Kritische Gesamtausgabe. Band 2 Rezensionen und Kritiken: (1894–1900) 9783110918090, 9783110193046

This volume presents 46 reviews and four wide-ranging literature surveys from 1894 to 1900. These early writings already

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German Pages 948 [952] Year 2007

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Aufbau und Editorische Grundsätze der Ernst Troeltsch • Kritische Gesamtausgabe
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Einleitung
1894 erschienene Rezension
Richard Adelbert Lipsius: Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik, 3., bedeutend umgearbeitete Auflage (1893)
1896 erschienene Rezensionen
Rudolf Eucken: Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt (1896)
Julius Köstlin: Der Glaube und seine Bedeutung für Erkenntnis, Leben und Kirche (1895)
Religionsphilosophie und theologische Principienlehre
Neue Triebe der Spekulation. Rudolf Eucken: Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt (1896); Gustav Claß: Untersuchungen zur Phänomenologie und Ontologie des menschlichen Geistes (1896)
1897 erschienene Rezensionen
Gustav Claß: Untersuchungen zur Phänomenologie und Ontologie des menschlichen Geistes (1896)
August Vogel: Die höchsten Fragen, beleuchtet von den größten Denkern der Neuzeit (1896)
F. Max Müller: Theosophie oder psychologische Religion (1895)
Johannes Kreyenbühl: Die Nothwendigkeit und Gestalt einer kirchlichen Reform (1896)
Otto Hartwich: Die Unsterblichkeit im Lichte der modernen Wissenschaft (1895)
Emil Koch: Die Psychologie in der Religionswissenschaft (1896)
Alexander Campbell Fraser: Philosophy of Theism (1895/96)
Religionsphilosophie und theologische Principienlehre
1898 erschienene Rezensionen
Amory Η. Bradford: Heredity and christian problems (1895)
Ignatius Ottiger: Theologia fundamentalis, Tomus 1 (1897)
Carl Stange: Zur Theologie des Musaeus, 1. Heft (1897)
Richard Wimmer: Liebe und Wahrheit (1896)
Auguste Sabatier: Esquisse d’une philosophie de la religion d’apres la psychologie et l’histoire, 2e édition (1897)
Carl Albrecht Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie (1897)
Paul Barth: Die Philosophie der Geschichte als Sociologie, 1. Teil (1897)
Albert S. G. Canning: Religious development (1896)
Otto Stock: Lebenszweck und Lebensauffassung (1897)
Religionsphilosophie und principielle Theologie
C. Α. Friedrich: Die Weltanschauung eines modernen Christen (1897)
Carl Güttier: Eduard Lord Herbert von Cherbury (1897)
Martin Rade: Die Religion im modernen Geistesleben (1898)
Julius Baumann: Realwissenschaftliche Begründung der Moral, des Rechtes und der Gotteslehre (1898)
Alexander von Oettingen: Lutherische Dogmatik, 1. Band (1897)
Richard Adelbert Lipsius: Glauben und Wissen (1897)
Friedrich August Berthold Nitzsch: Lehrbuch der evangelischen Dogmatik, 2. verbess. Aufl. (1896)
1899 erschienene Rezensionen
Rothelitteratur. Heinrich Julius Holtzmann: Richard Rothe (1899); Wilhelm Hönig: Richard Rothe (1898)
Heinrich Bassermann: Rothe als praktischer Theologe (1899); Heinrich Julius Holtzmann: Rothes spekulatives System, dargestellt und beurteilt (1899); Heinrich Bauer: Richard Rothe als akademischer Lehrer (1899); Richard Rothe: Briefe an einen jungen Freund (1899)
Richard Wimmer: Gesammelte Schriften (1898)
Rudolf Bendixen: Bilder aus der letzten religiösen Erweckung in Deutschland (1897)
Georg von Below: Die neue historische Methode (1898); Heinrich Rickert: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft (1898)
Ernst Vowinckel: Geschichte und Dogmatik (1898)
Auguste Sabatier: Die Religion und die moderne Kultur (1898); Pierre Daniël Chantepie de la Saussaye: Die vergleichende Religionsforschung und der religiöse Glaube (1898); Hans Martensen Larsen: Jesus und die Religionsgeschichte (1898); Nathan Söderblom: Die Religion und die sociale Entwickelung (1898)
Johann Baptist Heinrich: Dogmatische Theologie, 8. Band (1897)
F. Max Müller: Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie, 1. Band (1898)
Religionsphilosophie und principielle Theologie
Julius Köstlin: Christliche Ethik (1898)
Martin Kähler: Dogmatische Zeitfragen (1898)
Theobald Ziegler: Glauben und Wissen (1899)
1900 erschienene Rezensionen
Friedrich Paulsen: Kant der Philosoph des Protestantismus (1899)
Max von Brandt: Die chinesische Philosophie und der Staatskonfuzianismus (1898)
Rothelitteratur. Paul Mezger: Richard Rothe, ein theologisches Charakterbild (1899)
Friedrich Paulsen: Immanuel Kant (1898)
Eine Säkularfeier der Wissenschaft. Adolf Harnack: Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1900)
Hermann Siebeck: Aristoteles (1899)
Friedrich Lezius: Der Toleranzbegriff Lockes und Pufendorfs (1900)
Biogramme
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
Gliederung der Ernst Troeltsch • Kritische Gesamtausgabe
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Kritische Gesamtausgabe. Band 2 Rezensionen und Kritiken: (1894–1900)
 9783110918090, 9783110193046

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Ernst Troeltsch Kritische Gesamtausgabe

Ernst Troeltsch Kritische Gesamtausgabe

im Auftrag der Kommission für Theologiegeschichtsforschung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von

Friedrich W ilhelm Graf Christian Albrecht . Volker Drehsen Gangolf Hübinger . Trutz Rendtorff

Band 2

Walter de Gruyter . Berlin . New York

Ernst Troeltsch Rezensionen und Kritiken

(1894-1900)

herausgegeben von Friedrich Wilhelm Graf

in Zusammenarbeit mit Dina Brandt

Walter de Gruyter . Berlin

.

New York

Das Vorhaben Troeltsch-Edition wird im Rahmen des Akademienprogramms von der Bundesrepublik Deutschland und vom Freistaat Bayern gefördert.

@ Gedruckt

auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN

978-3-11-019304-6

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 1 0785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwerrung außer­ halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeirung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Schutzumschlag: Rainer Engel, Berlin Satztechnik (LaTeX): David Kastrup, Bochum Satz: Dina Brandt, Sruttgart, Stephanie Reichenbach-Klinke, München Druck: Gerike GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeirung: Stein + Lehmann GmbH, Berlin

Vorwort

Ernst Troeltsch war gerade 29 Jahre alt, als im November 1 894 seine erste Rezension, eine ausführliche kritische Anzeige von Richard Adelbert Lipsius' "Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik", in den "Göttingisehen gelehrten Anzeigen" erschien. Sechs Jahre später, im Dezember 1 900, feierte man den Heidelberger Systematischen Theolo­ gen bereits als den wichtigsten Provokateur in der deutschsprachigen protestantischen Universitätstheologie. In diesem Monat wurde die letzte der hier edierten Rezensionen veröffentlicht, und hinter Troeltsch lag die öffentlich geführte Auseinandersetzung mit nahezu 1 300 Texten zur Religionsphilosophie. Schon diese Zahl zeigt, wie engagiert und hart arbeitend er die zeitgenössische "theologische Lage" zu erfassen und die von ihm konstatierte "religiöse Krisis der Gegenwart" analytisch zu durchdringen suchte. Die Herausgeber haben sich bei der Konzeption der Ernst TroeJtsch . Kritische Gesamtausgabe dafür entschieden, Troeltschs Rezensionen und lite­ rarische Essays in drei Bänden chronologisch zu präsentieren. So gewinnt die große Vielfalt der Themen, mit denen sich Troeltsch lesend und rezen­ sierend während eines bestimmten Zeitraums beschäftigte, präzise Kontu­ ren. Die zeitlichen Zäsuren sind dabei allein pragmatischen Erwägungen der Buchherstellung geschuldet und wollen weder werkbiographische Deu­ tungsmodelle präformieren noch eine Entwicklungssuggestion vermitteln. In der drei Jahrzehnte umfassenden Gesamtschau fallt vielmehr gerade das Kontinuitätselement ins Auge: Bei allen Modifikationen von Troeltschs sy­ stematischer Position ist eine erstaunliche Konstanz der Problemwahrneh­ mung und der konstruktiven Interessen zu beobachten. Seine Rezensio­ nen und Kritiken stehen durchweg in einem engen sachlichen und werk­ geschichtlichen Zusammenhang mit den historischen und systematischen Hauptwerken. Gerade das starke Interesse an prinzipiellen philosophischen Fragen und die sensible Aufmerksamkeit für den damals heftig ausgetragenen Metho­ denstreit in der deutschen Geschichtswissenschaft spiegeln Troeltschs pro­ grammatischen Anspruch, den fachmäßigen Betrieb der Theologie durch Öffnung hin zur modernen Kulturgeschichtsschreibung zu revolutionieren.

VI

Vorwort

Zumal als Rezensent nahm Troeltsch die Rolle eines Mediators ein, der ei­ ne intellektuell ghettoisierte Universitätstheologie neu mit den in anderen Geistes- und historischen Kulturwissenschaften verhandelten Problemen konfrontieren wollte. Diese Vermittlung konzipierte Troeltsch, spätideali­ stisch geschult, als eine doppelte Bewegung: Einerseits wollte er dem star­ ken Problemdruck, der durch die "Vergeschichtlichung", "Historisierung" alles Denkens entstanden war, im eigenen Fach gebührende Aufmerksam­ keit verschaffen. Andererseits hoffte er in den weithin theologieabstinent geführten geistes- und kulturwissenschaftlichen Grundlagendebatten seine Sicht von der "Selbständigkeit der Religion" und der starken kulturellen Prä­ gekraft vor allem des protestantischen Christentums in den krisenreichen Transformationsprozessen der Moderne geltend zu machen. Auch die Arbeit an diesem Band der Troeltsch KGA war mit langwieri­ gen Recherchen in Archiven und Bibliotheken des In- und Auslandes ver­ bunden. In der ersten Phase der Arbeit hat Frau Patricia Just die Redakti­ onsarbeit verantwortet. Dafür danke ich ihr sehr herzlich. Neben den Bi­ bliothekaren und Archivaren schulde ich insbesondere den studentischen Hilfskräften Frank Fabian, Franziska Förster, Christian Gross, Birte Janza­ rik, Regina Krafft, Nadja Neuburger, Rupert Paulik, Franziska Reil, Jessi­ ca Renner, Michael Schmitz, Hubertus Spill, Manuela Ullmann und Claus­ Philipp Zahn sehr freundlichen Dank für kompetente Unterstützung. Diese engagierten Studierenden haben die von Troeltsch rezensierten Werke be­ sorgt, Zitate mit nachzuweisen versucht, Texte abgeglichen, Korrekturfah­ nen gelesen und in der Münchner Schellingstraße für jenes Klima fleißiger Fröhlichkeit gesorgt, das die harte Arbeit am zu edierenden Text trotz aller entsagungsvollen Andacht zum philologischen Detail auch ein kommunika­ tives Vergnügen werden ließ. Ihnen verdankt der Band auch die mühsame Schlußkorrektur der Register, deren prägnante Differenziertheit weit über Troeltschs Eigenidiom hinaus faszinierende Einblicke in die noch kaum er­ kundeten geistes- und kulturwissenschaftlichen Sprachwelten um 1 900 er­ laubt. In der Schlußphase haben zudem Frau Diana Feßl und Herr Alexander Seelos bei der Korrektur mitgearbeitet. Herr Michael Bauer und Herr Chri­ stian Nees haben wichtige sachkundige Beiträge zu den Kommentaren ge­ liefert. Frau Stephanie Reichenbach-Klinke hat in der letzten Arbeitsphase all diese Arbeiten koordiniert und verantwortlich geleitet. Ihnen allen sei an dieser Stelle sehr herzlich gedankt. Herr Dr. Stefan Pautler hat sich mit bewährter Souveränität um die Satzvorlage gekümmert und mancherlei hilfreiche Hinweise für die Kom­ mentare gegeben. Herr Dr. Hans Cymorek hat erneut seine Stilkompetenz in konstruktiver Kritik erster Fassungen von Kommentaren und Einlei-

Vorwort

VII

tungsfragmenten konkretisiert. Ihnen beiden sei an dieser Stelle überaus herzlich öffentlich gedankt! Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich dafür, daß sie frühe vorbereitende Arbeiten an diesem Band mit Mitteln aus dem Leibniz-Preis unterstützt hat. München, den 2. Januar 2007

Friedrich Wilhelm Graf

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Aufbau und Editorische Grundsätze der ......................

XV

Siglen, Zeichen, Abkürzungen . . ..... . ....................

XXI

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Ernst Troe/tsch . Kritische Gesamtausgabe .

1 894 erschienene Rezension Richard Adelbert Lipsius: Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik, 3., bedeutend umgearbeitete Auflage (1 893) . . . . . . . . .

31

1 896 erschienene Rezensionen Rudolf Eucken: Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt (1 896)

55

Julius Köstlin: Der Glaube und seine Bedeutung für Erkenntnis, Leben und Kirche (1 895) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

Religionsphilosophie und theologische Principienlehre . . . . . . . . . .

80

1. Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

11. Principielle Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 46

x

Inhaltsverzeichnis

Neue Triebe der Spekulation Rudolf Eucken: Der Kampf um emen geistigen Lebensinhalt (1 896); Gustav Claß: Untersuchungen zur Phänomenologie und Ontologie des menschlichen Geistes (1 896) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 64

1 897 erschienene Rezensionen Gustav Claß: Untersuchungen zur Phänomenologie und Ontologie des menschlichen Geistes (1 896) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 71

August Vogel: Die höchsten Fragen, beleuchtet von den größten Denkern der Neuzeit (1 896) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 81

F.

Max Müller: Theosophie oder psychologische Religion (1 895) . . .

1 83

Johannes Kreyenbühl: Die Nothwendigkeit und Gestalt einer kirchlichen Reform (1 896) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 94

Otto Hartwich: Die Unsterblichkeit im Lichte der modernen Wissenschaft (1 895) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

Emil Koch: Die Psychologie in der Religionswissenschaft (1 896) . .

203

Alexander Campbell Fraser: Philosophy of Theism (1 895/96) . . . .

209

Religionsphilosophie und theologische Principienlehre . . . . . . . . . .

21 3

1 . Religion und Wissenschaft überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

2 . Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244

3. Historisch-Kritisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

274

4. Reformreligionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285

5. Principielle Theologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

293

1 898 erschienene Rezensionen Amory H. Bradford: Heredity and christian problems (1 895) . . . . .

313

Inhaltsverzeichnis

XI

Ignatius Ottiger: Theologia fundamentalis, Tomus 1 (1897)

316

Carl Stange: Zur Theologie des Musaeus, 1. Heft (1897) . . . . . . . . .

318

Richard Wimmer: Liebe und Wahrheit (1896). . . . . . . . . . . . . . . . .

325

Auguste Sabatier: Esquisse d'une philosophie de la religion d'apres la psychologie et l'histoire, 2e edition (1897). . . . . . . . . . . . . . . . . .

328

Carl Albrecht Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie (1897). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

334

Paul Barth: Die Philosophie der Geschichte als Sociologie, 1. Teil (1897) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349

Albert S. G. Canning: Religious development (1896). . . . . . . . . . . .

355

Otto Stock: Lebenszweck und Lebensauffassung (1897). . . . . . . . .

358

Religionsphilosophie und principieUe Theologie. . . . . . . . . . . . . . .

366

1. Religion und Wissenschaft überhaupt. . . . . . . . . . . . . . . . . .

367

2. Religionsphilosophie als Ganzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

380

3. Religionspsychologie und -Erkenntnisstheorie . . . . . . . . . . .

399

4. Religionsgeschichte und -Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . .

428

5. Historisch-Kritisches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

462

6. Reformreligion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

476

7. PrincipieUe Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

480

C. A. Friedrich: Die Weltanschauung eines modernen Christen (1897). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

485

Carl Güttler: Eduard Lord Herbert von Cherbury (1897) . . . . . . . .

487

Martin Rade: Die Religion im modernen Geistesleben (1898) . . . . .

493

Julius Baumann: Realwissenschaftliche Begründung der Moral, des Rechtes und der Gotteslehre (1898). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

498

XII

Inhaltsverzeichnis

Alexander von Oettingen: Lutherische Dogmatik, 1 . Band (1 897) . .

501

Richard Adelbert Lipsius: Glauben und Wissen (1 897) . . . . . . . . . .

508

Friedrich August Berthold Nitzsch: Lehrbuch der evangelischen Dogmatik, 2. verbess. Auf!. (1 896) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

512

1 899 erschienene Rezensionen Rothelitteratur Heinrich Julius Holtzmann: Richard Rothe (1 899); Wilhelm Hönig: Richard Rothe (1 898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

517

Rothelitteratur Heinrich Bassermann: Rothe als praktischer Theologe (1 899); Heinrich Julius Holtzmann: Rothes spekulatives System, dargestellt und beurteilt (1 899); Heinrich Bauer: Richard Rothe als akademischer Lehrer (1 899); Richard Rothe: Briefe an einen jungen Freund (1 899) . . . . . . . . . . .

521

Richard Wimmer: Gesammelte Schriften (1 898) . . . . . . . . . . . . . . .

525

Rudolf Bendixen: Bilder aus der letzten religiösen Erweckung in Deutschland (1 897) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

526

Georg von Below: Die neue historische Methode (1 898); Heinrich Rickert: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft (1 898)

527

Ernst Vowinckel: Geschichte und Dogmatik (1 898) . . . . . . . . . . . .

534

Auguste Sabatier: Die Religion und die moderne Kultur (1 898); Pierre Danie! Chantepie de la Saussaye: Die vergleichende Religionsforschung und der religiöse Glaube (1 898); Hans Martensen Larsen: Jesus und die Religionsgeschichte (1 898); Nathan Söderblom: Die Religion und die sodale Entwickelung (1 898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

538

Johann Baptist Heinrich: Dogmatische Theologie, 8. Band (1 897) . .

544

Inhaltsverzeichnis

XIII

F.

Max Müller: Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie, 1 . Band (1 898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

547

Religionsphilosophie und principielle Theologie . . . . . . . . . . . . . . .

554

1 . Religion und Wissenschaft überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . .

555

2. Religionsphilosophie als Ganzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

568

3. Religionspsychologie und -Erkenntnisstheorie . . . . . . . . . . .

577

4. Religionsgeschichte und -Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . .

591

5. Historisch-Kritisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

616

6 . Reformreligionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

623

7. Principielle Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

625

Julius Köstlin: Christliche Ethik (1 898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

643

Martin Kähler: Dogmatische Zeitfragen (1 898) . . . . . . . . . . . . . . .

654

Theobald Ziegler: Glauben und Wissen (1 899) . . . . . . . . . . . . . . . .

668

1 900 erschienene Rezensionen Friedrich Paulsen: Kant der Philosoph des Protestantismus (1 899) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

675

Max von Brandt: Die chinesische Philosophie und der Staatskonfuzianismus (1 898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

681

Rothelitterarur Paul Mezger: Richard Rothe, ein theologisches Charakterbild (1 899)

683

Friedrich Paulsen: Immanuel Kant (1 898)

686

Eine Säkularfeier der Wissenschaft Adolf Harnack: Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1 900) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

690

Hermann Siebeck: Aristoteles (1 899) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

702

XIV

Inhaltsverzeichnis

Friedrich Lezius: Der Toleranzbegriff Lockes und Pufendorfs (1 900) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

704

Biogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

707

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

717

1 . Verzeichnis der von Ernst Troeltsch rezensierten und angezeigten Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

717

2 . Verzeichnis der von Ernst Troeltsch genannten Literatur. . . .

793

3. Sonstige von den Herausgebern genannte Literatur. . . . . . . .

809

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

823

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

845

Gliederung der Ernst Troeltsch .

927

Kritische Gesamtausgabe.

..........

Aufbau und Editorische Grundsätze der Ernst Troeltsch . Kritische Gesamtausgabe

1.

Aufbau

1 . Aufbau der einzelnen Bände Jeder Band enthält: (1) Vorwort (2) Inhaltsverzeichnis (3) Aufbau und Editorische Grundsätze der Ernst

Troe/tsch . Kritische Ge­

samtausgabe

(4) Siglen, Zeichen und Abkürzungen (5) Einleitung des Bandherausgebers. Die Einleitung informiert über den Text bzw. die Texte des Bandes und deren Anordnung, über wissen­ schaftsgeschichtliche Bezüge und zeitgeschichtliche Hintergründe. (6) Editorische Berichte. Die Editorischen Berichte informieren über Ent­ stehung, Entwicklung und Ü berlieferungslage sowie über editorische Entscheidungen. (T) Troeltsch-Text mit textkritischem Apparat und Kommentaren der Her­ ausgeber; innerhalb eines Bandes sind die Edierten Texte chronolo­ gisch geordnet. (8) Biogramme. Berücksichtigt werden nur Personen, die von Troeltsch ge­ nannt sind, mit Ausnahme allgemein bekannter Persönlichkeiten. Die Biogramme informieren über die wichtigsten Lebensdaten, geben die berufliche bzw. gesellschaftliche Stellung an und nennen gegebenen­ falls die verwandtschaftlichen, persönlichen, beruflichen oder werkge­ schichtlichen Beziehungen zu Troeltsch. (9) Literaturverzeichnis. In einem ersten Teil wird die von Troeltsch zitier­ te Literatur angeführt, in einem zweiten Teil wird die von den Her­ ausgebern in Einleitung, Editorischen Berichten und Kommentaren genannte Literatur aufgenommen. Die Rezensionenbände enthalten ein dreigeteiltes Literaturverzeichnis. Im ersten Teil werden die von

XVI

(1 0)

(1 1)

(1 2) (1 3)

Aufbau und Editorische Grundsätze

Troeltsch rezensierten Schriften aufgeführt. Der zweite Teil verzeich­ net die von Troeltsch selbst zitierte Literatur. Im dritten Teil ist die von den Herausgebern in Einleitung, Editorischen Berichten und Kom­ mentaren genannte Literatur aufgenommen. Das Literaturverzeichnis wird auf autoptischem Wege erstellt. Personenregister. Aufgenommen sind sämtliche Personen, die von Troeltsch selbst in den Edierten Texten oder von den Herausgebern in der Einleitung, den Editorischen Berichten und Kommentaren erwähnt sind. Dazu gehören auch die Autoren der angeführten Literatur. Recte gesetzte Seitenzahlen verweisen auf Troeltschs Texte, kursiv gesetzte Seitenzahlen auf die Herausgeberrede. Sachregister. Es enthält alle wichtigen Begriffe und Sachbezeichnun­ gen einschließlich geographischer Namen mit Ausnahme der biblio­ graphischen Erscheinungsorte. Das Sachregister erfaßt Troeltschs Text und die Herausgeberrede. Recte gesetzte Seitenzahlen verweisen auf Troeltschs Texte, kursiv gesetzte Seitenzahlen auf die Herausgeberre­ de. Den Bänden können weitere Verzeichnisse, wie z. B. Konkordanzen, beigefügt werden. Gliederung der Ernst Troe/tsch . Kritische Gesamtausgabe.

2. Aufbau der einzelnen Seiten und Darstellung des Edierten Textes 2. 1 . Satzspiegel Es werden untereinander angeordnet: Text der Ausgabe letzter Hand, gege­ benenfalls mit Fußnoten Troeltschs, textkritischer Apparat und Kommenta­ re. Die Fußnoten werden ohne einen Trennstrich unter den Haupttext ange­ ordnet, der textkritische Apparat wird durch einen kurzen, die Kommentare werden durch einen durchgezogenen Trennstrich abgesetzt. 2.2. Hervorhebungen Hervorhebungen Troeltschs werden einheitlich durch Kursivsetzung kennt­ lich gemacht. 2.3. Seitenzahlen des Originaldrucks Die Seitenzahlen der Druckfassungen der jeweiligen Textstufen des Edier­ ten Textes werden am Seitenrand unter Angabe der entsprechenden Textsi­ gle angezeigt; im laufenden Edierten Text (auch in den Fußnoten und gege­ benenfalls im textkritischen Apparat) wird die Stelle des ursprünglichen Sei­ tenumbruchs durch einen senkrechten Strich zwischen zwei Wörtern bzw. Silben angegeben.

Aufbau und Editorische Grundsätze

XVII

11. Editorische Grundsätze 1 . Präsentation der Texte und ihrer Entwicklung Die Texte werden nach historisch-kritischen Prinzipien bearbeitet. Das heißt, es werden alle Entwicklungsstufen eines Textes einschließlich handschriftlicher Zusätze dokumentiert und alle editorischen Eingriffe einzeln ausgewiesen. 1 . 1 . Textvarianten Uegt ein Text in mehreren von Troeltsch autorisierten Fassungen vor, so wird in der Regel die Fassung letzter Hand zum Edierten Text bestimmt. Die übrigen Fassungen werden einschließlich der handschriftlichen Zusätze Troeltschs im textkritischen Apparat mitgeteilt. Ausgespart bleiben dabei allerdings die zahlreichen Veränderungen bei Umlauten, "ss-ß", "t-th" und ähnliche, da sie auf Setzerkonventionen beruhen und nicht von Troeltsch beeinflußt wurden. 1 .2. Handschriftliche Zusätze Die handschriftlichen Marginalien der Handexemplare werden nach den Editionsregeln zur Variantenindizierung in den textkritischen Apparat inte­ griert. Der Nachweis beschränkt sich hierbei auf Textstellen. Markierungen von Troeltschs Hand wie Unterstreichungen und Anstreichungen werden nicht dargestellt. Ü ber die genaue Darstellungsweise informieren die jewei­ ligen Editorischen Berichte. 1 .3. Texteingriffe Die Texte werden getreu der ursprünglichen Orthographie und Interpunk­ tion ediert. Offensichtliche Setzerfehler werden stillschweigend berichtigt. Textverderbnisse werden im Apparat mitgeteilt. 2. Kommentierung der Texte Die Kommentierung dient der Präzisierung der von Troeltsch genannten Literatur, dem Nachweis von Zitaten, der Berichtigung irrtümlicher Anga­ ben, dem textlichen Beleg von Literaturangaben sowie der Erläuterung von Ereignissen, Begriffen und Bezügen, deren Kenntnis für das Verständnis des Textes unerläßlich erscheint. Es gilt das Prinzip der knapp dokumentie­ renden, nicht interpretierenden Edition.

XVIII

Aufbau und Editorische Grundsätze

2. 1 . Bibliographische Präzisierung Die Literaturangaben werden autoptisch überprüft. Fehlerhafte Literaturan­ gaben Troeltschs werden im Literaturverzeichnis stillschweigend berichtigt. Eine Berichtigung im Kommentar wird nur dann gegeben, wenn das Auf­ finden im Literaturverzeichnis nicht oder nur schwer möglich ist. Die kor­ rigierte Literaturangabe wird mit dem ersten vollständigen Haupttitel sowie in Klammern gesetztem Erscheinungsjahr angezeigt. 2.2. Zitatprüfungen Troeltschs Zitate werden autoptisch überprüft. Falsche Seitenangaben wer­ den berichtigt. Hat Troeltsch ein Zitat nicht nachgewiesen, wird der Nach­ weis im Apparat aufgeführt. Ist der Nachweis nicht möglich, so steht im Kommentar: "Als Zitat nicht nachgewiesen." Fehlerhafte und unvollstän­ dige Zitate werden korrigiert und ergänzt. Der Nachweis indirekter Zitate und Rekurse wird in der Regel nicht geführt. 2.3. Belege von Literaturverweisen Allgemeine, inhaltlich nicht näher bestimmte Literaturverweise im Edierten Text werden in der Regel nicht belegt. Inhaltlich oder durch Seitenangaben eingegrenzte Literaturverweise werden, so weit möglich, durch Zitate be­ legt. 2.4. Irrtümliche Angaben Irrtümliche Angaben Troeltschs (z. B. Namen, Daten, Zahlen) werden im Apparat berichtigt. 2.5. Erläuterung von Fachtermini, Anspielungen und Ereignissen Kommentiert wird, wenn die Erläuterung zum Verständnis des Textes not­ wendig ist oder wenn für das Textverständnis unerläßliche Zusatzinforma­ tionen geboten werden. Der kommentierte Sachverhalt muß eindeutig zu kennzeichnen sein. 2.6. Querverweise Explizite Verweise Troeltschs auf andere seiner Werke werden nachgewie­ sen. Querverweise innerhalb des Edierten Textes können nachgewiesen werden. Sachverhalte, die sich durch andere Texte Troeltschs erschließen lassen, können durch Angabe dieser Texte nachgewiesen werden.

Aufbau und Editorische Grundsätze

XIX

2.7. Forschungsgeschichtliche Kommentare Erläuterungen zur nachfolgenden Wirkungs- und Forschungsgeschichte werden nicht gegeben.

III. Erläuterung der Indices und Zeichen 1 . Sigleneinteilung Die früheste Fassung eines Textes trägt die Sigle A. Weite­ re Fassungen werden in chronologischer Folge alphabetisch bezeichnet. Die Handexemplare mit handschriftlichen Zu­ sätzen Troeltschs sind als Textschicht der betreffenden Fas­ sung anzusehen. Sie werden mit der Sigle der betreffenden Fassung und einer tiefgestellten arabischen Eins bezeichnet (Beispiel: Al ) . Bei Identität zweier Ausgaben wird im Edi­ torischen Bericht darauf verwiesen. Eine doppelte Nennung (etwa Bq entfallt damit. 2. Indices 1) ,2) ,3) 123 ,

,

, ,

a b c

a -ß

Q

, b-b,

, ß , 'Y

c-c

Hochgestelle arabische Ziffern mit runder Schlußklammer bezeichnen Fußnoten Troeltschs. Hochgestellte arabische Ziffern ohne Klammern werden für die Herausgeberkommentare verwendet. Kleine hochgestellte lateinische Buchstaben werden für die Indizierung von Varianten oder Texteingriffen verwendet. Die Buchstaben stehen im Edierten Text hinter dem varian­ ten oder emendierten Wort. Kleine hochgestellte lateinische Buchstaben, die eine Wort­ passage umschließen caxxx xxx xxx�, werden für Varianten oder Texteingriffe eingesetzt, die mehr als ein Wort umfas­ sen. Die betreffende Passage im Edierten Text wird hierbei von einem recte gesetzten Index und einem kursiv gesetzten Index eingeschlossen. Kleine hochgestellte griechische Buchstaben werden für die Indizierung von Varianten oder Texteingriffen zu TextsteIlen

xx

Aufbau und Editorische Grundsätze

innerhalb des textkritischen Apparats verwendet. Die Buch­ staben stehen hinter dem varianten oder emendierten Wort. Bei mehr als einem Wort wird die betreffende Passage von einem gerade gesetzten Index und einem kursiv gesetzten In­ dex eingeschlossen (:txxx xxx XXXo} 3. Zeichen

[] { }

L 1

I: :1

« xxx» «

Das Zeichen I im Edierten Text mit der jeweiligen Sigle und der darauf bezogenen Seitenangabe im Außensteg gibt die Stelle des Seitenwechsels nach der ursprünglichen Paginie­ rung einer Textfassung wieder. Eckige Klammern sind reserviert für Hinzufügungen durch den Editor. Geschweifte Klammern kennzeichnen Durchstreichungen Troeltschs in seinen handschriftlichen Marginalien. Unvollständige eckige Klammern bezeichnen unsichere Les­ arten bei den Handschriften Troeltschs. Nicht entzifferte Wörter werden jeweils durch ein in unvollständige eckige Klammern gesetztes Spatium gekennzeichnet. Das Zeichen I: : 1 wird für Einschübe Troeltschs in seinen handschriftlichen Texten verwendet. Hochgestellte Spitzklammern im Text umschließen Hinzu­ fügungen des Edierten Textes gegenüber vorangegangenen Fassungen. Dadurch entfällt für diese Passagen der Nach­ weis im textkritischen Apparat: Fehlt in A. Bei �ei Textstufen in mehreren Schichten (A: 1 . Textstufe, Al: Handexemplar der 1 . Ausgabe, B: 2. Textstufe, BI: Hand­ exemplar der 2. Ausgabe) gilt folgende Benutzungsregel für die Spitzklammern: Fehlt in A, Al Fehlt in A Bei drei Textstufen (A: 1 . Textstufe, Al: Handexemplar der 1 . Ausgabe, B: 2. Textstufe, BI: Handexemplar der 2. Ausga­ be, C: 3. Textstufe) gilt folgende Legende: Fehlt in A, Al Fehlt in A, Al, B, BI Fehlt in B, BI

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

Aufstellung der in diesem Band verwendeten Siglen, Zeichen und Abkür­ zungen gemäß den Editorischen Grundsätzen der Ernst Troe/tseh . Kritische Gesamtausgabe

I

a -o b-b

Seitenwechsel Hinzufügung des Editors Hinzufügungen des Edierten Textes gegenüber den voran­ gegangenen Textstufen A und Al Siehe Indices bei Fußnoten Ernst Troeltschs Indices bei Kommentaranmerkungen des Herausgebers Siglen für die Textfassungen in chronologischer Reihen­ folge Indices für Varianten oder textkritische Anmerkungen Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen

GS

Ernst Troeltsch: Gesammelte Schriften

[]

I) 2) 3)

,

,

123

, ,

a b c

Alle sonstigen Abkürzungen folgen: Siegfried Schwertner: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 2. Auflage, Berlin, New York: Walter de Gruyter, 1 992.

Einleitung

Der vorliegende Band der Ernst Troeltsch . Kritische Gesamtausgabe präsentiert 46 Rezensionen und vier großangelegte Literaturberichte, alle publiziert von Ernst Troeltsch in den Jahren 1 894 bis 1 900. Berücksichtigung fanden nur solche Arbeiten, die sich nach der Intention des Autors und den Stilvorga­ ben des Genres überzeugend als Buchbesprechung qualifizieren ließen, also nicht "bei Gelegenheit einiger Bücher" unter der Schreibhand Troeltschs zum primär biographisch oder problemgeschichtlich ausgerichteten Essay mutiert waren.! Die Edierten Texte erschienen in sieben Zeitschriften und Rezensionsorganen, denen sich der junge Heidelberger Ordinarius für Sy­ stematische Theologie in Arbeitsbeziehungen von sehr unterschiedlicher Intensität verbunden wußte. Einzelbesprechungen plazierte er bevorzugt in der "Theologischen Literaturzeitung", die 1 7 Beiträge aus seiner Feder erhielt, in der "Deutschen Litteraturzeitung" und in Martin Rades "Christ­ licher Welt" Geweils zehn Rezensionen) . Für weiter ausholende Referate schätzte Troeltsch besonders die renommierten "Göttingischen gelehrten Anzeigen"; ihnen vertraute er im hier vorzustellenden Zeitraum sieben Re­ zensionen an. Je eine Buchbesprechung wurde in der "Zeitschrift für prak­ tische Theologie" und in der "Historischen Zeitschrift" publiziert. Wäh­ rend die Mitarbeit am praktisch-theologischen Fachorgan Episode blieb, baute Troeltsch sein Engagement auf dem exponiertesten Forum der deut­ schen Geschichtswissenschaft nach der Jahrhundertwende kontinuierlich aus.2 Die vier monumentalen Sammelrezensionen fertigte Troeltsch für den von Heinrich Julius Holtzmann herausgegebenen "Theologischen Jahresbe­ richt" an. In der Einleitung zu Band 4 der Kritischen Gesamtausgabe sind die wichtigsten Zeitschriftenprofile bereits vorgestellt worden. Dort finden sich auch Beobachtungen zu Selbstverständnis und Stil des ungewöhnlich produktiven Rezensenten Troeltsch, die zumal Grundzüge und Konstan­ ten seines Kritikertemperaments in den Blick nehmen. Im folgenden können die einführenden Bemerkungen daher essayistisch knapp gehalten 1

2

Als Beispiel vgl. Ernst Troeltsch: Moderner Halbmaterialismus (1 897) Vgl. dazu KGA 4, S. 1 7-1 9.

--->

KGA 1 .

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Einleitung

werden und sich auf die spezifischen Kontexte, auf die Eigenheiten und (werk-)biographischen Spiegeleffekte des "Anfangs" konzentrieren, also gleichsam die Geburt eines Rezensenten kommentierend nachzeichnen. Sein erstes heute noch nachweisbares Rezensionsangebot erhielt Troeltsch als Bonner Extraordinarius im Mai 1 893. Der Marburger Neutestamentler Adolf Jülicher, dessen "sarkastische und kühle Art" er menschlich zunächst "allerdings nicht zur Annäherung geeignet" fand,3 hatte ihn der Redaktion der "Göttingischen gelehrten Anzeigen" für die Besprechung von Richard Adelbert Lipsius' "Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik" empfohlen. Troeltsch akzeptierte den Vorschlag, doch fehlte ihm über ein Jahr lang die Zeit für eine ab­ schließende Auseinandersetzung mit dem als "standard work"4 gerühmten Monumentalvermächtnis des 1 892 verstorbenen Jenaer Systematikers; erst Anfang August 1 894 ging die Besprechung bei der Göttinger Re­ daktion ein. Der Ruf nach Heidelberg, die große Griechenlandfahrt mit zwei Bonner Kollegen - dem Archäologen Georg Loeschcke und dem Nationalökonomen Heinrich Dietzel - im März 1 894, schließlich das erste, Konzentration und Kräfte besonders intensiv bindende Semester als Ordinarius der Ruperto-Carola hatten vielerlei Schreibtischpläne gebremst, wie der Freund Wilhelm Bousset im Rückblick erfuhr: "Im Sommer habe ich mir eigentlich gar nicht selbst gehört. Erst noch erfüllt [von] den bunten Eindrücken meiner großen Reise wurde ich dann sofort in den Strudel der neuen Verhältnisse hereingerissen, lauter neue Menschen u[nd] Dinge, die Erinnerung an verlassene schöne Verhältnisse, die Besuche u[nd] Einladungen, Collegarbeiten u[nd] meine Lipsiusrezension alles brachte mich so etwas durcheinander."s Gleichwohl gelang es Troeltsch, in der akademischen Alltagsarbeit die Gefahr thematischer Zersplitterung zu bannen und die unterschiedlichen Darstellungsformen wissenschaftlichen Deutungsverlangens auf ein konsistentes Problemzentrum auszurichten: "Das Kolleg des letzten Semesters über Dogmatik I u[nd] das weitere Nachdenken über die in meinen Aufsätzen entwickelte Position haben mich in der Hauptsache ausschließlich beschäftigt. Die Rezension von Lipsius, die ich Dir seiner Zeit schicken werde, schlug in dieselbe Kerbe".6

3 Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 1 2. Oktober 1 894, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 ---> KGA 1 8/1 9. 4 Unten, S. 52. 5 Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 1 2. Oktober 1 894. 6 Ebd.

Einleirung

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Wer derart entschieden eine ihm unverhofft angetragene Besprechung in weiträumig entworfene Arbeitszusammenhänge integriert und mit ehrgeizigem (Selbst-)Orientierungsanspruch verbindet, will vom ersten Rezensentenauftritt an mehr sein als Gelegenheits-, gar Gefälligkeitskritiker - und gestattet sich selbst keine spielerisch unbefangene Anfängeratti­ tüde. Troeltschs Debüt war denn auch nach Gestus und Energie der Problembestimmung das Gegenteil einer bloßen Fingerübung. Es verstand sich vielmehr, so der suggestive Subtext, selbst als Teil jenes "großen Klärungsprozesse[s] der religiösen Frage"?, in den auch die besprochene "Dogmatik" eingeordnet wurde und dem sich Troeltsch im Oktober 1 893 mit einer Vortragsreihe über "Die christliche Weltanschauung und die wissenschaftlichen Gegenströmungen" auf dem theologischen Ferienkurs in Bonn zugewandt hatte. Diesen Prozeß wollte der Rezensent mit den Lipsius attestierten Tugenden der "Gelehrsamkeit", des "Scharfsinnes" und des "Wahrheitsernstes" vorantreiben, ihn - wie am Beispiel der Wandlungen des Religionsbegriffs eindrucksvoll vorgeführt - analytisch durchdringen, ohne seine Zukunftsoffenheit durch voreilige dogmatisch­ theologiegeschichtliche Verengung der Perspektiven zu eskamotieren. Zur programmatischen Premierenbotschaft paßte der souveräne Auftritt auf exponierter Bühne. Das Rezensentenprofil des noch nicht Dreißigjährigen zeigt bereits einen fertigen, handwerklich beschlagenen, rhetorische Register und Tonlagen gelassen beherrschenden Autor: Taktsicher und sachbezogen, mit dem Mut zur problemorientierten Selbstbeschränkung, ohne übertriebene Harmonisierungstendenz8 und von hagiographischen Versuchungen so wenig heimgesucht wie von den Machtphantasien des Denkmalstürzers würdigt der neue Hoffnungsträger der Heidelberger Fakultät das 900-Seiten-Lehrbuch einer zu Ende gehenden Wissenschafts­ epoche. Vom ,Durchbruch' des Rezensenten Troeltsch aufgrund einer fulminan­ ten Talentprobe zu sprechen, erscheint indes unangebracht. Die martiali­ sche Metaphorik verfehlt das wissenschaftsgeschichtliche Phänomen. Der Befund wirkt vielmehr unspektakulär: Troeltschs Korrespondenz mit ver­ schiedenen Verlagen, den Herausgebern von Fachzeitschriften und theo­ logischen Freunden läßt erkennen, daß er seit Mitte der neunziger Jahre 7 8

Unten, S. 52. Vgl. Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 1 0. Mai 1 894, Götringen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 --> KGA 1 8/1 9: "Jetzt arbeite ich an meiner Anzeige von Lipsius, die mehr zum Es­ say werden u[nd] den Gegensatz gegen die Ritschlia[ne]r ziemlich deutlich ausspre­ chen wird, namentlich gegen Herrmann, der Lipsius abscheulich behandelt hat."

4

Einleitung

des 1 9. Jahrhunderts ein gesuchter Autor war, dem viele eine große Zu­ kunft prognostizierten. Entscheidend für seine Attraktivität speziell als Re­ zensent aber dürften die als hochambitionierte "tour d'horizon" angelegten zeitdiagnostischen Aufsätze über "Die christliche Weltanschauung und die wissenschaftlichen Gegenströmungen" gewesen sein, die er zwischen No­ vember 1 893 und Mai 1 894 in der "Zeitschrift für Theologie und Kirche" publiziert hatte.9 Systematisierungsfreude und die "Gabe der Deutlichkeit", kenntnisreicher Bilanzierungselan und die Bereitschaft zum unaufgeregt­ selbstbewußten Dialog über Fächergrenzen hinweg mußten Troeltsch für umsichtige Herausgeber und Redakteure als ideale Ergänzung ihres Rezen­ sentenstabes erscheinen lassen - auch wenn führende, im polyphonen Kon­ zert theologischer Fachdebatten tonangebende Schüler Albrecht Ritschls seinen Aufstieg mit skeptischem Argwohn verfolgten. Zu Beginn des Jahres 1 895 gewann ihn der einflußreiche liberalprote­ stantische Straßburger Neutestamentler Heinrich Julius Holtzmann für den seit 1 882 erscheinenden "Theologischen Jahresbericht", genauer: für die Be­ richterstattung über "Religionsphilosophie und theologische Principienleh­ re". Holtzmann hatte seinen jungen Kollegen 1 893 und 1 894 mehrmals ge­ troffen, war dabei "freundlich und mitteilsam" gewesen, freilich mit Blick auf die Zukunft auch "ziemlich pessimistisch gestimmt".10 Nun kam er mit seinem Angebot ähnlichen Absichten des Verlags J. C. B. Mohr (paul Sie­ beck) um wenige Monate zuvor. Bereits seit den frühen neunziger Jahren plante Paul Siebeck ein Konkurrenzunternehmen zum "Theologischen Jah­ resbericht", das Pfarrer über wichtige Neuerscheinungen der akademischen Theologie informieren und zugleich auf populäre Weise Forschungstrends skizzieren sollte. Im Oktober 1 895 bat er Troeltsch, die Redaktion einer solchen kritischen Bilanz des Wissenschaftsjahres zu übernehmen. Doch lehnte der Umworbene nach kurzer Bedenkzeit ab, auch weil er gerade erst auf der - seit 1 892 alljährlich Ende September in Eisenach stattfindenden Versammlung der "Freunde der Christlichen Welt" gegen ein Konkurrenz­ projekt zur "Theologischen Literaturzeitung" (Herausgeber: Adolf Harnack und Emil Schürer) und zum "Theologischen Jahresbericht" plädiert hatte. Am 1 5. Oktober 1 895 dankte er Sieb eck herzlich für sein "freundliches An9 10

Vgl. Ernst Troeltsch: Die christliche Weltanschauung und ihre Gegenströmungen (1 9 1 3) ---+ KGA 1 0. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 1 2. Oktober 1 894, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 ---+ KGA 1 8/1 9. Zur ersten Begegnung Anfang August 1 893 in Straßburg vgl. Ernst Troeltsch: Bericht über die im Jahre 1 893 ausgeführte Reise des Biarowskyschen Sti­ pendiums, eingeleitet und hg. von Friedrich Wilhelm Graf (1 99t), S. 94 f. ---+ KGA 1 .

Einleitung

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erbieten" und fuhr dann fort: "Ich bin jedoch [...] aus verschiedenen Grün­ den zu einer Annahme nicht im Stande. Erstlich habe ich in Eisenach bei der Verhandlung über den fraglichen Gegenstand mich ausdrücklich gegen ein solches, im Effekt jedenfalls der Schürersehen Litt.zeitung sehr gefährliches Unternehmen ausgesprochen und insbesondere Schürer persönlich meiner ablehnenden Haltung dagegen versichert. Daß Sie etwas derartiges planten, ahnte ich natürlich nicht. Es ist also schon wegen dieser meiner Erklärung an Schürer unthunlich. Dazu kommt aber ferner, daß ich eben in den letzten Monaten von Holtzmann für den theologischen Jahresbericht engagirt wor­ den bin, u[nd] wenn ich auch meinen Anteil auf ein möglichst geringes Maß herabdrückte, so bin ich damit doch schon mehr beschäftigt als mir lieb ist. Ich würde eine weitere Belastung physisch u[nd] im Interesse meiner sonsti­ gen wissenschaftlichen Arbeiten nicht aushalten können."ll Der ehrgeizige, sein wissenschaftliches Sendungs bewußtsein nur gelegentlich ironisierende Jung-Ordinarius wollte sich "nicht mit einer Redaktion belasten", weil er sehr genau wußte, daß er alle seine "größeren Arbeiten" noch vor sich hat­ te.12 "Der einfältige Jahresbericht u[nd] die vielen Recensionen lassen mich nicht recht vorwärts kommen. Freilich lerne ich daraus sehr viel für meinen eigentlichen Zweck, aber das Ziel verschiebt sich doch auch beständig vor meinen Augen."13 Was dem Vertrauten Bousset in Göttingen gegenüber so offen bekannt wurde, sollte stets mitbedenken, wer Troeltschs Tätigkeit als Rezensent zu würdigen versucht: Wohl jede seiner Besprechungen stand, mehr oder min­ der vermittelt, im Dienst am eigenen ,Werk' und lenkte doch zugleich, durch Lebenszeitverzehr, von diesem ab, schob seine Vollendung hinaus. Dieses nicht aufzulösende Spannungsverhältnis belastete den Autor zeitweilig phy­ sisch wie psychisch überaus stark. Zumal die Arbeit am "Theologischen Jahresbericht" führte Troeltsch in den Sommern der Jahre 1 896 bis 1 899 in schwere Ü berarbeitungskrisen. Allerdings wußte der Vielbeschäftigte auch um die mannigfachen materiellen wie immateriellen Vorteile seiner gelehr­ ten Fronarbeit im "Straftager"14. Auf Paul Sieb ecks Bitte hin, ihm nach 11 12

13 14

Brief Ernst Troeltschs an Paul Siebeck, 1 5. Oktober 1 895, Tübingen, Verlagsarchiv Mohr Siebeck --> KGA 1 8/19. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 1 9. Oktober 1 895, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 --> KGA 1 8/19. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 5. August 1 898, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 --> KGA 1 8/1 9. Vorn "Straflager des Jahresberichtes" spricht Troeltsch in seinem Brief an Paul Sie­ beck vorn 29. Juni 1 899, Tübingen, Verlagsarchiv Mohr Siebeck --> KGA 1 8/19.

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Einleitung

der Absage geeigneten Ersatz für die Redakteursstelle zu nennen, hatte Troeltsch Wilhelm Bousset empfohlen und diesem, parallel zur Sieb eck­ Korrespondenz, zugeraten, das Angebot anzunehmen: "Du erhältst durch ein solches Blatt Einfluß u [nd] Relief, u [nd] einigen finanziellen Beitrag."15 Als Bousset und sein Mitherausgeber Wilhelm Heitmüller ein gutes Jahr später den gemeinsamen Freund für die Mitarbeit an der neuen Literatur­ zeitschrift, der "Theologischen Rundschau", gewinnen wollten und ihm die regelmäßige Berichterstattung zur Systematischen Theologie antrugen, lehnte Troeltsch ab: "Hier muß ich nun rundweg bekennen, daß ich bereits so mit Recensionen überlastet bin u[nd] mit dem Jahresbericht schon soviel zu thun habe, daß ich ein neues Massenreferat unmöglich übernehmen kann, so lange der Jahresbericht noch besteht oder wenigstens ich an ihm mitarbeite."16 Wenig später, im Sommer 1 897, wurde das Lamento noch einmal variiert: "Was Deine Anfrage betrifft, so muß ich gestehen, daß ich einen wahren Schrecken vor Erweiterung meiner Recensionstätigkeit habe. Ich habe nun den Jahresbericht, Schürer, die Gött. gel. Anzeigen, die deutsche Litt.ztg., die preuß. Jahrbb. Außerdem Angebote von der ehr. Welt u[nd] von der hist. Zeitschrift. Es liegt ein ganzer Stoß von Büchern bei mir u[nd] der Jahresbericht ist ein wahres Kreuz für mich, wenn auch kein ganz unnützes. Ich kann Deine Bücher nur übernehmen, wenn sie sich mit dem Material des Jahresberichtes decken. [...] Aber darüber hinaus kann ich unmöglich gehen. Ich gehe sonst rein zu Grunde. Auch macht es einen bettelhaften Eindruck, wenn man überall recensirt. "17 Der naheliegende Verdacht, die Klagen über den "Theologischen Jah­ resbericht" seien wenig mehr als branchenübliche Alarmrhetorik, verfliegt schnell, sobald die zu bewältigenden Literaturmassen konkrete Wahrnehm­ barkeit gewinnen: Mehr als 1 200 Titel erfassen die bibliographischen Listen, die Troeltsch seinen Jahresresümees voranstellte. So war der "Jahresbericht" wohl tatsächlich "jedesmal ein Fegfeuer", das den Autor "total erschöpft" am Schreibtisch zurückließ und ihn zunächst einmal "von jeder Lust am Recensiren reinigt[e]" .18 15

16

17

18

Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 1 9. Oktober 1 895, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -+ KGA 1 8/1 9. Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 27. Januar 1 897, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -+ KGA 1 8/1 9. Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 1. August 1 897, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -+ KGA 1 8/19. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 5. August 1 898, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -+ KGA 1 8/1 9.

Einleitung

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Der Quantitätsdruck blieb zudem nicht ohne Folgen für die äußere Gestalt der Literaturberichte. Ü berdurchschnittlich viele Form- und Flüchtigkeitsfehler lassen die enorme Belastung des Rezensenten erkennen, der überdies keine Korrekturfahnen erhielt, also gleichsam al fresco arbeiten mußte, ohne die Chance, einmal formulierte Urteile oder einzelne Wendungen noch einmal korrigieren zu können. Kein Zufall daher, daß der Autor die ihm wichtigsten Titel stets zu Beginn der jeweiligen Berichts­ rubrik abhandelte, noch im Vollbesitz seiner Konzentrationskraft und ohne den unmittelbar drohenden Zwang zum termin- und bogengerechten Abschluß. Was besprach Ernst Troeltsch im "Jahresbericht"? Auf diese Frage sind - mindestens - zwei Antworten möglich: eine strikt textorientierte und eine eher psychologisierende. Troeltsch rezensierte, ausweislich der Gliederung seiner Beiträge, Neuerscheinungen aus den Gebieten Religionsphilosophie, Religionspsychologie, Religionsgeschichte, mit besonderem Augenmerk auf die sogenannten "Reformreligionen", auf "Zeit- und Streitfragen" und das Verhältnis der Theologie zu ihren Nachbarwissenschaften. Der Heidelber­ ger Systematiker erschloß sich damit - so die zweite Antwort - alles das auf den unübersichtlichen Märkten religiöser Gegenwartsphänomene, theolo­ gischer Selbstverständigungsdebatten und interdisziplinärer Wissenschafts­ sondierungen, was er mit den, seiner Wahrnehmung nach, aus der Zeit gefal­ lenen Heidelberger Fachkollegen nicht oder nicht angemessen diskutieren konnte. "Es ist ein Elend um eine solch erstorbene und begeisterungslose Fakultät" - da half nur, den Kontakt zu Mitstreitern jenseits der theologi­ schen Grenzmarkierungen zu suchen und "alles Mögliche" zu lesen, "um auf dem Damm zu bleiben".19 Hinter der Mühsal lebte ein vitaler Impuls, das Bedürfnis nach "Klarheit": "Was ich für mich u[nd] andere suche, ist vor allem Klarheit über die Lage der theologischen Dinge, über die Konsequen­ zen einer ernsthaft religionsgeschichtlichen Betrachtung für die Theologie in Glaubenslehre u [nd] Ethik. Ich werde Dir demnächst eine religionsphi­ losophische Revue vorlegen, anderes wird folgen. Ich habe mir für solche Essays nun meinen eigenen Styl u[nd] Methode gebildet, den Verarbeitungs­ styl oder Verdauungsstyl. Die Verdauung ist aber gegenwärtig in der Theolo­ gie am schwersten. Sie leidet an Dünnflüssigkeit oder an Verstopfung, u[nd] so mag ich doch manchem Nützliches bringen, wenn ich auch manchmal das Gefühl habe, daß ich unter der Masse von Stoff erliege u[nd] mich das Einleben in fremde Gedankengänge oft fast um meine eigenen zu bringen droht. Ich finde aber, daß es wirklich notwendig ist, nun endlich einmal Bi19

Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 23. Juli 1 895, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, eod. Ms. Bousset 1 30 --+ KGA 1 8/1 9.

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Einleitung

lanz zu ziehen statt endlos u [nd] matt zu variiren, was schon einmal da war u [nd] dabei immer zu meinen, daß man es zum ersten Mal sage . "20 Die Vielfalt der Themen und wissenschaftlichen Kontroversen, die Troeltsch in seinen Rezensionen ansprach und bearbeitete, ist geradezu überwältigend. In der Fülle des Differenten lassen sich freilich markante Interessenschwerpunkte erkennen. Neben geschichtstheoretischen Texten besprach Troeltsch Neuerscheinungen zur Dogmatik, aktuelle Ethik­ Entwürfe, Religionsphilosophisches, populär eingefärbte Schriften zur inneren Erneuerung des protestantischen Christentums und zur Religions­ wie Kirchenreform sowie schließlich akademische Qualifikationsarbeiten zur Religions-, Kultur- und Ideengeschichte seit dem 1 7. Jahrhundert. Die außerordentliche Spannbreite seiner Rezeptionsbereitschaft um­ schließt Hermann Siebecks Aristoteles-Monographie ebenso wie Max von Brandts Studie "Chinesische Philosophie und Staats konfuzianismus". Deutschsprachige Werke überwiegen. Doch las Troeltsch Französisch, Englisch und - wie die "Jahresberichte" belegen - nicht zuletzt Nie­ derländisch so gut, daß er auch Neuerscheinungen aus diesen Sprach­ und Wissenschaftsräumen ebenso kenntnis reich wie kritisch rezensieren konnte. In den Besprechungen ausländischer Arbeiten kommt er gern auf nationalkulturelle Differenzen zwischen deutschem und westeuropäischem Denkstil zu sprechen. Dem "angelsächsische[n] Denken"21 attestiert er einen pragmatischen Grundzug mit starker sozialethischer Orientierung und vielen "praktischen Ideen"22, der calvinistischen Ethik aber auch einen "etwas herben und pedantischen Charakter".23 "Deutsches Denken" sieht er demgegenüber durch metaphysischen Tiefsinn und harte spekulative Arbeit an letzten Problemen gekennzeichnet, durch Studierstubenernst und Grübelei. Als Heidelberger Ordinarius für Systematische Theologie mußte Troeltsch regelmäßig Vorlesungen zur Glaubenslehre bzw. Dogmatik hal­ ten. Der Wille zur Entwicklung einer eigenständigen dogmatischen Position mag erklären, daß Troeltsch nach der intensiven kritischen Auseinander­ setzung mit Lipsius' großem Entwurf in den folgenden Jahren mehrfach dogmatische Novitäten rezensierte. In den "Göttingischen gelehrten Anzeigen" würdigte er Julius Köstlins Alterswerk "Der Glaube und seine Bedeutung für Erkenntnis, Leben und Kirche" ausführlich als "ein letztes 20 21 22

23

Ebd. Unten, S. 3 1 3. Unten, S. 3 1 5. Unten, S. 3 1 4.

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und edelstes Erzeugnis der Vermittelungstheologie"24, deren theologische Methode er mit Gazzälis "Le preservatif de l' erreur" analogisierte, um hier wie dort, beim muslimischen wie beim christlichen Theologen, "die selbstverständliche Voraussetzung eines exklusiv supranaturalen Charakters der eigenen Religion" nachzuweisen und "eine bemerkbare Inconcinnität im Ergebnis"25 zu konstatieren. Ebenfalls für die "Göttingischen gelehrten Anzeigen" besprach Troeltsch 1 898 kritisch den ersten, die "Prinzipien­ lehre" entfaltenden Band der "Lutherischen Dogmatik" Alexander von Oettingens, des "ehrwiirdige[n] Veteran[en] des baltischen Luthertums"26, sowie kurz die unter dem Titel "Glauben und Wissen" zusammenge­ stellten "Ausgewählten Vorträge und Aufsätze" von Lipsius. Die zweite verbesserte, 1 896 bei J. C. B. Mohr erschienene Auflage des "Lehrbuchs der evangelischen Dogmatik" von Friedrich August Berthold Nitzsch lobte er in der "Zeitschrift für praktische Theologie" mit Blick auf die Tauglichkeit im Alltag der akademischen Lehre als "bewunderungswürdig solide" - ohne indes den "etwas altmodischen Charakter"27 der Darstellung zu verschweigen. Auch verzichtete der Rezensent nicht darauf, eigene Lieblingsthesen dem Leser dezent in Erinnerung zu rufen: "lch hätte hier nur gewünscht, dass der durchaus scholastische, mit der katholischen Wissenschaft gemeinsame und aus der alten Scholastik herausentwickelte Charakter der Methode mehr betont worden wäre, wie ich das in meiner Arbeit über Melanchthon und Gerhard gezeigt habe. Dann wäre noch deutlicher geworden, wie sehr die orthodoxe Theologie mit der ganzen übrigen Wissenschaft vor der Aufklärungsperiode zusammengehört und wie sehr es sich seitdem um einen prinzipiellen Neubau handeln muss."28 Auch wegen der bleibenden Virulenz des Kulturkampfes gerade in Ba­ den lehnte Troeltsch die verbreitete protestantische Devise "catholica non leguntur" ab und nahm die zeitgenössische römisch-katholische Neoscho­ lastik wie später auch die Modernismus-Kontroversen aufmerksam wahr. Schon als ganz junger Student am Königlichen Lyceum in Augsburg hatte Troeltsch eine katholische Sicht von "Logik, Noetik und Metaphysik", "An­ thropologie" und "Geschichte der Philosophie" kennengelernt. Die Lektü­ re katholischer Dogmatiker schien ihm nicht zuletzt deshalb geboten, weil hier metaphysische Begriffe, Denkformen und Darstellungsstile konserviert wurden, die einst auch die protestantische Dogmatik geprägt hatten. So 24 25 26

27 28

Unten, S. Unten, S. Unten, S. Unten, S. Unten, S.

66. 79. 501 . 5 1 3. 5 1 4.

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Einleitung

kommentierte er den Tomus I "De revelatione supernaturali" der "Theolo­ gia fundamentalis" des Schweizer Jesuiten Ignatius Ottiger: "Klarheit, Sorg­ falt und Besonnenheit machen das Buch zu einer lehrreichen Lectüre auch für den evangelischen Theologen. In der That gewinnt er heute aus katho­ lischen Werken am leichtesten noch das Verständniß der älteren Gestalt un­ serer eigenen Dogmatik und der Begriffe, um deren Behandlung die Anfän­ ge der Religionsphilosophie der Aufklärung sich dreht [siel] . Sie zeigt noch in lebendiger Bewegung die uralten Begriffe der Theologie, die bis zum 1 8. Jahrh. die gemeinsame Voraussetzung aller Theologie und Wissenschaft bildeten, und mag uns daher heute als Schlüssel zu jenen Systemen und Be­ griffen von Nutzen sein."29 Als Troeltsch 1 899 die Lehre von der "überna­ türlichen Gnade" und den "erschaffenen Gnaden" des in Fulda lehrenden päpstlichen Geheimkämmerers Constantin Gutberlet, eine Ü berarbeitung und Fortführung von Johann Baptist Heinrichs "Dogmatischer Theologie", anzeigte, betonte er allerdings auch die Grenzen seiner Deutungskraft an­ gesichts subtiler konfessionsspezi6scher Begrifflichkeiten der katholischen Fachkollegen: "Mir fehlt leider zu sehr das Verständniß für die Unterschei­ dung der Haaresbreiten, in denen die Originalität katholischer Dogmatiker zu Tage tritt, als daß ich den Ort dieser Gnadenlehre in der gegenwärtigen katholischen Dogmatik genauer bestimmen könnte. "30 So unterschiedlich nach theologischem Gehalt und intellektueller Problem entfaltung die besprochenen dogmatischen Werke auch sind Troeltschs Rezensionen bestimmt die Zuspitzung auf methodische Fragen, insbesondere nach der Plausibilität "supernaturalistischer" Denk6guren unter den Bedingungen "eine[r] unaufhaltsame[n] Historisirung der Theologie",31 Besonders prägnant zeigen dies die programmatischen Besprechungen von Ernst Vowinckels "Geschichte und Dogmatik" und Martin Kählers "Dogmatischen Zeitfragen" sowie die schon vom Umfang her gewichtige Auseinandersetzung mit Carl Albrecht Bernoullis "Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie". Fern aller gravitätischen Geheimratsattitüde mobilisierte der Heidelberger Or­ dinarius bei diesen kritischen Positionsbestimmungen neben analytischem Scharfsinn auch beträchtliche Aversionsenergie: Sie galt der "theologischen Manier, den kleinen Finger irgend eines Philosophen zu nehmen"32 und so die komplexen Problemlagen normativer Geschichtsdeutung willkürlich 29 Unten, S. Unten, S. 31 Unten, S. 32 Unten, S. 30

3 1 7. 546. 438. 534.

Einleirung

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aus verworrenen Gegenwartskonstellationen zu isolieren, sie galt den schnell fertigen Formeln und der falschen Ü bersichtlichkeit. Ein skep­ tischer Seitenblick konnte auch Harnack treffen - die wissenschaftliche Theologie unmittelbar als "das Gewissen der Kirche" zu denken, rücke "zwei an sich divergierende, ja feindliche Größen allzu nah zusammen"33 _, doch abzuwehren waren vor allem die Zumutungen biblizistischer Gegen­ wartsignoranz. Deren Vertretern die Fluchtwege in den traditions fromm dekorierten Schutzraum des ,Prinzipiellen' abzuschneiden und "allerhand ganz konkrete Schwierigkeiten" nach der "Zerbröckelung"34 supranaturali­ stischer Theoriefundamente zu benennen, sah Troeltsch als vordringliches Anliegen: An Büchern wie Kählers "Zeitfragen" lasse sich erkennen, "wie die alte Theologie nur durch gewaltsame Capriccios schmackhaft zu machen ist und wie unendlich weit jede neue von der alten wegsteuern muß. Das Christentum ist allerdings in gewissem Sinne in der modernen Welt eine neue Religion geworden, weil es ganz neue Inhalte und Weltansichten in sich hineingezogen hat. Es ist nicht bloß eine neue Theologie was wir vertreten und leben, sondern überhaupt eine neue Phase des Christentums selbst."35 Das Pathos des Zeitbruchs überwölbt alle Programmdebatten und grundiert die Jahrhundertbilanz. Der "eigentliche", der die Theologie des 1 9. Jahrhunderts "bewegende Gegensatz" sei derjenige "zwischen einer streng historischen Methode und einem diese Methode mehr oder minder einschränkenden Supranaturalismus" gewesen.36 Doch wird den Orientierungs nöten der Gegenwart nicht gerecht, wer sich mit dieser summarischen Feststellung begnügt und sich vom aller wissenschaftlichen Redlichkeit eingeschriebenen Differenzierungsgebot dispensiert. Der implizite Vorwurf, moderner Häresie anzuhängen, versetzt den Systemati­ ker der "Religionsgeschichtlichen Schule" in Bekenntnisstimmung: "Wir denken uns allerdings eine Theologie, die von dem Boden der allgemeinen Religionsgeschichte aus rein historisch die Bedeutung des Christentums würdigt, die den engen Zusammenhang seiner klassischen Ursprungszeit mit dem antiken Weltbild [.. ] anerkennt und in der Gegenwart den Prozeß der Auflösung dieses Zusammenhanges sich vollziehen sieht, aber darum an seiner ewigen Bedeutung nicht zweifelt, weil nur in ihm Gott mit voller innerer Lebendigkeit der nach einem überweltlichen Ziel verlangenden .

33 34 35

36

Unten, S. 348. Unten, S. 665. Brief Ernst Troeltschs an Adolf Harnack, 23. März 1 900, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Nachlaß Adolf von Harnack, Kasten 44 -> KGA 1 8/1 9. Unten, S. 338.

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Einleitung

Persönlichkeit sich darbietet. Eine solche Theologie mag kirchenrechtliche Schwierigkeiten haben, aber sie glaubt sicherlich an den lebendigen Gott."37 Die Intensität der Auseinandersetzung mit "dogmatischen Zeitfragen" im Spiegelkabinett des Rezensionsbetriebs sollte aber nicht über gewisse Vorbehalte des Kritikers hinwegtäuschen, mögen diese auch nicht ganz frei von Koketterie gewesen sein; die ihm rasch zugewachsene Rolle als Hausdogmatiker der "Göttingischen gelehrten Anzeigen" zumindest war Troeltsch nicht recht geheuer: "Was die Serie bedeuten soll ist mir nicht ganz klar, jedenfalls bin ich für Dogmatica nur sehr mäßig geeignet."38 So werden ihm Gelegenheiten willkommen gewesen sein, zur Abwechslung gelegentlich auch einige ethische Neuerscheinungen zu besprechen. Wohl unter dem Eindruck Franz Overbecks, den er bei seiner Studienreise im August 1 893 in Basel hatte besuchen wollen,39 und mit Blick auf die intensiven Debatten, die im Kreis der jungen Göttinger Theologenelite über Johannes Weiß' "Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes" geführt worden waren, betonte Troeltsch die eschatologische Weltindifferenz des Christentums. Die etwa von Martin Rade unter Albrecht Ritschls Einfluß vertretene "Identification von Moral und Religion" sah er kritisch und gab eine bleibende Differenz nicht preis: Als "klassisches Musterbild religiös bestimmter Moral" befinde sich zum al die Bergpredigt "bei ihrer eschatologischen Transscendenz geradezu im Gegensatz zu wichtigen Gebieten innerweltlicher Moral".40 Entschieden machte er gegen Programme einer darwinistisch fundierten "Socialethik" Front, die in ihren "der modernen naturwissenschaftlichen Psychologie" entlehnten Begriffen41 keinerlei Selbständigkeit des Geistes und seiner Inhalte mehr zu denken erlaubten; für den Anti-Darwinismus des Heidelberger Gottesgelehrten ist vor allem die polemische Anzeige der "Realwissenschaftlichen Begründung der Moral, des Rechtes und der Gotteslehre" repräsentativ, die der Göttinger Philosophieprofessor Julius Baumann 1 898 veröffentlicht hatte. Die Absage an einen darwinistisch begründeten Determinismus des "Milieus" steht im Zentrum der Popu­ larethik Amory H. Bradfords, eines kongregationalistischen Geistlichen 37 38 39

40

41

Unten, S. 667. Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 7. April 1 898, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -> KGA 1 8/1 9. Vgl. dazu Ernst Troeltsch: Bericht über die im Jahre 1 893 ausgeführte Reise des Biarowskyschen Stipendiums, eingeleitet und hg. von Friedrich Wilhe1m Graf (1991), S. 1 00 -> KGA 1 . Unten, S. 496 f. Unten, S. 500.

Einleitung

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aus den USA. Troeltsch lobt hier die pragmatisch nüchterne Orientierung an "den praktischen Aufgaben des sozialen Lebens" und den "kräftigen, freien Zug" der Gedanken, "der sich von der Stuben- und Kirchenluft unserer theologischen Ethiken erfreulich unterscheidet".42 Was mit diesem beiläufigen Hinweis auf die Klimazonen christlich-gelehrter Weltfremdheit gemeint war, führte der so problemsensible wie reizbare Zeitdiagnostiker aus Heidelberg dann im November 1 899 in einem veritablen Verriß von Julius Köstlins "Christlicher Ethik" wiederum auf der Bühne der "Göttingischen gelehrten Anzeigen" vor. Mit sarkastischem Ingrimm wird dem 700-Seiten-Werk des Hallenser Systematikers als letztem frommen "Ausläufer"43 vermitclungstheologischer Harmonisierungsfreude die völlige Bedeutungslosigkeit für eine Diskussion ethischer Konflikclagen der Gegenwart bescheinigt: Köstlin vertrete in unangefochtener Harmlosigkeit und chaotischer Gedankenführung "die Anschauungsweise eines christli­ chen juste milieu, bei dem die durch geschichtliche Fügung thatsächlich gewordenen kulturellen Ordnungen und Zwecke hingenommen werden als einmal gegebene, von Gott gesetzte Verhältnisse des Handelns, die vor allem durch die von Gott verordnete und sehr zu respektierende Obrigkeit festgelegt sind".« Der Verzicht auf prägnante begriffliche Distinktionen - "Religion und Sittlichkeit, religiöse und innerweltliche Moralzwecke", "Individualethik und Sozialethik"45 bleiben diffus ungeschieden - verhin­ dere eine präzise Problembestimmung und erlaube Köstlin nicht mehr als ein "äußerliches Arrangement verschiedener durcheinander geschüttelter Bestandteile der theologischen und philosophischen Schulmoral".46 Doch nicht so sehr die formalen Mängel und wissenschaftlichen Defizite als vielmehr die tragikomischen Züge der Gegenwartsverweigerung erbitterten Troeltsch: "Große brennende ethische Probleme der Gegenwart giebt es nicht. [...] Soziale Frage, Frauenfrage, Weltpolitik, Wirkungen der Technik verändern den Stand der sittlichen Probleme nicht wesentlich, die wissen­ schaftlichen Umwälzungen stellen die ethische Gesammtanschauung nicht vor neue Fragen. Alles ist, wie wenn wir noch in den alten lutherischen Territorialstaaten lebten [...]".47 Erbaulichkeit statt Realitätsrezeption: Dies Ausweichen ins Unverbindliche beförderte aus Sicht von Troeltsch nicht 42 43 44 45 46

47

Unten, S. Unten, S. Unten, S. Unten, S. Unten, S. Unten, S.

3 1 3. 645. 651 . 649. 650. 651 f.

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Einleitung

zuletzt eine für die Theologie insgesamt fatale Marginalisierungstendenz, den Verlust an öffentlich zu bewährender Deutungskompetenz für die "ernstesten Fragen" der Zeit. Wer sich, rückwärtsgewandt, dem Orien­ tierungshunger seiner Epoche entzog, mußte dafür bezahlen - und die "Antworten der sogenannten philosophischen Ethik überlassen".48 So behielt Troeltsch als Rezensent ganz bewußt auch die Konkurrenz auf den Sinndeutungsmärkten im Blick und besprach etwa den dezidiert nicht­ theologischen Ethik-Entwurf des Greifswalder Privatdozenten der Philoso­ phie Otto Stock, 1 897 publiziert unter dem Titel "Lebenszweck und Lebens­ auffassung". Mit dem mainst ream der zeitgenössischen deutschen Ethiker konstatierte Stock, wie Troeltsch in zum Teil pathetischen Formulierungen referiert, analog zur Religionskrisis auch eine elementare Moralkrise, weil die seit dem 1 8. Jahrhundert vorherrschende Begründung des Ethischen auf der "Autonomie des Subjectes" "zu einer unabsehbaren subjectivisti­ schen Verwilderung geführt" habe.49 Kulturkritisch getönt kann Troeltsch zwar vom "Zusammenbruch der bisherigen Normen" sprechen,so wehrt sich aber dennoch gegen ein einseitig normativistisches, sollensorientiertes Verständnis der Ethik, die als eine "psychologisch-empirisch-kritische" Gei­ steswissenschaft "nicht in erster Linie Normen für das Leben aufzustellen, sondern die in der Wirklichkeit herrschenden Gesetze zu erkennen" habe, "woran dann erst praktische Folgerungen sich anschließen können".51 "Das Geschichtsproblem"s2 bestimmt allerdings auch die Ethik, die Troeltsch vor die Frage gestellt sieht, wie die im 1 9. Jahrhundert sich durchsetzen­ de "Erkenntniß von der geschichtlichen Bedingtheit und Veränderlichkeit des subjectiven sittlichen Urtheils sich mit der grundlegenden Erkenntniß von Einheit, Nothwendigkeit und Absolutheit des sittlichen Zweckes ver­ einigt".s3 Gegen Stock bestreitet er 1 898, "daß die Ethik eine streng ein­ heitliche, logisch deducirbare Wissenschaft sein und ein absoluter Zweck construirt werden müsse": "Die sittliche Wirklichkeit spricht unbedingt da­ gegen." Schon hier deutet Troeltsch seine Sicht des unaufhebbar pluralen, bleibend widersprüchlichen Charakters der "sittlichen Zwecke" an, für die er später die Formel vom "Vielspältigen" prägte: "Die Moral, die wir leben, ist keine einheitliche, und bei der Mannigfaltigkeit der Impulse zu ethischer 48 49 50 51 52 53

Unten, S. Unten, S. Ebd. Unten, S. Unten, S. Unten, S.

652. 358. 360. 1 82. 363.

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Einleitung

Werthschätzung wird es auch schwerlich j e der Moralwissenschaft gelingen, die sittlichen Zwecke völlig zu vereinheitlichen."54 Vom brennenden Sinnverlangen der Zeit und den vielfältigen Möglich­ keiten, das "Geschichtsproblem" seiner gegenwartsbedrängenden Härte zu berauben und in die Sphären historischer Spekulation auszulagern, profitier­ te ein weiterer Konkurrent theologischer Welterklärungsmodelle: die ver­ gleichende Religionswissenschaft. Troeltsch nahm sie als junger Heidelber­ ger Ordinarius zumal in der vom Oxforder Orientalisten Friedrich Max Müll er vertretenen sprach- und mythenfixierten Spielart kritisch in Augen­ schein - und entdeckte vor allem Zeugnisse verblassenden Wissenschafts­ ruhms oder, schärfer formuliert, immer neue, ermüdende Variationen ei­ nes "Grundirrthum[s]": Müllers Hauptthese, daß "die Religion nichts ist als eine durch die Ungelenkheit primitiver Sprachen noch beengte primiti­ ve Philosophie",55 aber auch "seine pantheisirende Erklärung der Religion als Wahrnehmung des Unendlichen" und die "romantische Schätzung des Veda als des eigentlichen Hauptdenkmals der religiösen Urzeit"56 verraten für Troeltsch lediglich analytische Defizite, Verständnisblockaden, Wissens­ lücken und fehlenden "historischen Sinn". In den sich allmählich vertiefen­ den Heidelberger Perspektiven einer methodisch avancierten "Kulturwis­ senschaft des Christentums" verloren sich die "sehr verzettelten und un­ ruhigen Darstellungen"57 des greisen Gelehrten im Unerheblichen; so be­ eindruckt sich Troeltsch von Hermann Useners "Götternamen" zeigte, so wenig vermochte er in Müllers "Gifford Lectures" über "Theosophie oder psychologische Religion" wie in den "sehr breit und umständlich, mitunter geradezu geziert geschriebenen"58 "Beiträgen zu einer wissenschaftlichen Mythologie" noch Anregungspotential zu entdecken. Das Kaiserreich war eine religiös hoch erregte Zeit, stark geprägt von protestantisch-katholischen Kulturkämpfen, vielfältigen Suchbewegungen nach einer besseren "Religion der Zukunft", harter Kirchen- und Christen­ tumskritik, Kirchenreformdebatten und überschwenglicher Hoffnung, eine zerrissene, fragmentierte Moderne durch Religion wieder heilen, in Rich­ tung auf neue sinnerfüllte Gemeinschaft überwinden zu können. Um me­ takritisch "Die Selbständigkeit der Religion" neu zu konzipieren,59 nahm Troeltsch intensiv die religionskritischen Debatten um den sogenannten 54 55 56 57 58 59

Unten, S. 364. Unten, S. 5 5 1 . Unten, S. 1 84. Unten, S. 550. Unten, S. 547. Vgl. Ernst Troeltsch: Die Selbständigkeit der Religion (1 895/96)

->

KGA 1 .

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"Illusionismus" des religiösen Bewußtseins zur Kenntnis. Die frühen Re­ zensionen spiegeln sowohl ein prononciertes Interesse an religionstheore­ tischen Prinzipienfragen und den Methodendebatten, die in und zwischen den verschiedenen religionsdeutenden Disziplinen geführt wurden, als auch hohe Sensibilität für die diversen Reformprogramme, mit denen religiöse Virtuosen und selbsternannte Propheten aus ganz unterschiedlichen welt­ anschaulichen Milieus eine neue "religiöse Lage" herbeiführen wollten. Für die "Theologische Literaturzeitung" besprach Troeltsch die 1 896 bei J. C. B. Mohr in Freiburg erschienene Kampfschrift "Die Notwendigkeit und Ge­ stalt einer kirchlichen Reform" des vom Katholizismus zum Protestantis­ mus konvertierten Züricher Philosophen Johannes Kreyenbühl. So sehr er dabei die religionshistorischen Passagen des dezidiert antirömischen Buches in den Mittelpunkt rückte, so skeptisch beurteilte er die "Aufforderung zur Sektenbildung" und Kreyenbühls verwegenes Programm, den protestanti­ schen Kirchen, theologisch wie kultisch erneuert, die "Gestalt der christli­ chen, gnostisch-reformatorischen, staats freien, christlich-humanen, rein re­ ligiösen, charismatischen Gesellschaft" umfassend Erlöster zu geben. Auch hinter dieser "Reformforderung" stand für Troeltsch bloßes Wunschden­ ken, auch sie beruhte "auf einer irrigen und unbestimmten Anschauung vom Wesen jeder Kirchenbildung".6o Deutlich positiver würdigte der öffentliche Leser 1 898 "Die Weltanschau­ ung eines modernen Christen", wie sie C. A. Friedrich, ein ganz unbekann­ ter elsässischer Landpfarrer, entfaltet hatte. Friedrich wollte "seinen Glau­ ben mit der Wissenschaft der Welt" verknüpfen, und obgleich Troeltsch die hier leitende, ihm allzu "phantastisch und wunderlich" wirkende Kosmolo­ gie ablehnte, brachte er für die "Sehnsucht und Zuversicht [... ], der moder­ nen Bildung den Weg zur Religion wieder [zu] erschließen", doch großes Verständnis auf: "Religion ist ihm Entwicklung, Erhebung aus dem vorge­ fundnen Zustande zu der Lebensquelle in Gott, wodurch wir erst lebendi­ ge Personen mit festem Zentrum werden"; diese "Darstellung der Religion und des Christentums als Erlösung und Emporentwicklung durch Vertrau­ en" enthalte, so rühmt Troeltsch, "echt religiöse Gedanken".61 Noch emphatischer geben sich in Lobesrhetorik und ganz persönlicher Anerkennung Troeltschs Besprechungen von Werken des badischen Pfarrers und religiösen Schriftstellers Richard Wimmer, eines durchaus einflußreichen Mitbegründers des "Deutschen Protestantenvereins". Die Meditationen unter dem Titel "Liebe und Wahrheit", aber auch die in den "Gesammelten Schriften" vorgelegten Betrachtungen und Andach60 61

Unten, S. 1 99 f. Unten, S. 486 f.

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ten boten dem notorisch überarbeiteten, von Gegenwartsnöten und Zukunftszweifeln heimgesuchten Heidelberger Ordinarius offenkundig willkommene seelische Labsal auf seinen rastlosen Wanderungen durch die Wissenschaftswüsten: "Es ist in der modernen religiösen Krisis immer eine Freude, wenn man einem Manne begegnet, der den Muth hat, ohne theologische und apologetische Quälereien, ohne mühsame Zusammenstimmung theologischer Reservatrechte und allgemein wis­ senschaftlicher Forderungen einfach und schlicht aus dem unmittelbaren religiösen Erlebniß sich zu einem christlichen Charakter zu gestalten."62 Der bekennende Systematiker Troeltsch war angesichts dieser "freie[n] und zugleich wirklich lebendige[n] Frömmigkeit"63 sogar imstande, das "völlig unsystematisch" Dargebotene zu feiern. Geradezu erleichtert klingt dann auch die Feststellung, daß Wimmer darauf verzichtet, "theologisch­ philosophische Reflexionen zu geben und damit dem modernen Menschen die christliche Dogmatik zu erleichtern oder zu verbessern, wie das oft ebenso wohlmeinend wie wirkungslos geschieht."64 Statt dessen gewinnt "ein Typus der Frömmigkeit" literarisches Profil, "der nicht an dogmati­ schen Theorien bessert und flickt, nur immer zweifelt und Zweifel auslöst, sondern von den selbstverständlichen Voraussetzungen der gegebenen Lage aus eine geschlossene, schöpferisch und individuell christliche Persönlichkeit von reinen Umrissen darstellt."65 Sehr selten nur gestattete sich der öffentlich agierende Theologenintellektuelle solch kaum kaschierte Sehnsuchtstöne, die erahnen lassen, was Friedrich Niebergall mit dem "weltflüchtigen Troeltsch"66 gemeint haben könnte. Die Wimmer-Lektüre brachte Troeltsch am 1 0. Juni 1 903 dazu, der Heidelberger Fakultät mit großem Nachdruck den bereits schwer erkrankten Pfarrer von Weisweil zur Ehrenpromotion vorzuschlagen;67 sie lenkte seinen Blick aber auch zurück auf religiöse Horizonte, die dem gelehrten Zeitdiagnostiker nicht zuletzt unter der Dauerbelastung exzessiver Wissenschaftsrezeption immer wieder aus dem Blick zu geraten drohten: "Demuth und Resignation, tiefste 62 63 64 65 66

67

Unten, S. 325. Unten, S. 525. Unten, S. 325. Unten, S. 326. Vgl. das Niebergall-Zitat im Brief Julius Kaftans an Theodor Kaftan, 1 6. Novem­ ber 1 9 1 0, in: Oulius Kaftan, Theodor Kaftan) : Kirche, Recht und Theologie in vier Jahrzehnten (1 967) , S. 466. Vgl. das Gutachten in Heidelberg, Universitätsarchiv, Theol. Fak. 59 (Dekanatspro­ tokolle 1 901-1 904), BI. 227. Zu Person und Werk Wimmers vgl. Horst Renz (Hg.) : Ein Standpunkt gegenüber dem Elend der Welt (1 998) . -

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Ehrfurcht und Selbstbescheidung, geringere Schätzung der Wichtigkeit des eigenen Wohl und Wehe sind die religiösen Consequenzen dieser Einsichten, die uns beständig vorschweben sollten."68 In Wimmers Schriften entdeckte Troeltsch zwar "alle charakteristischen Grundzüge des religiösen Lebens der Gegenwart",69 er las sie gleichsam als fromme Kassiber über den "Stand der Dinge"70 und pries ihren gespeicher­ ten Erfahrungsschatz. Doch die Arbeitsenergie des gelehrten Rezensenten banden nicht Gegenwartsmeditationen, sondern geistesarchäologische Son­ dierungen auf weitem Vergangenheitsterrain. Zwischen 1 897 und 1 903 er­ schienen in der dritten Auflage der "Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche" Troeltschs große historische Artikel über "Aufklä­ rung", "Deismus" und die "englischen Moralisten". Obgleich er in Hei­ delberg zumeist Dogmatik und Ethik las, setzte Troeltsch arbeitsintensiv die theologie- und christentumshistorischen Forschungen zur Geschichte des modernen Protestantismus fort. Mehrere der hier edierten Besprechun­ gen sind im engen Zusammenhang mit den diversen historischen Aufsät­ zen und Lexikonartikeln zu lesen, die Troeltsch seit Ende der 1 890er Jahre schrieb. Die gegenwärtige religiöse, theologische, politische und kulturelle Lage, die spezifische Krisensignatur der Moderne lasse sich, so sein viel­ faltig variiertes historistisches Methodencredo, nur in geschichtlichen Be­ zügen, durch konsequente "Historisierung" angemessen verstehen. Allge­ meiner Ideengeschichte und speziell Wissenschaftsgeschichte der Theolo­ gie verlieh Troeltsch ebenso wie Religions-, Christentums- und Kulturge­ schichte eine dezidiert modernitätstheoretische Funktion. Dies zeigen ge­ rade die Rezensionen zu Werken, in denen die tiefgreifenden Umformun­ gen des Denkens in Früher Neuzeit und Aufklärung untersucht werden; exemplarisch genannt seien die Besprechungen von Carl Güttlers großer Monographie über den Deisten "Eduard Lord Herbert von Cherbury", im Oktober 1 898 in der "Theologischen Literaturzeitung" gedruckt, und von Friedrich Lezius' Studie über den "Toleranzbegriff Lockes und Pufendorfs", die im Dezember 1 900 in Paul Hinnebergs "Deutscher Litteraturzeitung" erschien. Aber auch die beiden Anzeigen von Kant-Studien Friedrich Paul­ sens und der für Martin Rades "Christliche Welt" geschriebene Essay zu Harnacks magistraler "Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin" sind hier zu erwähnen. Die enge Verbindung zwischen Rezensionstätigkeit und sonstigen litera­ rischen Plänen wie akademischen Pflichten spiegelt sich besonders präg68 69 70

Unten, S. 326. Unten, S. 525. Ebd.

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nant in den drei Sammelrezensionen von "Rothelitteratur", die Troeltsch 1 899 und 1 900 für die "Christliche Welt" schrieb. Die Lektüre der diver­ sen Erinnerungsschriften, biographischen Würdigungen und werkbezoge­ nen Spezialstudien über den so einflußreichen wie heftig befehdeten kultur­ protestantischen Ethiker, dessen Lehrstuhl er nun innehatte, diente ersicht­ lich der Vorbereitung der großen Feier zu Richard Rothes hundertstem Ge­ burtstag, bei der er am 9. Februar 1 899 in der Heidelberger Universitätsaula vor einer illu stren Festversammlung im Beisein des Großherzogs die "Ge­ dächtnisrede" hielt.71 In seinen Literaturberichten schrieb Troeltsch nicht nur Theologiegeschichte des 1 9. Jahrhunderts und speziell Geschichte der eigenen Fakultät, sondern wollte im Medium der Rothe-Deutung auch die positionellen Konkurrenzkämpfe gegen die Rothe vereinnahmenden "Po­ sitiven", vor allem seinen direkten Fachkollegen Ludwig Lemme, forcieren. Hier ging es um theologische Geschichtspolitik. Analoges gilt für die Rezensionen von Werken, deren Autoren sich kri­ tisch mit dem von Troeltsch in seiner Dissertation entfalteten Bild der alt­ protestantischen Orthodoxie auseinandersetzten. Auf seinen vielbeachteten Erstling über "Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melan­ chthon" kommt er insbesondere in der äußerst kritischen Rezension von Carl Stanges Studie "Zur Theologie des Musäus" gleich mehrfach zu spre­ chen. Nachdrücklich stimmt er Stange darin zu, "daß die sog. neuere Dog­ mengeschichte oder Geschichte der protestantischen Theologie eingehen­ der betrieben werden müsse".72 Mit dem Versuch, am Ü bergangstheologen Musäus die "Umgestaltung und Anpassung der orthodoxen Principienleh­ re an die inzwischen veränderten Verhältniße" im späten 1 7. Jahrhundert darzustellen, setze Stange Troeltschs eigene "Arbeit über die Entstehung und erste Ausbildung dieser Principienlehre fort". Troeltsch wirft dem dezi­ diert lutherischen Hallenser Privatdozenten dann aber vor, sich methodisch nur höchst unzulänglich orientiert an eine Fragestellung gewagt zu haben, bei der ein enger "Anschluß an meine Arbeit" geboten sei. Stange behande­ le Musäus' Theologiekonzept in fachspezifischer Isolation, ohne zu sehen, daß die leitenden "Begriffe und Methoden [...] alle aus der damaligen eng zusammenhängenden Gesammtwissenschaft stammen", man also das Wis­ sensehaftskonzept der Theologie nur im Kontext des generellen Wissen­ schaftsverständnisses der Zeit sinnvoll erfassen könne. Troeltsch geht es da­ bei nicht nur um die Rechtfertigung seiner eigenen stark kulturhistorisch ak­ zentuierten Deutung der altprotestantischen Orthodoxie, sondern sehr viel 71 72

Vgl. Ernst Troeltsch: Richard Rothe. Gedächtnisrede, gehalten zur Feier des hun­ dertsten Geburtstages in der Aula der Universität (1 899) -+ KGA 1 . Unten, S. 31 8. Im folgenden S. 3 1 8-321 .

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prinzipieller noch darum, die tiefe Zäsur der aufklärerischen Revolution der Denkungsart zu markieren und die These zu entfalten, "daß alles was vor der Sintfluth der Aufklärung liegt, nur historisch verstanden werden kann, mit modernen Interessen dagegen unverwirrt bleiben muß". Anders formu­ liert: Seine kritischen Besprechungen aktueller theologiehistorischer Studi­ en zur altprotestantischen Orthodoxie dienen einer Bekräftigung der Unter­ scheidung von Altprotestantismus und Neuprotestantismus gerade auch in dem Sinne, daß die aktuelle theologische und generell geisteswissenschaftli­ che Problemlage keinerlei Repristination altprotestantischer Theologoume­ na erlaube. Schon in den frühen Heidelberger Jahren trieb Troeltsch mithin jenes "Hauptproblern" um, das er Jahre später in einem Brief an Rudolf Eucken sorgenvoll benannte: "die Frage des Ü berganges in die kommenden neuen Verhältnisse". Nicht nur das "gegebene Kirchentum" geriet dabei ins Visier, sondern auch die Selbstbehauptungskrisen "der freien Theologie des Pro­ testantismus" und damit zugleich der "litterarische Befreiungskampf",73 für den es intellektuell wohlgewappnete Unterstützung zu gewinnen galt, wo immer sie sich finden ließ. In diesen Kontext sind auch Troeltschs Ausein­ andersetzungen mit den verschiedenen neuen Idealismen der Zeit um 1 900 einzuordnen. Nicht weniger als dreimal bespricht Troeltsch die von seinem Erlanger philosophischen Lehrer Gustav Claß 1 896 veröffentlichte "Phäno­ menologie und Ontologie des menschlichen Geistes". Troeltsch, der schon als Student mehrfach bekannte, Claß entscheidende geistige Anregungen zu verdanken und sich auch später immer wieder auf den philosophiehi­ storisch hochgebildeten Lehrer bezog, ließ sich von Claß insbesondere an die großen Texte der klassischen deutschen Philosophie um 1 800 heranfüh­ ren. Claß hatte sich in Lehre wie Schriften auf Fragen der Geschichtsphilo­ sophie, naturwissenschaftlichen Psychologie, ethischen Prinzipienlehre und Metaphysik konzentriert und gegen die diversen psychologistischen Theo­ rien der Zeit darauf insistiert, daß die alten Grundfragen der Metaphysik auch unter modernen Bedingungen virulent bleiben und weder durch expe­ rimentelle Psychologie noch durch Erkenntnistheorie erledigt seien. Gerade in Troeltschs ethischen Publikationen, im Konzept der Ethik als Grundwis­ senschaft vom geistigen Leben oder von den Prinzipien des Geschichtspro­ zesses, läßt sich die intime Nähe zu Claß' teils Hegel, teils Schleiermacher verpflichtetem Verständnis der Ethik als umfassender Kulturtheorie greifen. Auch der zustimmende Grundton, in dem die Besprechungen von Claß'

73

Brief Ernst Troeltschs an Rudolf Eucken, 8. November 1 9 1 1 , Jena, Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek, Nachlaß Eucken --+ KGA 1 8/1 9.

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Geistlehre (pneumatologie) gehalten sind, verrät eine mehr als nur Pietäts­ rücksichten geschuldete Nähe. Troeltsch teilt Claß' kritische Diagnose der geistigen Lage der Gegen­ wart, wie sie ähnlich auch von Rudolf Eucken gestellt wurde: Die einsei­ tige Vorherrschaft oder gar "Alleinherrschaft" von Empirismus, Natura­ lismus, Evolutionismus und soziologischer Milieutheorie unterminiere die tragenden Fundamente sittlicher Kultur, die nun einmal eine prinzipielle Selbständigkeit des Geistes voraussetze.74 Claß sei in seinen sehr komplizier­ ten Untersuchungen zwar weniger praktisch orientiert als Eucken, atmend "in der friedlichen Luft eines ganz abstracten, nur von fachlichem Inter­ esse beherrschten Denkens".75 Aber sein begrifflich anspruchsvolles Kon­ zept der "intellektuellen Anschauung", erarbeitet in der Verknüpfung Hegel­ scher wie Schleiermacherscher Denkfiguren mit der Freiheitslehre Kants, gilt Troeltsch insoweit als ein Beitrag zur gebotenen Erneuerung der teils vom Skeptizismus bedrohten, teils einem "flachen Kulturoptimismus" ver­ fallenen Gegenwartskultur,76 als hier überindividuelle Verbindlichkeiten im­ mer mit konkretem Bezug auf sie aneignende und produktiv umschaffende Individuen gedacht seien: "Jede Neuschaffung [...] ist nicht Werk des Indi­ viduums, sondern Wirkung eines es ergreifenden und über es weit hinaus­ reichenden, neu auftauchenden Inhaltes, der dann wieder dem Prozeß der Durcharbeitung und der Beeinflussung durch das Individuum unterworfen wird. Wir haben in solchen Fällen eine productive intellectuale Anschau­ ung vor uns, den geheimnißvollen neuen Eintritt in das menschliche Leben durch das Organ führender Geister."77 Troeltsch ist von Claß' "Ontologie des Geistes" gerade deshalb so fasziniert, weil er mit seiner neoidealisti­ schen Begrifflichkeit "die Inhalte und die Seelen, in denen sie sind, aber mit denen sie sich nicht decken, sowohl unterscheidet als in ihrem Ineinan­ der begreift". "Die Inhalte bedürfen zu ihrer Durchsetzung der Willenshin­ gabe, der Treue und Correctheit, sie werden gefährdet und zerstört durch Untreue, Abneigung oder Incorrectheit der Individuen. Sie führen ihr eige­ nes selbstständiges, aus ihrer eigenen Consequenz fließendes Leben, aber dieses Leben ist zugleich das Leben der Individuen und ist abhängig von der Art, wie es in das der Individuen aufgenommen wird. "78 Sehr differenziert benennt Troeltsch dann zwar einige systematische Wi­ dersprüche, in die Claß sich verstrickt hat, und offen bleibende Fragen, fei74 75 76 77

Unten, S. Unten, S. Unten, S. Unten, S.

78 Ebd.

171. 1 72. 1 67. 1 76.

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ert die Claß'sche Pneumatologie - im entschiedenen Gegensatz zu einer bloßen Psychologie - aber als einen grundlegenden Beitrag zum "Problem der Geschichte", genauer als ontologische Erschließung der inneren Bewe­ gungsdynamik des historischen Prozesses, der für die Theologie den großen Gewinn mit sich bringe, daß hier ihr "Arbeits feld in einer musterhaft klaren Weise abgesteckt" sei: "zwischen den an sich überaus nothwendigen, aber von uns nicht zu erledigenden Untersuchungen über das Verhältnis von Geist und Materie und über das Absolute die Welt der geschichtlichen Gei­ stesinhalte oder Lebensprincipien, von denen wir nur Geschichte und In­ halt der religiösen Lebensprincipien und unter diesen wieder die des christ­ lichen Princips besonders als des centralen zu behandeln haben".79 Jeder Glaube an religiöse Wahrheiten habe nun einmal eine idealistische Welt- und Geschichtsanschauung zur unabdingbaren Voraussetzung, das klare Wissen um eine eigene "Würde des Geistes"80 bzw. eine prinzipielle "Selbständig­ keit des seine eignen Ziele verwirklichenden Geistes gegenüber der Natur"; gerade im Interesse der Stärkung einer "in sich gesammelten und mit ethi­ schem Inhalt erfüllten Persönlichkeit", einer Persönlichkeit, die durch ihren religiösen Glauben bzw. das religiöse Lebenszentrum Identität, "Festigkeit und Grundrichtung" empfangt,81 weiß Troeltsch sich Claß und in ähnlicher Weise auch dem ihm damals nur literarisch bekannten Rudolf Eucken ver­ bunden. Troeltsch verortet sich hier in einer intellektuellen Kampfgemeinschaft, die er in seiner Rezension von Euckens "Kampf um einen geistigen Le­ bensinhalt" selbst als "vorwärtsdringende Minorität" kennzeichnet.82 Der Versuch des Philosophen, von Jena aus die - vom Untertitel des Werkes verheißene - "neue Grundlegung einer Weltanschauung" voranzutreiben, den "schal gewordenen Idealismus"83 einer versunkenen Epoche umzubil­ den und als geistige Lebensrnacht in verwandelter Welt erneut zu inthroni­ sieren, fand in Heidelberg ein begeistertes Echo. Leise Vorbehalte, ob das von Eucken breit entfaltete Prinzip der "Wesensbildung" und des "Geistes­ processes" auch die "religiösen Grundlagen aller Philosophie" angemessen berücksichtige,84 schwächen den hymnischen Tenor der Besprechung kaum. Der begeisterte, bei aller Seelenstärke zuweilen auch trostbedürftige Leser 79 80 81 82 83 84

Unten, S. Unten, S. Unten, S. Unten, S. Unten, S. Unten, S.

1 79 f. 1 67. 1 65 f. 63. 56. 60.

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spürte wohl schon das später beschriebene Erwachen "einer nahen geisti­ gen Verwandtschaft"85 und traf hier "endlich einmal wieder" auf "eine fri­ sche und vorurtheilslose, aber edle und für alles Große empfangliche Her­ ausarbeitung und Behandlung der Probleme, wie wir sie in unserer theologi­ schen Angst und apologetischen Künstlichkeit fast ganz verlernt haben und wie wir sie in der Zwitterphilosophie des Tages nur allzu selten finden."86 Eucken bot "echte und rechte Denkarbeit aus dem Großen und Gan­ zen"87 - doch das Alitagsgeschäft konfrontierte den Rezensenten weit häu­ figer mit der Mühsal, auch dem Kleinen und Halben gerecht werden zu müssen. Selbst Spezialisten der Wissenschaftsgeschichte um 1 900 erleben bei einem Blick auf Troeltschs Rezensionsprogramm Momente irritieren­ der Ernüchterung angesichts der Grenzen eigener Kennerschaft. Viele der von Ernst Troeltsch besprochenen Werke sind auch den Experten unbe­ kannt, die Autoren nicht mehr als nie gehörte Namen. Gerade in den vier großen Uteraturbilanzen für Holtzmanns "Jahresbericht" stellte Troeltsch viel Vergängliches, tagesaktuell Ephemeres aus den kaum noch kritisch zu kontrollierenden Zeitgeistdebatten über Krise, Reform und Geltungsmacht der Religion vor. Mediokres, Obskures, Mißglücktes reiht sich aneinander, wird sarkastisch abgefertigt, seufzend beiseite gelegt - wenn es denn über­ haupt einmal vorlag: Oft genug mußte der rezensierende Akkordarbeiter sich bei entlegenen Titeln mit Informationen aus zweiter Hand oder einer kargen bibliographischen Notiz begnügen.88 So sind die Sammelrezensionen weniger mit Blick auf Troeltsch, der hier zum Teil auch eigene Arbeiten referiert und sich zuweilen selbst kommentiert, von Interesse, sondern eher als Texte, die neue Zugänge in die erst vage erkundeten religiösen Diskurslandschaften des späten 1 9. Jahrhunderts erschließen. Besondere Beachtung verdienen die hochdif-

85

86

87 88

Brief Ernst Troeltschs an Rudolf Eucken, 1 3. Oktober 1 905, Jena, Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek, Nachlaß Eucken; dort heißt es weiter: "Es sind ja im Wesentlichen die gleichen Ziele, für die wir beiderseits kämpfen; daß ich da­ bei mehr von dem konkreten religionshistorischen u[ndJ religionspsychologischen Material aus arbeite, versteht sich bei meinen Ausgangspunkten von selbst. Doch ist das Ziel durchaus ein gemeinsames." ---+ KGA 1 8/1 9. Unten, S. 63. Als "Trost" in "dieser verworrenen Zeit" skizziert Troeltsch seine Eucken-Lektüre in einem Brief an Friedrich von Hügel, April 1 90 1 , St. Andrews, Universitätsbibliothek, Nachlaß von Hügel ---+ KGA 1 8/19. Unten, S. 63. Vgl. unten, S. 448: "Die Werke selbst haben, mit geringen Ausnahmen, dem Refe­ renten nicht vorgelegen."

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ferenzierten spätidealistischen Begrifftichkeiten, die Troeltsch verwendet und häufig den von ihm besprochenen Werken entlehnt. Viele der Leitbe­ griffe und Formeln, die in der Forschungsliteratur immer wieder mit dem akademisch etablierten Troeltsch nach der Jahrhundertwende assozüert werden, sind bereits in den Rezensionen und Literaturberichten der 1 890er Jahre präsent: "Absolutheit des Christentums", "Anthropomorphisierung", "Autoritätschristentum ", "Bedürfnistheologie" , "Erfahrungswissenschaft", "Gemeinleben", "Gewohnheitschristentum", "Kompromißchristentum", "innerweltliche Lebensordnungen", "reine Liebesreligion", "Menschen­ tum", "Postulatentheologie" und so fort. Schon der junge Troeltsch klagt "praktische Synthese" ein, verfügt über einen variantenreichen Sprach­ schatz aus den "Kulturwissenschaften" einschließlich der einschlägigen Modeterminologie und läßt immer wieder erkennen, daß ihm der durch die "moderne Historisierung" entstehende Problemdruck als die zentrale intellektuelle Herausforderung wissenschaftlicher Theologie gilt. Den Zusammenhang von Historisierung und "Relativismus", die "immer bren­ nender werdende" Frage, "wie gegenüber dem Relativismus der Historie normative Erkenntnisse zu gewinnen seien",89 thematisierte er besonders 1 899, stimuliert vom zählebigen Methodenstreit der deutschen Historiker. Von früh an galt Troeltschs Rezensenteninteresse jenseits des theologi­ schen Hauptgeschäfts und neben der Philosophie besonders der zeitgenös­ sischen Geschichtswissenschaft - und diese Zuwendung wurde von der Historikerzunft erwidert. Dem Theologen kam dabei die Gunst der Kon­ fliktstunde zustatten: Der Streit um Kar! Lamprechts hochambitioniertes Theorieprogramm und der Publikumserfolg seiner "Deutschen Geschich­ te" zwangen auch standesstolze deutsche Historiker dazu, sich nach Bun­ desgenossen im Abwehrkampf gegen die perhorreszierte "neue historische Methode" umzusehen. Zumal Friedrich Meinecke, der als Erbe von Sybel und Treitschke seit 1 896 die Geschicke der "Historischen Zeitschrift" allein zu verantworten hatte, mußte daran gelegen sein, den Grundsatzstreit nicht vollends auf die Ebene persönlicher Invektiven und detailwütiger Rechtha­ berei unter verfeindeten Fachgenossen herabsinken zu lassen. Seine ersten Besprechungsangebote an Troeltsch, vermutlich aus dem Sommer 1 897, sind freilich nicht mehr zu rekonstruieren. Auch muß offenbleiben, ob ein Mittelsmann für den Theologenkreisen eher fernstehenden Berliner Histori­ ker die Verbindung nach Heidelberg vorbereitet hatte. Sicher ist jedoch, daß Meinecke im Herbst 1 898 Troeltsch als Autor für ein gemeinsam mit dem befreundeten Georg von Below geplantes "Handbuch der mittelalterlichen 89

Unten, S. 592.

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und neueren Geschichte" zu gewinnen versuchte. Der "große Wunsch", daß Troeltsch einen Band zur Aufklärung übernehmen möge,90 legt die Ver­ mutung nahe, daß Troeltschs 1 897 erschienener, für die dritte Auflage der "Realencyklopädie für Theologie und Kirche" verfaßter und bald schon als bahnbrechend geltender Artikel über die "Aufklärung" die beiden Histori­ ker nachhaltig beeindruckt hatte. Auch erscheint es plausibel, daß Meinecke Troeltschs eher stockend einsetzende Arbeit an der geplanten Geschichte der Aufklärung dezent fördern wollte, indem er ihn ideenhistorische Wer­ ke zum 1 7. und 1 8. Jahrhundert zu besprechen einlud. Troeltsch seinerseits könnte die grundsätzliche Zusage für das Handbuchprojekt zum Anlaß ge­ nommen haben, sich nun auch als Unterstützer der Lamprecht-Gegner zu exponieren. Seine in der "Theologischen Literaturzeitung" weithin sichtbar plazierte positive Besprechung von Belows Generalabrechnung mit dem selbsternannten Leipziger Wissenschaftserneuerer stiftete dann gleichsam das Fundament für eine mehr als zwei Jahrzehnte währende Mitarbeiter­ schaft an der "Historischen Zeitschrift". Doch beschied sich Troeltsch kei­ neswegs mit der Rolle des diensteifrigen Sekundanten im Duell der Ge­ schichtsgelehrten: Zwar geißelte er temperamentvoll "die Haltlosigkeit und Unsicherheit [. . ], mit der Lamprecht seine Theorien vorträgt, vor allem den principlos eklektischen Charakter, der sie so schwer faßbar macht."91 Doch beschäftigte ihn der "Wahn, [...] Naturgesetze der Geschichte gewinnen zu wollen",92 bei aller unverhohlenen Lust an der polemischen Attacke nicht länger als nötig. Es galt, Lösungen zu finden, Wege ins Freie: Daß Below all seinen Scharfsinn ausschließlich auf die Zerstörung gegnerischer Theo­ riegebäude konzentrierte und ganz darauf verzichtete, "über das Problem selbst wesentlich neue und besser orientirende Gesichtspuncte zu geben",93 irritierte Troeltsch fast ebensosehr wie Lamprechts redselige Unbedarftheit. Wer "von der Religionsgeschichte aus wesentlich die Gewinnung norma­ tiver Erkenntniße anstrebt", könne sich nicht mit bloßen Abwehrgefech­ ten begnügen, sondern richte sich besser, wenngleich keineswegs kritiklos, mit Heinrich Rickert am "umfassendsten geschichtsphilosophischen End­ zweck" aus.94 .

90 91 92 93 94

Brief Friedrich Meineckes an Ernst Troeltsch, 28. Oktober 1 898, Privatbesitz ---> KGA 1 8/19. Unten, S. 530; vgl. auch die knappen Kommentare zum Lamprecht-Streit in den "Theologischen Jahresberichten" 1 897 und 1 898, unten, S. 429 f. und S. 594. Unten, S. 530. Unten, S. 592. Unten, S. 53 1 .

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Bei allem unverkennbaren Ü berdruß an der intellektuellen Dürftigkeit des Jahr um Jahr "sich fortschleppenden Lamprecht'schen Streite[s] "95 belegen Troeltschs Beiträge zur Methodendiskussion in der Nachbarwissen­ schaft, wie weit der junge Theologe die konzeptionelle Verfeinerung seines Geschichtsbegriffs bereits vorangetrieben hatte. Schon 1 899 unterscheidet Troeltsch prägnant zwischen konkurrierenden "Geschichtsauffassungen" und ,,-anschauungen" und sieht, daß aller "Geschichtsforschung" un­ beschadet ihres Bezugs auf elementare "Geschichtstatsachen" immer auch ein konstruktives Element innewohnt. Er weiß zwischen "Gesell­ schaftsgeschichte", "Kulturgeschichte" und "politischer Geschichte" zu unterscheiden und lehnt dank der Auseinandersetzung mit der englisch­ sprachigen Ethnologie und Sozialanthropologie sowie der Besprechung diverser Titel französischer Soziologen die "Grosse-Männer-Theorie"96 ebenso ab wie eine reduktionistische "Milieu-Erklärung", die alle Elemente von Kontingenz und Individualität leichthin eskamotiert. Schon ein oberflächlicher Blick in das Begriffsregister des vorliegenden Bandes läßt erkennen, daß die neoidealistische "Geist"-Semantik, die Troeltsch intensiv verwendet, auf "Gemeinschaftsbildung" zielt. Sie lenkt damit den Blick des nachgeborenen, vom kurzen, blutigen 20. Jahrhundert über die fatale Ambivalenz derartiger Erwartungsbegriffe belehrten Lesers auf ein lebenslang verteidigtes Methodencredo, das Ernst Troeltsch als Theologe, als Zeitkritiker und nicht zuletzt auch als Rezensent jedem seiner Texte subtil einzuschreiben verstand: Gegenwartsdiagnose zielt immer auf Gegenwartsgestaltung. Zur editorischen Konzeption des Bandes Der vorliegende Band der frühen Rezensionen Troeltschs folgt den editori­ schen Grundsätzen, wie sie bereits für KGA 4: Rezensionen und Kritiken (1 901-1 9 1 4) entwickelt worden sind. Wiederum wurde dem Gebot der Zu­ rückhaltung gefolgt und ein Korreferat zu den Ausführungen Troeltschs konsequent vermieden. Nur konkrete Verweise auf die rezensierten Titel sind mit Belegstellen versehen, ausschließlich die von Troeltsch wörtlich zitierten Textstellen bzw. offensichtlich indirekte Zitate überprüft und ge­ gebenenfalls korrekt im Kommentar wiedergegeben worden. Ließen sich für letztere jedoch keine Textbelege finden, unterblieb die Kommentierung. Bei expliziten Hinweisen auf die Gliederung des rezensierten Werkes bietet der Kommentar die entsprechenden Kapitelüberschriften. Einen Sonderfall 95 96

Unten, S. 429. Unten, S. 429.

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stellen die Sammelrezensionen dar: Sehr viele der in ihnen besprochenen Autoren und Werke sind völlig in Vergessenheit ge ;aten. Es erschien daher mit Blick auf Leserinteressen geboten, hier ausführlicher die rezensierten Schriften zu zitieren als im Rahmen der generellen Kommentarvorgaben vorgesehen. Alle besprochenen Arbeiten sind in dem "Verzeichnis der von Ernst Troeltsch rezensierten und angezeigten Titel" bibliographisch erfaßt;97 bei Besprechungen in den Sammelrezensionen wurde darüber hinaus im Kommentar zur besseren Orientierung der Kurztitel aufgeführt. Werke, die Troeltsch in seinen Rezensionen lediglich erwähnt, weist das "Verzeichnis der von Ernst Troeltsch genannten Literatur" nach.98 Viele der hier edierten Texte, besonders die vier Sammelrezensionen, enthielten eine Fülle von Fehlern, die wohl auf Versehen des Setzers zurückgehen (Verwechslung, Verdoppelung und Auslassung einzelner Buchstaben sowie Wortwiederholungen) . Im Gegensatz zu anderen Texten Troeltschs ist bei den Rezensionen anzunehmen, daß dem Autor die Druckfahnen nicht zur Korrektur vorlagen. Daher wurde darauf verzichtet, offensichtliche Setzerfehler als Varianten auszuweisen. Nur in sinnentstel­ lenden oder nicht eindeutigen Fällen wurde die entsprechende Textpassage gekennzeichnet, ansonsten nur der Edierte Text stillschweigend verbessert. Wie in KGA 4 erhielten nur diejenigen Autoren ein Biogramm, deren Werke Troeltsch in Einzelrezensionen besprochen hatte. Trotz intensiver Archivrecherchen zu Autoren, Zeitschriften und Verla­ gen konnten nur vergleichsweise wenige Informationen über den Entste­ hungszusammenhang und die Drucklegung der Rezensionen ermittelt wer­ den. Vor den meisten Rezensionen findet sich daher lediglich ein kurzer Bericht mit der präzisen Titelangabe der Rezension und des rezensierten Werkes; nur in dreizehn Fällen konnten weitere relevante Informationen hinzugefügt werden.

97 98

Vgl. Vgl.

unten, unten,

S. 7 1 9-795. S. 795-8 1 1 .

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Richard Adelbert Lipsius: Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik, 3., bedeutend umgearbeitete Auflage (1 893)

"Ich werde Lipsius in GGA anzeigen auf Jülichers Empfehlung hin; aber es wird noch einige Zeit dauern", schrieb Troeltsch am 1 6. Juni 1 893 sei­ nem Freund Wilhelm Bousset.1 Bereits im Mai 1 893 hatte Troeltsch von den "Göttingisehen gelehrten Anzeigen" ein Rezensionsexemplar erhalten.2 Ü ber ein Jahr später, am 3. August 1 894, ging schließlich die Besprechung bei der Redaktion ein3 und konnte im November 1 894 erscheinen. Im Oktober 1 894 erwähnte Troeltsch, soeben nach Heidelberg berufen und übergesiedelt, die Rezensionen gegenüber Bousset: "Erst noch erfüllt [von] den bunten Eindrücken meiner großen Reise [sc. nach Griechenland] wurde ich dann sofort in den Strudel der neuen Verhältnisse hereingerissen, lauter neue Menschen u[nd] Dinge, die Erinnerung an verlassene schöne Verhältnisse, die Besuche u[nd] Einladungen, Collegarbeiten u[nd] meine Lipsiusrezension alles brachte mich so etwas durcheinander. [...] Von mei­ ner Arbeit könnte ich natürlich mancherlei berichten. Das Kolleg des letz­ ten Semesters über Dogmatik I u[nd] das weitere Nachdenken über die in meinen Aufsätzen entwickelte Position haben mich in der Hauptsache aus­ schließlich beschäftigt. Die Rezension von Lipsius, die ich dir seiner Zeit schicken werde, schlug in dieselbe Kerbe, desgleichen das durch meine grie­ chische Reise neu angeregte Nachdenken über griechische Cultur, Kunst und Religion."4 Das Versprechen, Bousset einen Sonderdruck der Rezen­ sion zu schicken, hielt Troeltsch jedoch nicht ein. Er mußte vielmehr im Januar 1 895 zugeben, kein Exemplar mehr zu besitzen: "Meine Rezension 1

Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 1 6. Juni 1 893, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -> KGA 1 8/1 9. 2 Vgl. "Liste von Besprechungsexemplaren 1 893-1 895 (Redakteur: Bechtel)", Göt­ tingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Archiv, Scient. 37,3, Nr. 2. 3 Ebd. 4 Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 1 2. Oktober 1 894, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -> KGA 1 8/19.

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kann ich Dir nicht mehr schicken, da ich die wenigen Exemplare bei hiesi­ gen u[nd] Bonner Kollegen sehr rasch verbraucht habe. Zu meiner Freude haben sich Holtzmann u[nd] Schultz sehr zustimmend geäußert. Harnack antwortete mir in einer Weise, die mir wieder bewies, daß er eigentlich zu der Ritschlschen Partei nicht gehört. Daß ich Dir ein Exemplar versprochen hatte, habe ich vergessen. Ich bitte Dich das zu entschuldigen."5 Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Göttingische gelehrte Anzeigen . Unter Aufsicht der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften, 1 56. Jg., 2. Band, Nr. 1 1 , November 1 894, Göttingen: Dieterich'sche Verlags­ Buchhandlung, S. 841-854 (A) .

