Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Testament: Gesammelte Studien 9783666538896, 3525538898, 9783525538890


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Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Testament: Gesammelte Studien
 9783666538896, 3525538898, 9783525538890

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Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch und Matthias Köckert

Band 205

Vandenhoeck & Ruprecht

Wolfgang Schrage

Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Testament Gesammelte Studien

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-53889-8 © 2004, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Vorwort Es ist schon fast zum Ritus geworden, im Vorwort von Aufsatzsammlungen auf den Wunsch von Freunden, Kollegen und Studenten zu verweisen, die auf einen leichteren Zugang zu verstreuten Aufsätzen durch eine Neuveröffentlichung dringen. Man kann sich solchem Wunsch angesichts zunehmender Buchproduktion und abnehmender Bibliotheksetats mit guten Gründen durchaus auch verschließen. Ich habe das selbst lange getan und auch jetzt nur zögernd meine Meinung geändert, wie der Herausgeber dieser Reihe weiß. Sinnvoll schien ihm und mir aber eine Publikation ausgewählter Aufsätze, die zwei Schwerpunkte meiner Arbeit betreffen. Denn beide Themenkreise haben nichts an theologischer Aktualität und Dringlichkeit eingebüßt, auch wenn in dem sich rapide wandelnden theologischen Klima unserer Tage andere Problemfelder in den Vordergrund drängen. Ich bin mir der Grenzen und der Zeitbedingtheit meiner Arbeiten durchaus bewußt, doch trotz manch neu gewonnener Einsicht stehe ich in den Grundlinien nach wie vor zu deren Hauptergebnissen. Daß mir z.B. in meinem Erstlingsaufsatz (Zur formalethischen Deutung der paulinischen Paränese) Kol und 2Thess noch als genuin paulinisch galten, tut der Stoßrichtung dieses Beitrages trotz bestimmter Modifikationen im einzelnen m.E. keinen wesentlichen Abbruch. Es mag 75jährigen auch heute gut anstehen, sich daran erinnern zu lassen, daß Abraham noch mit 75 Jahren aus Haran ausgezogen sein soll (Gen 12,4). Ein auch die Freiheit gegenüber der geistigen und theologischen Heimat einschließender stets nötiger Aufbruch aber ist nur die eine Seite der Medaille. Zur theologia viatorum gehört als Kontrapunkt ebenso die Besinnung auf das verpflichtende Erbe, das den zurückgelegten Weg bestimmt hat. Was mich selbst seit meinem Studium in meiner theologischen Existenz und Arbeitsweise als überzeugende Wegweisung geprägt hat, ist vor allem die »Theologie des Wortes Gottes« und die Barmer Theologische Erklärung gewesen (vgl. meine beiden hier nicht aufgenommenen Aufsätze »Barmen I bzw. Barmen 11 und das Neue Testament«). Die Aufsätze des vorliegenden Bandes sind weitgehend unverändert nachgedruckt, was nicht nur forschungs geschichtlich geboten schien, doch ist eine einheitliche Zitations- und Abkürzungsweise (nach S. Schwertner) angestrebt worden. Nur hin und wieder wird durch geschwungene Klammem { } auf notwendige Korrekturen meiner früheren Sicht verwiesen. Leider hat sich in zwei Aufsätzen durch den drucktechnisch bedingten Wegfall von Anmer-

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Vorwort

kungsziffem mit a die Numerierung leicht geändert. Versehen sind stillschweigend korrigiert worden. Herrn Kollegen Michael Wolter und seinen an der Abteilung rur Neues Testament Mitarbeitenden Frau Leonie Stein und Herrn Jakob Spaeth bin ich rur die Transposition der Aufsätze in eine lichtsatzfähige Fassung und die Angleichung der Zitationsweise zu großem Dank verpflichtet. Gleiches gilt rur Dr. Thomas Witulski (MünsterlW.), der letzte Hand an die Druchvorlage gelegt hat. Meinem Nachfolger Dietrich-Alex Koch als Herausgeber der FRLANT danke ich rur die Beratung über die vorliegende Auswahl, die Beschaffung eines Druckkostenzuschusses, der freundlicherweise von der EKU gewährt wurde, sowie rur die Aufnahme in die Reihe. Bad Honnef, im Oktober 2004

Wolfgang Schrage

Inhalt Der gekreuzigte und auferweckte Herr. Zur theologia crucis und theologia resurrectionis bei Paulus ...................... 9 Leid, Kreuz und Eschaton. Die Peristasenkataloge als Merkmale paulinischer theologia crucis und Eschatologie ................... 23 Die Stellung zur Welt bei Paulus, Epiktet und in der Apokalyptik. Ein Beitrag zu 1. Kor 7,29-31 ..................................................................... 59 Heil und Heilung im Neuen Testament.. ..................................................... 87 Ethische Tendenzen in der Textüberlieferung des Neuen Testaments ..... 107 Zum Verhältnis von Ethik und Vernunft ................................................... 131 Zum Komparativ in der urchristlichen Ethik ............................................ 153 Zur forrnalethischen Deutung der paulinischen Paränese ......................... 171 Heiligung als Prozeß bei Paulus ................................................................ 203 Zur Frontstellung der paulinischen Ehebewertung in 1. Kor 7,1-7 .......... 217 Probleme paulinischer Ethik anhand von Gal 5,25-6,10 .......................... 235 Skizze einer Auslegungs- und Wirkungs geschichte von GaI3,28 ............ 267 Nachweis der Erstveröffentlichungen ....................................................... 293

Der gekreuzigte und auferweckte Herr Zur theologia crucis und theologia resurrectionis bei Paulus l Ernst Käsemann, zu dessen Ehren wir heute zur Feier seines 90. Geburtstages hier versammelt sind und dem wir alle, nicht nur Ihre Fakultät und Kirche, zu bleibendem Dank verpflichtet sind, hat das von mir gewählte Thema intensiv erörtert und dezidiert dazu Stellung bezogen. Er hat dabei als nervus rerum der paulinischen Auferstehungsbotschaft das »Christus muß herrschen« heraus gestellt2, zugleich aber noch pointierter von der Herrschaft des Gekreuzigten gesprochen, »die uns dazu bringt, ihm irdisch das Kreuz willig nachzutragen«3. Obschon also beide, die Botschaft vom Kreuz und die von der Auferstehung dasselbe Ziel der Herrschaft Jesu Christi verfolgen, werden doch mit Nachdruck alle Versuche, etwa von zwei Brennpunkten der paulinischen Theologie zu sprechen, zurückgewiesen4 , die Auferstehung vielmehr »eine Seite der Kreuzesbotschaft«5 und die Auferstehungstheologie »ein Kapitel in der Theologie des Kreuzes« genannt6 . Dabei ist selbstverständlich eine wechselseitige Beziehung und Interpretation vorausgesetzt, daß also der Auferweckte kein anderer ist als der Gekreuzigte und der Gekreuzigte kein anderer als der Auferweckte, was über eine bloße personale Identität hinaus meint, daß beide Prädikate des Christus nur in enger Zuordnung Sinn machen. Diese Korrelation oder - wie Ernst Käsemann selbst es formuliert 7 - diesen Angelpunkt des christologischen und gesamttheologischen Streites möchte ich heute noch einmal zur Diskussion stellen, nicht um die theologia erucis zu relativieren, oder doch allenfalls als Prinzip und Programm, nicht als konstitutives Kriterium rur Kirche und Theologie. Erst recht soll es nicht um faule Kompromisse oder gewaltsame Harmonisierungen gehen, wohl aber darum, erneut nach dem adäquaten Verhältnis von theologia erueis und theologia resurrectionis beim Apostel zu fragen, damit aber zugleich nach Recht und Sinn auch der theologia resurreetionis gerade im Horizont der Herrschaft Jesu Christi. I Leicht bearbeiteter Vortrag, der auf der Festveranstaltung der Evangelisch-Theologischen Fakultät Tübingen zum 90. Geburtstag von Ernst Käsemann am 12.7.1996 gehalten wurde. 2 E. Käsemann, Der Ruf der Freiheit, Tübingen 51972, 91; ders., Exegetische Versuche und Besinnungen H, Göttingen 1964, 129. 3 Käsemann, Ruf der Freiheit (s. Anm. 2), II I. 4 E. Käsemann, Paulinische Perspektiven, Tübingen 21972,86. 5 Käsemann, Ruf der Freiheit (s. Anm. 2), 93. 6 Käsemann, Paulinische Perspektiven (s. Anm. 4), 107.98f. 7 Käsemann, ebd., 87.

