt]“182. Er scheint es also durchaus für möglich zu halten, dass der nationale Gesetzgeber genuine Arbeitgeberinteressen als legitime Ziele erachten darf. Grundlegend hatte sich der 8. Senat in einem Urteil ebenfalls aus dem Jahr 2009 mit dem Begriff des „legitimen Ziels“ und den hierzu vertretenen Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung auseinandergesetzt.183 Er kam zu dem Schluss „dass als legitime Ziele i. S. des § 10 S. 1 AGG nicht nur solche anzusehen sind, die im Interesse der Allgemeinheit liegen, sondern auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen, wobei es sich nicht nur um gesetzlich anerkannte Interessen handeln muss“184. Auch die Auslegung der BeschäftiggsRL stehe dieser Auffassung nicht entgegen, ihr ließen sich keine Beschränkungen auf Ziele im Allgemeininteresse entnehmen. Insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 S. 2 c) ergebe sich die Zulässigkeit der Berücksichtigung von unternehmensbezogenen Interessen.185 Diese Auffassung hat der 8. Senat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2013186 wiederholt und bislang nicht revidiert. In der BAG-Rechtsprechung ist demzufolge nach wie vor nicht abschließend geklärt, wie der Begriff der „legitimen Ziele“ in § 10 S. 1 AGG zu interpretieren ist. (b) Auffassungen der LAGe Die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung des BAG spiegelt sich in den Entscheidungen der unterschiedlichen LAGe wider. Während sich beispielsweise das LAG Berlin-Brandenburg im Jahr 2011 auf die Entscheidung des 8. Senats des BAG berief und feststellte, dass „als legitime Ziele im Sinne des § 10 S. 1 AGG nicht nur solche anzusehen sind, die im Interesse der Allgemeinheit liegen, sondern auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen“187, subsumierte das LAG Düsseldorf in einer Entscheidung aus demselben Jahr unter „ein im Allgemeininteresse liegendes sozialpolitisches Ziel“188. Eine vermittelnde Meinung vertrat – ebenfalls in einem Urteil aus dem Jahr 2011 – das LAG Baden-Württemberg, indem es einerseits ein legitimes sozialpolitisches Ziel voraussetzte, andererseits aber darauf hin182  BAG 183  BAG 184  BAG 185  BAG 186  BAG 187  LAG 188  LAG

26.05.2009 NZA 2009, 849, 853. 22.01.2009 NZA 2009, 945, 948 f. 22.01.2009 NZA 2009, 945, 949. 22.01.2009 NZA 2009, 945, 949. 24.01.2013 NZA 2013, 498, 502. Berlin-Brandenburg 14.01.2011  – 9 Sa 1771/10 juris Rn. 59. Düsseldorf 10.11.2011  – 11 Sa 764/11 juris Rn. 38.



III. Rechtsprechung385

wies, dass in Art. 6 Abs. 1 S. 2 c) BeschäftiggsRL bzw. in § 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 AGG sogar ausdrücklich auch individuelle Arbeitgeberinteressen benannt seien, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Somit sei maßgeblich, „dass das sozialpolitische Ziel keine rein individuellen Beweggründe des Arbeitgebers bedient, sondern (auch) im allgemeinen Interesse steht“189. (2) Auffassungen der Verwaltungsgerichte Das BVerwG hat im Umgang mit dem Begriff des „legitimen Ziels“ im Sinne des § 10 S. 1 und 2 AGG eine klarere Haltung gefunden als das BAG [dazu unter (a)], die allerdings nicht immer von den OVGen adaptiert wird [dazu unter (b)]. (a) Auffassung des BVerwG Mittlerweile gehen sowohl der 2.190, der 10.191 als auch der 8. Senat des BVerwG davon aus, dass unter „legitimen Zielen“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG sozialpolitische, dem Gemeinwohl dienende Ziele zu verstehen sind. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 hatte sich der 8. Senat zunächst noch ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob gemäß § 10 S. 1 AGG nur ein Ziel sozialpolitischer Art oder auch sonstige, dem Gemeinwohl dienende Ziele legitim sein könnten.192 Der Fokus lag demzufolge nicht auf Frage, ob auch unternehmens- und betriebsbezogene Ziele des einzelnen Arbeitgebers „legitim“ sein können. Vielmehr ging es darum, welche im Allgemeininteresse liegenden Ziele „legitim“ sein können. Nach Beleuchtung der diesbezüglichen EuGH-Rechtsprechung stellte der 8. Senat fest, dass in Bezug auf die Legitimität des Ziels nur auf ein Allgemeininteresse abzustellen sei, wobei aber keine Einschränkung auf sozialpolitische Ziele angezeigt sei.193 Diese Rechtsprechung revidierte er jedoch ausdrücklich in einem Urteil aus dem Jahr 2012. Unter Berufung auf die EuGHEntscheidung Prigge194 stellte er fest, dass der Terminus der „Legitimität“ 189  LAG

Baden-Württemberg 25.03.2011 NZA-RR 2011, 407, 410. BVerwG 23.02.2012 NVwZ 2012, 880, 883 und in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL BVerwG 26.03.2012 – 2 B 26/11 juris Rn. 20; vgl. allerdings zunächst in einer früheren Entscheidung noch etwas weiter BVerwG 19.02.2009 NVwZ 2009, 840, 841. 191  BVerwG 21.01.2015  – 10 CN 1/14 juris Rn. 17. 192  BVerwG 26.01.2011 NVwZ 2011, 569, 571. 193  BVerwG 26.01.2011 NVwZ 2011, 569, 571. 194  Siehe dazu bereits unter D. IV. 2. c). 190  Vgl.

386

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

in § 10 S. 1 AGG bei richtlinienkonformer Auslegung nur sozialpolitische Ziele umfasse.195 (b) Auffassungen der OVGe In der OVG-Rechtsprechung wurde – wie auch zunächst vom 8. Senat des BVerwG – ein etwas weiterer Begriff des „legitimen Ziels“ vertreten.196 Danach wurde eine Beschränkung auf sozialpolitische Ziele abgelehnt, auch andere Gemeinwohlinteressen reichten aus. Freilich steht zu vermuten, dass diese Auffassung nach der nunmehr explizit revidierten Rechtsprechung des 8. Senats des BVerwG nicht mehr aufrechterhalten wird, wie eine jüngere Entscheidung des OVG Bremen aus dem Jahr 2013 bestätigt.197 Dass unabhängig davon auch auf Ebene der Verwaltungsgerichtsrechtsprechung noch nicht endgültig geklärt ist, ob und inwiefern auch unternehmensund betriebsbezogene Interessen „legitime Ziele“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG sein können, lässt sich an einer Entscheidung des OVG Lüneburg aus dem Jahr 2012 ablesen. Unter Berufung auf die zwei BAG-Entscheidungen des 2. und des 8. Senats, denen zufolge auch unternehmens- und betriebsbezogene Interessen legitime Ziele sein können,198 stellte es fest, dass es „im Einzelfall ein legitimes Ziel sein [kann], bei einer Stellenbesetzung auf das Kriterium des Alters abzustellen, wenn z. B die Bildung von Altersgruppen der Überalterung des Betriebs entgegenwirkt“199. Das OVG Lüneburg scheint also – trotz entgegenstehender Rechtsprechung des BVerwG – betriebsbezogene Interessen als legitime Ziele anerkennen zu wollen. (3) Auffassung des BGH Der Senat für Notarsachen des BGH befand in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010, dass sich ein legitimes Ziel in erster Linie danach bestimme, dass es im Allgemeininteresse stehe und nicht von rein individuellen Beweggründen des Arbeitgebers getragen sei.200 Da ein solches im Allgemeininteresse stehendes Ziel im 195  BVerwG

01.02.2012 NJW 2012, 1018, 1019. OVG Berlin-Brandenburg 04.05.2011 – OVG 4 B 53.09 juris Rn. 33; OVG Berlin-Brandenburg 18.08.2011 – OVG 4 B 20.10 juris Rn. 40; vgl. auch OVG Bremen 14.12.2011  – 2 A 326/10 juris Rn. 36. 197  OVG Bremen 15.07.2013  – 2 B 101/13  juris Rn. 27; ähnlich bereits OVG Bremen 14.09.2010  – 1 A 265/09 juris Rn. 47. 198  BAG 06.11.2008 NZA 2009, 361, 366 sowie BAG 22.01.2009 NZA 2009, 945, 949; siehe dazu bereits unter E. III. 1. c) dd) (1) (a). 199  OVG Lüneburg 10.01.2012  – 5 LB 9/10 juris Rn. 59. 200  BGH 22.03.2010 NJW 2010, 3783, 3785. 196  So



III. Rechtsprechung387

betreffenden Fall vorlag, ließ der BGH ausdrücklich offen „ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie eine Ungleichbehandlung aus anderen als sozialpolitischen Zielen, insbesondere aus den Bereichen der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung, überhaupt legitimieren kann“201. Anders äußerte sich der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH202 in einer Entscheidung aus dem Jahr 2012. Unter Berufung auf den 8. Senat des BAG und die EuGH-Entscheidung Age Concern203 stellte er fest, dass „[a]ls legitime Ziele im Sinne dieser Vorschrift […] auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen in Betracht“204 kämen. Dies ist vor allem aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens zitiert der BGH die Entscheidung des 8. Senats des BAG aus dem Jahr 2009, obwohl in der Zwischenzeit eine Reihe von Urteilen anderer Senate ergangen sind, die den Begriff der „legitimen Ziele“ – insbesondere im Anschluss an die EuGH-Entscheidung Prigge205 – enger definieren. Zweitens interpretiert der BGH die EuGH-Entscheidung Age Concern in dem Sinne, dass sie der Anerkennung unternehmens- und betriebsbezogener Ziele nicht entgegensteht. Die Vorinstanz, das OLG Köln, war darauf noch genauer eingegangen:206 Zwar rücke der EuGH bei der Umsetzung von Art. 6 BeschäftiggsRL in das nationale Recht die im öffentlichen Interesse liegenden Ziele in den Vordergrund und nehme davon rein individuelle unternehmerische Entscheidungen, wie Kostenreduzierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, grundsätzlich aus. Doch sei der nationale Gesetzgeber nicht daran gehindert, andere Ziele zu formulieren oder ihre Formulierung gar offen zu lassen, „soweit dabei nicht aus den Augen verloren geht, dass rein privatnützige Interessen keine Legitimationsbasis für die Benachteiligung wegen des Alters bilden können“207. Dies heiße mit anderen Worten, „dass kein beliebiges oder jedes untergeordnete Interesse ausreichen kann, um eine nachteilige Behandlung wegen des Alters zu 201  BGH

22.03.2010 NJW 2010, 3783, 3785 f. Entscheidung betraf die Anwendbarkeit des AGG auf den Geschäftsführer einer GmbH. Gemäß § 6 Abs. 3 AGG gelten die Vorschriften des AGG für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer und Vorstände, entsprechend, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, siehe dazu bereits unter B. III. 2. b) aa) (2). Der II. Zivilsenat stellte klar, dass es sich bei der Verlängerung eines befristeten Vertrages mit einem Geschäftsführer um den Zugang des Organmitglieds zur Erwerbstätigkeit handelt, sodass in diesem Fall der Anwendungsbereich des AGG eröffnet ist, BGH 23.04.2012 NJW 2012, 2346, 2347 f. 203  Siehe dazu bereits unter D. V. 2. c) aa) (1). 204  BGH 23.04.2012 NJW 2012, 2346, 2350. 205  Siehe dazu bereits unter D. IV. 2. c). 206  OLG Köln 29.07.2010 NZA 2011, 211, 213. 207  OLG Köln 29.07.2010 NZA 2011, 211, 213. 202  Die

388

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

rechtfertigen“208. Das OLG Köln verwies in diesem Zusammenhang auf die Formulierungen von einem „zumindest anerkennenswerten Interesse des Unternehmers“ bzw. darauf, dass es „es im Einzelfall aus einer verobjektivierten verständigen Sicht nachvollziehbar sein müsse“.209 Die Berufung auf Kundenpräferenzen ist dadurch jedenfalls nicht kategorisch ausgeschlossen. (4) E  rgebnis zur Auslegung des „legitimen Ziels“ durch die Rechtsprechung Vor allem in jüngeren, der EuGH-Entscheidung Prigge nachfolgenden Urteilen ist eine Tendenz in der Rechtsprechung erkennbar, bei der Definition „legitimer Ziele“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG auf im Allgemeininteresse stehende Ziele sozialpolitischer Art abzustellen. Gleichzeitig hat insbesondere das BAG seine vom 8. Senat ausführlich begründete Auffassung, der gemäß auch betriebs- und unternehmensbezogene Ziele legitim sein können, in jüngerer Zeit wiederholt und bislang nicht revidiert. Insofern verwundert es nicht, dass die besagte BAG-Entscheidung nach wie vor nicht nur in der arbeitsgerichtlichen, sondern auch in der verwaltungs- und zivilgerichtlichen Rechtsprechung zitiert wird. Ob und inwieweit die Gerichte die Bedienung von Kundenpräferenzen als legitimes Ziel im Rahmen des § 10 S. 1 AGG anerkennen würden, lässt sich angesichts der Uneinheitlichkeit bei der Bestimmung des Begriffs nicht allgemeingültig beantworten. d) Konkretisierung des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG durch das BAG Mit der Konkretisierung der Voraussetzungen, unter denen eine mittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 2 S. 2 AGG gerechtfertigt ist, befasste sich das BAG insbesondere in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2010210 und 2011211. aa) Sachliche Rechtfertigung durch ein rechtmäßiges Ziel Der Wortlaut des § 3 Abs. 2 S. 2 AGG fordert zunächst eine „sachliche Rechtfertigung“ durch ein „rechtmäßiges Ziel“. Als rechtmäßiges Ziel komme laut BAG im Einklang mit der früheren Rechtslage zu § 611a BGB a. F. 208  OLG

Köln 29.07.2010 NZA 2011, 211, 213. Köln 29.07.2010 NZA 2011, 211, 213 m. w. N. 210  BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625 ff. 211  BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226 ff. 209  OLG



III. Rechtsprechung389

jedes seinerseits nicht diskriminierende und auch sonst legale Ziel in Betracht.212 Dies umfasse auch privatautonom bestimmte Ziele des Arbeitgebers wie z. B. betriebliche Notwendigkeiten und Anforderungen an persönliche Fähigkeiten des Arbeitnehmers. Dabei hebt das BAG das durch Art. 12 GG geschützte Recht des Unternehmers hervor, seiner unternehmerischen Tätigkeit so nachzugehen, dass er damit am Markt bestehen könne.213 Dies bedeute, dass er auch die sich daraus ergebenden beruflichen Anforderungen an seine Mitarbeiter stellen dürfe, solange er dabei nicht aus willkürlichen Erwägungen handele. Der Sinn der Diskriminierungsverbote bestehe nicht darin, „dem Arbeitgeber eine Arbeitsorganisation vorzuschreiben, die nach seiner Vorstellung zu schlechten Arbeitsergebnissen führt. Die Diskriminierungsverbote sollen vielmehr das wirtschaftliche Geschehen von sachlich nicht gerechtfertigten und vernunftgebundene Entscheidungen hemmenden, z. B. auf Vorurteilen beruhenden Erwägungen der Marktteilnehmer freihalten und auf diese Weise gerade im Gegenteil die Dynamik rationaler, sachbezogener, rechtmäßiger Erwägungen erhöhen“214. bb) Erforderlich und angemessen Unter der Voraussetzung des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG, dass die Mittel zur Erreichung des Ziels „erforderlich und angemessen“ sein müssen, versteht das BAG eine klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dies wird deutlich, wenn das BAG feststellt, dass „die Differenzierung […] zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein“215 müsse. Geeignet solle eine Differenzierung bereits dann sein, wenn durch sie das angestrebte Ziel erreicht werden könne.216 Im Rahmen der Erforderlichkeit sei zu prüfen, ob es bei gleicher Erfolgsgeeignetheit ein milderes Mittel gebe.217 An anderer Stelle formuliert das BAG, dass ein Mittel zur Zielerreichung erforderlich sei, wenn das Ziel ohne das Mittel nicht erreicht werden könne.218 Maßstab für die Erforderlichkeit sei dabei das von dem Arbeitgeber verfolgte Ziel und nicht etwa Vorstellungen des Gerichts von den Fähigkeiten, die ein Arbeitnehmer haben müsse, um seinen Aufgaben gerecht zu werden.219 Die Angemessenheit sei zu bejahen, wenn aufgrund einer Zweck-Mittel212  BAG 213  BAG 214  BAG 215  BAG 216  BAG 217  BAG 218  BAG 219  BAG

28.01.2010 28.01.2010 28.01.2010 22.06.2011 22.06.2011 22.06.2011 28.01.2010 28.01.2010

NZA 2010, NZA 2010, NZA 2010, NZA 2011, NZA 2011, NZA 2011, NZA 2010, NZA 2010,

625, 626. 625, 626. 625, 626. 1226, 1229. 1226, 1229. 1226, 1229. 625, 626. 625, 627.

390

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Relation die Schwere des Eingriffs im Verhältnis zur Bedeutung des Ziels zurücktrete.220 Zum Teil geht das BAG auch erst im Rahmen der Angemessenheit auf die Frage des weniger belastenden Mittels ein.221 2. Fälle mit Bezug zu Kundenpräferenzen a) Geschlecht Am umfangreichsten ist die Rechtsprechung mit Bezug zu Kundenpräferenzen im Bereich der Geschlechtsbenachteiligungen. Es finden sich sowohl Fälle unmittelbarer als auch mittelbarer Benachteiligungen, in denen die Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen eine Rolle spielte. Der Schwerpunkt liegt auf an § 8 Abs. 1 AGG zu messenden unmittelbaren Benachteiligungen. Zunächst sollen die Entscheidungen zu zulässigen (dazu unter aa]) und unzulässigen (dazu unter bb]) Benachteiligungen dargestellt und die Argumentation der Gerichte nachvollzogen werden, um anschließend übergreifende Beobachtungen zusammenzufassen (dazu unter cc]). aa) Zulässige Rechtfertigungen Die von der Rechtsprechung anerkannten Rechtfertigungsgründe lassen sich zur Systematisierung den drei aus dem US-amerikanischen Recht bekannten Fallgruppen Privatsphäre-, Authentizitäts- und Sicherheitsinteressen der Kunden zuordnen. (1) Privatsphäre In einer Reihe von Fällen hat die Rechtsprechung das Geschlecht für eine „unverzichtbare Voraussetzung“ bzw. für eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ gehalten, wenn Privatsphäreinteressen Dritter im Raum standen. Relevant wurde die Privatsphäre-Ausnahme vor allem bei Berufen aus dem medizinisch-pflegerischen [dazu unter (a)] sowie aus dem sozialen Bereich [dazu unter (b)], aber auch im Falle einer klassischen Verkaufstätigkeit im Einzelhandel [dazu unter (c)].

220  BAG 221  BAG

22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1229. 28.01.2010 NZA 2010, 625, 627.



III. Rechtsprechung391

(a) Medizinische / Pflegerische Tätigkeiten (aa) BAG: Arzthelferin in einer chirurgischen Praxis In einer Entscheidung aus dem Jahr 1991 hielt das BAG das weibliche Geschlecht für eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für die Position einer Arzthelferin in der Praxis eines Chirurgen mit einem hohen Anteil sowohl männlicher als auch weiblicher türkischer Patienten.222 Es entsprach dem Konzept des Chirurgen, neben einer Sekretärin und einer Krankengymnastin noch drei Arzthelferinnen, also nur Frauen, zu beschäftigen.223 Das BAG wies darauf hin, dass man dem Chirurgen das Recht auf freie Gestaltung seiner Praxis und freie Auswahl seiner Mitarbeiterinnen aus Art. 1, 2 und 14 GG224 nicht absprechen könne.225 Insbesondere verstoße diese Beschäftigungspolitik nicht gegen § 611a BGB, weil ein „sachlicher Differenzierungsgrund“ vorliege.226 Die Eigenschaft als Frau sei aufgrund der Praxisnotwendigkeiten für den Chirurgen und auch für seine Patienten eine „unverzichtbare Voraussetzung“ des Arbeitsverhältnisses. So sei es im Hinblick auf das Arzt-Patienten-Verhältnis von erheblicher Bedeutung, ob der Patient seinen Intimbereich in Gegenwart eines weiblichen oder männlichen Arzthelfers offenbare: Dies dürfe „nach der Verkehrsanschauung generell und nicht erst speziell im Hinblick auf die besondere Situation beim Beklagten gelten, der als Chirurg in einer Durchgangspraxis mit Patienten überwiegend ausländischer Abstammung sowie ihrer gesellschaftlichen und religiösen Einstellung (Moslems) zudem noch eine besondere Sensibilität für seinen Patientenkreis reklamiert“227. Insofern brauche nicht entscheidend auf diesen Patientenkreis abgestellt zu werden. Das BAG akzeptierte demnach das „Konzept“ des Chirurgen, ausschließlich weibliches Personal zu beschäftigen. Unklar bleibt, wieso dies erforderlich ist, wenn in der Praxis doch sowohl männliche als auch weibliche Patienten behandelt werden. Diese Beschäftigungspraxis weist eine bereits aus dem US-amerikanischen Recht bekannte Problematik auf: Sie ist in 222  BAG

21.02.1991 NZA 1991, 719. 21.02.1991 NZA 1991, 719, 722. 224  Das Recht, den unternehmerischen Zweck und das Anforderungsprofil für die Arbeitsplätze, mit deren Hilfe dieser Zweck verwirklicht werden soll, festzulegen, ist von Art. 12 Abs. 1 GG umfasst. In jüngeren Entscheidungen stellt das BAG zutreffend auf Art. 12 Abs. 1 GG und nicht auf Art. 1, 2 und 14 GG ab, vgl. BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019 sowie BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 225  BAG 21.02.1991 NZA 1991, 719, 722. 226  BAG 21.02.1991 NZA 1991, 719, 722. 227  BAG 21.02.1991 NZA 1991, 719, 723. 223  BAG

392

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

zweierlei Hinsicht asymmetrisch.228 Während weibliche Patienten vor männlichen Pflegekräften „geschützt“ werden, wird es anscheinend als unproblematisch angesehen, dass männliche Patienten von weiblichem Personal gepflegt werden. Außerdem werden weibliche Patienten zwar nicht von einer männlichen Pflegekraft, aber durchaus von einem männlichen Chirurgen behandelt.229 Diese Inkonsistenzen werden von dem BAG nicht weiter hinterfragt. Sie untergraben das Argument, dass die Privatsphäreinteressen der Patienten bei einer Behandlung durch eine Person des anderen Geschlechts verletzt werden.230 Die Akzeptanz asymmetrischer Beschäftigungspolitiken ist einer der Hauptvorwürfe der Kritiker der PrivatsphäreAusnahme im US-amerikanischen Recht.231 Dadurch würden althergebrachte Rollenbilder und die traditionelle Arbeitsmarktteilung verfestigt: Männer übernähmen die Positionen der Ärzte, Frauen die der Krankenschwestern.232 (bb) ArbG Hamburg: Pflegekraft in einer Belegarztklinik In der Begründung überzeugender als die Entscheidung des BAG ist ein Urteil des ArbG Hamburg aus dem Jahr 2001.233 Darin stellte es fest, dass sich die Unverzichtbarkeit des weiblichen Geschlechts bei der Besetzung der Position einer Pflegekraft in einer kleinen Belegarztklinik aus der besonderen betrieblichen Struktur in Verbindung mit den Erwartungen und Bedürfnissen der Patienten ergebe. Die Patienten der Klinik waren, abgesehen von zwei bis drei männlichen Patienten im Monat, ausschließlich Frauen, 95 % der durchgeführten Operationen waren gynäkologischer Art.234 Das Gericht stellte fest, dass insofern ein entsprechender Bedarf an postoperativer Pflege im Intimbereich entstünde. Weiter gehörten zu den Patientinnen unstreitig auch Mohammedanerinnen, wobei bekannt sei, „dass mohammedanische Frauen auf Grund ihrer gesellschaftlichen und religiösen Ein228  Siehe

dazu insbesondere bereits unter C. III. 4. b) bb) (1) und (2). auch Novara NZA 2015, 142, 145, der ebenfalls kritisch auf diesen Aspekt hinweist. 230  Vgl. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 770. 231  So z. B. Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 769; vgl. auch Befort Ohio State Law Journal 52 (1991), 5, 19; Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 490; Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1264 f.; Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 186 ff. Siehe zur Kritik von Kapczynski und Berman auch bereits unter C. III. 4. b) bb) (1) und (2). 232  Kapczynski Yale Law Journal 112 (2003), 1257, 1265 m. w. N. 233  ArbG Hamburg 10.04.2001  – 20 Ca 188/00 juris. 234  ArbG Hamburg 10.04.2001  – 20 Ca 188/00 juris Rn. 30. 229  Vgl.



III. Rechtsprechung393

stellung sich im Intimbereich nicht von männlichen Personen behandeln lassen und selbst Untersuchungen durch männliche Ärzte nur in Gegenwart des Ehemanns vorgenommen werden dürfen“235. Da es auch unter Frauen nicht moslemischen Glaubens erfahrungsgemäß Frauen insbesondere älterer Generationen gebe, die aus Scham eine Pflege im Intimbereich durch männliche Pfleger ablehnten, komme es nicht auf die Anzahl mohammedanischer Patientinnen an. Das ArbG Hamburg sah für diese Patientinnen eine Gefahr gesundheitlicher Schäden, die entstehen könnten, wenn diese Patientinnen Symptome verschwiegen, um nicht von einem männlichen Pfleger versorgt zu werden.236 Eine betriebliche Umorganisation mit dem Ziel der Doppelbesetzung bestimmter Dienste könne man dem Arbeitgeber, der kleinen Klinik, auf Grund der Betriebsstruktur der Klinik unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zumuten.237 Letztlich bedinge die Betriebsstruktur in Kombination mit den Patientenbedürfnissen einen Rechtfertigungsgrund. Anders als das BAG setzte sich das ArbG Hamburg in seiner Entscheidung ausführlich mit der Betriebsstruktur und dem konkreten Konzept der Klinik auseinander, die die Einstellung einer weiblichen Pflegekraft erforderlich machten, und unterzog sie einer Plausibilitätskontrolle. Nicht überzeugend ist die Entscheidung des ArbG Hamburg allerdings insoweit, als sie akzeptiert, dass die Beschäftigungspolitik der Klinik zumindest in einer Hinsicht asymmetrisch ist: So werden weibliche Patienten zwar nicht von männlichen Pflegekräften, aber anscheinend durchaus von männlichen Ärzten behandelt.238

235  ArbG

Hamburg 10.04.2001  – 20 Ca 188/00 juris Rn. 31. Hamburg 10.04.2001  – 20 Ca 188/00 juris Rn. 32. 237  ArbG Hamburg 10.04.2001  – 20 Ca 188/00 juris Rn. 34. 238  Vgl. für eine ausführliche Beleuchtung möglicher Ursachen des unterschiedlichen Umgangs mit Privatsphärebelangen im Hinblick auf Ärzte einerseits und Pflegekräfte andererseits Berman University of Chicago Law Review 67 (2000), 749, 769 ff. Berman weist in Bezug auf Ärzte und Pflegekräfte auf der Geburtshilfestation darauf hin, dass beide Berufsgruppen zu einem ähnlich starken Grad mit der Intimsphäre der Patientinnen in Kontakt kämen (770). Ärzte und Pflegekräfte unterschieden sich tatsächlich insbesondere im Hinblick auf ihre Ausbildung und ihre Bezahlung voneinander. Zudem nähmen Ärzte Aufgaben wahr, für die das Pflegepersonal nicht qualifiziert sei (z. B. Verschreibung von Medikamenten, Durchführung von Operationen). Abgesehen davon bestünden jedoch lediglich wahrgenommene Unterschiede („perceived differences“): „(1) nurses are less professional than doctors; (2) aides are more likely than doctors to abuse patients’ trust; (3) patients become closer, emotionally, with their nurses than their doctors“ (771). Nachdem Berman erläutert, wieso diese wahrgenommenen Unterschiede tatsächlich nicht bestünden, schließt sie, dass Privatsphärebelange nicht stärker durch Pflegekräfte als durch Ärzte verletzt würden (771). Vor diesem Hintergrund hält sie asymmetrische Beschäftigungspraktiken im Hinblick auf Ärzte und Pflegekräfte für unzulässig. 236  ArbG

394

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(b) (Sozial)pädagogische Tätigkeiten (aa) BAG: Erzieherin / Sportlehrerin / Sozialpädagogin in einem Mädcheninternat In einer jüngeren Entscheidung aus dem Jahr 2009, in der sich das BAG erstmals grundlegend mit den Voraussetzungen des §  8 Abs.  1 AGG auseinandersetzte,239 erkannte das Gericht das weibliche Geschlecht als „wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“ für die Stelle einer Erzieherin / Sportlehrerin / Sozialpädagogin in einem Mädcheninternat an. Nach den grundsätzlichen Ausführungen zu den Anforderungen an die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“240 subsumierte es unter diese Voraussetzung. Detailliert beschrieb es, welche Tätigkeiten unter welchen Bedingungen auf der betreffenden Stelle zu erbringen seien. Besonders hob es dabei den im Mädcheninternat zu erbringenden Nachtdienst hervor. Entscheidend sei nicht, ob ein Beschäftigter rein tatsächlich die anfallenden Tätigkeiten erbringen könne. Entscheidend sei vielmehr, „dass die Tätigkeiten im Nachtdienst einen direkten Bezug auf andere Personen aufweisen, nämlich die Schülerinnen“241. Deren Rechte aus Art. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG umfassten insbesondere den Schutz der Intimsphäre. Ein unbekleidetes bzw. nicht vollständig bekleidetes Auftreten gegenüber dem anderen Geschlecht berühre im Regelfall das Schamgefühl und beeinträchtige ein unbefangenes und freies Verhalten. Es entspreche „der Lebenserfahrung, dass eine natürliche und freie Bewegung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen eingeschränkt ist, wenn eine erwachsene Person des anderen Geschlechts die Wasch- und Sanitärräume bzw. die Schlafzimmer betreten kann“242. Ausführlich beschrieb das Gericht weiter, in welchen konkreten Situationen es Konfliktpotenzial bei dem Einsatz einer männlichen Betreuungsperson sah. Auf das möglicherweise erklärte Einverständnis der Schülerinnen mit einem männlichen Betreuer komme es nicht an. Der Arbeitgeber müsse bei der Besetzung des Arbeitsplatzes eine Prognoseentscheidung treffen, wobei eine pauschalierte Betrachtung zulässig sei.243 Da die Wahrnehmung des Nachtdienstes zu den zentralen und bedeutsamen Aufgaben des Arbeitsplatzes gehöre, sei auch die Erheblichkeitsschwel239  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016 ff.; vgl. dazu auch Dornbusch/Hess NJW 2009, 3678 f. 240  Siehe dazu bereits unter E. III. 2. a) aa) (1) (a) (aa). 241  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1020. 242  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021. 243  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021.



III. Rechtsprechung395

le überschritten und eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ zu bejahen. Darüber hinaus bejahte das BAG auch die Verhältnismäßigkeit, die es im Vergleich zur „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ vergleichsweise knapp prüfte und im Kern auf eine Missbrauchskontrolle reduzierte. Der „rechtmäßige Zweck“ bestehe in der erzieherischen und sozialpädagogischen Betreuung von Schülerinnen und Schülern im Internat einschließlich der Aufsicht und Betreuung der im Mädchengebäude wohnenden Schülerinnen während der Nacht durch Einrichtung eines Nachtdienstes.244 Davon ausgehend sei es „angemessen“, für die Stelle eine Frau einzustellen. In der Interessenabwägung stellt das BAG maßgeblich auf die Rechte der Schülerinnen aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ab, die in Kombination mit dem Erziehungsauftrag des beklagten Landes, dem Träger des Internats, das Interesse des abgelehnten männlichen Stellenbewerbers überwögen.245 Insbesondere sei die Arbeitsorganisation auch weder willkürlich, noch offensichtlich unvernünftig oder offensichtlich unsachlich. (bb) A  rbG Göttingen: Sozialpädagoge beim Jugendamt mit dem Aufgabengebiet als Amtsvormund / Amtspflegerin Das ArbG Göttingen hielt das weibliche Geschlecht in einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 für eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ bei der Besetzung der Stelle einer Sozialpädagogin im Allgemeinen Sozialdienst des Jugendamtes mit dem Aufgabengebiet als Amtsvormundin und Amtspflegerin.246 Dabei maß es dem spezifischen unternehmerischen Konzept entscheidende Bedeutung zu. Es hob die Beziehungen zu Dritten, Kunden oder sonstigen Personen hervor, die bei der Erstellung des Konzeptes eine Rolle spielen könnten. Deren Berücksichtigung dürfe aber nicht zu einer Perpetuierung eines überkommenen Rollenverständnisses führen. Seien hingegen „die Intimsphäre, die Scham gegenüber dem anderen Geschlecht betroffen, so dürfen auch subjektive Befindlichkeiten bzw. Empfindlichkeiten dazu führen, dass ein anderes Geschlecht bevorzugt wird“247. Es komme nicht darauf an, ob diese regelmäßig gleichfalls gesellschaftlich bedingten Empfindlichkeiten rational oder nachvollziehbar seien. Diese allgemeinen Erwägungen führten im zu beurteilenden Fall zur Rechtmäßigkeit des Konzeptes des Arbeitgebers, was wiederum die Anerken244  BAG

28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022. 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022. 246  ArbG Göttingen 23.11.2011  – 4 Ga 3/11 Ö juris. 247  ArbG Göttingen 23.11.2011  – 4 Ga 3/11 Ö juris Rn. 37. 245  BAG

396

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

nung des Geschlechts als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ impliziere.248 Das Konzept sah vor, jede zweite Stelle als Amtsvormund mit einer Frau zu besetzen, um insbesondere den Bedürfnissen weiblicher Mündel Rechnung zu tragen. Von den ca. 85 geführten Amtsvormundschaften betrafen immerhin fünfzig weibliche Mündel. Ihnen sollte die Möglichkeit gegeben werden, nach Wahl eine Frau zum Vormund zu erhalten, sodass sich die weiblichen jugendlichen Mündel, die zudem oft einen Migrationshintergrund aufwiesen, mit geschlechtsspezifischen Problemen an Frauen wenden könnten. Dieses Konzept hielt das Gericht für nachvollziehbar und zulässig. Wie bereits das BAG in der Entscheidung zu der Stelle im Mädcheninternat unterstrich auch das ArbG Göttingen, dass es um die Zulässigkeit nicht objektivierbarer Empfindungen gehe und somit nicht darauf ankomme, ob eine Person des anderen Geschlechts objektiv dieselbe oder vielleicht sogar eine bessere Dienstleistung erbringen könnte.249 Recht knapp ging das ArbG Göttingen auf die Verhältnismäßigkeit ein und stellte fest, dass die Fälle, in denen eine Anforderung zwar „wesentlich und entscheidend“, aber nicht das mildeste Mittel sei, eher selten sein dürften.250 Somit führte es eine Missbrauchskontrolle durch, der das Konzept des Arbeitgebers standhielt. Die nachfolgende Instanz, das LAG Niedersachsen, bestätigte die Entscheidung des ArbG Göttingen und wies die dagegen eingelegte Berufung zurück.251 Wie bereits in der Entscheidung des BAG betrafen die zur Rechtfertigung herangezogenen Interessen Dritter („Kundenpräferenzen“) Privatsphäreinteressen von Kindern bzw. Jugendlichen. Gegenüber dem Beschäftigten befanden diese sich in einem Betreuungs-, also in einem asymmetrischen Machtverhältnis. In diesem Lichte erscheinen die betroffenen Dritten als besonders schutzwürdige „Kunden“. Wenn das ArbG Göttingen es als unerheblich ansieht, ob die Empfindungen der Jugendlichen vernünftig oder rational nachvollziehbar sind, lässt sich dies auch als Berücksichtigung dieser besonderen Kundenrolle interpretieren. (c) LAG Köln: Verkäuferin für Damenober- und Damenbadebekleidung Einen Fall, in dem Präferenzen klassischer, souveräner „Käufer“-Kunden (im Gegensatz zu Vorlieben besonders schutzwürdiger Patienten oder Kinder in einem Betreuungsverhältnis) eine Rolle spielten, hatte das LAG Köln 248  ArbG

Göttingen 23.11.2011  – 4 Ga Göttingen 23.11.2011  – 4 Ga 250  ArbG Göttingen 23.11.2011  – 4 Ga 251  LAG Niedersachsen 19.04.2012  – 4 249  ArbG

3/11 Ö juris Rn. 38. 3/11 Ö juris Rn. 39. 3/11 Ö juris Rn. 45. SaGa 1732/11 juris.



III. Rechtsprechung397

im Jahr 1996 zu entscheiden.252 Ein männlicher Bewerber war für die Position eines Verkäufers für Damenoberbekleidung einschließlich Badebekleidung und Bustiers in einem Einzelhandelsgeschäft mit Anprobemöglichkeiten abgelehnt worden. Das Gericht stellte fest, dass das weibliche Geschlecht eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für die zu besetzende Stelle sei. Das Merkmal der „unverzichtbaren Voraussetzung“ sei nicht theoretisch, sondern unter Berücksichtigung der Realitäten im Arbeits- und Geschäftsleben zu verstehen.253 Das Einzelhandelsgeschäft müsse damit rechnen, dass die Kundinnen insbesondere wegen der Anprobemöglichkeit weibliche Beratung erwarteten, und dass andernfalls Kundinnen das Geschäft meiden würden. Deshalb sei es dem Arbeitgeber nicht zumutbar, darauf zu verzichten, im Verkauf lediglich Frauen zu beschäftigen. Damit stützte das Gericht die Be­ jahung der Rechtfertigung ausdrücklich auf Kundenpräferenzen, die ihrerseits wiederum in einem Bedürfnis nach dem Schutz der Privatsphäre wurzelten. (2) Authentizität Wiederholt hat die Rechtsprechung die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts unter Glaubwürdigkeitsaspekten akzeptiert. Vier der fünf dargestellten Entscheidungen betreffen Positionen, die einen repräsentativen Charakter haben und in denen die Interessenvertretung oder zumindest die Zusammenarbeit mit Interessengruppen eine zentrale Rolle spielte.254 Bei den Arbeitgebern handelte es sich nicht um in der freien Wirtschaft tätige Unternehmen, sondern um eine Partei, einen Verein und zwei Verbände, also um Akteure mit einer gesellschaftspolitischen Agenda [dazu unter (a)–(d)]. Lediglich in dem unter (e) dargestellten Fall stand ein Wirtschaftsunternehmen auf Arbeitgeberseite. Dieses verfolgte freilich – soviel sei an dieser Stelle vorweggenommen – nicht ein rein ökonomisches, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Anliegen. 252  LAG

Köln 19.07.1996 AR-Blattei ES 800 Nr. 128, 7 f. Köln 19.07.1996 AR-Blattei ES 800 Nr. 128, 7, 8. 254  Vgl. in diesem Zusammenhang zudem den Beschluss des VG Berlin 07.12.2012 – 5 L 419.12 juris. Damit wies das VG Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eines Richters am Amtsgericht zurück. Dieser hatte das aktive und passive Wahlrecht für die bevorstehende Wahl der Frauenvertreterin beantragt. Der Wahlvorstand hatte seinen Antrag unter Bezugnahme auf das Landesgleichstellungsgesetz abgelehnt, wonach wahlberechtigt und wählbar nur weibliche Beschäftigte einer Dienststelle seien. Das VG Berlin stellte fest, dass die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf weibliche Beschäftigte nicht gegen höherrangiges Recht verstoße (Rn. 9 ff.). Insbesondere sei eine unmittelbare Benachteiligung im Falle der – vom VG Berlin ausdrücklich offengelassenen – Anwendbarkeit des AGG jedenfalls nach § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt (Rn. 17). 253  LAG

398

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(a) LAG Berlin: Frauenreferentin bei einer politischen Partei In einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 befasste sich das LAG Berlin mit der Frage, ob das weibliche Geschlecht eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für die Tätigkeit als Bundesfrauenreferentin einer politischen Partei war. Nach Darstellung der allgemeinen Voraussetzungen des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F., in deren Rahmen das Gericht auch die Berücksichtigungsfähigkeit der Erwartungen und Einstellungen Dritter als objektiv unbeeinflussbare Faktoren feststellte, ging es auf die konkreten Aufgaben der Bundesfrauenreferentin ein.255 Diese seien von konzeptioneller Arbeit, Öffentlichkeitsarbeit und dem Aufbau von Verbindungen zu innerparteilichen und außerparteilichen feministischen und frauenpolitischen Gruppierungen und Bereichen gekennzeichnet.256 Mithin setzten sie die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit Frauen aus verschiedenen feministischen und frauenpolitischen Zusammenhängen voraus. Diese Fähigkeit erfordere subjektiv die Entwicklung einer gewissen Sensibilität im angemessenen Umgang mit benachteiligten Frauen und objektiv setze diese Fähigkeit die Akzeptanz für die Gruppierungen voraus, mit denen kommuniziert werden solle.257 Bestimmte Fraueninitiativen wie z. B. die Gruppe „Wildwasser“, eine Initiative sexuell missbrauchter Mädchen und Frauen, lehnten die Zusammenarbeit mit Männern ab. Der Aufbau von Verbindungen zu derartigen Gruppierungen mache die Besetzung der Position der Bundesfrauenreferentin mit einer Frau erforderlich. Diese Vorgabe sei insofern ein sachlicher Differenzierungsgrund, als es „heute allgemein und von der Rechtsprechung in unterschiedlichen Zusammenhängen gestützte Auffassung [ist], dass Frauen die Belange von Frauen für Frauen besser zu vertreten imstande sind als Männer dies könnten“258. Angesichts der noch bestehenden strukturellen Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben sei eine solche Annahme auch weder sachfremd noch willkürlich. Dabei hielt das Gericht ausdrücklich nicht nur Frauen für die besseren Vertreter von Fraueninteressen, sondern sah gleichzeitig auch Männer als effektivere und bessere Vertreter von Männerinteressen an.259 Das deutet darauf hin, dass das LAG Berlin asymmetrische Beschäftigungspraktiken nicht akzeptieren würde.

255  LAG

Berlin Berlin 257  LAG Berlin 258  LAG Berlin 259  LAG Berlin 256  LAG

14.01.1998 14.01.1998 14.01.1998 14.01.1998 14.01.1998

NZA NZA NZA NZA NZA

1998, 1998, 1998, 1998, 1998,

312 f. 312. 312 f. 312, 313. 312, 313 m. w. N.



III. Rechtsprechung399

(b) ArbG München: Geschäftsführerin eines Frauenverbandes Dass das weibliche Geschlecht eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für die Tätigkeit der Geschäftsführerin eines Frauenverbandes sei, entschied das ArbG München in einem Urteil aus dem Jahr 2001.260 Ausgangspunkt der Überlegungen waren wiederum das Konzept des Arbeitgebers und die darauf beruhenden Anforderungen für die ausgeschriebene Position. Aus der Satzung des Verbandes gehe hervor, dass das Ziel des – ausschließlich weibliche Mitglieder aufnehmenden und weiblichen Personal beschäftigenden Verbandes – darin bestehe, die Frau zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit und zu ständiger Weiterbildung anzuregen und sie dadurch für eine eigenverantwortliche und zeitgemäße Mitgestaltung in allen Bereichen der Gesellschaft, in Kirche und Staat, in Familie und Beruf bereit zu machen und zu befähigen.261 Die Aufgabe der Geschäftsführerin bestehe in der Vertretung des Frauenverbands in allen Belangen nach außen und innen. Der Verband verstehe sich als Teil der internationalen Frauenbewegung, was nach seinem Selbstverständnis die Mitwirkung und Mitgestaltung von Männern zur Erreichung der Verbandsziele ausschließe.262 In diesem Zusammenhang unterstrich das Gericht die große Wichtigkeit der Tätigkeit von Interessenverbänden für das gesellschaftliche Gefüge in einer Demokratie, deren Selbstbestimmung sowie ein substanzielles Maß an Organisationsund Satzungsautonomie im Lichte des Art. 9 Abs. 1 GG als besonders schützenswert erschienen. Weiter wies das Gericht darauf hin, dass es nicht darauf ankomme, ob auch ein Mann die Aufgaben der Geschäftsführung wie Personalwesen und Immobilienverwaltung erfüllen könne. Entscheidend sei vielmehr, ob der Mann für den Arbeitgeber in sinnvoller und zumutbarer Weise tätig werden könne. Dies sei für die Tätigkeit der Geschäftsführerin eines Frauenverbands zu verneinen: „Für den Beklagten steht und fällt die Glaubwürdigkeit seinen 180.000 weiblichen Mitgliedern gegenüber mit der Frage, ob an leitender Stelle ebenfalls eine Frau steht. Auch für die von der Geschäftsführung wahrzunehmende Darstellung und Repräsentation des Frauenverbands nach außen hin liegt es in der Natur der Sache, dass an dieser Stelle allgemein eine Frau erwartet wird.“263 Folglich zeigt sich, dass die Bejahung der Rechtfertigung letztlich auch auf Authentizitätsüberlegungen fußt.

260  ArbG

München München 262  ArbG München 263  ArbG München 261  ArbG

14.02.2001 14.02.2001 14.02.2001 14.02.2001

NZA-RR NZA-RR NZA-RR NZA-RR

2001, 2001, 2001, 2001,

365. 365. 365, 366. 365, 366.

400

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(c) A  rbG Köln: Bundesgeschäftsführerin bei einem katholischen Frauenverband Auf die soeben dargestellte Entscheidung des ArbG München berief sich das ArbG Köln in einem Urteil aus dem Jahr 2007 und hielt die geschlechtsbezogene Benachteiligung eines männlichen Bewerbers für die Stelle der Bundesgeschäftsführerin bei einem katholischen Frauenverband für gerechtfertigt.264 Ausdrücklich bezeichnete das Gericht die Besetzung der in Frage stehenden Spitzenposition für den Verband als eine „Glaubwürdigkeitsfrage“ im Verhältnis zu seinen ausschließlich weiblichen Mitgliedern. Anders als bei der Entscheidung des ArbG München war der Beurteilungsmaßstab bereits das AGG. Als einschlägige Rechtfertigungsregelung zitierte das ArbG Köln § 20 AGG anstelle des tatsächlich maßgeblichen § 8 Abs. 1 AGG. Die Rechtfertigungsregelung für Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr in § 20 AGG setzt lediglich einen sachlichen Grund voraus. In seinen weiteren Ausführungen zu den Anforderungen an eine Rechtfertigung knüpft das ArbG Köln indes an die Rechtsprechung zu § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. an. Somit verwendet es letztlich – trotz Anführung einer nicht einschlägigen Norm – den treffenden Prüfungsstandard. (d) A  rbG Köln: Geschäftsführerin bei einem Verein, der durch männliche Gewalt traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten betreut In einer weiteren Entscheidung des ArbG Köln aus dem Jahr 2010 stellte dieses fest, dass das weibliche Geschlecht eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG für die Position der Geschäftsführerin in einem Verein ist, der durch männliche Gewalt traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten betreut.265 Diese ausschließlich auf Frauen bezogene Aufgabenstellung des Vereins bildete den Ausgangspunkt der Überlegungen des Gerichts. Angesichts seiner Zielsetzung sei es für seine Authentizität unabdingbar, dass das den Verein nach innen und außen repräsentierende Organ aus Frauen bestehe.266 Diese Glaubwürdigkeit würde er andernfalls gerade in seiner Tätigkeit in afrikanischen und vorderasiatischen Regionen verlieren. Das unternehmerische Konzept des Vereins bestehe darin, dass ausschließlich Frauen im Interesse der betreuten Frauen und Mädchen arbeiteten. Im Hinblick auf diese Glaubwürdigkeitsüberlegungen sah das Gericht die Voraussetzungen 264  ArbG

Köln 21.06.2007  – 17 Ca 516/07, nicht veröffentlicht. Köln 12.01.2010  – 8 Ca 9872/09 juris. 266  ArbG Köln 12.01.2010  – 8 Ca 9872/09 juris Rn. 21. 265  ArbG



III. Rechtsprechung401

des § 8 Abs. 1 AGG als erfüllt an, die Anforderungen des „rechtmäßigen Zwecks“ und der „Angemessenheit“ bejahte es ohne tiefer gehende Analyse mit einem Satz. (e) A  rbG Bonn: Kundenbetreuerin bei einem F ­ inanzdienstleistungsunternehmen mit frauenspezifischem B ­ etätigungsfeld Der Aspekt der Authentizität lag auch der Anerkennung des weiblichen Geschlechts als „unverzichtbare Voraussetzung“ für die Stelle einer Kundenbetreuerin bei einem Finanzdienstleistungsunternehmen mit frauenspezifischem Betätigungsfeld zugrunde, mit der sich das ArbG Bonn im Jahr 2001 befasste.267 Ausgangspunkt der Überlegungen des ArbG Bonn war – wie auch bei den anderen bislang referierten Entscheidungen – das konkrete Unternehmerkonzept und das darauf beruhende Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle. Das Gericht beschrieb detailliert das auf die Beratung von Frauen spezialisierte Konzept des Finanzdienstleistungsunternehmens, das frauenspezifische Produkte anbot.268 Sowohl die personelle und organisatorische Ausgestaltung des Unternehmens nach innen als auch seine Außendarstellung entsprächen diesem Aufgabenverständnis. Die ausschließliche Beschäftigung weiblicher Finanzdienstleister gewährleiste eine Atmosphäre der Sensibilität und des Vertrauens. So sei es „nachvollziehbar, dass bei der Erstellung einer individuellen Versorgungsanalyse, bei der möglicherweise die Erörterung emotional bestimmter Lebenssituationen notwendig wird, eine ratsuchende Frau sich lieber einer Beraterin als einem Berater anvertraut“269. Dabei hob das Gericht hervor, dass finanzielle Angelegenheiten demselben Wunsch nach vertrauensvollem Umgang wie die mit ihnen verbundenen persönlichen Belange unterfielen. Das Konzept komme auch in der Außendarstellung des Unternehmens zum Ausdruck, wie es sich beispielsweise in der Eigenwerbung und in Presseberichterstattungen widerspiegele. Insgesamt habe das Unternehmen „ein schlüssiges, auf speziell weibliche Belange ausgerichtetes Unternehmenskonzept dargelegt, das nicht allein reine Marketingstrategie ist, sondern für sich einen besonderen frauenpolitischen Hintergrund und eine entsprechende Zielsetzung in Anspruch nehmen kann“270. Ein weiterer entscheidender Aspekt betreffe die Kundenerwartungen. Die Zielgruppe „Frau“ präge die Tätigkeit als Kundenberaterin. Diese Tätigkeit 267  ArbG

Bonn Bonn 269  ArbG Bonn 270  ArbG Bonn 268  ArbG

08.03.2001 08.03.2001 08.03.2001 08.03.2001

NZA-RR NZA-RR NZA-RR NZA-RR

2002, 2002, 2002, 2002,

100 ff. 100, 101 f. 100, 101. 100, 101.

402

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

sei „nicht lediglich neutrale Finanzdienstleistung, sondern spezifisch kundinnenorientierte Beratung mit biographisch-persönlichem Verständnis, wie sie eben bei dieser Vertrauenssituation nur eine Frau den Kundinnen gleichen Geschlechts entgegenbringen kann“271. Diese Erwartungshaltung der angesprochenen Kundinnen, die sich auch in den Antworten in einem durch das Unternehmen an die Kundinnen verteilten Fragebogen bestätigte, decke sich mit dem vorgetragenen und praktizierten Geschäftskonzept. Vor diesem Hintergrund sei das weibliche Geschlecht eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für die in Frage stehende Stelle als Kundenberaterin. Das Gericht führte ausdrücklich die hinter dieser Ausnahme vom Benachteiligungsverbot stehende Ratio der „Authentizität“ an. Nach dem von dem Unternehmen verfolgten Modell könne die Beratung „authentisch, also gleichzeitig kompetent und vertrauensvoll nur von Frauen wahrgenommen werden“272. Die in dem an die Kundinnen ausgeteilten Fragebogen gegebenen Antworten zeugten von einem gesellschaftlichen Bedürfnis nach einer spezifisch weiblichen Beratung in spezifisch weiblichen Lebenssituationen. Somit verfolge das Unternehmen ein schlüssiges, nicht lediglich ökonomisch sondern auch gesellschaftlich nachvollziehbares Anliegen, das sich in einer Abwägung der betroffenen Interessen unter Beachtung der Grundrechte letztlich durchsetzen könne. Wie bereits die vorgehend dargestellten Entscheidungen veranschaulicht auch das Urteil des ArbG Bonn, dass die Gerichte bei Beurteilung der Frage, ob ein bestimmtes Geschlecht für eine Position „unverzichtbar“ bzw. „wesentlich und entscheidend“ ist, nicht auf ein vollkommen verobjektiviertes Berufsbild und dessen technische Anforderungen abstellen. Vielmehr wird das Anforderungsprofil einer Stelle an dem konkreten Konzept des Arbeitgebers gemessen, wobei wiederum die Erwartungen der Kunden ein entscheidender Faktor sein können. So ging es im Fall des Finanzdienstleiters nach Auffassung des Gerichts nicht um die neutrale Fähigkeit der Finanzdienstleistung, sondern um spezifisch kundinnenorientierte Beratung mit biographisch-persönlichem Verständnis. Insofern ist die deutsche Rechtsprechung großzügiger als die US-amerikanische Rechtsprechung. Das wird speziell bei einem Vergleich mit der Entscheidung Southwest deutlich, in der es um das Konzept der Southwest Airline als „love airline“ ging.273 Der U.S. District Court for the Northern District of Texas beurteilte die Anforderungen an den Job als Flugbegleiterin unabhängig von diesem konkreten Konzept. Er lehnte die Beschäftigungspraxis der Southwest Airline 271  ArbG

Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100, 101. Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100, 102. 273  Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292 ff. (N.D. Tex. 1981); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) aa) (2) (a). 272  ArbG



III. Rechtsprechung403

als reine Marketingstrategie ab.274 Angesichts der Entscheidung des ArbG Bonn in dem Finanzdienstleisterfall wirkt dies etwas zu kurz gegriffen. Das ArbG Bonn stellte nämlich ausdrücklich fest, dass es sich bei dem Konzept des Finanzdienstleistungsunternehmens gerade nicht nur um eine reine Marketingstrategie handelte und widmete sich dem zugrunde liegenden Konzept. Demgegenüber tat der U.S. District Court for the Northern District of Texas in der Rechtssache Southwest das Konzept der Airline schlicht als Marketingstrategie ab, ohne sich tiefer gehend mit der Plausibilität des zugrunde liegenden Konzeptes zu beschäftigen.275 Die US-amerikanischen Gerichte scheinen davon auszugehen, dass sich Stellenprofile anhand verobjektivierter Berufsbilder bestimmen lassen. Die deutschen Gerichte schenken den spezifischen Unternehmerkonzepten unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Unternehmerfreiheit stärkere Beachtung. (3) Schnittstelle Privatsphäre / Authentizität Die Entscheidungen in den Authentizitätsfällen beruhen auf dem Gedanken, dass man die Interessen bestimmter Merkmalsträger dann besser vertreten und verstehen kann, wenn man selbst der Träger des Merkmals ist. Dies wird als Voraussetzung für einen besonders sensiblen und vertrauensvollen Umgang zwischen Beschäftigten und Dritten wahrgenommen. Sensibilität und Vertrauen spielen auch bei der Bejahung von Privatsphäre-Rechtfertigungsgründen eine Rolle. Mithin weist die Begründung von Privatsphäreund Authentizitäts-Rechtfertigungen eine gemeinsame Schnittstelle auf. Dies veranschaulichen zwei Entscheidungen des ArbG Köln276 [dazu unter (a)] und des BAG277 [dazu unter (b)], bei denen sowohl Aspekte des Privatsphäreschutzes als auch solche der Authentizität eine Rolle spielten. In dem Urteil des ArbG Köln ging es zudem um die Rechtfertigung sowohl einer Benachteiligung wegen des Geschlechts als auch einer Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft, sodass es sich in doppelter Hinsicht an einer Schnittstelle bewegte. Beide Entscheidungen betrafen Tätigkeiten im sozialen Bereich. Die Kunden, deren Präferenzen eine Rolle spielten, befanden sich nicht in der Position eines selbstbestimmten, souveränen, „mächtigen“ Kunden und waren demnach besonders schutzwürdig. Dieser speziellen Kundenrolle schenkten die Gerichte bei der Evaluierung der in Frage stehenden Präferenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Beachtung. 274  Wilson

v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 302 f. (N.D. Tex. 1981). in diese Richtung auch Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 511. 276  ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris. 277  BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872 ff. 275  Vgl.

404

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(a) A  rbG Köln: Sozialarbeiterin im Projekt „Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsverheiratung“ Das ArbG Köln bejahte 2008 die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts und wegen der Ethnie in einem Fall, in dem der Verein „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ eine Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund zur Durchführung des Projektes „Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsverheiratung“ suchte.278 Zunächst wandte es sich der Rechtfertigung in Bezug auf das Merkmal „Geschlecht“ zu und stellte die Ziele und Aufgaben des Vereins im Allgemeinen und die Aufgaben auf der ausgeschriebenen Stelle in dem Projekt „Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsverheiratung“ im Besonderen heraus.279 Ausführlich ging das Gericht auf die Zielgruppe des Projektes, namentlich 16- bis 27-jährige, von Gewalt „im Namen der Ehre“ (speziell Zwangsheirat) bedrohte bzw. betroffene Mädchen und Frauen mit Migra­ tionshintergrund, ein. Im Hinblick auf diese Zielgruppe geböten sowohl Überlegungen der Authentizität – die glaubhafte Darstellung der Unternehmensphilosophie – als auch der Schutz der Privatsphäre der Zielgruppe die Besetzung der Stelle mit einer Frau. Die betroffenen Minderjährigen bzw. sehr jungen Frauen, an die sich das Projekt richte, stammten zum Teil aus Kulturen, in denen Gespräche über ihre intimen Probleme mit einem außenstehenden Mann undenkbar seien. Indem das Gericht zudem darauf verwies, dass die Sozialarbeiterin das Rollenbild einer selbstbestimmten und arbeitenden Frau vermittle, spielte es auf die Vorbild- und Identifikationsfunktion der Sozialarbeiterin, also einen weiteren Authentizitätsaspekt, an. In einem zweiten Schritt wandte sich das Gericht der Anforderung, dass die Sozialarbeiterin einen Migrationshintergrund haben sollte, zu und ging auf die Rechtfertigung der Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft ein. Der geforderte Migrationshintergrund sei deshalb eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“, „weil der überwiegende oder sogar einzige Anteil der Klienten Migrationsfrauen sind, die, insbesondere wegen der authentischen Atmosphäre, ihr Anliegen an einen aus Migrantenfrauen als ordentliche Mitglieder bestehenden Verein heranzutragen bereit sind entsprechend dem Konzept ‚von Migrantinnen für Migrantinnen‘ “280. Nach dieser Feststellung setzte sich das Gericht umfassend mit der Frage auseinander, ob und inwieweit Kundenpräferenzen zu der ethnischen Herkunft, dem Ge278  ArbG Köln 06.08.2008 – 9 Ca 7687/07 juris. Vgl. kritisch zu dieser Entscheidung Novara NZA 2015, 142, 144. 279  ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 49. 280  ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 50.



III. Rechtsprechung405

schlecht etc. eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ sein könnten.281 Für problematisch hielt es, dass diese Anforderungen in der Regel nicht tätigkeits-, sondern vorrangig umweltbezogen seien. Ein vorausgesetztes Merkmal könne dann eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ sein, wenn die Tätigkeit ohne Beachtung der Haltung, Einstellung und Erwartung Dritter nicht ausgeübt werden könnte, weil das Merkmal in dem betreffenden Marktsegment von ganz entscheidender Bedeutung sei. In diesen Fällen erreiche die Anforderung den Grad einer tätigkeits- und nicht mehr nur umweltbezogenen Voraussetzung. In der Subsumtion hob das Gericht hervor, dass sich das Konzept des Vereins nicht als reine Marketingstrategie darstelle und die Zielsetzung nachvollziehbar und einleuchtend sei.282 Es gehe „um spezifisch Frauenorientierte Beratungs- und Hilfeleistungen mit biografisch-persönlichem Verständnis, wie sie bei der geschilderten Vertrauenssituation eben nur eine Frau, dazu mit selbst erlebten bzw. nachvollziehbaren Erfahrungen in ähnlichen Lebenssituationen entsprechend der fremden Kultur, den Klientinnen gleichen Geschlechts mit Migrationshintergrund entgegenbringen“283 könne. Da also vorrangig ein gesellschaftlich nachvollziehbares und nicht etwa ein ökonomisches Anliegen verfolgt werde, bejahte das Gericht im Ergebnis eine Rechtfertigung. Diese Argumentation des ArbG Köln erinnert an die des ArbG Bonn im Finanzdienstleister-Fall. Wie das ArbG Bonn legte auch das ArbG Köln Wert darauf, dass das in Frage stehende Konzept nicht nur eine Marketingstrategie ist, und dass zudem kein rein ökonomisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Anliegen verfolgt wird. (b) BAG: kommunale Gleichstellungsbeauftragte Nach der „Mädcheninternat-Entscheidung“ im Jahr 2009284 beschäftigte sich das BAG 2010 ein zweites Mal mit einer Fallkonstellation, in der die Rechtfertigung im Hinblick Kundenpräferenzen eine Rolle spielte. In einer ausführlichen Begründung kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass das weibliche Geschlecht eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für die Position einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten sei.285 281  ArbG

Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 51. Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 52 f. 283  ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 53. 284  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016 ff.; siehe dazu bereits unter E. III. 2. a) aa) (1) (b) (aa). Vgl. kritisch zu dieser Entscheidung Novara NZA 2015, 142, 144. 285  BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872 ff. 282  ArbG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Dies ergebe sich aus dem konkreten Stellenzuschnitt, der einmal mehr den Ausgangspunkt der Argumentation bildete. Detailliert beschrieb das Gericht die Tätigkeiten, die von der Gleichstellungsbeauftragten auszuüben seien:286 erstens Integrationsarbeit mit zugewanderten Frauen, insbesondere Musliminnen, zweitens die Entwicklung von Maßnahmen zu frauen- und mädchenrelevanten Themen sowie drittens die Zusammenarbeit mit und die Unterstützung von frauenrelevanten Organisationen, Initiativen und Institutionen. Die Aufgaben der Integrationsarbeit und die Zusammenarbeit mit frauenrelevanten Organisationen könnten dabei nicht von Männern wie Frauen gleichermaßen erfüllt werden.287 So werde die Integrationsarbeit insbesondere im Rahmen von Veranstaltungen türkischer Frauen geleistet, zu denen Männer keinen Zutritt hätten. Die Zielgruppe der Integrationsangebote seien gerade diejenigen Musliminnen, die auf Grund kultureller Vorverständnisse Schwierigkeiten hätten, sich an einen Mann zu wenden. Auch der Erfolg der Zusammenarbeit mit frauenrelevanten Organisationen wäre bei Besetzung der Position der Gleichstellungsbeauftragten mit einem Mann gefährdet, da „diese Organisationen die Kooperation mit einer weiblichen Gleichstellungsbeauftragten nicht nur bevorzugen, sondern mit einem männlichen Gleichstellungsbeauftragten gar nicht zusammenarbeiten möchten oder können.“288 Der Stellenzuschnitt begegne keinen Bedenken. Im Rahmen der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG könnten die Gemeinden Prioritäten in der Tätigkeit der Gleichstellungsbeauftragten festlegen, um örtlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen.289 Angesichts des hohen Anteils zugewanderter Frauen an der Bevölkerung akzeptierte das BAG die Schwerpunktsetzung auf der Integrationsarbeit. Der unternehmerische Zweck, die Integration zugewanderter Frauen zu fördern und diese im Rahmen von Gruppen- und Einzelberatung zu unterstützen sowie gezielt der Diskriminierung von Frauen entgegenzuwirken, verstoße nicht gegen eine Verbotsnorm und sei rechtmäßig. Im Rahmen der Angemessenheit schließlich führte das Gericht eine Missbrauchskontrolle im Hinblick auf den Zweck durch.290 Liege dem Unternehmerkonzept – wie im vorliegenden Fall – eine bestimmte Erwartung Dritter zugrunde, dürfe diese nicht ihrerseits diskriminierend sein. Kein diskriminierender Charakter wohne speziell solchen Erwartungen Dritter 286  BAG

18.03.2010 18.03.2010 288  BAG 18.03.2010 289  BAG 18.03.2010 290  BAG 18.03.2010 287  BAG

NZA NZA NZA NZA NZA

2010, 2010, 2010, 2010, 2010,

872, 872, 872, 872, 872,

875. 875 f. 876. 876. 876 f.



III. Rechtsprechung407

inne, die im Schamgefühl oder in Authentizitätsinteressen Dritter wurzelten oder ein besonderes Vertrauensverhältnis zu einer Gruppe erforderten, was voraussetze, dass der Beschäftigte selbst Teil dieser Gruppe sei. In diesem Zusammenhang unterstrich das BAG die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Frauen und führte aus: „Die Motivation ausländischer Frauen, die der Beratung und Integration bedürfen, von Opfern von Frauendiskriminierung und von frauenspezifischen Organisationen, eine Frau als Ansprechpartner zu wünschen, ist nicht ihrerseits diskriminierend. Sie beruht zum Teil auf Schamgefühl oder darauf, dass es den Betroffenen leichter fällt, einer Frau zu vertrauen bzw., dass sie einer Frau auf Grund deren Geschlechts ein besseres Verständnis für ihre geschlechtsspezifischen Probleme zutrauen.“291

Das BAG stellte folglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Überlegung an, inwiefern die Präferenzen und die darauf beruhende Benachteiligung einen herabwürdigenden Charakter aufwiesen. Diese Erwägungen sind bei einer richtlinienkonformen Auslegung gefordert. Die Frage nach dem herabwürdigenden Gehalt der Präferenzen stellt sich nämlich im Hinblick auf die Kompatibilität mit der Zielsetzung der europäischen Antidiskriminierungsprogrammatik. Dabei stellte das BAG fest, dass im Privatsphäreschutz wurzelnden Präferenzen kein sozial verwerflicher Gehalt zukomme. (4) Sicherheit Während Privatsphäre- und Authentizitätsüberlegungen in der deutschen Rechtsprechungspraxis zentral bei der Rechtfertigung von Benachteiligungen wegen des Geschlechts sind, kommen Erwägungen im Hinblick auf die Sicherheit Dritter nur am Rande zum Tragen. In einer Entscheidung des VG Düsseldorf aus dem Jahr 2007 spielten Sicherheitsaspekte bei der Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG eine Rolle.292 Das Gericht hatte die Rechtmäßigkeit einer Körpermindestgröße für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst293 zu beur291  BAG

18.03.2010 NZA 2010, 872, 877. Düsseldorf 02.10.2007  – 2 K 2070/07 juris. In dieser Entscheidung befasste sich das Gericht zudem mit der Frage, ob die Einstellungsvoraussetzung „englische Sprachkenntnisse“ eine mittelbare Benachteiligung der aus Polen stammenden Klägerin wegen der ethnischen Herkunft begründe und verneinte dies, Rn.  51 ff. 293  Vgl. zu einer ähnlichen Thematik, den Körperlängenanforderungen bei der Bundespolizei, aus der jüngeren Rechtsprechung auch VG Schleswig-Holstein 26.03.2015  – 12 A 120/14 juris Rn. 37 ff., das allerdings eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts bejahte. 292  VG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

teilen. Frauen mussten mindestens eine Körpergröße von 163 cm, Männer eine Körpergröße von 168 cm erreichen. Zwar räumte das Gericht ein, dass diese Anforderungen sich benachteiligend auf Frauen auswirkten, da prozentual deutlich mehr Männer die für sie erforderliche Mindestgröße von 168 cm erreichten als Frauen die Mindestgröße von 163 cm.294 Nichtsdestotrotz verneinte es eine mittelbare Benachteiligung, da die Anforderungen sachlich gerechtfertigt seien.295 Die Größenanforderungen verfolgten das „rechtmäßige Ziel“ der Gewährleistung einer störungsfreien Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben.296 Das Gericht hielt die Argumentation des Arbeitgebers für überzeugend, wonach die sichere Aufgabenerfüllung bei dem Einsatz von Polizisten,297 die die Mindestgröße nicht erreichten, nicht gewährleistet sei. Dies wiederum führe zu Gefahren für die öffentliche Sicherheit in Form der Gefährdung von Vermögenswerten oder Leib und Leben Dritter.298 Nachdem das Gericht die „Erforderlichkeit“ der Mindestgrößenregelung bejahte, wies es bei der Angemessenheitsprüfung auf die besonders hohe Bedeutung der Abwehr von Gefahren für hochrangige Rechtsgüter wie Leib oder Leben Dritter hin.299 Angesichts dessen sei die Benachteiligung sol294  VG

Düsseldorf 02.10.2007  – 2 K 2070/07 juris Rn. 41. Düsseldorf 02.10.2007  – 2 K 2070/07 juris Rn. 42. 296  VG Düsseldorf 02.10.2007  – 2 K 2070/07 juris Rn. 43. 297  Sowohl mit Sicherheits- als auch mit Glaubwürdigkeitsüberlegungen wurde in der Rechtsprechung zudem die mangelnde Eignung von Bewerbern mit großflächigen Tätowierungen für den Polizeivollzugsdienst begründet. Beispielsweise argumentierte der Arbeitgeber in einem vom VG Darmstadt 27.05.2014  – 1 L 528/14. DA juris Rn. 50 zu beurteilenden Fall nach den Feststellungen des Gerichts wie folgt: „Das äußere Erscheinungsbild habe maßgeblichen Einfluss auf das Ansehen und das Vertrauen in der Bevölkerung sowie die Akzeptanz polizeilicher Maßnahmen. Das Tragen der Dienstkleidung bezwecke ein einheitliches Erscheinungsbild, das den polizeilichen Auftrag der Gewährleistung der inneren Sicherheit glaubhaft verkörpere. Durch sichtbare Tätowierungen bestehe die Gefahr, dass die Autorität der Bundespolizeibeamtinnen und -beamten und/oder die Legitimitätsfunktion der Uniform beeinträchtigt werde. Bei Einsätzen mit Gefährdungs- und Konfliktpoten­ zialen komme es im Sinne der Deeskalation und der Eigensicherung wesentlich darauf an, möglichst keine Angriffspunkte und Ansätze für Provokationen zu bieten. Letzteres sei bei sichtbar tätowierten Polizeibeamtinnen und -beamten in erhöhtem Maße zu befürchten.“ Diese Argumentation erkannte das Gericht an (Rn. 51). Vgl. hingegen auch VG Aachen 29.11.2012  – 1 K 1518/12 juris Rn. 27 ff.; VG Köln 23.08.2012  – 19 L 993/12 juris Rn. 10 ff. (zu einer Tätowierung von minderer Größe) sowie VG Aachen 31.07.2012  – 1 L 277/12 juris Rn. 7. Eine Benachteiligung auf Grund eines geschützten Merkmals im Sinne des § 1 AGG stand in diesen Entscheidungen freilich nicht im Raum. 298  VG Düsseldorf 02.10.2007  – 2 K 2070/07 juris Rn. 11. 299  VG Düsseldorf 02.10.2007  – 2 K 2070/07 juris Rn. 49. 295  VG



III. Rechtsprechung409

cher Bewerber, die die Mindestgröße nicht erreichten, nicht unverhältnismäßig, sodass die Voraussetzungen einer sachlichen Rechtfertigung vorlägen.300 bb) Unzulässige Rechtfertigungen Dass die Rechtsprechung bei der Beurteilung eines Rechtfertigungsgrundes zentral auf die Plausibilität, Schlüssigkeit und Konsistenz des zugrunde liegenden Konzeptes abstellt, führt dazu, dass eine Rechtfertigung in solchen Fällen verneint wird, in denen ein entsprechendes Konzept nicht überzeugend dargelegt wird. (1) Ratio nicht erkennbar Die überwiegende Zahl der Entscheidungen zu abgelehnten Rechtfertigungsgründen betrifft Fälle, in denen die zugrunde liegende Ratio – Privatsphäre-, Authentizitäts- oder Sicherheitsüberlegungen? – mangels überzeugenden Konzepts des Arbeitgebers nicht erkennbar war. (a) BAG: Sozialarbeiter im Wohnheim für strafentlassene Männer In einer Entscheidung aus dem Jahr 1989 setzte sich das BAG mit der Benachteiligung einer Bewerberin auseinander, die bei der Besetzung der Stelle des Sozialarbeiters in einem Wohnheim für strafentlassene Männer nicht berücksichtigt wurde.301 Nach der lange praktizierten Konzeption des Hauses wurden drei Betreuerstellen mit Männern und zwei mit Frauen besetzt, wobei eine bislang mit einem Mann besetzte Position frei wurde. Nach Auffassung des BAG konnte sich der Arbeitgeber aber nicht auf die Rechtfertigungsmöglichkeit des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. berufen.302 Zwar schloss das Gericht nicht grundsätzlich aus, dass eine geschlechtsbezogene Benachteiligung auf Grund eines bestimmten pädagogischen Konzeptes zulässig sein könnte, doch bedürfe diese Frage im konkreten Fall keiner Entscheidung. Schließlich habe der Arbeitgeber keine Tatsachen für sein Konzept vorgetragen. Die Gruppenbetreuung solle im Sinne der Aus300  Vgl. hingegen auch VG Schleswig-Holstein 26.03.2015  – 12 A 120/14 juris Rn. 44, das die Verhältnismäßigkeit des Körperlängenerfordernisses bei der Bundespolizei verneinte: „Es ist im Sinne der Verhältnismäßigkeit nicht erkennbar, dass das Körperlängenerfordernis von derartiger belegbarer Aussagekraft wäre, dass das den Männer und Frauen erheblich ungleich treffenden Eingriff bezüglich des Zugangs zu öffentlichen Ämtern rechtfertigt.“ 301  BAG 14.03.1989 NZA 1990, 24 f. 302  BAG 14.03.1989 NZA 1990, 24.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

gewogenheit von männlichen und weiblichen Personen geleistet werden. Doch sei nicht ersichtlich, weshalb die Ausgewogenheit nur bei der Besetzung mit drei männlichen und zwei weiblichen Betreuern und nicht beim umgekehrten Zahlenverhältnis gewährleistet sei. (b) BAG: Gleichstellungsbeauftragte Im Jahr 1998 befasste sich das BAG mit der Frage, ob das weibliche Geschlecht eine unverzichtbare Voraussetzung für Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in Nordrhein-Westphalen war.303 Anders als die Vorgängerinstanz, die eine Rechtfertigung der Benachteiligung wegen des Geschlechts in einer sehr ausführlichen Begründung bejaht hatte,304 verneinte das BAG das Vorliegen der Voraussetzungen des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. vergleichsweise knapp. Dabei stellte es im Wesentlichen auf die Stellenausschreibung ab, in der die Kommune keine Einstellungsvoraussetzungen aufgestellt habe, die das Vorhandensein des weiblichen Geschlechts zur unverzichtbaren Voraussetzung der Stellenbesetzung machten.305 Wenngleich das BAG anerkannte, dass ein bestimmtes Konzept des Arbeitgebers die geschlechtsspezifische Besetzung von Positionen erforderlich machen könne, stellte es fest, dass die Kommune im konkreten Fall kein entsprechendes Konzept dargelegt habe. Ein solches Konzept ergebe sich „nicht einmal ansatzweise aus den veröffentlichten Stellenausschrei­bungen“306. So habe die Arbeitgeberin z. B. nicht aufgezeigt, dass allein eine Frau die Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten erfüllen kann, weil sich die Bürgerinnen ihr anderenfalls nicht oder nicht vollständig offenbaren würden. Anders lag der Fall in der bereits dargestellten BAG-Entscheidung aus dem Jahr 2010, in der das Gericht das weibliche Geschlecht als wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Position einer Gleichstellungsbeauftragten bejahte. Dies stellte keinen Wertungswiderspruch zu dem älteren Urteil aus dem Jahr 1998 dar, wie das BAG selbst in seiner jüngeren Entscheidung anmerkte.307 Vielmehr bestand der Unterschied in den beiden Fällen in dem konkreten Stellenzuschnitt und dem zugrunde liegenden Konzept, die nur in dem jüngeren Fall so beschaffen waren, dass das weibliche Geschlecht eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für die Ausübung der Tätigkeiten auf dieser Position war. 303  BAG

12.11.1998 NZA 1999, 371 ff. Hamm 10.04.1997 NZA-RR 1997, 315 ff.; vgl. außerdem LAG Hamm 23.07.1998  – 17 Sa 870/98 Rn. 523 ff. 305  BAG 12.11.1998 NZA 1999, 371, 373. 306  BAG 12.11.1998 NZA 1999, 371, 373. 307  BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 877. 304  LAG



III. Rechtsprechung411

(c) LAG Düsseldorf: Sozialpädagoge / Diplompädagoge /  Heimerzieher für sozialpädagogische Arbeiten im Jugendbereich Das LAG Düsseldorf hatte im Jahr 2002 die Einstellungspolitik eines Vereins zu beurteilen, der sozialpädagogische Arbeiten im Jugendbereich erbrachte.308 Im Rahmen der Durchführung des Modellprojektes „anders lernen“, das Schülerinnen und Schülern aus sozialen Brennpunkten, die als Schulversager bzw. Schulverweigerer auffielen, Hilfestellungen anbot, war die Stelle eines Sozialpädagogen / Diplompädagogen / Heimerziehers zu besetzen. Der Verein suchte ausdrücklich nur nach männlichen Bewerbern. Das Gericht hielt das männliche Geschlecht indes nicht für eine „unverzichtbare Voraussetzung“ zur Ausübung der in Frage stehenden Tätigkeit.309 Zur Begründung der geschlechtsspezifischen Benachteiligung habe sich der Verein lediglich auf sachliche Gründe berufen, die im pädagogischen Bereich angelegt sein sollten. Dieses sozialpädagogische Konzept habe der Verein aber nicht näher präzisiert, zumal sachliche Gründe für eine Differenzierung ohnehin nicht ausreichten. Vielmehr wäre „ein Vorbringen erforderlich gewesen, das mit ausreichender Plausibilität belegt hätte, dass die Einstellung eines männlichen Pädagogen zur Erbringung der vertragsgemäßen Leistung unverzichtbar gewesen wäre“310. Zudem verhielte er sich insofern inkonsistent, als er den Arbeitsplatz zumindest in der Vergangenheit mit einer Frau besetzt hatte. (d) B  AG: Lehrkraft in sonderpädagogischer Schule mit hohem Jungenanteil Im Jahr 2007 befasste sich das BAG mit der Frage, inwiefern die Bevorzugung männlicher Lehrkräfte in einer sonderpädagogischen Schule mit einem hohen Jungenanteil von über 90   % gerechtfertigt war.311 In der Schule waren einschließlich des Schulleiters vier männliche und zwei weibliche Lehrkräfte tätig. Die weiblichen Lehrkräfte wurden dadurch benachteiligt, dass sie, anders als die männlichen Lehrkräfte, keine beamtenähnlichen Verträge hatten. Dies wurde von der die Schule tragenden Stiftung damit begründet, dass man die männlichen Lehrkräfte durch die beamtenähnlichen Verträge verstärkt an die Schule binden wolle, um angesichts des hohen Jungenanteils auch einen hohen Anteil männlicher Lehrkräfte zu gewährleisten.312 308  LAG

Düsseldorf 01.02.2002 NZA-RR 2002, 345 f. Düsseldorf 01.02.2002 NZA-RR 2002, 345. 310  LAG Düsseldorf 01.02.2002 NZA-RR 2002, 345. 311  BAG 14.08.2007 NZA 2008, 99 ff. 312  BAG 14.08.2007 NZA 2008, 99, 100. 309  LAG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Das Gericht akzeptierte diese Begründung jedoch nicht.313 Zum einen setze die Stiftung Frauen als Lehrkräfte in der Schule ein. Dies zeige, dass sie selbst nicht davon ausgehe, dass das männliche Geschlecht eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für die in Frage stehende Tätigkeit sei. Zum anderen stehe auch das erzieherische Konzept, in Anbetracht des überproportionalen Jungenanteils einen hohen Anteil männlicher Lehrkräfte zu gewährleisten, dem Abschluss eines beamtenähnlichen Vertrages mit einer weiblichen Lehrkraft nicht entgegen. Die verstärkte Bindung der männlichen Lehrkräfte werde durch deren beamtenähnliche Verträge erreicht. Daran ändere sich dadurch nichts, dass man den in geringerer Zahl vorhandenen weiblichen Lehrkräften auch beamtenähnliche Verträge anbiete. (2) Privatsphäre Dass eine vorgebrachte Rechtfertigung auch dann nicht zum Erfolg führen muss, wenn sie einer der drei bekannten Fallgruppen zugeordnet werden kann, veranschaulicht eine Entscheidung des ArbG Bonn aus dem Jahr 2001.314 Darin ging es um die Besetzung der Stelle einer Pflegekraft bei einem Pflegedienst, der zu 90 % Frauen betreute, wobei insbesondere der Bereich der Intimpflege betroffen war. Die Ablehnung eines männlichen Bewerbers für die zu besetzende Position begründete der Arbeitgeber damit, dass es eine Vielzahl von Beschwerden der betroffenen Patienten gegeben habe.315 Deshalb organisiere man den Betrieb nun so, dass männliche Patienten durch männliche Pfleger und weibliche Patienten ausschließlich durch Krankenschwestern gepflegt würden. Da die Stelle einer weiblichen Pflegekraft freigeworden sei, suche man nach weiblichem Ersatz. Das Gericht hielt das weibliche Geschlecht indes nicht für eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für die zu besetzende Position.316 Dabei stellte es im Wesentlichen – ohne dies ausdrücklich so zu benennen – auf das Vorhandensein eines milderen Mittels ab und verneinte damit letztlich die Erforderlichkeit.317 Der Arbeitgeber hätte durch organisatorische und betriebliche Dispositionen männliche Pflegekräfte bei solchen weiblichen Patienten einsetzen können, die einer Pflege durch männliches Personal nicht widersprochen hätten. Schließlich sei nicht ersichtlich, dass sämtliche weibliche Patienten eine Betreuung durch männliche Pfleger ablehnten. Dass dies zu einem organisatorischen Mehraufwand auf Seiten des Arbeitgebers führe, 313  BAG

14.08.2007 NZA 2008, 99, 102. Bonn 31.03.2001  – 5 Ca 2781/00 315  ArbG Bonn 31.03.2001  – 5 Ca 2781/00 316  ArbG Bonn 31.03.2001  – 5 Ca 2781/00 317  ArbG Bonn 31.03.2001  – 5 Ca 2781/00 314  ArbG

juris. juris Rn. 13. juris Rn. 21. juris Rn. 22 ff.



III. Rechtsprechung413

vermöge das Kriterium der „unverzichtbaren Voraussetzung“ im Sinne des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. noch nicht zu begründen. Diese Entscheidung steht im Widerspruch zu den Urteilen des BAG318 und des ArbG Hamburg319, in denen die Gerichte bei medizinisch-pflegerischen Tätigkeiten trotz asymmetrischer Beschäftigungspolitiken eine Rechtfertigung bejahten. Die Beschäftigungspraxis, die das ArbG Bonn zu beurteilen hatte, war nicht asymmetrisch, da für männliche Patienten männliche Pfleger und für weibliche Patienten Krankenschwestern eingesetzt wurden. Nichtsdestotrotz verneinte das Gericht eine Rechtfertigung. Wie bereits die US-amerikanische Rechtsprechung zur Rechtfertigung im Hinblick auf die Privatsphäre entpuppt sich auch die deutsche Rechtsprechung in diesem Bereich als inkonsistent. (3) Authentizität Das ArbG Köln setzte sich im Jahr 2011 mit der Verpflichtung des männlichen Cockpit-Personals zum Tragen der Cockpit-Mütze in dem der Öffentlichkeit zugänglichen Flughafenbereich auseinander.320 Da diese Verpflichtung nur für männliche, nicht jedoch für weibliche Piloten galt, stand eine geschlechtsspezifische Benachteiligung im Raum. Zur Rechtfertigung führte der Arbeitgeber aus, dass die Cockpit-Mütze Teil der Uniform der männlichen Cockpitbesatzung sei, während die Kopfbedeckung bei weiblichen Cockpitbesatzungsmitgliedern lediglich Accessoire und damit nicht verpflichtend sei.321 Diese Unterscheidung im klassischen Außenauftritt sei historisch gewachsen und entspreche zudem dem Vorstellungsbild der Öffentlichkeit. Damit berief sich der Arbeitgeber letztlich auf authentizitätsbezogene Kundenpräferenzen. Das Gericht verneinte das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes, die Verpflichtung zum Tragen einer Cockpitmütze nur für Männer sei keine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“.322 Allein die Erwartung der Öffentlichkeit von einem bestimmten äußerlichen Auftreten des Cockpit-Personals genüge als Rechtfertigung nicht. Es sei bereits fraglich, ob Kundenerwartungen „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen“ sein könnten. Nach Auffassung des Gerichts könnte dies zu 318  BAG 21.02.1991 NZA 1991, 719 ff. Siehe dazu bereits unter E. III. 2. a) aa) (1) (a) (aa). 319  ArbG Hamburg 10.04.2001  – 20 Ca 188/00 juris. Dazu bereits unter E. III. 2. a) aa) (1) (a) (bb). 320  ArbG Köln 05.04.2011  – 12 Ca 8659/10 juris. 321  ArbG Köln 05.04.2011  – 12 Ca 8659/10 juris Rn. 14. 322  ArbG Köln 05.04.2011  – 12 Ca 8659/10 juris Rn. 28.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

bejahen sein, wenn die Nichtbeachtung einer entsprechenden Kundenerwartung die Fortführung der unternehmerischen Tätigkeit in dem Marktsegment auf Dauer gefährdete. Doch sei „weder offensichtlich noch dargelegt, dass das Tragen der Cockpit-Mütze beim männlichen Cockpit-Personal zu einer höheren Akzeptanz bei den (potentiellen) Fluggästen führt“323. Die nachfolgende Berufungsinstanz kam indes zu einem anderen Ergebnis. Sie verneinte bereits das Vorliegen einer Benachteiligung, sodass es auf mögliche Rechtfertigungsgründe nicht mehr ankam.324 Das BAG schließlich bejahte einen Verstoß der Cockpit-Mützen-Pflicht nur für männliche Piloten gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 68 Abs. 1 TV PV und hielt sie für unwirksam.325 Eine Rechtfertigung sei zu verneinen:326 Der Arbeitgeber könne sich weder auf das klassische Pilotenbild noch auf die Frisurgestaltung weiblicher Cockpitmitglieder berufen. Zwar gestand das BAG dem Arbeitgeber zu, „dass Flugzeugführer in der Öffentlichkeit regelmäßig nur als solche wahrgenommen werden, wenn sie eine Cockpit-Mütze tragen“327. Dies gelte aber für männliche wie auch für weibliche Piloten. Insbesondere stehe auch die Frisurgestaltung der Pilotinnen einer Mützen-Tragepflicht nicht entgegen. Die Regelungen des Arbeitgebers gestatteten schließlich auch weiblichem Kabinenpersonal das Tragen von Mützen außerhalb des Flugzeugs. Letztlich attestierte das BAG der Fluggesellschaft damit widersprüchliche Regelungen. Ob die Tragepflicht einer Kopfbedeckung nur für Männer auch gegen das Verbot der unterschiedlichen Behandlung wegen des Geschlechts (§ 68 TV PV i. V. m. § 7 Abs. 1 AGG) verstieß, könne daher laut BAG offenbleiben.328 (4) Sicherheit Bereits im Jahr 1984 beschäftigte sich das ArbG Hamm mit einem Fall, in dem Sicherheitsüberlegungen im Rahmen der Rechtfertigung einer Benachteiligung eine Rolle spielten.329 Dabei ging es um die Besetzung zweier Stellen als Sozialarbeiter im Sozialdienst einer Justizvollzugsanstalt 323  ArbG Köln 05.04.2011  – 12 Ca 8659/10 juris Rn. 28; vgl. dazu auch Bissels/ Lützeler BB 2012, 701, 709, die darauf hinweisen, dass es diesem Verständnis eher entspräche, wenn alle Flugzeugführer, also auch die weiblichen, eine Mütze tragen müssten. 324  LAG Köln 29.10.2012  – 5 Sa 549/11 juris Rn. 81 ff. 325  BAG 30.09.2014 NZA 2015, 121. 326  BAG 30.09.2014 NZA 2015, 121, 123. 327  BAG 30.09.2014 NZA 2015, 121, 123. 328  BAG 30.09.2014 NZA 2015, 121, 123. 329  ArbG Hamm 06.09.1984 ZIP 1984, 1525 ff.