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Lipsius, R. A., Lehrbuch der evangefisch-protestantischen Dogmatik. Dritte, bedeu­ tend umgearbeitete Auflage. Braunschweig, Schwetschke und Sohn. 1 893. :XXXVI u. 904 S. 8 ° . Preis Mk. 1 2.80. Seit der Auflösung der altprotestantischen, biblicistisch-symbolischen Dog­ matik steht die protestantische Theologie in dem Zeichen der Reorganisa­ tionsversuche und hat eine Fülle dogmatischer Entwürfe hervorgebracht, ohne aber eine sichere und anerkannte Stellung in dem Gesamtorganismus der Wissenschaften wiedergewonnen oder auch nur eine übereinstimmende, geordnete Zusammenarbeit ermöglichende Methode innerhalb des eigenen Bereiches gefunden zu haben. In dem Heimatlande der modernen Philoso­ phie, von dem im 1 8. Jahrh. der Sturz jener Dogmatik hauptsächlich ausge­ gangen war, müht man sich im wesentlichen heute noch mit Compromissen zwischen einem dogmatischen Bibelglauben und einer dogmatischen Natur­ wissenschaft, deren Inhalt und Tragweite auch durch die Umbiegung zum Skeptizismus sich nicht sehr verändert hat. In dem Lande, wo die moder­ ne Philosophie durch Beibehaltung und Ausbildung der apriorischen und ideellen Momente des Denkens die reichste Ausgestaltung erfahren und die tiefgehendsten Anregungen gegeben hat, in Deutschland, war die Dogma­ tik tief verflochten in die Geschichte der wechselnden Systeme, soferne man sich nicht aus diesem Wechsel durch Erneuerung der altkirchlichen Theolo­ gie nach Kräften herauszog. Nur eine Gruppe hat hier einen größeren und tiefer begründeten, den Wechsel überdauernden Zusammenhang behaup­ tet, die von Kant und Schleier macher ausgehende Theologengruppe, wel­ che auf Grund einer prinzipiellen Erkenntniskritik die Begrenzung des exak-

5

Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 1 3. Januar 1 895, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 � KGA 1 8/19.

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ten, insbesondere des naturwissenschaftlichen Erkennens auf die phänome­ nale Erfahrung, daneben aber die Selbständigkeit der eigentümlich volunta­ ristisch gearteten idealen, insbesondere der religiösen Erkenntnis behaupte­ te und von dieser Grundlage aus durch eine geschichtsphilosophische Ab­ stufung der Religionen sich den Weg zur Darstellung der christlichen als der vollendeten Religion zu bahnen suchte. Wie wenig Schleier macher hier­ mit eine bloß individuell begründete Wendung nahm, zeigen die analogen, I in ähnlichen Absichten und der gleichen wissenschaftlichen Lage wurzelnden Versuche von Herder, Jacobi, Fries und De Wette, und mit wie feinem Scharfblick er die Grundrichtung des Denkens unseres Jahrhunderts einge­ schlagen hat, zeigt die in der zweiten Hälfte desselben mit der Abwendung von den metaphysischen Systemen eingetretene Rückkehr zum Kritizismus, welche die auch von Schleiermacher noch angenommenen metaphysischen Elemente zurückdrängte und sich noch viel energischer auf die praktisch­ voluntaristische Auffassung des idealen und religiösen Erkennens zurückzog. So hat diese Gruppe, nachdem sie längere Zeit nur durch Alexander Schweizers Fortführung der Schleiermacherschen Methode nachdrücklich vertreten war, in der jüngsten Vergangenheit zwei charakteristisch verschiedene, aber durch die gemeinsame Grundlage eng verbundene bedeutsame Ausgestaltungen erfahren, in der Theologie Ritschls und seiner Schule und in der Dogmatik von Lipsius. Ist die erstere hierbei ausgezeichnet durch geniale historische Conzeptionen wie durch Originalität und Energie ihres positiven Aufbaues und hat sie durch ihre eifrige Wendung auf praktisch kirchliche Lehrzwecke mit Fernhaltung aller philosophischen Ingredienzien einen großen Kreis von Anhängern erworben, so ragt die Position von Lipsius hervor durch umsichtige und eingehende Berücksichtigung der philosophischen Gesamtarbeit und der außertheologischen Wissenschaft, sowie durch feine Durcharbeitung der erkenntnistheoretischen und religi­ onsphilosophischen Grundfragen, ist aber eben deshalb freilich auch von geringerer Originalität und unmittelbar praktischer Brauchbarkeit, weshalb sie auch keine so weit gehende litterarische und kirchenpolitische Wirkung hervorzubringen vermochte. Schon dieser letztere Umstand rechtfertigt es, nach dem inzwischen erfolgten Heimgang des bedeutenden Theologen seine oft ungebührlich zurückgedrängte Leistung aus Anlaß der posthumen dritten Ausgabel seines Hauptwerkes eingehender zu besprechen. Das wird 1 Richard Adelbert Lipsius: Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik (1 8761, 1 8792, 1 8933) . Richard Adelbert Lipsius starb am 1 8. September 1 892 in Jena. Die dritte Auflage wurde von dem Praktischen Theologen Otto Baumgar­ ten (1 858-1 934) unter Rückgriff auf handschriftliche Aufzeichnungen von Lipsius und Vorlesungsnachschriften umgearbeitet und herausgegeben.

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aber noch weiter dadurch gefordert, daß diese dritte Auflage den Ertrag seiner fortgesetzten und sorgfältigen Auseinandersetzung mit den theolo­ gischen Gegnern, insbesondere der Ritschlschen Schule, in sich aufgenom­ men2 und dabei der beibehaltenen Grundposition eine nicht unerhebliche neue Wendung gegeben hat. Lipsius hat sich die hiermit bezeichnete Stellung im Zusammenhange der theologischen Arbeit selbst mit aller wünschenswerten Deutlichkeit ange­ wiesen, wenn er sich Biedermann gegenüber als Fortsetzer Schlei ermachers bezeichnetl und in Al. Schweizer unablässig den nächsten, nur durch an­ dersartige Gruppierung des Stoffes und durch geringere Ausführlichkeit in den Vorfragen von ihm sich I unterscheidenden Geistesgenossen begrüßt'" wenn er auf De Wette als einen Vorläufer der von ihm vertretenen Position hinweist,S wenn er sich schließlich direkt als Neukantianer bezeichnet6 und in seinen Auseinandersetzungen mit Ritschl und Herrmann7 überall diese gemeinsame Grundlage scharf hervortreten läßt. Deshalb hat ihn auch Pflei2 Vgl. dazu "Die wesentlichsten Abänderungen der dritten Auflage" (S. XIII­ XXXIV) ; hierin dokumentiert Baumgarten die wichtigsten inhaltlichen und struk­ turellen Eingriffe. 3 Vgl. Lipsius, Vorwort zur 2. Auflage, S. VII: "Ein Lehrbuch ist nicht der Ort, Streitfragen, wie sie zwischen Biedermann und mir bestehen, ausführlich zu erör­ tern. [...] Wenn man den Unterschied von Biedermann und mir dahin formulirt hat, dass der alte Gegensatz von Hegel und Schleiermacher, wenn auch erheblich gemildert durch die dazwischen liegende Entwickelung, in uns beiden wiederauf­ gelebt sei, so wüsste ich meinerseits dem nicht zu widersprechen." 4 Vgl. Lipsius, Vorwort zur 2. Auflage, S. VIII: "Am Meisten aber weiss ich - wie immer - mit Alexander Schweizer mich einig, dessen Glaubenslehre ich auch in ihrer neuen Gestalt freudig begrüsse." Lipsius bezieht sich auf Alexander Schwei­ zer: Die Christliche Glaubenslehre nach protestantischen Grundsätzen dargestellt (1 87T} 5 Dies konnte bei Lipsius nicht nachgewiesen werden. 6 "Wenn man das uns beiden (Lipsius und Wilhelm Herrmann) gemeinsame Zu­ rückgehen auf Kan! als ,Neukantianismus' bezeichnet hat, so habe ich hiergegen für meine Person nur den Vorbehalt zu machen, dass man mir die empiristisch-sen­ sualistische Wendung, welche der ,transcendentale Idealismus' bei verschiedenen Neukantianern genommen hat, ebensowenig imputiren möge, als jenen schrof­ fen Dualismus zwischen der ,Welt der Wirklichkeit' und der ,Welt der Werthe' oder ,der Ideen', wie ihn nicht blos Albert Lange, sondern auch Herrmann vertritt." Richard Adelbert Lipsius: Philosophie und Religion (1 885), S. 3. 7 Vgl. zu Ritschl Richard Adelbert Lipsius: Die Ritschl'sche Theologie (1 888) und zu Herrmann Richard Adelbert Lipsius: Philosophie und Religion (1 885) sowie zu beiden ders.: Luthers Lehre von der Busse (1 892) .

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derer in seiner Geschichte der Religionsphilosophie unter die NeukantianerS eingereiht. Aber daneben treten freilich auch noch andere Beziehungen her­ vor, die ihn in Zusammenhang mit einer anderen großen Richtung in der Philosophie und Theologie stellen, und die in seinem Bedürfnis nach ei­ ner beständigen Auseinandersetzung mit Biedermann, in der lebhaft beton­ ten Uebereinstimmung seiner Kritik an den kirchlichen Vorstellungen mit derjenigen Biedermanns, in seiner Hegelschen Konstruktion der Religions­ geschichte und seiner übergeschichtlichen Fassung des christlich-religiösen Prinzips, schließlich und vor allem in seinem Begriff des Absoluten zum Ausdruck kommen.9 Es ist die Richtung auf eine monistische Immanenz­ metaphysik, deren allgemeinste Merkmale, die Ausschließung jedes äußer­ lich mechanischen Supranaturalismus, die Ineinssetzung von Causalität und Teleologie, der Entwicklungsbegriff und die Begründung aller Erscheinun­ gen des geistigen und natürlichen Daseins in einem einheitlichen, in ihnen sich auswirkenden Prinzip den Grundbestand alles modernen Denkens bil­ den, die aber in den großen Systemen der romantischen Philosophie sich die Gestalt einer absoluten Vernunfterkenntnis des einheitlichen Weltprin­ zips gegeben hatte und damit den auch auf die Theologie zurückwirkenden Versuch machte, die Objekte des religiösen Glaubens zu Gegenständen ei­ nes aus dem Weltbestande sich notwendig ergebenden Wissens um seine Einheit zu machen. Bei aller Ablehnung dieser Zuspitzung des Gedankens der Immanenz und bei aller Auseinanderhaltung des Wissens um die Welt­ einheit und des Glaubens an die religiösen Objekte hat Lipsius dennoch diese Denkrichtung aus seiner jugendlichen Beschäftigung mit Hegel stark nachwirken lassen und in dem allgemeinen formalen Begriff des Absolu­ ten geradezu zur Norm für die Auffassung aller Verhältnisse gemacht. Das geschieht freilich nicht in der Weise, daß er deren Grund und Tragweite, ihr Verhältnis zum christlichen Prinzip, ihre Möglichkeit und ihre Berech­ tigung prinzipiell untersucht hätte, sondern in der Form, daß er sie und ihre in den Einzelwissenschaften vorliegende Durchführung sowie den all­ gemeinsten Umriß des aus ihr entsprungenen Begriffes des Absoluten als eine feststehende Größe voraussetzte, mit welcher die Entfaltung der an sich selbständigen Glaubenserkenntnis nicht in Widerspruch geraten dürfe, die vielmehr der Neigung des Glau I bens zur Versinnlichung und Anthropomorphisierung seiner Vorstellungen als heilsames Correktiv entgegenste8 Otto Pfleiderer: Geschichte der Religionsphilosophie von Spinoza bis auf die Ge­ genwart (1 8933) . Zu Lipsius vgl. IV. Abschnitt, Kapitel A.2: "Die haJb- und neu­ kantische Religionsphilosophie" (S. 465-497) , darin S. 493-497. 9 Vgl. dazu im 2. Teil, 1. Abteilung das Kapitel 11 Der philosophische Begriff des Absoluten" (S. 1 9 8-2 1 4) . ,,

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he. Das Balancieren zwischen der hiermit und der durch die erstgenannte Gruppe gegebenen Auffassungsweise ist das Eigentümlichste an der Lip­ siusschen Dogmatik, es ist auch der Grund, weshalb Biedermann ihn immer wieder zur Anerkennung der Immanenz nicht bloß als Correktivs, sondern als positiven Prinzips nötigen zu können glaubte,10 und weshalb die von der kantischen Grundlage aus einen möglichst nahen Anschluß an die suprana­ turalistische kirchliche Vorstellungswelt suchenden Theologen aus der Schu­ le Ritschls ihn immer mit feindseliger Geringschätzung und überlegenem Hohn behandelt haben. So hat ihn auch Frank in seiner "Geschichte und Kritik der neueren Theologie" unter die von der monistischen Philosophie beeinflußten Theologen gestellt.tl Der Umwandelung der Religion in Ver­ nunfterkenntnisse hat sich aber dabei Lipsius immer mit voller Consequenz und schlagenden Gründen widersetzt. Schwieriger war es, der mit dieser Po­ sition gegebenen Neigung zu entgehn, welche die positive Religion in den immanenten Entwickelungsgang des religiösen Bewußtseins auflöste. Aber auch hier hat Lipsius immer versucht, im Gegensatze zu Biedermann die der lebendigen Religion unentbehrliche Positivität zu behaupten. Gerade die Verstärkung dieses Bestrebens aber ist es, welche die dritte Auflage cha­ rakterisiert und ihre wichtigsten Abänderungen verursacht hat.12 Die speku­ lativen Neigungen seiner Jugend sind mit dem allgemeinen Umschwung des Denkens und der Abschwächung des jugendlichen Triebes nach Einheit der Erkenntnis in den Hintergrund getreten, die Empfindung für den positiven 10 Vgl. dazu Alois Emanuel Biedermann: Die Dogmatik von Lipsius (1 877) : "Lipsius glaubt, ein exactes Erkennen gebe es nur innerhalb der sinnlichen Erscheinungs­ welt für die Gesetze derselben, also in der Naturwissenschaft; nicht aber in der Metaphysik, in welcher der Geist, allerdings einer innern Nötigung folgend, sich über dieses Gebiet in ein dasselbe transcendirendes erhebe [...] . Ich [Biedermann] dagegen lasse mich durch den bekanntlich zufälligen, aber ominös gewordenen Namen der Metaphysik nicht verleiten, sie in irgend einer Weise als Wissenschaft von einer übersinnlichen Welt irgendwie hinter der sinnlichen Welt zu prätendiren; sondern ich sehe in ihr einfach die Wissenschaft von den logisch zu erfassenden Principien der in der einen und alleinigen Welt immanent vorhandenen Gesetzmä­ ßigkeit, und vindicire ihr darauf hin die Möglichkeit eines exacten Wissens so gut wie irgend einer speciellen Wissenschaft, da jede gerade erst durch die richtige An­ wendung der metaphysischen Principien auf ein specielles Erfahrungsgebiet wirk­ liche Wissenschaft wird." (Sp. 23) . 1 1 Franz Hermann Reinhold von Frank: Geschichte und Kritik der neueren Theo­ logie, insbesondere der systematischen, seit Schleiermacher (1 894) . Vgl. dort § 1 2 "Die von der neueren, insbesondere monistischen, Philosophie bestimmte Theo­ logie" (S. 1 62-1 96), darin wird Lipsius auf S. 1 92-1 96 ausführlich behandelt. 12 Zu den Abänderungen vgl. oben, Anm. 1 , S. 33.

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und auf sich selbst gestellten Charakter der Religion, für das Spezifische und Souveräne in ihrem Wesen ist mit der Beteiligung an praktisch kirchlichen Aufgaben, der im Alter sich einstellenden Verstärkung der eigentümlich reli­ giösen Impulse und mit der Erneuerung älterer herrnhutischer Eindrücke13 gesteigert. Die Consequenzen der älteren monistisch idealistischen Grund­ anschauung, die sich mit einer auf Kant begründeten Würdigung der prakti­ schen Selbständigkeit der Religion auszugleichen gesucht hatte, sind im all­ gemeinen Religionsbegriff und in der speziellen Auffassung der christlichen Religion, im grundlegenden Gottesbegriff und insbesondere in der Auffas­ sung des Stifters der christlichen Religion stark zurückgedrängt. Die eng verbundenen Gedanken der Erlösung und Offenbarung treten viel mehr in den Vordergrund. Es ist hiermit nur eine Richtung zum Abschluß ge­ langt, welche bereits in früheren Schriften des Verfassers "Philosophie und Religion" Leipzig 1 885, "Hauptpunkte der christI. Glaubensl." Jbb. f. Prot. Theol. 1 890 I und "Unser gemeinsamer Glaubensgrund im Kampfe gegen Rom" 1 889 zum Ausdruck gekommen war, und die ihn in dem erstgenannten Werke den Wunsch aussprechen ließ, die wirklichen Intentionen seiner Dogmatik bei einer neuen Auflage klarer herausarbeiten zu dürfen (p. 3 1 814) . E s sei gleich hier bemerkt, daß die Berücksichtigung dieser Schriften für die nicht immer ganz leicht verständlichen Ausführungen der neuen Auflage unentbehrlich ist. Schon die Fassung der dogmatischen Aufgabe § 1-17, welche ja nur die Zusammenfassung der ganzen geistigen Arbeit am Problem der Theolo­ gie ist, zeigt den Einfluß der veränderten Stimmung. Die Gotteserkenntnis beruht auf der durch keine exakte Wissenschaft erreichbaren praktisch re­ ligiösen Erkenntnis, vollzieht sich daher in den positiven Religionen und findet in der christlichen als der absoluten Vollendung der Religion ihren vollkommenen Ausdruck. Daher ist der Glaube der christlichen Gemein­ schaft für diese Gemeinschaft rein aus sich selbst darzustellen, nur mit be­ ständiger Kontrolle der poetisch symbolisierenden Glaubensvorstellungen 13 Die Familie von Lipsius war stark herrnhutisch geprägt. Lipsius' Großmutter war in der Herrnhuter Brüdergemeine erzogen worden. Sie führte nach dem frühen Tode von Lipsius' Mutter den Haushalt der Familie. 14 "lch fühle recht gut, dass manche Darlegungen meiner Dogmatik einer Ueberar­ beitung bedürfen, um die Gesichtspunkte, welche von Anfang an für sie maassge­ bend gewesen sind, klarer und durchsichtiger, als es mir bisher möglich war, durch­ zuführen. Dahin rechne ich ausser den einleitenden Paragraphen und den Erörte­ rungen über die Offenbarung namentlich auch in dem Abschnitte über den Got­ tesbegriff diejenigen Partien, welche den philosophischen Begriff des Absoluten behandeln." Lipsius: Philosophie und Religion (1 885), S. 31 8.

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an ihrer religiösen Wurzel und an ihrer Zusammenbestehbarkeit mit ander­ weitig feststehenden Erkenntnissen. Zu dieser Fassung der dogmatischen Aufgabe gehörte die Forderung einer Zusammenarbeitung dieser in der Glaubenslehre entwickelten Gotteserkenntnis mit unserer sonstigen Welter­ kenntnis, soweit dies vom neukantischen Standpunkt aus möglich ist, oder die Forderung einer christlichen Philosophie oder Gesamtweltanschauung; ja diese freilich in der Glaubenslehre selbst nicht zu liefernde Zusammen­ arbeitung sollte letztlich der einzige, aber auch genügende Beweis für den christlichen Glauben sein, in so ferne dieser hierbei sich nicht bloß als wi­ derspruchslos möglich, sondern auch als Lösung der durch den sonstigen Wirklichkeitsbestand gestellten Probleme erweise. In der neuen Auflage tritt nun aber diese Forderung sehr zurück, die Beziehungen auf eine christliche Gesamtweltanschauung sind meistens gestrichen und die ganze Reflexion hierauf nebensächlicher behandelt (vgl. bes. § 715) . Die Richtung ist nicht mehr auf das wissenschaftliche Endziel theologischen Denkens, sondern auf das praktische des kirchlichen und religiösen Lebens. Und mehr als das. Die neue Auflage verzichtet auf den hierin gelegenen indirekten Erweis der Wahrheit der christlichen Lebensanschauung und ersetzt denselben im Zu­ sammenhang mit ihrer veränderten Auffassung vom Wesen der Religion durch den direkteren Hinweis auf die "praktischen Nötigungen"16. Das soll nur besagen, daß in der christlichen Religion die zur Religion führenden praktischen, insbesondere ethischen Nötigungen die ausschließliche, vollständige und sich unmittelbar be l glaubigende Befriedigung finden. Damit ist allerdings eine wesentlich andere Anschauung begründet, ohne daß da­ mit die frühere aufgegeben wäre. So kommt es, daß an Stelle jenes Verweises auf die indirekte Rechtfertigung durch jene Gesamtweltanschauung überall der auf diejenige durch die praktischen Nötigungen tritt. Mit diesen Ver­ änderungen hängt schließlich noch eine dritte zusammen, daß nämlich das christliche Prinzip nicht mehr so sehr als eine in jenen größeren Zusam­ menhang zu verarbeitende geistige Richtung oder als Vollendung des religi­ ösen Bewußtseins überhaupt in Betracht kommt, sondern vielmehr in sei­ nem engen Zusammenhang mit der die Gemeinde begründenden und in ih15 2. Auflage: S. 8-1 1 , 3. Auflage: S. 14 f. 16 Vgl. Lipsius § 7, S. 8: "Indem die Dogmatik aber von dieser Voraussetzung aus den Zusammenhang der einzelnen religiösen Aussagen theils unter einander und mit dem ihnen allen zu Grunde liegenden religiösen Princip, theils mit den prak­ tischen Nöthigungen, welche zur religiösen Weltanschauung führen, aufzuweisen versucht, bedient sie sich der Ergebnisse der Religionsphilosophie, um ihren Aus­ sagen eine wissenschaftliche Begründung zu geben, begnügt sich also nicht blos mit einer Beschreibung und Entwickelung des christlichen Bewustseins."

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rer Eigenart erhaltenden geschichtlichen Grundtatsache oder der historisch­ positiven Gottesoffenbarung in Christo (vgl. § 3, 1 1 , 14 ErlP). Auch hier keine prinzipielle Aenderung, sondern wiederum nur eine Verlegung des Schwerpunktes, aber doch ein Zeugnis von einer tiefgreifenden Wandelung der theologischen Gesamtanschauung, die vom Allgemeinen, Umfassenden, Vernunftnotwendigen zum christlich Besonderen, kirchlich Notwendigen, Historisch-Positiven und gefühlsmäßig unmittelbar Gewissen hinstrebtI}. Schon hieraus geht hervor, daß die wichtigsten Fortbildungen auf den beiden Gebieten des Religionsbegriffes und der sog. Christologie vorliegen, was auch äußerlich dadurch bestätigt wird, daß hier allein sich merklich durchgreifende Aenderungen in der Anordnung, in der Einstellung neuer und in der Beseitigung alter Paragraphen findet. 1) Daß Runze in seiner Anzeige ZfwTh. 1 894 hiervon nichts bemerken will, ist mir unbegreiflich. Vgl. dagegen Holtzmann in PKZ. 1 893 p. 481 ff. Daß Runze aber den Glauben erweckt, als bezöge sich die Redaktionsarbeit des Herausgebers und dessen Bemerkungen über die Unterdrückung seiner andersartigen Stimmung auf das ganze Buch und nicht auf die in dieser Hinsicht belanglosen letzten 200 Seiten, daß er andeutet, als sei Lipsius Dogmatik hier überhaupt nicht unverfälscht wiedergegeben und für eine andere theologische Schule in Beschlag genommen, ist schlimmer als unbegreiflich.18 17 Lipsius setzt sich hier mit der kirchlichen Gemeinschaft (§ 3, S. 4 f.), mit der Ein­ teilung der Dogmatik (§ 1 1 , S. 1 9 f.) und im besonderen mit der Prinzipienlehre (§ 1 4, S. 20 f.) auseinander. 18 Georg Runze: [Rez.] Richard Adelbert Lipsius: Lehrbuch der evangelisch-prote­ stantischen Dogmatik (1 894) , sowie Heinrich Julius Holtzmann: Die neue Auflage der Lipsius'schen Dogmatik (1 893) . Runze schreibt in seiner Rezension: "Immer­ hin gewinnt man aus einer Vergleichung der vorliegenden mit den früheren Auf­ lagen [...] doch den Eindruck, dass Lipsius im Grossen und Ganzen seinem frühe­ ren Standpunkte vollkommen treu geblieben ist." (S. 473 f.) Vgl. auch weiter un­ ten: "Und das Beste, was der Herausgeber dazu [zum Erfolg der 3. Auflage] bei­ tragen konnte und was ihm den Dank aller wissenschaftlichen Theologen sichert, ist, dass er die Herausgabe mit dem bestimmtesten Vorsatz übernommen, ledig­ lich Handlangerarbeiten zu verrichten. Prof. Baumgarten betont dies ausdrücklich, freilich ohne unterdrücken zu können, dass er in sich starke Neigung verspürt ha­ be, das Handlangergeschäft mit der Meisterrolle zu vertauschen [. . .] ." (S. 476) Der Herausgeber Baumgarten schreibt jedoch explizit in seinem Vorwort: "Von § 765 ab [also ab S. 671 der insgesamt 869 Seiten] setzt meine selbstständigere redaktio­ nelle Arbeit ein, die vom § 792 [ab S. 697] an durch keinerlei Vorarbeit des Verfas­ sers erleichtert war. [ ... ] Ich kann versichern, dass ich von dem Eigenen mir nichts dazu gethan zu haben bewust bin und auf's peinlichste bemüht war, in der Ausein­ andersetzung mit Ritschl, Biedermann etc. meine etwas andere Stimmung nicht zur Sprache kommen zu lassen." (Lipisus, S. XII) .

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Die Wichtigkeit des Religionsbegriffes und der Religionsgeschichte für die ganze von Kant-Schleiermacher ausgehende Gruppe liegt auf der Hand. Kann man doch ihre ganze Dogmatik als erkenntniskritisch­ religionswissenschaftliche bezeichnen, wobei aber die kritizistische Erkenntnislehre nur die Voraussetzung der Religionswissenschaft, den Nachweis der mindestens relativen Selbständigkeit der Religion, liefern soll und der Schwerpunkt auf die Religionsgeschichte fillt, welche aus dem Entwickelungsgange der Religion eine bestimmte End- und Normalgestalt derselben erweisen will. Mit I diesen Untersuchungen ist dann zugleich auch immer ein Einblick in gewisse phänomenologische Gesetzmäßigkei­ ten der religiösen Erscheinungen gegeben, der sie auf ihre psychologischen Wurzeln und damit auf ihren Wahrheitsgehalt zurückzuführen gestattet. In diesem Sinne bildete eine aphoristische Religionsphilosophie schon die Grundlage des Schleiermacherschen Unternehmens, es ist dies auch bei Ritschl und bei Upsius der Fall; gerade Upsius läßt diesen Zusammenhang in seiner Construktion der Religionsgeschichte ganz deutlich zu Tage treten (vgl. auch Phil. u. Rel. 275 1�. Um so auffallender ist es, daß diese Bedeutung der Religionsphilosophie in den früheren Auflagen bei der offiziellen Bestimmung ihrer Funktion nicht zur Geltung kam, sondern dieselbe vielmehr mit äußerster Skepsis auf eine rein phänomenologische Analyse der religiösen Bewußtseinserscheinungen beschränkt und deren geschichtliche Entwickelung auf eine rein kausale Verkettung jener Phä­ nomene zurückgeführt wurde (§ 32)20 . Damit war auf eine Beantwortung der Wahrheits frage und auf einen Erweis der höchsten Religionsstufe verzichtet. Diese Fragen selbst wurden als nicht wissenschaftliche, sondern 19 Lipsius versucht an der erwähnten Stelle, einen "doppelten indirekten Wahrheitsbeweis für die christliche Religion, einen religionsphilosophischen, beziehungsweise apo­ logetischen, und einen dogmatischen", so wie er ihn in der "Dogmatik" (2. Aufla­ ge) erbracht habe, zu führen. So habe er als apologetischen Nachweis von der Reli­ gionsphilosophie gefordert, "die religiösen Vorstellungen auf die in ihnen walten­ de Gesetzmässigkeit und Nothwendigkeit zurückzuführen und dadurch das Recht der religiösen Lebensansicht als einer im geistigen Wesen des Menschen nothwen­ dig begründeten nachzuweisen." Die Aufgabe des Dogmatikers sei es dagegen, die "zunächst subjektiv - eben für ihn und für die Genossen seines Glaubens - giltigen Sätze annäherungsweise zu objektiv, d. h. allgemein giltigen zu erweitern, indem er sie in einen universellen Zusammenhang hineinstellt, sie mit unserer gesamm­ ten Welterkenntnis zu einem einheitlichen Ganzen zusammenschliesst." (Lipsius: Philosophie und Religion, S. 275) Lipsius zitiert diese Textstellen aus der "Dogma­ tik", 2. Auflage, S. 7, hier wörtlich. 20 ,,[...] die Religionsphilosophie [muß] sich bescheiden, dass sie es zunächst nur mit der menschlichen Vorstellung von der Realität des religiösen Verhältnisses zu thun

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als dogmatische bezeichnet und lediglich mit dem Hinweis auf das völlig inkommensurable Mysterium der inneren Erfahrung beantwortet (§ 482) 21. In ersterer Hinsicht erschien die Religion als rein kausal verständliches Er­ zeugnis menschlicher Bedürfnisse, in letzterer als eine mystische Wirkung Gottes. Der Widerspruch zwischen diesen beiderlei Betrachtungsweisen und der zwischen dieser offiziellen Bestimmung der religionsphilosophi­ schen Grundlage und ihrer tatsächlichen Funktion liegt auf der Hand und ist von den verschiedenen Kritikern, von Biedermann, Dorner, Herrmann, Rauwenhoff, J. Köstlin22 je nach ihrem Standpunkte energisch bekämpft worden. Wohl unter dem Einflusse dieser Kritik hat die neue Auflage diese Fragen klarer zu beantworten gesucht und bringt statt der bloßen Auseinanderreißung in wissenschaftliche Phänomenologie und unwis­ senschaftliches Mysterium die Unterscheidung einer empirisch-kausalen und einer praktisch-teleologischen Betrachtungsweise, wovon die erstere die phänomenologische Entstehung des religiösen Prozesses, die letztere aber die in jenem Causalzusammenhang sich durchsetzende übersinnliche hat, oder sofern dieselbe in dem religiösen Bewustein unmittelbar mitgesetzt ist, mit dem religiösen Phänomen selbst als psychologischer Thatsache. Sie kann, oh­ ne selbst dogmatistisch und scholastisch zu werden, die Objectivität des religiösen Verhältnisses nicht unmittelbar aus der menschlichen Vorstellung von ihr heraus­ deduciren, sondern muss sich begnügen, die religiösen Vorstellungen auf die in ihnen waltende Gesetzmässigkeit und Nothwendigkeit zurückzuführen und da­ durch das Recht der religiösen Lebensansicht als einer im geistigen Wesen des Menschen nothwendig begründeten nachzuweisen" (Lipsius, Dogmatik, 2. Aufla­ ge, § 3, S. 6). 21 § 48 (S. 41) lautet wie folgt: "Sofern für die dogmatische Betrachtung das Verhält­ nis, in welchem das menschliche Selbst- und Weltbewustsein zum Gottesbewust­ sein steht, auf einem objectiv realen Verhältnisse zwischen Gott und dem Men­ schen beruht, bestimmt sie das objective Wesen der Religion als die Wechselbe­ ziehung des göttlichen und des menschlichen Geistes, wie dieselbe als thatsächli­ cher Gehalt im unmittelbaren Selbstbewustsein um unser Verhältnis zu Gott und in dem darin zugleich mitgesetzten Bewustsein um Gottes Verhältnis zu uns ent­ halten ist." Der sich anschließende Kommentar lautet: "Die Definition der Religi­ on als ,der Wechselbeziehung zwischen Gott als unendlichem und dem Menschen als endlichem Geiste' stammt von Biedermann her. Nur ist was bei Biedermann unmittelbar aus einer Analyse der subjectiven Aussage des religiösen Bewustseins herausspringt - die objective Realität des religiösen Verhältnisses - für uns keine religionsphilosophische, sondern eine dogmatische Aussage". 22 Zu Biedermann vgl. oben, Anm. 1 0, S. 36; zu Dorner vgl. unten, Anm . 26, S. 44; zu Köst!in vgl. unten, Anm. 27, S. 44; vgl. ebenso Lodewijk Willem Ernst Rauwen­ hoff: Religionsphilosophie (1 889), S. 41 9-427; Wilhelm Herrmann: [Rez.] Richard Adelbert Lipsius: Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik (1 877).

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Zwecktätigkeit der die Religion erregenden Gottheit erkennt (Hauptpunkte 7 f. u. 9 f., Dgm. § 6, 7, 1 8, 45, Ph. u. R. 1 23 f. 30023) . Die Erforschung der ersteren bezieht sich auf die erscheinende und daher der empirischen Causalität unterliegende Seele, die Erkenntnis der letzteren beruht auf dem in diesen Erscheinungen sich kundgebenden intelligibeln oder ethischen Factor der Seele, d. h. auf dem Hervortreten der noumenalen Seele. I Von der damit bekundeten neuen ethischen Wendung des Religionsbegriffes soll unten die Rede sein. Zunächst hebe ich hervor, daß damit doch nur eine sehr äußerliche Zusammenbiegung erreicht ist. Die empirisch kau­ sale Betrachtung leitet immer noch an zu einer Erklärung aus empirischen Motiven, besonders aus Wünschen und Bedürfnissen, und soll immer noch wesentlich nur die formale Unterlage für Verständnis und Kritik der einzel­ nen phänomenologischen Haupterscheinungen des christlichen Glaubens liefern. Die teleologische Beurteilung beruht immer noch auf dem Myste23 In "Die Hauptpunkte der christlichen Glaubenslehre in Umrissen dargestellt" (1 890) schreibt Lipsius in dem Abschnitt "b. Causale und teleologische Weltbe­ trachtung" (S. 6-8) : "Indem das Ich sich in seine Welt und deren gesetzmässi­ ge Ordnung verflochten weiss, erstreckt es die causale Betrachtung, welche dem Welterkennen eigenthürnlich ist, auch auf das Gebiet seines eigenen Geisteslebens. Indem es andererseits im Bewusstsein seiner sittlichen Bestimmung und Verpflich­ tung sich zum Glauben an eine sittliche Weltordnung erhebt, setzt es der causa­ len Betrachtung die teleologische gegenüber, welcher es auch das Naturleben un­ terworfen glaubt." (S. 6 f.) Auf S. 9 f., in dem Kapitel "Die Religion", heißt es dann: "Die Religion ist ihrem Wesen nach die Lösung des Räthsels, welche uns der Widerspruch unserer empirischen Naturbestimmtheit und unserer sittlichen Le­ bensbestimmung aufgibt. [...] Von der empirischen, immer nur relativen, und in dem Maasse ihrer Verwirklichung auf jedem Punkte causalbestimmten Freiheit in der Welt ist also die transcendentale Freiheit zu scheiden, welche im persönlichen Selbstbewusstsein erlebt wird, als solche aber, da sie mit dem über die gesamte em­ pirische Entwickelung des Menschen übergreifenden sittlichen Wesen des Men­ schen zusammenfällt, den gesamten sittlichen Process begründet, ohne jemals als besonderer einzelner Factor in denselben einzugreifen. In derselben praktischen Nöthigung zur Erhebung des persönlichen Subjects über die Natur ist aber zu­ gleich der Glaube an die Gottheit als übernatürliche Macht gegründet." Die Un­ terschiede der Betrachtungsweisen analysiert Lipsius auch in der "Dogmatik", 3. Auflage, § 6 (S. 8, hier geht es um die Unterschiede zwischen Religionswissen­ schaft und Dogmatik), § 7 (S. 8-1 1 , Dogmatik und Religionsphilosophie), § 1 8 (S. 2 5 f., das Wesen der Religion als Thatsache des menschlichen Geisteslebens), § 45 (S. 44 f., persönliche Erfahrung von Gott durch den Menschen) ; in "Philoso­ phie und Religion" spricht Lipsius in diesem Zusammenhang von "doppelter Welt­ anschauung" (S. 1 23); vgl. dazu auch dort S. 296-301 , wo der Autor auf das wis­ senschaftliche Zusammenspiel von Religionsphilosophie und Dogmatik eingeht.

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rium, das bald der so entstandenen Gottesvorstellung Wahrheit zuspricht, bald dieselbe überhaupt als ganz anders, nämlich als aus Gott entstanden darstellt, wobei die Begründung der Wahrheit dieses Mysteriums auf seine Verknüpfung mit dem intelligibeln ethischen Factor nur den Schein der Will­ kür etwas mildert. Auch in der neuen Gestalt bildet diese Verhältnisbestim­ mung zwischen Religionsphilosophie und Dogmatik, geschichtlicher Erfor­ schung der Religion und Bestimmung ihres Wahrheitsgehaltes den wunde­ sten Punkt der Lipsiusschen Dogmatik. Die tatsächliche Funktion der Re­ ligionsphilosophie kommt in ihr nicht zur Geltung und die Religion selbst schwankt zwischen dem Charakter einer kausal-immanent zu erklärenden Illusion und einem unkontrollierbaren, auf ein Wirken Gottes zurückge­ henden Mysterium. Der Grund dieser Verhältnisbestimmung liegt in der einseitig-kausalen und mechanistischen Auffassung des wissenschaftlichen Denkens, die Lipsius mit Kant und den modernen Kantianern auch auf das geistige Leben oder die Geisteswissenschaften anwendet, insoferne dassel­ be als in der Zeit verlaufende Erscheinung ebenfalls nur eine mechanisch­ kausale Betrachtung der zeitlichen Veränderungen der erscheinenden Seele gestatte (phil. u. Rel. 46 ff.24) . Die Naturwissenschaften arbeiten mit bei­ den Kategorien, mit Raum und Zeit, und haben durch die erste den Vorteil, daß sie sich immer wieder genötigt sehen, alle Veränderungen doch nicht bloß aus dem Subjekt, sondern zugleich aus außer ihm vorhandenen Din­ gen abzuleiten. Der unräumliche Geist aber hat nur zeitliche Veränderun­ gen, die daher als lediglich im Wechsel seiner Zustände und nicht etwa in Einwirkungen außer ihm vorhandener übersinnlicher Kräfte begründet an­ gesehen werden dürfen. Da bleibt denn freilich nichts anderes über, als das religiöse Bewußtsein aus ihm selbst zu erklären und kausal abzuleiten, und wenn man nach einem Wahrheitsgrunde für dasselbe sucht, sich an dessen Verbindung mit dem allein intelligibeln, d. h. dem ethischen Factor des See­ lenlebens zu klammern (§ 35 Phil. u. Rel. 1 45 ff.25) . In Wahrheit aber steht 24 ,,[ ... ] Vorstellungen selbst [sind] nichts Räumliches, auch wenn sie Vorstellungen räumlicher Gegenstände sind: sie sind in der Zeit, aber nicht im Raume. Objekt der zeitlichen Anschauung dagegen ist alles, was sich auf die wandelbaren inneren Zustände des Ich und deren Abfolge bezieht. Zum ,inneren Zustande' gehören alle unsere Vorstellungen und ihr Verhältniss unter einander ohne Ausnahme; al­ so ausser den Vorstellungen äusserer Dinge auch alle inneren Vorgänge unseres Seelenlebens, soweit sie ins Bewusstsein treten, also vom Ich vorgestellt werden." Lipsius: Philosophie und Religion, S. 47. 25 "Mit dem Bewustsein von der Anlage und Bestimmung der menschlichen Persön­ lichkeit zur Freiheit über die Welt erwacht daher sogleich die Nöthigung, diese Freiheit zu bethätigen und zu behaupten, oder die zunächst nur in ihrer formalen Unbedingtheit erlebte persönliche Verbindlichkeit gegen das Sittengesetz, deren

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und fällt die Religion mit der Gewißheit darüber, daß sie sei, was sie sein I will, eine durch Wechselwirkung mit der übersinnlichen Welt entstandene, wenn auch mannigfach bedingte Erfahrung von dieser. In diesem Sinne be­ hält die Kritik der beiden Dorner Obb. f. d. Th. 1 877 p. 1 77 ff. Studd. u. Kritt. 1 883 p. 224 ff.26) und ]. Köstlins (Studd. u. Kritt. 1 890 p. 2512') auch gegen die neue Auflage durchaus Recht. Das sind hauptsächlich formelle Aenderungen. überempirischer oder transcendentaler Charakter auf den intelligibeln Charakter des Ich oder auf seine von der empirischen scharf zu scheidende transcendentale Freiheit zurückweist." (Lipsius: Dogmatik, 3. Auflage, § 35, S. 39) Lipsius verweist hier selbst auf "Philosophie und Religion", S. 1 45 ff.; dort wird auf S. 1 45-1 55 die Unterscheidung zwischen dem "intelligibeln" und "empirischen" Charakter genauer ausgeführt. 26 Vgl. Isaak August Dorner: Ueber die psychologische Methode in der Dogmatik und ihr Gegensatz gegen die Metaphysik (1 877), S. 1 78 f.: "Eine Untersuchung über den Begriff des Wissens überhaupt, von dem es abhängen müßte, ob es nicht ein Wissen von Gott und göttlichen Dingen und ein Sicherkennbarmachen Got­ tes ebensowohl geben kann, als die sinnlichen Dinge sich erkennbar zu machen wissen, findet sich nicht in dem Werk, sondern es wird nur in Beziehung auf das ,religiöse Erkennen' behauptet und im Einzelnen an den Hauptdogmen durchzu­ führen gesucht [ ..] ." So auch sein Sohn, August Dorner: Ü ber das Wesen der Re­ ligion (1 883), S. 224: "Wie stark das naturalistische Bewußtsein die Zeit erfüllt, ist bekannt. [...] Nach [Feuerbach] stellt sich der Mensch mit seinen Wünschen der Natur gegenüber, von der er sich abhängig weiß, und zwar so, daß er, um sich ihr gegenüber mit seinen Wünschen zu behaupten, Wesen projiziert, welche über die Naturgegenstände oder über die ganze Natur die Herrschaft habe, auf die er Einfluß ausüben zu können glaubt, um vermittels derselben die Naturhindernisse zu überwinden. [...] Ich vermag nicht zu sehen, daß, wenn die Erhebung über die Natur als das Motiv der Religion bei Lipsius angegeben, und wenn zugleich eine objektive Erkenntnis Gottes geleugnet wird, daß hiermit diese Gedankenlinie we­ sentlich überschritten sei." 27 Julius Köstlin: Der Ursprung der Religion (1 890), S. 25 1 : "Man sagt ja wohl mit Recht, daß der Mensch das, was er wünsche, auch gern glaube oder hoffe. Aber darunter pflegt man doch sonst nicht zu verstehen, daß das geglaubte Objekt in seinem Geist ein Produkt seines Bedürfens und Wünschens selbst sei und gar ein notwendiges und unabweisbares Produkt (hier folgt ein Verweis auf Lipsius] , son­ dern nur, daß Bedürfnis und Wunsch uns geneigt mache, der Vorstellung eines Objekts, welches uns Befriedigung hierfür verheißt, Realität beizulegen, wenn die­ se Vorstellung irgendwie sich uns dargeboten hat, auch ohne daß wir genügende theoretische Beweisgründe für ihre Realität besäßen; dargeboten sein muß uns die­ selbe doch schon irgendwie durch andere und auch im Zusammenhang unserer eigenen Vorstellungen." .

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Was dagegen die inhaltliche Durchführung der religionsphilosophi­ schen Grundlegung anbetrifft, so ist diese zunächst viel klarer gegliedert und stofflich reicher geworden, insofern die drei Hauptgesichtspunkte der phänomenologische, der ontologische und der der geschichtlichen Entwickelung reinlich gesondert worden sind. Unter dem ersteren Gesichts­ punkt wird die Entstehung der Gottesvorstellung aus den empirischen, praktisch-eudämonistischen Nötigungen, zu denen erst ziemlich spät sittliche Motive hinzutreten, sodann die psychologische Form, d. h. der Anteil der hierbei funktionierenden psychischen Tätigkeiten, ferner die Entstehung und Bedeutung der das praktisch religiöse Prinzip vorstel­ lungsmäßig symbolisierenden religiösen Vorstellungswelt, das Wesen der religiösen Gemeinschaften und schließlich Ursprung und Bedeutung des überall auftretenden Offenbarungs begriffes dargestellt. Die Auffassung der psychologischen Entstehung ist jetzt ganz empiristisch und eudämonistisch geworden und kommt den Ausführungen Kaftans ziemlich nahe, die früheren phänomenologisch gemeinten, aber an Schleiermacher und Hegel erinnernden Formeln von der Erhebung des endlichen Geistes zum unendlichen sind verschwunden oder doch in dem neuen Sinne präzisiert. Freilich liegt jetzt die Consequenz des Illusionismus ebenso nahe wie bei der übrigen Postulaten- und Bedürfnistheologie. Dieser Gefahr sucht da­ her auch die neue Auflage energischer zu begegnen, als es die älteren mit ihrer bloßen Berufung auf das Mysterium vermocht hatten. Allerdings hat­ te früher dieses Mysterium noch in den Farben der Hegelschen Aktuali­ sierung des unendlichen göttlichen Bewußtseins im endlichen geschillert und sich dadurch einem allgemeineren Rahmen eingefügt (§ 48Z) . Dieser Schein ist jetzt ganz getilgt.28 Es gilt der Religion in der Phänomenalität ih­ rer Erscheinungen einen ontologischen oder intelligibeln Grund zu geben. Das geschieht jetzt nach dem Vorgang der neuen Beiträge in der einzigen, von dieser Voraussetzung aus möglichen Weise, wie das vorher schon Kant 28 § 48 lautet in der 2. Auflage: "Sofern für die dogmatische Betrachtung das Verhält­ nis, in welchem das menschliche Selbst- und Weltbewustsein zum Gottesbewust­ sein steht, auf einem objectiv realen Verhältnisse zwischen Gott und dem Men­ schen beruht, bestimmt sie das objective Wesen der Religion als die Wechselbezie­ hung des göttlichen und des menschlichen Geistes, wie dieselbe als thatsächlicher Gehalt im unmittelbaren Selbstbewustsein um unser Verhältnis zu Gott und in dem darin zugleich mitgesetzten Bewustsein um Gottes Verhältnis zu uns enthal­ ten ist." (S. 41) In der 3. Auflage steht dagegen (S. 46 f.): "Im religiösen Vorgange ist immer ein doppeltes Moment gesetzt: einerseits ein Innewerden des gegenwär­ tigen göttlichen Wirkens im eignen Selbst und in der mit dem menschlichen Ich in Wechselbeziehung stehenden Welt, andrerseits eine Erhebung des Ich über seine eigne Naturbestimmtheit und über seine Wechselbeziehung mit der Welt zu Gott."

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und Fichte, Herrmann und Rauwenhoff versucht hatten, nämlich in der Ver­ knüpfung der Religion mit dem einzigen intelligibeln oder noumenalen Fac­ tor des Seelenlebens, dem Sittlichen. Das in der Phänomenologie hervortretende intelligible oder I transscendentale Moment, die Freiheit, und das ihr korrelate Sittengesetz übertragen ihren Wahrheitscharakter auf das mit wis­ senschaftlicher Notwendigkeit hiermit sich ergebende Postulat der Gottes­ idee, welche dem Bewußtsein seinen sittlichen Persönlichkeitswert sichert, aber freilich auch nur den jene praktischen sittlichen Nötigungen Empfin­ denden sich aufzwingt (§ 39, Phil. u. Rel. 1 8829) . Damit ist die Religion end­ giltig gegen jede metaphysische Spekulation verselbständigt. Hier ist denn auch die Stelle, an welcher sich die verschärfte unmittelbare Begründung der Wahrheit der Religion, insbesondere der christlichen, auf "praktische Nötigungen"30 ergibt. Freilich ist hiermit ein geradezu verblüffender Wider­ spruch zwischen der prinzipiell eudämonistischen Phänomenologie und der ethischen Ontologie gesetzt, den zu beseitigen nicht der mindeste Versuch gemacht ist. Aber noch schlimmer ist, daß auch mit dieser moralistischen Ontologie nur ein aus notwendigen Bedürfnissen notwendig hervorgehen­ des Postulat der Gottesidee, nicht das alle Religion erst erzeugende und al­ le idealen Bedürfnisse erst erregende Wirken Gottes erreicht ist. Auf dem Wege der Postulate kommt man eben immer nur zur Gottesidee als einer von Menschen gezogenen Folgerung, aber nicht zu Gott als dem Urheber der Religion. Das letztere kann wieder nur als Mysterium behauptet werden, d. h. aber nichts anderes als die Selbstaufhebung der ganzen Postulatentheo­ neo Das Nächste ist die Aufgabe, unter den verschiedenen historischen Spe­ zifikationen der Religion die höchste und die vollendete festzustellen. Ob es möglich ist, auf diesem Wege die christliche Religion als die Vollendung der Religion überhaupt zu erweisen oder doch glaubhaft zu machen und derart in ihr die endgiltige Selbsterschließung Gottes zu sehen, ist die große wis29 Lipsius: Philosophie und Religion (1 885), S. 1 88: ,,[ ... ] Endzweck des persönlichen Geistes aber ist seine Selbstbehauptung gegenüber der äusseren Natur und seine Selbstverwirklichung als ein von der Naturbestimmtheit freies Ganzes in sich. Al­ les, was auf Grund von sittlicher Nöthigungen [...] als wirklich gesetzt wird, bildet darum ein Stück unserer persönlichen Existenz oder unseres inneren Lebens, das wir nicht aufgeben können ohne Selbstverzicht." Vgl. dazu auch Lipsius: Dogma­ tik, 3. Auflage, § 39, S. 42 f., hier S. 42: "Wie der Freiheit über die Welt, so kommt daher auch der Abhängigkeit von Gott ein überempirischer, intelligibler oder tran­ scendentaler Charakter zu, in welchem die der formalen Absolutheit des Sittenge­ botes durchaus analoge unbedingte Zumuthung zur religiösen Erhebung trotz al­ ler inhaltlichen Mannigfaltigkeit der besonderen Religionen begründet ist." 30 Vgl. dazu oben, Anm. 1 6, S. 38.

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senschaftliche Lebensfrage der christlichen Theologie. Die Beantwortung dieser Frage hat sich Lipsius, wie die meisten Theologen, ziemlich leicht gemacht. Er schließt sich an die großartige Grundanschauung von einem einheitlichen, stufenweisen Entwickelungsgange des religiösen Bewußtseins an, wie sie von Hegel begründet worden ist und von der modernen Religi­ onsforschung in einem mehr realistischen Sinne weitergeführt wird. Als die vollendete ethische Religion ist das Christentum die Vollendung des Wesens der Religion, ebendeshalb in erster Linie ein an sich notwendiges, überge­ schichtliches, die Bestimmung und Anlage des menschlichen Geistes aktua­ lisierendes Prinzip (§ 1 6()31) . Ob das wirkliche Christentum dieser Bestim­ mung tatsächlich entspreche, ob dieser Evolutionsgedanke überhaupt auf eine absolute Religion und nicht etwa bloß auf einen Synkretismus aller abziele, I ob von hieraus die polemische Entgegensetzung des Christentums gegen die übrigen Religionen sich rechtfertigen lasse, ob die Bedingtheit der religiösen Entwickelung durch menschlichen Irrtum und Sünde dabei zu ihrem Rechte komme und warum die Entstehung des Christentums von dieser Bedingtheit ausgenommen werden dürfe, kurz inwiefern mit dem Ge­ danken der Entwickelung der der Offenbarung und Erlösung verträglich sei, das sind Fragen, die gar nicht aufgeworfen werden. Nur das tatsächliche Bedürfnis des Theologen macht sich geltend, das Christentum aus der immanenten Entwickelung doch wieder spezifisch herauszustellen. Es ge­ schieht in der Weise (§ 1 55 = 1 392)32, daß die heidnischen Religionen auf die natürlichen Offenbarungen in Natur- und Sittengesetz begründet werden, 31 "Das auf Grund der geschichtlichen Gottesoffenbarung in Christo als neue Le­ bensmacht sich bethätigende religiöse Princip des Christenthums ist das in der Per­ son Jesu thatsächlich verwirklichte, mittelst des Glaubens an ihn als Thatsache des gemeinsamen und individuellen Bewustseins sich beurkundende religiöse Verhält­ nis der Sohnschaft bei Gott, in welchem an die Stelle des Gegensatzes zwischen Gott und Mensch die Lebensgemeinschaft des Menschen mit Gott vermittelst der Gegenwart des göttlichen Geistes im Menschengeiste getreten ist." (Lipsius: Dog­ matik, 3. Auflage, § 1 60 (S. 1 26-1 28), hier S. 1 26) . 32 "Sofern der christliche Glaube erst im Christenthume mit der vollkommenen ethi­ schen Religion zugleich die vollkommene Gottesoffenbarung, in der geschicht­ lichen Continuität des Christenthums aber mit der Religion Israels zugleich ei­ ne Continuität der göttlichen Offenbarung erkennt, sieht er sich genöthigt, bei­ de Religionen in ihrem inneren Zusammenhange gegenüber den mythologischen Religionen als die Offenbarungsreligion im engeren Sinne zu betrachten, in wel­ cher sich mit der stufenweisen Enthüllung der göttlichen Heilsordnung auch das menschliche Heilsbewustsein und die Heilsgemeinschaft (oder die Gemeinschaft des Gottesreichs) stetig entwickelt (testamentarische Religion) ." (Lipsius: Dogma­ tik, 3. Auflage, § 1 55, S. 1 23 f., hier S. 1 23; 2. Auflage: § 1 39, S. 1 1 0 f.) .

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während erst auf der Stufe der rein geistig-sittlichen Religion ein wirklich unmittelbares, im eigentlichen Sinne religiöses Wechselverhältnis von Gott und Mensch erfahren werde. Dies ist nur in der biblischen Religion der Fall, somit beruht nur diese auf Offenbarung im engeren Sinne, d. h. einer spe­ zifischen und unmittelbaren Gotteswirkung. Diese Art der Begründung ist aber ein schreiender Widerspruch gegen den allgemeinen, vorausgesetzten Grundbegriff der Religion, wonach diese überall, gleichviel unter Vermitte­ lung welcher Medien, religiöses Verhältnis zu Gott ist. Sie ist ein schillern­ der und unklarer Versuch, mit Benutzung der auch sonst leider sehr viel herbeigezogenen Schweizerschen Unterscheidung von Natur-, Sitten- und HeilsordnuntJ zu der alten supranaturalistischen Unterscheidung der na­ türlichen und der übernatürlichen Religion überzuleiten, die dem Entwicke­ lungsgedanken direkt entgegensteht. Diese Tendenz zur Isolierung und Her­ aushebung des Christentums ist in der neuen Auflage noch verstärkt und sucht das naturgemäß durch stärkere Betonung des spezifisch göttlichen und positiv geschichtlichen Ursprungs in der Person des Stifters und durch den Nachweis der bleibenden Bedeutung dieses Ursprunges für das religi­ öse Prinzip zu erreichen. Aus dem historischen Quellpunkte und Verwirk­ lichungsorgan des an sich notwendigen, im Geiste angelegten Prinzips ist der Stifter zum Offenbarer, Garanten und produktiven Urbild geworden, der nicht das religiöse Bewußtsein vollendet, sondern als Gottes Offenba­ rer und Vertreter in den natürlichen Weltlauf hineintritt und dadurch sowie durch die Herstellung einer sündlosen Menschheit in sich die Menschen er­ löst (vgl. § 1 58 u. 1 65 im Verh. zu 1 422 u. 1 492, § 1 69, die Zusätze zu § 1 59, 1 60, 1 66 und die Veränderungen der Häresientafel § 1 7034) . Doch ist das alles nur auf Grund einer bestimmten Anschauung von Jesus an den Gedan­ ken der religiösen Entwickelung herangebracht und in ihn hineingearbeitet, 33 Vgl. dazu Alexander Schweizer: Die Christliche Glaubenslehre nach protestanti­ schen Grundsätzen dargestellt (1 8772'y, 1 . Band, 2. Haupttheil: "Der elementare religiöse Glaube im christlichen" (S. 209-224) . 34 In den genannten Paragraphen der 3. Auflage wird von Lipsius betont, daß die Dogmatik sowohl den ewigen Gehalt des Christentums als auch seine histori­ sche Ausprägung ermitteln muß. Als Beispiel sei hier § 1 65 zitiert: "Die christli­ che Dogmatik hat aus dem christlichen Heilsbewustsein in seiner geschichtlichen Bestimmtheit die christliche Grundthatsache und die durch sie bedingte Grund­ anschauung des Christenthums, aus dieser aber als einem thatsächlich Gegebe­ nen das religiöse Grundverhältnis (sein allgemeines geistiges Wesen oder sein re­ ligiöses Princip) zu ermitteln, Ewiges und Geschichtliches aber dergestalt ebenso­ wohl zu unterscheiden, als in wechselseitige Beziehung zu setzen, dass als religi­ ös-sittlicher Gehalt des Geschichtlichen eine ewige Ordnung und ein ewiges Gut, das Geschichtliche aber als die thatsächliche Verwirklichung jenes Ewigen erkannt

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I aber nicht aus dem historischen Tatbestande derselben herausgearbeitet.

Die Gründe für Recht und Notwendigkeit dieser Auffassung sind in der Christologie entwickelt. Es ist somit klar, daß der Schwerpunkt der Lipsiusschen Neuerungen in der Christologie liegt, wie ja in der Tat immer die mehr oder minder supra­ naturalistische Auffassung des Christentums hier am deutlichsten zu Tage tritt. Hier ist es nun im Gegensatz zu der kirchlichen, streng supranaturalisti­ schen Lehre, daß Jesus ein absolutes, der sündigen Welt entgegengestelltes Wunder und die Erlösung ein ebenso absolutes Wunder der Einwirkung Jesu auf Gott sei, die Consequenz des Entwickelungsgedankens, im Chri­ stentum eine neue Entfaltung des religiösen Bewußtseins zum endgiltig er­ lösenden Prinzip zu sehen und in Jesus nur den historischen Quellpunkt die­ ses Prinzips zu erkennen. Diese Consequenz machte sich an allen kritisch­ theologischen Systemen irgendwie, wenn auch meist in sehr versteckter Wei­ se, geltend; Biedermann hat sie klar, wenn auch in fataler Verquickung mit seiner spezifisch Hegelschen Fassung des religiösen Prinzips und der ent­ sprechenden Geschichtskonstruktion, ausgesprochen. Diese Consequenz hatte sich auch Lipsius von seiner monistischen Grundanschauung aus an­ geeignet und dabei nur mit Recht gegen Biedermann hervorgehoben, daß dieses Prinzip selbst unlösbar mit dem Glauben an eine endgiltige Gottes­ offenbarung in Christo verknüpft sei und nur in dieser Gewißheit seine er­ lösende Kraft besitze. Die neue Auflage sucht von diesen Sätzen zu einer noch energischeren Würdigung der Uebernatürlichkeit Christi und seines Werkes fortzuschreiten. Sie betont noch viel stärker und öfter das Moment der Gottesoffenbarung, wonach Christus von Gott ausgehende Offenba­ rung sei und in ihm die Objektivität der göttlichen Gnade dadurch absolut gesichert sei. Sie schreitet aber noch weiter fort, indem sie in ihm nicht bloß den Offenbarer, sondern geradezu den "Begründer"35 des Heils erblickt, inwird." (S. 1 31) In der 2. Auflage dagegen finden sich in dem entsprechenden § 1 49 (S. 1 1 8) nicht nur einige stilistische Änderungen, sondern es fehlt in dem entspre­ chenden Satz auch der gesamte zweite Teil (ab "Ewiges und Geschichtliches aber dergestalt [...]'') . 3 5 Vgl. das Kapitel "Die geschichtliche Heilsoffenbarung und Heilsbegründung durch Jesus Christus (Oekonomie des Sohnes)" (S. 456-596), besonders S. 568: "Diese Reichsgemeinde [die Gemeinde der Gläubigen, die sich des Besitzes des Reichs Gottes gewiß sein können] aber hat in Jesu von Nazareth ihren persönli­ chen Begründer und damit zugleich den, durch welchen ihr die göttliche Reichs­ ordnung oder der göttliche Heilswille vollkommen offenbart und durch dessen Vermittelung und Kindschaft bei Gott, ein Gegenstand gemeinsamer Erfahrung und gemeinsamen Glaubens nicht blos geworden ist, sondern laut des Zeugnisses der Jahrhunderte immer wieder wird."

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so ferne er als der erste sündlose und vollkommene Mensch Gott erst die Möglichkeit gab, mit der durch ihn als ihrem Haupte vertretenen Gemeinde überhaupt in Liebes- und Offenbarungsbeziehung zu treten (§ 67036). So kann jetzt auch von einer stellvertretenden Sühne die Rede sein (§ 67331), insoferne das vollkommene Haupt der Gemeinde demütig die Schuldver­ haftung des Menschengeschlechtes an ihrer Stelle empfindet und anerkennt, und von einer mit der Auferstehung angetretenen Herrschaft des Erhöhten über seine Gemeinde (§ 6773�. Damit ist von der Biedermannschen Formel aus nicht bloß die Ritschlsche Christologie (mit Ausnahme des Gottheitsprädikates), sondern auch die Po I sition der Vermittelungstheorie erreicht und die Richtung auf eine alle Schulen um den positiven Glauben an die Offenbarung und Erlösung in Christo schaarende Consensus theologie zu Ende gebracht, welche in dem späteren Leben Lipsius' so charakteristisch hervortritt und in seinem gemeinsamen Glaubensgrund39 einen so warmen Ausdruck gefunden hatte. Freilich die Resultate sind auf dem allgemeinen Boden der Lipsius­ schen Voraussetzungen überraschend. Fragen wir nach den Mitteln, mit welchen sie gewonnen sind, so begegnen wir wieder jener schon oben erwähnten Unterscheidung empirisch-kausaler oder historischer und 36 Vgl. § 670, S. 575: "Die Offenbarung der Liebe Gottes durch Christi That ist die Bewährung der sein persönliches Selbstbewustsein erfüllenden göttlichen Liebe im demüthigen Liebesgehorsam gegen Gott und im selbstverleugnenden Liebes­ dienst an den Menschen bis zum Tode und und [siel] damit zugleich die thatsäch­ liche Vollziehung des göttlichen Versöhnungs- und Erlösungswillens durch Ver­ wirklichung der vollkommenen Liebesgemeinschaft Gottes und des Menschen in dem persönlichen Haupte der neuen Gottesgemeinde." 37 Vgl. § 673, S. 577: "In der Gemeinschaft mit Christus weiss sich daher die Ge­ meinde mit Gott versöhnt, indem sie in ihm das Haupt der neuen gottgeeinten Menschheit erkennt, sich selbst also in der Gemeinschaft mit dem Haupte zugleich der Gemeinschaft mit Gott, der Schuldvergebung und Gotteskindschaft theilhaf­ tig weiss." 38 Vgl. § 677, S. 588: "Die Thatsachen des geschichtlichen Lebens Jesu unterliegen als solche der geschichtlichen Forschung, gewinnen jedoch unbeschadet der Er­ gebnisse dieser Forschung für den Glauben religiöse Bedeutung, was vor Allem von den Thatsachen seines Todes und seiner Auferstehung gilt, von denen jene die Vollendung seines Lebensberufs, die Vollziehung der Versöhnung und die Grün­ dung der von der Welt erlösten Gemeinde des Gottesreichs, diese die Erhöhung des seinen irdischen Schranken enthobenen Christus zum fortlebendigen Haupte und Könige seiner Gemeinde und damit zur Theilnahme am Weltregimente d. h. an der Durchführung des göttlichen Weltzwecks bedeutet." 39 Richard Adelbert Lipsius: Unser gemeinsamer Glaubensgrund im Kampf gegen Rom (1 890) .

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religiös-teleologischer Betrachtungsweise, welche in den Hauptpunkten begründet wurde und in der neuen Auflage an den verschiedensten Punkten Dienste leistet, die denen der Ritschlschen Werturteile analog sind. Die Biedermannsche Auffassung ist die lediglich empirisch-historische und zeigt nur den geschichtlichen Religionsstifter; die religiös-teleologische zeigt hingegen in dem geschichtlichen Religionsstifter eine an den sittlichen Menschen sich wendende Wahrheit, welche ihn als vollkommenen, von Gott ausgehenden Gottesoffenbarer zu beurteilen nötigt, und der Umstand, daß diese Gottesoffenbarung an den sündigen Menschen ergeht, zu dem als solchen Gott gar nicht in Beziehung treten kann, nötigt uns, den historischen Bestand seiner vollkommenen Sündlosigkeit als die Herstellung der Bedingungen zu betrachten, unter denen allein Gott überhaupt zu den Menschen in Offenbarungsbeziehung treten konnte. Erst dieses letztere Moment ist in der neuen Auflage ganz neu hinzugekommen. In ihm liegt auch der Fortschritt zur Würdigung des Werkes als persönlicher Erlösung und Heilsbeschaffung und damit eine weitgehende Analogie mit der kirchlichen Lehre, zugleich aber auch der Bruch mit dem Gedanken einer religiösen Entwickelung. "Gott selbst versöhnt in Christus die Welt mit sich selbst, indem er einen neuen gotteinigen Menschen schafft, in dessen Person die Menschheit in dem ihrem sittlichen Endzwecka entspre­ chenden Stande gottgemäßer Vollkommenheit oder als mit Gott versöhnte Menschheit sich darstellt" p. 57 1 . Aber dieser Punkt ist auch der bedenk­ lichste. Hatte die frühere Auflage zwar eine Auseinandersetzung mit dem Entwickelungsgedanken unterlassen, so hatte sie die Begriffe der Erlösung und Offenbarung doch so ge faßt, daß sie in einen solchen eingehn und doch noch die Objektivität einer göttlichen Selbsterschließung behaupten konnten. Dabei war wahrlich teleologische Beurteilung in hohem Maße angewendet worden, wenn das christliche Prinzip als Vollendung der Religion an l gesehen und in Christus die es begründende Selbsterschließung Gottes anerkannt wurde. Wenn nun die neue Auflage auch noch darüber hinaus geht und geradezu eine übermenschliche Heilsbeschaffung behauptet, so ist das weniger ein aus dem historischen Bestand notwendig sich ergebendes teleologisches Urteil, als vielmehr eine Erkenntnis, welche der Erfahrung entstammt, daß eine Einheit der evangelischen Kirchen und eine praktische Wirkung auf den verbliebenen Rest der Gemeinden nur unter Voraussetzung eines möglichsten Anschlusses an die historische Gestalt des Christentums möglich zu sein scheint. Ich muß mich darauf beschränken, diese beiden Hauptpunkte zu besprechen. Wenn ich dabei hauptsächlich die bedenklichen Seiten hervora

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gehoben habe, so geschah das, weil es weder nötig noch schicklich ist, das große, längst als ein standard work anerkannte Buch zu loben. Es gehört zu den bedeutendsten Leistungen der Theologie und hat große Vorzüge vor Biedermann sowohl als Ritschl40 voraus, wenn es auch in andern Punkten wieder hinter beiden zurücksteht. Lipsius war mehr ein rezeptiver als schöpferischer Geist, sein Denken war mehr zusammensetzend als organisch und seine Gedankenentwickelung war nicht immer ganz klar und konsequent. Aber sein Buch ist ein großartiges Werk umfassender Gelehrsamkeit, großen Scharfsinnes, warmer Frömmigkeit und lauteren Wahrheitsernstes. Seine Gebrechen sind weniger Gebrechen des Autors als solche der Theologie überhaupt, die keiner von uns recht zu überwinden im Stande ist. Vielleicht ist es eine Station in dem großen Klärungsprozesse der religiösen Frage. Dem Herausgeber und der Vedagshandlung sei auch an dieser Stelle war­ mer Dank ausgesprochen, wobei ich nur bemerke, daß das Abweichungsver­ zeichnis des Herausgebers in keiner Weise die Mühe erspart, den wirklichen inhaltlichen Unterschied der neuen Auflage erst selbst zu suchen.41 E. Tröltsch. Heidelberg, 1 . August 1 894.

40 Vgl. Alois Emanuel Biedermann: Christliche Dogmatik (1 884/852) und Albrecht Ritschl: Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung (1 888/893) . 41 Zum Herausgeber Otto Baumgarten vgl. oben, Anm. 1 , S. 33; bei dem Verlag handelt es sich hier um Schwetschke und Sohn (Appelhans & Pfenningstorff), Braunschweig.

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Rudolf Eucken: Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt (1 896)

Die vorliegende Rezension ist Troeltschs erste Besprechung in der "Theolo­ gischen Literaturzeitung". Im Juli 1 895 schrieb Troeltsch noch an Wilhelm Bousset: "Die theologische Litt[eratur] Z [ei] t[un]g hat mir immer noch kei­ ne Rezension anvertraut. Man traut mir nicht."! Fünf Jahre nach Erscheinen der Rezension schilderte Troeltsch in einem Brief an Friedrich von Hügel seine Lektüreeindrücke.2 "Da Sie mehrfach von Professor Eucken sprechen, so möchte ich schließlich noch hervorhe­ ben, daß auch hier ein merkwürdiger Fall vorliegt. Ich habe die Grundzü­ ge meiner Anschauungen ausgebildet, ehe ich eine Zeile von Eucken kann­ te, war aber dann überrascht, wie weitgehende Ü bereinstimmung hier aus übereinstimmender Auffassung der geistigen Lage hervorgegangen war. Es war mir damals ein Trost zu sehen, daß doch ein Zusammenwirken in die­ ser verworrenen Zeit möglich ist und daß darauf die Hoffnung besserer Zukunft begründet werden darf. Denn ohne Umkehr des besseren öffent­ lichen Geistes von der Meinung, daß alles von außen komme oder daß das Innere nur einfach gesetzmäßig sich auswirken solle ohne eine höhere, gei­ stige Wirklichkeiten bejahende schöpferische Tat, gibt es keine Heilung der bei allem äußeren Glück doch schweren und ernsten geistigen Lage der Ge­ genwart. Freilich kostet gerade auch die Durchsetzung solcher Erkenntnis einen Kampf, aber das ist eben der Kampf, der uns von Gott verordnet ist und der nichts anderes ist als der uralte Kampf des Göttlichen gegen das Weltliche. In diesem Stück ist alles beim alten geblieben und wird es auch bleiben." Das hier besprochene Buch wird von Troeltsch sowohl in "Religionsphi­ losophie und principielle Theologie" (1 896), unten, S. 82-84, als auch in "Neue Triebe der Spekulation" (1 896), unten, S. 1 64-1 67, rezensiert. 1

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Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 23. Juli 1 895, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 ---+ KGA 1 8/1 9. Zur Theologischen Literaturzeitung vgl. Einleitung ---+ KGA 4, S. 8-1 2. Brief Ernst Troeltschs an Friedrich von Hügel, April 1 90 1 , St. Andrews, UB (Scot­ land), NL F. v. Hügel, MS 3076-MS 3 1 00 ---+ KGA 1 8/19.

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Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literatur­ zeitung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 2 1 . Jg., Nr. 1 5, 1 8. Juli 1 896, Leipzig: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 405-409 (A).

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Eucken, Prof. Rud., Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt. Neue Grundle­ gung einer Weltanschauung. Leipzig, Veit & Co., 1 896. (VIII, 400 S. gr. 8.) M. 7.50. Das vorliegende Buch von Eucken ist eine zusammenfassende Darstellung der in seinen früheren Werken "Die Einheit des Geisteslebens in Bewusst­ sein und That der Menschheit", "Die Lebensanschauungen der gros sen Denker" und "Die Grundbegriffe der Gegenwart" entwickelten philoso­ phischen Grundgedanken. Sein unterscheidender Charakter ist die ganz ein­ fache, allgemeinverständliche Haltung der Sprache und Gedankenführung, sowie eine stark hervortretende praktische Tendenz der Einwirkung auf die Gegenwart und ein lebhafter persönlicher Affect sittlicher Begeisterung. Er schildert die schweren Gebrechen und Gefahren der gegenwärtigen geisti­ gen Zustände und zeigt den Weg der Rettung in einer eingreifenden Um­ bildung des vorübergehend verblassten und zurückgedrängten oder schal gewordenen Idealismus, dessen Sache zugleich identisch ist mit der der Re­ ligion und Ethik. Es ähnelt in dieser Hinsicht mannigfach dem im gleichen Interesse geschriebenen Buche Fichte's: "Ueber die Bestimmung des Mensehen", an das Eucken auch selbst erinnert (p. 33 1) . Auch der I Nebentitel "Neue Grundlegung einer Weltanschauung" ist ähnlich zu verstehen wie die Bezeichnungen, die Fichte seiner Wissenschaftslehre gab als der Philoso­ phie der Erneuerung und Errettung.2 1 "Das ist das große Entweder-Oder [ob der Mensch in der Welt der Gegebenhei­ ten aufzugehen vermag oder ob ihn eine unwiderstehliche Notwendigkeit seines innersten Wesens zu einer Welt selbsttätigen Lebens treibt] , das Fichte in seiner ,Be­ stimmung des Menschen' so packend geschildert hat; nicht weit können wir mit dem gewaltigen Stürmer gehen; um so entschiedener möchten wir aussprechen, daß sein Ausgangspunkt, sein Grundgedanke eines ursprünglichen und weltschaf­ fenden Lebensprozesses im Menschen auch uns als das Fundament nicht nur al­ ler ausgeprägten Philosophie, sondern aller kräftigen Vernunftentwicklung gilt." (S. 32 f.) . 2 Vgl. Johann Gottlieb Fichtes Ausführungen zur Wissenschaftslehre in den "Ein­ leitungsvorlesungen in die Wissenschaftslehre" (1 834) : Die "Wissenschaftslehre" setze "ein ganz neues inneres Sinnenwerkzeug" voraus, "durch welches eine neue Welt gegeben wird, die für den gewöhnlichen Menschen gar nicht vorhanden ist" (S. 4) . Daher sei "das erste Geschäft" der Wissenschaftslehre, "den neuen Sinn im

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In Wahrheit tritt doch für den Leser zunächst der Zusammenhang mit dem bisherigen Besitz sehr deutlich hervor. Die Wurzeln des Buches lie­ gen in der Gesammtanschauung der classischen deutschen Philosophie, de­ ren Väter Leibniz, Herder und vor allem Goethe gewesen sind, die durch die Einwirkung der kantischen Philosophie einen technisch durchgeführten Idealismus zur Grundlage erhalten und die ihren Abschluss in dem System Hegel's sowie in der Ethik Schleiermacher's empfangen hat. Insbesonde­ re der Zusammenhang mit Hegel ist trotz des tiefgreifenden Unterschie­ des fast auf jeder Seite erkennbar. Sprache und Gedankenmaterial dieses Meisters haben die stärkste Wirkung ausgeübt, auch da, wo diese Wirkung die des Gegensatzes ist. Der Grundgedanke des Buches ist demgemäss der Glaube der deutschen Philosophie an die teleologische Einheit des Kos­ mos, der als ein sich entwickelndes und durch Widersprüche hindurchge­ hendes, aber im letzten Grunde einheitliches Lebensganzes anzusehen ist, in welchem Ganzen Geist und Vernunft irgendwie die Quelle aller Wirk­ lichkeit, auch der natürlichen und sinnlichen ist, und innerhalb dessen an einer bestimmten Stelle das menschliche Geschlecht und die menschliche Geschichte als ein kleiner besonderer, in sich geschlossener Entwickelungs­ kreis hervortritt. Dieser letztere kleine Kreis ist der allein unserer Erfahrung und unserer Zwecksetzung tiefer erkennbare Wirklichkeitskreis. Die in ihm durch Bewußtsein und That der Menschheit sich verwirklichende Einheit eines menschlich-geistigen Lebens schafft und erwirbt die geistigen Güter des Menschenthums, die sich eben dabei als ideale, an und für sich gültige und nothwendige Güter der Vernunft an der inneren Erfahrung erweisen. Zu solchem Schaffen ist die Menschheit befahigt durch ihren inneren We­ senszusammenhang mit der absoluten Quelle aller Vernunft, mit Gott, der sich eben an dieser inneren Erfahrung von der absoluten Notwendigkeit jener geistigen Güter bekundet, und durch die Aufeinanderbeziehung der geistigen und sinnlichen Welt, die durch die Thatsache der Entstehung ei­ ner solchen Geisteswelt bewiesen ist und in der letzten göttlichen Einheit der Wirklichkeit ihren nur dem Glauben zugänglichen Grund hat. Dieser Glaube unserer großen Literaturepoche und seine wissenschaftli­ che Durchführung ist gewiß das kostbarste Gut unserer Bildung und das einzige Fundament für eine wissenschaftliche Darlegung von Religion und

Menschen zu wecken; sie darum eigentlich nicht bloß Lehre und nicht zu aIler­ nächst Lehre sei, sondern Umbildung des ganzen Menschen, an den sie kommt; Umschaffung und Erneuerung, Erweiterung seines ganzen Daseins aus einern be­ schränktern zu einern höhe rn Umfange" (S. 6) . Den "neue [nJ Sinn" konnte Fichte auch als "Zustand einer Umwandlung und Wiedergeburt" bezeichnen.

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Moral, wo man die einfache Begründung der beiden letzteren auf undiscutir­ bare übernatürliche Offenbarungen aufgegeben hat. Aber ebenso Recht hat Eucken, wenn er auf die mangelhafte, vorschnelle Ausbildung hinweist, die dieser Glaube in der damaligen Durchführung gefunden hat, und auf die Kritik, die Erfahrungen und Forschungen unseres Jahrhunderts, der Em­ pirismus und Skepticismus, der Pessimismus, die neukantische Bewegung, der moderne Individualismus,ftn du siecle und die Verstärkung der religiösen Bewegungen an ihm vollzogen haben. Jene Systeme waren alle durch und durch optimistisch, deterministisch, intellectualistisch oder ästhetisch, mehr oder minder pantheistisch. Sie lassen durch eine immanente Nothwendig­ keit die Entwickelung sich sicher und lückenlos vollziehen, die Natur aus dem Geist und den Geist aus der Natur hervorgehen. Kämpfe, Brüche und Katastrophen sind nur Schein. Wie die unpersönliche Nothwendigkeit der Logik oder der ästhetischen Harmonie setzt sich die Idee der Wirklich­ keit im Makrokosmus und Mikrokosmus durch. In der empirischen Welt vollzieht sich, ihr immanent und mit ihr in eine Fläche fallend, von selbst und frei schwebend der Proceß der idealen. Leider hat Eucken diese Män­ gel fast ausschließlich an dem Hegel'schen System als dem wissenschaftlich groß I artigsten und bis heute wirksamsten hervorgehoben und daher fast nur von dem intellectualistischen Charakter jener Systeme gesprochen. In Wahrheit kehrt sich aber diese Kritik auch und vor allem gegen die äs­ thetische Variante jenes Gedankens, die der intellectualistischen vorausging und bis heute durch die mächtige Wirkung Goethe's und seiner Interpreten die wichtigere geblieben ist. Sein Buch ist in Wahrheit eine Auseinanderset­ zung mit dem Wahren und dem Irreführenden an der Gesammtanschauung unseres größten Dichters und Denkers, der mächtigsten Persönlichkeit un­ serer neueren Geschichte, deren, übrigens etwas einseitig interpretirende, Bewunderer ihn studieren wie einen neuen Erdtheil, in dem das Paradies der Wahrheit und der Seelengröße gelegen ist. Der tiefste Schaden, den die Kritik unseres Jahrhunderts an diesem Idealismus aufgedeckt hat, ist nun der vorschnelle Optimismus, der den ungeheueren Abstand zwischen der Aeußerlichkeit, Härte, Gebundenheit und Unvernunft der vorgefundenen empirischen Lage und dem zunächst scharf entgegentretenden Wesen der geistigen Welt nicht sehen wollte, und der die Energie lähmende Quietismus, der nicht aus That und Entschließung des Willens, aus Bildung und Erwerb substantiell persönlichen Wesens, sondern aus der unpersönlichen inneren Nothwendigkeit und Harmonie des All s den Fortschritt hervorgehen ließ. Solche Mängel machen eine tiefgreifende Umbildung jener Ideen nothwendig. In dem Rückgang auf sie und in der Vornahme dieser Umbil­ dung erblickt Eucken den Kern der Bestrebungen einer Minorität, die in der sich auflösenden Bildung der Gegenwart die Zukunft vorbereitet, und

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zugleich den Kern seines Buches.3 Es ist der vorschnelle Monismus und Pantheismus jener construirenden, älteren Systeme aufzugeben und vor allem von der Wirklichkeitsthatsache auszugehen, die uns ifVei Reiche, ein Reich der materiellen und psychologischen Natur mit seinen empirischen Einzelheiten und deren causalen Verkettungen, sowie ein aus ihr sich aufringendes Reich des Geistes und der Freiheit zeigt, in dem eine der Natur entgegenlaufende und sie überwindende Selbstbestimmung durch Motive absoluter, geistiger Vernunftgüter möglich ist. Dieses Reich entsteht nur durch That und Freiheit, es behauptet sich nur durch sie, und entstehend wie sich behauptend schafft es durch solche Freiheitsthat neue geistige Wesen, individuelle Persönlichkeiten, ein neues substantielles Dasein. Aber so entstanden und in Persönlichkeiten zu einem Reich des Geistes sich zusammenfassend, darf die Geisteswelt nicht mehr bei sich selbst bleiben und sich nur in sich selbst concentriren. Vielmehr, da sie nur in und aus der Naturwelt entsteht, hat sie sich wieder gegen diese zu wenden, sie zu ergreifen und zu gestalten, woraus sich aber keine Ausgleichung, sondern vielmehr eine beständige Polarisation ergiebt, eine nie ruhende Dialektik des Kampfes, der bald die Concentration des Geistes, bei sich selbst, bald die Hingabe an die Natur überwiegen läßt und so zu einem beständigen Wechsel von Siegen und Niederlagen, zu unzähligen Verwickelungen und Dunkelheiten führt. Freilich führt diese Unterscheidung von erster empirischer Lage und dar­ aus entstehender Geisteswelt, von vorliegender Existenz, daraus entstehen­ der geistiger Substanz und Zurückführung dieser Substanz in die Existenz, diese Nebeneinanderstellung von empirischer Causalität und überempiri­ scher Freiheit, von Dunkelheit und Unvernunft des Daseins neben abso­ luten Werthen der Vernunft, von nie ruhender, wechselnder geschichtlicher Entwickelung und einfachem geistigen Kerne und Ertrag der Entwickelung in ungeheuere metaphysische Schwierigkeiten. Allein diese Darstellung ent­ spricht der Wirklichkeit, die eben beides zeigt, und damit, daß sie beides ne­ ben und in einander enthält sammt dem Bewußtsein um die Absolutheit der 3 Eucken weist im Vorwort darauf hin, daß seine Darlegungen "in vollem Gegen­ satz zu den geistigen Strömungen, die heute äußerlich noch vorherrschen", ste­ hen. Als Beispiel für diese Strömungen erwähnt er den "konventionellen und of­ fiziellen Idealismus", den "Naturalismus jeder Färbung" und die Ergebnisse der "selbstbewußten und selbstgerechten Fachgelehrsamkeit". Er fährt fort: "So sind wir auf die Minorität angewiesen und müssen uns besonders in unserer eignen Wissenschaft recht vereinsamt fühlen. [...] So haben wir um ein geistiges Leben überhaupt wie um etwas neues zu kämpfen. Ist aber ein solches Problem einmal wach geworden, so kann es nicht wieder einschlummern [...l ." (S. III-V) .

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geistigen Werthe, den unausrott l baren Glauben an eine letzte und tiefste Einheit begründet, in der die Vernunft das schlechthin übergeordnete Prin­ cip und die Quelle ist. So einfach, wie der monistische Idealismus meinte, ist eben die Einheit der Wirklichkeit nicht zu beweisen. Sie ist ein Glaube, der sich auf Anzeichen und Thatsachen stützt und aus den Daten der Wirklich­ keit unausweichlich entspringt, der aber für menschliche Intelligenz nicht im vollen Umfange erwiesen werden kann. Andererseits ist aber gerade dieser metaphysische Glaube unentbehrlich für den Geistesproceß selbst. Denn nur in ihm findet er Kraft und Freudigkeit des Handelns, die Motivation für seine Entschlüsse, das Rückgrat seiner Selbständigkeit gegen die Natur. Es ist im Geistesproceß die Function der Religionen, diesen Glauben zu ent­ wickeln und zu verkörpern, und in diesem Sinne sind sie der Kern, wenn auch nicht das Ganze des Geistesprocesses. Sie sind das Heiligthum der Ge­ schichte, aus dem heraus immer wieder in die empirische Welt vorzudringen ist, um sie zu gestalten und zu unterwerfen, in das sich aber das Sammlungs­ und das Stärkungsbedürfniß gegenüber der Dunkelheit, Verwickelung und Schmerzlichkeit des Weltlebens auch immer wieder zurückzieht. Man sieht, es ist im Ganzen eine Reform unseres classischen Idealismus durch den ethischen Geist der kantischen Philosophie und durch die christ­ liche Idee, wobei von der kantischen Philosophie nicht wie im Neukantia­ nismus die skeptischen und phänomenalistischen, sondern die speculativen und ethischen Elemente fortentwickelt sind und das Christenthum im Sinne eines fortschreitenden, sich entwickelnden Princips behandelt ist, das eine bestimmte abschließende Gestalt des Geistesprocesses überhaupt darstellt, aber nicht Ruhe und Ausgleich, sondern neue, endlose Aufgaben bringt. Bis hierher habe ich dem Gedankengange Eucken's nichts hinzuzufügen. Aber das mit den letzten Worten berührte Verhältniß des Geistesprocesses oder der "Wesensbildung" zu der religiösen Entwickelung4 erfordert einige Bemerkungen, zumal in einer theologischen Anzeige. Seine Grundanschau­ ung ist durch und durch religiös. Der Geistesproceß ist nur möglich auf Grund der Religion. Allein das Verhältniß des Geistesprocesses zu den po­ sitiven Religionen, in welchen doch allein die Religion eine Macht ist, und aus denen auch die religiösen Grundlagen aller Philosophie entsprungen sind, ist keineswegs deutlich. Der Geistesproceß erscheint doch oft wie et4 "Obenan steht [ ... ] das ethische Gebiet. Wohl muß es seine Selbständigkeit auch gegen die Religion wahren. Denn es hat eine breitere Grundlage in dem allgemei­ nen Verhältnis des Menschen zum Geistesleben, speziell zur Wesens bildung; es kann sich weder seinen Inhalt erst von der Religion zuführen lassen noch ihr sei­ ne Motive entlehnen; eine derartige Unterordnung unter die Religion ergibt leicht eine Entstellung der Religion und eine Zerstörung der Ethik." (S. 330) .

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was sich selbst Tragendes, dem gegenüber di e positiven Religionen nur For­ men, Ausdrücke und Verkörperungen (p. 3275) des allgemeinen Vorganges sind. Das erinnert ein bißchen an Hegel's Verhältnißbestimmung zwischen Denken und Vorstellung. Andererseits fehlen aber doch die Voraussetzun­ gen für eine solche Verhältnißbestimmung und ist sie auch nirgends wirklich vollzogen. Wo nicht eine immanente Idee durch ihre eigene innere Dialek­ tik den Verlauf der geistigen Entwickelung bewirkt und sich nur dem reflec­ tirenden, am einzelnen haftenden Bewußtsein in einzelnen Vorstellungen und Offenbarungsacten symbolisirt, wo vielmehr die bewußte persönliche Ergreifung des Lebensgrundes in einzelnen maßgebenden Persönlichkeiten und die nacherlebende Aneignung und Neuerzeugung in den sich anschlie­ ßenden Persönlichkeiten der Religionsentwickelung zu Grunde gelegt wird (p. 294 ff.), da muß die Würdigung der positiven Religionen und ihres Of­ fenbarungsglaubens eine erheblich andere werden. Darüber erhält man aber keine genauere Auskunft.6 Es werden nur die Gefahren der positiven Reli­ gionen hervorgehoben, nämlich die, den in ihnen erreichten Stand des Gei­ stesprocesses zu isoliren und zu versteinern, und es wird demgemäß auf die Nothwendigkeit hingewiesen, auch in den Religionen den beständig flüssi­ gen, thätigen und lebendigen, aus Freiheit und Entschluß sich erhebenden Geistesproceß zu erkennen. I Diese Undeutlichkeit macht sich auch an einem anderen Punkte geltend, bei der Periodisirung des Verlaufes des Geistesprocesses (p. 1 08-1 56'1). Da die persönliche That des Glaubens an den geistigen Weltgrund das eigentlich entscheidende Ereigniß ist, würde man eine Periodisirung nach den Hauptstufen der Religionsentwickelung erwarten, denen die wissenschaftliche Entwickelung umbildend nachfolgt. Das geschieht auch gelegentlich, wenn Antike, altes Christenthum und moderne dynamische Weltanschauung als die Hauptstufen bezeichnet werden (p. 3738) . Aber 5 Eucken bezeichnet auf S. 327 die Religion als "Verkörperung der überwindenden Geistigkeit". 6 "Daß aber die letzte Entscheidung in die Freiheit gestellt wird, und daß schließlich die Wahrheit selbst einen persönlichen Charakter annimmt, das entspricht durch­ aus der Grundüberzeugung eines energischen Idealismus, die letzte Wurzel der Wirklichkeit in der Freiheit zu suchen. [...] Das war auch die Meinung der Religio­ nen, wenn sie die Verbindung mit dem Göttlichen nicht auf ein ableitendes Wis­ sen, sondern auf ein unmittelbares Erfassen gründeten. Ein solches suchten sie in dem Glauben, zugleich verstanden sie ihn als eine Sache freier That, die als Pflicht an den Menschen komme." (S. 294) . 7 Vgl. Kapitel I.B.2.b. "Der Umriß des Lebenssystems" (S. 1 08-1 55) . 8 ,,[...] Erneuerungen und Urerzeugungen erkennen wir i n der klassischen Zeit des Altertums, deren philosophischen Ausdruck die sokratische Schule bildet, wir er-

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hier an der Hauptstelle erfolgt die Periodisirung nach den Haupttypen der metaphysischen Gesammtanschauung: das antik-classische oder ästhetische Princip der Formgebung, das moderne oder dynamische der Kraftentwickelung und das neue der Zukunft, das von Eucken's Buch vertretene Princip der "Wesensbildung"9. Auf diese Periodisirung mag der Wunsch eingewirkt haben, die eigene, im Kampf gegen die Zeit vertretene Position als "neue Grundlegung" recht scharf hervortreten zu lassen.lO Es liegt ihr aber doch auch die Unsicherheit des Verhältnisses zu Grunde, das zwischen der bloßen Entwickelung des metaphysischen Gedankens und derjenigen der religiösen Neubildungen und Intuitionen besteht. Diese Pe­ riodisirung ist aber in mehr als einer Hinsicht bedenklich. Nach den eigenen Grundanschauungen des Verfassers hat die religiöse Grundstimmung, wie sie aus dem verschiedenartigen Offenbarungsglauben quillt, die Priorität, und ist die Philosophie nur immer die Zurückführung und Ausdehnung dieser Einzelanschauung auf eine allgemeinere Grundanschauung vom Kosmos. Ferner ist das Princip der "Wesens bildung" doch offenkundig nichts principiell Neues, sondern nur eine Umbildung des modernen dynamischen Idealismus durch die in ihm selbst erhaltenen und neben ihm hergehenden christlichen Motive. Ja das moderne dynamische System ist selbst zu begreifen als eine Entwickelung aus der christlichen Idee, und es ist die große Frage, ob mit ihm diese Idee gesprengt und antiquirt oder nur auf eine neue Entwickelungsstufe geführt ist. Im Grunde scheint das auch der eigene Gedankengang des Verfassers zu sein. Denn seine Darstellung des neuen Princips der Wesensbildung liest sich wie eine Darstellung des christlichen Princips, das die Gedanken des aus der sogenannten kennen sie in der inneren Erneuerung der Menschheit durch das Christentum, wir erkennen sie auch in dem Aufsteigen der Neuzeit, in der Bildung des modernen Menschen" (S. 373) . 9 "Gegenüber der Hauptaufgabe der Begründung des Wesens im Absoluten ver­ schwinden alle äußeren Aufgaben und Mühen, die äußeren Sorgen, diese ,Sand­ bank der Zeitlichkeit', weichen der inneren Sorge, die alles Streben zusammenfaßt und auf ein einziges Ziel richtet. [...] es entwickelt sich hier in der innersten See­ le des Lebens eine rein ethische Wirklichkeit; die Wesensbildung, die sonst an den Widerständen scheiterte, vermag sich nun als Herzensbildung zu verwirklichen. Hier fallen Wesen und Wert nicht mehr auseinander wie sonst, sondern sie ver­ schmelzen zu untrennbarer Einheit [...] . " (S. 306 f.) . 10 ,, [Es] ist ein neues Bild von Welt und Leben angelegt, bis ins Einzelne muß sich von da aus alles charakteristisch gestalten und umgestalten. So will das, was dieses Buch unternahm, nur ein Anfang sein, nur die Grundlegung, über die es notwen­ dig hinaustreibt zu einem weiteren Ausbau. Aber die Grundlegung mußte voran­ gehen." (S. 400).

Rudolf Eucken: Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt

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Renaissance erwachsenen dynamischen Systems mit sich vermittelt hat (p. 300 ff.ll) . E s sei mir erlaubt, nur diese Einwände z u erheben und i m übrigen mich des Lobes zu enthalten. Aus dieser Skizze geht schon hervor, wie reich, be­ deutsam und selbständig das Buch ist. Es ist eines der interessantesten und förderlichsten, das die philosophische Literatur uns gebracht hat, insbeson­ dere ein wahres Labsal für uns Theologen. Das ist endlich einmal wieder echte und rechte Denkarbeit aus dem Großen und Ganzen, eine frische und vorurtheilslose, aber edle und für alles Große empfangliche Heraus­ arbeitung und Behandlung der Probleme, wie wir sie in unserer theologi­ schen Angst und apologetischen Künstlichkeit fast ganz verlernt haben und wie wir sie in der Zwitterphilosophie des Tages nur allzu selten finden. Das Beste aber ist, daß das Bild der Zeit uns wirklich Grund giebt zu glauben, daß hier in der Hauptsache die Stimmung einer vorwärtsdringenden Minori­ tät ausgesprochen und eine beginnende Reaction gegen die Zeitrichtungen zum Ausdruck gebracht sei.t2 Troe/Iseh. Heidelberg.

11 Vgl. Kapitel I.C.3.c. "Entwicklung der neuen Welt" (S. 300--3 1 3) . 12 Vgl. oben, Anm. 3, S . 59.

Julius Köstlin: Der Glaube und seine Bedeutung für Erkenntnis, Leben und Kirche (1 895)

Im Mai 1 895 erhielt Troeltsch von der Redaktion der "Göttingischen ge­ lehrten Anzeigen" ein Rezensionsexemplar von Köstlins "Der Glaube und seine Bedeutung für Erkenntnis, Leben und Kirche".! Am 1 9. März 1 896 mußte die Redaktion die Abgabe der Rezension anmahnen.2 Zwei Monate später, im Mai 1 896, konnte Troeltsch seinem Freund Wilhelm Bousset end­ lich berichten: "Ich bin gegenwärtig mit Arbeiten überhäuft. Eben ist der Jahresbericht fertig, dann eine große Rezension über Köstlin in den GGA."3 Nach einem weiteren Briefwechsel mit den "Göttingischen gelehrten Anzei­ gen" im August, in dessen Verlauf die Redaktion um Veränderungen bat,4 konnte die Besprechung im September 1 896 gedruckt werden. Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Göttingisehe gelehr­ te Anzeigen. Unter der Aufsicht der Königlichen Gesellschaft der Wissen­ schaften, 1 58. Jg., 2. Band, Nr. 9, September 1 896, Berlin: Weidmannsehe Buchhandlung, S. 673-685 (A).

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Vgl. "Liste von Besprechungsexemplaren 1 893-1 895 (Redakteur: Bechtel)", Göt­ tingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Archiv, Scient. 37,3, Nr. 2. Vgl. "Verzeichnis ausgegangener Briefe, Nov. 1 895-Apr. 1 899; Mai 1 899-Mai 1 901 (Redaktion: Wentzel)", Göttingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ar­ chiv, Scient. 46, Nr. 2 (0. Pag.) . Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 27. Mai 1 896, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -4 KGA 1 8/1 9. Bei dem erwähnten "Jahresbericht" handelt es sich um: Ernst Troeltsch: Religionsphi­ losophie und theologische Principienlehre (1 896), vgl. unten, S. 80-1 63. Vgl. "Verzeichnis ausgegangener Briefe, Nov. 1 895-Apr. 1 899; Mai 1 899-Mai 1 901 (Redaktion: Wentzel) ", Göttingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ar­ chiv, Scient. 46, Nr. 1 .

Julius Köstlin: Der Glaube und seine Bedeutung für Erkenntnis, Leben und Kirche

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Köstlin, )., Der Glaube und seine Bedeutungfor Erkenntnis, Leben und Kirche. Berlin, Reuther u. Reichard, 1 895. VIII 335 S. gr. 8 ° . Preis Mk. 6. Daß der hochverdiente Lutherforscher ). Köstlin im Grunde seines Her­ zens und seiner eigentlichen Berufsstellung nach Dogmatiker ist, konnte man schon aus seinen Darstellungen Luthers erkennen, auch wenn man sei­ ne sorgfältigen vorher und daneben veröffentlichten dogmatischen Arbei­ ten nicht kannte. 1 Am Abschlusse seiner öffentlichen Tätigkeit angelangt, hat K. das Bedürfnis empfunden, die Ergebnisse dieser seiner eigentlichen Lieblingsarbeit zusammenzufassen und seine Stellung unter den dogmati­ schen Bestrebungen der Zeit in ausführlicher Untersuchung darzulegen.2 Den Schriften "Ueber die Begründung unserer sittlich-religiösen Ueberzeu­ gung" 1 893 und über "Religion und Reich Gottes" 1 894 ist nunmehr als abschließende und wichtigste die obenstehende gefolgt, eine Behandlung der sämmtlichen dogmatischen Fragen von einem Zentralbegriffe aus, ähn­ lich dem berühmten Werke A. Ritschls "Ueber Rechtfertigung und Versöh­ nung", mit dem K. sich auch in der Tat beständig still schweigend oder aus­ drücklich auseinandersetztl und zu dem sein Buch eine Parallele zu sein wünscht und tatsächlich ist. Langsam herangewachsen trägt das Werk da1 Der Kirchenhistoriker Köstlin hat zahlreiche Luther-Bücher verfaßt; vgl. u. a. zur Theologie Luthers: Julius Köstlin: Luthers Theologie in ihrer geschichtlichen Ent­ wicklung und ihrem inneren Zusammenhange dargestellt (1863) und zur Biogra­ phie: ders.: Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften (1 875) ; bei den dogma­ tischen Arbeiten ist neben den im folgenden von Troeltsch genannten Titeln noch "Der Glaube, sein Wesen, Grund und Gegenstand, seine Bedeurung für Erkennen, Leben und Kirche" (1 859) zu erwähnen, eine frühe Fassung des von Troeltsch be­ sprochenen Buches. 2 Vgl. Vorwort (S. III-V) , in dem Köstlin Rückschau auf seine wissenschaftliche Tä­ tigkeit hält und die Entstehungsgeschichte des Buches kommentiert: "Mit demsel­ ben Gegenstand hatte ich schon in den ersten Jahren meiner akademischen Thä­ tigkeit, wo ich erst neutestamentliche Exegese und Theologie vorzutragen hatte, mich aus innerm Drang so eingehend beschäftigt, daß daraus eine der gegenwärti­ gen in Titel und Anlage gleichartige Schrift hervorging, die mich dann zum Lehr­ amt der systematischen Theologie weiter führte. Nachdem ich seither fort und fort auf jene Grundprobleme aller christlichen Wissenschaft und Lehre zurück­ kommen mußte, war es mir ein ernstes Anliegen, auch noch eine neue, reife Arbeit über sie allen Mitfragenden und Mitstrebenden vorzulegen." (S. III) 1 896 mußte sich Köstlin aus gesundheitlichen Gründen von Vorlesungen dispensieren lassen und zog sich auch aus der synodalen Arbeit zurück. 3 Vgl. dazu " 1 . Der Weg der Untersuchung und Begründung" (S. 8-- 1 7) im Ersten Hauptsrück. Explizit wird Albrecht Ritschl erst auf S. 1 39 von Köstlin erwähnt.

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her auch durchaus den Charakter umsichtigster Durchbildung, ruhiger Rei­ fe und ausgebreiteter Kenntnis aller dogmatischen Verhandlungen. Es er­ scheint wie die Frucht eines lange sorgsam geführten, stets auf der Höhe der Forschung gehaltenen Kollegienheftes, wo alle Ansichten immer aufs neue durchgedacht und erwogen worden sind, bis sie hier ihre endgiltige Re­ daktion gefunden haben. Zugleich ist es das Vermächtnis eines an kirchen­ regimentlichen Fragen und Detailkenntnissen mannigfach beteiligten Ober­ konsistorialrats4 an die kirchliche Lage der Gegenwart und hat daher auch den Stempel ernster, gewissenhafter und milder, aber fest auf das Notwendi­ ge und Unentbehrliche gerichteter kirchenregimentlicher Weisheit. Es liest sich daher bisweilen wie ein Nachhall von Gesprächen mit Ministern und Prälaten, von Gutachten und Synodalreden, ein bischen kühl und vornehm, als I wäre mehr an das für die Kirche unerläßlich Notwendige gedacht denn an die Kämpfe von Theologie und Nichttheologie um die Wahrheit rein als solche. Indem aber dieses Werk durch die Reife des Alters sich auszeichnet, ist es zugleich ein interessantes Zeugnis der Vergangenheit, der Tage, aus de­ nen seine Grundgedanken stammen. Es ist ein letztes und edelstes Erzeug­ nis der Vermittelungstheologie, die von Neander und Twesten geschaffen, von C. J. Nitzsch, Landerer u. a. gepflegt worden ist, ein Nachtrieb der mil­ den, Bibel, innere Erfahrung, Offenbarungsgeschichte und Philosophie fein und sorgfältig zusammenstimmenden Theologie, die auf der berühmten er­ gebnislosen Versammlung kirchlicher Notabeln im Jahre 1 846 der preußi­ schen Kirche beinahe ein neues Bekenntnis geschenkt hätte.5 Ihr erschien der christliche Glaube als eine durch innere Erfahrung gewirkte Hingabe an die supranaturale, eine erbsündige und an sich erlösungsunfähige Welt 4 Köstlin gehörte seit 1 867 dem Konsistorium in Breslau an. Es kam dort zu Streitig­ keiten, als er gegen den Willen der Einzelgemeinden ein neues Gesangbuch durch­ setzen sollte. Später verlangte er bei den Beratungen zur Generalsynodalordnung, daß den Gemeinden mehr Mitspracherecht in diesen Fragen eingeräumt werden müsse. 5 Vom 2. Juni bis 29. August 1 846 tagte in Berlin eine Versammlung hochrangi­ ger Fachleute und Würdenträger aus Kirche, Universität und Verwaltung, die der preußische Kultusminister Johann Albrecht Friedrich Eichhorn im Auftrag des Königs Friedrich Wilhelm IV. einberufen hatte (sog. erste oder auch außerordent­ liche preußische Generalsynode) . Der Zweck der Versammlung, die sich zur Hälf­ te aus Geistlichen zusammensetzte, war die Erarbeitung von Vorschlägen für eine weitere Reform der preußischen Kirchenverfassung zugunsten größerer Selbstän­ digkeit der kirchlichen Selbstverwaltung. Die Mehrheit in der Synode hatten Ver­ rnittlungstheologen wie earl Immanuel Nitzsch, Julius Müller, Kar! Heinrich Sack, Isaak August Dorner und August Twesten, die für eine Vertiefung der preußischen

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zu Gott führende Heilsgeschichte, die ihre lange vorbereitete Vollendung in dem Gottessohne und seiner Heilsthat findet, die mit allem Edlen und Gu­ ten außertheologischer und außerchristlicher Erkenntnis vereinigt werden kann und deren menschlich-geschichtliche Mitbedingtheit sich einer pietät­ vollen, auf Aeußerlichkeiten beschränkten Kritik wohl concedieren läßt. Die streng supranaturale Entstehung und der streng supranaturale Inhalt des christlichen Glaubens ist ihr wie der ganzen bisherigen Kirche eine Grund­ lehre, aber die hierin gegebene Substanz des Glaubens gestattet in ihrer for­ mellen Ausprägung eine verschiedenen Zeiten entsprechende Verschieden­ heit und eine Anpassung an die ja auch von Gott gewollten Veränderungen des Gesammtlebens. So hat der große Umschwung des Denkens und Le­ bens in den modernen Jahrhunderten eine neue Anpassung nötig gemacht, und diese Anpassung ist eben die umsichtige, alles beobachtende und ab­ wägende, das Peripherische mit dem Zentralen fein und klug verbindende Vermittelungstheologie. Der bescheidene Spielraum, den sie der modernen Naturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Kritik, Philosophie und Re­ ligionsforschung einräumt, bedeutet die neue, nach Gottes Willen eingetre­ tene Entwickelungsphase der Theologie, in die man sich nicht bloß eben finden, sondern die man zum Boden freudigen neuen Wirkens machen soll. Ein Vorbild hierfür und ein Zeichen, daß Derartiges von Hause aus in Got­ tes Willen gelegen habe, ist neben den paar glücklicher Weise erhaltenen kritischen Aeußerungen Luthers vor allem Melanchthon, das Rüstzeug der Reformation, das Gott zum Trost der Vermittelungstheologen gleich an den Beginn der protestantischen Kirche gesetzt hat, das nach sei I nem Willen als Autorität für die Umsicht und Milde wissenschaftlicher Bearbeitung dienen soll wie Luther und Calvin als Autorität für den Inhalt. Die hervorragendUnion zu einer Bekenntnisunion über die reine Verwaltungs- und Abendmahlsge­ meinschaft von Lutheranern und Reformierten hinaus eintraten. Nitzsch legte ein neues Ordinationsformular bekenntnismäßiger Art vor, das hinter das Apostoli­ cum zurück unmittelbar auf ihm fundamental erscheinende Aussagen der Bibel zurückgriff und mit 48 zu 1 4 Stimmen angenommen wurde. Man beschloß außer­ dem die Einrichtung einer Zentralbehörde, um anschließend die kirchliche Verwal­ tung an Synoden delegieren zu können. Gegen Nitzschs Minimalbekenntnis, das als "Nitzschenum" verspottet wurde, erhob die neokonfessionalistische Evangeli­ sche Kirchenzeitung mit ihrem Herausgeber Ernst Wilhe1m Hengstenberg schar­ fen Widerspruch. Die erarbeiteten Reformvorschläge entsprachen auch nicht den Vorstellungen des Königs, so daß lediglich 1 848 eine zentrale Behörde eingerichtet wurde, die aber nur einige Monate bis zu den revolutionären Ereignissen in Berlin existierte. Erst im Juni 1 850 wurde mit der Einsetzung des Evangelischen Ober­ kirchenrates als einer von der staatlichen Verwaltung unabhängigen ausführenden Institution durch den König einer der Beschlüsse der Generalsynode vollzogen.

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ste Wirkung dieser neuen Entwickelungsphase ist aber die Milderung der konfessionellen Härten der lutherischen und der reformierten Dogmatik, die gegenseitige Annäherung der in ihnen gegebenen verschiedenen pro­ testantischen Auffassungen des Heils und die Zurückdrängung der jene Unterschiede versteinernden und nur vorübergehend berechtigten Unter­ scheidungslehren, mit Einem Worte die Union, das Ergebnis gottgewollter politischer und wissenschaftlicher Entwickelungen, welche die Vorsehung zusammenwirken ließ, um das große Werk der neuen Zeit und den großen Fortschritt über die Orthodoxie hinaus zu schaffen, d. h. die neue Theolo­ gie der geeinigten Kirche. Hinreichend aufgeklärt, um die Fortschritte aller wahren Wissenschaft zu würdigen, hinreichend gläubig, um nur eine Fort­ bildung und Läuterung der Orthodoxie sein zu wollen, weiß sie sich als Ziel der Vorsehungswege und findet in diesem Bewußtsein die Freudigkeit und Selbstgewißheit gegenüber den Gegnern von rechts und links. Eben damit ist aber auch eine gewisse Milderung des Bekenntniszwanges eingetreten. Ein warmer, bei den zentralen Tatsachen der Heilsgeschichte stehen blei­ bender und mit Paulus I Cor. 1 3, 1 2 vor den schwersten Problemen ruhig sich bescheidender Biblizismus ist die einzige streng normative Grundlage. Die aus dem Boden des abstrakten Griechentums erwachsenen altkirchli­ chen Bekenntnisse und die mit dem Territorialkirchenturn zusammenhän­ genden des sechszehnten Jahrh. sind nur dem Kerne und der Absicht, nicht der Form und dem Buchstaben nach bindend. Das schönste Ziel der neu­ en Aera wäre ein neues, rein biblizistisches Bekenntnis, das die Grundtatsa­ chen des Heilsglaubens aus der Erfahrung der Gemeinde bezeugte und die tieferen Glaubensspekulationen über Trinität, Menschwerdung, Christolo­ gie, Heilstod u. a. nur im allgemeinen, aber nicht im besonderen festlegte. Die verworrene und zu Einseitigkeiten neigende, kurzsichtige Gegenwart ist aber zu solcher Bekenntnisrevision nicht berufen, sondern hat sich an die alten zu halten, die ein besonnenes Kirchenregiment im Sinne der Schrift zu handhaben wissen wird. Erst wenn Gott die Gemeinde wieder im Gei­ ste geeinigt und die Vermittelungstheologie die einseitigen Richtungen über ihr wahres Interesse aufgeklärt haben wird, mag der Versuch gelingen, der 1 8466 mißlungen ist. In diesem Sinne ist das Buch Köstlins abgefaßt, alle diese Züge lassen sich aus ihm belegen. Dabei ist es aber doch nicht etwa einfach auf jenem älteren Standpunkt stehen geblieben. Es hat I jene Gedanken vielmehr eifrig und sinnreich fortgebildet und beleuchtet von ihnen aus alle kirchlichen und theologischen Fragen der Gegenwart, so daß von jenem Standpunkt aus sein Buch geradezu als eine Musterleistung bezeichnet werden kann, um so 6 Vgl. oben, Anm. 5, S. 66 f.

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mehr als bei aller konservativen Entschiedenheit doch überall das Bestreben nach ernstlichem Verständnis und gerechter Anerkennung der Gegner oder Fernerstehenden zu bemerken ist. Ueberall kann man zwar die Entscheidun­ gen des Verf. als durch seine Voraussetzungen bestimmt voraussehen, aber die guten Seiten der Gegner aufzusuchen und die schwachen der Freunde zuzugeben, gehört doch wenigstens zur Form, in der sie gefallt werden. Der eigene gewissenhafte Charakter des Verfassers spricht überall aus dem gan­ zen Buche, die Sprache ist klar, schlicht, würdig und so lebhaft, als das bei K. überhaupt möglich ist. Eine gewisse ablehnende Härte ist zwar deutlich aus den ruhig gehaltenen Erörterungen herauszuhören, aber doch auch der Ernst wirklicher eigener Denkarbeit, der die Probleme der Zeit als wirkliche Probleme und nicht bloß als widerspänstige Einfälle böswilliger Zerstörer zu würdigen versteht und der daher es anderen nachzusehen weiß, wenn ihnen die Gnade nicht in gleicher Weise gegeben worden ist, diese Schwie­ rigkeiten zu überwinden. Die Kraft und Beweglichkeit der Reflexion, die Schmiegsamkeit und Findigkeit der Argumentation stehen hoch über dem landläufigen apologetischen Akrobatenturn und haben dem Ganzen einen in seiner Weise bewunderungswürdigen Zusammenhang gegeben. Der Grundbegriff der Vermittelungstheologie ist der durch innere Erfahrung gewirkte Glaube an die biblische Heilsoffenbarung, womit der noch zu einseitige und zu wenig positiv-christliche Religionsbegriff Schleiermachers erst zu seiner gottgewollten Gestalt geführt ist. Eine Untersuchung dieses Begriffes erscheint daher auch K. als das geeignetste Mittel, die von der zerrissenen und zweifelnden Zeit gestellten Probleme zu lösen. Entstehung und Wesen des spezifisch-christlichen Erkenntnisprinzips festzustellen, ist ihm das beste Orientierungsmittel und ist zugleich die einzig mögliche Sicherstellung des von dem Glauben erkannten Inhaltes. Diese ent­ scheidende Untersuchung bildet den Gegenstand des ersten Hauptstückes.7 Dabei wird der "Glaube" von vornherein lediglich als christlicher betrachtet in scharfem Gegensatz zu allem andern religiösen Glauben der unerlösten, auf die allgemeine Gottesoffenbarung angewiesenen Welt. Denn daß der christliche Glaube etwas ganz Eigenartiges, allem andern schlechthin Gegenüberstehendes sei, das ist Ausgangspunkt und Beweisziel. Die Methode besteht gerade darin zu zeigen, daß, wer mit diesem Ausgangspunkt praktischen I Ernst macht, ihn auch als Wahrheit innerlich bewiesen finden wird. Ferner ist der Glaube von Anfang an nicht zu nehmen als autoritäres Führwahrhalten oder als glaubensweise Erfassung einer an sich auch wis­ senschaftlich erreichbaren Wahrheit, sondern als durch innere Erfahrung gewirkte Herzenshingabe an die objektive Gottesoffenbarung. Gerade die7 Vgl. "Erstes Hauptstück. Des Glaubens Ursprung und Wesen" (S. 8-79) .

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se Erkenntnisse gehören ja zu den wesentlichen Grundlagen der "neuen Entwicklungsphase"8 der Theologie. Wie aber der Glaube als solche Erfah­ rung genauer entstehn und welches sein dieser Entstehung entsprechendes Wesen wirklich sei, das kann nur eine Untersuchung der ersten Pflanzung dieses Glaubens durch Christus und der ersten Bezeugung desselben durch die Jünger zeigen. Hier erhellt nun, vor allem nach der allein völlig authenti­ schen Darstellung des vierten Evangelisten, daß die OffenbarungJesu prin­ zipiell auf Erzeugung des Glaubens und zwar des praktischen Glaubens ge­ richtet war und daß für ihn das Objekt dieses Glaubens vor allem seine eigene Person, der Gottessohn und Erlöser mit dem tiefen Geheimnis gött­ lichen Ursprunges, war und eben damit sein Selbstanspruch, seine Heilsbot­ schaft und die Heilsstiftung durch seinen Tod, Objekte, die im Grunde eins sind: die in praktischer Hingabe anzueignende, aus der erbsündigen Welt erlösende Stiftung des Heils durch Leben und Tod des Gottessohnes. Die­ ser von Jesus gewollte Glaube wird von ihm bewirkt durch seine Wunder, die aber nicht zur Erzeugung des Heilsglaubens genügen, sondern nur die Empfänglichen auf ihn hinweisen sollten, ferner durch den Eindruck seiner heiligen sündlosen Persönlichkeit, die auf Willen und Gemüt, nicht auf den Verstand wirken sollte. Aber alles das sind nur Hinweise auf ihn. Der eigent­ liche Grund des Glaubens an ihn ist nach seiner eigenen Lehre Joh. 6,44 die geheimnisvolle mystische Wirkung Gottes auf die durch Wunder und persönlichen Eindruck vorbereiteten Seelen, der man aber, wie Jesus selbst über die Jerusalemiten klagend Mth. 23,37 bezeugt, sich wieder entziehen und verschließen kann. Wer dagegen einmal ergriffen mit seinem Willen auf diesen Zug Gottes eingeht und den vom Sohn offenbarten Willen des Va­ ters um des Sohnes willen thut, der erprobt in sich immer mehr vertiefender praktischer Erfahrung die Wahrheit dieses Glaubens Joh. 7,1 7. So praktisch erprobt, läßt diese Wahrheit wiederum ihr Licht auf die Hinweise und Vor­ bereitungen zurückfallen, beglaubigt die Wunder und die Heilsgeschichte, den Anspruch und Eindruck Jesu, beseitigt jeden Zweifel an der Ueberna­ türlichkeit dieser Offenbarung, die eine sündige Phantasie nimmer hätte er­ finden können und die nur der von christlicher Erfahrung noch Unberührte bezweifeln kann. Ganz so, wie Jesus den Glauben er l fahren wissen will, er­ fahren und bezeugen ihn nun aber auch die Jünger. Die Wunder, vor allem das Wunder der Auferstehung, dann der Eindruck der sündlosen Person Jesu, vor allem aber der mystische Zug Gottes, oder, wie Paulus und Johan­ nes sagen, die Wirkung des heiligen Geistes begründen ihnen den Glauben bei allen, die auf diesen Zug ernstlich eingehen. Von dieser Erfahrung des Heils aus bestätigt und erprobt sich ihnen aber wiederum die Göttlichkeit 8 Als Zitat bei Köstlin nicht nachgewiesen.