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Was zunächst stutzig macht, ist die simple Beobachtung, daß ßa(TlA€U€IV christologisch nur als Prädikat des Auferstandenen erscheint (1. Kor 15,25), nicht des Gekreuzigten, und Entsprechendes in eingeschränkter Weise auch für KVPI€U€IV gilt, das in Röm 6,9 ausdrücklich im Blick auf den Xp/(TTOq E7€p8Eiq gebraucht wird, allerdings dort via negationis, daß der Tod nicht mehr über den Auferweckten herrscht. Wo dagegen auch der Tod Jesu einbezogen ist wie in der wahrscheinlich vorpaulinischen Formulierung von Röm 14,9, da wird das KVPI€U€IV als Ziel von Tod und Auferweckung zugleich benannt: »Dazu ist Christus gestorben und lebendig geworden, daß er über Tote und Lebende Herr seI«. Zunächst sollen in aller Kürze die vorpaulinischen und dann die paulinischen Aussagen über die Korrelation von Tod und Auferstehung Jesu Christi, aber auch derenje eigenen Akzente in der Sinndeutung beider Heilsereignisse in den Blick genommen werden. Diese Akzente werden durch unsere gängige, auch von meinem Thema suggerierte Redeweise vom Gekreuzigten und Auferstandenen leicht nivelliert und oft überdeckt, d.h. das »und« wird m.E. dabei oft zu selbstverständlich und unreflektiert verwendet, als ob es um Ereignisse ein und derselben Kategorie ginge. Schon vorpaulinisch sind Tod und Auferstehung Jesu Christi aufeinander bezogen worden, zugleich aber spezifische Besonderheiten in der Bestimmung des jeweiligen Heilssinnes zu erkennen. Nach der Paradosis von 1. Kor 15,3 f ist Christus für unsere Sünden gestorben, und dem steht in einem synthetischen Parallelismus zur Seite, daß er am dritten Tage auferweckt worden ist. Ob man die soteriologische Interpretation des Todes Jesu hier im Sinne der Sühne und! oder Stellvertretung versteht, jedenfalls wird durch den Tod Jesu mehr retrospektiv ein Ende der schuldhaften, gottfemen Unheilsvergangenheit bewirkt, von der der Mensch nicht von sich aus freikommen kann. Die Interpretation der Auferstehung Jesu dagegen ist gewissermaßen prospektiv qualifiziert: Sie markiert die eschatologische Wende zum Heil, wobei ich voraussetze, daß nach den Nachweisen von K. Lehmann dem dritten Tag nicht einfach eine chronologische, sondern ähnlich wie bei dem »für unsere Sünden« im ersten Doppelglied der Formel eine soteriologische Bedeutung zukommt, weil der dritte Tag im Alten Testament und Judentum den Tag der entscheidenden Heilswende umschreibt 8 . Die differenzierende Interpretation wird dadurch bestätigt, daß - für Paulus unüblich und unter Nachwirkung der Formel nur noch in V .12ff - bei der Todesaussage der Aorist, bei der Auferstehungsaussage dagegen das Perfekt gebraucht wird, was besagt, daß die Auferstehung Christi nicht der Vergangenheit angehört, sondern der von Gott Auferweckte die Gegenwart bestimmt. 8

K. Lehmann, Auferweckt am dritten Tag nach der Schrift (QD 38), Freiburg u.a. 1968.

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Vielleicht steht es auch in der vorpaulinischen Tradition von Röm 4,25 nicht viel anders. Auch hier erfolgt Jesu Dahingabe ähnlich wie in anderen Formeln »um unserer Übertretungen willen«, die Auferstehung aber unüblicherweise })Um unserer Rechtfertigung willen«. Gewiß kann man mit Ernst Käsemann sagen, Tod und Auferstehung seien als einheitliches Geschehen verstanden, und doch wird bei aller Synthetik die Zuordnung des Rechtfertigungsgeschehens zur Auferstehung zugleich so erklärt, daß die Rechtfertigung »in der Begegnung mit dem Auferstandenen immer neu Platz greift«9, also zur Zukunft hin geöffnet wird, wobei die mit der Auferstehung verbundene (}'Kaiw(T'~ schon hier mehr als Sündenvergebung umfassen dürfte. Eine engere Verbindung im Sinne eines Begründungszusammenhangs ist in Phi I 2,5ff gegeben, wo Jesus Christus wegen seiner gehorsamen Erniedrigung ((},o V.9) zum Kyrios erhöht wird, d. h. seine Erniedrigung bis zum Tode am Kreuz ist der Grund seiner Erhöhung, aber nicht Ziel seines Weges oder bleibendes Merkmal 1o . Die verbleibenden vorpaulinischen Belege wie 1. Thess 4,14; Röm 8,34 und 14,9 werden von P. Pokorny zu den Stellen gerechnet, »wo die Erwähnung des Todes unkommentiert die Auferstehung unterstreicht« 11. Vorpaulinische Formeln, die Tod und Auferstehung isoliert zur Sprache bringen, bestätigen das bisherige Ergebnis. In den von K. Wengst sog. Sterbens- und Dahingabeformeln wird der Tod Jesu durchgängig als »für uns« geschehen interpretiert l2 . Die Dahingabe oder Selbsthingabe Jesu bricht danach den Sünden-Unheils-Zusammenhang auf und bringt die Sündentilgung. In den Auferstehungsformeln dagegen liegt dort, wo darüber hinausgegangen wird, daß Gott Jesus von den Toten erweckt hat, eine Interpretation der Auferstehung Jesu vor, die diese mit der der Toten aufs engste verknüpft und als deren Auftakt versteht. In 1. Kor 6,14; 2. Kor 4,14 und Röm 8,11 wird ein Begründungszusammenhang sichtbar, nach der die Auferstehung Jesu die der Toten einleitet und nach sich zieht. So heißt es 2. Kor 4, 14: »Wir wissen, daß der, der unsern Herrn Jesus erweckt hat, auch uns mit Jesus erwecken wird«. Die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten ist kein spätes pfündlein des Apostels, das er erst angesichts von Sterbefällen in Thessalonich konzipiert und der ursprünglich allein dominierenden Parusieerwartung nachgeschoben hat, sondern Paulus bereits vorgegeben, auch wenn diese am Anfang wohl nicht im Vordergrund gestanden hat und die damit verbundenen Hoffnungsinhalte eine ModiE. Käsemann, An die Römer (HNT 8a), Tübingen 4 1980, 122. Vgl. W. Schenk, Die Philipperbriefe des Paulus, Stuttgart 1984, 21lfmit Bezug auch auf E. Käsemanns Kritik an K. Barth (vg!. Kritische Analyse von Phi!. 2,5-11, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1960, 51-95, S. 57t). II P. Pokorny, Die Entstehung der Christologie, Stuttgart 1985, 54. 12 K. Wengst, Clu'istologische Formeln und Lieder des Urchristentums (StNT 7), Gütersloh 1972, 55ff.78ff. 9