III. Rechtsprechung415

für männliche Strafgefangene. Die Ablehnung zweier weiblicher Bewerber und seine grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber dem Einsatz weiblicher Sozialarbeiter im Sozialdienst der Justizvollzugsanstalt begründete der Anstaltsleiter unter anderem damit, „dass sich junge Frauen in einer Anstalt mit einer derart schwierigen ‚Klientel‘ wie den einsitzenden Strafgefangenen nicht durchsetzen könnten“330. Die jungen Frauen könnten von den Gefangenen leicht überredet und hintergangen werden oder sich gar mit ihnen einlassen. Die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Frauen seien zu aufwendig. Im Ergebnis sei die Einstellung weiblicher Sozialarbeiter „wegen der besonderen Klientel in der Justizvollzugsanstalt problematisch und risikoreich“331. Das Gericht akzeptierte diese Begründung nicht, weil sie Ausdruck klassischer Vorurteile gegenüber dem „schwachen Geschlecht“ sei, die nach dem Willen des europäischen und deutschen Gesetzgebers im Berufsleben keine Rolle mehr spielen sollten.332 Dass das männliche Geschlecht keine „unverzichtbare Voraussetzung“ für eine Tätigkeit im Sozialdienst der Justizvollzugsanstalt sei, würde auch dadurch offensichtlich, dass es in anderen Strafanstalten für männliche Strafgefangene üblich sei, Frauen als Sozialarbeiterinnen zu beschäftigen.333 (5) Kulturkreisübergreifende Kundenpräferenzen Dass klassische Vorurteile bezüglich eines Geschlechts auch bei kulturkreisübergreifenden Kundenpräferenzen keine Benachteiligung zu rechtfertigen vermögen, lässt sich an einer Entscheidung des ArbG Hamburg aus dem Jahr 1985 ablesen.334 In dem zugrunde liegenden Fall ging es um eine Trainee-Stelle in einem internationalen Unternehmen, dessen Kerngeschäft in dem Handel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen bestand. Die Bewerbung einer Diplom-Kauffrau lehnte das Unternehmen in einem Antwortschreiben mit der Begründung ab, dass „der weltweite Handel mit landwirtschaftlichen Massengütern […] bis heute seine ausschließlich männliche Prägung bewahrt“335 habe. Insofern sei Frauen noch weniger als in anderen Bereichen der Wirtschaft der Einbruch in Managementpositionen gelungen. Das Unternehmen führte weiter aus, dass es insbesondere große Mengen von Getreide nach Saudi-Arabien liefere, wobei die dort herrschen330  ArbG 331  ArbG 332  ArbG 333  ArbG 334  ArbG 335  ArbG

Hamm 06.09.1984 ZIP 1984, 1525, 1526. Hamm 06.09.1984 ZIP 1984, 1525, 1526. Hamm 06.09.1984 ZIP 1984, 1525, 1527. Hamm 06.09.1984 ZIP 1984, 1525, 1528. Hamburg 07.03.1985  – 8 Ca 124/81. Hamburg 07.03.1985  – 8 Ca 124/81 juris Rn. 13.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

den religiösen und sozialen Strukturen die Geschäftsanbahnung und die Pflege bestehender Geschäftsverbindungen durch eine Frau ausschlössen.336 Damit berief sich das Unternehmen ausdrücklich auf kulturkreisübergreifende Kundenpräferenzen. Das ArbG Hamburg stellte in seiner Entscheidung schlicht das Vorliegen einer Benachteiligung fest und setzte sich daraufhin ausführlich mit den Rechtsfolgen und der Frage des Schadensersatzes auseinander.337 Auf eine mögliche Rechtfertigung im Hinblick auf § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. ging es mit keinem Wort ein. Insofern schien es davon auszugehen, dass die kulturkreisübergreifenden Kundenpräferenzen als Rechtfertigungsgrund offensichtlich nicht in Betracht kamen. Das Urteil stammt aus dem Jahr 1985 und erging somit, bevor die Bundesregierung im Jahr 1987 den Ausnahmekatalog mit aus ihrer Sicht gerechtfertigten Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen erstellte. Dieser sah unter anderem die Möglichkeit der Rechtfertigung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung für berufliche Tätigkeiten außerhalb der damaligen EG vor, bei denen auf Grund gesetzlicher Vorschriften, religiöser Überzeugungen oder kultureller Besonderheiten nur ein Geschlecht akzeptiert wird.338 Dass das Urteil zeitlich vor dieser Liste datiert, mag ein Grund dafür sein, wieso das ArbG Hamburg auf die Frage der Rechtfertigung nicht einging. Die Entscheidung des ArbG Hamburg ist Ausdruck der ablehnenden Haltung der Rechtsprechung gegenüber solchen Rechtfertigungsversuchen, die sich ihr als Ausdruck klassischer Vorurteile über Rollenbilder darstellen. Sie deutet darauf hin, dass auch dann keine andere Beurteilung angezeigt ist, wenn die Kundenpräferenzen von Geschäftspartnern mit einem anderen kulturellen Hintergrund stammen. Andererseits wird auf kulturelle Besonderheiten von der Rechtsprechung aber dann Rücksicht genommen, wenn sie zu privatsphäre- oder authentizitätsbezogenen Präferenzen führen. Dies lässt sich daran ablesen, dass bei der Bejahung einer Rechtfertigung häufig die besonderen Privatsphäre- oder Authentizitätsbedürfnisse der Frauen muslimischen Glaubens, zum Teil auch im Zusammenhang mit ihrem Migrationshintergrund, betont werden.339

336  ArbG

Hamburg 07.03.1985  – 8 Ca 124/81 juris Rn. 26. Hamburg 07.03.1985  – 8 Ca 124/81 juris Rn. 57 ff. 338  BArbBl. 11/1987, S. 40; siehe dazu bereits unter E. II. 1. e). 339  So BAG 21.02.1991 NZA 1991, 719, 723; ArbG Hamburg 10.04.2001 – 20 Ca 188/00 juris Rn. 31; ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 49 f.; BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 875 f. 337  ArbG



III. Rechtsprechung417

cc) Zusammenfassung der Beobachtungen (1) Sachverhalt Auf tatsächlicher Ebene fällt auf, dass sich die Frage der Rechtfertigung einer geschlechtsspezifischen Benachteiligung vor allem in drei Berufsfeldern stellt: erstens in dem Bereich medizinisch-pflegerischer Tätigkeiten, zweitens bei der sozialen Arbeit und drittens bei repräsentativen bzw. politischen Funktionen auf dem Gebiet der Interessenvertretung. Als Arbeitgeber ist häufig der Staat in Form von Ländern, Kommunen oder auch Stiftungen anzutreffen. Zudem stehen auf Arbeitgeberseite oft Akteure mit einer gesellschaftlichen oder politischen Agenda wie Vereine, Verbände und Parteien. Daneben finden sich auf Arbeitgeberseite Akteure aus dem Gesundheitswesen.340 „Klassische“, in erster Linie ein ökonomisches und kein gesellschaftspolitisches Interesse verfolgende Wirtschaftsunternehmen stehen – nimmt man die Akteure aus dem Gesundheitswesen aus – nur in knapp einem Fünftel, also in 19  % der Fälle (vier von 21 Fällen absolut) auf Arbeitgeberseite. Dies spiegelt sich auch in den betroffenen Kundentypen wider: Nur in vier der 21 betrachteten Fälle entspricht der Kunde, auf dessen Präferenz es ankommt, dem souveränen, selbstbestimmten Käufer-Kunden im ursprünglichen, engen Sinne des Begriffs.341 In 81 % der Fälle spielen Vorlieben solcher „Kunden“ im weiteren Sinne eine Rolle, die sich gegenüber dem Leistungserbringer in einem asymmetrischen Machtverhältnis bzw. in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden. (2) Rechtliche Würdigung In der rechtlichen Würdigung der Fälle setzen die Gerichte einen klaren Schwerpunkt auf die Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ bzw. der „unverzichtbaren Voraussetzung“. Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Rechtfertigung ist dabei ein schlüssiges, plausibles und konsistentes Konzept des Arbeitgebers, aus dem sich ein bestimmtes Stellenprofil ergibt. Die Frage, ob ein bestimmtes Geschlecht eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für eine Position ist, wird folglich konzeptbezogen beurteilt. Die Rechtsprechung ­ stellt nicht auf vollkommen verobjektivierte Berufsbilder und deren technische Anforderungen ab. Insbesondere Berufe aus dem Dienstleistungssektor 340  Diese 341  Siehe

Beobachtung macht jüngst auch Novara NZA 2015, 142, 143 f. zu der Entwicklung des Kundenbegriffs bereits ausführlich unter B. I. 1.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

erfordern nicht nur bestimmte technische und mechanische Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern leben auch von kommunikativen und sozialen Kompetenzen, sind also durch zwischenmenschliche Aspekte geprägt, die nicht losgelöst von Kundenpräferenzen existieren. Dies berücksichtigt die Rechtsprechung dadurch, dass die Anforderungen eines Berufs an dem konkreten Konzept des Arbeitgebers gemessen werden, in dessen Rahmen die Erwartungen der Kunden ein entscheidender Faktor sein können. In der Terminologie des bereits angesprochenen US-amerikanischen Rechtsphilosophen Wertheimer342 bedeutet das, dass die Gerichte nicht allein auf technische Qualifikationen („technical qualifications“) für eine Tätigkeit abstellen. Vielmehr beachten sie auch Reaktionsqualifikationen („reaction qualifications“), also solche Eigenschaften, die die Arbeitseffektivität dadurch erhöhen, dass sie bei den Kunden eine bestimmte Reaktion hervorrufen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung fällt in der Rechtsprechung demgegenüber vergleichsweise knapp aus, zum Teil wird sie ausdrücklich nur als Missbrauchskontrolle durchgeführt. Die Gerichte wägen nicht nur die Interessen von Arbeitgeber und Beschäftigten ab, sondern beziehen auch die betroffenen Interessen Dritter mit ein. Dabei fällt auf, dass die Rechtsprechung den Kundenpräferenzen dann besonders großes Gewicht beimisst, wenn es sich um besonders schutzwürdige „Kunden“ in Abhängigkeitsverhältnissen handelt. Die Gerichte sind also für unterschiedliche „Kundentypen“ sensibilisiert und ziehen daraus Konsequenzen für die Beurteilung ihrer Präferenzen. Zudem gehen die Gerichte im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zum Teil auf den herabwürdigenden Gehalt der Präferenzen selbst ein. Dies entspricht in der Sache einer Überprüfung der benachteiligenden Arbeitgebermaßnahme auf ihre Vereinbarkeit mit der Zielsetzung der europäischen und deutschen Antidiskriminierungsprogrammatik, deren Kernziel in der Verhinderung herabwürdigender Benachteiligungen besteht. (3) Tendenzen Auffällig ist, dass alle Fälle, in denen die Rechtfertigung einer geschlechtsspezifischen Benachteiligung für zulässig gehalten wurde, zugunsten von Frauen gefällt wurden. Es ging also immer um den Ausschluss eines Mannes von einer Position. In den Fällen, in denen eine Rechtfertigung abgelehnt wurde, ist das Verhältnis hingegen ausgeglichen. Jeweils die Hälfte der Entscheidungen betraf Fälle, in denen die Benachteiligung einer Frau bzw. eines Mannes im Raum stand. Dass vor allem Frauen von 342  Wertheimer Ethics 94 (1983), 99, 100; siehe dazu bereits unter D. V. 2. a) dd) (1).



III. Rechtsprechung419

der Antidiskriminierungsgesetzgebung profitieren, entspricht der Zielsetzung der europäischen und deutschen Antidiskriminierungspolitik, vor allem Diskriminierungen besonders benachteiligter Gruppen zu bekämpfen. Frauen gelten als besonders benachteiligte Gruppe. Insofern spiegelt sich in der Rechtsprechung auch die Tatsache wider, dass sich Vorurteile und klassische Rollenbilder, die durch die Antidiskriminierungsgesetzgebung bekämpft werden sollen, in erster Linie zu Lasten von Frauen auswirken, sodass Frauen in der Rechtspraxis die größeren Profiteure der Gesetzgebung sind. Tendenziell werden Rechtfertigungen geschlechtsspezifischer Benachteiligungen zudem besonders häufig anerkannt, wenn sie auf Privatsphäre- oder Authentizitätsbedürfnissen Dritter beruhen; Sicherheitsüberlegungen spielen in der Praxis für das Merkmal Geschlecht eine nachrangige Rolle.343 Auf besondere kulturelle Privatsphäre- und Authentizitätsbedürfnisse von Kunden beispielsweise muslimischen Glaubens nimmt die Rechtsprechung Rücksicht. Vermutet die Rechtsprechung hinter bestimmten Präferenzen indes Vorurteile und klischeehafte Vorstellungen über bestimmte Rollenbilder, wird eine Rechtfertigung auch dann abgelehnt, wenn diese Vorurteile durch eine kulturelle Herkunft außerhalb der EU – beispielsweise aus dem arabischen Raum – bedingt sind. b) Rasse und ethnische Herkunft Benachteiligungen wegen des Merkmals „Rasse bzw. ethnische Herkunft“ (auch) im Hinblick auf Kundenpräferenzen spielen in der Rechtsprechungspraxis hauptsächlich im Zusammenhang mit Anforderungen an Sprachkenntnisse des Beschäftigten eine Rolle. Rechtlich stellt sich die Frage, ob sich eine Sprachanforderung auf bestimmte Beschäftigte mittelbar benachteiligend auswirkt oder gar eine unmittelbare Benachteiligung auf Grund der ethnischen Herkunft ist. Diese Frage wird von den Gerichten unterschiedlich beantwortet, wobei die Sprachanforderungen überwiegend als Problem der mittelbaren Benachteiligung behandelt werden. Dies entspricht dem Umgang mit dem Problemkreis der Sprachanforderungen im US-amerikanischen Recht.344 Während dort allerdings Sprachregelungen während der Vertragsdurchführung, die sogenannten „English-Only Rules“, im Fokus stehen, hat sich die deutsche Rechtsprechung schwerpunktmäßig mit Sprachanforderungen bei der Vertragsanbahnung, also der Beherrschung bestimmter Sprach343  Sicherheitserwägungen kommt hingegen bei Benachteiligungen wegen der Merkmale Alter und Behinderung große Bedeutung zu, siehe dazu sogleich unter E. III. 2. d) und e). 344  Siehe dazu bereits ausführlich unter C. IV. 3. b).

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

kenntnisse als Einstellungsvoraussetzung, auseinanderzusetzen. Daneben spielen auch mangelhafte bzw. fehlende Sprachkenntnisse als Kündigungsgrund eine Rolle. Auf die Darstellung der Entscheidungen zu zulässigen (dazu unter aa]) und unzulässigen (dazu unter bb]) Benachteiligungen folgt eine Zusammenfassung übergreifenden Beobachtungen (dazu unter cc]). aa) Zulässige Sprachanforderungen Die Rechtsprechung hat Sprachanforderungen als Einstellungsvoraussetzung bzw. als Kündigungsgrund bereits mehrfach für zulässig gehalten.345 (1) B  AG: Werker in der Spritzgussabteilung eines Automobilzulieferers In einem Urteil aus dem Jahr 2010 befasste sich das BAG erstmals mit der Frage, inwiefern die Anforderung bestimmter Sprachkenntnisse eine Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft sein kann.346 Ein Automobilzulieferer hatte einen in der Spritzgussabteilung tätigen Beschäftigten spanischer Herkunft entlassen, weil er mangels ausreichender Deutschkenntnisse nicht in der Lage war, Arbeits- und Prüfanweisungen zu lesen und zu verstehen. Ohne Lektüre der sich stetig ändernden prozessbegleitenden Dokumente sei es, so trug der Arbeitgeber vor, für den Beschäftigten nicht möglich, seine Arbeit ausführen.347 Dies wiederum berge die Gefahr, dass das Unternehmen, das seit Jahren nach den Qualitätsnormen ISO 9001 und ISO / TS 16 949 zertifiziert war, die regelmäßig stattfindenden Rezertifizierungsaudits nicht bestehe. Die Erfüllung dieser Qualitätsstandards sei aber eine vom Kunden geforderte Vorgabe. Insofern drohe bei Nichterfüllung Auftragsverlust. Der Beschäftigte sah in seiner Entlassung wegen fehlender Beherrschung der deutschen Schriftsprache eine Benachteiligung wegen seiner ethnischen Herkunft. Das BAG stimmte ihm jedoch nicht zu. Eine unmittelbare Benachteiligung liege bereits deshalb nicht vor, weil die deutsche Schriftsprache unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Ethnie beherrscht werden könne und 345  Vgl. neben den hier dargestellten Entscheidungen außerdem ArbG Berlin 26.09.2007 – 14 Ca 10356/07 juris (Nichtberücksichtigung eines englischen Stellenbewerbers für eine Tätigkeit im Garten- und Landschaftsbau wegen mangelnder Deutschkenntnisse) sowie VG Düsseldorf 02.10.2007  – 2 K 2070/07 juris Rn. 51 ff. (Nichtzulassung einer Bewerberin polnischer Herkunft zum Auswahlverfahren für den Polizeivollzugsdienst u. a. wegen unzureichender englischer Sprachkenntnisse). 346  BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625 ff. 347  BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625.



III. Rechtsprechung421

deshalb keine direkte Anknüpfung an ein geschütztes Merkmal vorliege.348 Auch eine mittelbare Benachteiligung sei zu verneinen. Dabei ließ es ausdrücklich offen, ob „Spanier“ eine Ethnie bildeten, da jedenfalls die Voraussetzungen einer sachlichen Rechtfertigung gemäß § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG vorlägen.349 Das „rechtmäßige Ziel“ bestehe in der Erfüllung der Norm ISO / TS 16949, aus der sich die berufliche Anforderung der Kenntnis der deutschen Schriftsprache für die im Spritzguss beschäftigten Werker ergebe. Bei Nicht-Erfüllung der Norm könnten keine Aufträge mehr akquiriert werden. Auch, wenn das Gericht dies nicht ausdrücklich so formuliert, besteht das Ziel damit letztlich in der Bedienung von Kundenpräferenzen zur Sicherung des unternehmerischen Erfolges. Auch die „Erforderlichkeit“ bejahte das BAG. Im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit, der Produktqualität und -sicherheit dürfe der Arbeitgeber anstreben, nicht nur die meisten, sondern alle Fehler zu vermeiden.350 Das AGG verlange nicht, aus Gründen des Diskriminierungsschutzes Qualitätseinbußen bei den Produkten in Kauf zu nehmen. Zudem liege auch die „Angemessenheit“ vor.351 Insbesondere könne vom Arbeitgeber nicht verlangt werden, die Tätigkeit in solche Bestandteile, die mit Sprachkenntnissen und solche, die ohne Sprachkenntnisse ausgeführt würden, aufzuspalten oder gar zweisprachiges Personal für die Übersetzung der Anweisungen vorzuhalten. (2) BAG: Reinigungskraft / Kassiererin im Schwimmbad Im Jahr 2011 hatte sich das BAG erneut mit der Vereinbarkeit von Sprach­anforderungen an den Beschäftigten mit dem AGG auseinanderzusetzen.352 Konkret ging es um die Aufforderung des Arbeitgebers an eine als Reinigungskraft und Kassierin im Schwimmbad tätige Beschäftigte kroatischer Herkunft, auf eigene Kosten an einem Deutschkurs teilzunehmen. Der Arbeitgeber brachte vor, dass die Verständigungsmöglichkeit der Beschäftigten nicht nur mit Kollegen, sondern insbesondere mit Badegästen gewährleistet werden müsse.353 Aufgrund der unzureichenden Sprachkompetenz der betreffenden Beschäftigten habe es bereits Beschwerden von Mitarbeitern und Kunden gegeben.354 Die im ehemaligen Jugoslawien geborene und mit der Muttersprache Kroatisch aufgewachsene Beschäftigte 348  BAG 349  BAG 350  BAG 351  BAG 352  BAG 353  BAG 354  BAG

28.01.2010 28.01.2010 28.01.2010 28.01.2010 22.06.2011 22.06.2011 22.06.2011

NZA 2010, NZA 2010, NZA 2010, NZA 2010, NZA 2011, NZA 2011, NZA 2011,

625, 626. 625, 626. 625, 627. 625, 627. 1226 ff. 1226, 1227. 1226, 1228.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

machte eine Benachteiligung wegen der Rasse und der ethnischen Herkunft geltend. Das BAG verneinte indes einen AGG-Verstoß. Mit der gleichen Begründung wie in dem Urteil aus dem Jahr 2010 lehnte es eine unmittelbare Benachteiligung ab:355 Die Beherrschung der deutschen Sprache sei von der Rasse und der Ethnie unabhängig, auch Mitglieder fremder Ethnien könnten die deutsche Sprache fehlerfrei in Wort und Schrift beherrschen. Auch eine mittelbare Benachteiligung verneinte das Gericht.356 Ohne dazu Stellung zu nehmen, inwiefern die kroatische Herkunft der Beschäftigten das Merkmal der Ethnie erfüllte, stellte das BAG zwar fest, dass die Anforderung, die deutsche Sprache in Wort und Schrift in einem bestimmten Umfang zu beherrschen, ausländische Arbeitnehmer in besonderer Weise benachteiligen könne.357 Doch sei die Anforderung sachlich gerechtfertigt. Knapp stellt das Gericht fest, dass die Anweisung zum Besuch eines Sprachkurses einen „rechtmäßigen Zweck“ verfolge und auch „erforderlich und angemessen“ sei.358 Zur Gewährleistung der Verständigungsmöglichkeit mit Badegästen und Kollegen sei die Herstellung einer „arbeitsnotwendigen Sprachkompetenz“ durch den Besuch eines Sprachkurses erforderlich. (3) LAG Nürnberg: Softwareentwickler Das LAG Nürnberg hatte im Jahr 2011 die Stellenanzeige eines Softwareunternehmens zu beurteilen, das für die Tätigkeit eines Softwareentwicklers sehr gute Deutschkenntnisse voraussetzte.359 Eine abgelehnte russische Bewerberin sah in dieser Stellenanzeige ein Indiz für eine unzulässige Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft. Wie das BAG in den eben dargestellten Entscheidungen verneinte das LAG Nürnberg eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Ethnie.360 Auch indiziere das Kriterium „sehr gute Deutschkenntnisse“ im vorliegenden Fall keine mittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft. Zwar könne diese Anforderung für Menschen nicht deutscher Abstammung benachteiligend wirken, sodass sie grundsätzlich ein Indiz für eine mittelbare Benachteiligung sein könne.361 Doch ergäben sich aus der Stellenaus355  BAG 356  BAG 357  BAG 358  BAG 359  LAG 360  LAG 361  LAG

22.06.2011 NZA 2011, 22.06.2011 NZA 2011, 22.06.2011 NZA 2011, 22.06.2011 NZA 2011, Nürnberg 05.10.2011  – Nürnberg 05.10.2011  – Nürnberg 05.10.2011  –

1226, 1229. 1226, 1229. 1226, 1230. 1226, 1230. 2 Sa 171/11 juris. 2 Sa 171/11 juris Rn. 67. 2 Sa 171/11 juris Rn. 70.



III. Rechtsprechung423

schreibung im konkreten Fall Hinweise für eine sachliche Rechtfertigung.362 So gehe aus der Stellenanzeige hervor, dass der Arbeitgeber als Dienstleister für andere tätig werde, der Bewerber kommunikativ sein solle und bei namhaften Unternehmen eingesetzt werden solle. Dies deute eine sachliche Rechtfertigung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG für die Anforderung „sehr gutes Deutsch“ in ausreichendem Maße an. Als „rechtmäßiges Ziel“ sah das LAG Nürnberg die Sicherstellung der Kommunikationsfähigkeit des Beschäftigten an. Das Kriterium „sehr gutes Deutsch“ sei „nicht als willkürlich anzusehen, da der Bewerber in einem Fremdunternehmen in Deutschland eingesetzt werden und dabei kommunikativ mit anderen zusammen­ arbeiten“363 solle. Dabei handelt es sich letztlich, auch wenn das Gericht den Begriff nicht verwendet, um einen Kundenpräferenzfall: Es geht um die Sicherstellung der Kommunikationsfähigkeit des bei Kunden des Arbeitgebers eingesetzten Beschäftigten. Diese Kunden erwarten, dass sie mit dem bei ihnen eingesetzten Beschäftigten des Softwareunternehmens kommunizieren können. Auch war die Anforderung an die Sprachbeherrschung nach Auffassung des LAG Nürnberg zur Erreichung des rechtmäßigen Ziels „erforderlich und angemessen“. Insbesondere sei es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, die Tätigkeit im Interesse der Diskriminierungsfreiheit in einen Programmier- und einen Kommunikationsteil aufzuspalten. bb) Unzulässige Sprachanforderungen Teilweise wurden sprachliche Anforderungen in der Rechtsprechung allerdings auch für unvereinbar mit dem AGG gehalten. (1) A  rbG Berlin: Tätigkeit am Infopoint / Visitor Service bei einem Kunstverein In einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 befasste sich das ArbG Berlin mit der Nicht-Berücksichtigung einer aus der Dominikanischen Republik stammenden Bewerberin für eine Tätigkeit am Infopoint und Visitor Service bei einem Kunstverein.364 Die Stelle richtete sich nur an deutsche Muttersprachler. Das Gericht bejahte eine unmittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft: „Der gewollte Ausschluss von Personen, die keine deutschen Muttersprachler sind, stellt zwingend eine Andersbehandlung wegen der ethnischen Herkunft dieser Personen dar. Deutsche Muttersprachler kommen nur in einem kleinen Teil der die 362  LAG

Nürnberg 05.10.2011  – 2 Sa 171/11 juris Rn. 72. Nürnberg 05.10.2011  – 2 Sa 171/11 juris Rn. 72. 364  ArbG Berlin 11.02.2009 NZA-RR 2010, 16 ff. 363  LAG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Welt bevölkernden Ethnien vor, sodass das Kriterium der deutschen Muttersprache zu einem Ausschluss einer großen Zahl von Ethnien führt.“365

Die Rechtfertigungsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG lägen nicht vor.366 Dies ergebe sich aus den konkreten Arbeitsaufgaben. Zwar werde bei der Tätigkeit an der Kasse, gegenüber der Presse, im Büro, bei Besucheranfragen und in der Öffentlichkeitarbeit generell Deutsch gesprochen. Hinter dieser Erwägung verbergen sich wiederum – auch wenn das ArbG Berlin dies nicht explizit formuliert – Kundenpräferenzen für einen kommunikationsfähigen Mitarbeiter. Doch könne sich, so das ArbG Berlin weiter, jeder Mensch nicht-deutscher Muttersprache perfekte Kenntnisse in Sprache und Schrift aneignen. Wie gut jemand die deutsche Sprache beherrsche, lasse sich nicht daran festmachen, in welcher Sprache der Spracherwerb des Kindes stattgefunden habe. Daher sei das Ausschließungskriterium „deutscher Muttersprachler“ bei der Bewerberauswahl absolut ungeeignet. (2) ArbG Hamburg: Postzusteller Das ArbG Hamburg hatte im Jahr 2010 einen Fall zu beurteilen, in dem der Arbeitgeber einen Bewerber nach einem telefonischen Erstgespräch für die Tätigkeit als Postzusteller ausgeschlossen hatte.367 Die Begründung für den Ausschluss vom weiteren Bewerbungsverfahren war die in dem Telefonat zutage gekommene undeutliche Aussprache des Bewerbers. Die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift sei zwingende Voraussetzung für die Einstellung als Postzusteller.368 Ziel dieser Anforderung sei zum einen die Ermöglichung einer umfassenden und nicht durch Sprachbarrieren beeinträchtigten Aus- und Fortbildung. Zum anderen bezwecke sie die Sicherstellung einer gut funktionierenden Kundenbeziehung. So müsse ein Zusteller in der Lage sein, auf Nachfragen von Kunden zu reagieren oder selbst entsprechende Fragen zu formulieren. Der aus der Elfenbeinküste stammende Bewerber, dessen Muttersprache Französisch war, machte eine Benachteiligung wegen seiner ethnischen Herkunft geltend. Das Gericht gab ihm Recht und stellte fest, dass das Auswahlverfahren in Form des telefonischen Erstkontaktes in Verbindung mit dem Kriterium einer deutlichen und ansprechenden Aussprache mittelbar benachteiligend sei.369 Bewerber, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, seien davon erheb365  ArbG

Berlin 11.02.2009 NZA-RR 2010, 16, 17. Berlin 11.02.2009 NZA-RR 2010, 16, 17. 367  ArbG Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris. 368  ArbG Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris Rn. 24. 369  ArbG Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris Rn. 41. 366  ArbG



III. Rechtsprechung425

lich häufiger nachteilig betroffen als deutsche Muttersprachler.370 Insofern benachteilige das Kriterium einer deutlichen und ansprechenden Aussprache der deutschen Sprache Angehörige anderer Ethnien, die typischerweise nicht so gute Deutschkenntnisse wie Muttersprachler aufwiesen und die deutsche Sprache in der Regel mit Akzent sprächen. Auch lägen die Voraussetzungen einer sachlichen Rechtfertigung nicht vor.371 Zwar verlange der Arbeitgeber keine überzogenen Sprachfertigkeiten. Insbesondere könnten bei Arbeitsplätzen, die eine Kommunikation mit Kunden erforderten, hinreichende Sprachkenntnisse gefordert werden. Insofern bejahte das Gericht das Vorliegen eines „rechtmäßigen Ziels“.372 Doch gehe der Arbeitgeber im vorliegenden Fall durch das Auswahlverfahren des telefonischen Erstkontaktes in Kombination mit der Anforderung, dass sich der Bewerber ansprechend klar und deutlich in der deutschen Sprache auszudrücken vermochte, über das Erfordernis der bloßen Sprachbeherrschung hinaus.373 Dieses Kriterium sei zur Erreichung der Ziele (Teilnahme an Fortbildungen, Kommunikation mit Kunden) nicht mehr „angemessen und erforderlich“ im Sinne des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG: „Es ist nicht erforderlich, dass der Kläger als Postzusteller weitgehend akzentfrei die deutsche Sprache spricht. Erforderlich ist – lediglich – eine für die Kundenkommunikation und die Kommunikation mit dem Arbeitgeber und den Kollegen hinreichende Sprachkenntnis in Wort und Schrift.“374

Die Rechtfertigung scheiterte demzufolge an der fehlenden Verhältnismäßigkeit des Auswahlverfahrens in Verbindung mit dem Erfordernis einer deutlichen Aussprache. (3) LAG Bremen: Telefonsachbearbeiterin in einem Logistikunternehmen Im Jahr 2010 hatte das LAG Bremen zu entscheiden, ob die Probezeitkündigung einer als Telefonsachbearbeiterin in einem Logistikunternehmen angestellten Arbeitnehmerin wegen ihres russischen Akzents gegen das AGG verstieß.375 Nach den Feststellungen des Gerichts war die Kündigung deshalb erfolgt, weil der Geschäftsführer des Logistikunternehmens es für unvorteilhaft für den Geschäftsbetrieb hielt, dass die Beschäftigte mit russischem Akzent sprach.376 Das Unternehmen sei davon ausgegangen, sich die 370  ArbG

Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris Rn. 44. Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris Rn. 46. 372  ArbG Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris Rn. 48 f. 373  ArbG Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris Rn. 50. 374  ArbG Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris Rn. 50. 375  LAG Bremen 29.06.2010 NZA-RR 2010, 510 ff. 376  LAG Bremen 29.06.2010 NZA-RR 2010, 510, 512. 371  ArbG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Beschäftigung von Mitarbeitern mit Akzent nicht leisten zu können, weil – so die Worte des Geschäftsführers – die Kunden sonst denken würden, was das für ein „Scheißladen“ sei, wenn hier nur Ausländer beschäftigt würden.377 Weil damit nicht nur auf mangelhafte Deutschkenntnisse abgehoben wurde, sondern diese (vermeintlich) nicht ausreichenden Kenntnisse in Zusammenhang mit der Herkunft aus dem russischen Sprachraum gebracht wurden, sah das Gericht hierin eine Anknüpfung an die ethnische Herkunft der Klägerin. Demzufolge bejahte es eine unmittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft.378 Auf eine mögliche Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG ging es nicht ein. Anders als in den von den ArbG Berlin und Hamburg entschiedenen Fällen ging es in der Entscheidung des LAG Bremen nicht um die Sicherstellung einer Kommunikation mit den Kunden, sondern um fremdenfeindliche Kundenpräferenzen. Dies erinnert an den der EuGH-Entscheidung Feryn379 zugrunde liegenden Fall, in dem ebenfalls fremdenfeindliche Kundenpräferenzen im Raum standen, und der EuGH ebenfalls mit keiner Silbe auf eine mögliche Rechtfertigung einging. Die Entscheidung bestätigt, dass die Rechtsprechung eine Rechtfertigung durch fremdenfeindliche Kundenpräferenzen nicht für möglich hält. cc) Zusammenfassung der Beobachtungen (1) Sachverhalt Auf tatsächlicher Ebene ist festzustellen, dass Sprachanforderungen bei sehr unterschiedlichen Tätigkeiten eine Rolle spielen können, sodass sich auf Beschäftigtenseite keine besonders häufig betroffene Berufsgruppe ausmachen lässt. Auch variiert der Grad des Kundenkontaktes bei den betroffenen Tätigkeiten stark. Am einen Ende der Skala steht der Beschäftigte in der Spritzgussabteilung des Automobilzulieferers, der selbst nicht in Berührung mit den Kunden kam. Von Kundenpräferenzen war er aber mittelbar betroffen, da die Kunden von dem Automobilzulieferer die Einhaltung von Qualitätsstandards forderten, die wiederum mit bestimmten Sprachanforderungen an den Beschäftigten einhergingen. In der Mitte der Skala ist die Telefonsachbearbeiterin in dem Logistikunternehmen einzuordnen, die telefonischen Kontakt zu den Kunden hatte. Am anderen Ende der Skala steht 377  LAG

Bremen 29.06.2010 NZA-RR 2010, 510, 512 f. Bremen 29.06.2010 NZA-RR 2010, 510, 513. 379  EuGH 10.07.2008 (Feryn) NZA 2008, 929 ff. Dazu bereits ausführlich unter D. IV. 3. 378  LAG



III. Rechtsprechung427

der im Fremdunternehmen, also bei dem Kunden, eingesetzte Softwareentwickler, der Leistungen für den Kunden in dessen Haus erbringt. Auf Arbeitgeberseite stehen bei den betrachteten Fällen – anders als bei den Entscheidungen zu Benachteiligungen wegen des Geschlechts – durchweg Wirtschaftsunternehmen. Dementsprechend sind auf Kundenseite die klassischen „Käufer-Kunden“ im ursprünglichen Sinne des Wortes betroffen, die im Verhältnis zum Unternehmen nicht besonders schutzwürdig sind. Darüber hinaus illustrieren die Fälle die Bandbreite der Sprachanforderungen: Sie reicht von „ausreichenden Deutschkenntnissen“ über die „Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift“ und „sehr gute Deutschkenntnisse“ bis hin zu dem Kriterium „Muttersprachler“. (2) Rechtliche Würdigung In Bezug auf die rechtliche Würdigung fällt die Unsicherheit der Rechtsprechung im Umgang mit dem Merkmal „Rasse und ethnische Herkunft“ auf. Durchweg wird auf die Ethnie abgestellt, wobei die Gerichte eine genaue Definition des Merkmals „ethnische Herkunft“ und eine Subsumtion unter diesen Begriff vermeiden. Das BAG lässt z. B. einerseits ausdrücklich offen, ob Spanier einer anderen Ethnie als Deutsche angehören; andererseits sah es in dem Fall, in dem die betroffene Beschäftigte aus dem ehemaligen Jugoslawien stammte, das Merkmal der anderen Ethnie anscheinend als erfüllt an, stellte dabei aber auf „Ausländer“ ab. Folglich besteht auch Unsicherheit hinsichtlich der Frage, inwiefern eine Sprachanforderung in einem mittelbaren oder gar in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ethnie steht. Als unmittelbare Benachteiligungen werden Sprachanforderungen nur vereinzelt qualifiziert, beispielsweise hielt das ArbG Berlin das – im Schrifttum häufig als mittelbar benachteiligend eingeordnete380 – Kriterium „Muttersprachler“ für unmittelbar benachteiligend wegen der Ethnie.381 Überwiegend wird den sprachlichen Anforde380  So MüKo-Thüsing § 3 AGG Rn. 51; Günther ArbR 2010, 285; wohl auch Meinel/Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 14. Vgl. zudem Hinrichs/Stütze NZA-RR 2011, 113, 114 m. w. N., die eine mittelbar benachteiligende Wirkung annehmen wollen, wenn das Kriterium „Muttersprachler“ als Synonym für die perfekte Sprachbeherrschung verwendet wird. 381  So z. B. ArbG Berlin 11.02.2009 NZA-RR 2010, 16, 17; zustimmend Herbert/Oberrath NJ 2011, 8, 9. In diese Richtung auch ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 5, die Anforderungen an den Grad der Sprachbeherrschung zwar grundsätzlich als mittelbare Benachteiligung einordnet, die Rechtfertigung der „Muttersprachleranforderung“ aber nur unter den – für unmittelbare Benachteiligungen geltenden – strengen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG zulassen will.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

rungen eine mittelbar benachteiligende Wirkung beigemessen, sodass der Rechtfertigungsmaßstab des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG herangezogen wird. Dabei legen die Gerichte einen eher lockeren Prüfungsmaßstab an und prüfen die Rechtfertigungsvoraussetzungen recht knapp. Bei der Bestimmung des „rechtmäßigen Ziels“ wird dem Arbeitgeber ein weiter Ermessensspielraum zugebilligt, wobei die Gerichte im Kern eine Willkürkontrolle vornehmen. Für unzulässig werden vor allem solche Sprachanforderungen gehalten, die der Arbeitgeber im Hinblick auf fremdenfeindliche Kundenpräferenzen stellt. Legitim soll es hingegen sein, wenn der Arbeitgeber eine funktionierende Kommunikation mit den Kunden sicherstellen will. Dabei setzen sich die Gerichte regelmäßig nicht eingehender mit der Frage auseinander, inwiefern bestimmte Sprachanforderungen für eine konkrete Stelle tatsächlich erforderlich sind. Bedeutsamer scheint ihnen die Frage zu sein, ob der Arbeitgeber zur Feststellung des von ihm gewünschten Sprachniveaus auch ein erforderliches und angemessenes Mittel gewählt hat – mithin also die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Auch diesbezüglich werden aber keine überzogenen Anforderungen gestellt und es wird ein eher lockerer Prüfungsmaßstab angelegt. c) Religion und Weltanschauung Ein zentraler Problemkreis in Bezug auf Benachteiligungen wegen des Merkmals „Religion oder Weltanschauung“ aus der Rechtsprechungspraxis betrifft durch den Arbeitgeber angeordnete Kopftuchverbote.382 Kundenpräferenzen als Rechtfertigungsgrund können insofern eine Rolle spielen, als ein Kopftuchverbot im Hinblick auf die negative Religionsfreiheit Dritter, mit denen der Beschäftigte in Kontakt kommt, begründet wird (dazu unter aa]). Mit der negativen Religionsfreiheit seiner Kunden argumentierte zudem ein Arbeitgeber, der seinem Callcenter-Mitarbeiter die Verabschiedung der Kunden mit den Worten „Jesus hat Sie lieb“ untersagte (dazu unter bb]). Nach der Darstellung der Entscheidungen erfolgt eine Zusammenfassung der wesentlichen Beobachtungen (dazu unter cc]).

382  Für einen kurzen Überblick über die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zum Kopftuchtragen vgl. auch Bock NZA 2011, 1201 ff. Vgl. zu dem Recht christlicher Angestellter, bei der Arbeit ein Kruzifix zu tragen, EGMR 15.01.2013  – 48420/10, 59842/10, 51671/10 und 36516/10, 48420/10, 59842/10, 51671/10, 36516/10 juris. Danach darf eine britische Airline-Angestellte während der Arbeit sichtbar ein Kruzifix tragen, eine Krankenschwester hingegen im Hinblick auf die Gesundheit und die Sicherheit der Patienten nicht. Volltext der Entscheidung auf Englisch abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-115881 (Abruf vom 26.07.2015).



III. Rechtsprechung429

aa) Kopftuchfälle Es lassen sich drei Kategorien von Kopftuchfällen bilden, je nachdem, wer auf Arbeitgeberseite steht: Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen im Sinne des § 9 AGG [dazu unter (1)], der Staat [dazu unter (2)] oder privatwirtschaftliche Unternehmen [dazu unter (3)]. (1) Arbeitgeber im Sinne des § 9 AGG Wird ein Kopftuchverbot von einem Arbeitgeber im Sinne des § 9 AGG, insbesondere von der Kirche oder einer kirchlichen Einrichtung ausgesprochen, ist Dreh- und Angelpunkt der Rechtfertigung das Selbstverständnis bzw. Selbstbestimmungsrecht des Arbeitgebers im Sinne des § 9 AGG, das sich aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV ergibt.383 Dem Aspekt der Kundenpräferenzen kommt nur eine randständige Bedeutung zu. Diese kommt dort zum Tragen, wo im Rahmen der Ausführungen zu dem Selbstverständnis auch auf Glaubwürdigkeitsaspekte abgestellt wird. Glaubwürdigkeitsargumente sind notwendigerweise drittbezogen. Auch, wenn § 9 AGG nicht im Fokus dieser Arbeit steht, soll anhand zweier Entscheidungen veranschaulicht werden, inwiefern Glaubwürdigkeitsüberlegungen bei der Rechtfertigung für kirchliche Arbeitgeber eine Rolle spielen. (a) LAG Hamm / BAG: Krankenschwester in einem Krankenhaus in konfessioneller Trägerschaft der Evangelischen Kirche Das LAG Hamm hatte im Jahr 2012384 den Fall zu beurteilen, dass der Arbeitgeber – ein Krankenhaus in konfessioneller Trägerschaft der Evangelischen Kirche – einer Krankenschwester im Wege des Weisungsrechts untersagte, während der Arbeitszeit ein Kopftuch zu tragen. Der Schwerpunkt der rechtlichen Würdigung lag auf einer Abwägung der grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit der Beschäftigten aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG mit dem ebenfalls grundrechtlich geschützten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht des Arbeitgebers aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Diese Abwägung, die im Ergebnis zugunsten des Arbeitgebers entschieden wurde, nahm das Gericht im Rahmen der Überprüfung der Einhaltung des 383  Vgl. in diesem Zusammenhang auch Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 186, der eine „zweigeteilte Entwicklung“ des Diskriminierungsschutzes wegen der Religion oder der Weltanschauung bei säkularen und kirchlichen Arbeitgebern feststellt. 384  LAG Hamm 17.02.2012  – 18 Sa 867/11 juris.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

billigen Ermessens gemäß § 106 S. 1 GewO vor.385 Einen AGG-Verstoß lehnte es mit Hinweis auf die Vorschrift des § 9 Abs. 2 AGG ab, wonach das Benachteiligungsverbot wegen der Religion und der Weltanschauung nicht das Recht der Religionsgemeinschaften berührt, von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.386 Nichts anderes werde von der Krankenschwester verlangt. Im Zusammenhang mit dem kirchlichen Selbstverständnis stellte das Gericht auf einen Glaubwürdigkeitsaspekt ab: Durch das Tragen des Kopftuchs trete die Krankenschwester sichtbar für ein anderes religiöses Bekenntnis, nämlich den Islam, ein.387 Dadurch werde die Erfüllung des kirchlichen Auftrages für das Krankenhaus erschwert. Schließlich stehe die Krankenschwester „während ihrer Arbeit in Kontakt mit Patienten, Besuchern und anderen Mitarbeitern, die die Glaubensäußerung der Klägerin wahrnehmen werden. Dadurch könnte die Glaubwürdigkeit der Kirche […] Schaden nehmen. Es könnte der Eindruck entstehen, die Kirche nehme ihre Glaubensgrundsätze und ihren Verkündungsauftrag nicht mehr ernst, sondern erachte Glaubensäußerungen in beliebiger Weise für akzeptabel und austauschbar“388. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wäre im Kernbereich beeinträchtigt, wenn man dem Arbeitgeber auf diese Weise Beliebigkeit und religiösen Pluralismus aufzwänge.389 Auf die Revision der Klägerin hob das BAG im Jahr 2014 die Entscheidung des LAG Hamm auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.390 Letzteres habe nicht geprüft, ob das Krankenhaus der Evangelischen Kirche institutionell zugeordnet sei.391 Eine solche Zuordnung sei Voraussetzung für die Berufung des Arbeitgebers auf Art. 140 GG, Art. 137 WRV. Könne sich der Arbeitgeber jedoch auf Art. 140 GG, Art. 137 WRV berufen, sei im vorliegenden Fall den Interessen des Arbeitgebers gegenüber denen der Beschäftigten Vorrang einzuräumen. Damit bestätigte das BAG letztlich die Einschätzung des LAG Hamm. Wie das LAG argumentierte auch das BAG mit Authentizitätsaspekten: Es „fiele besonders ins Gewicht, dass die Klägerin in ihrer Funktion als Krankenschwester in direktem und ständigem Kontakt zu den in der Einrichtung der Beklagten behandelten Patienten und zu anderen Arbeitnehmern steht. Die Glaubensbekundung der Klägerin für den Islam 385  LAG 386  LAG 387  LAG 388  LAG 389  LAG

390  BAG 391  BAG

Hamm 17.02.2012  – 18 Sa 867/11 juris Hamm 17.02.2012  – 18 Sa 867/11 juris Hamm 17.02.2012  – 18 Sa 867/11 juris Hamm 17.02.2012  – 18 Sa 867/11 juris Hamm 17.02.2012  – 18 Sa 867/11 juris 24.09.2014 NZA 2014, 1407, 1409. 24.09.2014 NZA 2014, 1407, 1411.

Rn. 56 ff. Rn. 78. Rn. 69. Rn. 69. Rn. 74.



III. Rechtsprechung431

würde von diesen unmittelbar als solche wahrgenommen.“392 Das BAG bestätigte die Auffassung des LAG Hamm, dass der Verkündungsauftrag und die Glaubwürdigkeit der Kirche hierdurch ernsthaft gefährdet werden könnten und somit das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Kernbereich beeinträchtigt werden könnte.393 (b) A  rbG Köln: Krankenschwester in einem Krankenhaus der Caritas Zu einem anderen Abwägungsergebnis war das ArbG Köln in einer Entscheidung 2008 in einem ähnlichen Fall gekommen, in dem es die verhaltensbedingte Kündigung einer in einem Krankenhaus der Caritas beschäftigten Krankenschwester zu beurteilen hatte.394 Nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit erschien die Beschäftigte mit Kopftuch zum Dienst und erklärte, auch in Zukunft nicht auf das Tragen des Kopftuchs während der Arbeit verzichten zu wollen, da sie mittlerweile eine strenggläubige Muslimin geworden sei. Daraufhin wurde sie entlassen. Der Arbeitgeber sah durch das Tragen eines islamischen Kopftuches in einer christlichen Einrichtung, in welcher Patienten christlichen Glaubens behandelt würden, die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Einrichtung gefährdet.395 Das ArbG Köln hielt die Kündigung ohne vorherige Abmahnung indes für unwirksam.396 Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV überwiege die Grundrechte der Beschäftigten aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht. So sei die Arbeitnehmerin auch mit Kopftuch weiterhin in der Lage, ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung als Krankenschwester zu erbringen, die Versorgung der Patienten werde nicht behindert oder erschwert.397 Insbesondere werde der Tendenzbereich des kirchlichen Trägers nicht gefährdet. Als Krankenschwester sei die betreffende Beschäftigte nicht Tendenzträgerin, also Funktionsinhaberin, die in verantwortlicher Stellung einen maßgeblichen Einfluss auf die Tendenzverwirklichung und seine Repräsentanz habe.398 „Im Gegensatz zu den Reinigungskräften steht eine muslimische Krankenschwester zwar mehr in Kontakt mit den Patienten und fällt in der betrieblichen Öffentlichkeit auf. Tangierende Auswirkungen auf Patienten, oder gar nachhaltige Stö392  BAG

24.09.2014 NZA 2014, 1407, 1413. 24.09.2014 NZA 2014, 1407, 1413. 394  ArbG Köln 06.03.2008  – 19 Ca 7222/07 juris. 395  ArbG Köln 06.03.2008  – 19 Ca 7222/07 juris Rn. 12. 396  ArbG Köln 06.03.2008  – 19 Ca 7222/07 juris Rn. 16 f. 397  ArbG Köln 06.03.2008  – 19 Ca 7222/07 juris Rn. 21. 398  ArbG Köln 06.03.2008  – 19 Ca 7222/07 juris Rn. 21. 393  BAG

432

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

rungen sind nicht erkennbar, zumal die Patienten auch eines kirchlichen Krankenhauses nicht nur einer bestimmten Konfession angehören.“399

Auf das AGG ging das Gericht mit zwei Sätzen ein:400 So könne sich der Arbeitgeber nicht auf die Ausnahmebestimmungen von §§ 8, 9 AGG berufen. Das Kopftuchverbot sei insoweit auch eine mittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG wegen der Religion. Die Feststellung des ArbG Köln, dass eine mittelbare Benachteiligung vorliege und der Arbeitgeber sich nicht auf die Ausnahmebestimmungen der §§ 8, 9 AGG berufen könne, offenbart einmal mehr die Unsicherheiten der Rechtsprechung im Umgang mit dem AGG. Die Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung ist nicht an den strengen Voraussetzungen der §§ 8, 9 AGG zu messen, sondern bereits unter den erleichterten Anforderungen des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG möglich. Dies scheint das Gericht zu übersehen. (2) Arbeitgeber Staat In der Praxis die größte Rolle spielen Kopftuchverbote in schulischen oder anderen pädagogischen Einrichtungen, bei denen der Staat auf Arbeitgeberseite steht. In diesen Fällen werden Kopftuchverbote in der Regel auf der Grundlage landesgesetzlicher staatlicher Neutralitätsgebote erlassen. So sehen beispielsweise der § 38 Abs. 2 S. 1 BadWürttSchulG und der § 57 Abs. 4 S. 1 SchulG NRW vor, dass Lehrer in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben dürfen, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. In der rechtlichen Würdigung dieser Fälle steht – neben der Vereinbarkeit dieser landesgesetzlichen Normen mit höherrangigem Recht – die grundrechtliche Abwägung der betroffenen Interessen im Mittelpunkt. Dabei spielen Kundenpräferenzen in Form der negativen Religionsfreiheit der Schüler eine Rolle. Das BVerfG hat in seinem Grundsatz-Urteil aus dem Jahr 2003 festgestellt: „Das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen positiver Glaubensfreiheit eines Lehrers einerseits und der staatlichen Pflicht zu weltanschaulich-religiöser 399  ArbG Köln 06.03.2008  – 19 Ca 7222/07 juris Rn. 21. Vgl. aber auch BAG 25.04.2013 NZA 2013, 1131 ff. In dieser Entscheidung bejahte das BAG die Rechtfertigung der Kündigung eines – verkündungsnah tätigen – Sozialpädagogen in einer von der Caritas getragenen Kinderbetreuungsstätte, weil er aus der Kirche ausgetreten war. Die Benachteiligungsrechtfertigung verneinend hingegen wiederum ArbG Aachen 13.12.2012  – 2 Ca 4226/11 juris im Falle der Ablehnung der Bewerbung eines konfessionslosen Krankenpflegers durch ein Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft. 400  ArbG Köln 06.03.2008  – 19 Ca 7222/07 juris Rn. 21.



III. Rechtsprechung433 Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen Glaubensfreiheit der Schüler andererseits unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt dem demokratischen Landesgesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat.“401

Entsprechende landesgesetzliche Bestimmungen und auf ihrer Basis erlassene Kopftuchverbote in Schulen und Kindergärten wurden in der verwaltungs- und arbeitsgerichtlichen Praxis immer wieder für wirksam gehalten. Sind ein landesgesetzliches religiöses Bekundungsverbot und ein auf seiner Grundlage erlassenes Kopftuchverbot verfassungsgemäß und sind insbesondere die Grundrechte zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht, bejaht die Rechtsprechung regelmäßig auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG. Mit neuem Urteil aus dem Jahr 2015 hat das BVerfG festgestellt, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen verfassungswidrig sei: „Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen (hier nach § 57 IV NRWSchulG) durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ist unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlich verankerten Positionen – der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags – erfordert eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss.“402

In dieser verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung sei § 57 Abs. 4 SchulG NRW, soweit er religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften betreffe, insbesondere mit den einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.403 Vor dieser Entscheidung hielten die Gerichte auch pauschale Kopftuchverbote relativ weitgehend für zulässig. (a) Verwaltungsgerichte Das BVerwG akzeptierte Kopftuchverbote für Lehrer, nicht hingegen für Referendare. 401  BVerfG

24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3113. 27.01.2015 NJW 2015, 1359. 403  BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1367. 402  BVerfG

434

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(aa) Lehrer Im Jahr 2004 entschied das BVerwG in Bezug auf das baden-württembergische Schulgesetz, dass die Einstellung als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen im Beamtenverhältnis abgelehnt werden dürfe, wenn die Bewerberin nicht bereit ist, im Unterricht auf das Tragen eines islamischen Kopftuchs zu verzichten.404 Im Jahr 2008 bestätigte das BVerwG diese Rechtsprechung. Es konstatierte, dass das Tragen von Kleidungsstücken durch Lehrer eine in öffentlichen Schulen im Sinne des § 38 Abs. 2 S. 1 BadWürttSchulG unzulässige äußere Bekundung sei, „wenn das Kleidungsstück erkennbar aus dem Rahmen der in der Schule üblichen Bekleidung fällt und der Lehrer Schülern und Eltern die religiöse oder weltanschauliche Motivation für das Tragen des Kleidungsstücks darlegt“405. In Anbetracht der möglicherweise gegenläufigen Grundrechtspositionen von Eltern und Schülern stehe dem Landesgesetzgeber ein weitreichendes Gestaltungsermessen zur Wahrung der staatlichen Neutralitätspflicht zu.406 Es verstoße nicht gegen das Prinzip praktischer Konkordanz bzw. das Gebot des verhältnismäßigen Ausgleichs der einander widerstreitenden Grundrechtspositionen, die Grundrechtsposition der auf Seiten des Staates tätigen Lehrer zu Gunsten der Freiheitsrechte der Eltern und Schüler sowie zur Sicherung der Neutralität und des Schulfriedens zurücktreten zu lassen.407 Einen möglichen Verstoß des § 38 Abs. 2 S. 1 BadWürttSchulG gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot und die Umsetzungsregelungen gemäß §§ 1, 7 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AGG prüfte das Gericht nicht ausführlich, sondern verneinte ihn nur knapp.408 (bb) Referendare Anders entschied das BVerwG im Jahr 2008 in Bezug auf eine entsprechende Bestimmung des Bremer Schulgesetzes für Referendare, für die nicht nur das Grundrecht der Glaubensfreiheit, sondern auch das der Berufswahlfreiheit ins Gewicht falle.409 Es bestünden erhebliche Unterschiede zwischen dauerhaft tätigen Lehrkräften und Referendaren. Letztere seien 404  BVerwG

24.06.2004 NJW 2004, 3581 ff. 16.12.2008 NJW 2009, 1289. 406  BVerwG 24.06.2004 NJW 2004, 3581, 3583; BVerwG 16.12.2008 NJW 2009, 1289, 1290. 407  Vgl. BVerwG 16.12.2008 NJW 2009, 1289, 1290; BVerwG 24.06.2004 NJW 2004, 3581, 3583. 408  BVerwG 16.12.2008 NJW 2009, 1289, 1291; vgl. ähnlich knapp VG Düsseldorf 14.08.2007  – 2 K 1752/07 juris Rn. 76. 409  BVerwG 26.06.2008 NJW 2008, 3654 ff. 405  BVerwG



III. Rechtsprechung435

nur vorübergehend im öffentlichen Schulwesen tätig, bei ihnen stehe nicht der pädagogische Auftrag, sondern ihre Ausbildung im Mittelpunkt.410 Zur Verwirklichung ihres Berufswunsches seien sie zwangsläufig an die staatliche Ausbildung gebunden, und zwar auch dann, wenn sie mit bestimmten Grundlagen des öffentlichen Schulwesens nicht einverstanden seien. Im Hinblick auf die Berufswahlfreiheit sei es unverhältnismäßig, Referendaren in religiös-weltanschaulicher Hinsicht die gleichen Verhaltenspflichten aufzuerlegen wie dauerhaft tätigen Lehrkräften.411 In Bezug auf die „Kunden“, also die Schüler und deren negative Religionsfreiheit, führte das Gericht aus, dass einer Gefährdung des Schulfriedens dadurch begegnet werden könne, dass gegenüber Schülern und Eltern auf die Rechtsstellung als Referendarin (Auszubildende) hingewiesen würde.412 Darüber hinaus könnten Konflikte durch die Auswahl einer bestimmten Schule und dadurch vermieden werden, dass die betreffende Referendarin Schülern und Eltern besonders vorgestellt und sie beim Unterrichten mehr als üblich begleitet oder beaufsichtigt werde. Im Übrigen könne der Reifegrad der betroffenen Schüler eine Rolle spielen, es komme darauf an, in welchen Fächern und Jahrgangsstufen der Unterricht erteilt werden solle.413 (b) Arbeitsgerichte Die Arbeitsgerichte, zuvorderst das BAG, erachteten Kopftuchverbote vor der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2015 sowohl für Lehrerinnen bzw. Sozialpädagoginnen als auch für Erzieherinnen als wirksam. (aa) Lehrer / Sozialpädagogen Im Jahr 2009 konstatierte das BAG, dass § 57 Abs. 4 SchulG NRW mit höherrangigem Recht vereinbar sei414 und das Verbot religiöser Bekundungen in der Schule auch das Tragen einer Haaransatz und Ohren vollständig bedeckenden Mütze durch eine Sozialpädagogin muslimischen Glaubens 410  BVerwG

26.06.2008 NJW 2008, 3654, 3655 f. 26.06.2008 NJW 2008, 3654, 3656. 412  BVerwG 26.06.2008 NJW 2008, 3654, 3656. 413  Das BVerwG erläuterte nicht näher, inwiefern die betroffene Jahrgangsstufe und insbesondere das unterrichtete Fach eine Rolle spielen können. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall begehrte die Klägerin Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt für die Sekundarstufe II in den Fächern Deutsch und Religionskunde. Ihr Zulassungsantrag war abgelehnt worden, weil sie sich geweigert hatte, schriftlich zu erklären, das Fach Biblische Geschichte ohne Kopftuch zu unterrichten, BVerwG 26.06.2008 NJW 2008, 3654. 414  So auch bereits ArbG Wuppertal 29.07.2008  – 4 Ca 1077/08 juris. 411  BVerwG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

erfasse.415 Damit folgte es für das Schulgesetz Nordrhein‑Westfalens der durch das BVerwG zu den ähnlichen Regelungen der Schulgesetze von Baden‑Württemberg und Bremen vertretenen Auffassung, wonach das landesrechtliche Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen wirksam sei.416 Einen Schwerpunkt setzte das Gericht auf der Prüfung der Vereinbarkeit des § 57 Abs. 4 SchulG NRW und des auf seiner Grundlage ausgesprochenen Kopftuchverbots mit dem Grundgesetz. Im Einklang mit den Entscheidungen des BVerwG kam das BAG zu dem Ergebnis, dass es keine unverhältnismäßige Einschränkung der Glaubens- und Berufsausübungsfreiheit eines pädagogischen Mitarbeiters sei, diese hinter der staatlichen Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern und der negative Glaubensfreiheit der Schüler zurücktreten zu lassen, um die Neutralität der Schule und den Schulfrieden zu sichern.417 Vor diesem Hintergrund bejahte das BAG auch ohne eingehendere Begründung einen Anwendungsfall des § 8 Abs. 1 AGG.418 Eine gerade im Hinblick auf die Kundenpräferenzfrage relevante Bestätigung und Konkretisierung dieser Rechtsprechung nahm das BAG in einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2009 vor.419 Es stellte fest, dass einer Lehrerin das Tragen eines Kopftuchs während des Unterrichts auch dann verboten werden könne, wenn sie muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache erteile und die Teilnehmer dieses freiwilligen Zusatzangebots der Schulen ausschließlich muslimische Schüler seien. So gewinne „die religiöse Neutralität gerade dort Bedeutung, wo ihre Verletzung als religiöse Parteinahme gewertet werden kann. Das ist bei einem von den Anhängern eines Glaubens nicht einhellig befolgten religiös bestimmten Brauch wie dem Tragen eines Kopftuchs in besonderem Maße der Fall, weil der Eindruck entstehen kann, durch die Duldung des Brauchs werde er gewissermaßen offiziell als verbindlich und sogar vorbildlich an­ er­ kannt“420. In Bezug auf das AGG bejahte das BAG wiederum die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG.421 Wegen der Bedingungen der Ausübung ihrer Tätigkeit sei es eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“, das Kopftuchtragen zu unterlassen. Der „rechtmäßige Zweck“ des § 57 Abs. 4 SchulG NRW bestehe darin, die Neutralität des Landes und den religiösen Schulfrieden zu garantieren. Zudem sei die gesetzliche 415  BAG

416  Stein 417  BAG 418  BAG 419  BAG 420  BAG 421  BAG

20.08.2009 NZA 2010, 227 ff. Anm. zu BAG AP Nr. 6 zu Art. 4 GG. 20.08.2009 NZA 2010, 227, 229. 20.08.2009 NZA 2010, 227, 230. 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383 ff. 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 385. 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 386.



III. Rechtsprechung437

Anforderung, religiöse Bekundungen in der Schule zu unterlassen, auch „angemessen“: „Sie untersagt eine äußere Kundgabe der eigenen religiösen Überzeugung lediglich während des Aufenthalts im Bereich der Schule und besteht ausschließlich um der – negativen – Religionsfreiheit Anderer willen.“422

Außerdem sei eine landesgesetzliche Bestimmung, die sich als verfassungsgemäßer Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen erweist, zugleich angemessen im Sinne der bundesgesetzlichen Regelung des § 8 Abs. 1 AGG. Diese beiden Entscheidungen des BAG griffen die betroffenen Beschäftigten erfolgreich mit Verfassungsbeschwerden an. Das BVerfG stellte mit besagtem Urteil aus dem Jahr 2015 fest, dass die BAG-Urteile den Erfordernissen der gebotenen verfassungskonformen einschränkenden Auslegung nicht gerecht würden; sie hätten eine solche nicht für erforderlich gehalten.423 Das BAG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Bekundungsverbot des § 57 Abs. 4 S. 1 SchulG NRW bereits bei einer abstrakten Gefahr greife. Dieses Verständnis des § 57 Abs. 4 S. 1 SchulG NRW trage der Glaubensfreiheit der Beschäftigten nicht hinreichend Rechnung. Umstände, die eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter der Norm verdeutlichen könnten, ließen weder die Feststellungen der Arbeitsgerichte in den Tatsacheninstanzen noch die rechtliche Würdigung durch das BAG erkennen. (bb) Erzieher Noch vor der neuen Entscheidung des BVerfG hatte das BAG klargestellt, dass die von der – nunmehr obsoleten – Rechtsprechung zu Schulgesetzen entwickelten Grundsätze auch für Erzieher einer Kindertagesstätte in öffentlicher Trägerschaft gälten.424 Das religiöse Bekundungsverbot nach § 7 Abs. 6 S. 1 KiTaG BW und ein auf seiner Grundlage ausgesprochenes Kopftuchverbot verstießen nicht gegen höherrangiges Recht wie insbesondere das GG und das AGG. Im Hinblick auf die betroffenen „Kunden“ der Kindertagesstätte, also die Kinder und deren Eltern, wies das BAG darauf hin, dass Kinder im Kindergartenalter regelmäßig noch stärker beeinflussbar seien als Schüler.425 Eine Erzieherin nehme ebenso wie ein Lehrer als Bezugs- und Autoritätsperson – insbesondere bei einer Ganztagsbetreuung – 422  BAG

10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 386. 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1365. Siehe für eine ausführlichere Darstellung von und Auseinandersetzung mit den Argumenten des BVerfG später unter E. IV. 3. c) cc). 424  BAG 12.08.2010 NZA-RR 2011, 162 ff. 425  BAG 12.08.2010 NZA-RR 2011, 162, 164. 423  BVerfG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

eine starke Mittelpunktfunktion ein. Als erste Bezugsperson außerhalb des Elternhauses wirke die Erzieherin für das spätere Sozialverhalten in hohem Maße prägend. Es bestehe eine berechtigte Sorge der Eltern verschiedener Glaubensrichtungen oder Atheisten vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihres Kindes. Vor diesem Hintergrund müsse der Landesgesetzgeber die positive Glaubensfreiheit, die Berufsausübungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Erzieherin mit der Pflicht des öffentlichen Trägers einer kinderbetreuenden Einrichtung zur weltanschaulichen Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern und der negativen Glaubensfreiheit der Kinder und Eltern in Einklang bringen.426 Dabei sei es verfassungsmäßig nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber den Konflikt der widerstreitenden Grundrechte dahingehend auflöse und Gefährdungen des KiTaFriedens dadurch vorbeuge, dass er Erziehungskräften bereits das Tragen religiös bedeutsamer Kleidungsstücke oder Symbole verbiete. In Bezug auf das AGG sah das BAG wiederum – wie bereits bei dem Kopftuchverbot in öffentlichen Schulen und mit der gleichen Begründung – einen Anwendungsfall des § 8 Abs. 1 AGG als gegeben.427 Angesichts der neuen Rechtsprechung des BVerfG zu Kopftuchverboten an öffentlichen Schulen ist fraglich, inwieweit die Übertragung der früheren diesbezüglichen Rechtsprechung des BAG auf Kopftuchverbote in Kindergärten in öffentlicher Trägerschaft Bestand hat. (3) Arbeitgeber privatwirtschaftlicher Betriebe Von Wirtschaftsbetrieben bzw. -unternehmen auf Arbeitgeberseite ausgesprochene Kopftuchverbote hatte die Rechtsprechung sowohl vor als auch nach Inkrafttreten des AGG zu beurteilen. In seiner „Kopftuchentscheidung“ aus dem Jahr 2002 [dazu unter (a)] vor Inkrafttreten des AGG löste das BAG die diskriminierungsrechtliche Problematik über die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte im Rahmen der arbeitsrechtlichen Generalklauseln.428 Es legte also, wie in den Fällen, in denen auf Arbeitgeberseite die Kirche oder der Staat steht, den Fokus auf die Abwägung der Grundrechte. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 nach dem Inkrafttreten des AGG lag der Schwerpunkt auf der Prüfung der AGG-rechtlichen Vorschriften [dazu unter (b)].429 Ein Wirtschaftsbetrieb kann sich zur Rechtfertigung eines Kopftuch426  BAG

12.08.2010 NZA-RR 2011, 162, 164 f. 12.08.2010 NZA-RR 2011, 162, 166. 428  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483 ff. Siehe dazu auch bereits unter B. III. 2. a) ee) (2) (a). Das BAG-Urteil wurde vom BVerfG durch Beschluss bestätigt, BVerfG 30.07.2003 NJW 2003, 2815 f. Vgl. dazu auch Thüsing/Wege ZEuP 2004, 399, 409. 429  ArbG Berlin 28.03.2012  – 55 Ca 2426/12 juris. 427  BAG



III. Rechtsprechung439

verbots nicht in gleicher Weise wie der Staat auf die negative Religionsfreiheit Dritter berufen. In der Privatwirtschaft gilt das gesetzlich verankerte staatliche Neutralitätsgebot nicht, sodass sich die Rechtsprechung zu Kopftuchverboten in staatlichen Schulen und Kindergärten nicht ohne Weiteres auf die Privatwirtschaft übertragen lässt.430 (a) BAG: Verkäuferin in einem Kaufhaus In seiner berühmten „Kopftuchentscheidung“ aus dem Jahr 2002 entschied das BAG, dass das Tragen eines islamischen Kopftuchs allein regelmäßig noch nicht die ordentliche Kündigung einer Verkäuferin in einem Kaufhaus aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen rechtfertige. Der Arbeitgeber, Inhaber eines Kaufhauses in einer hessischen Kleinstadt, brachte unter anderem vor, dass es nicht dem Stil des Hauses entspreche, Verkaufspersonal mit Kopfbedeckung zu beschäftigen und dies auch dem Großteil der Kunden nicht zuzumuten sei.431 Man wolle den Kunden einen noblen und exklusiven Eindruck vermitteln. Die Weigerung der in der Parfümerieabteilung des Kaufhauses als Verkäuferin beschäftigten Arbeitnehmerin, sich weiterhin in das vorgegebene einheitliche Erscheinungsbild des Verkaufspersonals einzufügen, führe zu einer Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Folglich stellte sich die Frage, inwiefern diese Berufung auf Kundenpräferenzen die Benachteiligung der Arbeitnehmerin wegen ihrer Religion rechtfertigen konnte. Das Vorliegen eines personenbedingten Kündigungsgrundes verneinte das BAG unter Hinweis darauf, dass die Arbeitnehmerin – „anders etwa als eine Lehrerin an einer Grund- oder Hauptschule im Beamtenverhältnis auf Grund der Besonderheiten des öffentlichen Dienstrechts“432 – auch mit Kopftuch weiterhin in der Lage sei, ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung als Verkäuferin zu erbringen. So werde „weder ein von der Klägerin zu führendes Verkaufsgespräch unmöglich gemacht noch ein von ihr betreuter Verkaufsvorgang so behindert, dass nicht mehr von einer branchenüblichen Tätigkeit einer Verkäuferin einerseits oder – ohne weitere detaillierte Darlegungen durch die Beklagte – von einer wirtschaftlich wertlosen Arbeitsleistung der Klägerin oder einer den Arbeitgeber sogar schädigenden Tätigkeit andererseits“433 gesprochen werden könne. In der Sache prüfte das BAG hier die – nunmehr auch im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG maßgeblichen – „beruflichen Anforderungen“. Mangels besonderen Konzepts des 430  Bissels/Lützeler

BB 2012, 833, 836. 10.10.2002 NZA 2003, 483. 432  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483, 485. 433  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483, 485. 431  BAG

440

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Arbeitgebers stellte das BAG auf eine „branchenübliche Tätigkeit einer Verkäuferin“ als Maßstab ab. Auch einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund verneinte das BAG.434 Zwar könne der Arbeitgeber grundsätzlich von seiner Arbeitnehmerin mit Kundenkontakt erwarten, sich dem Charakter des Handelsgeschäfts und dessen Kundenstamm entsprechend branchenüblich zu kleiden. Durch sein Weisungsrecht könne er insbesondere den „Stil des Hauses“ vorgeben. Bei der Ausübung seines Weisungsrechts müsse er sich jedoch in den Grenzen billigen Ermessens gemäß § 315 Abs. 3 BGB halten. Insofern sei die Glaubensfreiheit der Arbeitnehmerin gegen die Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers abzuwägen.435 Nach Auffassung des BAG setzte sich im konkreten Fall die Glaubensfreiheit gegen die Unternehmerfreiheit durch. Dies begründete es mit der mangelnden Substantiierung der auf Seiten des Arbeitgebers befürchteten Nachteile. So könne auf Grund des nicht hinreichend konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers nicht festgestellt werden, in welcher Intensität seine Unternehmerfreiheit betroffen sei.436. Bloße Vermutungen und Befürchtungen ersetzten kein notwendiges, konkretes und der Darlegungslast entsprechendes Sachvorbringen. Grundrechte könnten nicht auf einen bloßen Verdacht hin beiseite gestellt werden. Deshalb sei es dem Arbeitgeber zuzumuten, die Kopftuch tragende Arbeitnehmerin als Verkäuferin weiterhin einzusetzen und abzuwarten, ob sich seine Befürchtungen in nennenswertem Maße realisierten. In diesem Fall sei nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob der Störung nicht auf andere Weise zu begegnen sei.437 Im Schrifttum wird z. B. auf die Möglichkeit des Einsatzes der Arbeitnehmerin auf einer Position ohne Publikumsverkehr hingewiesen.438 Das BAG hält die Beschneidung der Glaubensfreiheit durch rein wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers im Grundsatz für möglich, macht sie aber von einer konkreten Darlegung seiner betrieblichen Einbußen und Störungen abhängig.439

434  BAG

10.10.2002 NZA 2003, 483, 485 ff. 10.10.2002 NZA 2003, 483, 486. 436  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483, 486. 437  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483, 486 f. 438  Vgl. zu dem Hinweis auf diese Möglichkeit Hoevels NZA 2003, 701, 702 sowie Rohe GS Blomeyer (2004), 217, 225. 439  Vgl. dazu auch Preis/Greiner RdA 2003, 244, 246. Nach Däubler/BertzbachBrors § 8 AGG Rn. 45 könne sich der Arbeitgeber hingegen gemäß § 8 Abs. 1 AGG zur Rechtfertigung einer Benachteiligung nicht auf Umsatzrückgänge wegen Kundenerwartungen berufen, da es im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG ausschließlich auf berufliche Fähigkeiten und Kenntnisse ankomme. 435  BAG



III. Rechtsprechung441

(b) ArbG Berlin: Zahnarzthelferin in einer Zahnarztpraxis Das ArbG Berlin bejahte in einem Urteil aus dem Jahr 2012 einen AGGVerstoß durch den Inhaber einer Zahnarztpraxis, der eine Bewerberin muslimischen Glaubens für eine Auszubildendenstelle als Zahnarzthelferin ablehnte, weil sie nicht bereit war, ihr Kopftuch während der Arbeit in der Praxis abzulegen.440 Der Arbeitgeber trug vor, dass in der Praxis eine einheitliche Kleidung bestehend aus weißen Hosen, Hemden, T-Shirts oder Blusen getragen werde und es sich um eine Kleiderordnung handele, die in Zahnarztpraxen üblich sei.441 Die Praxis werde so geführt, dass niemand dort politische oder religiöse Symbole tragen dürfe. Zwar berief sich der Arbeitgeber zur Rechtfertigung nicht ausdrücklich auf Kundenpräferenzen. Doch spiegeln sich in dem Verweis auf die in Zahnarztpraxen „übliche Kleidung“ auch die Erwartungen der Patienten an ein professionelles, ­hygienisches Auftreten wider. Das Gericht bejahte eine Benachteiligung wegen der Religion.442 Diese sei nicht nach den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.443 Es bestehe keine objektive Notwendigkeit, die Stelle mit einer Person zu besetzen, die nicht der islamischen Glaubensgemeinschaft angehöre. Auch sei es aus zahnmedizinischen Gründen nicht notwendig, während der Tätigkeit in der Praxis kein Kopftuch zu tragen. So sei das Kopftuch nicht in stärkerem Maße Träger von Gesundheitsgefahren wie Erregern oder Schmutz als das menschliche Haupthaar. Es ließe sich problemlos mit Haube und Mundschutz und auch mit einer einheitlichen Kleidung bestehend aus weißen Hosen, Hemden, T-Shirts oder Blusen kombinieren. Im Zusammenhang mit der Ablehnung einer Verletzung der Unternehmerfreiheit aus Art. 12 GG nahm das Gericht zudem zu der Zielsetzung des AGG Stellung, wonach das AGG „der Versuch eines gesellschaftlichen Erziehungsprogramms (auch wenn der rot-grüne Gesetzgeber niemals die Traute besaß, dies offen auszusprechen und zum Ausdruck des ureigenen Reformwillens zu machen)“444, sei. Das Gericht scheint insofern die Auffassung zu vertreten, dass die Antidiskriminierungsprogrammatik eine starke moralpädagogische Ausrichtung aufweist. Dies entspricht jedoch nicht der tatsächlichen gesetzgeberischen Zielsetzung, die zentral den Integritätsschutz und nicht die „Erziehung“ der Gesellschaft bezweckt. Zudem wurde das AGG – anders als das ArbG Berlin anzunehmen scheint – nicht von einer 440  ArbG

Berlin Berlin 442  ArbG Berlin 443  ArbG Berlin 444  ArbG Berlin 441  ArbG

28.03.2012  – 28.03.2012  – 28.03.2012  – 28.03.2012  – 28.03.2012  –

55 55 55 55 55

Ca Ca Ca Ca Ca

2426/12 2426/12 2426/12 2426/12 2426/12

juris. juris Rn. 4, 21. juris Rn. 37. juris Rn. 38. juris Rn. 42.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

rot-grünen, sondern von einer schwarz-roten Koalition verabschiedet. Sowohl das AGG als auch der Vorgänger-ADG-E der rot-grünen Koalition sind, wie Gesetzesbegründung und Plenardebatten zeigen, nicht in erster Linie moralpädagogisch, sondern integritätsschützend motiviert.445 Das ArbG Berlin scheint die Ablehnung einer Kopftuch tragenden Frau freilich als Ausdruck einer fremdenfeindlichen Haltung anzusehen.446 Auf Grundlage dieser Annahme wäre die Ablehnung einer Rechtfertigung auch aus Integritätsschutzgesichtspunkten gefordert.447 bb) „Jesus-hat-Sie-lieb“-Fall In einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 hatte sich das LAG Hamm mit der Frage auseinanderzusetzen, ob einem Mitarbeiter eines Call-Centers fristlos gekündigt werden konnte, weil er sich trotz entgegenstehender Anweisung am Ende eines jeden Telefonats mit dem Zusatz „Jesus hat sie lieb“ verabschiedete.448 Sein Verhalten begründete er mit seinem christlich geprägten Glauben. Trotz der im Raum stehenden Benachteiligung wegen der Religion sprach das LAG Hamm einen möglichen AGG-Verstoß nicht an. Vielmehr löste es den Fall, wie das BAG in seiner „Kopftuchentschei­ dung“,449 über eine Abwägung der Glaubensfreiheit des Arbeitgebers mit der Unternehmerfreiheit. Diese Abwägung nahm es im Rahmen der Prüfung vor, ob die Weisung des Arbeitgebers, bei der Verabschiedung von Kunden auf religiöse Zusätze zu verzichten, gegen billiges Ermessen verstieß.450 Nach Auffassung des LAG Hamm konnte der Beschäftigte nicht plausibel darlegen, dass er in eine ernste Gewissensnot geraten würde, wenn er bei der Verabschiedung von Kunden davon absähe, auf den von ihm gewählten 445  Siehe

dazu bereits unter E. II. 2. c). Berlin 28.03.2012  – 55 Ca 2426/12 juris Rn. 42: „Im Kern soll also einem menschlichen Grundübel entgegengewirkt werden, der Xenophobie. Diese gibt es durchaus auch im progressiven Gewande. Die Frau mit Kopftuch gilt als unemanzipiert und rückständig. Dabei ist sie in Wahrheit nicht verkehrt, sondern nur anders. Und Mensch, unter dem Schutz der Gesetze.“ 447  Speziell in Bezug auf den konkreten Fall ist die Annahme indes fragwürdig. Anders als z. B. in der EuGH-Entscheidung Feryn (siehe dazu bereits unter D. IV. 3.) enthält das Vorbringen des Zahnarztes keinerlei Hinweise auf eine pauschale, in Vorurteilen wurzelnde Ablehnung Kopftuch tragender Frauen. Vielmehr deutet der Vortrag, dass die Kleiderordnung das Tragen aller politischen und religiösen Symbole verbot, darauf hin, dass es sachliche Gründe für die Kleiderordnung gab, die nicht in einer Herabwürdigung speziell der islamischen Religion wurzelten. 448  LAG Hamm 20.04.2011 NZA-RR 2011, 640 ff. 449  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483 ff. Siehe dazu soeben unter E. III. 2. c) aa) (3) (a). 450  LAG Hamm 20.04.2011 NZA-RR 2011, 640, 642 f. 446  ArbG



III. Rechtsprechung443

religiösen Zusatz zu verzichten. Schließlich schließe der Beschäftigte auch außerhalb des Arbeitsverhältnisses nicht alle Telefonate mit einer religiösen Grußformel ab, sondern verabschiede sich in der allgemein üblichen Art und Weise ohne religiösen Gruß.451 Insofern sei es ihm zuzumuten, der Weisung des Arbeitgebers Folge zu leisten. Dieser könne bei der Ausübung des Weisungsrechts seinerseits die durch Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Unternehmerfreiheit für sich in Anspruch nehmen. So dürfe der Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern „allein auf Grund der allgemeinen Überlegung, dass Kunden, die telefonisch eine Bestellung aufgeben wollen, in aller Regel nicht daran interessiert sind, mit den Telefonagenten private Belange gleich welcher Art auszutauschen, verbindliche Regeln für den Inhalt der Kundentelefonate vorgeben“452. Diesbezüglich genüge eine bloße Annahme seitens des Arbeitgebers. Er müsse weder glaubhaft machen, dass tatsächlich ein Teil der Kunden es ablehnt, mit persönlichen Überzeugungen der Telefonagenten konfrontiert zu werden, noch müsse er nachweisen, dass sich tatsächlich nachteilige Folgen wegen des Arbeitnehmerverhaltens realisiert hätten. Der vorliegende Fall unterscheide sich insofern von der Kopftuchentscheidung des BAG, als die dort betroffene Arbeitnehmerin ihr Verhalten in nachvollziehbarer Weise mit für sie bindenden Glaubensvorschriften zu erklären vermochte. Dass die Kundenpräferenzen im „Jesus hat Sie lieb“-Fall nicht konkret darzulegen waren, lag also daran, dass der Beschäftigte seinerseits bereits keinen Eingriff in die Glaubensfreiheit darzulegen vermochte. Dies entspricht letztlich der Verneinung einer Benachteiligung wegen der Religion im Sinne des AGG, sodass es auf die Frage der Rechtfertigung nicht mehr ankommt. cc) Zusammenfassung der Beobachtungen (1) Sachverhalt Benachteiligungen wegen des Merkmals Religion bzw. Weltanschauung und ihre mögliche Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen werden praktisch vor allem im Zusammenhang mit Kopftuchverboten relevant. Kopftuchverbote werden von Arbeitgebern aus den verschiedensten Bereichen erlassen. In der Rechtsprechungspraxis spielen sie am häufigsten in Schulen bzw. Kindergärten in öffentlicher Trägerschaft eine Rolle, wenn also der Staat auf Arbeitgeberseite steht. Die „Kunden“, um deren „Präferenzen“ es in diesem Fall geht (Kindergartenkinder, Schüler und deren El451  LAG 452  LAG

Hamm 20.04.2011 NZA-RR 2011, 640, 643. Hamm 20.04.2011 NZA-RR 2011, 640, 643.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

tern) befinden sich in einem Abhängigkeits- bzw. sogar Zwangsverhältnis (Schulpflicht) zu dem Staat. Der betroffene Kundentypus ist mithin nicht der freie, souveräne, machtvolle und selbstbestimmte „Käufer-Kunde“ und ist besonders schutzwürdig. (2) Rechtliche Würdigung Vor Inkrafttreten des AGG wurde der Konflikt zwischen den verschiedenen aufeinander treffenden Interessen über eine Abwägung der Grundrechte im Rahmen der Auslegung von Generalklauseln gelöst. Sofern auf Arbeitgeberseite eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft bzw. eine ihr zugeordnete Einrichtung im Sinne des § 9 AGG oder der Staat steht, steht die grundrechtliche Abwägung und nicht die Prüfung der Voraussetzungen AGG-rechtlicher Vorschriften auch nach Inkrafttreten des AGG weiterhin im Mittelpunkt der rechtlichen Würdigung. Das liegt speziell in den Fällen, in denen der Staat als Arbeitgeber auftritt, daran, dass das Kopftuchverbot seine Grundlage in einer landesgesetzlich erlassenen Norm, dem religiösem Bekundungsverbot, findet. Diese Norm wird ihrerseits auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, vor allem mit der Verfassung, überprüft. Dies erklärt den Fokus auf der grundrechtlichen Abwägung. Doch wie die Entscheidung des LAG Hamm im „Jesus-hat-Sie-lieb“-Fall zeigt, wird der Schwerpunkt zum Teil selbst dann auf die Abwägung der Grundrechte (im Rahmen der arbeitsrechtlichen Generalklauseln) und nicht auf die Prüfung AGG-rechtlicher Vorschriften gelegt, wenn auf Arbeitgeberseite ein Wirtschaftsunternehmen steht. Bei der Beurteilung von Kopftuchverboten kirchlicher Arbeitgeber wägt die Rechtsprechung das kirchliche Selbstbestimmungsrecht mit der Glaubensfreiheit der Beschäftigten ab. Auf Seiten des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts berücksichtigen die Gerichte das Interesse der kirchlichen Arbeitgeber, ihren „Kunden“ gegenüber glaubwürdig aufzutreten. Ob dieses Arbeitgeberinteresse die Glaubensfreiheit der Beschäftigten überwiegen kann, wurde in der Rechtsprechung indes auch in sehr ähnlichen Fällen unterschiedlich beurteilt. Die Entscheidung des ArbG Köln deutet darauf hin, dass das Arbeitgeberinteresse jedenfalls dann überwiegt, wenn der von dem Kopftuchverbot betroffene Beschäftigte ein Tendenzträger ist. Steht der Staat auf Arbeitgeberseite, bejahte die Rechtsprechung bislang eine Rechtfertigung auch und gerade im Hinblick auf die Interessen Dritter, namentlich die negative Religionsfreiheit von Schülern und Eltern sowie das elterliche Erziehungsrecht. Eine solche Rechtfertigung bleibt auch nach der neuen Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2015 grundsätzlich möglich, setzt allerdings die konkrete Gefährdung des Schulfriedens voraus.



III. Rechtsprechung445

Was die drei bekannten Fallgruppen zulässiger Rechtfertigungen „Privatsphäre, Authentizität oder Sicherheit“ anbelangt, ließen sich die Fälle wohl am ehesten der Gruppe der Sicherheit zuordnen, da die Rechtsprechung – insbesondere das BVerfG in seiner neuen Entscheidung – die Konfliktvermeidung und die Gewährleistung des Schulfriedens betont. Die vor der BVerfG-Entscheidung ergangenen Urteile des BAG und BVerwG betonen als Ratio hinter der Anerkennung einer Rechtfertigung stärker den Schutz der negativen Religionsfreiheit Dritter, der sich als vierte, im deutschen Recht gefundene Fallgruppe jedenfalls vor der neuen Entscheidung des BVerfG zulässiger Rechtfertigungen fassen lässt. Dabei berücksichtigten die Fachgerichte auch die besondere Kundenrolle schulpflichtiger Kinder und ihrer Eltern, die sich gegenüber dem Staat als Arbeitgeber in einem Abhängigkeits- bzw. Zwangsverhältnis befinden und deren Interessen daher besonders schutzwürdig sind. Kopftuchverboten in Wirtschaftsbetrieben bzw. -unternehmen steht die Rechtsprechung tendenziell ablehnend gegenüber. Ein Wirtschaftsbetrieb kann sich zur Rechtfertigung eines Kopftuchverbots nicht in gleicher Weise wie es z. B. dem Staat grundsätzlich möglich ist auch auf die negative Religionsfreiheit Dritter berufen. In der Privatwirtschaft gilt das gesetzlich verankerte staatliche Neutralitätsgebot nicht. Nichtsdestotrotz lässt sich aus der Kopftuchentscheidung des BAG ablesen, dass die Beschneidung der Glaubensfreiheit durch rein wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers im Grundsatz möglich sein kann. d) Alter Im Zusammenhang mit dem geschützten Merkmal Alter hat sich die Rechtsprechung immer wieder mit der Zulässigkeit von Altersgrenzen auseinanderzusetzen. Diese sind häufig gesetzlich oder tariflich geregelt. Kundenpräferenzen sind bei der Rechtfertigung der Altersgrenzen vor allem insofern von Belang, als die Altersgrenzen im Hinblick auf die Gewährleistung der (gesundheitlichen) Sicherheit Dritter erlassen werden.453 Mit Lieske ist davon auszugehen, dass die Nachfrageseite ein Angebot, das Schwächen im Sicherheitsbereich aufweist, nicht in Anspruch nehmen wird.454 Im Zusammenhang mit Regelungen des Staates (als Arbeitgeber), die der Sicherheit Dritter dienen, ist im Sinne der Argumentation Cantors davon auszugehen, dass die Gesellschaft (als Kunden) eine Präferenz für die 453  Vgl. dazu auch Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 191. 454  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 290.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Schaffung von Sicherheit durch den Staat aufweist.455 Wird dieses Bedürfnis nicht erfüllt, drohen von den „Kunden“ politische Sanktionen (z. B. die Wahl einer anderen Regierung). Folglich lassen sich auch die Fälle gesetzlicher Altersgrenzen im Sinne der Sicherheit Dritter als „Kundenpräferenzfälle“ im weitesten Sinne qualifizieren. Da Altersgrenzen eine unmittelbare Benachteiligung sind, ist der zentrale Rechtfertigungsmaßstab § 10 AGG. Daneben gehen die Gerichte auch auf § 8 Abs. 1 AGG und zum Teil sogar auf Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL ein. Auf die Darstellung der Entscheidungen zu zulässigen (dazu unter aa]) und unzulässigen (dazu unter bb]) Altersgrenzen folgt eine Zusammenfassung übergreifender Beobachtungen (dazu unter cc]). aa) Zulässige Rechtfertigungen Verschiedentlich haben die Gerichte eine Rechtfertigung von Altersgrenzen unter Berufung auf Sicherheitsinteressen Dritter anerkannt.456 (1) BSG: Altersgrenze für Vertragsärzte In einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 hielt das BSG die Altersgrenze für Vertragsärzte von 68 Jahren nach dem mittlerweile aufgehobenen § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V und seine Geltung auch für Pathologen für gerechtfertigt.457 Der klagende Pathologe machte unter anderem geltend, dass die Altersgrenze jedenfalls im Bereich der Pathologie nicht mit den altersbedingt nachlassenden Fähigkeiten der Ärzte – und damit letztlich mit dem Gesundheitsschutz und der Sicherheit der Patienten – gerechtfertigt werden könne.458 Schließlich sei das Fachgebiet von zahlreichen Besonderheiten wie z. B. dem Fehlen unmittelbarer Patientenkontakte geprägt. Aus diesem und weiteren Gründen hielt er die Altersgrenze für Vertragsärzte und insbesondere ihre Geltung für Pathologen für verfassungs- und EU-rechtswidrig. Das BSG folgte seiner Argumentation nicht. Die Benachteiligung wegen des Alters sei gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 und 2 BeschäftiggsRL i. V. m. § 10 Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 504 f. zur Wirksamkeit einer tariflichen Altersgrenze von 65 Jahren für Stationierungsstreitkräfte (ohne Berufung auf Sicherheitsinteressen Dritter) auch BAG 21.09.2011 NZA 2012, 271 ff. Vgl. zur Vereinbarkeit einer Altersgrenze von 67 Jahren bei Schornsteinfegern mit höherrangigem Recht VG Neustadt (Weinstraße) 08.01.2015 – 4 K 561/14.NW juris. 457  BSG 09.04.2008  – B 6 KA 44/07 R juris. 458  BSG 09.04.2008  – B 6 KA 44/07 R juris Rn. 5. 455  Vgl. 456  Vgl.