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der Sendung und Botschaft Jesu. I n derselben Anschauung vom Glauben, wie sie ihn aus ihrer Selbsterfahrung kennen, suchen sie ihn dann auch bei Juden und Heiden zu pflanzen, beschreiben sie Wesen und Wirkung ihrer Predigt. Das ist Wesen und Entstehung des Glaubens im NT. Zur Bestätigung und Erhaltung dieser NTlichen Lehre bedarf es nun aber noch einer Analyse der gegenwärtigen Entstehung des Glaubens. Hier liegen aber andere und verwickeltere Verhältnisse vor. Dort handelte es sich um Entstehung des Glaubens bei bisherigen Nichtchristen, hier um den Glauben solcher, die als Kinder getauft worden sind und schon vor jedem bewußten Geistesleben unter den heiligenden Wirkungen der christlichen Gemeinschaft ge­ standen haben. Gleichwohl ist aber auch bei uns eine Analyse möglich, nur muß man sich nicht an die erwähnten schwer analysierbaren Entwickelungen halten, sondern vielmehr an solche, wo aus Zweifeln und Erschütterungen der modernen Zeit der Glaube sich wieder erhebt. Solche Leute werden abgeneigt sein, Ueberlieferung, Wunder und Geschichtsbeglaubigung ohne weiteres als solche auf sich wirken zu lassen, sie werden dem besonderen Positiven des Christentums, seinem Anspruch auf absolute Einzigartigkeit und Uebernatürlichkeit zweifelnd gegenüberstehen. Aber sie werden, sofern sie ernste Menschen sind, doch das allgemeine Religiös-Sittliche anerkennen, dessen illusionistische Erklärung sich solchen immerdar leicht als Erschleichung und Oberflächlichkeit dartun läßt. Dann aber läßt sich ihnen zeigen, daß auch hierin bereits eine unableitbare, intuitive Vergewisserung, ein Zug Gottes an den Herzen enthalten ist, derselbe Zug, der in der außerchristlichen Gotteserkenntnis bereits wirksam war. Dadurch werden sie nun schon geneigter werden, einen spezifisch christlichen Zug Gottes an den Herzen zuzugeben. Geben sie sich nun aber erst diesem Zuge ernsthaft hin, dann wird der Inhalt des christlichen Glaubens sie überwältigen. Eine gewissenhafte praktische Betätigung dieses Inhaltes wird sie dann vollends von der Wahrheit und Uebernatürlichkeit der diesen Inhalt darbietenden Heilsof­ fenbarung überzeugen. Mit dieser Bezeugung wächst die Einsicht immer tiefer in die Heilsoffenbarung hinein, man erkennt, daß sie aus natürlichen I Kräften und menschlicher Entwickelung nicht möglich gewesen wäre, daß Wunder und übernatürliche Dinge hier ganz anders beurteilt werden müssen als auf anderen Ueberlieferungsgebieten, man geht von dem Wunder Christi zurück in die vorbereitende Heilsgeschichte und wird dann auch hier der Erkenntnis ihres übernatürlichen Charakters sich nicht mehr verschließen, man geht in die Tiefen christlicher Erkenntnis überhaupt und wird die Geheimnisse des Sündenfalls und des Erlösungstodes, der Menschwerdung des Gottessohnes nicht mehr leichthin behandeln, sondern in ihnen die höchsten Probleme christlicher Erkenntnis anerkennen. Wenn sie aber so zum Glauben wieder gelangt sind, müssen auch sie in Uebereinstimmung

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mit dem NT das Wesen des Glaubens als mystisch-intuitiven Zug Gottes an den Herzen von besonderer christlicher Einzigartigkeit anerkennen, der an den sich hingebenden Willen sich wendet und ihn durch praktische Er­ probung in die Tiefen der Wahrheit führt. Der ganze Unterschied von der NTlichen Entstehung des Glaubens ist, wie ich das Ergebnis wohl bestim­ men darf, daß dort die äußeren Beglaubigungen zuerst kamen und hinwei­ sende Kraft hatten, daß dagegen hier die Vergewisserung von dem religiös­ sittlichen Inhalt zuerst kommt und die äußeren Beglaubigungen erst selbst nachträglich beglaubigen muß, oder, in der Sprache Biedermanns geredet, daß dort die Uebernatürlichkeit der Person Jesu und der sie vorbereiten­ den Heilsgeschichte die Wirksamkeit des christlichen Prinzips unmittelbar in sich enthielt, während heute alles das erst vom Prinzip aus annehmbar gemacht werden kann. Damit ist die Hauptsache gewonnen, der Glaube als einzigartige göttliche Wirkung erkannt, sein zentraler Inhalt, die Uebernatürlichkeit der Heilsoffenbarung im Gottessohne, erwiesen. Alle s Uebrige, womit die ferneren Hauptstücke9 sich beschäftigen, die weitere Entfaltung und Durchdenkung dieses Inhaltes, die Erkenntnis des organischen Zusammen­ hanges der ihn darbietenden Heilsgeschichte, die Auseinandersetzung der so gewonnenen Glaubenserkenntnis mit den anderen Erkenntnisorganen entsprungenen Erkenntnissen sind curae posteriores, notwendige, aber nicht mehr entscheidende Untersuchungen der Theologie. Ich habe diesen Gedankengang ausführlich mitgeteilt, weil er charakte­ ristisch ist für die theologische Methode. Das theologische Interesse fordert möglichste Isolierung des Christentums, das vermöge seiner Uebernatür­ lichkeit sich selbst beweist und seinen traditionellen Inhalt dadurch vor je­ der über die Peripherie vordringenden Kritik sicher stellt. Das Christentum muß in Entstehung, Inhalt, Fortpflanzung ein absolutes Wunder sein, zu dem man das I Außer-Christliche wohl nachträglich in eine gewisse Bezie­ hung stellen kann und muß, aber ohne daß von dieser nachträglich herge­ stellten Beziehung für die Auffassung des Christentums selbst irgend etwas abhienge. Das wissenschciftliche Interesse fordert, den Weg vom Allgemeinen zum Besonderen zu gehen, von der allgemeinen Tatsache der Religion zu der besonderen des Christentums fortzuschreiten, Stellung, Bedeutung und Wert des Christentums in der Religionsentwickelung aufzuzeigen und da9 Vgl. "Zweites Hauptstück. Die Glaubenserkenntnis" (S. 63-1 34), "Drittes Hauptstück. Die Glaubenserkenntnis, Fortsetzung: Gott und seine Heilsoffen­ barung als ihr Gegenstand" (S. 1 35-1 98), "Viertes Hauptstück. Das Glaubens­ leben" (S. 206-273) und "Fünftes Hauptstück. Die Gemeinde der Gläubigen" (S. 274-335) .

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bei allen Religionsgebieten gegenüber die gleichen Methoden anzuwenden. Wenn die neuere Theologie fast überall von einem allgemeinen Religionsbe­ griffe ausgeht und das Christentum wesentlich als praktisches Ganze einer Gefühlsstimmung und nicht als Glauben an eine Summe übernatürlicher Wahrheiten faßt, so ist das vor allem eine Einwirkung dieser wissenschaft­ lichen Methode, die freilich selten konsequent durchgeführt wird. Die Ver­ mittelungstheologie aber und insbesondere der Gedankengang Köstlins bie­ tet uns beide Methoden und Interessen in einer höchst merkwürdigen und künstlichen Verschlingung. Der Ausgangspunkt fixiert das theologische Inter­ esse einfach als thema probandum und deckt ihn mit der NTlichen Auto­ rität. Erwachende Bedenken gegen die Berechtigung dieses Ausgangspunk­ tes werden mit wissenschaftlicher Methode, durch Fortschritt vom Allgemei­ nen zum Besonderen, zurückgewiesen. Ist so der Bedenkliche wieder zum Christentum als praktisch-religiösem Prinzip zurückgeführt, so wird von der praktischen Aneignung dieses Prinzips schließlich aber wieder die An­ erkennung des theologischen Ausgangspunktes erwartet, der eben gerade Bedenken verursacht hatte. Als Folge dieser kunstvollen Verschlingung tritt dabei nur die einzige, harmlose Veränderung der theologischen Darlegung hervor, daß früher der Supranaturalismus Ausgangspunkt und Ueberzeu­ gungsmittel war, jetzt Folgeerkenntnis und mühseliges Beweisziel ist. Die­ se Folge aber ist nicht so harmlos, sie bedeutet in Wahrheit eine weltweite Kluft, die Kluft zwischen dem exklusiven Supranaturalismus und dem Ent­ wickelungsgedanken, zwischen Altertum und moderner Wissenschaft. Die Brücke über diese Kluft ist allein die Behauptung, daß die praktische An­ erkennung des christlichen Prinzips durch innere Erfahrung auch diejenige des seine historische Gestalt bedingenden Supranaturalismus zur notwendi­ gen Folge habe. Daß aber diese Folge in Wahrheit notwendig sei, daß man erfahren könne, wie außerchristliche Religion auf natürlicher und christli­ che auf übernatürlicher Entwickelung beruhe, das ist nicht dargethan und kann nicht dargethan werden. Auch dann nicht, wenn man noch so sehr auf die Sünde und deren Ueberwindung im Christen I turn hinweist; denn diese Ueberwindung fehlt auch außerhalb des Christentums nicht und ist in ihm selbst doch nur eine sehr relative und psychologisch sehr wohl verständliche . Solche Argumentationen machen nur den Eindruck, als könnte man um die Sünde nicht froh genug sein, weil sie allein das letzte Argument für den exklusiven Supranaturalismus zu liefern im Stande ist. Vollends wenn man sieht, wie mühsam und kunstreich der so rein apriorisch festgestellte Supranaturalismus gegenüber der Behandlung der israelitischen und NTliehen Religionsgeschichte nach allgemein wissenschaftlichen Methoden be­ hauptet und durchgeführt werden muß, wenn man K.s Kampf mit der bald anerkannten, bald verworfenen Kritik im dritten Hauptstück verfolgt, dann

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wird einem doch die angeblich durch innere Erfahrung notwendig gemach­ te Voraussetzung etwas verdächtig, dann stellen sich die natürlichen Fra­ gestellungen wieder ein, ob denn wirklich der vom ganzen Altertum und allen nicht-christlichen Religionen geteilte Supranaturalismus gerade hier al­ lein zu Recht bestehen soll, ob nicht schon eine ganze Anzahl von Fragen auch abgesehen von der prinzipiellen Stellung zum Supranaturalismus im gewöhnlichen geschichtlich-kritischen Sinne erledigt werden könne und ob dann für den Rest wahrscheinlich sei, daß auf ihn diese Methoden keine Anwendung mehr finden können, bloß weil hier eine direkte Widerlegung nicht möglich ist. Auch K. giebt der Kritik zu viel zu, als daß der Rest ge­ sichert erscheinen könnte, zu viel, als daß er nicht bloß ein Vorurteil durch Preisgabe des absolut Unhaltbaren haltbarer machen zu wollen schiene. Er ist in der Defensive und lebt von dem, was nicht direkt widerlegt werden kann oder wofür sich zur Not noch einige Gründe geltend machen lassen, unter denen sich recht viele schlechte und Scheingründe finden (vgl. bes. S. 1 60, 1 541") . In eben dieser Weise könnten aber auch Theologen anderer Religionen verfahren, sobald sie durch irgend welche Anstöße gegen ihre unmittelbar vorliegende supranaturalistische Ueberlieferung bedenklich ge­ worden wären. Statt die bereits im allgemeinen charakterisierten Ausführungen, die K. von diesem entscheidenden Punkte aus giebt, näher ins Einzelne zu verfol­ gen, möchte ich lieber noch den Hauptgedanken durch eine solche Parallele mit nicht-christlichen Theologen beleuchten. Eine solche liegt in sehr merk­ würdiger Weise bei Ghazzali, dem berühmten Theologen des Islam,ll vor, dessen Schrift "Le preservatif de l'erreur" sich in der That mit dem gleiehen Thema beschäftigt!). I Durch die Verschiedenheiten der Religionen 1) Vgl. Journal Asiatique. 7eme serie. t. IX. S. 1 -93. Barbier de Meynard, traduction nouvelle du traite de Ghazzali intitule le preservatif de l'erreur, 1 -93. Von einem ande­ ren Werke Ghazzalis "Belebung der Religionswissen I schaften" giebt Hitzig eine teilwei­ se Inhaltsangabe Z. d. Deutsch. Morgen!. Ges. VII 1 72-1 86, wo aber das für diesen Zu­ sammenhang Wichtige, die Untersuchung des Glaubensbegriffes, die Unterscheidung 10 Köstlin beschäftigt sich auf S. 1 54 mit der Frage, ob der Gläubige Sicherheit im Glauben durch den historischen Nachweis der Verfasser des Neuen Testaments erhält. Köstlin verneint dies. Auf S. 1 60 postuliert der Autor, daß nur das Christen­ tum eine zum Fortschritt fähige Religion sei, denn die Geschichte habe bewiesen, daß heidnische Gesellschaften letztlich dem Niedergang anheimfallen müßten. 11 Abü Hämid Mul;1ammad Ibn Muhammad a�-'"fÜSl (Al-) G azzäli (1 059-1 1 1 1) arbei­ tete ein mit der Sunna zu vereinbarendes Konzept islamischer Mystik aus und be­ tonte als einer der ersten die Bedeutung der Logik für die theologische Wissen­ schaft.

Julius Köstlin: Der Glaube und seine Bedeurung für Erkenntnis, Leben und Kirche

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und Sekten und die Einwürfe philosophischer Metaphysik in Zweifel und schließlich in volle Skepsis versetzt, sucht Gh. die Gründe "der Gewißheit unseres Glaubens" "Ies bases de la certitude" S. 1 212, einer vor jedem Zwei­ fel geschützten Gewißheit, die nicht rein autoritär und zufällig begründet sich erhebt des basjonds de la crqyance routinierejusqu'aufai'te de la certitude S. 913• Und zwar handelt es sich dabei um die Gewißheit des spezifisch-islamischen Glaubens an die Alfeinwahrheit der Offenbarung des Propheten, die über die auch Juden und Christen gegebene allgemeine religiöse Erkenntnis hinausgeht, S. 1 2 n. 3614• Aus dieser Skepsis wurde er befreit durch die Erkenntnis, daß es über der sinnlichen und der rationalen Erkenntnis noch eine dritte höch­ ste, mystisch-intuitive, religiös-praktische, von Gott innerlich gewirkte gebe. ,Je dus ma guerison non a un assemblage de preuves et d'arguments, mais a la lumiere que Dieu fitpenitrer dans mon coeur, lumiCre qui Maire le seuif de toute science. Quicon­ que s'imagine que la certitude ne repose que sur des arguments, amoindrit la misericorde immense de Dieu. On demandait au Prophete i'explication de ce passage du livre di­ vin: ,Dieu ouvre a la foi musulmane le coeur de celui qu'if veut diriger. ' ,/1 s'agit, ripondit le Prophete, de la lumiCre que Dieu ripand dans le coeur' - ,Et a quel signe -

von Autoritätsglauben und praktischer Gottergebenheit, leider nur ganz kurz berührt wird, S. 1 7915• Zum Ganzen vgl. A. v. Kremer, Geschichte der herrschenden Ideen des Islam. Leipzig 1 868. 12 Nach einer Übersetzung von Charles Barbier de Meynard: Traduction nouvelle du traite de Ghazzali intitule Le Preservatif de l'Erreur, et notices sur les extases (des soufis) (1 877) lautet das Zitat bei G azzäli im Zusammenhang: "Frappe des contradictions que je rencontrais en cherchant a demeler ce qu'il y avait de vrai et de faux dans ces opinions, je me fis d'abord le raisonnement suivant: ,La recherche de la verite etant le but que je poursuis, je dois, en premier lieu, savoir quelles sont les bases de la certitude.'" (5. 1 2) . 1 3 Der vollständige Satz lautet bei G azzäli (5. 9) : "Tu veux savoir c e que j'ai e u a souf­ frir pour degager la verite perdue dans la confusion des sectes et la diversite des routes; comment j'ai ose m'elever des bas-fonds de la croyance routiniere jusqu'au faite de la certitude." 14 An den genannten Stellen erörtert G azzäli eingehend, unter welchen Umständen ein Mensch nicht zum rechten (muslimischen) Glauben findet: Auch wenn jeder Mensch von Geburt an eigentlich ein Muslim sei, bestehe gleichwohl die fatale Möglichkeit, daß seine Eltern nicht muslimischen Glaubens seien oder er sonst keine Gelegenheit bekomme, unverfaIscht von den Worten des Propheten zu er­ fahren. 15 Ferdinand Hitzig: Ueber Gazzäli's Ihjä 'ulul al-din (1 853) . Er erläutert an dieser Stelle G azzälis Interpretation der Worte Mohammeds, der Glaube und die Gotter­ gebenheit seien eins und doch voneinander verschieden.

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I'homme peut-il la reconnaftre?' lui demanda-t-on. ,A son detachement de ce mon­ de d'illusion et au penchant qui I'entrafne vers le sijour de I'iternite." S. 1 716. Es ist der Versuch, eine intuitive praktisch-religiöse Erkenntnis zu konstruieren, die mehrfach mit anderen, allerdings sehr wenig moderner Anschauung ent­ sprechenden intuitiven Erkenntnissen verglichen, aber auch wieder von ih­ nen als unendlich über sie erhaben unterschieden wird, S. 82 f.17 Besonders wird diese Erkenntnis mit den Schauungen der Sufis verglichen, die unge­ fähr der Schleiermacher dieser Theologie sind, S. 55 f.1s Von der rein auto­ ritativena Glaubenserkenntnis der scholastischen Orthodoxie unterscheidet sich Gh.s Glaubensbegriff durch seine praktisch-religiöse Grundlegung, die größere Sicherheit gewähre (S. 20-22)19; der Philosophie gegenüber gilt wie bei Köstlin, daß sie viel der religiösen Erkenntnis Entgegenkommendes ent­ halte und daß die Leugnung dieser relativen Wahrheiten dem Gegner nur Waffen gegen den Glauben liefere, daß aber an die religiöse Erkenntnis der Philosoph nicht I heranreiche, S. 22-41 , 8320 . Aber diese allgemein religi-

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a

A: autorativen

16 Das Zitat befindet sich bei G azzäli auf S. 1 7 f. 17 Vgl. dazu die folgende kursiv gesetzte TextsteIle G azzälis, die Troeltsch unten, S. 77, zitiert. 18 Vgl. dazu das Kapitel "Du Soufisme" (G azzäli, S. 54--64) . 19 Vgl. das Kapitel "Du but de la theologie scolastique et de ses resultats" (G azzili, S. 20-22) ; vor allem S. 21 : "Plusieurs de ses adeptes [der scholastischen Schule] , dignes de cette haute mission, defendirent vaillamment l'orthodoxie et la foi en demontrant I'authenticite de la prophetie et la fausse te des innovations heretiques. Mais, pour cela, ils durent s'appuyer sur un certain nombre de premisses qu'ils accepterent de leurs adversaires, et que I'autorite, le consentement universeI, ou simplement le Koran et les traditions les mettaient dans l'obligation d'accepter. [...] La theologie scolastique ne pouvait, par consequent, me suffire ni guerir le mal qui me devorait. Lorsque cette ecole fut etablie et developpee, elle voulut aller plus loin que la defense du dogme: elle s'appliqua a I'etude des premiers principes, a celle des substances, des accidents et des lois qui les regissent." 20 Auf S. 22-41 finden sich folgende Kapitel: "La Philosophie, ce qu'elle a de bla­ mable et de non blamable; sur quels points ses adherents peuvent etre consideres comme croyants ou incredules, comme orthodoxes ou heretiques; ce qu'ils ont emprunte aux doctrines veritables po ur I'introduire dans leurs theories chimeri­ ques et les rendre acceptables; pourquoi les esprits s'ecartent de la verite; avec quel criterium on peut dans leur systeme separer I'or pur de l'alliage." (G azzäli, S. 22-24) , "Des sectes philosophiques et de la marque d'infidelite qui leur est com­ mune a toutes sans distinction" (S. 24--27) und "Division des sciences philosoph i­ ques" (S. 27-41); vgl. auch die von Troeltsch im folgenden zitierten Sätze.

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öse Theorie der mystisch-praktischen Contemplation soll doch im Grunde nur dazu dienen, die absolute Wahrheit des islamischen Glaubens an den Propheten gewiß zu machen, S. 6421• ,,Quant d celui qui, projessant des /evres /a Joi au prophete, place les statuts religieux sur la meme ligne que la philosophie, celui-Id nie en realite la prophetie, puisque pour lui le prophete n'est qu'un sage qu'une destinie superieure a itabli comme un guide des hommes; or tel n'est pas le caractere veritable du prophetisme. Croire au prophete, c'est admettre qu'ily a audessus de I'intelligence une sphere ou se rivelent d la vue interieure des verites que I'intelligence ne peut comprendre, pas plus que I'oure ne peut percevoir les choses visibles et que les sens ne peuvent aboutir aux notions intellectuelles" S. 82 f22. Der Prophet hat eine absolut einzigartige supranaturale Intuition Gottes besessen, was auch durch seine Wunder und sein heiliges Leben bezeugt wird. Er ist der Arzt der Seelen, der in absolut vollkommener Weise die Seelen von Sünde und Gebrechen heilt. Daß dem aber so sei, das wird nicht mit Wundern und Autoritätsbeweisen, sondern vor allem durch innere Erfahrung im Gehorsam gegen die Gebote des Pro­ pheten erwiesen. Wie sonst die Hauptvergewisserung intuitiv ist, so auch die von der Wahrheit des Propheten. "De meme, quand tu eonnattras la nature veritable du prophetisme, itudie serieusement le Koran et les traditions, tu sauras alors de soum cer/aine que Mohammed est leplus grand desprophetes. FOr/iße ensuite ta con­ viction en verifiant I'exaetitude de ses saintes pridications et l'inßuence qu'elles exereent sur I'amelioration de I'ame; verifie des sentences comme eelle-ci: , Celui qui met sa conduite d'accord avec sa science, refoit de Dieu une science plus grande' ou celle-ci': ,Dieu livre d I'oppresseur celui quifavorise I'i'!iustiee' ou bien eneore celle sentence: ,Quiconque en se levant le matin n'a qu'une seule sollicitude, Dieu le priservera de toute sollicitude en ce monde et dans I'autre'. Quand tu auras ripite celle experience mille et milleJois, lu seras en possession d'une cer/itude sur laquelle le doute n'aura plus de prise. Teile est Ja route qu'ilfaut suivre pour connattre Jeprophetisme", S. 7023. Es heißt zwar, man müsse vertrauen den Worten d'un prophete, qu'il soit veridique, incapable de mensonge el qui confirme sesparoles par des miracles, S. 8824• Aber die Wunder an sich thun es 21 "Au nombre des convictions que je dois a la pratique de la regle soufite se trouve la connaissance du veritable caractere de la prophetie. Cette connaissance est d'une necessite si grande que nous allons I'exposer immediatement." (G azzäli, S. 64) . 22 Der Schluß des ersten Teilsatzes lautet im Original "a etabli comme guide des hommes". Der zweite Satz beginnt mit "Croire au prophete, c'est admettre qu'i! y a au-dessus de I'intelligence [ .]". 23 Im zweiten von Troeitsch zitierten Satz heißt es statt "verifie des sentences" bei Gazzäli "verifie la verite de sentences". 24 Das Zitat heißt korrekt und im Zusammenhang: "Que I'on me dise pourquoi ce meme homme qui accepte des faits aussi extraordinaires, et qui est oblige de re­ connaitre qu'ils appartiennent a un ordre de choses surnaturei dont la revelation aux prophetes est elle-meme un miracle, ne veut pas accorder la meme confiance ..

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nicht. Wer nur an die Wunder denkt ohne an ihre spezielle Veranlassung und Abzweckung, hat alle Fragen des Wunderglaubens gegen sich, S. 7025• Viel­ mehr thut es allein das Vertrauen zum Seelenarzte, dem man wie ein Kind seinem Vater auf Grund seiner Leistungen an anderen vertrauen muß, um dann selbst die Erfahrung seiner Hilfe zu machen, S. 89 f.26 "De meme celui qui riftichit aux I paroies du Prophete, aux traditions authentiques qui attestent son zele a diriger I'humanite, la tendresse avec laquelle il emplqyait toutes sortes de mqyens bien­ veillants pour amiliorer leurs coeurs, pacifier leurs difforends, en un motpour travailler a leur salut, dans ce monde et dans I'autre, celui-Ia, disje, sera convaincu aussifortement que la sollicitude du Prophete pour son peuple estplusgrande que celle d'un pere a Ngard de son fils. Qu'il examine ensuite les faits miraculeux qui se sont manifestes dans la personne du Prophete, les mysteres que sa bouche a reviles dans le Koran, ses pridictions conservees par la tradition et si merveilleusementjustifties par les evenements: il saura alors de source certaine que le Prophete a penetre dans une sphere superieure a celle de I'intelligence, qu'iI a ite doti de cette seconde vue qui lit dans le monde invisible, accessible seulement aux ilus, et dans les mysteres impenitrables a la raison. Cest ainsi qu'ilfaut prociderpour etre rigoureusement convaincu de la veraciti du Prophete. Lis attentivement le Koran, etudie les traditions, et ta conviction seformera dans ton esprit" S. 90 [,27 Es ist hier nicht der Ort, weitere Auszüge aus dieser hochinteressanten Schrift zu geben, die übrigens auch schon allein K.s Behauptung von der Friedlosigkeit aller außerchristlichen Religionen (S. 1 672� widerlegt. Das

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aux paroIes d'un prophete qu'il sait veridique, incapable de mensonge et qui con­ firme ses paroles par des miracles." (G azzili, S. 88) . "Si tu n e te preoccupes que d u miracle, sans y joindre les mille circonstances acces­ soires qui s'y rattachent, tu es expose a le confondre avec la magie et le mensonge, ou a le considerer comme une epreuve (une tentation) que Dieu inflige a l'homme, ainsi qu'il est ecrit: ,Dieu egare et dirige a son gre.'" (G azzili, S. 70) . Es handelt sich hierbei um das Gleichnis von einem kranken Mann, der den Rat eines Arztes sucht. Die von Troeltsch im folgenden zitierte TextsteIle auf S. 90 f. gibt das Fazit der Geschichte wieder. Das Zitat beginnt bei G azzili wie folgt: "De meme, celui qui [...] . " Im ersten von Troeltsch zitierten Satz heißt es statt "la sollicitude du Prophete pour son peuple est plus grande" im Original "etait plus grande", und der Schluß lautet "et la con­ viction se formera dans ton esprit". Die Aussage kann so bei Köstlin nicht nachgewiesen werden; vgl. S. 1 67: "Die Be­ ziehung, in die er [Gott] zu seinem Volke sich gesetzt haben will, entspricht auch derjenigen Gemeinschaft mit ihm, deren wir Christen jetzt gewiß werden und uns freuen dürfen, in viel höherem Grad und überhaupt in ganz anderer Weise als dasjenige Sichversenken ins Absolute, wonach eine mystische orientalische Reli­ giosität und auch ein irregehender christlicher Mystizismus sich gesehnt und ab­ gemüht hat. So erhaben ferner der Gott der Propheten ist und so furchtbar er in

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Angeführte genügt, um den Parallelismus schlagend zu zeigen. Sieht man ab von der Differenz christlichen und islamischen Glaubens, daß Moham­ med doch eben nur der vollendete Prophet ist, während Jesus der mensch­ gewordene Gottessohn ist, vor allem von der des zwölften und des neun­ zehnten Jahrhunderts, so springt die Analogie in die Augen: beide Male die selbstverständliche Voraussetzung eines exklusiv supranaturalen Cha­ rakters der eigenen Religion, der gegenüber die andern auf nur allgemei­ nen, natürlichen Erkenntnissen und Intuitionen beruhen; beide Male ge­ genüber wissenschaftlichen Zweifeln der Versuch, den unmittelbar sich ge­ benden positiven Supranaturalismus auf eine allgemeine Tatsache religiös­ praktischer Erkenntnis zurückzuführen; beide Male aber auch das Bestre­ ben, von hier aus dann wieder den positiven Supranaturalismus annehmbar zu machen; beide Male eine bemerkbare Inconcinnität im Ergebnis. Für Ghazzali bleibt die suflsche Mystik immer ein gefährlicher Konkurrent ge­ gen die absolute Einzigartigkeit des Propheten, für Köstlin wird der Supra­ naturalismus der Heilsgeschichte ein thema probandum, nicht ein Beweis des Glaubens. Hätte Ghazzali die moderne Psychologie gekannt, so hätte er das Verhältnis der praktisch-religiösen Erfahrung zu ihrem intellektuel­ len Moment wohl noch genauer, ähnlich wie Köstlin, festgestellt, und hätte er die historisch-kritische Wissenschaft, eine Korankritik, I gekannt, so hätte vermutlich auch er eine Kritik empfohlen, die den im Prinzip durch innere Erfahrung erwiesenen Supranaturalismus im allgemeinen respektierte und nur in besonders bedenklichen Fällen seine Anwendung bestritte. Daß beide Theologen ähnliche Wege zur Aufhellung des Geheimnisses der Religion gehen, ist gewiß kein Beweis für die Unrichtigkeit dieses Weges. Im Ge­ genteil. Jede ernsthafte Religionsphilosophie wird in der Hauptsache ihren Weg gehen und eine religiöse Intuition den Erscheinungen der Religionsge­ schichte zu Grunde legen müssen. Daß aber beide von dieser gemeinsamen Grundlage aus den positiven traditionellen Supranaturalismus und die absolut einzigartige Alleinwahrheit ihrer Religion zu rechtfertigen unternehmen, ist ein Beweis, daß das beide Male gleich möglich oder, was dasselbe sagt, gleich unmöglich ist. E. Troeltsch. Heidelberg, 23. Mai 1 896.

seinen Gerichten werden kann, so frei ist er doch von den dunkeln und schreck­ haften Zügen, welche das göttliche Wesen namentlich auch für die von vielen we­ gen eines heitern und harmonischen Charakters sonderbar gerühmte altklassische, griechische Religiosität trägt: kein Neid der Götter, keine dunkle Herrscherwillkür, vollends keine Möglichkeit, daß eine Gottheit in Dingen, die sie ihren Geschöp­ fen verbietet, sich selbst ergötzen sollte."

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Religionsphilosophie und theologische Principienlehre

Der "Theologische Jahresbericht" für das Jahr 1 895 ist Troeltschs erste Sam­ melrezension. ,,[Ich bin] in den letzten Monaten von Holtzmann für den theologischen Jahresbericht engagirt worden [...] , u[nd] wenn ich auch mei­ nen Anteil auf ein möglichst geringes Maß herabdrückte, so bin ich damit doch schon mehr beschäftigt als mir lieb ist"!, klagte Troeltsch gegenüber seinem Verleger Siebeck. Zur Drucklegung der "Theologischen Jahresbe­ richte" kam es am Ende des jeweils darauffolgenden Jahres. Insbesondere die Sommer der Jahre 1 896 bis 1 899 waren Zeiten extremer Arbeitsbela­ stung für Troeltsch. Immerhin habe er, so schrieb Troeltsch im Sommer 1 895 an Wilhelm Bousset, für die "religionsphilosophische Revue" einen "eigenen Styl u[nd] Methode gebildet, den Verarbeitungsstyl oder Verdau­ ungsstyl. Die Verdauung ist aber gegenwärtig in der Theologie am schwer­ sten. Sie leidet an Dünnflüssigkeit oder an Verstopfung, u[nd] so mag ich doch manchem Nützliches bringen, wenn ich auch manchmal das Gefühl habe, daß ich unter der Masse von Stoff erliege u[nd] mich das Einleben in fremde Gedankengänge oft fast um meine eigenen zu bringen droht. Ich fin­ de aber, daß es wirklich notwendig ist, nun endlich einmal Bilanz zu ziehen statt endlos u[nd] matt zu varüren, was schon einmal da war u[nd] dabei im­ mer zu meinen, daß man es zum ersten Male sage."2 In einem weiteren Brief an Bousset schrieb er von der "Frohnarbeit der Rezensionen".3 Inhaltlich er­ wartete Troeltsch einigen Widerspruch: "Wenn jetzt mein Jahresbericht mit manchen Bemerkungen über die Ritschlianer erscheinen wird, so wird das wieder Verstimmungen geben, obwohl ich mich möglichster Schonung be­ fleißigt habe. Aber die Theologie kann doch nicht ewig bei den künstlich geschraubten Positionen Ritschls stehen bleiben u[nd] muß doch endlich einmal auf der von ihr eroberten Wahrheit weiter arbeiten. Mehr will ich gar I

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Brief Ernst Troeltschs an Paul Siebeck, 1 5. Oktober 1 895, Tübingen, Verlagsarchiv Mohr Siebeck -> KGA 1 8/19. Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 23. Juli 1 895, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -> KGA 1 8/19. Brief Ernst Troeltschs an Wilhelm Bousset, 4. Juli 1 896, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -> KGA 1 8/1 9.

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I. Religionsphilosophie

nicht, aber man wird durch solche Dinge oft zu schärferen Worten veranlaßt als man an u[nd] für sich gebrauchen würde."4 Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologischer Jahres­ bericht, hg. von Heinrich Holtzmann, 1 5. Band enthaltend die Literatur des Jahres 1 895, Dritte Abtheilung: Systematische Theologie, bearbeitet von E. W. Mayer, Troeltsch, Sulze und Dreyer, Braunschweig: C. A. Schwetschke und Sohn, 1 896, S. 376-425 CA) . Der "Theologische Jahresbericht" wurde am 24. März 1 897 ausgeliefert.5 Religionsphilosophie und theologische Principienlehre.

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Bearbeitet von Lic. E. Troeltsch, Professor der Theologie zu Heidelberg. 1.

Religionsphilosophie.

1.

Philosophische �steme und Gesammtentwiiife.

tKiilpe, Einleitung in d. Philos. VIII, 276. Leipzig, Hirzel. M 4. Bucken, Kampf um einen geistigen Lebensinhalt. VIII, 400. Leipzig, Veit. M 7,50. t Diihring, Gesammtkursus der Philos. 1. Bd. 2. Abth. Wirklichkeitsphilos., phantasmen freie Naturergründung und gerechte freiheitl. Lebensordnung. XIX, 554. Leipzig, Reisland. M. 9. t Socoliu, Grundprobleme d. Philos. XVI, 261 . Bern, Beck-Keller. M 2,40. tKralik, Weltweisheit, Versuch eines Sy­ stems der Philos. in 3 Bb. 1. Weltwissenschaft. VII, 1 75. Wien, Konegen. M 4. t Stoff, der allgegenwärtige und allvollkommene. der einzig mögliche Urgrund alles Seins und Daseins. 1. Band. XII, 580. Leipzig, Veit. M 7,50.1 tMikos, Wissenschaftl. Weltanschauung auf relig. Grundlage. 39. Leipzig. Mutze. M. 1 . tLathros, prakt. Philos. 1 34. Leipzig, Thomas. M 1 ,50. t Valabrigue, la philosophie du 20ieme siede. Paris. M 3,50. t Wundt, Logik. -

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Brief Ernst Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 27. Mai 1 896, Göttingen, Niedersäch­ sische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. Ms. Bousset 1 30 -> KGA 1 8/19. Vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 64 (1 897), Nr. 68, 24. März, S. 2254. 1 [paul August Kesselmeyer] : Der ewige, allgegenwärtige und allvollkommene Stoff, der einzige mögliche Urgrund alles Seyns und Daseyns (1 895) .

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11. Bd. 2. Abth. Logik der Geisteswissenschaften. 2. A. VII, 643. Stuttgart, Encke. M 1 0. - TÖlmies, Historismus u. Rationalismus (Archiv f. system. Phi­ los. 227-255) . - t Riehl, rel. Studien eines Weltkindes. 3. A. IV, 472. Stuttgart, Cotta, Nchf. M 6. tAubry, Oeuvres compli�tes. Publiees par son frere: T. II: Melanges de philosophie catholique; le Cartesianisme, le Rationalisme et la Scolastique. 309. Paris, Retaux.

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An erster Stelle seien wenigstens in den Titeln die allgemein philosophi­ schen Werke des Jahres angeführt, die dem Ref., so weit überhaupt, meist nur aus Recensionen anderer Zeitschriften bekannt geworden sind. Das für die Theologie weitaus Wichtigste unter ihnen ist das Buch Eucken's2. E. weist auf die völlige Zerfahrenheit der geistigen Lage hin, auf die Auflö­ sung aller bisherigen philosophischen Grundanschauungen, und zeigt die in der Zeit sich findenden Ansätze zu einer Neubildung und Rettung.3 Die Anschauungen dieser die Zukunft I erobernden Minorität will er zum Aus­ druck bringen mit derselben praktischen Tendenz und demselben ethischen Affect, wie das einst Fichte in seiner "Bestimmung des Menschen" gethan hatte. Er bezeichnet daher sein Buch im Nebentitel als "Grundlegung einer neuen Lebensanschauung"4. Freilich geht diese Grundlegung in der Haupt­ sache doch zurück auf die classische deutsche Philosophie und stellt nur ei­ ne Vertiefung und Umbildung ihrer Grundgedanken dar, wie sie durch die von unserem Jhrh. vollzogene Kritik und Gegenwirkung gegen jene Ideen gefordert ist. Jene Kritik ist vollzogen durch die verschiedenen Reactionen des Naturalismus, Empirismus, Positivismus und Skepticismus, durch den Gegenschlag des Pessimismus einerseits und der Kantischen Freiheitsleh­ re andrerseits. Aber jene Gegenbewegungen haben sich bereits selbst wie­ der aufgelöst und der zügellose halb naturalistische, halb idealistische In2 Rudolf Eucken: Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt (1 896) . Vgl. da­ zu noch als weitere Besprechungen: Ernst Troeltsch: [Rez.] Rudolf Eucken: Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt (1 896), oben, S. 55-63, und in: ders.: Neue Triebe der Spekulation (1 896), unten, S. 1 64-167. 3 Vgl. Eucken, Vorwort (S. III-V) : "Daß dem heutigen Kulturleben eine alles durch­ dringende und zusammenhaltende Hauptüberzeugung, ein gemeinsames Ideal fehlt, das kommt immer deutlicher zur Empfindung, zugleich aber auch dieses, daß wir damit einer geistigen Substanz entbehren, ja überhaupt einen Lebensin­ halt, der diesen Namen verdient, einzubüßen drohen. [. . ] Die Zeit dürstet nach einem fester begründeten und zugleich größeren und freieren Leben, nach mehr Verwandlung der Wirklichkeit in innere Erfahrung der Menschheit; sie bedarf da­ für einer größeren Aktivität des Geistes, sie bedarf einer kräftigen Urerzeugung und Neubewährung geistigen Lebens." 4 Der Untertitel lautet korrekt: "Neue Grundlegung einer Weltanschauung". .

I.

Religionsphilosophie

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dividualismus des fin de siede, die mystischen und religiösen Regungen be­ deuten die Anbahnung eines Neuen. Dieses Neue muss die alte teleologisch­ idealistische Grundüberzeugung vereinigen mit der Anerkennung der That­ sache, dass die empirische Weltlage eine sinnlich gebundene, dunkelverwor­ rene, leidvolle ist und dass der Weg in das Reich des Geistes nur durch ei­ ne That der Freiheit im Sinne Kant's führen kann. Diese Vereinigung ge­ schieht, indem die Doppelheit der Wirklichkeit, ihre Spaltung in ein Reich der Natur und ein Reich des Geistes, der beständige Zwiespalt und Kampf zwischen beiden und die Entstehung, Behauptung und Durchsetzung des letzteren durch die That überempirischer Freiheit eine Aufeinanderbezie­ hung beider Reiche und die Unterordnung der Natur unter den Geist ver­ bürgen. Aber die so verbürgte Vereinigung vollzieht sich nur im Kampf und in der That, nicht in einem Werden immanenter Nothwendigkeit, sondern in einem Werden der Freiheitsthat. Die Einheit der Wirklichkeit liegt hier­ bei freilich nicht mehr so einfach zu Tage wie in den älteren Systemen, sie ist weiter hinter die Wirklichkeit verlegt und nur dem Glauben zugänglich, aber einem Glauben, der in dem Stand der Dinge selbst seinen Anlass und in dem Wachsthum der Geisteswelt seine Bürgschaft hat. Sein eigentlich­ stes Rückgrat aber hat dieser Glauben an der inneren Erfahrung von den idealen Gütern, die von ihm als absolut nothwendige Güter der Vernunft erfahren werden und daher auf einen lebendigen persönlichen Kern dieser Vernunftwelt, auf Gott, oder die absolute Vernunft, bezogen werden. Nur durch diese Beziehung hat der Kampf der Menschheit gegen die empirische Weltlage Festigkeit, Zusammenhang, Kraft und Zuversicht. Die Religion ist also der Kern des Geistesprocesses. Aber diese religiöse Erhebung ist wohl der Kern, doch nicht das Ganze. Aus ihr heraus ist immer wieder die empi­ rische Wirklichkeit zu ergreifen, zu verwandeln und zu gestalten. So schafft die Menschheit in endlos hin- und herwogendem Kampfe die Geisteswelt als eine zusammenhängende Welt von Persönlichkeiten und Persönlichkeits­ gütern, beständig aus der Natur zur geistigen Welt und von ihr wieder zur I Natur sich wendend, durch Niederlagen, Verwickelungen und Dunkelheiten sich hindurchbewegend, eine letzte Einheit glaubend, aber nur zum Theil wirklich schauend und wissend. Das ist im Ganzen der Umriss der neuen Lebensanschauung. Der Determinismus, Optimismus, Intellectualismus und Pantheismus des älteren Idealismus ist aufgegeben, dafür aber eine grössere Uebereinstimmung mit der wirklichen Lage erreicht und der wahre, unverlierbare Kern jener Ideen beibehalten. Zugleich stellt die neue Lebensanschauung mit der Bedeutung der Religion auch die des Christenthums in das Centrum; sie ist geradezu die mit der modernen dynamischen a

A: teologisch-idealistische

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Geistesrichtung vermittelte Entwickelungsstufe des Christenthums. Schon hieraus erhellt die hohe Bedeutung des Buches. Auf die vielen feinen, von selbständigem Wirklichkeitssinn und edler sittlicher Grundanschauung zeu­ genden Einzelausführungen kann hier nur hingewiesen werden, vor Allem auf die Untersuchungen über Wesen und Werth der Geschichte und Ent­ wickelung und über das Verhältniss religiöser, weltflüchtiger Concentration und ethisch-cultureller Ausweitung, zwei brennende Probleme der gegen­ wärtigen Theologie.5 Möge es von den Theologen gründlich studirt werden. - Mit dem ersten der eben genannten Probleme beschäftigt sich auch die fei­ ne Abhandlung von Tiinnie.!', die an den socialistischen Theorien zeigt, wie man nothwendig des entwickelungsgeschichtlichen oder historischen Rela­ tivismus müde zu werden und wieder aus apriorischer Vernunft absolute Werthe und Erträgnisse der Geschichte zu construiren beginnt. Es ist wich­ tig, zu beachten, dass dieses Problem nach und nach auf allen Wissensgebie­ ten sich geltend macht. Die verwüstenden und lähmenden Wirkungen des historischen Relativismus werden es bald zu einem allgemein empfundenen machen. 2.

Religion und Wissenschaft überhaupt. (Vgl. den Bericht über Apologetik.')

a) Allgemeines.

tMarmery, Progress of science, its origin, course, promoters and results. 370. London. M 9. - Strümpell, Abhandlungen a. d. Gebiet der Ethik, Staatswis­ senschaft, Aesthetik u. Theologie. 6 H. Leipzig, Deichert. M 4,45. - t Grau, gesammelte Vorträge. 206. Gütersloh, Bertelsmann. M 2. - tFurrer, Vor­ träge über religiöse Tagesfragen. VIII, 1 52. Zürich, Züricher. M 3. - Stein­ thai, zu Bibel u. Religionsphilos. Neue Folge. V, 258. Berlin, S. Reimer. M 5. - t U!fers, van eeuwige dingen. 256. Rotterdam. M 6,25. - Bullinger, Chri­ stenthum im Lichte der deutschen Philosophie. XIX, 256. München, Acker­ mann. M 2. - t Ehrenhaus, Jesus Christus, d. Sohn Gottes u. die deutsche Philosophie (BG. 297-3 1 3. 329-346) . tStrauss, der alte u. der neue Glaube. -

5 Vgl. dazu die Kapitel "Das Unrecht und das Recht der Geschichte" (S. 1 70-1 86), "Die Geschichte" (S. 225-229) und "Das Gesamtbild des Geisteslebens" (S. 334-347) . 6 Ferdinand Tönnies: Historismus und Rationalismus (1 895) . 7 Vgl. den Abschnitt ,,2. Apologetik" (S. 362-375), in: Emil Walter Mayer: Encyclo­ pädie und Apologetik (1 896) .

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1 2-1 4. AufL mit Vorwort von E. Zeller. XVIII, 278. Bonn, Strauss. M 3,60. ­ Vom alten u. neuen Glauben. Erlebnisse u. Bekennntnisse eines Laien. H. z. ChrW. 58. Leipzig, Grunow. M. -,50. - Nach vierzig Jahren. Religionsphilos. Briefwechsel zweier Jugendfreunde in spätester Lebenszeit. VIII, 232. Leip­ zig, akad. Buchhandl. M 3.8 - Hackenschmidt, wie werden wir unseres Glaubens gewiss und froh? 45. Dortmund, I Crüwell. M 1 . - Menzies, the truth of the christian religion (Nw. 57-72). - t Ha rnisch, Kampf um die christi. Welt­ anschauung in d. pädagog. Presse (KM. 709-743). - t Tolstai, meine Beichte. Deutsch v. LilienthaI. 5. A. 1 32. Berlin, Steinitz. M 1 . - tRaussel, Athee, deiste ou Chretien. 1 8. Alens:on, Guy. - Dm., Pantheisme. 1 8. Ebda. - Dm., Atheisme. 1 8. Ebda.9 - Murisier, l'intellectualisme, le neo-mysticisme et la vie integrale (RThPh. 209-228) . Die gesammelten Abhandlungen Striimpell'slO aus der ersten Hälfte des Jhrh.s beziehen sich in ihrer Hauptmasse auf die Ethik. Religionsphiloso­ phischen Inhalts sind die Aufsätze über Spinoza, die Freiheit des logischen Denkens, die revolutionären Ereignisse in Deutschland i. J. 1 848 (eine Un­ tersuchung über die Schuld der Philosophie an ihnen) und die falsche Ver­ bindung zwischen Philosophie, Theologie und Kirche.tl In ihnen spricht sich die Kritik des Herbartianers an dem Pantheismus Spinoza's und der classischen deutschen Philosophie in einer zum Theil heute noch bedeut­ samen Weise aus. Der letzte Aufsatz12 constatirt die absolute Unvereinbar­ keit von Philosophie, auch philosophischem Gottesglauben, und kirchlicher Theologie aus dem Wesen beider, dabei von der ehemaligen katholischen speculativen Theologie und dem katholischen Kirchenideal ausgehend, aber in diesem den allein consequenten Typus jedes Kirchenideals erkennend. Das Buch von Steinthal B ist eine Sammlung von älteren Vorträgen vor jü8 [Wilhelm von Zehender, Friedrich Pilgram] : Nach Vierzig Jahren (1 895) . 9 Der Hugenotte Napoleon Roussel (1 805-1 878) war 1 831-1 835 Pfarrer in St. Eti­ enne, danach in Paris. Er starb in Genf. Es konnte kein Nachweis über die hier aufgeführten Hefte von Roussel erbracht werden. 10 Ludwig Strümpell: Abhandlungen aus dem Gebiete der Ethik, der Staatswissen­ schaft, der Ä sthetik und der Theologie (1 895) . 1 1 Es handelt sich hierbei um folgende Aufsätze: "Die sittliche Weltansicht des Spi­ noza" (1 . Heft, S. 7-20), "Die Freiheit des logischen Denkens" (1 . Heft, S. 21-33), "Die revolutionären Ereignisse in Deutschland im Jahre 1 848" (5. Heft, S. 1-1 7) und "Die falsche Verbindung zwischen Philosophie, Theologie und Kirche" (6. Heft, S. 24-39) . 12 Vgl. dazu die vorhergehende Anmerkung, letztgenannter Aufsatz. 13 Heymann SteinthaI: Zu Bibel und Religionsphilosophie (1 895) .

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dischen Versammlungen und Aufsätzen aus philosemitischen Zeitungen.14 In der Hauptsache enthält es biblisch-kritische Untersuchungen zur israe­ litischen Geschichte, am Anfang religionsphilosophische Untersuchungen über "Glaube und Kritik", "Entstehung des Monotheismus", "Atheismus", am Schluss moralistische Abhandlungen über verschiedene Themata.1s Be­ merkenswerthes ist hierin nicht enthalten. Interessant sind sie nur als Bei­ spiele für jüdische Philosophie und Theologie, die eine überaus freie Beweg­ lichkeit der religiösen Metaphysik (bis zur biossen Reduction auf den Glau­ ben an Werth und Grösse idealer Gesinnungen) mit dem particularistisch­ jüdischen Charakter zu vereinigen gestattet, indem die Rassengemeinschaft, die Grundbestimmungen der Thora und die geschichtlichen Erinnerungen zu jener Metaphysik hinzutreten, ohne sie innerlich mit zu bestimmen. SI. erinnert daran, dass die wahre Philosophie aus dem Judenthum entsprun­ gen und ein dauerndes Vorzugseigenthum des erwählten Volkes sei. Spino­ za und Mendelssohn sind die angelegentlich gerühmten Vorbilder dieses Glaubens.16 Auf sie fällt auch von hier aus ein Licht zurück. - Der Alt­ katholik Bullinger17 sucht im Gegensatz zur römischen Neuscholastik das Christenthum in der Weise Meister Eckhart's und Hegel's als die absolute Religion darzustellen,18 indem er die Form der Vorstellung aufhebend, das Christenthum in der von ihm geforderten und ihm erst adäquaten Form des Begriffes entwickelt. Dabei ergiebt sich ein durchaus kirchlich ortho­ doxes System im Gegensatz zu den Folgerungen, die Strauss und Baur aus Hegel's Grundformel ziehen zu müssen glaubten. So ist die deutsche Phi14 Ü ber die Vorträge ließ sich nichts ermitteln. Folgende Aufsätze von Heymann Steinthal erschienen zuvor in der "Allgemeinen Zeitung des Judenthums": "Herrn J. Derenbourg zum 21 . August 1 89 1 " (1 891) und "Zur Erholung" (1 891). Der Aufsatz "Zur Geschichte Sauls und Dawids" erschien 1 89 1 im "Neunten Bericht über die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judenthums in Berlin". 15 Vgl. "Glaube und Kritik" (S. 1-1 6), "Die Frage vom Ursprung des Monothe­ ismus" (S. 25-34) und "Ueber den Atheismus" (S. 1 82-1 90) , bei den "morali­ stischen Abhandlungen über verschiedene Themata" handelt es sich um folgen­ de Aufsätze: "Wilhelm von Humboldt's Ideal des socialen Lebens" (S. 1 91 -201), "Ein Wort über den Lebenszweck" (S. 202-2 1 0), "Nathan der Weise" (S. 2 1 1-2 1 5), "Was Gott tut, das ist wolgetan" (S. 2 1 6-232), "Ueber Heiterkeit und Wehmut" (S. 231-248) und "Zur Erholung" (S. 249-258) . 16 In dem Aufsatz "Ueber den Atheismus" (S. 1 82-1 90) verweist SteinthaI mehrmals auf Spinoza, eine namentliche Nennung von Mendelssohn konnte dagegen im Buch nicht nachgewiesen werden. 17 Anton Bullinger: Das Christentum im Lichte der deutschen Philosophie (1 895) . 18 Vgl. dazu Bullinger, Kapitel A : "Die Mystik Eckharts" (S. 1 0-43) und Kapitel B : "Hegels Philosophie des Christentums" (S. 44-1 36) .

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losophie in ihren beiden Höhepunkten, Eckhart und Hegel, das I einzige Mittel, Wahrheit und Wesen des Christenthums ans Licht zu bringen. Diese Wahrheit beweist sich durch ihre speculative und apriorische Nothwendigkeit von selbst. Aber auch die historische Form, in der das Christenthum in die Welt getreten ist, giebt diese an sich seiende Wahrheit richtig wieder, wie durch Zurückweisung der Tübinger Bibelkritik erwiesen wird.19 Dabei wird aber auch Harnack wegen seiner Kritik dieser Geschichte die Christlichkeit abgesprochen.20 Gleichwohl ist die Real- und Verbalinspiration, ein nur in der protestantischen Kirche nothwendiger und entstandener Irrthum, zu verwerfen. Lediglich die vom kirchlichen Dogma als solche gekennzeichneten Offenbarungswahrheiten der Bibel sind irrthumslos. Dabei beruft sich B. auf Sepp's "Kritische Betrachtungen zum Leben Jesu 1 889" und bedauert die auf den protestantischen Inspirationsstandpunkt sich stellende Encyclica Leo's XIII. über das Bibelstudium.21 - Das Heft " Vom alten neuen Glauben"22 ist ein sehr fein und liebevoll ausgearbeitetes Bekenntniss eines Laien, der, in seiner Jugend kirchlich orthodox, vor allem durch den Einfluss Goethe's mit der kirchlichen Religion entzweit wurde, sich aber den christlichen Glauben selbst zu erhalten gewusst hat.23 Er sucht ihn unter Abstreifung seiner anfänglichen und aus der Entwickelungsgeschichte zu erklären19 Vgl. dazu Kapitel C, I: "Die negative Bibelkritik der Tübinger Schule - Wie verhält es sich mit der Authentie unserer Evangelien?" (Bullinger, S. 1 36-1 48) . 20 "Wenn ich Dr. Harnacks Standpunkt als ,nicht mehr christlich' bezeichne, so will ich damit sagen, dass derselbe abweiche von dem Christentum, wie es in den Be­ kenntnisschriften sämtlicher christlicher Kirchen vorausgesetzt ist und das nach meiner Ü berzeugung auch das der Apostel war." (Bullinger, S. 1 76) Vgl. dazu das Kapitel B, VIII: "Dr. Ad. Harnack und das Apostolikum" (Bullinger, S. 1 75-1 84) . 21 Vgl. dazu das Kapitel B, 11: "Wie steht es um die Unfehlbarkeit der Apostel und Evangelisten? Kann dieselbe vernünftigerweise zu einer Bedingung des Festhal­ tens am positiven Christentum gemacht werden?" (Bullinger, S. 1 48-1 58): "Die Lehre von einer Real- oder Verbalinspiration ist Theorie. Ist es nicht zu weit ge­ gangen, wenn man Gott selbst verantwortlich macht für die errata, welche in der Bibel vorkommen? Errare humanum est. [...] Mit einer solchen Auffassung steht das Vatikanum, ohne dass Einer es merke, ganz aufprotestantischem Standpunkt, denn die Protestanten haben die Real- und Verbalinspiration adoptiert." (Bullinger, S. 1 49) Bullinger bezieht sich hier aufJohann Nepomuk Sepp: Kritische Beiträge zum Le­ ben Jesu und zur neutest. Topographie Palästinas (1 889). Gemeint ist die Enzykli­ ka "Providentissimus deus" aus dem Jahr 1 893. 22 [Anonym] : Vom alten neuen Glauben (1 895) . 23 In dem 2. Kapitel "Zweifel und Kämpfe" (S. 1 0-- 1 2) schildert der Autor seine per­ sönliche religiöse Entwicklung. Seine erste größere Erschütterung habe er ange­ sichts einer Aufführung von Goethes "Faust" erlebt (S. 1 0) .

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den Formen in einer Weise darzustellen, die dem Umschwung der Wissen­ schaft, des Denkens und der Stimmung gegenüber dem All entspricht, den die letzten Jhrh. gebracht haben. Im Allgemeinen stellt diese Darstellung sich auf den Boden der entwickelungsgeschichtlichen Anschauung des deut­ schen Idealismus, hierbei eine Reihe sehr feiner Bemerkungen und Gedan­ ken vorbringend, im Ganzen aber doch die christliche Idee durch die moni­ stische Immanenzphilosophie nicht unbedenklich verletzend. Das Schrift­ chen sei sowohl wegen seines inneren Werthes als wegen seiner sympto­ matischen Bedeutung lebhaft empfohlen. - Die Rede Hackenschmidt's24 ist eine vortreffliche, gewandte Darstellung der Ritschl'schen Theologie vor ei­ nem pietistischen Publicum.25 Freilich tritt in ihr einer der wunden Punkten dieser Theologie sehr scharf und charakteristisch hervor, die ausschliessli­ che Begründung der Wahrheit des Christenthums auf den Eindruck und auf das Selbstzeugniss der Person Jesu. "Unser Glaube an die Wahrheit der Lehre Jesu beruht zunächst auf dessen Wahrhaftigkeit".26 "Nun ist die Frage einfach die: beruhen solche Selbstaussagen auf wahnsinniger Selbst­ täuschung oder auf maassloser Selbstüberhebung oder auf richtiger Selbst­ schätzung?"27 Damit ist der christliche Glaube unmittelbar belastet mit al­ len Problemen der Evangelienforschung und des Lebens Jesu, insbesondere mit den aus den apokalyptisch-eschatologischen Bestandteilen der Evange­ lien folgenden Schwierigkeiten. Angesichts solcher Sätze begreift man, wie es kam, dass die Theologie immer mehr ihr Hauptproblern in diesen For­ schungen, vor Allem aber in solchen über die apokalyptisch-eschatologische Bedingtheit des Gesichtskreises Jesu gesucht hat. Auch die Analogien anderer Religionsstifter sind gefährlich. Hier hängt I das Damoklesschwert über einer Theologie, die nur Eindruck und Selbstanspruch der isolirten Person Jesu zu ihrer Basis hat. Von hier aus bereiten sich neue Erschüt­ terungen der Theologie vor. - Die Abhandlung von MenziesZ8 ist eine Be­ sprechung von Herrmann's "Verkehr der Christen mit Gott" und von einer englischen Uebersetzung des Kaftan'schen Buches "Die Wahrheit des Chri­ stenthums"29. Sie hebt den andern wunden Punkt der Ritschl'schen Theolo­ gie hervor, die künstliche apologetische Isolirung des christlichen Glaubens. Im Uebrigen lässt sie den deutschen Gelehrten ihr volles Recht widerfah24 Kar! Hackenschmidt: Wie werden wir unseres Glaubens gewiß und froh? (1 895) . 25 Laut Rückseite des Titelblatts (0. Pag.) hielt Hackenschmidt diese Rede ursprünglich am 8. Februar 1 894 im Evangelischen Vereinshaus zu Barmen. 26 Hackenschmidt, S. 29. 27 Hackenschmidt, S. 28. 28 Allan Menzies: The truth of the christian religion (1 895) . 29 Julius Kaftan: Die Wahrheit der christlichen Religion dargelegt (1 888) und ders.: The truth of the christian religion (1 894) .

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ren. "Nach vierzigJahren"lO ist ein Briefwechsel zweier ruchtultramontaner Katholiken, von denen der eine Convertit und Theologe, der andere Pro­ fessor der Medicin in Rostock ist.31 Er behandelt verschiedene Materien, vor Allem aber Fragen der scholastischen Metaphysik und die Wunderfrage. Der Convertit ist realistischer Scholastiker, Thomist, und findet, dass seit dem 1 3. Jhrh. die Wissenschaften keinen Fortschritt gemacht haben, und nur Hegel wieder annähernd die scholastische Erkenntrusstiefe erreicht ha­ be, im Uebrigen mild und liebenswürdig. Der Mediciner hat demgegenüber nominalistische Neigungen und verwirft vor Allem den Wunderglauben, im Uebrigen ist er gut katholisch und grossdeutsch. Die Verhandlungen sind überaus abstrus und charakteristisch sowohl für die katholische Philosophie als für die mit ihr Compromisse schliessende Naturwissenschaft. Besonders interessant ist ein Gespräch des Mediciners mit dem Bischof von Osna­ brück 1 882, wo der Letztere das Gesetz der Schwere allen Ernstes damit zu "durchbrechen" glaubte, indem er einen Stuhl umlegte!32 Murisier33 schil­ dert in einer interessanten Studie die Stellung der französischen Literatur zu der religiösen Frage, den vor Alle m von der Naturwissenschaft inspirirten Intellectualismus und Positivismus, der durch Taine und Renan eine allge­ meine Macht geworden ist, aber auch die müden Züge der Skepsis und des Dilettantismus zu tragen beginnt, und die Reaction des Neu-Mysticismus, -

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30 [Wilhelm von Zehender, Friedrich Pilgram] : Nach Vierzig Jahren (1 895) . 3 1 E s handelt sich dabei u m Friedrich Pilgram (1 8 1 9-1 890) , der 1 846 zur katho­ lischen Kirche übergetreten war und das Leben eines Privatgelehrten auf dem Land führte. Vgl. dazu Wilhelm von Zehender: Friedrich Pilgram, ein Conver­ tit im 1 9. Jahrhundert (1 891). Sein Briefpartner war Wilhelm von Zehender (1 8 1 9-1 9 1 6), der das hier besprochene Buch nach dem Tod Pilgrams herausgab. Von Zehender schreibt über sich selbst, er habe "sich der ärztlichen Thätigkeit und dem Studium der hochaufblühenden Naturwissenschaften zugewendet" (S. VII) . Er war seit 1 856 Leibarzt des Erbherzogs Georg von Mecklenburg-Strelitz, seine Studien konzentrierten sich auf die Augenheilkunde. Nach dem Tod des Erbher­ zogs und einer Professur in seiner Heimatstadt Bern nahm er 1 866 einen Ruf an die Universität Rostock als Honorarprofessor an, ab 1 869 war von Zehender or­ dentlicher Professor an der Universitätsklinik. Nachdem seine Pläne, eine eigene Klinik zu gründen, gescheitert waren, legte er die Professur 1 889 nieder und wid­ mete sich der Redaktion der "Klinischen Monatsblätter für Augenheilkunde". 32 Im Buch wird diese Episode allerdings nicht als direkter Erlebnisbericht wiederge­ geben, sondern lediglich als Rekurs auf die gemeinsame Lektüre von Franz Hettin­ ger: Apologie des Christenthums, Band 1 ,2 (1 8652), hierin das 1 3. Kapitel: "Wun­ der und Weissagung" (S. 1 47-1 93; vgl. dazu: Nach Vierzig Jahren, S. 202 und S. 208) . 33 Ernest Murisier: L'intellectualisme, le neo-mysticisme et la vie integrale (1 895) .

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der jene Müdigkeit des Intellectualismus bis zur Selbstverhöhnung und zum Pessimismus treibend, in einem ästhetischen, sentimentalen, aber durchaus innerweltlichen Mysticismus das Heilmittel gefunden zu haben meint. In letzterer Hinsicht unterscheidet er den spielenden, oft im Grunde frivolen, Epicur und den hl. Franz vereinigenden Mysticismus der Romanciers und den von Tolstoi beeinflussten, ernsten und strengen, aber keinen lebendi­ gen Gott und kein ewiges Leben kennenden Quietismus der Menschenliebe. Zum Schlusse weist er auf die allerdings seltenen Anfänge einer gesunden Ausgleichung hin.34 Der Deutsche empfindet hierbei, dass wir trotz aller Analogien doch auf Grund unseres Protestantismus und unserer classischen Philosophie uns in einer erheblich verschiedenen Lage befinden. I A 382

b) Religion und Philosophie.

tRabus, über christi. Philos. (NKZ. 757-783) . Kaftan, Christenthum und die Philos. 26. Leipzig, Hinrichs. M -,50. tBettex, Naturstudium und Chri­ stenthum. 323. Bielefeld, Velhagen. M 4. - t Nathusius, Naturwissenschaft contra Glaube? (KM. 599-61 6) . tSamtleben, Glauben und Wissen (7 Un­ terredungen) . 1 20. Leipzig, Richter. M 2. tFaith and reason. By a man of the world. 62. London, Simpkin. 1 Sh.35 - t Loeek, Versöhnung von Glauben und Wissen in zeitgemässer religiöser Erkenntniss. 96. Berlin, Schuhr. M 1 . tMonrad, Christendommens Mysteries betragtede fra Fornuftens Stand­ punkt. VIII, 1 80. Christiania, Dybwad. Kr. 3. tMe. Chryne, Christianity and the experimental method (prRR. 201-223) . tLevan, modern forske­ ning och kristen tro. 89. Lund, Collin. Kr. 1 . Titius, Evangelium d. Natur u. Evangelium d. Geschichte (ChrW 434--440). t Waee, Christianity and Agnosticism: Reviews of some recent attacks on the Christian faith. 366. London, Blackwood. 10 sh. 6 d. - t Lueas, Agnosticism and religion, being -

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an examination of Spencers religion of the unknowable preceded by an hi­ story of agnosticism. III, 1 36. Baltimore, Murphy. $ 1 ,25. tMosso, Mate­ rialismo e misticismo. (Nuova Antologia. 439-455.) - t Hopps, Pessimism, Science and God. 72. London, Williams. 1 sh. - Brunetiere, la science et la re-

34 "Au dela de la physique, il reste en effet un objet a la speculation philosophique. Tandis que le savant etudie l'univers, le metaphysicien etudie le savant, ou plutot l'esprit qui pense la nature; i1 cherche a definir la loi selon laquelle un amas de faits se transfigure en un systeme d'idees; des lors, tout change d'aspect, tout se spiritualise. La science du monde elle-meme se ramene a une science de l'esprit, et l'homme, abaisse par la connaissance objective au niveau de la brute, recouvre par la reflexion sa grandeur morale et sa dignite d'etre pensant." (Murisier, S. 226) . 35 [Anonym] : The faith of reason (1 895) .

1.

Religionsphilosophie

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ligion. Reponse a quelques objections. 1 3 eme mille. 1 06. (Aus: RdM. 1 895. Une visite au Vatican) . Paris, Firmin Didot. fr. -,75. - t Peladan, la science, la religion et la conscience, reponse a Mm. Berthelot, Brunetiere, Poincare, Perrier, Brisson, de Rosny et de Sarrachaga. 1 0 1 . Paris, Channel. - t Pillon, a propos de la banqueroute de la science (RThQR. 444-448). - tMalverl, science et religion. 1 56. Paris. M 2,50. - Bonet-Maury, France and Roman Katholicisme (Nw. 5 1 6-528). Der Vortrag Kaftan's36 entwickelt die aus seinen grösseren Werken bekannte Position, wonach alle Wissenschaft nur die phänomenale Er­ fahrungswelt zum Zweck der Unterwerfung unter die Herrschaft der Menschen zu bearbeiten, auf alle Aufsuchung einer metaphysischen Einheit dieser Welt mit dem sie bearbeitenden und beherrschenden Geiste zu verzichten und ihren Einheitspunkt lediglich in ihrer Beziehung auf einen absoluten praktischen Endzweck der Menschen zu suchen hat. Diese Endzwecke liegen überhaupt nicht in der Sphäre der theoretischen Vernunft, sondern in der der praktischen, der Moral und Religion, und da im Christenthum der christliche Gottesglaube und die christliche Moral durch göttliche Offenbarung als absolutes summum bonum erwiesen sind, so tritt dieses höchste Gut der Offenbarung einfach als absoluter Beziehungspunkt in die Data der Wissenschaft ein. Wenn Philosophie die einheitliche Beziehung der von der Wissenschaft bearbeiteten Welt auf ein praktisches höchstes Gut ist, dann ist also das Christenthum die offenbarte Philosophie, die wahre Philosophie. Dieser Standpunkt wird in dem vorliegenden Vortrag in der Weise durchgeführt, dass eine Skizze von der Entwickelungsgeschichte der Philosophie gegeben wird, wobei als deren durch die Reformation und Kant herbeigeführtes Endziel eben jene Beschränkung der Wissenschaft auf die phänomenale Erfahrung und die weitere Beschränkung der Philosophie auf die Verknüpfung jener Data mit einem Begriff des höchsten Zweckes dargestellt wird. Die Hauptfrage ist aber nicht diese etwas gezwungene Geschichts I construction, sondern dasjenige, worauf K am Schlusse kommt.37 Die Eigenthümlichkeit der Philosophie und Wissenschaft ist es nämlich unter allen Umständen jedes 36 Julius Kaftan: Das Christentum und die Philosophie (1 895), die 4. Auflage wird besprochen in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principi­ enlehre (1 897) , unten, S. 237. Kaftan hielt den Vortrag in einer apologetischen Vortragsreihe der Berliner Abteilung des Evangelischen Bundes; vgl. dazu Erich Foerster: Drei apologetische Vorträge (1 896) . 37 Zu den folgenden religionsphilosophischen Ausführungen Troeltschs vgl. Kaftan, S. 1 9-26.

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unmittelbar sich gebende Besondere durch Verknüpfung mit Anderem und durch Zurück führung auf ein Allgemeineres zu verstehen. Auch die von K beschriebene Philosophie würde doch ihren Begriff des höchsten Gutes aus einem allgemeinen Gesetz des Geistes zu entnehmen und alle einzelnen Formen solcher Güter durch Einreihung in dieses Gesetz zu begreifen haben, wie denn auch Kant das höchste Gut einem Gesetz der praktischen Vernunft entnahm und von diesem allgemeinen Gesetze aus die einzelne Religion zu begreifen und zu kritisiren unternahm. Im Gegensatz hierzu berufen sich aber alle positiven Religionen auf besondere einzelne Facta oder Offenbarungen und widerstreben auf das Aeusserste einer solchen Reduction, die sie um den Vorzug einer von aller anderen Wahrheit verschiedenen Begründung bringen oder doch jedenfalls ihre beanspruchte absolute Besonderheit zu einer bloss relativen machen würde. Hierin ist der ewige, niemals aufzuhebende Antagonismus von Religion und Philosophie überhaupt und insbesondere von Philosophie und Chri­ stenthum begründet. Diesen Antagonismus erkennt K auch vollkommen an und nimmt in ihm Stellung gegen die Philosophie. Die Philosophie, auch wo sie sich auf die Idee eines absoluten Gutes beschränkt und nur die Wirklichkeit diesem Zweck unterordnet, bleibt immer "menschliche Meinung, schwankende Hypothese", während das Christenthum "göttliche O ffenbarung, göttliche Gewissheit" ist.38 Darauf kommt es an. Dann aber ist die Hauptaufgabe zu beweisen, dass das Christenthum in der That absolute göttliche Offenbarung ist im Gegensatz zu allem menschlichen Denken. Ist das bewiesen, dann ist das Verhältniss zur Philosophie über­ haupt kein sehr sorgenvolles. Der aufgestellte Begriff von der Philosophie hat daher auch im Ganzen keine andere Function, als durch Abscheidung der Wissenschaft von der Philosophie, durch Beschränkung derselben auf Bearbeitung phänomenaler Erfahrung und Ausschluss jeder das Verhältniss von Geist und Natur aufldärenden Metaphysik die christlichen Lehren von den Schmerzen der Naturwissenschaft und Metaphysik zu befreien, denen sie aber an und für sich schon durch ihre göttliche Offenbartheit 38 "Die Philosophie behält immer etwas von dem freien beweglichen Charakter der Wissenschaft. [...] Freilich, eben damit ist gegeben, was ihre Schwäche ist, daß sie etwas Hypothetisches behält, niemals den Charakter einer menschlichen Meinung verliert und niemals zur vollen Gewißheit führt. Mit dem Glauben verhält es sich umgekehrt. Er wächst an Kraft durch die innere Gebundenheit, er wird zur inne­ ren Gewißheit durch den Gehorsam und die freie Unterwerfung unter Gottes Of­ fenbarung. [...] das Christentum ist selbst Philosophie, nämlich die wahre Philoso­ phie, weil göttliche Gewißheit, auf Gottes Offenbarung gegründet und des ewi­ gen Lebens versichernd." (Kaftan, S. 25 f.) .

I.

Religionsphilosophie

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im Grunde entrückt ist. Aber allerdings wird es leichter, an die göttliche Uebernatürlichkeit der Offenbarung zu glauben, wenn keine solche Wider­ stände in Naturwissenschaft und Metaphysik vorhanden sind. In sofern, als sie diese wegräumt, kann man sich die Mithülfe der Philosophie immerhin gefallen lassen, und hat man jedenfalls ein Interesse an der Gestaltung der Philosophie in der angegebenen Richtung. Dass die Sache so steht, kommt in dem Schriftchen nicht deutlich genug zum Ausdruck. - Sehr interessant und für die Lage charakteristisch ist die Schrift von Brunetierel9, dem bekannten Pariser Literateur und Schönredner, zugleich Herausgeber der RdM.4o Der Vorwurf des Bankerotts41 bezieht sich nicht auf I die einzelnen wissenschaftlichen Disciplinen, sondern auf die Grundlegungen einer wissenschaftlichen Weltanschauung und Moral ohne Gott, wie sie vom vorigen Jhrh. her in Frankreich noch fortleben, von Comte, Taine und Renan zu einem Programm wissenschaftlicher Lebensgestaltung im Gegensatz zum theologischen und metaphysischen Zeitalter erweitert worden sind und in den officiellen Kreisen der dritten Republik herrschen. Seit diese Ideen aber herrschend geworden sind, hat sich der auf Selbstständigkeit und Neuheit ausgehende Theil der Schriftstellerwelt wieder einer coquettirenden, halb skeptischen, halb mystischen, immer aber durchaus katholischen Frömmigkeit zugewendet, wobei auch politische Motive und ganz zuletzt wohl auch wirklich die zerstörenden Folgen jener angeblichen, rein wissenschaftlichen Cultur mitgewirkt haben. In diese Classe gehört die Schrift Br.'s, die aus einem Besuche des Vf.s beim Papst entsprungen ist42, ausserordentliches Aufsehen erregt hat und von den Vertretern der officiellen atheistischen Cultur in Reden und Banketten bekämpft worden 39 Ferdinand Brunetiere: La Science et Ja Religion (1 895) . 40 Ferdinand Brunetiere (1 849-1 906) war französischer Literaturkritiker und Publi­ zist, 1 894 übernahm er die Herausgeberschaft der "Revue des deux mondes". 41 Im Vorwort schreibt Brunetiere: "A Ja verite il y etait question, sinon de Ja ,banque­ route', en tout cas de ,faillites' que Ja Science a faites a quelques-unes au moins des ses promesses; mais je n'etais pas Je premier qui se servit du mot, et dix autres avant moi l'avaient publiquement prononce." (S. V f.) Etwas später führt er aus, was er unter dem Vorwurf des Bankrotts versteht: "En fait, les sciences physiques ou naturelles nous avaient promis de supprimer ,le mystere'. Or, non seulement elles ne l'ont pas supprime, mais nous voyons clairement aujourd'hui qu'elles ne l'eclairciront jamais." (S. 1 8 f.) . 4 2 Brunetiere berichtet auf S . 1 von seinem Besuch beim Papst: " Le 2 7 novembre de l'annee qui vient de linir, j'ai eu l'honneur d'etre re KGA 1 . 277 F. Mentor: Geläuterte Religion oder Vom Erzwungenen zum Ersehnten (1 896) .

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Wunderschwindels278 und adurch den Anblick der Dogmenbildung auf dem Vaticanum zum Kritiker am dogmatischen Christenthum geworden ist"279 und ein den Glauben freilassendes, lediglich die Liebe predigendes Christen­ thum fordert.28o Eine hierauf zielende Reform müsse von Vereinen in die Hand genommen werden, die nach Analogie der politischen Parteien gebil­ det sind, wenn nicht das Volk völlig in rohem Unglauben versinken SOll.281 - Auf ähnlichem Standpunct steht der Vf. des Johannes282, der das Christen­ thum als undogmatische Religion der Liebe dem officiellen Christenthum der herrschenden und es nur zu Fesselung der unteren Stände benützenden Gesellschaft gegenüberstellt. Er scheint sich dabei an das Vorbild von La­ mennais anzuschliessen. Das Ganze ist eingekleidet in die Fiction, dass der Jünger der ewigen Liebe, der nicht stirbt, eine Wanderung durch die moder­ ne Gesellschaft vornimmt, die ihm gegen Priester, Dogmen, Staat, Militär, Capital u. s. w. das Zeugniss der Liebe abzulegen Gelegenheit giebt. Zum Schluss begegnet er dem Ahasver und verheisst ihm das goldene Zeitalter der reinen Liebesreligion. - Kiparski283, dessen Schrift in früheren Auflagen a-a

A: durch den Anblick der Dogmenbildung auf dem Vaticanum am dogmatischen Christenthum geworden ist

278 Vgl. das Kapitel "Marpingen" (S. 1 6-19) ; hier erzählt Mentor von dem Marien­ wallfahrtsort Marpingen, in dem 1 867 angeblich die Mutter Gottes erschienen war und seitdem Heilwasser verkauft wurde. In dem Kapitel "Der Heilige Rock" (S. 20-22) berichtet Mentor von der Ausstellung des sogenannten heiligen, unge­ nähten Rocks Christi im Trierer Dom 1 844. Durch amtskirchliche Organisation unter Bischof Wilhe1m Arnoldi (1798-1 864) kamen in kürzester Zeit ungefähr 500 000 Pilger nach Trier. 279 Mentor bezeichnet sich selbst als "Freidenker" innerhalb der Kirche, vgl. dazu S. 41 . 280 "Wie gern würden Tausende, die jetzt der Kirche den Rücken kehren, sich wieder zu ihr wenden, wenn man dem armen Menschenherzen nicht immer und immer wieder predigte: Das und das mußt du glauben! [ ...] Was bleibt denn aber von der Religion, wenn man den Glauben, wenn nicht streicht, so doch freigiebt? Antwort: Man setze an Stelle des Glaubens endgültig die Liebe! - die Liebe ist die größeste unter ihnen!" (Mentor, S. 27) . 281 "Ueber unser ganzes Vaterland ist ein Netz von politischen Wahlvereinen ausge­ breitet, mit leitenden Centralstellen, Provinz- und Kreisvorständen. Diese Organi­ sation sollteftir die Zwecke der Zu erstrebenden Religionsreform als Muster dienen!" (Mentor, S. 50) . 282 Justus Heinrich: Johannes (1 895) . 283 W Kiparski: Kritische Gedanken zur Untersuchung der Hauptpunkte der christli­ chen Religionslehre (1 8963) .

5. Principielle Theologie.

293

confiscirt worden ist284, bekennt sich zu einem vernünftigen Glauben an Gott, der vom Pantheismus und Materialismus verkannt werde, dessen Wil­ le Moral und Freiheit sei, dessen wirkliches Wesen aber unerkennbar sei. Jedenfalls könne er nicht im Sinne der Kirchenlehre und der angeblichen Offenbarungen im A. T. und N. T. verstanden werden, wie eine an Vol­ taire und Reimarus erinnernde Kritik ausführlich nachweist.28S Die Schrift ist, wie seiner I Zeit die von Egidy286, ein beachtenswerthes Zeichen für die Art, wie das kirchliche Christenthum auf kritische, aber nicht eigentlich wis­ senschaftlich, jedenfalls nicht religionswissenschaftlich, gebildete Leute zu wirken pflegt.

5. Principielle Theologie. a. Wesen der Dogmatik.

P. Lobstein, Essai d'une introduction a la dogmatique protestante. 250. Pa­ ris, Fischbacher. Dass. (RThPh. III, 1 93-249) . IV. (ebda. IV, 297-363) . E. Schneider, Kernfragen des Christentums. Zwiegespräch. VI, 232. Gött., Ruprecht. M 3,20 . - H. H. Wendt, Erfahrungsbeweis f. d. Wahrheit d. Chr. 40. Göttingen, Ruprecht. M -,80. - t Ringier, über Glauben und Wissen. Ori­ -

entirung in den wichtigsten Fragen der Dogmatik. IX, 276. Bern, Wyss. M 4. 284 Tatsächlich ist nur die zweite Auflage konfisziert worden. Zur ersten Auflage vgl. das Vorwort zur zweiten Auflage: "Die erste Auflage dieser Arbeit, gedruckt bei B. G. Teubner in Dresden, ist dem gros sen Publikum nicht zugänglich gemacht worden, sondern hatte den Zweck, einzelnen kompetenten Persönlichkeiten zur Beurtheilung zugestellt zu werden." (Kiparski, S. 1) Das Vorwort zur dritten Auf­ lage gibt Aufschluß über die Konfiszierung: "Die 2. in Deutschland erschienene Auflage dieser Arbeit wurde von der Staatsanwaltschaft confiscirt und der Verle­ ger criminalrechtlich zur Verantwortung gezogen, ,wegen Schmähung des christli­ chen Glaubens'. Nie ist eine solche von mir beabsichtigt worden, ich habe nur das Kind beim richtigen Namen genannt. So sei denn in dem einzigen Lande, dem unser Continent einen Freibrief für freisinnige Bestrebungen gegeben, die kleine Schrift noch einmal veröffentlicht." (S. 1) Die dritte Auflage erschien folglich in der Schweiz bei Cäsar Schmidt in Zürich. 285 Vgl. zum Alten Testament folgende Kapitel: "II. Die biblische Schöpfungslegen­ de" (S. 1 1-21 ) und "III. Die hervorragendsten Episoden des alten Testaments" (S. 21-39) . Zum Neuen Testament vgl. "IV Jesus Christus" (S. 39-55), "V Die Dreieinigkeit" (S. 56-64), "VI. Die Auferstehung" (S. 65-83) und "VII. Die Aus­ giessung des Heiligen Geistes, die Sacramente und das christliche Bekenntniss" (S. 83-1 00) . 286 (Moritz von Egidy] : Ernste Gedanken (1 890). Vgl. dazu oben, Anm. 23 1 , S. 1 46.

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- 0. Kirn, Ausgangspunct u. Ziel der evang. Dogmatik. 21 . Leipzig, Dörff­ ling. M -,SO. - tBiddle, the new theology (BS. jan. 96-1 07) . - tBeach, the reconstruction of theology (BS. jan. 1 08-1 40) . - WarfteId, the idea of syste­ matic theology (pRR. 243-27 1). - Dm., the right of systematic theology (ebda. 412-458) . - P J Dürselen, über eine Darstellung des ehr. Glaubens v. Gnadenstande aus (StKr. III. 563-582) . - Emery, a propos d'une dog­ matique (Bovon) (RThPh. 447-479, 550-577). - Minton, the place of rea­ son in theology (prRR. Jan. 84-97) . R. A. Armstrong and others, Creed or Conscience? Tracts for the times. scd series. 200. London, Green. 2 sh. A. Ho/Jmann, "Gesetz" als theolog. Begriff (ZThK. III, 278-298). - t Carr, Greek elements in modern religious thought (BS. Jan. 1 1 7-1 32) . -J Kaftan, Verhältniss des evang. Glaubens zur Logoslehre (aus ZThK. 1-27) . 27. Frei­ burg, Mohr. M -,SO. - P Lobstein, altkirchliche Christologie U. evang. Heils­ glaube (Heft Z . ChW. 24) . Leipzig, Grunow. M -,40. - M. Schulze, Religion Jesu U. d. Glaube an Chr. V, 77. Halle, Krause. M 1 ,20. - W Herrmann. Ver­ kehr der Christen mit Gott, im Anschluss an Luther dargestellt. 3. A. VIII, 296. Stuttgart, Cotta. M 4,50. M Kähler, der sogenannte histor. Christus U . der geschichtlich-biblische Christus. 2. Auft. XII, 206. Leipzig, Deichert. M 3,25. E. Dr. Im Geist U . Wahrheit, Gedanken üb. innerliches Christen­ thum. 1 50. Gütersloh, Bertelsmann. M 1 ,50.287 - H Plitt, das Leben ist das Licht. Theologische Bekenntnisse eines Schriftgläubigen. VIII, 440. ebda. M 6. - tAo Bonus, deutscher Glaube. VIII, 234. Heilbronn, Salzer. M 2,80. - R. Wimmer, Liebe U . Wahrheit, Betrachtungen üb. einige Fragen d. relig. U . sittl. Lebens. IV, 1 39. Freiburg, Mohr. M 1 ,45. -

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b. Richtungen.

A. Harnack, zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus (ChW. 1 0391 046) . - E. Sachsse, Fortschritte Abwege d. gegenwärtigen Theologie (Hh. I, 1-20) . - K v. ZezschwitiJ der erhöhte Christus, ein Zeugniss gegen die moderne Theologie. 40. Braunschweig, Reuter. M -,60. - t G. Nagel, zur U.

kirchlichen Krisis. Betrachtung über das vierte Weltalter U . die Kirchen. 48. Witten, Buchh. d. Stadtmission. M -,40. - S. Goebel, das "Christenthum Christi" U. das kirchl. Christenthum. 40. Gütersloh, Bertelsmann. M -,SO. P Luther, das moderne Christenthum. 36. Leipzig, Deichert. M -,60. G. Hafner, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen U. die Todten. Zur Auseinandersetzung mit der modernen Theologie. 2. Auft. 31 . Düsseldorf, Schaffnit. M -,25. - t Naville, le traditionalisme (Chret. ev. I, 1 6-28) . A Röhricht, über theolog. Methode. 26. Hamburg, Ag. d. rauhen

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287 E [duard] D [emme] r: In Geist und Wahrheit (1 896) .

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5. Principielle Theologie.

Hauses. M -,50. - tBuchrucker, Freiheit der Wissenschaft (NkZ. I, 1-1 5). ­ t Cfr. Schwa% das Evangelium. Monatshefte z. Wiederherstellung d. Lehre I Jesu. 2. Jahrg. April 1 896 bis März 1 897. Dresden, Jacobi i. V. a M -,30. - tCroenenwegen, de wetenschap en het vrijzinnig protestantism (Gids I, 40-6 1). - Brown, Religious movements in England (Nw. Dec. 61 5-34) . - J Hunt, Religious thought in England in the 1 9. cent. 424. London, Gibbings. 1 0 sh. 6 d. - tJesopp, Church defence or church reform? (Ne. Jan. 1 32-1 49) . - tRagry, la crise religieuse en Angleterre. Paris. M 2,50. - tPaine, New England Trinitarianisme (Nw. Juni 272-395). - t Bonnet-Maury, Liberal protestantism in France (Chrit. Litt. Juni 1 22-1 30). - tPortalii, la crise du protestantisme frans:ais (Etudes relig. Aug. 598-61 1). M Loren:v Religion u. Socialdemokratie (aus ChrW.). 48. Berlin, Ver!. d. Zeit. M -,50. -

Lobsteinz.s8 hat seinen bereits JB. XV, 41 6 besprochenen Aufsätzen zwei weitere folgen lassen und zugleich das Ganze selbstständig veröffent­ licht, wobei man nur bedauern kann, dass das Buch nicht gleichzeitig deutsch - etwa mit Zurückdrängung der Beziehungen auf die französische Literatur - veröffentlicht worden ist. Es würde sich zu einem Buche für Studenten vortrefflich eignen. Der Darstellung der Forderungen, die aus dem mit dem modernen Religionsbegriff übereinstimmenden evangelischen Glaubensbegriff entspringen, folgt jetzt der eingehende Nachweis der Methode,289 durch welche aus dem Grunddatum, dem in der Person Jesu gegebenen, in der Geschichte sich entfaltenden und innerlich beglaubigenden Evangelium, die dogmatischen Sätze gewonnen werden. Es ist eine vollständige und auf die Höhenlage der gegenwärtigen theologischen Arbeiten gebrachte Wiederaufnahme der berühmten Un­ tersuchung Schleiermachers über die Gewinnung und Verknüpfung der dogmatischen Sätze290, wie diese, beruhend auf einer mit dem grundlegen­ den Religionsbegriff zusammenhängenden Theorie von der Bildung der 288 Paul Lobstein: Essai d'une introduction a la dogmatique protestante (1 895/96) . In Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 896), oben, S. 1 47 f., wurden bereits die ersten fünf Kapitel des Aufsatzes besprochen, in ders.: Religionsphilosophie und principieUe Theologie (1 898), unten, S. 484, wird die deutsche Fassung, Einleitung in die evangelische Dogmatik (1 897), kurz er­ wähnt. 289 Vgl. Lobstein, 6. Kapitel: "La methode de la dogmatique protestante", S. 1 20--1 76, Aufsatz (1 896): S. 1 93-249. 290 Gemeint ist: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargesteUt (1 821/221 , 1 980; 1 830/3 J 2, 2003) . Lobstein verweist darauf im Vorwort: ,,[...] l'accord est loin d'exister de nos jours sur la maniere de concevoir et de traiter

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religiösen Vorstellung und, wie diese, die Methode der Verknüpfung aus dem Wesen des Glaubens selbst gewinnend. Dabei trägt nur der Religions­ und Glaubensbegriff statt der mystischen Färbung Schleiermachers eine ethische im Sinne der Ritschl'schen Schule und wird die religiöse Vorstel­ lungsbildung nicht als ein jedesmal neu entstehender Ausdruck für die subjectiven inneren Erfahrungen, sondern als Fortsetzung und Umbildung der erstmaligen Vorstellungsbildung angesehen, in der das Evangelium bei seinem Eintritt sich für alle Späteren maassgebend zusammengefasst und als Autorität sich den Glaubenden dargeboten hat. Doch ist auch bei dieser Fassung das Evangelium ein zwar immer an die Person Jesu gebundenes, von ihr geschaffenes und verbürgtes, jedoch erst in der geschichtlichen Entwicklung sich entfaltendes und aus ihr zu beleuchtendes Princip. Von hieraus ergiebt sich von selbst die Methode, dass der Gehalt des Evangeliums nur auf Grund historisch-psychologischen Verständnisses der Offenbarungsgeschichte alten und neuen Testamentes, der Kirchen­ und Dogmengeschichte, der Symbolik und der Geschichte der Theologie gewonnen werden kann, indem erst so der sittlich-religiöse Gehalt des Evangeliums einheitlich verstanden und das zuzugestehende Maass der Variabilität im Vorstellungsausdruck festgestellt werden kann. So erhellt das Wesen des christlichen Princips und mit ihm die Norm I für jeden Vorstellungsausdruck, der möglichst genau diesen rein religiösen Gehalt ausdrücken muss, oder die Norm für Auffassung und Behandlung der biblischen Vorstellungswelt. Daran schliesst sich naturgemäss die Lehre von der organischen Verknüpfung dieser Vorstellungen zum System,291 wo L. Schleiermacher's spätere Selbstkritik benutzend aus dem zu Grunde gelegten Glaubensbegriff die Forderung einer "christocentrischen" Metho­ de292 erhebt, in geistvoller Skizze durchführt und gegen Einwendungen vertheidigt. Da es nur gilt, den Inhalt des in der Person Jesu uns gebotenen ce que I'on appelle generalement les prolegomenes a la dogmatique protestan­ te. Schleiermacher mit a la base de son chef-d'reuvre dialectique et religieux plu­ sie urs theses d'emprunt tirees de la morale, de la philosophie de la religion et de I'apologetique", S. 3, Aufsatz (1 895) : S. 297. Hierauf folgt eine Anmerkung mit Verweis auf Schleiermachers Buch. 291 Vgl. hierzu das 7. Kapitel: "L'organisme de la dogmatique protestante", S. 1 77-243, Aufsatz (1 896) : S. 297-363. 292 Vgl. dazu Lobstein, S. 1 86 f., Aufsatz (1 896) : S. 306 f.: "S'ils [die in der Nachfolge Schleiermachers stehenden Theologen] suivent des routes fort souvent differen­ tes, ils se rencontrent sur un point capital: ils n'en appellent pas a de pretendues donnees primordiales de la religion naturelle, ils n'essayent pas d'edifier la dogma­ tique protestante sur un fondement pris en dehors du christianisme, ils font repo­ ser d'aplomb leur construction theologique sur une base fournie par la reveIation

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Evangeliums analytisch zu entwickeln, so ist aus dem Erlösungswerke Jesu selbst die ganze Fülle der in ihm eingeschlossenen theologischen und an­ thropologischen Voraussetzungen sowie der ethischen, praktisch-religiösen und eschatologischen Folgerungen zu entwickeln. Zum Schluss wird die Aufgabe noch betont, den so explicirten, in Wesen und Entstehung selbst­ ständigen, aber auf Verbindung mit dem übrigen Erkennen angewiesenen religiös-sittlichen Glauben mit dem übrigen Wissen zu einer Gesammtwelt­ anschauung zu verknüpfen.293 Zu bemerken ist hierzu nur, dass einmal, gerade wie bei Schleiermacher, die Entfernung von der kirchlichen Dogma­ tik doch bedeutend grösser ist, als es bei der beständigen Berufung auf die Reformatoren und die Continuität der theologischen Probleme erscheint. Die neue Theorie von der religiösen Vorstellung, durch die sie zu einem sehr wandelbaren Ausdruck religiöser Erfahrungsgehalte wird, ist eben weit entfernt von dem alten Glauben an göttliche gegebene und garantirte Lehrwahrheiten, die ihren Vorzug gerade in ihrer Unwandelbarkeit haben. Ferner ist die Einwirkung der modernen Philosophie auf diese Theorie der Dogmatik ebenfalls erheblich grösser als bei der beständigen Erklärung ihrer Selbstständigkeit gegen jede Philosophie scheinen kann. Der ganze Rückgang auf eine derartige Theorie der religiösen Vorstellung ist doch vor allem veranlasst durch die Einsicht in die wissenschaftliche Unhaltbarkeit der alten Lehrsätze in ihrer gegebenen Form und aus der Nothwendigkeit, das eigentlich Religiöse unter und hinter ihnen zu finden, wenn es nicht mit ihnen selbst hinfallig werden soll, und die Rücksicht auf die von der Profanwissenschaft festgestellten Thatsachen wirkt doch immer als stiller Coefficient in der Formung der religiösen Vorstellung mit. Weil für die Reformatoren derartige Nöthigungen nicht vorlagen, hat bei ihnen ihre "rein religiöse" Auffassung auch nicht zu solchen Wirkungen geführt. Schliesslich ist in einer Hinsicht Schleiermacher consequenter gewesen. Indem er die Anlehnung der Dogmatik an die allgemein gültigen Sätze einer rationalen Metaphysik sowohl als an die allgemein-kosmische Theorie vom Gegensatze des Natürlichen und Uebernatürlichen aufgab, hat doch auch er die Anlehnung an einen anderen Allgemeinbegriff gesucht, der als solcher für eine wissenschaftliche Behandlung des Besonderen nicht zu entbehren ist, nämlich an die Thatsache und den Begriff der Religion im Allgemeinen, von wo aus er durch den Entwicklungsbegriff das Besondere de Dieu en Jesus-Christ. [... ] On a designe la tentative commune a tous ces theolo­ giens d'un nom qui a lui seul est un programme: leur theologie aspire a etre christo­ centrique." Eine Ausarbeitung dieser Methode findet sich im nachfolgenden 2. Un­ terkapitel "Essai d'une solution positive", S. 1 89-228, Aufsatz (1 896): S. 309-348. 293 Vgl. Lobstein, S. 236-243, Aufsatz (1 896): S. 356-363.

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des Christenthums feststellte I und in seiner Abstufung gegen die übrige Frömmigkeit zu fixiren suchte. Dieses aus der ganzen Methode folgende Hauptproblern ist von L. S. 1 72 f und 332294 nur lose gestreift, und die für die dogmatische Methode wesentliche Frage nach der Stellung des Christenthums zur Gesammtentwicklung ist mehr verhüllt als gestellt. Wie richtig aber doch gewisse durchgehende Tendenzen der deutschen (und französischen) Theologie von L. hiermit dargestellt sind, zeigt die Mehrzahl principieller Betrachtungen über die Dogmatik. Gerade die in ih­ nen hervortretende gesteigerte Wichtigkeit von historisch-psychologischen Untersuchungen über die Predigt Jesu, ist nichts anderes als eine Folge dieser Methode, wobei die Verschiedenheiten der einzelnen Arbeiten sich gerade auf den von L. dunkel gelassenen Punct beziehen, indem sie Person und Predigt Jesu auf diesem Wege historisch-psychologischer Analyse bald mehr im Sinne des kirchlichen Supranaturalismus, bald mehr in Absehung von ihm zu construiren und damit von hier aus über den principiellen Charakter der Dogmatik zu entscheiden suchen. Lobstein selbst hat die Durchführung seiner Principien an der Christologie in einem edel und klar geschriebenen Heft zur ChW. für weitere Kreise illustrirt,295 j Kaftan296 seinen in Eisenach gehaltenen und dann in der Presse angegriffenen Vortrag297 dem gleichen Gegenstand gewidmet, indem er eine rein religiöse, von der naturalistisch-pantheistischen Logoslehre absehende Christologie fordert, die aber in Christus doch zugleich die absolute, übernatürliche 294 Troeltschs Seitenangaben sind irreführend. Die Angabe 1 72 f. kann sich nur auf die Buchfassung, die Seitenzahl 332 nur auf die Aufsatzreihe beziehen. Auf S. 1 73 schreibt Lobstein, daß die Religionsphilosophie in bezug auf das Christentum ,,[...] substitue le point de vue causal au point de vue teleologique; elle [die Religions­ philosophie] ne formule pas sur le christianisme un jugement de valeur pratique". Dies, so folgert Lobstein auf S. 1 74, sei jedoch nicht die Perspektive, die ein Dog­ matiker einnehmen könne. Auf S. 332 des Aufsatzes dagegen lassen sich keine Hinweise auf das von Troeltsch erwähnte Problem finden. 295 Paul Lobstein: Die altkirchliche Christologie und der evangelische Heilsglaube (1 896) . 296 Julius Kaftan: Das Verhältniß des evangelischen Glaubens zur Logoslehre (1 897) . 297 Der Vortrag wurde von Kaftan am 5. Oktober 1 896 anläßlich der 5. Versammlung der "Freunde der Christlichen Welt" gehalten und im Anschluß gedruckt. In einer Vorbemerkung schreibt Kaftan dazu: "Da mein Vortrag auf Grund ungenauer Zeitungs berichte angefochten worden ist, lasse ich ihn wörtlich so abdrucken, wie er gehalten wurde. Man wird dann sehen, daß er ungefähr das Gegentheil von dem enthält, was die Gegner ihn besagen lassen." Vgl. dazu auch [Martin] R[ade] : Die Freunde der Christlichen Welt in Eisenach (1 896) und [Anonym] : Die (fünfte) Versammlung von Freunden der Christlichen Welt (1 896) .

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Gottesoffenbarung anerkennt. HerrmannJ298 Meisterwerk, das die Prin­ cipien der Christologie als Grundlage der Dogmatik entwickelt, liegt in dritter Auflage vor, Kähler's299 methodisch in ähnlicher Richtung sich bewegende, aber inhaltlich streng kirchlich-supranaturalistisch orientirte Abhandlung über den wirklichen geschichtlichen Christus in zweiter, stark erweiterter Auflage. (Vgl. Reischle ZThK. 1 897 Streit über die Begründung des Glaubens auf den geschichtlichen Christus31Kl) . Ein Schüler Kähler's, Martin Schulze}()1, hat, frühere antisupranaturalistische Auffassungen der Person Jesu und der von ihm zeugenden Schrift ausdrücklich aufgebend,302 in einer lesenswerthen und für die tieferen Motive einer solchen Stellung charakteristischen Schrift die christocentrische Methode ebenfalls einer streng supranaturalistischen Correctur für bedürftig erklärt, indem er auf den thatsächlichen übermenschlichen Anspruch Jesu, seine Wunder, seine Schätzung in der ältesten Gemeinde und auf das von ihm ausgehende Wunder der inneren Glaubenserfahrung verweist. Alle dem sei eine nach den Analogieen der gewöhnlichen Geschichtsforschung verfahrende Be­ handlung und Analyse der Person Jesu nicht gewachsen und so seien auch 298 Wilhe1m Herrmann: Der Verkehr des Christen mit Gott im Anschluss an Luther dargestellt (1 886 1 , 1 8963) . 299 Martin Kähler: Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus (1 892, 1 8962) . 300 Max Reischle: Der Streit über die Begründung des Glaubens auf den "geschicht­ lichen" Jesus Christus (1 897) . Reischle verweist hier in einer Anmerkung darauf, daß sein Aufsatz die stark erweiterte Fassung eines Vortrags sei, den er am 6. Mai 1 896 im wissenschaftlichen Predigerverein in Hannover gehalten habe, und des­ sen Neufassung nicht zuletzt aufgrund der neu erschienenen zweiten Auflage von Kählers Buch notwendig geworden sei. Der Aufsatz von Reischle wird bespro­ chen in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 898), unten, S. 457-460. 301 Martin Schulze: Die Religion Jesu und der Glaube an Christus (1 897) . Das Buch wird auch im "Theologischen Jahresbericht" des folgenden Jahres besprochen; vgl. Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 898), unten, S. 46 1 f. 302 Vgl. das Vorwort Schulzes: "Wer meine beiden Vorlesungen über die Bedeutung der heiligen Schrift gelesen hat, wird überrascht sein, mich in der folgenden Ar­ beit auf entgegengesetzter Seite zu finden, zumal wenn er nicht weiss, dass ich von lVibier ausgegangen und jetzt nur zu ihm zurückgekehrt bin. Wissenschaftli­ che Einsichten und persönliche Erfahrungen haben dabei zusammengewirkt. Ich habe hier keine Selbstbekenntnisse abzulegen. Ich muss es dem verehrten Leser überlassen, sich aus meinen Ausführungen ein Urteil über die Stichhaltigkeit mei­ ner Beweggründe zu bilden." (0. Pag.) Schulze bezieht sich hier auf sein Buch "Zur Frage nach der Bedeutung der Heiligen Schrift" (1 894) .

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die mit jener historischen Anschauung zusammenhängenden Auffassungen der Dogmatik gerichtet.303 - Der vor der Thüringer Conferenz gehaltene Vortrag Wendtj-304, der die principielle Frage nach dem Wahrheitsbeweis des Christenthums in der Weise Herrmanns und Lobsteins durch den Hinweis auf die an der Person Jesu zu machende sittliche Freiheitserfahrung beantwortet, steuert I die Dogmatik in die gleiche Richtung. Nur erscheint hier in relativem, ausdrücklich ausgesprochenen Gegensatz gegen Herrmann die christocentrische Methode nicht mit der strengen Isolirung der Person Jesu als des alleinigen Gegenstandes, Beweises und Ausgangs­ punctes von Glaube und Glaubenslehre, sondern ähnlich wie bei Lobstein mit der Erweiterung der Person Jesu zum Träger eines immer an ihn gebundenen und von ihm verbürgten, aber zunächst durch seinen eigenen ethisch-religiösen Inhalt wirkenden Princips. Die von ihm ausgehende und in seiner Aneignung erfahrene Verleihung sittlicher Freiheit gegen die sonst herrschende Naturgebundenheit ist der Erfahrungsbeweis des Christenthums, der an ähnliche Erfahrungen ausserhalb des Christenthums anknüpfen und von ihnen zur vollen Freiheitserfahrung im Christenthum führen kann. - Die Leipziger Antrittsrede J(jrnj-3°5 geht davon aus, dass der zerfahrene Zustand der Dogmatik von der Störung ihres Verhältnisses zu den Profanwissenschaften herstamme und dass hieraus sich als Ge­ sammttendenz der Theologie unseres Jhrh's. ergeben habe, der Dogmatik einen selbstständigen Ausgangspunct, ein eigenes nur ihr zustehendes Wirklichkeitsgebiet und ein aus ihrer eigenen Kraft erreichbares Ziel auszumachen.306 Er kritisirt die verschiedenen Versuche dieser Art, den erneuten Confessionalismus, den Biblizismus der Erweckungsdogmatik, die Schleiermacher'sche und Ritschl'sche Schule, und erkennt die Tendenz 303 Vgl. dazu den Schluß, S. 77: "Ich habe bei diesen Ausführungen lediglich die reli­ giosen Lebensinteressen sprechen lassen. Ich bin eben der Ueberzeugung, dass in der christlichen Dogmatik mit ,wissenschaftlichen', will sagen speculativen, Grundlegun­ gen und Beweisführungen nichts erreicht wird, wenn anders dieselbe ebensowenig dazu da ist, den Glauben in abstrakte Begriffe aufzulösen wie dazu, ihn mit mor­ schen Stützen zu versehen, vielmehr dazu, ihn in seiner eifahrungsmässigen Begrün­ dung und in seinem Zusammenhange sowie in seiner Tragweiteftir das Leben darzustellen." 304 Hans Hinrich Wendt: Der Erfahrungsbeweis für die Wahrheit des Christenthums (1 897) . Es handelt sich hierbei um einen Vortrag, den Wendt laut Vorwort "am 2 1 . October d . J. bei der Herbst-Versammlung des weimarischen Kreispredigervereins in Weimar gehalten" hat (0. Pag.) . 305 Ouo Kirn: Ausgangspunkt und Ziel der evangelischen Dogmatik (1 896) . 306 Kirn diagnostiziert zu Beginn seiner Rede einen "Mangel an fester wissenschaft­ licher Tradition" (S. 3) bei der Dogmatik und bezeichnet als Problem, "welche[s] den sicheren Gang der Dogmatik" am meisten hemme (S. 4), daß die Dogmatik

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im Ganzen als berechtigt an, nur dass hierbei ein Gleichgewicht der supranatural-objectiv gegebenen Offenbarungslehren und -thatsachen und der subjectiven, aneignenden, specifisch-religiösen Glaubenserfahrung hergestellt und zugleich von dem so gewonnenen Glaubensinbegriff aus zu einer christlichen Gesammtweltanschauung fortgeschritten werden müsse.307 Die psychologisch-erkenntnisstheoretische Selbstständigkeit des religiösen Erkennens und die gegen die übrige Religionsgeschichte selbstständige, als göttliche Offenbarung in ihrer historischen Gesammt­ wirkung und in der Glaubenserfahrung bekundete Heilsgeschichte mit ihren Lehroffenbarungen und ihren Heilswundern sind die Gründe, durch die sich eine solche Verselbstständigung der Dogmatik rechtfertigen und gegen alle Profanwissenschaft behaupten lässt. "Die durch die christliche Offenbarungsgeschichte geweckte und bestimmte Glaubenserfahrung bildet so den Ausgangspunct der evangelischen Dogmatik" S. 1 5. Von diesem Ausgangspunct aus sind analytisch, wie es auch Lobstein gefordert hatte, die Einzelbegriffe zu gewinnen. Den Abschluss bildet aber eine von hier aus orientirte und alle übrigen Wahrheiten sich eingliedernde Philoso­ phie des Christenthums. "Zur geschichtlichen Macht in einem Culturvolk kann der christliche Glaube nur werden, wenn er zur gesammten übrigen Bildung in eine feste Beziehung tritt" S. 1 7.308 Die Frage ist nun freilich, ob die "übrige Bildung" das kunstvolle Gleichgewicht von übernatürlichen Offenbarungslehren und -thatsachen mit selbstständiger, rein religiöser Glaubenserfahrung jemals recht begreifen werde, ganz abgesehen von der Schwierigkeit der Annahme I und allgemeinen Verbreitung solcher Theorieen. Jedenfalls aber wird man sich wenigstens für die Theologie sich auf der Grenze bewege, "wo der Glaube selbst und das andef7Jleitig begründete Wis· sen sich begegnet". Daraus ergeben sich für Kien zwei Fragen: "Ist es möglich, der Dogmatik einen selbständigen Ausgangspunkt zu geben und vermag sie vielleicht auch ihr Ziel ohne Bezugnahme auf die Ergebnisse der sonstigen wissenschaft­ lichen Forschung zu erreichen?" (S. 5) Zum Ausgangspunkt vgl. S. 5-7, zur "in­ neren Selbständigkeit des religiösen Lebens" S. 7-1 6, hier S. 7, und zum Ziel der Dogmatik S. 1 6-2 1 . 307 "Aber sie [die Dogmatik] wird sich dabei vor dem doppelten Fehler z u hüten ha­ ben, als ihre Basis ausschliesslich die biblische Offenbarung (beziehungsweise die kirchliche Lehrentwicklung) oder ausschliesslich die religiöse Glaubenserfahrung geltend zu machen. Erst die lebendige Wechselbeziehung der objektiv gegebenen Offenbarung und der subjektiven Erfahrung des Glaubens bildet den zureichen­ den Ausgangspunkt ihrer Arbeit." (Kien, S. 1 1 ) . 308 Der hier zitierte Satz beginnt wie folgt: "Christlicher Glaube kann wohl i m einzel­ nen Subjekt ohne die Hilfe wissenschaftlicher Dogmatik entstehen, allein zur ge­ schichtlichen Macht [ .. .]" (Kien, S. 1 6 f.).