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fizierung bis hin zum Verwandlungsmotiverfahren. Jedenfalls hat man schon vor Paulus, wie auch Röm 1,4 bestätigt, niemals anders von der Auferstehung Jesu gesprochen denn »im Zusammenhang der allgemeinen Totenauferstehung als deren Anfang«13. Ich fasse kurz zusammen: Das vorpaulinische Formelgut und andere Traditionen interpretieren weit überwiegend Tod und Auferstehung Jesu Christi je für sich, geben aber selbst bei Doppelgliedrigkeit z.T. eine je verschiedene Funktion und Heilsbedeutung von Tod und Auferstehung Jesu zu erkennen, lassen jedenfalls beides nicht einfach zusammenfallen, als ob Ostern nur die Bedeutsamkeit des Todes Jesu herausstellen würde oder primär als Interpretament seines Todes anzusprechen wäre. Dabei ist selbstverständlich auch hier immer vorausgesetzt, daß es bei den Todesaussagen um den Tod des vom Tod erweckten Christus geht, und bei den Auferstehungsaussagen um die Auferweckung des sich in den Tod Dahingebenden bzw. Dahingegebenen. Aber das heißt eben weder, daß Christus nur starb, um auferweckt zu werden, noch aber umgekehrt, daß Ostern nichts anderes neben und nach dem Tod Jesu sei bzw. nur dessen eschatologische Bedeutung enthülle. Und es heißt endlich nicht, daß bei des von einem übergeordneten Gesichtspunkt, sei es von einem heilsgeschichtlichen Entwurf, von der Präexistenz, der Inkarnation oder von sonst etwas zusammengehalten würde. Gemeinsam ist beiden allein der Heilswille Gottes, der freilich in differenzierter Weise und in unumkehrbarer Zielrichtung in Christus wirksam ist und zur Sprache gebracht wird. Blickt man aufPaulus selbst, ist zunächst generell festzustellen, daß er Tod und Auferstehung Jesu Christi näher aneinandeITÜckt und enger aufeinander bezieht, aber beide Heilsereignisse ebensowenig identifiziert, wie das seine Tradition getan hat. Es gibt zunächst eine ganze Reihe von Aussagen, die ebenso mit dem Tod wie mit der Auferstehung verbunden werden: Beides erscheint als Inhalt der Verkündigung (1. Kor 1,16 bzw. 1. Kor 15,14), bei des hat universale Wirkung (2. Kor 5,14 bzw. 1. Kor 15,20t), beides begründet das Leben für den Gekreuzigten und Auferstandenen (2. Kor 5,14; Röm 6,9), beides dient zur Bewährung der Leidenserfahrung (1. Kor 4,9-13 bzw. 1. Kor 15,30-32) usw. Ja, oft wäre es ganz sinnlos zu fragen, ob bei soteriologischen Deutungen des Christusgeschehens der Tod oder die Auferstehung im Vordergrund steht, etwa wenn es - um wenigstens ein Beispiel zu nennen - 1. Kor 1,30 heißt, Christus sei uns von Gott zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung geworden. Und doch zeichnen sich auch bei Paulus soteriologische Spezifika und Schwerpunkte ab, die speziell dem Tod bzw. der Auferstehung Jesu zugeordnet werden. Dabei werden die traditionellen Interpretamente des Heilstodes Je13

Käsemann, Paulinische Perspektiven (s. Anm. 4), 99.

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su im paulinischen Sinne zugespitzt. Es heißt nun nicht mehr nur, daß Christus für uns, sondern daß er für die Gottlosen (Röm 5,6) oder die Schwachen (1. Kor 8,11) oder für alle (2. Kor 5,14) gestorben sei. Eine Radikalisierung bedeutet es auch, wenn gesagt wird, Christus sei für uns zur Sünde (2. Kor 5,21) oder zum Fluch geworden (GaI3,13), was besagt, daß er mit Sünde und Fluch geradezu identifiziert wird und Zorn und Verdammungsurteil Gottes an unserer Stelle trägt, der Tod Jesu also als Vollzug des Gerichtsurteils Gottes über die Welt zu gelten hat. Vor allem aber wird der Tod Jesu bekanntlich als Erweis der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes im paulinischen Sinn interpretiert (Röm 3,26), denn wenn Gerechtigkeit durch das Gesetz käme, wäre Christus umsonst gestorben (GaI2,21). Außerdem wird die Selbsthingabe Jesu Christi über den auf die Sündenschuld abhebenden Sinn der Formel hinaus, z.B. in Gal 1,4, in den weiteren Horizont der Freiheit von der Sündenmacht und der Gefangenschaft dieses Äons interpretiert, ja in Röm 8,32 die Dahingabe des Sohnes gegenüber aller Partikularität des Heiles dadurch in die Zukunft erweitert, daß Gott uns mit ihm alles schenken wird (Futur!). Der Tod Jesu als Erweis der Gottesgerechtigkeit bleibt insofern auch der Grund der Hoffnung und Zukunftsgewißheit. So bürgt die einmalige Versöhnung durch Jesu Tod, wie Röm 5,10 a maiore ad minus erklärt, auch für die Rettung der Versöhnten ElJ -rfj swfj aUTou. Umgekehrt aber bleibt die andernorts im Schluß a minore ad maius erkennbar werdende Überbietung zu beachten. So wird die Versöhnung der Welt in Röm 11,15 in einem Schluß vom Geringeren auf das Größere durch die SWrf} EK lJ€KPWlJ überboten. Das christologische Perfeetum begründet und erschließt unverbrüchlich die Gegenwart und Zukunft der Versöhnung, und doch ist die eschatologische Zukunft mehr als die Offenbarung des schon in der Gegenwart Gegebenen. Bisher war mit Absicht nur von a:rro8lJrwx€/lJ und 8alJaToq die Rede, nicht aber von O"Taupoq und O"TaupoulJ. Bezieht man die spezifisch kreuzestheologischen Aussagen des Apostels mit in die Diskussion ein, so ist schon seit langem beobachtet worden, daß die paulinischen Belege für das Kreuz nicht mehr in der breiten Streuung wie bei den Todesaussagen anzutreffen, übrigens auch nicht in der Tradition vorgeprägt oder gar in bestimmten Formeln bzw. als deren Extrakt fixiert sind. Diese Belege sind vielmehr auf die Korintherbriefe, den Galater- und den Philipperbriefbeschränkt und haben dort primär kritischpolemische Funktion. Das steht zwar in einer gewissen Spannung zu GaI3,1, wonach die Proklamation des Gekreuzigten schon zur Missionsverkündigung zu gehören scheint, entspricht aber andererseits dem Befund, daß (TTaupoq im ganzen Römerbrief z.B. fehlt, und zwar vermutlich darum, weil dem Brief trotz seiner sachlichen Nähe zum Galaterbrief die polemischen Spitzen des Galaterbriefes fehlen. In allen Briefen, wo das Wort Kreuz auftaucht, hat Paulus sich mit Leuten auseinanderzusetzen, die enthusiastisch zur Linken oder no-

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mistisch zur Rechten seine Theologie bedrohen. Noch aufschlußreicher ist, daß jede soteriologische Explikation des Kreuzesgeschehens im Sinn der traditionellen Formeln unterbleibt, ja nicht einmal die uns geläufige Redeweise von Kreuz und Auferstehung begegnet. Man könnte mit U. Luz sagen 14, das Kreuz sei weniger Interpretandum als Interpretans, mit dem Paulus Weh, Gemeinde und Menschen interpretiert, aber eben immer kritisch und als Störfaktor. Allenfalls die ironisch-rhetorische Frage »Ist Paulus für euch gekreuzigt worden?« in 1. Kor 1,13 nimmt mit der u1Tfp-Formulierung das übliche Interpretament der Sterbens- und Dahingabeformel auf, legt das aber im Sinne der Zugehörigkeit aus. Ob man GaI3,13, wo im Zitat von Dtn 21,23 vom Holz die Rede ist, mit heranziehen darf, bleibe dahingestellt, zumal die Stelle möglicherweise eine Replik auf jüdische Vorwürfe darstellt, Jesu Tod sei als ein von Gott Verfluchtsein zu verstehen; jedenfalls ist sie keine Schlüsselstelle zur Kreuzestheologie und betont m.E. durch die Loskaufvorstellung den heilvollen Herrschaftswechsel vom »Fluch« des Gesetzes zum Christus. Zweifellos ist der Kreuzeslogos, wie z.B. die Parallelität von 1. Kor 1,18ff zu Röm 1, 16ff erweist, Evangelium, aber primär als befreiende Krisis aller menschlichen Eigenmächtigkeit und religiösen Verblendung, ist nur als contra nos ein pro nobis. H. - W. Kuhn, J. eh. Beker u.a. haben drei Komplexe herausgestellt, in denen die Kreuzestheologie bei Paulus eine zentrale Rolle spielt: In der Auseinandersetzung mit der Weisheit und mit dem Gesetz sowie im Zusammenhang der neuen Existenz der Glaubenden l5 . Besonders ins Auge fällt dabei die kritische Funktion der staurozentrischen Aussagen gegenüber einer realized eschatology mit ihrer Weisheitshypertrophie und ihrem Geistenthusiasmus auf der einen und gegenüber der synergistischen Gesetzlichkeit synkretistisch-judaistischer Provenienz auf der anderen Seite. Auch Ernst Käsemann hat mit Recht herausgestellt, daß sich die paulinische Kreuzesbotschaft »eindeutig gegen die Gesetzesfrömmigkeit judenchristlicher Kreise und den Enthusiasmus in der hellenistischen Kirche« richtet l6 , und es ist ihm von daher nur zuzustimmen, daß durch das Kreuz »durchweg das Starke und Fromme attackiert wird«l? und es konstitutiv »die Illusion des sich selbst verwegen oder fromm transzendierenden Menschen aufdeckt und zerstört«18, das Stichwort Kreuzestheologie also »in unpolemischen Gebrauch seinen ursprünglichen