III. Rechtsprechung447

S. 1 und 2 AGG gerechtfertigt.459 Die Altersgrenze verfolge mehrere legitime Ziele:460 In erster Linie diene sie einem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut, nämlich dem Schutz der Gesundheit der Versicherten, indem sie Gefährdungen begegne, die von älteren, nicht mehr voll leistungsfähigen Ärzten für ihre Patienten ausgehen könnten. Nach der Aufzählung weiterer Ziele befand das Gericht, dass dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Zielverfolgung ein gewisses Maß an Gestaltungsfreiheit, die die Befugnis zur Generalisierung, Pauschalierung, Schematisierung und Typisierung einschließt, zukomme.461 Es liege im Rahmen dieser Gestaltungsfreiheit, eine einheitlich übergreifende Regelung für alle Planungsbereiche und für alle Arztgruppen zu erlassen. Den Unterschieden zwischen den einzelnen Arztgruppen Rechnung zu tragen, würde unzählige Differenzierungen erfordern. Hierauf dürfe der Gesetzgeber bei der Festlegung einer Altersgrenze jedenfalls dann verzichten, wenn er diese – gemessen an sonst bestehenden Altersgrenzen – recht hoch, bei dem 68. Lebensjahr, ansetze. Insofern könne die Altersgrenze auch in Bezug auf die Gruppe der Pathologen mit dem Ziel des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden. Darüber hinaus bejahte das Gericht auch die Verhältnismäßigkeit der Altersgrenze für Vertragsärzte.462 Aus den gleichen Gründen lehnte das BSG auch einen Verfassungsverstoß des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V a. F. ab.463 Auch der EuGH hat in der Rechtssache Petersen die Rechtfertigung der Altersgrenze von 68 Jahren durchaus für möglich erachtet, deren Vereinbarkeit mit EU-Recht jedoch von dem konkret mit der Grenze verfolgten Ziel und der Art und Weise der Zielverfolgung abhängig gemacht. Eine Rechtfertigung im Hinblick auf das Ziel des Gesundheitsschutzes verneinte er, da die Regelung des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V a. F. dieses Ziel nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolge: Die Altersgrenze war nur für Vertragszahnärzte, nicht aber für andere Zahnärzte vorgesehen.464 Inzwischen hat der Gesetzgeber die Altersgrenzenregelung § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V aufgehoben.465

459  BSG

09.04.2008  – B 6 KA 44/07 R juris Rn. 22. 09.04.2008  – B 6 KA 44/07 R juris Rn. 23. 461  BSG 09.04.2008  – B 6 KA 44/07 R juris Rn. 15, 23. 462  BSG 09.04.2008  – B 6 KA 44/07 R juris Rn. 24. 463  BSG 09.04.2008  – B 6 KA 44/07 R juris Rn. 12 ff. 464  EuGH 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, 137, 140; siehe dazu bereits unter D. IV. 2. a). 465  Vgl. dazu Becker/Kingreen-Joussen § 95 SGB V Rn. 28. 460  BSG

448

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(2) OVG Bremen: Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige Das OVG Bremen hielt in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 die in § 24e Abs. 6 S. 2 LuftVZO geregelte Altersgrenze für die Anerkennung flugmedizinischer Sachverständiger von 68 Jahren für mit höherrangigem Recht vereinbar.466 (a) AGG-rechtlicher Prüfungsmaßstab Eine mögliche Rechtfertigung der Benachteiligung wegen des Alters prüfte es am AGG-rechtlichen Maßstab des § 8 Abs. 1 AGG, durch den die einschlägige Richtlinienbestimmung des Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL umgesetzt wird.467 Dabei zitierte es zunächst die EuGH-Entscheidung Petersen und wies darauf hin, dass der EuGH die Rechtfertigung nicht anhand des Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL, sondern anhand des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL prüfe, wenn die Altersgrenze für die Gewährleistung der öffent­ lichen Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Da das AGG aber keine dem Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL vergleichbare Einschränkung des Benachteiligungsverbotes enthalte, gelte der Prüfungsmaßstab des § 8 Abs. 1 AGG.468 § 10 AGG war nach Auffassung des Gerichts nicht einschlägig, weil legitime Ziele im Sinne dieser Norm nur sozialpolitische Ziele sein könnten.469 Die Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige erfülle diese Voraussetzung nicht, da sie allein der Sicherheit des Luftverkehrs diene. (b) Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG bejahte das Gericht unter Verweis auf seine Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenze.470 Im Rahmen der Verfassungsmäßigkeitsprüfung maß das OVG Bremen die Altersgrenze an Art. 12 Abs. 1 GG und an Art. 3 Abs. 1 GG. (aa) Art. 12 Abs. 1 GG Die Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit durch die Altersgrenze für die Tätigkeit als flugmedizinischer Sachverständiger wiege nicht so schwer 466  OVG

Bremen Bremen 468  OVG Bremen 469  OVG Bremen 470  OVG Bremen 467  OVG

14.09.2010  – 14.09.2010  – 14.09.2010  – 14.09.2010  – 14.09.2010  –

1 1 1 1 1

A A A A A

265/09 265/09 265/09 265/09 265/09

juris. juris Rn. 44. juris Rn. 45. juris Rn. 47. juris Rn. 45.



III. Rechtsprechung449

wie beispielsweise der Ausschluss von der vertragsärztlichen Versorgung bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze.471 Die Tätigkeit als flugmedizinischer Sachverständiger bilde regelmäßig – auch wirtschaftlich – nur einen untergeordneten Teilaspekt der ärztlichen Tätigkeit. Die Altersgrenze sei geeignet und erforderlich, die Sicherheit des Luftverkehrs, ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, zu schützen.472 Durch die flugmedizinischen Sachverständigen übertragenen Tauglichkeitsuntersuchungen werde sichergestellt, dass nur solche Personen ein Luftfahrzeug führten, die über die dazu erforderlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten verfügten. Andernfalls würden diese Personen selbst, die ihnen anvertrauten Passagiere sowie unbeteiligte Dritte in großer Zahl gefährdet. Deshalb rechtfertige die Sicherheit des Luftverkehrs „hohe Anforderungen an den Standard der Untersuchungen und die Leistungsfähigkeit der Personen, denen diese Untersuchungen übertragen sind“473. Darüber hinaus prüfte und bejahte das Gericht die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne der Maßnahme.474 Letztere sei vor allem deshalb gewahrt, weil den Ärzten auch ohne die Betätigung als flugmedizinische Sachverständige nach Vollendung des 68. Lebensjahres noch ein ausreichendes Betätigungsfeld verbleibe. (bb) Art. 3 Abs. 1 GG Im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG wies das Gericht darauf hin, dass eine unzulässige Ungleichbehandlung insbesondere nicht mit dem Argument begründet werden könne, dass der Gesetzgeber die Altersgrenze für die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung beseitigt habe und gleichzeitig an der Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige festhalte. Die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Gruppen sei durch das unterschiedliche Ausmaß des Gefährdungspotenzials gerechtfertigt: „Gefahren, die von altersbedingten Mängeln einer Tauglichkeitsuntersuchung von Luftfahrern ausgehen, wiegen ungleich schwerer als Gefahren, die durch die mangelhafte Untersuchung und Behandlung eines Versicherten entstehen. Sie betreffen nämlich nicht nur den einzelnen Patienten, der sich aufgrund seiner eigenen Entscheidung in die Obhut eines älteren Arztes begeben hat, sondern die Sicherheit des Luftverkehrs allgemein.“475 471  OVG

Bremen Bremen 473  OVG Bremen 474  OVG Bremen 475  OVG Bremen 472  OVG

14.09.2010  – 14.09.2010  – 14.09.2010  – 14.09.2010  – 14.09.2010  –

1 1 1 1 1

A A A A A

265/09 265/09 265/09 265/09 265/09

juris juris juris juris juris

Rn. 26. Rn. 27. Rn. 28. Rn. 30 ff. Rn. 40.

450

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Auf Grund dessen könne die Verhältnismäßigkeit der Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige auch in Bezug auf § 8 Abs. 1 AGG nicht unter Verweis auf die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Petersen verneint werden.476 Die Situation der Vertragsärzte sei nicht mit der flugmedizinischer sachverständiger vergleichbar. (3) VG München: Altersgrenze für Prüfingenieure Das VG München bejahte in einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 die Vereinbarkeit der in einer Verordnung des Landes Bayern enthaltenen Altersgrenze gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 PrüfVBau mit höherrangigem Recht.477 Nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 PrüfVBau erlischt die staatliche Anerkennung als Prüfingenieur mit Vollendung des 68. Lebensjahres. Hinsichtlich eines möglichen AGG-Verstoßes der Altersgrenze stellte das VG München fest, dass viel dafür spräche, dass die Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig sei.478 Jedenfalls lägen aber die Voraussetzungen nach § 10 AGG vor. Dabei verweist es auf seine Ausführungen zur Rechtfertigung im Rahmen der Verfassungsmäßigkeitsprüfung. Wie bereits das OVG Bremen in seiner Entscheidung zur Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige maß auch das VG München die Altersgrenze für Prüfingenieure an Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG. In Bezug auf die Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG konstatierte das VG München zunächst, dass mit der Altersgrenze für Prüfingenieure ein legitimes Ziel verfolgt werde.479 Dieses Ziel bestehe in der Sicherung der Sicherheit von Bauten, der am Bau Beteiligten, der Gebäudenutzer sowie der Allgemeinheit. Zur Erreichung dieses Ziels sei die Regelung auch geeignet, erforderlich und angemessen. Im Rahmen der Erforderlichkeit ging das Gericht auf die individuelle Untersuchung jedes einzelnen Prüfingenieurs ab einem bestimmten Alter als mögliches milderes Mittel ein.480 Diese Option lehnte das Gericht jedoch als nicht gleich geeignet ab. Schließlich käme sie stets zu spät, weil nur festgestellt werden könne, was bereits pathologisch nachweisbar sei. Die Gefahr, dass sich eine vorhandene Erkrankung womöglich vor ihrer Feststellung bereits auf die Arbeit ausgewirkt haben könnte, sei angesichts des hochrangigen Ziels der Altersgrenze nicht hinnehmbar. Insofern unterstrich das Gericht das große Gewicht des verfolgten Ziels – die Gewährleistung der Sicherheit „am Bau“, von Bauten 476  OVG

Bremen München 478  VG München 479  VG München 480  VG München 477  VG

14.09.2010  – 1 A 265/09 juris 26.07.2011 – M 16 K 11.1633 26.07.2011 – M 16 K 11.1633 26.07.2011 – M 16 K 11.1633 26.07.2011 – M 16 K 11.1633

Rn. 46. juris. juris Rn. 45. juris Rn. 34. juris Rn. 38.



III. Rechtsprechung451

und von deren Benutzern und mithin der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter wie Leben und Gesundheit.481 Auf der anderen Seite stünden die Interessen der Prüfingenieure, die aber nicht so schwer wögen. Die tendenziell nicht so schwerwiegenden Auswirkungen der Altersgrenze für Prüfingenieure würden beispielsweise im Vergleich mit der mittlerweile aufgehobenen Altersgrenze für Vertragsärzte deutlich: „Während ein Vertragsarzt für sein wirtschaftliches Auskommen im Allgemeinen ganz überwiegend auf die Einkünfte aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung angewiesen ist, können Prüfingenieure auch nach dem 68. Lebensjahr weiterhin in vielfältiger Weise, insbesondere als Berater, Gutachter oder Sachverständiger (so auch der Kläger) tätig bleiben, […].“482

Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 AGG verneint das Gericht bereits mangels Ungleichbehandlung – insbesondere sei offenkundig, dass Prüfingenieure keine spezifischen Gemeinsamkeiten mit den Vertragsärzten teilten.483 Selbst wenn man aber eine Ungleichbehandlung bejahte, wäre diese aus den gleichen Erwägungen wie ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt.484 (4) O  VG Berlin-Brandenburg: Altershöchstgrenze für Einsatzbeamte des SEK Die AGG-rechtliche Zulässigkeit einer in der Verwaltungspraxis angewandten Altershöchstgrenze von 42 Jahren für den Dienstposten eines Polizeivollzugsbeamten als Einsatzbeamter eines Spezialeinsatzkommandos hatte das OVG Berlin-Brandenburg in einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 zu beurteilen.485 Es hielt die Altershöchstgrenze für rechtmäßig und verneinte einen Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters. Zwar führte die Altershöchstgrenze zu einer unmittelbaren Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG, doch sei sie sowohl nach § 8 Abs. 1 AGG als auch nach § 10 S. 1 AGG zulässig.486 (a) Rechtfertigung gemäß § 8 Abs. 1 AGG Zunächst ging das Gericht auf die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG ein. Der „rechtmäßige Zweck“ der Altersgrenze liege in der dauerhaften 481  VG

München 26.07.2011 – M 16 K 11.1633 juris Rn. 40. München 26.07.2011 – M 16 K 11.1633 juris Rn. 41. 483  VG München 26.07.2011 – M 16 K 11.1633 juris Rn. 43. 484  VG München 26.07.2011 – M 16 K 11.1633 juris Rn. 44. 485  OVG Berlin-Brandenburg 18.08.2011 – OVG 4 B 20.10 juris. 486  OVG Berlin-Brandenburg 18.08.2011 – OVG 4 B 20.10 juris Rn. 25 f. 482  VG

452

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Gewährleistung der Einsatzbereitschaft und dem ordnungsgemäßen Funk­ tionieren des SEK, mithin im Schutz der öffentlichen Sicherheit.487 Sodann widmete es sich ausführlich der „wesentlichen und entscheidenden beruf­ lichen Anforderung“. Diese sei in der besonders ausgeprägten körperlichen Eignung zu sehen.488 Nachdem das Gericht die verschiedenen Bereiche beschreibt, in denen besondere Anforderungen an die SEK-Beamten gestellt werden, konstatierte es, dass sie in jeder Hinsicht ein Stück leistungsfähiger sein müssten als die Personen, mit denen sie im Einsatz konfrontiert würden. In einem nächsten Schritt stellte das Gericht fest, dass das Erfordernis der körperlichen Eignung mit dem Alter in Zusammenhang stehe.489 Umfassend ging das Gericht darauf ein, dass der Zusammenhang zwischen höherem Alter und abnehmender Leistungsfähigkeit hinreichend dargelegt und medizinisch untermauert worden sei und stellte dabei vor allem auf den hohen Beweiswert der gutachterlichen Ausführungen des Leiters des polizeiärztlichen Dienstes ab.490 Daraufhin bejahte es auch die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit, wobei es eine ausführliche Verhältnismäßigkeitsprüfung im klassischen Sinne mit den Anforderungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit vornahm.491 Insbesondere setzte es sich auch mit der Konsistenz der Regelung auseinander.492 (b) Rechtfertigung gemäß § 10 AGG Daraufhin bejahte das Gericht auch eine Rechtfertigung nach § 10 AGG.493 Dabei ließ es ausdrücklich offen, ob legitime Ziele im Sinne dieser Vorschrift nur sozialpolitische Ziele sein können. Schließlich diene die Altershöchstgrenze auch dazu, „eine ausgewogene Altersstruktur von jüngeren und älteren Beamten zu schaffen, u. a. um die Personalplanung zu optimieren, die Planbarkeit des Ausscheidens zu erreichen und Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen, die im Zusammenhang mit der Versetzung in den Ruhestand entstehen können, und all dies unter gleichzeitiger Bereitstellung einer leistungsfähigen Justizverwaltung“494. Dabei handele es sich jedenfalls um eine sozialpolitische Zielsetzung, sodass das Gericht im Rahmen des § 10 AGG nicht mehr auf das Ziel der Schaffung von Sicherheit abstellen musste. 487  OVG 488  OVG 489  OVG 490  OVG 491  OVG 492  OVG 493  OVG 494  OVG

Berlin-Brandenburg Berlin-Brandenburg Berlin-Brandenburg Berlin-Brandenburg Berlin-Brandenburg Berlin-Brandenburg Berlin-Brandenburg Berlin-Brandenburg

18.08.2011 – 18.08.2011 – 18.08.2011 – 18.08.2011 – 18.08.2011 – 18.08.2011 – 18.08.2011 – 18.08.2011 –

OVG OVG OVG OVG OVG OVG OVG OVG

4 4 4 4 4 4 4 4

B B B B B B B B

20.10 20.10 20.10 20.10 20.10 20.10 20.10 20.10

juris juris juris juris juris juris juris juris

Rn. 28. Rn. 29. Rn. 30. Rn. 31 f. Rn. 33 ff. Rn. 37. Rn. 39. Rn. 40.



III. Rechtsprechung453

Auch in Bezug auf die sozialpolitische Zielsetzung der Regelung bejahte das Gericht die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit.495 bb) Unzulässige Rechtfertigungen In einer Reihe von Fällen, die überwiegend Berufe in der Luftfahrt betrafen, haben die Gerichte eine Rechtfertigung von Altersgrenzen im Hinblick auf Sicherheitsinteressen Dritter abgelehnt. (1) BAG: Altersgrenze für Flugbegleiter In einem Urteil aus dem Jahr 2010 setzte sich das BAG mit einer tariflichen Altersgrenze von 60 Jahren für Flugbegleiter auseinander und hielt sie mangels eines sie rechtfertigenden sachlichen Grundes für unwirksam.496 Im Rahmen der Befristungskotrolle verneinte es zwar das Vorliegen eines sachlichen Grundes im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG, ging aber nicht auf einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters und eine mögliche Rechtfertigung nach dem AGG ein. Das Gericht räumte zunächst ein, dass nach der – zu dem Zeitpunkt des Urteils noch gültigen, mittlerweile aber revidierten – Rechtsprechung des BAG eine tarifliche Altersgrenze von 60 Jahren für das Cockpit-Personal einerseits der Befristungskontrolle standhielte und darüber hinaus mit Art. 12 Abs. 1 GG und insbesondere auch Art. 6 BeschäftiggsRL vereinbar sei.497 Der Rechtfertigungsgrund war dabei in der Vermeidung des altersbedingten Sicherheitsrisikos gesehen worden, das Versagen eines Piloten könne Leben und Gesundheit der Passagiere, des Flugpersonals und der Menschen in den überflogenen Gebieten in höchste Gefahr bringen. Anderes gelte jedoch in Bezug auf das Kabinenpersonal: „Der altersbedingte Leistungsabbau oder das mit zunehmendem Alter erhöhte Risiko plötzlicher, unvorhersehbarer gesundheitlicher Ausfallerscheinungen können bei einem Mitglied des Kabinenpersonals nicht zu einer annähernd vergleichbaren Gefährdung für die Sicherheit des Flugverkehrs führen wie bei einem Mitglied des Cockpit-Personals. Fälle, in denen der altersbedingte Ausfall eines Flugbegleiters andere Menschen in ernste Gefahr bringen könnte, sind derart theoretisch und unwahrscheinlich, dass sie nicht geeignet sind, eine generelle Altersgrenze von 60 Jahren zu rechtfertigen.“498 495  OVG

Berlin-Brandenburg 18.08.2011 – OVG 4 B 20.10 juris Rn. 41 ff. 23.06.2010 NZA 2010, 1248 ff. 497  So früher BAG 21.07.2004  – 7 AZR 589/03 juris; siehe aber nunmehr BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575 ff. sowie BAG 18.01.2012 NZA 2012, 691 ff., dazu sogleich unter E. III. 2. d) bb) (4). 498  BAG 23.06.2010 NZA 2010, 1248, 1249 f. 496  BAG

454

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Auf das AGG ging das BAG in diesem Zusammenhang nur insofern ein, als es feststellte, dass die Normierung einer Altersgrenze von 60 Jahren für das Kabinenpersonal nicht aus Gründen der Gleichbehandlung mit dem Cockpit-Personal geboten sei.499 Mangels Vergleichbarkeit dieser Personengruppen bewirke sie insbesondere keine unzulässige geschlechtsspezifische Diskriminierung im Sinne der §§ 7, 1 AGG des überwiegend männlichen Cockpit-Personals gegenüber dem überwiegend weiblichen Kabinenper­ sonal. Die Frage der Rechtfertigung nach § 10 AGG sprach das BAG nicht an. Im Schrifttum wurde diesbezüglich aber angemerkt, dass Altersgrenzen, die auf ein Alter vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter anknüpfen, auch unter Berücksichtigung von § 10 AGG in der Regel unwirksam seien.500 Ein Rechtfertigungsversuch, der den Anforderungen eines „sachlichen Grundes“ im Rahmen der Befristungskontrolle nicht genügt, wird auch die Anforderungen einer sachlichen Rechtfertigung durch ein legitimes Ziel gemäß § 10 AGG nicht erfüllen. (2) BAG: Höchsteinstiegsaltersgrenze für Piloten In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2010 stellte das BAG die Unwirksamkeit einer tariflichen Betriebsnorm fest, die für ein Luftfahrtunternehmen das Höchstalter für die Einstellung von in anderen Luftfahrtunternehmen ausgebildeten Piloten auf 32 Jahre und 364 Tage festlegte.501 Zur Rechtfertigung dieser Altersgrenze wurde auf deren Notwendigkeit zur Gewährleistung der Flugsicherheit verwiesen.502 Gefährdungen der Flugsicherheit seien andernfalls aus zwei Gründen zu befürchten: Zum einen unterlägen in konzernfremden Unternehmen ausgebildete Piloten einer „Verbildung“. Ihnen falle es mit zunehmendem Alter schwerer, sich abweichend von zunächst erlernten Abläufen unternehmensspezifische Verfahren so einzuprägen, dass sie nicht im Notfall in alte Verhaltensmuster zurückfielen. Zum anderen diene die Altersgrenze der Förderung einer sachgerechten Hierarchie im Cockpit. Ein höheres Alter verschaffe dem Kapitän eine natürliche Autorität gegenüber dem Copiloten. Diese Hierarchie werde gestört, wenn der Pilot jünger als der Copilot sei. Eine altersgerechte Hierarchie beuge Konflikten im Krisenfalle vor. Das BAG lies sich durch diese Argumente nicht überzeugen und stellte fest, dass die Altersgrenze erstens ein unverhältnismäßiger Eingriff in die 499  BAG

23.06.2010 NZA 2010, 1248, 1250. BB 2011, 448. 501  BAG 08.12.2010 NZA 2011, 751 ff. 502  BAG 08.12.2010 NZA 2011, 751, 753. 500  Heyn



III. Rechtsprechung455

durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl älterer Arbeitsplatzbewerber sei.503 Zweitens verstoße sie auch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und seine einfachgesetzliche Konkretisierung durch § 7 Abs. 1 AGG. Ausführlich ging das BAG zunächst auf eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG ein und qualifizierte die Höchsteinstiegsaltersgrenze als besonders weitgehenden Eingriff in die Berufswahlfreiheit älterer Arbeitsplatzbewerber.504 Die vorgebrachten Gründe seien nicht geeignet, einen derart intensiven Eingriff zu rechtfertigen. Was das Argument des „Hierarchiegefälles“ anbelangt, sah das BAG keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Altersunterschied zwischen einem jüngeren Piloten und einem älteren Copiloten überhaupt in sicherheitsrelevanter Weise auf die Entscheidungskultur im Cockpit auswirken könne. Auch das Argument der „Verbildung“ überzeuge nicht und sei lediglich eine pauschale, nicht fundierte Behauptung. Insbesondere sei nicht ersichtlich, weshalb der angeblich auftretende „Verbildungseffekt“ am Lebensalter statt an der Dauer der Vorbeschäftigung in den anderen Unternehmen festgemacht werde.505 Ohnehin wäre etwaigen Risiken aber durch geeignete Einstellungsuntersuchungen und Schulungsmaßnahmen zu begegnen. Aus den gleichen Gründen bejahte das BAG auch einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das diesen unter anderem hinsichtlich des Merkmals Alter konkretisierende Verbot in §§ 7 Abs. 1, 1 AGG.506 Was die Rechtfertigung der Benachteiligung wegen des Alters anbelange, sei schon nicht hinreichend erkennbar, dass die Tarifvertragsparteien mit der Höchstaltersgrenze legitime Ziele im Sinne von § 10 S. 1 AGG verfolgten. (3) LAG Düsseldorf: Altersgrenze für Fluglotsen Das LAG Düsseldorf stellte in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2011 die Unwirksamkeit einer tariflichen Altersgrenze von 55 Jahren für Fluglotsen fest.507 Die starre Regelung trüge dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie der Regelung des § 10 AGG nicht hinreichend Rechnung.508 Im Zusammenhang mit der Zielsetzung, die Flugsicherheit zu gewährleisten, wies das LAG darauf hin, „(1) dass die ständige Verwaltungspraxis des Bundesverkehrsministeriums bzw. Luftfahrtbundesamtes 503  BAG

08.12.2010 NZA 2011, 751, 754, 756 f. 08.12.2010 NZA 2011, 751, 758. 505  BAG 08.12.2010 NZA 2011, 751, 759. 506  BAG 08.12.2010 NZA 2011, 751, 759. 507  LAG Düsseldorf 09.03.2011 NZA-RR 2011, 474  ff.; LAG Düsseldorf 04.05.2011  – 12 TaBV 27/11 juris. 508  LAG Düsseldorf 09.03.2011 NZA-RR 2011, 474, 476; LAG Düsseldorf 04.05.2011  – 12 TaBV 27/11 juris Rn. 52. 504  BAG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

sich dahin entwickelte, die Erlaubnis bis zur Altersgrenze von 57 Jahren zu erteilen, (2) dass das BVerfG auch insoweit Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit äußerte […] und (3) dass schließlich der Gesetzgeber in der Neufassung des § 32 Abs. 4 Nr. 4 LuftVG […] den Willen zum Ausdruck brachte, auf starre Altersgrenzen zu verzichten“509. Diese Entwicklungen hätten die Tarifvertragsparteien außer Acht gelassen. Zudem seien zur Rechtfertigung keine aktuellen und aussagekräftigen Gutachten beigebracht worden, die dem anerkannten Stand der Wissenschaft entsprächen und auf repräsentativen empirischen Untersuchungen beruhten.510 Ältere Gutachten aus dem Jahr 1998 seien dazu nicht ausreichend, zumal von der Gegenseite unwiderlegt vorgetragen worden sei, dass ältere Fluglotsen auf Grund ihrer Erfahrung in Gefährdungssituationen besonders gut und sachgerecht zu reagieren pflegten und keine Statistiken oder Erfahrungswerte existieren, die eine höhere Fehlerhäufigkeit über 55-jähriger Fluglotsen gegenüber jüngeren Fluglotsen belegten. Darüber hinaus könne die Altersgrenze für Fluglotsen auch nicht unter Hinweis auf tarifliche Altersgrenzen für Cockpit- und Kabinenpersonal in Luftfahrtunternehmen gerechtfertigt werden.511 Die dortigen Altersgrenzen seien erstens höher und auch umstritten, und zweitens seien die Arbeitsbelastung und Arbeitsbedingungen z. B. bezüglich der Höhenstrahlung andersartig und ließen keine „Parallelwertung“ hinsichtlich einer für Fluglotsen erforderlichen pauschalen Altersgrenze zu. (4) BAG: Altersgrenze für Piloten In Umsetzung der EuGH-Vorgaben aus der Rechtssache Prigge512 hat das BAG im Jahr 2012 in einer Reihe von Entscheidungen die tariflichen Altersgrenzen von 60 Jahren für Piloten als unzulässig qualifiziert.513 Damit revidierte es seine bis dahin gültige Rechtsprechung, wonach derartige tarifvertragliche Altersgrenzen durch § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG gerechtfertigt waren.514 Nunmehr hielt es tarifliche Altersgrenzen von 60 Jahren für Piloten wegen Verstoßes gegen §§ 7 Abs. 1, 1 AGG gemäß § 7 Abs. 2 AGG für 509  LAG Düsseldorf 09.03.2011 NZA-RR 2011, 474, 475; LAG Düsseldorf 04.05.2011  – 12 TaBV 27/11 juris Rn. 46. 510  LAG Düsseldorf 09.03.2011 NZA-RR 2011, 474, 476; LAG Düsseldorf 04.05.2011  – 12 TaBV 27/11 juris Rn. 57. 511  LAG Düsseldorf 09.03.2011 NZA-RR 2011, 474, 477. 512  EuGH 13.09.2011 (Prigge) NZA 2011, 1039 ff.; siehe dazu bereits unter D. IV. 2. c). 513  BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575 ff.; BAG 18.01.2012 NZA 2012, 691ff; BAG 15.02.2012 NZA 2012, 866 ff.; BAG 14.03.2012  – 7 AZR 480/08 juris (Parallelentscheidung zu BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575 ff.). 514  So zuletzt BAG 21.07.2004  – 7 AZR 589/03 juris.



III. Rechtsprechung457

unwirksam. Nachdem es feststellte, dass die Altersgrenze eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG sei, ging es auf die Vorschrift des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL und auf eine mögliche Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG und § 10 S. 1 und 2 AGG ein.515 Fraglich war – wie auch bei den anderen dargestellten, Berufe in der Luftfahrt betreffenden Entscheidungen – wiederum, inwiefern die Altersgrenze im Hinblick auf das Ziel der Gewährleistung der Flugsicherheit, also des Schutzes von Leib und Leben Dritter, zulässig war. Zunächst äußerte sich das BAG zu Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL, wonach im einzelstaatlichen Recht vorgesehene Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft unter anderem für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutz der Gesundheit notwendig sind, nicht in den Geltungsbereich der BeschäftiggsRL fallen.516 Anders als das OVG Bremen in seiner Entscheidung zur Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige zog das BAG Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL als Prüfungsmaßstab heran. Das OVG Bremen hatte hingegen festgestellt, dass das AGG keine Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL vergleichbare Einschränkung des Benachteiligungsverbots enthalte, sodass der Prüfungsmaßstab des § 8 Abs. 1 AGG gelte.517 Das BAG konstatierte hingegen, dass nicht nur staatliche Rechtsnormen unter diese Vorschrift fielen, sondern auch Sozialpartner solche Regelungen treffen könnten. Außerdem stehe das Ziel der Flugsicherheit im Zusammenhang mit der öffentlichen Sicherheit und dem Schutz der Gesundheit. Doch sei die Voraussetzung der „Notwendigkeit“ nicht erfüllt, da die tarifliche Altersgrenze den Flugzeugführern die Ausübung ihres Berufes nach Vollendung des 60. Lebensjahres vollständig untersage, während nationale und internationale Vorschriften die Ausübung lediglich beschränkten. In Bezug auf eine Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG bejahte das BAG die Voraussetzung einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“.518 So sei es für Verkehrspiloten wesentlich, dass sie über besondere körperliche Fähigkeiten verfügten, weil körperliche Schwächen 515  BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575, 577 ff.; BAG 18.01.2012 NZA 2012, 691, 693 ff.; BAG 14.03.2012 – 7 AZR 480/08 juris Rn. 18 ff.; vgl. auch BAG 15.02.2012 NZA 2012, 866, 869 f., das nicht auf die Vorschriften des AGG, sondern auf die Richtlinien-Vorschriften abstellt. 516  BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575, 577 f.; BAG 18.01.2012 NZA 2012, 691, 694 f.; BAG 15.02.2012 NZA 2012, 866, 869; BAG 14.03.2012  – 7 AZR 480/08 juris Rn.  24 ff. 517  OVG Bremen 14.09.2010  – 1 A 265/09 juris Rn. 45. Siehe dazu bereits unter E. III. 2. d) aa) (2). 518  BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575, 578; BAG 18.01.2012 NZA 2012, 691, 695; BAG 14.03.2012 – 7 AZR 480/08 juris Rn. 33; vgl. auch BAG 15.02.2012 NZA 2012, 866, 869 f. in Bezug auf Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

in diesem Beruf erhebliche Konsequenzen haben könnten. Weiter ging das BAG davon aus, dass diese körperlichen Fähigkeiten ab einem bestimmten Lebensalter abnähmen. Auch werde mit der Zielsetzung, die Flugsicherheit zu gewährleisten, ein „rechtmäßiger Zweck“ verfolgt. Jedoch verneinte das BAG die Verhältnismäßigkeit der Altersgrenze mit der gleichen Begründung, mit der es die Notwendigkeit im Rahmen des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL ablehnte.519 In Bezug auf § 10 S. 1 und 2 AGG stellt das BAG fest, dass die Flugsicherheit bei einer richtlinienkonformen Auslegung der Vorschrift kein „legitimes Ziel“ sei. Als legitime Ziele kämen nur sozialpolitische Zielsetzungen in Betracht.520 (5) BAG: Altersgrenze für Flugingenieure Mit einer ähnlichen Begründung stellte das BAG in einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2012 die Unwirksamkeit einer tariflichen Altersgrenze von 60 Jahren für Flugingenieure fest, die mit der Gewährleistung der Flugsicherheit begründet wurde.521 (6) BVerwG: Altersgrenze für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige Ebenfalls aus dem Jahr 2012 stammt eine Entscheidung des BVerwG, in der es die Unzulässigkeit einer landesrechtlichen Altersgrenze von 68 Jahren für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige feststellte.522 Ein Sachverständiger für die Sachgebiete „Anwendung der EDV im Rechnungswesen und Datenschutz“ sowie „EDV in der Hotellerie“ sah in dieser Altersgrenze eine Verletzung des Verbots der Altersdiskriminierung.523 Nach den Feststellungen des Gerichts verfolge die Altersgrenze „das Ziel, im 519  BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575, 578 f.; BAG 18.01.2012 NZA 2012, 691, 695; BAG 14.03.2012  – 7 AZR 480/08 juris Rn. 35 f.; vgl. auch BAG 15.02.2012 NZA 2012, 866, 870 in Bezug auf Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL. 520  BAG 18.01.2012 NZA 2012, 575, 579; BAG 18.01.2012 NZA 2012, 691, 695 f.; BAG 14.03.2012  – 7 AZR 480/08 juris Rn. 39. 521  BAG 15.02.2012  – 7 AZR 904/08 juris. 522  BVerwG 01.02.2012 NJW 2012, 1018  ff. Vgl. hingegen aus jüngerer Zeit auch BVerwG 21.01.2015  – 10 CN 1/14 juris Rn. 20. In dieser Entscheidung hielt das BVerwG eine generelle Höchstaltersgrenze von 70 Jahren für Prüfsachverständige für technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden im Hinblick auf die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit nach Art. 2 Abs. 5 der RL 2000/78/EG für gerechtfertigt. 523  BVerwG 01.02.2012 NJW 2012, 1018.



III. Rechtsprechung459

Interesse eines reibungslosen Rechtsverkehrs und einer funktionierenden Rechtspflege allen Behörden, Gerichten und privaten Interessenten für komplizierte Sachverhaltsfeststellungen und Prüfungen kompetente und glaubwürdige Fachleute anzubieten; schwierige und zeitraubende Nachforschungen über den Ruf und die Eignung des Gutachters sollen durch die öffentliche Bestellung entbehrlich werden“524. Nachdem das BVerwG die Altersgrenze als unmittelbar benachteiligend im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG qualifizierte, prüfte es eine mögliche Rechtfertigung zuerst gemäß § 10 S. 1 und 2 AGG, danach gemäß § 8 Abs. 1 AGG und ging erst anschließend auf Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL ein. In Bezug auf § 10 S. 1 AGG fehle es an der Voraussetzung des „legitimen Ziels“,525 die eine sozialpolitische Zielsetzung erfordere. Die Gewährleistung eines geordneten Rechtsverkehrs sei kein solches sozialpolitisches Ziel. In Bezug auf § 8 Abs. 1 AGG sah das Gericht bereits die Voraussetzung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ als nicht erfüllt an.526 Entscheidend für die Ausübung des Berufs sei die besondere Sach- und Fachkunde. Letztere stehe jedoch nicht mit dem Lebensalter in Zusammenhang. Ausführlich wendete sich das BVerwG sodann der Vorschrift des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL zu. Einerseits fehle es an einer ausdrücklichen Bestimmung im AGG, die diesen Sicherheitsvorbehalt ganz allgemein in innerstaatliches Recht umsetze.527 Aus diesem Grund hatte das OVG Bremen in seiner Entscheidung zur Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL nicht als Prüfungsmaßstab herangezogen.528 Nach Auffassung des BVerwG habe der Bundesgesetzgeber auf den Sicherheitsvorbehalt aber nicht bewusst verzichtet, sodass das Schweigen des AGG anderweitigen Regelungen des innerstaatlichen Rechts außerhalb dieses Gesetzes nicht entgegenstehe. Der Bundesgesetzgeber könne die Befugnis, von dem Sicherheitsvorbehalt des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL Gebrauch zu machen, auch delegieren. Deshalb käme als Ermächtigungsgrundlage auch § 36 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 GewO in Betracht, auf dessen Grundlage die landesrechtliche Altersgrenze erlassen wurde, sofern die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL erfüllt seien. Doch diene die in Rede stehende generelle Höchstaltersgrenze für öffentlich bestellte 524  BVerwG

01.02.2012 NJW 2012, 1018, 1019. 01.02.2012 NJW 2012, 1018, 1019. 526  BVerwG 01.02.2012 NJW 2012, 1018, 1019. 527  BVerwG 01.02.2012 NJW 2012, 1018, 1020. 528  OVG Bremen 14.09.2010  – 1 A 265/09 juris Rn. 45. Siehe dazu bereits unter E. III. 2. d) aa) (2). 525  BVerwG

460

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

und vereidigte Sachverständige jedweder Branche jedenfalls in dieser Allgemeinheit keinem Sicherheitsbelang im Sinne von Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL. Dies gelte insbesondere in den Sachgebieten, für die der Kläger seine öffentliche Bestellung begehre (Anwendung der EDV im Rechnungswesen und Datenschutz, EDV in der Hotellerie). Folglich könne die Altersgrenze auch nicht durch Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL legitimiert werden. (7) L  G Berlin: Altersgrenze für die Erteilung eines Berufsfahrausweises für Trabrennfahrer In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2012 befasste sich das LG Berlin mit einer Regelung in einer Trabrennverordnung, nach der ein Berufsfahrerausweis nach Vollendung des 70. Lebensjahres nicht mehr verlängert wurde.529 Diese Regelung stand in unmittelbarem Zusammenhang mit einer weiteren Bestimmung. Danach wurde ein Ausweis insbesondere versagt, wenn in der Person des Antragstellers eine Gefährdung der Sicherheit des Zucht- oder Rennbetriebes oder des Ansehens der Traberzucht oder das Trabrennsports begründet ist.530 Eine Rechtfertigung der in der Altersgrenze liegenden Benachteiligung älterer Berufstrabrennfahrer maß das Gericht zunächst an § 8 Abs. 1 AGG, lehnte dessen Voraussetzungen aber in einem Satz ab.531 Daraufhin wandte es sich § 10 S. 1 und 2 AGG zu und stellte fest, dass die Altersgrenze zwei Zwecken diene, nämlich einerseits dem Schutz der Gesundheit der Trabrennfahrer und andererseits der Verbesserung der Zugangschancen für die Jugend zur beruflichen Ausübung des Trabrennsports.532 Zwar seien beide Ziele legitim im Sinne § 10 S. 1 AGG, eine Rechtfertigung scheitere jedoch an der Erforderlichkeit. Dem Gesundheitsschutz werde dadurch Rechnung getragen, dass die Erteilung eines Ausweises von der Vorlage eines neuen ärztlichen Attestes abhängig gemacht werden könne.533 Dabei erfolge die Ausweiserteilung ohnehin immer nur für ein Kalenderjahr, sodass die gesundheitliche Eignung auch jährlich geprüft werde. In Bezug auf das Ziel der Verbesserung der Zugangschancen für die Jugend scheitere die Erforderlichkeit daran, dass die Rennveranstalter oft Schwierigkeiten hätten, die begrenzten Startplätze überhaupt zu belegen.534 Folglich würde den jüngeren Fahrern durch die älteren Fahrer überhaupt keine Chance genommen, da noch Startplätze zur Verfügung stünden. 529  LG 530  LG 531  LG 532  LG 533  LG 534  LG

Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin

04.07.2012  – 04.07.2012  – 04.07.2012  – 04.07.2012  – 04.07.2012  – 04.07.2012  –

22 22 22 22 22 22

O O O O O O

157/12 157/12 157/12 157/12 157/12 157/12

juris. juris Rn. 9. juris Rn. 35. juris Rn. 37. juris Rn. 38. juris Rn. 40.



III. Rechtsprechung461

cc) Zusammenfassung der Beobachtungen (1) Sachverhalt Die Rechtfertigung von Altersgrenzen im Hinblick auf die Sicherheit von Leib und Leben Dritter spielt vor allem in vier Berufsgruppen eine Rolle: bei Tätigkeiten in der Luftfahrt, in der Medizin, bei den Notfalldiensten und bei Sachverständigentätigkeiten. In den betrachteten Fällen waren die Altersgrenzen überwiegend per Gesetz oder per Tarifvertrag normiert, in einem Fall beruhten sie auch auf einer Verwaltungspraxis. Die Höhe der geregelten Altersgrenzen variiert, in der Mehrzahl der Fälle liegt sie über dem gesetzlichen Renteneintrittsalter bei 68 Jahren. Bei Berufen in der Luftfahrt findet man freilich niedrigere, unter dem gesetzlichen Renteneintrittsalter angesetzte Altersgrenzen. (2) Rechtliche Würdigung In der rechtlichen Würdigung steht, sofern es um die Vereinbarkeit einer in einer Rechtsnorm enthaltenen Altersgrenze mit Verfassungsrecht geht, eine Prüfung an den Maßstäben des Art. 12 Abs. 1 GG und des Art. 3 Abs. 1 GG im Mittelpunkt. Im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG prüft die Rechtsprechung im Sinne der zur Berufsfreiheit entwickelten „Drei-Stufen-Theorie“535 sehr genau, auf welcher Ebene die Altersgrenze in die Berufsfreiheit eingreift und wie schwer der Eingriff wiegt, um davon ausgehend die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu justieren, die mit zunehmender Eingriffstiefe wachsen. In der AGG-rechtlichen Bewertung der Altersgrenzen durch die Gerichte spiegelt sich wider, dass die Rechtsprechung noch keine klare Linie im Umgang mit dem § 10 AGG, insbesondere mit der Bedeutung des legitimen Ziels im Sinne dieser Vorschrift, und mit den Vorschriften der zugrunde liegenden Richtlinien, insbesondere mit dem Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL gefunden hat. Das OVG Bremen beispielsweise misst die gesetzlich geregelte Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige nicht an Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL, da das AGG keine vergleichbare Einschränkung des Benachteiligungsverbotes enthalte. Das BVerwG geht hingegen davon aus, dass der Bundesgesetzgeber auf den Sicherheitsvorbehalt nicht bewusst verzichtet habe, sodass das Schweigen des AGG anderweitigen Regelungen des innerstaatlichen Rechts außerhalb dieses Gesetzes nicht entgegenstehe. Vor die535  Vgl. grundlegend das „Apotheken-Urteil“ des BVerfG 11.06.1958 NJW 1958, 1035 ff. Siehe dazu auch später unter E. V. 2. d) cc) (1) (b).

462

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

sem Hintergrund prüft das BVerwG die landesrechtlich geregelte Altersgrenze für Sachverständige auch am Maßstab des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL. Das BAG geht sogar noch weiter und stellt fest, dass nicht nur staatliche Rechtsnormen unter Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL fielen, sondern auch Sozialpartner solche Regelungen treffen könnten. Daher prüft es tarifvertrag­ liche Altersgrenzen für Piloten und Flugingenieure an dieser Norm. Zudem wird insbesondere die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen § 10 S. 1 und 2 AGG der geeignete Prüfungsmaßstab ist, von den Gerichten uneinheitlich beantwortet. Tendenziell werden Altersgrenzen für „sicherheitsrelevante Berufsgruppen“ wegen möglicher altersbedingter Fehlreaktionen dann für zulässig gehalten, wenn sie über dem gesetzlichen Renteneintrittsalter liegen, niedrigere Altersgrenzen hält die Rechtsprechung im Anschluss an die EuGH-Entscheidung Prigge regelmäßig auch bei Berufen in der Luftfahrt für unzulässig. Eine wichtige Rolle spielt zudem, ob eine Altersgrenze dazu führt, dass jemand seinen Beruf überhaupt nicht mehr ausüben kann oder aber nur – wie z. B. der flugmedizinische Sachverständige – in Teilen seiner Berufsausübung beschränkt wird. In letzterem Fall lässt sich die Verhältnismäßigkeit einer Altersgrenze eher begründen. e) Behinderung Die Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen hat bei Benachteiligungen wegen der „Behinderung“ in der Rechtsprechungspraxis bislang eine marginale Rolle gespielt. aa) LAG Rheinland-Pfalz: „Site Manager“ für ein Bewachungsunternehmen Das LAG Rheinland-Pfalz hatte im Jahr 2008 folgenden Fall zu beurteilen:536 Ein Bewachungsunternehmen, das ausschließlich Objekte der US-Army bewachte, beendete das Arbeitsverhältnis mit einem Beschäftigten, nachdem dieser durch den jährlich zu absolvierenden Fitnesstest gefallen war. Daraufhin hatte das US-Department of the Army als Kunde des Bewachungsunternehmens die Entfernung des bei ihm eingesetzten Beschäftigten aus seinem Pflichtenkreis verlangt. Die körperlichen Leistungstests wurden von den US-Streitkräften als Bestandteil des Bewachungsvertrages vorgeschrieben. Die Entlassung erfolgte damit auf Grund der Kundenpräferenzen der US-Army für körperlich leistungsfähige Beschäftigte. 536  LAG

Rheinland-Pfalz 27.06.2008  – 6 Sa 81/08 juris.



III. Rechtsprechung463

Der betroffene Arbeitnehmer sah darin einen AGG-Verstoß.537 Er leide chronisch an den Erkrankungen Diabetes, Hypertonie, Lendenwirbelsäulensyndrom und PHS bds. (schmerzhafte Schultersteife), sodass seine körperliche Belastbarkeit deutlich eingeschränkt sei. Damit liege eine Behinderung vor. Zudem stelle die Bindung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses an das Bestehen des körperlichen Leistungstests eine Benachteiligung wegen des Alters dar. Das LAG Rheinland-Pfalz folgte indes der Argumentation des Bewachungsunternehmens und stellte fest, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirksam sei und insbesondere eine irgendwie geartete Diskriminierung nicht in Betracht komme.538 Dabei verwies es – ohne weitere Normen des AGG wie § 8 Abs. 1 AGG oder § 10 S. 1 und 2 AGG anzusprechen – auf § 20 AGG, wonach eine Benachteiligung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden könne: „Dieser ist gegeben, weil die Überwachung amerikanischer Militäreinrichtungen aufgrund der nach wie vor gegebenen terroristischen Bedrohungslage einem erhöhten Sicherheitsbedürfnis unterliegt, sodass im Normalfall bewältigbare Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers einen ausreichenden Sachgrund für eine unterschiedliche Behandlung abgeben.“539 Für das Bewachungsunternehmen bestehe im Verhältnis zu seinem Auftraggeber, der US-Army, kein Entscheidungsspielraum, wenn es zum Widerruf der Einsatzgenehmigung komme.540 Das LAG Rheinland-Pfalz spricht den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG nicht an, stellt stattdessen auf das zivilrechtliche Schuldverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und seinem Kunden ab und wendet die Schranke des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbotes gemäß § 20 AGG an. Adomeit /  Mohr verstehen das Gericht so, dass es aus der Zulässigkeit der Benachteiligung im zivilrechtlichen Schuldverhältnis die Zulässigkeit der darauf beruhenden benachteiligenden Beschäftigungspolitik ableiten wolle.541 Sie begrüßen diesen Ansatz, der zur Lösung der Kundenpräferenzproblematik auf die Zulässigkeit der Benachteiligung im zivilrechtlichen Schuldverhältnis zwischen Arbeitgeber und Kunde nach § 19 f. AGG abstelle, und führen weiter aus, dass eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG dann vorliege, wenn die Kunden für ihr Verhalten sachliche Gründe im Sinne des § 20 AGG hätten.542 Ob das LAG Rhein537  LAG

Rheinland-Pfalz 27.06.2008  – 6 Sa 81/08 Rheinland-Pfalz 27.06.2008  – 6 Sa 81/08 539  LAG Rheinland-Pfalz 27.06.2008  – 6 Sa 81/08 540  LAG Rheinland-Pfalz 27.06.2008  – 6 Sa 81/08 541  Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 46. 542  Siehe dazu auch später unter E. IV. 2. a) dd). 538  LAG

juris juris juris juris

Rn. 16 ff. Rn. 44 ff. Rn. 52. Rn. 53.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

land-Pfalz auch einen derartigen Lösungsansatz im Sinn hatte oder die Anwendung des § 20 AGG anstelle des § 8 Abs. 1 AGG vielmehr Unsicherheiten im Umgang mit dem AGG geschuldet ist, bleibt freilich angesichts seiner knappen Ausführungen hierzu fraglich. bb) LAG Berlin-Brandenburg / BAG: Chemisch-Technischer Assistent im Reinraumbereich eines pharmazeutischen Unternehmens Ausdrücklich wurde die Kundenpräferenzfrage in einer Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2012, in der das Gericht die Wirksamkeit der Kündigung eines HIV-infizierten Beschäftigten in der Probezeit zu beurteilen hatte, angesprochen.543 Der Beschäftigte war als ChemischTechnischer Assistent (CTA) für Tätigkeiten im Reinraumbereich eines pharmazeutischen Unternehmens eingestellt worden. Für diesen Fertigungsbereich hatte der Arbeitgeber festgelegt, dass Beschäftigte, die an einer ansteckenden Krankheit litten oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufwiesen, nicht beschäftigt werden dürften. Nachdem der Arbeitgeber von der HIV-Infektion des Beschäftigten erfuhr, kündigte er das Arbeitsverhältnis noch während der Probezeit. Das LAG Berlin-Brandenburg hielt die Kündigung für rechtswirksam.544 Insbesondere verstoße sie nicht gegen das AGG-rechtliche Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung. Dabei könne dahinstehen, ob die bloße HIV-Infektion eine Behinderung im Sinne des AGG sei und ob der Beschäftigte im Vergleich zu anderen erkrankten Beschäftigten ungleich behandelt worden sei.545 Selbst wenn man eine Ungleichbehandlung wegen einer Behinderung bejahte, wäre diese gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig.546 Das Fehlen einer HIV-Infektion sei eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“: „Einem Arbeitgeber, der sich in seinem Unternehmen der genehmigungspflichtigen Herstellung von Medikamenten widmet, die zur Injektion bei Krebspatienten bestimmt sind, ist zu konzedieren, möglichst jedes Risiko einer Verunreinigung durch Erreger auszuschließen, um die Patienten vor einer Infektion und sich selbst vor Rufschädigung, Umsatzeinbußen und Regressforderungen zu schützen. Wenn er sich dazu ein Regelwerk geschaffen hat, um der ihm erteilten Herstellungserlaubnis zu entsprechen, ist dies eine Bedingung für die auszuübende Tätigkeit, die von seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit bei Verfolgung seines Unter-

543  LAG

Berlin-Brandenburg Berlin-Brandenburg 545  LAG Berlin-Brandenburg 546  LAG Berlin-Brandenburg 544  LAG

13.01.2012 13.01.2012 13.01.2012 13.01.2012

NZA-RR NZA-RR NZA-RR NZA-RR

2012, 2012, 2012, 2012,

183 ff. 183, 184. 183, 184. 183, 185.



III. Rechtsprechung465 nehmensgegenstands gedeckt ist […] und geht über die Berücksichtigung bloßer Vorurteile seiner Kundschaft hinaus […].“547

Dass das Gericht auf das „Fehlen einer HIV-Infektion“ abstellt, ist insofern problematisch, als § 8 Abs. 1 AGG bei richtlinienkonformer Auslegung nur eine positive Anknüpfung an ein gefordertes Merkmal zulässt.548 Betrachtet man den Fall indes genauer, zeigt sich, dass die Tätigkeit im Reinraumbereich allen Beschäftigten mit ansteckenden Erkrankungen aller Art und offenen Wunden an unbedeckten Stellen verwehrt wurde. Somit war die Kontaminierungsfreiheit Voraussetzung für die Stelle. Bei dieser positiven Formulierung wird deutlich, dass der Arbeitgeber sich in der Sache nicht gezielt in herabwürdigender Weise gegen die Gruppe der HIV-Infizierten richtete, sodass die Auslegung des § 8 Abs. 1 AGG durch das LAG BerlinBrandenburg mit den Vorgaben der europäischen Richtlinien in Einklang gebracht werden kann. Der „rechtmäßige Zweck“ lag nach Auffassung des Gerichts darin, sicherzustellen, eine Verunreinigung der produzierten Medikamente durch Krankheitskeime zu verhindern. Auch erweise sich die Anforderung als „angemessen“, also verhältnismäßig. Eine in jeder Hinsicht höchsten Sicherheitsanforderungen entsprechende Herstellung der Arzneiprodukte habe herausragende Bedeutung für Bestand und Erfolg des Unternehmens des Arbeitgebers. Für den Beschäftigten hingegen sei nur ein vergleichsweise kleiner Ausschnitt seines beruflichen Betätigungsfeldes als CTA betroffen. Auf die Revision des Klägers stellte das BAG fest, dass die symptomlose HIV-Infektion als Behinderung im Sinne des AGG einzustufen sei.549 Allerdings habe das LAG keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen dazu getroffen, inwieweit angemessenen Vorkehrungen hätten getroffen werden können, die dem Kläger einen Einsatz auf dem vorgesehenen Arbeitsplatz im Reinraum ermöglicht hätten.550 Deshalb hob das BAG das Urteil des LAG auf und verwies es zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück. cc) VG Berlin: Tätigkeit als Heilpraktikerin Auch in einer Entscheidung des VG Berlin aus dem Jahr 2011 spielten Überlegungen des Gesundheitsschutzes Dritter eine Rolle.551 Nach Auffas547  LAG

Berlin-Brandenburg 13.01.2012 NZA-RR 2012, 183, 185. Berlin 31.05.2011 – 14 K 31.10 juris Rn. 33. 549  BAG 19.12.2013  – 6 AZR 190/12 juris Rn. 70 ff. 550  BAG 19.12.2013  – 6 AZR 190/12 juris Rn. 82 ff. 551  VG Berlin 31.05.2011 – 14 K 31.10 juris. 548  VG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

sung des Gerichts konnten sie die generelle Versagung der Zulassung einer blinden Bewerberin als Heilpraktikerin durch den Beklagten indes nicht rechtfertigen. Das Gericht nahm eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des Heilpraktikergesetzes und der dazugehörigen Durchführungsverordnung vor. Zwar geböte die staatliche Schutzpflicht für die Bevölkerungsgesundheit, einer blinden Heilpraktikerin solche Heilpraktikertätigkeiten zu verwehren, die eine visuelle Wahrnehmung voraussetzten.552 Doch sei es nicht erforderlich, ihr die Heilpraktikererlaubnis zur Gänze zu versagen. Vielmehr reiche es aus, die Erlaubnis auf solche Tätigkeiten zu beschränken, die die Klägerin ohne eigene visuelle Wahrnehmung eigenverantwortlich ausüben könne.553 Auch die Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL bzw. § 8 Abs. 1 AGG geböten diese Auslegung des Heilpraktikergesetzes und der Heilpraktikerdurchführungsverordnung.554 Dabei scheint das VG Berlin – ohne weitere Ausführungen dazu zu machen – davon auszugehen, dass deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Die vollständige Versagung der Heilpraktikererlaubnis könne also nicht im Hinblick auf die Gesundheit Dritter gemäß § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt werden. Der Rechtfertigungsgrund greife lediglich insoweit, als Heilpraktikertätigkeiten eine visuelle Wahrnehmung voraussetzten. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Sprungrevision des Beklagten hatte keinen Erfolg.555 Das BVerwG stellte fest, dass die Heilpraktikererlaubnis auch erlangen könne, wer blind ist. Voraussetzung sei, dass er im Rahmen der Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten (auch) nachweise, dass er die durch die Blindheit gezogenen Grenzen der Heilkundeausübung kenne und beachte. Diese ergänzende Kenntnisüberprüfung sei zum Schutz der Patienten erforderlich, aber auch ausreichend.556 dd) ArbG Darmstadt: Geschäftsführerin bei einem gemeinnützigen Verein zur Förderung der öffentlichen Gesundheit Erwähnenswert ist schließlich ein Urteil des ArbG Darmstadt aus dem Jahr 2014.557 Es betraf die Nicht-Einstellung einer Bewerberin, die nach eigenem Bekunden Damenkleidergröße 42 trug,558 als Geschäftsführerin eines gemeinnützigen Vereins. Der Zweck des Vereins war die Förderung 552  VG

Berlin 31.05.2011 – 14 K 31.10 juris Rn. 28. Berlin 31.05.2011 – 14 K 31.10 juris Rn. 30. 554  VG Berlin 31.05.2011 – 14 K 31.10 juris Rn. 33. 555  BVerwG 13.12.2012 NJW 2013, 1320 ff. 556  BVerwG 13.12.2012 NJW 2013, 1320, 1322. 557  ArbG Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris. 558  ArbG Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 11, 27. 553  VG



III. Rechtsprechung467

der öffentlichen Gesundheit, insbesondere die Verhinderung von durch Zecken übertragenen Infektionskrankheiten, vorrangig Lyme-Borreliose, FSME und Co-Infektionen.559 Nach einem ersten Vorstellungsgespräch der Bewerberin mit dem ersten und der stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins wurde ein Termin für ein zweites Gespräch, an dem der gesamte vertretungsberechtigte Vorstand teilnehmen sollte, vereinbart.560 Im Vorwege dieses Termins schickte die stellvertretende Vorsitzende und Pressesprecherin der Bewerberin eine E-Mail zu Inhalten des kommenden Gesprächs, in der es u. a. hieß: „Was Sie beruflich mitbringen, würde in unser Aufgabenspektrum prima passen. Aber als ehemalige Dicke (in jungen Jahren) möchte ich Sie fragen, was dazu geführt hat, dass Sie kein Normalgewicht haben. Sie müssen diese Frage nicht beantworten. Aber wenn Sie wollen, können Sie es mir erklären. Es geht dabei auch darum, dass Sie bei unseren Mitgliederversammlungen anwesend sein müssen und wir vielen immer wieder sagen müssen, dass sie das Thema Übergewicht ausschalten müssen, wenn es um Gutachten und Differentialdiagnosen der Borreliose geht. Im jetzigen Zustand wären sie natürlich kein vorzeigbares Beispiel und würden unsere Empfehlungen für Ernährung und Sport konterkarieren.“561

Damit ist die Problematik der Kundenpräferenzen für Authentizität angesprochen. Die Bewerberin erhob Klage, mit der sie Entschädigungsansprüche gegen den Verein und die stellvertretende Vorsitzende wegen Diskriminierung aufgrund einer Behinderung und wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts geltend machte.562 Zu dem zweiten Vorstellungstermin erschien sie, anders als die Vorstandsmitglieder des Vereins, nicht.563 Das ArbG Darmstadt verneinte Entschädigungsansprüche der Klägerin.564 Es läge bereits keine Behinderung und damit keine Benachteiligung im Sinne des § 1 AGG vor.565 Die Bewerberin sei unstreitig nicht adipös und habe augenscheinlich keine körperlichen Einschränkungen infolge ihres Gewichts.566 Auch stehe ihr kein Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu.567 Im Rahmen der diesbezüglichen Ausführungen wies das ArbG Darmstadt insbesondere darauf hin, dass 559  ArbG

Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 2. Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris. Rn. 3. 561  ArbG Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 4. 562  ArbG Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 12 f. 563  ArbG Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 5, 9. 564  ArbG Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 23. 565  ArbG Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 25 ff. 566  Vgl. zu den Voraussetzungen, unter denen Adipositas eine Behinderung im Sinne der BeschäftiggsRL ist, EuGH 18.12.2014 (FOA) NZA 2015, 33 ff. Vgl. zu der Thematik außerdem Lingscheid NZA 2015, 147 ff. m. w. N. zur Rspr. 567  ArbG Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 28. 560  ArbG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

es nicht zu beanstanden sei, „wenn ein Arbeitgeber während des Bewerbungsprozesses – in angemessener Form und soweit keine Diskriminierung im Sinne des § 7 AGG erfolgt – auf aus seiner Sicht bestehende mögliche Hindernisse für den Erfolg der Bewerbung hinweist und dem Bewerber die Möglichkeit gibt, hierzu Stellung zu nehmen, um seiner Bewerbung zum Erfolg zu verhelfen“568. Der Verein habe mit der Frage nach Gründen für das fehlende Normalgewicht der Klägerin ein berechtigtes Anliegen verfolgt: „[Dem Verein] ging es darum, aus seiner Sicht die beste Bewerberin bzw. den besten Bewerber auszuwählen. Dazu gehörte – wenn möglich – eine Bewerberin, die die Empfehlungen des Vereins zu gesundheitsbewusstem Verhalten glaubhaft vertreten kann. Dass hierfür eine Geschäftsführerin mit normalem BMI von Vorteil ist, dürfte auf der Hand liegen. Wenn die Geschäftsführerin diesem Ideal nicht entsprechen sollte, sollte es ihr jedenfalls möglich sein, mit der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit selbstbewusst und authentisch umzugehen – ohne gleichzeitig die Empfehlungen des Vereins zu negieren.“569

Das ArbG Darmstadt erkannte folglich jedenfalls im Zusammenhang mit einer möglichen Persönlichkeitsrechtsverletzung das grundsätzliche Authentizitätsinteresse des Vereins als legitim an. ee) Zusammenfassung der Beobachtungen In tatsächlicher Hinsicht veranschaulicht die spärliche Rechtsprechung zur Kundenpräferenzproblematik bei Benachteiligungen wegen der Behinderung die Besonderheit dieses Merkmals: Es gibt verschiedene Formen der Behinderung mit unzähligen Variationen, die die Betroffenen in ganz unterschiedlicher Weise beeinträchtigen können. Die Heterogenität der geschützten Gruppe ist in Bezug auf das Merkmal Behinderung besonders stark ausgeprägt. Die betrachteten Fälle betrafen einen Mann mit Diabetes, Hypertonie, Lendenwirbelsäulensyndrom und PHS bds., einen HIV-Infizierten Mann, eine erblindete sowie eine übergewichtige Frau. In der rechtlichen Würdigung durch die Gerichte ist deshalb – wie auch im US-amerikanischen Recht – häufig bereits fraglich, ob das Merkmal der Behinderung überhaupt zu bejahen ist. Zum Teil wird diese Frage ausdrücklich offen gelassen und jedenfalls die Rechtfertigung einer Benachteiligung bejaht. Die ersten drei der vier dargestellten Entscheidungen lassen sich der Fallgruppe „Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen für die Sicherheit“, und zwar für Leib und Leben, zuordnen, sodass dieser Rechtfertigungsratio bei dem Merkmal Behinderung in der Rechtsprechungspraxis die größte Bedeutung zuzukommen scheint. 568  ArbG 569  ArbG

Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 34. Darmstadt 12.06.2014  – 6 Ca 22/13 juris Rn. 36.



III. Rechtsprechung469

f) Sexuelle Identität Die zu dem Merkmal der „sexuellen Identität“ bislang ergangenen Entscheidungen kreisen um den Problemkreis der monetären Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften und Ehen.570 Die Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen spielte praktisch bislang nur eine geringfügige Rolle. Dies gilt jedenfalls, sofern das Merkmal in den nach einhelliger Auffassung geschützten Ausprägungen der Hetero-, Homo-, oder Bisexualität571 betroffen ist (dazu unter aa]). Etwas ausgeprägter ist die Rechtsprechung in Bezug auf solche besonderen sexuellen Neigungen oder Sexualpraktiken, die zwar nicht allgemein sozial anerkannt, aber auch nicht verboten sind (dazu unter bb]). Dabei ist freilich unklar, inwiefern diese überhaupt von dem Schutz des Merkmals der „sexuellen Identität“ erfasst sind.572 aa) Fälle zu unstrittig geschützten sexuellen Neigungen (1) ArbG Stuttgart: Erzieherin in einem katholischen Kindergarten Das ArbG Stuttgart hielt in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 die Ablehnung einer homosexuellen Bewerberin für die Position einer Erzieherin in einem katholischen Kindergarten, die an den Umstand ihrer eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfte, für gemäß § 9 Abs. 2 AGG gerecht570  Vgl. dazu überblicksartig Bissels/Lützeler BB 2008, 666, 669  f.; dies. BB 2009, 774, 781 f.; dies. BB 2010, 1725, 1728 f. sowie dies. BB 2012, 833, 836 f., jew. m. w. N. zur Rspr. 571  Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 163; Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 49; Däubler/ Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 89 f.; Meinel/Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 27; Nollert-Borasio/Perreng § 1 AGG Rn. 41; ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 14; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 1 AGG Rn. 73; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 1 AGG Rn. 73. Nach der Gesetzesbegründung ebenfalls geschützt sind die Ausprägungen der Transsexualität und der Zwischengeschlechtlichkeit, siehe BT-Drs. 16/1780, S. 31. In der Literatur wird jedoch zum Teil  vertreten, dass die Transsexualität und die Zwischengeschlechtlichkeit von dem Merkmal „Geschlecht“ erfasst werden, so z. B. Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 90; Nollert-Borasio/Perreng § 1 AGG Rn. 41 (in Bezug auf Transsexualität); differenzierend ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 14 sowie Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 1 AGG Rn. 73. 572  Vgl. dazu allgemein Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 93; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 1 AGG Rn. 82. Den Schutz bejahend Meinel/Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 27; wohl auch Annuß BB 2006, 1629, 1630 f.; ablehnend hingegen Adomeit/Mohr § 1 Rn. 164; Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 53; Nollert-Borasio/Perreng § 1 AGG Rn. 42; ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 16; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 1 AGG Rn. 74.

470

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

fertigt.573 Das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und das Praktizieren von Homosexualität stellten für den kirchlichen Arbeitgeber einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß dar, der die Beschäftigung und damit auch die Einstellung einer Arbeitnehmerin ausschlössen. Die Rechtfertigung der Benachteiligung sah das Gericht in dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und Selbstverständnis begründet.574 Dabei stellte es klar, dass die maßgeblichen kirchlichen Grundverpflichtungen sich nur nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben richteten und es insbesondere nicht auf die Auffassung breiter Kreise der Kirchenmitglieder ankomme. Gleichzeitig wies das ArbG Stuttgart darauf hin, dass es auch um die Glaubwürdigkeit der Kirche gehe.575 Mit der Glaubwürdigkeit ist ein drittbezogener Aspekt angesprochen, es geht um die Glaubwürdigkeit gegenüber den „Kunden“ der Kirche. Das zeigt, dass Kundenpräferenzen im Rahmen des § 9 Abs. 2 AGG nicht völlig irrelevant sind. (2) Obiter Dictum des ArbG Berlin Eine Bemerkung des ArbG Berlin in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 veranschaulicht, in welchen praktischen Fällen die kundenpräferenzbedingte Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der sexuellen Identität bei säkularen Arbeitgebern eine Rolle spielen könnte.576 In dem konkreten Fall stellte das Gericht fest, dass eine Benachteiligung einer Beschäftigten in ihrem beruflichen Aufstieg, weil sie eine heterosexuelle Beziehung zu einem Arbeitskollegen derselben Abteilung unterhielt, keine Benachteiligung wegen ihrer sexuellen Identität im Sinne von §§ 1, 7 Abs. 1 AGG sei. Der Arbeitgeber habe lediglich auf Lebenspartnerschaften zwischen Beschäftigten als solche ohne Rücksicht auf die hetero- oder homosexuelle Ausrichtung der Beteiligten reagiert. Insofern wurde die Beschäftigte „nicht […] als Hetero diskriminiert, sondern als liebender Mensch“577. In einem Obiter Dictum führte das Gericht weiter aus: „Generell kommt eine Diskriminierung wegen heterosexueller Identität nur dann in Betracht, steht der Arbeitgeber nach außen oder wenigstens nach innen unzweideutig für die homosexuelle Lebensweise ein. Dies mag für Unternehmungen 573  ArbG Stuttgart 28.04.2010  – 14 Ca 1585/09 juris. Die Zulässigkeit der Anwendung von § 9 Abs. 2 AGG auf Benachteiligungen wegen anderer Merkmale als der „Religion oder Weltanschauung“ ist indes bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt und umstritten, vgl. dazu Bissels/Lützeler BB 2012, 833, 837 sowie ErfKSchlachter § 9 AGG Rn. 4, jew. m. w. N. 574  ArbG Stuttgart 28.04.2010  – 14 Ca 1585/09 juris Rn. 65. 575  Vgl. ArbG Stuttgart 28.04.2010  – 14 Ca 1585/09 juris Rn. 65. 576  ArbG Berlin 27.01.2010  – 55 Ca 9120/09 juris. 577  ArbG Berlin 27.01.2010  – 55 Ca 9120/09 juris Rn. 55.



III. Rechtsprechung471 gelten, die ihre Waren oder Dienstleistungen gezielt an eine schwul-lesbische Klientel richten und deswegen auf eine schwul-lesbische Zusammensetzung der Belegschaft achten, etwa wie bei einem Café wie dem ‚B.‘, einer Zeitschrift wie der ‚S.‘ oder einer Beratungsstelle wie ‚M.-O-M.‘, um Berliner Beispiele zu nennen.“578

Eine Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen könnte also bei solchen Unternehmen mit gezielt schwul-lesbischer Klientel virulent werden. Die Ratio, die eine Benachteiligung wegen der sexuellen Identität wohl am ehesten rechtfertigen könnte, ist die Authentizität. Die Authentizität könnte zudem dort relevant werden, wo es um repräsentative oder beratende und unterstützende Tätigkeiten bei Interessenvertretungen für Menschen bestimmter sexueller Identitäten geht.579 (3) BVerwG: homosexuelle Soldaten als Ausbilder der Truppe Die Frage, inwieweit auch die Ratio der Sicherheit die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der sexuellen Identität tragen kann, stellt sich angesichts der Rechtsprechung des BVerwG zu dem Einsatz homosexueller Soldaten als Truppenausbilder. So hielt es das BVerwG wiederholt580 für zulässig, gleichgeschlechtlich veranlagte Soldaten nicht als militärische Vorgesetzte einzusetzen. Das Gericht begründete dies damit, dass es andernfalls zu nachhaltigen Störungen im Dienstbetrieb kommen könne. Es dürfe in Rechnung gestellt werden, dass homosexuell Veranlagte in einer so eng verbundenen Männergemeinschaft wie der Bundeswehr nach wie vor ganz überwiegend nicht akzeptiert würden.581 Die andernfalls unausweichlich auftretenden dienstlichen Schwierigkeiten würden die Kampfkraft der Truppe schwächen und damit den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr beeinträchtigen. Damit sind Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit angesprochen. Diese Rechtsprechung stammt freilich aus der Zeit vor Inkrafttreten des AGG. Im Schrifttum wird zum Teil darauf hingewiesen, dass sie nach Inkrafttreten des AGG nicht mehr haltbar sei.582 Dafür spricht, dass sich die Benachteiligung als Folge der Homosexuelle herabwürdigenden Haltung der Soldaten 578  ArbG

Berlin 27.01.2010  – 55 Ca 9120/09 juris Rn. 56. dazu auch Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 46; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 52; Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 64; Schleusener/Suckow/VoigtSchleusener § 8  AGG Rn. 70; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 33. 580  BVerwG 25.10.1979 NJW 1980, 1178 f.; bestätigt durch BVerwG 08.11.1990 NJW 1991, 1127 und BVerwG 18.11.1997 NVwZ-RR 1998, 244 f. 581  BVerwG 25.10.1979 NJW 1980, 1178 f. 582  Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 55; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 72; vgl. auch Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 46; a. A. hingegen 579  Vgl.

472

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

darstellt und damit der Zielsetzung europäischer und deutscher Antidiskriminierungsgesetzgebung entgegenläuft. bb) Fälle zu besonderen sexuellen Neigungen und Sexualpraktiken Inwieweit auch sozial wenig angesehene, aber nicht strafbare sexuelle Praktiken von dem Merkmal der „sexuellen Identität“ erfasst sind, ist unklar.583 Vor Inkrafttreten des AGG hatte sich die Rechtsprechung mehrfach mit Fällen der Benachteiligung auf Grund besonderer sexueller Neigungen oder Sexualpraktiken zu befassen, wobei sich die Arbeitgeber jeweils auch auf Kundenpräferenzen beriefen. Dabei löste die Rechtsprechung das Problem freiheitsrechtlich: Sie wies die Verhaltensweisen der Privatsphäre zu.584 Insofern ließen sie das Arbeitsverhältnis unberührt und seien, jedenfalls solange sie nicht strafbar seien oder die Rechte Dritter verletzten, nicht geeignet, arbeitsrechtliche Sanktionen zu begründen.585 Im Schrifttum wird zum Teil darauf hingewiesen, dass sich diese Rechtsprechung nach Inkrafttreten des AGG auch diskriminierungsrechtlich begründen ließe.586 (1) A  rbG Passau: Umschülerin zur Kauffrau für Bürokommunikation – Mitwirkung an softpornografischen, in Zeitschrift veröffentlichten ­Aufnahmen Das ArbG Passau hatte im Jahr 1997 die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung einer Umschülerin zur Kauffrau für Bürokommunikation bei einer Volkshochschule zu beurteilen.587 Die Entlassung beruhte darauf, dass sich die Umschülerin zusammen mit ihrem Freund auf softpornographischen Aufnahmen für die Zeitschrift „Praline“ ablichten ließ. Das Gericht hielt die Kündigung jedoch am Maßstab des § 626 Abs. 1 BGB für unwirksam.588 Zunächst wies es darauf hin, dass außerdienstliches Verhalten nur dann als wichtiger Grund in Betracht kommen könne, wenn hierdurch das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt würde.589 Nur unter ganz besondeMüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 37 mit dem Hinweis, dass für Soldaten die spezialgesetzliche Regelung des SoldGG gelte. 583  Siehe dazu bereits unter E. III. 2. f) die Nachweise in Fn. 572. 584  Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 93. 585  Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 1 AGG Rn. 82; vgl. auch Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 1 AGG Rn. 74. 586  Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 93. 587  ArbG Passau 11.12.1997 NZA 1998, 427 ff. 588  ArbG Passau 11.12.1997 NZA 1998, 427. 589  ArbG Passau 11.12.1997 NZA 1998, 427, 428.



III. Rechtsprechung473

ren Umständen könne durch den schlechten Ruf eines Arbeitnehmers auch das Ansehen des Unternehmens leiden. Hierbei stehe nicht die Frage im Vordergrund, ob eventuelle Mitarbeiter, Geschäftsfreunde oder Kursteilnehmer die Fotos als anstößig empfänden. Vielmehr gehe es um die objektiven Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis. Insofern sei nicht ersichtlich, dass die veröffentlichten Aufnahmen das Ansehen des Arbeitgebers – wie von ihm behauptet – in nachhaltiger Weise schädigen könnten.590 Die Fotos seien ausschließlich dem Privatbereich der Abgebildeten zuzuordnen. Anders wäre der Fall dann zu beurteilen, wenn die betreffende Beschäftigte beispielsweise im verantwortlichen Vertrauensbereich bei einem Tendenzbetrieb arbeiten würde, dessen Tendenzschutz auch die Beachtung bestimmter moralischer Grundwerte erforderte oder wenn „eine Angestellte derartige Aufnahmen von sich anfertigen und veröffentlichen lässt, die im Arbeitsverhältnis in einem sicherheits- oder vertrauensintensiven Bereich tätig ist (z. B. wenn es sich um eine Sprechstundenhilfe, Therapeutin oder ähnliche Berufsgruppe handeln würde, die im Rahmen einer nervenärztlichen Praxis oder eines entsprechenden Klinikums im ländlichen Bereich tätig ist)“591. Diese vom ArbG Passau formulierten Fälle möglicherweise zulässiger Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen lassen sich letztlich auch den drei klassischen Kategorien der Authentizität (Tendenzbetrieb), der Privatsphäre (Tätigkeiten im vertrauensintensiven Bereich) und Sicherheit (Tätigkeiten im sicherheitsintensiven Bereich) zuordnen. (2) A  rbG Berlin: Krankenpfleger auf der geschlossenen psychiatrischen Station einer Klinik – Bekenntnis zu ­sadomasochistischen Praktiken in Talkshow Das ArbG Berlin hatte im Jahr 1999 die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung eines Krankenpflegers, der auf einer geschlossenen psychiatrischen Station arbeitete, zu beurteilen.592 Er wurde entlassen, nachdem er sich in der Fernsehtalkshow „Hans Meiser“ zu sadomasochistischen Se­ xualpraktiken bekannt hatte. Der Arbeitgeber berief sich zur sozialen Rechtfertigung der personenbedingten Kündigung unter anderem auf die Befürchtung, es könne bei Zwangsmedikamentierungen bzw. Fixierungen von akuten psychiatrischen Patienten zu Distanzverletzungen durch den betreffenden Arbeitnehmer kommen.593 Darüber hinaus befürchtete das Klinikum, dass 590  ArbG

Passau 11.12.1997 NZA 1998, 427, 429. Passau 11.12.1997 NZA 1998, 427, 429. 592  ArbG Berlin 07.07.1999 NZA-RR 2000, 244 ff. 593  ArbG Berlin 07.07.1999 NZA-RR 2000, 244, 245. 591  ArbG

474

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

einzelne Patienten den Fernsehauftritt gesehen haben könnten und deshalb Ängste vor sexuellen Übergriffen entwickelt haben könnten.594 Das ArbG Berlin hielt die vom Arbeitgeber vorgetragenen Begründungen jedoch für nicht nachvollziehbar und stellte die Unwirksamkeit der Kündigung mangels sozialer Rechtfertigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG fest.595 So sei der Arbeitgeber insbesondere jegliche Begründung dafür schuldig geblieben, dass Distanzverletzungen bei Mitarbeitern vermehrt aufträten, die zu sadomasochistischen Sexualpraktiken in ihrem Privatleben neigten. Das Gericht könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kündigung nicht auf einer realen Gefährdung der Patienten, sondern auf Vorurteilen des Arbeitgebers beruhe.596 Hinsichtlich der vom Arbeitgeber angeführten Ängste der Patienten habe er weder vorgetragen, dass einzelne Patienten die Talkshow tatsächlich gesehen hätten, noch, dass sich deren Verhalten gegenüber dem betreffenden Krankenpfleger geändert habe.597 Allein die abstrakte Möglichkeit, dass der Fernsehauftritt Auswirkungen auf das therapeutische Verhältnis des betreffenden Arbeitnehmers zu den von ihm betreuten Patienten haben könnte, könne aber die Kündigung nicht rechtfertigen. Letztlich verlangte das ArbG Berlin damit – wie das BAG in seiner „Kopftuchentscheidung“598 – eine konkrete Darlegung der betrieb­ lichen Störungen durch die (vermeintlichen) Kundenpräferenzen. (3) LAG Hamm: Grundschullehrerin – Mitbetreiben eines Swingerclubs In einer Entscheidung aus dem Jahr 2001 befasste sich schließlich das LAG Hamm unter anderem mit der Frage, inwiefern das Mitbetreiben eines Swingerclubs einschließlich der sexuellen Betätigung in diesem Club die verhaltensbedingte Kündigung einer Grundschullehrerin rechtfertigen konnte.599 In der Begründung der Kündigung hatte der Arbeitgeber darauf verwiesen, dass von einer Grundschullehrerin erwartet werde, dass sie den ihr anvertrauten Schülern nicht nur fachliche Kenntnisse, sondern auch allgemeine Werte nahe bringe.600 Dies lasse sich mit dem Betrieb eines von der Mehrheit der Bevölkerung als anstößig empfundenen Partnertauschclubs nicht vereinbaren. 594  ArbG

Berlin 07.07.1999 NZA-RR 2000, 244, 246. Berlin 07.07.1999 NZA-RR 2000, 244, 245. 596  ArbG Berlin 07.07.1999 NZA-RR 2000, 244, 245. 597  ArbG Berlin 07.07.1999 NZA-RR 2000, 244, 246. 598  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483, 486; siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. c) aa) (3) (a). 599  LAG Hamm 19.01.2001  – 5 Sa 491/00 juris. 600  LAG Hamm 19.01.2001  – 5 Sa 491/00 juris Rn. 8. 595  ArbG



III. Rechtsprechung475

Das Gericht folgte dieser Argumentation indes nicht und verneinte die soziale Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG. Zunächst stellte es fest, dass Angestellte des öffentlichen Dienstes zwar das Recht hätten, ihr Privatleben so zu gestalten, wie es ihnen beliebe. Gleichzeitig träten sie aber auch als Repräsentanten des Staates gegenüber der Öffentlichkeit auf.601 Insofern komme es – abhängig von der konkreten Dienstfunktion – auch auf ihr Ansehen in der Öffentlichkeit an. Eine außerhalb des Dienstes ausgeübte Neigung, die nicht provokativ in den dienst­ lichen Bereich hineingetragen werde, sei jedoch im Regelfall kein Kündigungsgrund.602 Bei der Beurteilung des Verhaltens der Klägerin sei insbesondere zu beachten, dass die Entfernung zwischen Schule und Swingerclub über siebzig Kilometer betragen habe.603 Allein diese räumliche Entfernung spräche gegen eine Kenntniserlangung durch Lehrer, Eltern oder Schüler an der Grundschule von dem außerdienstlichen Verhalten der Klägerin. Zudem hatte die betreffende Lehrerin die Tätigkeit bereits vor über drei Jahren eingestellt, sodass umso weniger zu erwarten gewesen sei, dass ihr früheres Verhalten bekannt werde und sich nachteilig auf den Dienst auswirken könnte. Des Weiteren seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Lehrerin den Unterricht abweichend vom Lehrplan dahingehend gestaltet habe oder gestalten werde, den Schülern Werte zu vermitteln, die den persönlichen Neigungen der Klägerin entsprächen.604 Schließlich komme es auf die angesichts der Öffentlichkeitswirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens möglichen Reaktionen von Eltern und Lehrern der Grundschule nicht an.605 Diese seien bei Ausspruch der Kündigung, dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit, nicht ansatzweise abzusehen gewesen. cc) Zusammenfassung der Beobachtungen Die Rechtfertigung von Benachteiligungen wegen der sexuellen Identität im Hinblick auf Kundenpräferenzen hat seit Inkrafttreten des AGG in der Rechtsprechungspraxis keine große Rolle gespielt. Wie die Entscheidung des ArbG Stuttgart gezeigt hat, sind Tätigkeiten bei kirchlichen Arbeitgebern von Ungleichbehandlungen wegen der sexuellen Identität betroffen. Bei der Rechtfertigung steht jedoch regelmäßig das – von der Auffassung breiter Kreise der Kirchenmitglieder unabhängige – Selbstverständnis der 601  LAG

Hamm Hamm 603  LAG Hamm 604  LAG Hamm 605  LAG Hamm 602  LAG

19.01.2001  – 19.01.2001  – 19.01.2001  – 19.01.2001  – 19.01.2001  –

5 5 5 5 5

Sa Sa Sa Sa Sa

491/00 491/00 491/00 491/00 491/00

juris juris juris juris juris

Rn. 52 f. Rn. 63. Rn. 66. Rn. 68. Rn. 69.

476

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Kirche im Mittelpunkt. Kundenpräferenzen können in diesem Rahmen insofern von Bedeutung sein, als es um die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Arbeitgeber geht. Im säkularen Bereich können Kundenpräferenzen für Mitarbeiter einer bestimmten sexuellen Identität, wie die Ausführungen des ArbG Berlin andeuten, insbesondere bei Unternehmen mit gezielt schwullesbischer Klientel von Bedeutung sein. Bei den verschiedensten Tätigkeiten wurde die Berufung auf Kundenpräferenzen bereits vor Inkrafttreten des AGG in solchen Fällen relevant, in denen Beschäftigte auf Grund besonderer sexueller Neigungen benachteiligt wurden. Die Rechtsprechung wies die sexuellen Neigungen jedoch regelmäßig der Privatsphäre der Beschäftigten zu, gegenüber der sich die Unternehmerinteressen nicht durchsetzen konnten. Auch Kundenpräferenzen konnten demnach eine Benachteiligung wegen bestimmter sexueller Neigungen nicht rechtfertigen. 3. Zusammenfassung: Ergebnis der Rechtsprechungsbetrachtung Bei der Betrachtung der Rechtsprechung wird deutlich, dass jedes Merkmal seine eigenen Sachgesetzlichkeiten und Probleme im Zusammenhang mit der Kundenpräferenzproblematik birgt. Deutlich wird zudem, dass die Rechtsprechung weder merkmalsübergreifend, noch in Bezug auf einzelne Merkmale einheitliche Standards zu den Anforderungen an die konkrete Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers entwickelt hat. Festzuhalten ist aber, dass die Gerichte dem Aspekt der Konsistenz bzw. der Schlüssigkeit eines Unternehmerkonzeptes und des darauf beruhenden Stellenprofils große Bedeutung beimessen. Als Ratio für die Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen nach § 8 Abs. 1 AGG stehen bei dem Merkmal Geschlecht die Privatsphäre und die Authentizität im Mittelpunkt, in Bezug auf die Merkmale Alter und Behinderung die Sicherheit und bei dem Merkmal Religion bzw. Weltanschauung ebenfalls die Sicherheit sowie der Schutz der negativen Religionsfreiheit Dritter. Sofern die Gerichte § 10 Abs. 1 und 2 AGG bei der Rechtfertigung von Altersdiskriminierungen im Zusammenhang mit Kundenpräferenzen als Maßstab heranziehen, steht – wie bei der Rechtfertigung von Altersbenachteiligungen gemäß § 8 Abs. 1 AGG – ebenfalls die Ratio der Sicherheit im Vordergrund. Die Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen nach § 3 Abs. 2 AGG wird in der Praxis zuvorderst im Zusammenhang mit dem Merkmal Rasse bzw. ethnische Herkunft und sprachlichen Anforderungen relevant. Als Ratio zulässiger Benachteiligungen



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum477

kristallisiert sich die Kommunikationsfähigkeit (mit Kunden) heraus, die zum Teil wiederum in Sicherheits- oder Authentizitätsüberlegungen wurzelt. Bei der Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen nach § 8 Abs. 1 AGG und nach § 10 S. 1 und 2 AGG ist tendenziell die erste der jeweils zwei Voraussetzungen, also die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ bzw. das „legitime Ziel“ die große Hürde. Bei der Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen räumt die Rechtsprechung dem Arbeitgeber auf der ersten Stufe des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG, der sachlichen Rechtfertigung durch einen „rechtmäßigen Zweck“ hingegen einen weiten Ermessensspielraum ein. Die „Hürde“ ist insofern eher die Verhältnismäßigkeitsprüfung, an die die Gerichte freilich auch einen lockeren Prüfungsmaßstab anlegen.

IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum Während die Frage der Diskriminierungsrechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen in den USA bereits seit Jahrzehnten ausdifferenziert und problemkreisspezifisch erörtert wird,606 befindet sich die diesbezügliche wissenschaftliche Diskussion im deutschen Schrifttum noch in den Kinderschuhen. In Bezug auf § 611a BGB a. F. wurde die Frage nach der Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen bereits als „außerordentlich unklar“607 bezeichnet. Daran hat sich auch mit Inkrafttreten des AGG nichts geändert. So wird – nunmehr im Zusammenhang mit § 8 Abs. 1 AGG – konstatiert, es sei „[ä]ußerst problematisch […], ob und gegebenenfalls wann Kundenerwartungen oder Kundenpräferenzen eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen“608. Darüber hinaus wird festgestellt, dass für die Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen „bisher kein allgemein gültiger Maßstab“609 existiere. Verortet wird die Frage der Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen überwiegend bei der Norm des § 8 Abs. 1 AGG.610 Nur vereinzelt wird auf den erleichterten Maßstab für die Rechtfertigung unmittelbarer Altersbenachteiligungen hingewiesen611 oder die Problematik gar im Rahmen der Rechtfertigung mittelbarer Benachteiligungen angesprochen.612 606  Siehe

dazu bereits ausführlich unter C. III. 4. b). § 611a BGB Rn. 63. 608  Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 16. 609  Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 17. 610  Dies beobachten auch Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 254 Fn. 149 sowie von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 245. 611  So von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 248 f. 612  So Wege Religion im Arbeitsverhältnis (2007), S. 312 ff. und aus dem österreichischen Recht Radlingmayr ZAS 2010, 192, 193, 197 f. 607  Staudinger-Annuß

478

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

1. Meinungsspektrum Speziell in den Kommentierungen zu § 10 S. 1 und 2 AGG und § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG wird die Problematik – jedenfalls unter dem Stichwort der „Kundenpräferenzen, -wünsche oder -erwartungen“ – nicht diskutiert, sondern als solche ausschließlich im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG angesprochen. Dessen Voraussetzungen werden mit Hilfe der Formeln der Rechtsprechung erläutert.613 Die weitere Konkretisierung der Anforderungen des Rechtfertigungsgrundes erfolgt zum Teil anhand der Besprechung bestimmter Fallgruppen.614 Insbesondere die drei Kategorien der Authentizität, Privatsphäre und Sicherheit werden von den Kommentatoren immer wieder aufgegriffen und diskutiert.615 Regelmäßig werden zudem Einzelfalllisten zulässiger und unzulässiger Rechtfertigungsgründe gebildet.616 Das Meinungsspektrum zur Kundenpräferenzproblematik ist breit gefächert.617 a) Enge Auslegung des Rechtfertigungsgrundes Am einen Ende des Meinungsspektrums stehen dabei diejenigen Auffassungen, die darauf hinweisen, dass Kundenwünsche „grundsätzlich“618 bzw. „in aller Regel“619 keine Rechtfertigung begründen könnten bzw. gar pau613  Vgl. exemplarisch nur Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 18 ff. sowie Meinel/Heyn/ Herms § 8 AGG Rn. 7 ff., insbesondere Rn. 13. 614  Vgl. z. B. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 30 ff.; Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn.  5 ff.; Nollert-Borasio/Perreng § 8 AGG Rn. 7 f.; Müko-Thüsing § 8 AGG Rn.  11 ff. 615  Vgl. z. B. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 26, 28, 32, 39, 52, 55, 59, 75; Bauer/ Krieger § 8 AGG Rn. 28–30, 31a, 33, 35 f.; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 8, 17, 25, 33, 45, 59 f., 65; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 15, 23, 32. Vgl. außerdem Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 408 f. 616  Vgl z. B. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 49 ff.; Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 42; Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 20 ff., 27, 29, 35, 38 ff., 43 ff., 46; Meinel/ Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 18 ff.; Nollert-Borasio/Perreng § 8 AGG Rn. 13 f.; MüKoThüsing § 8 AGG Rn. 23 ff.; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 13 ff.; vgl. außerdem ausführlich Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 23 ff. 617  Für einen kurzen Überblick hierzu siehe Krause FS Adomeit (2008), 377, 382 ff., Lobinger EuZA 2009, 365, 372  ff. und von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S.  247 f. 618  Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 13; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 20. So außerdem auch Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 26, der angesichts der relativ großzügigen Bejahung von Ausnahmen bei der Einzelfallbetrachtung (vgl. Rn. 17, 25, 28, 33 f., 47 ff., 56 f., 59, 70) wohl eher in der Mitte des Meinungsspektrums einzuordnen ist. 619  Nollert-Borasio/Perreng § 8 AGG Rn. 8.