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freuen dürfen, dass auch eine Leipziger Programmrede die Hauptlinien des modernen Consensus einhält. Man erkennt in ihr den Einfluss der Me­ thode Schleiermachers und Ritschls, die nur modificirt werden durch eine höhere Schätzung und eine andere Ableitung des Vorstellungselementes im Christenthum, das direct auf übernatürliche Offenbarung und nicht indirect auf innere, von der Offenbarung gesetzte Lebensgehalte zurückge­ führt wird, und durch eine nachdrücklichere Betonung der apologetischen Aufgabe, die in der Herstellung der Synthese des selbstständig aus der Offenbarung geschöpften Glaubens mit dem übrigen Wissen besteht. Die Schleiermacher'sche und Ritschl'sche Methode der selbstständigen, christocentrischen Dogmatik sich ebenfalls formell aneignend skizzirt Rö'hrichtl°9 ein Programm der Theologie, in dem es vor allem darauf ankommt, das Wesen der hierbei vorausgesetzten historischen Erforschung der Predigt Jesu, der Kirche und ihrer Lehren zu bestimmen. Er fordert wie Kähler hierbei vor allem die Anerkennung einer für diese historische Arbeit nothwendigen "Ergänzung" oder Voraussetzung, die aus dem persönlichen Leben in der Kirche stammen und die absolute Uebernatürlichkeit Christi und seiner Wirkung in der Kirche bekennen muss.310 Nur so wird der wirkliche geschichtliche Christus, d. h. der, den die Apostel bekannt haben, und das Bleibende und Ewig-Wahre im kirchlichen Leben, d. h. die Bedeutung des biblischen Kanons und der Bekenntnisse richtig und in einer für die Kirche fruchtbaren Weise erkannt. - Aehnlich richtet sich Gö'bePll gegen eine mit der Parole "das Christenthum Christi" bezeichnete und sehr oberflächlich charakterisirte Auffassung des Christenthums und der Theologie, die nur einen bequemen, weltförmigen Christus haben wolle und dementsprechend die Quellen corrigire,312 während in Wahrheit bei der Unmöglichkeit wirklich exact-historischer Erkenntniss man doch 309 Alexander Röhricht: Ü ber theologische Methode (1 896) . 310 Für Röhricht ergibt sich, "daß wir für die gesamte geschichtswissenschaftliche Be­ handlung des überlieferten Stoffes, wenn sie wirklich dem Verständnis des Chri­ stentums dienen will, einen festen Punkt als Ausgangspunkt und Richtpunkt for­ dern, und daß derselbe in und mit der festen Gfaubensüberzeugung des Theologen gegeben sein muß, aus welcher heraus sich erst der Blick für dasjenige erschließt, was in der Ü berlieferung das Wesentliche und Entscheidende und darum eigent­ lich auch nur das Wissenswerte ist." (S. 20) . 311 Siegfried Goebel: Das "Christentum Christi" und das kirchliche Christentum (1 896) . 3 1 2 "Was nun aber thun, d a doch dem Zeugnis des geschriebenen Wortes nicht mehr geglaubt werden soll, und auf anderem Wege eine sichere geschichtliche Kunde von Christus nicht zu erreichen ist? Da giebt es nur einen Ausweg. Die moderne Welt schafft sich einen eigenen Christus, sie entwirft sich ein Gedankenbild von

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nur an den Glauben des N. T. an Christus gewiesen bleibe und so auch der Weltfeindschaft des Christenthums allein gerecht werde.3t3 Der Glaube an diesen die sündige Welt überwindenden weltfeindlichen und rein übernatürlichen Erlöser sei auch allein das Wesen des so viel angefeindeten kirchlichen Christenthums, das man nur zum Zweck der Discreditirung als Dogmenwerk bezeichne.314 v. Zezschwiti!15 setzt ebenfalls in seinem gegen die moderne Theologie der Universitäten gerichteten Zeugniss ein mit dem Gegensatze gegen "den sogenannten historischen Jesus, diesem Lieblingsob;ekt der sogenannten neueren Geschichtsforschung" und zeigt als den eigentlichen Ausgangspunct des Glaubens den "erhöhten, leben­ digen, allgegenwärtigen Christus", in dem "die von der heiligen Schrift bezeugten gros sen Gottesthaten für die Vergangenheit wie für die Zukunft gewährleistet und vergegenwärtigt sind".316 Die von Kähler angegebene Methode, den Consequenzen der historisch-kritischen Forschung zu entrinnen, hat sich in all diesen Schriften als sehr fruchtbar erwiesen. I -

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ihm, so wie sie meint, daß er sein müsse, und wünscht, daß er sein möchte." (Goe­ bel, S. 20) . "Das Christentum des Neuen Testamentes, das ,Christentum Christi' und seiner Apostel, ist ganz und gar eine Religion der Jenseitigkeit. Hier ist alles gerichtet auf das Himmlische, das Zukünftige und das Ewige. Dort und dort allein ist des Chri­ sten Ziel und Heimat und Erbgut. Die diesseitige Welt aber mit allem, was darin­ nen ist, die Welt des gegenwärtigen Äon, ist nur noch ein dahin fliehender Schat­ ten, und ihr schließlich er Zusammenbruch, um für immer der von oben her er­ neuerten künftigen ewigen Welt Raum zu machen, ist nur noch eine Frage der Ge­ duld und Langmut Gottes. Und deshalb ist das ,Christentum Christi' und seiner Apostel auch ein Christentum, zwar keineswegs der Weltflucht, wohl aber der un­ bedingten persönlichen Weltentsagung." (Goebel, S. 32) . Auf S. 1 0-1 7 richtet sich Goebel an die Kritiker des kirchlichen Christentums, die der Kirche vorwerfen, "harte Kirchenlehren" (S. 1 0) zu predigen, die im ursprüng­ lichen Christentum nicht vorhanden gewesen seien. Auf S. 1 7 fährt er fort: "Wie eifrig man auch scheidet und sichtet, es will auf keine Weise gelingen, aus dem, was nun als echt übrig bleibt, die Anstöße zu entfernen, welche dem modernen Bewußtsein an dem biblischen Christusbilde unerträglich dünken." Als solche An­ stöße nennt er u. a. "das jüdische Messiasbewußtsein", "de[n] Glaube[n] an die Heilige Schrift des Alten Testaments", "de[n] sogenannte[n] Wiederkunftsgedan­ ke[n]", "die Predigt von Himmel und Hölle". Kar! von Zezschwitz: Der erhöhte Christus, ein Zeugnis gegen die moderne Theo­ logie (1 896) . ,,[...] dies Eine dürfen wir uns nicht nehmen lassen: die von der hL Schrift bezeugten grossen Gottesthaten, die für unsere Kirche nicht sowohl in dem sogenannten hi­ storischen Jesus, diesem Lieblingsobjekt der sogenannten neueren Geschichtsfor­ schung, als vielmehr in dem erhohten lebendigen allgegenwärtigen Christus, dass ich so

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Den ganzen Unterschied der unter dem Einfluss der Erkenntnisstheorie Kants, der Religionspsychologie Schleiermachers und der vom Hegel'schen Entwickelungsbegriff ausgegangenen historischen Bibelforschung stehen­ den deutschen Theologie von der anglo-amerikanischen, in der Hauptsache nur die antideistische Theologie des vorigen Jhrh.s fortsetzenden Dogma­ tik zeigen die beiden ausführlichen Abhandlungen Warfield',;317. Die erste will die idea of systematic theology, also die dogmatische Aufgabe, princi­ piell bestimmen und erkennt hierbei die Dogmatik als die Wissenschaft der Wissenschaften, die als Wissenschaft von Gott alle anderen Wissenschaf­ ten abschliesst.318 Da sie, wie alle andere Wissenschaft, ein Dreifaches ein­ schliesst, nämlich die Existenz ihres Objectes, die Fähigkeit des Subjectes, dieses Object zu erkennen, und ein Werkzeug, mit dem die subjective Er­ kenntnissfähigkeit das als existent erwiesene Object erkennt, so hat sie zu ihren Voraussetzungen erstlich die Beweise für das Dasein Gottes oder die Apologetik, zweitens die Lehre von der religiösen Erkenntnissfähigkeit oder die Lehre von der Religion als subjectiver Function und schliesslich die Leh­ re von dem religiösen Erkenntnisswerkzeug oder die Lehre von dem Vor­ handensein einer übernatürlichen Offenbarung, d. h. den Weissagungs- und Wunderbeweis für die Autorität der Bibe1!319 Unter diesen Voraussetzungen schafft dann das systematische Denken die Dogmatik aus der Bibel als eine scientific presentation of all the facts that are known concerning God and his relations320, wobei nur in der modernen Theologie zwischen die Bibel als solche und die aus ihr zu extrahirende Dogmatik die biblische Theolo­ gie als wichtiges Mittelglied eingetreten ist. Da nun aber "Gott und seine

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sage, konzentriert, für die Vergangenheit, wie für die Zukunftgewährleistet und vergegen­ wärtigt sind Der erhöhte Christus, wie ihn die heilige Schrift bezeugt, muss darum Grund und Ziel unsererAmtswirksamkeit bleiben." (Zezschwitz, S. 8) . Benjamin B. Warfield: The idea of systematic theology (1 896) und ders.: The right of systematic theology (1 896) . " I t i s only i n theology, therefore, that the other sciences find their completion. [...] All other sciences are subsidiary to it, and it builds its fabric out of material sup­ plied by them. Theology is the science which deals with the facts concerning God and His relations with the universe. Such facts include all the facts of nature and history: and it is the very function of the several sciences to supply these facts in scientific, that is, thoroughly comprehended form. Scientific theology thus stands at the head of the sciences as weil as at the head of the theological disciplines." (Warfield: The idea of systematic theology, S. 260) . Vgl. dazu Warfield: The idea of systematic theology, S. 246-248. "We have already made use of the term ,revelation' to designate the medium by which the facts concerning God and His relations to His creatures are brought be­ fore men's minds, and so made the subject-matter of a possible science." (Warfield,

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Beziehungen" in allen andern Wissenschaften auch in irgend einem Grade vorkommen, so ist die Dogmatik die Spitze aller dieser Wissenschaften und muss sich als deren Krönung in directe Verbindung mit ihnen setzen, wozu naiv genug hinzugesetzt wird, die Theologie sei leichter als die anderen Wis­ senschaften, da sie die facts concerning God in der Offenbarung bequemer beisammen habe, als die anderen Wissenschaften, die diese facts erst aus dem verwickelten Leben heraussuchen müssen.321 Daher sei die Dogma­ tik die erstgeborene Wissenschaft und habe früher als alle anderen relative Vollkommenheit erreicht. "And it is to day in a state far nearer perfection than any other science".322 Beneidenswerther Zustand! Dass die Sache aber auch dort nicht ganz so erfreulich steht, zeigt die zweite Abhandlung dessel­ ben Vf.s, die das Existenzrecht dieser vollkommenen Wissenschaft gegen den "Indifferentismus" nachweisen muss und dabei nicht bloss feindselige Philosophen, sondern vor allem Theologen bekämpft, die den festen Lehr­ körper auflösen oder für überflüssig erklären. "lt is not hard to show the folly of theological indifferentism. But just because it is indifferent, indif­ ferentism is apt to pay little attention to our exhibition of its folly. If we only could get it to care! But let it reduce it to ever so much absurdity, it calmly goes on in indifference".323 Diese Indifferentisten, oder wie W sie nach dem Häre I sieencatalog des vorigen Jhrh.s nennt, Latitudinarier, oder, wie sie sich selbst euphemistisch nennen, Gegner des Intellectualismus sind in der Hauptsache die Anhänger der deutschen Theologie, sei es dass sie behaupten that christianity consists of facts not dogmas, sei es dass sie meinen, that chr. consists of life not doctrine, d. h. einerseits die Anhänger der Ritschl'schen Schule, andererseits die der Schleiermacher'schen.324 Da sich

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S. 250) "The place that theology, as the scientific presentation of all the facts that are known concerning God and His relations, claims for itself, within the circle of the sciences, is an equally high one with that which it claims among the theologi­ cal disciplines." (S. 258) . "The interpretation of a written document, intended t o convey a plain message, is infinitely easier than the interpretation of the teaching embodied in facts them­ selves. It is therefore that systematic tteatises on the several sciences are written. Theology has, therefore, an immense advantage over all other sciences, inasmuch as it is more an inductive study of facts conveyed in a written revelation, than an in­ ductive study of facts as conveyed in life." (Warfield, The idea of systematic theo­ logy, S. 262). Warfield: The idea of systematic theology, S. 262. Warfield: The right of systematic theology, S. 4 1 3 f. Bei Warfield steht zwischen "absurdity" und "ir calmly" ein Gedankenstrich. "There are two chief points of view from which the right of doctrinal Christia­ nity is denied by leading theologians of our day. The watchword of one of these

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W. seine Kenntnisse hauptsächlich von Henri Bois verschafft hat,325 so er­ scheinen beide sehr französisch gefärbt, namentlich die Letzteren vertreten durch Aug. Sabatier. Gegenüber dem Letzteren, der nach dem Vorbilde der Schleiermacher'schen Religionspsychologie die religiöse Erkenntnisstheorie ausführlich entwickelt und daher die Variabilität des Vorstellungsausdruckes schärfer betont hat, als es in der Ritschl'schen Schule trotz ihres ganz ana­ logen Standpunctes üblich ist, kommt die eigentliche Tendenz des Aufsat­ zes klarer zum Ausdruck. Er fordert den Intellectualismus in dem Sinne einer streng supranaturalistischen Offenbarungslehre, die feste und unwan­ delbare Lehren besitzt und in ihnen gerade den Vorzug der Offenbarung erkennt, und hat das richtige Gefühl dafür, dass die Lehre von der Varia­ bilität des Vorstellungsausdruckes doch nur die Einführung neuer Lehrvor­ stellungen an Stelle der als unhaltbar erkannten alten ist, dass die Bekäm­ pfung des Intellectualismus in der That eine derartige durch die moderne Wissenschaft und Philosophie beeinflusste Abwendung von den alten Lehr­ vorstellungen zum Untergrunde hat. Nur fehlt ihm jedes Verständniss für das Wesen dieser neuen Theorie der religiösen Vorstellungsbildung, die zu ihrer Voraussetzung die Ablehnung des metaphysischen Dogmatismus und die Einsicht in die Complicirtheit des religiösen Processes hat und nur ne­ gativ, aber nicht positiv durch die wissenschaftliche Vernichtung der alten Lehrvorstellungen bedingt ist. - Ganz ähnlich verfahrt Mintorf326• Im Ge­ gensatze gegen die methodistische Geringschätzung der Vernunft will er die Bedeutung der Vernunft als formalen Organs der Dogmatik in ihr Recht set­ zen. Ihre Function, die sie als wiedergeborene, der Offenbarung sich willig unterwerfende Dienerin gerne und rein formal ausübt, ist die Construction eines rationalen Supranaturalismus im Stile der antideistischen Theologie, die nur durch den Gebrauch Spencer'scher Formeln modernisirt ist. So ent­ steht eine beweisbare Theologie, die niemand nöthiger hat als der Geistli­ che, der sein Publicum überzeugen will , und die von jeher den Vorzug des Presbyterianismus gebildet hat. "The granitic intellectuality of Presbyteria­ nism" wird auch in den gegenwärtigen Kämpfen zum Siege führen.327 "The

schools of thought is that Christianity consists of facts, not dogmas: that of the other is that Christianity consists of life, not doctrine." (Warfield, S. 421) Daß sich diese Positionen besonders bei den "Anhänger[n] der deutschen Theologie" fin­ den ließen, kann an dieser Stelle bei Warfield nicht nachgewiesen werden. 325 Warfield stützt sich in "The right of systematic theology" vor allem auf Henri Bois: Le dogme grec (1 893) und ders.: De la connaissance religieuse (1 894) . 326 Henry Collin Minton: The place of reason i n theology (1 896) . 327 ,,[ . ] in the grand aggregate of results, in the moral influence exerted upon the affairs of men and in the course of his tory, in the strength and stability of the .

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divine psychologist knows that when the judgement is convinced, the will modi fies its mandates, and, by grace given, the life is quick to respond."328 - Gesammtdarstellungen des Glaubens, die aber nicht dogmatische Sätze ausführen, sondern eine bestimmte Richtung für die Auffassung des Glau­ bens oder der Glaubenslehre geben wollen, liegen wiederum mehrfach vor. Im Sinne eines edlen, tiefen und warmen, durchaus supranaturalistischen, aber kirchen- und I dogmenfreien Pietismus sucht der Vf. von "Im Geist lind Wahrheit"329 sie zu bestimmen. Ihm ist das Christenthum die "vollkommene Religion", weil Jesus "die vollkommendste Gottesvorstellung offenbart hat".330 Als solcher erweist sich der christliche Gottesbegriff durch seinen rein innerlichen und geistigen, allem Kirchen-, Priester- und Dogmenwesen abgewandten Charakter und seine ausschliessliche Abzielung auf praktische, die Welt überwindende, jede Selbstsucht austilgende und nur in der Liebe lebende Sittlichkeit. Dieser Glaube, der dem natürlichen Wesen der Menschen gerade zuwiderläuft, kann lediglich aus der Person Jesu als der aller irdischen Sündhaftigkeit und Selbstigkeit entnommenen Offenbarung Gottes gewonnen werden. Aus ihr geht alle wiedergebärende, bekehrende, versöhnende und heiligende Wirkung aus, und sie eröffnet allein den Weg in das Gottesreich, der der schmale Weg der Bekehrung und Abwendung von der Welt ist. Vertrauensvoller Glaube an Gott, Demuth, selbstlose Liebe, Weltverachtung, Geduld und Entsagung sind die Wirkungen einer solchen Bekehrung, die freilich nur wenigen zu Theil wird und mit dem Glauben an die Kirchenwahrheiten nicht zusammenfällt. In kleinen persönlich verbundenen Kreisen werden sich vielmehr diese Gläubigen zusammenschliessen, aber mit voller Verachtung alles Irdischen ihren Brüdern dienen, um sie, soweit möglich, zum Heil zu führen. Es ist eine Auffassung des Christenthums, die in ihrer Abneigung gegen Kirchlichkeit und Dogmen vom mo­ dernen Geiste stark beeinflusst, aber von jeder Anwandlung moderner Huinstitutions founded and sustained by its representatives, the granitic intellectuality of Presbyterianism has weathered the storms of many latitudes and longitudes, and by the blessing of God gives promise of continuing strong and sturdy for the conflicts that are yet to come." (Minton, S. 95 f.). 328 Minton, S. 96; dort ist "Psychologist" groß geschrieben. 329 E[duard] D [emme]r: In Geist und Wahrheit (1 896) . 330 "Derjenige hat Religion, dessen Gewissen durch Gott gebunden ist und dessen Leben durch Gott bestimmt wird. Von einer vollkommenen Religion kann man demnach nur da sprechen, wo eine durchaus reine und vollendete Vorstellung von Gott und göttlichem Wesen existiert. Die vollendetste Gottesvorstellung hat uns Jesus Christus geoffenbart. Darum ist auch die christliche Religion die allervoll­ kommenste." (Demmer, Kapitel l "Religion", S. 1).

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manität und Weltbejahung sich fern gehalten hat. Schneider331 will in sehr ungeschickt gehandhabter Dialogform die Kernfragen der Dogmatik her­ vorheben, sie auf das Centrum verweisen, auf das es religiös ankommt, und das Peripherische, d. h. die an Naturwissenschaft und Metaphysik streifen­ den Fragen als nebensächlich ausscheiden. Ein Domprediger bekehrt auf diese Weise einen Professor der Chemie in 1 7 Gesprächen von einem dog­ matisch indifferenten Standpunct zur Annahme der wichtigsten dogmati­ schen Fragestellungen und entsprechenden Antworten. Der Kernsatz ist die aus den apostolischen Briefen zu gewinnende Ueberzeugung, dass man sich in den Dienst Christi als der durch den Sündenfall nöthig geworde­ nen, absoluten Erlösungsoffenbarung stellen müsse.332 Von hier aus werden die wichtigsten Begriffe wie Gottes Liebe, Schöpfung und Weltleitung, Of­ fenbarungsökonomie, Versöhnung, Kirche, Trinität gewonnen, während die rein theoretischen Fragen den profanen Wissenschaften überlassen bleiben. Zum Schluss wird die Theologie als Bestandtheil und Ergebniss der Psycho­ logie in die Hierarchie der Wissenschaften eingegliedert.333 Dabei spielt frei­ lich der Chemiker eine ziemlich passive und traurige Rolle, er hat von den eigentlich principiellen Fragen und deren Tragweite so wenig eine klare Vor­ stellung als sein theologischer Berater und der Vf. Alle Principienfragen wer­ den wie selbstverständlich schleunigst im Sinne der Dogmatik entschieden, und nur um das Detail spinnt sich eine es erweichende und mit allerhand Originalitäten umgebende I Reflexion. Plitt334, weil. Director des theologi­ schen Seminars der Brüdergemeinea335, giebt die Principien einer gläubigen Schrifttheologie, für welche er trotz des gegenwärtigen Hanges zum autono­ men Denken und zu einer historisch-kritischen Behandlung der Bibel eine neue Blüthe erhofft.336 Wie die profane Forschung im endlich-sinnlichen Le-

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331 Ewald Schneider: Die Kernfragen des Christentums behandelt in der Form eines Zwiegesprächs (1 896). 332 Vgl. dazu das 3. Gespräch "Die apostolischen Briefe" (S. 2 1 -29) . 333 Vgl. dazu das 1 7. Gespräch: "Religion und Theologie" (S. 220-230) . 334 Hermann Plitt: Das Leben ist das Licht (1 896) . 335 Hermann Plitt (1 821-1 900) war seit 1 847 Dozent am Theologischen Seminar in Niesky und später dessen Direktor. 336 Vgl. Plitt, Vorwort, S. VI f.: "Der Glaube muß wissen, daß mit solcher äußerlich mechanischer Sicherung der Autorität der heiligen Schrift die Kirche, fast eben so gut wie durch willkürliche Auflösung derselben, in ein Scheindasein gerathen und so zuletzt [ ... ] in das Nichts zerfallen würde. Darum muß er trotz der Mannigfal­ tigkeit und trotz der menschlichen Unvollkommenheit der heiligen Schrift unent­ wegt festhalten an der SelbstojJenbarung Gottes in ihr, und das gerade, und nur das, ist

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ben stehen und mit gesunden Sinnen betrieben werden muss, so kann die Schriftforschung nur von einem durch die Wiedergeburt im Uebersinnlich­ en lebenden und mit voller geistlicher Gesundheit ausgerüsteten Denken unternommen werden. Solches Leben im Uebersinnlichen giebt es nach dem Zeugniss der Schrift nur durch die N.T liehe Offenbarung, während alles übrige nach der Schrift nur natürliche Offenbarung ist, und ein so in der Schrift gebundenes Denken muss ein streng theonomes sein, während alles profane Denken autonom, von Gott gelöst und daher an die Natur, d. h. entweder an den Zufall oder an eine monistische Nothwendigkeit ge­ bunden ist. Auch der Kantianismus hat nur propädeutische Bedeutung als Erleichterung des Uebergangs vom autonomen zum theonomen Denken, als Lösung des Denkens von der Welt und Zurückführung desselben zu den Problemen der Seele. Indem das theonome Denken allein in einer letz­ ten Einheit wurzelt, während das autonome immer nur in Räthsel und Zwie­ spalt führt, ist die Schriftwissenschaft zugleich die einzige wahrhaft specu­ lative Wissenschaft und muss sie auch ihrem Wesen nach Speculation sein, die aus dem Begriffe des persönlich-lebendigen d. h. trinitarischen Gottes Schöpfungsordnung und Erlösungsordnung deducirt. Legt sie auf Letztere den Nachdruck dann ist sie speculative Theologie, berücksichtigt sie auch die Erstere ausführlich und durchgängig, dann ist sie christliche Theoso­ phie oder christliche Philosophie. Eine solche Theosophie ist das Ziel der Schriftwissenschaft. Von diesen Principien aus giebt der Vf. einen Entwurf der speculativen Theologie, der überall aber die theosophischen Probleme wenigstens zugleich aufrollen will . Von der älteren Scholastik soll sich der neue Entwurf durch die lebhaftere Einsicht in die inzwischen gewachsene Complicirtheit und Schwierigkeit der Aufgabe unterscheiden, ein charak­ tervolles Beispiel einer Theologie, die von jedem Einfluss der modernen Theorieen über Religion und religiöse Vorstellung frei ist und die überna­ türliche Lehroffenbarung der Bibel als Ausgangspunct für die Gewinnung dogmatischer Lehren über die ganze Wirklichkeit verwendet.

in der Werde zeit der Kirche hienieden die Aufgabe der Glaubens- Theologen, hier ein befreundeter und bescheidener Wegweiser für die Unmündigen zu sein, dem die­ se sich vertrauensvoll hingeben dürfen."

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Amory H. Bradford: Heredity and christian problems (1 895)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Deutsche Litteraturzei­ tung, hg. von Paul Hinneberg, 1 9. Jg., Nr. 2, 1 5. Januar 1 898, Berlin: Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung) , Sp. 49-52 (A) .

Amory H Bratiford, Heredity and christian problems. New-York, Macmillan &

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Co., 1 895. XIV u. 20 1 S. 8 ° .

Wie die englische Theologie des vorigen Jhdt.s ihre Kraft und ihr Interes­ se an die Auseinandersetzung mit dem Mechanismus Newtons und Lockes setzte, so ist sie in unserem Jhdt. durch Abfindung mit der Darwinschen Bio­ logie bestimmt. Von hier aus entstehen in der That für Religionsgeschichte, religiöse Metaphysik und religiöse Ethik eine Reihe ernster und wichtiger Probleme. Dabei pflegen jedoch für sie in einer für das angelsächsische Den­ ken charakteristischen Weise beide Gruppen als feste dogmatische Wahr­ heiten einander gegenüberzustehen, zwischen denen dann ein Compromiss hergestellt wird, das weniger eine in sich selbst zusammenhängende und befriedigende Theorie als eine praktische Versöhnung beider von der Pra­ xis anerkannten Elemente ergeben soll. Dieser Art ist auch das vorliegen­ de Buch eines kongregationalistischen Geistlichen Amerikas. Es beschäftigt sich mit I den aus der neuen Evolutionstheorie und ihren Lehren von dem maassgebenden Einfluss der Vererbung und des milieu sich ergebenden Folgen für die christliche Ethik. Durch Klarheit des Stils und Besonnenheit des Urtheils gehört es zu den besseren und tieferen Erzeugnissen dieser Litte­ raturgattung, durch Reinheit, Milde und Wärme der Gesinnung gewinnt es Achtung und Neigung des Lesers. Nach amerikanischer Weise vorwiegend an den Naturwissenschaften und den praktischen Aufgaben des sozialen Lebens orientirt, hat der Vf. seinen Gedanken einen kräftigen, freien Zug ertheilt, der sich von der Stuben- und Kirchenluft unserer theologischen Ethiken erfreulich unterscheidet. Andererseits lehnt er freilich jede Kritik an den bestehenden Dogmen als blosse für die Praxis unbedeutende Spekulati-

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on ab, und trägt seine Moral den etwas herben und pedantischen Charakter eines tertullistisch gefärbten Calvinismus.1 Die einleitenden Kapitel stellen im Anschluss an Darwin, Spencer, Weis­ mann, Ribot, Maudsley und Galton die moderne Lehre von Vererbung und Umgebung fest.2 Die daraus hervor I gehende Frage, ob demnach die Mo­ ralität durch beide Faktoren in einer schlechthin deterministischen Weise bestimmt werde, beantwortet er mit Ribot und Wundt durch Unterschei­ dung der naturgesetzlichen Causation und der geistesgesetzlichen Motiva­ tion, in welcher letzteren immer das persönliche Element des Willens mit­ wirke.3 Für den Philosophen bleibt die so erfolgende Entscheidung ein Ge­ heimniss, der Theologe darf in ihr ein Zusammenwirken Gottes und des freien Willens sehen. So ist es möglich, dass der Einfluss von Vererbung und Umgebung durch Anreizung des Willens und Versetzung in neue Um­ gebung gebrochen oder langsam umgewandelt wurde. Denn überall bleibt - abgesehen von geistiger Abnormität - jene Fähigkeit des Willens, gereizt und gebildet zu werden, und immer ist der Einfluss des milieu stärker als der der Heredität. Da aber nach Ausweis der Erfahrung die bösen Trie­ be viel fester wurzeln und somit dem Bösen eine stärkere Heredität und der bösen Umgebung ein stärkerer Einfluss zukommt, so kann diese Stär­ kung des Willens und die Schaffung eines sich forterbenden Lebenszusam­ menhanges des Guten nur durch eine übernatürliche göttliche Stiftung, das Christenthum, geschehen. Es allein hat nachweislich diesen Einfluss wirk­ lich ausgeübt, und es allein kann den deterministischen Pessimismus, den Huxley mit Recht aus der Evolutionslehre folgert, praktisch überwinden.4 Dazu befähigt ist es durch seinen übernatürlichen Charakter, der darin vor allem zum Ausdruck kommt, dass sein Begründer, der Erlöser Jesus, selbst nicht aus Heredität und Umgebung zu erklären ist. Er allein ist dem biologi­ schen Gesetz entnommen. Der "talentvollste" Versuch, ihn so zu erklären, 1 Vgl. hierzu das zentrale Kapitel XII: "The problem of faith" (S. 2 1 4-241). 2 Kapitel I: "The law of heredity" (S. 1 -1 3), Kapitel II: "Theories of heredity" (S. 1 4-22) , Kapitel lII: "Physical hereclity" (S. 23-34), Kapitel IV: "Intellectual and moral heredity" (S. 35-52) und Kapitel V: "Environment" (53-69) . 3 Vgl. hierzu Kapitel VI: "The problem of the will" (S. 70-1 01). 4 "The reign of law makes the consequences of violation of law (which is sin) ap­ parencly hopeless. [ ... ] This, as has been said, is Calvinism with God left out; and it is the whole story of human life to all who deny the reality of spiritual religion; for with them death, for the individual, ends all. Christianity paints the same pic­ ture, but with different colours. [ ... ] Salvation - all that is implied in the great word grace - is in the heart of the Christian faith; but it is salvation for those who accept the terms of salvation, terms striccly in accord with the laws revealed by science." (S. 232 f.) .

Amory H. Bradford: Heredity and christian problems

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der Renans, muss für gescheitert gelten.s E s ist daher gegenüber der neuen, auf Thatsachen beruhenden und daher von allen Aerzten angenommenen biologischen Lehre am Christenthum nur dessen sozial-ethischer Charakter zu betonen, der bisher hinter der dogmatischen und individual-ethischen Behandlung zurückgetreten ist. Es begründet einen neuen, das Böse über­ windenden Vererbungszusammenhang und schafft das bessere milieu, unter dessen Einwirkung böse Heredität überwunden werden kann. Im übrigen ist statt der alten Erbsünden- und Straflehre die mildere Lehre aufzustel­ len, dass für das göttliche Urtheil nur die That des eigenen Willens in Be­ tracht kommt, während es die erbliche Belastung rucht anrechnet. Von die­ sem Standpunkt aus werden die Grundliruen einiger ethischer Hauptkapitel entworfen, des Kapitels über Eheschliessung und Familiengründung, über Erziehung, über Pauperismus und über Verbrecherthum.6 Deutsches Denken würde mit diesen Fragen wohl weruger glatt zu Ende kommen und viele Ausführungen des Vf.s sehr unphilosophisch finden, I aber darüber vielleicht einen guten Theil der praktischen Ideen versäumen, von deren Durchführung in England und Amerika der Vf. Interessantes berichtet. E. Troe/Iseh. Heidelberg.

5 "Still another dass, of which Ernest Renan is perhaps the most plausible represen­ tative, attempt[s] to explain the unique personality of Jesus by the environment in which He was placed. [00'] None of these answers are sufficient. To say that He was only a supreme spiritual genius is to ignore the simplest facts of His life; while to be content to say that He was singularly sensitive to the intellectual and spiritual at­ mosphere and to the ideals of His age, is to leave untouched the question, Where did that man, who was affected by such influences as no other who ever lived, get His sensitive nature?" (S. 243 f.) . 6 Kapitel VII: "The problem of the home" (S. 1 02-1 1 9), Kapitel VIII: "The problem of education" (S. 1 20-1 38) , Kapitel IX: "The problem of Pauperism" (S. 1 39-1 72) und Kapitel X: "The problem of vice and crime" (S. 1 73-1 96).

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Ignatius Ottiger: Theologia fundamentalis, Tomus 1 (1 897)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literaturzei­ tung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 23. Jg., Nr. 7, 2. April 1 898, Leipzig: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 201 CA) .

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Ottiger, Ignatius, Theologia fundamentalis. Tomus 1. De revelatione supernatu­ rali. Freiburg i. B., Herder, 1 897. (XXI V, 928 S. gr. 8) . M. 1 2.-; geb. M. 1 4.Der Jesuit Ottiger bietet den ersten Theil eines auf drei Bände berechneten Werkes über Fundamentaldogmatik, das über den Begriff der Offenbarung und den ihr correlaten, sie erst zu concreter Anwendung bringenden Begriff der Kirche handelt. Die Vereinigung beider Begriffe bestimmt seit dem Vor­ gang des Jesuiten Pichler 1 7 1 3 die Methode dieser Disciplin, während der h. Thomas nur den Begriff der Offenbarung abstract und M. Canus, der andere Vorläufer dieser Disciplin, in seinen Loci wohl beides zusammen, aber unsystematisch und unvollständig behandelt hat.1 Sie ist in ihrer gegen­ wärtigen Gestalt ein Erzeugniß der antideistischen Controverse, weshalb sie auch in ihrer wissenschaftlichen Gesammthaltung am meisten den Werken der damaligen antideistischen Apologetik gleicht. Doch hat sie zugleich die positive Tendenz, der Specialdogmatik als Unterbau und Begründung ihrer Erkenntnißprincipien zu dienen. Der vorliegende erste Band behandelt da­ her den Begriff der Offenbarung nach dem bekannten Schema der Möglich­ keit, Nothwendigkeit, Erkennbarkeit und Wirklichkeit der übernatürlichen Offenbarung, die in ihrem Wesen nichts anderes ist als Wiederherstellung und Zusammenfassung der lex naturae oder der natürlichen Religion unter Zu fügung gewisser leges positivae und gewisser mystena. Daher darf auch der Gottesbegriff selbst, aus dessen Definition Möglichkeit, Nothwendigkeit etc. der Offenbarung deducirt wird, aus der natürlichen Gotteserkenntniß oder Philosophie, d. h. der aristotelischen Propädeutik einfach übernom1 Vgl. Vitus PichIer: Cursus theologire polemiere universre (1 7 1 3) und Melchior Ca­ nus: De locis Theologicis Libri duodecim (1 563) .

Ignatius Ottiger: Theologia fundamentalis, Tomus I

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men werden. Das Eigenthümliche i n der Darstellung Ottiger's ist lediglich die strengere Fassung des Schemas, die philosophische und specialdogmati­ sche Bestandtheile reinlicher abscheidet und ihren betreffenden Disciplinen zuweist als sonst geschieht, eine höchst umständliche apologetische Aus­ führlichkeit in der logischen Deduction und der Behandlung gegnerischer Einwürfe, die alle im Original eingesehen zu haben er entgegen der sonst gepflegten Sitte als den Vorzug seiner Arbeit rühmt,2 und die scharfe Beto­ nung des Infalli bilitäts-Dogmas, dessen Behandlung sofort an den Begriff der Offenbarung sich anschliesst, eum haee i/larum proprietatum (eeclesiae) ma­ nifesto non sit effeetus, sed eausal. Klarheit, Sorgfalt und Besonnenheit machen das Buch zu einer lehrreichen Lectüre auch für den evangelischen Theolo­ gen. In der That gewinnt er heute aus katholischen Werken am leichtesten noch das Verständniß der älteren Gestalt unserer eigenen Dogmatik und der Begriffe, um deren Behandlung die AnHinge der Religionsphilosophie der Aufklärung sich dreht. Sie zeigt noch in lebendiger Bewegung die uralten Begriffe der Theologie, die bis zum 1 8. Jahrh. die gemeinsame Vorausset­ zung aller Theologie und Wissenschaft bildeten, und mag uns daher heute als Schlüssel zu jenen Systemen und Begriffen von Nutzen sein. Heidelberg. Troe/tseh.

2 "Postremo nullius vel S. Patris vel alterius cuiuscumque scriptoris sententiam ac verba meo nomine umquam attuli, quae apud eundem, et omnino quidem accura­ te, habita contextae quoque orationis ratione, non ipse legerim; eos vero, quorum opera mihi praesto non erant, laudavi tantum no mine eorum, apud quos illorum verba vel sententiam reppereram. Quod quidem, utpote cuius vis severi et accura­ ti scriptoris officium, adnotare, etsi superfluum videri possit, ideo tarnen placuit, ut huius operis mei lectores, etiam illi, qui, quemadmodum ego ipse, innumeris vel prorsus falso vel certe minus accurate allatis aliorum testimoniis, apud recentissi­ mos quoque et ceteroquin doctos omnique aestimatione dignos scriptores reper­ tis propter hanc nimium tristem experientiam vix ulli ampulis scriptori hac in re pIe ne fidunt, ab ipso lectionis initio se non etiam hic vana eruditionis specie decipi sciant." (5. VI) . 3 Vermutlich in Anlehnung an: Dante Alighieri: De Monarchia (1 878) : "Sed non per naturalem: quia Natura non imponit legern, nisi suis effectibus: quum Deus insuf­ ficiens esse non possit, ubi sine secundis agentibus aliquid in esse producit. Unde cum Ecclesia non sit effectus Naturre, sed Dei dicentis: Super hane Petram adifieabo Eeclesiam meam; et alibi: Opus eonsummavi, quod dedisti mihi utfaeerem: manifestum est, quod Ei Natura legern non dedit." (S. 303)

earl Stange: Zur Theologie des Musaeus, 1 . Heft (1 897)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literaturzei­ tung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 23. Jg., Nr. 7, 2. April 1 898, Leipzig: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 1 97-200 (A) .

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Stange, Priv.-Doc. Lic. earl, Zur Theologie des Musaeus. 1 . Heft. Halle, M. Nie­ meyer, 1 897. (49 S. gr. 8). M. 1 ,20. Der seit einigen Jahren habilitirte Hallenser Privatdocent Stange ist mit Recht der Meinung, daß die sog. neuere Dogmengeschichte oder Geschichte der protestantischen Theologie eingehender betrieben werden müsse.1 Von dieser Ansicht aus hat er sich die Aufgabe gestellt, an Musäus, einem der Knotenpunkte in dem Uebergang vom 1 7. zum 1 8. Jahrh., die Umgestaltung und Anpassung der orthodoxen Principienlehre an die inzwischen veränderten Verhältniße darzustellen. Er setzt damit meine Arbeit I über die Entstehung und erste Ausbildung dieser Principienlehre fort,2 wie er denn auch gleich mir das Thema - mit einer freilich etwas dunkel gewundenen Begründung (S. 7)3 - dahin gliedert, daß er zuerst 1 Vgl. earl Stange: Das Dogma und seine Beurteilung in der neueren Dogmenge­ schichte (1 898) . Im Vorwort schreibt Stange: "Zur Veröffentlichung speziell dieser vorwiegend kritischen Bemerkungen zu den Prolegomena der Dogmengeschich­ te veranlasst mich die Ü berzeugung, dass die dogmengeschichtliche Entwickelung der nachreformatorischen Zeit mehr als bisher in das Interesse der theologischen Wissenschaft hineingezogen werden muss, wenn anders die dogmatische Aufgabe der Gegenwart mit Erfolg gelöst werden soll." (0. Pag.); vgl. dazu auch die Bespre­ chung in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 899) , unten, S. 634 f. 2 Vgl. Ernst Troeltsch: Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Me­ lanchthon (1 891) -+ KGA 1 . 3 "Weil es sich nämlich um zwei für das dogmatische System massgebende Prinzipi­ en [theologia naturalis und theologia revelata] handelt, werden wir mit einer Kritik ihres formalen Verhältnisses zu einander den Anfang machen, um einerseits die

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die officielle Verhältnißbestimmung zwischen Vernunft und Offenbarung als zwei getrennten Erkenntnißprincipien und dann das thatsächliche Verhältniß zwischen den den beiden Quellen entstammenden materiellen Erkenntnißen darstellen will . Das vorliegende Heft behandelt den ersten Theil der Aufgabe und gliedert diesen wiederum so, daß er zuerst von der Methode handelt, nach der die Offenbarungswahrheit dargestellt werden soll, dann von dem hierbei vorausgesetzten Begriff der revelatio und schließlich von dem Verhältniß beider Erkenntnißquellen in den quaestiones mixtae.4 Diese Untereintheilung ist freilich nicht sehr zweckmäßig. Denn die Frage nach der Methode des theologischen Systems ist eine lediglich technische und formale gewesen, bei der es sich nur darum handelte, wie die für alle Disciplinen festgestellten methodischen Schemata der Schullogik auf das theologische System anzuwenden seien. Sie ist erst mit der Ausbildung des logischen Schematismus an den Universitäten des 1 7. Jahrh.s (vgl. meine Schrift: Vernunft und Offenbarung bei Gerhard und Melanchthon S. 47-54) für die Theologie bedeutend geworden, die den von Helmstädt ausgehenden Anregungen folgend die analytische Methode als die Methode der praktischen Disciplinen mit mannigfachen Schwankungen auf ihr überliefertes Localsystem anwandte. Nur als solche literarische Zeit- und Modefrage ist sie auch bei Musäus von Bedeutung, der wie alle orthodoxen Theologen bei der Selbstverständlichkeit der Grundprincipien die in­ nertheologischen Probleme lediglich um solche sachlich wenig bedeutende Controversen sammelt. Nur indirect kommt bei dieser Verhandlung der Methode das von Stange behandelte Hauptthema, das Verhältniß von Vernunft und Offenbarung, zur Geltung. Es wäre daher besser gewesen, Umkreis und Erkenntnißquellen beider Erkenntnißsphären bei Musäus zu schildern und im Anschluß an meine Arbeit zu zeigen, wie viel oder wie wenig sich hierin seit dem Zeitalter Gerhard's geändert hat. Hier hätte sich gezeigt, daß in der Hauptsache sich sehr wenig geändert, dagegen im Detail einerseits ein viel strengerer scholastischer Formalismus, andererseits manche kleine rationale und pietistische Erweichung sich eingenistet hat. Leider aber hat es St. ausdrücklich abgelehnt (S. 6), die von mir gegebene Bewertung beider aus ihrer Stellung im System, andererseits die aus dieser Bewer­ tung für das System sich ergebenden Konsequenzen zu erkennen. Das empfiehlt sich im allgemeinen schon deshalb, weil irgendwie das systematische Denken stets seinen individuellen Charakter auch in der Form verrät; um so mehr bei einem Sy­ stem der orthodoxen Theologie, für welches das Schema eine so hervorragende Rolle spielt." (S. 7) . 4 Zur Methode vgl. S. 8-1 4, zum Begriff der "revelatio" vgl. S. 1 4-43 und zu den "quaestiones mixtae" vgl. S. 43-49.

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Fassung des Themas sich anzueignen. Er will "auf die Begründung (!) dessen, was diese Theologie mit dem orthodoxen System gemein hat, verzichten" und sein Thema noch enger dadurch begrenzen, "daß der in der Dogmatik so wichtige Gegensatz des rein Natürlichen und des positiv Offenbarten weniger in dem Verhältniß des Systems zu der Gesammtheit des übrigen menschlichen Wissens und Erkennens als vielmehr in dem Verhältniß der einzelnen Theile des Systems zu einander zu berücksichtigen ist"5. Durch die erste Beschränkung hat sich St. den Weg zur Beantwortung der Hauptfrage nach der Stellung des Musäus in der sehr continuirlichen Entwickelung der orthodoxen Principienlehre versperrt, durch die zweite hat er sich das Verständniß der einzelnen Begriffe und Methoden erschwert, die alle aus der damaligen eng zusammenhängenden Gesammtwissenschaft stammen und nur von ihr aus erklärt werden können. Nur moderne theologische Systeme kann man so isolirt behandeln. St. hat sich trotz alles höchst anerkennenswerthen Fleißes eben nicht in den Geist der orthodoxen Theologie und der ihr zu Grunde liegenden engen und streng schematisirten Geisteswelt versetzt. So ist auch seine Kritik des Musäus das Gegentheil einer immanenten Kritik und voll von Mißverständnißen, sie ist eine Kritik nach modernen, einer ganz anderen Denkweise entstammenden Maaßstäben. Er behandelt Musäus wie einen I Musterautor, der mit einigen Correcturen und Zuhilfenahme einiger ihm noch unbekannter Erkenntniße (z. B. S. 406) noch für die gegenwärtige Theologie nützlich werden könnte. 5 "Darin [in der Unveränderlichkeit der Grundvoraussetzung von Theologie] liegt die Berechtigung, in einer Untersuchung, welche es sich zur Aufgabe macht, die spezifische Eigentümlichkeit der Theologie des Musaeus zu charakterisieren, auf die Begründung dessen, was diese Theologie mit dem orthodoxen System ge­ mein hat, zu verzichten und sich auf die Erörterung dessen zu beschränken, was nicht mehr von der Voraussetzung dieses Systems abhängig ist oder wenigstens nur scheinbar eine Ergänzung desselben darstellt. Zugleich liegt darin der Hinweis auf eine weitere Beschränkung unserer Aufgabe, - dahin nämlich, dass der in der Dogmatik so überaus wichtige Gegensatz des rein Natürlichen und des positiv Of­ fenbarten weniger in dem Verhältnis des Systems zu der Gesamtheit des übrigen menschlichen Wissens und Erkennens, als vielmehr in dem Verhältnis der einzel­ nen Teile des Systems zu einander zu berücksichtigen ist. Wir dürfen daher den Gegensatz, um den es sich in diesem Sinne handelt, so bestimmen, dass wir uns zur Aufgabe machen, das Verhältnis der theologia naturalis zur theologia revelata in dem System des Musaeus darzustellen und zu untersuchen." (S. 6) Hierauf folgt eine Anmerkung: "Diese doppelte Beschränkung muss gegenüber der weit umfas­ sender angelegten Arbeit von Troeltsch betont werden; vgl. dessen einleitende Be­ merkungen, p. 1 -7." 6 "Hätte zwar Musaeus bereits gewusst, dass das Zeugnis des heiligen Geistes sich

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Für das hierbei ausgeschaltete historische Verständniß entschädigt sich St. durch einen in allerhand Subtilitäten und Tifteleien schwelgenden Scharfsinn, der wohl aufmerksam und genau, aber auch recht formal und scholastisch ist. Dabei zeigt sich aber erst recht, daß alles was vor der Sintfluth der Aufklärung liegt, nur historisch verstanden werden kann, mit modernen Interessen dagegen unverwirrt bleiben muß. Was die drei genannten Punkte im Einzelnen anbelangt, so hat St. die Ausführungen des Musäus über die Methode, die mir leider hier nicht vor­ liegen', mißverstanden. Die Theologie auf einen praktischen Habitus zu­ rückführend, hat Musäus die Theologie wie Calixts nach der Methode der praktischen Disciplinen behandelt, d. h. nach dem Schema finis, subjectum, media. Das hatte den Vortheil, daß die Theologie dadurch von den Maaß­ stäben der theoretischen Disciplinen und ihrer synthetischen Methode d. h. von der ontologischen Deduction aus den obersten metaphysischen Princi­ pien befreit wurde, aber auch den Nachtheil, daß der Charakter der Theolo­ gie als Inbegriff übernatürlich offenbarter Lehrsätze schwerer zur Geltung kam. Diesen Nachtheil zu überwinden und doch die neue, in allen Discipli­ nen sich durchsetzende Methodik für die Verfeinerung des "wissenschaftli­ chen" Charakters der Theologie festzuhalten, ist die Absicht der gewunde­ nen Untersuchungen des Musäus über Wesen und Handhabung dieser Me­ thode oder über das objectumformale der Theologie. Dazu hat sich Musäus die Handhabung der analytischen Methode dadurch erschwert, daß er (wie üb­ rigens die anderen Dogmatiker auch) nicht gleich Calixt streng consequent das eschatologische Seligkeitsziel zum Ausgangspunkt oder objectum formale machte, sondern, Gott als den finis of?jectivus der Schöpfung und Erlösung bezeichnend, den Gottesbegriff als den Finis-begriff der Theologie an die Spitze stellte und, von ihm als dem objectumformale aus die formelle Methode gestaltend, die übrigen Begriffe als media der Erreichung der Gottesgemein­ schaft durch das menschliche SIIbjectum construirte. Das hatte den Vortheil, daß der Gottesbegriff wie bisher an der Spitze des Systems blieb und nicht nur auf einzelne Teile der Schrift beschränkt und dass erst von diesen aus die Ge­ wissheit von der Inspiration der ganzen Schrift abgeleitet werden kann, so hätte die Frage [nach der Unterscheidung zwischen dogmatisch wertvollen und indiffe­ renten Bestandteilen der Schrift) sich wohl leichter und weniger mechanisch lösen lassen." (S. 40 f.) . 7 Stange stützt sich vor allem aufJohannes Musreus: Introductio i n theologiam, qua de natura theologire, naturalis, et revelatre, itemque de theologire revelatre principio cognoscendi primo, scriptura sacra, agitur (1 679) . 8 Georg Calixt (1 586-1 656), seit 1 6 1 4 ordentlicher Professor für Theologie in Helmstedt.

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wie bei Calixt in die Anthropologie eingeflickt zu werden brauchte, daß über­ haupt die Theologie mehr Aehnlichkeit mit einer Wissenschaft von Lehr­ wahrheiten behielt und nicht wie bei Calixt der Form einer technischen An­ weisung verfiel, aber auch den Nachtheil, daß das ganze Gefüge inconcisa wurde und der Gottesbegriff sowohl mit den übrigen Lehren zusammen als oijectum materiale oder Stoff der Theologie wie andererseits als die Methode bestimmender Finis-begriff oder oijectum formale erschien. Die analytische Methode paßt eben nicht auf die Theologie, wie in einer interessanten Be­ merkung Meisner's (S. 22) auch sehr richtig gezeigt wird.9 Das ist der kurze Sinn der langen Reden des Musäus. Er hat sich aber dieser Methode doch nicht entziehen wollen, weil sie ihm wie den andern die Erhebung der Theo­ logie zu streng wissenschaftlicher Form bedeutete und weil er, einmal von der Schullogik vor die Wahl zwischen beiden Methoden gestellt, gemäß den seit Melanchthon ererbten und fortgebildeten Ansätzen im Gegensatz ge­ gen die mit den gleichen Mitteln operirende katholische Dogmatik die ana­ lytische wählen mußte. Diese letztere befolgte die theoretisch-synthetische Methode und mußte daher das die Methode bestimmende oijectum formale in der veritas prima d. h. in dem ontologischen Grundbegriff des summum esse und der Ableitung aller Begriffe aus dem hiermit gesetzten Ausgangs­ punkte erkennen. Fast all das hat nun aber St., bei seiner Abneigung, auf die wissenschaftlichen Gesammtzustände einzugehen, mißverstanden. Er meint, Musäus handhabe iJVei Methoden, die analytische und das Schema des I of?jectum formale,lo von deren erster Musäus "plötzlich"ll zur zweiten übergehe und durch deren Vermengung er schwere Unklarheiten hervor­ gebracht habe. In Wahrheit bezeichnen beide Ausdrücke durchaus dieselbe a

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9 "Die Möglichkeit, in der Theologie eine praktische Wissenschaft zu sehen, ist viel­ mehr durch die Behauptung, dass der finis nicht distincte cognitus sei, aufgeho­ ben." (S. 22) Hierauf folgt im Text Anm. 1 : "Von diesem Argument aus bekämpft Joh. Meisner in dem Examen Catechismi Palatini, Wittenberg, 1 669, die analyti­ sche Methode (p. 55) ; er will die Theologie überhaupt nicht als habitus naturalis gelten lassen (p. 50), will man sie mit dem habitus naturalis vergleichen, so ist sie weit eher ein habitus theoreticus (p. 53 f.)". 10 Vgl. Stange, S. 1 4-1 9. Stange beginnt den Abschnitt mit folgendem Satz: "Um so auffallender ist es nun, dass Musaeus neben der analytischen Methode noch ein anderes Schema auf die Theologie in Anwendung bringt, jenen Gegensatz nämlich vom obiectum formale und materiale." (S. 1 4) . 1 1 "Nachdem s o der gesamte Stoff der theologia naturalis, soweit e r i n einer systema­ tischen Begründung dargestellt werden kann, auf Grund jener [analytischen] Me­ thode vorgetragen ist, macht nun Musaeus eine plötzliche Wendung und erklärt, -

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Sache. Das ob)ectumformale ist im Unterschied von dem zu bearbeitenden ob). materiale oder dem Stoff das formelle Erkenntnißmittel der Methode oder vielmehr der die Methode bestimmende Ausgangsbegriff. Bei den theoreti­ schen Disciplinen ist daher das ob). form. die ontologische veritas prima, aus der alles deductiv abgeleitet werden muß, bei den praktischen Disciplinen ist es der jeweilige Finis. Causale Deduction ist daher Charakter der einen, technische Anleitung zur Erkenntniß der den Finis erreichenden Mittel der Charakter der anderen Methode. Die Unklarheiten des Musäus rühren da­ her nicht von dem Gebrauch zweier Methoden her, sondern von der ver­ zwickten Gestaltung der einen analytischen Methode, deren Finis oder ob). formale er im übernatürlich offenbarten Gottesbegriff festlegen und die er dadurch wieder dem theoretischen Charakter annähern will. St. kämpft hier fast überall mit den Gespenstern selbst geschaffener Schwierigkeiten und verkennt die wirkliche Quelle der wahren Schwierigkeiten sowie das eigent­ lich Charakteristische des Musäus. Dieses liegt in der radicalen Strenge, mit der er die bisherige selbstständigere Methode der Theologie unter die allge­ meine wissenschaftliche Schulmethodik beugen will, worin sich ein starker Fortschritt in der Scholastisirung der Theologie vollzieht, ferner in der aus­ drücklichen Behandlung der natürlichen Theologie in voller Parallele zur theoL reveL nach analytischer Methode, was meines Wissens vor ihm nicht ge­ schehen ist und worin ich einen Einfluß seiner deistischen Studien erkennen möchte, schließlich in dem schon durch diese Parallelisirung angedeuteten und dann noch besonders betonten Bemühen, im natürlichen Gottesbegriff Unterlage und Postulat des offenbarten zu zeigen. Das ist das Vorspiel spä­ terer Anpassungen der theoL reveL an die theoL naturalis. Auch die beiden letzten Theile sind durch ähnliche Mißverständnisse der alten Terminologie entstellt, die St. in der Regel gerade an den schwierigen Punkten unübersetzt läßt. Doch fehlt mir hier zur Aufhellung der Raum und sind sie bei ihnen weniger störend. In der Lehre von der revelatio zeigt sich, daß die Bestimmung der Schriftoffenbarung dieselbe geblieben ist und die Construction der Offenbarungserkenntniß die Theorie des lumen gra­ tiae noch genauer ausgeführt hat. Die Forderung einer theologia regenitorum, die überall von der gewöhnlichen ftdes sich nur durch größere Ausführlich­ keit unterscheidet, zeigt, daß der Pietismus in der Luft liegt. Andererseits zeigt die Bemühung um die Unterscheidung der formal-wissenschaftlichen theologischen Arbeit von der praktischen Leistung persönlicher Gläubigdass eine solche Betrachtung nach analytischer Methode auf die Theologie nur in­ sofern Anwendung finden könne, als sie praktische Wissenschaft sei, d. h. nur in­ sofern, als sie durch ihre Sätze dem Will en eine bestimmte Direktive zu geben be­ absichtige." (S. 1 0) .

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keit das Interesse der Schultheologie an der Behauptung ihres specifisch­ wissenschaftlichen Apparates gegenüber der Gefahr, daß sie von kunst- und regelloser biblicistischer Praxis verdrängt werden könne. Freilich die von St. entdeckte tiefere Auffassung des Offenbarungsprincips, die Musäus schon im gleichen Paragraphen zurücknimmt (S. 3712), ist wieder nur Phantasie. Die Lehre von den Quaestiones mixtae und den für den theologischen Cha­ rakter einer propositio entscheidenden Momenten zeigt denselben Bestand, wie ich ihn bereits bei Gerhard geschildert habe. Doch ist die Darstellung St.'s hier mitunter geradezu unverständlich, wie überhaupt das ganze Buch überaus schwer lesbar ist. Es wäre schade um das schöne Thema und den kenntnißreichen fleiß des Verf., wenn die weiteren Heftel3 nicht reicheren Ertrag gäben. Troe/tseh. Heidelberg.

12 "Es ist das Bewusstsein deutlich ausgesprochen, dass das, was durch die Theolo­ gie zum Eigentum des Menschen werden soll, in der Theologie selbst nur erkannt wird, dass die Theologie selbst nicht ein magisch mitteilbares Gut ist, sondern ein - allerdings übernatürliches - Gut darbietet, zu dessen Aneignung es der persön­ lichen Berührung durch den Geist Gottes bedarf. Wie aber diese tiefere Auffas­ sung des Offenbarungsprinzips [...] neben der traditionellen Lehre von der revela­ tio als dem obiectum formale der Theologie sich nicht zu halten vermag [ ...] , so ist auch Musaeus selbst nicht dazu gelangt, von ihr aus dem ganzen System eine neue Gestaltung zu geben. Vielmehr schon in demselben Paragraphen, in dem er die Unterscheidung zwischen dem principium cognoscendi als dem Uebernatürlichen und dem habitus theologiae als dem subjektiv Menschlichen macht, indem er die Theologie im eigentlichen Sinne als den habitus auffasst, den auch die Nicht-wie­ dergeborenen haben können, in demselben Paragraphen schon [ ...] greift er wie­ der auf die alten Vorstellungen zurück, fordert für die eigentliche Theologie die Begründung auf die Offenbarung als ratio assentiendi und nennt die Kenntnis des Glaubensinhalts ohne den Glauben wieder nur aeguivoce Theologie" (S. 36 f.) . 13 Weitere Hefte sind nicht erschienen.

Richard Wimmer: Liebe und Wahrheit (1 896)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literaturzei­ tung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 23. Jg., Nr. 7, 2. Apri1 1 898, Leipzig: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 20 1-203 (A) .

Wimmer, R., liebe und Wahrheit. Betrachtungen über einige Fragen des sittlichen und religiösen Lebens. Freiburg i./B., J. C. B. Mohr, 1 896. (IV, 1 39 M. 1 .45 S. 8.) Es ist in der modernen religiösen Krisis immer eine Freude, wenn man einem Manne begegnet, der den Muth hat, ohne theologische und apo­ logetische Quälereien, ohne mühsame Zusammenstimmung theologischer Reservatrechte und allgemein wissenschaftlicher Forderungen einfach und schlicht aus dem unmittelbaren religiösen Erlebniß sich zu einem christli­ chen Charakter zu gestalten. Ist die Religion eine lebendige, immer wachsende und I werdende, beständig neue religiöse Erregungen in den überlieferten Complex einschmelzende und dadurch ältere ausscheidende oder umwandelnde Kraft, so muß es auch solche Charaktere geben, und in ihnen sind die Ausgangspunkte zu allmählicher Ueberwindung der Krisis gegeben. Daß der badische Pfarrer Wimmer zu diesen - freilich nur allzu seltenen Charakteren gehört, ist aus seinen früheren, weitverbreiteten Schriften bereits bekanntl und erhellt auch aus den achtzig kurzen Meditationen, die er unter dem oben genannten Titel zusammen ge faßt hat. Sein Ziel ist nicht, theologisch-philosophische Reflexionen zu geben und damit dem modernen Menschen die christliche Dogmatik zu erleichtern oder zu verbessern, wie das oft ebenso wohlmeinend wie wirkungslos geschieht. Vielmehr stellt er lediglich in monologischen Betrachtungen und gebetartigen Andachten seine eigene Frömmigkeit völlig unsystematisch dar und beantwortet von 1 Vgl. die hohen Auflagenzahlen der frühen Schriften Wimmers, z. B. Richard Wim­ mer: Im Kampf um die Weltanschauung (1888 1 , 1 893w- 1 � und ders.: Inneres Le­ ben (1 87 1 1, 1 8974).

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ihr aus eine ganze Reihe von mehr oder minder zufallig sich darbietenden praktischen und andersartigen Zeitfragen. Der christliche Glaube an das Himmelreich mit seinen Gütern und seinen Forderungen bildet die aus ei­ gener Erfahrung behauptete Kernwahrheit, in die sich aber die religiösen Impulse, die von den Aenderungen der Welt- und Lebensbetrachtung der neueren Zeit ausgehen, zu innerlicher Vereinigung einschmelzen. Die durch alles Geschehen, das größte wie das kleinste, hindurchgehende Einheit des Kosmos, die Allgesetzlichkeit und Gleichartigkeit des Weltgeschehens, ist ihm das Hauptmerkmal der veränderten Auffassung der Dinge und kommt bei ihm mit ihren religiösen Consequenzen, dem Gefühl der Größe, der Einheit und Harmonie des göttlichen Wirkens, zur Geltung. Nicht minder aber zieht er die religiösen Consequenzen aus der von dieser Betrachtungs­ weise aus gewonnenen Erweiterung unseres Weltbildes, in dem Erde und Menschengeschichte zur Eintagsfliege werden und der Horizont der Din­ ge sich in unermeßliches Räthseldunkel auflöst. Demuth und Resignation, tiefste Ehrfurcht und Selbstbescheidung, geringere Schätzung der Wichtig­ keit des eigenen Wohl und Wehe sind die religiösen Consequenzen dieser Einsichten, die uns beständig vorschweben sollten. Dabei beweist er nicht erst umständlich, daß doch diesen modernen Anschauungen eine gewisse Wahrheit zukomme oder daß sie nicht ganz außer Acht gelassen werden dürfen, sondern nimmt sie mit herzerfreuender Selbstverständlichkeit als einfach gegebene Voraussetzungen des alltäglichsten Denkens und Wissens, der Lebensführung und Selbstschätzung hin und trachtet lediglich darnach, ihre religiösen Consequenzen sich zur Empfindung zu bringen und sie mit dem religiösen Gefühl, das von dem Kerne der christlichen Ueberlieferung ausgeht, innerlich zu vereinigen. So bildet sich ein Typus der Frömmigkeit, der nicht an dogmatischen Theorien bessert und flickt, nur immer zweifelt und Zweifel auflöst, sondern von den selbstverständlichen Voraussetzun­ gen der gegebenen Lage aus eine geschlossene, schöpferisch und individuell christliche Persönlichkeit von reinen Umrissen darstellt. Ueber die Kühn­ heit seines Unternehmens ist Wimmer sich vollständig klar. Ohne Bibelcita­ te und in vollständiger Unabhängigkeit von der kirchlichen Tradition stellt er eine möglichst unbefangen aus eigenen Erlebnissen gestaltende und die verschiedenen religiösen Erregungen zur Charaktereinheit verschmelzende Frömmigkeit dar, die auszubilden er als seine von Gott ihm gewiesene Auf­ gabe ansieht. Er zweifelt gar nicht, daß auch die gegenwärtige Krisis nur ein Durchgangspunkt ist und daß die Religion heute wie immer die Verhei­ ßung des Sieges, wenn auch nicht die der Unveränderlichkeit, hat. Aber mit diesem Vertrauen geht er einen einsamen Weg, an Leiden gewöhnt und in der Erfüllung seiner Pflicht den eigentlichen Zweck seines Lebens sehend. Was er auf diesem Wege über die verschiedensten Dinge empfunden und ge-

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dacht hat, das bieten seine Meditationen I in edler und einfacher, nur etwas unplastischer und allzu zarter Sprache dar. Darunter ist manche wirkliche Perle. Troeltsch. Heidelberg.

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Auguste Sabatier: Esquisse d'une philosophie de la religion d'apres la psychologie et l'histoire, 2e edition (1 897)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Deutsche Litteraturzei­ tung, hg. von Pau! Hinneberg, 1 9. Jg., Nr. 1 9, 1 4. Mai 1 898, Berlin: Wilhelm Hertz (Bessersehe Buchhandlung), Sp. 737-742 CA) .

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Auguste Sabatier, Esquisse d'une philosophie de la religion d'apres la psy­ chologie et l'histoire. 2e edition. Paris, Fischbacher, 1 897. XVI u. 41 5 S. 8 0 • M. 7,50.

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Das vorliegende Buch des bekannten Pariser Theologen gehört zu den Bü­ chern, die raschen und grossen Erfolg gehabt haben. Es hat in Jahresfrist zwei Auflagen erlebt und ist bereits ins Englische übersetzt worden.1 In den französischen theologischen Zeitschriften ist es Anlass langwieriger Debat­ ten2 geworden, und seine grosse Verbreitung lässt darauf schliessen, dass es auch in weiteren Kreisen als den fach-theologischen Aufsehen erregt hat. Für uns Deutsche kann es nicht ganz in gleicher Weise ein Ereigniss bedeuten. Denn es legt eine Anschauung von der Religion und vom Christen I thum dar, die bei uns längst von Schleiermacher, de Wette und Lipsius vertreten worden ist, und die auch vom Ref. in der Hauptsache vertreten wird. In der rückhaltlosen Anerkennung der Geltung des historischen Ent­ wickelungsgesetzes ist es zugleich unseren Arbeiten aus der Schule Hegels und den Leistungen unserer historischen Theologie verwandt; in der Beto­ nung des rein religiösen, von der strengen Wissenschaft weit abliegenden Charakters aller religiösen Erkenntnisse folgt es den Arbeiten aus der Schu­ le Ritschls und der Neu-Kantianer. Es ist also im Ganzen eine Zusammen1 Die erste Auflage erschien ebenfalls 1 897. Der Titel der englischen Ü bersetzung lautet: Auguste Sabatier: Outlines of a Philosophy of Religion based on Psycholo­ gy and History (1 897). 2 Zur Debatte vgl. Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 898) , unten, S. 39 1 .

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fassung der Leistungen der deutschen Theologie, wobei freilich möglichst die Kontinuität mit der französischen Entwickelung hervorgehoben wird, indem die Anknüpfungspunkte bei Maine de Biran und Alex. Vinet und die Uebereinstimmung mit dem französischen Neu-Kantianismus der Re­ nouvier, Pillon u. a. ge I flissentlich betont werden und gelegentlich auch gerne auf Pascals Pensees und Descartes' Meditationen zurückgegriffen wird. Merkwürdiger Weise ist dabei Rousseaus ganz vergessen, der in mancher Hinsicht hätte herangezogen werden können. Doch ist damit nur eine künstliche Perspektive für den französischen Leser geschaffen. In Wahrheit ist das Buch ein Erzeugniss französisch gefärbter deutscher Gedankenarbeit und steht in scharfem Gegensatz zu der eigentlich französischen Religi­ onswissenschaft, die theils im Dienste katholisch-scholastischer Metaphysik wirkt, theils unter dem ungebrochenen Einfluss des vorigen Jahrhunderts die Anschauungen Holbachs von der Religion als positivistische Religions­ theorie fortsetzt, theils unter dem bezaubernden Einfluss Renans einem an feinen historischen Analysen reichen, aber in der Hauptsache spielenden Skeptizismus huldigt. Aus diesem Gegensatze zusammen mit der Eleganz, Fülle und Präzision des Stils erklärt sich auch vor allem das von dem Buche erregte Aufsehen. Erfahren wir so nicht viel Neues, so haben doch auch wir allen Anlass zu lebhaftem Danke. Es ist völlig frei von der unvermeidlichen Pedanterie deutscher Dogmatiken und Prinzipienlehren und, was wichtiger ist, auch frei von den bei uns nie aussterbenden Versuchen, in die prinzipiell ange­ nommene historisch-psychologische Methode durch irgend welche Hinter­ pförtchen doch wieder eine spezifisch christliche d. h. supranaturalistische Methode einzuführen. Das Buch ist reinlich gedacht und aus einem me­ thodischen Gusse. Das ist schon ein gros ses Verdienst. Noch grösser ist das Verdienst des Grundgedankens selbst, der Theorie des "kritischen Sym­ bolismus"3, die Sabatier mit schlagender Klarheit und einleuchtendster An­ schaulichkeit durchgeführt hat. Die spezifisch theologischen Anhängsel, mit denen Schleiermacher und Lipsius diese Theorie belastet haben, sind mit glücklichem Griff entfernt.

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"Le

troisieme caractere, enfln, de la connaissance religieuse [neben Subjektivität und Teleologie] sera d'etre symbofique. Cela veut dire que toutes les notions forme et qu'elle organise, depuis la premiere metaphore que cree le sentiment religieux, jusqu'a l'idee la plus abstraite de la speculation theologique, seront necessairement inadequates a leur objet et ne pourront jamais en erre donnees comme l'equivalent, ainsi que cela arrive dans les sciences exactes." (S. 390) Vgl. im dritten Buch, 4. Ka­ pitel: V I Symbolisme" (S. 390--4 1 2) . "

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Was dieses von S. geprägte Schlagwort besagen soll, ist in der Hauptsa­ che Folgendes. Die Religion ist ein historisch-psychologisch zu studirendes Phänomen, das in seiner ganzen Ausdehnung untersucht werden muss. Erst von einer solchen, das Allgemeine umfassenden Analyse aus kann die Frage nach Bedeutung und Stellung der einzelnen besonderen Religionen erhoben werden. Religionspsychologie und konstruirende Religionsgeschichte sind so die beiden Grundpfeiler der Religionswissenschaft.4 Das Ergebniss der ersteren ist die Einsicht in die psychologische Entstehung der Religion aus dem Konflikt zwischen der gleichgültigen Härte der äusseren Wirklichkeit und dem innersten Lebensanspruch des Ich, in welchem Konflikt sich die Beziehung zur übersinnlichen Welt herstellt. I Dieses Erlebniss giebt sich einen symbolischen Vorstellungsausdruck, der nach Festigkeit und Dauer strebt, aber doch umwandelungs- und anpassungsfähig ist. Insbesondere die Vorstellungen von Wunder, Offenbarung, Inspiration sind lediglich symbo­ lische Objektivirungen innerer Erlebnisse. Das Ergebniss der zweiten Un­ tersuchungsreihe5 ist die Schätzung des Christenthums als "der vollende­ ten Religion"6, da es allein prinzipiell universalistisch ist und allein Religion und Sittlichkeit innerlich verschmilzt, den grössten Umfang und den tief­ sten Inhalt hat. Aber auch innerhalb des Christenthums ist der symbolische Vorstellungsausdruck für das ihm zu Grunde liegende religiöse Erlebniss der Wandelung und Entwickelung unterworfen, theils von der Seite innerer Bewegungen der christlichen Frömmigkeit selbst, theils von der Seite der sich wandelnden allgemeinen geistigen Atmosphäre. Als elastischer Körper vermag diese Vorstellungswelt sich beständig umzuformen und anzupassen, immer soweit wahr, als sie wirklich religiösen Gehalt symbolisirt, immer so­ weit der wissenschaftlichen Kritik fähig, als diese sich auf die Vorstellungs­ form bezieht. Als ein Ergebniss dieser Anpassungen, inneren Wandlungen und wissenschaftlichen Kritik erscheint dann am Schlusse die Glaubensleh­ re des fortgeschrittenen Protestantismus.' Sofern sich dann hierbei die Fra­ ge nach dem Verhältniss dieser Glaubenswahrheit zu den Ergebnissen der Wissenschaft erhebt, wird auf die neukantische Theorie von der Doppelsei­ tigkeit unserer Erkenntniss hingewiesen, die einerseits den Bewusstseinsin­ halt streng kausal-mechanisch in sich verknüpft, andererseits diese objektive Welt der Gesetzlichkeit nach ethischen, ästhetischen und religiösen Werth4 Vgl. l er livre: "La Religion" (S. 1-1 35) . 5 Vgl. 2 e livre: "Le christianisme" (S. 1 37-260) . 6 Das Zitat lautet im Original vollständig: "Je suis chretien, parce que je ne puis etre religieux d'aucune autre fa7 seine supernaturalistische Position gegen die Reli­ gionsphilosophie geltend. Er leugnet überhaupt das Recht jeder selbststän­ digen und ohne die Voraussetzung der übernatürlichen Alleinwahrheit des Christenthums operirenden Religions I philosophie. Sie muss ausdrücklich entgegen dem modernen Wahne der Voraussetzungslosigkeit von der erfah­ rungsmässigen Anerkennung der christlichen Erlösungsoffenbarung ausge­ hen, darf von Hause aus die Ideal- und Normalreligion nur im Christen­ thum erkennen, worauf auch die Postulate der ausserchristlichen Religionen hinweisen, muss alle nichtchristlichen Religionen und Glaubensweisen aus der Sünde erklären und muss schliesslich zeigen, dass gegenüber dieser Sün­ de die christliche Normal- und Idealreligion nur als übernatürliche Erlösung und Wiederherstellung in einer langsam zum Centralwunder der MenschOrt des Christenthums in der Reihe der Religionen zu bestimmen gesucht. Inso­ fern hat er zuerst die Religionsgeschichte als Erkenntnissmittel verwerthet. Da­ durch hat er den richtigen Weg gezeigt, auf dem sich eine Kenntniss der Religion gewinnen läßt, die die methodische Voraussetzung der wissenschaftlich genauen Kenntniss des Christenthums bildet." (Kaftan, S. 1 1) VgL dazu Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evange­ lischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1 821 /22 1 , 1 980; 1 830/31 2, 2000) . 66 "Wie verhält sich nun beides zu einander, das im Glauben geübte Erkennen und das dogmatische Erkennen? [ ...] die wissenschaftliche Thätigkeit [hat] hier keine andere als die schon genannte formale Funktion scharfer Präzisirung und genauer Darstellung einer schon gegebenen Erkenntniss. Die dogmatischen Sätze enthal­ ten also nie mehr, als was der Glaube erkennt, und wenn sie mehr enthalten, ist es nur ein Beweis, dass Fehler gemacht worden sind: alle Zuthaten aus dem Eigenen sind vom Ü beL" (Kaftan, S. 90) . 67 Alexander von Oettingen: Lutherische Dogmatik, 1 . Band: Principienlehre (1 897) , siehe auch Ernst Troeltsch: (Rez.] Alexander von Oettingen: Lutherische Dogma­ tik, 1 . Band: Principienlehre (1 898), unten, S. 501-507.

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werdung und des Sühntodes ansteigenden, organischen Heilsgeschichte hi­ storisch sich verwirklichen konnte. Dabei schieben sich ihm, indem er die Geschichte der nichtchristlichen Religion als Geschichte der Irreligion be­ handelt, an Stelle der concreten Religionen überall moderne Philosopheme unter, bei denen die von der Sünde übrig gelassenen Wahrheitsmomente gebilligt, die Momente des Irrthums dagegen als Warnungen für den Dog­ matiker behandelt werden. Von einer Auseinandersetzung mit der wirkli­ chen modernen Religionsphilosophie ist nicht die Rede. Auf Grund des so als übernatürlich bezeugten Objectes der Dogmatik wird dann eine religiös­ dogmatische Erkenntnisstheorie construirt, die ebenfalls sich weigert, eine religiöse Erkenntnisstheorie im Hinblick auf die Gesammtheit der Religio­ nen aufzusuchen und vielmehr eine dem übernatürlichen Objecte entspre­ chende übernatürliche Erkenntniss, die durch die Gnade gewirkte Heilser­ fahrung, behauptet. - Tiefer führen in die wirklich vorliegenden Probleme die beiden religionsphilosophischen Hauptwerke des Jahres ein, die beiden Werke von Tiefe und Sabatier. Tiefrf8 gibt den ersten Band einer auf zwei Bän­ de berechneten Untersuchung über Entwicklung und Wesen der Religion. Es sind seine Gifford-Vorlesungen, ein neuer, höchst willkommener Beitrag zu den vortrefflichen aus dieser Stiftung hervorgegangenen Leistungen.69 Der vorliegende Band behandelt die Morphologie, die Entwicklungsformen und Entwicklungsgesetze, ein Thema, zu dessen Behandlung T. durch seine ungewöhnlich reichen anthropologischen, ethnographischen und philologi­ schen Kenntnisse befähigt ist, wie kein Anderer. Zwei Eingangscapitel er­ örtern die Methode und, da diese als entwicklungsgeschichtlich bezeichnet wird, zugleich die allgemeinste Bedeutung und Fassung des Entwicklungs­ begriffes.70 Die Religionsphilosophie ist für T. eine spät mündig geworde­ ne, aber nunmehr völlig selbstständige Wissenschaft, gleich der vergleichen­ den Sprachwissenschaft.71 Sie verhält sich nicht rein beschreibend, sondern 68 Cornelius P. Tiele: Elements of the science of religion, Part 1 : Morphological (1 897) , sowie ders.: Inleiding tot de Godsdienstwetenschap, 1 . Reeks: Nov.-Dec. 1 896 (1 897) . Bei wörtlichen Zitaten in den folgenden Anmerkungen wird nur der englische Text zitiert. Die jeweiligen Seitenzahlen der holländischen Ausgaben werden zusätzlich erwähnt. 69 Zu der Gifford-Stiftung vgl. oben, Anm. 2, S. 209 f. 70 Vgl. Tiele: Elements, Lecture 1 : "Conception, aim, and method of the science of religion" (S. 1-27) und Lecture 2: "Conception of the development of religion" (S. 28-57) ; Tiele: Inleiding, Eerste Lezing: "Begrip, doel en methode der Gods­ dienstwetenschap" (S. 1-26) und Tweede Lezing: "Begrip der ontwikkeling van de godsdienst" (S. 27-53). 71 "It cannot [ ...] be doubted that such an investigation of religion can claim the name of science, and that the science of religion has a right to rank as an indepen-

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zugleich entwicklungsgeschichtlich construirend und urtheilt über Stufen, Fortschritte und fördernde oder hemmende Gesetze der Entwicklung, da­ bei den Schwerpunct auf die Entwicklung des religiösen Gedankengehaltes legend, so sehr Moral und Cultus mit in Betracht kommen. Das schwierig­ ste Problem ist hierbei das Verhältniss dieser entwicklungsgeschichtlichen Wissenschaft zur Theologie, als der Wissenschaft von einer maassgebenden und gelten sollenden Religion. Hier I hilft sich T. durch den Satz, dass die Religionsphilosophie als Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der gelten sollenden Wahrheit nichts präjudicire, dass sie die Wirklichkeit der religiösen Mächte gewähren lasse und nur diese thatsächlichen Mäch­ te verzeichne.72 Diejenige, die unter ihnen durch eigene innere Kraft am meisten sich als allgemeine Wahrheit wirklich durchsetzt, wird auch von ihr als solche anerkannt werden. So brauchen auch die religiösen Mächte der Wirklichkeit sich um die Religionsphilosophie nicht zu sorgen, sie sollen aus dem productiven religiösen Drange heraus prophetisch ihre Verkün­ digung wirksam machen, und diejenige, welche hierbei den stärksten und innerlichsten Glauben an sich selber hat, wird siegen. Freilich ist dieser Aus­ weg sehr ungenügend, wenn wirklich - wie das allerdings nicht anders sein kann - die Religionsphilosophie abstufend und werthend, also teleologisch, den Entwicklungsgang construirt, und wenn andererseits - wie das eben­ falls unvermeidlich ist - das natürliche Selbstvertrauen der praktischen Reli­ gion durch allzu nahe Bekanntschaft mit der Mannigfaltigkeit verschiedener und flies sender Religionstypen beirrt worden ist. So kann denn T. nicht um­ hin, wenigstens andeutend auf Hegel's Gedanken zu verweisen, dass man der Vernünftigkeit der Dinge vertrauen müsse, vermöge deren die am in­ nerlichsten und tiefsten universalistische Religion sich auch als Zielpunct der Entwicklung erweisen und umgekehrt die Analyse der Entwicklung zu dent study, and not merely as one of a group. What, then, are the characteristics that constitute a science? [ ...] The characteristics are - a wide extent of domain; a unity which embraces the multiplicity of facts belonging to that domain; an in­ ward connection of these facts which enables us to subject them to careful dassi­ fication, and to draw fruitful inferences from them; and lastly, the importance of the results attained, and of the truth which reasoning has brought to light from the ascertained facts. Now, if the science of language can stand this test, and need not fear comparison with any other recognised science, the same holds true of the science of religion." (fiele: Elements, S. 5 f.; Inleiding, S. 5) . 72 "The business of the science of religion is to investigate and to explain; it desires to know what religion is, and why we are religious; but the task of theology is to study, explain, justify, and if possible to purify, one given form of religion, by fathoming its oldest records, by reforming, by harmonising it with new needs, and thus furthering its development." (fiele: Elements, S. 1 2; Inleiding, S. 1 1 f.) .

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der Anerkennung der am meisten innerlich-geistigen und daher am meisten universalistischen Religion führen werde.73 Insofern gesteht er denn auch der Religionsphilosophie sogar eine fördernde und grundlegende Bedeu­ tung für die Theologie ZU.74 Der diese ganze Auffassung und speciell dieses Problem herbeiführende Entwicklungsbegriff wird von ihm in der Weise festgelegt, dass die hier vorausgesetzte Entwicklung nicht naturgesetzlich, sondern geistesgesetzlich zu verstehen ist, dass sie das gesammte Gebiet re­ ligiöser Erscheinungen als ein homogenes, unter sich zusammenhängendes und gegen andere Gebiete selbstständiges Lebenssystem aufzufassen und seine Bewegung als continuirliche Veränderung durch kleine Theilbewegun­ gen zu verstehen hat, dass sie jedoch bei dieser Bewegung auf die Freiheit und damit auf Still s tand, Fehlentwicklung und Zurückartung zu rechnen und daher keinen logisch-continuirlichen Fortschritt anzunehmen hat.75 Sie stellt eine Reihe sehr verwickelter Probleme, insofern die Entwicklungsstu­ fen sich nicht auf verschiedene Religionen vertheilen, sondern jede grössere Religion selbst mehreren Stufen angehört und die Religionen gleicher Stufe doch zugleich die tiefsten, mit der jeweiligen Sonderart der Vorstufe zu­ sammenhängenden Artunterschiede aufweisen. Eine weitere Erschwerung erfährt ihre Analyse dadurch, dass ihr Subject das religiöse Leben einzel­ ner, individueller und concreter Menschen ist, nicht eine unpersönliche re73 Diese These kann so bei Tiele nicht nachgewiesen werden. Vgl. Tiele: "In Ger­ many, the horne of speculative philosophy, Hegel endeavoured, in his own way, to make the his tory of religion the handmaid of philosophy, but the materials at his command were necessarily scanty." (fiele: Elements, S. 1 6 ; Inleiding, S. 1 5) . 7 4 "Theology indeed teaches what a certain religion is, what i t demands o f its adhe­ rents, how it has arisen and attained its present condition, and even what it ought really to be in accordance with its own principles; but if it does not compare its religious system with others, and above all test it by the laws of the evolution of religious life, which the science of religion alone can reveal, it can neither wholly comprehend nor fully appreciate its own religion." (fiele: Elements, S. 1 4; Inlei­ ding, S. 1 3) . 7 5 Tiele versucht, einen allgemeinen Entwicklungsbegriff z u definieren. E r kommt dabei zu dem Schluß: "In short, the hypothesis of the evolution of religion rests on the conviction of the unity and independence of the religious life throughout all its changes of form. [ ...] This by no means implies that the religions and the sects of every kind and extent known to his tory - many of which still exist - are constantly developing. To some extent doubtless they are, but the development is not continuous. All religions - that is, all organisations of the religious life of a given community and period - develop; but, like every form of social life, for a time only. All have their periods of birth, growth, bloom, and decline." (fiele: Elements, S. 3 1 ; Inleiding, S. 29 () .

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ligiöse Idee und auch nicht das, was man erst als Producte des religiösen Lebens ansehen kann, Dogma, Mythus, Theologie, Cultus I und Moralleh­ ren. Die Letzteren haben ein eigenes, selbstständiges, von dem der Religion verschiedenes Leben und streben nach möglichster Stabilität, während die Religion selbst im Innern des Menschen theils bewusst, theils unbewusst in beständiger Bewegung ist und durch diese Bewegungen die Entwick­ lung hervorbringt. Auch Reformen und gewaltsame Religionsveränderung durch Eroberung oder Mission heben diesen Entwicklungscharakter der Re­ ligion nicht auf, da die ersteren immer die Ansammlung kleiner vorausge­ gangener Umwälzungen voraussetzen und die letzteren wirklichen Erfolg nur haben, wenn sie auf entgegenkommende Bewegungen treffen, andern­ falls auf die Stufe der bekämpften Religionen herabgezogen werden. Das 3., 4. und 5. Capitel geben den Aufriss der Entwicklungsstufen,76 in der Hauptsache im Anschluss an Whitney77. T. unterscheidet Naturreligionen und ethisch-prophetisch-reformatorische (Stifter-) Religionen. Die ersteren zerfallen in drei Stufen: 1 . die nur erschlossenen, nirgends mehr vorkom­ menden niedersten Naturreligionen, die, die Vorstellungs formen des Ani­ mismus benutzend, einem ungezügelten und wechselnden Glauben an Na­ turgeister und Todtengeister huldigten; 2. die polydämonistisch-magischen Religionen, die, mehr stammesmässig geschlossen, die Geister von den Ob­ jecten trennen, zu besonderen Gruppen vereinigen und magisch bearbei­ ten; 3. die polytheistischen, humanisirten und ethisirten Naturreligionen, die ein System höherer Götter aussondern und über Geister, Dämonen und Localgötter erheben, Neigungen zur Staatsreligion und Priesterreligion, monotheistischer und pantheistischer Speculation erzeugen, Geschlechter­ und Staatsculte und Verbindungen mit Recht, Sitte und Gesetz hervorbrin­ gen.78 Aus diesen letzteren geht die zweite Hauptgruppe, die prophetischen oder ethisch-spiritualistisch-reformatorisch-offenbarungsgläubigen Religio­ nen, hervor, die überall auf Personen, wenn auch nicht nothwendig eine 76 Vgl. Tiele: Elements, Lecture 3: "Stages of development - the lowest nature-reli­ gions" (S. 58-87) , Lecture 4: "Stages of development - the highest nature-religi­ ons" (S. 88-1 1 9) und Lecture 5: "Stages of development - the ethical religions" (S. 1 20-1 49) ; Inleiding, Derde Lezing: "Trappen van ontwikkeling. De laagste natuurgodsdiensten" (S. 54-80) , Vierde Lezing: "Trappen van ontwikkeling. De hoogste natuurgodsdiensten" (S. 81-1 08) und Vij fde Lezing: "Trappen van ont­ wikkeling. De ethische godsdiensten" (S. 1 09-1 35) . 7 7 Vgl. William D. Whitney: O n the so-called science o f religion (1 881). 78 Zur ersten Stufe, dem "animism", vgl. Tiele: Elements, S. 68-72 (Inleiding, S. 63-66) , zur zweiten Stufe - TieIe spricht hier auch von der Stufe des "spiritism" - vgl. S. 72-87 (Inleiding, S. 88-1 1 9) und zur dritten Stufe Lecture 4 (S. 88-1 1 9; Inleiding, Vierde Lezing, S. 81-1 08) .

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einzige, zurückgehen, mehr an die Individuen als an Staat und Volk sich wenden, ethische Forderungen als den Willen der Gottheit verkünden, den Geist und übersinnliche oder jenseitige Güter dem sinnlichen Leben und seinen Gütern entgegensetzen, den Glauben an die Stifterpersonen und deren Offenbarungen binden. Sie erzeugen heilige Bücher, Kirchen, Kei­ me des Individualismus und Spiritualismus, haben von Hause aus mono­ theistische oder pantheistische Färbung, lassen gelegentlich Askese, Pessi­ mismus, Mystik gegenüber der Sinnenwelt entstehen, und verfestigen vor Allem die Religionen zu unzerstörbarer Gestalt. Keine von ihnen Ouden­ thum, Parsismus, Brahmanismus, Confucianismus, Islam) ist je wieder un­ tergegangen, ohne dass umgekehrt die Entstehung neuer ausgeschlossen wäre. Von diesen ethischen Prophetenreligionen unterscheiden sich wieder Christenthum und Buddhismus, die aber beide eigentlich Religionsfamilien darstellen, durch den völlig und principiell ausgebildeten Individualismus und Universalismus. Zudem ist das Christenthum in seiner gegenwärtigen Entwicklung im Begriffe, den Dualismus dieser Religionen in einer freilich von An I fang an in ihm angelegten, aber doch bisher nicht zur Geltung gekommenen Weise zu überwinden. Insofern nimmt es eine Sonderstellung ein. Das 6. und 7. Capitel schildern dann die mannigfaltigen, coordinirten, innerhalb dieser Stufenunterschiede stattfindenden und mit bereits auf den Vorstufen vorhandenen Besonderheiten zusammenhängenden be­ sonderen Entwicklungsrichtungen einzelner Religionsgruppen und Religionen, die ausser von äusseren Bedingungen zugleich von einseitiger Betonung einzelner Momente des religiösen Bewusstseins beeinflusst sind.79 Er veranschaulicht diesen Unterschied besonders an der Gruppe der thean­ thropischen indogermanischen Religionen, die Götter und Menschen mehr freundschaftlich und gleichartig zusammenordnen und bis zur Erhebung der Menschen unter die Götter fortschreiten können, und an der Gruppe der theokratischen semitischen Religionen, die vor Allem die Kluft zwischen der Nichtigkeit der Menschen und der erhabenen Willkür der Götter betonen. Diese Unterschiede gehen bis in Ritual, Tempelbau, cultische Kunst und Sitte hinein. Bedeutsam ist auch der Hinweis, wie aus der ersten Richtung, aus der Erhebung brahmanischer Askese und Contemplation über die Götter, der Buddhismus mit seiner Erhöhung Buddha's über die Götter und der vollständigen Depotenzirung der Götter entstehen konn79 Vgl. Tiele, Elements, Lecture 6: "Oirections of development" (S. 1 50-1 8 1 ) und Lecture 7: "Oirections of development in particular religions and in groups of kindred religions" (S. 1 82-2 1 2); Inleiding, Zesde Lezing: "Oe richtingen der ont­ wikkeling" (S. 1 36-1 64) und Zevende Lezing: "Richtingen van ontwikkeling in de bijzondere en in groepen van nauw verwante godsdiensten" (S. 1 65-1 92).

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te. Nicht minder aber zeigen Aegypter, Assyrer und Babyionier, Inder und Perser, Griechen und Römer solche besonderen Entwicklungslinien der re­ ligiösen Idee. Die genauere Ueberlegung dieser Erscheinungen besonderer Entwicklungsrichtungen führt dann aber zugleich zur Einsicht in die Be­ deutung der Kreuzungen und Berührungen der Religionen. Diese sind ein Haupthebel der religiösen Entwicklung, sei es dass sie durch Verschmel­ zung bereichernde, oder durch Gegensätzlichkeit verstärkende und reini­ gende Wirkung haben. So hat insbesondere das Christenthum die reichste Kreuzung verschiedener Religionen zu seiner directen und indirecten Vor­ geschichte und hat es selbst seine originellsten Ideen erst in der Kreuzung mit der indogermanischen Welt hervortreten lassen. Die drei letzten Ca­ pitel handeln von den Gesetzen der religiösen Entwicklung, d. h. von den die Entwicklung fördernden Grundrichtungen des religiösen Entwicklungs­ processes.80 Damit nimmt T. eine frühere Arbeit (ThT. 1 874)8 1 wieder auf. Diese Gesetze ergeben sich zunächst aus der Natur des geistigen Lebens überhaupt, sind geradezu die hieraus entspringenden Gesetze in ihrer be­ sonderen Wirkung auf die Religion.82 Hier finden wir als aus dem Gesetz der Einheit des geistigen Lebens folgend: 1 . bezüglich des Verhältnisses zu den anderen Culturinhalten das Gesetz der Assimilation, vermöge dessen die Religion aus dem politischen und socialen Leben, aus Recht und Sitte, aus Kunst und Moral sich aneignet, was ihrer Verehrung des Göttlichen homo­ gen ist;83 2. bezüglich des Verhältnisses der verschiedenen Religionen zu ein­ ander das Gesetz der Förderung durch Verkehr, Austausch, Kreuzung und Gegensatz;84 3. bezüglich des Ablaufes der Entwicklung das Gesetz I der 80 Vgl. Tiele, Elements, Lecture 8: "Laws of development" (S. 21 3-243), Lecture 9: "Influence of the individual in the development of religion" (S. 244-271 ) und Lecture 1 0: "Essentials of the development of religion" (S. 272-302) ; Inleiding, Achtse Lezing: "Wetten der ontwikkeling" (S. 1 93-220) , Negende Lezing: "De macht van het individu in de ontwikkeling van de godsdienst" (S. 221-245) und Tiende Lezing: "Waarin be staat wezenlijk de ontwikkeling van de godsdienst" (S. 246-273) . 81 Cornelius P. Tiele: Over de wetten der ontwikkeling van den godsdienst (1 874) . Tiele erwähnt diese Arbeit auf S . 2 1 3 (Inleiding, S . 1 93) . 82 Tiele spricht auf S. 232 von der "unity of mind", die er wie folgt charakterisiert: ,,[...] the development of religion is the necessary consummation of all human de­ velopment, and is at once demanded and promoted by it." (fiele: Elements, S. 233; Inleiding, S. 2 1 0 f.) . 83 "Development [...] is promoted by assimilation; religion assimilates whatever is good and true in general culture; and each form of religion assimilates whatever is good and true in other forms." (fiele: Elements, S. 242; Inleiding, S. 2 1 9) . 8 4 Tiele formuliert das Gesetz wie folgt: ",All development, apart from the na-

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Continuität oder der beständigen Zusammenwirkung kleiner Theilbewegun­ gen, die nur scheinbar durch die Perioden des Stillstandes oder der Katastro­ phen unterbrochen wird.85 Daran reiht sich übereinstimmend mit der stei­ genden Individualisirung des geistigen Gesammtprocesses 4. das Gesetz der steigenden Bedeutung der Persönlichkeit, deren Wirkung zwar auch auf den niederen Stufen nicht unterschätzt werden darf, die aber immer mehr der Hebel der religiösen Entwicklung wird. Dabei wird Duhm's Forderung, die religiösen Genien wesentlich als Ekstatiker und Visionäre aufzufassen, ab­ gelehnt.86 Mehr der eigenthümlichen Tendenz des religiösen Lebens selbst gehören an 5. das Gesetz der steigenden Differenzirung, vermöge deren immer grössere Varietäten der Religionen zu Tage treten und die grossen Hauptreligionen geradezu zu Religions familien werden, vermöge deren aber auch die Religion von den übrigen Culturinhalten sich immer selbstständi­ ger absondert.87 Nur scheinbar im Gegensatz hierzu steht 6. das Gesetz der steigenden Unificirung, vermöge deren mit der steigenden Individualisirung und Verselbstständigung der Religion der Anspruch auf eine innerliche und darum schlechthin universelle Geltung erwächst und eine absolut universatural capabilities of men and peoples, results from the stimulus given to self-consciousness by contact with a different stage of development, whether higher or lower.' And if we transfer this general law to our own particular domain, two practical rules flow from it: First, ,The religion that will attain the highest de­ velopment is that which is most alive to the genuinely religious elements in other forms;' and secondly, ,Religious development is best promoted by the free inter­ course of its most diverse manifestations.'" (fiele: Elements, S. 239 f.; Inleiding, S. 2 1 6 f.) . 85 "In his tory, including that of religion also, there are periods of decline and retro­ gression, or at least apparent stagnation, which are supposed to prove that deve­ lopment is not continuous, but is sometimes interrupted, although to resurne its course at a later period." (fiele: Elements, S. 267 f.; Inleiding, S. 242) . 86 "Religion develops through the medium of persons, because it is the most perso­ nal attribute of man. Ir must constantly become man in order to continue to be his pos session and to grow up with hirn. For such creative religious spirits stamp the impress of their genius upon a long period of development; renewed and fo­ cussed in them, religious life radiates from them throughout the succeeding ages. This is the great law of the continuiry of refigious devefopment." (fiele: Elements, S. 27 1 ; Inleiding, S. 245) Tiele bezieht sich hier auf Bernhard Duhm: Das Geheimnis in der Religion (1 896) . 87 "Ir [ ...] appears that, where religion shows the greatest vitality, the number and the diversity of its forms and manifestations will also be greatest, that new varieties will constantly arise, and that the course of development is from unity to plurality, its essence being differentiation." (fiele: Elements, S. 284; Inleiding, S. 257) .

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le Religion als der nothwendige Abschluss erscheint, vermöge deren aber auch gerade die darin zu sich selbst gelangte Religion eine Ausgleichung mit den übrigen Geistesinhalten fordert.88 Auf die Ableitung von Gesetzen, die aus dem Inhalt der Religion sich ergeben und eine bestimmte Richtung der inhaltlichen Entwicklung der religiösen Idee firiren wollen, verzichtet T. Er lehnt die geistreiche Theorie Siebeck's, die den Gang der Entwick­ lung auf die Entwicklung der Erlösungsidee hinausführt, mit freilich sehr allgemein gehaltenen Gründen ab.89 Ihm scheint vielmehr als Endziel eine Gestaltung des Christenthums vorzuschweben, die dem halb particularisti­ schen Islam und dem verwilderten Buddhismus entgegen die Tendenz zu einer Versöhnung der immanenten und transszendenten Gottesanschauung in sich enthält. Darüber wird dann der zweite Band nähere Auskunft geben, der das psychologische Wesen der Religion auf dieser Grundlage behandeln soll.9O Dass schon dieser Band reich an den fruchtbarsten Gedanken und Betrachtungen ist, wird das Referat gezeigt haben. Man braucht nur seinen 88 "On the one side we observe the march of development attended by ever-mul­ tiplying varieties, ever greater wealth of forms, destined indeed to supersede the old, but only with a section of the devout, while the older forms retain their place, for a time at least, alongside of the new. On the other hand, we observe constant simplification. The creed and the doctrine of religious life are reduced to a fixed system, to a few cardinal points, and at last to a single fundamental principle. There is a continual effort to penetrate from and through multiplicity to unity, from and through the changing and transient to the permanent, and also to give expression to this aspiration. But this is far from implying that religious development consists in the co-operation of these two tendencies; for both belong properly to its for­ mal side." (fiele: Elements, S. 294 f.; Inleiding, S. 266 f.) . 89 ,,[...] when Professor von Siebeck describes it as ,one of the signs of religious deve­ lopment, when the spiritual in the non-spiritual comes into the foreground and be­ comes independent', he expresses a certain amount of truth for which we shall pre­ sendy give hirn fuH credit; but we cannot accept the antithesis of spiritual and non­ spiritual in his description. [ ...] The whole dualis m of spiritual and non-spiritual, of religious and worldy, belongs doubdess to a higher stage of religious development than an earlier and more materialistic stage, but to one which we had at all events outgrown. We can no longer rest satisfied with this dualism, but we strive for har­ mony and reconciliation." (fiele: Elements, S. 276 f.; Inleiding, S. 250) Tiele be­ zieht sich hier auf Hermann Siebeck: Lehrbuch der Religionsphilosophie (1 893) . 90 Vgl. die Schlußworte des 1 . Bandes von Tiele: "This concludes my first course of lectures, treating of the morphological part of my subject. Life and health per­ mitting, I hope to deliver the second course next year, treating of its ontological aspects. Following the same method as we have hitherto applied, that of deduction from carefully observed data, we shall then endeavour to form an idea, not mere­ Iy of the development of, but of the essential and permanent elements in religion,

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Inhalt mit der rein dialectisch entwickelnden und nur die Sonderstellung des Christenthums als der exclusiven Erlösungsreligion anstrebenden Reli­ gionsphilosophie Schleiermacher's oder mit der nicht minder dialectischen, bloss die Deckung der absoluten Idee mit dem Christenthum anstreben­ den Religionsphilosophie Hegel's zu vergleichen, um zu erkennen, wie sehr inzwischen die historisch-empirische Forschung die Probleme verschoben hat. - Das Buch des greisen Decans der Pariser Facultät, Sabatier91, ist weit glänzender in der Form, aber viel ärmer an Inhalt. Menegoz und Lobstein (fhL. 1 897, S. 1 92-202. Vgl. auch Marillier, Rev. phil. 44, S. 89-96) haben es bereits als ein literarisches Ereigniss begrüsst.92 Der eifrige Frankianer H Bois93 hat es mit einem I Hagel von polemischen Abhandlungen überschüttet. Für die Engländer ist eine Uebersetzung veranstaltet worden.94 Es verdankt diesen Erfolg mehr der ausgezeichneten stilistischen Kunst und der treffenden Klarheit der von ihm geprägten Formeln als der Neuheit seiner Gedanken. Sein Grundgedanke ist: "Wer in den Wirrnissen des Lebens sich behaupten will, bedarf der Religion. Wer Religion haben will, kann sich nur an das Christenthum halten. Wer das Christenthum will, kann es nur in der Fassung des freien Protestantismus haben. Und wer den freien Protestantismus hat, der hat auf der Grundlage des Neukantianismus auch die Möglichkeit einer wissenschaftlich haltbaren Glaubenslehre"95. Das er-

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and thus ascend to its true and ultimate source." (fiele: Elements, S. 302; Inlei­ ding, S. 273) Der 2. Band erschien 1 899. Vgl. Cornelius P. Tiele: Elements of the science of religion, Part 2: Ontological (1 899), ders.: Inleiding tot de Godsdienst­ wetenschap, 2. Reeks Nov.-Dec. 1 898 (1 899) . Auguste Sabatier: Esquisse d'une philosophie de la religion d'apf(!s la psychologie et l'histoire (1 897) . Louis Eugene Menegoz: V n evenement theologique (1 897), Paul Lobstein: [Rez.] Auguste Sabatier: Esquisse d'une philosophie de la religion d'apres la psychologie et l'histoire (1 897) und Uon Marillie r: [Rez.] Auguste Sabatier: Esquisse d'une philosophie de la religion d'apres la psychologie et l'histoire (1 897) . Henri Bois: L'essence e t l'origine d e l a religion d'apres M . Sabatier (1 897), ders.: La conception de Dieu d'apres le neo-criticisme et le symbolo-fideisme (1 897), ders.: La methode et la metaphysique de M. Sabatier (1 897) und ders.: La philosophie de la religion de M. Sabatier (1 897). Diese Aufsatzreihe setzte sich auch in der folgenden Ausgabe der "Revue de theologie et des questions religieuses" fort. Vgl. ders.: L'essence du christianisme d'apres M. Sabatier (1 898), ders.: La religion et la reveIation d'apres Sabatier (1 898) und ders.: Le miracle et l'inspiration d'apres M. Sabatier (1 898) . Auguste Sabatier: Outlines of a Philosophy of Religion based on Psychology and History (1 897) . ,,[...] j 'aurais voulu dire et faire comprendre aux hommes de ma generation, pour-

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ste Buch schildert demgemäss in Anlehnung an gleichzeitige dogmatische Deductionen, besonders an Lipsius, die Nothwendigkeit und das Recht der Religion, wie sie aus dem Conflict der empirischen Wirklichkeit und des un­ endlichen Lebensanspruches des Ichs entsteht, diesen Conflict durch die Gottesidee auflöst und in dieser Auflösung die mystische Wirkung Gottes an den Seelen erfährt, um dann diese Erfahrung in Vorstellungssymbolen auszudrücken.96 Offenbarung, Wunder und Inspiration, jene durchgängigen Formen des religiösen Bewusstseins, sind psychologisch zu erklärende Aus­ drucks formen für diesen Vorgang, die Ur- und Grundsymbole aller Religio­ nen.97 Erst die Vereinigung griechischen Intellectualismus und hebräischen Supernaturalismus hat daraus die äusserliche Vorstellung einer mechanisch­ übernatürlichen Lehrmittheilung entstehen lassen. Die so entstehende Reli­ gion prägt sich in verschiedenen socialen Gemeinschaften aus, denen jedes­ mal eine besondere Art des religiösen Erlebnisses und ein entsprechender besonderer Vorstellungsausdruck eigen ist und die in einem ansteigenden Stufenbau zu immer grösserer Allgemeinheit des Umfangs und zu immer grösserer Reinheit des Inhalts sich erheben.98 Als die absolut universale und als die rein geistige, Religion und Sittlichkeit vereinigende Religion ist das Christenthum die "extensiv und intensiv vollendete" Religion.99 Das zweite

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quoi, en ce qui me regarde, je reste religieux, chretien et protestant; par quelles raisons et de quelle manie re ces trois etats d'ame se lient en moi l'un a l'autre et n'en font qu'un. Je suis religieux, parce que je suis homme et ne veux etre rien de moins, et que l'humanite, en moi et dans ma race, commence et s'acheve dans la religion et par elle. Je suis chretien, parce que je ne puis etre religieux d'aucune au­ tre fa KGA 1 0, siehe auch unten, S. 439 f. 243 "Der tiefe Gegensatz, der das Christentum und bis zu einem gewissen Grade als seinen Vorläufer auch die jüdische Religion von allen anderen trennt, entspringt einer ganz neuen Deutung des Lebens und der Welt. Das religiöse Bewußtsein wird hier lediglich durch die Aufgaben bestimmt, welche dem sittlichen Leben der Gesamtheit gestellt sind und welche die unbedingte Vorherrschaft des Geistes über die Natur als eine unerbittliche Forderung hinstellen". (Vierkandt, S. 1 59 f.) .

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ge herabgezogen zu werden und ohne andererseits bei seiner Innerlichkeit und Geistigkeit sich zu verflüchtigen.244 Für die Philosophie andererseits stellt die Vollcultur die Aufgabe, eine Gesammtanschauung zu erzeugen, in der die thatsächliche Naturbedingtheit und die geistigen Werthe der Vollcultur mit einander ausgeglichen werden, wobei die logisch-formale Richtung und der optimistische Glaube zu einem monistischen, die Berück­ sichtigung der Thatsachen jedoch zu einem dualistischen Abschluss anleitet, unter allen Umständen die innere Complicirtheit der Vollcultur sich in der Schwierigkeit und Complicirtheit der Weltanschauung abspiegelt. V. glaubt eine wachsende Neigung zum Dualismus in Aussicht stellen zu müssen.245 Ref. kann das Buch nur dringend zur Beachtung empfehlen. Es steckt den Boden ab, auf dem alle principiell religionsgeschichtlichen Untersuchungen sich zu bewegen haben. - Die Abhandlung Thode's246 sei notirt, weil sie von der geistigen Entwicklung im Allgemeinen handelt und die der Kunst nur in diesem Zusammenhang betrachtet. Er spricht dabei den treffenden Gedanken aus, dass in jedem Culturkreise zuerst die Befriedigung der dringendsten Triebe nach Festigung in Recht, Sitte, Staat, Moral und Wirthschaft, sowie nach Gestaltung des religiösen Glaubens und Cultus erfolgt und erst dann die dadurch frei gewordene Musse und Kraft sich der Kunst und Wissenschaft zuwendet, welche beide in den vorausgegangenen I bereits verfestigten Bildungen ihren Stoff finden.247 Die Bedeutung des Genius in diesen Entwicklungsreihen ist nur, dass er vorhandene Strebungen zu einer 244 Vgl. dazu im 3. Kapitel: ,,5. Das sociale Selbstbewußtsein. Aktivität und Passivi­ tät" das Unterkapitel "e. Aktivität und Passivität im religiösen Leben" (Vierkandt, S. 1 57-1 64). 245 Im Schlußkapitel VII.6 "Der philosophische Abschluß" (S. 492-497) resümiert Vierkandt, daß es zwei Anschauungsweisen gebe: die monistische, die sich der Welt von einer formalen, theoretischen Weise nähert, und die praktische, dualisti­ sche, bei der die "Betrachtung der widerstreitenden Thatsachen in erster Linie be­ stimmend wirkt". (Vierkandt, S. 493) Auch wenn in der Neuzeit die monistische Auffassung bisher überwog, erscheint es Vierkandt nicht unmöglich, "daß in Zu­ kunft sich hier ein Wandel vollziehen wird und die dualistischen Anschauungen wieder an Raum gewinnen werden." (Vierkandt, S. 494 f.) . 246 Henry Thode: Die Kunstentwicklung und das Genie (1 897) . 247 "Weitaus am stärksten und allgemeinsten gefühlt ist der aus gesteigerter Not und zugleich erhöhter Erkenntnis derselben hervorgehende Drang nach Glaubensge­ wissheit, welche nichts Anderes als eine erreichte innere Beschwichtigung durch Vorstellung einer vom Leiden befreienden übersinnlichen Macht ist. Neben ihm nimmt der künstlerische Drang die zweite Stelle ein, welcher, möge er seinen Aus­ druck nun in der bildenden Kunst, der Dichtung oder Musik suchen, auf ein Schau­ en gerichtet ist." (Thode, S. 842) .

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Einheit zusammenfasst und ihnen damit neue Kraft und Richtung verleiht. Das Product ist bei ihm nicht gleich der Summe der Theile. Das gilt von allen, nicht bloss den künstlerischen, Genien. Sie sind nie absolut, immer nur relativ schöpferisch. Die tieferen Gründe der geistigen Entwicklung, der Aufeinanderfolge ihrer Hauptepochen, das Hervortreten der meist gruppenweise erscheinenden Genien: alles das liegt in den metaphysischen Grundbedingungen der Geschichte. v. Wilamowit�48 gibt eine geistreiche Periodisirung der Geschichte unseres Culturkreises: erst die asiatischen Rei­ che, dann von der mykenischen Cultur bis auf Constantin die griechische Geisteswelt, dann die christlich-mittelalterliche Periode, schliesslich seit dem 1 8. Jahrhundert eine neue moderne Weltperiode mit noch unüberseh­ barer Zukunft. Die Bedeutung dieser Periodisirung ist einleuchtend. Die Umwälzungen im Christenthum seit den letzten Jahrhunderten wären die von dem Beginn einer neuen Weltperiode ausgehenden. Die Einwirkung der historischen und entwicklungsgeschichtlichen Be­ trachtung auf die Theologen ist im Ganzen eine mehr unbewusste, von Fall zu Fall erfolgende und vor allem in der historischen Einzelforschung zu Tage tretende. Doch beginnt nach und nach die principielle Bedeutung der Lage für Theologie und Religionsforschung deutlich zu werden. Das seiner Hauptmasse nach an anderem Ort zu besprechende Buch von Ber­ noull/249 ist aus dieser Empfindung ganz und gar hervorgegangen und ist als Veranschaulichung der Lage von hohem Interesse. Er leitet mit Recht von den Einwirkungen Hegels, zu denen nur die der modernen entwicklungsge­ schichtlichen Forschung auf allen Gebieten hätten hinzugenommen werden müssen, eine unaufhaltsame Historisirung der Theologie ab, die nunmehr in die allgemeine Religionsgeschichte unwiderruflich hineingezogen ist.250 Er kennt auch die principiellen Consequenzen der Lage, die Unmöglichkeit, das Christenthum doch wieder zu isoliren und als absolute und für immer fertige Religion zu construiren. Doch glaubt er, Duhm, Lagarde, Wellhausen und Overbeck folgend, in dem Begriffe der Religion als Geschichte Gottes mit den Menschen einen Ausweg aus der Lage zu finden.251 Darnach ist es das Wesen der Religion, nicht ruhende Weltanschauung und Theologie zu geben, sondern Berührung mit der niemals ruhenden, sondern immer selbst -

248 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Weltperioden (1 897). 249 earl Albrecht Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie (1 897) . 250 Vgl. dazu Bernoulli, 1 . Abschnitt, 1 . Kapitel: "Hegels Bedeutung für die theologi­ sche Wissenschaft" (S. 6-23) . 251 Vgl. dazu Bernoulli, 1 . Abschnitt, 4. Kapitel: "Das Wesen der wissenschaftlichen Theologie" (S. 86-1 07) , zu den genannten Theologen besonders S. 90-1 06.

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lebendig thätigen und werdenden Gottheit zu gewähren. Es ist die Grösse des Christenthums, dass es diese lebendige Thätigkeit Gottes kennt und sich seinen immer neuen Offenbarungen offen hält, während andere Reli­ gionen nur die ruhende und immer gleiche, unlebendige und ungeschichtli­ che Gottheit kennen und ihre Offenbarungen demgemäss zu fertiger und ruhender Theologie oder Weltanschauung haben versteinern lassen. Frei­ lich glaubt B. damit die der kirchlichen Praxis unentbehrliche Ueberzeugung von Absolutheit, Fertigkeit und Ueber l natürlichkeit des Christenthums bedenklich gefährdet und fordert daher neben der rein wissenschaftlichen ge­ schichtlichen Theologie eine kirchlich-supernaturalistisch-dogmatische Ver­ mitclungstheologie, deren Betrieb er allerdings denen überlassen muss, die von der Geschichtlichkeit und Entwicklung der Religion einen weniger starken Eindruck haben.252 Wie es mit einer solchen Unterscheidung stehen möge, B. hat die Frage scharf und richtig erfasst. Nur sind freilich seine Ge­ danken über Wesen und Entwicklung der Religion, über Ziel und Abschluss der Religionsgeschichte bei dem Mangel jeder Vertrautheit mit den eigentlich religionsphilosophischen Untersuchungen sehr dilettantisch, oberflächlich und widerspruchsvoll ausgefallen. (Vgl. Herrmann ThLz. 1 898, S. 6570; Troeltsch GGA. 1 898, S. 425-35; Hönig PrM. S. 446-54; Harnack, Dog­ mengesch. III, 3. Aufl., Vorr.) .253 - TroeitsclJS4 erkennt ähnlich wie Bernoulli den Charakter der Lage wesentlich durch die Gestaltung der Geschichts­ forschung, die entwicklungsgeschichtliche Methode, das allen gegenwärtige Bild der Mannigfaltigkeit der Religionen und den historischen Relati­ vismus bedingt. Gegenüber diesen der Theologie auf ihrem eigensten Gebiete erwachsenden Problemen treten die Fragen des Verhältnisses zu Na­ turwissenschaft und Metaphysik, mit denen sich die früheren Generationen vor allem beschäftigten, immer mehr zurück. T. glaubt diesen Problemen durch Erneuerung der classischen deutschen Geschichtsphilosophie in einem mehr modern realistischen und von der Metaphysik des Absoluten zunächst sich mehr zurückhaltenden Sinne begegnen zu können. Das 252 Im Schlußkapitel "Ueber die mutmaßlichen Wechselbeziehungen der beiden Theologieen nach erfolgter Trennung" (S. 221-229) beschreibt Bernoulli einen möglichen Ausbildungsgang für Theologen und Pfarrer angesichts einer kon­ sequenten Trennung von wissenschaftlicher und kirchlicher Theologie. Zu Ber­ noullis Vorstellung einer Vermittlungstheologie vgl. das 2. Kapitel im 2. Abschnitt "Die Vermittlungstheologie" (S. 1 46-1 63) . 253 Zu Ernst Troeltsch: (Rez.] Carl Albrecht Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie (1 898), siehe oben, S. 334-348. Vgl. zu Har­ nack Anm. 1 , S. 335. 254 Ernst Troeltsch: Christenthum und Religionsgeschichte (1 897) ...... KGA 1 0.

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Christenthum stellt sich einer solchen Geschichtsphilosophie als eigenartige neue Stufe der religiösen Entwicklung dar, deren eigene Entwicklung frei­ lich unübersehbar ist und jedenfalls mit den modernen Zeiten in ein neues Stadium eingetreten ist. Aber das würde nicht hindern, in ihm den princi­ piellen Höhepunct der Religionsgeschichte zu erkennen, von dem aus sich die Geschichte auf einem Plateau weiterbewegen würde, zu dem die vor­ hergehende Entwicklung sich als Anstieg verhält. Eine solche Betrachtung scheint ihm durch das innere Wesen des christlichen Offenbarungsglaubens im Unterschied von dem Offenbarungsglauben anderer Religionen gefor­ dert. Die geschichtsphilosophische Construction selbst, durch die er das Christenthum gegen die vor- und ausserchristliche Entwicklung abgrenzt, ist eine kurze Zusammenfassung der in seinen Aufsätzen über "die Selb­ ständigkeit der Religion"255 vorgetragenen Ansichten. - Mit dem gleichen Problem beschäftigt sich ReischfCZS6, indem er den die gegenwärtige Wissen­ schaft beherrschenden Entwicklungsbegriff analysirt und hierbei mit Recht eine von der Naturwissenschaft inspirirte mechanisch-biologische und ei­ ne von der Geschichtswissenschaft inspirirte mehr idealistisch-teleologische Fassung des Begriffes unterscheidet.257 Freilich behandelt er Christenthum und Entwicklung dabei wie zwei von Hause aus getrennte Dinge, die es erst nachträglich aufeinander zu beziehen und miteinander auszugleichen gelte. Damit ist bereits stillschweigend I die Voraussetzung gemacht, dass das Christenthum selbst der Entwicklung entnommen ist und nur nachträglich in einem das relative Recht der Entwicklungslehre anerkennenden Sinne for­ mulirt werden muss. In diesem Sinne behandelt R. zunächst das Verhältniss der christlichen Metaphysik zu den metaphysischen Consequenzen des na­ turwissenschaftlichen Entwicklungsgedankens und findet, dass bei streng te­ leologischer Fassung desselben die christliche Metaphysik ihn sich sehr wohl einverleiben könne.258 Freilich ist hierbei nicht beachtet, dass dann hierbei 255 Ernst Troeltsch: Die Selbständigkeit der Religion (1 895/96) � KGA 1 . Vgl. auch die Besprechung in: ders.: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 896) , oben, S. 97. 256 Max Reischle: Christentum und Entwicklungsgedanke (1 898) . 257 Vgl. Reischle, 2 . Kapitel "Herkunft, Interesse und Sinn des modernen Entwick­ lungsgedankens" (S. 7-1 2) : ,,[...] soviel dürfen wir als klar zu Tage liegend ansehen, daß der moderne Entwicklungsbegriff hauptsächlich durch '?}Vei geistige Strömungen emporgebracht worden ist. Die eine ist in der spekulativen deutschen Philosophie am Anfang unsers Jahrhunderts zu finden; die andre in der empirischen Wissen­ schaft, besonders in der von Darwin in entscheidender Weise beeinflußten Natur­ forschung." (Reischle, S. 7) . 258 Vgl. das 3. Kapitel "Berührung des Christentums mit dem Entwicklungsgedanken auf dem Gebiete der Natur" (Reischle, S. 1 3-23).

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doch die Teleologie eine sehr bestimmte Modification erleidet und immer nur relative Zweckmässigkeit unter Voraussetzung der einmal so gegebe­ nen und so sich zu einander beziehenden einzelnen endlichen Elemente bedeuten kann, wie z. B. die Aufsätze zweier Naturforscher in der "Deut­ schen Rundschau" zeigen (Reische "Zusammenhang von Form und Functi­ on im Pflanzenreiche 1 892"259 und Strassburger "Ueber Wechselwirkung im lebendigen Organismus 1 892"). Sodann betrachtet er das Christenthum un­ ter dem Gesichtspunct des historischen Entwicklungsbegriffes und gesteht auch hier die Geltung des Entwicklungsbegriffes in seiner vom deutschen Idealismus geschaffenen Gestalt als nicht bloss mit dem Christenthum ver­ träglich, sondern auch von ihm gefordert zu.260 R. verlangt dabei nur die An­ erkennung der Freiheit des Wille ns und die Ausnahme der Person Jesu von der Entwicklung, da nur hierdurch ein fester Standpunct für ihre Beurthei­ lung und Werthung gefunden werden könne und diese Ausnahmsstellung von dem Inhalt des Evangeliums gefordert und gewiss gemacht werde.261 Wie freilich dieses letztere geschehen könne, wenn nicht diese Ausnahme vom Entwicklungsbegriff mit einem strikten und dann über die Person Je­ su hinausgehenden Supernaturalismus begründet wird und wie ein solcher Supernaturalismus sich gegenüber dem in so weitem Umfange anerkannten Entwicklungsbegriff behaupten könne, darüber hat R. nichts angedeutet. Er hat diese Frage früher (Heft z. ChrW. 1 1 "Der Glaube an Jesus Christus und die geschichtliche Erforschung seines Lebens'') untersucht, wobei er frei­ lich mehr Bedenken erregt als beseitigt hat.262 - Den Zusammenbruch des Evolutionismus feiert eine schwatzhafte Artikelserie von Englert263, indem

259 Johannes Reinke: Der Zusammenhang von Form und Function im Pflanzenreiche (1 892) . 260 Vgl. das 4 . Kapitel "Berührung des Christentums mit dem Entwicklungsgedan­ ken auf dem Gebiet der Geschichte, insbesondere der Offenbarungsgeschichte" (Reischle, S. 24-35) . 261 "Der Gedanke einer Ewigkeit Jesu Christi fixiert für uns nur ein undurchdringliches Geheimnis, wenn wir diese Ewigkeit, das heißt bestimmende Beherrschung des Zeitverlaufs uns nicht in dem Begriff einer Entwicklung der Geschichte einerseits auf Christus hin und andrerseits von Christo aus deutlich machen. Auch hierin werden nur Gedanken herausgearbeitet, die im christlichen Glauben selbst und seiner biblischen Ausprägung schon enthalten sind." (Reischle, S. 29) . 262 Vgl. dazu auch unten, S. 457-460, die Besprechung von Max Reischle: Der Streit über die Begründung des Glaubens auf den "geschichtlichen" Jesus Christus (1 897) . 263 Winfried Philipp Englert: Der Zusammenbruch der Entwickelungstheorie auf dem Gebiete der Gesellschaftslehre (1 897) .

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er einige moderne Gegensätze gegen Morgan's264, von den Socialisten an­ geeignete Theorie der socialen Entwicklung bespricht. Die Retter sind Star­ cke (Die primitive Familie 1 888), Westermarck (fhe his tory of the human mariage) und vor allem Grosse (Die Formen der Familie und die Formen der Wirthschaftslehre 1 896) , wofür E. immer Grosze schreibt. Diese in der That sehr beachtenswerthen Werke werden von E. nach beliebter Metho­ de mit Gewalt und Ueberredung zu Zeugen der christlichen Geschichts­ philosophie gestempelt. Die Grundbegriffe einer solchen Geschichtsphi­ losophie sind die beiden auf einander bezogenen Begriffe der lex naturae und der übernatürlichen Offenbarung, wobei die erste nur nicht zu aprio­ ristisch und platonisch gefasst werden darf, sondern die Mannigfaltigkeiten der konkreten I Ausgestaltung beachten muss. Der auf ihrem Gebie­ te oder auf dem Gebiete der Schöpfung geltende Entwicklungsbegriff, wie ihn die Schrift andeutet und zulässt, ist bereits von Augustin und Thomas ausgebildet. Er darf nur im Lichte der Offenbarung angewendet werden. - In einer höchst verdienstlichen Abhandlung beschreibt Schieli265 das er­ ste Eindringen des alle diese Probleme mit sich führenden Entwicklungs­ gedankens in die evangelische Theologie. Er hat in der Theologie der Auf­ klärung und des Rationalismus selbständige Ausprägung gefunden und von hier auf die philosophische Entwicklung nicht unerheblich zurückgewirkt. Die Wurzeln des Gedankens liegen bei Leibniz. Leibniz hat zuerst evolution und developpement als technische Begriffe gebraucht und dabei zunächst an die Entwicklung der Monade vom confusen und unklaren zum distink­ ten und klaren Vorstellungs zustand gedacht, dann aber auch vom Ganzen der Geschichte eine analoge Auswicklung des anfänglich unklaren Vorstel­ lungszustandes zum klaren gelehrt. Im Vorstellungsbestande selbst ist, da jede Monade dunkel oder klar den ganzen überhaupt möglichen Vorstel­ lungsinhalt in sich enthält, keine Entwicklung vorhanden, wohl aber in dem Maasse der Klarheit und Deutlichkeit. So ist Entwicklung einerlei mit Auf­ klärung und Aufklärung geradezu der Vollzug der Entwicklung. Von die­ sem Gedanken ist Lessing's und Wolff's Geschichtsphilosophie bestimmt, aber auch die vom Deismus angesteckte und in ihren biblisch-kirchlichen Besonderheiten gefahrdete Theologie lernte sich seiner bedienen, um bei aller Preisgebung des Unhaltbaren und bei aller dem Deismus folgenden Reduction der religiösen Wahrheit auf allgemeine Vernunftwahrheiten doch zu den die öffentliche Religionsübung beherrschenden und den unreiferen 264 Vgl. Lewis Henry Morgan: Ancient society, or researches in the lines of human progress from savagery, through barbarism to civilization (1 877) . 265 Friedrich Michael Schiele: Der Entwickelungsgedanke i n der evangelischen Theo­ logie bis Schleiermacher (1 897) .