14 U. Luz, Theologia crucis als Mitte der Theologie im Neuen Testament, EvTh 34 (1974) 116141, S.121f. 15 H.-W. Kuhn, Jesus als Gekreuzigter in der frühchristlichen Verkündigung bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts, ZThK 72 (1975) 1-46; J.Ch. Beker, Der Sieg Gottes. Eine Untersuchung zur Struktur des paulinischen Denkens (SBS 132), Stuttgart 1988, 81-85. 16 Käsemann, Paulinische Perspektiven (s. Anm. 4), 71. 17 Käsemann, ebd., 72. 18 Käsemann, ebd., 62.

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Sinn verliert«, zumal wenn man solche Kreuzestheologie - wie er sagt - »in so viel erbauliche Watte« hüllt, daß ihre Aggressivität nicht mehr gespürt wird l9 . Kreuzestheologie ist insofern in der Tat primär Kontroverstheologie intra muras ecclesiae, die unverwechselbar und trennscharf die Geister scheidet und Skandal on und Kriterium schlechthin bleibt, so daß ihr neben der weisheitsund gesetzlichkeitskritischen immer auch eine theologiekritische Funktion eignet. Der Verkündigte ist als Gekreuzigter gewiß auch für Juden ein Ärgernis und für Griechen eine Torheit - darum bringt Kreuzespredigt z.B. wegen ihrer Gesetzeskritik Verfolgung seitens der »Beschneidungsleute« ein (GaI6, 12)-, aber Paulus schreibt nun einmal für Christen, die diese Torheit und Schwäche des Kreuzes, in die Gott selbst sich verwickelt hat, wegen ihrer eigenen religiösen Koordinatensysteme und Gottesbilder nicht gelten lassen und Gottes Gericht und Gnade nur in der Höhe und nicht in der Tiefe erkennen wollen. Dient das Kreuz Christi hier primär kritisch zur theologischen bzw. christologischen Standort- und Grenzbestimmung, so ist es doch zugleich und konstitutiv die Ortsanweisung für die Christen und die Gemeinde, wobei aber auch hier die Oppositionen dominieren. Ob es angemessen ist, mit Kuhn vom »Mitgekreuzigtwerden« des alten Menschen in der Taufe (Röm 6,6; vgl. auch Gal 2,19) und von Gal 5,24 auszugehen, wo aktivisch vom Kreuzigen der Leidenschaften und Begierden geredet wird, darüber mag man streiten. Bedeutsamer ist, daß Paulus durch das Kreuz geradezu apokalyptisch die ganze Welt und ihre rebellischen Mächte betroffen sieht und eine radikale Brechung und Durchkreuzung der Weltbezüge damit verbindet (GaI6,14). Wer das Kreuz verklärt, kann das nur verharmlosen. Diese zugespitzte Kritik an der gesamten alten Welt, diese Umwertung aller Werte, ist für ihn keine Theorie oder Spekulation, sondern macht unmißverständlich deutlich, daß das Kreuz seine eigene Existenz und die der Gemeinde in die Kreuzförmigkeit stellt. Kreuzestheologie hat ihren Ort selbst unter dem Kreuz. Darum tritt Paulus mit Furcht und Zittern und mit großer Schwachheit auf und verbietet sich die U7rfPOX~ A070U Kai lTo#a~ (1. Kor 2, 1ff), darum ist selbst die soziologische Zusammensetzung einer Gemeinde von Habenichtsen und Randexistenzen ein Reflex des Kreuzes Christi (1. Kor 1,26ff). Das alles aber ist so - um 1. Kor 1,28 zu zitieren-, weil Gott die Weisen, Mächtigen und Wohlgeborenen richtend verwirft, ja durch das Kreuz Christi alles Seiende zunichte macht, das Nichtseiende aber erwählt, so daß man sich nur noch des Kreuzes Christi rühmen kann (Gal 6,14). Das heißt aber: Gerade das Kreuz verweist radikal auf den Gott, der aus dem Nichts heraus schafft und die Toten erweckt (Röm 4,17).

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Käsemann, ebd., 69.

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Damit aber ist trotz des nicht zufälligen Fehlens der Vorstellung von einem »Mitauferwecktwerden« von vornherein eine unumgängliche Korrelation zur Auferstehung Jesu Christi mitgesetzt, ja mehr noch, eine Zielorientierung und eine Überlegenheit der Lebensrnacht des Auferstandenen in dem vom Kreuz geprägten Christenleben. Entsprechend werden die Leiden der Christen (in den anthropologischen Aussagen ist meist nur von mJ,(J'X€1V oder von rra6i)/haTa [Tau XpI(J'TOU] die Rede) nicht verabsolutiert oder in eine Passionsmystik oder Kreuzesfrömmigkeit integriert. Schon darum nicht, weil »die Teilhabe an seinen (sc. Christi) Leiden« und »die Gleichförmigkeit mit seinem Tod« (Phil 3,10) noch an den Bedingungen dieser Weltzeit partizipiert und ebensowenig wie das Kreuz Jesu einlinig, direkt und unvermittelt auf Gott zurückgeführt wird: Während die Auferstehung Jesu per definitionem einzig und allein Gottes Tat ist, in der Gott seine totenerweckende Macht erweist, wird das Kreuz Jesu einerseits auf die Archonten dieses Äons zurückgeführt (1. Kor 2,8), andererseits aber als Gottes Dahingabe interpretiert. An dieser Zweideutigkeitpartizipiert auch das Leid der Christen, das eben auch Zeichen dieser Weltzeit (Röm 8,18), vor allem aber niemals Selbstzweck ist. Es markiert vielmehr, weil es vom Kreuz des vom Tode Erweckten bestimmt wird, immer zugleich den Ort, an dem in aller Aporie und in allem Elend des Leidens in paradoxer Weise das Leben und die Kraft aufleuchten (»als die Sterbenden, und siehe, wir leben«; 2. Kor 6,9), an dem die Mitgekreuzigten zugleich in der Neuheit des Lebens wandeln (Röm 6,4) bzw. als dem Gesetz Gestorbene dem Auferweckten gehören und Gott Frucht bringen (Röm 7,4). Jeder Verherrlichung und Eigenwertigkeit des Leides aber wird, und zwar allen Einwänden zum Trotz, das sei dann nur eine christliche Variation des per aspera ad astra, vor allem durch das j'va in den Peristasenkatalogen unverrückbar ein Riegel vorgeschoben: »Wir tragen das Sterben Christi an unserem Leibe herum, damit (I'va) auch das Leben Christi an unserem sterblichen Leib offenbar werde« (2. Kor 4,10). Selbst dieser paradoxe Modus sub contrario aber (»wenn ich schwach bin, bin ich stark«; 2. Kor 12,10) ist für Paulus zudem kein dialektischer Schwebezustand ad infinitum, nicht alles und nicht das Letzte. Daß Gottes Lebensrnacht gerade in der Schwachheit zur Vollendung kommt (2. Kor 12,9), scheint zwar keine Steigerung zuzulassen, und doch tritt neben das Ineinander unübersehbar das Nacheinander, neben die Paradoxie und Dialektik die Sequenz und Finalität. Nicht zufällig folgt auf2. Kor 4,lOf der Vers 14, d.h. nur in der Hoffnung auf die Auferstehung ist »das Herumtragen des Sterbens« trotz des Offenbarwerdens des »Lebens Christi« durchzuhalten. Ähnlich steht es Phil3, 1Of: Die Erfahrung der (Juva/hlr; T'ijr; u,va(J'Ta(J'€Wr; atJTou inmitten der Anteilhabe am Leiden Christi und in der Gleichfönnigkeit mit seinem Tode soll Paulus zur Auferweckung von den Toten gelangen lassen. Mitleiden führt nach Röm 8,17 zum Mitverherrlichtwerden. Ja in 2. Kor 1,9f, wo Paulus die über die Maßen