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum479

schal „keine Berücksichtigung“620 finden dürften. Gerade bei einer relativ weitgehenden Verneinung der Rechtfertigung unter Berufung auf Kundenpräferenzen lohnt sich aber ein genauerer Blick darauf, welche Fälle von den Autoren jeweils unter diesen Begriff subsumiert werden. Auch Autoren, die dem Rechtfertigungsgrund der Kundenerwartungen auf den ersten Blick ablehnend gegenüberzustehen scheinen, erkennen regelmäßig in Einzelfällen Ausnahmen an, die sich letztlich auf bestimmte Authentizitäts-, Privatsphäreoder Sicherheitsinteressen Dritter621 zurückführen lassen. Sie verwenden den Kundenpräferenzbegriff folglich – ohne ihn freilich genauer zu definieren – wesentlich enger als diese Arbeit.622 Insofern wird die theoretisch denkbare Extremposition, die eine Beachtlichkeit von Kundenpräferenzen im weitesten Sinne kategorisch ablehnt, in ihrer Reinform wohl nicht vertreten. Die strenge Lesart des Rechtfertigungsgrundes wird von den Autoren aus dem Verständnis hergeleitet, dass sich der Tätigkeitsbezug eines Merkmals nicht durch ein Unternehmerkonzept oder eine bestimmte Marktausrichtung begründen lasse.623 Das Aufgreifen von Kundenerwartungen bei der Tätigkeitsbeschreibung soll nicht bzw. nur in sehr eng definierten Ausnahmefällen zulässig sein.624 Anders als die Rechtsprechung gehen die Autoren damit von verobjektivierten Berufsbildern aus und stellen die technisch-mechanischen Fähigkeiten einer Tätigkeit in den Vordergrund. Dem Unternehmer wird weniger Freiheit bei der Festlegung der beruflichen Anforderungen durch ein bestimmtes Unternehmenskonzept eingeräumt. Dieses Verständnis deutet letztlich in die Richtung, die Voraussetzungen einer Rechtfertigung nur dann zu bejahen, wenn andernfalls die physisch-reale Möglichkeit zur Leistungserbringung fehlen würde.625 620  Schiek-Schmidt § 8 AGG Rn. 5; in die Richtung auch Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 22. 621  Vgl. die Bsp. bei Schiek-Schmidt § 8 AGG Rn. 4 und Däubler/BertzbachBrors § 8 AGG Rn. 4, 13 f., 22, 29, 38, 41. Beide werden generell als Vertreter einer engen Auffassung aufgeführt, so z. B. bei Krause FS Adomeit (2008), 377, 383 sowie bei Lobinger EuZA 2009, 365, 372. 622  Vgl. dazu bereits die in der US-amerikanischen Rechtsprechung getroffene Unterscheidung zwischen rechtfertigend wirkenden, auf Privatsphäreinteressen beruhenden Kundenpräferenzen und nicht rechtfertigend wirkenden, „reinen“ Kundenpräferenzen („mere customer preferences“) z. B. in Backus v. Baptist Medical Center 510 F. Supp. 1191, 1194 (E.D. Ark. 1981), siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (b) (aa). Vgl. außerdem Torres v. Wisconsin Department of Health & Social Services 859 F.2d 1523, 1530 (7th Cir. 1988), siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) bb) (1) (c). 623  Schiek-Schmidt § 8 AGG Rn. 5. 624  Vgl. Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 4, 16 f. Vgl. außerdem Rust/ Falke-Falke § 8 AGG Rn. 20, der Kundenerwartungen grs. als umwelt- und nicht tätigkeitsbezogen qualifiziert. 625  Vgl. dazu auch Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S.  249 ff.

480

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

b) Weite Auslegung des Rechtfertigungsgrundes Am anderen Ende des Meinungsspektrums lassen sich solche Auffassungen einordnen, die eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Verhältnis Arbeitgeber-Beschäftigter bereits bejahen, wenn die Kunden für ihr Verhalten sachliche Gründe haben.626 Ein Ansatz, der eine noch weitergehende Beachtlichkeit von Kundenpräferenzen fordert, klingt bei Deinert an.627 Im Zusammenhang mit diskriminierenden Druckkündigungen plädiert er dafür, die Sanktion nicht beim Arbeitgeber, sondern bei demjenigen anzusetzen, der den diskriminierenden Druck auf den Arbeitgeber ausübt, also beim Kunden. Die theoretisch denkbare Extremposition, die von einer kategorischen Beachtlichkeit der Kundenpräferenzen ausginge, wird in ihrer Reinform – wie bereits die entgegengesetzte Extremposition, die die Beachtlichkeit von Kundenpräferenzen kategorisch ablehnte – wohl nicht vertreten. c) Differenzierende Auffassungen Überwiegend werden demnach differenzierende Auffassungen vertreten. Deren gemeinsamer dogmatischen Nenner ist mit Lobinger wie folgt zu identifizieren: Sie beurteilen die Beachtlichkeit der Kundenerwartungen danach, ob diese Erwartungen ihrerseits diskriminierend sind.628 Trotz dieses gemeinsamen Ausgangspunktes werden aber bei der Bewertung verschiedener Einzelfallkonstellationen ganz unterschiedliche, zum Teil überraschende Ergebnisse erzielt. So halten beispielsweise Meinel / Heyn / Herms die Anforderung einer bestimmten ethnischen Herkunft bei Beratungstätigkeiten zur Integration ausländischer Mitbürger für unzulässig.629 Dies überrascht insofern, als sie grundsätzlich eine eher gemäßigte Lesart des § 8 Abs. 1 AGG hinsichtlich der Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen vertreten.630 Insbesondere lassen sie sonst weitgehende Ausnahmen im Hinblick auf die Authentizität zu: Sie bejahen z. B. die bevorzugte Einstellung Angehöriger einer bestimmten ethnischen Herkunft bei Bedienungspersonal in der Gastronomie, wenn das unternehmerische Konzept dies erfordert.631 Nicht zu beanstanden sei danach die bevorzugte Einstellung von Japanern in einem Sushi-Restaurant oder auch von Brasilianern in einer brasilianischen Cocktailbar. Als Vertreterin eiAdomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 46. RdA 2007, 275, 281, 283. 628  Lobinger EuZA 2009, 365, 372 f. 629  Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 29. 630  Siehe dazu genauer sogleich unter E. IV. 2. a) cc). 631  Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 14 f., 21. 626  So

627  Deinert



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum481

ner strengen Lesart des Rechtfertigungsgrundes lehnt Brors eine entsprechende Rechtfertigung in den Fällen des Bedienungspersonals in der Gastronomie zwar kategorisch ab.632 Gleichzeitig hält sie jedoch – anders als die eigentlich gemäßigteren Meinel / Heyn / Herms – eine Rechtfertigung bei Beratungstätigkeiten zur Integration ausländischer Mitbürger für zulässig.633 Ein weiteres Anschauungsbeispiel für die unterschiedliche Bewertung der Einzelfälle im Detail bildet die Fallgruppe der kulturkreisübergreifenden Kundenpräferenzen. Wird ein Beschäftigter im außereuropäischen Kulturkreis eingesetzt,634 halten viele der Kommentatoren, die eine gemäßigte Auslegung des § 8 Abs. 1 AGG vertreten, eine Benachteiligung im Hinblick auf Kundenpräferenzen für gerechtfertigt.635 Sie bejahen eine Rechtfertigung selbst dann, wenn die Ungleichbehandlung auf nach unseren Maßstäben sozial verwerflichen Vorstellungen beruht. Falke als Vertreter einer etwas strengeren Lesart des § 8 Abs. 1 AGG bejaht eine Rechtfertigung in dem Beispiel, dass eine Fluggesellschaft, die Flüge nach Mekka anbietet, nur Piloten islamischen Glaubens beschäftigt.636 Zudem hält er es für zulässig, wenn der Arbeitgeber bei beruflichen Tätigkeiten im Ausland dem Umstand 632  Däubler/Bertzbach-Brors

§ 8 AGG Rn. 39. § 8 AGG Rn. 41. 634  Die Anwendbarkeit des AGG in Fällen mit Auslandsberührung richtet sich nach Art. 8, 9 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. L 177 vom 04.07.2008, S. 6–16. Danach ist eine vertragliche Rechtswahl (Art. 8 Abs. 1 Rom I) oder bei fehlender Rechtswahl der objektive Schwerpunkt des Vertrages (Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom I) maßgebend, ErfK-Schlachter Vorb. AGG Rn. 7. Dadurch ist in erster Linie das Rechts des Arbeitsortes, also des Staates anzuwenden, „in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, und zwar auch dann, wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt wird […]. Deutsches Recht ist danach anwendbar, wenn ein gewöhnlich im Inland tätiger Monteur für einige Monate zu einem Bauvorhaben ins Ausland entsandt wird“ (Meinel/Heyn/Herms Einl. AGG Rn. 40). Arbeitet der Monteur für einen internationalen Konzern ständig auf wechselnden Baustellen in verschiedenen Ländern, ist gemäß Art. 8 Abs. 3 Rom I das Recht des Staates maßgeblich, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat. Das AGG ist also anwendbar, wenn der Monteur von der deutschen Niederlassung des internationalen Konzerns eingestellt wurde, Meinel/ Heyn/Herms Einl. AGG Rn. 41. Vgl. instruktiv zum Ganzen auch Bauer/Krieger Einl. AGG Rn. 36 ff. sowie Däubler/Bertzbach-Däubler Einl. AGG Rn. 239 ff. 635  Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 42; Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 40; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 28; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 20; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 8. So außerdem Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 48 als Vertreter einer weitergehenden Beachtlichkeit von Kundenpräferenzen. 636  Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 26. Vgl. dazu aus der US-amerikanischen Rechtsprechung Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196 ff. (N.D. Tex. 1983), siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) cc) (2). 633  Däubler/Bertzbach-Brors

482

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Rechnung trägt, dass wegen gesetzlicher Regelungen, religiöser Orientierungen oder fest verankerter Sitten und Gebräuche eine von der Heterosexualität abweichende Orientierung nicht akzeptiert wird.637 Eine entsprechende Ausnahme im Zusammenhang mit dem Merkmal Geschlecht bezeichnet er indes als überholt und nicht mehr konsensfähig.638 Klar verneint wird eine Rechtfertigung in diesen Fällen überraschenderweise von Lobinger, der Kundenpräferenzen als Rechtfertigungsgrund sonst eher großzügig anerkennt.639 Die unterschiedlichen Bewertungen der Konstellationen im Einzelfall veranschaulichen, dass ein großes Maß an Rechtsunsicherheit besteht. 2. Einzelne Lösungsansätze aus dem Schrifttum Neben der Darstellung der Kasuistik in den Kommentaren finden sich im Schrifttum einige ganzheitlichere Lösungsvorschläge zum Umgang mit Kundenpräferenzen. Dies sind die Ansätze von Thüsing, Krause, Meinel /  Heyn / Herms und Adomeit / Mohr, die die Problematik jeweils im Zusammenhang des § 8 Abs. 1 AGG erörtern (dazu unter a]).640 Im Hinblick auf § 10 S. 1 und 2 AGG wird die Kundenpräferenzfrage von von Hoff besprochen (dazu unter b]). Lobinger und Lieske schließlich plädieren für eine Lösung, die von den Ausnahmetatbeständen des AGG losgelöst ist (dazu unter cc]). Die einzelnen Ansätze werden jeweils zunächst dargestellt und anschließend bewertet. 637  Rust/Falke-Falke

§ 8 AGG Rn. 51. § 8 AGG Rn. 60. 639  Lobinger EuZA 2009, 365, 373. 640  Zwei weitere Beiträge aus jüngerer Zeit, die sich der Kundenpräferenzproblematik im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG widmen, stammen von Novara NZA 2015, 142 ff. sowie von Hwang Rechtfertigung von Benachteiligungen nach § 8 AGG (2014), passim. Novara vertritt eine eher restriktive Linie und hält eine Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen weitgehend für unzulässig. Bemerkenswert ist insbesondere seine Argumentation im Hinblick auf authentizitätsbezogene Kundenpräferenzen. Er weist darauf hin, dass es wettbewerbswidriges Verhalten sei, wenn ein Arbeitgeber sich mit einer diskriminierenden Marktauswahl einen Wettbewerbsvorteil zu erkaufen suche. Auf diese Weise stellt er – wie bereits Cantor im US-amerikanischen Recht, siehe dazu bereits unter C. III. 4. b) aa) (3) – einen Bezug des Antidiskriminierungsrechts zum Wettbewerbsrecht her, siehe dazu auch unten unter E. V. 2. b) bb) (3) (b) (aa). Hwang beantwortet die Frage nach der Rechtfertigungsmöglichkeit durch Kundenpräferenzen – wie dies z. B. auch Thüsing und Krause getan haben, dazu sogleich unter E. IV. 2 a) aa) und bb) – mit einer Kategorisierung (S. 97 ff.). Dabei bildet sie die übergeordneten Kategorien zulässiger (1) nicht vorurteilsbasierter (S. 99 ff.) und überwiegend unzulässiger (2) vorurteilsbasierter Kundenerwartungen (S. 103 ff.) sowie (3) Tätigkeiten außerhalb der EU (S. 107 f.), bei denen sie eine Rechtfertigung im Falle vorurteilsbasierter Kundenerwartungen ebenfalls für unzulässig hält. 638  Rust/Falke-Falke



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum483

a) Erörterung der Problematik im Hinblick auf § 8 Abs. 1 AGG Weit überwiegend wird die Frage der Zulässigkeit von Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen über § 8 Abs. 1 AGG gelöst.641 aa) Thüsing Thüsing hat bereits in Bezug auf das Merkmal der „unverzichtbaren Voraussetzung“ in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. eine grundlegende Systematisierung vorgeschlagen642 und überträgt diese auch auf § 8 Abs. 1 AGG.643 (1) Unverzichtbarkeit im engeren und im weiteren Sinne Dabei unterscheidet er grundsätzlich zwischen „Unverzichtbarkeit bzw. wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderung im engeren Sinne“ und „Unverzichtbarkeit bzw. wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderung im weiteren Sinne“. Erstere lasse sich durch die Fallgruppen der tatsächlichen und der rechtlichen Unverzichtbarkeit genauer beschreiben.644 Die tatsächliche Unverzichtbarkeit bestehe zum einen in den Fällen biologischer Notwendigkeit. Das häufig angeführte, praktisch aber wohl heute nicht mehr relevante Paradebeispiel dafür bildet der Beruf der Amme.645 Nach Thüsing soll tatsächliche Unmöglichkeit darüber hinaus zum anderen in der Fallgruppe der Authentizitätswahrung vorliegen, sodass beispielsweise „ein Kellner im Chinarestaurant […] kein Schwede sein“646 sollte. Rechtliche Unmöglichkeit sei gegeben, wenn die Beschäftigung von Personen mit einem bestimmten Merkmal gesetzlich verboten sei, sofern das Verbotsgesetz seinerseits diskriminierungsrechtlich zulässig und insbesondere mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar sei.647 In den genannten Fällen der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung im engeren Sinne“ sei eine Rechtfertigung zu bejahen. 641  Siehe

dazu auch bereits unter E. IV. die Nachweise in Fn. 610. RdA 2001, 319 ff. 643  MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 11. 644  MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 12 f.; aufgegriffen z. B. von Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 31 ff. und Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 27. 645  Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 27, 42; Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 33; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 12; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 6. 646  MüKo-Thüsing §  8 AGG Rn.  12; zustimmend Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 32. 647  Vgl. MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 13. 642  Thüsing

484

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Schwieriger sei die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im weiteren Sinne“ einzukreisen. Zunächst setze sie voraus, dass ein Arbeitnehmer mit einem bestimmten Merkmal die in Frage stehende Tätigkeit zwar verrichten könne, jedoch tatsächlich schlechter ausübe als Angehörige einer Gruppe, die die bestimmten Merkmale nicht aufwiesen.648 Das sei erstens dann zu bejahen, wenn die Minderleistung biologisch – möglicherweise reflektiert durch Dritte, mit denen der Arbeitnehmer zu tun hat – bedingt sei, wie z. B. in den Fällen, in denen Kunden zur Wahrung der Intimsphäre das andere Geschlecht zurückwiesen. Des Weiteren könne zweitens ein legitimes öffentliches (Sicherheits-)Interesse an der bestmöglichen Erfüllung der Aufgabe bestehen, wie dies z. B. bei der Zurückweisung weiblicher oder älterer Gefängniswärter auf Grund der Vorurteile von Häftlingen der Fall sein könne.649 Die Fälle der Kundenpräferenzen bezeichnet Thüsing als problematisch.650 Es sei darauf abzustellen, ob die Präferenzen selbst diskriminierend seien, wobei eine Rechtfertigung nur in Ausnahmefällen zu bejahen sei. In diesem Zusammenhang nennt er drei Fallgruppen, und zwar die Bestandsgefährdung des Unternehmens, Erwartungen ausländischer Kunden bei Entsendung des Arbeitnehmers in einen fremden Kulturkreis und schließlich die Fallgruppe der Markttrennung. Angesprochen sind damit Fälle, in denen eine Differenzierung nicht zu einer systematischen Benachteiligung bestimmter Arbeitnehmergruppen, sondern lediglich zu einer Markttrennung führe.651 Thüsing nennt hier wiederum das Beispiel des Chinarestaurants, das nur chinesische Kellner einstelle. (2) Bewertung Thüsings Ansatz basiert auf einer Fallgruppenbildung. Dessen Schwäche zeigt sich in dem Umgang mit dem China-Restaurantbeispiel. Thüsing ordnet es zwei verschiedenen Kategorien zu: den Fällen „tatsächlicher Unverzichtbarkeit“, sodass eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im engeren Sinne“ vorliege. Gleichzeitig nennt er es als Beispiel ausnahmsweise zulässiger Kundenpräferenzen unter dem Aspekt der Markttrennung, sodass eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im weiteren Sinne“ zu bejahen sei. Dies offenbart begriffliche Unklarheiten: zum einen wird nicht deutlich, wie weit die Gruppe der Authentizitätswahrung bei der tatsächlichen Unverzichtbarkeit zu fassen ist. Damit hängt eine zweite terminologische Abgrenzungsschwierigkeit zusammen: 648  MüKo-Thüsing

§ 8 AGG Rn. 15. § 8 AGG Rn. 16. 650  MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 17 ff. 651  Vgl. für Kritik an diesem Argument Radlingmayr ZAS 2010, 192, 195 f. 649  MüKo-Thüsing



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum485

Nach hiesigem Verständnis sind alle von Thüsing im Zusammenhang der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung im weiteren Sinne“ genannten Fallgruppen sowie die bei der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung im engeren Sinne“ eingeordneten „Authentizitätsfälle“ als Kundenpräferenzfälle einzuordnen. Thüsing definiert sein Verständnis von Kundenpräferenzfällen indes nicht. Einerseits scheint er zwischen Rechtfertigungen im Hinblick auf die Authentizität, Privatsphäre, öffentlicher Sicherheit und Kundenpräferenzen differenzieren zu wollen. Gleichzeitig ordnet er die Authentizitätsfälle als Untergruppe der Kundenpräferenzfälle ein. Angesichts dieser Abgrenzungsschwierigkeiten führt Thüsings Kategorisierungsversuch bei der Lösung der Kundenpräferenzproblematik nicht weiter.652 bb) Krause Wie bereits Thüsing bemüht sich auch Krause um eine fallgruppenartige Sortierung legitimerweise zu befolgender Kundenpräferenzen, hebt diese allerdings auf eine neue, differenziertere Ebene. (1) Gesetzlicher Anknüpfungspunkt und Fallgruppen Bei der Beurteilung der Kundenpräferenzfrage sei in einem ersten Schritt von dem gesetzlich geregelten Antidiskriminierungsrecht auszugehen.653 In einem zweiten Schritt müssten dann gegenläufige Interessen und Wertungen bei der Interpretation dieser Vorschriften berücksichtigt werden. Textlicher Anknüpfungspunkt für die rechtliche Bewertung der Kundenpräferenzen sei der „rechtmäßige Zweck“ in § 8 Abs. 1 AGG.654 Darüber könne die unternehmerische Konzeption, sofern sie auf an sich untersagten Differenzierungen aufbaue, einer Kontrolle unterworfen werden. Welche Zwecke schutzwürdig seien und welches Gewicht sie angesichts gegenläufiger Interessen hätten, sei ein Wertungsproblem, das man mit Hilfe der Fallgruppenbildung lösen könne. Krause identifiziert sechs Kategorien: körperbezogene, vertrauensbezogene, authentizitätsbezogene, anreizbezogene, xenophobische und kulturkreisübergreifende Kundenpräferenzen. Für zulässig hält er eine Rechtfertigung in den drei erstgenannten Fallgruppen, also bei körperbezogenen Präferenzen (Fälle, in denen die Arbeitnehmer unmittelbar mit dem Körper der 652  Vgl.

für Kritik an diesem Ansatz auch Staudinger-Annuß § 611a BGB Rn. 59. FS Adomeit (2008), 377, 386. 654  Krause FS Adomeit (2008), 377, 387. 653  Krause

486

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Kunden in Kontakt kämen und deren Intimsphäre berührten)655, bei vertrauensbezogenen Vorlieben656 (Tätigkeiten, die eine Vertrauensbeziehung zwischen Arbeitnehmer und Kunden erforderten, wie beispielsweise bei der Vermögensberatung speziell für z. B. Senioren) sowie in den Fällen der authentizitätsbezogenen Präferenzen, in denen das angebotene Produkt bzw. die Dienstleistung „authentischer“ erschienen, wenn die Arbeitnehmer einer bestimmten Gruppe angehörten.657 Für unzulässig hält er eine Rechtfertigung auf Grund anreizbezogener und xenophobischer Kundenpräferenzen, wenn also – wie z. B. im Hostessenwesen – die besondere Attraktivität einer Personengruppe für die Anbahnung einer Kundenbeziehung ausgenutzt werde658 bzw. die Kunden mit bestimmten Personengruppen („Fremden“) aus einer fremdenfeindlichen Motivation heraus nichts zu tun haben wollten.659 Bezüglich der sechsten und letzten Fallgruppe der kulturkreisübergreifenden Vorlieben differenziert Krause nach dem Einsatzort des Arbeitnehmers:660 Werde er hauptsächlich im europäischen Kulturkreis tätig, lehnt er eine Rechtfertigung ab. Dagegen sei eine Ausnahme vom Benachteiligungsverbot in den Fällen zulässig, in denen der Arbeitnehmer in den fremden Kulturkreis eintauchen und dort seine Tätigkeit verrichten solle.661 (2) Bewertung Durch die Identifizierung der unterschiedlichen Fallgruppen hat Krause für die Kundenpräferenzfrage relevante Problemkreise offengelegt. In der Sache nimmt sein Ansatz die bereits aus dem US-amerikanischen Recht bekannten Zuordnungen und Differenzierungen auf: Die körper-, vertrauensund authentizitätsbezogenen Kundenpräferenzen, die eine zulässige Ausnahme vom Benachteiligungsverbot begründen sollen, lassen sich auch in den Kategorien von Privatsphäre und Authentizität fassen. Ebenfalls entsprechend der Bewertung im US-amerikanischen Recht hält Krause anreizbezogene und auf Fremdenfeindlichkeit beruhende vorurteilsbedingte Kundenpräferenzen für unzulässige Rechtfertigungsgründe und betrachtet kulturkreisübergreifende Präferenzen differenzierend. Einzig die im US-amerikanischen Recht aufgeführte Fallgruppe der Sicherheitsinteressen, die in der 655  Krause

FS Adomeit (2008), 377, 388. FS Adomeit (2008), 377, 388 f. 657  Krause FS Adomeit (2008), 377, 389. 658  Krause FS Adomeit (2008), 377, 389 f. 659  Krause FS Adomeit (2008), 377, 390 f. 660  Krause FS Adomeit (2008), 377, 391 f. 661  Zur Anwendbarkeit des AGG auf derartige Fälle siehe bereits unter E. IV. 1. c) Fn. 634. 656  Krause



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum487

deutschen Rechtsprechungspraxis bei Altersbenachteiligungen eine entscheidende Rolle spielt, greift er nicht auf. Krauses Ansatz ist vor allem dahingehend zu kritisieren, dass er nicht zwischen den verschiedenen Rechtfertigungsmaßstäben der § 8 Abs. 1 AGG, § 10 S. 1 und 2 AGG und § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG differenziert.662 Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass er sich nicht tiefergehend mit der europarechtlichen Determiniertheit eines deutschen Lösungsmodells auseinandersetzt. So geht er nicht auf den Wert der Zielsetzung europäischer Antidiskriminierungspolitik als Orientierungshilfe bei der Beurteilung verschiedener Konstellationen ein, obwohl anklingt, dass er den Zweck des Antidiskriminierungsrechts zuvorderst in dem Schutz der Menschenwürde sieht.663 Auch wenn – wie Schnabel zutreffend anmerkt – die Fallgruppenbildung eine Einzelfallbetrachtung nicht entbehrlich macht,664 bleibt festzuhalten, dass Krause durch die Identifizierung verschiedener Fallgruppen wichtige Vorarbeiten für die Lösung der Kundenpräferenzproblematik geliefert hat.665 cc) Meinel / Heyn / Herms Meinel / Heyn / Herms schlagen vor, die Zulässigkeit einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen davon abhängig zu machen, ob diese innerhalb oder außerhalb des unternehmerischen Konzeptes lägen.666

662  Freilich weist Krause in einer Fußnote darauf hin, dass für mittelbare Benachteiligungen eigenständige Grundsätze gelten, vgl. Krause FS Adomeit (2008), 377, 391 Fn. 89. Vor diesem Hintergrund mag die fehlende ausführlichere Auseinandersetzung mit den verschiedenen Rechtfertigungsmaßstäben auf den begrenzten Umfang des Festschriftbeitrags zurückzuführen sein. 663  Krause FS Adomeit (2008), 377, 391. 664  Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 408. 665  So auch Lobinger EuZA 2009, 365, 379; den Ansatz begrüßend außerdem Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 47. Auch Schnabel hält, anknüpfend an Krause, grundsätzlich eine Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen bei körperbezogenen, vertrauensbezogenen, authentizitätsbezogenen und kulturkreisübergreifenden Kundenpräferenzen für möglich, Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 408. Sie richtet allerdings ein besonderes Augenmerk auf die – hier nicht näher behandelte – Problematik der hypothetischen Diskriminierung. Diese hält sie für nicht von den Gleichbehandlungsrichtlinien erfasst (S. 347 ff.). Begreife man indes, wie der EuGH, hypothetische Diskriminierungen als Diskriminierungen im Sinne der Richtlinien, ließen sie sich auch in den Fallgruppen der anreizbezogenen und xenophobischen Kundenpräferenzen rechtfertigen (S. 409 ff.). 666  Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 17; vgl. auch KR-Treber § 8 AGG Rn. 7.

488

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(1) K  undenpräferenzen innerhalb und außerhalb des Unternehmerkonzeptes Antizipiere ein Arbeitgeber Kundenerwartungen und mache sie in zulässiger, insbesondere verhältnismäßiger Weise zum Gegenstand des unternehmerischen Konzepts, sei dies nicht zu beanstanden. Hingegen könnten außerhalb des unternehmerischen Konzepts liegende Kundenerwartungen eine Benachteiligung nicht rechtfertigen. Dies gelte vor allem dann, wenn diese Kundenerwartungen selbst diskriminierend, wohl verstanden als sozial verwerflich bzw. herabwürdigend, seien. Folglich soll es nach Meinel / Heyn /  Herms darauf ankommen, ob der Arbeitgeber bestimmte Vorlieben in zulässiger, verhältnismäßiger Weise im unternehmerischen Konzept antizipiert hat. Dabei konkretisieren sie die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ mit Hilfe der Formeln der Rechtsprechung.667 Sie unterstreichen, dass die Wesentlichkeit stets dann zu bejahen sei, wenn eine Position gerade für den Träger eines bestimmten Merkmals geschaffen werde und das Arbeitsentgelt auch gerade im Hinblick darauf gezahlt werde.668 Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Annahme, dass die „Marktsegmentierung […] eine notwendige Funktionsbedingung für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft“669 sei. Sowohl das europäische Primärrecht als auch das Grundgesetz schützten die Möglichkeit, sich mit seinem Leistungsangebot von anderen Anbietern zu unterscheiden und dabei gegebenenfalls Konzepte zu verfolgen, die die Einstellung bestimmter Merkmalsträger erfordere. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG veranschaulichen sie mit Hilfe des Beispiels eines japanischen Sushi-Restaurants, dessen Konzept darin besteht, vor seinen Gästen und für diese erlebbar Sushi herzustellen und ein kleines Stück Japan inmitten einer deutschen Großstadt zu sein.670 Im Sinne der Authentizität könne der Arbeitgeber die Stelle des „SushiMeisters“ so konzipieren, dass sie mit einem Japaner besetzt werden müsse. Diese Anforderung sei im Sinne der genannten Definition „wesentlich und entscheidend“. An diese Voraussetzung seien keine übersteigerten Anforderungen zu stellen, vielmehr solle der Schwerpunkt auf der im Rahmen der Angemessenheitsprüfung vorzunehmenden Interessenabwägung liegen. Dabei regen Meinel / Heyn / Herms an, auf den (regionalen) Arbeitsmarkt abzustellen. So sei bei der Besetzung der Stelle eines Sushi-Meisters in einem japanischen Restaurant in einer deutschen Großstadt davon auszugehen, dass diese von erkennbar geringer Auswirkung auf die Beschäftigung ande667  Meinel/Heyn/Herms

§ 8 § 8 669  Meinel/Heyn/Herms § 8 670  Meinel/Heyn/Herms § 8 668  Meinel/Heyn/Herms

AGG AGG AGG AGG

Rn. 7 ff. Rn. 15. Rn. 16. Rn. 14 ff.



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum489

rer Interessenten auf dem regionalen Arbeitsmarkt sei. Folglich sei die Verhältnismäßigkeit zu bejahen. (2) Bewertung Zwar definieren Meinel / Heyn / Herms die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG in Anlehnung an die Rechtsprechung, sodass ihr Ansatz in Bezug auf die Frage, unter welchen genauen Voraussetzungen eine bestimmte berufliche Anforderung „wesentlich und entscheidend“ ist, keine neuen Erkenntnisse bringt. Hervorzuheben ist jedoch, dass sie die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des unternehmerischen Konzeptes lenken. Auf diese Weise öffnen sie die Tür zu einem Lösungsmodell, das kreativen Unternehmern die Besetzung von Marktnischen bzw. die Erschließung neuer Märkte mithilfe von Konzepten, die den Einsatz bestimmter Merkmalsträger erfordern, ermöglicht. Mit der Zielsetzung der europäischen und deutschen Antidiskriminierungsgesetzgebung (in erster Linie Integritätsschutz, daneben Verbesserung der Teilhabe besonders benachteiligter Gruppen)671 ist ihr Ansatz auch vereinbar: Diskriminierende, verstanden als sozial verwerfliche, herabwürdige Kundenpräferenzen, können eine Benachteiligung nicht rechtfertigen, erst Recht nicht, wenn sie außerhalb des Konzeptes liegen. Zudem können Meinel / Heyn / Herms durch das Abstellen auf die Arbeitschancen auf dem (regionalen) Arbeitsmarkt auch berücksichtigen, ob durch eine bestimmte Beschäftigungspolitik eventuell die Teilhabechancen besonders benachteiligter Gruppen unzulässig eingeschränkt werden. Ihr Ansatz überzeugt im Ergebnis; hinsichtlich der Voraussetzung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ besteht allerdings noch weiterer Konkretisierungsbedarf. dd) Adomeit / Mohr Einen noch marktfreundlicheren Ansatz als Meinel / Heyn / Herms präsentieren Adomeit / Mohr. (1) Maßstab des § 20 Abs. 1 AGG Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Benachteiligung im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem richten sie ihren Blick auf die 671  Siehe

dazu bereits ausführlich unter D. III. 2. und E. II. 2. c).

490

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Marktbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunden.672 Diese wird von dem zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot des § 19 AGG und der Regelung zulässiger unterschiedlicher Behandlungen in § 20 AGG geregelt. Nach § 20 Abs. 1 S. 1 genügt zur Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund. Eine Benachteiligung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft kann indes nicht gerechtfertigt werden. Der deutsche Gesetzgeber habe, so Adomeit / Mohr, die Wertentscheidung getroffen, dass Unterscheidungen im allgemeinen Privatrecht bis zu den Grenzen des §§ 19 f. AGG als marktadäquat und zulässig anzusehen seien.673 Somit könne der Arbeitgeber den Kundenwünschen auch bis zu diesen Grenzen durch seine Personalpolitik Rechnung tragen. Damit liege eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer bereits vor, wenn die Kunden für ihr Verhalten sachliche, nicht diskriminierende Gründe hätten. (2) Bewertung Die inzidente Anwendung des § 20 Abs. 1 AGG im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG begegnet aus mehreren Gründen Bedenken: Zum einen führt sie dazu, dass der Maßstab der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ durch die Hintertür auf den „sachlicher Gründe“ abgesenkt wird. Dies widerspricht der gesetzlichen Konzeption, wonach die Anforderungen an eine Rechtfertigung im arbeitsrechtlichen Bereich deutlich strenger als im zivilrechtlichen Bereich sind.674 Auch die Rechtsprechung hat klargestellt, dass sachliche Gründe zur Rechtfertigung einer unmittelbaren Benachteiligung im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG nicht ausreichend sind.675 Zum anderen ist auch die Schutzrichtung des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots eine andere. Sie soll nicht den Unternehmer vor den diskriminierenden Kunden, sondern die Kunden vor diskriminierenden Unternehmern schützen: „an sie [die Unternehmer] (und nicht an den nachfragenden Kunden) richtet sich das Benachteiligungsverbot“676, wie der Gesetzgeber in der Begründung des § 19 AGG ausdrücklich feststellt. 672  Vgl. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 46; vgl. in diese Richtung auch bereits Staudinger-Annuß § 611a BGB Rn. 63. 673  Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 46. 674  Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 8. 675  So z. B. BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019. 676  BT-Drs. 16/1780, S. 41.



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum491

Darüber hinaus führt der Ansatz von Adomeit / Mohr zu Argumentationsschwierigkeiten, sofern das Benachteiligungsverbot wegen der Merkmale „Rasse bzw. ethnische Herkunft“ betroffen ist. Diesbezügliche Ungleichbehandlungen sind nämlich im allgemeinen Zivilrecht grundsätzlich nicht zu rechtfertigen, wie Adomeit / Mohr selbst einräumen.677 Gleichwohl halten sie beispielsweise die bevorzugte Einstellung von Griechen in griechischen Restaurants, von Türken in türkischen Imbissen oder von Kubanern in kubanischen Kneipen für zulässig,678 sodass ihre Argumentation an dieser Stelle unsauber ist. b) Erörterung der Problematik im Hinblick auf § 10 S. 1 und 2 AGG Von Hoff erörtert die Frage der Rechtfertigung unter Berufung auf Kundenpräferenzen bei Altersbenachteiligungen im Zusammenhang mit § 10 S. 1 und 2 AGG.679 Dabei hält er sich systematisch an dessen Voraussetzungen und prüft sie im Hinblick auf die Kundenpräferenzfrage durch. aa) Prüfung der Voraussetzungen des § 10 S. 1 und 2 AGG Das legitime Ziel im Sinne des § 10 S. 1 AGG liege bei der Bedienung von Kundenpräferenzen regelmäßig in der profitablen Verfolgung eines unternehmerischen Konzeptes.680 Diese umfasse die unternehmerische Ausrichtung am Markt auf einen bestimmten Kundenkreis und die auf das Konzept ausgerichtete organisatorische und personelle Ausgestaltung des Unternehmens. Im Rahmen des § 10 S. 2 AGG nimmt von Hoff eine klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung mit den Voraussetzungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne vor. Die Ausrichtung an den Wünschen der Geschäftspartner sei zur profitablen Verfolgung eines Unternehmerkonzeptes grundsätzlich geeignet. Schließlich bedeuteten Kundenpräferenzen für eine bestimmte Altersgruppe ökonomisch, dass Kunden bereit seien, einen höheren Preis dafür zu zahlen, dass der Kontakt mit einer missliebigen Altersgruppe ausbleibe.681 Bei der Erforderlichkeit komme es auf den Aspekt der Wahrnehmbarkeit an: Erforderlich könne eine Ungleichbehandlung wegen des Alters nur bei Arbeitnehmern sein, die auch von den Kunden wahrgenom677  Adomeit/Mohr

§ 8 AGG Rn. 46, 51. § 8 AGG Rn. 51. 679  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 249 ff. 680  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 108. 681  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 251; vgl. zu den ökonomischen Zusammenhängen auch MüKo-Thüsing § 20 AGG Rn. 21 und Abschnitt B. II. 2. 678  Adomeit/Mohr

492

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

men würden, sei es über direkten Kundenkontakt, auf Grund einer repräsentativen Stellung im Unternehmen oder über die Medien.682 Im Rahmen der Angemessenheit wägt von Hoff schließlich das unternehmerische Interesse an der Ungleichbehandlung gegen das arbeitnehmerseitige Gleichbehandlungsinteresse ab.683 Wichtige Aspekte auf Seiten des Arbeitgebers seien die Bedeutung des Unternehmerkonzeptes, das Ausmaß der zu erwartenden Kundenreaktion und die damit zusammenhängenden Kosten. Auf Arbeitnehmerseite sei entscheidend zu berücksichtigen, inwiefern die konkrete Ungleichbehandlung eine Herabsetzung beinhalte und wie sehr sie die Teilhabemöglichkeiten einschränke. Das Maß der Herabsetzung hänge davon ab, wie sozial verwerflich die Motive hinter den Kundenpräferenzen seien. Dabei geht von Hoff davon aus, dass verwerfliche Einstellungen gegenüber Älteren recht selten seien.684 Eine persönliche, wenn auch irrationale Vorliebe für, ein größeres Vertrauen in oder eine höhere Identifikation mit Angehörigen einer Altersgruppe seien keine sozial verwerflichen Motive eines Kunden. Sozial verwerflich sei dagegen die Aversion gegen eine Altersgruppe, das pauschale Vorurteil ihrer Wertlosigkeit oder auch Leistungsunfähigkeit. Auch bezüglich der zu beachtenden Teilhabechancen mutmaßt von Hoff, dass die Gefahr der strukturellen Benachteiligung bestimmter Altersgruppen eher gering sei.685 Generell werde es eher zu einer Markttrennung in der Form kommen, dass bestimmte Arbeitgeber sich auf einen jüngeren Kundenkreis mit Hilfe jüngerer Arbeitnehmer, andere auf die Bedienung der Vorlieben eines älteren Publikums unter Zuhilfenahme älterer Arbeitnehmer spezialisierten. bb) Bewertung Von Hoffs Beitrag lenkt die Aufmerksamkeit auf zwei wichtige Gesichtspunkte: Zum einen rückt er die Geltung unterschiedlicher Maßstäbe für die Rechtfertigung von Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen in den Vordergrund und unterstreicht, dass speziell die Rechtfertigung von unmittelbaren Altersbenachteiligungen unter erleichterten Voraussetzungen möglich ist. Zum anderen diskutiert er die Kundenpräferenzfrage nicht abstrakt im Zusammenhang einer Norm, sondern prüft die einzelnen Voraussetzungen des § 10 S. 1 und 2 AGG konkret unter dem Blickwinkel der Kundenpräferenzproblematik. Dabei zeigt er auf, an welcher Stelle bestimmte Aspekte, die bei der Kundenpräferenzproblematik 682  von

Hoff Hoff 684  von Hoff 685  von Hoff 683  von

Altersdiskriminierung Altersdiskriminierung Altersdiskriminierung Altersdiskriminierung

(2009), (2009), (2009), (2009),

S. 252. S. 252 ff. S. 256. S. 257.



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum493

eine Rolle spielen, anzusprechen sind. So stellt er im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bei der Gewichtung der Arbeitnehmerinteressen Überlegungen zu dem herabsetzenden Charakter einer Arbeitgebermaßnahme und den Auswirkungen auf die Teilhabechancen der betroffenen Arbeitnehmer an. Dies entspricht in der Sache einer Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit der Zielsetzung der europäischen und deutschen Antidiskriminierungspolitik.686 Diese ist nämlich in erster Linie auf den Integritätsschutz ausgerichtet, sodass es auf den eventuell herabsetzenden Charakter einer Maßnahme ankommt. Zudem wird die Verbesserung der Teilhabechancen besonders benachteiligter Gruppen bezweckt, was von Hoff ebenfalls durch die Untersuchung der diesbezüglichen Auswirkungen einer Arbeitgebermaßnahme berücksichtigt. Sein Beitrag veranschaulicht, an welcher Stelle der Prüfung der Norm diese Überlegungen sinnvollerweise anzustellen sind. c) Erörterung der Problematik losgelöst von den Ausnahmentatbeständen Im Schrifttum finden sich zudem Ansätze, die die Lösung der Kundenpräferenzfrage nicht auf Ebene der Rechtfertigung, sondern bereits bei der tatbestandlichen Feststellung einer Benachteiligung bzw. Diskriminierung suchen. aa) Lobinger Ausgangspunkt von Lobingers Ansatz ist die Annahme, dass eine Lösung der Kundenpräferenzfrage in Abhängigkeit von Ziel und Zweck der europäi­ schen Antidiskriminierungsrichtlinien zu erfolgen habe.687 Dabei arbeitet er – wie bereits im Zusammenhang mit der Zielsetzung der europäischen Antidiskriminierungsprogrammatik dargestellt688 – drei grundsätzlich mögliche „Politiken“ heraus, und zwar solche mit integritätsschützender, solche mit verteilungs- bzw. integrationspolitischer und solche mit moral- bzw. sozialpädagogischer Ausrichtung.689

686  Siehe

zu der Zielsetzung bereits ausführlich unter D. III. 2. und E. II. 2. c). EuZA 2009, 365, 374. 688  Siehe dazu bereits unter D. III. 1. 689  Lobinger EuZA 2009, 365, 374 f. 687  Lobinger

494

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(1) Lösung auf Basis eines integritätsschützenden Ansatzes Er plädiert dafür, einen integritätsschützenden Ansatz, der auf den Persönlichkeitsrechtsschutz abzielt, zugrundezulegen.690 Nur ein solcher Ansatz ließe ausreichend Raum für die Beachtung der diskriminierungsrechtlichen Legitimität der Kundenpräferenzen. Entscheidend müsse letztlich sein, ob mit der Ungleichbehandlung eine Herabwürdigung verbunden sei. Dies hänge vom herabwürdigenden Gehalt der Kundenforderung ab. Komme einem Kundenwunsch kein persönlichkeitsrechtsverletzender Gehalt zu, gelte dies auch für das sich daran orientierende Arbeitgeberverhalten. Dann liege bereits im Ausgangspunkt keine unerlaubte Diskriminierung vor.691 Lobinger löst die Kundenpräferenzproblematik also methodisch über eine einschränkende Auslegung des Diskriminierungsbegriffs. Tatbestandlich verlangt er letztlich für das Vorliegen einer Diskriminierung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung.692 Ob und wann ein Kundenwunsch und das entsprechende Arbeitgeberverhalten herabwürdigend sind, sei eine Frage des Einzelfalls. Es ließen sich aber Leitlinien formulieren. Es komme darauf an, inwiefern die vom Arbeitgeber den Kunden gegenüber erbrachte Leistung deren persönlichen Lebensbereich berühre und wie bedeutsam das Vertrauensverhältnis für die Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks sei.693 Je stärker der Kunde seine Intim-, Privat- und auch Vermögenssphäre gegenüber dem Arbeitnehmer öffnen müsse, desto mehr Auswahlfreiheit komme ihm zu. An dem einen Ende des Spektrums stünden im öffentlichen Raum wie einer Bäckerei, einer Tankstelle oder auch der Bahn erbrachte Leistungen, die kein besonderes Zusammenwirken zwischen Kunden und Arbeitnehmer erforderten und bei denen keinerlei sachlicher Zusammenhang mit den von den Kunden geforderten Eigenschaften der Mitarbeiter bestehe.694 So erweise sich eine eventuelle Skepsis von Kunden gegenüber dunkelhäutigen Arbeitnehmern als ausgrenzende Herabwürdigung, durch die die personale Gleichwertigkeit in Frage gestellt werde. Anderes gelte jedoch im Fall authentizitätsbezogener Präferenzen: „Wer sich für einen Abend kulinarisch und atmosphärisch nach China, Indien, Frankreich, Italien oder auch Bayern versetzen lassen will und deshalb entsprechendes Personal erwartet, würdigt alle anderen Ethnien genauso wenig herab wie derjenige, der seinen Jahresurlaub in einem dieser Länder verbringen will, weil ihn die entsprechende Kultur begeistert.“695 Am anderen 690  Lobinger

EuZA 2009, 365, 378. EuZA 2009, 365, 379. 692  In diese Richtung auch Adomeit/Mohr Einl. AGG Rn. 131 ff. 693  Lobinger EuZA 2009, 365, 379 f. 694  Lobinger EuZA 2009, 365, 380. 695  Lobinger EuZA 2009, 365, 380 f. 691  Lobinger



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum495

Ende des Spektrums stünden Leistungen, die eine Integration Dritter in den engeren persönlichen Lebensbereich des Kunden erforderten und mit der Öffnung der Intim-, Privat- oder Vermögensphäre des Kunden verbunden seien, wie dies beispielsweise bei Putz- oder Haushaltshilfen oder Kindermädchen der Fall sei. Hier will Lobinger eine Herabwürdigung nicht bereits annehmen, wenn die Auswahlentscheidung nach einem geschützten Merkmal erfolge.696 Vielmehr müsse zu der eigentlichen Entscheidung noch etwa eine herabsetzende Äußerung hinzutreten. (2) Bewertung Auffällig ist zunächst, dass auch Lobinger im Ergebnis Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen vor allem dann zulassen will, wenn die Privatsphäre- oder auch Authentizitätsinteressen der Kunden berührt werden. Somit finden sich auch in seinem Ansatz zumindest zwei der drei aus dem US-amerikanischen Recht bekannten Fallgruppen wieder. Indem Lobinger die Kundenpräferenzfrage in Abhängigkeit der Zielsetzung der europäischen Antidiskriminierungspolitik löst, schärft er den Blick für die europarechtliche Determiniertheit eines deutschen Lösungsmodells. Zudem identifiziert er drei verschiedene Grundausrichtungen der Antidiskriminierungspolitik und liefert so die Koordinaten, innerhalb derer sich eine Lösung bewegen muss. Bei der Zugrundelegung eines integritätsschützenden Ansatzes argumentiert er freilich sehr ergebnisorientiert. So begründet er dessen Vorzugswürdigkeit in erster Linie damit, dass man nur auf seiner Basis zu einer differenzierenden Lösung gelangen könne, die die Beachtlichkeit der Kundenerwartungen von deren diskriminierungsrechtlicher Legitimität abhängig macht. Er untersucht nicht die den europäischen Richtlinien tatsächlich zugrunde liegende Zielsetzung, sondern spricht sich – als quasi wünschenswertes Ergebnis – für eine integritätsschützende Ausrichtung aus und „findet“ dann im Belästigungsbegriff der Richtlinien einen Anhaltspunkt dafür, dass diese Zielsetzung „in den europäischen Richtlinien durchaus angelegt“697 sei. Bei dieser rechtsfolgenorientierten Argumentation vernachlässigt er die verteilungspolitischen Elemente der Richtlinien.698 Diese sprechen dafür, dass die europäische Antidiskriminierungsprogrammatik jedenfalls sekundär auch auf die bessere Teilhabe besonders benachteiligter Gruppen abzielt.

696  Lobinger

EuZA 2009, 365, 381. EuZA 2009, 365, 378. 698  Siehe dazu bereits ausführlich unter D. III. 2. b) und d) bb). 697  Lobinger

496

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

bb) Lieske Den bislang wohl umfassendsten Beitrag zum Umgang mit der Kundenpräferenzproblematik im deutschen Recht liefert Lieske. Er widmet ihr ein Kapitel im Rahmen seiner Dissertation zu dem Thema „Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit“ und entwickelt sein Lösungsmodell auf knapp 170 Seiten. Im Kern geht es um das Verhältnis von Diskriminierungsschutz und unternehmerischer Freiheit. Dadurch erklärt sich die Perspektive Lieskes: Auf Basis der Annahme, dass jeder Eingriff in die unternehmerische Freiheit rechtfertigungsbedürftig ist,699 lotet er Konfliktpotentiale mit diskriminierungsrechtlichen Vorschriften aus. (1) L  ösung über die teleologische Reduktion der Diskriminierungstatbestände und über § 12 Abs. 4 AGG Der freie Marktauftritt und die freie Bestimmung des Angebots bildeten den Kernbereich unternehmerischen Handelns.700 So sei es dem Unternehmer infolge „seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit erlaubt, sein Marktauftreten auf eine besondere merkmalsgeprägte Klientel (Geschäft für junge Mode, Bar für Homosexuelle, Finanzdienstleistungen mit frauenspezifischer Anlageberatung) oder einen speziellen merkmalsnahen Nachfragewunsch (chinesisches Restaurant) auszurichten“701. Die unternehmerische Freiheit beinhalte insofern auch die Umsetzung der differenzierenden Angebote durch eine stimmige Personalauswahl.702 Über die Ausnahmetatbestände der Diskriminierungsverbote, insbesondere über § 8 Abs. 1 AGG ließe sich die unternehmerische Freiheit nicht ausreichend berücksichtigen.703 Deshalb seien die Diskriminierungstatbestände auf Grundlage einer Rückbesinnung auf ihre eigentliche Funktion als Herabsetzungsverbote (Ziel: Verhinderung vorurteilsbelasteter, herabsetzender, würdeverletzender Unterscheidungen) teleologisch zu reduzieren.704 Eine Differenzierung müsse in Fallkonstellationen möglich sein, die die folgenden Voraussetzungen erfüllten:705 (1) Undurchführbarkeit des Marktangebots bzw. erhebliche Erschwerung bei Verzicht auf einen merkmalsori699  Lieske

364.

700  Lieske

Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 263,

Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 237. Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 240. 702  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 244. 703  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 248 ff. 704  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 258 f. 705  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 309 ff. 701  Lieske



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum497

entierten Marktauftritt, (2) Vorurteilsfreiheit als objektive Grenze zwischen erlaubter Differenzierung und verbotener Diskriminierung – objektiv-eignungsbezogene Anknüpfung der Unterscheidung als Bewertungskriterium. Diese Voraussetzungen lägen zum einen in Fällen vor, in denen der Arbeitnehmer gerade für seine Merkmalseigenschaft bezahlt werde (Schauspieler, Mannequins, etc.).706 Zum anderen seien sie regelmäßig dort erfüllt, wo eine Unterscheidung aus sittlichen, therapeutischen, fürsorgerischen bzw. pädagogischen Gründen, auf Grund von Sicherheitsinteressen oder aus religiös bzw. kulturell verwurzelten Gründen stattfinde. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion der Diskriminierungsverbote dann anzunehmen, wenn eine besondere objektive Nähebeziehung zwischen dem Angebotsgegenstand (Produkt oder Dienstleistung) und dem merkmalsnahen Anforderungsprofil bestehe.707 Eine solche Nähebeziehung, die aus Sicht der Kunden auf einen Wissens- bzw. Qualifikationsvorsprung eines bestimmten Merkmalsträgers hindeute, bestehe z. B. bei dem thailändischen Thai-Chi-Lehrer, bei jungen Redakteuren für auf Jugendliche ausgerichtete Musiksender oder bei Kellnern einer bestimmten ethnischen Herkunft in Spezialitätenrestaurants,708 nicht hingegen bei weiblichen Verkaufskräften für Haushaltsgeräte bzw. Kosmetikartikel oder bei männlichen Verkäufern für Baumarktartikel oder Autos.709 Aber auch die übrigen Fälle, in denen Unternehmer aufgrund (herangetragener) Vorurteile diskriminieren, möchte Lieske nicht per se zugunsten der Arbeitnehmer lösen.710 Da das Risiko diskriminierenden Drittverhaltens für beide Seiten des Arbeitsverhältnisses nicht beherrschbar sei, dürfe es nicht generell zu Lasten des Arbeitgebers ausfallen.711 Vielmehr sei eine Risikoaufteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erforderlich, wozu § 12 Abs. 4 AGG712 als einfachgesetzliche Ausprägung einer Zumutbarkeitsschranke herangezogen werden könne.713 Gemäß § 12 Abs. 4 AGG hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen 706  Lieske

Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 314. zu dem Aspekt der Nähebeziehung auch bereits Krause FS Adomeit (2008), 377, 389. 708  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 299 f. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Wissens- oder Qualifikationsvorsprung tatsächlich bestehe, sondern nur darauf, ob die Kunden eine solche Vorabeinschätzung aufgrund objektiver Umstände teilten und daher eher bereit seien, auf das Angebot einzugehen, S. 301. 709  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 303. 710  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 331 ff. 711  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 350 f. 712  Siehe dazu bereits unter B. III. 2. b) dd). 713  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 353. 707  Vgl.

498

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen, wenn diese bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte benachteiligt werden. Diese Norm gestatte notfalls auch Maßnahmen gegenüber dem Diskriminierten selbst.714 Im Rahmen des § 12 Abs. 4 AGG schlägt Lieske die erhebliche Schädlichkeit als objektive Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber vor.715 Auf die unternehmerische Freiheit sei bei nachgewiesener, nicht unerheblicher Schädlichkeit des Verzichts auf eine differenzierende Maßnahme Rücksicht zu nehmen. Beispielhaft dafür nennt Lieske den Verlust einer Kundenbeziehung oder von Marktanteilen, einen Lieferausfall oder auch die Verschlechterung der Kosten-Nutzen-Relation. Unerheblich sei hingegen der drohende Verlust einer Kundenbeziehung im Rahmen von Massengeschäften, sofern Umsätze einzelner Geschäfte auf kleine Beträge beschränkt seien. Ein Umsatzverlust von über 100 € wiederum sei regelmäßig erheblich.716 Auch auf Seiten des Arbeitnehmers gelte jedoch die Zumutbarkeitsgrenze.717 Diese führe dazu, dass nach Art der Personalmaßnahme und der Intensität ihrer belastenden Wirkung zu differenzieren sei. Selbst bei nachgewiesener Schädlichkeit könne eine Entlassung nicht gerechtfertigt werden, sodass eine echte Druckkündigung auf Grund diskriminierenden Kundenverhaltens generell ausgeschlossen sei. (2) Bewertung Lieskes Perspektive auf die Kundenpräferenzproblematik unterscheidet sich insofern von dem hier gewählten Blickwinkel, als er nicht vom Diskriminierungsschutz ausgeht und fragt, inwiefern Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen angesichts der unternehmerischen Freiheit gerechtfertigt werden können. Vielmehr geht er von der unternehmerischen Freiheit aus und fragt umgekehrt, inwiefern ein Eingriff in diese durch Diskriminierungsschutzvorschriften gerechtfertigt ist. Diese Perspektive geht mit einem marktliberalen Ansatz zur Lösung der Kundenpräferenzfrage einher. (a) Kritik an der Methodik Die Reichweite des Diskriminierungsschutzes definiert er – wie Lobinger718 – durch eine Rückbesinnung auf dessen Zielsetzung. Auch in der Me714  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 353 f. m. w. N., auch zur Gegenansicht. 715  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 384. 716  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 385 mit Fn. 800. 717  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 390. 718  Siehe dazu bereits unter D. III. 1. und unter E. IV. 2. c) aa).



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum499

thodik entspricht sein Vorgehen dem Lobingers. Auf eine teleologische Reduktion der Diskriminierungsverbote muss er jedoch nur deshalb zurückgreifen, weil er eine ausreichende Berücksichtigung der unternehmerischen Freiheit im Rahmen der Ausnahmetatbestände des AGG für nicht möglich hält. Dies liegt an einer zu engen Auslegung insbesondere des § 8 Abs. 1 AGG. So hält er es unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG z. B. nicht für möglich, bei der Besetzung von Schauspielrollen nach dem Geschlecht oder auch der ethnischen Herkunft zu differenzieren.719 Diese enge Auslegung widerspricht dem in der Gesetzesbegründung niedergelegten Willen des europäischen und deutschen Gesetzgebers.720 Selbst Stimmen aus dem Schrifttum, die § 8 Abs. 1 AGG sehr eng auslegen wollen, halten eine Rechtfertigung in dem Schauspielerbeispiel für möglich.721 Auch die Rechtsprechung interpretiert § 8 Abs. 1 AGG wesentlich weiter als Lieske. Gleichermaßen wird ein Rückgriff auf die Zumutbarkeitsgrenze des § 12 Abs. 4 AGG nur auf Grund seiner strengen Auslegung des § 8 Abs. 1 AGG notwendig. Ein Ausgleich entgegenstehender Rechtspositionen von Beschäftigtem und Arbeitgeber und die Berücksichtigung der unternehmerischen Freiheit ist aber bei zutreffender, nicht übermäßig einschränkender Auslegung bereits im Rahmen der Ausnahmetatbestände möglich. Insofern überzeugt die Heranziehung des § 12 Abs. 4 AGG nicht, zumal diese Norm im Schrifttum zum Teil zur Begründung der weitgehenden Unbeachtlichkeit von Kundenpräferenzen angeführt wird: Mit der Verpflichtung, Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten bei Benachteiligungen durch Dritte zu ergreifen, sei es nicht vereinbar, wenn der Arbeitgeber seine eigenen Benachteiligungsakte auf Erwartungen oder Wünsche von Kunden stütze.722 (b) Kritik in der Sache Neben der Kritik an seiner Methodik ist bei der Kritik in der Sache zu differenzieren. Bei der Bewertung einzelner Fallkonstellationen, in denen er eine teleologische Reduktion der Diskriminierungsverbote für angezeigt hält, erzielt Lieske überwiegend überzeugende Ergebnisse. Zu begrüßen ist insbesondere, dass er Gedanken anderer Autoren aufgreift und weiterentwickelt. Dies gilt z. B. für den von Krause im Zusammenhang mit authentizi719  Lieske

Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 273 f. die Kommissionsbegründung des Art. 4 AntirassismusRL KOM(1999) 566 endg., S. 9 sowie die Gesetzesbegründung des § 611a BGB a. F. BT-Drs. 8/3317, S. 9; siehe dazu auch bereits unter D. V. 2. a) dd) (3) und unter E. II. 1. b). 721  So z. B. Däubler/Bertzbach-Brors § 8 AGG Rn. 4; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 25, 33; Schiek-Schmidt § 8 AGG Rn. 4. 722  Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 22. 720  So

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

tätsbezogenen Kundenpräferenzen genannten Aspekt der besonderen Nähebeziehung zwischen Produkt bzw. Dienstleistung und Merkmalsträger.723 Die Nähebeziehung ist ein geeignetes Kriterium zur Abgrenzung zulässiger und unzulässiger Differenzierungen in der Fallgruppe authentizitätsbezogener Kundenpräferenzen. In diesem Sinne stellte auch Bello im US-amerikanischen Schrifttum fest, dass der Einsatz attraktiven Verkaufspersonals die Kundenwahrnehmung von einem Produkt positiv beeinflusse, wenn das Produkt der Verbesserung der Attraktivität diene.724 In diesem Fall erhöhe die Schönheit des Verkaufspersonals dessen Vertrauens- und Glaubwürdigkeit.725 Daher käme eine Rechtfertigung mittelbar diskriminierend wirkender Einstellungspraktiken nach dem Attraktivitätskriterium grundsätzlich nur für solche Unternehmen in Frage, deren Produkte auf die Erhöhung der Attraktivität der Kunden abzielten.726 Zudem lässt sich Lieskes Ansatz als Weiterentwicklung der von Meinel / Heyn / Herms vorgeschlagenen Differenzierung zwischen beachtlichen, innerhalb des Unternehmerkonzepts liegenden Kundenpräferenzen und unbeachtlichen, außerhalb des Unternehmerkonzepts liegenden Kundenpräferenzen727 lesen. Lieske führt aus, unter welchen Bedingungen innerhalb des Unternehmerkonzepts liegende Präferenzen das Zurücktreten des Diskriminierungsschutzes begründen könnten. Die von ihm identifizierten Fallgruppen betreffen (1) die Bezahlung des Arbeitnehmers gerade für seine Merkmalseigenschaft (Schauspieler, Mannequins, etc.), (2) die Unterscheidung aus sittlichen, therapeutischen, fürsorgerischen bzw. pädagogischen Gründen, (3) auf Grund von Sicherheitsinteressen, (4) aus religiös bzw. kulturell verwurzelten Gründen oder (5) das Bestehen einer besonderen objektiven Nähebeziehung zwischen dem Angebotsgegenstand und dem merkmalsnahen Anforderungsprofil. Wirft man einen genaueren Blick darauf, zeigt sich, dass sich diese Gruppen letztlich wiederum auch in den Kategorien Authentizität [(1) und (5)], Privatsphäre [(2)], Sicherheit [(3)] sowie der Spezialgruppe kulturkreisübergreifender Kundenpräferenzen [(4)] fassen lassen, 723  Krause

FS Adomeit (2008), 377, 389. Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 500 f. m. w. N. Siehe zu Bellos Argumentation bereits ausführlich unter C. IV. 4. a) bb). 725  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 501 m. w. N. 726  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 501, der eine Rechtfertigung im Ergebnis allerdings auch in diesen Unternehmen ablehnt. Schließlich könnten die Unternehmen auf ein milderes Mittel, und zwar die Beschäftigung solcher Mitarbeiter, die Experten für die attraktivitätserhöhenden Produkte des Unternehmens seien und die Fähigkeit besäßen, den Kunden ihre Expertise zu vermitteln, verwiesen werden. 727  Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 17; siehe dazu auch bereits unter E. IV. 2. a) cc). 724  Bello



IV. Lösungsansätze aus dem Schrifttum501

sodass sich deren Wert als Systematisierungshilfe einmal mehr bestätigt. Anders als Meinel / Heyn / Herms will Lieske Benachteiligungen jedoch unter bestimmten Bedingungen („erhebliche Schädlichkeit“) auch bei außerhalb des unternehmerischen Konzepts liegenden, vorurteilsbedingten Kundenpräferenzen zulassen. Der Umgang mit diesen Fällen unter Heranziehung des § 12 Abs. 4 AGG überzeugt nicht. Die von Lieske genannten Beispielsfälle, in denen eine erhebliche Schädlichkeit zu bejahen sei, deuten in die Richtung der Konstruktion einer allgemeinen Rechtfertigung „aus sachlichen Gründen“. Dies ist de lege lata mit den Zielsetzungen des Diskriminierungsschutzes nicht vereinbar.728 cc) Grundsätzliche Kritik an einer Lösung auf Ebene des Tatbestands Sowohl Lobinger als auch Lieske versuchen, die Frage der Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung im Hinblick auf Kundenpräferenzen nicht erst auf Rechtfertigungs-, sondern auf Tatbestandsebene der Benachteiligungsverbote zu lösen. Zu diesem Zweck lesen sie als ungeschriebene Voraussetzung eine „Herabwürdigung“ in den Benachteiligungstatbestand herein. Dies widerspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers: Durch die Begriffswahl der „Benachteiligung“ im Gegensatz zur „Diskriminierung“ wollte er gerade deutlich machen, „dass nicht jede unterschiedliche Behandlung, die mit der Zufügung eines Nachteils verbunden ist, diskriminierenden Charakter hat. Unter ‚Diskriminierung‘ nämlich wird schon im allgemeinen Sprachgebrauch nur die rechtswidrige, sozial verwerfliche Ungleichbehandlung verstanden. Es gibt indessen auch Fälle der zulässigen unterschiedlichen Behandlung; dies zeigen die §§ 5, 8 bis 10 und 20 [AGG].“729 Das zeigt, dass er die Frage, ob ein Verhalten herabwürdigenden Charakter hat, als eine der Rechtfertigung ansieht. Für die Feststellung einer objektiven Benachteiligung als solcher hat der Gesetzgeber auf Tatbestandsebene bewusst auf das Erfordernis einer Herabwürdigung verzichtet.730 Dies spricht gegen solche Ansätze, die die Frage der Zulässigkeit einer Benachteiligung im Hinblick auf Kundenpräferenzen bereits auf tatbestandlicher Ebene lösen wollen. Vielmehr ist im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers eine Lösung auf Rechtfertigungsebene zu suchen. 728  Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 35 sowie BAG 12.11.1998 NZA 1999, 371 und BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019. Siehe außerdem bereits die entsprechende Kritik am Ansatz von Adomeit/Mohr unter E. IV. 2. a) dd) (2). 729  BT-Drs. 16/1780, S. 30; siehe zu der Begriffswahl auch bereits unter D. I. 2. a) in Fn. 15. 730  Vgl. Bauer/Krieger Einl. AGG Rn. 10, § 1 AGG Rn. 9.

502

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

3. Zusammenfassende Bewertung des Umgangs mit der Kundenpräferenzproblematik im Schrifttum Bei der Betrachtung der Stimmen aus dem Schrifttum kristallisieren sich folgende Hauptkritikpunkte an dem Umgang mit der Kundenpräferenzproblematik heraus: a) Kritik an strengeren Ansätzen Die Ansätze, die die Frage bei § 8 Abs. 1 AGG verorten und eine strengere Lesart dieser Vorschrift vertreten, vernachlässigen vor allem den Aspekt, dass die Anforderungen an eine bestimmte Tätigkeit nicht losgelöst von dem spezifischen unternehmerischen Konzept bestimmt werden können. Insofern gehen sie zu stark von bestimmten objektiven Berufsbildern und deren mechanisch-technischen Anforderungen aus. Dass bei der Definition der konkreten beruflichen Anforderungen einer Tätigkeit aber auf das spezifische unternehmerische Konzept und dessen Zwecksetzung abzustellen ist, wobei insbesondere auch Beziehungen zu Dritten eine entscheidende Rolle spielen können, hat auch die Rechtsprechung bereits festgestellt.731 Auf einem facettenreichen Gesamtmarkt muss es dem Unternehmer in einer pluralen Gesellschaft möglich sein, sein Marktauftreten auf eine besondere merkmalsgeprägte Klientel (z.  B. Finanzdienstleistungsunternehmen mit frauenspezifischer Anlageberatung) oder einen speziellen merkmalsgeprägten Nachfragewunsch (z. B. chinesisches Restaurant) auszurichten.732 Gerade innovative Angebotsformen, die auf ein bestimmtes geschütztes Merkmal ausgerichtet sind, werden, wie Lieske zutreffend feststellt, „in freien marktwirtschaftlichen Ländern nicht nur geduldet, sondern sozial akzeptiert, als Bereicherung des Gesamtangebots sogar gefordert und begrüßt“733. Auch die europäischen Richtlinien lassen, wie ihre Auslegung gezeigt hat, Raum für derartige Angebotsformen. Sie geben keine Auslegung der nationalen Rechtfertigungsbestimmungen vor, die die Ausrichtung an einer merkmalsgeprägten Klientel oder die Bedienung merkmalsgeprägter Nachfragewünsche ausschlösse.734

731  So BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1020; vgl. außerdem ArbG Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100, 101. 732  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 240. 733  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 241. 734  Siehe dazu bereits unter D. V. 2. a) dd) (2) (b) und (5).



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters503

b) Kritik an weiteren Ansätzen Auf der anderen Seite stehen die Ansätze, die eben jenem wünschenswerten Marktpluralismus ausreichend Rechnung tragen und die unternehmerische Freiheit stärker berücksichtigen. Sie laufen jedoch Gefahr, Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen bereits aus „sachlichen Gründen“ zuzulassen und damit den Diskriminierungsschutz zu vernachlässigen. Speziell die Ansätze von Lobinger und Lieske, deren Bewertung einzelner Fallkonstellationen überwiegend zuzustimmen ist, überzeugen in ihrer Methodik insofern nicht, als sie die ausreichende Berücksichtigung der unternehmerischen Freiheit im Rahmen der Ausnahmetatbestände für nicht möglich halten. Dabei hat der Gesetzgeber durch die Verwendung von Generalklauseln in den Ausnahmetatbeständen gerade Raum für die Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen – insbesondere auch der unternehmerischen Freiheit – geschaffen. c) Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Ansätzen aus dem Schrifttum Die Auseinandersetzung mit den Ansätzen aus dem Schrifttum offenbart, dass bislang kein kohärentes Modell existiert, dass eine Lösung der Kundenpräferenzfrage über die Ausnahmetatbestände des AGG vorsieht und dabei die drei Vorschriften § 8 Abs. 1 AGG, § 10 S. 1 und 2 AGG sowie § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG miteinbezieht. Ein solches Modell soll im Folgenden vorgeschlagen werden.

V. Vorschlag eines Prüfungsrasterszur Beurteilung der Kundenpräferenzfälle Auf Basis der Erkenntnisse aus den vorstehenden Kapiteln lässt sich ein Katalog von „Ansprüchen“ an ein Prüfungsraster für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Benachteiligung im Hinblick auf Kundenpräferenzen formulieren (dazu unter 1.), die beschreiben, welchen Anforderungen das Prüfungsraster genügen muss. Dieser Anspruchskatalog ist der Entwicklung des Lösungsvorschlags (dazu unter 2.) voranzustellen. 1. Ansprüche an ein Lösungsmodell – Lektionen aus den vorgehenden Kapiteln 1. Diese Arbeit legt ein sehr weites, einschließendes Verständnis von „Kundenpräferenzen“ zugrunde. Es werden sowohl tatsächliche als auch

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

vermeintliche als auch durch ein Unternehmerkonzept antizipierte Präferenzen in die Untersuchung einbezogen. Die etymologische Annäherung an den Kundenterminus hat gezeigt, dass dieser sich von der ursprünglichen Beschränkung auf Geschäftsbeziehungen aus dem privatwirtschaftlichen Sektor zu einer universalen Kategorie – so sind z. B. auch der Patient, der Arbeitslose, der Klient und selbst der Strafgefangene heute „Kunden“ – entwickelt hat. Nunmehr wird der Begriff auch in Abhängigkeitsverhältnissen verwendet, die durch eine Machtasymmetrie gekennzeichnet sind und nicht in dem Maße auf Freiwilligkeit des Kunden beruhen, wie es der Terminus suggeriert. Die Kundenrolle verschiedener „Kundentypen“ und ihrer Präferenzen ist insoweit differenziert zu betrachten. Ein Lösungsmodell für die Beurteilung der Zulässigkeit von Benachteiligungen hinsichtlich Kundenpräferenzen muss der Existenz verschiedener Kundentypen Rechnung tragen. 2. Die ökonomische Annäherung an die Problematik hat gezeigt, dass die Ökonomie der Orientierung an Kundenpräferenzen – jedenfalls abstrakt – entscheidende Bedeutung für den Unternehmenserfolg beimisst. Zwar konnte insbesondere die Kundendiskriminierungshypothese, also die Annahme, dass Kunden ihnen demographisch ähnliche Beschäftigte bevorzugen, durch Studien in den USA nicht widerspruchsfrei bestätigt werden. Andererseits konnten aber z. B. Studien zu Patientenpräferenzen die Existenz einer Vorliebe von Frauen für weibliche Ärzte bestätigen. Insofern sind die Existenz bestimmter Präferenzen, die Methoden ihrer Messung und ihre konkrete Bedeutung für ein Unternehmen immer Fragen des Einzelfalls. Ihre abstrakte und teils konkret nachgewiesene Bedeutung für den Unternehmenserfolg spricht gegen eine Lösung, die die Beachtlichkeit benachteiligender Kundenpräferenzen kategorisch verneint. 3. Die rechtliche Annäherung ergab, dass sich die Zulässigkeit von Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen als Frage der Rechtfertigung stellt. Während vor Inkrafttreten des AGG der § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. eine zentrale Stellung einnahm, sind die Maßstäbe seit Inkrafttreten des AGG § 8 Abs. 1 AGG, § 10 S. 1 und 2 AGG sowie § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG. Ein Lösungsmodell sollte auf diesen drei Normen aufbauen. 4. Die Betrachtung der Erfahrungen des US-amerikanischen Rechts im Umgang mit der Kundenpräferenzproblematik rückt die Frage nach der „essence of the business“ in den Vordergrund. Nach der US-amerikanischen Rechtsprechung soll es für die Zulässigkeit einer Rechtfertigung wegen Kundenpräferenzen darauf ankommen, ob es der „essence of the business“ zuwiderläuft, wenn ein Arbeitgeber eine Position nicht mit einem Beschäftigten, der ein bestimmtes, diskriminierungsrechtlich geschütztes Merkmal trägt, besetzt. Die entscheidende Frage, die ein Lösungsmodell zu beantworten hat, ist, (1) wie die „essence of the business“ zu bestimmen ist und wer



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters505

die Deutungshoheit hierüber hat. Darüber hinaus haben sich weitere Problemkreise herauskristallisiert. Diese betreffen namentlich die Fragen, (2) inwieweit Unternehmen gezielt (meist weiblichen) „Sex-Appeal“ dazu einsetzen dürfen, ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen; (3) ob bzw. inwieweit die Rechtfertigung einer Diskriminierung im Hinblick auf die Privatsphäre zulässig sein sollte; (4) ob Fälle mit Auslandsberührung einer Sonderbehandlung bedürfen; (5) in welchen Fällen eine Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen wegen der Ethnie legitim sein kann; und inwieweit (6) Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild bzw. (7) bestimmte Sprachanforderungen an Beschäftigte zulässig sind. Ein Lösungsansatz muss überzeugende Antworten auf diese Fragen finden. Zudem hat der Blick in das US-amerikanische Recht die Aufmerksamkeit auf die Fallgruppen der Authentizität, der Privatsphäre und Sicherheit gelenkt, die sich als Systematisierungshilfe auch im deutschen Recht bewährt haben. 5. Die wichtigsten Schlüsse aus der Auseinandersetzung mit den euro­ päischen Vorgaben lauten wie folgt: Die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien bezwecken zentral den Integritätsschutz. Daneben sind sie auch auf die Verbesserung der Teilhabechancen benachteiligter Gruppen ausgerichtet. Diese primär integritätsschützende und sekundär teilhabepolitische Ausrichtung der Antidiskriminierungsprogrammatik muss im Rahmen eines Lösungsmodells Beachtung finden. Zudem sensibilisiert die Beschäftigung mit den europarechtlichen Vorgaben für die Tatsache, dass für die einzelnen geschützten Merkmale zwar keine Hierarchie statuiert wird, aber unterschiedliche Sachgesetzlichkeiten gelten. Ein Lösungsmodell muss Raum für die Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Sachgesetzlichkeiten bieten. Des Weiteren wird bei der Betrachtung der europäischen Vorgaben deutlich, dass im Kern zwei verschiedene Maßstäbe für die Rechtfertigung von Benachteiligungen etabliert werden: Dabei ist zwischen der Rechtfertigung (1) einer unmittelbaren Benachteiligung wegen der Merkmale Rasse und ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Identität einerseits und (2) einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters sowie mittelbarer Benachteiligungen wegen aller Merkmale andererseits zu differenzieren. Letztere erfordern nur die Prüfung eines legitimen bzw. rechtmäßigen Ziels sowie eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen wegen anderer Merkmale als Alter setzt darüber hinaus das Vorliegen einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“ voraus. Ein Lösungsmodell muss den zwei verschiedenen Prüfungsmaßstäben Rechnung tragen. 6. In der Umsetzung der europäischen Richtlinienvorgaben in das deutsche Recht nimmt der Gesetzgeber die Zielsetzung der europäischen Anti-

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

diskriminierungsprogrammatik auf und legt sie dem AGG zugrunde. Dies bestätigt, dass die primäre Ausrichtung auf den Integritätsschutz sowie sekundär auf die Verbesserung der Teilhabe benachteiligter Gruppen eine entscheidende Leitlinie bei der Auslegung der einschlägigen AGG-Rechtfertigungsvorschriften bilden muss. Die §§ 8 Abs. 1, 10 S. 1 und 2 sowie 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG entsprechen in ihrem Wortlaut nahezu identisch den zugrunde liegenden Richtlinienbestimmungen. Dies sowie das Gebot richtlinienkonformer Auslegung sprechen dafür, dass auch auf Ebene des nationalen Rechts von einem Gleichlauf der Maßstäbe des § 10 S. 1 und 2 AGG und des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG auszugehen ist. Die Auseinandersetzung mit der bislang ergangenen deutschen Rechtsprechung rückt zum einen die Existenz merkmalsspezifischer Problemkreise und zum anderen die große Bedeutung eines schlüssigen, plausiblen und konsistenten Unternehmerkonzepts als Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Rechtfertigung in den Fokus. Ein Lösungsmodell muss darauf aufbauen, dass die Anforderungen an eine bestimmte Position konzeptbezogen zu beurteilen sind. Diese konzeptbezogene Beurteilung eröffnet die Möglichkeit, die Deutungshoheit über die „essence of the business“ in einem Lösungsmodell für die Kundenpräferenzproblematik stärker, als dies die US-amerikanische Rechtsprechung zulassen würde, dem Arbeitgeber zuzuweisen. Damit einher geht ein weiterer Anspruch an ein Lösungsmodell, der aus der Betrachtung bereits existierender Lösungsansätze folgt. Überzeugend wurde im Schrifttum darauf hingewiesen, dass eine Volkswirtschaft ohne Marktpluralität und Marktsegmentierung nicht leistungsfähig ist.735 Daher sind innovative Angebotsformen, bei denen ein Unternehmer sein Marktauftreten auf eine besondere merkmalsgeprägte Klientel oder einen speziellen merkmalsgeprägten Nachfragewunsch ausrichtet und sein Unternehmerkonzept mithilfe bestimmter Merkmalsträger verwirklicht, grundsätzlich als zulässige Bereicherung des Gesamtangebots anzusehen.736 Folglich muss ein Lösungsansatz einen überzeugenden Weg finden, die Entwicklung und Verwirklichung kreativer unternehmerischer Konzepte – sofern sie nicht auf einer Herabwürdigung bestimmter Merkmalsträger aufbauen – zu ermög­lichen. 2. Prüfungsraster zur Beurteilung der Kundenpräferenzfälle Die AGG-rechtlichen Bestimmungen zur Beurteilung der Zulässigkeit einer Benachteiligung im Hinblick auf Kundenpräferenzen sind bei säkularen 735  Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 16. Siehe dazu bereits unter E. IV. 2. a) cc) (1). 736  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 240 f. Siehe dazu bereits unter E. IV. 2. c) bb) (1).



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters507

Arbeitgebern737 § 8 Abs. 1 AGG und § 10 S. 1 und 2 AGG sowie § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG. Dient eine Maßnahme der gezielten Förderung bisher benachteiligter Gruppen, kommt ihre Zulässigkeit als positive Maßnahme nach dem hier nicht näher beleuchteten § 5 AGG in Betracht, jedenfalls, sofern die Fördermaßnahme auf einer gesetzlichen Grundlage beruht.738 Steht der Staat auf Arbeitgeberseite und / oder beruht die benachteiligende Maßnahme auf einer bundes- oder landesrechtlichen oder tarifvertraglichen Norm, ist sie auch am Maßstab des Grundgesetzes (insbesondere Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG) sowie an EU-Recht (insbesondere Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL) zu prüfen. Zwar stehen die AGG-rechtlichen Normen im Fokus des hier vorgeschlagenen Prüfungsrasters. Sie erfordern jedoch jeweils, wie die Prüfung am Maßstab der Grundrechte und an Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Betrachtung der Rechtsprechung hat gezeigt, dass insofern bei der Grundrechtsprüfung und bei der Prüfung der AGG-rechtlichen Vorschriften sowie bei Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL entsprechende Maßstäbe anzuwenden sind. Deshalb lassen sich die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der AGG-rechtlichen Vorschriften angestellten Überlegungen auch auf die Vorschriften des GG und des EU-Rechts übertragen. Grundsätzlich ist zwischen dem Maßstab des § 8 Abs. 1 AGG einerseits und dem Maßstab des § 10 S. 1 und 2 AGG bzw. des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG andererseits zu unterscheiden. Die Beurteilung der Kundenpräferenzproblematik erfolgt stufenweise. Die erste Stufe besteht in der Bestimmung des im konkreten Fall jeweils einschlägigen Maßstabs (dazu unter a]). Ist der Maßstab § 8 Abs. 1 AGG, ist auf einer zweiten Stufe das Vorliegen einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ zu prüfen (dazu unter b]). Andernfalls folgt direkt der Sprung zu Stufe drei, die in der Untersuchung des „rechtmäßigen bzw. legitimen Zwecks bzw. Ziels“ besteht (dazu unter c]). Die vierte Stufe erfordert schließlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung (dazu unter d]). a) Erste Stufe: Bestimmung des Maßstabs Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Benachteiligung im Hinblick auf Kundenpräferenzen ist grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Maßstäben zu differenzieren, § 8 Abs. 1 AGG einerseits und § 10 S. 1 und 2 AGG sowie § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG andererseits. 737  Bei den hier nicht im Fokus stehenden kirchlichen Arbeitgebern ist die zentrale Rechtfertigungsregelung § 9 AGG. Siehe dazu bereits unter B. III. 2. b) cc) (1) (b) und E. III. 2. c) aa) (1). 738  Vgl. dazu ErfK-Schlachter § 5 AGG Rn. 2 m. w. N. Siehe auch bereits unter B. III. 2. b) cc) (1) (d).

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

aa) Bedeutung und Herausforderungen der Abgrenzung Die Bedeutung des ersten, möglicherweise banal wirkenden Prüfungsschritts ist nicht zu unterschätzen, weil er den weiteren Prüfungsstandard vorgibt. Die Kundenpräferenzproblematik wird im deutschen Schrifttum überwiegend undifferenziert pauschal bei § 8 Abs. 1 AGG verortet. Ob jedoch tatsächlich der Maßstab des § 8 Abs. 1 AGG oder der der beiden gleichlaufenden § 10 S. 1 und 2 AGG und § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG einschlägig ist, hängt zum einen von dem konkret betroffenen Merkmal und zum anderen von der Benachteiligungsform ab. Bereits bei der Beantwortung der Frage, ob eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen eines der geschützten Merkmale vorliegt, können Schwierigkeiten auftreten. Dies gilt – wie die Fälle aus der Rechtsprechungspraxis gezeigt haben – beispielsweise für die Definition der und die Subsumtion unter die Merkmale „ethnische Herkunft“ und „Behinderung“. Auch die Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung ist zum Teil schwierig. Die Schwierigkeiten zeigen sich speziell bei zwei im Zusammenhang mit der Kundenpräferenzproblematik auftretenden Problemkreisen, und zwar bei den Kleiderordnungen (insbesondere in Form des Kopftuchverbots) sowie bei Sprachanforderungen (insbesondere in Form des Muttersprachlerkriteriums). Die Herausforderungen, die sich bei der Feststellung einer Benachteiligung wegen eines geschützten Merkmals stellen, betreffen die tatbestandliche Ebene. Zwar steht hier die Rechtfertigungsebene im Fokus. Angesichts der erheblichen Bedeutung für den Prüfungsmaßstab soll jedoch zunächst auf die Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung eingegangen werden (dazu unter bb]), um die Problematik dann anhand der genannten Beispielsfälle des Kopftuchverbots und der Muttersprachleranforderung zu veranschaulichen (dazu unter cc]). bb) Abgrenzung unmittelbare vs. mittelbare Benachteiligung Die Begriffsbestimmungen der unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung finden sich in § 3 Abs. 1 und 2 AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 AGG vor, „wenn eine Person wegen eines in § 1 [AGG] genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“.739 Eine mittelbare Benachteiligung erfordert demgegenüber laut § 3 Abs. 2 Hs. 1 AGG – bei Ausblendung der 739  Vgl.

dazu Annuß BB 2006, 1629, 1631; Kamanabrou RdA 2006, 321, 324 f.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters509

tatbestandlichen Rechtfertigungsmöglichkeit – „dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren[, die] Personen wegen eines in § 1 [AGG] genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können“. Gemeinsam ist beiden Benachteiligungsformen, dass sie zu einem objektiven Nachteil für einen Merkmalsträger im Vergleich zu Nicht-Merkmalsträgern führen. Vorausgesetzt wird jeweils ein „Ist-Soll-Vergleich“740 mit der Feststellung, dass eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ungünstiger behandelt wird als ein Nicht-Merkmalsträger in einer vergleichbaren Situation.741 Sie unterscheiden sich jedoch durch die Art der Anknüpfung an ein Merkmal im Sinne des § 1 AGG: Die unmittelbare Benachteiligung zeichnet sich durch die direkte Anknüpfung an eines (oder mehrere) der Merkmale des § 1 AGG aus.742 Im Gegensatz dazu ist die mittelbare Benachteiligung bei formaler Betrachtung merkmalsneutral und knüpft nicht direkt an ein Merkmal nach § 1 AGG an.743 Vielmehr knüpft die Differenzierung an ein Kriterium an, das von Merkmalsträgern erheblich häufiger als von anderen Personen erfüllt wird.744 Daraus resultiert eine typischerweise überwiegend gruppenangehörige Personen treffende nachteilige Wirkung.745 Als maßgebliches Unterscheidungskriterium zwischen unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung ist die Homogenität der Gruppenbildung heranzuziehen, die die unmittelbare Benachteiligung kennzeichnet: Es kommt darauf an, dass die von der Unterscheidung benachteiligte und die nicht benachteiligte Gruppe jeweils hinsichtlich des in Frage stehenden Merkmals homogen zusammengesetzt sind.746 Bei der mittelbaren Benachteiligung muss hingegen „zumindest theoretisch die Möglichkeit bestehen, dass von der benachteiligenden Maßnahme sowohl Personen der einen wie der anderen Gruppe (z. B. Frauen und Männer) erfasst werden“747. Zu beachten ist, dass die Homogenität der Gruppe zwar notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung einer unmittelbaren Benachteiligung ist. So ist es möglich, dass sie auf einem statistischen Zufall beruht. Vor diesem Hintergrund weist Rupp zutreffend darauf hin, dass eine unmittelbare Benachteiligung erst vorliegt, wenn es „denklogisch unmöglich ist, dass Merkmalsträger 740  Bauer/Krieger

§ 1 AGG Rn. 10. ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 2 m. w. N. zur Rspr. 742  Rupp RdA 2009, 307, 308. 743  Rupp RdA 2009, 307, 308. 744  ErfK-Schlachter § 3 AGG Rn. 9. 745  Vgl. ErfK-Schlachter § 3 AGG Rn. 9 m. w. N. 746  Rupp RdA 2009, 307, 308; ErfK-Schlachter § 3 AGG Rn. 2. 747  Rupp RdA 2009, 307, 308. 741  Vgl.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

sowohl bei der Gruppe der Begünstigten als auch bei der Gruppe der Benachteiligten vertreten sind“748. Entscheidend ist somit die Ausschließlichkeit der Gruppenbildung bezogen auf das in Frage stehende Merkmal.749 cc) Veranschaulichung anhand der Problemkreise „Kopftuchverbot“ und „Muttersprachleranforderung“ Dass die Einordnung einer Arbeitgebermaßnahme als unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung nicht immer auf den ersten Blick eindeutig ist,750 lässt sich anhand der – für die Kundepräferenzproblematik relevanten – Problemkreise des „Kopftuch- bzw. Kopfbedeckungsverbots“ [dazu unter (1)] sowie der „Muttersprachleranforderung“ [dazu unter (2)] illus­ trieren. (1) Kopftuch- bzw. Kopfbedeckungsverbot Das „Kopftuchverbot“ tritt in der Praxis, wie die Auswertung der verschiedenen diesbezüglichen Fälle aus der Rechtsprechung zeigt, in verschiedenen Formen auf. In staatlichen Schulen und Kindergärten sehen landesgesetzliche Regelungen zum Teil Neutralitätsgebote bzw. Bekundungsverbote vor, die den Lehrkräften bzw. Erziehern politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen untersagen.751 Speziell kirchliche Arbeitgeber im Sinne des § 9 AGG sprechen auch konkreter ein Verbot des „islamischen Kopftuchs“ aus.752 In Wirtschaftsbetrieben und -unternehmen spielen häufig Kleiderordnungen eine Rolle, in denen der 748  Rupp

RdA 2009, 307, 308. Rupp RdA 2009, 307, 310; gegen die Ausschließlichkeit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und für bloße Repräsentativität eines Merkmals für eine Gruppe zur Begründung einer unmittelbaren Benachteiligung hingegen Thüsing JZ 2006, 223, 228. 750  Vgl. zu Abgrenzungsfragen bei der Benachteiligung von Teilgruppen bzw. bei verdeckten Benachteiligungen Rupp RdA 2009, 307, 308 ff. sowie MüKo-Thüsing § 3 AGG Rn. 14 ff. 751  Vgl. dazu z.  B. BAG 12.08.2010 NZA-RR 2011, 162 ff.; BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383 ff.; BAG 20.08.2009 NZA 2010, 227 ff.; BVerwG 16.12.2008 NJW 2009, 1289 ff.; VG Düsseldorf 14.08.2007  – 2 K 1752/07 juris. Siehe für eine Darstellung dieser Entscheidungen mit Ausnahme der des VG Düsseldorf bereits unter E. III. 2. c) aa) (2). 752  Vgl. dazu z.  B. LAG Hamm 17.02.2012  – 18 Sa 867/11 juris Rn. 37 und nachgehend BAG 24.09.2014 NZA 2014, 1407, 1408 f. sowie ArbG Köln 06.03.2008 – 19 Ca 7222/07 juris Rn. 12. Siehe für eine Darstellung dieser Entscheidungen bereits unter E. III. 2. c) aa) (1). 749  Vgl.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters511

„Stil des Hauses“ vorgegeben753 und in der Regel ohne konkreten Bezug zum Islam Kopfbedeckungen allgemein verboten oder aber im Gegenteil, wie der „Cockpit-Mützen-Fall“754 zeigt, das Tragen bestimmter Kopfbedeckungen vorgegeben wird. (a) Einordnung durch die Rechtsprechung In der Qualifikation des Kopftuchverbots als unmittelbare bzw. mittelbare Benachteiligung lässt die Rechtsprechung keine einheitliche Linie erkennen. Das BVerfG ordnet das Bekundungsverbot in seiner neuen Entscheidung aus dem Jahr 2015 ohne weitere Begründung als unmittelbare Benachteiligung wegen der Religion im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG ein.755 Ebenso ver­ fährt regelmäßig das BAG.756 Andere Gerichte, insbesondere das BVerwG, umgehen die Beantwortung dieser Frage. Sie „springen“ direkt zu dem Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG, dessen Voraussetzungen knapp bejaht werden.757 Die Prüfung des § 8 Abs. 1 AGG könnte dafür sprechen, dass auch die Verwaltungsgerichte das Bekundungsverbot als unmittelbare Benachteiligung wegen der Religion qualifizieren. Zwingend ist dieser Schluss indes nicht: Zum Teil wird die Frage nach der Benachteiligung auch ausdrücklich offengelassen, da jedenfalls die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG vorlägen.758 Diese könnten aber nicht nur eine unmittelbare, sondern erst recht eine mittelbare Benachteiligung rechtfertigen. In der Beurteilung eines konkreten Verbots des „islamischen Kopftuchs“ ging das ArbG Köln zunächst explizit auf die Rechtfertigungsgründe der §§ 8, 9 AGG ein. Mangels der Voraussetzungen dieser Vorschriften bejahte es dann aber eine mittelbare Benachteiligung.759 Bei Annahme einer mittelbaren Benachteiligung wären indes die erleichterten Rechtfertigungsvoraussetzungen des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG heranzuziehen gewesen. Die Einordnung als mittelbare Benachteiligung überrascht aber insofern, als sich das Verbot eines „islamischen Kopftuchs“ deutlicher als das allgemeine, für alle Religionen gelten753  So z. B. in der berühmten „Kopftuchentscheidung“ des BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483; siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter B. III. 2. a) ee) (2) (a) und E. III. 2. c) aa) (3) (a). 754  ArbG Köln 05.04.2011  – 12 Ca 8659/10 juris sowie nachgehend LAG Köln 29.10.2012  – 5 Sa 549/11 juris und BAG 30.09.2014 NZA 2015, 121. 755  BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1369. 756  So BAG 20.08.2009 NZA 2010, 227, 230; BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 386; BAG 12.08.2010 NZA-RR 2011, 162, 166. 757  So z. B. BVerwG 16.12.2008 NJW 2009, 1289, 1291 sowie ArbG Berlin 28.03.2012  – 55 Ca 2426/12 juris Rn. 21. 758  So VG Düsseldorf 14.08.2007  – 2 K 1752/07 juris Rn. 76. 759  ArbG Köln 06.03.2008  – 19 Ca 7222/07 juris Rn. 21.