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Christen unentbehrlichen Dogmen ein positives Verhältniss zu behaupten. Hatte der Deismus mit ihnen radical aufgeräumt als mit Trübungen und Fälschungen der reinen christlichen Vernunftreligion, so hat der pietätvol­ lere und mehr historisch gesinnte Geist der deutschen Aufklärung ihnen eine relative Bedeutung einzuräumen versucht. Diese Vermittlung lieferte eben der Leibnizische Entwicklungsbegriff, den Semler, Lessing und Tel­ let·266 zu diesem Zweck auf das Verhältniss vom biblisch-kirchlichen Ge­ schichtsglauben und modernem aufgeklärten Vernunftglauben anwandten. Die jene Dogmen enthaltende Bibel ist zeitgeschichtlich aufzufassen. Gott hat die Vorstellungen, die bei voller Klarheit sich schliesslich zu den veritees de raison der Semlerschen Privatreligion267 ausgewickelt haben, sie dem da­ maligen Vorstellungsvermögen anpassend, in noch dunklem und unklarem Zustande, gemischt mit allerhand Geschichtsglauben und Zufalligem gege­ ben. In stufenweiser Klärung erhebt sich aber das Christenthum vom hi­ storischen Glauben zum Sachglauben und die aufgeklärte Theologie bleibt daher immer Ergebniss eines noch lebendigen, geschichtlichen Processes, während die Deisten den wirklichen Geschichtsverlauf fast nur radical zu verurtheilen im Stande waren. Dabei hätte 5ch. nur noch zeigen sollen, wie stark sich diese entwicklungs I geschichtliche Betrachtung auf das Christenthum selbst einschränkt und wie die Stellung des Christenthums innerhalb der Gesammtheit der Religion dabei doch ganz nach den Lehren des Deismus gedacht ist. Es herrscht nur eine stärkere Betonung der Centralstellung und Göttlichkeit des Christenthums, von wo aus dann freilich das stärkere Bedürfniss entsteht, dem Historisch-Positiven des Christenthums eine stärkere Schätzung zu Theil werden zu lassen. Lessing's, Semler's, Teller's Gedanken müssen sich sehr schnell verbreitet haben. Aus ihnen entwickelte dann Krug die Perfectibilität268 zum technischen Begriff. Er bedeutet die über den noch dunklen und zeitgeschichtlichen Anfangszustand hinausgehende Erhebung der christlichen Wahrheiten zu klarerer Begründung und reinerer Selbständigkeit. In gleichem Sinne hat sich Kant den Begriff einer 266 Vgl. dazu Schiele, S. 1 42-1 5 1 . 267 "Das Geschichtliche und Dogmatische sollte [nach Semler] bestehen bleiben für die öffentliche Religion, für die Kultusgemeinschaft, in welcher neben den Reiferen noch viele Unreife, neben den Vollkommeneren noch viele Schwache geduldet werden müssen. Die Religion der Vollkommeneren aber, die nur das Wesentliche des Christentums, frei von Geschichte und Dogma enthält, kann nur Privatreligion, nur ,eigene' Religion sein." (Schiele, S. 1 45) Schiele bezieht sich hier auf Johann Sa­ lomo Semler: Abhandlung über die rechtmäßige Freiheit der ac ade mischen theo­ logischen Lehrart (1 77 1 ) . 268 Vgl. Wilhe1m Traugott Krug: Briefe über die Perfektibilität der geoffenbarten Re­ ligion (1 795). Zu Krug vgl. Schiele, S. 1 5 1-155.

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continuirlichen Entwicklung vom statutarischen Kirchenglauben zum frei­ en Vernunftglauben angeeignet. Aehnlich lehren dann die rationalistischen und kantischen Theologen bis auf Wegscheider, Röhr und Bretschneider. Inzwischen war aber dieser von Leibniz, Wolff und Lessing ausgegange­ nen Bildung des Entwicklungsbegriffs ein ganz anderer Entwicklungsbe­ griff gegenübergetreten, der von Herder, Schelling, Schleiermacher, Hegel ausgebildete historisch-speculative Entwicklungsbegriff, der nicht nur im Grade der Klarheit der Vorstellungen eine Auswicklung, sondern in der Substanz des geistigen Lebens und schliesslich im Kosmos selbst eine inne­ re Bewegung, eine triebhaft vordringende Entwicklung lehrte. Hier wurde auch erst die Entwicklung auf die Gesammtgeschichte und damit auf die Ge­ sammtheit der Religionen angewendet. Aber auch der Sinn der Entwicklung des Christenthums innerhalb dieser Gesammtentwicklung wurde damit ein neuer. Es wurde zu einem selbst in innerer Bewegung begriffenen und sei­ nen Keimgehalt erst in der weiteren Geschichte materiell entfaltenden Prin­ cip, zu einem germinative principle.269 Auf den Boden dieses Entwicklungs­ begriffes hat Schleiermacher die Theologie gestellt. Das von hier aus ent­ springende Hauptproblern, wie das Christenthum dabei als absolute Reli­ gion gewürdigt, wie sich die damit zusammenhängende absolute Bedeutung der Person Jesu gegenüber dem aus ihr hervorgehenden, sich entwickelnden Princip behaupten könne, hat Schleiermacher dahin gelöst, dass er die kanti­ sche Lehre von Christus als der Idee der gottwohlgefälligen Menschheit zur Lehre von dem in Christus historisch verwirklichten und durch persönliche Einwirkung mystisch fortwirkenden Urbild der vollkommenen Frömmig­ keit umgestaltete. Aber freilich musste er dann um des Princip-Charakters des Christenthums willen auch zugestehen, dass in "Christus seinem We­ sen nach mehr war, als von ihm hat erscheinen können"27o. Dieses Mehr ist dann nach und nach in der Aneignung dieses Urbildes zu Tage getre269 "Ferner hat Schleiermacher das Prinzip der geschichtlichen Entwickelung des Chri­ stenrums richtig zu bestimmen unternommen. [ ... ] Und Schleiermacher erkannte als solches die schlechthin urbildliche Person lesu Christi. [...] Nicht die empirische Er­ scheinung Christi kann dieses Prinzip sein. [ ...] Die Idee, welche Jesus darzustel­ len gekommen war, ist: die eigenartige Bestimmtheit seines Gottesbewußtseins, und das ist zugleich das ewige Prinzip des Christentums. [ ... ] In seiner Entwickelung kann al­ so sehr wohl das Christentum über Christi Erscheinung hinausgehen, ohne damit sein schlechthin urbildliches innerstes Wesen zu überschreiten." (Schiele, S. 1 67 f.) . 270 Vgl. Schiele, S. 1 86. Der Satz lautet vollständig: " Christus, sagt Schleiermacher (Glau­ benslehre II, § 93 Abs. 2) , war seinem inneren Wesen nach mehr, als von ihm hat erschei­ nen kijnnen." Vgl. Friedrich Oaniel Ernst Schleiermacher: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1 830/3 1 2, 2003) , S. 45.

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ten und wird noch weiterhin zu Tage treten. Sch. sieht darin eine dauernd haltbare Auflösung der Probleme des Entwicklungsbegriffes und glaubt die von den Tübinger Junghegelianern gemachten Einwände mit Berufung auf den Ref. ablehnen zu dürfen.271 Vielleicht ist dabei zu I wenig bedacht, wie eng diese Auflösung des Problems mit der Schleiermacher'schen Construction des Lebens Jesu zusammenhängt und wie sehr von den dieses letztere bedrohenden Schwierigkeiten auch die erste bedrückt wird. Auch durfte her­ vorgehoben werden, dass dieser Schleiermacher'sche Auflösungsversuch in Wahrheit doch noch sehr an das rationalistische bezw. deistische Schema der Religionsphilosophie gebunden ist, wo die an sich geltende allgemeine Re­ ligionswahrheit im Christenthum eine besondere historische Introduction finden sollte. Einen besonderen Anlass, entwicklungsgeschichtliche und relativistische Betrachtungsweisen auf die Religion anzuwenden, gewährte der Chicago­ er Religionscongress272 und die Planung ähnlicher Unternehmungen ander­ wärts. Der zahlreichen Literatur hierüber reiht sich im Berichtsjahr eine Schrift von Zehender-73 an, einem der Correspondenten in dem früher OB. 1 896, S. 381) erwähnten "religionsphilosophischen Briefwechsel"274. Die Schrift gibt einen Abriss der Entstehungsgeschichte des Congresses und einen höchst interessanten Auszug aus sämmtlichen Vorträgen. Die Nutz­ anwendung, die Z. aus dem seiner Meinung nach epochemachenden Er­ eigniss zieht, ist folgende: "Das Christenthum ist nicht etwas Neues; die Fundamente des Christenthums sind so alt wie die Welt. Alle Religion ist 271 "Und freilich, daß nun thatsächlich in Christi vergänglicher irdischer Gestalt uns ein ewiges göttliches Prinzip ergreift, dies empirische Faktum kann niemals Gegen­ stand eines deduktiven Beweises der Wissenschaft sein. Wohl aber kann sie erwei­ sen, daß dies gegebene Prinzip für uns das Höchste aller uns empirisch bekann­ ten religiösen Entwickelung sei (positiv), und (negativ) daß aus der Analyse des Entwickelungsbegriffes sich keine Gründe ableiten lassen gegen dieses Prinzipes Ewigkeit und Unendlichkeit [hier folgt ein Verweis auf Ernst Troeltsch: Die christ­ liche Weltanschauung und die wissenschaftlichen Gegenströmungen (1 893/94) -� KGA 1 0] . Damit werden auch die Einwände widerlegt, die namentlich von den Tübinger Junghegelianern gegen Schleiermachers Kombination des Spekulativen und des Historischen im Entwickelungsprinzip des Christentums erhoben wurden." (Schiele, S. 1 70) . 272 Der Columbia-Kongreß fand im September 1 893 in Chicago zeitgleich mit der Weltausstellung statt und versammelte Vertreter aller großen �'e1treligionen. 273 Wilhe1m von Zehender: Die Welt-Religionen auf dem Columbia-Congress von Chicago im September 1 893 (1 897) . 274 Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 896) , oben, S. 89.

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in ihren fundamentalen Grundprincipien christliche Religion. Das, was den Glauben jeder Kirchengemeinschaft von dem Glauben jeder anderen Kir­ chengemeinschaft trennt oder unterscheidet, ist nicht die Verschiedenheit der Glaubensfundamente; es ist die Verschiedenheit nur im weiteren Aus­ bau derselben. Die Religion, die von jeher gewesen, gipfelt in den Worten Matth. 22, 35-40." S. 2.275 Es ist dasselbe Ergebniss, das bereits am Anfang der modernen Religionsphilosophie angesichts des gleichen Problems der Mannigfaltigkeit der Religionen vom Deismus gezogen worden war. Ein Anhang enthält nähere Ausführungen über diese in Christus am vollkom­ mensten repräsentirte allgemeine Ur- und Menschheitsreligion,276 in denen der Verf., ein katholischer Mediciner, vor allem den Wunderglauben und den darauf gestützten supernaturalen Offenbarungsglauben bekämpft.277 CharbonneJ278 handelt von einem in Paris für die nächste Weltausstellung ge­ planten Religionscongress. Ch. ist seit 1 895, wo er in der Revue de Paris sich für einen solchen Congress erklärte, von dem einem solchen Unter­ nehmen feindlich gesinnten Clerus heftig angegriffen worden und hat in­ zwischen die katholische Kirche und sein Priesteramt verlassen (RChr. 44, S. 385-389)279. - Die Rede von Schiele280 diente zur Eröffnung des Stockhol­ mer Religionscongresses. Sie bezeichnet charakteristisch als die inspirirende -

275 Der letzte Satz des Zitats lautet im Original: "Die Religion, die von jeher gewesen, gipfelt in den Worten, die Christus zu einem Lehrer des Gesetzes gesprochen hat, als dieser fragte: Meister, welches ist das grösste Gebot im Gesetze? Christus antwortete ihm: ,Du sollst den Herrn, Deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, und von ganzer Seele, und von Deinem ganzen Gemüthe. Dieses ist das vornehmste Gebot. Das andere ist ihm gleich: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst. An diesen i}Veen Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. (von Zehender, S. 2) . 276 Im Anhang werden nach einer allgemeinen Einführung (5. 1 63-1 80) folgende Themen besprochen: "Religion" (5. 1 8 1-1 88), "Staat" (5. 1 89-1 94) , "Glaube" (5. 1 95-209), "Offenbarung" (5. 2 1 0-21 8) , "Wunderglaube" (5. 2 1 9-233) , "Drei­ einigkeit" (5. 234-242) und "Das Unendliche" (5. 243-252) . 277 Vgl. dazu Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 896) , oben, 5. 89. Zu Wilhelm von Zehender vgl. oben, Anm. 3 1 , 5. 89. 278 Victor Charbonnel: Congres universel des religions en 1 900 (1 897) . 279 Vgl. Victor Charbonnel: Un congres universel des religions en 1 900 (1 895) . Die Informationen zum Austritt Charbonnels finden sich in: [Anonym] : [Rez.] Victor Charbonnel: La volonte de vivre (1 897) . Demnach hatte der zuständige Kardinal Gibbons Charbonnels Pläne zunächst unterstützt, dann jedoch öffentlich abge­ stritten, jemals mit dieser Idee sympathisiert zu haben. James Gibbons war Erzbi­ schof von Baltimore (Maryland), 1 886 wurde er zum Kardinal ernannt. 280 Gezelius von Scheele: Rede bei Eröffnung des Religionswissenschaftlichen Kon­ gresses in Stockholm am 31 . August 1 897 (1 897). '"

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Idee des Congresses die gegenwärtige Entwicklung der allgemeinen Religi­ onswissenschaft und glaubt den Gefahren einer Relativirung des Christen­ thums durch die in den gemeinsamen Verhandlungen festzustellende Idee des Wesens der Religion begegnen zu können. Mit Hülfe dieser Idee hofft 5ch. das evangelische Christenthum als Verwirklichung des Wesens der Religion erweisen und die I anderen Religionen in ihrem Werthe gruppiren zu können.281 Es ist der gewöhnliche Apparat der Principienlehre der Dogmatik. Ueber den Congress selbst vgl. ChrW 358-360.282 b) Constructionen der religiosen Entwicklung.

tA. 5voboda, Gestalten des Glaubens. 2. T. IV, 385. Leipzig, Naumann. M 7. - t w. Josseffy, Gott u. Götter. Kreislauf d. Religionen u. Mythen bei all en Völkern des Erdballs. 1. Cyd. 64. Budapest, Deutsch. M 1 . - t F. Boudin, l'evolution religieuse. 1 3. Soc. d. l'imprimerie e. d. librairie. Paris. - t F. j Gould, Concise history of religion. 296. London. Vol. I-III a M 6. - tA. Men­ zies, the natural history of sacred books (AJTh. 71-94). - tMinard, Symboli­ que des religions anciennes et modernes. 32. Paris, Leroux. - tL. Marillier, la place du totemisme dans l'evolution religieuse (RHR. 208-253, 321-361). ­ tA. E. Carpenter, the place of immortality in religious belief (NW 602-629). - tA. Riville, un essai de philosophie de l'histoire religieuse (RHR. 370-398). - t G. H Lamm, Geschiedenis der leer aangaande God. 1 42. Utrecht. M 6. - t R. Falke, Vergleich der drei Religionen: Buddha, Mohammed, Christus. 252. Gütersloh, Bertelsmann. M 3.283 - t G. Allen, the evolution of the idea of God, an inquiry into the origin of religions. 460. London, Richard. 20 sh. j Crooker, the atheisme in religions (NW 5 1 9-53 1). - tM. Mauss, la reli­ gion et l'origine du droit penal II (RHR. 30-60) . - tF. McCurdy, the moral -

281 "Tief und innerlich sind wir evangelische Christen schon jetzt davon überzeugt, daß als das Endergebnis der Untersuchung sich die Anschauung des absoluten, nicht bloß relativen Rechtes des biblisch-historischen Christentums ergeben wird, den bestimmenden Grund für die Wertung aller Religionen wie Konfessionen ab­ zugeben. Wir glauben, daß das auf Bibel und Geschichte gegründete Christentum nicht nur die höchste Lehre und Auffassung vom Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist, wozu die Menschheit bisher gekommen ist, sondern wir tragen kein Be­ denken, es auszusprechen, daß über dieses Christentum hinaus kein Geschlecht der Menschen jemals kommen wird, weil hier kein wesentliches religiöses Moment fehlt, und kein unwesentliches mehr als integrirender Bestandteil des Religionsor­ ganismus vorhanden ist." (von Scheele, Sp. 820 f.) . 282 [Anonym] : Der religionswissenschaftliche Kongreß i n Stockholm (1 897) . 283 Robert Falke: Buddha, Mohammed, Christus, ein Vergleich der drei Persönlichkei­ ten und ihrer Religionen, 2. systematischer Teil: Vergleich der Religionen (1 897) .

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evolution of the Old Test. (AJTh. 650-691). t G. H Schodde, Israels place in universal history (BW 1 0, 272-276) . - t W Bel/ars, Essence of Christianity. 56. London, Sonnenschein. 2 sh. 6 d. - tJ Watson, Christianity and idealis­ me: the christian ideal of life in its relation to the greek and jewish ideal and to modern philosophy. XXXVIII, 21 6. New-York, Macmillan. $ 1 ,25. - tR. Hqyer, die Heilslehre. Der Abschluss der sokratischen Philos. u. die wissen­ schaftI. Grundlagen späterer Religionssysteme. 1 9 1 . Bonn, Cohen. M 5. tAo Aal!, der Logos. Gesch. seiner Entwickelung in der griechischen Philos. u. der christi. Litt. 1 Bd. XIX, 251 . Leipzig, Reisland. M 5. - J Gottschick, Paulinismus u. Reformation (ZThK. 398-460) . -

Die verzeichneten Titel zeigen, dass das Berichtsjahr sehr fruchtbar ge­ wesen ist in Constructionen des Ganzen wie einzelner Theile der religiösen Entwickelung. Die Werke selbst haben, mit geringen Ausnahmen, dem Refe­ renten nicht vorgelegen. Svoboda284 setzt sein im Sinne des Feuerbach'schen Positivismus begonnenes Unternehmen fort. - G. Al/er?85 vertritt nach NW S. 780 f[.286 Spencer's Theorie von der Entstehung der Religion aus dem Ah­ nenglauben mit einigen wunderlichen, die Religion zum tollsten Wahngebil­ de herabsetzenden Zusätzen. Die gegenwärtige Religion ist ihm ein Ueber­ lebsel der Wahngebilde der Wilden. - Falk?87 zeigt nach ThLBr. 440-441 288 an dem Gottesbegriff des Christenthums, dass er aus übernatürlicher Of­ fenbarung hervorgegangen sein müsse. - Crooker89 hebt hervor, dass die meisten Religionen ein Element des Atheismus, die Ausschliessung eines Theiles der Wirklichkeit von der Gegenwart und Wirkung Gottes in ihr, in sich tragen.290 Er zeigt das an allem Dualismus guter und böser Götter, an dem Teufelsglauben der Perser, Juden und Christen, an dem Dualismus der 284 Adalbert Svoboda: Gestalten des Glaubens, 2. Teil (1 897) . Der erste Teil erschien 1 896. Vgl. dazu auch Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Prin­ cipienlehre (1 897), oben, S. 268. 285 Grant Allen: The evolution of the idea of god (1 897). 286 Charles E. St. John: [Rez.] Grant Allen: The evolution of the idea of god (1 897) . 287 Robert Falke: Buddha, Mohammed, Christus, ein Vergleich der drei Persönlichkeiten und ihrer Religionen, 2. systematischer Teil: Vergleich der Religionen (1 897) . Der " 1 . darstellende Teil: Vergleich der drei Persönlichkeiten" erschien 1 896 und wurde besprochen in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 896), oben, S. 1 1 5. 288 Bk. H.: [Rez.] Robert Falke: Buddha, Mohammed, Christus, ein Vergleich der drei Persönlichkeiten und ihrer Religionen, 2. systematischer Teil (1 897) . 289 Joseph Henry Crooker: The atheism in religions (1 897) . 290 Crooker beginnt den Aufsatz mit folgenden Sätzen: "The tap-root of religion is the thought of God, and yet there is a deposit of atheism at the heart of all the

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wahren und der Scheinwelt beim Brahmanis l mus, an der Verzweifelung an einem göttlichen Grunde der Gesammtwirklichkeit beim Buddhismus, an der Zurückstellung der praktischen Sittlichkeit hinter Glauben und Cultus in der gewöhnlichen Religion. Erst der moderne Monismus und die Entwicke­ lungslehre haben diese atheistischen Limitirungen des Gottesbegriffes be­ seitigt.291 - Die Constructionen der Entwickelungsgeschichte des Christenthums kommen in den Referaten über Kirchengeschichte und Symbolik zur Besprechung292. Erwähnt sei hier die Auseinandersetzung Gottschick's293 mit der anregenden Darstellung, die WernIe in seinem Buche "der Christ und die Sünde bei Paulus" über das Verhältniss von Paulinismus, vorpaulinischem Urchristenthum, Katholicismus, Sectenwesen und Protestantismus gegeben hat. G glaubt die Auffassung des reformatorischen Christenthums als Erneuerung des Paulinismus festhalten zu können.294 c) Problem des Supranaturalismus und derAbsolutheit.

Jäger, vom Trost der Geschichte (ChrW. 628-634) . tJ H. Barrows, is Christianity fitted to become the world-religion (AJTh. 404-423) . - A. Bug­ ge, warum ist das Christenthum die Religion des Fortschritts (ChrW. 38739 1 , 41 1-41 5) . - tA. H. Bra4ford, the growing revelation. 268. London. M 6. P

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great religions. No historie faith has believed enough in God. Supreme reverence for God in spots and seasons is abundant, but in every direction there is some failure to penetrate all places and embrace all times." (Crooker, S. 5 1 9) . "At this point modern science enters with its vast and precious contribution to religion. By freeing and cleansing the universe of the devil, it enables us to find God where our fathers missed Hirn. Scientific discovery, by tracing the reign of law, by laying bare the unity in things and souls, by demonstrating the conservation and correlation of energy, and by making the Infinite the occupant of every atom and rnind, forever destroys the old atheism." (Crooker, S. 52 1). Vgl. dazu im "Theologischen Jahresbericht" die Referate in der Abteilung 1 1 . "Hi­ storische Theologie" (S. 1 77--499), insbesondere in dem Referat "Interconfessio­ nelles" (S. 433--477) von Oscar Kohlschmidt den Abschnitt B. I. 4. "Symbolik in Gesammtdarstellungen und Einzelfragen" (S. 472--476) . Johannes Gottschick: Paulinismus und Reformation (1 897) . Vgl. die Schlußsätze von Gottschick: "Ueber die Unterschiede, die zwischen der paulinischen und der lutherischen Rechtfertigungslehre wirklich bestehen, greift somit die Uebereinstimmung in der religiösen Grundanschauung und in allen ih­ ren wesentlichen praktischen Beziehungen weit hinaus. Es wird auch fernerhin nicht ein dogmatisches Vorurteil, sondern ein Urteil geschichtlichen Wissens und Verstehens heißen dürfen, daß die Reformation den Paulinismus erneuert habe." (Gottschick, S. 460) .

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- t G. Matheson, the final stage of culture (Exp. 277-285 Oct.) . tM Kinard, the superiority of the Christian religion (LChR. 51 5-520). - B. WarfteId, Chri­ stian supernaturalism (prRR. 58-74) . - 0. Pfleiderer, das Christenthum u. der historische Christus (pM. 465-479) . - E. Caird, Christianity and the histo­ rical Christ (Nw. 1-1 3). - M. Rade, Christenthum oder Christus? (ChrW. 3 1 6-3 1 9). - j Hülsmann, Christus und unser Christenthum (ib. 483-487, 5 1 0-5 1 3) . - M Reischle, der Streit über die Begründung des Glaubens auf den "geschichtlichen" Jesus Christus (ZThK. 1 7 1-264). - M. Schulze, die -

Religion Jesu und der Glaube an Christus. V, 77. Halle, Krause. M 1 ,20. -

Lacheret, de la nature de la revelation (RChr. 6, 1 9-36, 96-1 1 2).

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Die Anwendung des Entwicklungsgedankens auf die Religionsgeschich­ te überhaupt und auf das Christenthum insbesondere führt naturgemäss zu den Fragen nach dem Rechte, die Absolutheit des Christenthums zu be­ haupten, nach den Grenzen, innerhalb deren Bewegung und Entwicklung des Christenthums zugegeben werden kann, und nach der Bedeutung der Person Jesu für das sich entwickelnde christliche Princip. Diese Fragen sind trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Bedeutung nur in kurzen Andeu­ tungen verhandelt worden, in denen sich aber immerhin deutlich genug ver­ räth, dass hier die brennenden, aus der wissenschaftlichen Gesammtlage sich ergebenden Probleme liegen. Jäge,-295 schildert die aus der Historisirung der Theologie und ihrer Einreihung in die allgemeine Religionsgeschichte entspringende Lage, gibt deren Schwierigkeiten zu, hebt aber hervor, dass hierbei doch auch mannigfacher Gewinn für Verständniss und Leben des Christenthums zu Tage getreten sei. Vergleichendes und kritisches Studium hat den grundlegenden Unterschied des Christen l thums als Religion von der aus ihm entstandenen Theologie, besonders von der durch griechische Metaphysik und griechischen Doctrinarismus verhärteten Theologie, offen­ bart und hat die rein religiöse, von Doctrinen, Wissenschaft und Weltan­ schauung noch freie Gestalt des Urchristenthums bloss gelegt. Sie hat fer­ ner genöthigt, den Glauben an das Christenthum nicht mehr auf historische Apologetik, sondern auf die praktische Erfahrung und Bethätigung seines unmittelbar gegenwärtigen Gehaltes zu begründen. Wenn auch die Dogma­ tik durch die Lage in's Gedränge gekommen ist, so muss es eben einstweilen ohne Dogmatik gehen. - Der Norweger Bugge296 sieht vor dem Tribunal der Geschichtswissenschaft sich als apologetische Hauptfrage das Problem er­ heben, inwiefern das Christenthum sich als die schlechthin universale Reli­ gion behaupten kann, und, da es dies nur durch ein in ihm eingeschlossenes 295 Paul Jaeger: Vom Trost der Geschichte (1 897) . 296 Christian A. Bugge: Warum ist das Christentum die Religion des Fortschritts? (1 897) .

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Element der Entwicklung und des Fortschritts könnte, inwiefern es als die Religion unbegrenzten Fortschrittes angesehen werden kann.297 Zugleich hängt damit die praktische Frage zusammen, ob die christliche Gemeinde die gegenwärtig zu ihr in so scharfem Gegensatz stehende und von ihr zu ihrem Schaden ausgestossene Cultur sich assimiliren könne. Er glaubt diese Frage durch den Hinweis darauf bejahen zu können, dass das Christenthum vor allem im Gegensatz gegen die Satzungs religion des Judenthums als Reli­ gion der Freiheit, der Bewegung, der Innerlichkeit und der Persönlichkeit zu verstehen sei.298 Demgemäss enthalten die Urkunden des Christenthums es in der Unbestimmtheit eines entwickelungs fähigen Princips, bei dem überall zwischen "Principien und Provisorien"299 zu unterscheiden sei. Wie dieser Unterschied zu machen sei, das geht selbst erst aus der jeweiligen Entwick­ lungsstufe hervor.3OO - Auch Rade301 handelt von der in der Consequenz des Entwicklungsgedankens liegenden Auffassung des Christenthums als eines religiösen Princips, das historisch wohl eng und dauernd mit der Person Jesu zusammenhängt, aber doch seine Geltung, Kraft und Entwicklungsfä­ higkeit in sich selber hat, wobei die Persönlichkeit Jesu mit der anderer Reli­ gionsstifter zusammen ebenfalls der geschichtlichen Relativität unterworfen und seine absolute Stellung ausserhalb aller menschlichen Entwicklung be297 "Die Apologie ist der Anwalt des Christentums vor verschiednen Instanzen, und eine der bedeutsamsten ist das Tribunal der Geschichte. Und wenn seine Sache hier probehaltig sein will, so muß es als einen Hauptpunkt beweisen, daß das Christen­ tum eben die Sache des Fortschrittes ist. Denn die Kategorie des Fortschrittes ist die Hauptkategorie der Geschichte." (Bugge, Sp. 387) . 298 ;,Wir müssen, u m der Sache auf den Leib z u rücken, auf den historischen Ur­ sprung des Christentums zurückgehen. Es wird sich dann zeigen, daß einer der Hauptgegensätze [zur damaligen jüdischen Religion], aus der die Lebensanschau­ ung des Christentums entsprang, das stets unverlierbare Fortschrittsmotiv ent­ hält." (Bugge, Sp. 388) Vgl. auch Sp. 388--39 1 , in denen Bugge das Christentum vom jüdischen Glauben abzugrenzen versucht. 299 "Indem wir aber unterschieden haben zwischen den in der Eigenart der Zeitver­ hältnisse und der individuellen Beschränktheit Pauli begründeten Auffassung der Einzelfragen auf der einen Seite und den ewigen Prinzipien auf der andern Sei­ te, haben wir damit auch innerhalb der Schriften des Neuen Testaments zwischen Prinzipien und Provisorien unterschieden." (Bugge, Sp. 4 1 4) . 300 "Was nun Provisorien sind, das ist allerdings eine schwer zu lösende Frage. Ich bin aber der Ueberzeugung, daß eine für alle Zeiten giltige Antwort gar nicht gegeben werden soll. Es soll eben dem Wachstum der Gemeinde in der Erkenntnis überlas­ sen sein. Es soll Schritt für Schritt erkannt werden, je nach dem die Gelegenheit sich bietet und das Bedürfnis es erfordert. Es soll dem Fingerzeige der Entwick­ lung gemäß und im Lichte der Geschichte beantwortet werden." (Bugge, Sp. 4 1 4) . 301 [Martin] R[ade] : Christentum oder Christus? (1 897) .

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stritten wird. R. bezeichnet diese Betrachtungsweise für eine rein religions­ wissenschaftliche Forschung als die ihr allein mögliche und gesteht ihr sogar die Möglichkeit zu, für das Verständniss Jesu und des Christenthums werth­ volle Dienste zu leisten. Wenn sie ihn als den alle anderen überragenden Propheten zeigen kann, so leistet die historisch-kritische Wissenschaft alles, was man von ihr hoffen und verlangen kann.302 Aber die weitere Frage nach dem Verhältniss Jesu zum Christenthum ist eine "rein innerchristliche"303, von der Religionswissenschaft gar nicht zu behandelnde und nur von den Voraussetzungen der Gemeinde aus zu beantwortende. Denn hier zeigt sich, dass die Gemeinde den Sünde, Noth und Tod überwindenden Gott nur in Christus hat. - Im Gegensatz zu diesen an Herrmann angelehnten Gedanken betont der posthume Aufsatz von Hülsmannl°4, dass das I Christenthum als geschichtliche Macht nicht in erster Linie von dem "Eindruck der Per­ son Jesu" lebt, deren Bild nur durch Bücher und Worte und nicht durch die allein wirksame persönliche Gegenwart wirkt, ja deren Bild geradezu durch die Aufwerfung von allerhand historisch-kritischen Fragen den un­ mittelbaren Glauben eher drückt und belastet. Es lebt in Wirklichkeit von dem Eindruck lebendiger Persönlichkeiten, der religiösen Erzieher in Fami­ lie und Gesellschaft und dann von seiner eigenen, dabei entfalteten inneren Kraft.lOS Erst zur Bestätigung und Festigung wendet sich die Frömmigkeit von diesen gegenwärtigen Quellen zu der sie alle speisenden Persönlichkeit 302 "Aber unter den Religionen und Religionsstiftern frei zu vergleichen mögen wir als Christen der vergleichenden Religionsforschung doch getrost überlassen: dafür ist sie da. Und kommt sie nur zu dem Ergebnis, das Christentum sei die an Geist und Kraft reichere Religion, Christus der an Tiefe, Ernst, Klarheit und Schöpferkraft die andern überragende Prophet, so meine ich, leistet uns die historisch-kritische Wissenschaft alles, was man von ihr hoffen und verlangen kann." (Rade, Sp. 3 1 7) . 303 "Ueber die Frage: Christentum oder Christus? kann die Religionsgeschichte über­ haupt nicht entscheiden. Sie kann sie nur beleuchten, indem sie unsern Blick durch den Nachweis paralleler Erscheinungen in andern Religionen schärft [ ...] . I m übrigen ist die Frage Christentum oder Christus? eine innerchristliche." (Rade, Sp. 3 1 7). 304 Jakob Hülsmann: Christus und unser Christentum (1 897) . 305 ,,[...] die gewöhnliche Weise, wie Religion, wie Christentum in den Menschen uns­ rer Zeit lebendig gepflanzt wird und zu individueller Macht und Entschiedenheit durchbricht, ist wohl in der Regel nicht die des unmittelbaren Eindrucks der Per­ son und Geschichte des Herrn, sondern die durch Andre, durch unmittelbar an­ geschaute gegenwärtige Persönlichkeiten, in denen der Geist des Herrn, der Geist des Gebets, der Treue, des Gehorsams, der Liebe sichtbar wird, in denen wir das Christentum wirksam sehen, in denen wir es lieben, es verehren lernen". (Hüls­ mann, Sp. 484) .

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Jesu, aber auch hier nicht mit unmittelbarer Beziehung der Frömmigkeit auf ihn, die vielmehr nur auf etwas unmittelbar Gegenwärtiges, auf Gott selbst, bezogen werden kann. Jesus ist nur der Anfänger und Vollender unseres Glaubens auf den wir als auf eine Stütze neben anderen, nicht als auf die einzige zurückgehen. Damit wird dann der Glaube schliesslich doch ihm eine im Grunde übergeschichtliche Stelle zuerkennen, die in Auferstehung und Verklärung bezeugt und vom urapostolischen Glauben bestätigt wur­ de. Aber bei der gegenwärtigen geschichtlichen Denkweise wird die wirk­ liche Frömmigkeit sehr oft ohne Ziehung dieser Consequenzen und ohne beständigen Rückgang auf die Autorität Jesu leben, woran man nichts mit Gewalt ändern wollen soll. Pjleiderer berichtet mit einigen Zusätzen über einen in NW veröffentlichten Vortrag des neu-Hegel'schen Religionsphi­ losophen Ed. Caird306• C zieht hier die Consequenzen des idealistischen Entwicklungsbegriffes für die Auffassung des Verhältnisses von Jesus und Christenthum. Er wendet sich gegen den mit der neukantischen Reduction des Christenthums auf praktische Wahrheiten meist verbundenen Versuch, diese Wahrheiten in ihrer Geltung und Erhebung ausschliesslich auf das von historischer Vergegenwärtigung gezeichnete und dabei eine berechtig­ te Kritik voraussetzende Bild Christi zu begründen: "Es ist ein sehr natür­ liches Gefühl, das uns hoffen lässt, wenn dies möglich wäre, würden wir die reine Quelle der Inspiration erreichen und lernen, was das wahre, das echte Christenthum sei, in dem die Heilung liege für alle unsere Nöthe im Denken und Leben"307. Das höchste Ziel eines solchen Kriticismus wäre, "Raum und Zeit aufzuheben und uns in den Stand zu setzen, das Leben der Jünger wieder durchzuleben, die sich der persönlichen Gemeinschaft ihres Herrn erfreuten"308. All ein ein solches Bemühen beruht auf Ill u sion. Erstlich ist beim Stande unserer Quellen und beim Wesen aller historischen Forschung nur ein vielfach undeutliches, lückenhaftes Bild zu erreichen, das -

306 Otto PAeiderer: Das Christentum und der historische Christus (1 897), vgl. S. 463: "Ueber dieses Thema ["Das Christentum und der historische Christus'1 hat Eduard Caird [ ... ] im Oktober letzten Jahres [1 896] vor der Gesellschaft für histori­ sche Theologie in Oxford, deren Präsident er ist, einen Vortrag gehalten, der auch für uns deutsche Theologen soviel Beherzigenswertes enthält, daß ich es für er­ sprießlich halte, die Hauptsache daraus in Uebersetzung hier mitzuteilen." Vgl. da­ zu Edward Caird: Christianity and the historical Christ (1 897) . 307 Vgl. PAeiderer, S. 463; vgl. auch Caird, S. 4. 308 Bei PAeiderer lautet das Zitat vollständig und im Zusammenhang: "Das höchste, obgleich natürlich unerreichbare Ziel dieses Kriticismus wäre, Raum und Zeit auf­ zuheben und uns in den Stand zu setzen, das Leben der Jünger wieder durchzule­ ben, die sich der persönlichen Gemeinschaft ihres Herrn erfreuten, die unmittel­ bar seine neue Deutung des Lebens in Sentenzen und Parabeln empfingen und die

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immer eine erhebliche Summe historischer Zweifel in sich schliesst. Ferner ist es psychologisch unmöglich eine solche Persönlichkeit, auch wenn es nach dem Quellenbestande anginge, in ihrem eigenen ursprünglichen Sin­ ne aufzufassen; wir würden sie immer nur unter dem Einfluss der von ihr hervorgegangenen Wirkungen auffassen und verstehen können und wür­ den in dem Maasse, als wir uns von dem Eindruck dieser Wirkungen frei zu I machen versuchten, auf ein immer leereres Bild stossen, wir würden aus lauter Furcht vor einem Christenthum ohne Christus einen Christus ohne Christenthum erhalten. Erst in dem Lichte seiner Wirkungen, in den verschiedenen Lagen und Problemstellungen gegenüber gezogenen Conse­ quenzen des Christenthums wird deutlich, was in Jesus enthalten war. Drit­ tens ist die Ideenwelt der Predigt Jesu und des Urchristenthums eine in Me­ taphysik und Moral von der modernen so gründlich verschiedene, dass es völlig unmöglich ist, eine unmittelbare Identification beider zu behaupten. Die modernen Ideen vom Gottesreiche bei Kant, Schleiermacher, Rothe, Weisse und Ritschl sind von den urchristlichen fundamental verschieden. Unter diesen Umständen bleibt keine andere Möglichkeit, als Jesus bei aller Einzigartigkeit für den Quellpunct eines von ihm ausgehenden religiösen Princips anzusehen, das in dem Individuum nicht aufging, sondern durch den Tod des Individuums zum Geist werden musste, der in alle Wahrheit leitet. Die Frage ob hierbei die dauernde Bedeutung Jesu und die Absolut­ heit des Christenthums behauptet werden könne, beantwortet sich durch die Ueberlegung der Frage, "ob das Christenthum bei seinem Zusammen­ treffen mit anderen Lebenskreisen nur eine Kraft unter anderen gewesen sei, so dass das Resultat des Zusammentreffens einer Resultante gleicht, die nicht einem der kämpfenden Elemente speciell zugeschrieben werden kann, oder ob die Einwirkungen dieser Elemente auf das Christenthum immer eine Gegenwirkung hervorgerufen haben gleich der Gegenwirkung eines lebenden Wesens auf seine Umgebung, so dass das neue Element aufge­ nommen und zum Mittel der Entwicklung eines höheren Lebens gemacht wurde"309. C entscheidet sich für die zweite Auffassung und bekennt dem­ gemäss, dass "die Entstehung des Christenthums der entscheidende Schritt in der Entwicklung des Bewusstseins des Menschen von sich und seiner wachsende Kraft und das Pathos seiner Rede fühlten, als er immer mehr des un­ vermeidlichen Endes bewußt wurde und ihm entgegenzugehen sich anschickte." (pfleiderer, S. 463) Vgl. auch S. 4 bei Caird. 309 Das Zitat lautet bei Pfleiderer: "Es ist zweifellos wahr, daß das Christentum mit manchen anderen Einflüssen während des Verlaufs seiner Geschichte in Berüh­ rung oder Conflict gekommen ist: mit jüdischer Theologie, mit griechischer Phi­ losophie, mit römischem Recht und Regiment, mit der rohen Barbarenkraft von

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Beziehung zu Gott war und dass er daher ,christlich' als ein bleibendes Adjectiv des wachsenden Ideales der Menschheit betrachte"llO. Die sicht­ lich unter der Einwirkung des Buches von Bernoulli geschriebenen Zusätze Pßeiderer's311 betonen, dass diese letztere Betrachtung die von rein wissen­ schaftlichen Interessen ausgehende sei und dass daher die Wissenschaft sich rundweg entschliessen müsse, die Flüssigkeit und Subjectivität jeder jewei­ ligen Auffassung des Christenthums anzuerkennen und auf den Nachweis einer strickten Identität ihrer Auffassung mit irgend einer jemals historisch gewesenen Gestalt des Christenthums zu verzichten habe. Dadurch wird sie zu einem Mittel der Belebung und Bewegung in dem religiösen Leben. Um­ gekehrt ist begreiflich, dass die Männer der kirchlichen Praxis das jeweils Geltende behandeln, als ob es das Definitive wäre, das Relative, als ob es das Absolute unmittelbar wäre, dessen mittelbares Symbol es nur ist. Die Praxis neigt zur Verabsolutirung und Vereinfachung, die Wissenschaft zur Relativirung und verwickelten Vermittelungen. Würde die erstere bedenken, dass sie hierbei einem wesentlich praktischen Bedürfniss folgt und die letztere dieses Bedürfniss möglichst respek I tiren, dann könnte die gegenseitige Selbstbescheidung wenigstens zu einem praktischen Frieden zwischen diesen beiden antinomischen Tendenzen führen. - Bei Erwähnung Bernoul/i's sei auf die in seiner und Duhm's Anschauung von der Geschichte liegende Consequenz verwiesen, dass der Begriff des Princips als mit Weltanschauung und Theologie zusammenhängend, als die freie Bewegung der göttlichen Offenbarung in Gedankenzusammenhänge einpressend verworfen wird. In Jesus wird das Ekstatische und Geheimnissvolle hervorgehoben, das vor allem an die beständige Bereitwilligkeit Gottes, sich zu offenbaren, glauben macht. Aber über den Gang dieser Offenbarungen kann aus dem Germanen und Slaven, mit der wachsenden wissenschaftlichen und materiellen Entwicklung der modernen Welt. Ist es denn nur eine Kraft unter anderen gewesen, kämpfend mit ihnen in der Art, daß das Resultat einer mechanischen Resultante gleicht, die nicht speciell einem der kämpfenden Elemente zugeschrieben werden kann? Oder haben die Einwirkungen dieser Elemente auf das Christentum immer eine Gegenwirkung hervorgerufen gleich der Gegenwirkung eines lebenden We­ sens auf seine Umgebung, so daß das neue Element von ihm aufgenommen und zum Mittel der Entwicklung eines höheren Lebens gemacht wurde?" (pReiderer, S. 47 1) Vgl. auch Caird, S. 1 2. 310 PReiderer, S. 472; Caird, S. 1 3. 311 Gemeint ist wohl Carl Albrecht Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie (1 897) ; zu den "Zusätzen" vgl. PReiderer, S. 472-474. Bernoullis Buch wird oben, S. 438 f., besprochen. Vgl. auch Ernst Troeltsch: (Rez.] Carl Albrecht Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie (1 898), oben, S. 334-348.

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Inhalt dieser Offenbarung nichts entnommen werden, da ihr ein begrifflich zu fassender Inhalt nicht einwohnt, sondern in ihr nur die geheimnissvol­ le und schauervolle Berührung mit Gott überhaupt gegeben ist. Damit ist wenigstens für die Erkenntniss des Menschen von der Sache ein schran­ kenloser Relativismus gelehrt, der aber dann freilich doch nicht ganz streng festgehalten wird. Jedenfalls haben wir es hier mit einer aus historischen und religiösen Gründen zugleich hervorgehenden Opposition gegen die Bestim­ mung des Christenthums als eines Princips und gegen die Würdigung Jesu auf Grund seiner Bedeutung für dieses Princip zu thun, wobei das Resul­ tat dann freilich ein noch weit radicaleres ist. - Im schärfsten Gegensatze zu allen diesen Bestimmungen fordert der Presbyterianer WarJield312 im Sin­ ne der granitic intellectuality of presbyterianism313 die runde Anerkennung des Supernaturalismus als die einzig mögliche Grundlage für das richtige historische und dogmatische Verständniss des Christenthums. Sein Recht gegen den unsere ganze Cultur und Philosophie durchziehenden Panthe­ ismus und Naturalismus, insbesondere gegen die von diesem Abfall ange­ steckte Theologie, zu verfechten, scheint ihm die Hauptaufgabe der Gegen­ wart. "Probably there never was an era in which the thinking of the more or less educated classes was more deeply tinged with an antisupernatural stain than at present. Even when we confess the supernatural with our lips and look for it and find it with our reasons, our instincts as modern men lead us unconsciously to neglect and in all practical ways to disallow and even to scout it"314. Andererseits: "The supernatural is the very breath of Chri­ stianity's nostrils and an antisupernaturalistic atmosphere is to it the dead­ liest miasma. An absolutely antisupernaturalistic Christianity is therefore a contradiction in terms. Nevertheless, immersed in an antisupernaturalistic world-atmosphere, Christian thinking tends to become as antisupranaturali­ stic as it is possible to it. And it is indisputable that this is the characteristic of the Christian thought of our day"315. W. stellt daher, jeden abergläubischen d. h. den katholischen Supernaturalismus preisgebend, den unentbehrlichen evangelischen Supernaturalismus in den Hauptpuncten fest: Transcendenz Gottes und Schöpfung durch das Wort, Vorsehung und Wunder, das Wun­ der der Erlösung gegenüber der sündigen Natur, Bezeugung dieses Wunder durch das Wunder der I inspirirten Bibel, das Wunder der Bekehrung. Alle historische Wunderkritik dient nur dem Endzweck, das Christenthum sei312 Benjamin B. Warfield: Christian supernaturalism (1 897) . 313 Vgl. dazu oben, Anm. 327, S. 306. 314 Warfield, S. 6 1 . 3 1 5 Warfield, S . 6 1 . Das Zitat endet wie folgt: , , [. . .] Christian thinking tends to become as anti-supernaturalistic as is possible to it. And it is indisputable that this is the characteristic of the Christian thought of our day."

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nes supernaturalistischen Charakters zu entkleiden, seit der Deismus damit angefangen hat. Reischlel16 vertheidigt in einer gehaltreichen und scharfsin­ nigen Abhandlung die Stellung der Ritschl'schen Schule zum vorliegenden Problem, dass nämlich die Absolutheit des Christenthums auf der Offenba­ rung Gottes im historischen Christus beruhe und von hier aus die Stellung Jesu zum Christenthum zu entscheiden sei. Gegenüber Undeutlichkeiten, die Ritschl noch offen gelassen habe, nämlich inwieweit die Unsicherheit historischer Kritik dieses "geschichtliche" Bild beeinflussen könne und in­ wieweit an der Anerkennung dieses historischen Christus als absoluter Got­ tesoffenbarung subjective Gesinnungselemente betheiligt seien, habe erst Herrmann die entscheidende Formel gegeben: "Der geschichtliche Chri­ stus ist das persönliche innere Leben Jesu, das sich an dem Herzen und Gewissen des nach ewigen Leben ringenden Menschen als eine unbezwei­ felbare wirkungskräftige Wirklichkeit erweist" (S. 1 76) .317 Darnach ist das durch die Ueberlieferung an das religiös bedürftige Subject gebrachte Cha­ rakterbild Jesu erstlich der ausschliessliche Gewissheitsgrund des Christen­ thums, zweitens die erschöpfende Darbietung der nur noch systematisch zu ordnenden christlichen Wahrheiten und drittens bei dem Gegensatz des von ihm gebrachten erlösenden Heils und seiner Person gegen die sündige Gesammtmenschheit der Beweis für die absolute Einzigartigkeit und da­ mit für die principielle Absolutheit des Christenthums. Der verklärte Chri­ stus und der Geist Christi haben zu ihrem concreten Inhalt nichts ande­ res als eben das im Historischen geschaute Geistesleben und Geisteswir­ ken, sie fallen also mit der Wirkung des geschichtlichen Christus als völlig gleichartig zusammen. Diese Position vertheidigt dann R. gegen Einwän­ de von Seiten der Geschichtsforschung und gegen solche von Seiten der Dogmatik, einerseits der positiven, andererseits der liberalen.318 Die für das -

316 Max Reischle: Der Streit über die Begründung des Glaubens auf den "geschichtli­ chen" Jesus Christus (1 897) . 317 "Besonders W. Herrmann hat in eingehender Analyse sowohl den Begriff des ,ge­ schichtlichen Christus' als auch die Stellung des Glaubens zu ihm deutlich zu ma­ chen gesucht: der geschichtliche Christus ist das persönliche innere Leben Jesu, das sich an dem Herzen und Gewissen des nach ewigem Leben ringenden Men­ schen als eine unbezweifelbare wirkungskräftige Wirklichkeit erweist." (Reischle, S. 1 76) Reischle bezieht sich hier auf Wilhe1m Herrmann: Der Verkehr des Chri­ sten mit Gott im Anschluss an Luther dargestellt (1 8963) . 318 "In drei Gmppen lassen sich diese Einwände [gegen die These, daß der geschichtli­ che Christus die für den Glauben grundlegende Offenbarung Gottes sei] ordnen: sie werden teils im Namen der Geschichtsforschung, teils vom Standpunkte der Dog­ matik, und zwar einerseits von der liberalen und andererseits der positiven, erhoben." (Reischle, S. 1 87) .

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rein wissenschaftliche Interesse im Vordergrund stehende erste Frage be­ antwortet R. mit dem Hinweis, dass kein Entwicklungsbegriff a priori die Unmöglichkeit einer absoluten Persönlichkeit beweisen können, und dass über die thatsächliche Absolutheit Jesu die Geschichtswissenschaft zu ur­ theilen gar nicht befähigt und berufen sei, sondern nur der Glaube.319 "Erst auf der Grundlage dieses Glaubens erwächst auch die wissenschaftlich er­ weiterte Reflexion darüber, warum wir im Vergleich mit der Wahrheitser­ kenntniss und Wirksamkeit anderer Religionen die in Jesu Christo erschie­ nene Gotteswahrheit und Gotteskraft für die vollkommene und warum wir sie für eine nie zu überbietende erklären" (S. 1 90) . Oder auch: es handelt sich nicht sowohl um ein "geschichtliches d. h. wissenschqftlich historisches Ver­ ständniss der Offenbarung Gottes in Christo" als um ein "Glaubensverständ­ niss der geschichtlichen Offenbarung"32o. In zweiter Hinsicht setzt sich R. zunächst sehr ausführlich mit Kählers bekannter Einrede gegen den "geschichtlichen Christus" auseinander,321 I dass der geschichtliche Christus vor allem in dem von der apostolischen Gemeinde geglaubten schlechthin supernaturalistischen Christusbild erkannt werden müsse und nicht in dem menschlich-irdischen, von keiner Forschung mehr wieder ganz herzustellen­ den Christusbilde eines kritischen Lebens Jesu. Dem gegenüber vertritt R. einen gemässigteren Supernaturalismus, der das entscheidende Uebernatür­ liche zunächst nur in dem vom heilsbedürftigen Glauben aufgenommenen 319 "Wenn aber kein Grund vorliegt, im Namen der Geschichtswissenschaft und ih­ rer Entwicklungsidee die Mijglichkeit einer vollendeten Gottesoffenbarung in einer geschichtlichen Person zu leugnen, so kann freilich die Geschichtsforschung an­ dererseits auch nicht dazu gelangen, sie als wirklich zu behaupten und zu beweisen. Nur im persönlichen Glauben können wir feststellen, daß in Jesu Christo wirklich die ewige Wahrheit und erlösende göttliche Geistesmacht in unsere menschliche Geschichte eingetreten ist". (Reischle, S. 1 90) An dieser Stelle folgt das Zitat, mit dem Troeltsch oben fortfährt. 320 Vgl. Reischle, S. 262: "Nur ist sie [die Fragestellung] näher dahin bestimmt, daß es sich bei dem ,geschichtlichen Offenbarungsverständnis' um ein Glau­ bensverständnis von Jesu Person und Geisteswirkung handelt, das seine Gewißheit in sich selbst trägt und sie nicht erst von der historisch-kritischen Forschung mit ihren Resultaten endehnen muß." 321 Martin Kähler: Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus (1 892\ 1 8962) . Reischle erwähnt das Buch von Kähler in der ersten An­ merkung, in der er auf den Entstehungszusammenhang des Aufsatzes hinweist. Es handelt sich hierbei um die umfangreiche Bearbeitung eines Vortrags, den Reischle am 6. Mai 1 896 im wissenschaftlichen Predigerverein in Hannover gehalten hat. Die Bearbeitung sei nicht zuletzt durch das Erscheinen der 2. Auflage von Käh­ lers Buch nötig geworden.

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und (geschichtlich) erkennbaren Inhalt seines geistig-persönlichen Lebens erkennt, übrigens aber die weiteren supranaturalistischen Prädicationen wie Auferstehung, Himmelfahrt und Sitzen zur Rechten3 Gottes als (innerhalb gewisser Grenzen freilich diskutable) Folgesätze zugesteht. Es muss Glau­ bensgrund und Glaubensinhalt unterschieden werden, der erste bezieht sich allerdings auf etwas Einzigartig-Uebernatürliches, aber auf etwas Ethisch­ Religiös-Uebernatürliches, dessen metaphysische Uebernatürlichkeit noch ausser genauerer Frage bleiben kann. Von seiner Anerkennung aus lässt sich dann aber auch Geneigtheit für die metaphysischen Uebernatürlichkei­ ten, auf denen schliesslich doch die eigentliche Würdigung des Christen­ thums gegenüber anderen Religionen beruht, herstellen und somit auch für die von der Ueberlieferung bezeugten supranaturalen Thatsachen gläubige Annahme erzielen. Dazu ist (S. 21 3) anerkannt, dass der Grund dieser Un­ terscheidung in apologetischen Rücksichten auf historische und metaphy­ sische Bezweifelungen des alten Supernaturalismus gelegen sei.322 Durch sie soll ein einwandfreierer Boden der Verständigung und ein der Gemein­ samkeit fähigerer Ausgangspunct erreicht, zugleich dem Berechtigten an der modernen Wendung der Religion zum Innerlichen und Subjectiven, sowie der durch die Bibelkritik geforderten Umbildung der Inspirationslehre ent­ sprochen werden. Demgemäss wird auch die Stellung zu den Wundern Je­ su genommen: der Glaube an sie ist nicht Voraussetzung, sondern Folge des Glaubens an Christus. Sodann wendet sich R. gegen die Bestimmungen der liberalen Dogmatik, der gegenüber die Nothwendigkeit einer objecti­ ven Autorität betont und die Unterscheidung von Person und Princip als verwirrend und die Autorität Jesu verflüchtigend abgelehnt wird. Auch der Protest gegen eine ausschliessliche Begründung der christlichen Gewissheit auf Christus zu gunsten einer mannigfaltigeren und weiter ausgreifenden Begründung stellt die vom biblischen Christenthum geforderte Autorität Jesu zurück und bringt nur ein haltloses Christenthum hervor, wie das der Aufklärung, der Romantik und des philosophischen Ideals. Gegen den Eina

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322 ,,[ ...) weil nur so der Grund des Glaubens ein klarer und fester ist, also, wenn man so will, aus apologetischen Gründen [ ...) Aber nicht nur gegenüber den Schwankun­ gen der historischen Kritik suchen wir nach einem dem Glauben zugänglichen und nicht entreißbaren Boden, sondern auch gegenüber den Anfechtungen, die der oft scheinbar widrige und gleichgiltige Lauf der Welt unseren [siel) Glauben berei­ tet, bedürfen wir eines Haltes. Und eben diesen finden wir in der in die mensch­ liche Geschichte eingetretenen Heilsperson und Geisteswirksamkeit Jesu Christi." (Reischle, S. 2 1 3) . .

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wurf, dass eine solche Auffassung das Christenthum in religionsgeschicht­ lich unzulässiger Weise isolire, erwidert R., dass einmal auch von hier aus eine Anknüpfung an das allgemeine geistig-ethische Wesen des Menschen möglich sei und dass andererseits das als absolute Wahrheit erwiesene Chri­ stenthum sehr wohl nachträglich in einen teleologischen Zusammenhang der Religionsgeschichte eingestellt werden kann, selbst eine solche Beziehung fordert und sich dabei als absolute Religion bestätigt. Damit ist vor allem die Anschauung des Ref. abgewiesen, I in dessen Phantasie die christliche Bornirtheit der Reischle'schen Ansicht allein bestehe.32J Die Versuchung zu einer illusionistischen Erklärung der Religion und der Eindruck eines verwir­ renden Vielerlei in der Religionsgeschichte könne zwar durch wissenschaft­ liche Erwägungen insofern bekämpft werden, als sie die Schwierigkeiten und Grenzen der antireligiösen Erklärungsversuche aufzeigen; "aber den entscheidenden Sieg über diese werden wir immer nur dadurch gewinnen,

dass wir selbst die Wahrheit einer bestimmten Religion innerlich anerkennen) indem wir uns der sie begründenden Offenbarung anvertrauen. Erst auf Grund davon mögen wir dann auch in der Religionsgeschichte die doch immer nur zerstreuten Spuren der teleologischen Entwicklung auf dieses Ziel hin aufsuchen und erkennen; sie bleiben uns dunkel, wenn wir sie nicht in der Beleuchtung eines Zieles sehen, das in seiner eigenen Wahrheit uns innerlich klargeworden ist" (S. 259)324. In solchen Sätzen erkennt Ref. von neuem die schon früher bekämpfte Iso­ lirung des Christenthums, die ihm als das bewusste Gegentheil wissenschaft­ licher Methode erscheinen muss, umsomehr als man "der eigenen Wahrheit des Zieles" bei seinen starken historischen Bestandtheilen nicht ohne hi­ storische Methode und damit gegebene Vergleichung habhaft werden kann. Hier aber entstehen die eigentlichen Probleme der Lage, die durch derar­ tige künstliche Veranstaltungen nur beseitigt und todtgeschwiegen werden. Dass eine solche Methode nicht aus Bornirtheit, sondern aus wesentlich religiösen und höchst achtungswerthen, mit grösstem Scharfsinn verträgli­ chen Motiven hervorgeht, weiss übrigens Ref. sehr wohl. Er hat sich nur gegenüber der historisch-exegetischen Theologie nicht bei der Beweiskräf323 "Wenn in diesen Beziehungen die christliche Bornirtheit, die man uns Schuld ge­ ben möchte [sic!] , nur in der Phantasie der Polemiker besteht, so halten wir aller­ dings ihnen gegenüber an Einem fest: das praktisch-religiose Christenleben kann über jenen propädeutischen Stand hinaus nur dadurch zu seiner voiien christlichen Klar­ heit und Stärke geführt werden und kann seinen lel'{jen Halt gegenüber religiösen und sittlichen Anfechtungen nur darin finden, daß es auf Jesum Christum als auf seinen Grund zurückgeht." (Reischle, S. 258) Reischle bezieht sich vor allem auf Ernst Troeltsch: Die Selbständigkeit der Religion (1 895/96) ----> KGA 1 . 324 Hervorhebungen von Troeltsch.

4. Religionsgeschichte und -Entwicklung

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tigkeit solcher Methoden beruhigen können. - Einen ähnlichen Standpunct wie Reischle nimmt die durch Klarheit ausgezeichnete, gegen die Religi­ onstheorie Sabatiers gerichtete Abhandlung von Lacheret32S ein. Er ergänzt die Position Reischles nur noch durch den Anschluss an den entschiedenen Supranaturalismus Rothe's, der die moderne Erkenntniss des praktisch­ subjectiven Charakters der Religion durch die Unterscheidung der Inspiration als des grundlegenden Actes von der Manifestation hinreichend anerkannt und dem Bedürfniss nach einer objectiven Bezeugung für die in der Inspiration gegebene religiöse Lebensmacht, als aus besonderen die Natur und Sünde durchbrechenden Thaten Gottes folgend, durch den Begriff der Manifestation oder der Wunder genügt habe. Der Christ muss für die Frage nach der Wahrheit und dem specifischen oder absoluten Offenbarungscharakter des Christenthums von dem ethisch-religiösen Charakterbilde Jesu, nicht von der Allgemeinheit der in den Religionen stattfindenden Offenbarung, ausgehen. Dazu nöthigt ihn das Bild Christi im Gewissen. Aber von dessen innerer Uebernatürlichkeit ergriffen, wird er auch die ällssere Ueberna­ türlichkeit, die die Bibel bezeugt, in Israel, in der Geschichte Jesu und in der Geschichte der Apostel anerkennen und erst durch sie den Beweis für den Offenbarungswerth endgiltig geführt sehen. I Sabatier hat das nur durch seine Unterschätzung der Sünde, die doch das Hervorgehen der vollkom­ menen Gottesoffenbarung aus dem natürlichen Weltlauf unmöglich macht, verkennen können. Celui qui a trouve Dieu en Christ par une experience personelle, celui-Ia seul est chretien, et il possede en meme temps l'idee et le criterium de la revelation (S. 22) . Die Idee ist die Inspiration, das Criterium ist die Manifestation. Der geschichtlichen Forschung bleibt ihr peripherisches Recht, da die Bibel nicht die Offenbarung, sondern das historische Zeugniss von dieser Offenbarung ist. Immerhin aber gesteht L. angesichts der repugnance instinctive contre le surnaturel auch eine andere Beweisart zu: Si j'avais a parler a des hommes qui ne croient pas au Christ, sans doute je prendrai une autre voie, je me placerai avec eux des l'abord sur un terrain qui nous serait commun et je chercherai a les elever jusqu'a celui qui est a mes yeux le terrain superieur et definitif de la vie religieuse (S. 21). M. SChlllZel26 stellt in klarer und schöner Weise die schwierige Stellung Kähler's zum vorliegenden Problem dar und nimmt mit dieser Darstellung seine frühere radicalere Position zurück. Er betont vor allem den Gegensatz 325 Elisee Lacheret: Oe la nature de la revelation (1 897) . 326 Martin Schulze: Die Religion Jesu und der Glaube an Christus (1 897) . Das Buch wurde bereits im "Theologischen Jahresbericht" des Vorjahres besprochen. Vgl. Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 897) , oben, S . 299.

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der Thesen der kritischen Theorie zu dem strikten Supranaturalismus der biblischen Anschauungen, wodurch die moderne Lehre zu einem völligen Bruch mit der Bibel werde, und zeigt an der Mehrzahl der kritischen Theori­ en, dass sie eigentlich noch weiter gehen müssten. Die Selbstansprüche Jesu und der Glaube der Jünger an ihn sind entscheidend. - Die Uebersicht über diese meist in kurzen Andeutungen sich bewegenden Abhandlungen zeigt, wie bunt die theologische Lage ist und wie schwere Probleme gerade in den entscheidenden Kernfragen die letzten Jahrzehnte heraufgeführt haben. 5. Historisch-Kritisches. a) Philosophen.

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tJ Th. Me� a his tory of European thought in the 1 9th century. B. 1. 1 896. VII, 488. Edinburgh, Blackwood. 10 sh. 6 d. - F. ÜbefWeg, Grundriss der Gesch. d. Philos. III T. II B. Nachkantische Systeme u. Philosophie der Gegenwart. 8. Auf!. v. M. Heinze. VIII, 527. Berlin, Mittler. M 9. - t O. Wi//mann, Gesch. d. Idealismus. III. Bd. Ideal. d. Neuzeit. VI, 961 . Braun­ schweig, Vieweg. M 1 3. - tE. Blanc, Histoire de la philos. conternp. III, 656. Paris. M 3,80. - Frommann's Classiker der Philos. hg. v. Falckenberg a M 1 ,75: t 4. H. Höffding, Rousseau und seine Philosophie; 5. Gaupp, Herbert Spencer; tc. A. Riehl, Nietzsche der Künstler u. der Denker. tDeussen, Jacob Boehme. 3 1 . Kiel, Lipsius. M -,50. - t c Gültler, Herbert v. Cherbury. Krit. Beitrag zur Gesch. des Psychologismus u. d. Religionsphi­ los. VI, 248. München, Beck. M 6. - E. Fechtner, John Locke, Bild aus den geistigen Kämpfen Englands im 1 7. Jhrh. XI, 298. Stuttgart, Frommann. M 5. - P. Sakmann, B. de Mandeville. XVI, 303. Freiburg, Mohr. M -,7. W. Arnsperger, Chr. Wolffs Verhältniss zu Leibniz. III, 72. Weimar, Felber. M 1 ,60. - M Grunwa/d, Spinoza in DeutschI. IV, 380. Berlin, Calvary. M 7,20. - C Lülmann, Leibniz' Anschauung vom Christenthum (ZPhKr. 1 1 1 . 6080) . - Meinardus, D. Hume I als Religionsphilosoph. 1 02. Coblenz, Groos. M 1 ,60. - t c Everelt, Kants influence in theology (Nw. März 69-83) . E. v. Danekelmann, Kant als Mystiker? 24. Leipzig, Haacke. M -,50. - t Katzer, Kant's Bedeutung f. d. Prot. (H. z. ChrW. 30) . 50. Freiburg, Mohr. M -,75. ­ t P. Gryer, Schillers ästhetisch-sittliche Weltanschauung. XI, 78. Berlin, Weid­ mann. M 1 ,60. - t R. Steiner, Goethe's Weltanschauung. XI, 206. Weimar, Felber. M 3. - E. v. Hartmann, Schelling's philosophisches System. XII, 244. Leipzig, Haacke. M 4,50. - tJ Gehring, die Relig.-philos. J. E. v. Bergers Diss. 93. Leipzig, Naumann. M 1 ,50. - tE. Platzhoff, Charles Secretan (ZSchw. 33-53) . - tR. Stö/i/e, K. E. v. Bär u. seine Weltanschauung. XI, 787. Regens­ burg, Verl.-Anst. M 9. - t H Staps, über Friedrich Rohmers "Wissenschaft

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5. Historisch-Kritisches

von Gott." Diss. 46. Erlangen.327 - t5. Carr, Spencer's philosophy of reli­ gion (BS. April 232-248) . - Ch. Doug/as, J. St. Mill. Aut. deutsche Uebers. X, 205. Freiburg, Mohr. M 3,60. - W. Bousset, Thomas Carlyle, ein Prophet des 1 9. Jhrh.s (ChrW. 249-253, 267-27 1 , 296-299, 324-327). - H Wi/he/­ mi, Carlyle u. Nietzsche. Wie sie Gott suchten u. was für einen Gott sie fanden. IV, 88. Göttingen, Vandenhoeck. M 1 ,60. - t Tijnnies, d. Nietzsche­ Cultus. XII, 1 1 5. Leipzig, Reisland. M 2. t o. BitschI, Nietzsches Welt- u. Lebensanschauung. VI, 58. Freiburg, Mohr. M 1 . - R. Schellwien, Nietzsche u. seine Weltanschauung. 45. Leipzig, Janssen. M 1 . - tJ Kaftan, das Christen­ thum u. Nietzsches Herrenmoral. 24. Berlin, Nauck. M -,50. - t 5. Baart de /a Fai//e, Tolstoi als theolog en moralist. VI, 1 87. Groningen, WoIters. fI. 1 ,90. ­ A. Heubaum, Sören Kierkegaard (prJ 90, 50-87) . K Vor/änder, Sören Kier­ kegaard u. sein Angriff auf die Christenheit (ZPhKr. 21 3-221). - tJ sta/ker, H. Drummond (Exp. April 286-296) . - tM. Ross, Drummond's religions teaching (Exp. Mai 390-400) . - t H simmons, Henry Drummond and his books (Nw. 485-498) . - tA. Foui//ie, la morale, l'art et la Religion d'apres Goyau. 3. Aufl. VII, 251 . Paris, Alcan. - tJ Lindsqy, Recent advances in thei­ stic philosophy of religion. 604. London, Blackwood, 1 2 sh. 6 d. - tJ For­ ster, Great teachers: Bums, Shelley, Coleridge, Tennyson, Ruskin, Emerson, Browning. 356. London. M 6. - F. Pi//on, la philosophie de Secn�tan (Revue philosophique 43, S. 225-25 1 , 358-387; 599-622; 44, S. 53-76). -

-

Von dem unentbehrlichen Handbuch Uebenvegs328 liegt der wichtigste Theil, die Behandlung der neuesten Philosophie, in achter Auflage vor mit eingehender Berücksichtigung der ausländischen, vor allem der englischen und französischen Philosophie, sowie der auf die Philosophie so stark wirkenden naturwissenschaftlichen Entwicklung. Der Band dient seinem Zwecke vortrefflich. Freilich eröffnet er auch einen tiefen Blick in die ausserordentliche Zerfahrenheit der gegenwärtigen Philosophie. - Eine mehr systematische und begrifflich verarbeitete Uebersicht gewährt das Werk von Merz!29, das im vorigen Jahre leider übersehen wurde. Es ist nach der Rec. von Runge (DLZ. 1 898 S. 220-222) der erste Band eines auf 327 Hermann Staeps: Ü ber Friedrich Rohmer's "Wissenschaft von Gott" (1 897) . 328 Friedrich Ueberweg: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart, 3. Theil: Die Neu­ zeit, 2. Band: Nachkantische Systeme und Philosophie der Gegenwart (1 8978) . Der 2. Teil wird besprochen in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und princi­ pi elle Theologie (1 899), unten, S. 6 1 7. 329 John Theodore Merz: A his tory of European thought in the nineteenth century, vol. 1 : Introduction - Scientific thought, Part 1 (1 896) .

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drei Bände berechneten Werkes, von dem der erste die Entwicklung der exakten Naturwissenschaften behandelt, der zweite die des methodischen philosophischen Denkens und der dritte die des religiösen Lebens darstel­ len SOIP30 Er beherrscht die deutsche, englische und französische Literatur. Der erste Band stellt einen Theil des ersten Themas dar, die Entwicklung der bis zur Mitte des Jhrh.s in den verschiedenen Ländern sehr verschieden betriebenen Naturwissenschaften, die erst seitdem sich zu einem Ganzen ausgeglichen haben und von der an I Newton orientirten astronomischen Naturanschauung zu der von Faraday ausgehenden physikalischen Natur­ anschauung fortgeschritten sind. R. bemerkt hierzu: "Es gibt kein Werk mit dem das vorliegende verglichen werden kann. Es gleicht in Theilen einer Geschichte der exakten Wissenschaften, aber es ist philosophischer. Es verfolgt nicht nur die Entwicklung der einzelnen Wissenschaften, es will uns die Einheit und den Zusammenhang zeigen, die Querfaden, die das Ganze erst zu einem Gewebe machen. Das Buch ist eine grosse Hülfe, einen Ueberblick zu erlangen"33t. WiJlmann's332 verdienstliches Werk lässt in der die Neuzeit behandelnden Abtheilung den katholisch-scholastischen Charakter seiner Grundanschauung sehr stark hervortreten. - Von den neuen Bänden der Frommann'schen Bib liothek enthält der Band Gaupp's333 -

330 "Vor uns liegt der erste Band eines merkwürdigen Buches. In der Einleitung hat der Vf. den Plan des ganzen Werkes auseinandergesetzt. Es soll drei Theile enthal­ ten. Der erste umfasst ,the scientific thought', ich übersetze, das wissenschaftliche Denken, genauer das Denken in den exakten Wissenschaften. Der zweite Theil soll das philosophische Denken behandeln, das Denken, das sich selbst zum Ge­ genstande hat, seinen Ursprung, seine Gesetze, seine Gültigkeit untersucht. Der dritte Theil endlich betrifft das unmethodische Denken, das in Kunst und Poesie und Religion seinen Ausdruck findet und unter dem Titel das religiöse Denken zusammengefasst ist." earl Runge: [Rez.] John Theodore Merz: A history of euro­ pean thought in the nineteenth century, vol. 1 (1 898), Sp. 220. 331 Das Zitat lautet vollständig: "Mich dünkt, es giebt kein Werk, mit dem das vorlie­ gende verglichen werden kann. Es gleicht in Theilen einer Geschichte der exak­ ten Wissenschaften, aber es ist philosophischer. Es verfolgt nicht nur die Entwick­ lung der einzelnen Wissenschaften, es will die Einheit, den Zusammenhang uns zeigen, die Querfäden, die das Ganze erst zu einem Gewebe machen. Gegenüber den immer mehr sich spaltenden Wissenschaften ist die Zusammenfassung sehr nothwendig, wenn der Betrieb nicht stumpfsinnig werden soll. Dies Buch ist eine grosse Hilfe, einen Ueberblick zu erlangen." (Runge, Sp. 222) . 332 Otto Willmann: Geschichte des Idealismus, 3. Band: Der Idealismus der Neuzeit (1 897) . 333 Otto Gaupp: Herbert Spencer (1 897) .

5. Historisch-Kritisches

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über Spencer eine kritiklose Verherrlichung, Höffding's334 Arbeit über Rousseau und Riehl's335 Arbeit über Nietzsche werden von Paulsen gelobt (DLZ S. 1 046-1 048336) . - Zur Geschichte des englischen Deismus, der die Grundlage aller modernen Religionsphilosophie ist, liegen vier Arbeiten vor. Giittle,-337 , ein Schüler des katholischen Philosophen von Hertlingl38, behandelt den bekannten Vorläufer des Deismus und erkennt in der an die Stoische Lehre vom sensus communis noch angelehnten psychologischen Analyse, die Herbert der supranaturalistischen und scholastisch-rationalen Begründung der Religionswahrheit entgegensetzt, mit Recht den Aus­ gangspunct des Psychologismus in der Religionsphilosophie, der von Locke und vor allem von Hume weiter ausgebildet worden ist, aber auch Kant's und Schleiermacher's Unternehmen zu Grunde liegt. Die Kritik vom scholastisch-katholischen Standpuncte aus und die Heranziehung aller möglichen mit Herbert gar nicht mehr zusammenhängenden Denker machen das Buch weitschweifig. Adickes wirft ihm ausserdem (DLZ. 1 898 S. 582-585) mit Recht Flüchtigkeiten und Uebersetzungsfehler in Menge vor.339 Sakmanfi340 gibt eine sehr interessante und eingehende Darstellung der Lehre Mandeville's, der die apologetisch gerichtete deistische Religionsphilosophie bereits mit einem an die Junghegelianer und Nietzsche erinnernden Radicalismus übertrumpft und damit (wie auch Shaftesbury und Hume) zeigt, wie alle modernen Probleme der Religionsphilosophie schon in jenen ihren Anfangen vorhanden waren. Meinardus341 hebt mit treffender Klarheit die Hauptpuncte der Religionsphi­ losophie Hume's hervor, und zeigt, wie Hume hier überall die deistische Religionsphilosophie voraussetzt und durch schärfere, oft mit Behagen gerade die gegentheiligen radicalsten Positionen betonende Kritik über-

334 Harald Höffding: Rousseau und seine Philosophie (1 897) . 335 Alois Riehl: Fr. Nietzsche. Der Künstler und der Denker (1 897) . 336 Friedrich Paulsen: [Rez.] Harald Höffding: Rousseau und seine Philosophie, Ot­ to Gaupp: Herbert Spencer, Alois Riehl: Fr. Nietzsche (1 897) . Zu Riehl vgl. Sp. 1 047 f. 337 Carl Güttler: Eduard Lord Herbert von Cherbury (1 897) . Vgl. dazu auch Ernst Troeltsch: [Rez.] Carl Güttler: Eduard Lord Herbert von Cherbury (1 898), unten, S. 487-492. 338 Zu Hertling vgl. unten, Anm. 5, S. 489. 339 Adickes weist in Sp. 584 f. auf vier verschiedene "Ungenauigkeiten und Missver­ ständnisse" in den Referaten von Herberts Schriften hin, die zumeist in Ü ber­ setzungsfehlern begründet seien. Vgl. Erich Adickes: [Rez.] Carl Güttler: Eduard Lord Herbert von Cherbury (1 898) . 340 Paul Sakmann: Bernhard d e Mandeville und die Bienenfabel-Controverse (1 897) . 341 Hermann Meinardus: David Hume als Religionsphilosoph (1 897) .

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bietet. Leider hat er die Darstellung der Fortentwicklung der von Hume geschaffenen historisch-psychologischen und bereits in den Elementen entwicklungsgeschichtlichen Religionsphilosophie unterlassen und nur gelegentliche Seitenblicke auf Kant geworfen. - Die Arbeit Fechtner's342 über Locke ist wesentlich biographisch, doch berücksichtigt sie die bedeutende Wirkung von Locke's Religionsphilosophie, deren Ausgangspunct ebenso wie der seiner Toleranzidee die Wahrnehmung des Widerspruchs der ver I schiedenen concurrirenden Offenbarungsanprüche war und deren Ziel die Schaffung eines Kriteriums zur Feststellung der wahren Religion auf anderer Grundlage als der des Wunders und des Supranaturalismus war. Das zeigt besonders der Journal-Artikel "religion"343. Lülmann skizzirt die Religionsphilosophie Leibnizens, ohne aber die eigentlich historisch­ interessanten Fragen seines Verhältnisses zum Deismus, zur Scholastik, zur Orthodoxie, zu Bayle und der allgemeinen wissenschaftlichen Lage auch nur zu streifen.344 Arnsperger345 betont die relative Selbständigkeit Wolffs als eines eklektischen Encyclopädikers, der das Muster der Dictionäre und Encyclopädieen zu einer gros sen literarisch und in der Lehrthätigkeit ausgestalteten Encyclopädie umwandelt, wobei er vor allem von Descartes, der Scholastik, Aristoteles und der Mathematik aus zu verstehen ist und Leibnizische Einwirkungen nur eingearbeitet hat. Ein Leibnizisches System bestand damals noch nicht, es ist erst das Erzeugniss der späteren Sammler und Registratoren. Der Hauptstoss gegen die herrschende Scholastik ging von Wolff's System aus, dessen Wesen eine neue Denkmethode ist gegenüber der Schullogik und Schulontologie. Zweifellos richtig. Grunwald346 schildert die Einwirkung Spinoza's auf Deutschland, wo, wie in England, die ersten hundert Jahre fast nur sein "theol.-polit. Traktat" in -

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342 Eduard Fechtner: John Locke, ein Bild aus den geistigen Kämpfen Englands im 1 7. Jahrhundert (1 898) . 343 E s handelt sich hierbei u m einen Eintrag i n Lockes Tagebuch vom 1 8. Septem­ ber 1 681 ; vgl. dazu Fechtner, S. 1 00-1 06; der Tagebuchauszug findet sich abge­ druckt in: Peter King: The life and letters of John Locke, with extracts from his journals and common-place books (1 884) , S. 1 24-1 26, hier S. 1 24: "But no such inspiration concerning God, or his worship, can be admitted for truth by hirn that thinks hirnself thus inspired, much less by any other whom he would persuade to believe hirn inspired, any further than it is conformable to reason; not only be­ cause where reason is not, I judge it is impossible for a man hirnself to distinguish betwixt inspiration and fancy, truth and error." 344 Christian Lülmann: Leibniz' Anschauung vom Christentum (1 897) . 345 Walther Arnsperger: Christian Wolff's Verhältnis zu Leibniz (1 897) . 346 Max Grunwald: Spinoza in Deutschland (1 897) .

5. Historisch-Kritisches

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Betracht kommt, seit dem ]acobi'schen Streir347 jedoch der Spinozismus eine eigenthümliche specifisch-deutsche Entwicklungsgeschichte erlebt. An über 1 20 Namen wird die Analyse vollzogen, oft sehr flüchtig und ohne Quellenangaben. - Die Arbeiten zu Kant's Religionsphilosophie enthalten nichts Bemerkenswerthes. v. Danckelman�8 polemisirt gegen Du Prel's Verwerthung von Kant's "Träumen eines Geistersehers"J49 als eines ernst gemeinten Bekenntnisses zur Wahrheit der Swedenborg'schen 347 Im "Jacobischen Streit" (auch "Pantheismusstreit" oder "Spinoza-Streit") zwi­ schen dem Philosophen und Schriftsteller Friedrich Heinrich Jacobi und dem jü­ dischen Philosophen Moses Mendelssohn ging es um das Verhältnis von Men­ deIssohns Freund Gotthold Ephraim Lessing zur Philosophie Baruch de Spino­ zas. Jacobi teilte Mendelssohn 1 783 in einem Brief mit, Lessing habe sich ihm gegenüber im Sommer 1 780 bei einem Gespräch über philosophische Themen zur Lehre Spinozas und damit zum Pantheismus bekannt. Mendelssohn, dem die­ se angebliche philosophische Position seines Freundes während ihrer Jahrzehnte währenden Freundschaft unbekannt geblieben war, verteidigte Lessing gegen den Vorwurf des Atheismus. Zwei Jahre später plante er, seine Sicht der philosophi­ schen Anschauungen Lessings publik zu machen, und ließ 1 785 zunächst das Buch "Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes" erscheinen. Darauf­ hin veröffentlichte Jacobi den Briefwechsel mit Mendelssohn, ohne dessen Ein­ verständnis eingeholt zu haben ("Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn", 1 785) . Der Streit um Lessing erregte großes Aufse­ hen, viele Intellektuelle fühlten sich berufen, Stellung zu nehmen. Mendelssohn antwortete mit der Schrift "An die Freunde Lessings. Ein Anhang zu Herrn Jaco­ bi Briefwechsel über die Lehre des Spinoza" (1 786), erlebte jedoch ihr Erscheinen nicht mehr, da er am 4. Januar 1 786 starb. Jacobi sah sich jetzt auch dem Vorwurf ausgesetzt, mit seiner Veröffentlichung zum überraschenden Tode Mendelssohns beigetragen zu haben, und wehrte sich mit der Replik "Wider Mendelssohns Be­ schuldigungen betreffend die Briefe über die Lehre des Spinoza", die im April 1 786 erschien. Die Diskussion entwickelte sich zu einem Grundsatzstreit über die Grundlagen der Religionsphilosophie, an der sich u. a. Matthias Claudius: Zwey Recensionen [etl c. in Sachen der Herren Leßing, M. Mendelssohn, und Jacobi (1 786) , Johann Gottfried Herder: Gott. Einige Gespräche (1 787) , Johann Caspar Lavater und Johann Georg Hamann beteiligten. Auf der Seite Mendelssohns stan­ den die Berliner Freunde aus den Intellektuellenzirkeln Montagsklub und Gehei­ me Mittwochsgesellschaft wie Friedrich Nicolai,Johann Jakob Engel, Kar! Philipp Moritz und der Kreis um die "Berlinische Monatsschrift", die von Friedrich Ge­ dicke und Johann Erich Biester herausgegeben wurde. Der Pantheismusstreit pro­ vozierte eine Renaissance der Philosophie Spinozas, deren Rezeption der damals jüngeren literarischen Elite (Schleiermacher, Novalis, Friedrich Schlegel) zur Pro­ filierung eigener theologischer Entwürfe diente. 348 Eberhard Freiherr von Danckelmann: Kant als Mystiker? (1 897) . 349 Kar! d u Prel: Kant und Swedenborg (1 896) .

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Erscheinungen35o• Auch die Kantstudien351 des Jahres enthalten zwar vieles zur Ethik, aber nichts die Religionsphilosophie Kants direct Betreffendes. Der deutsche Idealismus hat einige wichtige Darstellungen gefunden. Das Buch von Steiner.352 über Goethe wird gelobt. - Sehr lehrreich und interes­ sant ist die Darstellung v. Hartmann's353, die Schelling als Orientirungspunct für den in der nächsten Zukunft zu erwartenden metaphysischen Eifer darbietet in der Erwartung, dass der Neukantianismus, wie er bereits von Kant zu Fichte vorwärtsgegangen, so auch von Fichte zu Schelling wieder fortschreiten werde. Er gibt die Darstellung nicht in Querschnitten durch die beiden Hauptperioden des Schelling'schen Denkens, sondern in Längsschnitten, die die Entwicklung der einzelnen Grundbegriffe schildern. Bezüglich der metaphysisch-religionsphilosophischen Ergeb­ nisse erwartet er, dass die Unhaltbarkeit der theistischen Constructionen Schellings die Bemühungen um die Trias des vorigen Jhrh.s, Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, zu endgiltiger Resignation führen werde. - Die höchst umfangreiche Arbeit Stö/i/e's354 über K. E. v. Bär stellt die Weltanschau­ ung dieses Naturforschers dar, die eine Vereinigung der Elemente des deutschen Idealismus und der modernen Naturwissenschaft erstrebte, in der metaphysischen I Religionsphilosophie zwischen Pantheismus und Theismus schwankte und jedenfalls von Wundern und Supranaturalismus nichts wissen wollte. Die Arbeit beruht auf reichem handschriftlichen Material und übt eine eingehende, katholische Kritik. - Ueber Nietzsche handelt eine ganze Anzahl von Schriften (vgl. ThLz. 1 898 S. 343 345355) -

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350 Der schwedische Mystiker und Theologe Emanuel von Swedenborg (eigentlich Swedberg, 1 688-1 772) versuchte eine neue Religionslehre zu entwickeln, indem er die Natur des Geisterreichs und dessen Zusammenhang mit der Menschenwelt in "Visionen" beschrieb. Vgl. dazu [Emanuel Swedenborg] : Apocalypsis revelata in qua deteguntur arcana qure ibi prredicta sunt, et hactenus recondita latuerunt (1 766) . Immanuel Kant griff einige dieser Visionen in "Träume eines Geisterse­ hers erläutert durch Träume der Metaphysik" (1 7661 , 1 880) auf. 351 Zu den "Kant-Studien" vgl. oben, Anm. 79, S. 234. 352 Rudolf Steiner: Goethes Weltanschauung (1 897) . 353 Eduard von Hartmann: Schelling's philosophisches System (1 897) . 354 Remigius Stölzle: Karl Ernst von Baer und seine Weltanschauung (1 897) ; Baer (1 792-1 876) war seit 1 821 Professor für Zoologie, dann Anatomie in Königsberg, 1 834 wurde er Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Pe­ tersburg, wo er seit 1 841 als ordentlicher Professor vergleichende Anatomie und Physiologie lehrte. 355 Bruno Hartung: [Rez.] Ferdinand Tönnies: Der Nietzsche-Kultus, Robert Schell­ wien: Nietzsche und seine Weltanschauung, Julius Kaftan: Das Christenthum und Nietzsches Herrenmoral, Otto Ritschl: Nietzsches Welt- und Lebensanschauung

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Kaftan und 0. RitschP56 behandeln das Thema rein apologetisch, WiJheJmi357 contrastirt in stark rhetorischer Weise Carlyle und Nietzsche, des ersteren Glauben an die Heroen und des letzteren Glauben an den Uebermenschen, und sieht in beiden den Beweis, dass der Mensch an irgend etwas glauben muss. ScheJ/wienl58 gibt in der gewohnten vorzüglich klaren und knappen Weise eine Analyse und Kritik Nietzsches, indem er dessen Position aus der einseitigen, metaphysikscheuen Beschränkung auf den Einzelwille n als logisch überall folgerichtig sich ergebende ableitet. Töimiesl59 kritisirt nach der interessanten Anzeige von Simmel (DLZ. 1 645-5 1) Nietzsche unter dem Gesichtspunct der evolutionistischen, social-eudämonistischen Moral.360 Vor allem kritisirt er Nietzsches historisch-psychologische Construction des Christenthums, indem er die von Nietzsche dem Chri­ stenthum zugeschriebenen Wirkungen aus anderen Gründen ableitet und Nietzsche überhaupt starke Ueberschätzung des Einflusses der Religion vorwirft. Die wirkliche Erklärung habe von socialen und technischen Verhältnissen auszugehen.361 - Kierkegaard hat aus Anlass der im vorigen -

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in ihrer Entstehung und Entwicklung, dargestellt und beurtheilt, Johann Heinrich Wilhe1mi: Th. Carlyle und F. Nietzsche (1 898) . Julius Kaftan: Das Christentum und Nietzsches Herrenmoral (1 897) und Otto Ritschl: Nietzsches Welt- und Lebensanschauung in ihrer Entstehung und Ent­ wicklung dargestellt und beurtheilt (1 897). Johann Heinrich Wilhe1mi: Th. Carlyle und F. Nietzsche (1 897). Robert Schellwien: Nietzsche und seine Weltanschauung (1 897) . Ferdinand Tönnies: Der Nietzsche-Kultus (1 897). Georg Simmel: [Rez.) Ferdinand Tönnies: Der Nietzsche-Kultus (1 897), Sp. 1 646: "Für diese mindestens zeitgeschichtliche Bedeutung Nietzsches ist T. nun schon deshalb unzugängig, weil er an ihn vom Standpunkt eines modernen, sozialistisch gefärbten Evolutionisten herantritt, der die wirkliche Entwickelung mit ihrer tech­ nischen Aufgipfelung, ihrer Demokratisirung der Macht, ihren eudämonistischen Zielen ohne Weiteres als das Rechte und Sein-Sollende hinnimmt." "Mit grossem Recht betont er [fönnies) , dass die Würdigung der Menschen nach ihrem moralischen Werth im engeren Wortsinn, die alleinige Hochhaltung der al­ truistischen Eigenschaften, die Ethik des Mitleides und der christlichen Herabbeu­ gung des Kraftvollen und Hohen zum Schwachen und Elenden - dass dies alles von Nietzsche ganz fälschlich als Ursache der Degeneration angeklagt wird. ( . .) Thatsächlich verwechselt Nietzsche an diesem wesentlichen Punkte Ursache und Wirkung. Die ganze Altruismus- und Mitleidsmoral ist im wirklichen Leben sehr ohnmächtig und ergreift erst da weitere Kreise, wo die Entwickelung der sozia­ len und technischen Verhältnisse von sich aus Milderung der Sitte, Rücksichtnah­ me, freilich auch Verweichlichungen und Empfindsamkeiten hervorgerufen hat." (Simmel, Sp. 1 649 f.) . .

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JB. besprochenen Biographie von Höffding362 eine feine Würdigung durch Heubaunf363 erfahren, die im übrigen nichts neues bringt, und aus Anlass der Uebersetzung seines "Angriffs auf die Christenheit" eine kurze, mit der Höffding's übereinstimmende philosophische Kritik durch Vorlände,-364. Ein dritter die Religionsphilosophie der Gegenwart stark anregender Denker, Carlyle, hat ausser bei Wilhelmi eine sehr lesenswerthe Darstellung gefunden in den Artikeln von Bousset36S, der seine Wirkung und Bedeutung vor allem in seiner weckenden Persönlichkeit erkennt und diesen Persönlichkeitsinhalt aus dem schottischen Puritanerthum und dem deutschen Idealismus zumeist ableitet. - Der Antipode des Carlyle'schen Enthusiasmus, der nüchterne Rechner, der ausrechnete, was bei dem principiellen Empirismus der Hume-Bentham'schen Schule von der Religion überbleiben kann, J. Stuard Mill , hat in Douglas366 einen interessanten Darsteller und Beurtheiler gefunden. Er hebt die namentlich in Mill's Ethik liegenden idealistischen Inconsequenzen hervor, die ihn zu Metaphysik hätten führen müssen und von einer solchen Metaphysik aus ihm auch eine befriedigendere Würdigung der Religion möglich gemacht hätten.367 Das Buch will zugleich den Unterschied der gegenwärtig wieder mehr dem Idealismus und der Metaphysik zugewendeten englischen Philosophie von dem Empirismus der früheren Generation veranschau­ lichen. - Einen der kühnsten Vertreter religiöser Metaphysik, der die Religionsphilosophie als philosophische Begründung der Hauptlehren der -

362 Harald Höffding: Sören Kierkegaard als Philosoph (1 896) ; vgl. Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 897), oben, S. 280 f. 363 Alfred Heubaum: Sören Kierkegaard (1 897) . 364 Karl Vorländer: Sören Kierkegaard und sein "Angriff auf die Christenheit" (1 897). 365 Wilhe1m Bousset: Thomas Carlyle (1 897) . 366 Charles M. Douglas: John Stuart Mill (1 895 englisch, 1 897 deutsch) . 367 "Nun muss man zugeben, dass dieser Versuch, die Idee Gottes einfach durch die Thatsachen der Natur darstellen zu lassen, als eine theologische Methode wirkliche Berechtigung und Brauchbarkeit hat. Dagegen ist sie geeignet, eine Vernachlässi­ gung des besonderen Interesses und Gesichtspunktes des religiösen Bewusstseins mit sich zu bringen; und thatsächlich unterläßt es Mill, die Idee zu untersuchen, welche die religiöse Erfahrung bestimmt. Er identifiziert die Religion abwechselnd mit der Sittlichkeit und mit Ergebnissen der bIossen Erkenntnis: und er zeigt nie, wie sie sich von diesen unterscheiden lässt. [ ...] und so bleibt ihm nichts übrig, als die sittliche Erfahrung einerseits, und die Idee Gottes andererseits, als durch natür­ liche Thatsachen bewiesen, in einer gegenseitigen Isolierung aufzufassen, welche beide irgend welchen bestimmtreligiäsen Charakters beraubt." (Douglas, S. 1 93) .

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christlichen Offenbarung ansah, Ch. Secretan, schildert Pi/lon368 in einer sehr ausführlichen und dankenswerthen Abhandlung. Die Seele I seiner Spekulation ist der Gegensatz gegen den Pantheismus, der Gesetze und Ordnungen für Gott selbst gelten oder gar sein Wesen ausmachen lässt. Gott in seiner Beziehung auf die Welt ist selbst eine That der Freiheit, aus dem selbstgenügsamen Absoluten sich selbst hervorbringend wie den Blitz aus der Wolke und durch diese Freiheitsthat sich zum Gott einer seine eigene Freiheit beschränkenden Welt machend. Alle Attribute sind erst aus dieser Freiheitsthat ableitbar und mit der Welt durch sie gesetzt. Die Kreaturen haben die ihnen hierdurch zu Theil gewordene Freiheit zur Verselbständigung gegen Gott verwendet, aus welchem Sündenfall die Vielheit und das Uebel stammen, um durch die Gottesliebe und Moral wieder aufgehoben zu werden. Diese Aufhebung geschieht durch die Erlösung, die daher Grundlage der Moral- und Socialphilosophie ist. Der Entwurf dieser, Kant, Fichte und den späteren Schelling vereinigenden, die Moral des freien Wille ns mit der Metaphysik des göttlichen Wille ns verknüpfenden und hierin die Coincidenz mit dem Evangelium herstellenden Ethik ist das eigentliche Werk Secretan's. Interessant sind die von P. hervorgehobenen Einwirkungen des Entwicklungsgedankens Darwin's, Spencer's und Häckel's, die ihn veranlasst haben die Lehre vom Fall und einer aus dem Fall hervorgehenden restaurirenden Entwicklung, sowie die Lehre von der Correlation des physischen und moralischen Uebels zu Gunsten einer rein progressistischen und dualistischen Auffassung zurückzustellen. b) Theologen.

tj S. Banks, the tendencies of modern theology. 278. London, Kelly. 3 sh. 6 d. - t Dowden, Outlines of the history of theological Litterature of the church of England from the ref. to the dose of the 1 8th century. 2 1 8. Lon­ don, S. P. C. K. 1 3 sh. tD R. j, l'evolution de la critique protestante (RdR. 49-59) . - C Stange, zur Theologie d. Musäus. 1. Heft. 49. Halle, Niemey­ er. M 1 ,20. - Dm., A. Ritschls Urtheil über die beiden Principien d. Prot. (StKr. 598-621). Vgl. StKr. 1 898 1 . - A. M. Fairbairn, Apologetics in the 1 8th cent. (AJTh. 298-31 1). - C G. Monteftore, Unitarianisme and Judaisme in their relation to each other OQR. 240-253) . F. Esseiborn, die philos. Vor­ aussetzungen von Schleiermacher's Determinismus. Diss. Strass burg. 65. M. Fischer, Schleiermacher-Studien (prM. 1 3-20, 3 1 2-3 1 9; 353-366, 393-

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368 Frans:ois Pillon: La philosophie de Secretan (1 897/98) . Zu Secretan vgl. oben, Anm. t 65, S. 1 26.

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401). - 0. Ritsch/, Schleiermacher's Theorie der Frömmigkeit (Theologische Studien. Festschrift f. B. Weiss 1 29-1 64) . - V Vtscher, Al. Vinet (prM. 2 1 7224, 270-282) . - t Ch. Porret, la conception ecclesiastique d'Al. Vinet (Chret. Evang. 279-307). - s. Eck, über David Friedrich Strauss (ChrW. 9-1 2, 3439, 54-57, 74-79) . - 0. Pfister, Genesis der Religionsphilos. Biedermann's (ZSchw. 1 78-1 96, 231-254). -J Cropp, zur Erinnerung an Rich. Rothe (pM. 425-435, 48 1-488) . - A. Chr/lien, le christiarusme de Lamennais d'apres ses ecrits de 1 834 a sa mort (RJTh. 357-369, 584-609) . - G. Ecke, theologische Schule Albrecht Ritschls und die evang. Kirche d. Gegenwart. Bd. I. XII,

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3 1 9. Berlin, Reuther. M 3. - A. Koch, Irrgänge und Wahrheitsmomente der Theologie Ritschls. 62. Oldenburg, Eschen. M -,75. - H Foster, Albrecht Ritschl (prRR. Juli 369-386) . - scho/� Albrecht Ritschl (ChrW. 604-6 1 1). - A. Harnack, I Ritschl u. seine Schule (ChrW. 869-873, 89 1-897) . J Orr, the Ritschlian theology and the evangelical faith. 288. London, Hodder. 2 sh. 6 d. R. v. Koch, the Ritschlian Reform movement in Germany and Sweden (Christ. Litt. 1 6, 361-373) . - Brnce, theological agnosticism (AJTh. 1-1 5). - M Fairbairn, Some ricent english theologians: Lightfoot, Westcott, Hort, Jowett, Hatch (CR. März 342-365). -

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stange369 stellt die Theologie des Musäus dar, mit der Absicht, i n des­ sen verinnerlichtem und erweichtem Offenbarungsbegriffe einen Anknüp­ fungspunct für moderne Offenbarungsbegriffe zu finden (vgl. Troeltsch, ThLz. 1 898, S. 1 97-200370) . Die Abhandlung des gleichen371 Vf.s richtet sich gegen die kanonisch gewordene Ableitung der Formel von den beiden Prin­ cipien des Protestantismus durch Ritschl, der sie auf Zufälle literarischer Benutzung und Gedankenlosigkeit zurückgeführt hatte.372 st. glaubt in ihr eine Fortbildung der alten Lehre von den Fundamentalartikeln mit Benut­ zung kantischer Terminologie zu erkennen. - Eine Anzahl von Studien zu Schleiermacher's Theologie setzt die Beschäftigung mit dieser Grund­ lage aller modernen Theologie fort. O. Ritschp73 gibt eine aus Psycholo369 Carl Stange: Zur Theologie des Musaeus, 1 . Heft (1 897) . 370 Vgl. Ernst Troeltsch: (Rez.] Carl Stange: Zur Theologie des Musaeus (1 897), oben, S. 3 1 8-324. 371 Carl Stange: A. Ritschls Urteil über die beiden Prinzipien des Protestantismus (1 897) . 372 Vgl. dazu Albrecht Ritschl: Ueber die beiden Principien des Protestantismus (1 876/77) ; in diesem Aufsatz bezeichnet Ritschl die Trennung zwischen einem "formalen" und einem "materiellen" Prinzip des Protestantimus als "eine Ge­ schichte des Zufalls und der Mißverständnisse" (Stange, S. 599) . 373 Otto Ritschl: Schleiermachers Theorie von der Frömmigkeit (1 897) .

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gie und Dialektik veranschaulichte Darstellung von Schleiermacher's Reli­ gionspsychologie, wobei er die rein theoretischen herangebrachten Kate­ gorieen und den von Schleiermacher analysirten Thatbestand unterschei­ det. Die höhere Bedeutung des letzteren und die Reichhaltigkeit der hier von Schleiermacher gemachten psychologischen Entdeckungen tritt in der von der Glaubenslehre selbst gegebenen Darstellung stärker hervor als in der Einleitung. - Die nicht in den Buchhandel gegebene Dissertation Es­ selborn's374 behandelt in umsichtiger und scharfsinniger Darlegung Entste­ hung und Wesen des die Schleiermacher'sche Religionspsychologie und re­ ligiöse Metaphysik durchaus beherrschenden Determinismus. Er zeigt sei­ nen Zusammenhang mit ursprünglichen religiösen, dem Calvinismus ent­ stammenden Neigungen, mit ebenso ursprünglichen ethischen Grundan­ schauungen, mit metaphysischen, dem Dualismus und Kriticismus Kant's entgegengesetzten Bestrebungen und schliesslich mit dem Einfluss Spino­ za's. Er zeigt zugleich aber auch die in Schleiermacher's Ethik bemerkba­ ren Inconsequenzen gegen diesen Determinismus und die Ansätze zu ei­ ner von der Metaphysik freien, psychologisch orientirten Behandlung des Freiheitsproblems, die dem Unterschied der geistigen Motivationskausali­ tät von der mechanischen Naturkausalität gerechter wird. - Fischer375 gibt einen Abriss der Psychologie Schleiermacher's, wie das schon Geyer (vgl. JB. 1 896, S. 404376) ausreichend gethan hat. - Der bevorstehende 1 OOjährige Ge­ burtstag Vinet's377 hat Arbeiten über diesen "französischen Schleiermacher" hervorgerufen. Vischer378 schildert ihn kurz als Apologeten und Moralisten, dabei den Zusammenhang seines Individualismus und seiner subjectiven Innerlichkeit mit dem reveil betonend, aber auch die Entfernung des späte­ ren Vinet von dem straffen Supranaturalismus des reveil hervorhebend.379 - Die Controversen über die Ritschl'sche Schule haben sich neu belebt, seit 374 Friedrich Wilhelm Esselborn: Die philosophischen Voraussetzungen von Schlei­ ermachers Determinismus (1 897) . 375 Max Fischer: Schleiermacher-Studien (1 897) . 376 Gemeint ist Otto Geyer: Friedrich Schleiermachers "Psychologie" nach den Quel­ len dargestellt und beurteilt (1 895) . Vgl. dazu Ernst Troeltsch: Religionsphiloso­ phie und theologische Principienlehre (1 896) , oben, S. 1 28. 377 Alexandre Vinet (1 797-1 847) unterrichtete seit 1 8 1 7 Französische Sprache und Literatur am Gymnasium in Lausanne, 1 837 wurde er Professor der Theologie an der dortigen Akademie, 1 840 verließ er aus Protest gegen deren Umgestaltung die waadtländische Landeskirche und trat 1 845 auch als Professor zurück. 378 Victor Vischer: Alexander Vinet (1 897). 379 "Vinet's Entwicklung ist [ ...] eine geradlinige, harmonische, wenn auch durch Zweifelskämpfe hindurch sich bewegende. In seiner ersten Jugendperiode hält er sich an ein äußerliches Autoritätschristentum der Ueberlieferung, wie es ihm seine

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das I scharfsinnige, sachkundige und vornehm gehaltene Buch von Ecke380 das System Ritschl's unter eine unbefangenere Beleuchtung gerückt und der Darstellung des Systems eine solche der Entwicklung der Schule hinzuge­ fügt hat, wobei bei den älteren Anhängern eine lobenswerthe Rückbildung zu conservativen Positionen, bei den jüngeren eine um so bedauerlichere Umbildung zu radicalerer Auffassung behauptet wird. Eine eigenthümliche Doppelstellung scheint ihm Harnack einzunehmen, der einerseits den su­ pranaturalistischen Charakter der Offenbarung anerkenne, aber durch sei­ ne historische Forschungsweise und seine universalere Denkweise doch die­ sen Charakter selbst in folgenreichster Weise zu untergraben bestrebt sei.381 Auf seine Einwirkungen und die von Ritschl nicht ganz ausgeschiedenen spekulativen Elemente führt E. die Abzweigung der jüngeren Generation zurück, deren Entstehung freilich noch einfacher auf den Einfluss der all­ gemeinen wissenschaftl. Athmosphäre, besonders der religionsgeschichtli­ chen Studien, hätte zurückgeführt werden können.382 Das Buch gibt nicht sowohl eine dogmenhistorische Analyse als eine kirchlich-pietistisch orien­ tirte Kritik Ritschl's, die in ihm zwei Betrachtungsweisen unterscheidet, ei­ ne streng biblisch-supranaturale, auf die Ablehnung aller Metaphysik und lediglich formale Benutzung der Psychologie gestützte und eine rationale, die verbannte Metaphysik und vor allem eine wunderscheue Psychologie doch wieder hereinziehende. Das erstere scheint ihm die eigentliche Posi­ tion Ritschl's, das letztere sind auszuscheidende Elemente. Die Theologie ist streng im Sinne eines supranaturalen Biblicismus gegen die ganze mo­ derne antisupranaturalistische Wissenschaft und das von ihr aus bestimm­ te geistige Leben der gegenwärtigen Welt abzugrenzen. Diese Abgrenzung denkt sich E. dann freilich sehr leicht, sie glaubt er durch den Wahrheitsge­ halt der Lehre Ritschls hinreichend gesichert.383 Die Frage, ob die bewusste Einschränkung des Christenthums auf die engen, solcher Betrachtungswei­ se noch zugänglichen Kreise gegenüber der totalen Umwandlung des übri-

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Erziehung beigebracht hatte, nicht unberührt zugleich von der Tugendschwärme­ rei eines Rousseau und des 1 8. Jahrhunderts. In seiner zweiten Entwicklungsphase ist Vinet der Sohn des reveil, doch nicht ohne geheimen Vorbehalt. In seiner drit­ ten Periode der Kritiker des revei/, der Prophet und Apostel einer neuen Zeit, der echte Jünger des alten und doch ewig neuen Evangeliums Jesu." (Vischer, S. 282) . Gustav Ecke: Die theologische Schule Albrecht Ritschls und die evangelische Kir­ che der Gegenwart, Band 1 : Die theologische Schule Albrecht Ritschls (1 897) . Zu Harnack vgl. S. 1 1 5-1 1 9 in Kapitel III. "Entstehung und Entwicklungsgang der Ritschlschen Schule" (S. 67-1 30) . Zu der jüngeren Generation - Ecke erwähnt hier auch Troeltsch - vgl. S. 1 24-1 30. Vgl. Kapitel IV "Der Wahrheitsgehalt der Ritschlschen Theologie" (Ecke, S. 1 3 1-241 ) .

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gen Lebens nicht einen ganz ungeheuren Verzicht bedeute, besteht für ihn nicht. Der Pietist denkt überhaupt nur an die kleinen gläubigen Kreise, die das Salz der Kirche sind und von denen aus auch die Theologie sich rege­ neriren müsse, die Welt der Welt überlassend. - Harnack spricht in einem sehr bemerkenswerthen Aufsatz lebhaften Dank für das Buch Ecke's aus384 und legt ein gutes Wort für die unter dem Einfluss der allgemeinen Historie stehenden Gelehrten ein, die sich mit ihrem Christenthum auf die offene See der gegenwärtigen historischen und philosophischen Denkweise hin­ auswagen oder durch Anlage und Neigung von Anfang an dort zu Hause sind. - KoclJl85 vergleicht ganz naiv und trocken die einzelnen Loci der Dog­ matik Ritschls mit den entsprechenden Schriftstellen und den orthodoxen Lehren und findet überall Einmischung menschlicher Ideen. Zum Schluss druckt er einen Satz ab, der geeignet sei, dem Christenthum fernstehende Philosophen ihm näher zu bringen!386 - Brucel87 macht der Ritschl'schen I Schule einige der gewöhnlichsten Complimente und Einwände. - Von der Junghegelschen Religionsphilosophie sind die beiden Antipoden Biedermann und Strauss behandelt worden. Pftste,-388 schildert in einer werthvollen Aufsatzreihe das Verhältniss Hegel's und Schleiermachers, die Entwicklung und schliessliche Verschmelzung der von ihnen ausgehenden Schulen, womit zwischen der Junghegelschen Linken und der conservativen Rechten die echten Schüler durch Annäherung der verwandten Positionen Hegel's und Schleiermacher's eine neue Phase der Hegel'schen Schule schufen. Hier wurzelt Biedermann, der seinerseits wesentlich von Vatke beeinflusst ist. 384 Adolf Harnack: Ritschl und seine Schule (1 897) ; Harnack bespricht darin das oben, Anm. 380, S. 474 angeführte Werk Eckes. 385 Anton Koch: Irrgänge und Wahrheitsmomente der Theologie Ritschl's (1 897) . 386 "Ich schließe damit, nach den eben genannten Wahrheitsmomenten, die für den Theologen wichtig erscheinen, auf einen Grundgedanken im System Ritschl's hinzu­ weisen, der geeignet sein dürfte, dem Christentum noch fern stehende Philosophen ihm näher zu bringen: In der Welt sind Natur und Geist als zwei selbständige, von einander unabhängige Gebiete zu unterscheiden. Die Unterordnung des Ethos un­ ter den Begriff des Kosmos ist immer das Merkmal heidnischer Weltanschauung, vor welcher das Christentum nicht zu Recht besteht und niemals mit Erfolg seine Rechtfertigung erstrebt" (Koch, S. 60) . Der letzte Satz ist ein Zitat aus Albrecht Ritschl: Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, 3. Band: Die positive Entwicklung der Lehre (1 8883), S. 25. 387 Alexander Balmain Bruce: Theological agnosticism (1 897) . 388 Oskar Pfister: Die Genesis der Religionsphilosophie A. E. Biedermanns, unter­ sucht nach Seiten ihres psychologischen Ausbaus (1 897/98); der zweite Teil der Aufsatzreihe wird besprochen in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und prin­ cipieUe Theologie (1 899), unten, S. 621 .

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Eck;389 behandelt aus Anlass der neu veröffentlichten Briefsammlung390 in einem psychologisch sehr feinen Aufsatz die Entwicklung Straussens, die von den eigentlich Hegel'schen Positionen weg zu einem immer noch die Spuren Hegel's und Schleiermacher's tragenden Materialismus geführt hat.

6. Reformreligion. a) Rationalismus.

tJacques, Esquisse de rHorme religieuse et sociale. 95. Nantes, Lessard. fr. 1 . - t J(jparski, kritische Gedanken zur Untersuchung der Hauptpuncte der christlichen Religionslehre. 3. Auft. 1 00. Zürich, C. Schmidt. M 1 ,20. - t(E. Hardegg), das ewige Evangelium, oder der Eine Glaube u. das Eine Gesetz der Menschheit. Stuttgart, Steinkopf. M 2,50. - tAmicus veritatis: wiederum sagtJesus. 8. Selbstv. Tübingen. M _,1 0.391 _ tJ Strada, la religion de la science et de l'esprit pur. Paris. M 7. - t Kein Pfcif.fenthum, keine Religion, sondern Geistesführung im Sinne des modernen Völkergeistes (Aus: Moderner Völ­ kergeist). 39. Berlin, Kufahl. M -,50. - t Toland, das Pantheisticon. Uebers. u. Eingel. v. S. Fensch. 1 72. Leipzig, Findel. M 2,90. b) JI1ystik und Occultismus.

eh. Henri, Spiritismus und Theosophie (ChrW. 373-377, 394-397, 420424) . - Ders., die theosophische Gesellschaft u. verwandte Gesellschaften Ob. 6 1 1-61 5, 677-681 , 7 1 3-71 5, 732-735, 757-761 , 776-781 , 803-807) . ­ t Papus, Traite methodique de science occulte. Paris. M 1 6. - t Stenogr. Bericht über die Verhh. auf 1 . Congress deutscher Occultisten. 59. Leipzig, Spohr. M 1 ,20.392 - t F. Regnault, Hypnotisme. Religion. VIII, 323. Paris, Schleicher. fr. 3,50. - tMetaphysische Studien. H. 1-4. Hg. v. metaphysischen Verlag. Berlin, Zehlendorf. - K Du Prel, der Astralleib (Zukunft No. 43, 1 53-1 66, No. 44, 21 5-223) . - tJenkins, Claims of theosophy (LChrR. 505-5 1 4). - tE. Herr­ mann, populäre Theosophie. 94. Leipzig, Friedrich. M 1 ,50. - tAnnie Besant, four great religions. 1 96. London. M 2,90. t Dies., the ancient wisdom. An -

389 Samuel Eck: Ueber David Friedrich Strauß (1 897) . 390 (David Friedrich Strauß] : Ausgewählte Briefe von David Friedrich Strauß (1 895) ; vgl. Eck, Sp. 1 0. 391 Dieser Titel konnte nicht nachgewiesen werden. 392 Verband Deutscher Okkultisten (Hg.) : Stenographischer Bericht über die Ver­ handlungen auf dem ersten Kongress Deutscher Okkultisten vom 23. bis 26. Mai (pfingsten) 1 896 in Berlin (1 897) .

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outline of theosophical teachings. 502. London. M 6. - t H P. Blavats�', the secret doctrine: the synthesis of science, religion and philosophy. Vol. III. 6 1 4. London. M 1 8. (cf. 1 889.) - Dies., d. Geheimlehre. Uebers. v. R. Froe­ be. 1 . Lief. 96. Leipzig, Friedrich (c. 20 Lieff. zu M 3) . - W. Leadbeater, Träume, eine theosoph. Studie. Uebers. v. C. Wagner. 68. Leipzig, Friedrich. M 1 . - L. Engel, Lichtstrahlen, theosoph. Weltanschauung d. germanischen Stammes. 1 79. Selbstv. - C G. Harrison, das transscendentale Weltall. 6 Vortr. über Geheimnisse, Theosophie und I katholischen Glauben. Uebers. v. Carl Graf zu Leiningen. 1 3 1 . München, Ackermann. - Mabel Collins, Lust u. Schmerz. Abh. über praktischen Occultismus. Uebers. v. F. Hartmann. Leipzig, Friedrich. M -,50. F Hartmann, Jehoshua, der Proph. v. Nazaret oder Bruchstücke aus den Mysterien (aus dem Engl. übers. vom Verf) . VI, 281 . Leipzig, Friedrich. M 4. - Ders., Erkenntnisslehre des Bhagavad-Gita, im Lichte der Geheimlehre betrachtet. III, 1 50. Leipzig, Friedrich. M 3. - Ders., Karma oder Wissen. III, 1 78. Ebda. M 4. - Ders., Theosophie in China (Tao-teh-king) . 1 35. Ebda. M 2. - t K v. Eckartshausen, wichtigsten Hieroglyphen fürs Menschenherz. Neu hg. vom Bunde christI. Mystiker. 2 Bde. 2 1 6 u . 228. Bitterfeld, Baumann. a M 1 ,1 0. - Ders., Kostis Reise von Morgen gegen Mittag. Reisebeschreibung aus Zeiten der Mysterien. Neu hg. v. Bunde chr. Myst. 1 90. Ebda. M 2,50. - 5ubhadra Bikschu's Katechismus vor dem Forum der Vernunft u. Moral. V. einem anderen Bikschu. 42. Rheinbach, Litt. Bureau. M -,50.393 Ang. 5ilesius, christliche Mystik. Ausgew. Verse hg. v. F. Hartmann. VIII, 53. Ebda. M 1 .394 - tE. Dupo'!J, sciences occultes et physiologie psychique. 3 1 2. Paris. M 4. t c August, die Welt und ihre Umgebung. VII, 41 5. Zehlendorf, Zillm ann. M 5. - tL. 5pies, J. Bähmes Gedanken aus dem übersinnlichen Leben. 28. Gärlitz, Rzaschek. M -,30. t F Caspar, die Seele des Menschen, ihr Wesen u. ihre Bedeutung mit An­ leitung zur Wahrnehmung des seligen Aetherlichtes. 5 1 . Dresden, Strauch. M 1 ,75. - tJ Niemand, Briefe, die mir geholfen haben. Aus Engl. von L. Engel. 96. Charlottenburg, Engel. M 2. - t G. Pember, die ersten Zeiten der Erde in ihrer Verbindung mit dem Spiritismus u. der Theosophie unserer Zeit. Aus Engl. von L. Groeben. XXXI II, 437. Leipzig, Friedrich. M 5. -

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Die spärlichen rationalistischen Reformschriften sind dem Ref. nicht zu Gesicht gekommen. Bedeutender vertreten ist die occultistische Literatur, die sich allerdings hauptsächlich aus Amerika und England nährt und Deutschland meist nur mit Uebersetzungen überschwemmt. Die Bedeu393 [Subhädra] : Buddhistischer Katechismus vor dem Forum der Vernunft und Moral (1 897) . 394 Franz Hartmann (Hg.) : Die Christliche Mystik (1 897) .