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große Bedrängnisse in der Asia erwähnt, so daß er am Leben verzweifelte und das Todesurteil schon in Händen zu haben glaubte, wird das überhaupt nicht mit dem Tod Christi in Beziehung gesetzt, sondern durch einen lva,-Satz allein so bestimmt: »damit wir nicht auf uns selbst das Vertrauen setzten, sondern auf den Gott, der die Toten erweckt«. Hier liegt also dasselbe Durchkreuzen von Selbstsicherheit und Selbstmächtigkeit vor wie bei den kreuzestheologischen Aussagen, und von einer illusionären theologia gloriae kann im Kontext dieser Auferstehungshoffnung keine Rede sein. Auch Phill ,20ff und 2. Kor 5,1 ffließen sich hier einreihen. Das ist gegenüber allem abusus auch der theologia crucis, die zwar manchmal mit unqualifizierten Vorwürfen bedacht wird (sie diene einer sadomasochistischen Schmerzverherrlichung usw.), aber doch bei einer Verabsolutierung oft genug auch als Narkotikum zur Sanktionierung des status quo, des politischen ebenso wie des religiösen, hat herhalten müssen, in die Reflexion einzubeziehen, wenn sie nicht ihre kritische Potenz und ihr unverwechselbares Profil verlieren soll. Das Kreuz ist weder ein Symbol flir Lebensmüdigkeit und Weltschmerz noch für eine Mystifizierung und Stabilisierung der jeweiligen Verhältnisse. Umgekehrt aber eignet gerade auch der theologia resurrectionis eine eminent kritische Funktion gegenüber allem Triumphalismus, kritisch schon bei Paulus gegenüber jeder Form einer realisierten Eschatologie, die das Heil spiritualisiert und in eine irdische oder spirituelle Auferstehungsherrlichkeit abhebt, kritisch gegen alle, die die Schöpfung aus dem Nichts auch in der Auferstehung durch eine Revitalisierung pneumatischen Potenzen ersetzen. Gewiß kommt der Auferstehungstheologie primär eine Hoffnung begründende und tröstende Funktion zu (z.B. 1. Thess 4,14), weil- wie erwähnt - Ostern der Einbruch des Kommenden und der Anbruch der allgemeinen Totenauferstehung ist, doch setzt Paulus in 1. Kor 15 seine Theologie der Auferstehung dem religiösen Enthusiasmus und Illusionismus derer entgegen, die sich schon auferstanden und im Himmel wähnen, also nicht wie in Kap. 1-4 oder 11,26 seine Theologie des Kreuzes (v gl. auch PhiI3,12: »nicht daß ich's schon ergriffen hätte oder schon vollkommen wäre«). Die oben skizzierte doppelschichtige anthropologische Korrelation von Leid und Auferstehung als Ineinander und Nacheinander ist nun aber nichts anderes als ein Reflex der Christologie. An dem Ineinander kann kein Zweifel bestehen: Christus wird gerade auch als Auferweckter als Gekreuzigter verkündigt, ja Ostern macht den Tod Jesu allererst rechtsgültig wirksam, rehabilitiert nicht nur seine Sache, sondern ihn selbst, bringt also nicht einfach eine Korrektur, sondern die Wahrheit des Kreuzes zutage. Neben die Dialektik tritt aber auch hier ein Nacheinander. Darum wird Christus durch den toten erweckenden Gott zum lebendigmachenden Geist (1. Kor 15,45; 2. Kor 3,17), wurde er aus Schwachheit gekreuzigt, lebt aber jetzt

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aus der Kraft Gottes (2. Kor 13,4). So wenig das Kreuz durch Ostern zu einem bloßen Durchgangsstadium wird (vgl. das Perfekt €OTaUpW/hElJoq), so wenig wird das Kreuz als Kreuz durch Ostern verewigt. Phil 3,21 spricht vom Leib seiner Herrlichkeit, dem unser Leib der Niedrigkeit gleichgestaltet werden wird, wobei dieser erwartete Leib der Herrlichkeit vom rrw/ha TrllEU/haTIKOlJ von 1. Kor 15,44 kaum zu unterscheiden sein dürfte. Der dem antithetisch gegenüberstehende psychische Leib aber wird durch den pneumatischen nicht einfach ausgetauscht, denn erweckt werden die sterblichen Leiber. Das Neue tritt also nicht einfach an die Stelle des Alten, sozusagen als etwas ganz und gar Fremdes, sondern »dieses Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit« (viermal erscheint hier das TOUTO). Das Sterbliche wird nicht ausgelöscht, wohl aber verwandelt. Entsprechend ist m.E. auch beim Christus, dessen Bild wir nach 1. Kor 15,49 tragen werden, davon zu sprechen, daß die Einmaligkeit seiner irdischen Existenz und seines Kreuzes nicht durchgestrichen, wohl aber verwandelt wird und hier mutatis mutandis ebenfalls ein Verhältnis von Identität und Nichtidentität vorliegt. So wie sich beim Menschen Kontinuität und Verwandlung nicht ausschließen, so auch bei Christus. Der Auferstandene ist und bleibt der Gekreuzigte, und doch ist und bleibt er es nicht mehr; d.h. er ist kein anderer und doch ganz anders. Seine Identität ist nur in und durch Gott verbürgt, sein Kreuz im doppelten Sinn des Wortes in Gott aufgehoben. Weiter als bis zu diesem Zugleich von Ineinander und Nacheinander ist wohl nicht zu kommen. Die Kategorien der recreatio und creatio nova bleiben auch hier paradox nebeneinander. Immerhin, ein Überschuß und »Mehrwert« der Auferstehung (/haMolJ (JE hEpßEiq Röm 8,34) darf nicht unter den Tisch fallen. Und: Der Tod des Herrn wird verkündigt, bis er kommt, vielleicht sogar, damit er kommt. Ein besonderes Spezifikum des Auferstandenen ist nun seine Herrschaft. Wie steht es also nun um das Herrsein Jesu Christi? Wie W Kramer gezeigt hat, übernimmt Paulus bereits eine doppelte Kyrios-Tradition, die Kramer mit Akklamations- und Mare-Kyriologie bezeichnet20 , also einmal eine Tradition, wo von der Akklamation des im Gottesdienst gegenwärtigen Herrn die Rede ist (1. Kor 1,2; Röm 10,13 u.ö.), zum anderen eine Tradition, wo wie bei Maranatha (1. Kor 16,22) der »Tag des Herrn«, die »Offenbarung des Herrn« oder die »Parusie des Herrn« im Blick ist. Man wird hinzufügen, daß Paulus den Kyriostitel auch im Zusammenhang mit Todesaussagen (1. Kor 11,23 und die anderen Belege im Kontext des Abendmahls) und im Zusammenhang mit Auferweckungsaussagen schon übernommen hat (Röm 10,9; 1. Kor 6,14 u.ö.), sie aber auch seinerseits vermehrt (einerseits 1. Kor 11,26; 2. Kor 4,10 u.ö., andererseits 1. Kor 9,1; 2. Kor 3,17 u. ö.), so daß er in paradoxer Zuspitzung sogar vom Kreuz des Kyrios sprechen kann (GaI6,14; vgl. auch 1. Kor 2,8). Jeden20