512

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

de – und von dem BAG dennoch als unmittelbar benachteiligend qualifizierte – Bekundungsverbot als direkte Benachteiligung der islamischen Religion darstellt. Nach alledem zeigt sich, dass in der Rechtsprechung noch Klärungsbedarf hinsichtlich der Einordnung des Kopftuchverbots als unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung besteht. (b) Auffassungen in der Literatur Auch in der Literatur besteht Uneinigkeit hinsichtlich der Qualifikation des Kopftuchverbots als unmittelbar oder mittelbar benachteiligend. Es wird darauf hingewiesen, dass das Kopftuchverbot Benachteiligungen wegen verschiedener geschützter Merkmale, nämlich Religion, Geschlecht und Ethnie, begründen könne.760 Indes wird lediglich hinsichtlich des Merkmals Religion auch das Vorliegen einer unmittelbaren Benachteiligung vertreten.761 Dafür wird als Argument angeführt, dass das Kopftuch repräsentativ für den Islam sei.762 Andere weisen hingegen darauf hin, dass Kopftücher auch aus modischen oder politischen Gründen getragen würden.763 Mit Kopftüchern kleideten sich zwar überproportional häufig, aber eben nicht ausschließlich Frauen aus bestimmten Regionen der Welt, die dem Islam angehörten. Folglich begründe das Kopftuchverbot lediglich eine mittelbare Benachteiligung.764 (c) Einordnung: grundsätzlich mittelbare Benachteiligung Unter Berücksichtigung des Abgrenzungskriteriums „Homogenität der Gruppenbildung“ überzeugt die Auffassung, die Kopftuchverbote grundsätzlich auch bezüglich des Merkmals Religion als mittelbare Benachteiligung qualifiziert. Zutreffend betont Rupp, dass sich auf der Seite der Benachteiligten bezogen auf das Merkmal Religion keine homogene Gruppe bildet.765 Wurzelt das Kopftuchverbot in einem allgemeinen Bekundungsverbot, kann es aber dann eine unmittelbare Benachteiligung wegen der (islamischen) Re760  Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 100; Rohe GS Blomeyer (2004), 217, 226 m. w. N. 761  So Meinel/Heyn/Herms § 3 AGG Rn.8; Thüsing JZ 2006, 223, 228; wohl auch Rust/Falke-Rust § 3 AGG Rn. 32. 762  Thüsing JZ 2006, 223, 228. 763  Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 100. 764  So Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 100; Bauer/Krieger § 3 AGG Rn. 38; Rupp RdA 2009, 307, 308; Seifert German Law Journal 4 (2003), 559, 568; wohl auch Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 1 AGG Rn. 57. 765  Rupp RdA 2009, 307, 310.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters513

ligion begründen, wenn es ausschließlich Musliminnen gegenüber durchgesetzt wird.766 Entsprechendes gilt, wenn sich – wie in dem der „Kopftuchentscheidung“ des BAG767 zugrunde liegenden Fall zu vermuten steht – die ablehnende Haltung der Kunden gegenüber Kopftuch tragenden Beschäftigten nicht gegen das Tragen eines Kopftuchs an sich, sondern gegen das Kopftuchtragen als Ausdruck des muslimischen Glaubens richtet.768 Insofern liegt ein Fall der verdeckten unmittelbaren Benachteiligung769 vor, der sich als Tarnungsversuch erweist, mit dem der Arbeitgeber seine direkte Anknüpfung an ein geschütztes Merkmal zu verschleiern sucht. Das BAG hat klargestellt, dass eine verdeckte Benachteiligung nicht stets eine mittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG ist: „Sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Benachteiligung können offen oder verdeckt erfolgen, je nachdem, ob direkt an ein verbotenes (unmittelbare Diskriminierung) bzw. nur dem Anschein nach neutrales Merkmal (mittelbare Diskriminierung) offen oder verdeckt angeknüpft wird.“770 Eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Religion ist schließlich auch dann zu bejahen, wenn nicht allgemein ein „Kopftuchverbot“, sondern ein konkretes Verbot des „islamischen Kopftuchs“ ausgesprochen wird.771 In diesem Fall offenbart sich noch stärker als bei der verdeckten unmittelbaren Benachteiligung, dass das Kopftuchverbot nicht gegen das Kopftuchtragen an sich, sondern gegen das Kopftuchtragen als Ausdruck des muslimischen Glaubens gerichtet ist. (2) Sprachanforderungen, insbesondere Muttersprachlerkriterium Wie das Kopftuchverbot kommen auch Anforderungen an bestimmte Sprachkenntnisse des Beschäftigten in verschiedenen Formen vor. Die Auswertung der diesbezüglichen Fälle aus der Rechtsprechung hat gezeigt, dass die Bandbreite von „ausreichenden Deutschkenntnissen“ über die „Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift“ und „sehr gute Deutschkenntnisse“ 766  Vgl.

Rn. 9.

zu diesem Aspekt auch VG Düsseldorf 14.08.2007  – 2 K 1752/07 juris

767  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483 ff. Siehe dazu bereits unter B. III. 2. a) ee) (2) (a) und E. III. 2. c) aa) (3) (a). 768  Vgl. dazu Seifert German Law Journal 4 (2003), 559, 565; Thüsing/Wege ZEuP 2004, 399, 418 Fn. 54, 420; an anderer Stelle ordnet Wege den Fall hingegen als mittelbare Benachteiligung ein: Wege Religion im Arbeitsverhältnis (2007), S. 313. 769  Vgl. dazu Adomeit/Mohr § 3 AGG Rn. 10, 74; Rupp RdA 2009, 307, 311; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 3 AGG Rn. 15; MüKo-Thüsing § 3 AGG Rn. 15. 770  BAG 22.07.2010 NZA 2011, 93, 97. 771  Vgl. Thüsing/Wege ZEuP 2004, 399, 420.

514

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

bis hin zu dem Kriterium „Muttersprachler“ reicht.772 Bei diesen Anforderungen stellt sich die Frage einer Benachteiligung wegen des Merkmals Rasse oder ethnische Herkunft. Daneben sprechen Hinrichs / Stütze eine mögliche Benachteiligung wegen des Merkmals Behinderung an, die „in der Praxis bisher weitestgehend keine Beachtung“773 gefunden habe. Beispielhaft beziehen sie sich auf die Behinderungen Taubstummheit, Gehörlosigkeit oder auch Legasthenie.774 Darüber hinaus ist denkbar, dass Anforderungen wie „fließende Beherrschung der deutschen / englischen / etc. Sprache“ z. B. Menschen, die stottern, benachteiligen könnten. Angesichts der – durch die Fälle aus der Rechtsprechung bestätigten775 – größeren praktischen Relevanz von Sprachanforderungen im Zusammenhang mit dem Merkmal ethnische Herkunft soll der Fokus im Folgenden darauf gerichtet werden, ob bzw. unter welchen Bedingungen Anforderungen an bestimmte Sprachkenntnisse eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft sind. (a) Einordnung durch die Rechtsprechung Anforderungen an den Grad einer Sprachbeherrschung werden in der Rechtsprechung regelmäßig als mittelbare Benachteiligungen eingeordnet,776 zum Teil wird sogar die Frage einer mittelbar benachteiligenden Wirkung verneint777 bzw. angesichts des Vorliegens einer sachlichen Rechtfertigung offen gelassen.778 Insbesondere das BAG lehnt eine unmittelbare Benachteiligung mit der Begründung ab, dass die Beherrschung der deutschen Sprache von der Ethnie unabhängig sei und auch Mitglieder fremder Ethnien die deutsche Sprache fehlerfrei in Wort und Schrift beherrschen könnten.779 Grundsätzlich geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Grad der Beherrschung einer Sprache unabhängig von der ethnischen Herkunft erworben werden könne, Anforderungen an einen bestimmten Umfang der Sprachbeherrschung jedoch Angehörige anderer Ethnien mittelbar benachteiligen 772  Siehe

dazu bereits die unter E. III. 2. b) dargestellten Entscheidungen. NZA-RR 2011, 113. 774  Hinrichs/Stütze NZA-RR 2011, 113, 114. 775  Vgl. allerdings die Entscheidung BAG 15.02.2005 NZA 2005, 870, 873, in der das Gericht feststellte, dass die Anforderung „gute Schreibmaschinenkenntnisse“ zu einer mittelbaren Benachteiligung von Menschen mit einer Schwerbehinderung führen könne. 776  So z. B. BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1230; LAG Nürnberg 05.10.2011 – 2 Sa 171/11 juris Rn. 70; ArbG Hamburg 26.01.2010  – 25 Ca 282/09 juris Rn. 41. 777  So ArbG Berlin 26.09.2007  – 14 Ca 10356/07 juris Rn. 20. 778  So BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625, 626. 779  BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625; BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1229. 773  Hinrichs/Stütze



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters515

könnten. Vereinzelt wurde freilich auch eine unmittelbare Benachteiligung bejaht: Das ArbG Berlin bewertete das Einstellungskriterium „Muttersprachler“ als unmittelbar benachteiligend.780 Zur Begründung führte es aus, dass deutsche Muttersprachler nur in einem kleinen Teil der die Welt bevölkernden Ethnien vorkämen, sodass das Kriterium der deutschen Muttersprache zu einem Ausschluss einer großen Zahl von Ethnien führe und zwingend eine Andersbehandlung wegen der ethnischen Herkunft sei. Zudem nahm das LAG Bremen eine unmittelbare Benachteiligung in einem Fall an, in dem einer Beschäftigten wegen ihres russischen Akzents gekündigt wurde.781 Dies wurde damit begründet, dass es im konkreten Fall nicht um fehlende Deutschkenntnisse der Beschäftigten gehe. Vielmehr sei ihre Aussprache in einen Zusammenhang mit ihrer Herkunft aus dem russischen Sprachraum gebracht worden, sodass letztlich an die ethnische Herkunft angeknüpft worden sei. (b) Auffassungen in der Literatur Wie in der Rechtsprechung werden Anforderungen an bestimmte Sprachkenntnisse auch im Schrifttum überwiegend als mittelbare Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft eingeordnet.782 Uneinigkeit besteht indes dahingehend, wie das Kriterium „Muttersprachler“ zu qualifizieren ist. Verlangt ein Arbeitgeber Deutsch als Muttersprache, wird dies zum Teil im Einklang mit der Auffassung des ArbG Berlin als unmittelbar benachteiligend angesehen.783 Dadurch würden alle Sprecher einer anderen Muttersprache und damit alle anderen Ethnien ausgeschlossen, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie werde schließlich durch eine gemeinsame Muttersprache geprägt.784 Die Gegenauffassung argumentiert auf der Grundlage der Definition der Muttersprache als „in der frühen Kindheit ohne formalen Unterricht erlernte Sprache“785 bzw. „im primären Spracherwerb des Kindes er780  ArbG

Berlin 11.02.2009 NZA-RR 2010, 16, 17. Bremen 29.06.2010 NZA-RR 2010, 510, 512 f. 782  So z. B. Bauer/Krieger § 3 AGG Rn. 38; Günther ArbR 2010, 285; Hinrichs/ Stütze NZA-RR 2011, 113, 114; Meinel/Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 14 sowie § 3 AGG Rn. 28; MüKo-Thüsing § 3 AGG Rn. 51; grundsätzlich auch ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 5. 783  So Herbert/Oberrath NJ 2011, 8, 9. In die Richtung auch ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 5, die Anforderungen an den Grad der Sprachbeherrschung zwar grundsätzlich als mittelbare Benachteiligung einordnet, die Rechtfertigung der „Muttersprachleranforderung“ aber nur unter den – für unmittelbare Benachteiligungen geltenden – strengen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG zulassen will. 784  Herbert/Oberrath NJ 2011, 8, 9. 785  Hinrichs/Stütze NZA-RR 2011, 113, 114 m. w. N. 781  LAG

516

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

lernte Sprache im Gegensatz zur später erlernten Fremdsprache“786. Im Normalfall sei ein Muttersprachler also eine Person, in dessen Elternhaus die Sprache gesprochen wurde.787 Diese Sprache sei oft die Herkunftssprache der Eltern und damit mittelbar ein ethnisches Kriterium bei der Personalauswahl.788 Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass die Anforderung „Muttersprachler“ inhaltlich gleichbedeutend mit der Forderung „perfekter Sprachbeherrschung“ sei.789 Diese Begriffe würden in der Lebenswirklichkeit deckungsgleich verwendet. Gebrauche der Arbeitgeber das Kriterium Muttersprachler als Synonym für eine Person mit perfekten Kenntnissen der jeweiligen Sprache, knüpfe er nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar an die ethnische Herkunft an.790 (c) Einordnung: grundsätzlich mittelbare Benachteiligung Den Ausgangspunkt für die Qualifikation einer bestimmten Sprachanforderung als unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft bildet die Definition dieses Merkmals. Das BAG umging in seinen zu sprachlichen Anforderungen ergangenen Entscheidungen bislang eine genaue Begriffsbestimmung. Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, dass sie „umstritten und schwierig“791 sei und „sich einer präzisen inhaltlichen Konturierung“792 bzw. einer „klaren juristischen Begriffsbildung“793 entziehe. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass der Begriff der ethnischen Herkunft bzw. der Ethnie den Terminus der Rasse mit umfasse.794 Maßgeblich für den Begriff der Ethnie soll die Wahrnehmung einer Gruppe als abgegrenzt in Gebräuchen, Herkunft und Erscheinung sein.795 Dabei können „Hautfarbe, äußeres Erscheinungsbild, Sprache und Religion […] wichtige Merkmale sein, den Typos der Ethnie zu beschreiben“796. Im 786  Gruber

NZA 2009, 1247, 1248 m. w. N. NZA 2009, 1247, 1248; Hinrichs/Stütze NZA-RR 2011, 113, 114. 788  Gruber NZA 2009, 1247, 1248. 789  Gruber NZA 2009, 1247, 1248; Hinrichs/Stütze NZA-RR 2011, 113, 114. 790  Hinrichs/Stütze NZA-RR 2011, 113, 114. 791  Herbert/Oberrath NJ 2011, 8, 9. 792  Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 50. 793  Meinel/Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 10. 794  Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 49; Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 19; Herbert/ Oberrath NJ 2011, 8, 9; Meinel/Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 12; ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 4; a. A. aber Wendeling-Schröder/Stein-Stein § 1 AGG Rn. 9. 795  Für eine Konkretisierung der danach erfassten Gruppen siehe MüKo-Thüsing § 1 AGG Rn. 57; vgl. außerdem Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 35 ff. 796  MüKo-Thüsing § 1 AGG Rn. 56; so auch Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 51; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 1 AGG Rn. 42. 787  Gruber



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters517

Schrifttum wird zudem zutreffend bemerkt, dass es vielfach Sachverhalte geben wird, bei denen scheinbar auf die Staatsangehörigkeit abgestellt wird, in der Sache jedoch die ethnische Herkunft gemeint ist.797 Davon ist auszugehen, „wenn eine Person als andersartig eingestuft wird (‚Südländer‘, ‚Afrikaner‘ oder ‚Amerikaner‘), ohne dass es darauf ankommt, welchen Pass sie hat“798. Gleiches gilt, wenn der in Bezug genommene Staat durch ein Staatsvolk charakterisiert wird, das die Voraussetzungen einer Ethnie erfüllt, was nach Däubler regelmäßig der Fall sein wird.799 Dementsprechend kann auch eine (vermeintliche) Benachteiligung „der Algerier“, „der Türken“ oder auch „der Polen“ eine unmittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft sein.800 Ein solches Verständnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers: Im Sinne der Gewährleistung eines „möglichst lückenlosen Schutz[es] vor ethnisch motivierter Benachteiligung“801 möchte er das Merkmal der ethnischen Herkunft weit verstanden wissen. Es umfasse insbesondere „Benachteiligungen auf Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, des nationalen Ursprungs oder des Volkstums (im Sinne des ethnischen Ursprungs). Dies gilt auch dann, wenn scheinbar auf die Staatsangehörigkeit oder Religion abgestellt wird, in der Sache aber die ethnische Zugehörigkeit gemeint ist“802. Auf Grundlage dieses Begriffsverständnisses lässt sich nun feststellen, dass das Beherrschen einer Sprache in einem gewissen Umfang die ethnische Herkunft berührt. Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie kann auch durch eine gemeinsame Sprache geprägt werden. Eine gemeinsame Sprache ist freilich weder notwendiges noch hinreichendes Definitionskriterium einer Ethnie. Unter Heranziehung des Abgrenzungskriteriums „Homogenität der Gruppenbildung“ ist zu konstatieren, dass die Anforderung der Beherrschung einer Sprache in einem bestimmten Grad weder auf der Seite der davon Benachteiligten, noch auf der Seite der Begünstigten zu einer homogenen Gruppe bezüglich des Merkmals Ethnie führt: Sprachkenntnisse können unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie erworben werden. Dies gilt selbst dann, wenn auf das Kriterium „Muttersprachler“ 797  Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 24; Wendeling-Schröder/Stein-Stein § 1 AGG Rn. 15; vgl. außerdem Meinel/Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 14. 798  Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 63 in Ahnlehnung an Schiek AuR 2003, 44, 45. 799  Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 34. 800  Vgl. Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 34; Bauer/Krieger § 1 AGG Rn. 24; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 1 AGG Rn. 44; MüKo-Thüsing § 1 AGG Rn. 57. Lediglich eine mittelbare Benachteiligung annehmen wollen indes Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 63; Meinel/Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 14; ErfKSchlachter § 1 AGG Rn. 4a. 801  BT-Drs. 16/1780, S. 30. 802  BT-Drs. 16/1780, S. 31.

518

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

abgestellt wird. Menschen asiatischer Herkunft können ebenso mit der Muttersprache „Deutsch“ aufgewachsen sein wie Menschen afrikanischer Herkunft, z. B., wenn sie in Deutschland bei deutschen Adoptiveltern aufgewachsen sind. Freilich werden Mitglieder anderer Ethnien überproportional häufig negativ von dem Einstellungskriterium „deutscher Muttersprachler“ betroffen sein, aber die Gruppe der deutschen Muttersprachler schließt Angehörige anderer Ethnien nicht zwangsläufig aus. Daraus folgt, dass Sprachanforderungen einschließlich des Kriteriums „Muttersprachler“ grundsätzlich lediglich zu einer mittelbaren, nicht jedoch zu einer unmittelbaren Benachteiligung wegen der Ethnie führen können. Etwas anderes ist nur dann anzunehmen, wenn sich die Anknüpfung an bestimmte Sprachkenntnisse letztlich als verdeckte unmittelbare Anknüpfung an die ethnische Herkunft darstellt, wenn die Anforderung „Muttersprache Deutsch“ nicht Synonym für eine „perfekte Sprachbeherrschung“, sondern für „Herkunft aus Deutschland“ gebraucht wird, wodurch Menschen ausländischer Herkunft ausgeschlossen werden sollen. Entsprechendes gilt, wenn nicht positiv ein bestimmter Grad der Beherrschung einer Sprache verlangt wird, sondern ein bestimmter Akzent abgelehnt wird,803 sodass letztlich auf die Herkunft aus einem bestimmten Sprachraum abgestellt wird.804 dd) Zusammenfassung zur Bestimmung des Prüfungsmaßstabs Die Beleuchtung des Kopftuchverbots sowie der Sprachanforderungen veranschaulicht, dass die Einordnung einer Arbeitgebermaßnahme als unmittelbare bzw. mittelbare Benachteiligung keineswegs immer auf den ersten Blick eindeutig ist. Da von der Qualifikation einer Maßnahme als unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung der Prüfungsstandard für die Rechtfertigung abhängt, ist dieser Prüfungsschritt bei der Beurteilung der Kundenpräferenzfälle entscheidend. Die Abgrenzung ist mit Hilfe des Kriteriums „Homogenität der Gruppenbildung“ vorzunehmen. Einzig in Bezug auf das Merkmal „Alter“ spielt die Differenzierung zunächst keine Rolle, da auch bei unmittelbaren Benachteiligungen nicht der Maßstab des § 8 Abs. 1 AGG, sondern der des § 10 S. 1 und 2 AGG einschlägig ist, der dem des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG entspricht. Nichtsdestotrotz sollte eine Qualifizierung der in Frage stehenden Maßnahme als unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung erfolgen, da die Eingriffstiefe der Arbeitgebermaßnahme auf der 803  Vgl. z. B. den vom LAG Bremen zu beurteilenden Fall, in dem einer Beschäftigten explizit wegen ihres russischen Akzents gekündigt wurde, weil der Arbeitgeber eine negative Reaktion der Kunden auf ausländische Beschäftigte befürchtete, LAG Bremen 29.06.2010 NZA-RR 2010, 510, 512, siehe dazu bereits unter E. III. 2. b) bb) (3). 804  Vgl. Herbert/Oberrath NJ 2011, 8, 9.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters519

Prüfungsstufe der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.805 Die Eingriffstiefe hängt auch von der Einordnung als unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung ab. b) Zweite Stufe: „Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ Steht eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters oder eine mittelbare Benachteiligung in Rede, wird die zweite Stufe übersprungen und sogleich zur Prüfung des „legitimen / rechtmäßigen Ziels“ auf der dritten Stufe übergegangen (dazu später unter c]). Im Falle einer unmittelbaren Benachteiligung wegen der Merkmale Rasse und ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung oder sexuelle Identität ist zunächst auf der zweiten Stufe zu ermitteln, inwiefern die von den Kunden präferierte Merkmalsträgerschaft des Beschäftigten eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. aa) Positive oder negative Anknüpfung an das geschützte Merkmal? Vor der inhaltlichen Prüfung dieser Voraussetzung ist zunächst festzustellen, ob die fragliche Arbeitgebermaßnahme positiv oder negativ an das geschützte Merkmal anknüpft. Eine positive Anknüpfung bedeutet, dass der Arbeitgeber das Vorliegen eines bestimmten geschützten Merkmals fordert. Bei der negativen Anknüpfung wird im Gegensatz dazu das Fehlen eines geschützten Merkmals vorausgesetzt. Aus den europarechtlichen Vorgaben ergibt sich, dass der Rechtfertigungsgrund der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ nur im Falle einer positiven Anknüpfung greift.806 Positive und negative Anknüpfung sind nicht lediglich zwei Seiten derselben Medaille, wenn ein Merkmal mehr als zwei Ausprägungen hat. Schließt ein Arbeitgeber beispielsweise die Einstellung von Buddhisten aus (negative Anknüpfung an das Merkmal „Religion oder Weltanschauung“), bedeutet das, dass er grundsätzlich die Beschäftigung von Christen, aber auch von Angehörigen aller möglichen weiteren Religionen oder Weltanschauungen (z. B. Juden, Muslime, etc.) für möglich hält. Eine positive Anknüpfung an das Merkmal „Religion oder Weltanschauung“ in einer bestimmten Ausprägung liegt nicht vor. Nur, wenn ein Benachteiligungsgrund in genau zwei 805  Siehe 806  Siehe

dazu später unter E. V. 2. d) cc) (2) (a). dazu bereits unter D. V. 2. a) cc).

520

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Ausprägungen vorkommt, entspricht die negative Forderung des Fehlens des Merkmals in einer Ausprägung gleichzeitig der positiven Forderung nach ihrem Vorliegen in der anderen Ausprägung. Dies ließe sich höchstens für das Merkmal „Geschlecht“ annehmen, das als „Erscheinungsform menschlicher Organismen als weiblich oder männlich, wie sie durch die Geschlechtschromosomen bestimmt wird“807, definiert wird. Es geht mithin um die biologische Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsgruppe in Abgrenzung zur sexuellgefühlsmäßigen Befindlichkeit und Ausrichtung, die über das Merkmal der „sexuellen Identität“ geschützt wird.808 Hauptsächlich betrifft das Merkmal die Gleichbehandlung von Mann und Frau.809 Im Hinblick auf die objektive, biologische Geschlechtlichkeit gibt es freilich neben der männlichen und der weiblichen auch die zwischengeschlechtliche Gruppe.810 Rein theoretisch ist es also denkbar – wenn auch unwahrscheinlich –, dass ein Arbeitgeber, der auf einer bestimmten Position „keine Frau“ beschäftigen möchte, nicht nur eine männliche, sondern auch eine intersexuelle Person beschäftigen würde und er seine Anforderung dementsprechend nicht einfach in die Forderung nach einem Mann umformulieren könnte. Wird offen negativ an ein Merkmal angeknüpft, scheitert eine Rechtfertigung bereits an dieser Stelle. Beispiele dafür bilden die der „Kopftuchent­ scheidung“811 des BAG und der EuGH-Entscheidung Feryn812 zugrunde liegenden Fälle. In ersterem berief sich der Arbeitgeber auf die Ablehnung des „islamischen Kopftuchs“ durch seine Kunden. In dem Fall Feryn führte der Arbeitgeber aus, dass er – im Hinblick auf entsprechende Kundenpräferenzen – keine Marokkaner einstelle. In beiden Fällen wurde nicht das Vorhandensein eines bestimmten Merkmals, sondern dessen Fehlen gefordert, sodass eine negative Anknüpfung vorlag. Bereits aus diesem Grund war eine Rechtfertigung jeweils zu verneinen. Freilich wäre beispielsweise der Fall Feryn im Hinblick auf die Frage der Anknüpfung anders zu beurteilen gewe807  MüKo-Thüsing

§ 1 AGG Rn. 58.

808  Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder

§ 1 AGG Rn. 19; vgl. auch Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 73; ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 6. Zu der Frage, ob die Transsexualität von dem Merkmal „Geschlecht“ oder von dem der „sexuellen Identität“ geschützt wird, siehe bereits unter E. III. 2. f) in Fn. 571. 809  Nollert-Borasio/Perreng § 1 AGG Rn. 10; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 1 AGG Rn. 19; vgl. Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 64 ff.; Meinel/ Heyn/Herms § 1 AGG Rn. 15. 810  Adomeit/Mohr § 1 AGG Rn. 73; Däubler/Bertzbach-Däubler § 1 AGG Rn. 45; ErfK-Schlachter § 1 AGG Rn. 6; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 1 AGG Rn. 46; MüKo-Thüsing § 1 AGG Rn. 58. 811  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483 ff. Siehe dazu bereits unter B. III. 2. a) ee) (2) (a) und E. III. 2. c) aa) (3) (a). 812  EuGH 10.07.2008 (Feryn) NZA 2008, 929 ff. Siehe dazu bereits unter D. IV. 3.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters521

sen, wenn der Arbeitgeber erklärt hätte, nur „Belgier“813 zu beschäftigen. Folglich ist das Vorliegen einer positiven oder negativen Anknüpfung auch eine Frage der Formulierung. Nichtsdestotrotz lassen sich an dieser Stelle zumindest die Fälle aussortieren, die offensichtlich auf die Ausgrenzung bestimmter Gruppen zielen und damit der Zielsetzung der europäischen und der deutschen Antidiskriminierungsgesetzgebung entgegenlaufen. bb) Konkretisierung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ Knüpft die Arbeitgebermaßnahme positiv an ein bestimmtes Merkmal an, ist weiter zu untersuchen, ob das Merkmal „wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt“. Die Beantwortung dieser Frage bildet das Kernproblem der Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen. (1) Ausgangspunkt: Formel der Rechtsprechung Als Ausgangspunkt der Überlegungen kann die von dem BAG entwickelte Formel zur Konkretisierung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ herangezogen werden. Beurteilungsgrundlage ist danach der konkrete (zu besetzende) Arbeitsplatz („beruflich“). Im Rahmen seiner Unternehmerfreiheit kann der Arbeitgeber „sowohl den Unternehmensgegenstand als solchen festlegen als auch bestimmen, welche Arbeiten auf dem zu besetzenden Arbeitsplatz zu erbringen sind“814. Ob ein Merkmal nach § 1 AGG für die Erledigung der Aufgaben erforderlich ist, ist im Hinblick auf die unternehmerischen Zwecke und Konzepte zu beurteilen, die durch die Einrichtung des Arbeitsplatzes verwirklicht werden sollen. Dabei verlangt das BAG zum einen, dass „die Tätigkeit ohne das Merkmal jedenfalls nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann“815 („entscheidend“). Zum anderen leitet es aus ihnen eine gewisse Erheblichkeitsschwelle ab („wesentlich“). Danach könne eine „wesentliche und entscheidende beruf­ liche Anforderung“ nur angenommen werden, „wenn das Merkmal nicht nur eine untergeordnete Rolle spielt, sondern zentraler Bestandteil für die aus813  Zu der Frage, inwiefern das vordergründige Abstellen auf die Staatsangehörigkeit als Anknüpfung an die ethnische Herkunft zu verstehen ist, siehe bereits unter E. V. 2. a) cc) (2) (c). 814  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019. 815  BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 875; vgl. auch BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019.

522

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

zuübende Tätigkeit ist, also prägende Bedeutung hat“816. Die Verfolgung unternehmerischer Zwecke kann „nicht losgelöst von solchen Beziehungen, z. B. zu Kunden oder Personen, denen gegenüber bestimmte Leistungen zu erbringen sind, betrachtet werden“817. Somit können für die Beurteilung der Frage, ob ein geschütztes Merkmal notwendig ist, um die Tätigkeit ordnungsgemäß erbringen zu können, auch Beziehungen zu Dritten ausschlaggebend sein. Angesichts dieser Rechtsprechung kristallisiert sich die Frage nach einem Gradmesser heraus, mit dessen Hilfe sich bestimmen lässt, wann Kundenpräferenzen für ein bestimmtes Merkmal eine solche Stärke annehmen, dass sie prägende Bedeutung für die Tätigkeit erlangen und Nicht-Merkmalsträger die Tätigkeit nicht mehr ordnungsgemäß durchführen könnten. (2) Konkretisierung durch den „essence of the business“-Test? Bei der Suche nach der Antwort auf diese Frage liegt es nahe, auf den aus dem US-amerikanischen Recht bekannten „essence of the business“Test zurückzugreifen, der in dem Fall Diaz wie folgt formuliert wurde: „[D]iscrimination based on sex is only valid when the essence of the business operation would be undermined by not hiring members of one sex exclusively.“818

Im deutschen Schrifttum wird dieser Test regelmäßig zur Präzisierung der Anforderung „entscheidend“ des § 8 Abs. 1 AGG angeführt. Dabei wird die essence of the business mit der „eigentlichen Aufgabe des Arbeitnehmers“, die betroffen sein müsse, übersetzt.819 Diese Übersetzung ist recht frei. Genau genommen fragt der „essence of the business“-Test, ob das Wesen des Betriebs bzw. Unternehmens unterlaufen würde, wenn eine bestimmte Position nicht mit einem Merkmalsträger besetzt würde. Es wird also dem Wortlaut nach nicht die spezifisch auszuübende Tätigkeit, sondern das Wesen des Betriebs bzw. Unternehmens in Bezug genommen.820 816  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019; vgl. auch BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 875. 817  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1020. 818  Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385, 388 (5th Cir. 1971). Siehe dazu auch bereits ausführlich unter C. III. 3. a) bb). 819  So Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 12, 22; Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 23; Krause FS Adomeit (2008), 377, 387; Thüsing RdA 2001, 319, 321; vgl. auch Rust/ Falke-Falke § 8 AGG Rn. 12: „eigentliche Kern der Tätigkeit“; Schnabel Diskriminierungsschutz ohne Grenzen (2014), S. 406: „Kern der Tätigkeit“; WendelingSchröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 10: „wenn die Tätigkeit ohne [das] Vorhandensein [der beruflichen Anforderung] nicht sinnvoll erfüllt werden kann“. 820  Vgl. dazu grundlegend Diaz v. Pan American World Airways, Inc. 442 F.2d 385, 388 (5th Cir. 1971).



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters523

Die Betrachtung des US-amerikanischen Rechts hat gezeigt, dass unklar bleibt, wie die essence of the business zu bestimmen ist und dass die USamerikanischen Gerichte die Deutungshoheit für sich beanspruchen.821 Dabei lassen sie wenig Spielraum für Unternehmenskonzepte, die die Besetzung bestimmter Positionen mit Merkmalsträgern vorsehen.822 Die deutsche Rechtsprechung misst demgegenüber dem spezifischen Unternehmerkonzept größere Bedeutung zu. Unabhängig davon wird deutlich, dass der „essence of the business“-Test jedenfalls kein tauglicher Gradmesser für die Stärke der Kundenpräferenzen ist, anhand dessen sich beurteilen ließe, wann die Kundenpräferenzen eine bestimmte Merkmalsträgerschaft zu einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ werden lassen. Obwohl der „essence of the business“-Test auch in der deutschen Literatur immer wieder aufgegriffen wird,823 erweist er sich für die Lösung der Kundenpräferenzfrage als unergiebig.824 (3) K  onkretisierung durch „Schöpfen aus dem Ideenpool“ US-amerikanischen Rechts – Cantors Ansatz Zwar hilft der „essence of the business“-Test als solcher bei der Interpretation der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ nicht weiter, weil er selbst noch konkretisierungsbedürftig ist. Doch hat diesbezüglich die Betrachtung seiner Besprechung im US-amerikanischen Schrifttum einen Ideenpool geliefert, aus dem auf der Suche nach einem Gradmesser für die wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung geschöpft werden kann. Ein solcher Gradmesser ist bei dem oben vorgestellten Ansatz von Cantor zu finden.825 Sie zeigt einen Weg auf, zu bestimmen, in welchen Fällen die Kundenpräferenzen für einen Beschäftigten eines bestimmten Merkmals so stark sind, dass das betreffende Merkmal Teil des Produktes oder der zu erbringenden Dienstleistung selbst ist. In der Terminologie des deutschen Rechts würde das bedeuten, dass ein Merkmal – als Teil des Pro821  Vgl. Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 160: „Indeed, courts often proclaim business essences seemingly out of thin air.“ 822  Vgl. z. B. Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 294 f. (N.D. Tex. 1981), in der sich Southwest als „love airline“ konzipierte. Siehe für eine ausführliche Darstellung der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) aa) (2) (a). 823  Vgl. z. B. Adomeit/Mohr §  8 AGG Rn. 12, 22; Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 23; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 12; Krause FS Adomeit (2008), 377, 387; Thüsing RdA 2001, 319, 321; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 10. 824  Krause FS Adomeit (2008), 377, 387. 825  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 510 ff.

524

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

duktes oder der Dienstleistung – eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist. Kurz zusammengefasst826 beruht ihr in Bezug auf das Merkmal Geschlecht entwickelter Ansatz auf der Bestimmung des Marktes, in dem ein Unternehmen konkurriert. Sei eine geschlechtsbezogene Beschäftigungspolitik in allen auf dem betreffenden Markt konkurrierenden Unternehmen zu beobachten, könne das Geschlecht des Beschäftigten als Definitionskriterium des Marktes aufgefasst werden.827 Somit betreffe es die wesentliche Aufgabe des Unternehmens und begründe das Vorliegen einer Rechtfertigung.828 Zur Bestimmung des relevanten Produktmarktes greift Cantor in einem ersten Schritt auf die Zusammensetzung des Preises eines Produktes zurück.829 Seien Kunden bereit, mehr für das Produkt zu bezahlen, wenn es mit einem Beschäftigten eines bestimmten Geschlechts verbunden werde, sei dies ein starkes Indiz dafür, dass das Geschlecht des Beschäftigten Teil des Produktes bzw. der angebotenen Dienstleistung selbst sei.830 Da diese Vorgehensweise nicht immer fehlerfrei sei,831 könne in einem zweiten Schritt auf Methoden zur Bestimmung des relevanten Produktmarktes aus dem Kartellrecht zurückgegriffen werden, die bei der Nachfrageelastizität ansetzten.832 (a) Grundsätzliche Eignung des Ansatzes für eine Adaption Fraglich ist, inwiefern dieser Ansatz auch für das deutsche Recht fruchtbar gemacht werden kann. Dass die Preiszusammensetzung bei der Bestimmung der wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung eine Rolle spielen kann, klingt auch im deutschen Schrifttum immer wieder an: zu untersuchen sei, ob der Beschäftigte gerade auch für die Merkmalsinhaberschaft als berufliche Anforderung bezahlt wird, diese Anforderung also Bestandteil seiner entgoltenen Leistung ist.833 Zwar geht es bei der Vergütungszusammensetzung um 826  Siehe

für eine ausführlichere Darstellung bereits unter C. III. 4. b) aa) (3). in diese Richtung aus der deutschen Rechtsprechung auch das ArbG Köln 06.08.2008  – 9  Ca 7687/07 juris Rn. 51, nach dessen Formulierung ein Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung sein könne, wenn die Kundenpräferenzen für dieses Merkmal „in dem betreffenden Marktsegment von ganz entscheidender Bedeutung“ seien. 828  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 494 f., 512. 829  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 511. 830  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 511. 831  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 512. 832  Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 512. 833  Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 24; Rust/Falke-Falke § 8 AGG Rn. 12; Meinel/ Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 15; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG 827  Vgl.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters525

das Verhältnis Arbeitgeber-Beschäftigter, bei der Preiszusammensetzung hingegen um das Verhältnis Arbeitgeber-Kunde. Vergütungs- und Preiszusammensetzung können jedoch zusammenhängen: Ist der Kunde bereit, für ein Produkt oder eine Dienstleistung bei Erbringung durch einen Merkmals­ träger mehr zu bezahlen, lässt sich vermuten, dass sich dies auch in der Vergütung des Beschäftigten abbildet. Folglich ist der Gedanke, bei der Lösung der Kundenpräferenzfrage auch die Preisstruktur zu untersuchen, dem deutschen Recht nicht fremd. Analog dem US-amerikanischen Kartellrecht halten zudem auch das europäische und das nationale Kartellrecht Methoden für die Bestimmung des relevanten Marktes bereit,834 auf die zurückgegriffen werden könnte. Die Abgrenzung des relevanten Marktes spielt im Rahmen der §§ 19 ff. GWB (Vorschriften des deutschen Rechts über Marktbeherrschung, wettbewerbsbeschränkendes Verhalten auf nationaler Ebene) und der Art. 101 f. AEUV, vormals: Art. 81 f. EG (Vorschriften des europäischen Rechts über ein Kartellverbot, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) eine zentrale Rolle.835 (b) Mögliche Einwände Nichtsdestotrotz lassen sich zwei grundsätzliche Einwände gegen die Adaption von Cantors Ansatz formulieren. Erstens könnten die unterschiedlichen Schutzrichtungen von Antidiskriminierungs- und Wettbewerbsrecht dagegen sprechen, sich bei der Lösung einer antidiskriminierungsrechtlichen Problemstellung von wettbewerbsrechtlichen Methoden inspirieren zu lassen [dazu unter (aa)]. Damit zusammenhängend ließe sich zweitens die Kritik gegen Cantors Ansatz vortragen, dass er die Zielsetzung des Antidiskriminierungsrechts vernachlässigt, indem er lediglich bestehende Kundenpräferenzen ohne Rücksicht auf ihren möglicherweise herabwürdigenden Charakter widerspiegelt [dazu unter (bb)].

Rn. 14; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 10; Wendeling-Schröder/Stein-WendelingSchröder § 8 AGG Rn. 10. Den „Bezahlaspekt“ im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG ablehnend hingegen Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 273, wobei er freilich eine teleologische Reduktion des Benachteiligungsverbots bejaht, wenn der Arbeitnehmer gerade für seine Merkmalsträgerschaft bezahlt wird, S. 309. 834  Siehe dazu sogleich unter E. V. 2. b) bb) (4) (a) (aa). 835  Vgl. Klappstein FS Beuthien (2009), 459 f.

526

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(aa) Einwand 1: Unterschiedliche Schutzrichtungen von Antidiskriminierungs- und Wettbewerbsrecht Gegen einen Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche, genauer: kartellrechtliche Methoden zur Bestimmung des „relevanten Marktes“ bei der Konkretisierung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ könnten die unterschiedlichen Schutzrichtungen von Wettbewerbs- und Antidiskriminierungsrecht sprechen. Dies klang in der Entscheidung des ArbG Bonn an, in der es die ausschließliche Einstellung weiblicher Vermögensberater durch ein auf Frauen ausgerichtetes Finanzdienstleistungsunternehmen nach § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. für gerechtfertigt hielt.836 Das Gericht ging auf die Frage ein, inwiefern sich das Unternehmen unter vorsätzlicher Missachtung des § 611a BGB a. F. Wettbewerbsvorteile sichere.837 Dieser Gedanke spiele jedoch bei der Auslegung des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. keine Rolle. Schließlich sei diese Vorschrift ihrem Schutzcharakter nach nicht im Wettbewerbsrecht angesiedelt, sondern bezwecke als unmittelbarer Ausfluss der GenderVorgRL die Gleichstellung der Geschlechter in den Lebens- und Arbeitsbedingungen, also eine gesellschaftspolitische Zielsetzung. Novara stellt in Bezug auf das AGG hingegen einen Zusammenhang zwischen Antidiskriminierungs- und Wettbewerbsrecht fest: Es könne wettbewerbswidriges Verhalten sein, sich durch eine diskriminierende Personalauswahl einen Marktvorteil sichern zu wollen.838 Aus der Gesetzesbegründung des AGG ergibt sich, dass Verstöße gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot der §§ 19, 20 AGG auch unter dem Gesichtspunkt des unlauteren Wettbewerbs nach dem UWG geltend gemacht werden können.839 Laut Novara sei dieser Gedanke auch auf diskriminierende Konzepte zur Personalauswahl übertragbar.840 Wenngleich das europäische Antidiskriminierungsrecht, insbesondere der heute in Art. 157 Abs. 1 AEUV enthaltene Grundsatz der Entgeltgleichheit, ursprünglich funktional der Verwirklichung des gemeinsamen Marktes diente und damit eine wettbewerbspolitische Ausrichtung hatte,841 traten im Laufe der Zeit, wie auch das ArbG Bonn angedeutet hat, die sozialen und gesellschaftspolitischen gegenüber den wirtschaftlichen und wettbewerbs­ 836  ArbG Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100 ff. Siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. a) aa) (2) (e). 837  ArbG Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100, 102. 838  Novara NZA 2015, 142, 146. 839  Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 49. 840  Novara NZA 2015, 142, 146 m. w. N. zur a. A. 841  Adomeit/Mohr Einl. AGG Rn. 79; Barbera Industrial Law Journal 31 (2002), 82, 85; Calliess/Ruffert-Krebber Art. 157 AEUV Rn. 3; Schiek-Schiek Einl. AGG Rn. 26.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters527

politischen Zielen bei der Antidiskriminierungsgesetzgebung in den Vordergrund. Das Antidiskriminierungsrecht dient dem Integritätsschutz und der verbesserten Integration benachteiligter Gruppen in den Arbeitsmarkt.842 Das Wettbewerbsrecht zielt mit seinen kartellrechtlichen Bestimmungen darauf ab, die Institution des Wettbewerbs an sich und dessen Funktionsfähigkeit zu schützen, indem es Beschränkungen des Wettbewerbs durch Unternehmen verbietet.843 Das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung dient zuvorderst „dem Schutz der Handelspartner (Marktgegenseite) von marktbeherrschenden Unternehmen vor der Anwendung nachteiliger Geschäftsbedingungen“844. Dies könnte dagegen sprechen, die im Rahmen dieses Missbrauchsverbots angewendete Methodik zur Marktabgrenzung auf das Antidiskriminierungsrecht zu übertragen. Letzteres dient in seinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen nicht dem Schutz der Kunden, sondern dem der Beschäftigten. Andererseits soll die Marktabgrenzungsmethodik im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG angewendet werden. Als Rechtfertigungsgrund bezweckt gerade diese Norm, Raum für die Berücksichtigung der Unternehmerfreiheit wie auch der Interessen dritter Personen, also „Kunden“, einzuräumen.845 Hinzu kommt, dass lediglich ein im Wettbewerbsrecht gebrauchtes Instrumentarium zur Konkretisierung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ fruchtbar gemacht werden soll. Die Marktabgrenzung ist im Kartellrecht ein „analytisches Hilfsmittel“846 bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung. In diesem Sinne soll die Marktabgrenzung auch bei der Ermittlung, ob ein geschütztes Merkmal Definitionskriterium eines Marktes ist, lediglich als analytisches Hilfsmittel dienen, ohne antidiskriminierungsrechtliche Wertungen zu verdrängen. Schließlich endet die Prüfung der Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes nicht bei der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“. Sie erfordert zudem einen „rechtmäßigen Zweck“ (dazu unter c]) sowie eine Verhältnismäßigkeitsprüfung (dazu unter d]), in deren Rahmen die genuin antidiskriminierungsrechtlichen Wertungen zur Geltung kommen.

842  Siehe

dazu bereits unter D. III. 2. und E. II. 2. c). Gloy/Loschelder/Erdmann-Erdmann § 1 Rn. 1. 844  Immenga/Mestmäcker-Fuchs/Möschel EU-Wettbewerbsrecht Art. 102 AEUV Rn. 4. 845  Vgl. Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 9; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 2. 846  Immenga/Mestmäcker-Fuchs/Möschel EU-Wettbewerbsrecht Art. 102 AEUV Rn. 44. 843  Vgl.

528

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(bb) E  inwand 2: Vernachlässigung der normativen Funktion antidiskriminierungsrechtlicher Vorschriften Einwenden ließe sich gegen die Adaption von Cantors Ansatz zudem, dass dieser die Zielsetzung antidiskriminierungsrechtlicher Vorschriften vernachlässige, indem er lediglich bestehende Kundenpräferenzen unabhängig von ihrem möglicherweise herabwürdigenden Charakter widerspiegele.847 Frei nach dem Fall Feryn848 könnte z. B. ein Markt für handwerkliche Dienstleitungen durch deutsche, nicht-ausländische Beschäftigte existieren. Die Kunden könnten auf Grund einer fremdenfeindlichen Gesinnung bereit sein, einen höheren Preis dafür zu zahlen, den Kontakt mit ausländischen Beschäftigten zu vermeiden. Daraus ließe sich bei Adaption von Cantors Ansatz folgern, dass die Präferenz der Kunden für Beschäftigte einer bestimmten ethnischen Herkunft so stark ist, dass dieses geschützte Merkmal Teil der Dienstleitung und damit eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. Indes ist wiederum zu bedenken, dass die Rechtfertigungsprüfung im deutschen Recht nicht an dieser Stelle beendet ist. Vielmehr folgt noch das Korrektiv der Verhältnismäßigkeitsprüfung. In ihrem Rahmen werden solche Benachteiligungen rausgefiltert, die auf herabwürdigenden Motiven beruhen. Deshalb stellt sich das Problem, dass die Zielsetzung des AGG bei Übertragung von Cantors Ansatz vernachlässigt werden könnte, nicht. Demzufolge greifen die Einwände gegen die Adaption von Cantors Ansatz als Gradmesser dafür, wann Kundenpräferenzen die Stärke erreichen, dass sie eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ begründen, nicht durch. (c) Anpassungs- und Weiterentwicklungsbedarf Cantors Ansatz beruht auf einer ökonomischen Betrachtung der Kundenpräferenzproblematik. Ihre wirtschaftliche Perspektive findet z.  B. darin Ausdruck, dass sie durchgängig von Konsumentenpräferenzen („consumer preferences“) statt von Kundenpräferenzen („customer preferences“) spricht. Die Unterstreichung der Konsumentenrolle des Kunden offenbart, dass Cantors Ansatz in erster Linie für die Lösung von Fällen konzipiert ist, in denen zumindest eine irgendwie geartete ökonomische Austauschbeziehung zwischen Kunde und Unternehmer besteht und der Unternehmer kommerzielle Interessen verfolgt. 847  Zu dieser möglichen Kritik an ihrem Ansatz, die sie antizipiert, vgl. auch Cantor University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 515 ff. 848  EuGH 10.07.2008 (Feryn) NZA 2008, 929 ff. Dazu bereits ausführlich unter D. IV. 3.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters529

Die Fälle aus der deutschen Rechtsprechung zeigen indes, dass die Kundenpräferenzen in der Praxis auch dort relevant werden, wo der Arbeitgeber bei der Bedienung von Kundenwünschen nichtkommerzielle Interessen verfolgt.849 Dies betrifft insbesondere repräsentative oder beratende Funktionen in Vereinen oder Verbänden, die bestimmte Interessengruppen vertreten und / oder kostenlose Hilfs- und Unterstützungsleistungen erbringen.850 Beispielsweise hatte das ArbG Köln den Fall zu beurteilen, dass der Verein „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ zur Durchführung des Projektes „Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsverheiratung“ eine Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund suchte.851 Die Anforderungen „weiblich“ und „mit Migrationshintergrund“ stellte der spendenfinanzierte Verein im Hinblick auf die Zielgruppe des Projektes, namentlich 16- bis 27-jährige, von Gewalt „im Namen der Ehre“ (speziell Zwangsheirat) bedrohte bzw. betroffene Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund. Das psychosoziale Beratungsangebot für die Frauen und Mädchen war kostenlos. Zwar verwendete das ArbG Köln Begriffe wie „Marktsegment“852 und „Marketingstrategie“853 im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Vereins, doch ist der auf der Abgrenzung von Märkten beruhende Ansatz von Cantor für derartige Fälle nicht passend. Ob der Preis, den die Kunden für die Beratungsleistung gerade durch eine Merkmalsträgerin zu zahlen bereit sind, höher ist, als wenn die Leistung von einem Nicht-Merkmalsträger erbracht würde, lässt sich nicht bestimmen, weil kein Preis gezahlt wird. Insofern führt auch der Gesichtspunkt der Nachfrageelastizität nicht weiter. Er stellt das Gedankenexperiment an, ob die Kunden bei minimalen Preiserhöhungen ohne weiteres zu einer Beratungsstelle wechseln würden, die Nicht-Merkmalsträger einsetzt. Die sehr spezifische Zielsetzung des Projektes lenkt die Aufmerksamkeit zudem auf das Problem, dass Alternativangebote häufig nicht bestehen oder für die Zielgruppe nicht erreichbar sind. Beobachtung macht auch Novara NZA 2015, 142, 143 f. z. B. LAG Berlin 14.01.1998 NZA 1998, 312 f. (Bundesfrauenreferentin bei einer politischen Partei), ArbG München 14.02.2001 NZA-RR 2001, 365 f. (Geschäftsführerin eines Frauenverbandes); ArbG Köln 21.06.2007 – 17 Ca 516/07, nicht veröffentlicht (Bundesgeschäftsführerin beim katholischen Frauenverband); ArbG Köln 12.01.2010 – 8 Ca 9872/09 juris (Geschäftsführerin bei einem Verein, der durch männliche Gewalt traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten betreut); ArbG Köln 06.08.2008 – 9 Ca 7687/07 juris (Sozialarbeiterin bei einem Verein im Projekt „Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsverheiratung“). Siehe für eine Darstellung der Entscheidungen auch bereits unter E. III. 2. a) aa) (2) und (3). 851  ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris. Siehe dazu bereits unter E. III. 2. a) aa) (3) (a). 852  ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 51. 853  ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris Rn. 52. 849  Diese 850  Vgl.

530

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Nicht nur bei zivilgesellschaftlichen Organisationsformen wie Vereinen und Verbänden, die gegenüber Dritten nichtkommerzielle Leistungen erbringen, sondern auch bei staatlichen Leistungen zeigt sich Anpassungs- und Weiterentwicklungsbedarf von Cantors Ansatz. So betreffen die beiden Entscheidungen des BAG zu § 8 Abs. 1 AGG, in denen Kundenpräferenzen relevant wurden, Fälle, in denen der Staat auf Arbeitgeberseite stand: Es ging um die Position einer Sozialpädagogin in einem Mädcheninternat854 und um die Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten855, die vorrangig Integrationsarbeit mit zugewanderten Frauen leisten und mit frauenrelevanten Organisationen zusammenarbeiten sollte. Handelt es sich dabei – wie im Beispiel der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten856 – um gezielte Maßnahmen zur Förderung bisher benachteiligter Gruppen, ist neben einer Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG zudem eine Zulässigkeit nach dem hier nicht näher beleuchteten § 5 AGG zu erwägen.857 Bezüglich einer Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG standen bei der Bedienung der Präferenzen der „Kunden“ (Schülerinnen bzw. zugewanderte Frauen und frauenrelevante Organisationen) durch den Arbeitgeber (Land bzw. Kommune) wiederum keine kommerziellen Interessen im Vordergrund. Ein Preis für die Leistung wurde nicht gezahlt, auch die Untersuchung der Nachfrageelastizität ist insofern nicht möglich. Nach alledem ist Cantors Ansatz im Hinblick auf die spezifischen Problemlagen, die die Betrachtung der Fälle aus der deutschen Rechtsprechungspraxis zu Tage gefördert hat, anzupassen und weiterzuentwickeln. Der Anpassungs- und Weiterentwicklungsbedarf besteht dort, wo die Bedienung von Kundenpräferenzen zu nichtkommerziellen Zwecken erfolgt. (4) A  daption, Anpassung und Weiterentwicklung von Cantors Marktansatz zur Bestimmung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ Bei der Beurteilung, ob die Stärke von Kundenpräferenzen für merkmals­ tragende Beschäftigte den Grad der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ erreicht, ist zwischen der kommerziellen und der nichtkommerziellen Erbringung der betreffenden Leistung gegenüber den Kunden zu differenzieren.

854  BAG

28.05.2009 NZA 2009, 1016 ff. 18.03.2010 NZA 2010, 872 ff. 856  So die vorgehende Instanz LAG Niedersachsen 05.12.2008  – 16 Sa 236/08 juris. 857  Siehe dazu bereits unter B. III. 2. b) cc) (1) (d). 855  BAG



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters531

(a) Kommerzielle Erbringung von Leistungen Bei einer kommerziellen Leistung ist in Anlehnung an Cantors „Marktansatz“ („market approach“) der Markt zu bestimmen, auf dem die Leistung erbracht wird. Konkurriert das Unternehmen auf einem Markt, auf dem die Produkte oder Dienstleistungen immer mit einem bestimmten Merkmalsträger verknüpft sind, ist das geschützte Merkmal des Beschäftigten Teil des Produktes bzw. der Dienstleistung und damit eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“. In einem ersten Schritt sollen die Grundsätze der Bestimmung des relevanten Marktes im Wettbewerbsrecht aufgezeigt werden [dazu unter (aa)], um sie dann in einem zweiten Schritt auf die Kundenpräferenzproblematik zu übertragen [dazu unter (bb)]. (aa) Bestimmung des relevanten Marktes Zur Bestimmung des relevanten Marktes liegt es, wie von Cantor vorgeschlagen, nahe, auf bewährte Methoden aus dem Wettbewerbs- und Kartellrecht zurückzugreifen, da der „relevante Markt […] der Zentralbegriff des Wettbewerbsrechts“858 ist. Der sachlich und räumlich relevante Markt spielt im Zusammenhang mit dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung eine Rolle. Dieses Verbot ist auf nationaler Ebene in § 19 GWB und im europäischen Primärrecht in Art. 102 AEUV geregelt.859 Ausgangspunkt der Bestimmung des relevanten Marktes ist sowohl auf europäi­ scher860 als auch auf nationaler861 Ebene das Bedarfsmarktkonzept.862 Dies geht auch aus der Bekanntmachung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 1997863 hervor, in der sie ihr Vorgehen bei der Abgrenzung des sachlichen und räumlichen Marktes zusammengefasst hat. 858  Säcker

ZWeR 2004, 1. Verhältnis dieser beiden Vorschriften regelt Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.  Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1 vom 04.01.2003, S. 1–25. Dies ergibt sich auch aus § 22 Abs. 3 GWB. 860  Dauses-Emmerich H. I. § 3 Art. 102 AEUV Missbrauchsverbot Rn. 16; Immenga/Mestmäcker-Fuchs/Möschel EU-Wettbewerbsrecht Art. 102 AEUV Rn. 48; Grabitz/Hilf/Nettesheim-Jung Art. 102 AEUV Rn. 37; Calliess/Ruffert-Weiß Art. 102 AEUV Rn. 91. 861  Immenga/Mestmäcker-Möschel Deutsches Wettbewerbsrecht § 19 GWB Rn. 10. 862  Instruktiv dazu vgl. Klappstein FS Beuthien (2009), 459  ff. Zur Kritik an diesem Konzept vgl. insbesondere Säcker ZWeR 2004, 1 ff.; vgl. außerdem Ewald ZWeR 2004, 512 ff. 863  Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. C 372 vom 09.12.1997, S. 5–13, im Folgenden kurz: „Bekanntmachung relevanter Markt“. 859  Das

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Grundlage sind dabei die Definitionen des sachlichen und räumlichen Marktes: „Der sachlich relevante Produktmarkt umfasst sämtliche Erzeugnisse und / oder Dienstleistungen, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden“864; und „[d]er geographisch relevante Markt umfasst das Gebiet, in dem die beteiligten Unternehmen die relevanten Produkte oder Dienstleistungen anbieten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet“865. Die Aufgabe bei der Abgrenzung des relevanten Marktes besteht „im Wesentlichen darin, das den Kunden tatsächlich zur Verfügung stehende Alternativangebot zu bestimmen“866. Entscheidend ist dabei das Prinzip funktioneller Äquivalenz, es kommt auf die Austauschbarkeit (Substituierbarkeit) des Produkts aus Sicht der Marktgegenseite, also der Kunden, an.867 Ob ein hinreichender Grad von Austauschbarkeit vorliegt – volle Austauschbarkeit der Produkte oder Dienstleistungen ist nicht erforderlich868 – ist durch eine wertende Betrachtung festzustellen.869 Hierbei werden unterschiedliche Kriterien herangezogen, und zwar die Eigenschaften der Produkte oder Leistungen, ihre Preislage und ihr Verwendungszweck sowie insbesondere die Kreuzpreiselastizität.870 Die Kreuzpreiselastizität wird mit Hilfe eines Gedankenexperiments (sog. „hypothetical monopolist test“ oder auch „small but significant non-transitory increase in price test“, kurz: SSNIP-Test)871 analysiert: Danach ist zu prüfen, wie die Nachfrager auf geringfügige Preiserhöhungen in einer Größenordnung von fünf bis zehn Prozent bei einem Produkt A reagieren.872 Verlagert sich die Nachfrage auf ein anderes Produkt B, liegt darin ein Indiz für eine hinreichende Austauschbarkeit beider Produkte. Mit der Preislage und der Kreuzpreiselastizität sind auch im deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht Kriterien entscheidend, die Cantor in 864  Bekanntmachung

relevanter Markt Rn. 7. relevanter Markt Rn. 8. 866  Bekanntmachung relevanter Markt Rn. 13. 867  Vgl. Bekanntmachung relevanter Markt Rn. 7. 868  EuGH 09.11.1983 (Michelin Niederlande) Slg. 1984, 3461, 3508; DausesEmmerich H. I. § 3 Art. 102 AEUV Missbrauchsverbot Rn. 17. 869  Immenga/Mestmäcker-Fuchs/Möschel EU-Wettbewerbsrecht Art. 102 AEUV Rn. 50. 870  Vgl. Dauses-Emmerich H. I. § 3 Art. 102 AEUV Missbrauchsverbot Rn. 18 sowie Calliess/Ruffert-Weiß Art.  102 AEUV Rn.  92 m. w. N. 871  Vgl. dazu instruktiv Klein WuW 2010, 169 ff. 872  Dauses-Emmerich/Hoffmann H. I. § 2 Art. 101 AEUV Kartellverbot Rn. 85; Immenga/Mestmäcker-Fuchs/Möschel EU-Wettbewerbsrecht Art. 102 AEUV Rn. 50. 865  Bekanntmachung



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters533

ihrem für das US-amerikanische Recht erarbeiteten Modell heranzieht.873 Die zentrale Rolle des Preises unterstreicht die Kommission in ihrer Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, wenn sie feststellt, dass „aus verfahrensmäßigen und praktischen Erwägungen […] bei der Marktabgrenzung der Preis im Mittelpunkt“874 steht. Hinsichtlich der konkreten Vorgehensweise bei der Abgrenzung des relevanten Marktes ist die Kommission „allen Formen des empirischen Nachweises gegenüber offen; sie ist bestrebt, alle verfügbaren Angaben zu nutzen, die im Einzelfall von Bedeutung sein können“875. So „wird sie häufig an die wichtigsten Kunden und Unternehmen des betreffenden Wirtschaftszweigs herantreten, um deren Auffassung über die Eingrenzung sachlich und räumlich relevanter Märkte zu erfahren und die für die Entscheidung erforderlichen empirischen Nachweise zu erhalten“876. Dabei würden insbesondere „Erläuterungen der Kunden und Wettbewerber auf die Frage, was geschehen würde, wenn die relativen Preise für die betreffenden Produkte in dem entsprechenden räumlichen Gebiet geringfügig stiegen (z. B. um 5 bis 10  %)“877, berücksichtigt. Zudem tritt sie unter Umständen auch mit den betreffenden Berufs- und Wirtschaftsverbänden in Verbindung.878 Schließlich ist auch die Einschätzung des Unternehmens selbst von Bedeutung.879 In diesem Zusammenhang können auch „Marketing-Studien, die von Unternehmen in Auftrag gegeben wurden und deren Ergebnisse Preis- und Marketing-Entscheidungen der Unternehmen beeinflussen, […] wichtige Informationen für die Abgrenzung des relevanten Marktes liefern“880. Entsprechendes gilt für „Erhebungen über Verhalten und Einstellungen der Verbraucher, Angaben zum Käuferverhalten, von Handelsunternehmen geäußerte Meinungen und generell Marktforschungsstudien, die von den beteiligten Unternehmen […] vorgelegt werden“881. (bb) Übertragung auf die Kundenpräferenzproblematik Möchte man diese Grundsätze zur Bestimmung des relevanten Marktes für die Kundenpräferenzproblematik nutzbar machen, sind prozessuale [da873  Cantor

University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 511 ff. relevanter Markt Rn. 15. 875  Bekanntmachung relevanter Markt Rn. 25. 876  Bekanntmachung relevanter Markt Rn. 33. 877  Bekanntmachung relevanter Markt Rn. 40. 878  Bekanntmachung relevanter Markt Rn. 33. 879  Bekanntmachung relevanter Markt Rn. 34. 880  Bekanntmachung relevanter Markt Rn. 41. 881  Bekanntmachung relevanter Markt Rn. 41. 874  Bekanntmachung

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

zu unter (a)] und materiellrechtliche Gesichtspunkte [dazu unter (b)] zu berücksichtigen. (α) Prozessuale Gesichtspunkte In prozessualer Hinsicht ist die unterschiedliche Beweislastverteilung im Wettbewerbs- und im Antidiskriminierungsrecht zu beachten. Das dargestellte Vorgehen der Kommission bei der Abgrenzung des relevanten Marktes beruht darauf, dass in Kartellverfahren die zuständige Wettbewerbsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz selbst die Voraussetzungen z. B. des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV ermittelt. Damit einhergehend obliegt gemäß Art. 2 der Kartellverfahrensverordnung 1 / 2003 / EG882 in allen einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Verfahren zur Anwendung des Art. 102 AEUV die Beweislast für eine Zuwiderhandlung der Partei oder der Behörde, die diesen Vorwurf erhebt. Das bedeutet, dass die ermittelnde Wettbewerbsbehörde bzw. die Partei, die den Vorwurf des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung erhebt, die Beweislast für das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung trägt.883 In diesem Rahmen ist es an ihr – nicht dem betroffenen Unternehmen – die Abgrenzung des relevanten Marktes vorzunehmen. Anders stellt sich die Situation im Antidiskriminierungsrecht dar: Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes des § 8 Abs. 1 AGG trägt der Arbeitgeber.884 Das bedeutet, dass er auch das Vorliegen einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ beweisen muss. Er muss also zeigen, dass das geschützte Merkmal Definitionskriterium des relevanten Marktes ist. Anders als im Wettbewerbsrecht erfolgt die Marktabgrenzung nicht auf Veranlassung einer von Amts wegen ermittelnden Wettbewerbsbehörde. Es ist mithin Sache des Arbeitgebers, die entsprechenden Nachweise beizubringen. So hat er ein schlüssiges, widerspruchsfreies und nachvollziehbares Unternehmerkonzept samt des darauf beruhenden Personalkonzepts wie auch einer eventuell vorliegenden Marketingstrategie darzulegen und zu beweisen. Wurden Studien unternommen, Kundenbefragungen oder andere Erhebungen durchgeführt, sind diese vom Arbeitgeber beizubringen. Dem Arbeitgeber obliegt es auch, Befragungen der Kunden zu ihrem Verhalten bei möglichen Preiserhöhungen durchzuführen und ihre Zeugenvernehmung oder die etwaiger Wettbewerber, Berufs- oder Wirtschaftsverbände, sofern aufschlussreich, vor Gericht zu beantragen. 882  Siehe

dazu bereits unter E. V. 2. b) bb) (4) (a) (aa) in Fn. 859. Art. 2 VO 1/2003/EG Rn. 8. 884  Vgl. MüKo-Thüsing § 22 AGG Rn. 20; Windel RdA 2007, 1, 6 f. 883  Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Zuber



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters535

(β) Materiellrechtliche Gesichtspunkte Die Grundsätze zur Bestimmung des relevanten Marktes können in materiellrechtlicher Hinsicht wie folgt für die Kundenpräferenzproblematik fruchtbar gemacht werden: Ein geschütztes Merkmal ist dann eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für eine bestimmte Stelle, wenn die durch den Beschäftigten erbrachte Leistung aus Sicht der Kunden nicht durch eine von einem Nicht-Merkmalsträger erbrachte Leistung substituierbar ist. Zur Ermittlung der Austauschbarkeit ist zunächst von dem Unternehmerkonzept und dem darauf beruhenden Anforderungsprofil auszugehen. Anhand dessen ist festzustellen, in welcher Branche das Unternehmen sich bewegt, welche Zielgruppe es anspricht, wie es sich selbst (möglicherweise mit Hilfe einer Marketingstrategie) konzipiert und welche Tätigkeiten von dem betreffenden Beschäftigten zu erbringen sind. Die zentrale Bedeutung des Unternehmerkonzeptes ergibt sich zum einen bereits aus der deutschen Rechtsprechung zur Kundenpräferenzfrage. Zudem wird die Einschätzung des fraglichen Unternehmens selbst, wie soeben gezeigt, auch bei der Abgrenzung des relevanten Marktes berücksichtigt. In einigen Fällen wird sich bereits auf dieser Grundlage ergeben, dass ein bestimmtes Merkmal Definitionskriterium des Marktes, auf dem die Leistung erbracht wird, ist. Dies gilt beispielsweise für Berufe in der Sex- oder Erotikindustrie wie Tätigkeiten als Prostituierte,885 Escort-Dame / Herr oder auch Stripper. Denkbar ist z. B. der Fall, dass ein Arbeitgeber einen EscortService hat, der männlichen Geschäftsleuten weibliche Abend-Begleitungen für gesellschaftliche Anlässe vermittelt, die als Partnerinnen auftreten. Bereits auf Grund dieses Unternehmenskonzeptes, der angesprochenen Zielgruppe und der zu erbringenden Tätigkeit, die ein Auftreten als Begleitung / Partnerin des Kunden erfordert, wird deutlich, dass das Geschlecht der betreffenden weiblichen Beschäftigten Definitionskriterium des Marktes ist, 885  Prostitution ist in Deutschland gesetzlich nicht verboten. Lange Zeit galten jedoch die zwischen den Prostituierten und ihren Kunden geschlossenen Vereinbarungen als sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB, sodass die Prostituierten keinen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt hatten. Außerdem blieb Prostituierten der Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen verwehrt. Diesen Benachteiligungen wollte der Gesetzgeber (vgl. BT-Drs. 14/5958, S. 1, 4) mit dem am 1.  Januar 2002 in Kraft getretenen „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“ (ProstG) entgegenwirken. Das ProstG regelt insbesondere die „Abschaffung der Sittenwidrigkeit der Prostitution, die Sicherung der Einklagbarkeit des Lohns einer Prostituierten, die Erleichterung des Zugangs zur Sozialversicherung und die Erleichterung des Ausstiegs aus der Prostitution“, Mäurer ZRP 2010, 253, 254. Die rechtspolitischen Debatten über die Reglementierung der Prostitution halten an, vgl. dazu Renzikowski ZRP 2014, 75 ff.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

auf dem der Escort-Service konkurriert. Aus Sicht der Kunden, die gezielt mit weiblicher Begleitung auftreten wollen, ist die von dem Escort-Service erbrachte Leistung nicht durch eine solche austauschbar, die von einem Mann erbracht wird. Ähnliche Beispiele sind Tätigkeiten in der Theater- und Filmindustrie, bei denen die Arbeitsleistung in der authentischen Darstellung einer Rolle besteht. In dieser Branche wird regelmäßig nach dem Geschlecht, der ethnischen Herkunft und dem Alter besetzt, wobei für die Rechtfertigung von Altersbenachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen nach hier vertretener Auffassung nicht § 8 Abs. 1 AGG, sondern § 10 S. 1 und 2 AGG maßgeblich ist. Zwar wird in der Literatur eingewendet, dass beispielsweise auch ein Chinese Martin Luther King darstellen könnte. Dies wird zum einen mit der Kunst der Maskenbildner, zum anderen mit der Vorstellungskraft und Fantasie der Zuschauer begründet, die diese einsetzen könnten.886 Insofern könnte letztlich auch ein männliches Model zur Präsentation von Bikini-Mode eingesetzt werden. Diese Argumentation ist indes lebensfern. Bei lebensnaher Betrachtung ist davon auszugehen, dass aus Sicht der Kunden Martin Luther King authentischer durch einen Darsteller schwarzer Hautfarbe dargestellt werden kann und nicht z. B. durch einen weißen, schwarz geschminkten Schauspieler ersetzbar ist. Die Hautfarbe ist in dem Fall Definitionskriterium des Marktes. Entsprechendes gilt auch für die Präsentation von Frauenmode. Man wird also zuvorderst bei solchen Tätigkeiten, bei denen die Hauptleistungspflicht in der (sexuellen) Animation oder der authentischen Darstellung, Performance oder Präsentation liegt, bereits auf Grund des Unternehmenskonzeptes schließen können, dass ein bestimmtes Merkmal Defini­ tionskriterium des Marktes und damit eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. Schwieriger ist die Abgrenzung des relevanten Marktes hingegen dann, wenn die zu erbringende Tätigkeit zwar ein Animations- oder Performanceelement aufweist, daneben aber noch andere Tätigkeiten erbracht werden. Beispiele dafür bilden die sogenannten plus-sex businesses wie z. B. Hooters. Einzuordnen sind an diese Stelle auch die Spezialitäten-Restaurants, die ihr Bedienungspersonal aus Authentizitätsgründen nach dem Merkmal der Ethnie einstellen. Auch in der Fallgruppe der Privatsphäreinteressen der Kunden – wenn ein auf Frauen ausgerichtetes Fitnessstudio nur weibliche Trainer beschäftigen möchte – wird sich regelmäßig nicht aufgrund des Konzeptes allein bestimmen lassen, ob die Kundenpräferenzen für das Ge886  Vgl. dazu Chen Hofstra Labor & Employment Law Journal 16 (1999), 515, 517 Fn. 18; Frank University of San Francisco Law Review 35 (2000–2001), 473, 518; Radlingmayr ZAS 2010, 192, 195.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters537

schlecht eines Beschäftigten so stark sind, dass dieses Definitionskriterium des Marktes ist. In diesen Fällen kann zum einen der Blick auf die Preisstruktur aufschlussreich sein. Verlangt Hooters höhere Preise als Restaurants, die vergleichbare Speisen und Getränke anbieten, aber auch männliche Bedienungen beschäftigen? Liegt das Preisniveau des Restaurants für asiatische Spezialitäten mit ausschließlich asiatischem Bedienungspersonal über dem Preisniveau des Lokals, das asiatische Spezialitäten anbietet, aber Bedienungen aller Ethnien beschäftigt? Verlangt das Frauenfitnessstudio mit ausschließlich weiblichen Trainern höhere Gebühren als das Fitnessstudio, das auch männliche Trainer einstellt? Werden diese Fragen bejaht, ist das ein Indiz dafür, dass das geschützte Merkmal des Beschäftigten Definitionskriterium des jeweils relevanten Marktes und folglich eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG ist. Auch in den Fällen, in denen nicht bereits das Preisniveau die Grenzen des relevanten Marktes indiziert, kann ein geschütztes Merkmal eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ sein, weil die Leistung aus Sicht der Kunden nicht gegen eine solche ausgetauscht werden kann, die von einem Nicht-Merkmalsträger erbracht wird. Würden die Kunden bei einer Preiserhöhung von fünf bis zehn Prozent nicht auf einen Anbieter ausweichen, der Nicht-Merkmalsträger beschäftigt,887 spricht das dafür, dass die mit dem Merkmalsträger assoziierten Leistungen nicht durch solche eines NichtMerkmalsträgers substituierbar sind.888 In diesem Fall ist das betreffende Merkmal eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“. (b) Nichtkommerzielle Erbringung von Leistungen Der Marktansatz zur Bestimmung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ stößt an seine Grenzen, wenn Leistungen nichtkommerziell erbracht werden. Im Folgenden sollen zunächst die Besonderheiten dieser Fälle herausgestellt werden [dazu unter (aa)], um daraufhin Schlüsse für die Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ zu ziehen [dazu unter (bb)]. 887  Dies schließt auch den Fall ein, dass die Kunden eine Leistung bei einer Preiserhöhung überhaupt nicht mehr in Anspruch nehmen. Es ist z. B. denkbar, dass die Kundinnen eines Frauenfitnessstudios bei einer Preiserhöhung nicht auf einen Anbieter ausweichen, der auch männliche Trainer beschäftigt, aber gleichzeitig nicht bereit sind, die Preiserhöhung zu akzeptieren. Gehen sie deshalb überhaupt nicht mehr ins Fitnessstudio, spricht das dafür, dass die mit den Trainerinnen assoziierten Leistungen nicht durch solche männlicher Trainer substituierbar sind. 888  Dieses Gedankenexperiment des „hypothetical monopolist test“ (oder auch SSNIP-Test) beruht freilich auf der Annahme, dass entsprechende Alternativangebote vorhanden und für die Kunden auch problemlos erreichbar sind.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(aa) Besonderheiten Gemeinsam ist den Fällen der nichtkommerziellen Leistungserbringung, dass die Beschäftigung von Merkmalsträgern im Hinblick auf Kundenpräferenzen nicht zentral aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt. Die Kunden können ihre Vorlieben nicht mithilfe wirtschaftlicher Macht durchsetzen. Vielmehr findet man hier den besonders schutzwürdigen Kundentyp, den mit dem Leistungserbringer ein asymmetrisches Machtverhältnis verbindet. Auf Arbeitgeberseite stehen regelmäßig nichtstaatliche Organisationen, die politische, gesellschaftliche und soziale Ziele verfolgen, oder aber der Staat. Die nichtkommerziell von den nichtstaatlichen Organisationen erbrachten Leistungen betreffen die Interessenvertretung und Repräsentation von oder die Hilfe für bestimmte Schutzgruppen. Ist der Staat der Arbeitgeber, können Präferenzen der „Kunden“ insbesondere in solchen Bereichen eine Rolle spielen, in denen der Staat Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnimmt. Die bevorzugte Einstellung von Lehrern oder auch Polizisten einer bestimmten ethnischen Herkunft in Stadtteilen, in denen ein besonders hoher Anteil von Menschen der entsprechenden ethnischen Herkunft lebt, erfolgt im Hinblick auf die Vorbildfunktion, die höhere Akzeptanz und eine verbesserte Kommunikation und dient somit letztlich der Integration.889 Die fraglichen Leistungen sind dadurch charakterisiert, dass sie der Betreuung von, der Beratung und Hilfe für sowie der Interessenvertretung und / oder der besseren Integration spezieller merkmalsgeprägter Schutzgruppen dienen. Gesellschaftliche, nicht wirtschaftliche Motive stehen bei der Bedienung der Kundenpräferenzen im Vordergrund. Die Rechtsprechung stuft gesellschaftliche im Vergleich zu ökonomischen Motiven als höherwertig ein. So unterstrich das ArbG Bonn, dass das Geschäftskonzept, Vermögensberatung für Frauen von Frauen anzubieten, insbesondere deshalb vereinbar mit dem Verbot der Geschlechtsdifferenzierung sei, „weil die Beklagte ein schlüssiges, nicht lediglich ökonomisch sondern auch gesellschaftlich nachvollziehbares Anliegen verfolgt“890. Freilich handelte es sich nicht um einen Fall der nichtkommerziellen Leistungserbringung. Nichtsdestotrotz verdeutlicht er die besondere Anerkennung der Verfolgung gesellschaftlicher Anliegen, die für eine weitergehende Entscheidungsfreiheit und einen größeren Ermessensspielraum des Arbeitgebers bei der Festlegung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ spricht. 889  Neben einer Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG ist in diesen Fällen auch eine Zulässigkeit gemäß § 5 AGG zu erwägen, der hier nicht näher beleuchtet wird, siehe dazu bereits unter B. III. 2. b) cc) (1) (d). 890  ArbG Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100, 102; siehe dazu bereits unter E. III. 2. a) aa) (2) (e).



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters539

Zudem betonte das ArbG München in einer Entscheidung, in der es das weibliche Geschlecht als unverzichtbare Voraussetzung für die Tätigkeit der Geschäftsführerin eines Frauenverbandes anerkannte, dass die „Tätigkeit von Interessenverbänden […] von großer Wichtigkeit für das gesellschaftliche Gefüge in einer Demokratie“891 und deshalb „ihre Selbstbestimmung ebenso schützenswert“892 sei. Deshalb sichere Art. 9 Abs. 1 GG den Vereinen „ein substanzielles Maß an Organisations- und Satzungsautonomie“893. Ähnlich hob das BAG in seiner Entscheidung, in der es das weibliche Geschlecht als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für die Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten anerkannte, die Bedeutung der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG hervor.894 Das spricht dafür, dass Vereinen und dem Staat als Arbeitgeber bei der Verfolgung nichtkommerzieller, gesellschaftlicher Zwecke ein größeres Maß an Autonomie bei der Stellenbesetzung zuzugestehen ist. (bb) S  chlüsse für die Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ Für die Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ in den Fällen der nichtkommerziellen Leistungserbringung durch nichtstaatliche Organisationen oder den Staat lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Wie in den Fällen der kommerziellen Leistungen bildet das spezifische unternehmerische Konzept den Ausgangspunkt der Rechtfertigungsprüfung. Dient die Bedienung bestimmter Kundenpräferenzen für merkmalstragende Beschäftigte einer politischen, sozialen oder gesellschaftlichen Zielsetzung, ist dem Arbeitgeber bei der Qualifikation eines geschützten Merkmals als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ein größerer Ermessensspielraum zuzugestehen. Der Grund hierfür ist, dass die gesellschaftlichen Zwecke sich dadurch auszeichnen, dass sie der Zielsetzung der Antidiskriminierungsgesetzgebung regelmäßig nicht zuwiderlaufen. Vielmehr fördern sie die Verwirklichung der Ziele häufig sogar. Daraus folgt die Privilegierungswürdigkeit und die von der Rechtsprechung anerkannte Höherwertigkeit der Verfolgung dieser Zwecke.

891  ArbG

München 14.02.2001 NZA-RR 2001, 365, 366. München 14.02.2001 NZA-RR 2001, 365, 366. 893  ArbG München 14.02.2001 NZA-RR 2001, 365, 366. 894  Vgl. BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. Siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. a) aa) (3) (b). 892  ArbG

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Beschäftigt ein Verein, der durch männliche Gewalt traumatisierte Frauen und Mädchen betreut, im Hinblick auf deren Präferenzen ausschließlich Frauen,895 spricht eine Vermutung dafür, dass das weibliche Geschlecht eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. Entsprechendes gilt, wenn z. B. das Jugendamt zur Betreuung männlicher Jugendlicher in einem Wohnprojekt ausschließlich männliche Sozialarbeiter beschäftigt. Wichtig ist in diesen Fällen, dass das Konzept und die darauf beruhende Beschäftigungspolitik widerspruchsfrei sind. Dies wäre z.  B. nicht der Fall, wenn das Jugendamt in Wohngruppen für männliche Jugendliche im Hinblick auf Vertrauens- und Identifikationsgesichtspunkte nur männliche Sozialarbeiter beschäftigt, gleichzeitig aber in Wohngruppen für weibliche Jugendliche nicht auf eine geschlechtsspezifische Zuordnung der Sozialarbeiter achtet. Eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ ist dem Staat als Arbeitgeber darüber hinaus zuzubilligen, wenn er in Gebieten mit hohem Migrantenanteil ­beispielsweise als Lehrer oder Polizisten gezielt Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigt. Entsprechende Initiativen gibt es in mehreren Bundesländern,896 zur Begründung wird in Bezug auf den Lehrerberuf z. B. – analog zu den aus der US-amerikanischen Debatte bekannten Argumenten897 – angeführt, dass so die Zusammenarbeit mit Eltern mit Migrationshintergrund entscheidend verbessert werden könne. Außerdem könnten Lehrkräfte mit Migrationshintergrund über ihre Lehrtätigkeit hinaus eine wichtige Vorbildrolle für erfolgreiche Bildungskarrieren von Migranten übernehmen. In Bezug auf den Polizeidienst unterhält die Berliner Polizei beispielsweise eine Arbeitsgruppe Integration und Migration (AGIM).898 Sie versteht sich als „Bindeglied“ zwischen Migrantenorganisationen und Polizei. Ihr Aufgabenschwerpunkt besteht in der Ausgestaltung und Pflege von Kontakten zu Migranten- und Moscheevereinen, zu Verbänden und 895  Vgl. zu diesem Beispiel ArbG Köln 06.08.2008  – 9 Ca 7687/07 juris; siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. a) aa) (3) (a). 896  Für eine Aufzählung der Maßnahmen verschiedener Bundesländer zur gezielten Anwerbung von Migranten als Lehrer und Polizisten vgl. Nationaler Aktionsplan Integration der Bundesregierung, S. 418 ff. Der Aktionsplan wurde auf dem 5. Integrationsgipfel am 31. Januar 2012 vorgestellt und ist abrufbar unter http://www. bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerIntegration/nap/ nationaler-aktionsplan/_node.html (Abruf vom 26.07.2015). 897  Vgl. dazu Frymer/Skrentny Connecticut Law Review 36 (2004), 677, 688 ff. Siehe dazu bereits unter C. III. 4. b) ee) (2). 898  Siehe dazu die Informationen auf der Homepage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, abrufbar unter http://www.bamf.de/DE/DasBAMF/Clearingstelle/Projekte/projekte-detailansicht-node.html?projectDataId=944&sortString= %2 Baudience (Abruf vom 27.07.2015).



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters541

sonstigen Interessenvertretungen, die sich der Arbeit mit bzw. für Migranten widmen. Dadurch sollen Transparenz, Akzeptanz und gegenseitiges Vertrauen gefördert werden. Würden in dieser Dienststelle gezielt Mitarbeiter einer bestimmten ethnischen Herkunft eingesetzt, weil sich der Arbeitgeber davon einen besseren Zugang zu bzw. eine erleichterte Kommunikation mit den entsprechenden Migrantenvereinen erhoffte, wäre dem Arbeitgeber bezüglich der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ ein größerer Ermessensspielraum einzuräumen. Nach alledem liegt der Fokus in den Fällen, in denen der Marktansatz mangels ökonomischer Austauschbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunden zur Bestimmung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ nicht weiter führt, auf der Schlüssigkeit, Widerspruchsfreiheit und Nachvollziehbarkeit des unternehmerischen Konzeptes und des darauf beruhenden Anforderungsprofils für die in Frage stehende Position. Da die Bedienung der Kundenpräferenzen nicht wirtschaftlichen, sondern gesellschaftlichen, sozialen bzw. politischen Zwecken dient, die zu privilegieren sind, spricht eine Vermutung für die Richtigkeit der Einschätzung des Arbeitgebers bei der Festlegung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“. Zwar lässt sich – wie in den Fällen der kommerziellen Leistungserbringung – nicht auf die Preisstruktur zurückgreifen. Auch führt die Frage, ob und wohin die „Kunden“ bei einer geringen Preiserhöhung abwandern würden, nicht weiter. Zu überlegen wäre jedoch, inwiefern die von Projekten nichtstaatlicher Organisationen oder des Staates anvisierten Zielgruppen schlechter oder gar nicht durch einen Nicht-Merkmalsträger erreicht würden. Steht z. B., wie in dem von dem BAG entschiedenen Fall, fest, dass bestimmte Frauenorganisationen, mit denen eine kommunale Gleichstellungsbeauftragte kooperieren muss, die Zusammenarbeit mit Männern verweigern, besteht kein Zweifel daran, dass die Zielgruppe von einem Mann als Nicht-Merkmalsträger auf diese Weise überhaupt nicht erreicht werden kann. Hinsichtlich der Frage, inwiefern der Erfolg eines Projekts bei Einsatz eines Nicht-Merkmalsträger nur schlechter erreicht wird, kommt es auf die Einschätzung des Arbeitgebers an. Ein besonders großer Ermessensspielraum besteht bei (Modell-)Projekten, die Unterstützung oder Hilfe für spezielle Schutzgruppen anbieten und / oder die Integration benachteiligter Gruppen zum Ziel haben. Dort dient der Einsatz bestimmter Merkmalsträger dem Abbau von Kommunikationshürden oder Hemmschwellen bei der Inanspruchnahme der Hilfsangebote. Dafür, derartige Hilfsangebote zu priveligieren, spricht, dass sie der Zielsetzung der Antidiskriminierungsgesetzgebung nicht nur nicht zuwiderlaufen. Vielmehr fördern sie die Verwirklichung

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

der Ziele sogar. Eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist bereits zu bejahen, wenn bei Einsatz des Merkmalsträgers Einzelne besser erreicht werden, die sonst von einer Inanspruchnahme des Hilfsangebots abgesehen hätten. Angesichts der Zielsetzung entsprechender Projekte, die mit den Zielen europäischer und deutscher Antidiskriminierungsgesetzgebung in Einklang stehen, kommt es auf jeden „Kunden“ an. Analog dem Marktansatz könnte hier insofern auf Kundenbefragungen zurückgegriffen werden, als Mitglieder der von einem Projekt angesprochenen Zielgruppe befragt werden könnten, inwiefern sie die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten von der Besetzung einer bestimmten Position mit einem Merkmalsträger abhängig machten. Zudem könnten eventuell bereits laufende und evaluierte Modellprojekte, die auf dem Einsatz bestimmter Merkmalsträger beruhen, Aufschluss darüber geben, ob diese Beschäftigungs­ politik zum Erfolg des Projektes geführt hat. cc) Zusammenfassung zur Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ Im Falle einer unmittelbaren Benachteiligung wegen der Merkmale Rasse und ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung oder sexuelle Identität ist zu ermitteln, inwiefern die Berufung auf Kundenpräferenzen eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. Vorab können dabei die Fälle ausgeschieden werden, in denen ein bestimmtes geschütztes Merkmal nicht positiv zur Voraussetzung gemacht wird, sondern offen negativ daran angeknüpft wird. Eine Rechtfertigung ist nur bei einer positiven Anknüpfung möglich. Für die weitere Prüfung kommt es darauf an, ob die in Frage stehende, vom Arbeitgeber erbrachte Leistung für den Kunden kommerziell oder nichtkommerziell erbracht wird. In dem erstgenannten Fall ist in Anlehnung an Cantors Marktansatz zu untersuchen, ob das geschützte Merkmal des Beschäftigten als Definitionskriterium des Marktes Teil des Produktes bzw. der Dienstleistung und damit eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. Das Abgrenzungskriterium ist dabei die Austauschbarkeit: Ein geschütztes Merkmal ist dann eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für eine bestimmte Position, wenn die durch den Beschäftigten erbrachte Leistung aus Sicht der Kunden nicht durch eine von einem Nicht-Merkmalsträger erbrachte Leistung substituierbar ist. Zur Ermittlung der Austauschbarkeit ist zunächst von dem Unternehmerkonzept und dem darauf beruhenden Anforderungsprofil auszugehen. Lässt sich nicht anhand dessen bereits klar



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters543

feststellen, ob ein Merkmal Definitionskriterium des Marktes ist, auf dem das betreffende Unternehmen konkurriert, ist auf das Preisniveau zurückzugreifen: Liegt das Preisniveau für Leistungen bei Verknüpfung mit einem Merkmalsträger höher, indiziert dies, dass das Merkmal eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. Selbst wenn das nicht der Fall ist, besteht die Möglichkeit, dass die von einem Merkmalsträger erbrachte Leistung aus Kundensicht nicht durch eine von einem Nicht-Merkmalsträger erbrachte Leistung austauschbar ist. Würden die Kunden im Sinne des SSNIP-Tests bei einer Preiserhöhung von fünf bis zehn Prozent nicht auf einen anderen Anbieter ausweichen, der Nicht-Merkmalsträger beschäftigt, spricht das dafür, dass die mit dem Merkmalsträger assoziierten Leistungen nicht durch solche durch einen Nicht-Merkmalsträger substituierbar sind. In diesem Fall ist das betreffende Merkmal eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“. Besteht zwischen einem Arbeitgeber – in der Regel bestimmte nichtstaatliche Organisationen oder der Staat – und dem von ihm angesprochenen Kunden keine kommerzielle Leistungsbeziehung, erfolgt die Bedienung von Kundenpräferenzen für einen Merkmalsträger auf Grund einer gesellschaftlichen, sozialen oder politischen Zielsetzung, die privilegierungswürdig ist. Die „Kunden“ sind in diesen Fällen regelmäßig Mitglieder bestimmter Schutzgruppen, deren Unterstützung und / oder Integration bezweckt wird. Vor diesem Hintergrund steht dem Arbeitgeber bei der Qualifikation eines geschützten Merkmals als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ein großer Ermessensspielraum zu. Der Fokus liegt auf der Prüfung eines schlüssig und widerspruchsfrei dargelegten unternehmerischen Konzepts, aus dem sich die entsprechende berufliche Anforderung ergibt. Dient der Einsatz eines Merkmalsträgers dem Abbau von Kommunikationshürden und Hemmschwellen bei der Inanspruchnahme eines Hilfsangebots, ist das Merkmal bereits dann eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“, wenn dadurch nur Einzelne besser erreicht werden. Erst recht liegt eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ vor, wenn die anvisierte Zielgruppe mit einem Nicht-Merkmalsträger gar nicht zusammenarbeiten würde. Eine Hilfsüberlegung ist, ob man Mitglieder der Zielgruppe bei Einsatz eines Nicht-Merkmalsträgers nicht oder nur schlechter erreichen könnte. c) Dritte Stufe: „rechtmäßiger Zweck“ bzw. „legitimes / rechtmäßiges Ziel“ In einem nächsten Schritt ist in den Fällen der unmittelbaren Benachteiligung wegen anderer Merkmale als des Alters zu untersuchen, ob die unterschiedliche Behandlung einen „rechtmäßigen Zweck“ (§ 8 Abs. 1 AGG) ver-

544

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

folgt. Steht eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters oder eine mittelbare Benachteiligung wegen eines der geschützten Merkmale in Rede, ist zu prüfen, ob die Bedienung der Kundenpräferenzen einem „legitimen“ (§ 10 S. 1 AGG) oder „rechtmäßigen Ziel“ (§ 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG) dient. Die Auslegung der europäischen Richtlinienvorgaben und der darauf beruhenden AGG-Vorschriften hat ergeben, dass die Anforderungen sich entsprechen und insbesondere „legitime Ziele“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG nicht auf sozialpolitische, im Allgemeininteresse stehende Ziele beschränkt sind.899 Das BAG versteht die Anforderung des „rechtmäßigen Zwecks“ im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG dahingehend, dass der unternehmerische Zweck nicht gegen eine Verbotsnorm verstoßen dürfe.900 Bezüglich der Anforderungen an das „rechtmäßige Ziel“ im Sinne des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG lässt sich der Rechtsprechung entnehmen, dass jedes seinerseits nicht diskriminierende und auch sonst legale Ziel in Betracht kommt.901 Dementsprechend hat das BAG auch in Bezug auf das „legitime Ziel“ im Sinne des § 10 S. 1 AGG festgestellt, dass ein solches „nie vor[liegt], wenn das verfolgte Ziel gegen ein gesetzliches Verbot verstößt oder der Arbeitgeber durch die Verfolgung des Ziels die ihm unabhängig von den Vorschriften des AGG obliegenden Pflichten verletzt“902. Ähnlich wie bereits bei der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ ist es hilfreich, bei der Identifizierung „rechtmäßiger Zwecke“ bzw. „legitimer Ziele“ zwischen der kommerziellen und der nichtkommerziellen Leistungserbringung zu differenzieren. In erstgenannten Fällen wird von dem Arbeitgeber, regelmäßig ein privatwirtschaftliches Unternehmen, die profitable Verfolgung eines Unternehmerkonzeptes,903 also ein wirtschaftlicher Zweck, verfolgt. Ökonomische Zwecke werden selbst dann verfolgt, wenn die Rechtfertigung auf die Privatsphäre, die Authentizität904 oder Sicherheitsinteressen der Kunden gestützt wird. Wenn z. B. eine Busgesellschaft im Sinne der Sicherheit ihrer Fahrgäste und anderer Teilnehmer des Straßenverkehrs nur Busfahrer bis zu einem Alter von vierzig Jahren einstellt,905 dann lässt sich dies letztlich auf wirtschaft899  Siehe dazu bereits ausführlich unter D. V. 2. b)–d) und E. II. 2. d) bb) (2) und (3). 900  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021; BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 901  BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625, 626. 902  BAG 22.01.2009 NZA 2009, 945, 948. 903  Vgl. von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 250. 904  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 250 f. 905  So der Fall aus dem US-amerikanischen Recht Hodgson v. Greyhound Lines, Inc. 499 F.2d 859 ff. (7th Cir. 1974).