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tung dieser wunderlichen, für die praktische Beurtheilung der Gegenwart und für den Religionspsychologen nicht unwichtigen Literatur setzen zwei Aufsätze des ehemaligen Redacteurs der Sphinx, Henri, auseinander. Der erste395 schildert die wichtigsten historischen Darstellungen, Zeitschriften, Vereinigungen und Vereinigungspläne, die maassgebenden Vertreter und literarischen Leistungen des Spiritismus. Entgegen der populären spiritisti­ schen Tradition, die den Ursprung der Bewegung auf die amerikanischen Erscheinungen von 1 848 zurückführt,396 verweist H. auf die von den "Historikern" des Spiritismus geschilderten uralten Bewegungen in heid­ nischen Religionen, in mittelalterlicher Mystik und Mönchswesen, auch auf moderne Erscheinungen.397 Unter den neuen von Amerika ausgehenden Einflüssen hat sich der Spiritismus zu einer an den buntesten Spielarten überreichen Gesammtbewegung gegen den Materialismus und Monismus ausgebildet, deren Anhänger H auf 1 5 Milli onen schätzt.398 Zum Schlusse setzt er den Unterschied zwischen dem urchristlichen Spiritismus mit seinen Visionen, Ekstasen, Heilwundern und Fernwirkungen von dem modernen auseinander. Im Anschluss an Fechner meint er, die naiven, active Antriebe gewährenden, das Licht nicht künstlich scheuenden, die Beziehung zu Gott nicht störenden, sondern stärkenden spiritistischena Wunder der Gründungsepoche des I Christenthums von den krankhaften, reflektirten, künstlich herbeigeführten und rein passiv hingenommenen Wundern der Gegenwart principiell unterscheiden zu dürfen.399 - Der zweite Aufsatz a

A: spiritischen

395 Charles Henri: Spiritismus und Theosophie (1 897) . Zur Zeitschrift "Sphinx" vgl. oben, Anm. 2 1 6, S. 1 43. 396 Angeblich gelang es im März 1 848 in einem Haus in der Nähe von New York, in Kontakt mit Geistern zu treten. 397 Vgl. dazu Henri, Spiritismus, Kapitel 2: "Die Entstehung und Entwicklung der spiritistischen Bewegung" (Sp. 374-377) sowie Kapitel 3: "Weitres über die Ent­ wicklung der spiritistischen Bewegung" (Sp. 394-397) . 398 "Nachdem nunmehr bedeutende Gelehrte, die sich bisher nur an dem internatio­ nalen Kampfe gegen den Materialismus im allgemeinen beteiligt hatten, in das Ge­ biet des Spiritismus eingedrungen sind, wird diesem immer größere Aufmerksam­ keit geschenkt. Daher der Wunsch nach genauerer Aufklärung über diese Bewe­ gung - die gegenwärtig bereits an [die] fünfzehn Millionen Anhänger haben dürf­ te." (Henri, Spiritismus, Sp. 374) . 399 Vgl. Henri, Spiritismus, Sp. 422 f.; hier findet sich allerdings kein direkter Rekurs auf Fechner. Der Physiker und Philosoph Gustav Theodor Fechner (1 801-1 887) war seit 1 834 ordentlicher Professor für Physik an der Universität Leipzig. Er ver-

6. Reformreligion

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desselben Vf.400 handelt von den zum Spiritismus theilweise im Gegensatz stehenden, sein Haften an einzelnen Phänomenen verwerfenden und eine gros se Gesammtweltanschauung construirenden theosophisch-mystischen Vereinigungen, die zugleich einen starken Bestandtheil indischer Mystik und esoterisch-buddhistischer Doktrinen aufgenommen haben. Gegründet von der Blavatsky (t 1 891), gegenwärtig geleitet von Oberst Olcott und besonders beeinflusst von Annie Besant, einer Art Nachfolgerin der Blavatsky, umfasst die Gesellschaft etwa 400 Einzelgesellschaften auf der ganzen Erde401• In Deutschland ist sie durch Wilhelm Hübbe-Schleiden und Franz Hartmann eingeführt worden, die 1 894 eine besondere deutsche Zweiggesellschaft gründeten.402 Im Jahre 1 895 erfolgte aus Anlass einer Betrugsaffaire die Abspaltung einer amerikanischen Sondergesellschaft von der englisch-indischen Hauptgesellschaft.403 In den Kämpfen beider Gruppen vollzogen sich verschiedene Neugründungen, darunter 1 896 eine Neu-Constituirung der deutschen theosophischen Gesellschaft unter dem Präsidium von Franz Hartmann.404 Nah verwandte selbstständige Gesell­ schaften, die Maha-Bodhi-Society in Ceylon mit buddhistischer Grundlage, die Gesellschaften für esoterisches Christenthum mit christlicher Grund­ lage, die Rosenkreuzer und Martinisten, stehen den Hauptvereinen zur

400 401

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suchte Naturphilosophie und exakte Naturwissenschaft miteinander zu verbinden und entwickelte daraus die Psychophysik und die experimentelle Ästhetik. Charles Henri: Die Theosophische Gesellschaft und verwandte Gesellschaften (1 897) . Es handelt sich hierbei um die Theosophische Gesellschaft, gegründet 1 875 von der Russin Helena Petrovna Blavatsky (1 831-1 891) in New York. 1 879 zog die Gesellschaft nach Indien um. Nach Blavatskys Tod spaltete sich aufgrund von Streitigkeiten 1 895 die Gesellschaft in zwei selbständige Zweige mit Hauptsitz in New York und Adyar (Indien) auf. Die indische Sektion führten Henry S. 01cott (1 832-1 907) und Blavatskys Nachfolgerin Annie Besant (1 847-1 933) . Die meisten europäischen Abteilungen schlossen sich dem amerikanischen Zweig der Theosophischen Gesellschaft unter der Leitung von William Quan Judge (1 851-1 896) an. 1 884 gründete Wilhe1m Hübbe-Schleiden (1 846-1 9 1 6) die erste deutsche theoso­ phische Loge Germania, die sich jedoch bald darauf wieder auflöste. Franz Hart­ mann (1 838-1 9 1 2) gelang 1 894 die Neugründung. Vgl. dazu oben, Arun. 401 . Während Hübbe-Schleiden 1 894 im Beisein von Olcott die Deutsche Theosophi­ sche Gesellschaft gründete, trennte sich Hartmann von der Loge Germania und wurde Präsident der 1 896 gegründeten Theosophischen Gesellschaft, aus welcher im September 1 897 die Internationale Theosophische Verbrüderung mit Sitz in München hervorging.

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Seite. - Ein Compendium der germanisch-christlichen Theosophie, das zugleich die indisch gerichtete Theosophie als andere Hauptform des theosophischen Gedankens anerkennt, bilden die Lichtstrahlen von Engel405• Die Methode ist im Ganzen derjenigen Religionsphilosophie nachgebildet, die die an sich überall identischen religiösen Grundgedanken durch zeitliche und locale Formen im Ausdruck bedingt sein lässt und durch Reinigung von ungenügenden Formen die Religion der Zukunft her­ beiführen will. Dem Inhalte nach ist diese Religion auf den theosophischen Grundgedanken von der biossen materiellen Einkörperung der Seelen in den irdischen Leibern und ihrer Befreiung zu höheren Stufen eines feineren geistleiblichen Daseins begründet und in der Formulirung mög­ lichst den christlichen Hauptdogmen angenähert. - Die Zukunftsartikel des bekannten Philosophen Du Prel406 führen die hierbei vorausgesetzte Seelenlehre in charakteristischer und anschaulicher Weise durch. - Den indisch gefärbten Zweig der Theosophie stellt die aus der dritten Auflage des englischen Originals gemachte Uebersetzung der Seeret doctrine dar407, wodurch Verlag und Uebersetzer dem deutschen Volke helfen wollen, hinter der religiösen Bewegung nicht zurückzubleiben und der Bibel der zukünftigen Menschheit theilhaftig zu werden. Ihre Grundlage sind sieben Strophen aus einem angeblichen tibetanischen Manuscript, die dann in zwei Bänden näher ausgeführt werden, wovon der erste die Kosmogenesis und der zweite die Anthropogenesis behandelt und beide zusammen die vereinigten Probleme der Naturwissenschaft, der bisherigen Religionen und der I Philosophie zu lösen versprechen. Ein fürchterliches Gebilde des wildesten Synkretismus, bei dem am interessantesten wäre zu erfahren, wo die Leser solcher Werke zu finden sind. - Nachgetragen sei noch, dass für die occultistische Bewegung zweimal die Pistis Sophia übersetzt worden ist, von Amelineau (Les classiques de l'occulte Paris, Channel 1 895) und von Mead (P. S. a gnostic gospel, London 1 896) ! Vgl. C. Schmidt in GGA 1 898 S. 444.

7. Principielle Theologie. t G. Stosch, die Seele u. ihre Geschichte. Medit. f. d. innere Leben. 1 69. Ber­ lin, Warn eck. M 3. - R. Wimmer, Ges. Schriften (1 0 Liefer.). Freiburg, Mohr, a M 1 . - t LhotZky, Leben u. Wahrheit. Realistische Gedanken aus der Bi­ bel. III, 280. Leipzig, Hinrichs. M 3. - tJ D., fünfzig Jahre unter dem Geheimniss Gottes, Selbstbiographie. IV, 1 66. Leipzig, Deichert. M 2,10.

405 Leopold Engel: Lichtstrahlen! (1 897) . 406 Kar! d u Prel: Der Astralleib (1 897) . 407 Helena Petrovna Blavatsky: Die Geheimlehre (1 899) .

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7. Principielle Theologie

- t K Müller-Erlangen, zur christi. Erkenntniss. Für denkende Christen. IV, 1 5 1 . ebda. M 2,40. A Horning, Theologische Blätter zur Beleuchtung der Gegenwart. Heft 30-32. Strassburg, Noiriel. a M -,20. - t W Hollenberg, Reli­ gion Jesu Christi. 44. Bremen, Nössler. M -,60. A Schlalter, Dienst des Chri­ -

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sten in der älteren Dogmatik. (Aus: Beiträge z. Förderung christi. Theologie. Hrsg. v. Schlatter u. Cremer 1.) 111, 87. Gütersloh, Bertelsmann. M 1 ,20. Religiiise Broschürenfor Gebildete. Heft 1-4. Berlin, Verlag d. ehr. Zeitschr.-Ver. a M -,50. - Das Evangelium, Monatshefte zur Wiederherstellung der Lehre Jesu. Von Gottf. Schwarz. Heidelberg, Selbstverlag. W Brückner, die ewige Wahrheit der Religion Jesu Christi. 1 04. Karlsruhe, Braun. M 1 ,80. -

-

tA. Briggs, the scope of theology and its place in the university (AJTh. 3870) . tB. WarfteId, the right of systematic theology. 92. London, Clark. 2 sh. - tJ Dennry, Dogmatic theology (Exp. Dez. 422-440) . tJalaguier, Intro­ duction a la dogmatique. XXIII, 673. Paris. M 1 0. tP Lobstein, Einlei­ tung in die evangelische Dogmatik. Uebers. v. Mass. X, 292. Freiburg, Mohr. M 5,60. -

-

t G. S. Keith, Plea for a simpler faith. 1 66. London. M 3. t P E. Vizard, from the old faith to the new. 1 36. London, Green. 1 sh. tJ Savage, Religion for to-day. 250. Boston, Ellis. $ 1 . t Klenke-Mannhart, der Jesus Christus unserer Zeit. 1 9. Dresden, Selbstverl. M -,40. t T. Horn, Rabbinism in the church (LChR. 1 80-1 89). - tlesopp, Hints on church Reform (Chr. Lit. 1 6, 61 4-24) . tJ George, Religion u. Kirche im Zukunftslichte. 72. Zittau, Pahl. M -,60. - t Stalry, the practical religion. Pref. by Canter. 1 8. London, Mowbray. 1 sh. 6 d. tB. StadtIer, Education, state and church (LChR. 1 35-1 44) .408 -

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t W Kirkus, the terminology of the new theology (NW 432-45 1 ) . - t T. G. Selry, Theology of modern fiction. 26th Fernley Lecture. 1 96. London, Kel­ ly. 1 896. M 2,40. - tJ Winter, die neue Wendung in der modernen Theolo­ gie und die Aufgabe der Kirche. (Aus: Pastoralbll. f. Homil.). 27. Leipzig, Richter. M -,40. - tM. Glage, moderne Theologie. 20. Hamburg, Lüdeking. M -,40. - tAo Bosch, Bybelkritiek en godesdienstig geloof. 1 8. Leiden, Adria­ ni. f1. -,25. H Hönig, Wissenschaft u. Kirche (prM. 1 1-20) .409 - tJ Platzhoff, L'eglise et la theologie (RThPh. 322-341) . - tJ Böhmer, brennende Zeit- U . Streitfragen der Kirche. Ges. Abhh. 2 Bde. I. Auf ATlichem Gebiete. 1 27. 11. Zur christi. Glaubenslehre für das Apost. 1 48. Giessen, Ricker. a M 2. tJ Röhm, der Protestantismus unserer Tage. I X, 41 1 . München, Abt. M 1 0. -

408 B. Sadtler: Education, state and church (1 897) . 409 W. König: Wissenschaft und Kirche (1 897) .

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- t W. Kahl, Bekenntnissgebundenheit u. Lehrfreiheit. 30. Berlin, Becker. M 1 . - t F Plathner, was hat unser Herr Christus beschworen u. was lehrt da­ gegen die moderne Theologie. 48. Hannover, Feesche. M -,50. - tJ Reitsma, Dogmatiek van de rechterzijde (fhT. 1-42) . - tBraasch, liberale Theologie (protestant 867-869, 883-886) . - t G. Burkhardt, ein Weg aus dem Wirrsal des Kampfes. Worte des Friedens aus d. Brüdergemeinde. 80. Leipzig, Jansa. M -,80. - t Schiinholzer, religiöse Reformbewegung in d. reform. Schweiz. 84. Zürich, Frick. M 1 . - t G. Gqyau, l'Allemagne religieuse. La vie protestante (RddM. Sept. 36-90) . - t R. Wenlry, the movement of religious thought in Scotland (Nw. 467-484) . - tM Fairbairn, religious thought in the Victorian era (Christ. Lit. Juli 220-230) . Die hier verzeichneten Schriften sind nur zum kleinsten Theil dem Ref. zugänglich gewesen. Ein Verdienst ist die Herausgabe von Wimmer's410 ge­ sammelten Schriften, die eine echte und lebendige, von Systemsucht freie und die Lage der modernen Welt unbefangen religiös deutende Frömmig­ keit an den Tag legen und in dem, was sie behaupten, wie in dem, was sie offen lassen, die Empfindung der Gegenwart wahrhaft und ergreifend zum Ausdruck bringen. Ausser den bekannten Hauptschriften enthalten sie ins­ besondere ein kurzes Gebetbuch und einen Tractat "Krankentrost"411. Vgl. Troeltsch ThLz 1 898 S. 201 -203412. - Die Gedanken LhotZ�'S413 verspre­ chen nach Proben in den eigenartigen, von dem Evangelisten J. Müller her­ ausgegebenen "Blättern für persönliches Leben"414 reichen Gehalt an geist­ reichen Thesen und belebender Frömmigkeit. Vgl. ChrW. 1 898 No. 28.415 - Der wegen allzu individualistischer Anschauungen vom badischen Ober­ kirchenrath seines Amtes entsetzte Pfarrer Schwarz416 macht in kleinen Mo410 Richard Wimmer: Gesammelte Schriften (1 898) . 411 Vgl. i m Anhang des 2. Buches "Kleines evangelisches Gebetbuch" (S. 334-375) und "Krankentrost" (S. 375-386) . 412 Vgl. Ernst Troeltsch: (Rez.] Richard Wimmer: Gesammelte Schriften (1 898), un­ ten, S. 525. 413 Heinrich Lhotzky: Leben und Wahrheit (1 897) . 414 Die "Blätter zur Pflege persönlichen Lebens" wurden 1 898-1 941 (seit 1 9 1 4 un­ ter dem Titel "Grüne Blätter") von dem Theologen Johannes Müller (1 864-1 949) herausgegeben. Johannes Müller richtete 1 9 1 6 in Schloß Elmau eine "Freistätte persönlichen Lebens" ein, wo er seine Vorstellungen von einem wahren Leben im Sinne Jesu durch vieWiltige Begegnungsmöglichkeiten für Gleichgesinnte umzu­ setzen versuchte. 415 Johannes Müller: (Rez.] Heinrich Lhotzky: Leben und Wahrheit (1 898) . 416 Gottfried Schwarz: Das Evangelium 1 (1 895) . Der evangelische Theologe Gott­ fried Schwarz (1 845-1 920) war seit 1 887 Pfarrer in Rosenberg und Binau, Baden.

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natsheften Propaganda für seinen kirchen feindlichen Standpunct. Der vor­ liegende Jahrgang behandelt den Gegensatz von Glaube und Bekenntniss oder subjectiver Religion und kirchlichem Zwang, die Verderbnis der Leh­ re Jesu durch die Trinitätslehre und die Lehre von der Gottheit Christi, die Motive für die Festhaltung dieser letzteren Lehre, die allein in der hieraus zu gewinnenden Stütze für die Sacramentslehre und die Lehre vom Genug­ thuungstod und damit in dem Bedürfniss nach Aufrechterhaltung der Prie­ sterherrschaft liegen, den Zusammenhang der Genugthuungslehre mit dem Herrschaftsanspruch von Kirche und Priesterthum, schliesslich das eigent­ liche Hauptübel der kirchlichen Dogmatik, die Genugthuungslehre selbst. Schlatter's417 Schrift fordert nach Wendt ThLz 636-638 unter dem auffallen­ den Titel eine mehr die active und ethische Seite des Christenthums beto­ nende Gestaltung der Dogmatik im Gegensatz zu der mehr das passive Mo­ ment betonenden altkirchlichen lutherischen und reformirten Dogmatik.418 Er verfolgt diese neue Auffassung zugleich nach der praktisch-kirchlichen Seite. Die Mängel der älteren Gestaltung sind: "Die Ablehnung der Missi­ onspflicht im Vertrauen darauf, dass Gott einstmals schon für die Predigt des Evangeliums unter allen Völkern gesorgt habe; die Beschränkung der kirchlichen Lehraufgabe auf die polemische Vertheidigung des gewonnenen Glaubensstandes und die Ueberlassung I der sittlichen Zucht an das Strafamt der staatlichen Obrigkeit; die Zuweisung der Predigtaufgabe der Kirche bloss an das Pastorenamt und die Beschränkung der Aufgabe der Gemeindeglieder auf das passive Hören des Wortes; die Auffassung der Be­ kehrung bloss als eines Sieges Gottes über das Widerstreben der Menschen durch Verleihung des Glaubens und die Auffassung dieser Gnadenwirksamkeit Gottes als einer Verleihung von Kräften, mit Bezug auf welche der Mensch nur abzuwarten habe, ob sie unter dem äusseren Gebrauche der Gnadenmittel in ihm wirksam werden; die Auffassung der Heiligung nicht als einer totalen Erneuerung des Menschen, sondern als einer Verleihung von begrenzten Kräften zu theilweiser Tilgung des Bösen und theilweiser Erweckung des Guten und die Beziehung der Heiligung wesentlich auf die Regelung der Sinnlichkeit; die Beschränkung des christlichen ErkenntnissinSchwarz lehnte die Sakramente, die Trinitäts-, die Rechtfertigungslehre und kirchli­ che Strukturen ab und warf der Amtskirche Irrlehre und Scheinheiligkeit vor. 1 895 wurde er aus dem Kirchendienst entlassen, 1 9 1 8 trat er aus der Kirche aus. 417 Adolf Schlatter: Der Dienst des Christen in der älteren Dogmatik (1 897) . 418 "Die Grundidee des Verf.'s ist nun, daß in der altprotestantischen Dogmatik auf Lutherischem wie auf reformirtem Boden [die] active Seite zu kurz gekommen sei gegenüber der passiven." Hans Hinrich Wendt: (Rez.] Adolf Schlatter: Der Dienst des Christen in der älteren Dogmatik (1 897), Sp. 637.

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teresses wesentlich auf die Versöhnungsgnade; die Unfahigkeit, neben dem Glauben die Liebe zu Gott zu wahrer Geltung zu bringen; die negative Fas­ sung der Freiheit als einer Freiheit von der Herrschaft des Gesetzes und der Sünde, nicht aber als eines spontanen productiven Vermögens im Men­ schen; auch die Vorstellung von der den Menschen in Passivität versetzen­ den Inspiration; und endlich die Vorstellung von der Passivität der mensch­ lichen Natur Christi, deren Bedeutung eigentlich nur in der Leidensfähig­ keit gesucht wird".419 Damit ist ein Programm der conservativen Regene­ ration der Dogmatik geschildert, das in den religiösen Positionen, in den Zugeständnissen und den Ablehnungen gegenüber der gegenwärtigen Lage sehr charakteristisch ist. - Die Einleitung von der Dogmatik von Lobstein420 liegt in deutscher Uebersetzung vor ohne wesentliche Aenderungen. Das Vorwort wehrt einige Einwände Kaftan's und des Referenten ab.421 - Die Einleitung von ja/aguie,,422 ist nach Lobstein ThLz 1 898 S. 57 f. ein opus posthumum, das veröffentlicht wurde, um die Argumente, die J. einst ge­ gen Scherer und Colani geltend gemacht hatte, nun auch gegen die neue Pariser Schule zu wenden.423 Es sei ein bereits vor 50 Jahren völlig antiquirt gewesenes Werk.424 419 Wendt, Sp. 637 f.; statt "wahrer Geltung" heißt es im Original "rechter Geltung". 420 Paul Lobstein: Einleitung in die evangelische Dogmatik (1 897) . 421 Lobstein, Vorwort, S. III f. Lobstein antwortet hier auf Julius Kaftan: [Rez.] Paul Lobstein: Essai d'une introduction a la dogmatique protestante (1 897) sowie Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 897), oben, S. 295-298. Siehe auch Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 896), oben, S. 1 47 f. 422 Paul Jalaguier: Introduction a la dogmatique (1 897) . 423 "Wie in den fünfziger Jahren Jalaguier mit Tapferkeit und Geschick gegen die von Colani und Scherer vertretene moderne Theologie gekämpft hatte, so wird nun auch sein Schatten herautbeschworen, damit er als Schutzengel der Ueberliefe­ rung gegen die Heterodoxie der besonders in der Pariser theologischen Facultät verkörperten ,Nouvelle kole' seine ehemals mit Virtuosität und Pathos übernomme­ ne Rolle weiter führe". Paul Lobstein: [Rez.] Paul Jalaguier [Hg.] : Introduction a la dogmatique (1 898), Sp. 58. Gemeint sind die französischen Theologen Timothee Colani (1 824-1 888) und Edmond Scherer (1 805-1 889) , die 1 850-1 869 die Zeit­ schrift "Revue de theologie et de philosophie" herausgaben. Der protestantische Theologe Pros per Frederic Jalaguier, geb. 1 795, war Professor für Theologie in Montauban; er starb 1 864. 424 "Ohne der Pietät, die sie dem würdigen Manne erweisen, zu nahe treten zu wol­ len, werden wir sagen müssen, daß Jalaguier's bereits vor 50 Jahren beinahe völlig antiquirtes Werk nicht geeignet ist, irgendwie in die gegenwärtig zur Discussion stehenden Fragen einzugreifen." (Lobstein, Sp. 58) .

C. A. Friedrich: Die Weltanschauung eines modernen Christen (1 897)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Die christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, hg. von Martin Rade, 1 2. Jg., Nr. 40, 6. Oktober 1 898, Leipzig: J. C. B. Mohr (paul Siebeck), Sp. 955-956 (A) .

Die Weltanschauung eines modernen Christen. Von C A. Friedrich. VIII, 255 S. Leipzig, Friedrich. 4 Mk.

Wir haben es hier mit einem sehr merkwürdigen Buche zu thun. Krause Spekulationen und lebendige religiöse Gedanken verbinden sich zu einem merkwürdigen Knäuel. Von einem armen philosophischen Freunde, den er zu Tode gepflegt hatte, hat der Verfasser, ein elsässischer Landpfarrer, eine kleine, vor allem Spencersche, darwinistische und okkultistische Litteratur enthaltende Bibliothek geerbt, und aus diesem Litteraturfragment nebst ei­ nigen theologischen Werken seiner Pfarrbibliothek hat er dann die Fäden herausgesponnen, durch die er seinen Glauben mit der Wissenschaft der Welt verknüpfen wollte.t Seine Sehnsucht und Zuversicht ist, daß er damit der modernen Bildung den Weg zur Religion wieder erschließen möge. Die Religion ist ihm Entwicklung, Erhebung aus dem vorgefundnen Zustande zu der Lebensquelle in Gott, wodurch wir erst lebendige Personen mit fe­ stem Zentrum werden. Diese Erhebung findet statt, indem wir uns durch das Vertrauen zu den von Gott gesandten Autoritäten zu ihm hinführen und mit der Kraft von oben erfüllen lassen. Die höchste dieser Autoritäten ist Jesus, der allein zu voller Einheit mit Gott gelangte Mensch, der dadurch 1 Friedrich schreibt im Vorwort (S. III f.) : "Ich habe seit Jahren, bewußt und unbe­ wußt, immer fortübersetzt und, da ich neugierig wurde, ob auch etwas Ordentli­ ches dabei herauskomme, habe ich später zur Feder gegriffen und jeden Tag eini­ ge Seiten, oder doch wenigstens einige Zeilen niedergeschrieben. Aus diesen No­ tizen, Auszügen aus Büchern und Aufzeichnungen der eigenen Gedanken ist das vorliegende Buch entstanden." (S. IV).

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den Seinen die Kraft mitteilt, von oben immer neue Lebenszuschüsse zu erhalten und durch diese sich in ein ewiges Leben zu entwickeln. Diese re­ ligiöse Entwicklung und ihre Erhebung auf eine neue Stufe durch Jesus ist der Kerngedanke des Buches. Das Vertrauen und die Hingabe an die Of­ fenbarungen der Lebensquelle erlöst und entwickelt aus der sinnlichen Welt in die geistige, während das Mißtrauen nur eine Ausbreitung in der Breite des Lebens, aber nicht mehr in die Höhe möglich macht. Dieses Mißtrauen, das der immer zu allzugroßem Selbstvertrauen geneigten Wissenschaft na­ he liegt, hat die gegenwärtige Wissenschaft verdorben und auch den Staat irregeführt, der diese Wissenschaft pflegt und sich über ihre verderblichen Folgen wundert. Die Hingabe an die Entwicklung nach oben vermag erst unsre praktischen Probleme zu lösen. Aber dieser Begriff einer Entwicklung bildet auch das Mittel einer Synthese zwischen dem Glauben und der außer­ religiösen Wissenschaft. Deren Grundbegriff ist heute der der Entwicklung. Und zwar setzt in ihr dieser Begriff eine aus I strömende Bewegung Gottes voraus, die vom Lebenszentrum durch die Geisterwelten bis zur endlichen Vielheit der Materie ausgeht und von da, an der Grenze angelangt, durch Zu­ sammenfügung des Homogenen und dadurch erzeugte Mehrwerte umkehrt. Diese rückströmende Bewegung mit beständiger Erzeugung von Mehrwer­ ten, die dann auch wieder der Lebensquelle sich entsprechend nähern, ist die Entwicklung und die Erlösung, von der die Menschheitsgeschichte und das Christentum ein Teil ist. Der Leser wird sich überall über die Aufrichtigkeit und Wärme dieser Denkarbeit freuen. Die Darstellung der Religion und des Christentums als Erlösung und Emporentwicklung durch Vertrauen enthält echt religiöse Gedanken. Die Kosmologie ist freilich etwas phantastisch und wunderlich. Allein wenn die Religion wirklich Erlösung ist, dann muß irgend etwas derartiges ihre kosmologische Unterlage sein. Es sind nicht umsonst zahllose religiöse Denker auf diesen Gedanken geführt worden, die ihm ei­ ne poetischere Phantasie, eine bessere wissenschaftliche Technik und eine ausgereiftere wissenschaftliche Bildung zur Verfügung stellen konnten.

Trattsch

Carl Gütder: Eduard Lord Herbert von Cherbury (1 897)

Troeltschs Rezensionsexemplar wird in der Bibliothek des Philosophischen Seminars der Humboldt-Universität zu Berlin verwahrt. An den Seitenrän­ dern finden sich Anstreichungen von Troeltschs Hand. Das Buch wird auch besprochen in Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theo­ logie (1 898), oben, S. 465. Als einzige der frühen Rezensionen nahm Hans Baron diese Besprechung 1 925 in Band IV von Troeltschs "Gesammelten Schriften" auf und versah sie mit einer Ü berschrift ("Zur Entwicklung des englischen Deismus'') . ! Auch wurde nun statt "Baco" konsequent "Bacon" geschrieben, und der Anfangssatz endet nicht mehr wie im Original mit "zu gewinnen suchte", sondern mit "zu gewinnen strebte". Vor allem aber kürz­ te Baron den Text um die letzten beiden Absätze bis auf den Schlußsatz2, den er umänderte: "So bleibt für dieses interessante Thema das meiste noch zu thun." Barons Edition wird hier nicht weiter berücksichtigt. Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Litera­ turzeitung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 23. Jg., Nr. 21 , 1 5. Oktober 1 898, Leipzig: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 568-570 (A) .

Gült/er, Priv.-Doc. Dr. earl, Eduard Lord Herber! von Cherbury. Ein kritischer Beitrag zur Geschichte des Psychologismus und der Religionsphilosophie. München, C. H. Beck, 1 897. (VI, 248 S. m. I Bildnis. gr. 8.) M. 6.Die Anfänge der modernen historisch-psychologischen Religionswissen­ schaft liegen im Deismus, welcher gegenüber der zum ersten Mal in ihrem Gewicht und ihrem Umfang erkannten Bedeutung der verschiedenen Offenbarungsansprüche ein neues Kriterium zur Ausmittelung der reli­ giösen Normwahrheit suchte und dieses Kriterium wie die gleichzeitig sich gegenüber der Scholastik neubildende Philosophie aus einer psychologi­ schen Analyse des Bewußtseins und der Erkenntniß zu gewinnen suchte. I

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GS IV, S. 801 -804. Vgl. unten, S. 492.

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Daß diese charakteristischen Grundzüge aller lebenskräftigen modernen Bemühungen um die Religionswissenschaft hier bereits vollkommen klar hervortreten und von der mit dem Deismus einsetzenden Entwickelung nur immer schärfer betont und klarer ausgearbeitet worden sind, ist in den gangbaren Darstellungen des Deismus meist über dem Umstande übersehen worden, daß das Resultat dieser Bemühungen vorläufig in dem alten theologisch-scholastischen Schema stecken geblieben ist und sich in der Form als neuer Compromiß zwischen "Vernunft und Offenba­ rung"l mit allen Schwankungen eines solchen Compromisses darstellt. Aber der inhaltliche Sinn dieses Compromisses ist ein ganz neuer. Er ist nicht mehr an dem selbstverständlichen Nebeneinander einer einzigen autoritären, durch ihre Uebernatürlichkeit gegen alles andere abgegrenzten Offenbarungswahrheit und einer ebenfalls in festem Schulzusammenhang vorliegenden philosophischen Vernunftwahrheit orientirt, sondern an dem Bedürfniß für die vielen Offenbarungsansprüche ein vernünftiges Entscheidungskriterium zu finden, das seinerseits aus einer möglichst vorurtheilslosen, von oben anfangenden und von der Schulschablone unabhängigen Philosophie hervorgehen solL Nicht die Zusammenstim­ mung zweier einfach gegebener Größen, sondern die Ausmittelung des Werthes sehr mannigfacher Offenbarungsgrößen nach dem Maaßstab einer selbstständig und neu verfahrenden Philosophie ist der Charakter der mit dem Deismus beginnenden Fragen nach Wesen und Wahrheit der Religion. Dieser Sachverhalt ist in den gangbaren Darstellungen, in dem vorzügli­ chen Buche Lechler's und in den meist ausgeschriebenen compendiarischen Darstellungen von Pünjer und PHeidererZ nicht erkannt. Schärfer haben ihn Leslie, Stephen, Dilthey, und, was besonders Herbert anbetrifft, Remusat erkanntl. Unter diesen Umständen ist eine neue Darstellung des bekannten 1 Vgl. dazu Ernst Troeltsch: Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon (1 891) -> KGA 1 . 2 Gotthard Victor Lechler: Geschichte des englischen Deismus (1 841), Bernhard Pünjer: Geschichte der christlichen Religionsphilosophie seit der Reformation (1 880/83) und Otto PReiderer: Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundla­ ge (1 8963) . 3 [Charles Leslie) : A short and easie method with the deists (1 698), Leslie Stephen: History of English thought in the eighteenth century (1 876) , Wilhelm Dilthey: Auffassung und Analyse des Menschen im 1 5. und 1 6. Jahrhundert (1 891 /92) , ders.: Das natürliche System der Geisteswissenschaften im siebzehnten Jahrhun­ dert (1 892/94), ders.: Die Autonomie des Denkens, der konstruktive Rationalis­ mus und der pantheistische Monismus nach ihrem Zusammenhang im 1 7 . Jahr­ hundert (1 894) und Charles de Remusat: Lord Herbert de Cherbury (1 874) . Vgl. dazu auch Ernst Troeltsch: Deismus (1 898) -> KGA 3.

Carl Güttler: Eduard Lord Herbere von Cherbury

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Vorläufers des Deismus (Güttler nennt ihn "Haupt d. D." S. 1114, womit zu viel gesagt ist, da der eigentliche Deismus erst aus der Locke'schen Schule entspringt) ein sehr wohl begründetes Unternehmen. Die Arbeit entstammt nach der Angabe des Verf. einer Anregung des katholischen Philosophen v. Hertlint und geht selbst von allerdings vorsichtig zurückgehaltenen thomi­ stischen Voraussetzungen aus. Der hiermit gegebene Widerwille des super­ naturalistischen Religionsphilosophen und syllogistischen Metaphysikers, I der Offenbarungswahrheit und Metaphysik auf speculative Weise zu einander zu beziehen gewöhnt ist, hat ihm den Blick geschärft, die Grundzüge der modernen historisch-psychologischen Religionswissenschaft und der psychologisch und erkenntnißtheoretisch begründeten Philosophie bereits bei Herbert zu entdecken. Er will in Herbert neben Descartes und Baco einen der grundlegenden Philosophen erweisen6, der selbstständig die Re­ organisation der Philosophie von psychologischer und erkenntnißtheoretischer Reflexion aus in die Hand nahm, und, obwohl in diesem Unternehmen an Kraft und Originalität hinter seinen Nebenbuhlern zurückstehend, doch als seinen besonderen Ruhm beanspruchen kann, die religionswissen­ schaftlichen Fragen von dieser Grundlage aus auf die Bahn neuer, nach G.'s Meinung freilich irriger, Behandlung gebracht zu haben. Diese Auffassung ist, was die Parallelisirung von Baco, Descartes und Herbert, die Betonung der psychologisch-erkenntnißtheoretischen Ausgangspunkte und der Fortsetzung der mit Herbert eröffneten Linie bei Cudworth, Clarke, Shaftesbury, Hutcheson und den Common-Sense4 "Ausschlaggebend war für mich die Erkenntnis, dass Lord Herbert von Cherbury nicht bloss das bekannte Haupt des englischen Deismus, sondern auch ein unbe­ kannter Vorläufer des modernen Psychologismus sei." (Vorwort, S. III). 5 "Die nachstehende Arbeit verdankt ihren Ursprung einer Unterhaltung mit Pro( Frh. von Hertfing, der es für wünschenswert erachtete, die Beziehungen zwischen Empirismus und Rationalismus im siebzehnten Jahrhunderte genauer zu erfor­ schen." (Vorwort, S. III) Der Katholik Georg Friedrich Freiherr von Hertling (1 843-1 9 1 9) war seit 1 867 zuerst Privatdozent, ab 1 880 außerordentlicher Pro­ fessor für Philosophie in Bonn. Seit 1 882 war von Hertling in München Inhaber des Konkordatslehrstuhls für Philosophie. Im Kulturkampf politisiert, stieg von Hertling zu einem der Führer der Zentrumspartei auf und wurde am 1 . Novem­ ber 1 9 1 7 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident; er trat am 3. Oktober 1 9 1 8 zurück. 6 "Man pflegt die Geschichte der neueren Philosophie mit Bacon und Descartes zu beginnen, es scheint, dass auch Herbert ein Recht hat, den Begründern der neueren Anschauungen zugezählt zu werden." (S. 1 55) Zur allgemeinen geschichtlichen Wirkung Herberts von Cherbury vgl. Kapitel II des Historisch-Kritischen Teils "Herberts Lehre in ihrer historischen Fortbildung" (S. 1 55-1 97) .

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Philosophen anbetrifft', bereits von Remusat vertreten worden, von dem mir allerdings nur seine Studie in der Revue des deux mondes 1 8548 zugänglich war. G. hat von seinem thomistisch-metaphysischen Instinkt geleitet diese Auffassung noch verschärft. So viel ich ohne Kenntniß der mir unzugäng­ lichen Originale beurtheilen kann, mit vollem Recht. Es liegt hier in der That der selbstständige Versuch vor, sich gegenüber der ontologischen und syllogistischen Schulmetaphysik und Schullogik neu durch psychologische und erkenntnißtheoretische Analyse zu orientiren, von hier aus überhaupt eine Wahrheit und Irrthum sondernde Erkenntnißmethode zu gewinnen, insbesondere eine Erkenntnißtheorie der Religion zu schaffen, die die streitenden Offenbarungsansprüche zu schlichten im Stande wäre. Dilthey hat in seinen vorzüglichen, von G. nicht entfernt ausgeschöpften Abhand­ lungen im Archiv f. Gesch. d. Philos. (1 892/93/94)9 gezeigt, wie sich im Unterschied von Baco's Empirismus und von Descartes' Rationalismus diese Orientirung an die in der protestantischen Schulphilosophie selbst enthaltenen, der römischen Stoa entstammenden psychologischen und erkenntnißtheoretischen Grundbegriffe anschließt. Nur hat es G. vollstän­ dig unterlassen, den Sinn dieses "Psychologismus" genau zu bestimmen. Er hat dem Psychologismus Herbert's sofort die moderne Theorie des Psychologismus untergeschoben, die eine mehr als zweihundertjährige Arbeit an diesem Probleme zu ihrer Voraussetzung hat und daher die verschiedenen Probleme, die rein psychologischen, die erkenntnißtheore­ tischen, die logischen und die metaphysischen sondert und sich speciell mit der Frage des Verhältnißes von Psychologie und Erkenntnißtheorie beschäftigt. Gegen diesen Metaphysik und Erkenntnißtheorie hinter die Psychologie als einzigen Ausgangspunkt zurückstellenden Psychologismus kämpft G., wobei Herbert, mit dem die kritisirten Autoren gar keinen directen Zusammenhang mehr haben, gänzlich aus den Augen verloren wird. Insofern ist der scharfe Tadel, den Adickes gegen die Anwendung des Ausdrucks "Psychologismus" auf Herbert richtet (Deutsche Litztg. 1 898 S. 582-585)10, berechtigt. So ferne aber mit dem Ausdrucke nur die Thatsache bezeichnet werden soll, daß Herbert neben den anderen Bahn­ brechern eine eigenartige, vom Subject ausgehende, psychologisch und erkenntnißtheoretisch verfahrende und diese Erkenntnißtheorie besonders 7 Vgl. dazu Kapitel III des Historisch-Kritischen Teils "Allgemeine Kritik der Lehre vom Common Sense" (S. 1 98-21 6) . 8 Charles d e Remusat: Lord Herbert d e Cherbury (1 854) . 9 Vgl. dazu oben, Anm. 3 , S . 488. 10 Erich Adickes: [Rez.] Carl Güttler: Eduard Lord Herbert von Cherbury (1 898) . "Im Vorwort [So III] erzählt G., dass so rechtes Interesse für Herbert erst durch

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auf die Religion übertragende Position mit vollem Bewußtsein einnimmt, ist die Auffassung durchaus zulässig und beleuchtet seine Anwendung sehr treffend die Entwickelung der religionswissenschaftlichen Grundbegriffe vom Deismus zu Hume, Kant und Schleiermacher. Nur hätte dann freilich gesagt werden müssen, wie sehr diese Grundlegung bei dem Mangel jeder Unterscheidung von Psychologischem und Erkenntnißtheoretischem, bei dem Bedürfniß, so I rasch wie möglich zu einer ganz naiv realistischen Metaphysik zu gelangen, bei der ganz unkritischen Voraussetzung wichtiger, Seele, Außenwelt und Weltzusammenhang betreffender metaphysischer Anschauungen, und bei ihrer Anlehnung an die Schullogik als unfehlbare, sehr äußerlich zu handhabende Denkkunst noch in den ersten Anfangen stecken geblieben ist. Insbesondere hätte der Abstand der auf die bekannten fünf notitiae communes ll begründeten Religionstheorie von den späteren theils einer ernsthaften Phänomenologie der Religion, theils ihrer Reduction auf die Moral zustrebenden Entwickelung geschildert werden müssen. Auch hätte das Verhältniß der späteren eigentlichen deistischen Bewegung zu Herbert gezeigt werden müssen, die, soweit ich beurtheilen kann, mehr von Locke und Clarke beeinflußt ist als von Herbert und auch in historisch-kritischen Fragen selbstständige Wege geht. Es hätte sich dann gezeigt, wie mühsam der Weg zur Gewinnung der wichtigsten religi­ onswissenschaftlichen Grundbegriffe gewesen ist, wie schwer unter dem

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die Entdeckung in ihm rege wurde, das bekannte Haupt des englischen Deismus sei zugleich ein unbekannter Vorläufer des modernen Psychologismus. Diese Her­ beiziehung des Psychologismus erscheint mir sehr unnatürlich und gezwungen." (Adickes, Sp. 583 f.) . "Die ,notitia communis' i s t eine ,Mitgift der Natur', d. h. sie schöpft ihre Wahr­ heit nicht aus den Wahrnehmungen oder Begriffen der Erscheinungen, sondern die notitiae sind ursprünglich, apriori, in der Erkenntniskraft vorhanden. [...) Herbert nähert sich neuplatonischen Vorstellungen, wenn er die notitiae als Emanationen göttlicher Weisheit bezeichnet, deren Wahrheit auf dem Teilhaben an der göttli­ chen Wahrhaftigkeit beruhe. Das p!Jchische Vermögen, welches uns befähigt, die­ se ,notitiae' sofort beweislos als Wahrheiten zu erfassen, ist der natürliche Instinkt und die ,notitiae' heissen ,communes', insofern dieser Instinkt in jedem norma­ len Verstande vorhanden ist, aber auch deswegen, weil sich ihnen, als dem Aprio­ rischen, Allgemeinen, Norwendigen, alle Erkenntnisse partikular-empirischer Na­ tur unterordnen müssen, sie sind der allgemeine Rahmen für das Aposteriorische, Sinnliche, das mare magnum, in welches alle Flüsse einmünden." (S. 1 98 f.) Eine konkrete Aufzählung der notitiae communes konnte nicht nachgewiesen werden. Vgl. aber S. 21 1 : "Ein Hauptmangel der Herbert'schen Kritik beruht darin, dass gar kei­ ne bestimmten notitiae communes angegeben werden können, es fehlt an einem axiomatischen Teile, der an Stelle der Logik noetisch zu verwenden wäre."

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Einfluß der Orthodoxie einerseits und des intellectualistisch-moralistischen Geistes der Zeit andrerseits die Erfassung der specifisch religiösen Phänomene gewesen ist. Man war auf dem Wege der psychologischen Analyse, konnte aber den eigentlichen Ansatzpunkt dieser Analyse nicht finden. Erst bei Pascal, Rousseau, Jacobi, Herder und Hamann beginnt dieser Ansatzpunkt hervorzutreten. Die übrigen suchten ihn immer nur in gewissen metaphysischen und moralischen Elementarsätzen, die sich vom ausgeführten metaphysischen und moralwissenschaftlichen System nur durch ihre Einfachheit und unmittelbare Evidenz oder - bei den Radicalen - durch ihre Unhaltbarkeit unterschieden. Der erste principielle Vertreter dieser Methode ist nun aber Herbert. Außer diesen Beziehungen nach vorwärts hätten aber auch die gleichzei­ tigen und die nach rückwärts geschildert werden müssen. Das Verhältniß zu Baco, gegen den Herbert stillschweigend opponirt, zu Descartes und Gas­ sendi, deren Beifall er gewinnen wollte, zur Scholastik und zur philologi­ schen Philosophie hätte untersucht werden müssen. Insbesondere hätte die Analyse des religionswissenschaftlichen Werkes auf Bodin, Charron, Mon­ taigne, auf Paracelsus und die italienischen Neuplatoniker, auf die hollän­ dischen und französischen Philologen Bezug nehmen müssen. Hier hatten die Abhandlungen Dilthey's bereits bequeme Bahn gebrochen. Da von alledem nichts oder so gut wie nichts geschehen ist, hat das Buch - abgesehen von der angeknüpften Kritik des modernen Psychologismus nur das Verdienst einer Inhaltsangabe der Werke Herbert's. Aber auch die­ se Inhaltsangabe hat bei aller Ausführlichkeit schwere Mängel. Sie referirt bloß, verschmäht es aber zu erklären und zu ordnen. Die unsicher tasten­ den Anmerkungen verrathen nur, wie schwer dem Autor das Verständniß seines freilich sehr schwierigen Textes geworden ist. Bedenkliche Ueberset­ zungsfehler hat Adickes mit Recht hervorgehoben.12 Alles in allem also hat G. ein äußerst interessantes Thema ergriffen und es unter den richtigen Hauptgesichtspunkt gestellt. Im übrigen aber bleibt das meiste noch zu thun. E. Troeltsch. Heidelberg.

12 Vgl. dazu oben, Anm. 339, S. 465.

Martin Rade: Die Religion im modernen Geistesleben (1 898)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literaturzei­ tung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 23. Jg., Nr. 2 1 , 1 5. October 1 898, Leipzig: j. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 570-573 (A) .

Rade, Martin, Die Religion im modernen Geistesleben. Mit einem Anhang: Ueber

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das Märchen von den drei Ringen in Lessings Nathan. Freiburg i. B., j. C. B. Mohr, 1 898. (VII, 1 23 S. gr. 8.) M. 1 .40; geb. M. 2.Das vorliegende Büchlein enthält die Vorträge, die Rade vor dem Publicum der Frankfurter Hochstiftvorträge über die Grundfrage der modernen Re­ ligionswissenschaft gehalten hat.1 Rade war dabei durch die Rücksicht auf das interkonfessionelle Publicum genöthigt, von I specifisch theologischer Apologetik abzusehen oder sie doch sehr zurücktreten zu lassen.2 Er mußte möglichst von allgemein anerkannten Voraussetzungen ausgehen und seinen Gegenstand möglichst umfassend in der Gesammterscheinung der Religion suchen, wenn er hierbei sich auch mit Recht weniger an die für uns bedeutungslosen niederen und particularistischen Religionen als an die geistig-sittlichen und universalistischen, das Christenthum und Judenthum,

1 "Im Januar und Februar 1 897 hielt ich im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt a. M. fünf Vorträge über ,die Religion im modernen Geistesleben'. Ich habe Jahr und Tag gebraucht, um sie nachträglich für den Druck niederzuschreiben, nicht als ob ich noch weitere Studien hätte daran wenden können, sondern weil mirs an jeder erforderlichen Muße gebrach. Ich habe dann noch zwei andere Vorträge hinzugefügt, die ich in einem ähnlich disponierten Kreise halten durfte." (S. V) . 2 "Das Wichtigste, was mir meine Zuhörerschaft vorschrieb, war, daß ich mich jeder Hervorhebung meines eigenen religiösen Bekenntnisses zu enthalten hatte. [... ] So habe ich auch in dieser Niederschrift mit allem Fleiß die Rücksicht festgehalten, die ich einem aus Protestanten, Katholiken, Juden und Religionslosen bunt ge­ mischten Publikum schuldete." (S. V) .

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den Islam und den Buddhismus hält.3 Das ist der wissenschaftlichen Hal­ tung des Ganzen sehr zua Gute gekommen. In der Benützung der gegen­ wärtig herrschenden Gesammtauffassungen des Themas hat R. die Feinheit und Frische, die Geradheit und Vorurtheilslosigkeit vollkommen bewährt, die man an dem hochverdienten Herausgeber der Christlichen Welt immer zu schätzen wußte. So ist es gekommen, daß seine Vorträge, die im Gan­ zen die religionsphilosophischen Voraussetzungen der Ritschl'schen Schule durchaus festhalten, sich doch auch allen weiteren von hier aus zu stellenden Fragen offen gehalten haben und einen sehr beachtenswerthen Uebergang von den enger eingegrenzten Fragestellungen der Schule zu weiteren und umfassenderen darstellen. Insbesondere hat er es unterlassen, für die Wür­ digung der Stellung und Bedeutung des Christenthums in erster Linie und ausschließlich den "Eindruck der Person Jesu" zu Grunde zu legen, son­ dern sich vielmehr an die Gesammterscheinung des Christenthums und an ihr Verhältniß zu den Gesammterscheinungen der anderen Religionen ge­ halten.4 Die Werthung der Person Jesu für das Christenthum gilt ihm mit Recht erst als eine innerchristliche Frage, von der er in diesem Zusammen­ hang nicht näher handelt. Vor seinem Publicum war ein anderes Verfahren nicht möglich. So hat er aber auch den Beweis geliefert, daß auch von theo­ logischer Seite her die religionswissenschaftlichen Probleme allgemein ver­ ständlich, anziehend und im Zusammenhang mit der allgemeinen Methode behandelt werden können. Seine Vorträge können den Vergleich mit den an gleicher Stelle über das gleiche Thema von Th. Ziegler gehaltenen5 sehr wohl aushalten, bringen mehr positiven Gewinn und enthalten viel mehr Verständniß für das wesentlich Religiöse.

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3 "So denken wir, wenn wir von der Religion im modernen Geistesleben reden, nur an diese ,geschichtlichen Religionen', die ihren Herrschaftsanspruch erhoben und mit einigem Erfolge auch bis in die Gegenwart hinein durchgesetzt haben. Es sind die israelitische, die christliche in ihren katholischen und protestantischen Erschei­ nungsformen, die muhammedanische und die buddhistische." (S. 9) In dem Auf­ satz "Vom Wesen der Religion" (S. 89-1 02) schränkt Rade in Bezug auf das all­ gemeine Wesen der Religion seine Betrachtung auf die genannten Religionen ein (S. 9 1 f.) . 4 Vgl. dazu Punkt 4 "Wie kommt der einzelne Mensch dazu, Religion Zu haben?" (S. 98-1 02) des Vortrags "Vom Wesen der Religion" (S. 89-1 02) , wo der Autor die Frage nach dem historischen Jesus erörtert. 5 Theobald Ziegler: Religion und Religionen (1 893) .

Martin Rade: Die Religion im modernen Geistesleben

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Der erste Vortrat stellt den Ausgangspunkt fest und bekennt sich zu der modernen Fassung des Problems, wonach die Religionen in erster Linie als historisch-psychologische Thatsachen aufzufassen und an ihnen vor allem die in der Entwickelung hervortretenden concreten, das eigentlich Werth­ volle enthaltenden Besonderheiten zu beachten sind. Freilich ist diese Auf­ fassung nicht so unbedingt modern, wie R. meint, der mit der üblichen Un­ dankbarkeit gegen die Aufklärung das bekannte und viel mißbrauchte Wort Lessing's von den zufälligen Geschichtswahrheiten und den nothwendigen Vernunftwahrheiten7 als wirkungsvolle Folie für die modernen Fortschritte verwendet. Diese sind vielmehr von vornherein angelegt in der Religions­ philosophie der Aufklärung, die gerade von der neuentdeckten und eifrig betonten Mannigfaltigkeit der historischen Religionen und Bekenntniße aus­ ging und nur mit allzuraschem Eifer die Aufstellung eines Maaßstabes zur Schlichtung dieser Ansprüche anstrebte. Wenn sie diesen Maaßstab in ei­ ner allen Religionen gemeinsamen Quintessenz, der "natürlichen Religion, von der das moderne "Wesen der Religion"8 nur ein Abkömmling ist, er­ kannte und diese Quintessenz gewissen vernunftnothwendigen Wahrheiten gleichsetzte, so hat sie damit ihr Hauptinteresse freilich in einer bald von verschiedenen Seiten her als unhaltbar erkannten Weise befriedigt. Wenn dann aber im Gegensatze dazu solche philosophische Entscheidungsmaaß­ stäbe abgelehnt und zugleich die concreten Besonderheiten der Religionen immer stärker hervorgehoben wurden, so ist damit schließlich ihr Hauptpro­ blem nur um soviel brennender geworden, als seine Beantwortung dadurch schwieriger geworden ist. So hat denn auch R. das Wort Lessing's irrig aufge I faßt. Die zufälligen Geschichtswahrheiten sind die von der Apologetik angeführten Wunder als äußere Beglaubigungsmittel, nicht die geschichtliche Gesammtthatsache einer concreten Religion. Die Reduction der letzteren auf ewige Vernunftwahrheiten soll nur an Stelle dieser äußeren Beglaubigung eine innerliche nothwendige Evidenz setzen, in deren Bestimmung dann sich freilich der Geist seines Zeitalters zeigt. Die erste Hälfte des Satzes ist aber heute noch in voller, von R. selbst anerkannter Giltigkeit, und die zweite Hälfte gilt wenigstens insofern noch heute, als wir für die Aus6 Vgl. den Vortrag "Religion und Geschichte" (S. 1-1 6) . 7 Vgl. dazu bei Rade S . 9-1 2, etwa S . 9 f.: "Lessing vertritt ihn [seinen Standpunkt) mit ausgezeichneter Klarheit in seinen theologischen Streitschriften. Er unter­ scheidet da zwischen zufalligen Geschichtswahrheiten und notwendigen Vernunft­ wahrheiten." Bei Lessing heißt es: "zufallige Geschichtswahrheiten können der Be­ weis von notwendigen Vernunftswahrheiten nie werden", in: Gotthold Ephraim Lessing: Ü ber den Beweis des Geistes und der Kraft (1 777 1 , 1 989) , S. 441 . 8 Vgl. den Vortrag "Vom Wesen der Religion" (S. 89-1 02) .

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mittelung der religiösen Normwahrheit ebenfalls eine innerlich nothwendige Evidenz anstreben, die wir nur nicht mehr aus dem Gebiete logischer Denk­ nothwendigkeit entnehmen. Gerade aber auf dieses brennendste aus der La­ ge entspringende Problem ist R. nicht principiell eingegangen. Er behandelt es erst in einem Anhang und zwar wiederum in Anlehnung an Lessing, des­ sen Parabel von den drei Ringen9 allerdings die c1assische Formulirung des Problems darstellt. Hier eignet sich R. die von Lessing gegebene Lösung an, daß nämlich der Streit durch die praktisch-sittliche Bethätigung allein ent­ schieden werden könne. Die sittlich wirksamste Religion wird den Sieg ge­ winnen und sich dann anderen dadurch als Wahrheit darthun. All ein die Ant­ wort ist doch ungenügend und hat jedenfalls Lessing selbst nicht genügt. Er giebt sie nur denjenigen, die unbeirrt an die Aechtheit ihres Ringes glauben diejenigen aber, welche durch die Mehrzahl der Ringe bedenklich geworden sind, verweist er an die ewigen Vernunftwahrheiten, die, den Gläubigen un­ bewußt, in ihrem Glauben an ihren jeweiligen Ring mitenthalten sind und die der wissenschaftliche Betrachter von ihren äußern Formen zu sondern weiß. In der That schließt das Vertrauen zu jener praktischen Lösung des Problems doch auch bei R. die Ueberzeugung in sich, daß der praktische Sieg einer concreten Religion seinen Grund in ihrer inneren, sie zu solcher stärkeren Wirkung befähigenden Beschaffenheit haben müsse. Dann aber muß doch diese Beschaffenheit wissenschaftlich erwiesen werden können. Wirklich hat denn auch R. nicht umhin gekonnt, am Christenthum, dessen praktischen Sieg er erwartet, auch den inneren Grund dieser Erwartung wis­ senschaftlich zu bestimmen. In dem Vortrage über "Religion und Moral"lO spricht er von der radicalen Nothwendigkeit, beide innerlichst zu verbinden, und findet er die einzigartige Bedeutung des Christenthums gerade darin, daß hier diese Identification vollzogen sei. Die Bergpredigt zeige ewig mu­ stergiltig diese Identification und sei daher das Denkmal der Ueberlegenheit des Christenthums. Diese Identification leistet ihm also die Dienste, die Les­ sing seine "ewigen Vernunftwahrheiten"l1 leisten sollten, und auch der in ihr ausgedrückte Inhalt ist wohl nicht so sehr weit von dem der Lessingschen Vernunftwahrheiten entfernt. Die Frage ist also schließlich doch nur die, ob dieses Kriterium innerer Evidenz viel haltbarer ist als das ältere Lessings. Hier aber erheben sich allerhand schwere Bedenken. Eine volle Identifica­ tion von Moral und Religion ist unmöglich und liegt auch thatsächlich im Christenthum nicht vor. Die Bergpredigt ist wohl ein klassisches Muster9 "Anhang: Das Märchen von den Ringen" (S. 1 03-1 23) ; vgl. dazu Gotthold Eph­ raim Lessing: Nathan der Weise (17791, 1 993) ; die "Ringparabel" findet sich im 11. Akt, 7. Auftritt, Vers 395-538. 10 Rade, S. 55-68. 1 1 Vgl. oben, S. 495, Anm. 7.

Martin Rade: Die Religion im modernen Geistesleben

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bild religiös bestimmter Moral und sittlich bestimmter Religion, aber sie er­ schöpft weder den religiösen Gehalt des Christenthums noch den ganzen Umkreis der für menschliches Zusammenleben nöthigen Moralbestimmun­ gen. Ja sie befindet sich bei ihrer eschatologischen Transscendenz geradezu im Gegensatz zu wichtigen Gebieten innerweltlicher Moral, die bei anderen Völkern und bei anderer Gesammtlage sich mit Nothwendigkeit geltend ma­ chen. Das hat die Geschichte des Christenthums als Religion und als Moral deutlich genug gezeigt, liegt aber auch in der Natur der Sache. Bei der Fülle der von Rade berührten Probleme wäre auch über die anderen Vorträge "Religion und Naturwissenschaft",12 "Religion und Kunst"ll, "Religion und I Politik"14 sehr viel zu sagen. Doch fehlt hier der Raum. In allen Hauptpunkten stimme ich zu, im Einzelnen würde sich Anlaß zu vielen sehr ernstlichen Verhandlungen ergeben. Es ist eben doch nur in erster Linie berechtigt, die Religion als psychologisch-historische Thatsache zu nehmen. In iJl'eiter Linie bedeutet diese Thatsache einen Inhalt von Lebens- und Welt­ anschauung, der nicht ganz so unabhängig von den übrigen Lebensgebieten ist, als es die Ausführungen Rade's annehmen lassen. Troeftsch. Heidelberg.

12 Rade, S. 1 7-38.

13 Rade, S. 39-54.

14 Rade, S. 69-88.

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Julius Baumann: Realwissenschaftliche Begründung der Moral, des Rechtes und der Gotteslehre (1 898)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Die christliche Welt. Evan­ gelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, hg. von Martin Rade, 1 2. Jg., Nr. 43, 27. Oktober 1 898, Leipzig: J. C. B. Mohr (paul Siebeck), Sp. 1 026-1 027 CA) .

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Realwissenschajtliche Begründung der Mora4 des Rechtes und der Gotteslehre. Von Julius Baumann. VII, 295 S. Leipzig, Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung, 1 898. 7 Mk. Baumann setzt die Veröffentli �hung seines philosophischen Nachlasses,l auch dieses mal wieder in neuem Verlage, fort und bekämpft mit den glei­ chen Argumenten, den gleichen Aneinanderreihungen von Exzerpten und dem gleichen Deutsch wie bisher den Spiritualismus der Kant-Fichteschen Schule und die poetische Weltanschauung der Identitätsphilosophie. In bei­ den will er aber zugleich auch die subjektiven Idealisirungsversuche tref­ fen, mit denen die historischen Religionen sich das Weltbild ausschmücken. Die Grundlage solcher Idealisirungsversuche ist der doppelte Wahn, ein­ mal, daß natürliche, instinktmäßige Bedürfnisse und Triebe eine Gewähr für die Existenz einer sie befriedigenden objektiven Wirklichkeit in sich tragen, sodann daß der Geist ein schöpferisches Vermögen sei, das von sich aus eigne und selbständige Inhalte hervorbringe und in der Freiheit die schöpferische Kraft zu ihrer Verwirklichung besitze. Dieser die ältern 1 Vgl. Julius Baumann: Geschichte der Philosophie nach Ideengehalt und Bewei­ sen (1 890), ders.: Die grundlegenden Thatsachen zu einer wissenschaftlichen Welt­ und Lebensansicht (1 894), ders.: Die Grundfrage der Religion (1 895). Siehe da­ zu: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und theologische Principienlehre (1 896), oben, S. 1 00-1 03, sowie Julius Baumann: Wie Christus urteilen und handeln wür­ de, wenn er heutzutage unter uns lebte (1 896) . Vgl. dazu Ernst Troeltsch: Religi­ onsphilosophie und theologische Principienlehre (1 897), oben, S. 29 1 .

Julius Baumann: Realwissenschaftliche Begründung

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Systeme und I die Theologie beherrschende Wahn ist hinfallig geworden durch den Darwinismus, der natürliche Neigungen als Erzeugnisse einer oft zufalligen und zweckwidrigen Variation betrachten und sie immer erst einer naturwissenschaftlichen Prüfung unterwerfen lehrt, und dann durch clie moderne Psychologie, clie den Geist als ein Element rein formaler Einheit und als durchgängig an physiologische Voraussetzungen gebunden erweist. Das einzig Objektive ist clie mathematisch-mechanische, meßbare an­ organische Welt, zu der die organische Natur und der Geist als ein andersartiges, aber von ihr völlig beclingtes "Stück" (S. 231)2 hinzukommt. Auf ihre Erkenntnis, d. h. die Real- oder Naturwissenschaften, ist daher Moral, Recht und Erziehung aufzubauen. Auch clie Religion kann auf clieser Grundlage ihre bisherigen Idealisirungsversuche zu haltbaren Theorien erheben. Gott wird aus der anorganischen Natur als die formal-einheitliche, mathematisch-mechanische, schöpferische Intelligenz erkannt, clie clie Welt denkt, wie sie eben ist, und keine inhaltlichen Zwecke und Werte in sich trägt. Auf clieser Weltanschauung begründet sich ein Optimismus, der in Technik und Hygiene die wachsende Herrschaft des Geistes über die Natur feiert und damit eine neue Kulturepoche erwarten darf, wo clie subjektiven Täuschungen immer mehr zurückgestellt werden. "Die Weltansichten a la Carlyle" und clie Geschichtsanschauung "von Treitzschkes"3 werden dann eine nüchterne Wissenschaft und Lebensführung nicht mehr beirren. Vor allem wird man auf den Irrtum der neuern Theologie verzichten, daß es eine innere Berührung des göttlichen und menschlichen Geistes gebe, und daß man hierin das Wesen der Religion erkennen dürfe. Jede solche Vorstellung von Gott ist physiologisch bedingt, wie man aus ihrem Erlöschen bei der Absperrung der Blutzufuhr vom Gehirn ersehen kann. Sie entsteht aus kör­ perlichen Beclingungen, nicht aus einem übersinnlichen seelischen Vorgang. Die Gotteserkenntnis ist nur ein Erzeugnis wissenschaftlicher Reflexion, die zu der vernünftig und gesetzmäßig bewegten Materie eine einheitliche Ur2 "Da der Geist nicht Zweck der Welt als solcher ist [...] , sondern ein eigenthüm­ liches Stück der Welt, in Verbindung aber mit organischer und unorganischer Na­ tur, so bekommt seine Entwicklung auch dadurch eine andere Deutung als bis­ her." (S. 231). 3 "Eine Nachwirkung der absoluten Philosophie ist auch die angeblich ideale, aber verglichen mit der genauen Wirklichkeit phantastische Weltansicht a la Carlyle, nach welcher dichterische Ideen in lahmen, hinkenden Erscheinungen walten. In Wirklichkeit sind die Erscheinungen streng geordnet, nur die Ideen von ihnen in den Köpfen müssen danach anders gefasst werden. Auch in Treitzschke's Politik (Bd. I) ist der allgemeinwissenschaftliche Hintergrund eine Nachwirkung der abso­ luten Philosophie [ ... ] . " (S. VII) Baumann verweist hier auf Heinrich von Treitsch­ ke: Politik, 1 . Band (1 897) .

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sache sucht und diese in dem Begriffe einer schöpferischen, bewußten und persönlichen, mathematisch-mechanischen Intelligenz findet. Die Beobach­ tungen an der organischen und organisch-geistigen Welt könnten hieran freilich oft irre machen, aber seit der Entdeckung der Einordnung beider Welten unter die Gesetze der materiellen Welt dürfen diese Anstöße als be­ seitigt gelten, die doch nur von einer aus einseitiger Betrachtung des Gei­ stes hervorgegangnen subjektiv-idealisirenden Teleologie ihren Ausgang ge­ nommen haben. Was man aus solchen Darlegungen Baumanns lernen kann, habe ich früher in diesen Blättern gezeigt.4 Sie sind charakteristisch für die Wirkung, die die Endeerung des Geistes von allen selbständigen eig­ nen Inhalten und die überall einsetzende naturwissenschafdiche, besonders psycho-physiologische Erklärung hervorbringen muß. Fast alles das kommt von der modernen naturwissenschafdichen Psychologie, an die Baumann in fast rührender Weise glaubt. Nicht Alle werden mit diesem Glauben so viel optimistische Begeisterung verbinden können wie Baumann, und Manche werden sogar an diesen Früchten einen faulen Baum zu erkennen meinen.

Traftsch

4 Vgl. dazu Ernst Troeltsch: Moderner Halbmaterialismus (1 897) ----> KGA 1 . Troeltsch setzt sich hier mit den oben, Anm. 1 , S. 498, genannten Werken Bau­ manns auseinander. Siehe auch die Selbstrezension zu "Moderner Halbmaterialis­ mus" in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 898), oben, S. 369 f.

Alexander von Oettingen: Lutherische Dogmatik, 1 . Band (1 897)

Die Redaktion der "Göttingisehen gelehrten Anzeigen" fragte bei Troeltsch am 30. Mai 1 897 an, ob er die Besprechung des ersten Bandes von Oettin­ gens "Lutherische Dogmatik" übernehmen wolle.! Bereits am 1 . Juni lag die Zustimmung vor.2 Am 1 9. Juni 1 898 konnte die Redaktion Troeltsch dann den Empfang der Rezension bestätigen.3 Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Göttingisehe gelehr­ te Anzeigen. Unter der Aufsicht der Königlichen Gesellschaft der Wissen­ schaften, 1 60. Jg., 2. Band, Nr. 1 0, Oktober 1 898, Berlin: Weidmannsehe Buchhandlung, S. 827-832 CA) .

von Oettingen, A., Lutherische Dogmatik. I. Bd. Prinzipienlehre. München, C. H. Beck. 1 897. XX u . 478 S. 8 ° . Preis Mk. 8. Der ehrwürdige Veteran des baltischen Luthertums legt in der mit dem er­ sten Bande erschienenen Dogmatik "das Ergebnis 50jährigen Nachdenkens und 40jähriger akademischer Lehrtätigkeit"l vor. Man darf also ein Werk 1

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VgJ. "Verzeichnis ausgegangener Briefe, Nov. 1 895-Apr. 1 899; Mai 1 899-Mai 1 901 (Redaktion: Wentzel)", Göttingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ar­ chiv, Scient. 46, Nr. 2. Vgl. "Göttingische Gelehrte Anzeigen. Eingehende Briefe November 1 895-1 899, Redakteur: Wentzel", Göttingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ar­ chiv, Scient. 46, Nr. 1 . VgJ. "Liste von Besprechungsexemplaren 1 897-1 899 (Redakteur: Wentzel)", Göt­ tingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Archiv, Scient. 37,3, Nr. 4. 1 "Nicht ohne Zagen übergebe ich dieses Werk, die Frucht fünfzigjähriger Studi­ en und fast vierzigjähriger akademischer Lehrthätigkeit, der öffentlichen Beurthei­ lung." (S. V) Der 1 . Teil des 2. Bandes wurde vier Jahre später, 1 902, von Troeltsch besprochen: Ernst Troeltsch: [Rez.) Alexander von Oettingen: Lutherische Dog­ matik, 2. Band: System der christlichen Heilswahrheit, 1 . Teil: Die Heilsbedingun­ gen (1 902) -> KGA 4.

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von reifer Durchbildung erwarten, das den Stand der Dinge in den Krei­ sen des Lutherischen Konfessionalismus von der besten Seite veranschau­ licht. Der Verfasser ist ferner zu sehr als vielseitig gebildeter und interes­ santer, gerade spezifisch moderne Ausdrucksweise liebender Schriftsteller bekannt, als daß es nicht fesseln sollte zu sehen, wie die lutherisch konfes­ sionelle Dogmatik in seiner Auffassung und Durchführung sich ausnimmt. I Der erste Band beschäftigt sich begreiflicher Weise mit der Aufgabe, die Voraussetzungen einer solchen Dogmatik, die Geltung des symbolgemäßen Luthertums als absoluter, übernatürlicher Wahrheit zu erweisen und damit den Stoff der Dogmatik zu fixieren, sowie mit der weiteren Aufgabe, eine spezifisch dogmatische Erkenntnismethode zu konstruieren, die mit Schrift und Bekenntnissen übereinstimmende, allgemeingiltige, mit dem übrigen Erkennen zur Einheit zusammengehende Wahrheiten zu deducieren gestat­ tet. Dem gläubigen Lutheraner ist es nicht zweifelhaft, daß beides in über­ zeugendster Weise geschehen könne. Er beschäftigt sich daher nicht lange mit Religion, religiöser Erkenntnis und Religionsgeschichte, wie die ihres Zieles und ihrer Ergebnisse weniger sicheren Theologen, sondern geht so­ fort unmittelbar an die Aufgabe, die beiden Voraussetzungen der Dogmatik festzustellen. Wenn sich das Recht seines Ausgangspunktes an der weite­ ren Durchführung bewahrheitet, dann ist ja auch die Ueberflüssigkeit aller weiter ausgreifenden Untersuchungen erwiesen, die doch nur alle von dem modernen Wahn der Voraussetzungslosigkeit angekränkelt sind. Für diese Bewahrheitung der Voraussetzung an allen weiteren Punkten zu sorgen, d. h. alles in ihrem Lichte aufzufassen, von ihr aus zu gruppieren und zu erklären, ist denn auch die eigentliche Kunst dieser Dogmatik. Die ganze, sehr bedeu­ tende geistige Kraft des Verfassers geht darin auf, ein dieser Voraussetzung entsprechendes Arrangement alles dessen zu schaffen, was Religionshisto­ riker, Metaphysiker, Erkenntnistheoretiker und Psychologen in der Arbeit der letzten Jahrhunderte ohne und gegen sie zu Tage gebracht haben. In der Art, wie v. Oettingen diesen ganzen Ausgangspunkt gewinnt, kann er freilich die natürliche wissenschaftliche Methode, die von einem mög­ lichst allgemein anerkannten Satze auszugehen pflegt, nicht ganz vermei­ den. Aber das geschieht nur, um eben durch einen solchen allgemeinen Satz sich das Recht der Beschränkung auf einen ganz besonderen Ausgangs­ punkt zu sichern. Mit Goethe, der überhaupt zum Ueberdruß oft herhalten muß, geht der Verf. von dem Satze aus, daß zur Erkenntnis einer Sache Lie­ be und sympathisches Verständnis erforderlich ist.2 Die Naturobjekte und 2 "Der allbekannte Goethe'sche Satz: ,Nur Liebe hat Verständniß' - gilt nicht nur Personen, sondern auch den Dingen gegenüber, die wir erkennend uns aneignen und nachdenkend verstehen wollen." (S. 6) .

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besonders die Geschichtsobjekte erfordern diese Voraussetzung, vor allem aber das Christentum. Liebe und sympathisches Verständnis für das Chri­ stentum ist nun aber nur möglich auf Grund eigener, in Sündenerkenntnis und Bekehrung vollzogener Heilserfahrung, schließt also die Anerkennung seines übernatürlichen, der erbsündigen Natur entgegengesetzten absolut göttlichen Offenbarungscharakters ein. Damit ist natürlich die Hauptsache gewonnen, und es kommt nur mehr auf eine I Auffassung des Christentums an, die dessen "organischen Zentralbegriff"3 richtig herausstellt, um damit die Grundlagen der Spezial-Dogmatik bereitet zu haben. Zwar scheint dieser Satz eine bedenkliche Aehnlichkeit mit der Forderung zu haben, daß man etwa die Kunst des Cinquecento für die absolute Kunstoffenbarung ansehen müsse, weil jene Kunst sich so gefühlt habe und eine Gemeinde von Verehrern sie ebenso empfinde, ein Verständnis aber ohne Teilung dieser Empfindung überhaupt nicht möglich sei, oder mit der Lehre der Katholiken, daß gerade der moderne Staat die unbedingte Herrschaft der Kirche gestatten müsse, weil die allgemein anerkannte Gewissensfreiheit dem Ka­ tholiken das Recht gebe, Freiheit für die absoluten Herrschaftsansprüche der Kirche zu fordern. Darüber darf man sich nicht wundern. Es ist eine häufige theologische Methode, den Satz, daß unbedingte Voraussetzungs­ losigkeit nicht möglich sei, gerade für die Geltung einer ganz bestimmten Voraussetzung in Anspruch zu nehmen. Sie wird dadurch erklärlicher, daß immer vorausgesetzt wird, liebevolles Verständnis für das Christentum sei dem natürlichen, erbsündigen Menschen unmöglich, es könne nur durch eine übernatürliche Bekehrung zum Glauben an eine übernatürliche Gottesthat zu Stande kommen. Hierüber zu streiten ist natürlich unmöglich. Es kommt nur darauf an, ob psychologische, naturwissenschaftliche und meta­ physische Erkenntnisse die so dargebotenen Dogmen nicht fraglich machen und ob die behauptete Uebernatürlichkeit der christlichen Offenbarungsge­ schichte angesichts der Analogieen der nichtchristlichen Religionsgeschichte und angesichts der Anwendbarkeit gewöhnlicher historisch-kritischer Me­ thoden auf die Bibel festgehalten werden könne. Die ältere Apologetik hat hier die Einwände der modernen Religionsphilosophie Schritt für Schritt zu widerlegen gesucht. Bei der Wirkungslosigkeit dieser Widerlegungen hat die neuere sich darauf zurückgezogen, nur überhaupt prinzipiell das Zugeständnis der Uebernatürlichkeit des Christentums als das wesentliche Moment der religiösen Gesinnung zu fordern und alle einigermaßen konsequente 3

[... ) wie finden wir - unter Voraussetzung einer empirischen Untersuchungs- und Erkenntnißmethode - den sachlichen Ausgangspunkt, den wirklichen, lebensfähi­ gen und fruchtverheißenden Keimpunkt, so zu sagen den Wurzelbegriff für das or­ ganische Gebilde eines dogmatischen Lehrganzen?" (S. 26) . ,,

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Kritik in Bausch und Bogen aus der Abwesenheit dieses Momentes oder aus der Sünde zu erklären. Das ist denn auch die Apologetik, die dieser Dogmatik zu Grunde liegt, und so brauchte sie nur das erfahrungsgemäß übernatürliche Objekt der Dogmatik, die christliche Heilsoffenbarung, genau zu umschreiben und ih­ ren Zentralpunkt auszumitteln, um von diesem aus das dogmatische Ge­ schäft sofort zu beginnen. Doch giebt v. Oe. dieser Feststellung "des Wesens des Christentums" zugleich eine ausführlichere apologetische Gestalt, die freilich im Grunde nur die l oben geschilderte Voraussetzung der "dogma­ tischen Wissenschaft" weiter ausmalt und eben dadurch zugleich die sonst gepflegten Untersuchungen über das Wesen des Christentums, deren Sinn anderwärts darin besteht, Stellung und Bedeutung des Christentums inner­ halb der religionsgeschichtlichen Entwickelung zu bestimmen, auf ihr richti­ ges Maß zurückführt, d. h. an Stelle der sonst auch hier beliebten Vorausset­ zungslosigkeit die richtigen Voraussetzungen für diese Untersuchung wirk­ sam macht. Das Christentum soll nämlich, indem sein Wesen zum Zweck der Ermittelung des Ausgangspunktes für die Spezialdogmatik beschrie­ ben wird, zugleich als die Normal- und Idealreligion und eben damit sol­ len die nichtchristlichen Religionen und Philosopheme als Trübungen der Normalreligion durch die Sünde erkannt werden. Daher stellt ein "physio­ logische Prinzipienlehre" überschriebenes Capitel4 auf Grund der christli­ chen Wiedergeburtserfahrung die Idealreligion dar, in Wahrheit eine Aus­ wahl der christlichen Hauptdogmen über Offenbarung, Kirche und persön­ lichen Heilsstand, die mit entsprechend ausgewählten angeblichen allgemei­ nen Postulaten aller Religionen übereinstimmen und somit das Christentum als normale Ur- und Zielgestalt aller menschlichen Religion bezeugen. Ein zweites "pathologische Prinzipienlehre" überschriebenes KapitelS zeigt, daß aus dieser Urgestalt alle nichtchristlichen Glaubensweisen durch sündige Verderbung der religiösen Kerngesinnung entstanden sind. Dabei ist freilich fast nur von modernen Philosophemen die Rede, die als in den nichtchrist­ lichen Religionen ebenfalls enthalten angesehen werden und daher ihnen ohne weiteres untergeschoben werden. Von Geschichte und Religion ist in dieser Entwickelungsgeschichte der Irreligion kaum die Rede. Dafür bestä­ tigt aber die Darstellung die These, daß das Christentum die Idealreligion ist. Denn sind alle nichtchristlichen Religionen nur durch sündige Verder­ bung der Idealreligion, d. h. der christlichen Wahrheit entstanden, dann ist 4 Vgl. "Erstes Capitel. Das Wesen der Religion vom Standpunkt christlicher Glau­ benserfahrung. (physiologische Principienlehre)" (S. 65-1 58) . 5 Vgl. "Zweites Capitel. Unwahre Gestaltung der Religion. (pathologische Principi­ enlehre) " (S. 1 58-228) .

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natürlich das Christentum die Idealreligion. Ein drittes "therapeutische Prin­ zipienlehre" überschriebenes Kapitel6 zeigt dann die Notwendigkeit, daß ge­ genüber dieser sündigen, alle natürlichen Kräfte aufhebenden Verderbung die Idealreligion nur als sünden tilgende und übernatürliche Erlösungsoffen­ barung historische Gestalt gewinnen konnte. Um nun aber durch das Wunder die Menschen nicht zu erschrecken, durfte die Idealreligion nur in all­ mählicher, "organischer" Entwickelung in die Menschheit eintreten. Langsam vorbereitend steigt diese Entwickelung in Weissagung und Wundern an bis zum Zentralwunder, der Erlösungsoffenbarung in Menschwerdung und Sühn tod, um von da, in heiliger Schrift, Dogmen und Bekenntnis zusam­ mengefaßt, keiner Wunder I mehr zu bedürfen und sich nur mehr durch die Macht des Zeugnisses von jenen Wundern fortzubewegen. Nur wer dieses Ganze des "organischen" Heilszusammenhanges nicht versteht, kann an den Uebernatürlichkeiten der heiligen Geschichte Anstoß nehmen. Daran reiht sich das zweite Problem der Prinzipienlehre, die Frage nach einem die dogmatische Aufgabe leitenden, spezifisch dogmatischen Erkenntnisprinzip. Der Verf. erhebt diese Frage erst an zweiter Stelle, weil die Erkenntnismethode sich nach dem Objekt zu richten hat, auf das sie sich bezieht. Zwar ist die Dogmatik als Glaubenswissenschaft zunächst noch in Analogie zu den übrigen Wissenschaften, die alle auch die Naturwissenschaften, noch mehr aber die Geisteswissenschaften - ein Moment des Glaubens einschließen. Aber der die dogmatische Erkenntnis konstituierende Glaube ist wie das Objekt dieses Glaubens etwas ganz eigenartiges: wie das Objekt, das Wesen des Christentums, ein übernatürliches ist, so ist auch die Glaubenserkenntnis der Dogmatik eine übernatürlich gewirkte, sie ist die Heilserfahrung von der Erlösungs­ offenbarung in Christus. Damit ist auch hier der gewöhnliche Sinn der Frage nach dem Wesen religiöser Erkenntnis, die Beziehung auf die Gesamterscheinung religiöser Erkenntnis in ihrer Abgrenzung gegen die theoretische Erkenntnis überhaupt, abgelehnt und ist die Frage lediglich eingeschränkt auf die genauere Konstruktion des Erkenntniswertes, der Erkenntnisweise und der Erkenntnismittel einer im Kerne übernatürlich gewirkten Erkenntnis. Diese entsteht nämlich vermittelst der kirchlichen Verkündigung und der Sakramente, ist wesentlich praktischen Charakters, führt aber von diesem praktischen Charakter aus zu theoretischen Sätzen, die adäquate, aber auf Erden noch nicht vollständige Erkenntnis gewähren. Sie entwickelt ihre Sätze frei deducierend aus dem Kerne der praktischen Heilserfahrung, kontroliert aber diese Sätze an der Bibel und an den lu6 Vgl. "Drittes Capitel. Das Christenthum als die Heilsreligion. (fherapeutische Principienlehre)" (S. 229-332) .

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therischen Bekenntnissen, da sie von diesen ihren ursprünglichen Quellen sich nicht entfernen darf, wenn sie nicht dem Nonsens verfallen will, in der Wirkung etwas zu producieren, was in der Ursache gar nicht enthalten war. Daß andere Confessionen und Religionen geradeso für sich argumentieren können und von dieser Argumentation aus eine Veränderung der Religio­ nen überhaupt unmöglich wäre, ficht den Verf. nicht an. Das Verhältnis zu den außer-dogmatischen Erkenntnisweisen, insbesondere zur Philosophie, regelt sich dahin, daß der Dogmatiker von der Voraussetzung der Glaubens­ erfahrung aus den Zusammenhang der Dinge durchleuchtet und so vom Zentrum zur Peripherie strebt, der Philosoph dagegen von den allgemeinen metaphysischen Zusammenhängen aus eine Einreihung der Glaubenswelt in diese Zusammenhänge I konstruiert, also von der Peripherie zum Zentrum strebt. So lange die Theologie nicht orthodoxistisch gegen die Wandelung der peripherischen Erkenntnisse sich abschliesst und solange der Philosoph nicht zweifelsüchtig oder dogmatistisch das Zentrum des Glaubensmysteriums bestreitet, ist ein Zusammenstoß ausgeschlossen. Freilich vermag der Verf. als Beispiele solcher Philosophie nur Stahl und Ritter zu nennen.' Das Verhältnis zu den Naturwissenschaften erledigt sich dabei von selbst, insoferne bei der ächt christlichen und wahrhaft philosophischen Anschauung von der inneren Einheit der Natur und des Geistes, der Schöpfung und der Erlösung, die richtige Würdigung der Natur in die Geisteswissenschaften immer eingeschlossen ist. Sie heißen Geisteswissenschaften nur a potiori, für die Dogmatik insbesondere gilt, daß die Leiblichkeit das Ende der Wege Gottes ist. Sofern dagegen der Naturforscher nur die Natur als solche bearbeitet, hat er nie zu vergessen, daß er sich lediglich innerhalb der Schöpfungssphäre bewegt. So kann v. Oe. vom Dogmatiker sagen: "Wie er an die biblischen und (dogmen)historischen Disziplinen anknüpfen muß, so weiß er sich in ste­ tem Zusammenhange mit den kirchlichen Lehrinteressen, mit der ethischen und praktischen Lebensbewährung der christlichen Gemeinde und - last not least - mit der gesamten geistigen Bewegung der Gegenwart" S. 454.8 Diese letzten Worte mögen erstaunlich klingen am Ende eines Buches, das allerdings die außertheologische Litteratur massenhaft, wenn auch freilich meist nur spie­ lend und antippend, zitiert, aber dabei doch überall nur einen grundsätz7 "Es giebt doch auch eine wohl fundamentirte ,christliche Philosophie' (Stahl, Rit­ ter) [...] . " (S. 401) Von Oettingen spricht hier von Friedrich Julius Stahl: Fundamen­ te einer christlichen Philosophie (1 846) und Heinrich Ritter: Die christliche Philo­ sophie nach ihrem Begriff, in ihren äußern Verhältnissen und in ihrer Geschichte bis auf die neuesten Zeiten (1 858/59) . 8 Die Hervorhebung stammt von Troeltsch.

Alexander von Oettingen: Lutherische Dogmatik

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lichen Gegensatz gegen alle wesentlichen Grundgedanken der gegenwärti­ gen Wissenschaft zu äußern wußte. Die Polemik ist vornehm und die Beur­ teilung überall billig, die religiöse Grundgesinnung lebendig und beweglich, fern von zelotischem Eifer. Aber das Buch selbst ist doch mehr ein Denk­ mal des Gegensatzes gegen die gesamte geistige Bewegung der Gegenwart als des Zusammenhanges mit ihr. Freilich läuft die Grenzlinie nicht reinlich zwischen dem Verfasser und der Gegenwart, sondern sie geht mitten durch die unter geteilten Einflüssen stehende Denkweise des Verfassers selbst hin­ durch. Das zeigt sich auch am Stil, der zwischen architektur-freudiger Scho­ lastik und geschmücktem Predigtton einerseits und zwischen modernstem Essaistil andrerseits quälend hin und her spielt. Heidelberg, 1 0. Mai 1 898. E. Troeltsch.

Richard Adelbert Lipsius: Glauben und Wissen (1 897)

Im Dezember 1 897 bot die Redaktion der "Göttingischen gelehrten Anzei­ gen" Troeltsch die Rezension von Lipsius' Buch an. ! Dem Freund Wilhelm Bousset schrieb Troeltsch im April 1 898: "Ich habe übermäßig viel zu thun. Muß Lipsius sowieso in GGA anzeigen. Was die Serie bedeuten soll ist mir nicht ganz klar, jedenfalls bin ich für Dogmatica nur sehr mäßig geeignet."z Die im Juni 1 898 an die Redaktion gesandte Besprechung wurde im Novem­ ber 1 898 gedruckt.3 Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Göttingisehe gelehr­ te Anzeigen. Unter der Aufsicht der Königlichen Gesellschaft der Wissen­ schaften, 1 60. Jg., 2. Band, Nr. 1 1 , November 1 898, Berlin: Weidmannsehe Buchhandlung, S. 870-871 (A) .

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Lipsius, R. A., Glauben und Wissen. Ausgewählte Vorträge und Aufsätze. Ber­ lin, Schwetschke und Sohn. 1 897. XI und 467 S. 8°. Preis Mk. 6. Der Sohn! des vor sechs Jahren heimgegangenen Jenenser Theologen Lip­ sius hat sich um das Andenken seines Vaters und um die Förderung aller, die von ihm lernen wollen, das Verdienst erworben, einen Teil seiner klei­ neren Aufsätze, Abhandlungen und Reden zu einem Bande zu sammeln. Vgl. "Verzeichnis ausgegangener Briefe, Nov. 1 895-Apr. 1 899; Mai 1 899-Mai 1 901 (Redaktion: Wentzel)", Göttingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ar­ chiv, Scient. 46, Nr. 2. 2 Brief Troeltschs an Wilhe1m Bousset, 7. April 1 898, Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, eod. Ms. Bousset 1 30 --+ KGA 1 8/1 9. 3 Vgl. "Liste von Besprechungsexemplaren 1 897-1 899 (Redakteur: Wentzel)", Göt­ tingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Archiv, Scient. 37,3, Nr. 4. 1

1 Friedrich Reinhard Lipsius (1 873-1 934), 1 893-1 897 Theologiestudium in Leipzig, 1 897 Hilfsprediger in Weimar, ab 1 898 Privatdozent für Systematische Theologie in Jena.

Richard Adelbert Lipsius: Glauben und Wissen

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Ueber die Auswahl könnte man mit dem Herausgeber rechten. Doch hat er die Absicht gehabt, vor allem diejenigen Stücke auszusuchen, die sich für den sein Studium beginnenden Theologen und für den Orientirung su­ chenden Laien besonders eignen.2 Auch sollte wohl vor allem ein Bild von der persönlichen und religiösen Eigentümlichkeit des Verstorbenen gege­ ben werden.3 Gerade dieses Ziel ist auch in der That von der Sammlung vorzüglich erreicht worden. Die praktischen Interessen dienenden Stücke (n. 1 7-21)4 ergänzen das Bild des Gelehrten, das aus seinen fachwissen­ schaftliehen Arbeiten uns entgegentritt, in sehr lehrreicher und anziehender Weise. Den kirchengeschichtlichen Aufsätzen (n. 6-1 3)5 kann besondere sachliche Bedeutung nicht zugesprochen werden. Auch unter den Skizzen aus der Geschichte der Theologie (n. 1 4-1 6)6 hat nur die klare und vielfach 2 ,,[...) sollte es ein Irrtum sein, wenn ich glaube, dieselben Gedankengänge, die dem jungen, des schweren Rüstzeugs der Forschung, insbesondere der philosophi­ schen Schulsprache, gänzlich ungewohnten Studenten (p. R. Lpsius spricht hier von sich selbst) einen sicheren Grundstock zum Bau der eigenen Ueberzeugung gewährten, würden, ihrer Vergessenheit entrissen, im Stande sein noch manchem Christen den gleichen Dienst zu leisten?" (S. VIII) ,, [Es) sind [...) gerade nicht die Theologen, für die wir dies Büchlein zusammengestellt haben. [... ). [Es) min­ dert den Wert dieser Vorträge [ ... ) nicht, wenn es gilt, zweifelnden und suchenden Laien das Bewußtsein zurückzugeben, daß Glauben und Wissen sich auch heute noch miteinander vertragen, daß die kritische Theologie nicht bei lauter Vernei­ nungen endet, sondern Raum hat für das Bekenntnis zum gekreuzigten und auf­ erstandenen Heiland, daß Freiheit und Frömmigkeit nicht Gegner sind, sondern erst in ihrer Verbindung die rechte christliche Persönlichkeit zu schaffen vermö­ gen." (S. X ( ). 3 "Auch dazu mögen sie beitragen, daß unser deutsch-evangelisches Volk dem heim­ gegangenen Verfasser ein treues Gedenken bewahre. Solche Dankbarkeit verdient er: er hat einen guten Kampf gekämpft." (S. XI) 4 Es handelt sich hierbei um folgende Vorträge: ,, 1 7. Als die Sterbenden und siehe wir leben!" (S. 356-367), ,, 1 8. Die Kinder der göttlichen Weisheit" (S. 368-376), ,, 1 9. Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes" (S. 377-389), ,,20. Unser ge­ meinsamer Glaubensgrund im Kampfe gegen Rom" (S. 390-4 1 3) und ,,21 . In wei­ cher Form sollen wir den heidnischen Kulturvölkern das Evangelium bringen?" (S. 41 4-436) . 5 ,,6. Das Zeichen des Kreuzes" (S. 1 43-1 60), ,,7. Christusbilder" (S. 1 6 1-1 81), ,,8. Pauli Missionsverfahren" (S. 1 82-1 96) , ,,9. Die Simonfrage" (S. 1 97-21 8), ,,1 0. Ein feste Burg!" (S. 21 9-227) , ,,1 1 . Luther und Jena" (S. 228-247) , ,,1 2. Phi­ lipp Melanchthon" (S. 248-274) und ,,13. Schleier macher und die Romantik" (S. 275-298). 6 ,,1 4. Zur Säkularfeier de Wettes" (S. 299-3 1 3), ,, 1 5. Kar! von Hase" (S. 31 4-320) und " 1 6. Die Ritschlsche Theologie" (S. 321 -355) .

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treffende Charakteristik Ritschls größere Bedeutung. Die Hauptstücke sind die religionsphilosophischen und prinzipiell-theologischen Aufsätze, aus de­ nen Eigenart und Entwickelungsgang des theologischen Denkens des Man­ nes sehr klar und anziehend hervortritt. Daß die historisch-psychologische Me I thode, die Lipsius mit Schleiermacher und De Wette vertrat, auch mir in der Hauptsache als die einzig mögliche Methode erscheint, habe ich be­ reits früher an diesem Orte bei Besprechung der dritten Auflage von Lip­ sius' Lehrbuch der Dogmatik ausgeführt. Auch die Einwände, die gegen die Einzelheiten der Durchführung zu erheben sind, sind dort bereits in den Hauptpunkten zur Sprache gekommen (1 894 no. 1 1) .7 Gegenüber der konzentrierten Zusammenfassung, in der sich seine Gedanken hier darbie­ ten, verstärken sich diese Einwendungen. Ueberhaupt empfängt man den Eindruck, daß sich gegenüber der relativ einfachen Gestaltung einer wissen­ schaftlichen Theologie bei Lipsius und Schleier macher die Probleme inzwi­ schen außerordentlich viel verwickelter und schwieriger gestaltet haben. Der Band ist von der Verlagsbuchhandlung äußerst vornehm und gedie­ gen ausgestattet worden. Dagegen hat der Herausgeber seine Aufgabe nicht ganz so gelöst, wie man es erwarten möchte. Er hat unbegreiflicher Weise es unterlassen, die ursprünglichen Druckorte zu nennen. Nur in zwei Fällen (n. 3 u. 4B) hat er es gethan, und hier in ganz ungenügender Weise. Man bleibt genötigt zu dem Verzeichnis der L.'schen Arbeiten zu greifen, das 0. Baum­ garten der dritten Auflage der Dogmatik beigegeben hat.9 Außerdem wim­ melt der Band von Druckfehlern. Darunter sind solche schlimmster Art. Ich notire nur folgendes: S. 89 Hauptmann st. v. Hartmann, S. 1 55 Veräußer­ lichkeit st. Veräußerlichung, S. 1 66 u. 1 74 Nikophoros st. Nikephoros, S. 1 69 Moses von Khormo st. Chorene, S. 1 75 u. 1 76 Boissiree st. Boisseree, S. 1 78 latranisch st. lateranisch, S. 1 79 ist die Aufzählung der Maler in Schreibung 7 Ernst Troeltsch: [Rez.] Richard Adelbert Lipsius: Lehrbuch der evangelisch-prote­ stantischen Dogmatik (1 894), siehe oben, S. 3 1 -52. 8 Vgl. ,,3. Die Gottesidee" (S. 62-83) : "Vortrag, gehalten in der deutsch-reformier­ ten Kirche zu Frankfurt a. M. 1 877" (S. 62) ; in der dazugehörigen Anmerkung steht: "Erschien zuerst bei M. Diesterweg". Bei dem 4. Vortrag ("Die göttliche Weltregierung", S. 84-1 1 0) steht lediglich das Erscheinungsjahr 1 878 und in der Anmerkung: "Erschien zuerst bei M. Diesterweg, Frankfurt a. M." 9 Richard Adelbert Lipsius: Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik (1 8933) . Die dritte Auflage wurde von dem Praktischen Theologen Otto Baum­ garten (1 858-1934) auf der Basis handschriftlicher Aufzeichnungen von Lipsius und gestützt auf Vorlesungsnachschriften umgearbeitet und herausgegeben. Am Schluß dieser Ausgabe (S. 870-883) befindet sich ein Werkverzeichnis. Vgl. da­ zu auch Ernst Troeltsch: [Rez.] Richard Adelbert Lipsius: Lehrbuch der evange­ lisch-protestantischen Dogmatik (1 894), oben, S. 3 1 -52.

Richard Adelbert Upsius: Glauben und Wissen

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und Interpunktion arg entstellt, S. 286 Lebensmittel st. Lebensideal, S. 352 Welturteil st. Werturteil, S. 386 dich st. sich, S. 403 Sterben st. Streben, S. 422 steht: "jene Apologetik, welche um jede Klaue zankt"J1° E. Troeltsch. Heidelberg 1 7. April 1 898.

10 Die von Troeltsch als "Druckfehler" kritisierten Setzerfehler lassen sich bei Lipsi­ us finden. Auf S. 1 75 f. steht der falsch geschriebene Name allerdings in folgendem Zusammenhang: "in der Boisireeschen Sammlung". Die "Aufzählung der Maler" lautet bei Lipsius: "In der Folgezeit haben die Künstler denselben kallinistischen Typus [der Christusdarstellung] mehr oder minder geschickt, mit größerer oder ge­ ringerer Freiheit behandelt. Giunta Pisano, Cimabus, Giotto haben ihn beibehal­ ten: Cimabus noch ganz in alter Strenge, sein Schüler Giotto in milderer, mensch­ lich veredelnder Form. FiesoIe Pietro Perugino, vor allem Rafael, Leonardo und Michel Angelo haben es verstanden, den überlieferten Typus mit freier Idealität zu behandeln, während unsere deutschen Meister Albrecht Dürer, Lukas von Eiden, Lukas Cranach wieder strenger an das alte Vorbild sich hielten. In der Verfallszeit der italienischen Kunst wird der Typus fast völlig verlassen; an seine Stelle tritt bald weichliche Sentimentalität, wie bei Guido Reni und Carlo Dolce, bald ein wi­ derlicher Naturalismus. Erst die Neuzeit hat an den mit Rafael erreichten Höhen­ punkt der Kunst wieder angeknüpft." (S. 1 79) Der von Troeltsch zitierte Satz auf S. 422 lautet vollständig: "Ich verteidige auch nicht jene Apologetik, welcher die überlieferte dogmatische Form des Christentumes die Hauptsache dünkt, nicht je­ ne Apologetik, welche um jede Klaue zankt".

Friedrich August Berthold Nitzsch: Lehrbuch der evangelischen Dogmatik, 2. verbess. Auß. (1 896)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Zeitschrift für praktische Theologie, hg. von Otto Baumgarten und Pau! Kirmß, 20. Jg., 1 898, Frank­ furt a. M.: M. Diesterweg, S. 1 62-1 63 (A). Der genaue Erscheinungstermin konnte nicht nachgewiesen werden.

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Friedr. At/g. Berth. Ni/zseh, Lehrbuch der evangelischen Dogmatik. 2. verbess. Aufl. XVIII, 600. Freiburg, Mohr. M. 1 4.-. Es ist eine Freude, wenn man von einem so tüchtigen und brauchbaren Werke bereits nach 5 Jahren eine neue Auflage anzeigen kann!, wobei ich nur bedauere, dass die Anzeige sich durch meine Schuld so sehr verspätet hat. Es ist ein will kommenes Zeichen dafür, dass die besonders auf prak­ tische Brauchbarkeit, Klarheit, Knappheit und Vollständigkeit gerichteten Bestrebungen des Verfassers ihr Ziel erreicht haben. Ich darf hinzufügen, dass ich die Zweckmässigkeit dieses Lehrbuches an den Erfahrungen des Kolleg lesenden Dozenten wie des lernenden Studenten bestätigt gefun­ den habe, da sich an die umsichtige, überall den Konsensus der Dogmati­ ker hervorhebende und zugleich biblische Begründung wie dogmenhistori­ sche Entwickelung darbietende Darstellung leicht alles Nötige anknüpfen lässt und man nicht erst mit dogmatischen Singularitäten sich auseinander­ zusetzen hat. Die neue Auflage zeigt eine Verminderung des Umfangs um 1 8 Seiten, im übrigen aber nur unbedeutende, nirgends prinzipielle Ände­ rungen. Vor allem ist die inzwischen angelaufene Litteratur nachgetragen, wobei man vielleicht etwas mehr Auseinandersetzung mit dieser und den in ihr aufgeworfenen Fragen hätte wünschen mögen. Wenn wirklich der Religionsbegriff wieder eine "brennende Frage" ist und der Prinzipienleh­ re - was sehr zu billigen ist - fast die Hälfte des ganzen Buches angewie­ sen werden musste, dann werden wohl in der Diskussion einige neue Ge1 Friedrich August Berthold Nitzsch: Lehrbuch der evangelischen Dogmatik (1 8921 , 1 896Z) .

Friedrich August Berthold Nitzsch: Lehrbuch der evangelischen Dogmatik

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sichtspunkte z u Tage getreten sein, und e s konnte nicht genügen, aus der alten Auflage nur den Satz wieder abzudrucken, dass "einige der allerneue­ sten Abhandlungen nicht mehr berücksichtigt werden konnten" (S. 44)2. In der That zeigt auch ein Blick in die betreffenden Verhandlungen, dass sie seit den achtziger Jahren eine ganze Reihe neuer oder neu nüancierter Pro­ bleme aufgenommen haben, wofür namentlich der Fortschritt der histori­ schen Theologie von Bedeutung gewesen ist. Die Strömungen, welche jetzt das freilich erst nach Nitzschs Dogmatik erschienene Buch Bernoullis3 be­ schreibt, waren doch schon vorher zu beobachten. So kommt es, dass das an sich vortreffliche und bewunderungswürdig solide Buch bereits biswei­ len einen etwas altmodischen Charakter trägt, so dass ich für die Prinzipi­ enlehre doch das etwas mehr in der lebendigen Diskussion stehende Buch Lobsteins4 vorziehen möchte. In der speziellen Dogmatik hat sich der Ver­ fasser ebenfalls zu keiner Berücksichtigung der ihm gemachten Einwürfe bestimmen lassen. Er hat die auffallende Voranstellung der Anthropologie vor der Theologie und die Einschränkung I der Soteriologie auf die Christologie beibehalten. Doch sind das Kleinigkeiten, da es in Wirklichkeit doch nur auf unterrichtende Behandlung der einzelnen Loci ankommt, die sich jeder selbst nach Bedarf systematisch anordnen mag. Besonderer Dank sei wiederholt für die dem Ganzen vorausgeschickte Skizze der Geschichte der 2 Vgl. dazu die Anmerkung, S. 44: "Um etwas Anderes als kurz begründete Lehn­ sätze handelt es sich in dem folgenden Abschnitt nicht; ebenso gehört dorthin nicht eine vollständige Geschichte des Gegenstandes; die erwähnten Religionsphilo­ sophen sind nur theils als Hauptvertreter, theils als neueste Vertreter der betreffen­ den Ansichten bevorzugt. Als solche können sie aber gerade jetzt, wo der Religi­ onsbegriff wieder eine brennende Frage ist, auch in der dogmatischen Principien­ lehre nicht fehlen. Einige der allerneuesten Abhandlungen konnten freilich nicht mehr berücksichtigt werden." Eine gleichlautende Anmerkung läßt sich bereits in der 1 . Auflage, S. 45, finden. 3 Carl Albrecht Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie (1 897) ; vgl. dazu auch Ernst Troeltsch: [Rez.] Carl Albrecht Bernoulli: Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie (1 898), oben, S. 334-348, und ders.: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 898), oben, S. 438 f. 4 Pau! Lobstein: Essai d'une introduction a la dogmatique protestante (1 895/96), deutsche Ü bersetzung: ders.: Einleitung in die evangelische Dogmatik (1 897) . Zur französischen Fassung siehe die Besprechung in: Ernst Troeltsch: Religionsphilo­ sophie und theologische Principienlehre (1 896), oben, S. 1 47 f., und ders.: Religi­ onsphilosophie und theologische Principienlehre (1 897) , oben, S. 295-298. Zur deutschen Fassung siehe Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 898), oben, S. 484.

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prot. Theologie.5 Ich hätte hier nur gewünscht, dass der durchaus schola­ stische, mit der katholischen Wissenschaft gemeinsame und aus der alten Scholastik herausentwickelte Charakter der Methode mehr betont worden wäre, wie ich das in meiner Arbeit über Melanchthon und Gerhard6 gezeigt habe. Dann wäre noch deutlicher geworden, wie sehr die orthodoxe Theo­ logie mit der ganzen übrigen Wissenschaft vor der Aufklärungsperiode zu­ sammengehört und wie sehr es sich seitdem um einen prinzipiellen Neubau handeln muss. Dieses bereits von H. Schultz geäusserte Bedenken (rh. L. Z. 1 892, c. 305') muss auch der neuen Auflage gegenüber wiederholt werden. Heidelberg. E. Troeltsch.

5 Vgl. dazu die Einleitung (S. 1-44) , besonders ,,§ 5. Ueberblick über die Geschichte der evangelischen Dogmatik" (S. 1 6-34) . 6 Ernst Troeltsch: Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanch­ thon (1 891) -> KGA 1 . 7 Hermann Schultz: [Rez.] Friedrich August Berthold Nitzsch: Lehrbuch der evan­ gelischen Dogmatik, 2. Hälfte (1 892) . "So dankenswerth es ist, daß die in der Ge­ genwart lebendigen dogmatischen Gegensätze in einer bisher in dogmatischen Compendien ganz unbekannten Gründlichkeit und Klarheit dem Leser anschau­ lich gemacht werden, - so hätte, wie mir scheint, das Werden der grundlegenden biblischen Gedanken in den Hauptlehrstücken eine eingehendere Darstellung ver­ langt. [... ]. [Die theologischen Anfanger] sollten doch stärker den Eindruck emp­ fangen, daß unsere gegenwärtige dogmatische Arbeit zwar entscheidend von der neuen religiösen Stellung bestimmt wird, welche in der Reformation gewonnen und in ihren Bekenntnissen bezeugt ist, daß aber die eigentlich theologische Ar­ beit des 1 6. u. 1 7. Jahrhunderts in keiner Weise für unsere Aufgabe mehr Förde­ rung zu bringen geeignet ist, als die der großen Lehrer der patristischen und scho­ lastischen Zeit." (Sp. 305) .

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Rothelitteratur Heinrich Julius Holtzmann: Richard Rothe (1 899) ; Wilhe1m Hönig: Richard Rothe (1 898)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Die Christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, hg. von Martin Ra­ de, 1 3. Jg., Nr. 1 , 5. Januar 1 899, Marburg i. H.: Verlag der Christlichen Welt (Martin Rade) , Sp. 1 8-1 9 (A) .

Rothelitteratur. Richard Rothe. Bilder aus der evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens V. Heidelberg, Evangelischer Verlag, 1 899. 48 Seiten. 0,80 Mk. Richard Rothe. Sein Charakter, Leben und Denken von Schwetschke und Sohn, 1 898. 2 Mk.

W.

Hö"nig. Berlin,

Der am 28. Januar 1 899 wiederkehrende hundertjährige Geburtstag Richard Rothes wird die Wirkung haben, die überaus anziehende und geradezu er­ baulich wirkende Persönlichkeit dieses Mannes und seine bei weitem noch nicht ausgeschöpften Gedanken wieder vor die gegenwärtig Lebenden zu stellen. Die Heidelberger Fakultät wird das Andenken an diesen ihren größ­ ten und ihr wie Baden mit besondrer Liebe zugethanen Theologen am 9. Fe­ bruar in einem Festaktus feiern, dem der Großherzog und die Großher­ zogin vielleicht die Ehre ihrer Teilnahme schenken.1 Ein vom Kirchenrat 1 Die Planung der Gedenkfeier der Theologischen Fakultät der Universität Heide!­ berg erwies sich als sehr konfliktreich, da Ludwig Lemme - ohne die Fakultät zu fragen - sich an die Spitze eines von ihm organisierten Festkomitees gesetzt hat­ te, das eine eigene Rothe-Feier kirchlich-konservativer Kreise abhalten sollte und bereits begonnen hatte, alle theologischen Fakultäten dazu einzuladen. Schließlich einigte man sich, und Troe!tsch hielt als damaliger Dekan in der Aula der Univer­ sität die Festrede. Vgl. Ernst Troe!tsch: Richard Rothe (1 899) -> KGA 1 . Zu Lud­ wig Lemme vgl. unten, Anm. 1 8, S. 558.

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Lemme gebildetes Komitee wird ihm ein durch Beiträge von Männern al­ ler Richtungen gestiftetes Denkmal in der Peterskirche setzen und damit ihm die verspätete und doch so wohl verdiente Anerkennung auch von der rechten Seite zu teil werden lassen.2 Eine ganze Anzahl von Schriften wird Leben und Gedanken des Mannes darstellen. So dürfen wir von diesem Ju­ biläum wohl eine vertiefende und stärkende Wirkung auf unser kirchliches und religiöses Leben erwarten. Ein Vorläufer dieser Veröffentlichungen ist das hier an erster Stelle genannte Heft, das eine kurze und populäre Skizze von Ho/tz l man� bietet und außerdem Rothes herrliche Predigt über "den Kampf zwischen Glau­ be und Unglaube an Jesum in den Herzen der Kinder unsrer Zeit."4 Diese Predigt spricht gerade auch das Programm der Christlichen Welt in einer mustergiltig einfachen und herzlichen Weise aus. Der Glaube an Jesus ist auch von Herrmann nirgends schöner und wahrer in seinem innersten We­ sen dargestellt worden. Schon diese Predigt allein würde die Anschaffung des billigen Heftchens lohnen. Es enthält aber außerdem den Anteil Rothes an dem oberkirchenrätlichen Votum über die Lehrfreiheits und damit ei­ ne leider so seltene Probe tiefer kirchenregimentlicher Weisheit, auf die im­ mer wieder hingewiesen werden muß. Das ist wirkliche Kirchenregierung im Sinne des Schleiermacherschen Kirchenfürsten, von der nicht in allen Konsistorien etwas zu entdecken ist. Den Schluß bilden Thesen über die gegenwärtige kirchliche Lage,6 die Rothes Gesamtanschauung in kürzester Form geben. Aus diesen sei nur der auch für unser Blatt maßgebende und von ihm stets befolgte Satz hervorgehoben: "Die Lehre angehend, muß die

2 Anläßlich des 1 00. Geburtstags wurde für die Heidelberger Peterskirche von Freunden und Schülern eine Büste Rothes gestiftet. 3 Heinrich Julius Holtzmann: Richard Rothe (1 899) . 4 Richard Rothe: Der Kampf zwischen Glauben und Unglauben an Jesum in den Herzen der Kinder unsrer Zeit. Predigt, gehalten am fünften Sonntag nach Tri­ nitatis 1 857, bei dem akademischen Gottesdienste zu Heidelberg, in: Holtzmann, S. 25-40. 5 Richard Rothe: Ueber kirchliche Lehrfreiheit. Prinzipieller, von Rothe verfaßter Teil des Erlasses des badischen Evang. Oberkirchenrates vom 1 7 . August 1 864 "Die Stellung des Kirchenrats Dr. Schenkel als Seminardirektor in Heidelberg be­ treffend", in: Holtzmann, S. 41-44. 6 Richard Rothe: Durch welche Mittel können die der Kirche entfremdeten Glie­ der ihr wiedergewonnen werden? Thesen zu seinem auf dem deutschen Protestan­ tentag zu Eisenach am 7. und 8. Juni 1 865 gehaltenen Vortrage, in: Holtzmann, S. 45-48.

Rothelitteratur

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Kirche Christum dem gegenwärtig lebenden Geschlecht verkündigen, also in seiner eignen Zunge, d. h. mittelst seiner eignen Empfindungen, Gedanken und Ausdrucksweisen, nicht in der einer längst vergangnen Zeit angehöri­ gen, jetzt fast lediglich historisch gewordnen dogmatischen Form, und über­ haupt in keiner satzungsmäßigen. Das wirkliche Bedürfnis der Zeitgenossen in diesem Punkte betrifft vielmehr die großen und einzigartigen Geschichtsthat­ sachen, vermöge welcher eine göttliche Offenbarung in der Welt ist. Von ih­ rer Thatsächlichkeit sich zu vergewissern und sie so richtig und vollständig verstehen zu lernen, als es mit den zur Zeit vorhandnen Mitteln möglich ist, das ist ihr Bedürfnis. Ihm muß die Kirche nach Kräften hilfreich sein. Sie kann es aber nur in dem Fall, wenn sie einerseits im Vertrauen zu ihrer heiligen Sache furchtlos die volle Freiheit der Untersuchung gewährt und andrerseits dafür Sorge trägt, daß die Ergebnisse ihrer theologischen Arbeit der nichttheologischen Gemeinde nicht vorenthalten bleiben, sondern nach Möglichkeit Gemeingut werden. "7 Ein fein durchdachtes und sorgfältig auf die Quellen begründetes Le­ bensbild giebt der Heidelberger Stadtpfarrer HifnigS, der noch persönlich ein Schüler Rothes war und daher seiner Darstellung den großen Vorzug einer intimen Kenntnis der ganz eigentümlichen Persönlichkeit Rothes ver­ leihen konnte. Damit ist bereits die Reihe der größern Darstellungen mit dem Anspruch auf eine tiefere geschichtliche Würdigung Rothes eröffnet. Die Einleitung giebt eine Gesamtcharakteristik Rothes,9 die sehr lehrreich ist, ihn aber doch vielleicht zu sehr von den Strömungen des allgemeinen Lebens isolirt, und wohl auch den Typus seiner Frömmigkeit als einen all­ zu selbständigen faßt. Das grüblerische und reflektirende Wesen Rothes spricht sich doch auch gerade in seinem religiösen Gefühl aus, das wohl eine außerordentliche Zartheit und Zähigkeit aufweist, aber keinen einfach geschlossenen und heroischen Charakter. Den Schluß bildet eine ebenso kurze als klare Skizze von Rothes theologischem Denken. Die Kürze war hier um so mehr erlaubt, als aus der Feder Holtzmanns eine Darstellung des

7 Bei Rothe heißt es zu Beginn: "Die Lehre angehend, muß sie Christum dem gegen­ wärtig lebenden Geschlecht verkündigen, also in seiner eigenen Zunge, d. h. mitte1st seiner eigenen Empfindungen, Gedanken und Ausdrucksweisen [...] . " (S. 46 f.) Desweite­ ren sind noch die Wörter "dogmatischen", "wirkliche", "das" in dem Teilsatz "das ist ihr Bedürfnis" und im direkten Anschluß "Ihm" hervorgehoben, die sonstigen Hervorhebungen stammen von Troeltsch. 8 Wilhe1m Hönig: Richard Rothe (1 898) . 9 Sie i s t mit "Richard Rothe" überschrieben und findet sich auf S. 1-3 1 .

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Rotheschen Systems bevorstand.1)10 Die Hauptmasse des Büchleins besteht in einer liebevollen und sorgfältigen Biographie, die jedoch keine neuern, über das bisher durch den Druck Bekannte hinausgehenden Quellen be­ nutzt. Das war bei dem reichen veröffentlichten Material auch wohl weder möglich noch notwendig. Der Nachdruck liegt daher auf der fein nachem­ pfindenden Verarbeitung des in Briefwechsel, Schriften und Abhandlungen vorliegenden Stoffes. Das Bild, das Hönig hier gezeichnet hat, wird niemand ohne lebhafte innere Bewegung lesen können, wie denn jede Beschäftigung mit Rothe den Leser zu beständiger innerer und persönlicher Auseinander­ setzung mit ihm nötigt. Möchte eine solche Auseinandersetzung von Vielen aus Anlaß dieses Gedenktages vollzogen werden. Troeltsch

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1) Inzwischen erschienen: Rothes spekulatives �stem. Dargestellt und beurteilt von Holtzmann. Freiburg, J. C. B. Mohr, 1 899. 5,60, gebunden 6,60 Mk.11

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10 Die Ü berschrift des Schlußkapitels "Die Grundzüge des Rotheschen Denkens" (S. 1 93-227) ist mit einer Fußnote versehen, die hinweist auf: Richard Rothe: Theo­ logische Ethik, 4 Bände (1 869-70) . 1 1 Vgl. dazu Ernst Troeltsch: Rothelitteratur, unten, S. 521-524.

Rothelitteratur Heinrich Bassermann: Rothe als praktischer Theologe (1 899) ; Heinrich Julius Holtzmann: Rothes spekulatives System, dargestellt und beurteilt (1 899) ; Heinrich Bauer: Richard Rothe als akademischer Lehrer (1 899) ; Richard Rothe: Briefe an einen jungen Freund (1 899)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Die Christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, hg. von Martin Ra­ de, 1 3. Jg., Nr. 1 4, 6. April 1 899, Marburg i. H.: Verlag der Christlichen Welt (Martin Rade), Sp. 327-328 (A) .