W. Kramer, Christos - Kyrios - Gottessohn (AThANT 44), Zürich 1963, 68ff.

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falls ist hier Christus meist deutlich als Herr seiner Gemeinde apostrophiert. Zudem gebraucht Paulus auch selbst Kyrios vor allem dort, wo die Herrschaft Jesu Christi über die Gemeinde Thema ist, die ihm in allen Bereichen und Strukturen dieser Welt zum Gehorsam verpflichtet ist: »Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn« (Röm 14,8). Auch KUPIo~ 1TallTwll (Röm 10,13) meint die Herrschaft über die Christen, wie das folgende Partizip verdeutlicht. t::.OUAfUflll gegenüber dem Christus wird entsprechend nur von Christen gesagt (Röm 12,11; 14,18; 16,18 u.ö.), während Nichtchristen den Weltelementen dienen (GaI4,8f). Der vorpaulinische Hymnus in Phil 2,lOf geht aber über den Bereich der Gemeinde hinaus. Die Inthronisation und Verleihung der Kyrioswürde geschieht, damit sich jedes Knie beuge, der Himmlischen, Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, daß Jesus Christus der Herr sei. Die ganze Welt in kosmischer Weite und eschatologischer Öffentlichkeit ist betroffen, die Gesamtheit aller Kreaturen einbezogen (die Unterirdischen sind m.E. nicht nur die in der Erde ruhenden Toten und die Himmlischen nicht nur die Engel). Es ist nun bekanntlich umstritten, wann diese feierliche und rechtsgültige Akklamation erfolgt, bei der Inthronisation nach der Erhöhung Jesu Christi oder bei der Parusie. Nach R. Bultmann z.B. bleibt unklar, ob die Huldigung der Mächte schon gegenwärtig oder zukünftig ist 21 , doch die meisten plädieren dafur (m.E. im Blick auf andere Hymnen, die vom schon errungenen Sieg über die Mächte reden, zu Recht), daß im Sinne des Hymnus die universale Dimension der HerrschersteIlung Jesu Christi und die kosmische Akklamation und Exhomologese nicht erst der Zukunft angehören. Daß Paulus selbst es aber so verstanden hat - es sei denn, er verstünde den Hymnus wie die Siegeslieder in der Offb oder das Siegeslied von 1. Kor 15,54fproleptisch -, ist zu bezweifeln, wie das gegenüber Phi1 2,11 beibehaltene Futur von Jes 45,23LXX an der schon genannten Stelle von Röm 14,11 deutlich erkennen läßt. Nirgendwo sonst spricht Paulus jedenfalls davon, daß Christus bereits als Kosmokrator herrscht und alle Macht im Himmel und auf Erden in Händen hat. Es gibt eben sehr wohl noch KUPIOI1TOMo[ (1. Kor 8,5), die nur von den Christen nicht mehr respektiert werden (1. Kor 8,6). Bezieht man ßarnAfuflll mit ein, wird der Blick auch bei Paulus selbst über die Gemeinde hinaus gerichtet. Wie schon erwähnt, erscheint das Wort nur in 1. Kor l5,24f, und zwar ausdrücklich als ein Herrschen des Auferstandenen. Klar ist zunächst, daß diese Herrschaft Jesu Christi als eine befristete gilt, was Theologie und Kirche viel Kopfzerbrechen gemacht hat, weil das nur schwer mit Lk 1,33 oder dem Nicänum zu vereinbaren ist. Öfter hat man zur Erklärung 21 R. BuHmann, Theologie des Neuen Testaments, 9. von O. Merk durchgesehene und ergänzte Auflage, Tübingen 1984, 505.

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die Vorstellung eines messianischen Zwischenreiches als Parallele herangezogen, was auch nicht falsch ist, nur darf man dieses Zwischenreich nicht nach der Parusie bzw. zwischen einer angeblich 1. und 2. Auferstehung ansetzen, wie das viele Autoren tun, sondern zwischen der Auferstehung Christi zu Ostern und der Parusie, wobei natürlich die verkürzte Zeitperspektive des Apostels zu berücksichtigen bleibt. Nach den beiden öTav-Sätzen in V.24 übergibt Christus Gott dem Vater die Herrschaft, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt zunichte gemacht hat. Aus dem ersten öTav-Satz ergibt sich, daß Christus am Ende alle Mächte unterworfen haben wird, aus dem zweiten, der vorzeitig zum ersten zu verstehen ist, daß das noch nicht der Fall ist. Paulus denkt hier offenbar an ein prozeßhaftes Geschehen, in dem Christus seine Herrschaft immer mehr in der Welt durchsetzt, vertritt also weder eine »konsequente« noch eine realisierte noch eine in der Dialektik von Präsens und Futurum verharrende, sondern eine sich realisierende Eschatologie. In dieser Geschichte der sich durchsetzenden Herrschaft Jesu Christi gibt es freilich keine quantifizierbaren Zeitabschnitte, keine sukzessive Entfaltung oder eine evolutionäre Entwicklung, erst recht aber kein auf und ab, sondern alles läuft auf das endgültige Ziel von V.28 zu. Daß aber nach Ostern nichts mehr geschähe oder zu erwarten wäre, ist nicht die Meinung des Apostels. Auch Ostern ist Beginn, nicht Vollendung, markiert also ebenso wie das Kreuz einen eschatologischen Vorbehalt. Auch der Auferstandene ist noch unterwegs und vollendet seine Herrschaft, indem er nicht nur wie sonst durch den Geist an den Glaubenden wirkt, sondern gottfeindliche Mächte bezwingt, E'XßPOUr;, wie V.25 sagt. Dabei braucht m.E. wie in 2,6.8 bei den Archonten dieser Welt (dort auch dasselbe Verb KaTapry€lv und ebenfalls Präsens) nicht zwischen geschichtlichen und überirdischen Mächten alternativ entschieden zu werden, so daß z.B. weder die »Feinde des Kreuzes« von Phi I 3,18 noch die Herrschaft von Sünde und Tod (Röm 5,17.21) davon auszunehmen sind. Darüber, wie und wodurch sich dieses KaTapry€lv und Ii1TOT{u}"rT€/v vollzieht, sagt Paulus ebensowenig etwas wie über den Modus der Herrschaft Christi, und auch die übliche Erklärung, sie geschehe nicht anders als worthaft durch das Evangelium, ist eingetragen, so wenig man z.B. das »Herausreißen« aus den Banden dieses Äons (Gall,4) davon ausnehmen wird. Auch ob die Christen bei Ihrer militia Christiana in den Kampf involviert sind, muß wohl offenbleiben. Menschen werden im ganzen Abschnitt nicht erwähnt, und 1. Kor 4,8, wo das ßarT/AEuE/V der Christen wie in Röm 5,17 der Zukunft vorbehalten wird, spricht eher dagegen. Und doch wird man fragen, um 2. Kor 10,3ffzu zitieren, ob die Waffen, mit denen wir durch Gottes Macht kämpfen, Festungen schleifen und alle hohen Gedankengebäude niederreißen, davon ausgenommen sind. Zu vergleichen ist auch das InrEpv/Kav von Röm 8,37 und der Dank für den uns