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters545

liche Motive zurückführen: Unfälle würden zu einem Imageverlust und damit vermutlich zu Umsatzeinbußen führen. Anders stellt sich die Situation hingegen in den in der Rechtsprechungspraxis häufigen Fällen906 dar, dass der Staat (als Arbeitgeber) Altersgrenzen erlässt. Hintergrund dieser Regelungen sind zuvorderst Sicherheitserwägungen, sie bezwecken den Schutz von Leben und Gesundheit Dritter. Erlässt z. B. der Staat als Arbeitgeber Altersgrenzen für Tätigkeiten beim SEK der Polizei,907 wird damit nicht der ökonomische Erfolg, sondern die Sicherheit als Endziel bezweckt. Steht also der Staat oder eine (gemeinnützige) nichtstaatliche Organisation auf Arbeitgeberseite, kommen auch andere Ziele als die profitable Verfolgung eines bestimmten unternehmerischen Konzeptes in Betracht. Weitere Beispiele für nicht wirtschaftliche Zwecke aus der Rechtsprechungspraxis finden sich in den beiden bislang zu § 8 Abs. 1 AGG ergangenen Entscheidungen des BAG. So benannte das Gericht in seinem Urteil, in dem es die Ablehnung eines männlichen Bewerbers für die Stelle in einem Mädcheninternat für gerechtfertigt hielt, die „erzieherische[…] und sozialpädagogische[…] Betreuung von Schülerinnen und Schülern im Internat einschließlich der Aufsicht und Betreuung der im Mädchengebäude wohnenden Schülerinnen während der Nacht durch Einrichtung eines Nachtdienstes“908 als „rechtmäßigen Zweck“. In seiner Entscheidung, in der es die Zulässigkeit der Ablehnung eines männlichen Bewerbers für die Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten bejahte, identifizierte das BAG den Zweck, „die Integration zugewanderter Frauen zu fördern und diese im Rahmen von Gruppen- und Einzelberatung zu unterstützen sowie gezielt der Diskriminierung von Frauen entgegenzuwirken“909. Damit wird eine gesellschaftliche Zielsetzung – die Integration bestimmter Gruppen – verfolgt. Nicht nur die Verfolgung einer gesellschaftlichen oder einer anderen nicht wirtschaftlichen Zielsetzung, sondern auch die profitable Verfolgung eines unternehmerischen Konzeptes, also eine wirtschaftliche Zielsetzung durch die Bedienung von Kundenpräferenzen, ist „rechtmäßig“ bzw. „legitim“. Im Zusammenhang mit der profitablen Unternehmensausrichtung weist von Hoff zutreffend darauf hin, dass die Motive hinter den Präferenzen der Geschäftspartner auf dieser Prüfungsebene unbeachtlich sind.910 Sie sind auf 906  Siehe

dazu bereits unter E. III. 2. d) aa) (1)–(4) und bb) (6). OVG Berlin-Brandenburg 18.08.2011 – OVG 4 B 20.10 juris; siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. d) aa) (4). 908  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022; siehe für eine Darstellung der Entscheidung auch bereits unter E. III. 2. a) aa) (1) (b) (aa). 909  BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 910  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 251. 907  Vgl.

546

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung, auf die im nächsten Schritt einzugehen ist, zu beachten. d) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung Auf der vierten Stufe der Untersuchung einer Zulässigkeit der Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen erfolgt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.911 Der Wortlaut des § 8 Abs. 1 AGG enthält die Formulierung, dass „die Anforderung angemessen“ sein muss. Gemäß § 10 S. 2 AGG und § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG müssen die Mittel zur Erreichung des legitimen bzw. rechtmäßigen Ziels „angemessen und erforderlich“ sein. Auch wenn die Wortlaute des § 8 Abs. 1 AGG einerseits und der §§ 10 S. 2, 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG andererseits an dieser Stelle nicht identisch sind, hat die Auslegung der europäischen Richtlinienvorschriften und der auf ihrer Grundlage erlassenen AGG-Vorschriften gezeigt, dass dadurch jeweils eine Überprüfung der Zweck-Mittel-Relation gefordert wird. Das Gleichbehandlungsinteresse der Beschäftigten soll mit dem Differenzierungsinteresse des Arbeitgebers und seiner Kunden zum Ausgleich gebracht werden.912 Zu prüfen ist, ob die Bedienung der Kundenpräferenzen, die zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Ungleichbehandlung wegen eines geschützten Merkmals nach § 1 AGG führt, zur Erreichung des damit verfolgten wirtschaftlichen oder nicht wirtschaftlichen Ziels (festgestellt in Stufe drei) geeignet (dazu unter aa]), erforderlich (dazu unter bb]) und angemessen, also verhältnismäßig im engeren Sinne (dazu unter cc]), ist.913 aa) Geeignetheit Die Bedienung der Kundenpräferenzen muss zur Erreichung des Zwecks geeignet sein. Insofern ist zu prüfen, ob durch die Differenzierung das angestrebte Ziel in kohärenter und systematischer Weise erreicht werden kann.914 911  Vgl. zur Anwendung des im öffentlichen Recht entwickelten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Arbeitsrecht nur Stückmann/Kohlepp RdA 2000, 331, 333 m. w. N. 912  Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 4. 913  Vgl. z. B. BAG 06.11.2008 NZA 2009, 361, 367; BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1229. 914  Vgl. BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1229; BVerwG 26.01.2011 NVwZ 2011, 569, 571; Trstenjak/Beysen EuR 2012, 265, 271 m. w. N.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters547

In Fällen des § 8 Abs. 1 AGG folgt aus dem Vorliegen einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung, dass die Ungleichbehandlung bestimmter Merkmalsträger zur Erreichung des kommerziellen oder nichtkommerziellen Zwecks auch geeignet ist.915 Insbesondere wurde die Kohärenz und Systematik des Unternehmerkonzeptes bereits geprüft, sodass in den Fällen einer Rechtfertigungsprüfung nach § 8 Abs. 1 AGG an dieser Stelle keine weiteren Erfordernisse zu prüfen sind. Anders verhält es sich bei Rechtfertigungsprüfungen nach § 10 S. 1 und 2 AGG sowie nach § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG. In diesen Fällen wurde bislang lediglich das legitime bzw. rechtmäßige Ziel der Differenzierung benannt. Besteht das Ziel in der profitablen Verfolgung eines bestimmten unternehmerischen Konzeptes, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Ausrichtung an den Präferenzen der Kunden ein geeignetes Mittel ist.916 Dies lässt sich unter Rückgriff auf die im ökonomischen Teil dieser Arbeit angesprochenen Erkenntnisse begründen, wonach die Ökonomie von einer hohen Bedeutung der Orientierung an Kundenpräferenzen und -erwartungen für den Unternehmenserfolg ausgeht.917 Freilich spielt die Bedienung der Kundenpräferenzen für einen bestimmten Merkmalsträger vor allem dann eine Rolle, wenn es Berührungspunkte zwischen Beschäftigten und Kunden gibt. Von Hoff spricht in diesem Kontext davon, dass der Beschäftigte von dem Kunden in irgendeiner Weise, sei es in direktem Kundenkontakt wie z. B. in einem Einzelhandelsgeschäft, auf Grund einer repräsentativen Funktion des Beschäftigten oder auch über die Medien, wahrnehmbar sein müsse.918 Allerdings können Kundenpräferenzen nicht nur bei direkter Wahrnehmung des Beschäftigten durch die Kunden, sondern auch indirekt eine Rolle spielen: Dies zeigt z. B. der von dem BAG zu beurteilende Fall, in dem ein Automobilzulieferer von seinen in der Spritzgussabteilung tätigen Arbeitnehmern ohne Kundenkontakt bestimmte 915  So auch Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 11. Auch das BAG prüft die „Geeignetheit“ bei § 8 Abs. 1 AGG nicht gesondert, sondern nimmt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung lediglich eine Interessenabwägung vor. Dabei überprüft es die unternehmerische Entscheidung in der Praxis vor allem auf Willkür, offensichtliche Unvernünftig- oder Unsachlichkeit und führt mithin nur eine Missbrauchskontrolle durch, vgl. BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022; BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. Zum Teil wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Schrifttum auch bei § 8 Abs. 1 AGG dreistufig, also mit den Elementen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit durchgeführt, vgl. z. B. Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 20; Schleusener/Suckow/Voigt-Schleusener § 8 AGG Rn. 20. 916  So auch von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 251 f. 917  Siehe dazu bereits unter B. II. 2. 918  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 252, der diese Frage allerdings nicht im Rahmen der „Geeignetheit“, sondern der „Erforderlichkeit“ anspricht.

548

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Deutschkenntnisse verlangte, um von den Kunden geforderte Qualitätszertifizierungen erreichen zu können.919 Der „Berührungspunkt“ zwischen Kunden und Beschäftigten wurde insofern über die Qualitätsstandards vermittelt. Folglich gibt es auch Fälle, in denen die Beschäftigten für die Kunden nicht wahrnehmbar sind, die Bedienung der Kundenwünsche, die zu einer Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals führt, aber trotzdem zur Zielerreichung geeignet ist. Die Befolgung von Kundenwünschen ist nach alledem zwar vorrangig, aber nicht ausschließlich bei Dienstleistungen von Bedeutung und zur Zielerreichung geeignet.920 Bei einer nicht wirtschaftlichen Zielsetzung steht die Prüfung der Kohärenz und Systematik der Maßnahme im Vordergrund. Ein Beispiel aus der Rechtsprechung, in der die Kohärenz einer Maßnahme – allerdings im Zusammenhang des Art. 2 Abs. 5 BeschäftiggsRL – verneint wurde, ist die EuGH-Entscheidung Petersen921 zur Zulässigkeit einer Altersgrenze von 68 Jahren für Zahnärzte. Eine Rechtfertigung der Altersgrenze im Hinblick auf das damit verfolgte Ziel des Gesundheitsschutzes der Patienten verneinte der EuGH. Die Altersgrenze galt nur für Vertragszahnärzte, während die Behandlung von Patienten außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung möglich blieb. Damit konnten immer noch zehn Prozent der deutschen Bevölkerung auf Grund privater Verträge weiter behandelt werden. Diese „nicht zu vernachlässigende Zahl von Patienten“922 wurde mithin nicht von der Maßnahme zum Gesundheitsschutz erfasst. Deshalb stellte der EuGH fest, dass die gesetzliche Altersgrenze das Ziel des Gesundheitsschutzes nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolge und somit zur Zielerreichung nicht geeignet sei.923 Daraus lässt sich ableiten, dass eine differenzierende Arbeitgebermaßnahme insbesondere dann inkohärent ist, wenn das Ziel nicht konsequent, sondern unter Inkaufnahme nicht unerheblicher Ausnahmen verfolgt wird. bb) Erforderlichkeit Bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Bedienung von Kundenpräferenzen zur Erreichung des wirtschaftlichen oder nicht wirtschaftlichen Ziels ist zu untersuchen, ob es bei gleicher Erfolgsgeeignetheit ein milderes Mittel 919  BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625 ff. Siehe dung bereits unter E. III. 2. b) aa) (1). 920  A. A. wohl von Hoff Altersdiskriminierung 921  EuGH 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, IV. 2. a). 922  EuGH 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010, 923  EuGH 12.01.2010 (Petersen) EuZW 2010,

für eine Darstellung der Entschei(2009), S. 252. 137 ff. Siehe dazu bereits unter D. 137, 140. 137, 140.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters549

gibt.924 Der Maßstab für die Erforderlichkeit ist dabei – wie auch das BAG betont925 – das von dem Arbeitgeber verfolgte Ziel und nicht etwa die Vorstellung des Gerichts von den Fähigkeiten, die ein Beschäftigter haben müsse, um seinen Aufgaben gerecht zu werden. Bei der Prüfung, ob ein gleich geeignetes, milderes Mittel existiert, ist nach der Art der Personalmaßnahme und der Intensität ihrer nachteiligen Wirkung zu differenzieren. Am gravierendsten ist die Entlassung, die nur Ultima Ratio sein kann. So merkte das BAG z. B. in seiner berühmten „Kopftuchentscheidung“ Folgendes an: Selbst wenn es bei weiterem Einsatz der Kopftuch tragenden Arbeitnehmerin als Verkäuferin in der Parfümerieabteilung tatsächlich zu wirtschaftlichen Einbußen käme, wäre nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst zu prüfen, „ob etwaigen Störungen nicht auf andere Weise als durch eine Kündigung zu begegnen wäre“926. Im Schrifttum ist insoweit darauf hingewiesen worden, dass dem Arbeitgeber kein Vorwurf gemacht werden könne, „wenn er die Arbeitnehmerin zuerst an einer anderen Stelle beschäftigt; vorausgesetzt, dass eine andere, nicht publikumsorientierte Tätigkeit im Betrieb vorhanden ist“927. Hinsichtlich organisatorischer Umgestaltungen hat das BAG klargestellt, dass vom Arbeitgeber nicht verlangt wird, „seine Arbeitsorganisation bzw. seine Arbeitsplätze so einzurichten bzw. umzugestalten, dass damit eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausgeschlossen wird“928. So führte es beispielweise im Hinblick auf die Anforderung bestimmter Sprachkenntnisse aus: „Die Vorstellung, die Tätigkeit des Klägers müsse im Interesse der Diskriminierungsfreiheit gewissermaßen aufgespalten werden in solche Bestandteile, die er ohne deutsche Sprachkenntnisse erledigen kann, und solche, bei denen er Deutsch lesen können muss, ist nicht richtig, […]. Das Gesetz verlangt vom Arbeitgeber derart weitgehende organisatorische Umgestaltungen nicht.“929 Was die Erforderlichkeit einer Personalmaßnahme und das Vorhandensein eines milderen Mittels anbelangt, ist dem Arbeitgeber ein Ermessensspielraum einzuräumen. Auch die Rechtsprechung führt hier lediglich eine Missbrauchskontrolle durch: Die Verhältnismäßigkeit ist zu verneinen, „wenn die Einrichtung des Arbeitsplatzes bzw. Festlegung, welche Arbeitsleistungen auf dem Arbeitsplatz zu erbringen sind, auf eine unternehmerische Entscheidung zurückzuführen ist, die ihrerseits willkürlich, z. B. Bauer/Krieger § 3 AGG Rn. 34, § 8 AGG Rn. 20, § 10 AGG Rn. 22. 28.01.2010 NZA 2010, 625, 627. 926  BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483, 487. Siehe für eine Darstellung der Entscheidung auch bereits unter B. III. 2. a) ee) (2) (a) und E. III. 2. c) aa) (3) (a). 927  Hoevels NZA 2003, 701, 702; vgl. auch Rohe GS Blomeyer (2004), 217, 225. 928  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022. 929  BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625, 627. 924  So

925  BAG

550

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

offenbar unvernünftig oder offenbar unsachlich ist, selbst wenn der letztlich verfolgte berufliche Zweck rechtmäßig sein sollte“930. cc) Angemessenheit Abschließend ist die Angemessenheit, verstanden als Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, zu prüfen. Diese Prüfung hat sich auf den von dem Arbeitgeber mit der Tätigkeit verfolgten unternehmerischen Zweck einerseits und den Nachteil für den Beschäftigten andererseits zu beziehen.931 Das Gleichbehandlungsinteresse des Beschäftigten soll mit dem Differenzierungsinteresse des Arbeitgebers und gegebenenfalls seiner Kunden zum Ausgleich gebracht werden.932 Dabei sind die betroffenen Grundrechte und das europäische Primärrecht zu berücksichtigen,933 „die widerstreitenden Ziele, Interessen, Rechtspositionen und Rechtsgüter [werden] sozusagen ‚ins Verhältnis gesetzt‘ “934; sie sind nach dem von Hesse935 geprägten Leitbild der „praktischen Konkordanz“ zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen.936 Bei einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen berühren sich die Rechte der Kunden und des Arbeitgebers,937 insofern steht das arbeitgeber- und kundenseitige Differenzierungsinteresse einerseits dem Gleichbehandlungsinteresse der Beschäftigten andererseits gegenüber. Wie Lieske zutreffend anmerkt, birgt eine Abwägung „jedoch die Gefahr, dass […] fast jedes Ergebnis begründbar ist“938, sodass es „Hauptaufgabe bleibt […], für die Abwägung objektivierte Kriterien zu finden, die das Abwägungsergebnis transparent und berechenbar machen“939. Es gilt der Grundsatz: Je stärker der Eingriff in das Gleichbehandlungsinteresse, desto gewichtiger muss das ihn rechtfertigende Differenzierungsinteresse des Arbeitgebers und Dritter sein. Um die Interessen messbar zu machen, sollen die bei der Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen zu beachtenden Faktoren auf beiden Seiten aufgelistet werden. Inspiriert durch den von Bandsuch im US-amerikanischen 930  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022; vgl. auch BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 931  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021 m. w. N. 932  Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 4; vgl. auch von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S.  252 ff. 933  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021 m. w. N. 934  Trstenjak/Beysen EuR 2012, 265, 272. 935  Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts (1999) § 2 Rn. 72. 936  Vgl. nur BVerfG 25.02.1975 NJW 1975, 573, 576. 937  Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 6. 938  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 372 unter Verweis auf Walker ZfA 2004, 501, 511 m. w. N. 939  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 372.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters551

Recht vorgeschlagenen Ansatz einer Abwägung mithilfe eines Punkteschemas940 soll die Bewertung der einzustellenden Faktoren mit Hilfe eines Punktesystems handhabbar gemacht werden.941 Gewiss kann der Abwägungsvorgang auf Grund seines normativen Charakters nicht als mathematische Gleichung aufgefasst werden.942 Die Zuordnung einzelner Punktewerte zu bestimmten Aspekten macht den normativen Bewertungsvorgang nicht entbehrlich. Sie kann aber als Orientierungs- und Veranschaulichungshilfe dazu dienen, den Weg zum Abwägungsergebnis möglichst transparent und nachvollziehbar zu gestalten.943 Wie das in der Anwendung auf konkrete Fälle funktioniert, wird später unter VI. aufgezeigt. (1) Gewicht des Differenzierungsinteresses Auf der einen Seite ist das Gewicht des Interesses des Arbeitgebers und der Kunden an einer Differenzierung zu bestimmen. Für die Gewichtung des Differenzierungsinteresses sollen vier Kriterien herangezogen werden, und zwar die Art des Ziels [dazu unter (a)], die betroffenen Interessen des Arbeitgebers [dazu unter (b)], die betroffenen Interessen der Kunden [dazu unter (c)], sowie schließlich der Kundentyp [dazu unter (d)]. Die Betrachtung der deutschen Rechtsprechung insbesondere zur Rechtfertigung von Geschlechtsbenachteiligungen hat gezeigt, dass dies die Aspekte sind, denen auch die Gerichte – ohne sie indes immer so klar zu benennen – im Rahmen der Interessengewichtung Beachtung schenken. Im Folgenden soll jeweils die Spannbreite möglicher Ausprägungen aufgezeigt und ein Vorschlag für die Skala zuzuordnender Punkte unterbreitet werden. (a) Art des Ziels Die Spanne möglicher Zielsetzungen einer differenzierenden Personalpolitik reicht von einem eher gering zu gewichtenden, rein kommerziellen 940  Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287  ff. Siehe dazu bereits ausführlich unter C. IV. 4. a) cc). 941  Die Gewichtung bestimmter Auswahlkriterien mithilfe von Punkteschemata kommt im Arbeitsrecht bislang vor allem bei der Sozialauswahl im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung (§ 1 Abs. 3 KSchG) zum Tragen, vgl. dazu z. B. Quecke RdA 2007, 335 ff. sowie aus der Rechtsprechung BAG 06.07.2006 NZA 2007, 139 ff. und BAG 18.01.1990 NZA 1990, 729 ff. 942  Vgl. auch Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 326 f. 943  Vgl. zu den Anforderungen der Transparenz und Berechenbarkeit des Abwägungsergebnisses Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 372.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Zweck bis hin zu einer mit einem sehr hohen Wert zu gewichtenden, nichtkommerziellen, gesellschaftlichen Zielsetzung, die – wie die Antidiskriminierungsgesetzgebung selbst – aktiv den Schutz der Menschenwürde einer Gruppe, Hilfe für benachteiligte Gruppen und deren bessere Integration bezweckt.944 Dazwischen liegen solche Zielsetzungen, die in erster Linie wirtschaftliche, aber daneben auch gesellschaftliche Zwecke verfolgen. Eine entsprechende Zwecksetzung nahm z. B. das ArbG Bonn in dem Fall des weibliche Kundenberater einstellenden Finanzdienstleistungsunternehmens mit frauenspezifischem Betätigungsfeld an.945 So stellte es für das auf weibliche Kunden ausgerichtete Unternehmenskonzept fest, dass dessen „im vorgelegten Fragebogen bestätigte Akzeptanz […] durch die große Mehrzahl der Kundinnen […] ein gesellschaftliches Bedürfnis nach einer spezifisch weiblichen Beratung in spezifisch weiblichen Lebenssituationen wider­ [spiegelt]“946 und dass der Arbeitgeber insofern „ein schlüssiges, nicht lediglich ökonomisch sondern auch gesellschaftlich nachvollziehbares Anliegen verfolgt“947. Zwischen den beiden äußeren Polen möglicher Zwecke liegen zudem nichtkommerzielle Zielsetzungen, die nicht speziell dem Schutz einer besonders benachteiligten Gruppe dienen. Um diese Schattierungen möglicher Zielsetzungen zu erfassen, soll eine Punkteskala mit den Werten eins bis fünf herangezogen werden. (b) Betroffene Arbeitgeberinteressen Das zweite, in die Gewichtung des Differenzierungsinteresses einfließende Kriterium sind die betroffenen Arbeitgeberinteressen, insbesondere der Grad der Grundrechtsbetroffenheit des Arbeitgebers. Zuvorderst ist – wie auch das BAG konstatiert – „auf Seiten des Arbeitgebers zu beachten, dass durch Art. 2 Abs. 1 GG, 12 Abs. 1 GG und Art. 14 GG die unternehmerische Handlungsfreiheit geschützt ist“948. Auf europäischer Ebene ist der Schutz der unternehmerischen Freiheit durch Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC)949 positiviert. Die unternehmerische 944  Bei Maßnahmen, die der gezielten Förderung benachteiligter Gruppen dienen, kommt zudem eine Zulässigkeit gemäß § 5 AGG in Betracht, siehe dazu auch bereits unter B. III. 2. b) cc) (1) (d). 945  ArbG Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100 ff. Siehe dazu auch bereits ausführlich unter E. III. 2. a) aa) (2) (e). 946  ArbG Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100, 102. 947  ArbG Bonn 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100, 102. 948  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021. 949  ABl. C 83 vom 30.03.2010, S. 389–403. Mit dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon wurde die Charta der Grundrechte der Europäischen Union Teil des Primärrechts.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters553

Freiheit beinhaltet, dass der Arbeitgeber den Zweck sowie das Anforderungsprofil für die Arbeitsplätze, mit deren Hilfe er diesen Zweck verwirklichen will, festlegen kann.950 Die Versagung einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen kann die unternehmerische Freiheit unterschiedlich stark betreffen. Dies hängt davon ab, inwiefern die Ausrichtung auf eine besondere merkmalsgeprägte Klientel oder die Bedienung eines speziellen merkmalsnahen Nachfragewunsches Teil des unternehmerischen Konzeptes ist. In Bezug auf das Merkmal „Alter“ führt von Hoff aus, dass das Konzept „entweder die Ausrichtung auf eine altersmäßige Kundengruppe beinhalten oder aber Kunden aller Altersgruppen ansprechen [kann], wobei jedoch die Art der Tätigkeit in der Kundenvorstellung mit Personal eines bestimmten Alters verknüpft ist“951. Der Stellenwert der Bedienung von Kundenpräferenzen für die unternehmerische Freiheit kann mit von Hoff dann als besonders hoch eingestuft werden, wenn es sich bei dieser Ausrichtung „um einen ‚konstitutiven Teil der Unternehmenskonzepts‘ oder um eine für den Unternehmenserfolg entscheidende Ausrichtung handelt“952. Spezialisiert sich beispielsweise ein Unternehmen auf die Beratung älterer Menschen in Vermögensangelegenheiten und setzt dieses Konzept mit Hilfe älterer Beschäftigter um,953 die der Kundengruppe in Bezug auf das Alter näher stehen und gegebenenfalls existierende Belange besser identifizieren können und zu denen die anvisierte Kundengruppe deshalb leichter ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann, besetzt das Unternehmen eine Marktnische. Wird ihm die Ausrichtung an den Kundenpräferenzen für den Kunden alterstechnisch näher stehende Vermögensberater verwehrt, ist es in seiner Unternehmerfreiheit stärker eingeschränkt als beispielsweise ein Unternehmen, das Vermögensberatung für alle Altersgruppen anbietet und kein auf eine bestimmte Merkmalsträgergruppe ausgerichtetes Konzept verfolgt. Lieske weist insofern darauf hin, dass Unternehmen, die eine bestimmte Nachfragenische in einem „diskriminierungsbelasteten“ Marktbereich besetzen, durch die Versagung der Ausrichtung an Kundenpräferenzen sogar in ihrer Berufswahlfreiheit betroffen sein könnten.954 Damit knüpft er an die von dem BVerfG im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Art. 12 Abs. 1 GG entwickelte „Drei-StufenTheorie“ an.955 Danach wird zwischen drei Stufen der Eingriffsintensität 950  BAG

28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1019 f. Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 253. 952  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 253 m. w. N. 953  Vgl. zu diesem Beispiel auch Krause FS Adomeit (2008), 377, 388. 954  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 238, 246. 955  Siehe grundlegend das „Apotheken-Urteil“ BVerfG 11.06.1958 NJW 1958, 1035 ff. 951  von

554

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

von Beschränkungen der Berufsfreiheit differenziert, die unterschiedliche Anforderungen an das Gewicht des die Beschränkung rechtfertigenden Grundes nach sich ziehen:956 Die geringste Eingriffsintensität geht von Beeinträchtigungen in die Berufsausübungsfreiheit aus, eine mittlere Beeinträchtigungsintensität kommt subjektiven Berufswahlregelungen zu und die stärkste Beeinträchtigung weisen objektive Berufswahlregelungen auf.957 Die Betroffenheit der Berufswahlfreiheit ist also grundsätzlich gegenüber einem Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit eine stärkere Beeinträchtigung. Wegen des weiten Berufsbegriffs ist eine klare Abgrenzung der Stufen allerdings oft nicht möglich.958 Auch das BVerfG hat festgestellt, dass Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit eine Intensität annehmen können, die in ihrer Eingriffstiefe einer Beschränkung der Berufswahl nahekommen.959 Als Teil der Berufswahlfreiheit werden die Unternehmensgründung960 und die damit einhergehende Bestimmung des unternehmerischen Zwecks verstanden; die Eingehung von Arbeitsverhältnissen mit bestimmten Beschäftigten ist hingegen grundsätzlich Teil der Berufsausübungsfreiheit961 des Unternehmers.962 Nach Lieske kann die Versagung der Beschäftigung bestimmter Arbeitnehmer indes dort faktisch in eine Beschränkung der Berufswahl umschlagen, wo „ein unternehmerischer Beruf wesensgemäß auf die Mitarbeit ganz bestimmter Arbeitnehmer angewiesen ist“963. Auch wenn sich die Stufen der Beraufsausübung und Berufswahl nicht immer deutlich trennen lassen, können diese Kategorien bei der Bewertung der Eingriffstiefe in die Berufsfreiheit des Arbeitgebers eine Orientierung bieten: Besonders schwer wiegen solche Beschränkungen, die die Berufswahl des Arbeitgebers betreffen oder faktisch einer Beschränkung der Berufswahl gleichkommen. Der Grad der Betroffenheit der Unternehmerfreiheit lässt sich auf einer Punkteskala von eins bis drei abbilden. Am oberen Ende der Skala sind Unternehmen mit einer „benachteiligenden“ Geschäftsausrichtung einzuordnen. Für sie wirkte sich ein Benachteiligungsverbot als Berufswahlverbot aus, ihim Einzelnen BVerfG 11.06.1958 NJW 1958, 1035 Leitsatz 6a)–c). in: BeckOK GG Art. 12 Rn. 94, 97, 99. 958  ErfK-Schmidt Art. 12 GG Rn. 28. 959  Siehe grundlegend das „Kassenarzt-Urteil“ BVerfG 23.03.1960, NJW 1960, 715 ff. 960  Vgl. BVerfG 19.07.2000, NVwZ 2001, 790, 792. 961  Maunz/Düring-Scholz Art. 12 GG Rn. 140. 962  Instruktiv zum Ganzen Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S.  54 ff. m. w. N. 963  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 55. 956  Vgl.

957  Ruffert



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters555

nen würde die Marktschöpfung insgesamt untersagt.964 Am unteren Ende der Skala sind solche Fälle anzusiedeln, in denen weder das Angebot auf eine bestimmte Klientel ausgerichtet, noch das Produkt oder die Dienstleistung selbst merkmalsnah gestaltet ist. Angelehnt an die aus der EuGH-Entscheidung Feryn965 bekannte Fallkonstellation lässt sich hierzu das Beispiel bilden, dass ein Handwerksunternehmen Montagedienstleistungen erbringt und unter Berufung auf Kundenpräferenzen nur deutsche Monteure beschäftigt. Dabei verfolgt es weder ein auf eine Merkmalsträgergruppe ausgerichtetes Konzept, noch werden Montagedienstleistungen als solche mit Beschäftigten einer bestimmten Ethnie assoziiert. Die Zugehörigkeit der Monteure zur „deutschen Ethnie“ ist nicht konstitutiver Teil des Unternehmerkonzeptes, sodass die Unternehmerfreiheit bei Versagung einer Rechtfertigung der benachteiligenden Beschäftigungspolitik vergleichsweise schwach betroffen wäre. In einigen Fällen werden die Interessen der Arbeitgeber neben der Unternehmerfreiheit durch weitere Grundrechte geschützt.966 Zu denken ist beispielweise an die Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG der Vereine und Verbände, die insbesondere auch die Organisations- und Satzungsautonomie umfasst. Bei Presse- und Medienunternehmen, Rundfunk- und Fernsehanstalten und auch bei Hochschulen kommen Grundrechte aus Art. 5 GG in Betracht.967 Staatliche Schulen als Arbeitgeber können sich auf den staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG berufen: „Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem Art. 7 Abs. 1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus“968, wie das BVerfG feststellte. Mögliche weitere betroffene Grundrechte auf Arbeitgeberseite wie die genannten Beispiele sind auf einer Punkteskala zu berücksichtigen. Werden durch das Benachteiligungsverbot neben der Unternehmerfreiheit noch andere Grundrechte des Arbeitgebers betroffen, sollen diese mit bis zu zwei zusätzlichen Punkten in die Wertung eingestellt werden. 964  Vgl. auch Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 246. 965  EuGH 10.07.2008 (Feryn) NZA 2008, 929 ff. Siehe dazu bereits unter D. IV. 3. 966  Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 6. Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang zum Teil der Tendenzschutzgedanke als Grundlage einer weitergehenden Auswahlfreiheit solcher Unternehmen, die Tendenzschutz genießen, erwogen, vgl. dazu Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 40 f.; dies. NZA 2007, 179, 183; Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 267 ff.; Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 24, 46; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 22. 967  Vgl. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 40; Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 268. 968  BVerfG 24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3113; vgl. nunmehr auch BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1363 ff.

556

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(c) Betroffene Kundeninteressen Auch Rechte Dritter, nach hiesigem Begriffsverständnis „Kunden“, sind in den Abwägungsprozess mit einzubeziehen.969 Sie berühren sich insoweit mit den Arbeitgeberinteressen, als sie auch auf eine Differenzierung ausgerichtet sind und somit auf dieser Seite gewichtet werden.970 (aa) Spanne möglicher betroffener Kundeninteressen Die Interessen Dritter an einer Ungleichbehandlung von Beschäftigten können vielfältige Ursachen haben:971 Sie reichen von einem im Persönlichkeitsrecht wurzelnden Schutz nach der Privat- bzw. Intimsphäre über Authentizitätsinteressen bis hin zu gewissen Stimulierungs- bzw. Lustinteressen. Ein Ungleichbehandlungsinteresse kann schließlich auch auf Fremdenfeindlichkeit oder anderen herabwürdigenden Vorurteilen fußen. Für das US-amerikanische Recht hat Yuracko festgestellt, dass die Rechtsprechung Präferenzen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Würde und Identität der Kunden gewichte und Privatsphäreinteressen einen höheren Wert als Stimulierungs- und Lustinteressen beimesse.972 Analog dazu sind im deutschen Recht solche Interessen besonders stark zu gewichten, die grundrechtlich abgesichert sind. Zu nennen ist hier beispielsweise das durch das Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 1, 2 GG umfasste Recht auf den Schutz der Intim- und Privatsphäre.973 Der Blick in das US-amerikanische Recht hat illustriert, dass die Privatsphäre auf verschiedene Weise betroffen sein kann:974 Beschäftigte können den (teilweise) unbedeckten Körper der Kunden berühren oder sehen, private oder intime Themen können aber auch bei Gesprächen mit Beschäftigten eine Rolle spielen, sodass im US-amerikanischen Recht zum Teil von „psychologischen“ im Gegensatz zu „physischen“ Privatsphäreinteressen gesprochen wird.975 Der unterschiedliche Grad bzw. die Intensität der Betroffenheit sind bei der Gewichtung zu berücksichtigen. 969  BAG

28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022. Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 6. 971  Siehe dazu bereits unter B. III. 1. b) aa). 972  Yuracko California Law Review 92 (2004), 153, 191; dazu auch bereits unter C. III. 4. b) aa) (2). 973  Vgl. BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1020 f.; BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876 f. 974  Siehe dazu bereits ausführlich unter C. III. 3. c) bb). 975  So Waldman University of Pennsylvania Journal of Labor and Employment Law 6 (2004), 357, 387. Dazu bereits ausführlich unter C. III. 4. b) cc) (3). 970  Vgl.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters557

Grundrechtlich abgesichert ist auch die bei der Rechtfertigung im Hinblick auf „Sicherheitsinteressen“ betroffene körperliche Integrität der Kunden.976 Bei ihrer Gewichtung ist die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu beachten. Dies ergibt sich aus der BAG-Rechtsprechung zu Altersgrenzen für Kabinenpersonal, in der das Gericht feststellte: „Fälle, in denen der altersbedingte Ausfall eines Flugbegleiters andere Menschen in ernste Gefahr bringen könnte, sind derart theoretisch und unwahrscheinlich, dass sie nicht geeignet sind, eine generelle Altersgrenze von 60 Jahren zu rechtfertigen.“977 Besonders gering zu gewichten sind hingegen solche Kundeninteressen an einer Ungleichbehandlung, die eine Herabwürdigung beinhalten und auf der Überzeugung von der Minderwertigkeit einer bestimmten Merkmalsträgergruppe beruhen. Sie laufen dem Schutzziel der Antidiskriminierungsgesetzgebung zuwider. Dies gilt in erster Linie bei allen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Dieser sozialwissenschaftliche Begriff „umfasst Stereotype, Vorurteile und Diskriminierungen gegen Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu schwachen Gruppen in unserer Gesellschaft, kurz: die Abwertung von Gruppen“978. Dazu gehören, bezogen auf die geschützten Merkmale, Rassismus und Xenophobie, Sexismus, die Abwertung bestimmter Religionen (z. B. durch Antisemitismus oder Islamfeindlichkeit), die Abwertung von Behinderten und Homophobie.979 Die Definition des Konzeptes gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit enthält zwar nicht explizit eine auf das Merkmal Alter bezogene Abwertung. Doch lässt sich mit von Hoff eine Herabwürdigung in Bezug auf das Alter bei einer Aversion gegenüber einer bestimmten Altersgruppe bzw. bei pauschalen Vorurteilen von ihrer Wertlosigkeit oder Leistungsunfähigkeit annehmen;980 im angelsächsischen Raum wird das Phänomen der Altendiskriminierung auch unter dem Stichwort des „Ageism“ diskutiert.981 Im Mittelfeld sind Authentizitätsinteressen anzusiedeln, die darin wurzeln, dass „aus der Merkmalseigenschaft im Rahmen einer Prognose aus Sicht Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 28. 23.06.2010 NZA 2010, 1248, 1250. Siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. d) bb) (1). 978  Groß/Zick/Krause APuZ 16–17 (2012), 11. 979  Groß/Zick/Krause APuZ 16–17 (2012), 11 f. 980  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 256. 981  Geprägt wurde der Begriff des „Ageism“ bereits im Jahr 1969 von Butler Gerontologist 9 (1969), 243 ff.; vgl. dazu auch aus den Sozialwissenschaften Brauer in: ders./Clemens, „Ageism“ und Altersdiskriminierung (2010), 21 ff.; Kramer in: Brauer/Clemens, „Ageism“ und Altersdiskriminierung (2010), 97 ff.; Kruse/Schmitt APuZ 49–50 (2005), 9, 11 f. 976  Vgl.

977  BAG

558

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

eines verständigen Außenbetrachters ein objektiver Wissens- bzw. Qualifikationsvorsprung gegenüber anderen Beschäftigten resultiert“982. Mithin geht es um eine besondere Nähebeziehung zwischen dem Produkt bzw. der Dienstleistung und dem merkmalstragenden Beschäftigten.983 Dies entspricht Erkenntnissen aus dem US-amerikanischen Recht: Kundenvorlieben für besonders attraktive Mitarbeiter und die daraus resultierende Anforderung der „Attraktivität“ als Einstellungskriterium, die bei Zugrundelegung „westlicher Schönheitsideale“ zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen der Rasse führen kann, lassen sich laut Bello dadurch erklären, dass die Kunden die attraktiven Verkäufer als Experten für die Produkte wahrnähmen.984 Dabei sei festzustellen, dass der Einsatz attraktiven Verkaufspersonals die Kundenwahrnehmung von einem Produkt nur dann positiv beeinflusse, wenn das Produkt selbst der Verbesserung der Attraktivität diene.985 In diesem Fall erhöhe die Schönheit des Verkaufspersonals dessen Vertrauens- und Glaubwürdigkeit.986 Diese Begründung trägt indes nicht in der Fallgruppe der anreizbezogenen Kundenpräferenzen bei den sogenannten plus-sex businesses, also Unternehmen, die gezielt (meist weiblichen) Sex-Appeal einsetzen, um ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen, das oder die für sich genommen nicht sexueller Natur ist.987 Dass die Beschäftigten eines bestimmten Geschlechts in keinerlei Beziehung zu dem angebotenen Produkt stehen,988 spricht dafür, das dabei angesprochene Stimulierungs- bzw. Lustinteresse der Kunden schwächer einzustufen als das Authentizitätsinteresse. So mag die Erbringung von Serviceleistungen durch junge, attraktive, weibliche Flugbegleiter aus Sicht heterosexuell veranlagter männlicher Kunden zwar erfreulich sein, doch werden sie einen männlichen Flugbegleiter als gleichermaßen kompetent akzeptieren.989 Steht hingegen der sexuelle Reiz im Mittelpunkt der Geschäftsbeziehung wie z. B. bei Strip-Clubs, besteht – wie auch in den Fällen des Authentizitätsinteresses – eine besondere Nähebeziehung zwischen Dienstleistung und Beschäftigtem eines be982  Lieske

Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 299. FS Adomeit (2008), 377, 389; Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 301. 984  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 500 m. w. N. 985  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 500 f. m. w. N. 986  Bello Journal of Gender, Race & Justice 8 (2004), 483, 501 m. w. N. 987  Siehe zu der Diskussion dieses Problemkreises im US-amerikanischen Recht bereits unter C. III. 4. b) bb). 988  Vgl. Krause FS Adomeit (2008), 377, 390; Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 304. 989  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 279 f.; vgl. auch ErfK-Schlachter § 8 AGG Rn. 5. 983  Krause



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters559

stimmten Geschlechts.990 Dann ist das Lust- bzw. Stimulierungsinteresse der Kunden höher zu gewichten als in den Fällen, in denen das Produkt oder die Dienstleistung für sich genommen nicht sexueller Natur ist. Das Spektrum möglicher Kundeninteressen soll mit einer Punkteskala von eins bis fünf Punkten erfasst werden. (bb) S  onderfall: Sind durch plus-sex businesses bediente Präferenzen herabwürdigend? Eine Frage, die sich besonders im Zusammenhang der plus-sex businesses stellt, ist, ob die dort bedienten Kundenpräferenzen als sexistisch einzustufen und damit per se nur mit dem geringstmöglichen Wert von einem Punkt zu gewichten sind. Zwar gibt es, wie Lembke feststellt, im juristischen Diskurs „keine Begriffsklärung für ‚Sexismus‘ “991, der Begriff ist „weder in juristischen Suchmaschinen noch in Stichwortverzeichnissen noch in Rechtswörterbüchern zu finden“992 und wird „von Jurist / innen schlicht nicht benutzt“993. Doch stellt sich jedenfalls die Befürwortung herkömmlicher Geschlechterrollen als Erscheinungsform des Sexismus994 dar.995 In Bezug auf die plus-sex businesses argumentiert Lieske, dass beispielsweise der bevorzugte Einsatz weiblicher Flugbegleiter im Hinblick auf die Präferenzen männlicher Flugpassagiere auf der Popularität der traditionellen Rollenerwartung beruhe; der auf Kundenerwartungen reagierende Arbeitgeber wolle „eine Stelle aus wirtschaftlichen Überlegungen vorzugsweise ‚sozial rollengerecht‘ besetzen“996. Folgte man dieser Argumentation, wären Stimulierungs- bzw. Lustinteressen der Kunden als sexistisch einzustufen. Dass es sich bei den entsprechenden Stimulierungs- und Lustinteressen der Kunden aber gerade um die Art sexistischen, herabwürdigenden Verhaltens handelt, dessen Beseitigung durch die Antidiskriminierungsgesetzgebung bezweckt wird, überzeugt aus verschiedenen Gründen nicht. Zunächst ist zu bedenken, dass die benachteiligten Beschäftigten, die auf Grund ihres 990  Vgl. Krause FS Adomeit (2008), 377, 390; Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 304. 991  Lembke in: Knopf/Schneikart, Sex/ismus und Medien (2007), 29. 992  Lembke in: Knopf/Schneikart, Sex/ismus und Medien (2007), 29. 993  Lembke in: Knopf/Schneikart, Sex/ismus und Medien (2007), 29. 994  Für einen kompakten Überblick über die Entwicklung des Sexismus-Begriffs in der Frauen- und Geschlechterforschung vgl. Knopf/Schneikart in: dies., Sex/ismus und Medien (2007), 13 ff. 995  Vgl. dazu aus der sozialwissenschaftlichen Forschung z. B. Eckes in: Becker/ Kortendieck, Frauen- und Geschlechterforschung (2010), 178, 183 f. 996  Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 280.

560

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Geschlechts von bestimmten Positionen ausgeschlossen werden, jedenfalls nicht herabgewürdigt werden: Die Kunden der Fluggesellschaft bevorzugen weibliche Flugbegleiter nicht, weil sie Männer per se für unfähig oder minderwertig halten. Den benachteiligten Männern wird damit nicht der Achtungsanspruch abgesprochen. Es steht also nicht eine Herabwürdigung der von einer Stelle ausgeschlossenen, sondern der bevorzugt eingestellten Gruppe im Raum. Aus der Darstellung der US-amerikanischen Positionen im Schrifttum sind die zwei Pole der Debatte bekannt: Einerseits wird vorgebracht, dass die plus-sex businesses als Gefahr für Frauen angesehen werden könnten:997 So führt z. B. McGinley aus, dass dadurch die traditionellen Rollenbilder von Männern und Frauen verfestigt würden, wonach Männer die rationalen Wesen, Frauen hingegen die emotionalen Sex-Objekte seien, die Männer mit einem Lächeln bedienten.998 Dies sei auch insofern schädlich, als die Gesellschaft davon ausgehe, dass Jobs mit einer sexuellen Komponente geringe andere Qualifikationen erforderten.999 In diesem Sinne weist auch Yuracko darauf hin, dass die Sexualisierung von Frauen im Berufsleben dazu führe, dass sie weniger als rationale, intelligente Wesen wahrgenommen würden.1000 Zudem wird darauf hingewiesen, dass von plus-sex businesses insofern eine besondere Gefahr für die Frauen ausgehe, als sie das Bild der Frau als Sex-Objekt – anders als reine sex businesses wie Strip-Clubs – unterschwellig verbreiteten.1001 Weil die Verbreitung traditioneller Rollenbilder durch Unternehmen wie Hooters einerseits subtiler erfolge und andererseits ein Hooters-Besuch gesellschaftlich stärker akzeptiert sei als ein Besuch im Strip-Club, gehe von Hooters eine größere Gefahr der Verfestigung traditioneller Rollenbilder aus und füge Frauen einen größeren Schaden zu.1002 Andererseits weist Cahill (im Einklang mit der Argumentation liberaler Feministen)1003 darauf hin, dass plus-sex businesses Frauen eine im Vergleich zu sex businesses moderatere Möglichkeit böten, aus dem Sex-Appeal Profit zu schlagen.1004 Wollten Frauen also die ökonomischen Vorteile ihres 997  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144 Fn. 193; McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 273 f.; siehe dazu bereits unter C. III. 4. b) bb) (2) und (3). 998  McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 274. 999  McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 274. 1000  Yuracko California Law Review 92 (2004), 153, 191. 1001  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144 Fn. 193. 1002  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144 Fn. 193. 1003  Vgl. dazu Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 205 f. m. w. N.; McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 273 m. w. N. 1004  Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1143 f.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters561

Geschlechts nutzen, seien sie nicht ausschließlich auf Positionen im reinen sex business verwiesen.1005 Zudem böten Jobs, in denen Frauen auch ihren Sex-Appeal einsetzten, oft höhere Bezahlungen als entsprechende entsexualisierte Jobs.1006 Auf dieser Grundlage lässt sich argumentieren, dass man Frauen im Sinne ihrer Selbstbestimmung die Freiheit geben sollte, ihren Sex-Appeal als Mittel zum Zweck einzusetzen.1007 Bei der Bewertung der Stimulierungs- und Lustinteressen der Kunden ist zwischen der Sexualisierung einer Tätigkeit und Sexismus zu differenzieren, die nicht zwangsläufig miteinander einhergehen. Die Sexualisierung bedeutet zunächst einmal lediglich, „jemanden, etwas in Beziehung zur Sexualität bringen und die Sexualität in den Vordergrund stellen“1008 und enthält somit nicht per se eine Herabwürdigung. Gleichermaßen hat das Stimulierungsund Lustinteresse, dass dadurch angesprochen wird, keinen herabwürdigenden Charakter. Wie auch McGinley feststellt, besteht das Problem nicht in der Sexualisierung bestimmter Tätigkeiten an sich, sondern darin, dass (nahezu) ausschließlich Frauen sexualisiert werden.1009 Insofern besteht die Gefahr der gesellschaftlichen Verfestigung bestimmter Rollenbilder als mögliche Folge der Bedienung der Lust- und Stimulierungsinteressen. Die Lust- und Stimulierungsinteressen als solche haben indes keinen herabwürdigenden Charakter. So wird die Bedienung dieser Interessen in reinen sexbusinesses regelmäßig als legitim angesehen, sodass z. B. eine Rechtfertigung geschlechtsspezifischer Beschäftigungspraktiken in Bezug auf Stripper oder „Playboy-Bunnies“ anerkannt wird.1010 In der Sache wird bei plus-sex businesses das gleiche Lust- und Stimulierungsinteresse angesprochen wie bei reinen sex businesses. Zwar steht dieses Interesse bei plus-sex businesses nicht im Mittelpunkt und ist – anders als bei Unternehmen der Sex- und Erotikindustrie – mangels eines Näheverhältnisses zwischen Produkt und geschütztem Merkmal nicht durch ein Authentizitätsinteresse gestärkt. Somit ist es zwar geringer als bei reinen sex businesses zu gewichten, aber 1005  Cahill

Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144. Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144 f. 1007  Vgl. zu diesem Argument Manley Duke Journal of Gender Law & Policy 16 (2009), 169, 205 f. m. w. N.; McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 273 m. w. N. 1008  Duden online zu „sexualisieren“, abrufbar unter http://www.duden.de/ rechtschreibung/sexualisieren (Abruf vom 27.07.2015). 1009  Vgl. McGinley Duke Journal of Gender Law & Policy 14 (2007), 257, 274; vgl. auch Yuracko California Law Review 92 (2004), 153, 183. 1010  Vgl. dazu aus dem US-amerikanischen Schrifttum z.  B. Bartlett Michigan Law Review 92 (1993–1994), 2541, 2579; Cahill Vanderbilt Law Review 48 (1995), 1107, 1144 Fn. 193; Yuracko California Law Review 92 (2004), 153, 157 m. w. N. und aus dem deutschen Schrifttum Bauer/Krieger § 8 AGG Rn. 42; MüKo-Thüsing § 8 AGG Rn. 17; Wendeling-Schröder/Stein-Wendeling-Schröder § 8 AGG Rn. 10. 1006  Cahill

562

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

nicht per se als sexistisch zu qualifizieren und damit auch nicht kategorisch mit dem geringstmöglichen Wert von einem Punkt zu bemessen. (d) Betroffener Kundentyp Nicht nur die betroffenen Kundeninteressen, auch der betroffene Kundentyp spielt bei der Gewichtung des Differenzierungsinteresses eine Rolle. Der „Kundenterminus“ wird teilweise in Abhängigkeitsverhältnissen verwendet; diese Abhängigkeitsverhältnisse sind durch eine Machtasymmetrie gekennzeichnet und beruhen nicht in dem Maße auf Freiwilligkeit des Kunden, wie es der Terminus suggeriert.1011 Diesen unterschiedlichen Kundenrollen der verschiedenen Kundentypen und ihrer Schutzbedürftigkeit ist bei der Gewichtung ihres jeweiligen Interesses Rechnung zu tragen.1012 Je größer die Abhängigkeit des Kunden vom Leistungserbringer, je geringer die Wahlmöglichkeit für den Kunden zwischen verschiedenen Leistungserbringern, je geringer die Freiwilligkeit seiner Beziehung zum jeweiligen Leistungserbringer, je unsouveräner der Kunde im Verhältnis zum betreffenden Leistungserbringer und je schutzbedürftiger der Kunde, desto höher ist sein Differenzierungsinteresse zu gewichten. Inwiefern der jeweils betroffene Kundentyp sich bei gleichem betroffenen Kundeninteresse [dazu soeben unter (cc)] unterschiedlich auf die Abwägung auswirken kann, soll anhand zweier Beispiele aus der Rechtsprechung veranschaulicht werden, und zwar anhand der Fälle, die der MädcheninternatEntscheidung des BAG1013 bzw. dem Damenbademodengeschäfts-Urteil des LAG Köln1014 zugrunde lagen. Es ging jeweils um die Ablehnung männlicher Bewerber für die Stelle einer Erzieherin / Sportlehrerin / Sozialpädagogin bzw. für die Position einer Verkäuferin. Die Kundeninteressen betrafen in beiden Fällen den Schutz der Privatsphäre, da die Gefahr bestand, dass die Schülerinnen des Internats bzw. Kundinnen des Geschäfts von den Beschäftigten (teilweise) unbekleidet gesehen wurden. Im Gegensatz zu den Kundinnen des Bademodengeschäfts sind die Internatsschülerinnen ein wesentlich schutzbedürftigerer Kundentyp: Sie befinden sich gegenüber dem Arbeitgeber, dem die Schule tragenden Land, in einem Abhängigkeitsverhältnis. Auch das BAG hob in seiner Entscheidung insofern den Aspekt hervor, dass 1011  Siehe

dazu bereits ausführlich unter B. I. 1. b). zu dem Aspekt der „Schutzbedürftigkeit“ auch Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 289 f. 1013  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016 ff.; siehe dazu bereits unter E. III. 2. a) aa) (1) (b) (aa). 1014  LAG Köln 19.07.1996 AR-Blattei ES 800 Nr. 128, 7 f., dazu bereits unter E. III. 2. a) aa) (1) (c). 1012  Vgl.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters563

das Land „eine Aufsichts- und Fürsorgepflicht insbesondere gegenüber den minderjährigen Mädchen hat“1015. Angesichts der Schulpflicht1016 ist die Beziehung der Schülerinnen-Kunden zu dem Land-Arbeitgeber nicht von Freiwilligkeit geprägt. Zwar ließe sich argumentieren, dass es durchaus Alternativen zum Besuch des Internats gibt und die Schülerinnen nicht zum Besuch gerade dieser Schule gezwungen sind. Dies spräche für ein größeres Maß an Freiwilligkeit. Doch ist bei minderjährigen Schülern zu bedenken, dass letztlich die Eltern, nicht die Schüler selbst, über die besuchte Schule entscheiden. Die Schülerinnen sind der Besetzungspolitik des Landes in gewisser Weise „ausgeliefert“. Alle diese Aspekte sprechen dafür, das Differenzierungsinteresse bei dem Kundentyp „Schülerin“ besonders stark zu gewichten. Der Kundin des Damenbademodengeschäfts hingegen steht es frei, darüber zu entscheiden, ob und wo sie Badebekleidung kauft. Sie ist insofern die mächtige, souveräne und selbstbestimmte Kundin im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs. Ist sie mit dem Service in einem Damenbademodengeschäft unzufrieden, steht es ihr frei, in einem anderen Geschäft einzukaufen. Dies spricht dafür, das Differenzierungsinteresse bei diesem Kundentyp, speziell im Vergleich mit dem des Kundentyps „Schülerin“, geringer zu gewichten. Um die Bandbreite betroffener Kundentypen abbilden zu können, soll wiederum eine Punkteskala von eins bis fünf gewählt werden. (2) Gewicht des Gleichbehandlungsinteresses Dem Differenzierungsinteresse des Arbeitgebers und der Kunden ist das Gleichbehandlungsinteresse des Beschäftigten gegenüberzustellen. Das Gewicht des Gleichbehandlungsinteresses ist von der Eingriffstiefe abhängig. Die Eingriffstiefe lässt sich anhand verschiedener Faktoren genauer bestimmen. Zunächst ist danach zu differenzieren, ob die Ungleichbehandlung unmittelbar oder mittelbar an ein geschütztes Merkmal anknüpft [dazu unter (a)]. Entscheidend kommt es zudem auf den Grad der Betroffenheit der Beschäftigteninteressen, also das Maß, in welchem der Beschäftigte durch die Differenzierung herabgesetzt wird, an [dazu unter (b)].1017 Des Weiteren wird die Eingriffstiefe durch die Art und Intensität der Personalmaßnahme [dazu unter (c)] bestimmt. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, wie stark die Teilhabemöglichkeiten des Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt eingeschränkt werden [dazu unter (d)].1018 1015  BAG

28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021. dazu nur instruktiv Hebeler/Schmidt NVwZ 2005, 1368 ff. 1017  Vgl. von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 255. 1018  Vgl. von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 255. 1016  Vgl.

564

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(a) Eingriffsform – unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung Die unmittelbare Benachteiligung auf Grund eines Merkmals ist gegenüber der mittelbaren Benachteiligung die stärkere Eingriffsform. Dieser Tatsache ist auch bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung zu tragen. In Bezug auf die hier vorgeschlagene Abwägung mit Hilfe eines Punktesystems lässt sich ein strengerer Prüfungsstandard für unmittelbare Benachteiligungen bei der Verhältnismäßigkeit dadurch umsetzen, dass bei der Gewichtung der Beschäftigteninteressen pauschal ein zusätzlicher Punktebetrag addiert wird. Hier soll der Punktewert drei gewählt werden. (b) Betroffenes Beschäftigteninteresse – Maß der Herabsetzung Zentral kommt es bei der Gewichtung des Beschäftigteninteresses zudem darauf an, ob und inwiefern der Benachteiligung ein herabwürdigender Gehalt zukommt. Wie auch das BAG feststellt, sind bei der Bemessung des beschäftigtenseitigen Gleichbehandlungsinteresses „der sich aus Art.  1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG ergebende Schutzzweck und der durch § 1 AGG gewährte Schutz zu berücksichtigen“1019. Auf europäischer Ebene ist das Recht der Nicht-Diskriminierung in den Art. 20 ff. GRC verbürgt.1020 Primär bezweckt sowohl die europäische als auch die deutsche Antidiskriminierungsgesetzgebung den Schutz der Menschenwürde. Der Schutz ist nicht mehr gewährleistet, wenn Kundenpräferenzen und diese bedienende Beschäftigungspraktiken des Arbeitgebers herabwürdigenden Gehalt haben.1021 Das wiederum hängt mit dem Grad der sozialen Verwerflichkeit der hinter den Kundenpräferenzen stehenden Motive zusammen.1022 Als in höchstem Maße verwerflich sind solche Präferenzen einzustufen, die auf einer Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (wie z. B. Rassismus oder Antisemitismus) beruhen.1023 Benachteiligungen auf der Grundlage solcher Präferenzen laufen der auf den Integritätsschutz ausgerichteten Zielsetzung der Antidiskriminierungsgesetzgebung zuwider. Der Grad der Betroffenheit der Beschäftigteninteressen hängt zudem davon ab, wie wichtig das Merkmal bzw. die damit zusammenhängende Verhaltensweise (z. B. das Kopftuchtragen) für die Würde und Identität des 1019  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022; vgl. auch BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 1020  Adomeit/Mohr § 8 AGG Rn. 7, 27. 1021  Vgl. auch Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011), S. 262. 1022  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 256. 1023  Siehe dazu bereits soeben unter E. V. 2. d) cc) (1) (c) (aa).



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters565

Beschäftigten ist.1024 Dies lässt sich anhand zweier Beispiele genauer erklären. Sie verdeutlichen, inwiefern bei der Beurteilung des Betroffenheitsgrads der Beschäftigteninteressen die verschiedenen Sachgesetzlichkeiten der geschützten Merkmale zu berücksichtigen sind:1025 Wird jemand auf Grund seines Geschlechts nicht eingestellt, ist eine relativ starke Betroffenheit seines Gleichbehandlungsinteresses anzunehmen. In der Soziologie wird darauf hingewiesen, dass es zwar eine Vielzahl von Lebensbedingungen wie beispielsweise Bildung, sozioökonomischer Status, Alter und Herkunft gebe, die die Sozialisation von Menschen beeinflussten; dabei bilde jedoch „das Erlernen von Geschlechtlichkeit eine übergeordnete Entwicklungsaufgabe, die alle anderen Lernerfahrungen durchdringt“1026. Das Geschlecht sei „nach wie vor eines der dominantesten Ordnungskriterien in unserer Gesellschaft und bildet ein sehr handlungswirksames und grundlegendes gesellschafts­ politisches Strukturierungsprinzip“1027. Auf die starke Bedeutung des Geschlechts für die Identität wurde auch im US-amerikanischen Schrifttum hingewiesen.1028 Hinzu kommt, dass das Geschlecht eines der Merkmale ist, das schicksalhaft gegeben, nicht (oder nur sehr schwer) veränderbar und schwer zu verbergen ist.1029 Anders verhält es sich hingegen, wenn ein Beschäftigter auf Grund fehlender Sprachkenntnisse benachteiligt wird.1030 Zwar ist das betroffene Merkmal hier die ebenfalls schicksalhaft gegebene und nicht zu verändernde und oft – z. B. im Falle unterschiedlicher Hautfarben – schwer zu verbergende ethnische Herkunft. Doch können bestimmte Sprachfertigkeiten vom Beschäftigten erworben werden, sodass es (auch) in seiner eigenen Hand liegt, eine Benachteiligung abzuwenden. Daher sind die Beschäftigteninteressen bei der Voraussetzung bestimmter Sprachkenntnisse vergleichsweise schwach betroffen, es sei denn, die Forderung der Sprachkenntnisse beruht letztlich auf einer herabwürdigenden Einstellung gegenüber Angehörigen einer bestimmten ethnischen Herkunft. Ein Beispiel dafür bildet der vom LAG Bremen entschiedene Fall, in dem einer Telefonsachbearbeiterin wegen ihres russischen Akzents gekündigt wurde, weil – so die Worte des Geschäftsführers – die Kunden sonst denken würden: „Was für ein Scheißladen, in welchem nur Ausländer beschäftigt werden.“1031 1024  Vgl. zu diesem Abwägungskriterium auch Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287, 310 ff. 1025  Siehe dazu bereits unter D. V. 1. a), c) und d). 1026  Küppers APuZ 20–21 (2012), 3, 6. 1027  Küppers APuZ 20–21 (2012), 3, 6. 1028  Post California Law Review 88 (2000), 1, 37; vgl. auch Appiah Journal of Philosophy 87 (1990), 493, 497. Siehe dazu auch bereits unter C. III. 4. b) ee) (1). 1029  Siehe zu diesen Kriterien bereits unter D. V. 1. a) und d). 1030  Vgl. allgemein in diese Richtung auch Wertheimer Ethics 94 (1983), 99, 107. 1031  LAG Bremen 29.06.2010 NZA-RR 2010, 510 ff.

566

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Um die unterschiedlich starke Betroffenheit des Gleichbehandlungsinteresses abbilden zu können, soll hier eine Punkteskala von eins bis fünf gewählt werden. Denkbar ist zudem, dass die betroffenen Interessen des Beschäftigten neben dem Schutz durch Art. 3 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG noch durch weitere Grundrechte geschützt werden. In Betracht kommt beispielsweise die Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, die bei einem Kopftuchverbot betroffen sein kann. Werden durch die Ungleichbehandlung noch weitere Grundrechte des Beschäftigten betroffen, ist dies – analog zu der Berücksichtigung weiterer betroffener Grundrechte neben der unternehmerischen Freiheit auf Arbeitgeberseite – mit bis zu zwei zusätzlichen Punkten in die Wertung einzustellen. (c) Art und Intensität der Personalmaßnahme Ein drittes, bei der Gewichtung des Gleichbehandlungsinteresses des Beschäftigten zu berücksichtigendes Kriterium ist die Art bzw. die Intensität der Arbeitgebermaßnahme.1032 Als eingriffsintensiver sind dabei grundsätzlich solche Personalmaßnahmen wie z. B. Kündigung oder Versetzung einzustufen, durch die bereits bestehende Rechtspositionen des Beschäftigten entzogen werden.1033 Weniger eingriffsintensiv sind im Vergleich dazu präventiv benachteiligende Maßnahmen,1034 durch die dem Beschäftigten die Chance auf möglicherweise in Zukunft entstehende Rechtspositionen versagt wird wie z. B. im Falle der Nicht-Einstellung, der Ablehnung einer Beförderung oder auch im Falle des Nicht-Einsatzes bei bestimmten (provisionsträchtigen) Aufträgen. Die Spanne möglicher Personalmaßnahmen reicht demzufolge von der Kündigung als eingriffsintensivster Maßnahme, die nur Ultima Ratio sein kann, über die Versetzung und die Nicht-Einstellung bis hin zum NichtEinsatz für einzelne möglicherweise besonders provisionsträchtige Aufträge als Beispiel einer Maßnahme geringerer Eingriffsintensität. Um das Spektrum der unterschiedlich intensiven Personalmaßnahmen mit Hilfe von Punktwerten abbilden zu können, erscheint eine Skala mit den Werten von eins bis fünf angemessen.

1032  Vgl.

Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011),

1033  Vgl.

Rohe GS Blomeyer (2004), 217, 234 f. Lieske Diskriminierungsschutz und unternehmerische Freiheit (2011),

S. 389.

1034  Vgl.

S. 383.



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters567

(d) Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt Das vierte, auf Beschäftigtenseite einzustellende Abwägungskriterium ist das Maß der Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten der von der Ungleichbehandlung nachteilig betroffenen Beschäftigten.1035 Über dieses ­ Kriterium wird die neben der Ausrichtung auf den Integritätsschutz verfolgte Zielsetzung der Antidiskriminierungsgesetzgebung, die Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten benachteiligter Gruppen auf dem Arbeitsmarkt,1036 berücksichtigt. Das Gleichbehandlungsinteresse ist besonders stark beeinträchtigt, wenn die Akzeptierung der Ungleichbehandlung mit der strukturellen Versagung der Teilhabechancen am Arbeitsmarkt für bestimmte benachteiligte Gruppen einhergeht. Die Gleichbehandlungsrichtlinien haben als benachteiligte Gruppen vor allem ältere Beschäftigte,1037 Frauen,1038 Menschen mit Behinderung1039 sowie ethnische,1040 religiöse und andere Minderheiten1041 im Blick.1042 Ähnlich wird in der Regierungsbegründung des AGG-Gesetzesentwurfs festgestellt, dass vor allem Migranten, Berufsanfänger, ältere Arbeitnehmer ab 55 Jahren, Behinderte, Homosexuelle und Frauen besonders von Ausgrenzung betroffen seien, wobei alle Merkmale geschlechtsspezifisch wirkten und das weibliche Geschlecht zu den sonstigen Merkmalen verstärkend hinzu komme.1043 In Bezug auf das Merkmal Alter geht von Hoff davon aus, dass „[d]ie Arbeitsmarktchancen verschiedener Altersgruppen […] durch Diskriminierungen wegen Kundenpräferenzen weniger berührt [werden], da rational handelnde Arbeitgeber auf derartige Vorlieben in der Kundschaft durch eine Markttrennung reagieren“1044. Das bedeute, dass sich einige Arbeitgeber unter Einsatz jüngerer Arbeitnehmer auf einen jüngeren Kundenkreis spezialisierten, andere die Präferenzen älterer Kunden unter Beschäftigung älterer Arbeitnehmer bedienten und wieder andere Unternehmen sich mit entsprechendem Personal altersübergreifend ausrichteten. Thüsing führt das Markttrennungsargument im Zusammenhang mit dem viel bemühten Beispiel des

c).

1035  Vgl.

von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 256 ff. zu den Zielsetzungen bereits ausführlich unter D. III. 2. und E. II. 2.

1037  Vgl.

ErwG 6, 8 BeschäftiggsRL. ErwG 2 GenderRL, ErwG 14 AntirassismusRL und ErwG 3 Beschäf-

1036  Siehe

1038  Vgl.

tiggsRL. 1039  Vgl. ErwG 6, 8, 16 und 27 BeschäftiggsRL. 1040  Vgl. ErwG 8 AntirassismusRL. 1041  Vgl. KOM(1999) 565 endg., S. 6. 1042  Siehe dazu bereits unter D. III. 2. d) bb). 1043  BT-Drs. 16/1780, S. 24. Siehe dazu auch bereits unter E. II. 2. c) bb) (2). 1044  von Hoff Altersdiskriminierung (2009), S. 256.

568

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

chinesischen Restaurants an, das chinesisches Bedienungspersonal bei der Einstellung bevorzugt.1045 Im Hinblick darauf lässt sich verallgemeinernd feststellen, dass die Teilhabemöglichkeiten einer bestimmten Gruppe am Arbeitsmarkt durch solche Differenzierungen nicht besonders eingeschränkt werden, die lediglich zu einer Markttrennung, nicht aber zu einer systematischen Benachteiligung bestimmter Beschäftigtengruppen führen. Lobinger weist zutreffend darauf hin, dass das Markttrennungsargument nur dann überzeugen kann, wenn die „Gleichwertigkeit der Parallelmärkte“ gewährleistet ist.1046 Stellt man, wie von Meinel / Heyn / Herms angeregt, auf den (regionalen) Arbeitsmarkt ab,1047 ist festzustellen, dass sich in deutschen Städten regelmäßig z. B. chinesische, indische, italienische und griechische, aber eher selten nigerianische Restaurants finden.1048 Insofern formuliert Lobinger scharf: „Wollte man etwa einem Afrikaner in Deutschland den Zugang zu einem Arbeitsplatz ‚beim Chinesen‘, ‚beim Italiener‘, ‚beim Inder‘ oder auch ‚beim Franzosen‘ mit der Begründung verbauen, er könne sich ja etwa ‚beim Afrikaner‘ bewerben, grenzte das fast schon an Zynismus.“1049 Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, die Beeinträchtigung der Teilhabechancen am Arbeitsmarkt nicht vorschnell unter Berufung auf das Markttrennungsargument als gering zu bewerten. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu untersuchen, ob bzw. inwiefern eine Differenzierung die Teilhabechancen einer bestimmten Gruppe am Arbeitsmarkt tatsächlich empfindlich beeinträchtigt. Um den Grad der möglichen Beeinträchtigung der Teilhabechancen am Arbeitsmarkt auf einer Punkteskala abbilden zu können, soll wiederum ein Wertespektrum von eins bis fünf gewählt werden. (3) A  bwägung des Differenzierungs- und des Gleichbehandlungsinteresses Anhand der genannten Kriterien lässt sich jeweils das Gewicht des Differenzierungs- und des Gleichbehandlungsinteresses ermitteln. Nach der hier gewählten Punkteskala ist auf beiden Seiten der Abwägung insgesamt maximal eine Gesamtpunktzahl von zwanzig Punkten erreichbar. Die Punktzahl des Differenzierungsinteresses setzt sich aus den Werten für das Ziel (bis zu fünf Punkte), die betroffenen Arbeitgeberinteressen (bis zu drei 1045  MüKo-Thüsing

§ 8 AGG Rn. 20. EuZA 2009, 365, 373. 1047  Meinel/Heyn/Herms § 8 AGG Rn. 16. Siehe dazu bereits unter E. IV. 2. a) cc). 1048  Vgl. auch Radlingmayr ZAS 2010, 192, 196. 1049  Lobinger EuZA 2009, 365, 374. 1046  Lobinger



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters569

Punkte in Bezug auf den Betroffenheitsgrad des Art. 12 Abs. 1 GG, bis zu zwei Punkte zusätzlich in Bezug auf weitere betroffene Grundrechte), die betroffenen Kundeninteressen (bis zu fünf Punkte) sowie schließlich für den Kundentyp (bis zu fünf Punkte) zusammen. Auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses sind die Werte für die Eingriffsform (drei Punkte bei unmittelbarer Benachteiligung), den Grad der Betroffenheit der Beschäftigteninteressen, also das Maß der Herabsetzung (bis zu fünf Punkte in Bezug auf die Verletzung der Rechte aus Art. 3 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, bis zu zwei Punkte zusätzlich bei Verletzung weiterer Grundrechte), die Art und Intensität der Personalmaßnahme (bis zu fünf Punkte) und die Beeinträchtigung der Teilhabemöglichkeiten des Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt (bis zu fünf Punkte) zu addieren. Zwar kann der Abwägungsvorgang mit Hilfe einer Punkteskala nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Abwägung als Bewertungsvorgang keine exakte mathematische Gleichung sein kann.1050 Sowohl die hier gewählten Abwägungskriterien als auch die dafür vorgesehenen Punkteskalen und insbesondere die Zuordnung der Punktewerte im Einzelfall sind das Ergebnis eines normativen Bewertungsvorgangs und nicht „der Weisheit letzter Schluss“. Sie stellen aber einen Weg dar, die Erzielung eines Abwägungsergebnisses möglichst transparent zu gestalten. Eine Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen gelingt nach alledem, wenn (der Wert für) das Differenzierungsinteresse (den Wert für) das Gleichbehandlungsinteresse überwiegt. (4) S  onderbehandlung von Fällen kulturkreisübergreifender ­Kundenpräferenzen? Bevor die Funktionsweise des Prüfungsrasters, insbesondere das im Rahmen der Angemessenheit vorgeschlagene Punkteschema, im nächsten Abschnitt anhand einiger Fälle veranschaulicht werden soll (dazu unter VI.), ist auf eine mögliche Sonderbehandlung von Fällen kulturkreisübergreifender Kundenpräferenzen einzugehen.1051 Damit ist die Frage angesprochen, ob Kundenpräferenzen anders zu bewerten sind, wenn sie von Geschäftspartnern aus einem außereuropäischen Kulturkreis stammen.

1050  Vgl.

326 f.

auch Bandsuch Columbia Human Rights Law Review 40 (2009), 287,

1051  Siehe zur Anwendbarkeit des AGG auf derartige Fälle bereits unter E. IV. 1. c) Fn. 634.

570

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

(a) „Problem“: Regelmäßiges Überwiegen des Gleichbehandlungsinteresses Denkbar ist z. B. der Fall, dass ein deutsches Unternehmen Ingenieursdienstleistungen für Kunden in Saudi-Arabien erbringt und im Hinblick auf die ausschließliche Akzeptanz männlicher Ingenieure durch die arabischen Geschäftspartner ausschließlich Männer in Saudi-Arabien einsetzt. Bei der Rechtfertigungsprüfung könnte die Hürde der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ unter Anwendung des Marktansatzes überwunden werden: Geht man davon aus, dass die arabischen Geschäftskunden auf Grund kulturell bedingter Auffassungen über Rollenbilder grundsätzlich nur männliche Ingenieure akzeptieren und daher auch alle Konkurrenten auf dem räumlichen Markt Saudi-Arabien nur männliches Personal einsetzen, ist das männliche Geschlecht „wesentlich und entscheidend“ für die Ausübung der Ingenieurstätigkeit in Saudi-Arabien. Nichtsdestotrotz wird eine Rechtfertigung in Fällen wie diesem regelmäßig bei der Interessenabwägung scheitern. Dies liegt daran, dass die betroffenen Kundeninteressen auf Grund des herabwürdigenden Charakters und der betroffene, in der Regel mächtige Kundentyp auf Seiten des Differenzierungsinteresses jeweils nur mit dem geringsten Wert von einem Punkt gewichtet werden. Demgegenüber ist auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses das betroffene Beschäftigteninteresse angesichts der Herabwürdigung mit dem Höchstwert von fünf Punkten einzustellen. Hinzu kommt, dass angesichts einer unmittelbaren Benachteiligung der Pauschalwert von drei Punkten auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses addiert wird. Insbesondere im Falle einer rein kommerziellen Zielsetzung des Arbeitgebers (Wert: ein Punkt) kann das Gleichbehandlungsinteresse nicht ausgeglichen werden. (b) K  orrekturbedürftigkeit im Hinblick auf die kulturelle Bedingtheit der Präferenzen? Es stellt sich die Frage, ob die kulturelle Bedingtheit der Präferenzen besonderer Berücksichtigung bedarf und das Abwägungsergebnis zu korrigieren ist. Dafür könnte sprechen, dass die Rechtsprechung der kulturellen Herkunft der Kunden jedenfalls dann besondere Bedeutung beimisst, wenn nicht herabwürdigende Präferenzen, sondern beispielsweise Privatsphäre­ interessen in Rede stehen. So hielt das ArbG Hamburg die Besetzung der Position einer Pflegekraft mit einer Frau in einer kleinen Belegarztklinik, die vorwiegend gynäkologische Operationen durchführte, im Hinblick auf die Bedürfnisse der Patientinnen für gerechtfertigt.1052 Dabei führte das 1052  ArbG Hamburg 10.04.2001  – 20 Ca 188/00 juris; siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. a) aa) (1) (a) (bb).



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters571

Gericht aus, dass zu den Patientinnen unstreitig auch Mohammedanerinnen gehörten, wobei bekannt sei, „dass mohammedanische Frauen auf Grund ihrer gesellschaftlichen und religiösen Einstellung sich im Intimbereich nicht von männlichen Personen behandeln lassen und selbst Untersuchungen durch männliche Ärzte nur in Gegenwart des Ehemanns vorgenommen werden dürfen“1053. Ähnlich betonte auch das BAG in seiner Entscheidung, in der es die Rechtfertigung der ausschließlichen Berücksichtigung weiblicher Bewerber für die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten bejahte, zu deren Aufgaben auch Integrationsarbeit für muslimische Frauen gehörte: „Musliminnen […], deren Alltagsleben von traditionellen Mustern und Rollenverteilungen geprägt ist und die gerade deshalb mit integrativen Angeboten erreicht werden sollen, haben zum einen auf Grund kultureller Vorverständnisse Schwierigkeiten, sich an einen Mann zu wenden und werden zum anderen häufig unter einem erhöhten Rechtfertigungsdruck seitens ihres familiären und gesellschaftlichen Umfeldes stehen, wenn sie an einem von einem Mann geleiteten Projekt teilnehmen möchten.“1054 Die besondere Berücksichtigung der kulturellen Verwurzelung in diesen Fällen ist mit der Zielsetzung der Antidiskriminierungsgesetzgebung vereinbar, weil es sich nicht um herabwürdigende Präferenzen handelte. Daraus lässt sich jedoch nicht ablesen, dass die kulturelle Prägung auch dann besonderer Berücksichtigung bedarf, wenn die Kundenvorlieben herabwürdigend sind und der Integritätsschutzzielsetzung der Antidiskriminierungsgesetzgebung zuwiderlaufen. (c) Differenzierung nach dem Einsatzort Krause schlägt vor, zwischen Fällen zu differenzieren, in denen der Beschäftigte überwiegend innerhalb der EU eingesetzt wird und solchen Fällen, in denen er vorwiegend in einem außereuropäischen Kulturkreis arbeitet und in diesen quasi eintaucht.1055 Dieser Vorschlag überzeugt. Ein wirksamer Menschenwürdeschutz muss grundsätzlich unabhängig davon gelten, welchem Kulturkreis derjenige angehört, der die Integrität zu verletzen droht. Ist der Beschäftigte innerhalb der EU tätig, kann davon keine Ausnahme gemacht werden. Kommen beispielsweise Kunden des arabischen Kulturkreises nach Europa, müssen sie sich darauf einstellen, beim Einkauf von weiblichem Personal beraten zu werden, auch wenn sie dies kulturell bedingt eigentlich ablehnen. Dem Arbeitgeber, der sich zur Rechtfertigung einer Diskriminie1053  ArbG

Hamburg 10.04.2001  – 20 Ca 188/00 juris Rn. 31. 18.03.2010 NZA 2010, 872, 875. Siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. a) aa) (3) (b). 1055  Krause FS Adomeit (2008), 377, 391. 1054  BAG

572

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

rung nicht auf diese Kundenpräferenzen berufen darf, entsteht dadurch kein Wettbewerbsnachteil. Seine auf dem europäischen Markt agierenden Konkurrenten müssen sich ebenfalls an das Diskriminierungsverbot halten.1056 Jedenfalls bei Einsatz des Beschäftigten innerhalb der EU wird so ein Kulturrelativismus vermieden. Dieser widerspräche dem universellen Geltungsanspruch der Menschenrechte, zuvorderst der Achtung der Menschenwürde. Wird ein Beschäftigter indes überwiegend in einem außereuropäischen Kulturkreis eingesetzt, stößt das Antidiskriminierungsrecht an seine Grenzen.1057 Die Ausrichtung auf die Menschenwürde ist Ausdruck der westlichen Kultur. Erwartet man von Kunden, die in die EU kommen, dass sie sich auf die europäischen Wertmaßstäbe einstellen, muss dies auch umgekehrt gelten: Bei der Entsendung von überwiegend bzw. gar ausschließlich in außereuropäischen Kulturkreisen eingesetzten Beschäftigten ist auf die am Einsatzort geltende Kultur Rücksicht zu nehmen. Dagegen ließe sich freilich das Argument eines zu vermeidenden Kulturrelativismus einwenden. Dies führt auf den klassischen, hier nicht zu lösenden Konflikt zwischen Universalität und kultureller Relativität der Menschenrechte zurück.1058 Indes sprechen sowohl Wettbewerbsgesichtspunkte als auch Praktikabilitätsüberlegungen dafür, bei Einsatz des Beschäftigten in einem außereuropäischen Kulturkreis auf die dortige Kultur Rücksicht zu nehmen: Auf außereuropäischen Märkten konkurriert der Arbeitgeber verstärkt mit Unternehmern, für die die europäischen Antidiskriminierungsgesetze nicht gelten. Daneben spricht schließlich noch ein Praktikabilitätsargument für die Sonderbehandlung von Kundenpräferenzen in Fällen, in denen Beschäftigte in außereuropäischen Kulturkreisen eingesetzt werden. Dies veranschaulicht folgendes Beispiel:1059 Das Kerngeschäft eines Unternehmens besteht in der Durchführung von Flügen nach Mekka für einen saudi-arabischen Geschäftspartner. Dieser verlangt den ausschließlichen Einsatz muslimischer Piloten, nicht zuletzt deshalb, weil Nicht-Muslimen in Mekka die Enthauptung droht. Verbietet man dem Arbeitgeber die ausschließliche Beschäftigung muslimischer Piloten unter Berufung auf diese Kundenpräferenzen, wird der Vertrag mit dem Geschäftspartner nicht zustande kommen, er ist nicht praktikabel. Handelt es sich bei der Durchführung dieser Flüge aber um das Kerngeschäft des Unternehmens, bricht ihm ein großes Marktsegment weg, möglicherweise ist sogar der Bestand des Unternehmens gefähr1056  Vgl. zu diesem Argument auch die Schlussanträge des Generalanwalts ­Poiares Maduro 12.03.2008  – Rs. C-54/07 (Feryn), Slg. 2008, I-05187 Rn. 18. 1057  Krause FS Adomeit (2008), 377, 391. 1058  Vgl. dazu Mahlmann EuR 2011, 469 ff. 1059  Das Beispiel ist dem Fall Kern v. Dynalectron Corporation 577 F. Supp. 1196 ff. (N.D. Tex. 1983) aus der US-amerikanischen Rechtsprechung nachgebildet, siehe dazu bereits unter C. III. 3. c) cc) (2).



V. Vorschlag eines Prüfungsrasters573

det. Dadurch gehen Arbeitsplätze verloren. Die Gleichbehandlungsrichtlinien wollen die Teilhabechancen benachteiligter Gruppen verbessern. Gehen netto Arbeitsplätze verloren, verringert das die Teilhabechancen aller, sodass dies letztlich der Teilhabezielsetzung der Richtlinie zuwiderläuft. (d) S  chlussfolgerung für die Korrekturbedürftigkeit des Abwägungsergebnisses Die Rechtfertigung einer Benachteiligung ist trotz Überwiegen des Gleichbehandlungsinteresses zu bejahen, wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind: (1) der Beschäftigte wird überwiegend oder ausschließlich in einem außereuropäischen Kulturkreis eingesetzt, (2) bei Verneinung einer Rechtfertigung gehen netto Arbeitsplätze verloren.1060 dd) Zusammenfassung zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit Auf der vierten Stufe ist zu prüfen, ob die Ungleichbehandlung zur Bedienung der Kundenpräferenzen zur Erreichung des damit verfolgten wirtschaftlichen oder nicht wirtschaftlichen Ziels (festgestellt in Stufe drei) geeignet, erforderlich und angemessen ist. Die Geeignetheit ist zu bejahen, wenn das angestrebte Ziel durch die Differenzierung in kohärenter und systematischer Weise erreicht werden kann. Bei wirtschaftlichen Zielsetzungen ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Ausrichtung an den Präferenzen der Kunden ein geeignetes Mittel ist, insbesondere, wenn in irgendeiner Form Berührungspunkte zwischen Kunden und Beschäftigten bestehen. Bei nicht wirtschaftlichen Zielsetzungen steht die Prüfung der Kohärenz und Systematik der Maßnahme im Vordergrund. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Bedienung von Kundenpräferenzen zur Erreichung des wirtschaftlichen oder nicht wirtschaftlichen Ziels ist zu untersuchen, ob es bei gleicher Erfolgsgeeignetheit ein milderes Mittel gibt. Dabei ist nach der Art der Personalmaßnahme und der Intensität ihrer nachteiligen Wirkung zu differenzieren. Die Entlassung kann nur Ultima Ratio sein. Hinsichtlich des Vorhandenseins eines milderen Mittels ist dem Arbeitgeber ein Ermessensspielraum einzuräumen. Die Erforderlichkeit ist zu verneinen, wenn die unternehmerische Entscheidung, die zu der Ungleichbehandlung führt, willkürlich, offenbar unvernünftig oder offenbar unsachlich ist. 1060  A. A. aber Lobinger EuZA 2009, 365, 373, der eine Sonderbehandlung dieser Fälle pauschal ablehnt.

574

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist das Differenzierungsinteresse des Arbeitgebers und seiner Kunden mit dem Gleichbehandlungsinteresse der Beschäftigten abzuwägen. Durch die Definition der auf beiden Seiten einzustellenden Abwägungskriterien lässt sich die Abwägung transparent gestalten. Bei der Gewichtung des Differenzierungsinteresses sind vier Kriterien heranzuziehen, und zwar die Art des Ziels, die betroffenen Interessen des Arbeitgebers, die betroffenen Interessen der Kunden sowie der Kundentyp. Die Gewichtung des Gleichbehandlungsinteresses hängt ebenfalls von vier Kriterien ab, namentlich von der Eingriffsform, dem Maß der Herabsetzung, der Art und Intensität der Personalmaßnahme sowie der Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Eine hier vorgeschlagene Punkteskala kann als Orientierungshilfe bei der Gewichtung des jeweiligen Interesses dienen. Eine Ungleichbehandlung ist verhältnismäßig und damit eine Rechtfertigung grundsätzlich nur dann zu bejahen, wenn das Gewicht des Differenzierungsinteresses das des Gleichbehandlungsinteresses überwiegt. Bei Überwiegen des Gleichbehandlungsinteresses kann eine Differenzierung nur unter zwei besonderen Voraussetzungen gerechtfertigt werden: (1) der Beschäftigte wird ausschließlich oder überwiegend in einem außereuropäischen Kulturkreis eingesetzt, (2) bei Verneinung einer Rechtfertigung gehen netto Arbeitsplätze verloren.

VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle Abschließend soll die Funktionsweise des Prüfungsrasters, insbesondere das im Rahmen der Angemessenheit vorgeschlagene Punkteschema, anhand von vier Fällen aus der Rechtsprechung veranschaulicht werden. Dazu wird jeweils ein exemplarisch für die Problemkreise „Kommerzialisierung von (meist weiblichem) Sex-Appeal in plus-sex businesses“ (dazu unter 1.), „Rechtfertigung im Hinblick auf die Privatsphäre der Kunden“ (dazu unter 2.), „Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild – insbesondere Kleiderordnungen“ (dazu unter 3.) und „Anforderungen an Sprachkenntnisse des Beschäftigten“ (dazu unter 4.) stehender Fall herausgegriffen und analysiert, bevor die Analyseergebnisse durch Schlussbetrachtungen abgerundet werden (dazu unter 5.). Grundsätzlich ist zwischen zwei Prüfungsmaßstäben zu unterscheiden, dem strengeren § 8 Abs. 1 AGG einerseits und den weniger strengen § 10 S. 1 und 2 AGG und § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG andererseits. Durch die Auswahl der Fälle wird erreicht, dass die Wirkungsweise des Prüfungsrasters jeweils anhand von zwei Beispielen mit und ohne den strengeren Prüfungsmaßstab illustriert wird. Außerdem gelten bei den nach § 8 Abs. 1 AGG zu beurteilenden Fällen unterschiedliche Maßstäbe in den



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 575

Fällen kommerzieller und nichtkommerzieller Leistungserbringung. Auch dieser Tatsache wird durch die Auswahl der Anschauungsbeispiele Rechnung getragen. Bei den ausgewählten Problemkreisen handelt es sich zudem um solche, die im deutschen und / oder dem US-amerikanischen Recht besonders kontrovers diskutiert werden. 1. Problemkreis „Kommerzialisierung von (meist weiblichem) Sex-Appeal in plus-sex businesses“ Der erste Problemkomplex betrifft die Frage, inwieweit Unternehmen gezielt (meist weiblichen) Sex-Appeal dazu einsetzen dürfen, Produkte oder Dienstleistungen, die für sich genommen nicht sexueller Art sind, zu verkaufen.1061 Beispielhaft für diesen Problemkreis soll hier der von dem U.S. District Court for the Northern District of Texas entschiedene Fall Southwest analysiert werden: Die Fluggesellschaft Southwest, deren Kundschaft vorrangig aus männlichen Geschäftsleuten bestand,1062 entwarf ein neues Unternehmenskonzept samt einer dazugehörigen Marketingstrategie. Danach begriff sich Southwest als „love airline“. Teil dieses neuen Unternehmenskonzeptes war es, in den Positionen mit hohem Kundenkontakt, insbesondere als Flugbegleiter, ausschließlich Frauen zu beschäftigen, mit deren Attraktivität das Unternehmen warb.1063 Auf Grund dieses Konzeptes und der Marketingstrategie florierte Southwest.1064 Fraglich war, ob die Ablehnung männlicher Bewerber gerechtfertigt war. a) Erste Stufe: Bestimmung des Prüfungsmaßstabs Im ersten Schritt ist abhängig von der Benachteiligungsform (unmittelbar / mittelbar) und dem betroffenen Merkmal (nicht Alter / Alter) der Prüfungsmaßstab zu bestimmen. Die Ablehnung der männlichen Bewerber knüpft unmittelbar an das Geschlecht an. Der Rechtfertigungsmaßstab ist § 8 Abs. 1 AGG. Damit ist auf der zweiten Prüfungsstufe das Vorliegen einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ zu untersuchen.