Rothelitteratur. Rothe als praktischer Theologe. Von H Bassermann. Freiburg, J. C. B. Mohr, 1 899. 1 02 S. 1 ,60 Mk. - Rothes spekulatives �stem, dargestellt und beurteilt. Von H J Holtzmann. Ebenda, 1 899. 269 S. Gebunden 6,60 Mk. ­ Richard Rothe als akademischer Lehrer. Vortrag von Heinrich Bauer. Ebenda, 1 899. 39 S. 60 Pfge. - Rothes Briefe an einenjungen Freund. Heidelberg, Petters, 1 899. 38 S.I)

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Zum Rothe-Jubiläum liegen nunmehr auch zwei Kundgebungen von an­ erkannten Meistern der Theologie vor, eine Darstellung der praktischen Theologie und Haltung Richard Rothes von Bassermannt , die zugleich die 1) Vgl. "Rothelitteratur" in Nr. 1 . Damit ist Alles besprochen, was uns bisher an Rotheschriften zugegangen ist. Inzwischen erschien auch die offizielle Festrede der Heidelberger Fakultät: Richard Rothe. Gedächtnisrede gehalten von Professor D. Ernst Troeitsch, 0 H2 z. Z. Dekan. Freiburg, Mohr. 39 S. 80 Pfge. 1 Heinrich Bassermann: Richard Rothe als praktischer Theologe (1 899). 2 Diese Anmerkung wurde von dem Herausgeber (,,0 H") Martin Rade eingefügt. Es handelt sich dabei um folgenden Vortrag: Ernst Troeltsch: Richard Rothe (1 899) ---+ KGA 1 .

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offizielle Denkschrift des von Rothe begründeten Heidelberger Theologi­ schen Seminars3 ist, und eine Darstellung und Kritik seines theosophischen Systems von Hoitzmann, zugleich eine Darlegung der eignen theologisch­ philosophischen Gesamtanschauung des Verfassers. Bassermann giebt in lichtvoller Entwicklung die theoretischen Grundlagen für Rothes praktisch­ kirchliches Verhalten in seinem Begriffe vom Wesen der modernen Landeskirchen, der sich seinerseits wieder in seine I entwicklungsgeschichtliche An­ schauung vom Wesen der Kirche eingliedert.4 Auf dieser Grundlage schil­ dert er dann die einzelnen praktisch-theologischen Bethätigungen Rothes, seine Stellung zu Kultus und Liturgie, zur Predigt, Katechetik, Seelsorge und Mission, zur Kirchenverfassung und Verwaltung und zu der Frage der kirchlichen Vorbildung der jungen Geistlichen in Seminaren.5 Vor allem aber ist das Büchlein durchdrungen von einem freudigen und in der Ge­ genwart nicht allzuhäufigen Bekenntnis zu den Grundzügen von Rothes Lehren über die Landeskirche und die in ihr ratsame Praxis - ein erfreuli­ ches Zeichen, daß der Geist Rothescher Auffassung kirchlicher Dinge nicht erstorben ist. Holtzmanns Buch6 giebt eine überaus treue und knappe Darstellung des Inhalts der Ethik ohne viel Rücksicht auf ihre Entstehung und ihre historisch-psychologische Bedingtheit. Es hat den seine Wirksamkeit allmählich zusammenfassenden Gelehrten offenbar gedrängt, an dem höchst eigentümlichen Stoffe der ihm genau vertrauten Ethik seine eigne Gesamtansicht zu entwickeln. Es liegt daher über dem ganzen Buche etwas Weihevolles, wie über einem theologischen Testamente. Die reiche umsichtige Bildung in allen philosophischen und historischen Dingen, der weite Horizont der ganzen Denkweise, die knappe, an treffenden Bildern und stimmungsvollen Andeutungen reiche Darstellung machen aus dem Buche viel mehr als man nach dem bloßen Titel vermuten würde. Indem Holtzmann im allgemeinen für die wissenschaftlich ernster interessirten Theologen die Notwendigkeit und das Recht der spekulativen 3 Rothe war der erste Direktor des am 1 8. Mai 1 838 eröffneten evangelisch-pro­ testantischen Predigerseminars Heidelberg. 1 867 wurde es in "evangelisch-prote­ stantisches theologisches Seminar" umbenannt. 4 Vgl. dazu den 1 . Teil: "Die Kirche und ihre Aufgabe in der Welt" (S. 1 5-3 1 ) . 5 Vgl. dazu den 2. Teil: "Die Thätigkeiten der Kirche" (S. 31-1 02), darin enthalten: ,,1 . Kultus und Liturgie" (S. 3 1 -42) , ,,2. Die Predigt" (S. 42-70) , ,,3. Lehre, Seel­ sorge und Mission" (S. 70-79), ,,4. Kirchenverfassung und Verwaltung" (S. 79-89) und ,,5. Theologenbildung und Seminar" (S. 89-1 02) . 6 Heinrich Julius Holtzmann: R. Rothe's speculatives System (1 899) . Eine Bespre­ chung dieses Titels findet sich auch in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 899), unten, S. 623.

Rothelitterarur

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Bearbeitung" der religiösen Lebensinhalte zugiebt, mäßigt er doch Rothes Spekulation derart, daß sie aus einer apriorischen zu einer aposteriorischen, von der Erfahrungswirklichkeit ausgehenden wird, ähnlich wie Wundt in seinem System das Wesen der Spekulation bestimmt hat.' Das Ergebnis dieser Spekulation ist für Holtzmann eine strengere Durchführung der Zeitlosigkeit des Weltprozesses, sofern er von Gott aus gedacht wird, und die strengere Einordnung der historischen Gestalt des Christentums in die allgemeine religionsgeschichtliche Entwicklung. Ein Bild von der akademischen Lehrthätigkeit Rothes zeichnet der Frank­ furter Pfarrer Baue,.s in einem vor dem akademisch-theologischen Verein zu Heidelberg gehaltenen Vortrage.9 Die biographische Einleitung zeigt, auf wie weiten Umwegen Rothe erst zur akademischen Lehrthätigkeit gelangte, wie lange er mit dem Ideal des Landpfarrers sich trug, wie segensreich seine praktische Amtsthätigkeit ihn für seinen Lehrerberuf vorbildete, wie sehr ihn aber auch seine Begabung auf diesen und nicht auf den Pfarrerberuf hinwies.1o Die Hauptsache bietet dann das von treuer Liebe belebte und al­ lerhand Anekdoten ausgeführte Bild von dieser Fähigkeit selbst.ll Man emp­ fängt einen lebhaften und rührenden Eindruck von der Einwirkung Rothes auf die akademische Jugend. Aus dem noch vorhandnen Schatze ungedruckter Rothe-Briefe hat der ehemalige Bremer Prediger Schwalb12 die an ihn gerichteten veröffentlicht. Das Interessanteste an ihnen ist die Thatsache, daß Rothe auch an eine so scharf kritische Natur in dieser Weise geschrieben und mit ihr ein freund­ schaftliches Verhältnis immer festgehalten hat. An Einzelheiten ist namenta

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7 Wilhe1m Wundt: System der Philosophie (1 889) . 8 Heinrich Bauer: Richard Rothe als akademischer Lehrer (1 899) . 9 Bauer schreibt auf S. 3: "Die nachstehenden Worte der Erinnerung an den großen, verehrungswürdigen Mann, dessen hundertjähriger Geburtstag der 28. Januar d. J. war, wurden durch eine mir von dem akademisch-theologischen Vereine in Hei­ delberg ausgesprochene Bitte veranlaßt, bei seiner Feier die Gedenkrede zu über­ nehmen." 10 Vgl. dazu ,,1 . Die Vorbereitung zum akademischen Lehrer" (Bauer, S. 1 0-1 9) und ,,2. Die Berufswahl" (Bauer, S. 1 9-2 1). 1 1 Vgl. dazu ,,3. Die Auffassung des Berufes" (Bauer, S. 21 -23) und ,,4. Die Aus­ übung des akademischen Lehramtes" (Bauer, S. 23-32) . 12 Richard Rothe: Briefe an einen jungen Freund, mit erklärenden Anmerkungen zu seinem hundertsten Geburtstag (1 899) . Der evangelische Theologe Moritz Schwalb (1 833-1 91 6) wurde 1 866 zum Dr. phi!. promoviert und wirkte danach bis zur Versetzung in den Ruhestand 1 894 als Pfarrer in Bremen.

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lich die Stelle interessant, wo Rothe sich zum alten Deutschland bekennt und sich vor dem Bismarckischen Deutschland etwas zu fürchten bekennt.13 Das wirft in der That viel Licht auf sein Wesen. Er gehört durch und durch der vernunftoptimistischen Zeit des alten Deutschlands an. Troeltsch

13 "Wir in unserm Deutschland haben eine wirre Zeit erlebt, und erleben sie noch immer. Daß unsre Vergangenheit untergegangen ist, das wissen wir wohl; aber was an ihre Stelle treten wird, das liegt noch ganz im Unklaren; und ohne einen unru­ higen und langwierigen Gährungsproceß wird es auch in keinem Falle zur Klar­ heit kommen. [...] Ich sehe wohl ein, es bricht für mein Vaterland eine neue Aera an, das deutsche Volk und das deutsche Leben wird eine wesentlich neue Physio­ gnomie erhalten - und ich zweifele nicht, daß sie eine schönere sein und daß über­ haupt die neue Wendung der Dinge ein Fortschritt, ja ein unumgänglicher Fort­ schritt in der Geschichte unseres Volkes sein wird; aber ich bin ein alter Mann, und als dieser darf ich ja wohl meine Schwachheit eingestehen, daß ich Gott herz­ lich dankbar dafür bin, daß er mein Leben in die Zeit des alten Deutschlands hat fallen lassen, das zwar politisch ohnmächtig war, aber dafür nach manchen ande­ ren Seiten hin lebensvoll kräftig pulsirte. Für die Bismarckerei und die Gewaltthä­ tigkeiten Preußens werde ich auch nie mich zu enthusiasmiren lernen, und mein moralisches Urtheil nie unter die Jurisdiktion dessen stellen, was man die Politik nennt." (Rothe, S. 30 f.) .

Richard Wimmer: Gesammelte Schriften (1 898)

Wimmers "Gesammelte Schriften" werden auch besprochen in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 898), oben, S. 482. Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Deutsche Litteraturzei­ tung, hg. von Paul Hinneberg, 20. Jg., Nr. 1 8, 6. Mai 1 899, Berlin: Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung) , Sp. 692 (A) .

R Wimmer, Gesammelte Schriften. 2 Bde. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr (paul Siebeck) , 1 898. VIII u. 392, VIII u. 386 S. 8°. M. 7. Für die Zusammenfassung der Betrachtungen und Meditationen Wimmers zu einem Bande verdient die Verlagsbuchhandlung herzlichen Dank. Sie ge­ hören zum Besten, was eine freie und zugleich wirklich lebendige Frömmig­ keit hervorgebracht hat. Sie zeigen alle charakteristischen Grundzüge des re­ ligiösen Lebens der Gegenwart: das Suchen und Streben, das die Gewissheit überwiegt, den undogmatischen Charakter, bei dem die Kernüberzeugung eine mit den historischen Grundlagen des Christenthums eng verwachsene Gefühlsstimmung ist und die einzelnen Gedanken in grosser Unsicherheit schweben, den Druck schwerer aus Wissenschaft und Leben erwachsender Probleme, die nicht die Reflexion, sondern der Wille und der Entschluss be­ siegt, die muthige Zuwendung zu den fortströmenden und forterzeugenden Quellen religiöser Erkenntniss im menschlichen Innenleben, die resignirte Ergebung in die Unauflösbarkeit zahlreicher schwerer und wichtiger Fragen und zugleich auch den tapferen, persönlich lebendigen Geist selbsterrunge­ ner innerer Erfahrung. So zeigen sie den Stand der Dinge besser als die Dogmatiken der meisten Systematiker. E. Troe/Iseh. Heidelberg.

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Rudolf Bendixen: Bilder aus der letzten religiösen Erweckung in Deutschland (1 897)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Deutsche Litteraturzei­ tung, hg. von Paul Hinneberg, 20. Jg., Nr. 22, 3. Juni 1 899, Berlin: Wilhelm Hertz (Bessersehe Buchhandlung) , Sp. 8 5 2 CA) .

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Rudo!fBendixen, Bilder aus der letzten religiösen Erweckung in Deutschland. Leipzig, Dörffling & Franke, 1 897. IV u. 444 S. 8°. M. 4. Eine populäre und erbauliche Darstellung mehrerer Persönlichkeiten, die an der "Erweckung", d. h. an dem Wiedererwachen des Pietismus und der Orthodoxie am Beginne unseres Jahrhunderts betheiligt waren. Neues aus den Quellen ist nicht geboten, die Quellen sind meist gar nicht zitirt. Der Standpunkt des Vf.s ist der herzlicher Zustimmung zu dem von der Er­ weckung gepredigten Kampfe gegen Frömmigkeit und Theologie des kriti­ schen Protestantismus. Die Abhandlungen, die ursprünglich in der Allgem. Ev.-Luth. Kirchen-Ztg veröffentlicht worden sind, sollen diesen Kampf an ihrem Theil fortsetzen, wenn auch ohne Schroffheit, doch mit gründlichster Geringschätzung Schleiermachers und ähnlicher Theologen. Die grosse kir­ chengeschichtliche Aufgabe, die Entstehung des deutschen Landeskirchen­ thums unseres Jahrhunderts aus der Erweckung darzustellen, ist damit nicht entfernt gestreift oder gar gelöst. Doch ist das Buch eine Mahnung daran, diese Aufgabe in die Hand zu nehmen, ehe alle persönliche Tradition von jener Zeit verschwunden ist, die sich nur aus Briefen und persönlichen Mit­ theilungen wirklich schildern lässt. Heidelberg. E. Troeltsch.

Georg von Below: Die neue historische Methode (1 898) ; Heinrich Rickert: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft (1 898)

Im März 1 899 dankte Troeltsch Heinrich Rickert für den Erhalt eines Ex­ emplars von "Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft". Er nutzte die Gelegenheit, dem Autor seine Überlegungen zum Thema ausführlich dar­ zustellen: "Verehrter Herr Kollege! Verzeihen Sie, daß ich mit Dank u[nd] Antwort auf Ihre Culturwissenschaft so lange gezögert habe. Ich hatte bis zur Rothefeier1 keinen freien Moment u[nd] stand nachher in der Kolleg-Knechtschaft, wollte aber doch Ihnen nicht ohne gründliche Lektüre schreiben. Das ist nun geschehen, u[nd] ich sage ihnen wie für die freundliche Sendung, so insbesondere für die außeror­ dentliche Anregung meinen herzlichen Dank. Es ist auch meine Meinung, daß die Kantische Erkenntnistheorie in der Hauptsache nur das naturwis­ senschaftliche (oder, wie ich allerdings lieber mit der engeren Fassung sa­ gen möchte, die Erkenntnis der Körperwelt; denn Ihre Erweiterung des Naturbegriffes, die auf der rein erkenntnistheoretisch-logischen, alle meta­ physische Unterscheidung ausschließenden Position beruht, kann ich mir nicht recht aneignen) Erkennen geregelt hat u[nd] daß es sich als eindrin­ gendes Bedürfnis erweist, die entsprechende Regulirung auch bei dem hi­ storischen Erkennen durchzuführen (wobei ich freilich wieder das Objekt in der menschlich-psychischen Welt sehen würde) . Aus den eingeklammerten Zusätzen ersehen Sie schon, daß ich gegen Ihre entscheidenden antimeta­ physischen Grundgedanken Bedenken trage u[nd] mich eher einer Formu­ lirung der Ausgangspunkte nähere, wie sie Dilthey versucht u[nd] wie sie auch Paul festhält. Es ist freilich hiermit dann auch das ganze Nest philoI

Gemeint ist die Feier der Heidelberger Universität anläßlich des hundertsten Ge­ burtstages von Richard Rothe am 9. Februar 1 899. Als Dekan hielt Troeltsch eine Rede, die anschließend veröffentlicht wurde; vgl. Ernst Troeltsch: Richard Rothe (1 899) --> KGA 1 .

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sophischer Schwierigkeiten beibehalten, das in der Frage nach dem Verhält­ nis von Geist u[nd] Natur überhaupt, Freiheit u [nd] Notwendigkeit liegt. Allein hier bleibt eben das unlösbare GrundX [siel] aller Philosophie, das sich durch eine rein bewußtseinsimmanente Fragestellung u [nd] die Verwan­ delung der metaphysischen Fragestellung u [nd] Widersprüche in logisch­ erkenntnistheoretische nur scheinbar verdecken läßt. Die Frage kehrt bei ihren Ausführungen auf Schritt u [nd] Tritt wieder, u [nd] in der Combinati­ on der beiden Methoden kehren auch die alten Schwierigkeiten wieder. So kann ich also an diesem Punkte nicht mit, wie ich denn glaube, daß kein ausübender Naturforscher u [nd] Historiker sich ganz wird mit ihren Thesen befreunden können. Er wird meinen, seine Methoden dem Verkehr mit dem Objekt zu verdanken u[nd] bei prinzipieller Betrachtung das im Verkehr mit dem Objekt durch den Zwang der Sache Gewonnene blos zu klären u [nd] zu verallgemeinern, u[nd] dabei dann immer zuletzt auf me­ taphysische Fragen stoßen. Insbesondere wird er als Naturforscher wie als Historiker nicht bloß vereinfachen u [nd] durch Vereinfachung intellektuell besitzen wollen, sondern er wird erklären, d. h. in beiden Fällen Sach- u [nd] Kausalverhältnisse ,abbilden' wollen, wobei für den Historiker die beson­ dere Complikation entsteht, daß er mit der Erklärung die Bewertung ver­ binden muß u[nd] daß ihm durch eine mehr oder minder bewußte Voraus­ setzung die für die Menschheit ,wertvollsten' Tendenzen mit den stärksten kausalen Kräften zusammenfallen u [nd] die Fälle des nicht Zusammenge­ hens als Abnormität u [nd] Probleme erscheinen. Wird diese Voraussetzung ins Bewußtsein erhoben, so wird natürlich auch sie zu einer metaphysischen Theorie mit allen entsprechenden Schwierigkeiten. Die Einwände, die ich hiermit mache, liegen nahe u [nd] werden von vie­ len gemacht oder wenigstens empfunden werden. Trotzdem verdanke ich ihrer vortrefflich klaren u [nd] eleganten Ausführung, die namentlich im zweiten Teil mir den ersehnten Aufschluß über Ihre positiven Ansichten in sehr lehrreicher Weise brachte, natürlich außerordentlich viel Anregung u [nd] Klärung in dieser wichtigen Frage. Ich habe mir daher erlaubt, unserer Litteratur-Zeitung eine Anzeige da­ von zu schicken. "2 Der Sonderdruck von Belows Aufsatz wird in der Bibliothek des Philo­ sophischen Seminars der Humboldt-Universität zu Berlin verwahrt. An den Seitenrändern finden sich Anstreichungen von Troeltschs Hand. 2 Brief Ernst Troeltschs an Heinrich Rickert, 1 0. März 1 899, Heidelberg, Universi­ tätsbibliothek, abgedruckt in: (Ernst Troeltsch) : Ernst Troeltschs Briefe an Hein­ rich Rickert, eingeleitet und hg. von Friedrich Wilhelm Graf (1 991), S. 1 08-1 1 1 , hier S. 1 1 0 -+ KGA 1 8/1 9 .

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Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literatur­ zeitung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 24. Jg., Nr. 1 2, 1 0. Juni 1 899, Leipzig: ]. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 375-377 (A).

Below, Prof. Dr. Georg von, Die neue historische Methode. (Aus: Historische Zeitschrift Band 8 1 , S. 1 93-273.) München, R. Oldenbourg 1 898. Riehrt, Prof. Dr. Heinrich, Kultunvissensehqft und Natunvissensehafl. Freiburg i. B., ]. c. B. Mohr, 1 898. (7 1 S. gr. 8.) M. 1 .40 Mit dem Zusammenbruch der Metaphysik, wie sie die drei theologischen Hauptschulen in den ersten zwei Dritteln unseres Jahrhunderts geübt ha­ ben, und der Entfaltung einer historischen Theologie, die auf das Christen­ thum nur die allgemein-historischen Methoden unter Absehung von jeder besonderen theologisch-christlichen Methode anwendet, sind einerseits die alten metaphysischen Probleme des Verhältnißes Gottes zur Welt u. s. w. - wenigstens vorläufig - zurückgetreten, andererseits aber neue Probleme principiell historischer Natur, wie die Frage nach dem Wesen des Entwicke­ lungsbegriffes, der historischen Methode überhaupt, des Verhältnißes ge­ schichtlicher Erkenntniße zu normativen, in den Vordergrund getreten. Wie diese Probleme für die Bildung unserer gesammten Weltanschauung immer bedeutsamer geworden sind und daher ein lebhafter Kampf um das Wesen und die Ziele der historischen Methode entbrannt ist, so haben sie auch für die Theologie eine grundlegende Bedeutung, einmal in Bezug auf die Me­ thode und Unabhängigkeit religionsgeschichtlicher Forschung, die von je­ der "naturwissenschaftlichen" Methode der Historie aufs äußerste bedroht wird, andererseits in Bezug auf die aus einer historisirenden Auffassung erwachsende Schwierigkeit für die Gewinnung religiöser Normwahrheiten. Im theologischen Jahresbericht habe ich daher diesen Fragen eine besonde­ re Rubrik gewidmet.1 So mögen auch hier zwei Schriften besprochen wer­ den, die sich mit ihnen beschäftigen und deren Verfasser eine Stellungnah­ me der Special forscher wünschen und zu wünschen ein Recht haben. Vom Standpunkte des historische Forschungen betreibenden Fachman­ nes äußert sich v. Below in einer allgemein als vortrefflich anerkannten Abhandlung, deren Zweck ist, das von Lamprecht vertheidigte Programm einer ,naturwissenschaftlich-empirischen', Naturgesetze der Geschichte an-

1 Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 899); gemeint ist die Rubrik ,,4. Religionsgeschichte und -Entwicklung", darin "Principielle hi­ storische Fragen", unten, S. 591-603.

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strebenden Historie zu bekämpfen.2 Man darf sich dabei zugleich Buckle's und Taine's erinnern, die für uns Theologen größere Bedeutung haben als Lamprecht, und der "Sociologen", von denen das früher besprochene Buch Barth's3 berichtet. Es ist v. Below nicht schwer geworden, die Haldosigkeit und Unsicherheit aufzudecken, mit der Lamprecht seine Theorien vorträgt, vor allem den principlos eklektischen Charakter, der sie so schwer faßbar macht. Er hat dem gegenüber mit vorzüglicher Klarheit das Recht der bishe­ rigen, auf der Romantik und den großen juristischen, philologischen und politischen Historikern fußenden Historie gezeigt und damit den I Boden ver­ theidigt, auf dem auch allein die Religionsgeschichte sich bewegen kann, oh­ ne zur Geschichte von Illusionen und Spiegelbildern wirthschafdicher Wün­ sche oder Klassenverhältniße zu werden und eben damit ihr eigenes Wesen aufzuheben. Es ist ein Unding, den Geschichtslauf von Naturverhältnißen und den damit zusammenhängenden wirthschafdichen Bedingungen aus­ schließlich oder auch nur in erster Linie abzuleiten. Es ist vollends ein Wahn, durch diese Ableitung, bei der ja doch immer noch rein psychische Factoren ins Spiel treten, Naturgesetze der Geschichte gewinnen zu wollen. Principi­ elle, auf Gegenstand und Methode des historischen Erkennens begründete Regeln versucht Below nicht zu gewinnen. Er weist nur das thatsächliche Scheitern aller Versuche naturwissenschafdich-gesetzlicher Behandlung der Historie nach und beruft sich mit Ranke, Sybel, v. Treitschke, Erdmanns­ dörffer, Volkelt und Dilthey darauf, daß das Element des historischen Ge­ schehens die Persönlichkeit und die Freiheit sei und daß dieses Element jede naturartige Behandlung durch sein Wesen ausschließe.4 Er steht also wohl im wesendichen auf dem Standpunkte Dilthey's, wonach die Psycholo­ gie die Grundwissenschaft der Geschichte sei und die hier zu gewinnende 2 Below bezieht sich hier auf den von dem Historiker Kar! Lamprecht (1 856-1 9 1 5) ausgelösten Methodenstreit und nennt folgende Schriften von Kar! Lamprecht: [Rez.] Kar! Theodor von Inama-Sternegg: Deutsche Wirtschaftsgeschichte des 1 0. bis 1 2. Jahrhunderts (1 895), ders.: Alte und neue Richtungen in der Geschichtswis­ senschaft (1 896), sowie ders.: Zwei Streitschriften den Herren H. Oncken, H. Del­ brück, M. Lenz zugeeignet (1 897) . Below schreibt: "Durch sie [die genannten Schriften] hat er den Versuch gemacht, die Principien der Forschung neu zu fun­ damentiren und so den ganzen Betrieb der Historie in andere Bahnen zu lenken. Dieser Versuch ist auch nach seiner Meinung vollkommen geglückt. Die Gegner, die gegen ihn auftraten, konnten nichts Stichhaltiges vorbringen. Ihr ,Wissen' und ihr ,geistiger Horizont' waren zu beschränkt." (Below, S. 1 93) . 3 Ernst Troeltsch: [Rez.] Paul Barth: Die Philosophie der Geschichte als Sociologie, 1 . Teil (1 898), oben, S. 349-354. 4 Vgl. zur Frage der persönlichen Freiheit den 3. Abschnitt (S. 209-230) und zu den Gesetzlichkeiten in der Geschichte den 4. Abschnitt (S. 230-251).

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Einsicht in die Möglichkeiten und Wirkungsweisen menschlichen Seelenle­ bens die historische Methode zu bestimmen habe. Noch zurückhaltender ist er gegenüber den weiteren Problemen des Entwickelungsbegriffes, des Ent­ wickelungszieles und des Verhältnißes normativer Wahrheiten zur Geschich­ te. Vom Entwickelungsbegriff nimmt er nur das Princip einer immanent­ psychologischen Erklärung des historischen Geschehens auf; die Möglich­ keit, Entwickelungsgesetze zu construiren, bestreitet er rundweg, da sie bis­ her noch immer unverwirklicht geblieben sei und da die Wechselbeziehung aller geschichtlichen Einzelgebiete zu anderen irgend eine reine Entwicke­ lungslinie zu gewinnen nicht gestatte.5 Das dem Historiker unentbehrliche Princip der Gruppirung der Thatsachen findet er ohne viel Untersuchun­ gen, in dem die deutsche Historie beherrschenden Begriffe einer Weltkultur, in welcher der Staat als der eigentliche Träger dieser Kultur eine besondere Bedeutung hat. Hierin ist - ohne daß v. Below das besonders hervorhöbe - der Niederschlag der idealistischen deutschen Geschichtsphilosophie ent­ halten und auch die Frage nach der Bedeutung der Geschichte für die Ge­ winnung von Normerkenntnißen wenigstens rudimentär beantwortet. Frei­ lich hat v. Below die hierin liegenden schweren, verwickelten und wichtigen Probleme nicht besonders herausgehoben und behandelt, wie das der bloße Historiker darf und kann. Schon der Religionshistoriker wird sich weniger leicht damit abfinden können, und vollends derjenige nicht, der von der Re­ ligionsgeschichte aus wesentlich die Gewinnung normativer Erkenntniße anstrebt, so bescheiden und bedingt er diese Normativität auch fassen mag. Es trifft sich daher vorzüglich, daß gleichzeitig ein Philosoph von Fach die principiellen historischen Fragen von den allgemeinsten Voraussetzun­ gen aus und mit dem umfassendsten geschichtsphilosophischen Endzweck behandelt. Rickert hat den Anlaß dazu in der Errichtung einer "Gesellschaft für Kulturwissenschaften" gefunden, die eine Parallele zur "Gesellschaft für Naturwissenschaften" bilden und ihr Programm entwickeln wollte.6 (Vergl. 5 Zu möglichen Entwicklungsgesetzen vgl. den 6. Abschnitt (5. 254-267) . 6 Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den Rickert anläßlich der ersten Sitzung der neugegründeten Freiburger "Kulturwissenschaft­ lichen Gesellschaft" am 3. November 1 898 hielt. Die Gesellschaft sollte, ähn­ lich wie im naturwissenschaftlichen Bereich die 1 821 gegründete "Naturforschen­ de Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau", den Austausch zwischen den Gei­ steswissenschaftlern in Freiburg befördern. Mitglieder waren neben Rickert un­ ter anderem die Historiker Alfred Dove (1 844-1 9 1 6) und Bernhard von Simson (1 840-1 9 1 5) , der Nationalökonom Carl Johannes Fuchs (1 865-1 934), der Rechts­ historiker Ulrich Stutz (1 868-1 938) und der katholische Theologe Franz Xaver Kraus (1 840-1 90 1). Rickert schreibt dazu: "Dass wir, die wir Theologie oder Ju­ risprudenz, Geschichte oder Philologie, Nationalökonomie und vielleicht auch

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hierzu auch die Anzeige v. Below's, Preuß. Jahrbb. 1 899, Bd. 95, S. 542551). Er faßt die Sache rein vom Standpunkte des Logikers auf, und zwar des neukantischen Logikers, der die Principien der Wissenschaften nicht aus dem Wesen der bewußtseins-transscendenten Objecte entnimmt, nach denen sich die ihnen gewidmete Methode zu bestimmen hätte, sondern aus den im Bewußtsein gegebenen Denkrichtungen, durch die erst die Ge­ genstände entstehen. So ist ihm Naturwissenschaft und Geschichtswissen­ schaft nur eine verschiedene Betrachtungsweise ein und desselben Objectes, unseres Bewußtseinsinhaltes, der I im ersten Fall unter dem Gesichtspunkte allgemeiner das Dasein bestimmender Gesetze, im zweiten Falle unter dem Gesichtspunkte individueller Werthe steht.' Die Methode ist im ersten Fal­ le daher die Bildung allgemeiner Gesetzesbegriffe, für deren Anwendung der Unterschied von Natur und Geist ganz gleichgültig ist, und im anderen Falle die Bildung von Werthbegriffen, die, von einzelnen historischen Er­ scheinungen aus gegeben und sich entwickelnd, eine allgemeine Bedeutung Philosophie treiben, in ähnlicher Weise wie die Physiker und Chemiker, die Ana­ tomen und Physiologen, die Biologen und Geologen durch gemeinsame Interes­ sen unter einander verbunden sind, darüber waren wir damals [bei der ersten vor­ bereitenden Zusammenkunft zur Gründung der Gesellschaft] wohl Alle einig. Bil­ det doch die Ueberzeugung von solcher Zusammengehörigkeit die Voraussetzung für die Begründung einer Gesellschaft, die als Seitenstück zu dem Verein der hie­ sigen Naturforscher gedacht ist. Aber während die Männer der Naturwissenschaf­ ten niemals im Zweifel darüber sein werden, wie das Band heissen soll, das sie zu­ sammenhält, so stellte sich bei uns nicht ohne Weiteres auch eine Bezeichnung für unsere gemeinsame Thätigkeit ein. Zwar haben wir uns schliesslich auf das Wort ,Kulturwissenschaftliche Gesellschaft' geeinigt, doch ist damals der Widerspruch dagegen wohl nur deshalb verstummt, weil Niemand ein besseres vorzuschlagen wusste." Heinrich Rickert: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft (1 899) , S. 5. 7 Vgl. den VI. Abschnitt (S. 35-44), in dem Rickert das Verhältnis zwischen Natur­ und Geschichtswissenschaft behandelt. "Während die Naturwissenschaft also dar­ auf ausgeht, mit ihren Begriffen eine möglichst grosse Anzahl von verschiedenen Vorgängen zu umfassen, wird eine historische Wissenschaft es erstreben, dass ih­ rer Darstellung möglichst wenige von einander verschiedene Objekte unterzuord­ nen sind, um dadurch dem Hörer oder Leser den einzigen Vorgang, den sie meint, möglichst nahe zu bringen. Die Naturwissenschaft, so können wir geradezu sagen, hat ein Stück der Wirklichkeit um so besser erklärt, je allgemeiner der Begriff ist, durch den sie es darstellt, je deutlicher das zum Ausdruck kommt, was dem Einzel­ nen mit dem Naturganzen gemein ist, und um so mehr daher der Inhalt des beson­ deren Objekts und der Inhalt des allgemeinen Begriffs sich von einander entfer­ nen. Die Geschichte dagegen geht darauf aus, eine Darstellung zu schaffen, deren Inhalt nur an dem einmaligen und individuellen Objekt sich finden soll." (S. 40) .

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für die Menschheit besitzen und letztlich zu einem System menschheitli­ cher Kulturwerthe zusammengehen. Daher ist die historische Methode auf das Individuelle gerichtet, in dem allein besondere Werthe hervorbrechen. Aber in diesen Werthen selbst sucht doch auch sie etwas Allgemeingülti­ ges, und daher muß sie ein allgemeingültiges System von Kulturwerthen anstreben, das sich zugleich als Werthabstufung unter dem Schema der Ent­ wickelung darstellen wird. Gegen den Unterschied von Geist und Natur ist auch sie hierbei gleichgültig. Die ganze Darstellung ist überaus klar und ge­ dankenreich, unter allen Umständen höchst belehrend, da sie in der That die wirklichen Probleme beleuchtet, für Theologen um so interessanter, als die neukantische Theologie hier vollkommen consequent die einzige für sie mögliche Unterlage entwickelt findet: ein erst aus der Ueberschau der hi­ storischen Welt zu gewinnendes System der objectiv gültigen Kulturwerthe. Sofern sie nicht noch andere, von der Geschichtswissenschaft unabhängige Voraussetzungen einführt, hat sie schlechterdings keine andere Basis. Ich meinerseits kann freilich den rein immanenten, antimetaphysischen Aus­ gangspunkt dieser ganzen Aufstellung nicht theilen und daher auch die üb­ liche Eintheilung in Natur- und Geisteswissenschaften (trotz der Bedenk­ lichkeit des letzteren Terminus) nicht für so verfehlt halten wie Rickert. Der Naturforscher wie der Historiker werden beide immer wieder behaupten, daß ihre Methoden durch die Objecte bestimmt sind und zwar durch den metaphysischen Charakter ihrer Objecte. Die Schwierigkeit, die für diese Eintheilung in der Frage nach dem Verhältniß von Natur und Geist über­ haupt und in der Behandlung und Bestimmung der Grenzgebiete besteht, ist wohl ein einleuchtender Grund für die Abneigung gegen sie. Aber die­ selben Schwierigkeiten kehren für den neukantischen Logiker wieder in den Mischgebieten der beiden Methoden, und obendrein bleibt ihm immer die beängstigende Frage nach den Objecten der Wissenschaft, deren wirkliche Beschaffenheit sie erfahren will und die sich nicht bloß anordnen und be­ urtheilen will. Der Historiker wird so wenig wie der Naturforscher darauf verzichten wollen, zu erklären, und so wird der eine mit seinen Gesetzen nicht bloß vereinfachen und der andere mit seinen individuellen Werthen nicht bloß eine Wertgradation herstellen wollen, sondern sie alle wollen im Verkehr mit den Objecten den Zusammenhang der Dinge erklären. Der Historiker hat andere Voraussetzungen, Mittel und Grenzen der Erklärung und kann neben der Erklärung die Gruppirung nach Werthgesichtspunkten nicht umgehen, aber die Begriffe der Typen, der Tendenzen und der allge­ meinen historischen Kräfte sind für ihn unentbehrlich und das Problem des Verhältnißes von Causalität und Teleologie in der Geschichte ist ebenso un­ umgehbar, als es durch eine solche Betrachtung nicht gelöst wird. E. Troeltsch. Heidelberg.

Ernst Vowinckel: Geschichte und Dogmatik (1 898)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literatur­ zeitung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 24. Jg., Nr. 1 2, 1 0. Juni 1 899, Leipzig: ). C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 377-379 (A) .

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Vowinckel, Dr. Ernst, Geschichte und Dogmatik. Eine erkenntnißtheoretische Untersuchung. Leipzig, A. Deichert Nachf., 1 898. (VII, 1 1 1 S. gr. 8.) M. 1 .60 Mit dem vorliegenden Büchlein habe ich das Unglück, daß es mir schlechter­ dings nicht gelungen ist, es zu verstehen. Nicht einmal seine eigentliche Absicht ist mir trotz Vorwort und Einleitung recht deutlich geworden. I Es han­ delt sich für den Verf., wie es scheint, um die Behauptung des Rechtes, die Geschichte nicht aus Causalgesetzen, sondern aus freier persönlicher Werth­ bildung zu deuten, welche Deutung zugleich Gestaltung der Geschichte ist und selbst als wirkender Factor in sie eingreift; sodann um die Frage, wie den verschiedenen derartigen großen Deutungsprincipien gegenüber ein ab­ solut normatives Princip der Geschichtsdeutung gefunden werden könne. Diese Fragen sucht er durch eine psychologisch-erkenntnißtheoretische Un­ tersuchung zu beantworten, die erst Naturerkennen und Geschichtserken­ nen in ihrem Unterschiede construirt, und dann das dem Geschichtserken­ nen anhaftende Problem des Relativismus durch Einführung des "theologi­ schen Erkennens"l, einer durch die Erleuchtung des der Seele einwohnen­ den Christus und den Zusammenschluß mit seinem geschichtlichen Thun bewirkten inneren Erfahrung, siegreich auflöst. Nach der theologischen Ma­ nier, den kleinen Finger irgend eines Philosophen zu nehmen, schließt sich der Verfasser an die sehr willkürlich herausgegriffene Abhandlung Dilthey's über "beschreibende und zergliedernde Psychologie"2 an, die ihm als Aus-

1 Im vierten Kapitel (S. 58-78) geht es um "Das theologische Denken". 2 Vowinckel erwähnt auf S. 1 1 in einer Anmerkung Wilhe1m Dilthey: Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie (1 894) .

Ernst Vowinckel: Geschichte und Dogmatik

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druck "der philosophischen Zeitlage"3 gilt. Damit combinirt er einige Ge­ danken von Steffensen und Claß ohne jedes Gefühl für die sehr isolirte Stel­ lung dieser Gedankenbildungen in dem gegenwärtigen Denken und für die wirklichen von diesen Gelehrten behandelten Probleme. Den Unterschied von Naturerkennen und Geschichtserkennen erledigt er sehr rasch, wenn auch in einer mir gänzlich unverständlichen Weise. Das erstere vollzieht sich ihm nach einem Gesetz der "einfach persönlichen Motivation", d. h. wohl nach dem in Substantialität und Causalität sich darstellenden Gesetz der Ue­ bertragung der Seele und ihres Handelns in die Außenwelt, das letztere nach einem "Gesetz der doppeltpersönlichen Motivation"4, d. h. wohl, daß zu der Auffassung der Naturdinge die Auffassung der an ihnen wirkenden und in diesen Wirkungen erkennbaren historischen Persönlichkeiten noch hinzu­ kommt. Dazu setzt der Verf. naiv genug hinzu: "Man wird sich vielleicht wundern, daß dies Gesetz der doppeltpersönlichen Motivation sich an das der einfachen, welches ja ein solches der Natur ist, anschließen läßt."s Die historische Erkenntniß der Individualitäten und der aus ihnen hervorbre­ chenden, eine Mehrzahl von Individuen beherrschenden Gruppeninhalte führt zu dem Problem des Verhältnißes dieser Gruppeninhalte zu einander und zu der Frage nach einem Beurtheilungsmaßstab. Diesen Maßstab liefert das theologische Erkennen, das ebenfalls psychologisch construirt wird, in­ sofern dem Natur- und Geschichtserkennen als gemeinsame "Urfunktion" die Selbsthingabe und Selbstbehauptung der Seele zu Grunde liegt, diese Ur­ funktion aber ihren höchsten Ausdruck in der Hingabe an Gott in Christus finder6, welche Hingabe zugleich Selbstbehauptung gegen Welt und Sünde 3 Vowinckel konstatiert in einem einleitenden Kapitel zu den Grundlagen der Gei­ steswissenschaft (S. 1 1-1 7) : "Verstehen wir Erkenntnistheorie in dem engeren Sinn des mit apriorischen Momenten des Denkens operierenden Rationalismus (franscendentalismus), so müssen wir gestehen, dass diesem gegenüber durchaus die Psychologie den Sieg davongetragen hat." (S. 1 1) Das sei die "beschriebene Zeitlage der genannten philosophischen Disziplinen" (S. 1 4) . 4 "Die Objekte der natürlichen Wahrnehmungen werden aufgefasst und ordnen sich im Inneren der Seele zu einem Ganzen von Begriffen. Sie können persön­ lich motiviert werden, indem ihr Begriff den Einfluss geistigen Handelns in sich schliesst und sie so für die Persönlichkeit gewertet werden. Fassen wir dagegen die geschichtlichen Vorgestellten auf, so müssen wir in ihren Begriff an Stelle der ein­ fachen persönlichen Motivation die doppelte aufnehmen." (S. 46) . 5 Vowinckel, S. 47. 6 "Wenn die der Erfahrung entnommene Analyse des seelischen Bestandes der christlichen Persönlichkeit die letzte Erklärung für alle Erscheinungen des Seelen­ lebens in der Selbsthingabe und Selbstbehauptung an Gott fand und diese Urfunk­ tion €:v XpLo-riil geschieht, so mag nun diese Analyse noch einige Schritte weiter

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ist und nur im Zusammenschluß mit den Heilsthatsachen stattfinden kann. Damit ist dann das Problem des Verhältnißes von Geschichte und Dog­ matik gelöst und die theologische Principienlehre von der Geschichte aus begründet. Es fehlt dem Verf. nicht an Gedanken und richtigen Beobachtungen. Vor allem hat er - allerdings wohl unter dem Einfluß des Erlanger Philosophen Claß und nicht aus eigenem Antrieb - sich das theologische Hauptpro­ blem wirklich von der richtigen Seite gestellt. Aber das entsetzlich schlechte Deutsch und die überaus unlogische und unpräcise Ausdrucksweise machen schon an sich die Lectüre zu einer Qual. Dazu kommt aber noch der Mangel an wirklicher Vertrautheit mit den Problemen und Lösungsversuchen und die chaotische Unklarheit einer noch in voller Gährung begriffenen, studen­ tenhaften Denkweise. Zum Beweise hierfür will ich nur einige Sätze anfüh­ ren: "Man denkt jetzt nicht mehr in den Kategorien Hegels und behauptet die Entbindung aller Forschung von metaphysischen Gespinnsten" S. 2.a I "Der (Geschichts-)Forscher7 stellt sich der Wirklichkeit gegenüber und be­ herrscht sie mit seinen Gedanken; und doch ist der Inhalt dieser Gedanken ein solcher, daß er ihre Perception zu einem unverständlichen Phänomen macht" 2. "Die Philosophie gebührt der Geschichtsschreibung als vorheri­ ge Zurüstung" 3.8 "Der Betrachter der Geschichte kann sich Selbst in der Geschichte sehen, ohne daß diese Perception von der ihm dort gestellten Lebensaufgabe verschlungen wird" 8.9 "Ein bleibendes Etwas hinter den Factoren oder über ihren Combinationen wird von dem leitenden Princip, welches gewissermaßen den Eckstein des Inhaltsgebäudes des Geistes aus­ macht, ergriffen und zu erkennen gesucht" 9.10 "Die geistigen Inhalte sind eben verschieden: doch nur einer wird genügend sein, um aller Existenz zu erklären" 9. "Die dem Erkennen zu Grunde liegende Psychologie" 1 2. "Die a

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geführt werden. Sie wird schliesslich dann mit bestimmten Auffassungsarten der Geschichte zusammentreffen." (S. 72) . Der Zusatz ,,(Geschichts-)" stammt von Troeltsch. Das Zitat lautet bei Vowinckel ,,[ ... ] die Philosophie analysiert mit kritischer Schär­ fe. Sie gebührt der Geschichtsschreibung als vorherige Zurüstung." (S. 4) . Bei Vowinckel heißt es: "Der Betrachter der Geschichte fühlt sich in der Ü ber­ schau über dieselbe frei und sozusagen herrschend. Er kann sich selbst in der Ge­ schichte sehen, ohne dass diese Perzeption von der ihm dort gestellten Lebensauf­ gabe verschlungen würde." (S. 8) . Bei Vowinckel beginnt der Satz: "Ein bleibendes Etwas hinter oder über den Fak­ toren und ihren Kombinationen [.. .]" (S. 9) .

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Ernst Vowinckel: Geschichte und Dogmatik

Aehnlichkeit der modernen philosophischen Psychologie mit derjenigen der Theologie mag vielleicht nicht so zwingend erscheinen, daß darauf sich eine Methode der Untersuchung gründen ließe" 1 7.11 "Die so andeutend herge­ stellte Abrundung und Vereinigung der Psychologie und der Elemente der Erkenntnißtheorie bedürfte nun natürlich einer in die Enge und Weite fort­ schreitenden Analyse, um zu einer Wissenschaft von dieser Sache zu wer­ den" 26. "Die Wahrnehmung der Außenwelt verneint weder die Existenz derselben, noch bejaht sie die Fähigkeit der Sinneseindrücke, aus sich selbst in einer der Seele conformen Weise sich ihr mitzutheilen" 32. "Die Vertie­ fungen der Vorstellungen zu Gedanken und Inhalten geschieht in und durch die geistige Seele" 32.12 U. s. w. Sigwart wird als Sigwardt citirt 1 913. Troeftsch. Heidelberg.

1 1 Der Zusatz "modernen philosophischen" stammt von Troeltsch. 12 Die Hervorhebung stammt von Troeltsch. 13 Vgl. Anm. 1 , S. 1 9: "S. auch Sigwardt: ,KJeine Schriften', zweite Reihe [ .. .)" Ge­ meint ist Christoph Sigwart: KJeine Schriften, 2. Reihe (1 881). .

Auguste Sabatier: Die Religion und die moderne Kultur (1 898) ; Pierre Danie! Chantepie d e la Saussaye: Die vergleichende Religionsforschung und der religiöse Glaube (1 898) ; Hans Martensen Larsen: Jesus und die Religionsgeschichte (1 898) ; Nathan Söderblom: Die Religion und die sociale Entwickelung (1 898)

Das Buch Hans Martensen Larsens, "Jesus und die Religionsgeschichte" (1 898), wird auch besprochen in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 899), unten, S. 6 1 1 . Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literatur­ zeitung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 24. Jg., Nr. 1 3, 24. Juni 1 899, Leipzig: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 398-400 (A) .

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Sabatier, Prof. Dekan August, Die Religion und die moderne Kultur. Vortrag auf

dem ersten religionswissenschaftlichen Kongreß in Stockholm, gehalten am 2. September 1 897. Mit Genehmigung des Verfassers aus dem Französi­ schen übersetzt von Pfr. G. Sterze!. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr, 1 898. (52 S. M. -.80 gr. 8.)

Chantepie de la Saussaye, Prof. 0. P. 0., Die vergleichende Religionsforschung und der religiöse Glaube. Vortrag, gehalten auf dem ersten religionswissenschaftlichen

Kongresse in Stockholm am 31 . August 1 897. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr, M. -.60 1 898. (III, 36 S. gr. 8.)

Larsen, Pfr. Lic. H. Martensen, Jesus und die Religionsgeschichte. Vortrag auf

dem ersten religionswissenschaftlichen Kongreß in Stockholm, gehalten am 3. September 1 897. Mit Genehmigung des Verfassers aus dem Dänischen übersetzt von Pfr. Dr. G. Sterze!. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr, 1 898. (32 S. gr. 8.) M. -.60

Sabatier / Chantepie de la Saussaye / Larsen / Söderblom

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SOderblom, Pfr. Nathan, Die Religion und die sociale Entwickelung. Vortrag auf dem ersten religionswissenschaftlichen Kongreß in Stockholm, gehalte'n am 3 1 . August 1 897. Freiburg i. B., ]. C. B. Mohr, 1 898. (lII, 96 S. gr. 8.) M. 1 .60 Der Stockholmer religionswissenschaftliche Congreßt gehört mit zu den be­ deutsamen und erfreulichen Zeichen der Zeit, insofern er einen der Versu­ che ruhiger und sachlicher Verständigung über die religiöse Lage bedeutet und damit das Vorhandensein einer von allen kirchlichen Besonderheiten unabhängigen Gemeinde darstellt, die die Probleme als offene anerkennt und im gemeinschaftlichen Suchen sich verbunden fühlt. Wie würde Rich. Rothe über eine solche unkirchliche Vereinigung sich gefreut haben! In der That sind auch die Themata so gewählt, daß in ihnen die brennenden Haupt­ fragen zur Besprechung kommen. Sabatier behandelt in der bekannten eleganten und lichtvollen Weise die allgemeine Lage, die Frage nach dem bestehenden und auf der bestehenden Grundlage sich weiter entwickelndem Verhältniß von Religion und moder­ ner Kultur. Er giebt hierbei eine Zusammenfassung der Grundgedanken sei­ ner Esquisse d'une philosophie de religion, über die ich mich bereits an anderem Orte (Deutsche L. Z. 1 898, Nr. 1 93) ausführlich ausgesprochen habe. Seine Auffassung entspricht dem Neukantianismus der deutschen Theologie, nur mit starker Zurückdrängung der bei dieser noch vorwiegenden kirchlichen Interessen und in Folge dessen stärkerer Versöhnung von Religion und Kultur, die sich Sabatier in der I Weise Rothe's in kirchen freier moderner Kultur innerlich geeinigt denkt wie das beseelende Princip und den von ihm be­ seelten Leib. Von dieser Einheit und ihrer Wirkung auf Wissenschaft, Staat, Gesellschaft, Kunst, Literatur, Moral und religiöse Gemeinschaft entwirft er ein begeistertes Zukunftsbild. Freilich stehen gegen diese Bestimmung des Verhältnißes von Religion und Sittlichkeit die schwersten Bedenken. Es hat bisher in der Wirklichkeit niemals sich herstellen lassen und ist von allen, die es verkündigen, nur als ein Zukunftsprogramm geschildert worden, womit doch wohl angedeutet ist, daß in der wirklichen Sache schwierige Antinomien bestehen. Auch das Verhältniß von Religion und Wissenschaft, bei dem 1 Es handelt sich hierbei um den Ersten Religionswissenschaftlichen Kongreß, der vom 3 1 . August bis 4. September 1 897 in Stockholm stattfand. Zum Verlauf vgl. [Anonym] : Der religionswissenschaftliche Kongreß in Stockholm (1 897) . 2 August Sabatier: Die Religion und die moderne Kultur (1 898) . 3 Vgl. Ernst Troeltsch: [Rez.] Auguste Sabatier: Esquisse d'une philosophie d e Ja religion d'apres la psychologie et l'histoire (1 898), oben, S. 328-333. Troeltsch bespricht die erste Auflage auch in: ders.: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 898) , oben, S. 39 1 .

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die Wissenschaft als besondere Erkenntnißquelle, die das causale Weltbild hervorbringt, und die Religion als besondere Erkenntnißquelle, aus der die Gemüthserfahrung von Gott hervorgeht, neben einander gestellt werden, ist m. E. unhaltbar. Um einen groben Vergleich zu gebrauchen, so kommt mir das immer vor, wie wenn jemand über das Verhältniß der Schuhnägel und der Schuhmacherkunst reden wollte und dabei obendrein dieses Ver­ hältniß fortwährend mit dem zwischen Schuhnägeln und Schuhleder ver­ wechselte. Chantepie de la Saussqye4 greift das brennendste Problem der Lage her­ aus, die Beziehung der allgemeinen vergleichenden Religionswissenschaft zu der Betrachtung des Christenthums als normativer Religion. Er verweist auf die parallelen Wirkungen der Erweiterung des religionsgeschichtlichen Horizontes bei Herodot, den Sophisten, der römischen Kaiserzeit, der mon­ golischen Dynastie, den Kreuzzügen und der Renaissance, erkennt aber an, daß die historisch-wissenschaftliche Behandlung und die Weite des gegen­ wärtig erschlossenen Horizontes eine ganz neue Lage geschaffen haben.5 Seine Ausführungen über das so gegebene Problem sind dann freilich sehr unsicher und ergebnißlos. Er betont nur gegenüber den Neigungen, die Re­ ligion aus den Erscheinungen bei Naturvölkern zu erklären, die Unmög­ lichkeit, sie von historischen Erscheinungen aus überhaupt zu erklären, und gegenüber den Vers uchen, aus der Historie durch den Entwickelungsbegriff und durch die Construction von Entwickelungsgesetzen die normative und die Zukunft beherrschende Wahrheit zu finden, die Nutzlosigkeit aller allge­ meinen Begriffe und die Bedeutung der Freiheit und des Individuellen auf dem Gebiete des Historischen. Schließlich findet er den Werth dieser Studi­ en dementsprechend lediglich in der schärferen Erfassung des individuellen Charakters des Christenthums, was er an dem Aufweis der nur scheinbaren Aehnlichkeit des Buddhismus erläutert.6 Allein solche Sätze sprechen doch nicht mehr als einen sehr vereinzelten richtigen Gedanken aus. Gerade die Hauptfrage nach dem Rechte der von diesen historischen Individualitäten 4 Pierre DanieJ Chantepie de la Saussaye: Die vergleichende Religionsforschung und der religiöse Glaube (1 898) . 5 Vgl. den 3. Abschnitt (S. 9-1 3), den Chantepie mit den Worten einleitet: "Es herrscht heutzutage in der Welt, sowohl innerhalb als ausserhalb des Christen­ thums, ein Gefühl, dass neue Fragen und neue Aufgaben der Menschheit gestellt werden, und speciell auf dem tiefsten Gebiet des Lebens, dem religiösen, zu lösen sind. Es ist uns manchmal, als erlebten auch wir eine ,Fülle der Zeiten', oder we­ nigstens als kündige eine solche sich an." (S. 9) . 6 Siehe den Vergleich zwischen Christentum und Buddhismus im Abschnitt 1 0 (S. 28-32) .

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beanspruchten Allgemeingültigkeit und nach der Möglichkeit, diese Fragen von der Historie aus zu beurtheilen, ist gar nicht aufgeworfen. Die Bedin­ gungen ihrer Lösung sind gar nicht untersucht, und auch eine Lösung von anderen Voraussetzungen aus, etwa von einem offenbarungsgläubigen Su­ pranaturalismus oder von einem metaphysisch-philosophischen Kriterium aus, ist nicht angedeutet. Auch die wichtige Frage nach dem Verhältniß des Allgemeingiitigen zum thatsächlich allgemein Hemchenden, die vom Suprana­ turalismus durch die Sündenlehre und von der Entwickelungslehre durch ein von ihr irgendwie construirtes Verhältniß von Causalität und Teleolo­ gie beantwortet wird, ist gar nicht aufgeworfen, ebensowenig die nach dem Verhältniß des Typischen zum Individuellen. All diesen schwierigen und un­ mittelbar aus der Sache erwachsenden Problemen ist doch nicht abgeholfen durch den Satz, "daß es sich beim Einfluß der Religionswissenschaft auf den Glauben nicht ausschließlich und selbst nicht in erster Linie um Resultate, son­ dern um geistige Einwirkungen handelt", (S. 1 2)' oder durch den Hinweis auf den "Grund I fehler in der Moral unserer Zeit, daß man sich in seinem Leben, Denken und Handeln nicht nach ewigen Principien, nach inneren Ueberzeugungen, nach dem, was außer der Welt sich unserem Geiste als das Höchste bekundet, nach innerer Erleuchtung und unwiderstehlichen Ge­ fühlen, worin absolute Forderungen an uns gestellt werden, sondern nach den Strömungen der Welt und des Zeitgeistes richtet" (S. 20)8. Das trifft höchstens den Positivismus, aber das erhellt doch nicht das schwierige Problem der Bedeutung der Historie und historischer Thatsachen für die Theologie. Im Gegentheil, die widerspruchsvollen, mit halben Andeutungen ar­ beitenden Aphorismen des Vortrages machen es erst recht dunkel. Einen Ausschnitt aus diesem Problem, das Verhältniß der Person Jesu zu anderen großen religiösen Persönlichkeiten, behandelt Martensen Larsen9 mit 7 Der Satz lautet bei Chantepie vollständig: "Fassen wir alle diese [vorher dargestell­ ten] Richtungen in's Auge, so ist es uns deutlich, dass es sich beim Einfluss der Re­ ligionswissenschaft auf den Glauben nicht ausschiiesslich und selbst nicht in erster Linie handelt um Resultate, sondern um geistige Einwirkungen." (S. 1 2) . 8 Das Zitat lautet i m Zusammenhang: "Die Entwicklung, welche wir voraussehen, wollen wir auch machen helfen; wir schliessen uns dem erkannten Gesetz an, und die wissenschaftliche Erkenntniss wird uns so zur Führerin des Lebens. Was ich hier berühre, ist in meinen Augen einer der tiefsten Grundfehler in der Moral un­ serer Zeit. Man richtet sich in seinem Leben, Denken, Handeln nicht nach ewigen Principien, nach inneren Ueberzeugungen, nach dem, was ausser der Welt sich un­ serem Geist als das Höchste bekundet, nach innerer Erleuchtung und unwider­ stehlichen Gefühlen, worin absolute Forderungen uns gestellt werden - sondern man richtet sich nach den Strömungen der Welt und des Zeitgeistes." (S. 20) . 9 Hans Martensen Larsen: Jesus und die Religionsgeschichte (1 898) .

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der Absicht, zu zeigen, daß die "nivellirende allgemeine Religionsgeschich­ te" nicht im Stande sei, "Jesus zu einer allgemeinen religionsgeschichtlichen Größe zu redudren und ihn seiner Originalität zu berauben".1° In dieser zweideutigen Formulirung der Frage steckt schon die ganze dogmatische Präoccupation. Dieselbe steckt dann weiter darin, wenn die Originalität Je­ su religionsgeschichtlieh in dem ihm ganz eigenthümlichen Bewußtsein der "Gottessohnschaft" gefunden wird, wobei die Vieldeutigkeit dieses Wortes sehr ausgenutzt wird.1t Den Schluß bildet die einfache Auflösung des Pro­ blems. Die Wissenschaft constatirt dies einzigartige Bewußtsein, der Glau­ be glaubt an die Berechtigung dieses Bewußtseins und an die, wenn das Bewußtsein Grund in der Wirklichkeit hat, ganz selbstverständliche Wun­ derhaftigkeit des Lebens Jesu. Der ganze Vortrag hat mehr rhetorischen Charakter. Dem gegenwärtig dringlichsten Problem der christlichen Ethik, der Frage nach dem Verhältniß des Christenthums zu der gegenwärtig sich vollziehenden sodalen Umschichtung, ist die etwas wortreiche Abhandlung Söderblom's12 gewidmet. Sie zeichnet sich durch eine nicht allzuhäufige Einsicht in den Doppelcharakter des Christenthums aus, das in logischem Widerspruch, aber in voller praktischer Verträglichkeit einerseits die Ge­ müther für die obere Welt sammelt und insofern eine Tendenz zu Askese und Weltflucht besitzt, andererseits aber in der Bruderliebe die Gemüther an allen menschlichen Geschicken und an deren für das persönliche Leben möglichst dienlicher Gestalt interessirt und insofern eine Tendenz zur Sichtung innerweltlicher Lebensordnungen besitzt. Von hier aus leitet S. die Haltung des Christenthums zu der augenblicklichen Wandelung in der sodalen Schichtung ab als eine wesentlich innerlich unabhängige, aber zum Dienste für die emporstrebende Classe verpflichtende. Die andere Seite des Themas, die Betrachtung des sodalen gegenwärtigen Processes selbst, ist freilich sehr ungenügend behandelt. Hier herrscht die "Sodologie" und 10 Larsen schreibt über das "wunderbar hohe Bild" (S. 6) , das die Bibel von Jesus ge­ be und das "über unsere alltägliche Erfahrung hinausgeht und in derselben ohne Analogie ist." (S. 7) "Hier kommt nun die nivellierende Religionsforschung und sagt, dass sie Rat weiss. Mit Hilfe der allgemeinen Religionswissenschaft unter­ nimmt sie es, Jesus zu einer allgemeinen religionshistorischen Grösse zu reduzie­ ren und ihn seiner Originalität zu berauben." 11 Vgl. Larsen, S. 1 5: "Alle Anderen waren nur Menschen, waren, wie wir, von unten, von der Erde, Jesus Christus war mehr, war Gottes Sohn, war von oben her, vom Himmel." Das Entscheidende daran sei aber, daß Jesus sich auch als Gottes Sohn gefühlt habe (S. 1 6) . Dieses "Sohnesbewusstsein" (S. 1 8) sei das "Tiefste in ihm" (S. 1 9) . 12 Nathan Söderblom: Die Religion und die soziale Entwickelung (1 898) .

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der "Evolutionismus" mit ihren "Naturgesetzen".u Die tieferen Fragen, wie überhaupt die von der Religion zu erbauende geistige Welt sich zu dem natürlichen Unterbau menschlicher Interessen und Gemeinschaftsbildun­ gen verhalte und wie weit überhaupt das Christenthum hoffen kann, diese Naturgrundlage zu bewältigen und zu reguliren, sind nicht aufgeworfen. Sie liegen aber eigentlich auf dem Grunde des von ihm behandelten Problems. Troeltsch. Heidelberg.

13 Dies kann bei Söderblom nicht in solcher Eindeutigkeit nachgewiesen werden, vgl. vielmehr S. 8 f.: "Die Methode, welche auf dem Gebiete der Naturwissenschaften Wunder gewirkt hat, hat auch auf die Entwickelung des menschlichen Gemeinwe­ sens angewandt gute Resultate ergeben. Doch zeigt dieses letztere Gebiet nicht die klare Regelmässigkeit wie das der Naturwissenschaften."

Johann Baptist Heinrich: Dogmatische Theologie, 8. Band (1 897)

Troeltschs Rezensionsexemplar wird in der Bibliothek der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin verwahrt. An den Seitenrän­ dern finden sich Anstreichungen von Troeltschs Hand. Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literatur­ zeitung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 24. Jg., Nr. 1 6, 5. August 1 899, Leipzig: ]. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 464-465 (A).

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Heinrich, weil. päpstl. Hausprälat Gen.-Vicar Domdec. Prof. Dr. J. B., Dogma­ tische Theologie. Fortgeführt durch päpstl. Geheimkämm. Prof. Dr. Constan­ tin Cutber/et. 8. Bd. Mainz, F. Kirchheim, 1 897. (VII, 696 S. gr. 8.) Das große dogmatische Lehrbuch Heinrich-Gutberlet's ist hiermit bei dem achten Bande angelangt und damit bei dem Lehrstück von der Gnade, das neben dem Lehrstück von der die Gnade ausspendenden Kirche den wich­ tigsten Platz einnimmt und mit diesem zugleich der Ort der stärksten, in der heutigen katholischen Theologie noch möglichen individuellen Beson­ derheiten ist.1 Er ist wie die übrigen Bände des Lehrbuches charakterisirt durch die ruhige und nüchterne, rein schulmäßige Darstellung, ohne einen Hauch von Mystik, Theosophie oder Speculation. So wird mittelmäßigen oder untermittelmäßigen Schulköpfen die Dogmatik eingedrillt. Dabei ist aber die Gesammthaltung eine wissenschaftlich-ruhige und in der confessio1 Die "Dogmatische Theologie" von Johann Baptist Heinrich erschien in zehn Bän­ den von 1 873 bis 1 904. Nachdem Heinrich am 9. Februar 1 89 1 verstorben war, wurde die Bearbeitung der Bände 7 bis 1 0 durch Constantin GutberIet fortge­ führt. Der von Troeltsch hier besprochene Band 8 handelte "Von der Gnade Chri­ sti" (vgl. das Inhaltsverzeichnis, S. III) . Die Lehre von den Sakramenten und den letzten Dingen folgte in Band 9 und 10. Heinrich verhandelte die Ekklesiologie nicht gesondert in einem einzelnen Band, sondern im ersten, die Grundlegung sei­ ner Dogmatik darbietenden Band innerhalb des zweiten und dritten Kapitels des Zweiten Buches (§ 64-66; 70-72).

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nellen Polemik anständige. Scharf betont wird die für die katholische Dog­ matik selbstverständliche Dinglichkeit der Gnade, wofür man besser noch den Plural die "Gnaden" braucht.2 Die Gnade ist die der bloß natürlichen Substanz hinzuzufügende und das Schauen Gottes erst ermöglichende über­ natürliche Gabe. Das zeigt sich an der Unterscheidung der ungeschaffenen und der geschaffenen Gnade und an der principiell gleichen Beziehung der Gnade auf die Protoplasten, die Engel und die gefallene Menschheit. Bei der ersten Unterscheidung ist die unerschaffene Gnade "Gott selbst, wenn er sich uns giebt". Die erschaffenen Gnaden sind "von Gott verschiedene Ga­ ben, die er uns mittheilt".3 Hieraus erhellt der Sinn der Dinglichkeit der Gna­ de. Die unerschaffene Gnade ist der rein religiöse, psychologisch-natürlich angesehene Vorgang, die geschaffene Gnade ist derselbe Vorgang als ferti­ ges, supernaturales, ausgespendetesa Ding aufgefaßt, welche Auffassung nur die dogmatisch-supernaturalistische an Stelle der natürlich-psychologischen ist. Weshalb denn auch sofort gesagt wird: "beide lassen sich mehr sach­ lich als theoretisch trennen" denn "eigentlich giebt sich Gott selbst in jeder geschaffenen Gnade" (S. 1 0)4. Die andere Unterscheidung zeigt, daß die­ se Gnadengabe dann geradezu als metaphysische Veränderung bewirken­ de Substanz einem allgemeineren metaphysischen Rahmen eingefügt wird. Alle Creatur braucht, I um in Beziehung zu Gott gebracht zu werden, eine übernatürliche Erhöhung ihres Wesens. Daher ist die Gnade für Engel, Protoplasten und sündige Masse gleich nöthig, sie unterscheidet sich in beiden Beziehungen nur dadurch, daß sie gegenüber den beiden ersten bloß elevans, gegenüber der letzteren aber elevans el medicinalis ist.s Die gratia ele-

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�: ausgespendendes

2 Siehe dazu beispielsweise § 390 (S. 6) : "I. Es gibt natürliche und übernatürliche Gna­ den, d. h. göttliche Wohlthaten. Nur die letzteren sind nach biblisch-kirchlichem Sprachgebrauche Gnaden im vollen und eigentlichen Sinne, so daß, wenn man von Gnade schlechthin spricht, die übernatürliche gemeint ist und verstanden wer­ den muß." 3 "Die übernatürliche Gnade wird eingetheilt in erschaffene und unersch4fene. Die er­ schaffene ist eine von Gott verschiedene Gabe, die unerschaffene ist er selbst, wenn er sich uns gibt." (S. 1 0) . 4 "Beide lassen sich mehr theoretisch al s sachlich trennen. [...] Also gibt sich eigent­ lich Gott selbst in jeder geschaffenen Gabe." (S. 1 0) . 5 "Gratia elevans und gratia medicinalis. Die Gnade Adams war elevans, di e unsrige elevans und medicinalis." (S. 1 2) .

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vans ist daher der Hauptbegriff.6 Dem entsprechend zerfällt auch die Be­ handlung in die beiden Haupttheile, ein Lehrstück von der gratia actualis1 und ein solches von der gratia habituali�. Die Ausdrücke sind, wie der Verf. zugiebt, nicht ganz zutreffend. In Wahrheit wird im ersten Abschnitt die Gnade nach ihrer allgemeinen und formellen Seite behandelt, sofern sie die in jedem christlich-guten Act wirkende und unentbehrliche übernatürliche Kraft ist und in ein Verhältniß zur natürlichen Kraft gebracht werden muß. Das Hauptthema bildet hierbei der Streit zwischen Molinismus und Tho­ mismus9, der möglichst auf bloßen Wortstreit zurückgeführt und schließlich für in letzter Linie unauflöslich bezeichnet wird, wie das bei dem quantitati­ ven Abwägen zwischen natürlichen und übernatürlichen Kräften auch nicht anders möglich ist. Der zweite, viel kürzere Abschnitt behandelt das beson­ dere Ergebniß der Gnade am sündigen Menschen, den habitusjustiftcationis et sanctificationis;o wobei vor allem die den habitus initiirende Rechtfertigung gegen lutherische Irrlehren sicher gestellt wird. t l Mir fehlt leider zu sehr das Verständniß für die Unterscheidung der Haa­ resbreiten, in denen die Originalität katholischer Dogmatiker zu Tage tritt, als daß ich den Ort dieser Gnadenlehre in der gegenwärtigen katholischen Dogmatik genauer bestimmen könnte. Wer sich über die Gnadenlehre ori­ entiren will, findet hier jedoch ein bequemes Mittel. Nur orientirt das Werk selbst nicht sehr deutlich über seine eigene Stellung in der katholischen Dog­ mengeschichte. Heidelberg. Troeltsch. 6 "Die gratia elevans ist, wie wir sehen werden, zu allen Heilsacten absolut nothwen­ dig, die gratia medicinalis unter Umständen gar nicht, jedenfalls nicht für alle gu­ ten Werke und nicht mit absoluter Nothwendigkeit." (S. 1 3) . 7 Vgl. Erster Abschnitt: "Von der actualen Gnade" (S. 1 9-476) . 8 Vgl. Zweiter Abschnitt: "Von der habitualen Gnade" (S. 477-696) . 9 Vgl. dazu § 446 "Das Thomistische System" (S. 446-453) und § 447 "Das Molini­ stische System" (S. 453-464) . 10 "Man kann die habituale Gnade einfach als gratiajustiftcans bezeichnen, nicht blos für uns, denen die habituale Gnade in der Rechtfertigung, d. h. mit der Nachlassung der Sünden, ertheilt wird, sondern selbst die Engel und die ersten Menschen er­ hielten den Gnadenstand durch die gr. justiftcans. Freilich muß man hier die Gna­ de eine ,gerechtmachende' nennen, nicht Rechtfertigungsgnade; denn nach unserem deutschen und auch nach biblischem Sprachgebrauch setzt Rechtfertigung den Sündenstand voraus. Dagegen nehmen die Theologen manchmal die gr. justiftcans und justiftcatio in jenem weiteren Sinne, in dem sie mit der gr. sanctiftcans ziemlich identisch, die übernatürliche Gerechtigkeit und Heiligkeit verleiht oder constitu­ irt." (§ 449: "Rechtfertigung und habituale Gnade", S. 477) . 1 1 Vgl. dazu § 450 "Die Lutherische Rechtfertigungslehre" (S. 479-482) .

Max Müller: Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie, 1 . Band (1 898) F.

Troeltschs Rezensionsexemplar befindet sich in der Bibliothek der Theolo­ gischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. An den Seitenrändern weist es Anstreichungen von Troeltschs Hand auf. Das Buch wird auch besprochen in: Ernst Troeltsch: Religionsphiloso­ phie und principielle Theologie (1 899) , unten, S. 606. Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Theologische Literatur­ zeitung, hg. von Adolf Harnack und Emil Schürer, 24. Jg., Nr. 1 6, 5. August 1 899, Leipzig: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Sp. 465-468 (A) . F. Max, Beiträge Zu einer wissenschtiftlichen Mythologie. Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Heinrich Lüders. Autorisirte, vom Verfasser durch­ gesehene Ausgabe. 1. Bd. Leipzig, W. Engelmann, 1 898. (XXXI I, 408 S. gr. 8.) M. 1 1 .-; geh. M. 1 3.50

Müller,

Das Buch ist der erste Theil einer sehr breit und umständlich, mitunter ge­ radezu geziert geschriebenen oratio pro domo.1 M. Müller will die Principi­ en und Resultate der von ihm in Anschluß an Bopp, Grimm, Kuhn, Bur­ nouf und den späteren Schelling betriebenen mythologischen Forschung gegen die inzwischen aufgestandenen Gegner und andersartigen Richtun­ gen vertheidigen.2 Die Principien einer rein philologisch-linguistisch ver­ fahrenden Mythologie beruhten bei ihrer ersten blendenden Durchführung 1 Der 2. Teil erschien 1 899; vgl. dazu Ernst Troeltsch: [Rez.] F. Max Müller: Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie, 2. Band (1 901) ---+ KGA 4. 2 Vgl. F. Max Müller: Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie, 1 . Band (1 898), Vorwort, S. Xl f.: "Ich fürchte, es würde allzu ermüdend wirken, woll­ te ich einen Gelehrten nach dem andern citiren, und doch habe ich, da ich jetzt nicht mehr viele Zeitschriften und Zeitungen lese, nur die Schriften derjenigen an­ geführt, die mir ihre Arbeiten übersandt haben, und zweifle nicht, dass mir vie­ le ähnliche Urtheile entgangen sind. Ich ziehe es daher vor, abzuwarten, ob Herr

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durch jene Gelehrten auf der Voraussetzung einer sehr starken Continui­ tät zwischen dem arischen Urvolk und seinen späteren historischen großen Abzweigungen und hatten für die mythologische und religionsgeschichtli­ che Forschung den Hauptwerth darin, große Gruppen der Menschheit als ein religionsgeschichtlich �sammengehiirendes Gebiet zu erweisen und damit eine große Strecke und Breite der Religionsgeschichte unter einheitliche Auffassungs- und Erklärungsbedingungen zu stellen. Mit der Entdeckung der Wurzeln dieser Religionsgebiete in den postulirten einfachen arischen Urformen glaubte man dann auch der Erklärung der Religion überhaupt näher gekommen zu sein und durch den Aufweis der ursprünglichen appel­ lativischen Bedeutungen dieser Wurzeln das Wesen dieser Götter und des religiösen Glaubens an sie aufhellen zu können. Indem man von nicht im­ mer eingestandenen philosophischen und psychologischen Voraussetzun­ gen ausging, suchte man die appellativische Bedeutung dieser Wurzeln vor allem in dem Hin l weis auf solare und meteorologische Vorgänge. Als Ab­ bilder solcher Vorgänge erschienen dann alle Mythen und Erzählungen des historischen Epos, der Lyrik und der gelehrten antiken Mythographie. Aus Sommer und Winter, Dämmerung und Morgenröthe, Wolkenkühen und Sonnenrossen wurden die Göttergestalten, ihre Beziehungen und ihre De­ potenzirungen zum Sagen- und Liederstoff erklärt. M. Müller hat dieser Betrachtungsweise speciell noch seine Theorie von der Entstehung dieser appellativischen Ausdrücke und ihrer religiösen Deutung als handelnder Mächte aus einer Nothwendigkeit ursprünglicher Sprachbildung hinzugefügt und so aus einer disease of language3 das Gebilde der Religion abgeleitet, bei dem er einen Unterschied von Religion, Mythologie, Philosophie und Wir­ kung sprachlicher Bedingungen überhaupt gar nicht mehr kannte, was ihn aber freilich nicht hinderte, zugleich in Anlehnung an Schelling in dieser disease of language die Erkenntniß des Unendlichen zu behaupten. Scharfe Andrew Lang oder seine Freunde einen einzigen Vedakenner aufweisen können, der nicht überzeugt wäre, daß die Principien der vergleichenden Mythologie, wie sie Bopp, Grimm, Pott und Burnouf niedergelegt und [...] ich selbst befolgt haben, richtig sind, so schwer es auch sein mag, sie in einer Weise anzuwenden, die all­ gemeine Zustimmung findet." (Vorwort, S. XI f.) Bei den Genannten handelt es sich um die Indogermanisten Franz Bopp (1 791-1 867) und August Friedrich Pott (1 802-1 887), den Germanisten Jakob Grimm (1 785-1 863) und den Altorientali­ sten Eugene Burnouf (1 801-1 852) . Andrew Lang (1 844-1 9 1 2) war Schriftsteller, beschäftigte sich aber auch mit der Verbindung von Mythologie und Folklore. 3 Vgl. dazu im 2. Kapitel "Die Probleme und Methoden der Wissenschaft der My­ thologie" (S. 59-226) , den Abschnitt "Die Krankheit der Sprache" (S. 66 f.) . Zur Sprachentwicklung vgl. das 5. Kapitel "Lautlehre" (S. 285-408) .

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logische Durchdringung und Gliederung seines Stoffes war nie eine Eigen­ schaft Müller's, ebensowenig als ruhige und ursprüngliche Empfindung für das Eigenthümliche der lebendigen und realen Religion. Gegen diese linguistisch-philologische Mythologie, die alles Verständniß aus den Namen der Götter und deren ursprünglicher Wurzelbedeutung suchte und die zugleich die Fortpflanzung und Ueberlieferung der Religion sich als völlig gleichartig mit der der Sprachwurzel und der Sprache dach­ te, hat sich mannigfacher Widerspruch erhoben: ein Widerspruch gegen die philologisch-linguistische Behandlung, der nicht aus den Götternamen und den Wortbedeutungen irgend einer Urzeit, sondern aus den lebenden und beobachtbaren Realien der Religion, aus Cultus, Sitte und religiöser Vors tel­ lungswelt das Wesen der Götter erkannt wissen und die Vergleichung nicht als Vergleichung der Namen und Worte, sondern als Vergleichung der Reali­ en, Bräuche und concreten Gedanken forderte; und ein Widerspruch gegen die übereilte und souveräne Vergleichung, der die Götterwelt der Slaven, Germanen, Italiker, Griechen, Inder, Perser in erster Linie aus den vorlie­ genden Documenten dieser Völker studiren wollte und nicht aus bloß er­ schlossenen Antecedentien, der auf religiösem Gebiete den einzelnen Völ­ kern mit ihren besonderen historischen und geographischen Situationen ei­ ne viel größere eigene Productionskraft zutraute, als bei der "vergleichen­ den" Mythologie vorausgesetzt wird.4 Mehrfach haben sich auch beide Ein­ wendungen vereinigt, und hat man aus der Vergleichung der Realien analoge Tendenzen und Bildungen primitiver Völker erschlossen, die zum Verständ­ niß der religiösen Production eines bestimmten Volkes trotz seines unleug­ baren Zusammenhanges mit dem arischen Urvolk doch mehr beitragen als die paar dürftigen Berührungen der Götternamen. Dies ist der Standpunkt den die hervorragendsten Gelehrten der letzten Zeit im Ganzen angenom­ men haben: Erwin Rohde und Ed. Meyer für die Griechen, Oldenberg für 4 Vgl. dazu das Vorwort (S. V-XXVII) , in dem Müller auf die Kritiker seiner Me­ thode der "vergleichenden Mythologie" eingeht. Als aus seiner Sicht positives Bei­ spiel und zur Erläuterung der Methodologie verweist er dort unter anderem auf Kar! Brugmann: Grundriss der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen (1 886-1 893) : "Alle in wenn wir Professor Brugmann als einen würdigen Vertreter der neuen Schule der vergleichenden Sprachwissenschaft betrachten dür­ fen, so finden wir, dass er im allerersten Satze seiner vergleichenden Grammatik die indogermanische Mythologie neben der indogermanischen Grammatik als die beiden integrirenden Theile der indogermanischen Philologie hinstellt, die er als die Wissenschaft definirt, die das Studium der Kulturentwicklung der indogerma­ nischen Völker von den Zeiten ihres ursprünglichen Zusammenwohnens bis auf unsere Zeiten hinab zum Gegenstande hat."

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die vedischen Inder und Mannhardt für die Germanen und Slaven5. Dane­ ben haben sich auch mehr dilettantische oder auf Entwurzelung der Reli­ gion ausgehende, praktische Ziele verfolgende Auffassungen erhoben: die darwinistisch zugestutzte anthropologische Religionserklärung, welche die Religionen der "Wilden" wie die fossilen Thierfunde für die Construction und Erklärung der höheren Erscheinungen verwendet; die modernen Eu­ hemeristen aus Spencer's Schule, die sich in einer ungeheuerlichen Verallge­ meinerung des indianischen Totemismus die thatsächliche Unterlage ihrer Theorie schufen;6 die Fanatiker der Ahnenverehrung; die aus Fetischismus und Animismus construirenden Erklärer und ähnliche. Die letzteren haben Max Müller am schärfsten zugesetzt, während die erstgenannten Gelehrten ihm immer mit Achtung begegneten. So gewinnt man das Bild der Sachlage aus den sehr verzettelten und unruhigen Darstellungen Müller's, der eine ausführliche, wenn auch nicht sehr klare Darstellung der bisherigen mythologischen Forschungen giebt. Er be­ gegnet den Einwänden größtentheils sehr persönlich, indem er Forscher wie Oldenberg, Tiele, Mannhardt möglichst auf seine Seite zieht, andere wie Andrew Lang und ähnliche mit Ironie behandelt und von ihnen als Vor­ aussetzung für den Werth ihrer Studien die Kenntniß der Sprachen der von 5 Müller setzt sich im Vorwort auf S. XV f. mit dem Klassischen Philologen Erwin Rohde (1 845-1 898) auseinander (vgl. dazu unten, Anm. 1 2, S. 553) und fährt dann fort: "Während aber das, was Leute wie Erwin Rohde und Gruppe an unsern An­ sichten auszusetzen haben, jedenfalls eine Antwort möglich macht, so weiss man wirklich nicht, was man mit jenen allgemeinen Beschuldigungen anfangen soll, die mehr gegen unseren moralischen Charakter als gegen unsere linguistische Befähi­ gung gerichtet zu sein scheinen. Man hat zum Beispiel in nicht misszuverstehender Weise angedeutet, dass ich kein Recht hätte, Gelehrte wie Mannhardt oder Olden­ berg als meine Anhänger anzuführen." (S. XVI) Mit Mannhardt beschäftigt sich Müller auf S. XVI-XXII und mit Oldenberg auf S. XXII-XXIV. Müller erwähnt von Erwin Rohde: Psyche (1 894), von dem Mythologen Johann Wilhe1m Emanuel Mannhardt (1 831-1 880) u. a.: Germanische Mythen (1858) und von dem Indolo­ gen Hermann Oldenberg (1 854-1 920) : Religion der Veda (1 894). Der Altertums­ wissenschaftler Eduard Meyer (1 855-1 930) wird in diesem Zusammenhang von Müller nicht erwähnt. 6 Vgl. bei F. Max Müller: Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie, 1 . Band (1 898), im 2. Kapitel die Abschnitte "Totemismus." (S. 1 92-1 96), "Herbert Spencer's Ahnenkult." (S. 1 96 f.) und "Verschiedene Deutungen. Euhemerismus." (S. 1 49 f.) Euhemerismus, benannt nach Euhemeros von Messene (ca. 340-260 v. Chr.), bezeichnet die These, bei den griechischen Göttern habe es sich tatsäch­ lich um Angehörige einer Herrscherfamilie gehandelt, die nach ihrem Tod zu Göt­ tern erhoben wurden.

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ihnen behandelten "Wilden" fordert.' Die Bedenklichkeit und Unzuverläs­ sigkeit der Berichte, auf die die anthropologisch-ethnologisch vergleichende Schule angewiesen ist, wird von ihm mit Recht scharf hervorgehoben, oh­ ne daß freilich damit erwiesen wäre, daß nun die linguistische Methode für sich allein bessere Resultate ergäbe.8 Sehr treffend sind auch seine Einwürfe gegen den Darwinismus in der Anthropologie, soweit es sich um Uebertra­ gung dieser Principien auf die Geschichte des geistigen Lebens handelt. Sachlich dreht sich seine Darlegung um die beiden Hauptthemata, erstlich um die Principien seiner mythologisch-religionsgeschichtlichen For­ schung überhaupt, sodann um die specielle Anwendung dieser Forschung auf die Erklärung griechischer Götternamen aus dem Veda. In der ersteren Hinsicht wiederholt Müller lediglich seine älteren Leh­ ren mit einigen Concessionen an die anthropologische Methode, die bereits in seinen Gifford-Vorlesungen9 sehr bemerkbar gewesen waren, die aber doch an dem Grundirrthum seiner Theorie nichts ändert, wonach die Re­ ligion nichts ist als eine durch die Ungelenkheit primitiver Sprachen noch beengte primitive Philosophie und sich hieraus die ganze eigentliche Mytho­ logie als verhüllte Beschreibung einfacher Naturvorgänge erklärt. Charakte­ ristisch für seine Art ist hier die Leichtigkeit, mit der er einem der wichtig­ sten und für seine Theorie bedenklichsten Factum der Religionsgeschichte 7 Vgl. 2. Kapitel, Abschnitt "Die Wilden.", S. 1 70 f.: "Es gibt Ausnahmen, aber vie­ le von diesen Wilden, von denen wir die Lösung jener Räthsel lernen sollen, die uns in der Mythologie und dem Aberglauben der alten indoeuropäischen Erobe­ rer der Welt erhalten sind, kommen mir wie Zwerge vor, in denen sich die mensch­ liche Natur schon in sehr früher Zeit erniedrigte, und die, selbst wenn sie sich in der letzten Zeit erholt haben, uns nie verkünden werden, welcher Art die Bestre­ bungen der Riesenahnen unserer eigenen Rasse waren. Eins haben sie [die Wil­ den] vielleicht, was wirklich echt und alt ist, ihre Sprache - aber das ist ja gerade das, was wir, wie man uns immer wieder sagt, nicht zu studiren brauchen, um die modernen Wilden zu verstehen." 8 Vgl. 2. Kapitel, die Abschnitte "Die drei Schulen der vergleichenden Mythologie." (S. 1 72-1 74), "Die genealogische oder linguistische Schule." (S. 1 74 f.), "Die ana­ logische Schule." (S. 1 75 f.) und "Die ethnologische Schule." (S. 1 76-1 84) . 9 F. Max Müller: Natural religion (1 889) , deutsch: Natürliche Religion (1 890), ders.: Physical religion (1 891), deutsch: Physische Religion (1 892) , ders.: Anthropologi­ cal religion (1 892), deutsch: Anthropologische Religion (1 894) und ders.: Theo­ sophy or psychological religion (1 893) , deutsch: Theosophie oder psychologische Religion (1 895) . Vgl. als Bibliographie von Mülle rs Gesamtwerk auch im Vorwort, Anm. 1 , S. VI, in F. Max Müller: "Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mytholo­ gie", 1 . Band (1 898) ; zu den Gifford-Vorlesungen allgemein vgl. oben, Anm. 2, S. 209 f.

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begegnet, der Schwierigkeit, gerade die Namen der wichtigsten und größten Götter aus appellativen Wurzeln zu erklären. Er läßt diese Namen einfach aus Scherzräthseln entstehen, in dem einzelne Naturvorgänge unter Räth­ selworten verhüllt sind, wie z. B. die Wolken unter dem Bild von Kühen u. s. w.10 Ein Versuch zu einer wirklich historisch-psychologischen Zerglie­ derung der Phänomene, zu einer genauen Umgrenzung der zu erklärenden Phänomene selbst, zu einer Abwägung der verschiedenen Erforschungsmit­ tel (also der philologisch-linguistischen Namenerklärung, der Vergleichung der Realien und der Heranziehung analoger Erscheinungen in spontaner Entstehung moderner religiöser Gedanken und Ausdrücke und schließlich der religiösen Psychologie, die den religiösen Vorgang ohne Rücksicht auf seine sprachliche Mitbedingtheit und seinen sprachlichen Ausdruck als selb­ ständigen Bewußtseinsvorgang eigener Natur untersucht), alles das fehlt vollständig. In der zweiten Hinsicht werden ausführlich die Principien der Sprachver­ gleichung, insbesondere die Gesetze der Lautverschiebung, vorgeführt, um die Müller'schen Identificationen griechischer und vedischer Götter zu stüt­ zen. Das entzieht sich natürlich meiner Beurtheilung. Es ist nur hervorzu­ heben, daßa Müller gar nicht versucht, das Maß von Autochthonie und selb­ ständiger Production festzustellen, das der griechischen Religion zukommt, daß er sich vielmehr überall nur an die fertige, von den antiken Mythogra­ phen gebuchte Mythologie hält und diese, so gut es geht, auf den Veda be­ zieht. Das ist jedenfalls ein principieller methodischer Fehler, der aber ähn­ lich oft genug auch von den Theologen bei der Analyse christlicher Lehren und ihrer Beziehungen zu Judenthum und Heidenthum gemacht wird. Auffallend ist, daß Müller für ein so bedeutendes, das gleiche Thema be­ handelndes Buch wie Usener's "Götternamen" 1 896 nur ein paar nichtssa­ gende Bemerkungen hat (S. XXV), 11 ganz zu schweigen davon, daß I er über a

A: das

10 Vgl. dazu 2. Kapitel, die Abschnitte "Räthsel." (S. 77 f.), "Der Ursprung der Räth­ seI." (S. 78-8 1) und "Die Räthselsprache der Mythologie." (S. 82-85), in denen Müller auf die große Bedeutung von Rätseln für die mythologische Forschung hin­ weist. Anhand von Beispielen wird erläutert, wie bestimmte Ausdrücke Eingang in die Alltagssprache gefunden haben. In diesem Zusammenhang erwähnt Müller, daß eine Wolke früher auch als "Kuh" bezeichnet wurde (S. 83) . 1 1 Vgl. dazu Vorwort, S. XXV f.: "Professor Useners letztes Buch, ,Götternamen', erhielt ich zu spät; ich habe es aber mit gros sem Interesse und mit gros sem Nutzen gelesen, weil es neue und weite Ausblicke auf den Ursprung der arischen Namen und Mythen eröffnet und aufs stärkste meine Ansichten über die grosse Freiheit bei der Wahl der ableitenden Suffixe von mythologischen Namen bestätigt. Wenn

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Max Müller: Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie

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Rohde's "Psyche" nur einen ärgerlichen Satz äußert (S. XV) .12 Wenn auch Usener die Bedeutung der Sprache für die Erklärung der Sache, d. h. der religiösen Vorgänge selbst noch zu überschätzen scheint, so ist dieses Buch doch ganz unvergleichlich viel lehrreicher und namentlich für die Theolo­ gen bedeutender als dieser Schwanengesang der "vergleichenden Mytholo­ gie". Heidelberg. Troeltsch.

ich mich auch nicht mit allen seinen Schlüssen einverstanden erklären kann, so ist doch jeder Beitrag von einem gewissenhaften Gelehrten willkommen und wird stets Nutzen bringen." 12 Vgl. dazu Vorwort, S. XV (: "Glaubt Professor Erwin Rohde (psyche, S. 28 1) wirklich, dass die Gleichung 5arvara = Ktpß e:po KGA 1 0. Vgl. hierzu vor allem S. 1 88-1 95; Troeltsch schreibt hier u. a.: "Die überweltliche Sittlichkeit ist zwar schon in der Jugend durch die Erziehung eine bedeutende Macht, sie wirkt in der Sitte und dem all­ gemeinen Urteil, sie wirkt in dem innersten Wesen bei jeder Selbstbesinnung und giebt von vorneherein dem Leben eine viel tiefere Zartheit und Feinheit des sittli­ chen Empfindens. Allein sie wirkt in der Regel doch mehr neben her und schnei­ det hier nur die naheliegenden Irrwege grober Selbstsucht und voller Verweltli­ chung ab. Voll und prinzipiell angeeignet werden kann sie erst von dem, der schon ein Stück Leben, Erfahrung und Enttäuschung hinter sich hat." (S. 1 94) . 329 Pau! Graue: [Rez.] Sören Kierkegaards Angriff auf die Christenheit (1 898), Sp. 1 96: "Er [Kierkegaard] war innerlich gebunden an das dogmatisch Ueberlieferte. Ei-

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sich dabei doch immer nur an die Person Jesu hält und sie als den Wider­ spruch gegen alle Innerweltlichkeit in möglichst unmittelbare Gegenwart rücken möchte, hebt er damit zugleich die dogmatische Betrachtung Jesu zu Gunsten einer rein persönlichen auf. Es liegt Kierkegaard weniger an der äusserlichen supernaturalen Normativität der Erkenntniss als an der persönlichen Hingabe an eine in Jesus uns berührende, innerlich supernaturale höhere Welt unbedingter Personwerthe. Dies letztere ist aber auch bei einer ganz anderen Stellung zum Dogma möglich. - In einem mehr dogmatisch-kirchlichem Sinne ist I die ausführliche Abhandlung von HerZOf30 gehalten, die davon ausgeht, dass der Uebersetzung von Kierkegaard's Anklageschriften im Jahre 1 895 in Deutschland dasselbe begegnet ist wie ihrer ersten Veröffentlichung in Dänemark: absolutes Schweigen.331 Er will daher die Pflicht einer Beantwortung erfüllen.332 Ein erster biographischer TheiP33 zeigt, wie Gott ihn zum Gewissenserwecker der Christenheit erzog, wie aber in Lebensschicksalen und Individualität gewisse Schranken seiner Auffassung des Christenthums von Hause aus gegeben sind. Er hat bei seiner Schwermuth die christliche Gnade nicht in ihrer Milde und versöhnenden Kraft voll empfunden. Ein zweiter Theip34 formulirt die Angriffe auf

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ne durchaus konservative Narur, begabt mit einem starken Sinn für Autoritäten, nahm er das Dogma als gegeben, und zwar so, daß er nicht leichtsinnig den Wider­ sinn der dogmatischen Formulirung abschwächte, sondern so, daß er gerade die Absurditäten erkannte, alle falschen und halben Vermittlungen verwarf und darauf bestand, daß man es mit seinen Widersprüchen gehorsam anzuerkennen habe." J. Herzog: Abwehr von Sören Kierkegaards "Angriff auf die Christenheit" (1 898) . "Nachdem A . Dorner und ehr. Schrempf i m Jahre 1 895 unter dem Titel ,Sören Kierkegaards Angriff auf die Christenheit' die agitatorischen Schriften desselben, mit denen er sein Lebenswerk beschloß, deutsch herausgegeben haben, ist die Anrwort darauf im allgemeinen ein auffallendes Schweigen gewesen." (Herzog, S. 271). Vgl. Sören Kierkegaard: Angriff auf die Christenheit. Von August Dorner und Christoph Schrempf [übersetzt] (1 896) . ,, [Es] ergiebt sich unsere Aufgabe: die Abwehr des Angriffs auf die Christenheit kann nicht in dem Sinne gemeint sein, daß er gleichsam abgethan oder seine Stim­ me zum Schweigen gebracht würde, sondern, wie es gilt, das Unberechtigte, Un­ vernünftige und Irrationale an seinen Forderungen und Herausforderungen nach­ und abzuweisen, so gilt es andererseits das Berechtigte, am Gewissen und sittlich religiösen Bewußtsein sich Beglaubigende anzuerkennen, zu beherzigen und wo­ möglich praktisch zu bethätigen." (Herzog, S. 273) . "I. Wie wurde Kierkegaard zum Angreifer auf die Christenheit?" (Herzog, S. 282-304) . "II. Beschreibung des Angriffs" (Herzog, S. 304-340).

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das kirchliche Christenthum. Ein dritter335 entwickelt die Gedanken der mit Anerkennung des Wahrheitsmomentes verbundenen Abwehr, indem er den gemässigten Kierkegaard der mittleren Periode von dem rasenden der letz­ ten Zeit unterscheidet und mit dem ersteren eine Verständigung möglich findet. "Von drei Gesichtspuncten aus, dem philosophischen, dem biogra­ phischen und religiösen, muss man übereinstimmend zu dem Ergebniss ge­ langen, dass dem Gedankensystem Kierkegaard's und also den daraus flies­ senden Angriffen auf die Christenheit irrationale, unhaltbare, widerspruchs­ volle Elemente beigemischt sind, die ihre Wucht schwächen und theilweise aufheben müssen und uns berechtigen, die von ihm erhobenen Forderun­ gen, die von ihm gezogenen Consequenzen in jedem einzelnen Puncte mit kritischen Augen zu prüfen, ob solche Bestandtheile sich darin finden".336 Das Ergebniss ist hierbei, dass Kierkegaard's Forderung der vollkommenen Innerlichkeit, Weltfeindlichkeit und Opferfähigkeit des Christenthums als in der gegenwärtigen Kirche thatsächlich erfüllt (bei den Pietisten vor Al­ lem) bezeichnet werden darf und in ihr nicht bloss thatsächlich erfüllt ist, sondern durch die Kirche direkt in der Erfüllung befördert wird, während die ebenso thatsächliche Schlaffheit aus dem "Naturgesetz" zu erklären ist, dass das Ideal in jedem Erdensohn nur mangelhaft verwirklicht werden kann337. Andererseits enthalte das Ideal Kierkegaard's einseitige Uebertrei­ bungen, die specifisch christliche Grundideen, wie die des Friedens in der Gnade, die der Liebe zur Gemeinschaft der Brüder und die der Bewährung des Glaubens im Berufe, vernachlässige, bei deren Einbeziehung sich die schroffe weltfeindliche Auffassung des Christenthums doch ermässige.338 Es sind ernste und beachtenswerthe Ausführungen, die für den praktischen Geistlichen die Frage hinreichend klären, wenn auch rein wissenschaftlich und religionsgeschichtlich noch Anderes dazu zu sagen wäre. H erinnert zu335 "III. Die Abwehr" (Herzog, S. 341 -38 1 ) . 336 Herzog, S . 3 5 3 f. Hier heißt e s : "Von diesen drei Gesichtspunkten aus [ .. .]", "Kier­ kegaard's" ist hervorgehoben, und am Ende schreibt Herzog "mit kritischen Augen daraufhin zu prüfen, ob solche Bestandteile sich darin finden." 337 "Wir haben gesehen, daß im Christentum, wie es ist, zwei Potenzen in einem un­ versöhnlichen Widerspruch und Kampf mit einander stehen: die eine ist die un­ verwüstliche Lebenskraft des wahren Christentums, der nie versiegende Quell des Zeugnisses der Wahrheit in Wort und Werk, in Lehre und Leben; die andere ist der schwächende und verfälschende Einfluß natürlicher und weltlicher Mächte. [...) Diesem Naturgesetz muß jeder Erdensohn, auch wenn er den Idealen sein Le­ ben weiht und um und für das Absolute streitet, seinen Zoll entrichten." (Herzog, S. 361 f.) . 338 Vgl. Herzog, S . 364-366.

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gleich mit Recht an Vinet und Lagarde.J39 - An Einzelverhandlungen über die theologische Principienfrage, ist, wie im vorigen Jahre,340 so auch in diesem Jahre die Christliche Welt sehr reich. Herrmanfi341 wendet sich ge­ gen Förster342 mit einer neuen Definition seines Glaubens an die Erlösung durch Christus, die in dem irgendwie zu machenden Erlebniss persönlicher Rettung durch den Eindruck des religiös-sittlichen Charaktergehaltes Jesu sich vollziehe. Dieser Eindruck könne auf ver I schiedenem Wege gewonnen werden, aus dem Evangelium oder von christlichen Personen und sei völlig verschieden von einer wissenschaftlich-historischen Erkenntniss des Lebens und der Predigt Jesu.343 Sofern letztere einer ungebundenen historisch­ kritischen Bearbeitung unterliegen, könne allerdings von hier immer wieder Gefahr für die Wirkung des religiös-sittlichen Bildes Jesu entstehen, allein diese Gefahr sei gerade ein Vorzug, da sie das Erlebniss von jenem Eindruck Jesu immer wieder zu einer Aufgabe persönlichen Entschlusses mache und die Beruhigung des Glaubens bei bIossen Lehren und Wahrheiten nicht zu Stande kommen lasse.344 - Mit gleichem Temperament führt ein a

A: theologischen

339 Herzog erwähnt auf S. 367 Paul de Lagarde: Deutsche Schriften (1 886) und Alex­ andre Vinet. 340 Vgl. dazu clie Abteilung "Principielle Theologie" in Ernst Troeltsch: Religionsphi­ losophie und principielle Theologie (1 898), oben, S. 367-484. 341 Wilhelm Herrmann: Die Erlösung durch Jesus Christus und die Wissenschaft (1 898) . 342 Herrmann erwähnt i n dem Aufsatz, Sp. 5 , Erich Foerster: Die Möglichkeiten des Christentums in der modernen Welt (1 898) . Vgl. zu Foerster Ernst Troeltsch: Re­ ligionsphilosophie und principielle Theologie (1 898), oben, S. 374. 343 "Den Trost clieser Hoffnung [auf den Beistand Gottes) können wir freilich nur dann haben, wenn wir darin allein clie Erlösung suchen, daß uns clie Person Je­ su geschenkt ist. Kein sachlicher Inhalt der Ueberlieferung kann uns eine solche Hoffnung geben. Denn das alles, sei es nun Erzählung oder Lehre, ist für sich al­ lein kraftlos. Kraft hat es nur, sofern uns Jesu selbst darin erscheint und durch sei­ ne wunderbare Art uns mit Gottesfurcht und Gottvertrauen erfüllt." (Herrmann, Sp. 7) . 344 "Wer [...] durch Christus mit Gott verbunden ist, wird es für Gewinn achten ler­ nen, daß clie geschichtliche Forschung, clie er nicht abweisen darf, ihm - mensch­ lich angesehen - wirklich das Teuerste gefährdet. Denn er wird dadurch in dem bescheidnen Sinn geübt, der sich an der immer neuen Gnade Gottes genügen läßt. [ ... ] Wir müssen uns also darein fügen, daß clie Wissenschaft immer wieder unsern Glauben gefährden wird. Wir können clie Gefahr nicht abwehren. Aber wenn wir christlichen Glauben haben, so werden wir hoffen, daß der Gott, der in der Per­ son Jesu zu uns gesprochen hat, uns herausführen wird." (Herrmann, Sp. 7).

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anderer Aufsatz Herrmann's345 aus, dass nur die von ihm und seinen näch­ sten Gesinnungsgenossen vertretene Theologie die Theologie der Zukunft sei, da sie allein über die wahre wissenschaftliche Grundlegung, die neukan­ tische Scheidung von Glauben und Wissen, und über den wahren Begriff vom Glauben verfüge. Alle anderen Theologieen sind veraltet, insbesonde­ re die von Baumgarten346 vertretene, an Ehlers347 veranschaulichte und gegen den kräftigen Wunderglauben der Orthodoxie contrastirte Theologie der Schleiermacher, Lipsius u. A. Sie hat den Unterschied der religiösen und wissenschaftlichen Gedankenbildung noch nicht erfasst, von denen die er­ ste nothwendig dualistisch und die zweite nothwendig monistisch ist. Insbe­ sondere hat sie den Sinn des Wunders nicht verstanden, so lange sie sich mit ihm wissenschaftlich und metaphysisch abquält und von einem Gegensatz des Wunderglaubens gegen moderne Denkweise redet. "Es ist ganz rich­ tig, dass wir jedes in dieser Welt nachweisbare Ereigniss nothwendig als das gesetzmässige Ergebniss seiner sich ins Grenzenlose ausbreitenden Umge­ bung ansehen müssen. Trotzdem glauben wir an Wunder, wenn wir über­ haupt an den lebendigen von der Welt verschiedenen Gott glauben. Wenn wir diese beiden Ergebnisse neben einander festhalten, so kommen wir zu einem viel schärfer ausgeprägten Dualismus, als ihn das katholische Denken jemals erreicht hat"348. In der Stellung zum Supernaturalismus ist also zwi­ schen alter und neuer Theologie kein wesentlicher Unterschied. Der wirk­ liche Gegensatz liegt vielmehr darin, dass die alte Theologie den Grund der Heilsgewissheit in autoritärer Ueberlieferung, die neue in inneren Er­ lebnissen findet, welcher Gegensatz aber in der Ritschl'schen Schule über­ wunden ist, insofern hier die Heilsgewissheit auf dem inneren Erlebniss des Eindruckes von dem Personleben Jesu als objectiver Vergewisserung göttlicher Heiligkeit und Gnade beruht. Trotzdem liegt aber hier doch ei­ ne andere, nur schwer zu definirende Nuance gegenüber Häring, Kaftan 345 Wilhe1m Herrmann: Der wichtigste Gegensatz in der evangelischen Theologie (1 898) . 346 Otto Baumgarten: Neuer und alter Glaube (1 898) . 347 Baumgarten bespricht hier Rudolph Ehlers: Das Apostolische Glaubensbekennt­ nis (1 898) . 348 Wilhe1m Herrmann: Der wichtigste Gegensatz in der evangelischen Theologie (1 898) , Sp. 894 f. Nach dem ersten Satz steht bei Herrmann: "Es ist also wider­ sinnig, mit dem katholischen Christentum und der alten Apologetik den Nach­ weis der Wirklichkeit von Wundern versuchen zu wollen. Trotzdem glauben wir an Wunder, wenn wir überhaupt an den lebendigen, von der Welt unterschiednen Gott glauben. Wenn wir diese beiden Erkenntnisse nebeneinander festhalten, so kommen wir, wie mir scheint, zu einem viel schärfer ausgeprägten Dualismus, als ihn das katholische Denken jemals erreicht hat."

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und Vischer vor, während die im vorigen Jahre besprochene Abhandlung Reischle's OB. XVII, 576349) mehr der Herrmann'schen Position zugehört. Einen Vermittelungsversuch zwischen beiden Positionen, stellt der oben genannte gemeinschaftliche Aufsatz Reischle's und Häring's3S0 dar. Kat­ tenbusc}}S l und Troeltsc}}S2 verhandeln die zwischen den genuinen Vertretern der Ritschl'schen Schule und der jüngeren Generation derselben entstandenen Differenz, wobei K ausführlich I seinen theologischen Entwicklungsgang erzählt und die stärkende Wirkung Ritschl's auf ihn schildert, während Tr. auf die aus religionsgeschichtlichen Studien hereinbrechenden neuen Probleme hinweist und an B. Duhm Motive und Tendenzen der neuen Lage erläutertls3 Ziegler3S4 und Bruckner3ss beschäftigen sich mit der von Bernoulli in Nachfolge Overbeck's aufgeworfenen Principienforderung, die wissenschaftliche freie Theologie und die kirchlich gebundene Amtstheologie principiell zu trennen, der erste in der Meinung, dass dieser Trennung bei der Fernhaltung allzu paradoxer Versteinerung der Amtstheologie viel Werth beiwohne, der andere mit der Erklärung, dass diese Amtstheologie die Wahrhaftigkeit und damit die Wirkungs fähigkeit der Geistlichen aufhebe. Schulti!S6 behandelt die grosse, von Schopenhauer, Nietzsche, Kier­ kegaard aufgeworfene Frage, ob das Christenthum der Reformation und der Gegenwart mit dem alten weltflüchtigen, asketischen und eschatologischen Christenthum überhaupt noch directen Zusammenhang habe und ob nicht alle humane, weltoffene Theologie jeder Richtung eo ipso unchristlich und damit unmöglich sei. Er zeigt, dass das moderne Christenthum weniger diesseitig und das Evangelium Jesu weniger jenseitig ist, als diese Einwürfe meinen, und dass die wirkliche Differenz sich aus einem berechtigten und gesunden Wachsthum des Christenthums erklären lasse. "Es ist nur eine -

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349 Max Reischle: Christentum und Entwicklungsgedanke (1 898) . Vgl. dazu Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 898), oben, S. 440 f. 350 Theodor Häring, Max Reischle: Glaubensgrund und Auferstehung (1 898) . Vgl. oben, S. 631 f. 351 Ferdinand Kattenbusch: In Sachen der Ritschlschen Theologie (1 898) . 352 Ernst Troeltsch: Zur theologischen Lage (1 898) -> KGA 1 . 353 Troeltsch bespricht folgende Werke von Bernhard Duhm: Kosmologie und Reli­ gion (1 892) , ders.: Das Geheimnis in der Religion (1 896), ders.: Die Entstehung des Alten Testaments (1 897) und ders.: Ü ber Ziel und Methode der theologischen Wissenschaft (1 889). 354 Heinrich Ziegler: Kirche und Wissenschaft nach Bernoulli (1 898) . 355 Albert Bruckner: Eine doppelte Methode i n der Theologie (1 898) . 356 Hermann Schultz: Das Christentum der evangelischen Kirche unsrer Tage und die religiöse Stimmung der ersten Gemeine Jesu (1 898) .

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neue Anwendung der gleichen Grundsätze, die durch neue Aufgaben und Verhältnisse näthig geworden ist".357

357 Die Passage lautet bei Schultz vollständig: "Ein Gegensatz zwischen Einst und Jetzt liegt hier zweifellos vor. Ist es ein Gegensatz der Grundsätze, oder ist es nur eine neue Anwendung der gleichen Grundsätze, die durch veränderte Verhältnisse und Aufgaben nötig geworden ist? Wer die Dinge in der Tiefe erfaßt, der kann nur in dem letzten Sinn antworten und muß damit das gute christliche Recht der evangelischen Kirche anerkennen." (Sp. 1 060) .

Julius Köstlin: Christliche Ethik (1 898)

Am 1 1 . März 1 898 bot Troeltsch der Redaktion der "Göttingisehen gelehr­ ten Anzeigen" die Besprechung von Köstlins "Christlicher Ethik" an.! Im Laufe des Jahres bekam Troeltsch aus Göttingen in zwei Lieferungen das Buch zugesandt,2 doch mußte die Redaktion im Juli 1 899 die Fertigstellung der Rezension anmahnen, ehe dann diese im August 1 899 in Göttingen ein­ ging. 3 Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Göttingisehe gelehr­ te Anzeigen. Unter der Aufsicht der Königlichen Gesellschaft der Wissen­ schaften, 1 6 1 . Jg., 2. Band, Nr. 1 1 . November 1 899, Berlin: Weidmannsehe Buchhandlung, S. 841-848 (A) .

Kostlin, J., Christliche Ethik. Berlin, Reuther und Reichard. 1 898. VIII 700 S. Preis Mk. 1 0. Aus Anlaß des letzten Werkes von J. Köstlin habe ich seiner Zeit (1 896) die Vermittelungstheologie charakterisiert!, deren letzter Ausläufer er ist und aus deren Programm seine ganze Arbeit zu verstehen ist. Nunmehr liegt

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Vgl. "Göttingische Gelehrte Anzeigen. Eingehende Briefe November 1 895-1 899, Redakteur: Wentzel", Göttingen, Akademie der Wissenschaften zu Götringen, Ar­ chiv, Scient. 46, Nr. 1 . Vgl. "Liste von Besprechungsexemplaren 1 893-1 901 (Redakteur: Wentzel)", Göt­ ringen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Archiv, Scient. 37,3, Nr. 3, und "Liste von Besprechungsexemplaren 1 897-1 899 (Redakteur: Wentzel)", Göttingen, Akademie der Wissenschaften zu Götringen, Archiv, Scient. 37,3, Nr. 4. Ebd.

1 Ernst Troeltsch: (Rez.] Julius Köstlin: Der Glaube und seine Bedeutung für Er­ kenntnis, Leben und Kirche (1 896), oben, S. 64-79.

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auch eine Ethik vor, mit der der Umkreis seiner theologischen Arbeiten geschlossen ist und die wenigstens der Intention nach ein typisches Ab­ bild der vermittelungstheologischen Ethik ist, wenn sie auch der Durch­ führung nach - wie gleich hier gesagt werden muß - lange nicht auf der Höhe der I übrigen Arbeiten steht. Die Vermittelungstheologie war unter der Einwirkung Kants, Schleiermachers und der Glaubensphilosophen von den dogmatisch fixierten Objekten des Glaubens auf die subjektive Thätig­ keit des Glaubens, auf das fromme Bewußtsein, zurückgegangen und suchte aus ihm als dem an Bibel und Gemeinde genährten Gemeindebewußtsein die von der Orthodoxie entseelten und vom Rationalismus verschnittenen Dogmen wiederherzustellen. Dadurch war die Religiosität von vornherein als subjectiv lebendige, der Einwirkung von Wille und Gefühl unterliegende und nach Handeln und Wirksamkeit strebende gefaßt und trat ihre innere Beziehung zur handelnden Sittlichkeit von Hause aus in helleres Licht. So wurde es denn zum großen Ruhme der Vermittelungstheologie, neben der Dogmatik des Gemeindebewußtseins auch die Ethik des Gemeindebewußt­ seins geschaffen und damit überhaupt der Ethik erst zu ihrer wichtigen, der Dogmatik koordinierten Stellung und zu einem festen wissenschaftli­ chen Prinzip verholfen zu habena. Wie die Dogmatik in den Aussagen des frommen Bewußtseins Vernunft und Offenbarung vermittelte, so vermit­ telte die Ethik die natürliche und übernatürliche Moral, die christliche Jen­ seitigkeit und die humane Diesseitigkeit. Und wie im frommen Bewußtsein theoretische und praktische Aussagen sich gegenseitig stützten und bestä­ tigten, so waren hier auch Ethik und Dogmatik mit einander vermittelt. Die praktisch-gefühlige Fassung der Glaubenslehre wird bestätigt durch die sittlich-praktischen Wirkungen, die wiederum ihrerseits nur von einer entschieden christlichen Glaubenslehre ausgehen können. Die Ethik ist der praktische Beweis der Wahrheit der Glaubenslehren und die Dogmatik die Grundlage und Kraft solcher Moral. In einer solchen Ethik fielen daher auch die konfessionellen Unterscheidungslehren weg. Sie wurden zu wert­ vollen, sich gegenseitig ergänzenden Spielarten derselben Moral, und die Ethik wurde so die große Musterleistung der Unions theologie. Das große Vorbild aller dieser Vermittelungen, das ihr Recht in der Kirche bezeugt, ist Melanchthon, der "Ethiker" der Reformation, der aus der gottgewollten Gleichzeitigkeit von Reformation und Renaissance den Antrieb zu seiner christlich-humanistischen Ethik entnahm und damit das Licht der vermit­ telungstheologischen Ethik angezündet hat, das dann freilich erst der Luft-

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zug des klassischen Neu-Humanismus wieder in lebhafteren Brand versetzt hat.2 So ist denn auch die Ethik Köstlins die Lehre von der Auswirkung der in der evangelischen Gemeinde durch Bibel und Tradition vermittelten, über­ natürlichen, in der Erlösung mitgeteilten religiösen Lebensmacht Jesu, in der die Urstandsvollkommenheit wieder I hergestellt, die allgemeine sittliche Anlage der Menschheit zu ihrem Ziel geführt und die erbsündige, durch die blos natürliche Kraft unüberwindliche Verderbung dieser Anlage über­ wunden wird. Die alleinige Wahrheit und alleinige Kraft dieser Moral bestätigt sich in der frommen Erfahrung so klar, daß nur ganz kurz von ihren Voraussetzungen zu reden ist: von der allgemeinen natürlichen sittlichen Anlage, die aber erst im Lichte der Offenbarung deutlich erkennbar und von ihr erst zu ihrem naturgemäßen Ziel gebracht wird;3 von der erbsündigen Verderbung der Menschheit, die zwar auch von der natürlichen Gewis­ sensangst geahnt, aber erst von der Offenbarung völlig aufgedeckt wird;4 von der Bewirkung und Beschaffung der im Alten Testament vorbereiteten Offenbarung und Erlösung, deren dogmatische Fassung der Ethik zu Grunde liegt, aber nicht in ihr entwickelt zu werden braucht.5 So kann sich die theologische Ethik in Betreff der ethischen Prinzipienlehre überaus kurz fassen. Alle die Fragen über das Wesen des Sittlichen, seine Entwickelungs­ geschichte, seine Zusammenhänge mit einer allgemeinen Weltanschauung, womit sich die von der Theologie seit dem 1 8. Jahrhundert emancipierte allgemeine Ethik viel zu schaffen macht, fallen derart hier völlig weg. Die theologische Ethik benutzt diesen Erwerb nur gelegentlich als "formales Darstellungsmittel", kann ihn aber im Ganzen bei der Festigkeit ihrer Vor­ aussetzung von der übernatürlichen Wahrheit und Kraft der "christlichen" Moral und von ihrer runden Einerleiheit mit den Wahrheitsmomenten der "natürlichen" Moral völlig ignorieren. So sind denn insbesondere die "Vor­ aussetzungen der evangelischen Moral", die in der allgemeinen sittlichen Anlage liegen, überaus dürftig behandelt.6 Einige Reflexionen über das Ge2 Diese Charakterisierung Melanchthons stammt von Troeltsch, sie läßt sich so nicht bei Köstlin nachweisen. 3 Vgl. 1 . Teil, 1 . Hauptstück: "Die allgemeinen sittlichen Anlagen" (S. 29-87). 4 Vgl. 1 . Teil, 2. Hauptstück: "Die Sünde" (S. 87-1 08) . 5 Vgl. 1 . Teil, 3. Hauptstück: "Die göttliche O ffenbarung" (S. 1 08-1 32) . 6 "Charakteristisch muß für jene [die philosophische Ethik] i m Unterschied von dieser [der christlichen] doch immer ihr Streben sein, den Zusammenhang mit je­ nen allgemeinen Prinzipien alles Denkens und Seins klarzustellen. Sie wird in ih­ rer Betrachtung des Sittlichen ihr Denken, so entschieden dasselbe auf eine Aner­ kennung jener Heilsoffenbarung sich geführt sehen wird, doch immer wesentlich aufs allgemein Menschliche und die darin gegebenen Voraussetzungen des christ-

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wissen als Gottesstimme, über die Willensfreiheit und über die sittlichen Hauptaufgaben sind alles.' Mehr bedarf es nicht, da alles das in der Offen­ barungslehre doch noch einmal vorkommen wird und hier nur der Anknüp­ fungspunkt im natürlichen Bewußtsein hervorgehoben werden sollte. Die Quellen für die Darlegung dieser Moral sind das ATliche und NT­ liche Offenbarungswort, die kirchliche Tradition und das christliche Be­ wußtsein, dem hierbei eine sehr große Bedeutung zukommt. Denn in ihm werden die in der Offenbarung lediglich prinzipiell gegebenen Grundsätze, in denen über sehr vieles noch positive Aussagen fehlen, ja bei denen ge­ gen große Gebiete der gegenwärtigen Moral wie Wissenschaft, Kunst, Staat, Wirthschaft eine "zeitgeschichtlich bedingte"8 Zurückhaltung herrscht, auf die gegenwärtige Zeitlage angewendet und zu Aeußerungen gebracht, die das Gegenteil der eschatologischen und weltfeindlichen Moral des Urchristentums besagen, ohne aber dessen Normativität aufzuheben. I Hier und in einem späteren langen Abschnitte windet sich Köstlin hin und her, um dem Eingeständnisse zu entgehen, daß das Christentum als eine lebendig wachsende Religion sehr vieles in seinen Bereich gezogen und sich ange­ eignet hat, was seinen Anfangen gänzlich fremd war und was zu seinem eigensten Wesen in dauernder innerer Spannung bleibt. Mit der Berufung auf die von der Bibel gelehrte Güte der Schöpfung, auf Jesu Essen und lieh Sittlichen gerichtet halten, welche dagegen die theologische, ganz auf die ge­ genwärtige Verwirklichung des Sittlichen in unserm Christentum hin gerichtete Ethik eben nur kurz als Voraussetzung hierfür des Verständnisses wegen beiziehen wird." (S. 25) Vgl. dazu sowie zum Folgenden das Kapitel "Quellen und Normen. Gegensatz zum Katholizismus. Verhältnis zur philosophischen Ethik" (S. 1 9-26) in der Einleitung. Der Ausdruck "formales Darstellungsmittel" konnte bei Köst­ lin nicht nachgewiesen werden. 7 Vgl. dazu oben, Anm. 3, S. 645. Das erste Hauptstück ist in folgende Kapitel unterteilt: ,, 1 . Das sittliche Erkennen" (S. 29-48) , ,,2. Der Wille" (S. 48-63) und ,,3. Die allgemeine sittliche Aufgabe" (S. 63-87) . 8 "Die Ethik hat zu zeigen, daß und warum in der Menschheit und Christenheit Wis­ senschaft und schöne Kunst jeder Art verständig und also auch nach richtiger Me­ thode gepflegt werden sollte, nicht aber, was die richtigen Methoden für das alles seien. Sie wird ein staatliches Gemeinleben fordern, das seiner sittlichen Bestim­ mung gemäß und mit Rücksicht auf die jeweiligen Volkszustände in seinem Innern zweckmäßig verfasst und verwaltet sei, das auch ein den höchsten sittlichen Prin­ zipien und zugleich den jeweiligen Verhältnissen entsprechendes Verhalten zu an­ dern Staaten zu beobachten wisse, das in seinem Innern auch mit Bezug aufs soge­ nannte wirtschaftliche Leben die den wirklichen Lebensbedürfnissen angemesse­ nen Bestimmungen möglichst umsichtig treffe u. s. w. Aber sie übernimmt damit nicht etwa die Aufgaben der Staatslehre, Politik, Nationalökonomie." (S. 1 8 f.) .