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gegebenen v'iko~ in 1. Kor 15,56. Gleichwohl wird das Siegeslied »Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel« (1. Kor 15,54t) erst bei der Auferstehung der Toten gesungen werden. Jedenfalls ist das Interesse am regnum Christi hier das Zentralmotiv des durch Christi Auferstehung eingeleiteten eschatologischen Kampfprozesses. Und diese Herrschaft ist, wie die zahlreichen Hinzufügungen von 7ra~ und mJ,vTa erweisen, nicht individual-, sondern universalgeschichtlich orientiert und der Herrschaftsbereich Jesu Christi mitnichten anthropozentrisch konzipiert oder auf die Kirche beschränkt. Es geht weder um das transmortale Heil des einzelnen noch um den Triumph der Kirche, sondern um die definitive Überwindung der Todesmacht und damit letztlich um die Gottheit Gottes, der am Ende alles in allem sein und seine nach Röm 14,17f im (JOUAfUfW Tij'J Xp/lJ'Tij'J antizipierte Herrschaft universal durchsetzen wird. Im Blick auf unser Thema ist nun von besonderer Bedeutung, daß Paulus am Schluß des gesamten Kapitels in V.58 nicht mit einem hymnischen Fortissimo, sondern mit nüchterner Paränese endet. Auferstehungshoffnung erlaubt demnach keine innere Emigration oder quietistisches Abwarten, und speziell das in V.58 genannte 7rfp/(]'a"tUf/v im Werk des Herrn ließe sich geradezu als Entsprechung zum prozeßhaften Siegeslauf des Auferstandenen verstehen (in l. Thess 3,12 ist der Kyrios der das 7rfP/(]'(]'fUfW Bewirkende). Auch im Anschluß an den eben behandelten Text l. Kor 15,23ffkommt der Apostel darum noch einmal auf seine Lebensgefahren und Leidenserfahrungen zu sprechen und erinnert daran, daß er täglich in Gefahr steckt und sich dem Tode aussetzt, was ohne Hoffnung auf die Totenauferstehung sinn- und hoffnungslos wäre (V.30ft). Man darfV.20~28 jedenfalls nicht als Ausdruck einer illusionistischen theologia gloriae verstehen. Die Differenzierung zwischen Ostern und Parusie entspricht hier vielmehr genau der Intention der theologia crucis. Die Auferstehung Jesu stellt an den Ort, wo Christus vor seiner Auferstehung seinen Ort hatte. Er lebt aus der Kraft Gottes, wir aber sind schwach in ihm, werden aber mit ihm leben (2. Kor 13,4). Von dieser Hoffnung auf das Mit-ihm-Leben und damit von der erwarteten Totenauferstehung fällt Licht schon jetzt in diese Todeswelt: Auch der Tod vermag nach Röm 8,38 nicht mehr von der Liebe Christi zu scheiden, weshalb bei einem Verzicht auf alle Selbstmächtigkeit auch unser Sterben nach Röm 14,8 von seiner Herrschaft umschlossen ist. Weil dieser Christus nach Röm 14,9 auch der Herr über Tote ist, kann auch von »Toten in Christus« (1. Thess 4,16) die Rede sein. Ja, nach l. Kor 3,2lffbegründet die Zugehörigkeit zu Christus, daß neben dem Leben auch der Tod in die christliche Freiheit eingeschlossen ist. Scheint von hierher eine Koexistenz von Tod und Leben möglich, so bleibt doch ebenso eindeutig, daß am Ende der Tod definitiv in den Sieg verschlungen sein wird. Auch in der Herrschaft Jesu Christi dürfen Kreuz

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und Ostern offenbar nicht so zusammengedacht werden, daß dabei die noch immer alles auslöschende Macht und Feindschaft des Todes relativiert wird, so daß der Tod versöhnlich oder dialektisch in diese Herrschaft oder das Auferstehungsleben einzubeziehen wäre. Todeswelt und Lebenswelt werden nicht miteinander versöhnt. Das bleibt auch bei der Zuordnung des Christenlebens zum Tode Jesu zu beachten. Schon der nüchterne Realitätssinn des Apostels verwehrt es ihm, die Spannung zwischen der durch die theologia erucis bedingten Zuordnung von Leid und Tod zum Sterben Jesu einerseits und dem durch »Fleisch und Blut« bedingten Ausgesetztsein des sterblichen Leibes an die Feindschaft des Todes andererseits systematisch zu vennitteln. Ein kurzer Schluß: Paulus hat die bei den Heilsereignisse von Tod und Auferstehung Jesu Christi mal nebeneinander stehen lassen, mal eng aufeinander bezogen, mal sie aber auch deutlich voneinander unterschieden. Von zwei Brennpunkten einer Ellipse zu sprechen, ist in der Tat illegitim, weil dieses Bild viel zu statisch ist und damit die auf Überwindung zielende Dynamik ausblendet. Aber auch die Kategorie Dialektik reicht nicht aus, weil das spannungsvolle Ineinander über sich hinaus auf ein Futurum weist. Jedenfalls darf man die theologia resurreetionis des Apostels nicht mit einer theologia gloriae gleichsetzen. In ihr kommt vielmehr ebenso wie in der theologia erueis eine theologia viatorum zum Vorschein. Darum ruht bei der Bestimmung der Herrschaft Jesu Christi der Akzent darauf, daß der seit Ostern Herrschende seinem endgültigen und universalem Sieg entgegeneilt, während die Christen noch täglich in der Anfechtung stehen, im Fragmentarischen leben, sich an dem vom Kreuz zugewiesenen Ort in der Hoffnung zu bewähren haben und so - um mit einem Wort von Ernst Käsemann zu schließen - »die letzte Zukunft der Auferstehungswirklichkeit und des uneingeschränkten regnum Christi zeichenhaft« vorwegnehmen 22 •

22 Käsemann, Versuche II (5. Anm. 2), 129.

Leid, Kreuz und Eschaton Die Peristasenkataloge als Merkmale paulinischer theologia crucis und Eschatologie Thema dieses Aufsatzes sind die Peristasenkataloge in Röm 8; 1. Kor 4; 2. Kor 4; 2. Kor 6; 2. Kor 11 und 2. Kor 12, in denen Paulus Leiden und Entbehrungen, Nöte und Gefahren aufzählt, die die apostolische und christliche Existenz zwischen den Zeiten charakterisieren. Als Leitfaden soll vor allem 2. Kor 4,7ff dienen, da hier im Peristasenkatalog und seinem Kontext die meisten Merkmale zusammentreffen, insbesondere die in der Themenstellung hervorgehobenen Gesichtspunkte.

I Zunächst ist kurz auf die religionsgeschichtliche Frage einzugehen, die die Interpretationsrichtung oft genug in verhängnisvoller Weise einseitig vorentschieden oder mitbestimmt hat. Insbesondere ist immer wieder behauptet worden, Paulus berühre sich in den Peristasenkatalogen besonders eng mit der stoischen Auffassung vom Ertragen des Leides, was mit der allzu selbstverständlich vorausgesetzten Meinung zusammenhing, die nächsten und die einzigen Stilparallelen zu den paulinischen Peristasenkatalogen seien in der hellenistischen Popularphilosophie zu finden. Schon R. Bultmann hatte in seiner Untersuchung über den Stil der paulinischen Predigt in den Peristasenkatalogen »vielleicht die größte Ähnlichkeit« zwischen den beiden Predigtweisen des Paulus und der Diatribe gefunden: »Wie der griechische Weise, so zählt auch Paulus die Fügungen des Schicksals oder der Mächte, denen der Mensch unterworfen ist, auf und verkündet begeistert seine Überlegenheit über Freuden und Leiden, über Ängste und Schrecken«. Bultmann vergleicht hier vor allem Röm 8,35, und zu 2. Kor 4 und 6 erklärt er: »Wie der griechische Prediger in paradoxen Antithesen den Zustand des vollendeten Weisen beschreibt, entsprechend beschreibt Paulus seinen eigenen Zustand als christlicher Apostel in den gewaltigen Antithesenreihen«l. Ähnlich ist immer wieder geurteilt worden, und bei J. Dupont heißt es dann (mit Hinweis auf A. Fridrichsen, H. Windisch I R. Bultmann, Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe (FRLANT 13), Göttingen 1910, 71 bzw. 80. Zur Kritik vgl. schon A. Bonhöffer, Epiktet und das Neue Testament (RVV 10), Gießen 1911, 179 Anm. 1,392 (mit Hinweis darauf, daß schon bei Platon, Resp. 361Eff, ein solcher Peristasenkatalog zu finden sei).