1061  Siehe

dazu bereits ausführlich unter C. III. 4. b) bb). v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 294 (N.D. Tex. 1981); siehe für eine detailliertere Darstellung des Sachverhalts und der Entscheidung bereits unter C. III. 3. c) aa) (2) (a). 1063  Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 295 (N.D. Tex. 1981). 1064  Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 295 f. (N.D. Tex. 1981). 1062  Wilson

576

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

b) Zweite Stufe: wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung Vorab ist zu prüfen, ob offen negativ an das Geschlecht angeknüpft wird. Die Fluggesellschaft macht das weibliche Geschlecht positiv zur Anforderung für die Positionen der Flugbegleiter und fordert nicht etwa negativ, dass die Bewerber „nicht männlich“ oder auch „nicht zwischengeschlechtlich“ sein dürften. Eine positive Anknüpfung an das geschützte Merkmal ist gegeben. Für die weitere Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen An-forderung“ kommt es darauf an, ob zwischen dem Arbeitgeber und den Kunden, deren Präferenzen bedient werden sollen, eine kommerzielle oder nichtkommerzielle Leistungsbeziehung besteht. Southwest ist ein privatwirtschaftliches, profitorientiertes Unternehmen, das kommerziell Beförderungsleistungen anbietet. Folglich besteht zwischen dem Arbeitgeber (Southwest) und den Kunden (Fluggäste) eine kommerzielle Leistungsbeziehung. Somit ist im Sinne des „Marktansatzes“ zu untersuchen, ob das weibliche Geschlecht der Flugbegleiter als Definitionskriterium des Marktes Teil der von Southwest erbrachten Leistung und damit eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. Das Abgrenzungskriterium ist die Austauschbarkeit: Es kommt darauf an, inwiefern die durch weibliche Flugbegleiter erbrachte Leistung aus Sicht der Kunden durch die von einem männlichen Flugbegleiter erbrachte Leistung substituierbar ist. Zur Ermittlung der Austauschbarkeit ist zunächst von dem unternehmerischen Konzept und dem darauf beruhenden Anforderungsprofil auszugehen. Southwest konzipierte sich als „love airline“. Zu diesem Zweck projizierte die Fluggesellschaft ein „image of feminine spirit, fun and sex appeal“1065, das über Werbeanzeigen in Zeitungen und Magazinen, auf Reklamewänden und über Fernsehwerbespots verbreitet wurde. Die Beschäftigung ausschließlich weiblicher, attraktiver und aufreizend gekleideter Flugbegleiter verstand Southwest als integralen Bestandteil seines „love airline“-Konzeptes.1066 Insofern spielten die Flugbegleiterinnen in den Werbeanzeigen, in Fernsehspots und bei Werbeveranstaltungen eine Hauptrolle. Nach dem Konzept der Fluggesellschaft personifizierten die Flugbegleiterinnen das öffentliche Bild von Southwest. Anhand dieses Konzeptes lässt sich jedoch noch nicht mit Sicherheit feststellen, ob Southwest tatsächlich auf einem Markt konkurrierte, auf dem die Weiblichkeit der Flugbegleiter aus Kundensicht so entscheidend ist, dass dieses Merkmal den Markt 1065  Wilson 1066  Wilson

v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 294 (N.D. Tex. 1981). v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 295 (N.D. Tex. 1981).



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 577

definiert.1067 Um dies zu ermitteln, ist auf das Preisniveau zurückzugreifen: Zu untersuchen wäre, ob Southwest als „love airline“ höhere Preise als andere Fluggesellschaften verlangen konnte.1068 Wäre das der Fall gewesen, indizierte dies, dass das weibliche Geschlecht eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für die Position der Flugbegleiter war. Sollte das Preisniveau indes nicht höher als das anderer, auch männliche Flugbegleiter einsetzender Fluggesellschaften sein, bedeutete dies nicht bereits zwangsläufig, dass eine Austauschbarkeit der Leistungen zu bejahen wäre. Es wäre weiter im Sinne des SSNIP-Tests zu analysieren, ob die Kunden von Southwest auf eine Preiserhöhung von fünf bis zehn Prozent mit dem Wechsel zu einem anderen Anbieter reagierten, der auch männliche Flugbegleiter beschäftigte. Falls dies zuträfe, spräche dies dafür, dass das weibliche Geschlecht keine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für die Position der Flugbegleiterin bei Southwest war. Letztlich ist dies eine Tatsachenfrage, für die Southwest darlegungs- und beweispflichtig wäre. Um die Rechtfertigungsprüfung fortsetzen zu können, soll hier zugunsten der Fluggesellschaft davon ausgegangen werden, dass das Vorliegen einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ auf Basis des Marktansatzes gezeigt werden konnte. c) Dritte Stufe: rechtmäßiger Zweck Auf der dritten Stufe erfolgt die Prüfung des „rechtmäßigen Zwecks“, der in der profitablen Verfolgung des Unternehmerkonzeptes der „love airline“ besteht. d) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung Die vierte Prüfungsstufe schließlich erfordert eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Ungleichbehandlung ist verhältnismäßig, wenn sie zur Erreichung des rechtmäßigen Zwecks (siehe Stufe drei) geeignet, erforderlich und angemessen ist. aa) Geeignetheit Dass der Einsatz ausschließlich weiblicher Flugbegleiter zur profitablen Verfolgung des Konzeptes der „love airline“ geeignet ist, die Zweckerrei1067  Vgl.

1981).

Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 296 (N.D. Tex.

1068  Cantor

University of Chicago Legal Forum 1999, 493, 511.

578

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

chung also zumindest fördert, und zwar in kohärenter und systematischer Weise, folgt bei der Prüfung des § 8 Abs. 1 AGG bereits daraus, dass die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ bejaht wurde. Das Unternehmen florierte infolge seiner Konzipierung als „love airline“. Selbst die wegen Diskriminierung gegen Southwest klagenden Männer bestritten nicht, dass das einzigartige, feminisierte Image („Southwest’s unique, feminized image“) der Fluggesellschaft entscheidend zu dem Unternehmenserfolg beitrug.1069 bb) Erforderlichkeit Die Beschäftigung ausschließlich weiblicher Flugbegleiter müsste zudem erforderlich sein. Dies ist der Fall, wenn es kein gleich geeignetes, milderes Mittel gibt. Ein mögliches milderes Mittel könnte die Strategie sein, die die von dem Besitzer der US-amerikanischen Restaurantkette Hooters gegründete Fluggesellschaft „Hooters Air“ verfolgte: Wie Southwest vermarktete sich auch Hooters Air mit einem sexualisierten Image.1070 Dazu sexualisierte Hooters Air indes nicht die Positionen der Flugbegleiter, auf denen die Airline sowohl männliches als auch weibliches Personal beschäftigte. Vielmehr setzte Hooters Air auf jedem Flug zusätzlich zu den Flugbegleitern zwei weibliche, aufreizend gekleidete Hooters Girls ein, die die Fluggäste mit Ratespielen etc. animierten.1071 Angesichts dessen könnte man erwägen, dass ein milderes Mittel für Southwest darin läge, nicht die Position der Flugbegleiter zu sexualisieren, sondern als Flugbegleiter auch Männer einzustellen und zusätzliches Personal für die Verbreitung des „image of feminine spirit, fun and sex appeal“1072 zu beschäftigen. Derart weitgehende organisatorische Umgestaltungen, die zu einer Schaffung zusätzlicher Stellen führten, können vom Arbeitgeber jedoch nicht verlangt werden.1073 Auch das BAG hat klargestellt, dass vom Arbeitgeber nicht verlangt wird, „seine Arbeitsorganisation bzw. seine Arbeitsplätze so einzurichten bzw. umzugestalten, dass damit eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausgeschlossen wird“1074. Die Einrichtung des Arbeitsplatzes der Flugbegleiterin ist nicht auf eine unternehmerische Entscheidung zurückzuführen, die ihrerseits willkürlich, offenbar unvernünftig 1069  Wilson

v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 295 (N.D. Tex. 1981). California Law Review 92 (2004), 147, 159 Fn. 40, 204 f. 1071  Streitz Spiegel Online vom 07.11.2003, abrufbar unter http://www.spiegel.de/ wirtschaft/hooters-hebt-ab-airline-mit-oberweite-a-272713.html (Abruf vom 27.07. 2015). 1072  Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 294 (N.D. Tex. 1981). 1073  Vgl. BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625, 627. 1074  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022. 1070  Yuracko



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 579

oder offenbar unsachlich ist. Mangels eines milderen, gleich geeigneten Mittels ist die Benachteiligung männlicher Bewerber demnach auch erforderlich. cc) Angemessenheit Schließlich ist die Angemessenheit zu prüfen, wobei das Differenzierungsinteresse der Fluggesellschaft und ihrer Kunden dem Gleichbehandlungsinteresse der abgelehnten männlichen Bewerber gegenüberzustellen ist. (1) Differenzierungsinteresse Das erste im Rahmen des Differenzierungsinteresses zu berücksichtigende Kriterium ist die Art des Ziels. Das durch die Einstellungspolitik für Flugbegleiter verfolgte Ziel der profitablen Verfolgung des unternehmerischen Konzeptes der „love airline“ ist rein kommerziell. Im Vergleich mit nichtkommerziellen Zielsetzungen, die die Integration benachteiligter Gruppen bezwecken, handelt es sich um ein geringwertiges Ziel. Dass neben der Gewinnmaximierung noch weitere, gesellschaftliche Ziele verfolgt werden, ist nicht ersichtlich. Deshalb ist das Ziel am unteren Ende der fünfstufigen Punkteskala einzuordnen und mit einem Punkt zu bewerten. Das zweite zu berücksichtigende Kriterium ist das betroffene Arbeitgeberinteresse, wobei zum einen der Grad der Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit und zum anderen eine mögliche Betroffenheit weiterer Grundrechte zu untersuchen ist. Der Betroffenheitsgrad der unternehmerischen Freiheit hängt davon ab, inwiefern die Bedienung eines speziellen merkmalsnahen Nachfragewunsches Teil des unternehmerischen Konzeptes ist. Der Stellenwert der Bedienung von Kundenpräferenzen ist besonders hoch einzustufen, wenn die Ausrichtung auf eine bestimmte Kundengruppe mithilfe merkmalstragender Beschäftigter für das Unternehmenskonzept konstitutiv bzw. für den Unternehmenserfolg entscheidend ist. Seit der Umsetzung des „love airline“-Konzeptes florierte Southwest. Auch nach den Feststellungen des U.S. District Court for the Northern District of Texas spielte Southwests einzigartiges, feminisiertes Image eine wichtige Rolle für den enormen Erfolg der Fluggesellschaft.1075 Nach dem Konzept von South­ west personifizierten die Flugbegleiterinnen das Bild der Fluglinie in der Öffentlichkeit. Das deutet darauf hin, dass die Versagung der Beschäftigung ausschließlich weiblicher Flugbegleiter eine Eingriffsintensität aufweist, die einer Beschränkung der Berufswahlfreiheit nahekommt. Demnach ist von 1075  Vgl.

Wilson v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 295 (N.D. Tex. 1981).

580

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

einer starken Betroffenheit der unternehmerischen Freiheit durch ein Benachteiligungsverbot auszugehen. Eine Bemessung mit drei von drei möglichen Punkten ist sachgerecht. Weitere, grundrechtlich geschützte Interessen der Fluggesellschaft sind nicht betroffen, sodass keiner der maximal erreichbaren zwei Zusatzpunkte zu addieren ist. Das dritte zu berücksichtigende Kriterium sind die betroffenen Kundeninteressen, in diesem Fall die Lust- und Stimulierungsinteressen der Fluggäste. Wie bereits ausgeführt1076 sind diese Interessen zwar nicht als herabwürdigend, jedoch angesichts ihres vergleichsweise geringen Wertes für die Würde und Identität der Kunden und der fehlenden grundrechtlichen Absicherung im unteren Bereich der fünfstufigen Punkteskala einzuordnen. Eine Bemessung mit zwei von fünf erreichbaren Punkten erscheint angemessen. Das vierte zu berücksichtigende Kriterium ist schließlich der betroffene Kunden-typ. Dabei gilt: Je größer die Abhängigkeit des Kunden vom Arbeitgeber, je geringer die Wahlmöglichkeit für den Kunden zwischen verschiedenen Arbeitgebern, je geringer die Freiwilligkeit seiner Beziehung zum jeweiligen Arbeitgeber, je unsouveräner der Kunde im Verhältnis zum betreffenden Arbeitgeber und je schutzbedürftiger der Kunde, desto höher ist sein Differenzierungsinteresse zu gewichten. Den Fluggästen steht es frei, darüber zu entscheiden, ob und mit welcher Fluggesellschaft sie reisen. Sie sind insofern mächtige, souveräne und selbstbestimmte Kunden. Sind sie mit dem Service einer Fluggesellschaft unzufrieden, können sie sich frei dafür entscheiden, in Zukunft mit einer anderen Fluggesellschaft zu fliegen. Unter dem Aspekt des Kundentyps ist ihr Differenzierungsinteresse mithin als gering einzustufen und mit einem von fünf Punkten zu bewerten. Das Gewicht des Differenzierungsinteresses ist mit insgesamt sieben von zwanzig möglichen Punkten zu bemessen. (2) Gleichbehandlungsinteresse Angesichts des Vorliegens einer unmittelbaren Benachteiligung, die gegenüber der mittelbaren Benachteiligung die stärkere Eingriffsform bildet, sind auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses pauschal drei Punkte zu addieren. Des Weiteren kommt es für die Gewichtung des Gleichbehandlungsinteresses auf das betroffene Beschäftigteninteresse an. Fraglich ist, ob und inwiefern der Benachteiligung ein herabwürdigender Gehalt zukommt und wie wichtig das Merkmal, an das angeknüpft wird, für die Würde und die Identität des Beschäftigten ist. Die Kunden der Fluggesellschaft bevorzugen 1076  Siehe

dazu soeben unter E. V. 2. d) cc) (1) (c) (bb).



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 581

weibliche Flugbegleiter nicht deswegen, weil sie Männer per se für unfähig oder minderwertig halten. Den benachteiligten Männern wird damit nicht der Achtungsanspruch abgesprochen. Wie bereits ausgeführt1077 werden auch die bevorzugt beschäftigten Frauen nicht herabgewürdigt, da die Kundenpräferenzen für weibliche Flugbegleiter nicht sexistisch motiviert, sondern dem Stimulations- und Lustinteresse heterosexueller männlicher Geschäftskunden geschuldet sind. Doch hat das Geschlecht, an das bei der Differenzierung angeknüpft wird, für die Identität eine große Bedeutung. Eine Ungleichbehandlung wegen dieses Merkmals wiegt auch deshalb vergleichsweise schwer, weil das Geschlecht schicksalhaft gegeben, nicht (oder nur sehr schwer) veränderbar und schwer zu verbergen ist. Angesichts dessen soll das betroffene Beschäftigteninteresse mit einem Wert von vier Punkten bemessen werden. Dass darüber hinaus weitere grundrechtlich geschützte Interessen der Beschäftigten wie z. B. die Glaubensfreiheit betroffen wären, ist nicht ersichtlich. Folglich ist keiner der dafür maximal einzustellenden zwei weiteren Punkte zu addieren. Darüber hinaus sind Art und Intensität der Personalmaßnahme zu berücksichtigen. Durch die Nicht-Einstellung wird nicht in bereits bestehende Rechtspositionen des abgelehnten Bewerbers eingegriffen. Daher ist die Maßnahme weniger eingriffsintensiv als beispielsweise eine Kündigung oder auch eine Versetzung. Gleichzeitig sind auch weniger eingriffsintensive Maßnahmen denkbar wie beispielsweise der Nicht-Einsatz in einem provisionsträchtigen Auftrag. Die Nicht-Einstellung ist eine Maßnahme von mittlerer Intensität. Auf einer fünfstufigen Punkteskala soll sie mit drei Punkten bewertet werden. Schließlich ist das Maß der Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten der nachteilig betroffenen männlichen Bewerber in die Gewichtung mit einzubeziehen. Die Ablehnung männlicher Bewerber führt nicht zu einer strukturellen Versagung der Arbeitsmarktchancen für eine vom europäischen und deutschen Gesetzgeber als besonders benachteiligt angesehene Gruppe: In Bezug auf das Geschlecht geht der Gesetzgeber davon aus, dass nicht Männer, sondern Frauen besonders benachteiligt sind. Doch ist der aus dem US-amerikanischen Schrifttum bekannte Aspekt der „Symmetrie des Ausschlusses und der Beschäftigungsmöglichkeiten“ zu bedenken:1078 Der Markt für die kommerzialisierte weibliche Sexualität ist größer als der Markt für die kommerzialisierte männliche Sexualität.1079 Die Sexualisierung bestimmter, für sich genommen nicht sexueller Berufe wie dem des 1077  Siehe

dazu soeben unter E. V. 2. d) cc) (1) (c) (bb). California Law Review 92 (2004), 147, 183; dazu bereits unter C. III. 4. b) aa) (2). 1079  Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 183. 1078  Yuracko

582

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Flugbegleiters birgt die Gefahr des asymmetrischen Ausschlusses der Männer von diesen Berufen. Da einerseits zwar nicht die Teilhabemöglichkeiten einer besonders benachteiligten Gruppe verringert werden, andererseits aber die Gefahr besteht, dass Männer durch die Sexualisierung des Flugbegleiterberufs asymmetrisch von dem Zugang zu diesem Beruf ausgeschlossen werden, ist eine mittelstarke Beeinträchtigung des Gleichbehandlungsinteresses anzunehmen. Sie soll mit drei von fünf möglichen Punkten bewertet werden. Demzufolge ergibt sich auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses ein Gesamtwert von dreizehn von zwanzig möglichen Punkten. (3) Abwägungsergebnis Im Ergebnis steht ein Wert von sieben von zwanzig Punkten auf Seiten des Differenzierungsinteresses dem Gewicht des Gleichbehandlungsinteresses gegenüber, das mit dreizehn von zwanzig Punkten zu bemessen ist. Das Gleichbehandlungsinteresse überwiegt. Demzufolge ist eine Rechtfertigung nach dem hier vorgeschlagenen Prüfungsraster im Einklang mit dem auch von dem U.S. District Court for the Northern District of Texas erzielten Ergebnis zu verneinen.1080 2. Problemkreis „Rechtfertigung im Hinblick auf die Privatsphäre der Kunden“ Der zweite Problemkreis betrifft die Benachteiligungsrechtfertigung im Hinblick auf die Privatsphäreinteressen der Kunden. Die diesbezüglich ergangene US-amerikanische und deutsche Rechtsprechung illustriert die Vielgestaltigkeit möglicher Rechtfertigungen im Hinblick auf die Privatsphäre. Beispielhaft für diesen Problemkreis soll hier der der BAG-Entscheidung „Mädcheninternat“ zugrunde liegende Fall analysiert werden: Ein männlicher Bewerber wurde für die Stelle einer Erzieherin / Sportlehrerin / Sozialpädagogin in einem Mädcheninternat abgelehnt.1081 Die Tätigkeit umfasste insbesondere die Wahrnehmung des Nachtdienstes. Bei der allabendlichen Kontrolle, ob alle Mädchen auf ihren Zimmern sind, mussten gegebenenfalls auch die Wasch- und Sanitärräume aufgesucht werden.1082 Im Rahmen des morgendlichen Weckens sowie bei der Betreuung erkrankter Schülerinnen mussten die Schlafzimmer der Mädchen betreten werden. Um 1080  Wilson

v. Southwest Airlines Co 517 F. Supp. 292, 302 (N.D. Tex. 1981). 28.05.2009 NZA 2009, 1016 ff.; siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. a) aa) (1) (b) (aa). 1082  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021. 1081  BAG



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 583

die Privatsphäre der Schülerinnen zu schützen, die sich in diesem Bereich teilweise im Nachthemd oder nur mit einem Handtuch bedeckt bewegten, hielt das arbeitgebende Land die Besetzung der Stelle mit einer Frau für geboten. a) Erste Stufe: Bestimmung des Prüfungsmaßstabs Die Ablehnung des männlichen Bewerbers knüpft unmittelbar an sein Geschlecht an. Der Rechtfertigungsmaßstab ist § 8 Abs. 1 AGG. b) Zweite Stufe: wesentliche und entscheidende beruflliche Anforderung Das arbeitgebende Land macht das weibliche Geschlecht positiv zur Anforderung für die ausgeschriebene Stelle und fordert nicht etwa negativ, dass die Bewerber „nicht männlich“ oder auch „nicht zwischengeschlechtlich“ sind. Eine positive Anknüpfung an das geschützte Merkmal ist gegeben. Weiter soll hier davon ausgegangen werden, dass das staatlich getragene Internat nicht kommerziell betrieben wird und kein wirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen ist. Die Schülerinnen besuchen das Internat auf Grund ihrer Schulpflicht. Zudem ist davon auszugehen, dass nicht die Schülerinnen selbst, sondern ihre Eltern für eventuelle Internatskosten aufkommen.1083 Folglich ist die Leistungsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunden als nichtkommerziell einzuordnen. Die Bedienung der Kundenpräferenzen erfolgt im Hinblick auf eine nicht wirtschaftliche Zielsetzung und ist privilegierungswürdig. Das bedeutet, dass dem Arbeitgeber bei der Qualifikation des geschützten Merkmals als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ein besonders großer Ermessensspielraum zuzubilligen ist. Der Fokus der Prüfung liegt auf einem schlüssig und widerspruchsfrei dargelegten unternehmerischen Konzept, aus dem sich die entsprechende berufliche Anforderung ergibt. Inkonsistenzen in der Einstellungspolitik des Landes bei der Besetzung der Erzieherstellen sind nicht ersichtlich. Dem Sachverhalt lässt sich entnehmen, dass in dem Internat der Schule in zwei getrennten 1083  Als „Kunden“ werden im „Mädcheninternat“-Fall“ nur die Schülerinnen, nicht ihre Eltern betrachtet. Die Benachteiligung männlicher Bewerber erfolgte nämlich nicht auch unter Berufung auf möglicherweise betroffene Interessen der Eltern. Insofern unterscheidet sich dieser Fall von den „Kopftuchfällen“, in denen die Benachteiligung von Kopftuch tragenden Lehrerinnen nicht nur im Hinblick auf die negative Religionsfreiheit der Schüler, sondern auch im Hinblick auf das elterliche Erziehungsrecht erfolgte, siehe dazu später unter E. VI. 3. c) cc) (1).

584

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Gebäuden 120 Mädchen und 76 Jungen untergebracht waren.1084 Dabei wurden sieben Erzieher beschäftigt, und zwar vier Frauen und drei Männer. Es wurden nicht nur für den Nachtdienst im Mädcheninternat ausschließlich Frauen, sondern auch für den Nachtdienst im Jungeninternat ausschließlich Männer eingesetzt. Die Stelle einer Erzieherin war frei geworden. Das Bedürfnis, Schülerinnen in jugendlichem Alter einen geschützten Wohnraum zu bieten,1085 in dem sie sich unbefangen bewegen können, ist nachvollziehbar. Die Annahme, dass ein unbekleidetes bzw. nicht vollständig bekleidetes Auftreten gegenüber dem anderen Geschlecht in der Regel das Schamgefühl berührt und ein unbefangenes und freies Verhalten beeinträchtigt,1086 ist plausibel. Plausibel ist auch, dass die Wahrnehmung des Nachtdienstes zu den zentralen und bedeutsamen Aufgaben des Arbeitsplatzes gehört, der einen nicht unwesentlichen Teil der Aufgaben ausmacht und ohne den die erzieherische Betreuung in einem Mädcheninternat nicht wahrgenommen werden kann.1087 Das arbeitgebende Land hat demnach den Ermessensspielraum bei der Festlegung des weiblichen Geschlechts als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ nicht überschritten. c) Dritte Stufe: rechtmäßiger Zweck Mit dem BAG ist der rechtmäßige Zweck als die „erzieherische[…] und sozialpädagogische[…] Betreuung von Schülerinnen und Schülern im Internat einschließlich der Aufsicht und Betreuung der im Mädchengebäude wohnenden Schülerinnen während der Nacht durch Einrichtung eines Nachtdienstes“1088 zu bestimmen. Es wird also ein soziales Ziel verfolgt. d) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung aa) Geeignetheit Dass der Einsatz ausschließlich weiblicher Erzieher zur Zweckerreichung geeignet ist, sie also in kohärenter und systematischer Weise zumindest fördert, folgt bei der Prüfung des § 8 Abs. 1 AGG bereits daraus, dass die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ bejaht wurde.

1084  BAG

28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022. BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021. 1086  So BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1020. 1087  So BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021. 1088  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022. 1085  Vgl.



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 585

bb) Erforderlichkeit Mangels eines milderen, gleich geeigneten Mittels gegenüber der Ablehnung des männlichen Bewerbers ist die Einstellung einer Frau auch erforderlich. Die Arbeit war so organisiert, dass der Nachtdienst im Mädchengebäude im Wechsel von vier Erzieherinnen und im Jungengebäude im Wechsel von drei Erziehern wahrgenommen wurde. Diese Arbeitsorganisation ist angesichts des Zahlenverhältnisses der zu betreuenden Jugendlichen (120 Mädchen, 76 Jungen) weder willkürlich noch offensichtlich unvernünftig oder unsachlich. Mithin war auch die Entscheidung, diese Arbeitsorganisation nach Ausscheiden einer Erzieherin beizubehalten und eine Stelle für eine Frau auszuschreiben, nicht missbräuchlich. cc) Angemessenheit (1) Differenzierungsinteresse Das durch die differenzierende Beschäftigungspolitik verfolgte Ziel der Gewährleistung einer adäquaten erzieherischen und sozialpädagogischen Betreuung der Schülerinnen und Schüler ist nichtkommerziell und dient dem Schutz ihrer Privatsphäreinteressen. Somit handelt es sich um ein hochwertiges, im oberen Bereich der fünfstufigen Punkteskala einzuordnendes Ziel. Noch stärker wäre es nur dann zu gewichten, wenn es aktiv der Integration einer benachteiligten Gruppe dienen würde. Mithin erscheint eine Bewertung zwar nicht mit fünf, jedoch mit vier Punkten sachgerecht. Bezüglich des betroffenen Arbeitgeberinteresses ist zum einen der Grad der Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit und zum anderen eine mögliche Betroffenheit weiterer Grundrechte zu untersuchen. In Bezug auf das Land als Arbeitgeber ist festzustellen, dass es als juristische Person des öffentlichen Rechts in erster Linie grundrechtsverpflichtet und nicht grundrechtsberechtigt ist.1089 Insbesondere auf Art. 12 GG können sich juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht berufen.1090 Das BAG stellt trotzdem in seinen Entscheidungen, in denen auf Arbeitgeberseite eine juristische Person des öffentlichen Rechts steht, fest, dass in der Abwägung auf Arbeitgeberseite die Unternehmerfreiheit aus Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG und Art. 14 GG zu berücksichtigen sei.1091 In Bezug auf den öffent­ 1089  Vgl.

ErfK-Schmidt Einl GG Rn. 8. dazu Maunz/Düring-Scholz Art. 12 GG Rn. 108 ff. 1091  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021; vgl. auch BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 1090  Vgl.

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E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

lichen Arbeitgeber führt es weiter aus, dass dieser „im Rahmen seiner Organisationsgewalt ebenfalls die Dienstposten nach organisatorischen Bedürfnissen und Möglichkeiten einrichten und näher ausgestalten“1092 dürfe. Dieses Arbeitgeberinteresse ist im vorliegenden Fall betroffen. Die Betroffenheit ist aber – anders als in Fällen, in denen sich das Benachteiligungsverbot als Berufswahlverbot für den Arbeitgeber auswirkt – gering zu gewichten, sodass auf der dreistufigen Punkteskala der Wert eins angemessen erscheint. Darüber hinaus ist das Land als Arbeitgeber in seinem Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG betroffen. Dies soll mit einem von zwei möglichen zusätzlichen Punkten bewertet werden. Das betroffene Kundeninteresse ist das Interesse der Schülerinnen an dem Schutz ihrer Privat- und Intimsphäre. Dieses Interesse ist grundrechtlich durch das Persönlichkeitsrecht aus Art. 1, 2 GG abgesichert.1093 Den im Internat lebenden Schülerinnen soll ermöglicht werden, sich dort so unbefangen und natürlich wie möglich bewegen zu können. Besonders stark wiegt ihr Interesse auch insofern, als das Leben im Internat den häuslichen Bereich, also ihren privaten Rückzugsraum betrifft und anders als z. B. die Teilnahme am Sportunterricht nicht auf einen kurzen, abgeschlossenen Zeitraum begrenzt ist.1094 Vor diesem Hintergrund erscheint die Zuordnung des Höchstwertes von fünf Punkten sachgerecht. Die Internatsschülerinnen sind ein besonders schutzbedürftiger Kundentyp: Sie befinden sich gegenüber dem Arbeitgeber, dem die Schule tragenden Land, in einem Abhängigkeitsverhältnis. Angesichts der Schulpflicht ist die Beziehung der Schülerinnen-Kunden zu dem Land-Arbeitgeber nicht von Freiwilligkeit geprägt. Hinzu kommt, dass nicht die minderjährigen Schülerinnen, sondern ihre sorgeberechtigten Eltern über die zu besuchende Schule entscheiden. Das spricht dafür, auch hier den auf der fünfstufigen Punkteskala maximal erreichbaren Wert von fünf Punkten zuzuordnen. Das Gewicht des Differenzierungsinteresses ist mit insgesamt siebzehn von zwanzig möglichen Punkten zu bemessen. (2) Gleichbehandlungsinteresse Auf Grund der Eingriffsform der unmittelbaren Benachteiligung sind auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses pauschal drei Punkte zu addieren. 1092  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1022; vgl. auch BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 1093  BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1020. 1094  Vgl. BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021.



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 587

Bezüglich des betroffenen Beschäftigteninteresses ist festzustellen, dass die Benachteiligung männlicher Bewerber im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre der Schülerinnen erfolgt und nicht sexistisch motiviert ist. Sie enthält demnach keine Herabsetzung. Doch hat das Geschlecht für die Identität eine große Bedeutung,1095 eine Ungleichbehandlung wegen dieses Merkmals wiegt auch deshalb vergleichsweise schwer, weil das Geschlecht schicksalhaft gegeben, nicht (oder nur sehr schwer) veränderbar und schwer zu verbergen ist. Angesichts dessen soll das betroffene Beschäftigteninteresse mit einem Wert von vier Punkten bemessen werden. Weitere grundrechtlich geschützte Interessen der Beschäftigten wie z. B. die Glaubensfreiheit sind nichtbetroffen. Somit ist keiner der dafür maximal einzustellenden weiteren zwei Punkte zu addieren. Darüber hinaus sind Art und Intensität der Personalmaßnahme zu berücksichtigen. Durch die Nicht-Einstellung wird nicht in bereits bestehende Rechtspositionen des abgelehnten Bewerbers eingegriffen. Die Maßnahme ist weniger eingriffsintensiv als beispielsweise eine Kündigung oder auch eine Versetzung. Gleichzeitig sind auch weniger eingriffsintensive Maßnahmen wie beispielsweise der Nicht-Einsatz bei einem provisionsträchtigen Auftrag denkbar. Die Nicht-Einstellung ist eine Maßnahme von mittlerer Intensität, sodass sie auf einer fünfstufigen Punkteskala mit drei Punkten bewertet werden soll. Hinsichtlich des Maßes der Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten führt die Ablehnung männlicher Bewerber nicht zu einer strukturellen Versagung der Arbeitsmarktchancen für eine als besonders benachteiligt angesehene Gruppe: In Bezug auf das Geschlecht geht der Gesetzgeber davon aus, dass Frauen, nicht Männer besonders benachteiligt seien.1096 Zudem führt eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Privatsphäreinteressen Dritter regelmäßig nicht zu einer strukturellen Versagung der Arbeitsmarktchancen von Personen eines bestimmten Geschlechts, weil hier eine Parität des Ausschlusses herrscht: Während Frauen bestimmte Jobs verwehrt werden, um die Privatsphäre der Männer zu schützen, gilt dies gleichermaßen auch im umgekehrten Fall.1097 Somit ergibt sich eine Symmetrie des Ausschlusses und der Beschäftigungsmöglichkeiten.1098 Für den zu bewertenden Fall wird das dadurch bestätigt, dass der Schule sowohl ein Jungen- als 1095  Vgl. Appiah Journal of Philosophy 87 (1990), 493, 497; Küppers APuZ 20–21 (2012), 3, 6 sowie Post California Law Review 88 (2000), 1, 37; dazu auch bereits unter E. V. 2. d) cc) (2) (b). 1096  Vgl. ErwG 2 GenderRL, ErwG 14 AntirassismusRL und ErwG 3 BeschäftiggsRL sowie BT-Drs. 16/1780, S. 24. 1097  Vgl. Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 181; dazu auch bereits unter C. III. 4. b) aa) (2). 1098  Vgl. Yuracko California Law Review 92 (2004), 147, 183.

588

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

auch ein Mädcheninternat angeschlossen sind. Dabei werden für die Erbringung des Nachtdienstes in dem Jungeninternat nur männliche und in dem Mädcheninternat nur weibliche Erzieher eingesetzt. Angesichts der geringen Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt ist dieses Kriterium mit einem Wert von einem Punkt zu bemessen. Demzufolge ergibt sich auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses ein Gesamtwert von elf von zwanzig möglichen Punkten. (3) Abwägungsergebnis Im Ergebnis steht ein Wert von siebzehn von zwanzig Punkten auf Seiten des Differenzierungsinteresses dem Gewicht des Gleichbehandlungsinteresses gegenüber, das mit elf von zwanzig Punkten zu bemessen ist. Das Differenzierungsinteresse überwiegt. Demzufolge ist eine Rechtfertigung nach dem hier vorgeschlagenen Prüfungsraster im Einklang mit dem auch vom BAG erzielten Ergebnis zu bejahen.1099 3. Problemkreis „Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild – insbesondere Kleiderordnungen“ Ein weiterer Problemkomplex betrifft Benachteiligungen durch Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild des Beschäftigten insbesondere durch Kleiderordnungen. In der deutschen Rechtsprechung wird diese Problematik vor allem bei Kopftuch- oder Kopfbedeckungsverboten relevant. Exemplarisch soll hier das auf Grundlage eines landesgesetzlich bestehenden Bekundungsverbots ausgesprochene Kopfbedeckungsverbot für Lehrkräfte staatlicher Schulen besprochen werden, gegen das sich eine Lehrkraft muslimischen Glaubens wehrt, weil sie sich wegen ihrer Religion benachteiligt fühlt. Die Aktualität dieser Thematik lässt sich nicht zuletzt an der in jüngster Zeit hierzu ergangenen Entscheidung des BVerfG ablesen.1100 Wenngleich der Schwerpunkt in den diesbezüglichen Entscheidungen deutscher Gerichte auf eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der landesgesetzlichen Regelung gelegt wird,1101 soll hier der Fokus auf den AGGrechtlichen Normen liegen. 1099  BAG

28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1018. 27.01.2015 NJW 2015, 1359 ff., siehe dazu bereits unter E. III. 2. c)

1100  BVerfG

aa) (2). 1101  Vgl. z. B. BVerwG 24.06.2004 NJW 2004, 3581, 3583 f.; BAG 20.08.2009 NZA 2010, 227, 229 f. sowie BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 385. Grundlegend zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 57 Abs. 4 SchulG NRW jüngst BVerfG 27.01.2015, 1359 ff.



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 589

a) Erste Prüfungsstufe: Bestimmung des Prüfungsmaßstabs Für die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs kann auf die diesbezüglich oben gemachten Ausführungen verwiesen werden;1102 deren Quintessenz lautet: Kopftuchverbote können regelmäßig lediglich eine mittelbare Benachteiligung wegen der Religion begründen. Der Rechtfertigungsmaßstab ist § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG. Damit erfolgt – ohne Prüfung einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ auf der zweiten Stufe – direkt der Sprung zur Prüfungsstufe drei, für die es auf das Vorliegen eines „rechtmäßigen Ziels“ ankommt. b) Dritte Stufe: rechtmäßiges Ziel Mit dem gesetzlichen Neutralitätsgebot bzw. Bekundungsverbot wird die Vermeidung religiös-weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Schulen, also die Gewährleistung des religiösen Schulfriedens, bezweckt.1103 Damit handelt es sich um eine nichtkommerzielle, gesellschaftliche Zielsetzung. Sie verstößt nicht gegen ein gesetzliches Verbot und ist folglich ein „rechtmäßiges Ziel“ im Sinne des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG. c) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung aa) Geeignetheit Die Bedienung der Kundenpräferenzen muss zur Erreichung des Ziels geeignet sein, die Zweckerreichung also zumindest fördern, und zwar in kohärenter und systematischer Weise. Das Bekundungsverbot führt dazu, dass Lehrer im Schuldienst die Verwendung solcher signifikanten Symbole zu unterlassen haben, die Zweifel an ihrer Neutralität und professionellen Distanz in politisch, religiös oder kulturell umstrittenen Themen wecken könnten. Das von einer Lehrerin getragene Kopftuch ist ein „ausdrucksstarkes Symbol mit objektiven religiösen, politischen und kulturellen Sinn­ gehal­ten“1104. Insofern ist davon auszugehen, dass „[g]erade das Tragen eines Kleidungsstücks, das eindeutig auf eine bestimmte religiöse oder welt1102  Siehe

bereits unter E. V. 2. a) cc) (1). z. B. BVerfG 27.01.2015, 1359, 1362; BAG 20.08.2009 NZA 2010, 227, 229; BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 385 sowie BVerwG 24.06.2004 NJW 2004, 3581, 3584. 1104  BVerfG 24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3120 im Abschnitt zu der abweichenden Meinung der Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff; vgl. auch BAG 10.10.2002 NZA 2003, 483, 486. 1103  Vgl.

590

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

anschauliche Überzeugung eines Lehrers an öffentlichen Schulen hinweist, […] auf Unverständnis oder Ablehnung bei andersdenkenden Schülern oder deren Erziehungsberechtigten stoßen [kann]“1105. Vor diesem Hintergrund ist das aus dem Bekundungsverbot abgeleitete Kopftuchverbot geeignet, den religiösen Schulfrieden zu gewährleisten. Das Erfordernis einer kohärenten und systematischen, insbesondere widerspruchsfreien Anwendung ist erfüllt, wenn gleichermaßen ausdrucksstarke Symbole anderer Religionen untersagt werden. Davon soll hier ausgegangen werden. bb) Erforderlichkeit In Bezug auf Referendare hat das BVerwG darauf hingewiesen, dass einer Gefährdung des Schulfriedens dadurch begegnet werden könne, dass gegenüber Schülern und Eltern auf die Rechtsstellung als Referendarin (Auszubildende) hingewiesen würde.1106 Darüber hinaus könnten Konflikte dadurch vermieden werden, dass die betreffende Referendarin Schülern und Eltern besonders vorgestellt und sie beim Unterrichten mehr als üblich begleitet oder beaufsichtigt werde. Mit dieser Argumentation begründet das BVerwG indes gerade, weshalb Referendare anders als Lehrer zu behandeln seien: Die Referendare sind nur vorübergehend im öffentlichen Schulwesen tätig.1107 Zudem stehe bei ihnen – anders als bei den dauerhaft im Schuldienst tätigen Lehrern – nicht ihr pädagogischer Auftrag, sondern ihre Ausbildung im Mittelpunkt. Folglich sei es gerechtfertigt, ihnen in religiös-weltanschaulicher Hinsicht weniger strenge Verhaltenspflichten aufzuerlegen als den dauerhaft tätigen Lehrkräften.1108 Daraus folgt, dass die für Referendare vorgetragene Strategie (Hinweis auf die besondere Rechtsstellung gegenüber Eltern und Schülern, besondere Begleitung und Beaufsichtigung) nicht auf Lehrkräfte übertragbar ist. Ein gleich geeignetes, milderes Mittel ist mithin nicht ersichtlich, zumal die „äußere Kundgabe der eigenen religiösen Überzeugung lediglich während des Aufenthalts im Bereich der Schule“1109 und nicht darüber hinaus untersagt wird.1110

1105  BVerfG 24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3120 im Abschnitt zu der abweichenden Meinung der Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff. 1106  BVerwG 26.06.2008 NJW 2008, 3654, 3656. 1107  BVerwG 26.06.2008 NJW 2008, 3654, 3655 f. 1108  BVerwG 26.06.2008 NJW 2008, 3654, 3655 f. 1109  BAG 20.08.2009 NZA 2010, 227, 230; BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 386. 1110  An der Erforderlichkeit zweifelnd hingegen BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1362.



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 591

cc) Angemessenheit (1) Differenzierungsinteresse Mit der Gewährleistung des religiösen Schulfriedens wird eine nichtkommerzielle Zielsetzung verfolgt. Das BAG bezeichnet die Vermeidung reli­ giöser Konflikte in öffentlichen Schulen als „gewichtiges Gemeingut“1111, zudem weist es darauf hin, dass das Bekundungsverbot „ausschließlich um der – negativen – Religionsfreiheit Anderer willen“1112 erlassen worden sei. Das BVerwG spricht sogar von einem „Schutzzweck von herausragender Bedeutung“1113. Somit handelt es sich um ein hochwertiges, im oberen Bereich der fünfstufigen Punkteskala einzuordnendes Ziel, noch stärker wäre es nur dann zu gewichten, wenn es aktiv der Integration einer benachteiligten Gruppe dienen würde. Deshalb erscheint eine Bemessung zwar nicht mit fünf, jedoch mit vier Punkten sachgerecht. Im Hinblick auf das betroffene Arbeitgeberinteresse kann bezüglich der Betroffenheit des Landes als Arbeitgeber und Träger der Schule in seiner unternehmerischen Freiheit auf die Ausführungen im Rahmen der Besprechung des „Mädcheninternat“-Falles verwiesen werden.1114 Danach wendet das BAG die unternehmerische Freiheit auch auf Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes an.1115 Im Einklang damit ist das Recht des Arbeitgeber-Landes betroffen, im Rahmen seiner Organisationsgewalt Anforderungen an die Dienstposten nach seinen Bedürfnissen näher auszugestalten. Die Betroffenheit ist aber nicht so stark, dass sie sich quasi als Berufswahlverbot für den Arbeitgeber auswirkte. Sie ist somit vergleichsweise gering zu gewichten, sodass auf der dreistufigen Punkteskala der Wert eins angemessen erscheint. Darüber hinaus ist das Land als Arbeitgeber aber in seinem „staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist“1116, betroffen. Die Wertneutralität ist ein bedeutendes Element des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags.1117 Sie führt dazu, dass der Staat „keine gezielte Beein1111  BAG

20.08.2009 NZA 2010, 227, 229; BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383,

1112  BAG

20.08.2009 NZA 2010, 227, 230; BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383,

385. 386.

1113  BVerwG

24.06.2004 NJW 2004, 3581, 3584. dazu bereits unter E. VI. 2. d) cc) (1). 1115  Vgl. BAG 28.05.2009 NZA 2009, 1016, 1021 f.; BAG 18.03.2010 NZA 2010, 872, 876. 1116  BVerfG 24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3112. 1117  Vgl. dazu auch Hebeler/Schmidt NVwZ 2005, 1368, 1370. 1114  Siehe

592

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

flussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren“1118 darf. Zwar vertritt das BVerfG in seiner neuen Entscheidung aus dem Jahr 2015 die Auffassung, dass für sich genommen „die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte – unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung im Einzelfall betroffen ist – durch die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht ohne Weiteres ­ ausgeschlossen“1119 sei. Schließlich sei „mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Pädagoginnen […] – anders als dies beim staatlich verantworteten Kreuz oder Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist […] – keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden“1120. Auch sei der entsprechenden Duldung durch den Dienstherrn „eine Wertung in dem Sinne, dass das glaubensgeleitete Verhalten der Pädagoginnen schulseits als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, […] nicht beizulegen“1121. Zu Recht weisen die Richter Schluckebier und Hermanns, gegen deren Stimmen das Urteil des BVerfG ergangen ist, jedoch darauf hin, dass Pädagogen Amtsträger und damit der fördernden Neutralität des Staates auch in religiöser Hinsicht verpflichtet sind: „Denn der Staat kann nicht als anonymes Wesen, sondern nur durch seine Amtsträger und seine Pädagogen handeln. Diese sind seine Repräsentanten. Die Verpflichtung des Staates auf die Neutralität kann deshalb keine andere sein als die einer Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität.“1122 Sie unterstreichen die Vorbildfunktion der Pädagogen im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern: „Von religiösen Bekundungen durch das Tragen religiös konnotierter Bekleidung geht – abhängig auch von dem Alter der betroffenen Schülerinnen und Schüler – nicht zwingend, aber jedenfalls nicht ausschließbar eine gewisse appellative Wirkung aus, sei es in dem Sinne, dass dieses Verhalten als vorbildhaft und befolgungswürdig verstanden und aufgenommen, sei es, dass es entschieden abgelehnt wird.“1123 Die schulische Erziehung diene insbesondere der umfassenden Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und der Beeinflussung des Sozialverhaltens. Die Umsetzung sei Aufgabe 1118  BVerfG 1359, 1364. 1119  BVerfG 1120  BVerfG 1121  BVerfG 1122  BVerfG 1123  BVerfG

24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3113; BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 27.01.2015 27.01.2015 27.01.2015 27.01.2015 27.01.2015

NJW NJW NJW NJW NJW

2015, 2015, 2015, 2015, 2015,

1359, 1359, 1359, 1359, 1359,

1364. 1364. 1364. 1371. 1371.



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 593

der Pädagogen, sodass „[d]eren Verhalten, aber auch die Befolgung bestimmter religiöser Bekleidungsregeln […] auf Personen [trifft], die auf Grund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher auch einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind“1124. Vor diesem Hintergrund soll die Betroffenheit des arbeitgebenden Landes in seinem Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG mit zwei von zwei möglichen Punkten bewertet werden. Die betroffenen Kundeninteressen sind zum einen das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG, zum anderen die negative Glaubensfreiheit der Schulkinder aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.1125 Das elterliche Erziehungsrecht umfasst das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Das bedeutet nach der Rechtsprechung des BVerfG, dass es „zuvörderst Sache der Eltern [ist], ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten“1126. Dem entspricht, so das Gericht weiter, „das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fern zu halten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen“1127. Die negative Glaubensfreiheit der Schüler aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist insofern betroffen, als sie „auch die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fern zu bleiben“1128 gewährleistet. In seiner Entscheidung aus dem Jahr 2015 hat das BVerfG festgestellt, dass die negative Glaubensfreiheit der Schulkinder durch Kopftuch tragende Pädagogen nicht beeinträchtigt sei, „solange die Lehrkräfte, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen“1129. Auch das elterliche Erziehungsrecht sei nicht betroffen. Soweit die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schulkinder nicht beeinträchtigt sei, lasse sich aus dem Elterngrundrecht kein Anspruch herleiten, die Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen.1130 Die negative Glaubensfreiheit der Eltern im Verbund mit dem elterlichen Erziehungsrecht garantiere „keine 1124  BVerfG

27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1371. dazu BVerfG 24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3112 f. 1126  BVerfG 24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3113; BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1363. 1127  BVerfG 24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3113; BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1363. 1128  BVerfG 24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3113; vgl. auch BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1363. 1129  BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1363. 1130  BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1363. 1125  Vgl.

594

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Verschonung von der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Lehrkräften, die nur den Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion oder Weltanschauung zulässt, von der aber sonst kein gezielter beeinflussender Effekt“1131 ausgehe. Schließlich stehe nicht ein dem Staat zurechenbares glaubensgeleitetes Verhalten in Rede, sondern eine erkennbar individuelle Grundrechtsausübung.1132 Damit ist allerdings, wie die Richter Schluckebier und Hermanns in ihrer abweichenden Meinung zu der Entscheidung zu Recht ausführen, die Betroffenheit der Schulkinder sowie ihrer Eltern in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nur unzureichend erfasst und gewichtet.1133 Diese Bewertung „vernachlässigt, dass das Schüler-Pädagogen-Verhältnis ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis ist, dem Schüler und Eltern unausweichlich und nicht nur flüchtig ausgesetzt sind. Das Maß der Betroffenheit unterscheidet sich grundlegend von dem, das beim Zusammentreffen verschiedener religiöser Bekenntnisse und Bekundungen im gesellschaftlichen Alltag gegeben ist und mit dem Menschen in einer pluralistischen Gesellschaft umgehen und das sie dulden müssen, auch wenn sie dem im Einzelfall, etwa im öffentlichen Raum nur begrenzt entgehen können“1134. Damit kann in diesem Fall letztlich das betroffene Kundeninteresse nicht losgelöst von dem betroffenen Kundentyp beurteilt werden. Angesichts der Betroffenheit zweier hochrangiger, grundrechtlich abgesicherter Kundeninteressen sind sie im oberen Bereich der fünfstufigen Punkteskala zu verorten. Unter der Annahme, dass das Erziehungsrecht bzw. die negative Religionsfreiheit für die Würde und die Identität der Eltern bzw. Schüler zwar wichtig, aber nicht so entscheidend wie die Wahrung der Intimsphäre sind, erscheint eine Bewertung mit vier von fünf Punkten angemessen. Bezüglich des betroffenen Kundentyps kann wiederum auf die Ausführungen im Rahmen der Besprechung des „Mädcheninternat“-Falles verwiesen werden, wonach es sich bei den Schülern um den besonders schutzwürdigen Kundentyp handelt.1135 Angesichts der Schulpflicht ist ihr Verhältnis (und das ihrer Eltern) zu dem Arbeitgeber, dem Land, nicht von Freiwilligkeit geprägt. Die Nichtteilnahme am Unterricht ist sanktioniert.1136 In diesem Sinne stellte auch das BVerfG in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2003 fest, dass sie sich in „eine[r] vom Staat geschaffene[n] Lage, in welcher der 1131  BVerfG

27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1363. 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1363. 1133  BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1370. 1134  BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1370. 1135  Siehe dazu bereits unter E. VI. 2. d) cc) (1). 1136  BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1370 im Abschnitt zu der abweichenden Meinung der Richter Schluckebier und Hermanns. 1132  BVerfG



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 595

Einzelne ohne Ausweichmöglichkeit dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist“1137, befinden. Das Abhängigkeitsverhältnis ist auch dadurch gekennzeichnet, dass die Pädagogen die Schüler unterrichten, erziehen, beraten, beurteilen, beaufsichtigen und betreuen und über die Versetzung und einen erfolgreichen Schulabschluss mitbefinden.1138 Daher ist das Differenzierungsinteresse unter dem Aspekt des Kundentyps als hoch einzustufen und mit dem maximal erreichbaren Wert von fünf Punkten zu bemessen. Das Gewicht des Differenzierungsinteresses ist mit insgesamt sechzehn von zwanzig möglichen Punkten zu bemessen. (2) Gleichbehandlungsinteresse Angesichts des Vorliegens einer mittelbaren Benachteiligung, die gegenüber der unmittelbaren Benachteiligung die schwächere Eingriffsform bildet, sind auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses nicht pauschal drei Punkte zu addieren. Im Hinblick auf das betroffene Beschäftigteninteresse gilt Folgendes: Die Benachteiligung muslimischer, kopftuchtragender Frauen erfolgt im Hinblick auf die staatliche Neutralitätspflicht, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Religionsfreiheit der Schüler. Da das Bekundungsverbot nicht nur in Bezug auf die islamische Religion, sondern in Bezug auf alle Religionen gilt,1139 enthält es keine Herabsetzung speziell muslimischer Menschen. Zudem ist die Religion kein schicksalhaft gegebenes Merkmal, sie ist beispielweise im Vergleich zu dem Geschlecht leichter zu verbergen und zudem veränderbar. Auch die Art, wie eine bestimmte Religion ausgeübt wird, ist variabel, insbesondere das Kopftuchtragen als solches empfinden nicht alle Frauen muslimischen Glaubens als für sich verbindlich. Da keine Herabwürdigung vorliegt und die weiblichen Beschäftigten in gewisser Weise Einfluss auf das Anknüpfungsmerkmal (das Kopftuchtragen) haben, soll das betroffene Beschäftigteninteresse im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 GG mit zwei von fünf möglichen Punkten bewertet werden. Allerdings ist neben Art. 1. Abs. 1 GG und Art. 3 GG noch ein weiteres grundrechtlich geschütztes Interesse der Lehrerinnen, ihre Glaubensfreiheit, 1137  BVerfG

24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3113. 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1371 im Abschnitt zu der abweichenden Meinung der Richter Schluckebier und Hermanns. 1139  Vgl. auch BAG 20.08.2009 NZA 2010, 227, 230; BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 385. 1138  BVerfG

596

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

berührt. Mit den Worten des BVerfG können sich die Kopftuch tragenden Lehrerinnen „für dieses Verhalten auf den Schutz des Art. 4 Abs. 1, 2 GG berufen […], der in enger Beziehung zum obersten Verfassungswert der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) steht“1140. Vor diesem Hintergrund sind zwei von zwei möglichen weiteren Punkten auf Seiten des Beschäftigteninteresses einzustellen.1141 Darüber hinaus sind Art und Intensität der Personalmaßnahme zu berücksichtigen. Ein Kopftuchverbot kann verschiedene Personalmaßnahmen nach sich ziehen. Möglich ist, dass einer Kopftuch tragenden Bewerberin die Einstellung versagt wird, sofern sie sich nicht bereit erklärt, ohne Kopftuch zu unterrichten. In den vom BAG entschiedenen Fällen wurden bereits eingestellte Lehrerinnen abgemahnt1142 bzw. abgemahnt und gekündigt1143, weil sie sich nicht an das Kopftuchverbot hielten. Geht man von der eingriffsintensivsten Maßnahme, einer Kündigung, aus, ist diese mit fünf von fünf möglichen Punkten zu bewerten. In Bezug auf das Maß der Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten birgt das Kopftuchverbot das Potenzial, einer vom europäischen und deutschen Gesetzgeber als besonders benachteiligt und mithin schützenswert eingestuften Gruppe – den muslimischen Frauen als Angehörige einer religiösen Minderheit – strukturell die Arbeitsmarktchancen zu versagen. Ein landesrechtlich geregeltes Bekundungsverbot kann dazu führen, dass den Kopftuch tragenden Frauen der Zugang zum Lehrerberuf in allen staatlichen Schulen einer bestimmten Region verwehrt wird. Angesichts der starken Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt gerade für eine besonders schützenswerte Minderheit ist dieses Kriterium mit dem Maximalwert von fünf Punkten zu bemessen. Demzufolge ergibt sich auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses ein Gesamtwert von vierzehn von zwanzig möglichen Punkten. (3) Abwägungsergebnis Im Ergebnis steht ein Wert von sechzehn von zwanzig Punkten auf Seiten des Differenzierungsinteresses dem Gewicht des Gleichbehandlungsinteres1140  BVerfG

24.09.2003 NJW 2003, 3111, 3114. insofern auch das BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1362 f., das angesichts des von den Lehrerinnen als verpflichtend empfundenen religiösen Bedeckungsgebots von einem schwerwiegenden Eingriff in ihr Grundrecht auf Glaubensund Bekenntnisfreiheit ausgeht. 1142  BAG 20.08.2009 NZA 2010, 227, 228. 1143  BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 384. 1141  Vgl.



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 597

ses gegenüber, das mit vierzehn von zwanzig Punkten zu bemessen ist. Folglich überwiegt das Differenzierungsinteresse selbst dann, wenn man die eingriffsintensivste und auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses stark zu gewichtende Personalmaßnahme der Kündigung zugrunde legt. Demzufolge ist eine Rechtfertigung nach dem hier vorgeschlagenen Prüfungsraster im Einklang mit dem auch vom BAG zu Kopftuchverboten für Lehrerinnen erzielten Ergebnis zu bejahen.1144 Die neue Entscheidung des BVerfG, der gemäß eine Rechtfertigung eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens voraussetzt, vernachlässigt, dass das Schüler-Pädagogen-Verhältnis ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis ist.1145 In der Folge gewichtet sie das betroffene Kundeninteresse, das vor dem Hintergrund des besonderen Kundentyps zu beurteilen ist, zu gering. Im Vergleich mit dem „Mädcheninternat“Fall (Differenzierungsinteresse: siebzehn Punkte, Gleichbehandlungsinteresse: elf Punkte) wird deutlich, dass das Differenzierungsinteresse (sechzehn Punkte) das Gleichbehandlungsinteresse (vierzehn Punkte) im „Kopftuch­ verbot“-Fall weniger deutlich überwiegt. 4. Problemkreis „Anforderungen an Sprachkenntnisse des Beschäftigten“ Beispielhaft für den Problemkreis „Anforderungen an Sprachkenntnisse des Beschäftigten“ soll hier schließlich der der BAG-Entscheidung zugrunde liegende Fall analysiert werden, in dem es um die Aufforderung des Arbeitgebers an eine als Reinigungskraft und Kassen- und Servicekraft im Empfangsbereich eines Schwimmbades tätige Beschäftigte kroatischer Herkunft ging, auf eigene Kosten und außerhalb der Arbeitszeit an einem Deutschkurs teilzunehmen.1146 Dadurch sollte die Verständigungsmöglichkeit der Beschäftigten nicht nur mit Kollegen, sondern auch mit Badegästen gewährleistet werden.1147 Aufgrund der unzureichenden Sprachkompetenz der betreffenden Beschäftigten hatte es bereits Beschwerden von Mitarbeitern und Kunden gegeben.1148

1144  Vgl. BAG 20.08.2009 NZA 2010, 227, 230; BAG 10.12.2009 NZA-RR 2010, 383, 386. 1145  BVerfG 27.01.2015 NJW 2015, 1359, 1370 im Abschnitt zu der abweichenden Meinung der Richter Schluckebier und Hermanns. 1146  BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226 ff.; siehe für eine ausführliche Darstellung der Entscheidung bereits unter E. III. 2. b) aa) (2). 1147  BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1227. 1148  BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1228.

598

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

a) Erste Stufe: Bestimmung des Prüfungsmaßstabs Für die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs kann auf die diesbezüglich oben gemachten Ausführungen verwiesen werden,1149 deren Quintessenz lautet: Anforderungen an bestimmte Sprachkenntnisse können regelmäßig zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft führen. Der Rechtfertigungsmaßstab ist demnach § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG. Damit erfolgt – ohne Prüfung einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ auf der zweiten Stufe – direkt der Sprung zur Prüfungsstufe drei, für die es auf das Vorliegen eines „rechtmäßigen Ziels“ ankommt. b) Dritte Stufe: rechtmäßiges Ziel Mit den Anforderungen an die Sprachkenntnisse für die als Kassiererin (und Reinigungskraft) tätige Beschäftigte soll die Verständigungsmöglichkeit mit den Badegästen und Kollegen sichergestellt werden.1150 Dabei geht es um die möglichst optimale Erledigung der anfallenden Arbeit im Sinne einer wirtschaftlichen Betriebsführung des Schwimmbads. Diese kommerzielle Zielsetzung verstößt nicht gegen ein gesetzliches Verbot und ist folglich ein „rechtmäßiges Ziel“ im Sinne des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG.1151 c) Vierte Stufe: Verhältnismäßigkeitsprüfung aa) Geeignetheit Die Herstellung eines angemessenen Sprachniveaus oder, anders formuliert, die Bedienung der Kundenpräferenzen für eine Kassiererin, mit der die Kunden kommunizieren können, muss zur Erreichung des rechtmäßigen Ziels geeignet sein, die Zweckerreichung also zumindest fördern, und zwar in kohärenter und systematischer Weise. Die Vorgabe des Arbeitgebers, dass Mitarbeiter an der Kasse der deutschen Sprache in einem Umfang mächtig sein müssen, der es gestattet, die erforderliche Kommunikation mit Gästen, Kollegen und Vorgesetzten zu führen, gilt für alle an der Kasse eingesetzten Beschäftigten.1152 Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Arbeitgeber diesbezüglich eine widersprüchliche, inkohärente Beschäftigungspoli1149  Siehe

bereits unter E. V. 2. a) cc) (2). BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1230. 1151  So für die „möglichst optimale Erledigung der anfallenden Arbeit“ als rechtmäßiges Ziel auch BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625, 627. 1152  Vgl. BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1230. 1150  Vgl.



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 599

tik verfolgte. Durch die Absolvierung eines Sprachkurses können solche Beschäftigte mit Kundenkontakt, deren sprachliches Niveau keine angemessene Kommunikation mit Badegästen, Kollegen und Vorgesetzten zulässt, die arbeitsnotwendigen Sprachkenntnisse erlangen.1153 Die Aufforderung zur Teilnahme an einem Sprachkurs ist zur Herstellung der Verständigungsmöglichkeit geeignet. bb) Erforderlichkeit Ein milderes Mittel aus Sicht der Beschäftigten könnte darin liegen, dass sie den Sprachkurs nicht auf eigene Kosten, sondern auf Kosten des Arbeitgebers und während der Arbeitszeit absolviert. Die Gestattung der Teilnahme an einem Sprachkurs während der Arbeitszeit würde indes dazu führen, dass der Arbeitgeber in dieser Zeit zusätzliches Personal bereithalten müsste. Auch das BAG hat bereits klargestellt, dass das AGG nicht derart weitgehende organisatorische Umgestaltungen vom Arbeitgeber fordert.1154 Im Vergleich mit anderen möglichen Personalmaßnahmen offenbart sich, dass die Aufforderung zur Teilnahme an einem Sprachkurs bereits das mildeste Mittel ist, sie ist insbesondere milder als die Versetzung auf eine Stelle ohne Kundenkontakt. Demzufolge ist die Anweisung, einen Sprachkurs zu absolvieren, erforderlich.1155 cc) Angemessenheit (1) Differenzierungsinteresse Mit der Gewährleistung der Verständigungsmöglichkeit mit den Badegästen und Kollegen im Sinne einer wirtschaftlichen Betriebsführung wird eine kommerzielle Zielsetzung verfolgt. Im Vergleich zu nichtkommerziellen Zielsetzungen, die die Integration benachteiligter Gruppen bezwecken, handelt es sich um ein geringwertiges Ziel. Dass neben der Gewinnmaximierung noch weitere, gesellschaftliche Ziele verfolgt werden, ist nicht ersichtlich. Deshalb ist das Ziel am unteren Ende der fünfstufigen Punkteskala einzuordnen und mit einem Punkt zu bewerten. Der Betroffenheitsgrad der unternehmerischen Freiheit hängt davon ab, inwiefern die Bedienung der Kundenpräferenzen – in diesem Fall für kommunikationsfähiges Personal – für den Unternehmenserfolg entscheidend BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1230. BAG 28.01.2010 NZA 2010, 625, 627. 1155  So auch BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1230. 1153  Vgl. 1154  Vgl.

600

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

ist. Der Schwimmbadbetrieb ist ein Dienstleistungsunternehmen. Es ist davon auszugehen, dass Ansprechbarkeit, Höflichkeit und die Kommunikationsfähigkeit des Personals mit Kundenkontakt als Elemente des Kundenservices in einem Dienstleistungsunternehmen entscheidend für den Unternehmenserfolg sind.1156 Dies gilt insbesondere für das im Empfangsbereich des Schwimmbads tätige Kassen- und Servicepersonal. Versagt man dem Arbeitgeber eine Benachteiligung solcher Beschäftigter, die die Grundvoraussetzung der Verständigungsfähigkeit nicht erfüllen, verhindert dies einen ­störungsfreien Betriebsablauf und schlägt sich auf den Ruf des Dienstleistungsunternehmens nieder, das auf einen funktionierenden Kundenservice angewiesen ist. Die unternehmerische Freiheit würde durch ein Benachteiligungsverbot stark beeinträchtigt, sodass die Beeinträchtigung mit drei von drei möglichen Punkten zu bewerten ist. Weitere, grundrechtlich geschützte Interessen des Schwimmbads sind nicht betroffen, sodass keiner der maximal erreichbaren zwei Zusatzpunkte zu addieren ist. Die Badegäste sind daran interessiert, mit dem Kassen- und Servicepersonal im Empfangsbereich kommunizieren zu können und insbesondere Bezahlvorgänge störungsfrei abwickeln zu können. Dieses Kundeninteresse stellt sich zwar weder als herabsetzende Einstellung gegenüber Angehörigen anderer Ethnien dar noch birgt es – wie z. B. die Bedienung der Stimulierungs- und Lustinteressen durch die Sexualisierung bestimmter, für sich genommen nicht sexueller Berufe – das Potential, in der Folge ihrer Bedienung die gesellschaftliche Verfestigung bestimmter Rollenbilder nach sich zu ziehen.1157 Somit ist das Verständigungsinteresse nicht am unteren Ende des Fünf-Punkte-Spektrums einzuordnen. Andererseits ist das Interesse an einer störungsfreien Kommunikationsmöglichkeit mit dem Serviceund Kassenpersonal als Teil eines positiven Gesamterlebnisses des Schwimmbadbesuchs nicht grundrechtlich abgesichert. Somit ist es auch nicht im oberen Bereich, sondern eher im mittleren bis unteren Bereich der Fünf-Punkte-Skala anzusiedeln, sodass eine Bemessung mit zwei Punkten sachgerecht erscheint. Den Badegästen steht es frei, darüber zu entscheiden, ob und wo sie schwimmen gehen. Sie sind insofern der mächtige, souveräne und selbstbestimmte Kundentyp im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs. Sind sie mit dem Service des Schwimmbads unzufrieden, können sie sich frei dafür entscheiden, ihre Freizeit anders zu verbringen oder ein anderes Schwimmbad zu besuchen. Unter dem Aspekt des „Kundentyps“ ist das 1156  Vgl. dazu auch EEOC v. Sephora USA, LLC 419 F. Supp.2d 408, 416 (S.D.N.Y. 2005); siehe für eine Darstellung der Entscheidung bereits unter C. IV. 3. b) cc). 1157  Siehe dazu bereits unter E. V. 2. d) cc) (1) (c) (bb).



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 601

Differenzierungsinteresse mithin als gering einzustufen und mit einem von fünf Punkten zu bewerten. Das Gewicht des Differenzierungsinteresses ist mit insgesamt sieben von zwanzig möglichen Punkten zu bemessen. (2) Gleichbehandlungsinteresse Auf Grund der mittelbaren Benachteiligung als schwächerer Eingriffsform sind beim Gleichbehandlungsinteresse nicht pauschal drei Punkte zu addieren. In Bezug auf das betroffene Beschäftigteninteresse ist festzustellen, dass die Benachteiligung der kroatischen Beschäftigten durch die Aufforderung zur Teilnahme an einem Deutschkurs keinen herabsetzenden Charakter hat. Sie wurzelt nicht in einer Geringschätzung von Beschäftigten kroatischer Herkunft. Vielmehr dient sie der Herstellung ihrer sprachlichen Verständigungsfähigkeit als Grundvoraussetzung des Arbeitsplatzes. Dass diese unabhängig von der ethnischen Herkunft für alle Beschäftigten gilt, zeigt auch das Vorbringen des Arbeitgebers, wonach „auch in dem denkbaren Fall, dass ein Mitarbeiter deutscher Nationalität sich nicht auf Deutsch verständigen könnte, dieser für die Tätigkeit am Empfang des Hallenbades nicht geeignet“1158 wäre. Fraglich ist, inwieweit die Beschäftigte durch die Aufforderung zur Absolvierung eines Deutschkurses in ihrer Würde verletzt ist. Auch, wenn die ethnische Herkunft, an die mittelbar angeknüpft wird, als solche schicksalhaft gegeben, unveränderbar und – insbesondere bei einer anderen Hautfarbe – schwer zu verbergen ist, gilt anderes in Bezug auf die Sprachkompetenz, an die hier unmittelbar angeknüpft wird. Eine Sprache kann erlernt werden, Sprachkenntnisse sind veränderbar. Dass dies insbesondere auch für die im vorliegenden Fall betroffene Beschäftigte möglich ist, ist die Grundannahme, auf der die Aufforderung zur Teilnahme an einem Deutschkurs beruht. Das spricht dafür, das betroffene Beschäftigteninteresse sehr gering zu gewichten und mit einem von fünf möglichen Punkten zu bewerten. Weitere grundrechtlich geschützte Interessen der Beschäftigten sind nicht betroffen, sodass keiner der dafür maximal einzustellenden weiteren zwei Punkte zu addieren ist. Im Hinblick auf die Art und Intensität der Personalmaßnahme ist die Aufforderung zur Teilnahme an einem Deutschkurs das denkbar mildeste Mittel. Es eröffnet der Beschäftigten eine Möglichkeit, der Versetzung auf einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt oder gar einer Kündigung zu entgehen. Angesichts der geringen Eingriffsintensität der vom Arbeitgeber ge1158  Vgl.

BAG 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1227.

602

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

wählten Personalmaßnahme ist diese mit einem von fünf möglichen Punkten zu bewerten. In Bezug auf das Maß der Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten birgt die Voraussetzung bestimmter Deutschkenntnisse für die Ausübung von Tätigkeiten mit Kundenkontakt das Potenzial, einer vom Gesetzgeber als besonders benachteiligt und schützenswert eingestuften Gruppe – ethnischen Minderheiten1159 – den Zugang zu Tätigkeiten mit Kundenkontakt zu erschweren. Gleichzeitig ist aber zu bedenken, dass der Erwerb der Sprachkenntnisse und damit der für den Zugang zum Arbeitsmarkt notwendigen Qualifikation in der Hand der Beschäftigten selbst liegt. Zu einer strukturellen Versagung der Arbeitsmarktchancen führen die Anforderungen an bestimmte Sprachkenntnisse nicht. Da zwar einerseits eine besonders schützenswerte Personengruppe von der Arbeitgebermaßnahme betroffen ist, dieser Personengruppe der Zugang zum Arbeitsmarkt aber nur erschwert, nicht versagt wird und es in der Hand der Beschäftigten selbst liegt, die Zugangserschwernisse zu beseitigen, erscheint eine Bewertung mit zwei bis drei von fünf möglichen Punkten sachgerecht. Demzufolge ergibt sich auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses ein Gesamtwert von vier bis fünf von zwanzig möglichen Punkten. (3) Abwägungsergebnis Im Ergebnis steht ein Wert von sieben von zwanzig Punkten auf Seiten des Differenzierungsinteresses dem Gewicht des Gleichbehandlungsinteresses gegenüber, das mit vier von zwanzig Punkten zu bemessen ist. Folglich überwiegt das Differenzierungsinteresse selbst dann, wenn man das auf Seiten des Gleichbehandlungsinteresses zu berücksichtigende Kriterium der Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten mit drei statt mit zwei Punkten bewertet. Demzufolge ist eine Rechtfertigung nach dem hier vorgeschlagenen Prüfungsraster im Einklang mit dem auch vom BAG erzielten Ergebnis zu bejahen.1160 5. Schlussbetrachtungen Bei der Anwendung des hier entwickelten Prüfungsrasters für die Zulässigkeit von Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen auf ausgewählte Fälle ist den Ergebnissen der Fachgerichte in diesen Fällen zuzustimmen. Die von der Rechtsprechung verwendeten Formeln zur Be1159  Vgl.

1160  BAG

ErwG 8 AntirassismusRL; BT-Drs. 16/1780, S. 24. 22.06.2011 NZA 2011, 1226, 1229.



VI. Anwendung des Prüfungsrasters auf ausgewählte Fälle 603

stimmung einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ werden jedoch durch klare Maßstäbe konkretisiert und für die Praxis handhabbar gemacht. Insbesondere die Definition von in der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachtenden Kriterien und ihre Bemessung mit Punktewerten führen dazu, dass der – in der Rechtsprechung häufig als reine Missbrauchskontrolle durchgeführte – Abwägungsvorgang transparent und nachvollziehbar wird. Ein Unterschied insbesondere zu der Beurteilung der Kundenpräferenzfälle durch die US-amerikanische Rechtsprechung besteht in Folgendem: Die hier vorgeschlagene Vorgehensweise zur Bestimmung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ lässt einen größeren Spielraum für innovative Unternehmenskonzepte, die auf eine merkmalsgeprägte Klientel ausgerichtet sind oder einen merkmalsnahen Nachfragewunsch unter Einsatz von Merkmalsträgern bedienen. Die Beschäftigungspolitik der Fluggesellschaft Southwest mit dem „love airline“-Konzept wurde hier erst auf Grund der Interessenabwägung als unzulässig eingestuft. Die Interessenabwägung kann bei auf einen speziellen merkmalsgeprägten Nachfragewunsch ausgerichteten Konzepten aber z. B. dann anders ausfallen, wenn die betreffende Tätigkeit ein Performance-Element aufweist. In solchen Fällen kann das Differenzierungsinteresse gegebenenfalls auf Grund der zusätzlich betroffenen Kunstfreiheit des Arbeitgebers sowie auf Grund des (im Vergleich zu dem bei Southwest betroffenen Stimulierungsinteresse) stärker zu gewichtenden Authentizitätsinteresses der Kunden höher zu bewerten sein. Besteht gleichzeitig nicht – wie in dem Fall Southwest – eine große Gefahr des asymmetrischen Ausschlusses bestimmter Merkmalsträger von bestimmten Berufen, kann das Differenzierungsinteresse das Gleichbehandlungsinteresse überwiegen. Des Weiteren werden nach dem hier vorgeschlagenen Prüfungsraster speziell insofern von der (deutschen und US-amerikanischen) Rechtsprechung abweichende Ergebnisse erzielt, als die Gerichte im Bereich der Geschlechtsbenachteiligungen im Hinblick auf die Patientenprivatsphäre inkonsistente Beschäftigungspraktiken für zulässig halten. Entsprechende Beschäftigungspraktiken scheitern nach dem hier vorgeschlagenen Prüfungsraster zumindest an der „Geeignetheit“. Zudem erlaubt das hier vorgeschlagene Prüfungsraster – anders als die Rechtsprechung – eine besondere Bewertung der Fallgruppe der kulturkreisübergreifenden Kundenpräferenzen. Insgesamt stellt das hier vorgeschlagene Prüfungsraster einen Weg dar, in den Kundenpräferenzfällen systematisch zu nachvollziehbaren Ergebnissen zu gelangen, die keine Inkonsistenzen aufweisen. Das in der Verhältnismäßigkeitsprüfung verwendete Punktesystem legt zudem offen, in welchen

604

E. Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen

Fällen das Differenzierungs- oder das Gleichbehandlungsinteresse deutlich oder nur knapp überwiegt. Dadurch wird aufgedeckt, an welcher Stelle gegebenenfalls Argumentationsspielräume für die eine oder die andere Position bestehen. Dies ist bei der Beurteilung anderer, (mehr oder weniger) vergleichbarer Fallkonstellationen relevant. Zudem ist es für die Parteien selbst von Bedeutung, sofern sie ein Rechtsmittel gegen eine bereits ergangene Entscheidung einlegen wollen.

F. Zusammenfassung / Thesen I. Zu Kapitel B.(etymologische, ökonomische, rechtliche Annäherung an die Thematik) 1.  Der Kundenterminus hat sich von der ursprünglichen Beschränkung auf Geschäftsbeziehungen aus dem marktwirtschaftlichen Sektor zu einer universalen Kategorie entwickelt.1 Nunmehr wird der Begriff auch in Abhängigkeitsverhältnissen verwendet, die durch eine Machtasymmetrie gekennzeichnet sind und nicht in dem Maße auf Freiwilligkeit des Kunden beruhen, wie es der Terminus suggeriert. Die Kundenrolle verschiedener „Kundentypen“ und das Gewicht ihrer Präferenzen sind insoweit differenziert zu betrachten. 2.  Der Präferenzbegriff umfasst sowohl tatsächliche als auch vermeintliche als auch durch ein Unternehmerkonzept antizipierte Kundenpräferenzen.2 Danach liegt ein „Kundenpräferenzfall“ immer dann vor, wenn eine Benachteiligung im Hinblick auf Interessen betriebsfremder Dritter („Kunden“) erfolgt. 3. Die Ökonomen messen der Orientierung an Kundenpräferenzen – jedenfalls abstrakt – entscheidende Bedeutung für den Unternehmenserfolg zu.3 Zwar konnte insbesondere die Kundendiskriminierungshypothese, also die Annahme, dass Kunden ihnen demographisch ähnliche Beschäftigte bevorzugen, durch Studien in den USA nicht widerspruchsfrei belegt werden.4 Andererseits konnten aber z. B. Studien zu Patientenpräferenzen die Existenz einer Vorliebe von Frauen für weibliche Ärzte bestätigen.5 Insofern sind die Existenz bestimmter Präferenzen, die Methoden ihrer Messung und ihre konkrete Bedeutung für ein Unternehmen immer Fragen des Einzelfalls. Ihre abstrakte und teils konkret nachgewiesene Bedeutung für den Unternehmenserfolg spricht dagegen, die Beachtlichkeit benachteiligender Kundenpräferenzen kategorisch zu verneinen. 4.  Faktisch betrifft die Kundenpräferenzproblematik Dreiecks-Konstellationen, in denen der Arbeitgeber einen Beschäftigten angesichts tatsächlicher, 1  Siehe

dazu dazu 3  Siehe dazu 4  Siehe dazu 5  Siehe dazu 2  Siehe

unter unter unter unter unter

B. B. B. B. B.

I. 1., S. 35 ff. I. 2., S. 46 ff. II. 2., S. 51 ff. II. 4., S. 62 ff. II. 4. c., S. 62 ff.

606

F. Zusammenfassung/Thesen

vermeintlicher oder antizipierter Interessen seiner „Kunden“ in Bezug auf Personengruppen, die bestimmte Merkmale aufweisen oder nicht aufweisen, benachteiligt.6 Das Spektrum möglicher betroffener Kundeninteressen ist breit, es reicht von dem Schutz der physischen oder psychischen Integrität und Vermögensinteressen über Glaubwürdigkeits- und Stimulierungsinteressen bis hin zu der Kultivierung bestimmter Überzeugungen.7 Durch die Bedienung der Kundenpräferenzen verfolgt der Arbeitgeber – jedenfalls sofern auf Arbeitgeberseite ein privatwirtschaftliches Unternehmen steht – in der Regel zuvorderst wirtschaftliche Interessen.8 Steht auf Arbeitgeberseite eine gemeinnützige Organisation aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich oder aber der Staat, wird häufig nicht in erster Linie eine kommerzielle, sondern eine gesellschaftliche, soziale oder politische Zielsetzung verfolgt. Diesen von Arbeitgebern und Kunden verfolgten Differenzierungsinteressen steht das Gleichbehandlungsinteresse der Beschäftigten gegenüber.9 Es ist mit dem Wunsch verbunden, nicht sozial herabgewürdigt zu werden und am Arbeitsmarkt möglichst uneingeschränkt teilhaben zu können. 5. Für die Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit entsprechender Benachteiligungen war vor Inkrafttreten des AGG10 das Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts in § 611a BGB a. F. von zentraler Bedeutung. Die Kundenpräferenzfrage stellte sich als Frage der Rechtfertigung, die bei unmittelbaren Benachteiligungen zu bejahen war, wenn die Kundenwünsche eine unverzichtbare Voraussetzung (§ 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F.) für die in Frage stehende Tätigkeit waren. Bei mittelbaren Benachteiligungen kam es darauf an, ob objektive Faktoren vorlagen, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hatten. Zudem musste jeweils die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Bezüglich weiterer Merkmale wie z. B. Religion, Alter oder auch sexuelle Identität wurde der Diskriminierungsschutz insbesondere über die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln gewährleistet. Bei der Abwägung der kollidierenden Grundrechte waren die Kundenpräferenzen bei der Gewichtung der Unternehmerfreiheit bzw. der Privatautonomie des Arbeitgebers zu verorten. 6. Seit Inkrafttreten des AGG,11 das die europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien umsetzt, ist der Diskriminierungsschutz in Bezug auf die Merkmale Rasse oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität umfassend geregelt. 6  Siehe

dazu unter B. III. 1., S. 70 ff. dazu unter B. III. 1. b) aa), S. 71. 8  Siehe dazu unter B. III. 1. b) bb), S. 72. 9  Siehe dazu unter B. III. 1. b) cc), S. 73 f. 10  Siehe dazu unter B. III. 2. a), S. 74 ff. 11  Siehe dazu unter B. III. 2. b), S. 86 ff. 7  Siehe



II. Zu Kapitel C.607

Die entscheidenden Maßstäbe für die Zulässigkeit von Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen sind in säkularen Arbeitsverhältnissen § 8 Abs. 1 AGG, § 10 S. 1 und 2 AGG sowie § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG.

II. Zu Kapitel C.(US-amerikanisches Recht) 7. Die rechtlichen Vorbilder der Rechtfertigungsregelungen der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien und des AGG stammen aus dem USamerikanischen Recht.12 Für die Kundenpräferenzproblematik entscheidende Regelungen sind die in Title VII enthaltene BFOQ-Ausnahme und die business necessity defense.13 Während die BFOQ-Ausnahme eine Rechtfertigungsmöglichkeit für unmittelbare Diskriminierungen bildet, ist die business necessity defense in Fällen mittelbarer Diskriminierungen einschlägig. 8.  Die Kundenpräferenzproblematik wird bei der Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen14 besonders umfassend im Zusammenhang mit Geschlechtsdiskriminierungen diskutiert. Die US-amerikanischen Gerichte haben die abstrakten Voraussetzungen des BFOQ-Ausnahmetatbestandes mit Hilfe eines mehrstufigen Tests konkretisiert.15 In dessen Zentrum steht die wesentliche Funktion bzw. primäre Aufgabe eines Unternehmens (essence of the business). Die Rechtsprechung untersucht, ob es der essence of the business zuwiderlaufen würde, wenn ein Arbeitgeber eine Position nicht mit einem Beschäftigten, der ein bestimmtes, diskriminierungsrechtlich geschütztes Merkmal trägt, besetzen würde. Die zulässigen Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot, die danach anerkannt wurden, fallen regelmäßig in eine von drei Kategorien: sie beruhen auf einem Authentizitäts-, Privatsphäreoder Sicherheitsinteresse der Kunden.16 Die genaue Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Diskriminierung – auch und gerade innerhalb dieser Fallgruppen – bleibt jedoch unscharf. Demzufolge sieht sich die Rechtsprechung starker Kritik aus dem Schrifttum ausgesetzt.17 Bei Auseinandersetzung mit dieser Kritik kristallisieren sich fünf Hauptproblemkreise heraus: (1) Wie ermittelt man die essence of the business?18 (2) Inwieweit dürfen Unternehmen gezielt Sex-Appeal dazu einsetzen, ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen?19 (3) Inwieweit können Privatsphäre­ 12  Siehe

13  Siehe 14  Siehe 15  Siehe 16  Siehe 17  Siehe 18  Siehe 19  Siehe

dazu dazu dazu dazu dazu dazu dazu dazu

unter unter unter unter unter unter unter unter

C. C. C. C. C. C. C. C.

I. 1., S. 103 f. II., S. 106 ff. III., S. 118 ff. III.3. a), S. 125 ff. III.3. c), S. 136 ff. III. 4. a), S. 180 ff. III. 4. b) aa), S. 181 ff. III. 4. b) bb), S. 187 ff.

608

F. Zusammenfassung/Thesen

interessen der Kunden Benachteiligungen rechtfertigen?20 (4) Bedürfen Fälle mit Auslandsberührung einer Sonderbehandlung?21 (5) In welchen Fällen ist eine Rechtfertigung unmittelbarer Rassendiskriminierungen legitim?22 Die Betrachtung der widerstreitenden Positionen im Schrifttum schafft ein Bewusstsein für die Fragen, die sich auch im deutschen Recht stellen können und liefert einen Fundus an möglichen Antworten. 9. Bei der Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen23 spielen Kundenpräferenzen insbesondere in zwei Szenarien eine Rolle: wenn der Arbeitgeber bestimmte Anforderungen an Sprachkenntnisse (mögliche Diskriminierung wegen der nationalen Herkunft) oder an das äußere Erscheinungsbild (mögliche Diskriminierung wegen Rasse / Hautfarbe oder Religion) des Beschäftigten stellt. Rechtsprechung24 und Schrifttum25 machen die Beachtlichkeit von Kundenpräferenzen stark von der Art des Unternehmens, dem Produkt und der konkreten Arbeitsaufgabe, vor allem dem Ausmaß des Kundenkontaktes des Beschäftigten abhängig. Dabei soll die Berufung auf Kundenpräferenzen zur Rechtfertigung einer mittelbar diskriminierenden Praxis zuvörderst dann erfolgreich sein, wenn die Präferenzen einen ausreichend starken Bezug zur sicheren, authentischen und effizienten Erbringung der Arbeitsleistung haben. Stärker als die Rechtsprechung plädieren Stimmen aus dem Schrifttum für eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers zu Gunsten der Vielfalt am Arbeitsplatz.

III. Zu Kapitel D.(europarechtliche Vorgaben) 10.  Die für die Kundenpräferenzproblematik relevanten Rechtfertigungsbestimmungen des AGG sind im Sinne der zugrunde liegenden Richtlinien auszulegen.26 11. Die Gleichbehandlungsrichtlinien sind in erster Linie auf den Integritätsschutz ausgerichtet.27 Zudem wird ein Schwerpunkt auf die Verbesserung der Teilhabechancen benachteiligter Gruppen (z. B. ältere Beschäftigte, Frauen, ethnische Minderheiten) gelegt. Werden diese Ziele der Antidiskriminierungsgesetzgebung durch eine Beschäftigungspraxis konterkariert, 20  Siehe 21  Siehe 22  Siehe 23  Siehe 24  Siehe 25  Siehe 26  Siehe 27  Siehe

dazu dazu dazu dazu dazu dazu dazu dazu

unter unter unter unter unter unter unter unter

C. C. C. C. C. C. D. D.

III. 4. b) cc), S. 193 ff. III. 4. b) dd), S. 199 ff. III. 4. b) ee), S. 203 ff. IV., S. 212 ff. IV. 3., S. 215 ff. IV. 4., S. 232 ff. I., S. 249 ff. III., S. 260 ff.



III. Zu Kapitel D.609

spricht das gegen die Zulässigkeit einer Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen. 12.  Die Richtlinien statuieren keine Hierarchie der geschützten Merkmale.28 Gleichwohl ist den spezifischen Sachgesetzlichkeiten der Merkmale bei der Auslegung der Rechtfertigungsgründe Rechnung zu tragen. Dabei spielen folgende Aspekte eine Rolle: Wird durch das Differenzierungskriterium an ein schicksalhaft „gegebenes“ Merkmal angeknüpft oder an ein Charakteristikum, das auf der freien Entscheidung beruht und einen Lebensstil oder eine gewählte Identität beschreibt? Ist das betreffende Merkmal statisch oder veränderbar? Können Diskriminierungen auf Grund des Merkmals gegebenenfalls vom Merkmalsträger selbst vermieden werden? Falls ja, wie hoch sind dann die emotionalen Kosten? 13. Die Ausnahmebestimmungen der Gleichbehandlungsrichtlinien sind als Generalklauseln gefasst. Auf der europäischen Ebene können durch europäisch-autonome Auslegung die äußeren Grenzen der Rechtfertigungsbestimmungen aufgezeigt werden.29 14. Die Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung30 erfordert eine „wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“, einen „rechtmäßigen Zweck“ und eine „angemessene Anforderung“.31 Eine Rechtfertigung setzt voraus, dass ein mit dem geschützten Diskriminierungsgrund zusammenhängendes Merkmal oder – trotz unklarer Richtlinienformulierung – das geschützte Merkmal selbst eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist.32 Dabei ist nur eine positive Anknüpfung an das Differenzierungsmerkmal zulässig.33 Der Gesetzgeber hat für alle geschützten Merkmale einen einheitlichen, eng auszulegenden Rechtfertigungsmaßstab geschaffen. Bei der Prüfung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Voraussetzung“34 ist auf die spezifische berufliche Tätigkeit abzustellen. Berufliche Voraussetzungen können sich grundsätzlich sowohl aus tätigkeits- als auch aus umweltbezogenen Anforderungen – und damit auch aus Kundenpräferenzen – ergeben. Insbesondere Authentizitätsinteressen können eine Rechtfertigung begründen. Zudem hält der europäische Gesetzgeber die Berücksichtigung von Privatsphäreinteressen der Kunden und die Ausrichtung auf eine merkmalsgeprägte Klientel für legi28  Siehe

dazu unter D. V. 1., S. 294 ff. dazu unter D. V. 2., S. 299 ff. 30  Siehe dazu unter D. V. 2. a), S. 301 ff. 31  Vgl. Art. 4 AntirassismusRL, Art. 4 Abs. 1 BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 6 GenderRL (nunmehr Art. 14 Abs. 2 GenderNeuRL). 32  Siehe dazu unter D. V. 2. a) bb), S. 304 ff. 33  Siehe dazu unter D. V. 2. a) cc), S. 308 ff. 34  Siehe dazu unter D. V. 2. a) dd), S. 310 ff. 29  Siehe

610

F. Zusammenfassung/Thesen

tim.35 Daraus lässt sich schließen, dass die Merkmalsträgerschaft der Beschäftigten im Hinblick auf die Ausrichtung auf die merkmalsgeprägte Klientel grundsätzlich eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ sein kann. Durch das Wesentlichkeitskriterium wird eine Erheblichkeitsschwelle statuiert, das Kriterium „entscheidend“ verlangt darüber hinaus, dass eine Tätigkeit nur von einem Merkmalsträger ordnungsgemäß ausgeführt werden kann. Durch die Voraussetzung des „rechtmäßigen Zwecks“36 wird klargestellt, dass solche ungleich behandelnden Maßnahmen nicht gerechtfertigt werden können, deren Zweck gegen ein gesetz­ liches Verbot verstößt. Durch das Erfordernis der „angemessenen Anforderung“37 wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert. 15. Mittelbare Diskriminierungen38 sind bereits tatbestandlich ausgeschlossen, wenn sie durch ein „rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt“ sind und die Mittel zur Zielerreichung „angemessen und erforderlich“ sind.39 Aus der Anforderung des „rechtmäßigen Ziels“40 folgt, dass nur legale, nicht diskriminierende Ziele rechtfertigend wirken können. Durch die Anforderung einer „sachlichen Rechtfertigung“41 ist zudem klargestellt, dass eine auf Gefühlen oder Vorurteilen beruhende Begründung nicht ausreicht. Vielmehr muss die benachteiligend wirkende Arbeitgebermaßnahme einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers dienen, wozu insbesondere betriebswirtschaftliche Gründe, also auch die Bedienung von Kundenpräferenzen zur profitablen Verfolgung eines unternehmerischen Konzeptes, zählen können. Durch das Erfordernis, dass die Mittel zur Zielerreichung „angemessen und erforder­ lich“42 sein müssen, wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert. 16. Die Ausnahme vom Verbot einer Altersdiskriminierung in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL43 setzt eine „objektive und angemessene Rechtfertigung“ durch ein „legitimes Ziel“ und „angemessene und erforderliche“ Mittel zur Zielerreichung voraus. Während der EuGH nur sozialpolitische Ziele im Allgemeininteresse als „legitime Ziele“44 im Sinne dieser Norm anerkennt, hielt der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Norm 35  Vgl.