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Trinken mit den Zöllnern, seine Teilnahme an einer Hochzeit und seine Forderung der Bruderliebe läßt sich eine positive Stellung zu den genann­ ten Gebieten nicht begründen, und die überidealistischen Forderungen der Bergpredigt kann kein Vermittelungstheologe der Welt zu Grundlagen des gegenwärtigen wirthschaftlichen Lebens umdeuten. So scheitert schon an der Frage nach den Quellen die so lebhaft betonte Uebernatürlichkeit der christlichen Moral als einer der blos natürlichen, getrübten und irrenden Erkenntnis entgegengesetzten übernatürlichen Mittheilung der wahren Sitt­ lichkeitsgebote. Alle Augenblicke muß "der von Gott geleitete Gang der Dinge" (S. 641 � , oder "der Gebrauch der natürlichen Geisteskräfte, die uns Gott eben zum Gebrauch für diese Welt gegeben hat" (S. 323111) oder "der göttliche Wille, der doch eben auch uns zu diesem Wirken in der Welt nicht blos ermächtigt, sondern auch verpflichtet" (S. 40411) als ergänzende Quelle dienen, muß eine Forderung als "sittlich und so auch christlich" (S. 631 12) be­ zeichnet, ein "Problem der Gegenwart" als ein solches anerkannt werden; "das nicht einfach aus den christlich sittlichen Prinzipien sich lösen läßt" (S. 57513) . Es hilft nichts, wenn dann mit verschiedenen Variationen hinzu9 "Auch bietet die Geschichte uns ganz unverkennbare Beispiele dafür dar, wie der von Gott geleitete Gang der Dinge bei der Neubildung von Staaten gerade nicht auf eine Einigung der Volksgenossen unter Einzelpersönlichkeiten und Ge­ schlechtern hinführte, die sich etwa aus der bisherigen geschichtlichen Entwicke­ lung des Volks dafür ergeben hätten, sondern vielmehr auf eine Bestellung aller, auch der höchsten obrigkeitlichen Ämter aus der Gemeinschaft der Volksgenos­ sen selbst heraus, so wie diese hier selbständig und selbstthätig zu ihrem staatli­ chen Gemeinwesen sich zusammenschlossen und dasselbe behaupteten." (S. 641 ) . 10 "Was im einzelnen z u den sittlichen Aufgaben des WeIdebens gehöre, das hat dann der Christ zu ersehen in einem gewissenhaften, aus der gottgemäßen Grundgesin­ nung hervorgehenden Gebrauch der natürlichen Geisteskräfte, die ihm Gott eben zum Gebrauch für diese Welt gegeben hat." (S. 323) . t t "Nur um so mehr aber haben wir als Christen den göttlichen Willen uns zu ver­ gegenwärtigen, der doch eben auch uns zu diesem Wirken in der Welt nicht bloß ermächtigt, sondern verpflichtet und die hier sich darbietenden Güter uns gebrau­ chen und genießen läßt." (S. 404) . 12 "Nur darauf muß vom sittlichen und so auch christlichen Standpunkt aus allge­ mein gedrungen werden, daß einerseits kein Staat ohne positive Berechtigung und dringenden Anlaß fremde nationale Elemente gewaltsam sich einverleibe, anderer­ seits jeder die einmal in ihm zusammengeschlossenen Elemente möglichst zu ei­ nem einheitlichen Leben zu verschmelzen suche, wozu dann gerade auch die mög­ lichste Schonung dessen gehört, was in ihnen wertvoll und Gegenstand der Pietät für die einzelnen ist." (S. 631) Die Hervorhebung stammt von Troeltsch. 13 "Wie zu dieser [gemeint ist die Prostitution] der Staat mit seiner äußern Gesetzge­ bung und Gewalt sich verhalten solle und könne, ist ein Problem der Gegenwart,

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gefügt wird: "dem Neuen Testament ist darüber nur Weniges, aber immer Bedeutsames, zu entnehmen" und dann irgend ein Wort aus dem Briefe ei­ nes urchristlichen Missionars oder Erbauungsschriftstellers zitiert wird, für den die Welt außerhalb der Gemeinde überhaupt eine fremde Welt ist und der an moderne Probleme überhaupt nicht gedacht hat.14 Es liegt auf der Hand, daß unter diesen Umständen die Ethik einen et­ was bunten und geflickten Charakter tragen muß. Neben den erbaulichen Betrachtungen nehmen sich die Capitel aus der Aesthetik, Politik, National­ ökonomie, dem Strafrecht und der Wissenschaftslehre etwas fremdartig aus. Aber diese Buntheit, die in der Folge der ganzen Grundanschauung liegt, wird noch gesteigert durch Prinziplosigkeit der Einteilung, die an sich nicht notwendig wäre, aber doch auch wohl durch die Geringschätzung des theo­ logischen Ethikers gegen die prinzipiellen Begriffsbildungen der modernen Ethik verursacht ist. Köstlin zerlegt den ganzen Stoff in eine Lehre I vom christlich-sittlichen Leben als "Leben des inneren Menschen in seiner Ge­ meinschaft mit Gott"15 und "in eine Lehre vom christlich-sittlichen Leben als Leben in dieser Welt"16. Die Einteilung hätte einen guten Sinn, wenn sie die Gegenüberstellung des spezifisch religiösen und daher überweltlichen Zweckes gegen die innerweltlichen oder kulturellen Zwecke bedeuten soll. Nur müßten dann die Bedeutung dieser Gegenüberstellung und die in ihr liegenden Probleme viel schärfer herausgehoben werden. Es müßte gezeigt werden, wie diese Gegenüberstellung in der Geschichte der christlichen Mo­ ral heranwuchs, wie sie immer deutlicher hervortrat und wie sie in der mo­ dernen Welt bei der Anerkennung der Selbstzwecklichkeit der innerweltlidessen große praktische Schwierigkeiten auch ein christlicher Ethiker anerkennen muß und das nicht einfach aus den christlich sittlichen Prinzipien heraus sich lö­ sen läßt." (S. 575) . 14 Z u dieser Bemerkung Troeltschs konnte keine konkrete TextsteIle nachgewiesen werden. Vgl. aber S. 3 1 5 : "In der That müssen wir nun mehr als es meist bei den evangelisch gläubigen Ethikern geschieht, jenen Mangel an Äußerungen beachten, durch welchen weite und für uns gar wichtige ethische Gebiete mindestens sehr beiseite gesetzt, ja ignoriert erscheinen, und werden dann wenigstens bei einzel­ nen Aussprüchen fragen müssen, ob sie nicht positiv jenen Grundzug erkennen lassen." Vgl. auch S. 502: "In betreff der neutestamentlichen Zeugnisse können wir nur wiederholen, daß sie aufs christlich sittliche Leben in der Welt überhaupt zu wenig eingehen, um für eine direkte Entscheidung über derartige Fragen zu ge­ nügen." 15 2. Teil, 1 . Hauptstück: "Das christlich sittliche Leben als Leben des inneren Men­ schen in seiner Gemeinschaft mit Gott" (S. 1 35-306) . 16 2. Teil, 2. Hauptstück: "Das christlich sittliche Leben als Leben in dieser Welt" (S. 307-680) .

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chen Zwecke eine ganz neue Gestalt angenommen hat, die auch für die Re­ formatoren und die Ethik des alten Protestantismus bei ihrer bloß passiven Hinnahme der weltlichen Ordnungen als göttlicher Fügungen noch nicht bestanden hat. Es hätte die Polarisation innerweltlicher und überweltlicher Zwecke gezeigt, die aus dem modernen Leben hervorgeht, und die Auflö­ sung jener Antinomieen gesucht werden müssen, die von dieser Grundlage aus möglich ist. Aber nicht bloß ist von alle dem gar nicht die Rede, son­ dern die Einteilung ist gar nicht festgehalten, insofern die Lehre von dem spezifisch religiösen Zweck beständig in die kulturellen Zwecke hinüber­ spielt und andererseits die Lehre von den innerweltlichen Zwecken doch wieder von Gottesdienst, christlicher Bruderliebe und Kirche ausführlich handelt. Ja, es entsteht bisweilen der Anschein, als wäre die ganze Einteilung prinzipiell anders gemeint, als behandle der erste Teil die christlich-sittliche Persönlichkeit für sich und der zweite Teil die sittliche Gemeinschaft, als handle es sich also um die Einteilung in Individualethik und Sozialethik. So handelt der erste Teil fast nur von der Arbeit des Individuums an sich, von seiner Selbstversittlichung in der Gemeinschaft mit Gott, wobei der sozia­ len Seite des spezifisch religiösen Gedankens sehr wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird, da diese immer zugleich auf das Leben in der Welt und auf dessen Durchdringung mit christlichem Geiste führe. Andererseits ist nun aber doch auch dieser zweite Teil durchsetzt mit breiten Darstellungen vom Verhältnis des Individuums zu sich selbst. Wie über Religion und Sittlich­ keit, religiöse und innerweltliche Moralzwecke, so fehlt auch über Individu­ alethik und Sozialethik jede prinzipielle Auseinandersetzung und jede prin­ zipielle Klarheit. Die Folge davon ist eine beständige Unklarheit nicht bloß der Darstellung, sondern auch des Gedankens, eine beständige Wiederho­ lung von Verweisungen und Wiederaufnahme früherer Ausführungen. Dazu kommt, um das Chaos vollständig zu machen, daß manche I Materien sehr beliebig und zufallig an einem gerade passend erscheinenden Ort ein­ geflickt sind und insbesondere Materien allgemein-begrifflicher Art, wie die Frage nach den Grundbegriffen der Ethik, den Begriffen von Normen und Zwecken, Individualethik und Sozialethik, Collisionen und Antinomieen, in irgend einen übrig gebliebenen freien Winkel gestellt werden. Sicher ent­ wickelt ist bei Köstlin nur der Uebergang von den dogmatischen Begriffen der Buße und Wiedergeburt zu den spezifisch religiös-ethischen Gedanken des Lebens in der Bekehrung und Heiligung, d. h. das dogmatische Element. Aber die Einstellung dieses Elementes in den allgemeinen Zusammenhang ethischer Begriffe, seine Aufnahme in das System sittlicher Zwecke und die Wirkung dieses religiösen Zweckes auf die von ihm zu durchdringenden in­ nerweltlichen Zwecke, die ganze Struktur des moralischen Lebens und die zahllosen in ihm offenen, zum Teil sehr brennenden Fragen und Unklar-

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heiten: alles das ist ihm ganz fremd. Er nimmt nur ein leidliches äußerli­ ches Arrangement verschiedener durcheinander geschüttelter Bestandteile der theologischen und philosophischen Schulmoral vor. Wie sehr das der Fall ist, zeigt ein kurzer Ueberblick über den Inhalt bei­ der Theile. Der erste, "Das Leben in Gott"17, handelt von der Entstehung des christlich-sittlichen Willens, wobei die alten theologischen Probleme des Verhältnisses von Buße und Glaube, Gesetz und Evangelium, Kindertaufe und Bekehrung, der natürlichen Willenskraft und der übernatürlichen Gna­ denkraft scholastisch verhandelt werden. Hieran schließt sich die Lehre von dem Bestande des in der Bekehrung relativ fertigen Standes der Heiligung oder des prinzipiell christlich-religiös bestimmten Willens und von den Mit­ teln, ihn in diesem Stande zu halten, als da sind: Abendmahl, Gebet, As­ kese, Tugendmittel und die von der Bekehrungsbuße zu unterscheidende aHeiligungsbuße, an.a Der zweite Teil, "Das Leben in der Welt"18, handelt zunächst vom Verhalten des Christen zu sich selbst: zu seinem Leibe, wo­ bei Temperament, Alter- und Geschlechtsunterschied behandelt werden; zu seinem Geiste, wobei eine Theorie der christlichen Wissenschaft und der christlichen Kunst entwickelt wird; dann zur körperlichen Welt, wobei eine Theorie der sittlichen Grundlagen des wirtschaftlichen Prozesses, des ge­ sellschaftlichen Berufes, des Eigentums gegeben wird; von den Adiaphora, dem Gebotenen und Erlaubten, wobei Spiel, gesellige Tafelfreuden und Na­ turgenuß besprochen werden; schließlich von den Beziehungen auf Gott in diesem Weltleben, wo teils die Gedanken des ersten Teils wiederholt wer­ den, teils von dem innerhalb des Weltlebens heiligend eingreifenden Cultus und von der Kirche die Rede ist. Alles das ist "das Leben in der Welt noch abgesehen vom I Gemeinleben und Verhalten der Persönlichkeiten zu ein­ ander"p9 Diese Beziehungen werden vielmehr erst in zwei Schlußkapiteln dargestellt, die wunderbarer Weise in einen Abschnitt über das "Gemein­ leben der Persönlichkeiten"20 und einen über "die verschiedenen Hauptge­ meinschaften innerhalb des sittlichen Gemeinlebens"21 zerfallen! Hier wird nun wieder aus dem ersten Teil die rein religiös motivierte Gemeinschaft a-a

A:

Heiligungsbuße.

17 Vgl. oben, Anm. 1 5, 5. 648. 18 Vgl. oben, Anm. 1 6, 5. 648. 19 2. Teil, 2. Hauptstück, 2. Abschnitt: "Das Leben in der Welt noch abgesehen vom Gemeinleben und Verhalten der Persönlichkeiten zu einander" (5. 332-445) . 20 2. Teil, 2. Hauptstück, 3. Abschnitt: "Das Gemeinleben und Verhalten der Persön­ lichkeiten zu einander" (5. 445-571). 21 2. Teil, 2. Hauptstück, 4. Abschnitt: "Die verschiedenen Hauptgemeinschaften innerhalb des sittlichen Gemeinlebens" (5. 572-680) .

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der Bruderliebe hervorgeholt, sodann das sittliche Gemeinleben in Bezug auf die weltlichen Güter verhandelt, wobei die soziale Frage, die Frauenfra­ ge, das Recht erörtert werden, alles ohne Rücksicht auf Staat und Familie, die erst im letzten Kapitel kommen! Zur Vervollständigung der Unordnung fehlt auch nicht ein Paragraph "über den Einzelnen in Beziehung auf sich selbst im Gemeinleben"22 und über "die Beziehung zu Gott im Gemeinle­ ben"23. Das Schlußkapitel24 bringt dann endlich Familie, Staat und Kirche, wobei an die Familie wieder noch Nationalität, Geselligkeit, Vereinswesen, Sitte und Mode angeschlossen werden. All diese Ausstellungen beziehen sich jedoch nur auf die wissenschaft­ liche Form und Begründung. Eine andere Frage ist die nach dem inhaltli­ chen Charakter der hier vertretenen ethischen Gesamtanschauung. Sie stellt sich dar als die Anschauungsweise eines christlichen juste milieu, bei dem die durch geschichtliche Fügung thatsächlich gewordenen kulturellen Ord­ nungen und Zwecke hingenommen werden als einmal gegebene, von Gott gesetzte Verhältnisse des Handelns, die vor allem durch die von Gott ver­ ordnete und sehr zu respektierende Obrigkeit festgelegt sind, an denen der Christ mitarbeiten soll, obwohl die diese Zwecke als Selbstzwecke betrach­ tenden Weltleute darin mehr leisten als die Kinder Gottes (S. 40425), die er als schöne und gute, Genüsse bringende Ordnungen sich gefallen oder als Prüfungen und Uebungen in sittlicher Anstrengung über sich ergehen lassen soll, denen er aber doch wesentlich kein anderes Interesse entgegen­ bringt, als "daß das ruhige und stille Leben in aller Gottseligkeit und Ehr­ barkeit" nach I. Tim. 2,1 für die Christen ermöglicht werde, weshalb diese für die Obrigkeit "Gebet, Fürbitte und Danksagung thun sollen" (S. 63226) . Große brennende ethische Probleme der Gegenwart giebt es nicht. Die von 22 2. Teil, 2. Hauptstück, 3. Abschnitt: ,,7. Der Einzelne in seiner Beziehung auf sich selbst im Gemeinleben" (S. 547-561). 23 2. Teil, 2. Hauptstück, 3. Abschnitt: ,,8. Die Beziehung zu Gott im Gemeinleben" (S. 561-571). 24 Vgl. 2. Teil, 2. Hauptstück, 4. Abschnitt: "Die verschiedenen Hauptgemeinschaf­ ten innerhalb des sittlichen Gemeinlebens" (S. 572-680) . 25 "So gilt von diesem Wirken und Schaffen vollends, was wir auch schon von der Arbeit des Menschen an seiner eigenen leiblichen und geistigen Ausbildung in ge­ wissem Sinn auszusagen haben: daß die Aufgaben und Leisrungen, mit denen wir hier zu thun haben, in ihrer Objektivität möglicherweise von Personen, denen es an der wesentlich christlichen Grundgesinnung fehlt, ja von ganz selbstischgesinn­ ten und gottentfremdeten Persönlichkeiten vollständiger und richtiger, d. h. sach­ gemäßer ausgeführt werden, als manche echte Christen sie ausführen und auszu­ führen vermögen." (S. 404). 26 "Sie ist es, durch welche auch nach 1 . Tim. 2,1 ff. das ruhige und stille Leben in

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der Reformation wieder entdeckte Schätzung des "Berufes" hilft sie alle erledigen. Soziale Frage, Frauenfrage, Weltpolitik, Wirkungen der Technik verändern den Stand der sittlichen Probleme nicht wesentlich, die wissen­ schaftlichen Umwälzungen stellen die ethische Gesammtanschauung nicht vor neue Fragen. Alles ist, wie wenn wir noch in den alten lutherischen Ter­ ritorialstaaten lebten, wo die weltlichen Ordnungen, Stände und Berufe von der Obrigkeit festgelegt, I Kunst und Wissenschaft in christlich-sittlichen Grenzen gehalten, Kirche und Sakramente vom Staate geschützt wurden als die Quelle seines eigenen Lebens. Freilich wird oft genug erkennbar, daß die Lage inzwischen doch anders geworden ist und sehr ernste ungelöste ethische Probleme inzwischen aufgetaucht sind, aber das geschieht nur im Einzelnen, nicht im Ganzen und prinzipiell. Es ist die leidige theologische Kunst, etwas im Ganzen abzulehnen, was dann doch in den EinzelEille n immer wieder halb anerkannt wird, das Gegenstück der ebenso fruchtbaren Kunst, etwas im Ganzen zuzugeben und doch in jedem Einzelfall gegen die Anwendung Schwierigkeiten zu machen. Eine solche Ethik wird bei aller Umsicht und Sorgfalt der Ueberlegung, bei aller Würde, Freiheit und Milde der christlichen Persönlichkeit des Verfassers, bei aller gelehrten Kenntnis der ethischen Litteratur, die auch bei diesem Buche aufrichtig anzuerken­ nen sind, doch der Gegenwart gerade auf ihre ernstesten Fragen nicht sehr viel zu sagen haben und wird diese Antworten der sogenannten philosophi­ schen Ethik überlassen müssen. Ein Gefühl hierfür verraten auch Köstlins eigene Ausführungen, nämlich die über das Verhältnis der philosophischen und theologischen Ethik.27 Er meint, daß beide im Grunde identisch sei­ en, indem die philosophische Ethik von der natürlichen Sittlichkeit aus zur Anerkennung der Vollendung dieser Anlage durch die Offenbarung und der Notwendigkeit der Gnade für die Ueberwindung der Sünde gelangen müsse und andererseits die theologische in der Offenbarung ja nur die na­ türliche Sittlichkeit vollendet und zu ihrem Ziel gebracht finde. Vorläufig aber sei dieses Ziel der Einheit beider Ethiken noch nicht erreicht, und da dürfe der philosophischen Ethik zugestanden werden, daß "sie mehr, als der theologische Ethiker es für seinen Beruf erkennt, sich zu einer kla­ ren, folgerichtigen Darstellung der allgemein menschlichen Aufgaben des weltlich-sittlichen Lebens mit den dafür in Betracht kommenden Verhält­ nissen und Materialien des Handelns berufen finden wird" S. 2528. Dieser aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit für die Christen ermöglicht wird, weshalb diese für die Obrigkeiten Gebet, Fürbitte und Danksagung thun sollen." (S. 632) . 27 Vgl. dazu oben, Anm. 6, S. 645 f. 28 "Jene wird im Zusammenhang hiermit auch weniger zu einem weiten Eingehen in die hier in Betracht kommenden innersten Gebiete des sittlich religiösen Lebens

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Teilungsvertrag wird freilich schwerlich lange zu Gunsten der theologischen Moral wirken. Er wird schließlich zu einer solchen Selbständigkeit der "phi­ losophischen" Moral führen, daß diese durch die alte Schulformel von der Uebereinstimmung der natürlichen und übernatürlichen Moral sich nicht mehr in das alte Verhältnis zurücklocken läßt. Und es giebt sogar Leute, die meinen, das sei gar nicht mehr erst zu fürchten, das sei vielmehr schon längst geschehen, und es müsse daher die Sache von einem ganz anderen Ende angepackt werden. Heidelberg, 3. August 1 899. Troeltsch.

sich berufen finden und hingegen mehr, als der theologische Ethiker es für seinen Beruf erkennt, zu einer klaren, folgerichtigen Darlegung der allgemein menschli­ chen Aufgaben des weltlich sittlichen Lebens mit den dafür in Betracht kommen­ den Verhältnissen und Materialien des HandeIns." (S. 25) .

Martin Kähler: Dogmatische Zeitfragen (1 898)

Im Juli 1 898 fragte die Redaktion der "Göttingischen gelehrten Anzeigen" bei Troeltsch an, ob er Martin Kählers "Dogmatische Zeitfragen" und die zweite Hälfte von Reinhold Seebergs "Lehrbuch der Dogmengeschichte" rezensieren wolle.\ Troeltsch sagte zu, mußte jedoch für den Kähler-Text zweimal gemahnt werden.2 Am 7. August 1 899 traf die Besprechung schließ­ lich in Göttingen ein3 und konnte im Dezember 1 899 erscheinen. Ein Exemplar der Rezension schickte Troeltsch am 31 . März 1 900 an Adolf Harnack und schrieb erläuternd dazu: "Einige kleine Recensionen be­ gleiten diesen Brief, von denen Sie um des Prinzipes willen Notiz nehmen mögen. Namentlich Kählers ganz vagen Behauptungen entgegenzutreten, war mir ein Anliegen. An solchen Büchern sieht man wie die alte Theolo­ gie nur durch gewaltsame Capriccios schmackhaft zu machen ist u [nd] wie unendlich weit jede neue von der alten wegsteuern muß. Das Christentum ist allerdings in gewissem Sinne in der modernen Welt eine neue Religion geworden weil es ganz neue Inhalte u [nd] Weltansichten in sich hineingezo­ gen hat. Es ist nicht bloß eine neue Theologie was wir vertreten u[nd] leben, sondern überhaupt eine neue Phase des Christentums selbst. Darin haben solche Gegner wie Kähler recht. Sub specie aeternitatis aber sind alle diese

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Vgl. "Verzeichnis ausgegangener Briefe, Nov. 1 895-Apr. 1 899; Mai 1 899-Mai 1 90 1 (Redaktion: Wentzel)", Göttingen, Akademie der Wissenschaften z u Göttingen, Ar­ chiv, Scient. 46, Nr. 2. Zu Seeberg vgl. Ernst Troeltsch: [Rez.] Reinhold Seeberg: Lehrbuch der Dogmengeschichte, 2. Hälfte: Die Dogmengeschichte des Mittelal­ ters und der Neuzeit (1 90 1) --+ KGA 4. 2 Vgl. "Verzeichnis ausgegangener Briefe, Nov. 1 895-Apr. 1 899; Mai 1 899-Mai 1 90 1 (Redaktion: Wentzel)", Göttingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ar­ chiv, Scient. 46, Nr. 2. Die erste Mahnung erfolgte am 1 9. März 1 899, die zweite am 3 1 . Juli 1 899. 3 Vgl. "Liste von Besprechungsexemplaren 1 893-1 901 (Redakteur: Wentzel)", Göt­ tingen, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Archiv, Scient. 37,3, Nr. 4.

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Unterschiede vermutlich sehr unbedeutend. Der Gottesglaube bleibt doch immer Gottesglaube. "4 Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Göttingische gelehr­ te Anzeigen. Unter der Aufsicht der Königlichen Gesellschaft der Wissen­ schaften, 1 6 1 . Jg., 2. Band, Nr. 1 2, December 1 899, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, S. 942-952 CA) .

Kähler, M., Dogmatische Zeitfragen. Alte und neue Ausführungen zur Wissenschaft der christlichen Lehre. Leipzig 1 898. Verlag von A. Deichert Nachf. 1. Heft XII 276. H. Heft VI 482. Preis Mk. 5 u. Mk. 8,50. Kähler ist einer der charaktervollsten und geistreichsten Vertreter der konservativ-kirchlichen Theologie, wie sie aus der Wiedererhebung des Pietismus in den zwanziger Jahren des Jahrhunderts hervorgegangen ist. Dabei ist er als Verehrer Tholucks, Becks und Hengstenbergs bei den ursprünglichen Positionen dieser Theologie geblieben im Gegensatz zu der erneuerten konfessionellen Theologie und zu der Vermittelungstheologie. Er ist reiner Biblicist, ohne die spröde Festigkeit orthodoxer, durch Kirche, Amt und Symbole getragener Dogmen und ohne die Vermittelung zwischen Bibelsubstanz und Vernunftsubstanz anzustreben. Auf der Folie der allgemeinen Sündhaftigkeit und Verlorenheit der natürlichen und außerchristlichen Menschheit erhebt sich ihm die von Bibel und Kirche bezeugte große Rettungsthat Gottes, die an sich in einer von Schöpfung der Welt hergehenden wunderbaren Heilsgeschichte und in der prophetischen Verkündigung des letzten Weltendes und -zieles sich vollzog, für uns aber zusammengefaßt ist in der Bibel, welche diese reiche Geschichte samt ihren Wirkungen auf die frommen Gemüter widerspiegelt und in dem Zeugnis der Apostel vom auferstandenen, erhöhten und wiederkommenden Heiland "den völlig entsprechenden Ausdruck der göttlichen Gedanken"! darbietet. Im Verkehr mit der Bibel, die selbst den Gläubigen erzieht und bildet, entsteht dem Theologen die Erkenntnis der göttlichen Offenbarungswahrheit, die er für die Kirche zur Aneignung darstellt und die ihm durch diesen Ursprung aus der Urkunde göttlicher Offenbarungen gegen alle Einsprüche jeder denkbaren Wissenschaft 4 Brief Ernst Troeltschs an Adolf Harnack, 23. März 1 900, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Nachlaß Adolf von Harnack, Kasten 44 -> KGA 1 8/1 9. 1 Das Zitat konnte bei Kähler nicht nachgewiesen werden. Vgl. aber dazu das Kapi­ tel "Das schriftgemäße Bekenntnis zum Geiste Christi" (1 . Heft, S. 1 37-1 76) .

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gefeit ist. Er weiß, daß sich hier die seine eigentlichsten Bedürfnisse befriedigende Lebensrnacht erschließt, und hat hierin eine viel sicherere und tiefere Erkenntnis als die an der Welt und der stetig wechselnden Oberfläche der Dinge herumtastende Wissenschaft. Er allein hat absolute Gewißheit von einer normativen Wahrheit, und er allein I kennt die von der Offenbarung und ihrer fortgesetzten Auswirkung durch den heiligen Geist erzeugte Kraft, die gedachte und gewußte Wahrheit gegen die Sünde in Wirklichkeit und That umzusetzen. Die profane Wissenschaft steht vor einer unendlichen Progression fortschreitender Erkenntnisse und damit vor einem unüberwindlichen Relativismus; sie hat keine untrügliche Sicherheit, sondern überall Möglichkeit des Irrtums; sie kann die Idee nicht in That und Wirklichkeit überführen, sondern nur die Gedanken denken. Sie mag und muß auf ihrem Gebiete ihren Methoden folgen, aber das Gebiet der Heilsgeschichte und des Glaubens ist ihren Voraussetzungen und Methoden entnommen, absolut selbständig und nur auf Erforschung der Bibel angewiesen. Die biblicistische Theologie braucht sich daher um die Wissenschaft und ihre voraussetzungslosen Leistungen und Methoden prinzipiell nicht zu kümmern, da für sie diese absolute Offenbarungsge­ wißheit und sündenüberwindende Erlösungserfahrung die ihr Gebiet den gewöhnlichen wissenschaftlichen Methoden entnehmende Voraussetzung ist. Sie braucht nicht ängstlich apologetisch wie die Vermittelungstheologie den Einklang aufzuzeigen, sie braucht auch nicht wie die Ritschlsche Abartung der Vermittelungstheologie ihre Position gegen die Wissenschaft durch Abstreifung alles metaphysischen Charakters zu sichern; sie kann ungestört ihre Aussagen aus der Bibel entwickeln und die Wissenschaft in ihrer Sphäre sich selbst überlassen. Ihre Objekte gehören nicht zu der Welt, die den voraussetzungslosen Methoden der Wissenschaft zugäng­ lich ist. Andererseits aber hat die biblicistische Position bei der reichen Mannigfaltigkeit, der dogmatischen Unbestimmtheit, der Dunkelheit und Lückenhaftigkeit der biblischen Vorstellungswelt doch auch wieder eine große Beweglichkeit, die Fähigkeit kühner Combinationen, neuer Gruppierungen und Beleuchtungen von biblischen Ideen, mannigfachster Anknüpfung an die natürliche Wahrheit; die Möglichkeit großer Zugeständ­ nisse an moderne Naturwissenschaft und Historie, von denen immer nur erst abgebogen zu werden braucht, wenn die für sie inkommensurablen Heilsthatsachen in Frage kommen; die Neigung zu einem modernen Stim­ mungen sehr verwandten Subjektivismus, zur Fein- und Kleinmeisterei, zu allerhand verblüffenden Paradoxieen, durch die scheinbare Preisgebungen der eigenen Position zur besten Vertheidigung" ausschlagen. Sie steht in a

A: Vertheidung

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engster Fühlung mit der modernen Welt und ist etwas ganz anderes als die Orthodoxie vor 200 Jahren, sie citiert mit Vorliebe unsere großen Dichter und Philosophen und bewegt sich bei aller Beibehaltung des alten Weltbildes in dem Horizont moderner Denkweise. Sie ersetzt die hölzerne, verständige Klarheit der alt-ortho I doxen Begründung durch den Appell an Gefühl und Charakterfestigkeit, an den Sinn für Paradoxie und Gegensatz gegen Tagesmeinungen und ihre massive Zuversichtlichkeit durch geistreiche und sprunghafte Apen;us. Sie hat mit ihr gemein das Bekenntnis zu einer in die irdische Welt der bloßen Wissenschaft hineinragenden überirdischen Welt absoluter Wahrheit und sündenüberwindender Kraft, sie teilt mit ihr die Schätzung der Deutungen dieser Offenbarungen in den kirchlichen Dogmen und das Bewußtsein um eine 2000jährige Continuität, aber sie stellt den Bibelinhalt doch selbständig, frei und schöpferisch dar, die Dogmen immer wieder aus ihm korrigierend, erweiternd und belebend und mit einer gewissen Freude an einem auch bei ihr vorhandenen modernen Zuge. Dieses Neue aber, das die biblicistische Theologie sowohl in Bezug auf das Verhältnis zur Wissenschaft als zu Kirche und Dogma vor der alten Orthodoxie voraus hat, entstammt dem Pietismus. Er hat an Stelle des hölzernen Inspirationsbeweises die Berufung auf Gefühl, Erfahrung, subjektive Gewißheit und Ueberzeugung gesetzt, die aller weiteren Begrün­ dungsversuche überhebt. Er hat die Concentration auf das Wesentliche und Religiöse herbeigeführt, die in den Außenwerken die weitgehendste Verbindung mit modernem Denken möglich macht. Er hat an die Stelle der harten, schulmäßigen Verzahnung von Bibel und scholastischer Metaphysik die frei bewegliche, von aller Wissenschaft unabhängige und sie doch beliebig berührende rein biblicistische Gedankenbildung gesetzt. Er hat endlich an Stelle der individuellen Heilsgeschichte der Bekehrung, die die Orthodoxie allein mit ihren Voraussetzungen behandelte, den großen umfassenden Gedanken der kosmischen Heilsgeschichte gesetzt, der zwischen Weltschöpfung und Weltende alle Erkenntnis zusammenfaßt und, wie in der Urchristenheit in der Gewißheit von der Wiederkunft Christi und der Vollendung des Reiches den Schlußpunkt aller Erkenntnis finden läßt, darum aber auch eine erneute Regung des Christentums, innere und äußere Mission, herbeigeführt hat. Der dankbare Hinblick auf den Pietismus, die Schätzung Bengels, des Musterbildes eines verkirchlichten Pietismus und des Meisters der heilsgeschichtlichen Methode, die Fortführung der Lieblingsprobleme des Pietismus und die Betonung eines der alten Orthodoxie gegenüber modernen Charakters gehört zu den wichtigsten Kennzeichen der biblicistischen Theologie. Diese Charakteristik ergiebt sich aus dem ersten Bande der "Dogmati­ schen Zeitfragen", in dem eine Anzahl früherer, durch Beziehung auf neue

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Probleme bereicherter Abhandlungen vereinigt sind, um Wesen und Me­ thode der bilicistischen Theologie gegenüber der modernen Wissenschaft und gegenüber einer von ihr angekränkelten I Theologie apologetisch und polemisch zu entwickeln. Die Vorrede setzt ausdrücklich diesen Zweck aus­ einander und bezeichnet den Sinn, in dem die Zeitfragen behandelt wer­ den sollen: "Die Stoffe sind lediglich unter den Gesichtspunkten christli­ cher Einsicht mit den Mitteln kirchlicher Wissenschaft behandelt" (S. VI) . Der Gegensatz kirchlicher und profaner Wissenschaft ist das Hauptthema der "Zeitfragen". Die "Zeitfragen" einer solchen Theologie sind naturgemäß: erstens die Frage nach der Begründung einer derartigen Autorität der Bibel, die nicht auf wörtlicher Inspiration beruht und historisch-kritische Detailforschung nicht ausschließt, die aber doch einen völlig übernatürlichen, die Behand­ lung der Bibel den gewöhnlichen historischen Methoden entrückenden Cha­ rakter hat; sodann die Frage nach Wesen und Methode der auf diesem Fun­ dament erbauten Theologie als der absolut einzigartigen, unter ganz beson­ deren Bedingungen stehenden "Christentumswissenschaft"; schließlich die Frage nach der Abwehr der allgemein herrschenden, diese Voraussetzun­ gen nicht oder nicht ohne weiteres anerkennenden modernen wissenschaft­ lichen Denkweise und vor allem nach der Abweisung der von ihren voraus­ setzungslosen Methoden angekränkelten kritischen Theologie.2 Die erste Frage hat Kähler in zwei bekannten Schriften "Unser Streit um die Bibel"3 und "Der sog. historische Jesus und der geschichtliche bi­ blische Christlls"4 behandelt. Sie sind lediglich deshalb aus den Zeitfragen weggeblieben, weil sie für einen Wiederabdruck zu neu waren. Aber sie sind überall vorausgesetzt, besonders die zweite Schrift mit ihrer paradoxen The­ se, daß für rein historisch-kritische Wissenschaft bei der Mangelhaftigkeit unserer Quellen Leben und Predigt Jesu überhaupt nicht sicher wieder er­ kennbar sei, daß dagegen das apostolische Zeugnis von dem auferstande­ nen, erhöhten und wiederkommenden Christus den wirklichen Christus uns völlig erschöpfend zeige. An den letzteren, an das unter Voraussetzung des Glaubens an ihn gezeichnete Bild der Apostel, nicht an ein ohne Voraus­ setzung dieses Glaubens erst von uns zu gewinnendes und aus historischer Kritik hervorgehendes Bild haben wir uns zu halten. "Je mehr jemand sich 2 Zur Methodik Kählers vgl. vor allem den ersten Aufsatz in Heft 1 : "Christentum und Systematik" (S. 1 -1 5) . Der Begriff "Christentumswissenschaft" konnte bei Kähler nicht nachgewiesen werden. 3 Martin Kähler: Unser Streit um die Bibel (1 895) . 4 Martin Kähler: Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus (1 892) .

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in die Lage eines Kajaphas und Hannas, der Mitbürger von Nazaret und der Gäste des bethanischen Hauses versetzt und sich dabei der Vorurteile des Simon Petrus und der Schwestern des Lazarus entschlägt, desto mehr setzt er sich selbst der Versuchung aus, der die meisten Zeitgenossen unterlegen sind . . . Es ist das Bekenntnis zu dem (den Glauben in uns wirkenden, persönlich fortwirkenden) Geiste Christi, welches uns davor bewahrt, seine Apostel hoffärtig zu schulmeistern, und davor warnt, I eine angeblich voraussetzungslose geschichtliche Auffassung von dem Glaubensbekenntnis zu emancipieren"s. Wozu freilich nur zu bemerken ist, daß den neuen religiösen Gehalt des Evangeliums mit rein historischen Gesichtspunkten erfassen nicht Jesum mit den Augen des Kajaphas betrachten heißen kann und den apostolischen Messias- und Heilandsglauben historisch-psychologisch aus der Verbindung von Vorstellungsmassen der Zeit mit dem Eindruck der Person Jesu erklären nicht Schulmeistern der Apostel ist, so wenig als es Platon hoffärtig schulmeistern heißen kann, wenn man den Kern seiner Ideenlehre aus der zeitgeschichtlichen Form seiner Lehre herausschält. Des Originalen bleibt für eine rein historische Erforschung Jesu immer noch genug übrig, und solche rhetorische Sophistik verhindert nur die Erkenntnis des wirklich Originalen. Die zweite Frage beantworten die Aufsätze "Christentum und Systema­ tik" (dieser Aufsatz scheint hier zum ersten Mal gedruckt zu sein) , "Unbe­ wußtes und bewußtes Christentum", "die Bedeutung, welche den letzten Dingen für Theologie und Kirche zukommt"6. Die Antwort habe ich in der oben gegebenen Skizze zusammengefaßt. Hier ist nur hinzuzufügen, daß eine solche Theologie allerdings durch religiöse Wärme und Feinheit, sowie durch Bestimmtheit des Offenbarungsanspruches und durch die mannhaf­ te Betonung ihres alten Hausrechtes in der Kirche imponiert, daß aber ihre Klarheit im Grunde sich doch immer nur auf den prinzipiellen supranatu­ ralistischen Anspruch bezieht, alles Uebrige dagegen im Einzelnen doch 5 Kähler, 1 . Heft, S. 1 68. Nach ,,[ . . .] der die meisten Zeitgenossen Jesu erlegen sind." folgt: "Auch der wissenschaftlichen Schriftbehandlung droht jener Byzantinismus, der das conventionell stylisierte, genau beschreibende Mosaik an die Stelle der das Leben darstellenden Plastik gesetzt hat. Der Theologie rufen alle Apostel, die Pfingsten erlebt haben, durch des Paulus Mund zu: wenn wir auch Christum nach dem Fleische gekannt haben, so kennen wir ihn nun nicht mehr so." Der in Klam­ mern gesetzte Einschub ,,(den Glauben [ ...J)" stammt von Troeltsch. 6 Es handelt sich hierbei um folgende Aufsätze im 1 . Heft: "Christentum und Syste­ matik. Eröffnungsrede zu den Vorlesungen über Dogmatik und Ethik" (S. 1 -1 5), "Unbewußtes und bewußtes Christentum. Eine Weihnachtsandacht im Vorhof" (S. 46--72) und "Die Bedeutung, welche den ,letzten Dingen' für Theologie und Kirche zukommt" (S. 242-276) .

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immer wieder sehr künstlich, fremdartig und unbestimmt anmuthet, daß ihr Verhältnis zur Bibel durchaus kein einfaches und natürliches ist und daß mit der Gewißheit absoluter Wahrheit gerade dieser Bibeltheologie ih­ re Beschränkung auf einen verhältnismäßig so kleinen Kreis bedrückend kontrastiert. Dieser schon von dem "giftigen alten Christusfeind Reimarus" erhobene Einwurf macht auch Kähler selbst zu schaffen (S. 26 f.1). Aber er glaubt, daß das Endgericht, das jeden noch einmal vor Christus stellen wird, dieses schwere Rätsel auflösen werde, und daß man daher jetzt um seine Auflösung sich nicht zu sorgen habe.8 Der dritten Frage sind die Aufsätze gewidmet: "Die moderne Theolo­ gie und die Stellung zu ihr auf Kanzel und Katheder", "Warum ist es in der Gegenwart so schwer, zu einem festen Glauben zu kommen", "Das schriftgemäße Bekenntnis zum Geiste Christi", "Berechtigung und Zuver­ sichtlichkeit des Bittgebetes"9. Wenn es sich um Zeitfragen handelt, ist diese Frage die brennendste, und ihre Beantwortung darf bei dem starken Ge­ gensatz der biblicistischen Theologie gegen die moderne Wissenschaft mit Spannung er l wartet werden. Aber hier werden wir sehr enttäuscht. Gera­ de hier liegt überall die Entscheidung bei den einzelnen Fragen, bei denen es sich darum handelt, ob ihre Beantwortung mit der Voraussetzung der 7 Kähler, 1 . Heft, S. 267 f.: "Und da hat nun der giftige alte Christusfeind, S. Rei­ marus in Hamburg, den Lessing nach seinem Tode aus seiner vorsichtigen Ver­ borgenheit hervorzog, dem christlichen Denken einen peinlichen Einwand ge­ macht. In unerbittlicher Aufrechnung stellt er auf der einen Seite den geringen Umfang, in dem das Evangelium Menschen erreichen konnte und kann, und auf der andern Seite seinen Anspruch auf die allgemeine Geltung in Vergleichung." Gotthold Ephraim Lessing veröffentlichte 1 774-1 778 Fragmente aus einer Schrift ("Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes", entstanden 1 735-1 767/68), die der Orientalist Hermann Samuel Reimarus (1 694-1 768) ver­ faßt hatte. Daraus entwickelte sich der sogenannte Fragmentenstreit um die von Reimarus formulierte Kritik an einer rein biblizistischen Buchstabengläubigkeit. 8 "Es heißt, wie der Vogel Strauß den Kopf in den Busch stecken, wenn man sich kurzweg mit dem geschichtlichen Particularismus begnügt und den biblischen An­ spruch auf alle als eine begeisterte Uebertreibung stehen läßt. [...] Wir sind der Zu­ versicht, daß dereinst Gott sie gibt, wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit da sein wird und vor ihm alle Heiden versammelt." (1 . Heft, S. 267 f.) . 9 E s handelt sich hierbei u m folgende Aufsätze i m 1 . Heft: "Die moderne Theo­ logie und die Stellung der Kirche zu ihr auf Kanzel und Katheder" (S. 73-1 09), "Warum ist es in der Gegenwart so schwer zu einem festen Glauben zu kommen?" (S. 1 1 0-1 36), "Das schriftmäßige Bekenntnis zum Geiste Christi, ein Maßstab für die theologischen und kirchlichen Bewegungen der Gegenwart" (S. 1 37-1 76) und "Berechtigung und Zuversichtlichkeit des Bittgebets" (S. 1 77-2 1 6) .

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biblicistischen Theologie einfacher und einleuchtender ist als die Beantwor­ tung ohne diese Voraussetzung nach den Methoden, die sich sonst der Wirk­ lichkeit gegenüber ausgebildet haben. Von Kähler wird jedoch auf keines der einzelnen Probleme eingegangen, weder auf die aus der modernen Na­ turwissenschaft und dem modernen Weltbild entspringenden, noch auf die Probleme der Historie und der allgemeinen Religionsgeschichte, noch auf die Detailfragen biblischer Kritik. Der Streit wird durchaus auf das Gebiet der Prinzipien hinübergespielt und lediglich aus der konstruierten Natur der Prinzipien entschieden, eine beliebte theologische Methode. So vernehmen wir einerseits nur die immer wiederholten monotonen Versicherungen von der beseligenden, kraftgebenden, sündenüberwindenden Erfahrung des bib­ lischen Glaubens, von dem siegreichen Gang der Bibel durch die Jahrhun­ derte, von dem alleinigen Recht des Glaubens, für den die Märtyrer gestor­ ben sind, andererseits die Hervorkehrung der skeptischen Elemente der Wissenschaft, die Versicherung ihres bloß natürlichen, fehlbaren Charakters, die Verhöhnung ihrer angeblichen Voraussetzungslosigkeit, die nur dogma­ tische Negation der christlichen Voraussetzungen sei, die Bitterkeit gegen den modernen Aberglauben, der durch Wissenschaft die Welt zu bessern meine. Sobald die Behandlung etwas mehr auf das Einzelne eingeht, un­ terscheidet Kähler die Wissenschaft, sofern sie nur den christlichen Supra­ naturalismus bestreitet oder ignoriert, im übrigen aber religiöse und sittli­ che Wahrheiten anerkennt, von der Wissenschaft so ferne sie pessimistisch, atheistisch, materialistisch oder als reine ideenlose Spezialwissenschaft eine direkt feindliche oder gleichgiltige Position einnimmt. In dem ersteren Sinne bezeichnet er sie als "Idealismus", womit er Platonismus, Stoicismus, deut­ schen Idealismus, die großen Dichter u. s. w. zusammenfaßt.10 Ihr Prinzip ist rein natürliche selbstgefundene Wahrheitserkenntnis, Beschränkung auf na­ türliche Religion, Herabsetzung des Christentums zu menschlichem Fund, optimistische Plattheit oder verbissene Resignation. Sie muß scheitern an der Ungewißheit ihrer Erkenntnis und an der Unfähigkeit, die Sünde zu überwinden. Ja, ihre wirklichen Consequenzen sind infolge dessen immer wieder Pantheismus und Monismus und mit diesem schließlich Pessimis­ mus und Atheismus. Damit schlägt die Wissenschaft im ersten Sinne sofort in die Wissenschaft im zweiten Sinne um, die einer Widerlegung gar nicht erst bedarf. "Wir fürchten die Berührung mit der Wissenschaft nicht, I denn wir haben einen unzerstörbaren Grund für die Gewißheit unseres (christlichen) Wissens. Was auch die Wissenschaft lehrt, dessen Gewißheit stammt aus formeller Denknotwendigkeit, welche oft die Blöße sachlicher Notwen10 Vgl. den I. Abschnitt (S. 79-96) in dem Aufsatz: "Die moderne Theologie und die Stellung der Kirche zu ihr auf Kanzel und Katheder" (S. 73-1 09) .

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digkeit nur dürftig verdeckt, oder aus der Erfahrung der nicht selten trügen­ den Sinne. Unmittelbar, innigerer, voller dem Wesen unseres Geistes ent­ sprechend und darum untrüglicher ist die Erfahrung des Glaubens in ihrem Zusammenklang mit dem Worte der Offenbarung. So hat die Wissenschaft keinen Rechtstitel, unter dem sie dieses Wissen verdammen kann. Wie auch der Streit um die Außenwerke toben möge, den Kern unseres Bekenntnis­ ses, das Wissen um den lebendigen Gottes- und Menschensohn, kann er uns nicht wankend machen; und von dieser Feste aus werden die schirmen­ den Waffen immer von neuem siegreich nach allen Seiten vordringen. Die vorgebliche Allmacht der Wissenschaft kann ein verschwommenes Gebilde empfindelnder Einbildung drehen und wandeln; aber fest wider alle Versu­ che steht das einfältige klare Wissen auf dem Lebensgrunde des innigen und zur Echtheit geläuterten Glaubens" (S. 71 f.)11. Von der Wissenschaft im zweiten Sinne insbesondere heißt es: "Wie nun immer die Philosophie sich mit diesen weder zufällig auftauchenden noch willkürlich erfundenen Gedankengebilden auseinandersetzen mag, der Christ ist in der Lage, mit voller Zuversicht sie von der Schwelle zu weisen und er allein. Denn alle Forderungen, welche ein klares Nachdenken über die Welt ergiebt, müssen sich mit jenen Meinungen auf gleichem Boden auseinandersetzen; man hat denselben Stoff und man bearbeitet ihn mit den gleichen Mitteln; da bietet sich geringe Aussicht auf Entscheidung. Der Christ hat jedoch seinen Stand­ punkt nicht in der Beobachtung der Naturwelt um sich her, sondern in sei­ nem Herzen, in welchem der Geist des Sohnes ruft: Abba Vater" S. 1 6 1 12• Alle Ausführungen sind nur Variationen dieser Sätze, und von dieser an­ geblichen Entscheidung der Prinzipien aus werden alle Schwierigkeiten ein­ fach erledigt. Die Naturgesetzlichkeit des modernen Weltbildes kommt in der Frage der Gebetserhörung für den gereiften Christen gar nicht in Be­ tracht S. 1 9213; "selbst die Litteraturkritik hängt bei den Gegenständen der 11 Das Zitat stimmt mit dem Original überein. Die Einfügung ,,(christlichen)" im er­ sten Satz stammt von Troeltsch, der vierte Satz beginnt "So hat denn die Wissen­ schaft keinen Rechtstitel [.. .)" . 1 2 Kähler, 1 . Heft, S . 1 60 f. Der Beginn lautet vollständig: "Wie nun immer di e Philo­ sophie sich mit diesen weder zufällig auftauchenden noch willkürlich erfundenen Gedankengebilden auseinandersetzen mag, die sich in der gesamten Erfassung und Behandlung des Lebens von einer verhängnisvollen Tragweite erweisen; der Christ ist in der Lage, mit voller Zuversicht sie vor der Schwelle abzuweisen, und er allein." Bei Kähler heißt es im folgenden Satz: "mit denselben Mitteln", und der darauffolgende Satz beginnt mit "Der Christ jedoch hat [ .. .)" . 1 3 "Deshalb ist der Einwand gegen die Gebetserhörung, welcher den Denkern der ernsteste zu sein scheint, der von dem erkennbaren oder denkbaren Verhältnisse

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Theologie von der Stellung ab, welche man zu der Thatsache der göttlichen Offenbarung einnimmt" S. 1 4; die religionsgeschichtliche Schwärmerei, die dem Christentum seinen ausschließlichen Offenbarungscharakter durch al­ lerhand schwebende Analogieen streitig machen will , wird damit abgewie­ sen, daß, "wenn irgendwo, so auf dem Gebiete des religiösen Lebens Glei­ ches nur von Gleichem erkannt werden kann" (S. 239 u. 25514), was besagen soll, daß der Christ allein die Alleinwahrheit I des Christentums und eben damit die Unoffenbartheit der nichtchristlichen Religionen erkennen kann. Am liebsten aber wird von allem Thatsächlichen, was die Wissenschaft seit 200 Jahren einwendet, gar nicht geredet. So viel von Heilsthatsachen die Rede ist, die an sich historisch und wissenschaftlich gar nicht festgestellt werden können, sondern nur für den Glauben existieren (S. 515), die also gar nicht Thatsachen im eigentlichen Sinne des Wortes sind, so wenig hört man von den Thatsachen, die das im gewöhnlichen Sinne des Wortes sind und die bei aller Lückenhaftigkeit und Fraglichkeit jedes Gesamt-Weltbildes doch ernsthaft und bedeutend genug sind, um der "biblicistischen" Theologie die schwersten Steine in den Weg zu wälzen. Aber sie zieht es vor, diese Steine nicht zu sehen und in der Luft den Kampf der Prinzipien auszufechten, während wir Uebrigen den harten Kampf mit den konkreten Einzel­ problemen auf dem realen Boden ausfechten. Freilich aber sind dafür auch solche Kämpfe in der Luft Kämpfe der Gespenster. Mit dieser Entscheidung über die Wissenschaft ist es auch um die kriti­ sche Theologie geschehen. Zu dulden zwar ist jede Theologie, die Gottes geschichtliche Offenbarung in der Schrift hoch hält, ehrerbietig vor der Per­ son Christi stehen bleibt und wahrhaftig die Thatsache seiner Auferstehung

Gottes zur Welt hergenommene, für den Christen in der That vom geringsten Gewichte." (1 . Heft, S. 1 92) . 14 "Wenn irgendwo, so gilt auf dem Gebiet des religiösen Lebens, daß Gleiches nur von Gleichem erkannt wird." (1 . Heft, S. 239 f.) ,,[ ...] derselbe pantheistische Evo­ lutionismus, der Hegels System beseelte, erwacht heute neu in der religionsge­ schichtlichen Schwärmerei mit ihren schwebenden Analogien, um hinter seinen in­ einander überfließenden Nebelbildern das scharfe Licht der Offenbarung zu ver­ dunkeln, in dessen Schein die Menschheit zum Bewußtsein ihrer selbst, weil ihres Beginns und ihres Zieles gekommen ist." (1 . Heft, S. 255) . 15 "Es ist eben nicht durch Erforschung sinnenfilliger Thatsachen beweisbar, daß das [die Bibel] Thatsachen und nicht Meinungen und Annahmen derer seien, die davon reden. Wo nun diese für uns so wichtigen Thatsachen, die jenseits geschicht­ licher Feststellung liegen, in eine große Gesamtanschauung zusammengefaßt wer­ den, da wirkt immer bereits der Zug unsers Geistes mit, der sonst in der Wissen­ schaft sich durch die Philosophie seine Auswirkung verschafft." (1 . Heft, S. 5) .

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stehen läßt (S. 90)16, aber zu verwerfen ist jede, die nicht von Hause aus von diesen Voraussetzungen aus operiert. Die Theologie, die mit der Wis­ senschaft dem Wahne der Voraussetzungslosigkeit huldigt, d. h. nicht von der speziellen Voraussetzung des biblicistischen Supranaturalismus, von der Unterscheidung der natürlichen, unsicheren und sündig getrübten Wahrheit von der geoffenbarten, erlösenden und übernatürlichen Wahrheit ausgeht, diese moderne Theologie, die sich mit ihrer Modernität etwas weiß, ist ab­ solut zu verwerfen, ohne Ketzerrichterei gegen Personen, aber scharf in der Sache von Kanzeln und Kathedern zu verdrängen. Denn die angebliche Voraussetzungslosigkeit ist nur Knechtschaft unter den gerade gangbaren Methoden, deren Geheimnis aber jedesmal bei der beanspruchten Einheit­ lichkeit ihrer Methode Monismus und Pantheismus, Leugnung einer über­ weltlichen und übernatürlichen Bestimmung der Persönlichkeit ist! Auch diese Theologie ist nicht in ihren Einzelheiten zu diskutieren, sondern ihr Prinzip ist aufzusuchen als das Prinzip der großen modernen Häresie, und ist es gefunden, so haben wir den Maßstab zur Sichtung und Ordnung in der gegenwärtigen Theologie. Und dieser Maßstab ist einfach genug gefunden. Die biblicistische Theologie bleibt bei den unbekrittelten und hingenom­ menen Voraussetzungen, die für die Bibel selbst Voraussetzungen sind. Sie will nicht klüger sein als die Bibel. Die I moderne Theologie dagegen stellt sich nicht unter diese, sondern unter fremde Voraussetzungen des moder­ nen Monismus. Sie geht in ihre Wurzeln zurück nicht auf die Bibel, sondern "auf Spinoza, Cherbury, Bembo, Leo X., ja auf Valentin und Basilides und gleicht dem Meere, das mit seiner zerstörenden Flutwoge allmählich zeh­ rend und zuletzt umstürzend die Dämme der Kirche bespült" S. 1 0917! Auch hier ist ein so einfaches Ergebnis nur bei so summarischem Ver­ fahren möglich. In Wahrheit giebt es ein so einfaches Prinzip der moder­ nen Häresie nicht und handelt es sich um sehr verschiedene Versuche, die bleibende Wahrheit des Christentums ohne die fertige Voraussetzung des 16 "Weiterhin schließe ich jede dogmatische Richtung aus [ ... ], wenn sie [nicht] Gottes geschichtliche Offenbarung in der Schrift hoch hält, wie sie dieselbe auch näher definiere, wenn sie endlich ehrerbietig vor der Person Christi stehen bleibt und wahrhaftig die Thatsache seiner Auferstehung stehen läßt". (1 . Heft, S. 90 f.) . 17 Das Zitat lautet vollständig: "Wenn die ,moderne Theologie' in ihren Wurzeln zu­ rückgeht auf Spinoza, Cherbury, Bembo und Leo X., ja auf Valentin und Basili­ des - gleicht sie nicht dem Meere, das mit seiner zerstörenden Flutwoge allmäh­ lich zehrend und zuletzt umstürzend die Dämme der Kirchen bespült? denn die Verheißung der Unüberwindbarkeit haben wir nur für die kleine Herde." (1 . Heft, S. 1 09) Kähler fährt fort: "Wäre es nicht besser zu sprechen: schiedlich, friedlich; nehmt die Volks kirchen hin, wir wollen uns neue Bekenntniskirehen bilden?"

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"biblicistischen Supranaturalismus"18 zu würdigen. Zu ihnen drängt eben die durch allerhand ganz konkrete Schwierigkeiten herbeigeführte und im­ mer fortschreitende Zerbröckelung jener Voraussetzung, die auch bei den konservativen Theologen schon starke Züge der Verwitterung zeigt und oft nur mehr das feste Gestein eines gefühlsmäßigen persönlichen Entschlus­ ses übrig behalten hat, während die alten historischen und metaphysischen Beweise weggewaschen sind. Es ist durchaus irrig, daß die Abweisung oder Zurückstellung dieser Voraussetzung zugleich Bekenntnis zur Forderung absoluter Voraussetzungslosigkeit überhaupt bedeute, daß sie Forderung ei­ ner absolut einheitlichen Methode für alles Erkennena überhaupt und eben damit Monismus und Pantheismus, Leugnung des lebendigen Gottes und überweltlicher Persönlichkeitsziele besage. Sie bedeutet nur, daß mit jener "biblicistischen"19 Voraussetzung gegenüber einer sehr einleuchtenden hi­ storischen Detailkritik nicht auszukommen ist. Aber sie läßt vollkommen offen, von axiomatischen Voraussetzungen über Wesen und Bedeutung des Geistes und der Persönlichkeit gegenüber der Natur auszugehen, ohne wel­ che ein positives Verständnis der Religion allerdings unmöglich ist. Sie läßt offen, den verschiedenen Wirklichkeitsgebieten gegenüber sehr verschiede­ ne Methoden auszubilden, über die Möglichkeit einer Vereinigung ihrer Er­ gebnisse zu einem Gesamtweltbild sehr skeptisch zu denken, insbesondere aber auch zur Erforschung der Religion eine diesem Objekt entsprechende Methode auszubilden. Sie läßt offen, die historische Welt der Religionen mit der Beteiligung persönlichen Werturteils zu beurteilen, die der ganzen histo­ rischen Welt gegenüber unvermeidlich ist, die sich an einer Konstruktion der Entwickelung objektive Bestätigung suchen mag, die aber im Kerne ein gegenüber der verglichenen Wirklichkeit entstehendes persönliches Urteil ist. Sie läßt schließlich vollkommen offen den Glauben an einen lebendigen Gott und bedarf nur für diesen Glauben nicht die Herabsetzungen der au­ ßerchristlichen Religionen zu menschlichen Erfindungen und die Beschränkung der Erlösung allein auf das I Christentum. Sie fordert nur die Einreihung des Christentums in die allgemeine Religionsgeschichte, weil sich die a

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18 "Wie bedeutsam immer die Schrift unmittelbar und mittelbar für die Bildung der christlichen Ueberzeugung jedes Christen gewesen sei; im tiefsten Grunde glaubt niemand an Gott, Christum und seinen Geist, weil von ihnen in der Bibel zu lesen steht; vielmehr fassen wir Vertrauen zur Bibel, weil der Geist Christi uns den Inhalt der Bibel in seiner Wahrheit und Wichtigkeit bezeugt, den Christus der Bibel uns verklärt und wirksam macht." (1 . Heft, S. 1 69) . 19 Vgl. die vorangehende Anmerkung.

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es ihr entnehmende Voraussetzung nicht bewährt hat, und sofern die Be­ zweifelung dieser Voraussetzung ursprünglich - wie das überall zu gesche­ hen pflegt - von allgemeinen Theorieen ausgegangen ist, sind doch nicht diese Theorieen, sondern ist die bis zum höchsten Grade der Wahrschein­ lichkeit steigende thatsächliche Bewährung dieser Theorieen der Grund der Leugnung. Geht es ja doch mit der Entwickelung der meisten Theologen so, daß sie nicht von Anfang an moderne Wissenschaft in die Theologie ein­ schleppen, sondern umgekehrt die supranaturalistische Theologie sich apo­ logetisch befestigen wollen, und erst dann, wenn sie auch bei so eindring­ lichen Apologeten wie Kähler und anderen keine befriedigende Sicherung dieser Position erhalten, es mit anderen Voraussetzungen versuchen. Diese anderen Voraussetzungen aber sind nicht beliebige, sondern sie bestehen zu­ meist lediglich in der Voraussetzung der Einheitlichkeit und Gleichartigkeit des historischen Geschehens, die uns die gesamte Kritik der Ueberlieferun­ gen unseres Geschlechtes an allen Punkten wahrscheinlich gemacht hat. Diese Bemerkungen glaubte ich gegenüber der Geringschätzung Käh­ lers gegen die "religionsgeschichtliche Schwärmerei"20 und gegenüber sei­ ner Andeutung über die "neuen Rationalisten", die aus der jüngeren Schule Ritschls hervorgegangen seien, nicht unterdrücken zu sollen. Er will mit dem bekannten Buche Eckes eine kirchlich zu tolerierende Gruppe der älte­ ren und ächten Ritschlianer von einer jüngeren Gruppe unterscheiden, die sich wieder der liberalen Theologie nähere und kirchlich nicht zu tolerieren sei (S. 9 f.21) . Bei Ecke erscheint Harnack als ihr Führer, Kähler schweigt über die Personen, denkt aber wohl ähnlich. An dieser Auffassung ist die 20 ,, [Die moderne Theologie] bekennt, daß sie nicht beten kann. Das ewige persön­ liche Leben ist ihr ein Problem, und gelöst wird es nur in einer Phänomenologie des religiösen Bewußtseins. Den Glauben an den erhöheten Christus erklärt sie für Götzendienst und spricht nur von der Religion Jesu, des schwärmenden und irrenden Idealisten." (1 . Heft, S. 89) Vgl. dazu auch das ganze Kapitel: "Die mo­ derne Theologie und die Stellung der Kirche zu ihr auf Kanzel und Katheder". (S. 73-1 09) Der Begriff "neue Rationalisten" fällt in diesem Zusammenhang aller­ dings nicht. 21 Kähler, 1 . Heft, S. 90 f. Auf S. 91 schreibt Kähler: ,, [...] weder tröstet bisher der Kriticismus die Gemeinde durch eine Betrachtung über die Sünden Jesu, noch geht der Moralismus unsrer Tage zu Ostern auf die Kanzel mit der Freudenbot­ schaft: Christus ist nicht auferstanden." Hierzu folgt eine Anmerkung, die mit fol­ genden Sätzen beginnt: "Hier ist natürlich nur eine ungefahre Grenze angedeutet; es ist auf Vorgänge in der Litteratur und in der Praxis der zurückliegenden Jahr­ zehnte angespielt. Diese Grenze ist schon damals mit Bewußtsein so gezogen, daß sie A. Ritschl und seine Anhänger nicht in den Bereich jener modernen Theologie stellt." In diesem Zusammenhang verweist Kähler auf die Ritschlsche Schule und

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Behauptung einer sehr viel radikaleren Wendung bei der historisch denkenden Theologie allerdings zutreffend. Nur das "Grundprinzip der modernen Häresie, der pantheistische Monismus"22 trifft bei uns nicht zu. Wir denken uns allerdings eine Theologie, die von dem Boden der allgemeinen Religi­ onsgeschichte aus rein historisch die Bedeutung des Christentums würdigt, die den engen Zusammenhang seiner klassischen Ursprungszeit mit dem antiken Weltbild und mit nur bei diesem möglichen Vorstellungen anerkennt und in der Gegenwart den Prozeß der Auflösung dieses Zusammenhanges sich vollziehen sieht, aber darum an seiner ewigen Bedeutung nicht zweifelt, weil nur in ihm Gott mit voller innerer Lebendigkeit der nach einem überweltlichen Ziel verlangenden Persönlichkeit sich darbietet. Eine solche Theologie mag kirchenrechtliche Schwierigkeiten haben, aber sie glaubt si­ cherlich an den lebendigen Gott. I Bei dieser Anzeige kamen vor allem die allgemeinen Fragen des ersten Bandes in Betracht.23 Ich muß es bei dem schon so allzu groß gewordenen Umfange unterlassen auf den zweiten Band einzugehen, der, einen früheren Vortrag stark erweiternd, eine Probe der biblischen Verständigung und Berichtigung an einem der Hauptdogmen des Protestantismus giebt. Bei seiner ganz speziellen Haltung ist seine Besprechung ohne dies mehr Sache der fachtheologischen Zeitschriften. Heidelberg, Juli. E. Troeltsch. auf Gustav Ecke: Die theologische Schule Albrecht Ritschls und die evangelische Kirche der Gegenwart, 1 . Band: Die theologische Schule Albrecht Ritschls (1 897) . Vgl. dazu die Besprechung i n Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principi­ elle Theologie (1 898), oben, S. 474 f. 22 "Nun weiß ich sehr wohl, daß in vielen der sich überstürzenden populärtheologi­ schen Schriften [ ... ] [das] moderne Bewußtsein ohne Entscheidung ringt mit der Liebe zum Christen turne, entstamme diese persönlicher Erfahrung oder wissen­ schaftlich-geschichtlicher Betrachtung. - Aber für das Urteil, um das es sich hier handelt, kommt es auf die Entscheidung an. In ihnen oder an ihnen muß es zur Scheidung der Säuren und Basen kommen, und das wird nur dadurch möglich sein, daß man das Princip der verwirrenden Strömung, von welchem die Zeit besessen ist, scharf faßt, klar herausstellt und diese Einsicht geltend macht; daß man zeigt, wie die Hingabe an das Formalprincip der modernen Theologie, an jene geschil­ derte angebliche voraussetzungslose Wissenschaftlichkeit, unausbleiblich auch un­ ter die Macht ihres Materialprincipes zieht, nämlich des Monismus, der nicht im­ mer irreligiös sein muß, aber stets widerchristlich. [ ... ] Wir brauchen nicht eine Schablo­ ne behufs einerJagd aufHeterodoxieen, sondern eine principielle Erkenntnis der Härese unsrer Zeit." (Kähler, 1 . Heft, S. 91 f.) Vgl. auch S. 1 65, wo Kähler vom "pantheisrisieren­ den Idealismus" spricht. 23 Dieser Band wird auch rezensiert in: Ernst Troeltsch: Religionsphilosophie und principielle Theologie (1 899) , oben, S. 626-629.

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Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Deutsche Litteraturzei­ tung, hg. von Paul Hinneberg, 20. Jg., Nr. 50/5 1 , 23. Dezember 1 899, Berlin: Wilhelm Hertz (Bessersehe Buchhandlung), Sp. 1 899-1 901 (A) .

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Theobald Zieg/er, Glauben und Wissen. Rede zum Antritt des Rektorats der Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg. Strassburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1 899. 3 1 S. 8 ° . M. 0,80. Ziegler hat für seine Rektoratsrede ein Thema greifen wollen, bei dem der praktische Einfluss der Philosophie auf das Leben besonders deutlich zur Anschauung komme, und hat sich zu diesem Zweck das theologische Grundproblem "Glauben und Wissen" gewählt in der sehr richtigen Annahme, dass die Theologie den praktisch bedeutsamsten Zusammen­ stoss von Kräften der Praxis und Grundsätzen wie Ergebnissen der Philosophie darstelle. Wie die ganze Schleier machers ehe Schule und deren Parallelbildungen geht hierbei Z. von dem Grundsatze aus : die Philosophie, die überhaupt in erster Linie Analyse des Bewusstseins, seiner Inhalte und der Verknüpfung dieser Inhalte ist, hat die Religion oder den Glauben als psychologische Erscheinung von einer grossen historischen Mannichfaltigkeit vor sich; ihre Aufgabe dem "Glauben" gegenüber ist nicht, die Glaubensobjekte einer bestimmten Religion zu beweisen oder durch spekulative, frei gewonnene Lehrsätze zu ersetzen, sondern vielmehr, die Religion historisch-psychologisch in ihrer Entstehung, ihren Verzweigungen, ihren Bildungs- und Wandlungsgesetzen zu verstehen und erkenntnisstheoretisch die in ihr enthaltene Wirklichkeitserkennt­ niss von der im exakten wie im philosophisch-spekulativen Erkennen enthaltenen zu unterscheiden. Freilich ist damit der Konfliktspunkt für diese moderne Fassung des Problems nur an eine andere Stelle verlegt, wie Z. sehr wohl, wenn auch unvollständig erkennt. Einmal entsteht nämlich die Frage (die Z. freilich nur streift, obwohl ohne ihre bejahende I Beantwortung an eine positive Auseinandersetzung der Inhalte religiösen

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und philosophischen Erkennens überhaupt gar nicht zu denken ist) , wie gegenüber der historischen Mannichfaltigkeit denn überhaupt ein Norm­ und Zielbegriff der Religion zu gewinnen sei; sodann die zweite von Z. stärker betonte, wie ein gegebener religiöser Vorstellungsinhalt (gesetzt auch, man könne ihn andern religiösen Formationen gegenüber nach rein aus der Religionswissenschaft erwachsenden Kriterien mindestens als den vergleichsweise höchststehenden bezeichnen) mit den aus der Wissenschaft stammenden Erkenntnissen sich vertragen könne. Z. sieht den Grund der hier sich erhebenden Schwierigkeit sehr einseitig einerseits in dem beständig hypothetischen und modi6cabeln Charakter der philosophischen Wissenschaft, andererseits in dem direkt entgegengesetzten stabilen, konservativen und jede Aenderung fürchtenden Charakter der religiösen Vorstellungswelt.1 Doch der Bestandtheil der Philosophie, um den es sich hier handelt, die idealistisch-teleologische Weltanschauung ist keineswegs etwas so Schwankendes und Modi6cables für den, der überhaupt einmal eine feste philosophische Position gewonnen hat, und es ist andrerseits der religiöse Glaube, abgesehen von seinen kirchlichen Verhärtungen, die er doch immer durchbricht, nichts so Starres und Selbstgewisses. Der Satz "der Glaube dagegen ruht aus in dem sicheren fertigen Besitz"2 ist ein Vorurtheil derer, die die Religion nur als kirchliche Macht und als Dogmatik kennen. Er wird von der Religionsgeschichte mit ihrem beständigen Ringen und Zweifeln, ihrem Wechsel von Höhen und Tiefen, ihrer beständigen Produktion neuer religiöser Gefühle nicht bestätigt. Immerhin aber stösst die Vorstellungswelt der religiösen Symbolik mit den möglichst im Anschluss an exakte Kenntniss gebildeten philosophischen 1 "Der Glaube [ ...] ist konservativ, er hält an dem einmal Aufgenommenen mit der ganzen Kraft des Herzens fest; die Wissenschaft dagegen ist beweglich und fort­ schreitend, ist rastlos und kritisch, in beständiger Wandlung und Umwandlung be­ griffen". (S. 17) Vgl. auch die nachfolgende Anmerkung. 2 Das Zitat lautet vollständig und im Zusammenhang: "Der wissenschaftliche Glau­ be ist versetzt mit dem Zweifel an sich selbst und an die Richtigkeit des von ihm bloss hypothetisch Angenommenen, zu zweifeln und auf die Gefahr des Irrtums hin zu forschen ist ihm Pflicht und Recht, ist ihm geradezu Lebensbedingung und Notwendigkeit, dubito ergo sum gilt auch in diesem Sinn; der religiöse Glaube da­ gegen ist über allen Zweifel erhaben, Zweifel ist ihm Sünde, Irrtum ist ihm Schuld, er ist wirklich eine gewisse Zuversicht, die nicht zweifelt an dem, was keines Men­ schen Auge je gesehen und keines Menschen Ohr jemals vernommen hat. Die Wissenschaft ist ruhe- und rastlos, für sie giebt es keinen Halt und kein Ende, für ihre Forschung nicht Zaum noch Zügel; der Glaube dagegen ruht aus im sicheren fertigen Besitz, gläubig nimmt er an und hin und findet damit sein Ziel und sein Ende." (S. 13 f.) .

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Gedanken hart zusammen. In diesem Konflikt, der das Lebenselement der wissenschaftlichen Theologie ist, weiss Z. zur Lösung im Ganzen doch nur zu sagen, dass eine historisch-psychologische Betrachtung der Religion die Nothwendigkeit dieses Konfliktes aus der Natur der Sache erläutert und mit der Einsicht in diese Nothwendigkeit auch die Ergebung in sie, Geduld und Duldsamkeit herbeiführt.3 Die Religion wird anerkennen, dass die Wissenschaft so opponiren muss und es nicht aus Bosheit thut. Die Philosophie wird anerkennen, dass die Religion aus innerer Nothwendigkeit ihre Dogmen bildet und nicht aus blosser Bornirtheit. So wird man sich ineinanderfügen und vor Allem auf das für die Reinheit der Religion mehr noch als für die Wissenschaft gefährliche Mittel eines materiellen Druckes zu Gunsten bestimmter religiöser Ansichten verzichten. In der Gesammtfassung des Problems stimme I ich mit Z. vollständig überein und wird wohl auch die Theologie in immer weiteren Kreisen über­ einstimmen. In Bezug auf die Einzelausführung, die Psychologie und Er­ kenntnisstheorie, bin ich, wie ich an anderem Orte dargelegt habe, allerdings häufig anderer Meinung.4 Vor allem ist das Ergebniss, wenn wirklich damit für die Praxis etwas ausgerichtet werden soll, zu dürftig, zu skeptisch und unbestimmt. Auch lässt sich m. E. dieses Ergebniss gerade von diesen Vor­ aussetzungen aus etwas positiver gestalten. Es würde sich dann ein Verhält­ niss der Polarität ergeben: alle philosophische Bearbeitung der Wirklichkeit schliesst unter ihre Voraussetzungen bestimmte praktisch-religiöse Inhalte mit ein und giebt ihrem Ergebniss die Form modificabler wissenschaftli­ cher Theorie; alle Religion andrerseits bereichert ihren eigenen Inhalt be­ ständig aus den von wissenschaftlichen Eindrücken ausgehenden religiösen Gefühlen und befreit ihre Vorstellungs symbolik von zweifellosen Gegen­ sätzen gegen sicher erkannte Erfahrungswahrheiten. So werden sie neben­ einander existiren und sich fördern können, ohne dass freilich eine bestän­ dige Erneuerung des Konfliktes ausgeschlossen wäre. Er liegt in der Natur der Sache und ist unaufhörlich, aber er ist auch immer wieder durch ruhige Einsicht in die Natur der beiden Erkenntnissweisen zu überwinden. Vor­ aussetzung hierfür ist aber allerdings, dass eine bestimmte Religion als die von uns anzuerkennende Höchstleistung der bisherigen Religionsgeschich­ te feststehe, von der aus die Inspiration der philosophischen Spekulation ausgehen darf, und die bei aller Wandelbarkeit ihrer Vorstellungs symbolik doch von ihrer eigenen Höchstgeltung überzeugt sein darf. Darüber aber 3 Vgl. dazu bei Ziegler S. 1 4-16. 4 Vgl. Ernst Troeltsch: Die christliche Weltanschauung und die wissenschaftlichen Gegenströmungen (1 893/94) -+ KGA 10 und ders.: Die Selbständigkeit der Reli­ gion (1 895/96) -+ KGA 1 .

Theobald Ziegler: Glauben und Wissen

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hat Z. freilich nicht gehandelt. Das Wort Religion spielt bei ihm wie bei vie­ len Philosophen und Theologen zwischen der Bedeutung "Christenthum" und "Gattungsbegriff der Religionen" hin und her. Hier liegt das Haupt­ bedenken gegen die übrigens höchst dankenswerthe Rede. Besonders sei übrigens für das treffende Wort über die wissenschaftliche Theologie S. 20 gedankt.5 E. Trae/lleh. Heidelberg.

5 "In diesem Konflikt scheint nun die wissenschaftliche Theologie berufen die Ver­ mittlung zu übernehmen, namentlich soweit sie sich in Anknüpfung an Schleier­ macher'sche Gedanken die Aufgabe gestellt hat, die Religion mit der Kultur zu versöhnen, und seit auch so fromme Männer wie Richard Rothe, dessen hun­ dertjähriger Geburtstag vor wenigen Monaten gefeiert worden ist, dem aus voller Ueberzeugung zugestimmt haben. Und in der That liegt in einer solchen allmäh­ lichen Umbildung der religiösen Vorstellungswelt, in der Ausscheidung veralteter Wissenselemente Aufgabe und Verdienst dieser Theologie, namentlich historisch unhaltbar Gewordenes hat sie entschlossen preisgegeben und abgetragen. Aber es ging ihr dabei, wie es den Vermittlern so oft zu gehen pflegt: recht machen kön­ nen sie es keinem Teil, von beiden Seiten werden sie verkannt und angegriffen, so hier von der kirchlichen, welche die Zugeständnisse der Theologie an Kultur und Wissenschaft zu einschneidend und gefahrlich findet oder von solchen Zugeständ­ nissen überhaupt nichts wissen will; und so erhebt sich von dort her die Klage, die Theologie verrate die Religion an die Wissenschaft, und wir alle wissen, wie oft schon der Priester den Professor zum Schweigen gebracht hat." (S. 1 9 f.) .

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Friedrich Paulsen: Kant der Philosoph des Protestantismus (1 899)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Deutsche Litteraturzei­ tung, hg. von Paul Hinneberg, 21 . Jg., Nr. 2, 6. Januar 1 900, Leipzig: B. G. Teubner, Sp. 1 57-1 6 1 (A) .

Friedrich Paulsen, Kant der Philosoph des Protestantismus. [S.-A. aus den Kantstudien hgb. von Vaihinger, IV, 1 .] Berlin, Reuther & Reichard, 1 899.

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40 S. 8°. M. 0,60. Den unmittelbaren Anlass zu dieser allgemeiner Beachtung werthen Schrift hat ein besonders energischer Ausdruck ultramontaner Geschichts­ konstruktion (0. Willmann, Gesch. d. Idealismus Bd. IP) gegeben, die einerseits in I Kant die Zusammenfassung der modernen autonomen Philosophie und andererseits eben um deswillen den Tiefpunkt der von Luther ausgehenden nominalistischen und subjektivistischen Zersetzung alle r Weltanschauung und Philosophie konstruirt. Mit dem katholischen Kirchendogma und der katholischen Weltherrschaft ist nur der von den Scholastikern zubereitete platonisirende Aristotelismus vereinbar. Die ultramontane Geschichtsauffassung erkennt daher nur den Thomismus, die klassische Verknüpfung einer dogmatisch-spiritualistischen Metaphysik 1 Der Aufsatz beginnt mit den Worten: "Der Neuthomismus, die Philosophie des re­ staurierten Katholizismus der Gegenwart, sammelt seine Kräfte zum Angriff auf Kant; ihn niederzuringen erscheint als die gros se Aufgabe der Zeit. So ist 0. Will ­ manns Geschichte des Idealismus, die jetzt in drei Bänden vollendet vorliegt, in ihrer historischen wie in ihrer kritischen Darlegung durchaus auf dieses Ziel ge­ richtet: Kants Philosophie erscheint in der historischen Betrachrung als der tiefste Punkt, den die Philosophie auf ihrem Niedergang seit der lutherischen Kirchenre­ volution erreicht hat, in der kritischen Beleuchrung als ein völlig haltloser, wider­ spruchsvoller Subjektivismus und Skeptizismus." (S. 5) In diesem Zusammenhang weist Paulsen in einer Anmerkung auf einen Aufsatz hin, in dem er Willmanns Buch bespricht: Friedrich Paulsen: Das jüngste Ketzergericht über die moderne Philosophie (1 898).

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und einer dogmatisch-autoritären Kirchenlehre, als normale Denkweise an. Der gemeinsame dogmatische und gemeinsame spiritualistische Charakter lässt sie als zusammengehörige kanonische Formen natürlicher und über­ natürlicher Wahrheit erkennen, die wie die politische Idee und die kirchlich regulirte Wirthschaftsordnung des Mittelalters ewige Ideale der Menschheit sind und nur in den Nebenfragen einer allzeit geschäftigen Modernisirung und Aufstutzung mit modernsten Schlagworten unterzogen werden. Die gleiche Kombination von Kantianismus und Protestantismus, die hier polemisch gemeint ist, ist in apologetischer Absicht von protestanti­ schen Theologen vollzogen worden. Auf der Theorie, dass zu der in Luther sich aussprechenden Auffassung der Religion erst Kant die ihr korrespon­ dirende Fassung des philosophischen Problems gebracht habe, beruht der Ausbau der dogmatischen Theologie der Ritschlschen Schule. Ausdrücklich bezieht sich Paulsen hierbei freilich nur auf Harnack, der diese Theorie in der wenigst schulmässigen Form vertritt.2 Wenn P. die so von beiden Seiten vollzogene Kombination sich aneignet, so erkennt er diese selbst als sach­ lich berechtigt an und stellt sich dabei in der Hauptsache entschieden auf die Seite der protestantisch-apologetischen Fassung dieser Kombination. Im­ merhin aber geschieht das doch in erster Linie nur in dem Sinne, dass er die Kantische Philosophie als den Sammelpunkt aller wissenschaftlichen, reli­ giösen und ethischen Interessen des autonomen Denkens der Gegenwart darstellt, wie ein solcher nur auf protestantischem Boden möglich ist und sowohl gegen die wachsende Reaktion als auch gegen die verderbliche Welt­ anschauung der Nervosität allein Schutz zu gewähren im Stande ist. Wie der Schwerpunkt von P.s Wirken auf sozialpädagogischem Gebiete liegt, so ist auch die Absicht dieser Schrift eine volkspädagogische. Sein ruhiger sach­ lich vorurtheilsloser Blick erkennt die schweren, unsere Zivilisation bedro­ henden Gefahren, und seine stilistische Kunst versteht sie überaus anschau­ lich zu schildern. Ebenso lichtvoll werden die im Kantianismus gegebenen gros sen geistigen Grundtendenzen geschildert, auf deren Fortbestand und I weiterer Durchsetzung alle gesunde Entwicklung der modernen Kultur be­ ruht. Es ist einmal das Prinzip der Autonomie des Denkens, das nirgends und auf keine Weise irgend eine gegebene Grösse als unfehlbare, super­ naturale Wahrheit hinnimmt, sondern j ede Ueberzeugung von geltenden Wahrheiten nur aus der vergleichenden und urtheilenden Ueberschau über die verschiedenen vorhandenen Lebensgehalte gewinnt. Es ist zweitens das 2 Vgl. Paulsen, S. 1 0-1 5. Hier verweist Paulsen auf Adolf Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte, 3. Band (1 8973) , S. 725-8 1 4. Es handelt sich dabei um folgen­ des Kapitel: 3. Buch, 4. Kapitel: "Die Ausgänge des Dogmas im Protestantismus": ,,1 . Einleitung" (S. 725-736) .

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Prinzip des Antiintellektualismus, der die exakt wissenschaftliche Forschung auf das Gebiet der Erfahrung und Erscheinung einschränkt, andererseits aber die Bildung einer idealistisch-teleologischen Gesammtweltanschauung von praktischen Entscheidungen für das Gute und die höchsten Werthe des geistigen Lebens aus als eine nicht exakt und dogmatisch beweisbare, aber praktisch unumgängliche Spekulation ausgehen lässt. Die Entfaltung beider Prinzipien ist nur auf dem Boden des Protestantismus möglich, während der Katholizismus überall ihr Todfeind ist. Beide sind auch in ihrem Wesen dem Protestantismus wahlverwandt, während sie der innerlichsten Struktur des Katholizismus direkt entgegengesetzt sind. Es ist eine sehr weitherzige Fassung des Protestantismus, die hierbei P. vorschwebt. Es ist aber auch ei­ ne sehr wenig schulmässige und ebenso weitherzige Auffassung des Kantia­ nismus, die sich ihm mit der ersteren verbindet. Die religiöse Vorstellungs­ welt des ersteren versteht er nämlich als "symbolischen Anthropomorphis­ mus"l, die Reform des letzteren als eine Wiederaufrichtung der idealistisch­ theistischen Metaphysik "mit anderem Vorzeichen"4, als Grundlegung einer "Metaphysik von unten"S oder einer Metaphysik vom Boden der Erfahrung aus. Nur so verstanden sind beide im Stande, sich die Hand zu reichen. Ver­ einigt aber werden sie die reaktionäre Fluthwelle zurückschlagen können. Sie würden, in ihrer rechten Bedeutung erkannt, vor allem die Hauptstüt­ ze des Ultramontanismus zu Fall bringen können, die moderne Indifferenz gegen alle Wahrheitsfragen, den Unglauben an die Macht der Ideen, die ner­ vöse Philosophie der Blasirten, die ihre Aufgeklärtheit gerade durch Un3 "Und so ist ein symbolischer Anthropomorphismus die notwendige Form jedes reli­ giösen Gottesglaubens. Wir können wissen, dass wir in der Menschengestalt, auch in der des Messias, nur ein Bild von Gott haben, aber wir können nur einen Gott, der in solchem Bilde uns sich darstellt, lieben und vertrauen." (S. 1 6) . 4 " I n der inhaltlichen Bestimmtheit seiner Weltanschauung steht Kant Plato und Leibniz sehr viel näher als einem skeptischen Agnostizismus. Ja er steht ganz auf ihrem Boden; er giebt im Grunde der idealistisch-theistischen Metaphysik nur ein anderes Vorzeichen: nicht demonstrierbare Verstandeserkenntnis, sondern prak­ tisch und theoretisch notwendige Vernunftidee." (S. 29) . 5 ,,[Es ist] der Vernunft vielleicht nicht überhaupt unmöglich, auf den ganzen Um­ fang der von der Wissenschaft ihr zur Schau zugeführten natürlichen und geistigen Welt blickend, letzte zusammenfassende Gedanken oder Hypothesen über Wesen und Zusammenhang der Dinge zu bilden. Ich meine, das 1 9. Jahrhundert ist mit Recht hierin doch wieder etwas zuversichtlicher als Kant; ich denke dabei nicht allein und nicht so sehr an die spekulative Philosophie, die den ganzen Wirklich­ keitsgehalt aus Begriffen a priori zu deduzieren unternahm, als an die mannigfalti­ gen Versuche, von unten herauf zu philosophieren, wie sie z. B. in den Systemen Schopenhauers und Benekes, Lotzes und Fechners vorliegen." (S. 26 f.) .

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terstützung der ärgsten Reaktion und ihre Verachtung der Religion durch gleichgültige Duldung des finstersten Fanatismus beweist, den streberhaf­ ten oder frivolen Respekt vor der biossen Macht, für den der Katholizismus ein brauchbarer Machtfaktor ist. Gerade über diese letztere Seite der Sache hat P. goldene Worte gesprochen,6 von denen man nur wünschen kann, dass sie in den weitesten Kreisen beherzigt würden. Dass die Darstellung P.s dem wirklichen Sachverhalt entspricht, dass nur im Zusammenhang mit festen religiösen Grundüberzeugungen und, wenn das, dann nur auf dem Boden des Protestantismus moderne Kultur möglich ist, I dass der Protestantismus dann aber eine durchgreifende Vereinigung mit der geschilderten Grundposition des Kantianismus eingehen muss, dass schliesslich der Kantianismus weder als Theorie der Skepsis noch als Theo­ rie des Positivismus, sondern als schiedlich-friedliche Auseinandersetzung der positiven Wissenschaften mit einer praktisch mitbedingten, von der Er­ fahrung aufsteigenden Spekulation hierbei in Betracht kommen kann und nur in diesem Sinne eine dauernde Mission hat: alles das ist meines Erach­ tens vollkommen richtig. Bedenken habe ich nur gegen die historische Kon­ struktion des Zusammenhanges. So gewiss der heutige Protestantismus und der Kantianismus sich gegenseitig als wahlverwandt erkennen können und zusammengehören, so wenig möchte ich Kant in direkten historischen Zu­ sammenhang mit den Ideen der Reformation oder Luthers bringen. Gerade die beiden Grundtendenzen, die P. hervorhebt, sind bei Luther nicht vor­ handen gewesen. Er hat die Autonomie des Denkens nicht gekannt, sondern die Unterwerfung unter die Bibel als selbstverständlich gefordert und dabei die autonome Gewissensentscheidung nur als Kriterium des Bibelverständ­ nisses aufgefasst. Andrerseits hat er die religiöse Vorstellung zwar in ihrem schroffen Gegensatz gegen das natürliche Erkennen und Denken, aber da­ bei beide Erkenntnisweisen doch durchaus dogmatisch gefasst. Der schroffe Gegensatz ist für ihn nicht der Gegensatz zweier Erkenntnissweisen, son­ dern zweier ganz fester Erkenntnissinhalte, von denen der biblische gegen den nicht-biblischen unbedingt Recht hat. Von einem symbolischen und 6 Vgl. Abschnitt III (S. 29-38) : "Zwischen dem Katholizismus und dem Absolu­ tismus besteht nun ein Verhältnis der Wahlverwandtschaft: der Katholizismus ist auf das Prinzip der absoluten äusseren Autorität aufgebaut und darum übt er auf alles, was zum Absolutismus neigt, eine unwiderstehliche Anziehungskraft; allem was an die Macht glaubt, imponiert er durch die geschlossene Einheit eines zielbe­ wussten, machtvollen Willens." (S. 30) "So kann man sagen: der Mangel an einer Philosophie, an herrschenden Ideen im Gebiet des Denkens und Strebens, ist die letzte Ursache des Ü bergewichts, das zu unserer Zeit der restaurierte Katholizis­ mus und seine Denkweise erlangt hat." (S. 32) .

Friedrich Paulsen: Kant der Philosoph des Protestantismus

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wandelbaren Charakter des religiösen Vorstellungsausdruckes hat er nichts gewusst. Die Motive des Kantischen Denkens dagegen liegen doch in erster Linie in dem autonomen Denken der Aufklärung und in dem Gegensatz, den das naturwissenschaftliche Erkennen zu den idealistisch-religiösen In­ teressen herbeigeführt hatte. Seine ganze Position war freilich nur auf dem Boden des Protestantismus möglich und von ihm mitbedingt, aber sie geht nicht aus ihm hervor. Der Protestantismus, der sich mit dem Kantianismus vereinigt, ist ein moderner, der, auch im Vergleich zu Luther, neue Blut­ zufuhr erhalten hat. Dass wir diese Thatsache so oft verkennen und die prinzipielle Differenz zwischen altem und neuem Protestantismus so wenig anerkennen, das hat es auch verschuldet, dass der Protestantismus, der sich wirklich mit dem Kantianismus verbinden mag und kann, so selten zu finden ist. Darum können auch die Wirkungen, die P. vom Protestantismus erwartet, mehr von einem erst noch zu erhoffenden als von einem schon vorhandenen Protestantismus ausgehen. Insbesondere zeigt der han­ növersche Ketzerprozess der letzten Tage', dass I die Spitzen der protestantischen Kirchen noch heute zum echten Kant grösstentheils keine andere Stellung einzunehmen wissen als seiner Zeit die Wöllner und Genossen,8 und dass man in diesen Kreisen von einem Verhältniss Kants und des Pro­ testantismus, wie es P. vorschwebt, nicht die entfernteste Ahnung hat. P.s Schrift ist im Grunde gegen den offiziellen Protestantismus ebenso gerichtet wie gegen den Ultramontanismus und wird auf die Vertreter beider keinerlei Eindruck machen, da der entschlossene Will e verhärteter kirchlicher Theologen wissenschaftlichen Erwägungen überhaupt nicht zugänglich ist. 7 Troeltsch spielt hier auf den Prozeß "Weingart" an. Vgl. dazu Hermann Weingart (Hg.): Der Prozeß Weingart in seinen Hauptaktensrucken mit Beilagen (1 900) . Ge­ gen Hermann Weingart, Pastor in Osnabrück, wurde im Februar 1 899 ein förmli­ ches Disziplinarverfahren eingeleitet. Vor allem wurde ihm vorgeworfen, über die ,,Auferstehung und Himme!fahrtlesu falsche Lehre" geführt zu haben. "In zwei Pre­ digten, in einer Oster- und Himmelfahrtspredigt, hatte er diese beiden geheimnis­ vollen Thatsachen durch die sogenannte objektive VisionsfDpothese seiner Gemeinde zu erklären versucht und unumwunden die Verwesung des Erdenleibes Jesu ausge­ sprochen." [Martin] R[ade] : Der Prozeß Weingart (1 900) , Sp. 34. Weingart wurde von dem Landeskonsistorium in Hannover schuldig befunden und seines Amtes enthoben. 8 1 793 erschien Kants "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft". Daraufhin erwirkte der Leiter des Geistlichen Departements Johann Christoph von Wöllner (1 732-1 800), ein Günstling Friedrich Wilhelms 11., in einer Allgemei­ nen Kabinettsordre 1 794, daß Kant vom König getadelt und verpflichtet wurde, nichts mehr gegen die Religion zu lehren und zu schreiben. Zu Wöllner vgl. auch unten, Anm. 8, S. 697 f.

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Dagegen könnte sie bei der Menge der Gebildeten die Erkenntruss davon bewirken, dass die religiöse und kirchliche Indifferenz, die Ersetzung des Glaubens an Gott durch den Glauben an die Macht lediglich die Geschäfte der Reaktion besorgen. Aber auch das ist nicht wahrscheinlich. Denn diese Leute glauben an die Möglichkeit einer Feuersgefahr erst, wenn das Haus abgebrannt ist. So bleibt für die Paulsensche Schrift wohl nur eine kleine Gemeinde von "Verschworenen für die Zukunft"9. Heidelberg. Ernst Troeltsch.

9 Diese Formulierung konnte bei Paulsen nicht nachgewiesen werden.

Max von Brandt: Die chinesische Philosophie und der Staatskonfuziarusmus (1 898)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Die Christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, hg. von Martin Ra­ de, 1 4. Jg., Nr. 5, 1 . Februar 1 900, Marburg i. H.: Verlag der Christlichen Welt (Martin Rade), Sp. 1 1 6 (A) .

Die chinesische Philosophie und der Staatskonfuzianismus. Von M. von Brandt. Stuttgart, Strecker und Moser 1 898. 1 21 Seiten. Der bekannte ehemalige Gesandte des Deutschen Reiches in Peking hat mit diesem Schriftchen seinen politischen Abhandlungen über das ostasiatische Probleml einen kurzen Bericht über die Geschichte der chinesischen Philo­ sophie, ihre Hauptzweige, ihre staatlich anerkannten klassischen Schriften und über ihre Kämpfe unter einander sowie ihr Verhältnis zur chinesischen Religion folgen lassen. Er wird sich schwerlich eine gleiche Anerkennung erwerben, da der Verfasser keinerlei Sinn für Religionsgeschichte, für das Verhältnis von Volksreligion und Philosophie und für die besondere Artung dieses Verhältnisses in China zeigt. Auch ist die Darstellung sehr mangelhaft geordnet, abschweifend und stilistisch gar nicht einwandfrei. Daß sie auf se­ kundären Quellen aufgebaut ist, ist freilich bei der Lage der Sache nicht zu verwundern. Wenn das Büchlein trotzdem interessiert, so kommt das von dem Stoffe, der uns eine uralte Kultur mit uralter Religion und einer die Religion reformierenden und ergänzenden Philosophie zeigt, der hier gelungen ist, was ihr sonst nirgends gelungen ist, die Volksmoral offiziell zu bestimmen. Sie hat das freilich nur durch religiöse Ergänzungen ihrer Klassiker und durch starken politischen Zwang erreichen können. Zugleich zeigt sie charakteristisch die Gestalt einer von religiösen Zwecken und Hin­ tergedanken gelösten oder doch in dieser Hinsicht zurückhaltenden Moral, 1 Vgl. u. a. Max von Brandt: Die Zukunft Ostasiens (1 895), ders.: Ostasiatische Fra­ gen (1 897) und ders.: China in ethischer, industrieller und politischer Beziehung (1 897) , ders.: Drei Jahre Ostasiatischer Politik 1 894-1 897 (1 897) .

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die Beschränkung auf eine Anzahl innerweltlicher Zwecke in dem Sinne ei­ nes brauchbaren, aber philiströsen juste milieu. Die ethische Kultur "beruft sich nicht ohne Grund, auf die Chinesen,"2 sie würde etwas Aehnliches her­ vorbringen und nur bei uns wohl schwerlich einen Staatskonfuzianismus er­ zeugen können. Im Sinne solcher ethischen Kultur ist auch die Beurteilung des Herrn v. Brandt sehr freundlich gehalten. Er rühmt der Staatsphiloso­ phie nach, daß bei ihr wenigstens Inquisition und Anarchismus unmöglich seien.3 Troeltsch

2 Dieses Zitat konnte bei Brandt nicht nachgewiesen werden. 3 "Welche Vorwürfe man aber auch der chinesischen Philosophie als dem maßge­ benden Element nach dieser Richtung [in bezug auf die Abschließung der ostasia­ tischen Länder gegen äußere geistige Einflüsse] hin machen kann, so darf man nicht verkennen, daß es ihr Einfluß gewesen ist, der China vor vielen Erscheinun­ gen bewahrt hat, deren die westländische rascher fortschreitende Kultur sich nicht zu erwehren gewußt hat. Erscheinungen wie die Inquisition und der Anarchismus und die Glorifikation derselben durch weite Klassen der Bevölkerung sind ihr er­ spart geblieben, und wenn die praktischen Ergebnisse nicht immer den theoreti­ schen Lehren entsprochen haben, und wo wäre dies überhaupt je der Fall gewe­ sen, so hat wenigstens die confucianische Richtung der chinesischen Philosophie die Aufgabe verstanden und erfüllt, an der Lösung der Fragen des täglichen Le­ bens mitzuwirken und so das Eigentum der ganzen Masse des Volkes statt einzel­ ner hervorragender Geister zu werden." (S. 96) .

Rothelitteratur Paul Mezger: Richard Rothe, ein theologisches Charakterbild (1 899)

Die Edition folgt dem Text, der erschienen ist in: Die Christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, hg. von Martin Ra­ de, 1 4. Jg., Nr. 5, 1 . Februar 1 900, Marburg i. H.: Verlag der Christlichen Welt (Martin Rade), Sp. 1 1 5-1 1 6 CA) .

Richard Rothe, ein theologisches Charakterbild. Von Lic. Paul Me': KGA 1 0. Troeltsch, Ernst: Die Selbständigkeit der Religion, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 5 (1 895), S. 361-436, 6 (1 896), S. 71-1 1 0, S. 1 67-2 1 8 ---> KGA 1 . Troeltsch, Ernst: Moderner Halbmaterialismus, in: Die Christliche Welt 1 1 (1 897), Sp. 98-- 1 03, Sp. 1 57-1 62 ---> KGA 1 . Troeltsch, Ernst: Christenthum und Religionsgeschichte, in: Preußische Jahrbücher 87 (1 897) , S. 41 5-447 ---> KGA 1 0 . Troeltsch, Ernst: Zur theologischen Lage, in: Die Christliche Welt 1 2 (1 898), Sp. 62763 1 , Sp. 650-657 --> KGA 1 . Troeltsch, Ernst: Geschichte und Metaphysik, in: Zeitschrift für Theologie und Kir­ che 8 (1 898), S. 1-69 ---> KGA 1 . Türck, Hermann: Der geniale Mensch, Jena, Leipzig: Ouo Rassmann (Doeberei­ ner'sche Buchhandlg, Nachfl.), 1 897, 2. Auflage, 1 897, 3. stark vermehrte Auflage, Berlin: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, 1 898. Tyler, CharIes Meilen: Bases of religious belief historie and ideal. An outline of religious study, New York, London: G. P. Putnam's Sons, 1 897. Tyler, CharIes Meilen: Religious belief: basis, historical and ideal, London: Putnam, 1 897. Ueberweg, Friedrich: Grundriss der Geschichte der Philosophie der Neuzeit von dem Aufblühen der Alterthumsstudien bis auf die Gegenwart, 3. Theil: Die Neuzeit, 2. Band: Nachkantische Systeme und Philosophie der Gegenwart, 8., mit einem Philosophen­ und Litteratoren-Register versehene Auflage, bearbeitet und hg. von Dr. Max Heinze, Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn, 1 897. Ueberweg, Friedrich: Grundriss der Geschichte der Philosophie der patristischen und scholastischen Zeit, 2. Theil: Die mittlere oder die patristische und scholastische Zeit, 8., neu bearbeitete, mit einem Philosophen- und Litteratoren-Register versehene Aufla­ ge, hg. von Dr. Max Heinze, Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn, 1 898.

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1 . Verzeichnis der von Ernst Troeltsch rezensierten und angezeigten Titel

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Woods, Patrick: Guide to true religion, Baltimore: J. Murphy & Co., 1 898. Wotschke, Theodor: Fichte und Erigena. Darstellung und Kritik zweier verwandter Typen eines idealistischen Pantheismus. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der philosophischen Doctorwürde an der Universität zu Leipzig vorgelegt, Halle a. d. S.: Wischan & Wettengel, 1 896. Wr6bleska, Eveline: Die gegenwärtige sociologische Bewegung in Frankreich mit be­ sonderer Rücksicht auf Gabriel Tarde, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 9 (1 896) , S. 492-5 1 6. Wundt, Wilhe1m: Logik. Eine Untersuchung der Principien der Erkenntniss und der Methoden wissenschaftlicher Forschung, 2 Bände, Band 2,2: Methodenlehre. Logik der Geisteswissenschaften, 2. umgearbeitete Auflage, Stuttgart: Ferdinand Enke, 1 895. Wundt, Wilhelm: Ueber die Definition der Psychologie, in: Philosophische Studien 12 (1 896), S. 1 -66. Wundt, Wilhelm: Ueber naiven und kritischen Realismus, in: Philosophische Studien 1 2 (1 896), S. 307-408, 1 3 (1 898), S . 1-1 05, S. 323-433. Wundt, Wilhe1m: Grundriss der Psychologie, Leipzig: Wilhe1m Engelmann, 1 896, 2. Auflage, 1 897, 3. verbesserte Auflage, 1 898. Wundt, Wilhe1m: System der Philosophie, 2. umgearbeitete Auflage, Leipzig: Wilhe1m Engelmann, 1 897. Wundt, Wilhe1m: Outlines of psychology. Translated with the cooperation of the author by Charles Hubbard Judd, Leipzig: Wilhelm Engelmann, London: Williams & Norgate, New York: Gustav E. Stechert, 1 897. Wyneken, Gustav Adolf: Amor Dei intellectualis. Eine religionsphilosophische Studie, Greifswald: Julius Abel, 1 898. Wyzewa, Teodor de: La philosophie de M. Balfour, in: Revue des deux mondes 1 29 (1 895), S. 445-456. Zaalberg, Willem: Zedelijke Godsdienst, Amsterdam: Van Holkema 1 895.

&

Warendorf,

Zahlfleisch, Johann: Ü ber Analogie und Phantasie. Eine historisch-kritische Studie, in: Archiv für systematische Philosophie 4 (1 898), S. 1 60-1 90. Zahm, John Augustine: Evolution and Dogma, Chicago: D. H. McBride & Co., 1 896. Zahn, Adolf: Socialdemokratie und Theologie besonders auf dem Boden des Alten Testamentes, Gütersloh: C. Bertelsmann, 1 895. Zahn, Adolf: The latest ecclesiastical movements in Germany, in: The presbyterian and reformed review 5/6 (1 895), S. 330-332.

2. Verzeichnis der von Ernst Troeltsch genannten Literatur

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Zehender, Wilhelm von: Die Welt-Religionen auf dem Columbia-Congress von Chica­ go im September 1 893. Mit einigen Zusätzen und Erläuterungen, München: Druck der Buchdruckerei der "Allgern. Zeitung", 1 897. [Zehender, Wilhe1m von, Friedrich Pilgram] : Nach Vierzig Jahren. Religions­ philosophischer Briefwechsel zweier Jugendfreunde in spätester Lebenszeit, Leipzig: Verlag der Akademischen Buchhandlung (W Faber), 1 895. Zeller, Eduard: Ueber Metaphysik als Erfahrungswissenschaft, in: Archiv für systema­ tische Philosophie 1 (1 895), S. 1-1 3. Zenker, Wilhelm: Streiflichter auf eine neue Weltanschauung in Bezug auf die Beleuch­ tung, Erwärmung und Bewohnbarkeit der Himmelskörper. Eine astro-metaphysische Hypothese über das innere Walten der Natur und die sich daraus ergebenden Conse­ quenzen auf die Ethik und Religion, nebst einer Plauderei über die Möglichkeit eines "Weltuntergangs", 7. (1 000) erweiterte Auflage mit einer Reihe offiziell wissenschaftli­ cher Zustimmungen, Berlin: C. A. Schwetschke & Sohn, 1 895. Zezschwitz, Karl von: Der erhöhte Christus, ein Zeugnis gegen die moderne Theologie. Conferenzvortrag, Braunschweig, Leipzig: Gerhard Reuter, [1 896] . Ziegler, Heinrich: Kirche und Wissenschaft nach Bernoulli, in: Die Christliche Welt 1 2 (1 898), Sp. 269-27 1 . Ziegler, Theobald: Die geistigen und socialen Strömungen des Neunzehnten Jahr­ hunderts, 1 .-5. Tsd., Berlin: Georg Bondi, 1 899 (= Das Neunzehnte Jahrhundert in Deutschlands Enrwicklung, Band 1 ) . Ziegler, Theobald: Glauben und Wissen. Rede zum Antritt des Rectorats der Kaiser­ Wilhelms-Universität Strass burg gehalten, Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1 899. Zöller, Egon: Die Enrwickelung des Menschen und der Menschheit, Berlin: R. Gaert­ ners Verlagsbuchhandlung Hermann Heyfelder, 1 895.

2. Verzeichnis der von Ernst Troeltsch genannten Literatur Adickes, Erich: [Rez.] Carl Güttler: Eduard Lord Herbert von Cherbury. Ein kritischer Beitrag zur Geschichte des Psychologismus und der Religionsphilosophie, München: C. H. Beck, 1 897, in: Deutsche Litteraturzeitung 1 9 (1 898), Sp. 582-585. [Anonym] : Religionsphilosophie auf modern-wissenschaftlicher Grundlage. Mit einem Vorwort von Julius Baumann, Leipzig: Veit & Comp., 1 886. [Anonym] : Der religionswissenschaftliche Kongreß in Stockholm, in: Chronik der christlichen Welt 7 (1 897) , Sp. 358-360. [Anonym] : [Rez.] Andrew Lang: The making of religion, London, New York, Bombay: Longmans, Green, and Co., 1 898, in: The Athena:um 1 9 (1 898), S. 782-783.

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2. Verzeichnis der von Ernst Troeltsch genannten Literatur

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Bixby, James T. : [Rez.] Andrew Dickson White: A history of the warfare of science with theology in christendom, 2 volumes, New York: 0. Appleton & Co., 1 896, in: The new world 5 (1 896), S. 348-354. Blätter zur Pflege des persönlichen Lebens, hg. von Johannes Müller, Main­ berg/Unterfranken: Verlag der Grünen Blätter, 1 898 ff. Blavatsky, Helena Petrovna: The secret doctrine: The synthesis of science, religion, and philosophy, 3rd and revised edition, volume 1 : Cosmogenesis, London: The Theosophi­ cal Publishing Society, New York: The Path Office, Madras: The Theosophist Office, 1 893, volume 2: Anthropogenesis, 1 893, volume 3 [I st edition] , London: Theosophical Publishing Society, u. a., 1 897. Blondei, Maurice: Lettre sur les exigences de la pensee contemporaine en matiere d'apologetique et sur la methode de la philosophie dans l'etude du probleme religieux, in: Annales de philosophie chretienne 33 (1 895/96) , S. 337-347, S. 467-482, S. 599-6 1 6, 34 (1 896), S. 1 31-147, S. 255-267, S. 337-350. Butler, Joseph: The analogy of religion, natural and revealed, to the constitution and course of nature. To which are added two brief dissertations. I. of personal identity, II. of the nature of virtue. With a preface giving some account of the character and writings of the author. By Samuel Halifax, 0. 0., Oxford: Clarendon Press, 1 874. Butler, Joseph: The works of Joseph Butler, 0. C. L. Sometime Lord Bishop of Dur­ harn. Divided in sections; with sectional headings, an index to each volume; and some occasional notes also prefatory matter, edited by W E. Gladstone, vol. 1 : Analogy, etc., vol. 2: Sermons, etc., additional vol.: uniform with the works, Oxford: Clarendon Press, 1 896. Butler, Nathaniel: [Rez.] Edwin Diller Starbuck: Some aspects of religious growth, in: The American journal of psychology 9 (1 897/98), S. 70-1 24, in: The American journal of theology 2 (1 898), S. 853. Canus, Melchior: Oe locis Theologicis Libri duodecim. Cum Indice copiosißimo atque 10cupletißimo, Salamanticae: Mathias Gastius, 1 563. Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele, Pforzheim: Flam­ mer und Hoffmann, 1 846. Carus, Paul: The late Professor Romanes's thoughts on religion, in: The Monist 5 (1 894/95), S. 385-400. Charbonnel, Victor: Un congres universeI des religions en 1 900, in: La revue de Paris 2 (1 895), S. 1 2 1-136. 0., F. [d. i. Rudolf Hildebrand] : Ein Knopf von Goethe, in: Die Grenzboten 44 (1 885),

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2. Verzeichnis der von Ernst Troeltsch genannten Literarur

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Duhm, Bernhard: Kosmologie und Religion. Vortrag, gehalten am 26. Januar 1 892, Ba­ sel: Benno Schwabe, Verlagsbuchhandlung, 1 892. Ehrenfels, Christian von: [Selbstanzeige] System der Werttheorie, 1 . Band: Allgemeine Werttheorie, Psychologie des Begehrens, Leipzig: 0. R. Reisland, 1 897, in: Vierteljahrs­ schrift für wissenschaftliche Philosophie 21 (1 897) , S. 262. Ehrenfels, Christian von: [Rez.] Alois Höfler: Psychologie, Wien: F. Tempsky, 1 897, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 21 (1 897), S. 509-5 1 9 . Elsenhans, Theodor: [Rez.] Max Dessoir: Geschichte der neueren deutschen Psycholo­ gie, 2. völlig umgearbeitete Auflage, 1 . Halbband, Berlin: C. Duncker, 1 897, in: Theolo­ gische Literaturzeitung 12 (1 897), Sp. 593--595. Elsenhans, Theodor: [Rez.] Franz Erhardt: Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele. Eine Kritik der Theorie des psychophysischen Parallelismus, Leipzig: 0. R. Reis­ land, 1 897, in: Theologische Literaturzeitung 1 3 (1 898), Sp. 23--25. Erhardt, Franz: [Rez.] Robert Heilner: System der Logik im Sinne eines allgemeinen Organon der menschlichen Erkenntnis, Leipzig: Veit & Comp., 1 897, in: Deutsche Lit­ teraturzeitung 1 9 (1 898), Sp. 503. Eucken, Rudolf: Die Einheit des Geisteslebens in Bewusstsein und That der Mensch­ heit. Untersuchungen, Leipzig: Veit & Comp., 1 888. Eucken, Rudolf: Die Lebensanschauungen der gros sen Denker. Eine Entwickelungs­ geschichte des Lebensproblems der Menschheit von Plato bis zur Gegenwart, Leipzig: Veit & Comp., 1 890. Eucken, Rudolf: Die Grundbegriffe der Gegenwart. Historisch und kritisch entwickelt, 2., völlig umgearbeitete Auflage, Leipzig: Veit & Comp., 1 893. Eucken, Rudolf: Religionsphilosophische Bewegungen innerhalb des französischen Ka­ tholicismus, in: Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1 6 (1 897) , Nr. 1 39, S. 1 -3. Fichte, Johann Gottlieb: Einleitungsvorlesungen in die Wissenschaftslehre. Vorgelesen im Herbste 1 8 1 3 auf der Universität zu Berlin, in: ders.: Einleitungsvorlesungen in die Wissenschaftslehre, die transcendentale Logik, und die Thatsachen des Bewußtseins; vorgetragen an der Universität zu Berlin in den Jahren 1 8 1 2 und 1 8 1 3. Aus dem Nach­ lasse hg. von 1. H. Fichte, Bonn: Adolph Marcus, 1 834, S. 3--102 ( = Johann Gottlieb Fichte's nachgelassene Werke, 1 . Band) . Fichte, Johann Gottlieb: Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissen­ schaftslehre, in: ders.: Werke 1 798--1 799, hg. von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky unter Mitwirkung von Hans Michael Baumgartner, Erich Fuchs, Kurt Hille r und Pe­ ter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt: Friedrich Frommann (Günther Holsboog), 1 977, S. 1-3 1 7 (= Johann Gottlieb Fichte: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Werkeband 5) .

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