ErwG 16 GenderZivRL. dazu unter D. V. 2. a) ee), S. 320 ff. 37  Siehe dazu unter D. V. 2. a) ee), S. 320 ff. 38  Siehe dazu unter D. V. 2. b), S. 324 ff. 39  Vgl. Art. 2 Abs. 2 b) AntirassismusRL, Art. 2 Abs. 2 b) i) BeschäftiggsRL und Art. 2 Abs. 2 2. Spiegelstrich GenderRL (nunmehr Art. 2 Abs. 1 b) GenderNeuRL). 40  Siehe dazu unter D. V. 2. b) aa), S. 325 ff. 41  Siehe dazu unter D. V. 2. b) aa), S. 325 ff. 42  Siehe dazu unter D. V. 2. b) bb), S. 331 ff. 43  Siehe dazu unter D. V. 2. c), S. 333 ff. 44  Siehe dazu unter D. V. 2. c) aa), S. 333 ff. 36  Siehe



IV. Zu Kapitel E.611

auch individuelle Arbeitgeberinteressen für legitime Ziele. Den Mitgliedstaaten sollte bei der Festlegung legitimer Ziele ein eigener Gestaltungsspielraum eröffnet werden. Dies spricht dafür, dass das mitgliedstaatliche Verständnis der legitimen Ziele maßgeblich ist. Unabhängig davon ergibt die europäisch-autonome Auslegung des Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL, dass auch genuine betriebs- bzw. unternehmensbezogene Interessen des Arbeitgebers „legitime Ziele“ im Sinne der Norm sein können. Daher ist die Rechtfertigung unmittelbarer Altersdiskriminierungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen an Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL zu messen, auch wenn der Arbeitgeber dabei individuelle betriebs- oder unternehmensbezogene wirtschaftliche Interessen verfolgt. Dem Erfordernis der „objektiven und an­ gemessenen Rechtfertigung“45 in Art. 6 Abs. 1 BeschäftiggsRL kommt die gleiche Bedeutung wie der „sachlichen Rechtfertigung“ einer mittelbaren Diskriminierung zu. Zudem wird durch die Voraussetzung der „angemessenen und erforderlichen Mittel“46 analog der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert. 17.  Alle drei Rechtfertigungsmöglichkeiten stimmen darin überein,47 dass sie jeweils – in der Sache gleichbedeutend – einen „rechtmäßigen Zweck“ bzw. ein „rechtmäßiges / legitimes Ziel“ sowie eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetzen. Die Voraussetzungen der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung und einer Altersdiskriminierung sind identisch und vollständig in der Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen wegen beruflicher Anforderungen enthalten. Letztere erfordert darüber hinaus eine „wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“.

IV. Zu Kapitel E.(deutsches Recht) 18.  In der Umsetzung der europäischen Richtlinienvorgaben in das deutsche Recht nimmt der Gesetzgeber die Zielsetzung der europäischen Antidiskriminierungsprogrammatik auf und legt sie dem AGG zu Grunde.48 Die §§ 8 Abs. 1 AGG, 10 S. 1 und 2 AGG sowie § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG sind in ihrem Wortlaut nahezu identisch mit den zu Grunde liegenden Richtlinienbestimmungen.49 19.  Den Begründungen der Ausnahmebestimmungen lassen sich hinsichtlich der Kundenpräferenzfrage nur begrenzt Informationen entnehmen.50 45  Siehe

46  Siehe 47  Siehe 48  Siehe 49  Siehe 50  Siehe

dazu dazu dazu dazu dazu dazu

unter unter unter unter unter unter

D. V. 2. c) cc), S. 343f. D. V. 2. c) bb), S. 343. D. V. 2. d), S. 344 ff. E. II. 2., S. 353 ff. E. I., S. 351 ff. E. II. 1. b)–e), S. 355 ff. sowie unter E. II. 2. d), S. 368 ff.

612

F. Zusammenfassung/Thesen

Als aufschlussreicher erweist sich die Konkretisierung der Rechtfertigungsbestimmungen des AGG und des dem Maßstab des § 8 Abs. 1 AGG entsprechenden § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. durch die Rechtsprechung. 20. Bei Betrachtung der Rechtsprechung kristallisieren sich merkmalsspezifisch unterschiedliche Problemkreise heraus, in deren Zusammenhang die Kundenpräferenzproblematik praktisch relevant wird.51 Die Rechtsprechung hat weder merkmalsübergreifend noch -spezifisch einheitliche Standards zu den Anforderungen an die Rechtfertigung im Hinblick auf Kundenpräferenzen entwickelt. Jedoch messen die Gerichte dem Aspekt der Konsistenz und der Schlüssigkeit eines Unternehmerkonzeptes und des darauf beruhenden Stellenprofils große Bedeutung bei. 21.  Bei dem Merkmal „Geschlecht“52 spielt die Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen auf Grund von Kundenpräferenzen nach § 8 Abs. 1 AGG zuvörderst in drei Berufsfeldern eine Rolle: in dem Bereich medizinisch-pflegerischer Tätigkeiten, bei der sozialen Arbeit und bei repräsentativen bzw. politischen Funktionen auf dem Gebiet der Interessenvertretung. Als Ratio zulässiger Rechtfertigungen stehen die Privatsphäre und die Authentizität im Mittelpunkt. 22.  Benachteiligungen wegen des Merkmals „Rasse bzw. ethnische Her­ kunft“53 im Hinblick auf Kundenpräferenzen werden hauptsächlich im Zusammenhang mit Anforderungen an Sprachkenntnisse bei unterschiedlichsten Tätigkeiten relevant. Die Gerichte qualifizieren Sprachanforderungen überwiegend als mittelbare Benachteiligungen. Der Rechtfertigungsmaßstab ist folglich § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG. Als Ratio zulässiger Benachteiligungen kristallisiert sich die Kommunikationsfähigkeit (mit Kunden) heraus, die zum Teil wiederum in Sicherheits- oder Authentizitätsüberlegungen wurzelt. 23. Ein zentraler Problemkreis in Bezug auf Benachteiligungen wegen des Merkmals „Religion oder Weltanschauung“54 betrifft Kopftuchverbote in Schulen und Kindergärten öffentlicher Trägerschaft, aber auch in kirch­ lichen Einrichtungen oder in Wirtschaftsbetrieben. Als AGG-rechtlichen Maßstab ziehen die Gerichte regelmäßig § 8 Abs. 1 AGG sowie bei kirch­ lichen Arbeitgebern § 9 AGG heran. Eine Rechtfertigung im Hinblick auf Interessen Dritter, namentlich die negative Religionsfreiheit von Schülern und Eltern sowie das elterliche Erziehungsrecht, bejahte die frühere Rechtsprechung regelmäßig insbesondere in Schulen und Kindergärten. Nach einer neuen Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2015 ist jedoch ein 51  Siehe

dazu dazu 53  Siehe dazu 54  Siehe dazu 52  Siehe

unter unter unter unter

E. E. E. E.

III., S. 375 ff. III. 2. a), S. 390 ff. III. 2. b), S. 419 ff. III. 2. c), S. 428 ff.



IV. Zu Kapitel E.613

pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen verfassungswidrig. Der Eingriff in die Glaubensfreiheit der Lehrkräfte soll nur bei Vorliegen einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität gerechtfertigt sein. Kopftuchverboten in Wirtschaftsbetrieben bzw. -unternehmen steht die Rechtsprechung tendenziell ablehnend gegenüber. Bei der Beurteilung von Kopftuchverboten kirchlicher Arbeitgeber überwiegt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht die Glaubensfreiheit der Beschäftigten, wenn das glaubwürdige Auftreten der Kirche gegenüber den „Kunden“ durch Kopftuch tragende Beschäftigte vereitelt würde. 24. Bei der Rechtfertigung von Altersbenachteiligungen55 sind Kundenpräferenzen insofern von Belang, als Altersgrenzen im Hinblick auf die Gewährleistung der Sicherheit Dritter erlassen werden. Praktisch spielen entsprechende Altersgrenzen vor allem in vier Berufsgruppen eine Rolle: bei Tätigkeiten in der Luftfahrt, in der Medizin, bei den Notfalldiensten und bei Sachverständigentätigkeiten. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen § 10 S. 1 und 2 AGG – oder aber § 8 Abs. 1 AGG – der geeignete AGG-rechtliche Prüfungsmaßstab ist, wird von den Gerichten uneinheitlich beantwortet. Tendenziell werden Altersgrenzen für „sicherheitsrelevante Berufsgruppen“ wegen möglicher altersbedingter Fehlreaktionen dann für zulässig gehalten, wenn sie über dem gesetzlichen Renteneintrittsalter liegen und sie dazu führen, dass der Beschäftigte nur in Teilen seiner Berufsausübung beschränkt wird. 25.  Im Zusammenhang mit den Merkmalen „Behinderung“56 und „sexuelle Identität“57 haben Benachteiligungen im Hinblick auf Kundenpräferenzen bislang nur eine marginale Rolle gespielt. Die wenigen Fälle aus der Rechtsprechung deuten darauf hin, dass die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Behinderung vor allem mit Rücksicht auf Sicherheitsinteressen, also Leib und Leben Dritter, und wegen der sexuellen Identität zuvörderst aus Gründen der Authentizität zulässig sein kann. 26.  Im deutschen rechtswissenschaftlichen Schrifttum58 fehlt es an einer ausdifferenzierten, problemkreisspezifischen Diskussion der Kundenpräferenzproblematik. In der Kommentarliteratur wird das Stichwort der „Kundenpräferenzen, Kundenwünsche oder -erwartungen“ ausschließlich im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG angesprochen.59 Neben der Darstellung der 55  Siehe

dazu dazu 57  Siehe dazu 58  Siehe dazu 59  Siehe dazu 56  Siehe

unter unter unter unter unter

E. E. E. E. E.

III. 2. d), S. 445 ff. III. 2. e), S. 462 ff. III. 2. f), S. 469 ff. IV., S. 477 ff. IV. 1., S. 478 ff.

614

F. Zusammenfassung/Thesen

Kasuistik in den Kommentaren finden sich im Schrifttum einige ganzheitlichere Lösungsvorschläge zum Umgang mit Kundenpräferenzen.60 Die Thematik wird überwiegend im Zusammenhang des § 8 Abs. 1 AGG, vereinzelt im Hinblick auf § 10 S. 1 und 2 AGG sowie teilweise losgelöst von den Ausnahmetatbeständen des AGG diskutiert. 27.  Bislang existiert kein kohärentes Modell, das eine Lösung der Kundenpräferenzfrage über die Ausnahmetatbestände des AGG vorsieht und dabei die drei Vorschriften des §§ 8 Abs. 1 AGG, 10 S. 1 und 2 AGG sowie § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG miteinbezieht. Ein solches wird in dieser Arbeit vorgeschlagen.61 Danach ist grundsätzlich zwischen dem Maßstab des § 8 Abs. 1 AGG einerseits und dem Maßstab des § 10 S. 1 und 2 AGG bzw. des § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG andererseits zu unterscheiden. Die Beurteilung der Kundenpräferenzproblematik erfolgt stufenweise.62 Die erste Stufe besteht in der Bestimmung des im konkreten Fall jeweils einschlägigen Maßstabs. Ist der Maßstab § 8 Abs. 1 AGG, ist auf einer zweiten Stufe das Vorliegen einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ zu prüfen. Andernfalls folgt direkt der Sprung zu Stufe drei, die in der Untersuchung des „rechtmäßigen bzw. legitimen Zwecks bzw. Ziels“ besteht. Die vierte Stufe erfordert schließlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. 28. Auf der ersten Stufe63 hat insbesondere eine Einordnung der Arbeitgebermaßnahme als unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung zu erfolgen. Die Abgrenzung ist mit Hilfe des Kriteriums „Homogenität der Gruppenbildung“ vorzunehmen. 29. Im Falle einer unmittelbaren Benachteiligung wegen der Merkmale Rasse und ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung oder sexuelle Identität ist § 8 Abs. 1 AGG einschlägig. In diesen Fällen ist auf einer zweiten Prüfungsstufe64 zu ermitteln, inwiefern die Berufung auf Kundenpräferenzen eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. Da eine Ausnahme vom Benachteiligungsverbot nur bei einer positiven Anknüpfung möglich ist, können vorab die Fälle von einer Rechtfertigung ausgeschieden werden, in denen ein bestimmtes geschütztes Merkmal nicht positiv zur Voraussetzung gemacht wird, sondern offen negativ daran angeknüpft wird.65 Für die weitere Prüfung66 kommt es darauf an, ob die in Frage stehende, vom Arbeitgeber 60  Siehe 61  Siehe 62  Siehe 63  Siehe 64  Siehe 65  Siehe 66  Siehe

dazu dazu dazu dazu dazu dazu dazu

unter unter unter unter unter unter unter

E. E. E. E. E. E. E.

IV. 2., S. 482 ff. V., S. 503 ff. V. 2., S. 506 ff. V. 2. a), S. 507 ff. V. 2. b), S. 519 ff. V. 2. b) aa), S. 519 f. V. 2. b) bb), S. 521 ff.



IV. Zu Kapitel E.615

erbrachte Leistung für den Kunden kommerziell oder nichtkommerziell erbracht wird. In dem erstgenannten Fall67 ist in Anlehnung an Cantors Marktansatz zu untersuchen, ob das geschützte Merkmal des Beschäftigten als Definitionskriterium des Marktes Teil des Produktes bzw. der Dienstleistung und damit eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ist. Das Abgrenzungskriterium ist dabei die Austauschbarkeit: Ein geschütztes Merkmal ist dann eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für eine bestimmte Position, wenn die durch den Beschäftigten erbrachte Leistung aus Sicht der Kunden nicht durch eine von einem Nicht-Merkmalsträger erbrachte Leistung substituierbar ist. Besteht zwischen einem Arbeitgeber und dem von ihm angesprochenen Kunden keine kommerzielle Leistungsbeziehung,68 erfolgt die Bedienung von Kundenpräferenzen für einen Merkmalsträger auf Grund einer gesellschaftlichen, sozialen oder politischen Zielsetzung, die privilegierungswürdig ist. Die „Kunden“ sind in diesen Fällen regelmäßig Mitglieder bestimmter Schutzgruppen, deren Unterstützung und / oder Integration bezweckt wird. Vor diesem Hintergrund steht dem Arbeitgeber bei der Qualifikation eines geschützten Merkmals als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ ein großer Ermessensspielraum zu. Der Fokus liegt auf der Prüfung eines schlüssig und widerspruchsfrei dargelegten unternehmerischen Konzepts, aus dem sich die entsprechende berufliche Anforderung ergibt. 30. Auf der dritten Stufe69 ist das Vorliegen eines „rechtmäßigen / legitimen Zwecks / Ziels“ zu prüfen. In Betracht kommt jedes seinerseits nicht diskriminierende und auch sonst legale Ziel. Im Einklang mit den europäischen Richtlinienvorgaben ist nicht nur die Verfolgung einer gesellschaftlichen oder einer anderen nicht wirtschaftlichen Zielsetzung, sondern auch die profitable Verfolgung eines unternehmerischen Konzeptes, also eine wirtschaftliche Zielsetzung, durch die Bedienung von Kundenpräferenzen rechtmäßig bzw. legitim. 31.  Auf der vierten Stufe70 ist zu prüfen, ob die Ungleichbehandlung zur Bedienung der Kundenpräferenzen zur Erreichung des damit verfolgten wirtschaftlichen oder nicht wirtschaftlichen Ziels geeignet,71 erforderlich72 und angemessen ist. 67  Siehe 68  Siehe 69  Siehe 70  Siehe 71  Siehe 72  Siehe

dazu dazu dazu dazu dazu dazu

unter unter unter unter unter unter

E. E. E. E. E. E.

V. V. V. V. V. V.

2. 2. 2. 2. 2. 2.

b) bb) (4) (a), S. 531 ff. b) bb) (4) (b), S. 537 ff. c), S. 543 ff. d), S. 546 ff. d) aa), S. 546 ff. d) bb), S. 548 f.

616

F. Zusammenfassung/Thesen

32. Der Schwerpunkt liegt in Kundenpräferenzfällen auf der Angemessenheitsprüfung.73 Sie erfordert eine Abwägung des Differenzierungsinteresses des Arbeitgebers und seiner Kunden mit dem Gleichbehandlungsinteresse der Beschäftigten. Bei der Gewichtung des Differenzierungsinteresses sind vier Kriterien heranzuziehen:74 die Art des Ziels, die betroffenen Interessen des Arbeitgebers, die betroffenen Interessen der Kunden sowie der Kundentyp. Die Gewichtung des Gleichbehandlungsinteresses hängt ebenfalls von vier Kriterien ab:75 von der Eingriffsform, dem Maß der Herabsetzung, der Art und Intensität der Personalmaßnahme sowie der Einschränkung der Teilhabemöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Eine hier vorgeschlagene Punkteskala kann als Orientierungshilfe bei der Gewichtung des jeweiligen Interesses dienen. Eine Ungleichbehandlung ist verhältnismäßig und damit eine Rechtfertigung grundsätzlich nur dann zu bejahen, wenn das Gewicht des Differenzierungsinteresses das des Gleichbehandlungsinteresses überwiegt.76 Bei Überwiegen des Gleichbehandlungsinteresses kann eine Differenzierung nur unter zwei besonderen Voraussetzungen gerechtfertigt werden:77 (1) der Beschäftigte wird ausschließlich oder überwiegend in einem außereuropäischen Kulturkreis eingesetzt, (2) bei Verneinung einer Rechtfertigung gehen netto Arbeitsplätze verloren. 33.  Bei der Anwendung des Prüfungsrasters auf vier ausgewählte Fälle78 ist den Ergebnissen der Fachgerichte in diesen Fällen zuzustimmen. Anders als in den Entscheidungsbegründungen der Gerichte wird indes insbesondere der Abwägungsvorgang durch die Definition zu beachtender Kriterien und ihre Bemessung mit Punktewerten transparent und nachvollziehbar. Zudem lässt die hier vorgeschlagene Vorgehensweise zur Bestimmung der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ im Gegensatz speziell zur US-amerikanischen Rechtsprechung einen größeren Spielraum für Unternehmenskonzepte, die auf eine merkmalsgeprägte Klientel ausgerichtet sind oder einen merkmalsnahen Nachfragewunsch unter Einsatz von Merkmalsträgern bedienen. Weitergehend als nach der deutschen und USamerikanischen Rechtsprechung sind auch Benachteiligungen im Hinblick auf kulturkreisübergreifende Kundenpräferenzen möglich. Eingeschränkt wird hingegen die Zulässigkeit von Rechtfertigungen inkonsistenter Beschäftigungspraktiken, die die Rechtsprechung bei Benachteiligungen im Hinblick auf die Kundenprivatsphäre häufig bejaht. 73  Siehe 74  Siehe 75  Siehe 76  Siehe 77  Siehe 78  Siehe

dazu dazu dazu dazu dazu dazu

unter unter unter unter unter unter

E. E. E. E. E. E.

V. 2. d) cc), S. 550 ff. V. 2. d) cc) (1), S. 551 ff. V. 2. d) cc) (2), S. 563 ff. V. 2. d) cc) (3), S. 568 f. V. 2. d) cc) (4), S. 569 ff. VI., S. 574 ff.

Entscheidungsregister Die fett gesetzten Fundstellen im Buch verweisen auf eine ausführliche Darstellung der Entscheidung und / oder des zugrunde liegenden Falles. Das Stichwort / Thema bezeichnet den thematischen Zusammenhang, in dem die Entscheidung in dieser Arbeit angeführt ist. I. Deutsche Gerichte 1. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

15.01.1958

1 BvR 400 / 57 NJW 1958, 257

„Lüth-Urteil“; mittelbare B. III. 2. a) dd) Drittwirkung der Grundrechte im Rahmen der zivilrecht­ lichen Generalklauseln

11.06.1958

1 BvR 596 / 56 NJW 1958, 1035

„Apotheken-Urteil“; DreiE. III. 2. d) cc) (2) Stufen-Theorie zu Art. 12 GG E. V. 2. d) cc) (1) (b)

23.03.1960

1 BvR 216 / 51 NJW 1960, 715

„Kassenarzt-Urteil“; Beschränkung der Berufs­ ausübungsfreiheit von der ­Intensität eines Eingriffs in die Berufswahlfreiheit

E. V. 2. d) cc) (1) (b)

19.07.2000

1 BvR 539 / 96 NVwZ 2001, 790

„Spielbankgesetz BadenWürttemberg“; Berufswahlfreiheit für juristische Personen des Privatrechts

E. V. 2. d) cc) (1) (b)

24.09.2003

2 BvR 1436 / 02 NJW 2003, 3111

Kopftuchverbot für Lehrer

E. E. E. E.

III. 2. c) aa) (2) V. 2. d) cc) (1) (b) VI. 3. c) bb) VI. 3. c) cc) (1), (2)

27.01.2015

1 BvR 471 / 10, 1 BvR 1181 / 10 NJW 2015, 1359

Kopftuchverbot für Lehr­ kräfte an öffentlichen ­Schulen

E. E. E. E. E. E.

III. 2. c) aa) (2) III. 2. c) aa) (2) (b) V. 2. d) cc) (1) (b) VI. 3. b) VI. 3. c) bb) VI. 3. c) cc) (1), (2), (3)

618 Entscheidungsregister 2. Arbeitsgerichtsbarkeit a) Bundesarbeitsgericht (BAG) Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

17.01.1979

5 AZR 498 / 77 NJW 1980, 470

Arbeitnehmerstatus von ­Lizenzfußballspielern der Bundesliga

B. II. 4. b) B. III. 2. b) aa) (2)

27.02.1985

GS 1 / 84 NZA 1985, 702

Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln

B. III. 2. a) dd)

14.03.1989

8 AZR 351 / 86 NZA 1990, 24

Männliches Geschlecht als Voraussetzung für Sozial­ arbeiter im Wohnheim für strafentlassene Männer

E. III. 1. a) E. III. 2. a) bb) (1) (a)

18.01.1990

2 AZR 357 / 89 NZA 1990, 729

Soziale Auswahl bei KündiE. V. 2. d) cc) gungen mit Hilfe eines Punkteschemas

21.02.1991

2 AZR 449 / 90 NZA 1991, 719

Weibliches Geschlecht Voraussetzung für Tätigkeit einer Arzthelferin in chirurgischer Praxis

A. E. III. 1. a) E. III. 2. a) aa) (1) (a) (aa) E. III. 2. a) bb) (2) E. III. 2. a) bb) (5)

23.06.1994

2 AZR 617 / 93 NZA 1994, 1080

Kündigung in der Probezeit wegen Homosexualität

B. III. 2. a) ee) (2) (b)

12.11.1998

8 AZR 365 / 97 NZA 1999, 371

Weibliches Geschlecht als Voraussetzung für kommunale Gleichstellungsbeauftragte

E. III. 1. a) E. III. 2. a) bb) (1) (b) E. IV. 2. c. bb) (5) (b)

27.04.2000

8 AZR 295 / 99 Juris

Verhältnis von „unverzichtbar“ in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. zu „unabdingbar“ in Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 76 / 207 / EWG

E. II. 1.

10.10.2002

2 AZR 472 / 01 NZA 2003, 483

Kündigung einer Verkäuferin wegen Tragens eines islamischen Kopftuchs („Kopftuch­ entscheidung“)

A. B. III. 1. a) B. III. 2. a) ee) (2) (a) E. III. 2. c) aa) (3) (a) E. III. 2. c) bb) E. III. 2. f) bb) (2) E. V. 2. a) cc) (1) (a) E. V. 2. a) cc) (1) (c) E. V. 2. b) aa) E. V. 2. d) bb)

Entscheidungsregister619 Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

21.07.2004

7 AZR 589 / 03 Juris

Tarifvertragliche Altersgrenze B. III. 2. a) ee) (2) (b) für Flugzeugführer E. III. 2. d) bb) (1) E. III. 2. d) bb) (4)

15.02.2005

9 AZR 635 / 03 NZA 2005, 870

Benachteiligung wegen Schwerbehinderung durch Anforderung „gute Schreibmaschinenkenntnisse“

06.07.2006

2 AZR 442 / 05 NZA 2007, 139

Soziale Auswahl bei Kün­di­ E. V. 2. d) cc) gungen mit Hilfe eines Punkteschemas

14.08.2007

9 AZR 943 / 06 NZA 2008, 99

Benachteiligung weiblicher Lehrkräfte in sonderpädagogischer Schule mit hohem Jungenanteil

E. III. 1. a) E. III. 2. a) bb) (1) (d)

06.11.2008

2 AZR 523 / 07 NZA 2009, 361

Trotz § 2 IV AGG: Anwendung des §§ 1–10 AGG bei der Auslegung der Sozial­ widrigkeit des § 1 Abs. 2 KSchG; Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung

B. E. E. E. E. E.

22.01.2009

8 AZR 906 / 07 NZA 2009, 945

Rechtfertigung von Alters­ benachteiligungen

D. V. 2. c) aa) (2) E. III. 1. c) E. III. 1. c) aa) E. III. 1. c) bb) E. III. 1. c) dd) (1) (a) E. III. 1. c) dd) (2) (b) E. III. 1. c) dd) (3) E. V. 2. c)

26.05.2009

1 AZR 198 / 08 NZA 2009, 849

Rechtfertigung von Alters­ benachteiligungen

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

28.05.2009

8 AZR 536 / 08 NZA 2009, 1016

Ablehnung eines männlichen Bewerbers auf Stelle im Mädcheninternat

E. E. E. E. E. E. E. E. E. E. E. E. E. E.

E. V. 2. a) cc) (2)

III. 2. b) aa) (1) III. 1. c) bb) III. 1. c) cc) III. 1. c) dd) (1) (a) III. 1. c) dd) (2) (b) V. 2. d)

III. 1. b) III. 2. a) aa) (1) (a) (aa) III. 2. a) aa) (1) (b) (aa) IV. 2. c. bb) (5) (b) V. 2. b) bb) (1) V. 2. b) bb) (3) (c) V. 2. c) V. 2. d) aa) V. 2. d) bb) V. 2. d) cc) (1) (d) V. 2. d) cc) (2) (b) VI. 1. d) cc) (1) VI. 2. VI. 3. c) cc) (1) (Fortsetzung nächste Seite)

620 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

20.08.2009

2 AZR 499 / 08 NZA 2010, 227

Kopfbedeckungsverbot für Lehrer in Schulen

E. III. 2. c) aa) (2) (b) (aa) E. V. 2. a) cc) (1) (a) E. VI. 3.

13.10.2009

9 AZR 722 / 08 NZA 2010, 327

Rechtfertigung von Alters­ benachteiligungen

E. III. 1. c) bb) E. III. 1. c) dd) (1) (a)

05.11.2009

2 AZR 676 / 08 NZA 2010, 457

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

10.12.2009

2 AZR 55 / 09 NZA-RR 2010, 383

Kopftuchverbot für Lehrer

E. III. 2. c) aa) (2) (b) (aa) E. V. 2. a) cc) (1) (a) E. VI. 3.

28.01.2010

2 AZR 764 / 08 NZA 2010, 625

Rechtfertigung einer mittel­ baren Diskriminierung wg. der Ethnie – Kenntnis der deutschen Schriftsprache für Tätigkeit in der Spritzguss­ abteilung bei Automobil­ zulieferer

B. E. E. E. E. E. E. E. E.

25.02.2010

6 AZR 911 / 08 NZA 2010, 561

Rechtfertigung von Alters­ benachteiligungen

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

18.03.2010

8 AZR 77 / 09 NZA 2010, 872

Ausschreibung der Stelle ­einer Gleichstellungsbeauftragten nur für Frauen

B. E. E. E. E. E. E. E. E. E. E. E. E. E. E.

23.06.2010

7 AZR 1021 / 08 Tarifliche Altersgrenze für NZA 2010, Flugbegleiter 1248

E. III. 2. d) bb) (1) E. V. 2. d) cc) (1) (c) (aa)

22.07.2010

8 AZR 1012 / 08 Verdeckte Benachteiligung NZA 2011, 93

E. V. 2. d) cc) (1) (b) E. V. 2. d) cc)(1) (c) (aa)

III. 2. b) bb) (1) III. 1. d) III. 2. b) aa) (1) V. 2. a) cc) (2) (a) V. 2. c) V. 2. d) aa) V. 2. d) bb) VI. 4. b) VI. 4. c) bb)

III. 2. b) cc) (1) (d) III. 1. b) III. 2. a) aa) (1) (a) (aa) III. 2. a) aa) (3) (b) III. 2. a) bb) (1) (b) III. 2. a) bb) (5) V. 2. b) bb) (1) V. 2. b) bb) (3) (c) V. 2. b) bb) (4) (b) (aa) V. 2. c) V. 2. d) aa) V. 2. d) bb) V. 2. d) cc (2) (b) V. 2. d) cc) (4) (b) VI. 3. c) cc) (1)

Entscheidungsregister621 Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

12.08.2010

2 AZR 593 / 09 NZA-RR 2011, 162

Kopftuchverbot für Erzieher in öffentlicher Trägerschaft

E. III. 2. c) aa) (2) (b) (bb) E. V. 2. a) cc) (1) (a)

08.12.2010

7 AZR 438 / 09 NZA 2011, 970

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

08.12.2010

7 ABR 98 / 09 NZA 2011, 751

Höchsteinstiegsaltersgrenze für Piloten

E. III. 2. d) bb) (2)

06.04.2011

7 AZR 524 / 09 NZA 2011, 970

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

22.06.2011

8 AZR 48 / 10 NZA 2011, 1226

Rechtfertigung einer mittel­ baren Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft durch Aufforderung an ­Kassiererin zur Teilnahme an einem Deutschkurs

E. E. E. E. E. E.

08.09.2011

2 AZR 543 / 10 NZA 2012, 443

Kündigung eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederheirat

B. III. 2. b) cc) (1) (b)

21.09.2011

7 AZR 134 / 10 NZA 2012, 271

Tarifvertragliche Altersgrenzen für Stationierungsstreitkräfte

E. III. 2. d) aa)

15.12.2011

2 AZR 42 / 10 NZA 2012, 1044

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

18.01.2012

7 AZR 112 / 08 NZA 2012, 575

Tarifliche Altersgrenze für ­Piloten

B. III. 2. a) ee) (2) (b) E. III. 1. c) dd) (1) (a) E. III. 2. d) bb) (4)

18.01.2012

7 AZR 211 / 09 NZA 2012, 691

Tarifliche Altersgrenze für ­Piloten

B. III. 2. a) ee) (2) (b) E. III. 1. c) dd) (1) (a) E. III. 2. d) bb) (4)

15.02.2012

7 AZR 946 / 07 NZA 2012, 866

Tarifliche Altersgrenze für ­Piloten

E. III. 2. d) bb) (4)

15.02.2012

7 AZR 904 / 08 Juris

Tarifliche Altersgrenze für Flugingenieure

E. III. 1. c) dd) (1) (a) E. III. 2. d) bb) (5)

14.03.2012

7 AZR 480 / 08 Juris

Tarifliche Altersgrenze für ­Piloten

E. III. 2. d) bb) (4)

20.03.2012

9 AZR 529 / 10 NZA 2012, 803

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

III. 1. d) III. 2. b) aa) (2) V. 2. a) cc) (2) (a) V. 2. d) V. 2. d) aa) VI. 4.

(Fortsetzung nächste Seite)

622 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

17.04.2012

3 AZR 481 / 10 NZA 2012, 929

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

23.08.2012

8 AZR 285 / 11 NZA 2013, 37

Grenzen der EntscheidungsE. III. 1. b) bb) freiheit des Arbeitgebers über das Anforderungsprofil für eine Stelle

24.01.2013

8 AZR 429 / 11 NZA 2013, 498

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

25.04.2013

2 AZR 579 / 12 NZA 2013, 1131

Kündigung eines Sozialpädagogen in einer Kinderbetreuungsstätte der Caritas wegen Kirchenaustritts

E. III. 2. c) aa) (1) (b)

14.05.2013

1 AZR 44 / 12 Juris

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

20.06.2013

2 AZR 295 / 12 Juris

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

28.05.2013

3 AZR 210 / 11 Juris

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (1) (a)

19.12.2013

6 AZR 190 / 12 Juris

AGG und Wartezeitkündigung; HIV-Infektion: ­Behinderung

B. III. 2. b) aa) (1) E. III. 2. e) bb)

24.09.2014

5 AZR 611 / 12 NZA 2014, 1407

Kopftuchverbot für Krankenschwester im evangelischen Krankenhaus

E. III. 2. c) aa) (1) (a) E. V. 2. a) cc) (1) (a)

30.09.2014

1 AZR 1083 / 12 Gleichbehandlung bei Aus­ NZA 2015, 121 gestaltung einer Dienstkleiderordnung – Cockpit-Mütze

E. III. 2. a) bb) (3) E. V. 2. a) cc) (1)

b) Landesarbeitsgerichte (LAGe) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

LAG Köln 19.07.1996

7 Sa 499 / 96 AR-Blattei ES 800 Nr. 128, 7

Weibliches Geschlecht als Voraussetzung für den Verkauf von Damenober- und Damenbadebekleidung

B. III. 2. b) bb) (1) E. III. 2. a) aa) (1) (c) E. V. 2. d) cc) (1) (d)

Entscheidungsregister623 Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

LAG ­Berlin 14.01.1998

8 Sa 118 / 97 NZA 1998, 312

Weibliches Geschlecht als Voraussetzung für Frauen­ referentin bei Partei

E. III. 2. a) aa) (2) (a) E. V. 2. b) bb) (3) (c)

LAG Hamm 19.01.2001

5 Sa 491 / 00 Juris

Kündigung einer Grundschul- E. III. 2. f) bb) (3) lehrerin wegen Mitbetreibens eines Swingerclubs

LAG Düsseldorf 01.02.2002

9 Sa 1451 / 01 NZA-RR 2002, 345

Männliches Geschlecht als Voraussetzung für sozial­ pädagogische Arbeiten im ­Jugendbereich

E. III. 2. a) bb) (1) (c)

LAG RheinlandPfalz 27.06.2008

6 Sa 81 / 08 Juris

Benachteiligung wegen ­Behinderung / Alter durch ­Fitnesstest für Tätigkeit bei Bewachungsunternehmen

E. III. 2. e) aa)

LAG Nieder­ sachsen 05.12.2008

16 Sa 236 / 08 Juris

Ausschreibung der Stelle ­einer Gleichstellungsbeauftragten nur für Frauen

B. III. 2. b) cc) (1) (d) E. V. 2. b) bb) (3) (c)

LAG Köln 18.08.2010

3 TaBV 15 / 10 Juris

Kleiderordnung – Benachteiligung männlicher Beschäftigter durch Vorschriften zur Haartracht

C. IV. 3. a) aa) (1)

LAG ­Bremen 29.06.2010

1 Sa 29 / 10 NZA-RR 2010, 510

Benachteiligung durch Kündigung einer Telefonsach­ bearbeiterin wg. ihres ­russischen Akzents

E. E. E. E.

LAG BerlinBrandenburg 14.01.2011

9 Sa 1771 / 10 Juris

Rechtfertigung von Alters­ diskriminierungen

E. III. 1. c) dd) (1) (b)

LAG ­Düsseldorf 10.11.2011

11 Sa 764 / 11 Juris

Rechtfertigung von Alters­ diskriminierungen

E. III. 1. c) dd) (1) (b)

LAG ­Düsseldorf 09.03.2011

12 TaBV 81 / 10 NZA-RR 2011, 474

Altersgrenze für Fluglotsen

E. III. 2. d) bb) (3)

LAG BadenWürttemberg 25.03.2011

18 Sa 77 / 10 NZA-RR 2011, 407

Rechtfertigung von Alters­ diskriminierungen

E. III. 1. c) dd) (1) (b)

III. 2. b) bb) (3) V. 2. a) cc) (2) (a) V. 2. a) cc) (2) (c) V. 2. d) cc) (2) (b)

(Fortsetzung nächste Seite)

624 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

LAG Hamm 20.04.2011

4 Sa 2230 / 10 NZA-RR 2011, 640

Kündigung eines Call-Center- E. III. 2. c) bb) Mitarbeiters wegen Weigerung, Gespräche mit „Jesus hat Sie lieb“ zu beenden

LAG ­Düsseldorf 04.05.2011

12 TaBV 27 / 11 Juris

Altersgrenze für Fluglotsen

LAG Nürn- 2 Sa 171 / 11 berg Juris 05.10.2011

Fundstelle im Buch

E. III. 2. d) bb) (3)

E. III. 2. b) aa) (3) Benachteiligung wegen der E. V. 2. a) cc) (2) (a) Ethnie durch Anforderung „sehr gute Deutschkenntnisse“ für Softwareentwickler

LAG BerlinBrandenburg 13.01.2012

6 Sa 2159 / 11 NZA-RR 2012, 183

Kündigung eines im Reinraumbereich eines pharmazeutischen Unternehmens ­tätigen Beschäftigten mit HIV-Infektion

E. III. 2. e) bb)

LAG Hamm 17.02.2012

18 Sa 867 / 11 Juris

Kopftuchverbot für Krankenschwester im evangelischen Krankenhaus

E. III. 2. c) aa) (1) (a) E. V. 2. a) cc) (1) (a)

LAG Niedersachsen 19.04.2012

4 SaGa 1732 / 11 Weibliches Geschlecht VorJuris aussetzung für Amtsvormund beim Jugendamt

B. III. 1. b) bb) B. III. 2. b) aa) (2) E. III. 2. a) aa) (1) (b) (bb)

LAG Köln 29.10.2012

5 Sa 549 / 11 Juris

E. III. 2. a) bb) (3) E. V. 2. a) cc) (1)

Geschlechtsbenachteiligung durch Cockpitmützenpflicht für männliche Piloten

c) Arbeitsgerichte (ArbGe) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

ArbG Hamm 06.09.1984

4 Ca 1076 / 82 ZIP 1984, 1525

Männliches Geschlecht als Voraussetzung für Sozial­ arbeiter für männliche Strafgefangene

E. III. 2. a) bb) (4)

ArbG Hamburg 07.03.1985

8 Ca 124 / 81 Juris

Männliches Geschlecht als Voraussetzung für TraineeStelle im internationalen Handel mit landwirtschaft­ lichen Rohstoffen

E. III. 2. a) bb) (5)

Entscheidungsregister625 Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

ArbG ­Passau 11.12.1997

2 Ca 711 / 97 D NZA 1998, 427

Kündigung wegen Veröffentlichung „softpornografischer“ Fotos von Umschülerin zur Kauffrau für Bürokommunikation

E. III. 2. f) bb) (1)

ArbG ­Berlin 07.07.1999

36 Ca 30545 / 98 Kündigung eines KrankenNZA-RR 2000, pflegers auf geschlossener 244 psychiatrischer Klinikstation wegen Bekenntnis zu sadomasochistischen Praktiken in Fernseh-Talkshow

E. III. 2. f) bb) (2)

ArbG München 14.02.2001

38 Ca 8663 / 00 NZA-RR 2001, 365

Weibliches Geschlecht als Voraussetzung für Geschäftsführerin eines Frauenverbandes

E. III. 2. a) aa) (2) (b) E. V. 2. b) bb) (3) (c) E. V. 2. b) bb) (4) (b) (aa)

ArbG Bonn 1 Ca 2980 / 00 08.03.2001 NZA-RR 2002, 100

Weibliches Geschlecht als Voraussetzung für Kunden­ betreuerin bei Finanzdienstleistungsunternehmen mit frauenspezifischem Betätigungsfeld

E. E. E. E.

ArbG Bonn 5 Ca 2781 / 00 31.03.2001 Juris

Weibliches Geschlecht als A. Voraussetzung für Pflegekraft E. III. 2. a) bb) (2) mit überwiegend weiblichen Betreuten

ArbG Hamburg 10.04.2001

20 Ca 188 / 00 Juris

ArbG Köln 17 Ca 516 / 07 21.06.2007 nicht veröffentlicht ArbG ­Berlin 26.09.2007

III. 2. a) aa) (2) (e) V. 2. b) bb) (3) (b) (aa) V. 2. b) bb) (4) (b) (aa) V. 2. d) cc) (1) (a)

Weibliches Geschlecht als A. Voraussetzung für Pflegekraft E. III. 2. a) aa) (1) (a) (bb) in Belegarztklinik E. III. 2. a) bb) (2) E. III. 2. a) bb) (5) E. V. 2. d) cc) (4) (b) Weibliches Geschlecht als Voraussetzung für Geschäftsführerin eines katholischen Frauenverbandes

E. III. 2. a) aa) (2) (c) E. V. 2. b) bb) (3) (c)

14 Ca 10356 / 07 Benachteiligung eines B. III. 2. b) bb) (1) Juris ­Stellenbewerbers für Gärtner- E. III. 2. b) aa) tätigkeiten wegen mangelnder E. V. 2. a) cc) (2) (a) Deutschkenntnisse

ArbG Köln 19 Ca 7222 / 07 06.03.2008 Juris

Kopftuchverbot für Krankenschwester in Krankenhaus der Caritas

E. III. 2. c) aa) (1) (b) E. V. 2. a) cc) (1) (a) (Fortsetzung nächste Seite)

626 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

ArbG Köln 9 Ca 7687 / 07 06.08.2008 Juris

ArbG ­Berlin 11.02.2009

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

Weibliches Geschlecht /  Migrationshintergrund als ­Voraussetzung für Sozial­ arbeiterin im Projekt „Recht auf Selbstbestimmung – ­gegen Zwangsverheiratung“

B. III. 1. b) bb) D. V. 2. a) dd) (1) E. III. 2. a) aa) (3) (a) E. III. 2. a) bb) (5) E. V. 2. b) bb) (3) E. V. 2. b) bb) (3) (c) E. V. 2. b) bb) (4) (b) (bb)

55 Ca 16952 / 08 Benachteiligung wegen der NZA-RR 2010, Ethnie durch Anforderung 16 „deutscher Muttersprachler“ für Tätigkeit am Infopoint / Visitor Service bei Kunstverein

ArbG Köln 8 Ca 9872 / 09 12.01.2010 Juris

E. III. 2. b) bb) (1)

E. III. 2. a) aa) (2) (d) Weibliches Geschlecht als Voraussetzung für Geschäfts- E. V. 2. b) bb) (3) (c) führerin bei Verein zur Betreuung von durch männliche Gewalt traumatisierten ­Mädchen / Frauen

ArbG Hamburg 26.01.2010

25 Ca 282 / 09 Juris

Benachteiligung wegen der Ethnie durch Anforderung „deutliche Aussprache“ für Postzusteller

B. III. 2. b) bb) (1) E. III. 2. b) bb) (2) E. V. 2. a) cc) (2) (a)

ArbG ­Berlin 27.01.2010

55 Ca 9120 / 09 Juris

Benachteiligung wegen ­heterosexueller Beziehung zu Arbeitskollegen

E. III. 2. f) aa) (2)

ArbG Stuttgart 28.04.2010

14 Ca 1585 / 09 Juris

Ablehnung einer homosexuel- E. III. 2. f) aa) (1) len Erzieherin in einem ­katholischen Kindergarten

ArbG Köln 12 Ca 8659 / 10 05.04.2011 Juris

Geschlechtsbenachteiligung durch Cockpitmützenpflicht für männliche Piloten

E. III. 2. a) bb) (3) E. V. 2. a) cc) (1) B. III. 1. b) bb) B. III. 2. b) aa) (2) E. III. 2. a) aa) (1) (b) (bb)

ArbG ­Göttingen 23.11.2011

4 Ga 3 / 11 Ö Juris

Weibliches Geschlecht als Voraussetzung für Amtsvormund beim Jugendamt

ArbG ­Berlin 28.03.2012

55 Ca 2426 / 12 Juris

Kopftuchverbot für Zahnarzt- E. III. 2. c) aa) (3) (b) E. V. 2. a) cc) (1) (a) helferin

ArbG ­Aachen 13.12.2012

2 Ca 4226 / 11 Juris

Ablehnung eines konfessions- E. III. 2. c) aa) (1) (b) losen Krankenpflegers von Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft

Entscheidungsregister627 Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

ArbG Darmstadt 12.06.2014

6 Ca 22 / 13 Juris

Nicht-Einstellung einer übergewichtigen Bewerberin

D. IV. E. III. 2. e) dd)

3. Ordentliche Gerichtsbarkeit a) Bundesgerichtshof (BGH) Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

22.03.2010

NotZ 16 / 09 NJW 2010, 3783

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (3)

23.04.2012

II ZR 163 / 10 NJW 2012, 2346

Anwendung des AGG auf den Geschäftsführer einer GmbH; Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

B. III. 2. b) aa) (2) E. III. 1. c) dd) (3)

b) Oberlandesgerichte (OLGe) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

OLG Köln 29.07.2010

18 U 196 / 09 NZA 2011, 211

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. III. 1. c) dd) (3)

c) Landgerichte (LGe) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

LG Frankfurt am Main 07.03.2001

3-13 O 78 / 00 NZA-RR 2001, 298

Kündigung eines Geschäftsführer-Dienstvertrags wegen ethnischer Herkunft

B. III. 2. a) ee) (1)

LG Berlin 04.07.2012

22 O 157 / 12 Juris

Altersgrenze für die Erteilung B. III. 2. b) aa) (2) eines Berufsfahrausweises für E. III. 2. d) bb) (7) Trabrennfahrer

628 Entscheidungsregister 4. Verwaltungsgerichtsbarkeit a) Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

25.10.1979

1 WB 113 / 78 NJW 1980, 1178

Keine homosexuellen Soldaten als Truppenausbilder

E. III. 2. f) aa) (3)

08.11.1990

1 WB 61 / 90 NJW 1991, 1127

Keine homosexuellen Soldaten als Truppenausbilder

E. III. 2. f) aa) (3)

18.11.1997

1 WB 48 / 97 NVwZ-RR 1998, 244

Keine homosexuellen Soldaten als Truppenausbilder

E. III. 2. f) aa) (3)

24.06.2004

2 C 45 / 03 NJW 2004, 3581

Kopftuchverbot für Lehrer

E. III. 2. c) aa) (2) (a) (aa) E. VI. 3.

26.06.2008

2 C 22 / 07 NJW 2008, 3654

Kopftuchverbot für Referendare im Schuldienst

E. III. 2. c) aa) (2) (a) (bb) E. VI. 3. c) bb)

16.12.2008

2 B 46 / 08 NJW 2009, 1289

Kopfbedeckungsverbot für Lehrer

E. III. 2. c) aa) (2) (a) (aa) E. V. 2. a) cc) (1) (a)

19.02.2009

2 C 18 / 07 NVwZ 2009, 840

Rechtfertigung einer Altersbenachteiligung

E. E. E. E.

26.01.2011

8 C 46 / 09 NVwZ 2011, 569

Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung

E. III. 1. c. cc) E. III. 1. c) dd) (2) (a) E. V. 2. d) aa)

01.02.2012

8 C 24 / 11 NJW 2012, 1018

Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung; Altersgrenze für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige

E. III. 1. c) dd) (2) (a) E. III. 2. d) bb) (6)

23.02.2012

2 C 76 / 10 NVwZ 2012, 880

Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung

E. III. 1. c) cc) E. III. 1. c) dd) (2) (a)

26.03.2012

2 B 26 / 11 Juris

Rechtfertigung einer Altersdiskriminierung

E. III. 1. c) dd) (2) (a)

13.12.2012

3 C 26 / 11 NJW 2013, 1320

Versagung der Zulassung als Heilpraktikerin wegen Blindheit

E. III. 2. e) cc)

III. III. III. III.

1. 1. 1. 1.

c) c) c) c)

bb) cc) dd) (2) (a) dd) (2) (a)

Entscheidungsregister629 Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

21.01.2015

10 CN 1 / 14 Juris

Altersgrenze für Prüfsachver- E. III. 1. c) dd) (2) (a) ständige für technische Anla- E. III. 2. d) bb) (6) gen und Einrichtungen in Gebäuden

b) Oberverwaltungsgerichte (OVGe) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

OVG ­Bremen 14.09.2010

1 A 265 / 09 Juris

Altersgrenze für flugmedizinische Sachverständige

E. E. E. E.

III. 1. c) dd) (2) (b) III. 2. d) aa) (2) III. 2. d) bb) (4) III. 2. d) bb) (6)

OVG OVG 4 B 53.09 Rechtfertigung von Alters­ BerlinJuris benachteiligungen Brandenburg 04.05.2011

E. III. 1. c) dd) (2) (b)

OVG OVG 4 B 20.10 Altershöchstgrenze für BerlinJuris ­ insatzbeamte des SEK E Brandenburg 18.08.2011

E. III. 1. c) dd) (2) (b) E. III. 2. d) aa) (4) E. V. 2. c)

OVG ­Bremen 14.12.2011

2 A 326 / 10 Juris

Rechtfertigung von Alters­ benachteiligungen

E. III. 1. c) dd) (2) (b)

OVG ­Lüneburg 10.01.2012

5 LB 9 / 10 Juris

Rechtfertigung von Alters­ benachteiligungen

E. III. 1. c) dd) (2) (b)

OVG ­Bremen 15.07.2013

2 B 101 / 13 Juris

Rechtfertigung von Alters­ benachteiligungen

E. III. 1. c) dd) (2) (b)

c) Verwaltungsgerichte (VGe) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

VG Düsseldorf 14.08.2007

2 K 1752 / 07 Juris

Kopftuchverbot für Lehrer

E. E. E. E.

III. 2. c) aa) (2) (a) (aa) V. 2. a) cc) (1) V. 2. a) cc) (1) (a) V. 2. a) cc) (1) (c) (Fortsetzung nächste Seite)

630 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

VG Düsseldorf 02.10.2007

2 K 2070 / 07 Juris

E. III. 2. a) aa) (4) Rechtfertigung einer mittel­ baren Benachteiligung wegen E. III. 2. b) aa) Geschlecht / Ethnie durch ­Anforderungen an Körpergröße / englische Sprachkenntnisse für Polizeivollzugsbeamte

VG Berlin 31.05.2011

14 K 31.10 Juris

Versagung der Zulassung als Heilpraktikerin wegen Blindheit

E. III. 2. e) cc)

VG ­München 26.07.2011

M 16 K 11.1633 Juris

Altersgrenze für Prüf­ ingenieure

E. III. 2. d) aa) (3)

Tätowierung als Eignungsmangel

C. IV. 3. a) bb) (2) E. III. 2. a) aa) (4)

19 L 993 / 12 Juris

Tätowierung als Eignungsmangel

C. IV. 3. a) bb) (2) E. III. 2. a) aa) (4)

VG Aachen 1 K 1518 / 12 29.11.2012 Juris

Tätowierung als Eignungsmangel

C. IV. 3. a) bb) (2) E. III. 2. a) aa) (4)

VG Aachen 1 L 277 / 12 31.07.2012 Juris VG Köln 23.08.2012

Fundstelle im Buch

VG Berlin 07.12.2012

5 L 419.12 Juris

Aktives und passives Wahlrecht zu einer Frauenvertretung für einen Mann

E. III. 2. a) aa) (2)

VG ­Darmstadt 27.05.2014

1 L 528 / 14.DA Juris

Tätowierung als Eignungsmangel

C. IV. 3. a) bb) (2) E. III. 2. a) aa) (4)

VG ­Neustadt (Wein­ straße) 08.01.2015

4 K 561 / 14.NW Vereinbarkeit der Altersgren- E. III. 2. d) aa) Juris ze von 67 Jahren bei Schornsteinfegern mit höherrangigem Recht

VG ­SchleswigHolstein 26.03.2015

12 A 120 / 14 Juris

Rechtfertigung einer mittel­ E. III. 2. a) aa) (4) baren Benachteiligung wegen des Geschlechts durch Körperlängenerfordernis bei der Bundespolizei

Entscheidungsregister631 5. Sozialgerichtsbarkeit Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

Bundes­ B 6 KA 44 / 07 R Altersgrenze für Vertragsärzte E. III. 2. d) aa) (1) sozial­gericht Juris (BSG) 09.04.2008

II. Europäische Gerichte 1. Europäischer Gerichtshof (EuGH) Datum

Aktenzeichen /  Name Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

08.04.1976

C-43 / 75 NJW 1976, 2068

Defrenne II

Grundsatz der Lohngleichheit männlicher und weiblicher Arbeitnehmer

D. II. 1.

28.03.1979

C-222 / 78 Slg. 1979, 1163

ICAP

Auslegung / Anwendung von Gemeinschaftsrecht

D. V. 2.

31.03.1981

C-96 / 80 Slg. 1981, I-00911

Jenkins

Anwendung von Gemeinschaftsrecht; Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. D. D. D.

08.11.1983

C-165 / 82 NJW 1985, 539

Kommission/  Ausschluss von Vereinigtes Männern vom Königreich Hebammenberuf

09.11.1983

C-322 / 81 Slg. 1984, 3461

Michelin Abgrenzung des E. V. 2. b) bb) (4) (a) (aa) Niederlande relevanten Marktes

13.05.1986

C-170 / 84 NZA 1986, 599

Bilka

Sachliche Rechtfertigung der mittelbaren Diskriminierung

V. V. V. V.

2. 2. b) 2. b) aa) (2) 2. c) aa) (3) (b)

D. III. 2. c) D. IV. 1. a) E. II. 2. d) aa) (3)

D. D. D. D. D.

V. V. V. V. V.

2. 2. 2. 2. 2.

b) b) aa) (2) b) bb) (2) c) aa) (3) (b)

(Fortsetzung nächste Seite)

632 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) Datum

Aktenzeichen /  Name Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

15.05.1986

C-222 / 84 Slg. 1986, 01651

Johnston

Ausschluss von Frauen von bestimmten hilfs­ polizeilichen ­Tätigkeiten

D. IV. 1. b) aa) D. IV. 2. c) D. V. 2. a) aa) D. V. 2. a) dd) (1) D. V. 2. a) dd) (4) D. V. 2. a) ee) (1), (2) E. II. 2. d) aa) (3)

08.10.1987

C-80 / 86 Juris

Kolpinghuis Grenzen richt­ Nijmegen linienkonformer Auslegung

30.06.1988

C-318 / 86 Slg. 1988, 03559

Kommis­ sion / Frankreich

D. IV. 1. c) Geschlechtsspe­ zifische Besetzung D. V. 2. a) dd) (1) E. II. 2. d) aa) (3) von (Chef-) Aufseherposten in Gefängnissen

13.07.1989

C-171 / 88 Slg. 1989, I-02743

RinnerKühn

Anwendung von Gemeinschaftsrecht; Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. V. 2. D. V. 2. b) D. V. 2. b) aa) (2)

08.11.1990

C-177 / 88 NZA 1991, 171

Dekker

Benachteiligung wegen der Schwangerschaft als unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts

D. V. 2. a) bb) (2)

06.02.1996

C-457 / 93 NZA 1996, 319

Lewark

Auslegung /  Anwendung von Gemeinschaftsrecht; Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. V. 2. b) D. V. 2. b) aa) (2)

07.03.1996

C-278 / 93 Slg. 1996, I-01165

Freers /  Speckmann

Auslegung /  Anwendung von Gemeinschaftsrecht; Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. V. 2. b) D. V. 2. b) aa) (2) D. V. 2. c) aa) (3) (b)

02.10.1997

C-1 / 95 Slg. 1997, I-05253

Gerster

Anwendung von D. V. 2. Gemeinschaftsrecht D. V. 2. b)

D.

Entscheidungsregister633 Datum

Aktenzeichen /  Name Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

02.10.1997

C-100 / 95 Slg. 1997, I-05289

Kording

Anwendung von D. V. 2. Gemeinschaftsrecht D. V. 2. b)

17.06.1998

C-243 / 95 Slg. 1998, I-03739

Hill /  Stapleton

Auslegung /  Anwendung von Gemeinschaftsrecht; Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. V. 2. b) D. V. 2. b) aa) (2)

09.02.1999

C-167 / 97 Slg. 1999, I-00623

SeymourAuslegung /  Smith / Perez Anwendung von Gemeinschaftsrecht; Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. V. 2. b) D. V. 2. b) aa) (2)

26.10.1999

C-273 / 97 Slg. 1999, I-07403

Sirdar

Weigerung, eine Frau als Köchin bei den Royal ­Marines einzu­ stellen

D. IV. 1. b) bb) D. IV. 2. c) D. V. 2. a) aa) D. V. 2. a) dd) (4) E. II. 2. d) aa) (3)

11.01.2000

C-285 / 98 Slg. 2000, I-00069

Kreil

D. IV.1. Ausschluss von Frauen vom Dienst D. V. 2. D. V. 2. an der Waffe D. V. 2. E. II. 1. E. II. 2.

06.04.2000

C-226 / 98 Slg. 2000, I-02447

Jørgensen

Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. V. 2. b) aa) (2) D. V. 2. c) aa) (3) (b)

26.09.2000

C-322 / 98 NZA 2000, 1155

Kachelmann Rechtfertigung mittelbarer ­Diskriminierungen

D. V. 2. b) aa) (2) D. V. 2. c) aa) (3) (b)

20.03.2003

C-187 / 00 NZA 2003, 506

Kutz-Bauer

Auslegung /  Anwendung von Gemeinschaftsrecht; Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. V. 2. b) D. V. 2. b) aa) (2)

23.10.2003

C-4 / 02 Slg. 2003, I-12575

Schönheit / Becker

Auslegung /  Anwendung von Gemeinschaftsrecht; Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. V. 2. b) D. V. 2. b) aa) (2)

b) cc) a) aa) a) dd) (1) a) ee) (1) e) d) aa) (3)

(Fortsetzung nächste Seite)

634 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) Datum

Aktenzeichen /  Name Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

05.10.2004

C-397 / 01 bis C-403 / 01 NZA 2004, 1145

Pfeiffer

Grundsätze zur richtlinienkonformen Auslegung

B. III. 2. b) aa) (1)

10.03.2005

C-196 / 02 NZA 2005, 807

Nikoloudi

Auslegung /  Anwendung von Gemeinschaftsrecht; Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen

D. V. 2. b) D. V. 2. b) aa) (2)

16.06.2005

C-105 / 03 EuZW 2005, 433

Pupino

Grenzen richt­ D. linienkonformer Auslegung (in ­entsprechender Anwendung auf Rahmenbeschlüsse)

04.07.2006

C-212 / 04 NZA 2006, 909

Adeneler

Grenzen richt­ linienkonformer Auslegung

D.

15.04.2008

C-268 / 06 NZA 2008, 581

Impact

Grenzen richt­ linienkonformer Auslegung

D.

10.07.2008

C-54 / 07 NZA 2008, 929

Feryn

Ablehnung der Einstellung marokkanischer Monteure

B. III. 1. b) aa) D. IV. 3. E. III. 2. b) bb) (3) E. V. 2. b) aa) E. V. 2. b) bb) (3) (b) (bb) E. V. 2. d) cc (1) (b)

05.03.2009

C-388 / 07 NZA 2009, 305

Age Concern

Rechtfertigung ­einer Alters­ diskriminierung

D. V. 2. c) aa) D. V. 2. c) aa) (1) D. V. 2. c) cc) D. V. 2. d) E. III. 1. c) dd) (1) (a) E. III. 1. c) dd) (3)

18.06.2009

C-88 / 08 NZA 2009, 891

Hütter

Rechtfertigung einer Alters­ diskriminierung

D. V. 2. c) aa) D. V. 2. c) aa) (1)

12.01.2010

C-341 / 08 EuZW 2010, 137

Petersen

Höchstaltersgrenzen für die Ausübung des Berufs des Vertragszahnarztes

D. IV. 2. a) E. III. 2. d) aa) (1) E. V. 2. d) aa)

Entscheidungsregister635 Datum

Aktenzeichen /  Name Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

12.01.2010

C-229 / 08 EuZW 2010, 142

Wolf

Höchstaltersgrenze für Einstellung in feuerwehrtechnischen Dienst

D. D. D. D. D.

21.07.2011

C-159 / 10, C-160 / 10 AP Nr. 21 zu Richtlinie 2000 / 78 / EG

Fuchs /  Köhler

Rechtfertigung ­einer Alters­ diskriminierung

D. V. 2. c) aa) D. V. 2. c) aa) (1)

13.09.2011

C-447 / 09 NZA 2011, 1039

Prigge

Tarifvertragliche Altersgrenze für Piloten

D. IV. 2. c) D. V. 1. d) D. V. 2. a) bb) (1) D. V. 2. a) dd) (1) D. V. 2. a) dd) (4) D. V. 2. a) ee) (1) D. V. 2. c) aa) D. V. 2. c) aa) (1) E. III. 2. d) bb) (4)

25.04.2013

C-81 / 12 Juris

Asociatia ACCEPT

Ablehnung ­homosexueller Profi­fußballer

D. IV. 4. D. V. 2.

18.12.2014

FOA C-354 / 13 NZA 2015, 33

Adipositas als ­Behinderung

D. IV. E. III. 2. e) dd)

IV. 2. b) V. 2. a) bb) (1) V. 2. a) dd) (1) V. 2. a) ee) (1) V. 2. b) bb) (1)

2. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Gericht /  Datum

Aktenzeichen /  Fundstelle

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

15.01.2013

48420 / 10, 59842 / 10, 51671 / 10 und 36516 / 10, 48420 / 10, 59842 / 10, 51671 / 10, 36516 / 10 Juris

Recht christlicher Angestellter, bei der Arbeit ein Kruzifix zu tragen

E. III. 2. c)

636 Entscheidungsregister III. US-amerikanische Gerichte 1. United States Supreme Court Datum

Fundstelle

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

07.12.1976

429 U.S. 125

General ­Electric Co. v. Gilbert („Gilbert“)

Berücksichtigung der EEOC-Richt­ linien

C. III. 2. b)

31.05.1977

431 U.S. 324

International Brotherhood of Teamsters v. United ­States

Unterscheidung ­zwischen „disparate treatment“ und ­„disparate impact“

C. II. 1. a)

27.06.1977

433 U.S. 321

Dothard v. Rawlinson („Dothard“)

BFOQ; geschlechtsspezifische Besetzung der Gefängniswärterposition in Hochsicherheitsgefängnissen für Männer und Frauen

C. III. 2. b) C. III. 3. C. III. 3. b) aa) C. III. 3. c) cc) (1) (b) C. III. 3. d) cc) D. IV. 1. c) D. IV. 1. d) E. II. 1. b)

22.02.1978

434 U.S. 575

Lorillard, Div. of Loew’s Theatres, Inc. v. Pons

Verhältnis Title VII / ADEA

C. II. 2.

15.06.1982

457 U.S. 176

Sumitomo Shoji America, Inc. v. Avagliano („Avagliano“)

Männlich / Japanisch als BFOQ für Managementpositionen in der in den USA ansässigen Tochtergesellschaft einer Japanischen Gesellschaft

C. III. 3. c) dd) (4)

17.06.1985

472 U.S. 400

Western Airlines, Inc. v. Criswell

Altersgrenze von 60 Jahren für Flugingenieure

C. III. 3. c) cc)

19.06.1986

477 U.S. 57

Meritor Sav. Bank v. Vinson

Gesetzgebungs­ geschichte der Geschlechter-BFOQ

C. III. 1. C. III. 1. c)

20.03.1991

499 U.S. 187

International Union, UAW v. Johnson Controls, Inc. (Johnson Controls)

BFOQ; Ausschluss fruchtbarer Frauen von Tätigkeiten in Kontakt mit Blei

C. C. C. C. C. C.

III. 3. III. 3. b) bb) III. 3. c) III. 3. c) bb) III. 3. c) cc) III. 3. c) cc) (2)

Entscheidungsregister637 Datum

Fundstelle

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

02.12.2003

540 U.S. 44

Raytheon Co. v. Hernandez

Unterscheidung ­zwischen „disparate treatment“ und „disparate impact“

C. II. 1. a)

30.03.2005

544 U.S. 228

Smith v. City of Jackson

ADEA, mittelbare Benachteiligung, RFOA

C. II. 2. a) und b)

19.06.2008

554 U.S. 84

ADEA, RFOA, Mecham v. Knolls Atomic ­Beweislast Power Laboratory

01.06.2015

575 U.S. (2015)

EEOC v. Abercrombie & Fitch Stores, Inc.

C. II. 2. b)

Ablehnung einer C. IV. 3. a) Verkäuferin wegen Tragens eines Kopftuchs

2. United States Courts of Appeals U.S. Court Fundstelle of Appeals for the … /  Datum

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

Fifth ­Circuit 04.03.1969

408 F.2d 228

Weeks v. ­Southern Bell Telephone & Telegraph Co. („Weeks“)

„All or substantially C. III. 3. a) aa) all“-Test; Ablehnung einer Frau als Weichenstellerin

Fifth ­Circuit 06.04.1971

442 F.2d 385

Diaz v. Pan American World Airways, Inc. („Diaz“)

„Essence of the business“-Test; weibliches Geschlecht als BFOQ für Flugbegleiter

C. III. 2. b) C. III. 3. a) bb) C. III. 3. c) aa) (2) C. III. 3. c) dd) (3) C. III. 4. b) aa) (1) C. IV. 3. a) aa) (1) E. V. 2. b) bb) (2)

Seventh Circuit 23.04.1974

499 F.2d 859

Hodgson v. Greyhound ­Lines, Inc.

Höchsteinstellungsalter von 35 Jahren für Busfahrer

C. III. 3. c) cc) E. V. 2. c)

Fourth ­Circuit 28.07.1977

558 F.2d 1176 Condit v. Unit­ed Air ­Lines, Inc.

Ausschluss schwangerer Flugbegleiterinnen von Tätig­ keiten an Bord

C. III. 3. c) cc) (1) (a) C. IV. 3. a) aa) (1)

(Fortsetzung nächste Seite)

638 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) U.S. Court Fundstelle of Appeals for the … /  Datum

Name

Stichwort / Thema

Fifth ­Circuit 17.04.1980

615 F.2d 650

Miller v. Texas State Board of Barber Examiners („Miller“)

Schwarze Hautfarbe C. III. 3. d) aa) („Rasse“) als BFOQ / Business necessity für Kontrolleure von Friseur­ läden von Inhabern schwarzer Hautfarbe

Second Circuit 08.05.1980

621 F.2d 1210 Forts v. Ward

Privatsphäreverletzung weiblicher Häftlinge durch ­Einsatz männlicher Wärter

C. III. 3. a) cc)

Fifth ­Circuit 22.05.1980

618 F.2d 264

Garcia v. Gloor („Garcia“)

Diskriminierung ­wegen der nationalen Herkunft durch English-Only Rule in Holzfachhandel

C. IV. 3. b) aa)

Fourth ­Circuit 29.08.1980

633 F.2d 361

Burwell v. Eastern Air Lines, Inc.

Ausschluss schwan- C. III. 3. c) cc) (1) (a) gerer FlugbegleiteC. IV. 3. a) aa) (1) rinnen von Tätigkeiten an Bord

Ninth ­Circuit 23.12.1980

649 F.2d 670

Harriss v. Pan Ausschluss schwan- C. III. 3. c) cc) (1) (a) American gerer FlugbegleiteC. IV. 3. a) aa) (1) World Airways rinnen von Tätigkeiten an Bord

Ninth ­Circuit 17.08.1981

653 F.2d 1273 Fernandez v. Wynn Oil Co. („Fernandez“)

C. III. 3. c) dd) (2) Männliches GeC. III. 4. b) dd) (1) schlecht als BFOQ für Tätigkeit, die Verhandlungen mit Lateinamerikanischen Geschäftspartnern erforderte

Seventh Circuit 03.02.1982

669 F.2d 1179 Rucker v. ­Higher Edu­ cational Aids Board ­(„Rucker“)

Schwarze Hautfarbe C. III. 3. d) bb) („Rasse“) als BFOQ für Beratung benachteiligter Jugendlicher schwarzer Hautfarbe

Ninth ­Circuit 15.11.1982

692 F.2d 602

Gewichtsbeschränkungen für Flugbegleiterinnen

Gerdom v. Continental Airlines, Inc.

Fundstelle im Buch

C. IV. 3. a) C. IV. 3. a) aa) (1)

Entscheidungsregister639 U.S. Court Fundstelle of Appeals for the … /  Datum

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

„Less discriminatory C. III. 3. a) cc) alternatives“-Test; Ausschluss von Frauen von Tätigkeiten im Männergefängnis

Eleventh Circuit 22.11.1982

691 F.2d 1364 Hardin v. Stynchcomb („Hardin“)

Fifth ­Circuit 30.04.1984

730 F.2d 994, 997

Eighth ­Circuit 28.06.1985

766 F.2d 1205 Craft v. Metromedia, Inc.

Entlassung einer von C. IV. 3. a) Zuschauern als zu alt, zu unattraktiv und von Männern nicht ausreichend ­respektiert bewerteten TV-Nachrichten­ sprecherin

Ninth ­Circuit 02.04.1987

813 F.2d 1406 Jurado v. Eleven-Fifty ­Corporation („Jurado“)

Diskriminierung we- C. IV. 3. b) bb) C. IV. 4. b) bb) gen der nationalen Herkunft durch English-Only Rule für Radiomoderator

Seventh Circuit 29.01.1988

859 F.2d 1523 Torres v. Wisconsin Department of Health & ­Social Services („Torres“)

Weibliches Geschlecht als BFOQ für Justizvollzugsbeamte in Hochsicherheitsgefängnis für Frauen

Eighth ­Circuit 21.10.1993

7 F.3d 795

Bradley v. Pizzaco of ­Nebraska, Inc. („Bradley“)

Diskriminierung we- C. IV. 3. a) aa) (3) gen der Rasse durch C. IV. 3. b) cc) Bartverbot in Klei- C. IV. 4. b) bb) derordnung für ­Pizzalieferanten

Third ­Circuit 19.03.1996

78 F.3d 128

Healey v. South­wood Psychiatric Hospital („Healey“)

Geschlecht als BFOQ für Personal in der (Kinder-) Psychiatrie

C. III. 3. c) bb) (1) (b) (cc) C. III. 4. b) cc) (3)

Eleventh Circuit 04.08.2000

220 F.3d 1263 EEOC v. Joe’s Stone Crab, Inc. („Joe’s Stone Crab“)

Männliches Geschlecht als BFOQ in Fischrestaurant mit „Alte Welt ­Ambiente“

B. II. 4. d) bb) C. III. 3. c) aa) (2) (b)

Levin v. Delta Ausschluss schwan- C. III. 3. c) cc) (1) (a) C. IV. 3. a) aa) (1) Air Lines, Inc. gerer Flugbegleiterinnen von Tätigkei(„Levin“) ten an Bord

C. III. 3. c) bb) (1) (c) D. IV. 1. c) D. IV. 1. d) E. II. 1. b) E. IV. 1. a)

(Fortsetzung nächste Seite)

640 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) U.S. Court Fundstelle of Appeals for the … /  Datum

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

First ­Circuit 1.12.2004

390 F.3d 126

Cloutier v. Costco Wholesale Corporation („Cloutier“)

Diskriminierung ­wegen der Religion durch Gesichtsschmuckverbot in Kleiderordnung für Kassierer

C. IV. 3. a) bb) (2)

Seventh Circuit 20.07.2010

612 F.3d 908

Chaney v. Plainfield Healthcare Center ­(„Chaney“)

Präferenz der B. III. 2. b) bb) (2) C. III. 3. d) dd) ­Patientin eines D. IV. 3. c) aa) ­Pflegeheims für weiße Pflegehelferin

3. United States District Courts U.S. District Court for the … /  Datum

Fundstelle

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

Central District of California 23.12.1970

320 F. Supp. 1262

Utility ­Workers v. Southern California Edison

Obiter Dictum: Chi- C. III. 3. c) aa) (1) nesische Herkunft C. III. 3. c) aa) (2) (b) als BFOQ für Kellner in chinesischem Restaurant

Eastern District of Virginia, Richmond Division 15.07.1976

420 F. Supp. 35

Woods v. ­Safeway Stores, Inc. („Woods“)

Diskriminierung we- C. IV. 3. a) aa) (2) gen der Rasse durch Bartverbot in Kleiderordnung für Mitarbeiter eines Lebensmittelgeschäfts

District of Delaware 29.03.1978

447 F. Supp. 1346

Fesel v. Maso- Weibliches Genic Home of schlecht als BFOQ Delaware, Inc. für Altenpfleger („Fesel“)

Northern District of Iowa, Cedar Rapids Division 05.01.1979

462 F. Supp. 952

Gunther v. ­Iowa State Men’s Reformatory

C. III. 3. c) bb) (1) (b) (bb) und (cc)

Männliches GeC. III. 3. c) bb) (2) (a) schlecht als BFOQ für Gefängniswärter in Männerhaftanstalten

Entscheidungsregister641 U.S. District Court for the … /  Datum

Fundstelle

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

Eastern District of Arkansas, Western Division 15.04.1981

510 F. Supp. 1191

Backus v. Baptist Medical Center („Backus“)

Weibliches Geschlecht als BFOQ für Krankenschwestern auf der Geburtsstation

C. III. 3. c) bb) (1) (b) (aa) und (bb) D. IV. 1. d) E. IV. 1. a)

Northern District of Texas 12.06.1981

517 F. Supp. 292

Wilson v. South­west ­Airlines Co („Southwest“)

Weibliches Geschlecht als BFOQ für Flugbegleiter, „love airline“

C. III. 3. c) aa) (1) C. III. 3. c) aa) (2) (a) C. III. 4. b) aa) (3) C. IV. 3. a) aa) (1) E. III. 2. a) aa) (2) (e) E. V. 2. b) bb) (2) E. VI. 1.

Southern District of New York 01.12.1981

527 F. Supp. 229

Rogers v. American ­Airlines ­(„Rogers“)

C. IV. 3. a) aa) (1) Diskriminierung C. IV. 4. a) aa) durch Verbot des „Cornrow Styles“ in C. IV. 4. a) cc) (2) Kleiderordnung für Airport Operations Agent bei Fluglinie

Northern 530 F. Supp. District of 86 Georgia, Atlanta Division 30.12.1981

EEOC v. Sambo’s of Georgia, Inc. („Sambo’s“)

Diskriminierung we- C. IV. 3. a) bb) (1) gen der Religion durch Bartverbot in Kleiderordnung für Restaurantmanager

Western District of Oklahoma 02.02.1982

EEOC v. Mercy Health Center („Mercy Health“)

Weibliches Geschlecht als BFOQ für Krankenschwestern auf der Geburtsstation

C. III. 3. c) bb) (1) (b) (aa) D. IV. 1. d)

Southern 537 F. Supp. District of 1122 West Virginia 29.04.1982

Brooks v. ACF Männliches GeIndustries, Inc. schlecht als BFOQ („Brooks“) für Reinigungskraft in Männerwaschund Umkleideräumen

C. III. 3. c) bb) (1) (a)

Eastern District of Michigan, Southern Division 12.11.1982

Griffin v. Mi- Männliches Gechigan Depart- schlecht als BFOQ ment of Corin Männerhaftanstalt rections („Griffin“)

C. III. 3. c) bb) (2) (a) C. III. 4. b) cc) (1) D. IV. 1. c) D. IV. 1. d) E. II. 1. b)

29 FEP Cases (BNA) 159

654 F. Supp. 690, 699

(Fortsetzung nächste Seite)

642 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) U.S. District Court for the … /  Datum

Fundstelle

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

Northern District of Texas 19.10.1983

577 F. Supp. 1196

Kern v. ­Dynalectron Corporation („Kern“)

Islamische Religion als BFOQ für in Saudi-Arabien eingesetzte Helikopterpiloten

C. III. 3. c) cc) (2) C. III. 3. c) dd) (1) E. IV. 1. c) E. V. 2. d) cc) (4) (c)

Northern District of Illinois, Eastern ­Division 06.06.1984

590 F. Supp. 1410

Norwood v. Dale Maintenance System, Inc. ­(„Norwood“)

Männliches Geschlecht als BFOQ für Reinigungskraft in Männertoiletten

C. III. 3. c) bb) (1) (a)

Southern District of New York 08.05.1987

659 F. Supp. 1450

Bollenbach v. Männliches GeBoard of schlecht als BFOQ ­Education für Schulbusfahrer („Bollenbach“)

C. III. 3. c) aa) (2) (b)

Southern 666 F. Supp. District of 933 Mississippi, Jackson Division 12.05.1987

Jones v. Hinds Männliches GeGeneral Hos- schlecht als BFOQ pital („Jones“) für Krankenpfleger

C. III. 3. c) bb) (1) (b) (cc)

Western District of Pennsyl­ vania 04.10.1989

723 F. Supp. 1104

Levendos v. Stern Entertainment, Inc.

B. II. 4. d) bb) Männliches Geschlecht als BFOQ C. III. 3. c) aa) (2) (b) für Kellner in hochpreisigen Restaurants

Northern District of Illinois, Eastern ­Division 31.01.1991

755 F. Supp. 808

C. III. 3. c) bb) (2) EEOC v. Sedi- Weibliches Ge(b) (aa) ta („Sedita“) schlecht als BFOQ für Tätigkeiten in einem Frauenfitnesscenter

Eastern District of Arkansas, Pine Bluff Division 24.03.1994

868 F. Supp. 1104

Ray v. Univer- Schwarze Hautfarbe C. III. 3. d) cc) sity of Arkan- („Rasse“) als BFOQ D. IV. 1. d) sas („Ray“) für Universitätspolizisten mit einer Studentenschaft überwiegend schwarzer Hautfarbe

Entscheidungsregister643 U.S. District Court for the … /  Datum

Fundstelle

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

Western District of Missouri, Western Division 28.10.1996

953 F. Supp. 301

EEOC v. HI 40 Corporation, Inc. („HI 40 Corporation“)

Weibliches Geschlecht als BFOQ für Ernährungsberater in einem Gewichtsabnahmecenter

C. III. 3. c) bb) (2) (b) (bb) C. III. 4. b) cc) (3)

Southern District of Florida 03.07.1997

969 F. Supp. 727

EEOC v. Joe’s Männliches GeStone Crab, schlecht als BFOQ Inc. in Fischrestaurant mit „Alte Welt ­Ambiente“

C. III. 3. c) aa) (2) (b)

Southern District of New York 29.03.2002

193 F. Supp. 2d 762

Ames Weiblich / Blond als v. Cartier, Inc. BFOQ für Beratung („Ames“) russischer Kunden in Juweliergeschäft

C. III. 3. c) dd) (3)

Eastern District of Louisiana 01.11.2002

2002 U.S. Dist. ­LEXIS 27751

Coker v. Dixie Männliches GeMotors, Inc. schlecht als BFOQ („Coker“) für Autoteileverkäufer

C. III. 3. c) aa) (2) (b)

Southern District of New York 13.09.2005

419 F. Supp.2d 408

EEOC v. Sephora USA, LLC („Sephora“)

Diskriminierung we- C. IV. 3. b) cc) C. IV. 4. b) bb) gen der nationalen Herkunft durch Eng- E. VI. 4. c) cc) (1) lish-Only Rule für Verkäufer in Drogeriekette

Southern District of New York 09.01.2009

593 F. Supp. 2d 599

Pacheco v. New York Presbyterian Hospital („Pacheco“)

Diskriminierung we- C. IV. 3. b) dd) C. IV. 4. b) bb) gen der nationalen Herkunft durch English-Only Rule für Angestellte eines Krankenhauses

4. State Courts Gericht /  Datum

Fundstelle

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

New York Supreme Court 15.07.1959

190 N.Y.S.2d 218

American Jewish Congress v. Carter („Carter“)

Nicht-Jüdischsein als BFOQ für in Saudi-Arabien eingesetzte Ingenieure

C. III. 3. c) dd) (1)

(Fortsetzung nächste Seite)

644 Entscheidungsregister Tabelle (Fortsetzung) Gericht /  Datum

Fundstelle

Name

Stichwort / Thema

Fundstelle im Buch

New York Supreme Court 07.09.1973

351 N.Y.S.2d 488

Button v. Rockefeller

Geschlecht als C. III. 3. c) aa) (1) BFOQ für verdeckte Ermittler

Supreme Court of California 11.08.2005

36 Cal. 4th 1028

Yanowitz v. L’Oréal USA, Inc.

Entlassung einer Verkäuferin wegen Unattraktivität

C. IV. 3. a)

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Sachverzeichnis Abwägungskriterien  239, 247, 550 ff. Age Discrimination in Employment Act of  1967 112 ff., 161 All or substantially all-Test  126 f., 132 f., 163, 165 Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz siehe Gleichbehandlungsgrundsatz Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz  33, 86 ff. 359 ff. Alter  252, 280 ff., 295 f., 333 ff., 352, 372 ff., 380 ff., 445 ff., 491 f., 503 ff. Altersgrenze  84 f., 281 ff., 445 ff., 545 Americans with Disabilities Act of  1990 116 ff. Angemessenheit  320 ff., 331 ff., 379 f., 389 f, 491 f., 550 ff. Antidiskriminierungsgesetzentwurf  307, 359 ff., 368 f., 372 Antidiskriminierungsprogrammatiken  261 ff. Arbeitgeberinteresse  72, 552 ff. Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz siehe Gleichbehandlungsgrundsatz Attraktivität  72, 140, 215 f., 233, 235 f., 486, 500, 558, 575 Auslandsberührung  167 ff., 199 ff., 481 Auslegung  299 ff. Ausrichtung – integritätsschützende  261 ff. 363 ff., 494 f. – moralpädagogische  262 f., 266 ff., 364, 441 f. – verteilungspolitische  265 f., 269 ff., 363 ff. Äußeres Erscheinungsbild  215 ff., 232 ff., 408, 433, 439, 588 ff.

Authentizität  124, 136 f, 138 ff., 187 ff., 236, 307, 309, 317, 357 f., 397 ff., 403 ff., 413, 430, 467 f., 471, 480, 483 ff., 494, 536, 544, 557 ff. Basketball  57 ff. Behinderung  76 f., 81, 109, 116 ff., 223, 272, 295 f., 299, 462 ff., 514 Belästigung  91 f., 100, 264, 495 Benachteiligung – mittelbare  89 ff., 508 ff. – unmittelbare  89 ff., 508 ff. Benachteiligungsformen  89 ff., 508 f. Berechenbarkeit der Interessenabwägung  239, 247, 550 Berufliche Anforderung  135, 311, 378 f. Berufsfreiheit  84, 461, 455, 553 f. Beschäftigtenbegriff  88 f. Beschäftigteninteresse  73, 564 ff. Beschäftigungspolitische Leitlinien  270 Beschäftigungsstrategie  269 Betriebsverfassungsrechtliches ­Diskriminierungsverbot  77  f. Bona fide occupational qualification defense, BFOQ defense  108 ff., 118 ff. Bürger  38 ff. Business necessity defense  110 f., 212 ff. Conjoint-Analyse  53  Consumer preference  111, 184, 528 Customer discrimination hypothesis  56, 57, 60, 66 f., 207 Demographic matching  205 f., 207

678 Sachverzeichnis Diskriminierung siehe auch Benach­ teiligung – mittelbare  251 – unmittelbare  250 f. Diskriminierungsbegriff  108 Disparate impact  108 Disparate treatment  108 Dritte  49, 99 f., 133, 161 Drittwirkung der Grundrechte, ­mittelbare  81 ff., 354 Einzelhandel  66 f. English-Only Rules  212, 214 f., 226 ff., 240 ff. Entwurf, ADG-E  307, 359 ff., 368 f., 372 Equal Employment Opportunity Commission  109, 122 ff., 214 f. Erforderlichkeit  237, 331 ff., 343, 382, 389 f., 548 ff., 578 f., 585, 590, 599 Essence of the business-Test  127 ff., 180 ff. 522 f. Ethnische Herkunft  295 f. 516 ff., 601 Etymologie des Kundenbegriffs  35 ff. Fanpräferenzen  57 ff., 89, 290 ff. Flugbegleiter  127 ff., 139 ff., 162 ff., 186, 453 f., 557 ff., 575 ff. Freiheitsrechte  82, 84, 434, 472 Fußball  60 f., 290 ff. Gastronomie  67 ff., 141 ff., 480 f. Geeignetheit  282, 331 ff., 343, 382, 389, 546 ff., 577 f., 584, 589 f., 598 f. Generalklauseln  81 ff., 96 f., 254 ff., 299 f., 350, 357, 372, 438, 444, 503 Geschlecht  204 f., 295 f., 308 f., 520, 565, 581, 587 Gesundheitswesen  42 ff., 62 ff., 121, 147 ff., 157 ff., 178, 195 ff., 417 Gleichbehandlungsgrundsatz – allgemeiner  268 f., 328, 366 – arbeitsrechtlicher  79 ff. Gleichheitsrechte  82 Golf  243 ff.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit  557, 564 Gynäkologie  45 f., 63 ff., 148, 195 ff., 312, 392 f., 570 f. Hierarchie der Merkmale  238, 294 ff., 361 Hooters  188 f., 191 f., 536 f., 560, 578 Integrationspolitische Ansätze siehe Ausrichtung, verteilungspolitische Integritätsschützende Ansätze siehe Ausrichtung, integritätsschützende Interessenabwägung  83, 84, 158, 201, 237 ff., 247, 356, 375, 380, 381, 395, 402, 429, 429, 431, 432, 438, 442, 444, 488, 550 ff., 579 ff., 585 ff., 591 ff., 599 ff. Kartellrecht  185 f., 524 ff., 531 Klient  40 f. Konsumentenpräferenz siehe consumer preference Kopftuch  83 f., 429 ff., 510 ff., 588 ff. Kulturimperialismus  200, 202 f. Kulturkreisübergreifende Kundenpräferenzen  165 f., 167 ff., 199 ff., 358, 415 f., 481, 484, 485 f., 569 ff. Kulturrelativismus  572 Kundenbegriff  35 ff. Kundenbindung  52 f. Kundendiskriminierungshypothese siehe customer discrimination hypothesis Kundenerwartung  46 f. Kundeninteresse  71 f., 556 ff. Kundenorientierung  38 f., 50 ff. Kundenpräferenzbegriff siehe Präferenzbegriff Kundenwunsch  46 f. Kundenzufriedenheit  50 ff., 239, 241 Legitimes Ziel  96, 333 ff., 382 ff., 543 ff. Less discriminatory alternatives-Test  129 ff., 144 f., 163 f., 226

Sachverzeichnis679 Marketingstrategie  139 f., 185, 191, 233, 235, 401, 403, 405, 529, 534, 535, 575 Marktansatz  184 ff., 530 ff., 537, 541 f., 570, 576 f. Markttrennung  484, 492, 567 f. Menschenwürde  85, 264 f., 268, 310, 319, 330, 364, 365, 487, 552, 564, 571 f., 596 Messbarkeit  53, 550 Moralpädagogische Ansätze siehe Ausrichtung, moralpädagogische Muttersprachler  362, 423 f., 425, 427, 513 ff. Nähebeziehung  497, 500, 558 Ökonomie  49 ff. Patient  42 ff., 62 ff., 121, 147 ff., 178, 193 ff., 230 f., 267, 274, 281 f., 358, 391 ff., 412 f., 430 ff., 441, 446 f., 449, 464, 466, 473 f., 570 f., 603 Persönlichkeitsrecht  261, 265, 358, 407, 438, 467 f., 494, 556, 586 Pilot  84 f., 162, 165 f., 234, 283 ff., 335, 413 f., 454 f., 456 f., 481, 572 Plus-sex businesses  139, 141, 183, 187 ff., 536, 558 ff., 575 ff. Positive Anknüpfung  308 ff., 378, 465, 519 ff., 576, 583 Positive Maßnahme  97 ff., 507 Präferenzbegriff  46 ff. Privatsphäre  143 ff., 193 ff., 273 f., 277 f., 390 ff., 403 ff., 412 f., 582 ff. Rasse  120, 172 ff., 203 ff., 216 ff., 287 ff., 295 f.,420 ff. Reasonable accommodation  117, 222 Reasonable factor other than age, RFOA 114 f. Rechtfertigung – mittelbarer Benachteiligungen  99, 253, 324 ff., 353, 388 ff., 419 ff., 503 ff., 588 ff., 597 ff.

– wegen beruflicher Anforderungen  93 f., 251, 301 ff., 351, 368 ff., 374, 376 ff., 390 ff., 483 ff., 503 ff., 519 ff., 575 ff., 582 ff. – wegen der Religion oder Welt­ anschauung  94 f., 429 ff. – wegen des Alters  96 f., 252, 280 ff., 333 ff., 352, 372 ff., 380 ff., 445 ff., 491 f., 503 ff. Rechtsvergleich  104 ff. Relevanter Markt  531 ff. Religion  94 f., 429 ff., 595 Sex businesses  139, 183, 191 f., 560 f. Sexuelle Identität  84, 290 ff., 295 f., 469 ff. Sicherheit  84 f., 130, 132 f., 135 f., 137, 161 ff., 182, 234 f., 239, 241, 274 ff., 280 ff., 321, 334 f., 355, 357 f., 371, 407 ff., 414 f., 445 ff., 463 f., 465, 471, 473, 485, 497, 544 f., 557 Sport  56 ff., 89, 394 f., 460 ff. siehe auch Basketball, Golf, Fußball Sprachanforderungen  212, 214 f., 226 ff., 240 ff.,420 ff., 513 ff., 597 ff. Taste for discrimination  54 Teilhabe  73, 262, 265 f., 269 ff., 290, 292, 330, 342, 364, 366 ff., 489, 492 f., 495, 506, 563, 567 f., 573, 574, 581 f., 587 f., 596, 602 Title VII des Civil Rights Act of  1964 107 ff. Transparenz der Interessenabwägung  239, 247, 550 Unabdingbare Voraussetzung  273 ff., 301 ff., 354, 370 Unternehmerfreiheit  32, 83 f., 212, 239, 319, 379, 403, 440, 441, 442 f., 496 ff., 503, 521, 527, 552 ff., 579 f., 585, 591, 599, 600 Unternehmerkonzept  48 f., 72, 93, 139 f., 184 f., 190 f., 263, 315, 321, 380,417 f., 476, 479, 480, 485, 487 ff.,

680 Sachverzeichnis 491 f., 500 f., 502, 506, 521, 523, 534, 535 f., 539 ff., 542 f., 544 f., 547, 553 Unverzichtbare Voraussetzung  75, 354, 369 f., 376 f., 390 ff., 397 ff., 401 f., 410 f., 412 f., 415, 483 ff.

Vorbildfunktion – des ADA 118 – des ADEA 116 – des Title VII 111 f. – des US-amerikanischen Rechts  255

Verteilungsgerechtigkeit  80 f., 265, 268, 366 Vertrag von Amsterdam  257 ff. Verwaltung  38 f.

Wesentlich und entscheidend  76 f., 93, 251 ff., 284, 292 f., 302 ff., 310 ff., 378, 483 f., 488, 490, 519 ff., 576 f., 583 f. Wettbewerbsrecht  526 ff.