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u.a.), die Stilverwandtschaft zur Stoa sei unbestreitbar und von allen anerkannt2 • Nun ist allerdings die formale Variationsbreite der paulinischen Peristasenkataloge zu beachten: In 1. Kor 4 findet sich vor allem die 1. Pers. Plur.; nach dem pointierten Satz von V.9, daß Gott die Apostel dem Tod ausgesetzt hat, folgen zunächst 3 Aussagesätze mit 7JldiLeiden< Zeichen der unerlösten Welt wären« (Der leidende Apostel und sein Herr [FRLANT 90], Göttingen 1966, 115). Aber man kann V.16 nicht isoliert von V.17 deuten, wie schon das 'Yap zeigt. Gewiß ist nicht der Leib als solcher Zeichen der vergehenden Welt, aber eben doch der »sterbliche Leib« (Röm 8,11), der »Leib der Niedrigkeit« (PhiI3,21), der Leib, auf dessen Erlösung auch die Christen noch warten (Röm 8,23) und an dem sie die Peristasen erfahren (2. Kor 4,10). V gl. auch J. Behm, ThWNT 2,696; 3,454; W.G. Kümmel, Das Bild des Menschen im Neuen Testament (AThANT 13), Zürich 1948,23; H.D. Wendland, Die Briefe an die Korinther (NTD 7), Göttingen 12 1968, 191f. 29 Entsprechendes gilt schon llir den »Schatz« in »irdenen Gefäßen« (2. Kor 4,7), was keineswegs allein die Leiblichkeit meint, sondern den ganzen Menschen in seiner Zerbrechlichkeit, Hinfälligkeit und Ohnmacht. Ch. Maurer betont zu Recht, daß es nicht um den Leib als Träger der Seele geht, sondern um den ganzen Menschen als Träger der Botschaft (ThWNT 7,365). Güttgemanns bestreitet allerdings auch hier, daß der »Gegensatz zwischen der kommenden und der gegenwärtigen Welt, zwischen der alten Schöpfung und dem alten Menschen und der neuen Schöpfung und dem neuen Menschen« sichtbar werde (Apostel [s. Anm. 28], 98 Anm. 27), wie das A. Schlatter mit Recht vermutet hatte (Paulus der Bote Jesu, Stuttgart 1956, 532; vgl. auch Wendland, Briefe [so Anm. 28],189). Im übrigen kann man Schlatters Vermutung noch durch 4.Esr 4,11 verstärken, wo rrKeUOt; ebenfalls dem vergänglichen Äon parallelisiert wird: »Wie wirst du ... das Gefäß sein können, das des Höchsten Walten faßt? ... ein sterblicher Mensch, der im vergänglichen Äon lebt« bzw. (so die lat. Version) »schon aufgerieben wird«; vgl. auch 7,89: »Damals, als sie noch darinnen (sc. im sterblichen Gefäß V.88) lebten, haben sie dem Höchsten unter Mühsalen gedient und haben stündlich Gefahren erduldet«. Beide Stellen dokumentieren also auch eine sachliche Nähe zu den Aussagen der Peristasenkataloge und dem (Jlaq,(}elperr6al von 2. Kor 4,16. 30 V gl. auch De Provid. H,I: est enim (sc. vir bonus) omnibus externis potentior.

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Peristasenkatalogen intendiert. Denn schon der den Abschnitt einleitende V. 7 in 2. Kor 4 zeigt deutlich, daß es Paulus vor allem um die allein von Gott kommende und von ihm zu erwartende Dynamis geht: »damit die Übermacht der Kraft Gott gehöre und nicht von uns stamme«. Dasselbe Motiv wiederholt Paulus auch im Versöhnungsbrief (2. Kor 1,9), wenn er dort in einem Finalsatz den Zweck der Leiden und Trübsale folgendermaßen bestimmt: »damit wir nicht auf uns selbst das Vertrauen setzen, sondern auf den Gott, der die Toten erweckt«. Dasselbe Sachinteresse bestimmt nun aber auch die harten Paradoxien der Peristasenkataloge selbst: Alle Kraft und alles Vertrauen sollen ganz und gar Gott zukommen und in keiner Weise menschliche Leistung und menschlicher Besitz sein. Die Peristasenkataloge zielen damit auf dasselbe wie die Rechtfertigungsbotschaft und das»W ort vom Kreuz«, nämlich dem Menschen alle Stützen der Selbstbehauptung und des Selbstvertrauens aus der Hand zu schlagen und jedes »Rühmen« auszuschließen. Ist dort mehr die iustitia aliena und sapientia aliena im Blick (Röm 1, 16f; 1. Kor 1, 18ff u.ö.), so bei den Leiden primär die vis aliena bzw. virtus aliena bzw. vita aliena. Der Christ und vor allem der Verkündiger wird im Gedränge der Peristasen auf seine Schwachheit zurückgeworfen, um auf den Selbstverweis des creator ex nihilo angewiesen zu bleiben. Leiden bewirken nicht Selbstbeweis, Selbstdarstellung und Selbstverherrlichung des Christen, sondern Mehrung der Gnade, Danksagung und Verherrlichung Gottes (2. Kor 1,11; 4,15). Nicht den vires suas, sondern allein Gottes Wirken ist es zuzuschreiben, was nach Paulus die adversativen Aussagen der Peristasenkataloge ermöglicht. Im Blick auf den Christen oder den Apostel selbst können dagegen nach Meinung des Paulus nur die Vordersätze der Peristasenkataloge gelten, etwa das WYJ(}ElI E%Ol/TE~ von 2. Kor 6,10, was nicht nur heißt: nichts Imposantes oder nichts Äußerliches, nichts coram mundo, sondern eben »nichts«, auch nichts Innerliches oder Religiöses. Und das den Vordersätzen entgegengestellte »wir leben« in 2. Kor 6,9 ist nicht Ausdruck eigener Lebenskraft, sondern Ausdruck der vita aliena, wobei das davorgestellte »siehe« nach W. Bauer (Wörterbuch zum Neuen Testament [s. Anm. 41], 733) auf das gänzlich Unerwartete aufmerksam machen soll. Für Paulus ist zwar schlechthin alles Gabe, wie er unmittelbar vor dem ironischen »schon«, auf das er in 1. Kor 4 mit dem Peristasenkatalog antwortet, feststellt (4,8), aber gerade bei den Peristasenkatalogen ist der Gedanke der Dynamis des Gottes, der das Nichtseiende ins Sein ruft, von entscheidender Bedeutungwiederum eine bezeichnende Parallele zur iustificatio impiorum. Darum wird in 2. Kor 12,9 vor dem Peristasenkatalog ausdrücklich gesagt, daß es die Dynamis des Christus ist, die in den Schwachen Wohnung nimmt. Heißt es Röm 8,37: »wir tragen den Sieg davon«, so wird doch sofort hinzugesetzt: »durch den, der uns geliebt hat«, das heißt der Herr selbst »trägt sie durch die messia-

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nischen W ehen«3l. Nirgends dagegen findet sich in den Peristasenkatalogen ein Rekurs auf einen Schöpfer, der trotz aller Kalamitäten und Aporien doch für Harmonie und Ordnung sorgt und die Geschichte lenkt. ~uJ)a/kl~ und sw~, die dem Leidenden geschenkt wurden, sind nicht eine Schöpfungsqualität, sondern nichts anderes als das »Leben Jesu« (2. Kor 4,10) und damit »Leben aus dem Tode« (Röm 11,15)32. Dieselbe Beobachtung läßt sich auch innerhalb der Peristasenkataloge selbst machen, wie zumal die erste Antithese in 2. Kor 4,8a zeigt: »bedrängt, aber nicht erdrückt« (O)\Ißa/kEJ)ol aN..' ou (J"TEJ)OXWPOU/kEJ)OI). Hier tritt deutlich zutage, wie hauchdünn die Differenz ist zwischen dem, was im vorderen und hinteren Glied steht, zwischen der Leidenserfahrung einerseits und der Bewahrung vor dem endgültigen Zerdrücktwerden vom Druck der OAit/;EI~ andererseits. Daß der Unterschied zwischen OAIßa/kEJ)ol und (J"TEJ)OXWPOU/kEJ)OI nur minimal ist, ergibt ein Vergleich mit den anderen Peristasenkatalogen: In 2. Kor 6,4 und Röm 8,35 stehen sich nämlich OXj't/;I~ und (J"TEJ)oxwpla nicht gegenüber wie in 2. Kor 4,8, sondern dort steht beides parallel als tatsächlich durchlittene Erfahrung33 . Differenziert Paulus in 2. Kor 4,8 nun gleichwohl zwischen den beiden Begriffen, so besagt das eben, daß die Differenz zwischen dem, was im Vorder- und Hinterglied genannt wird, nur ein Minimum sein kann. Was da von Gott durchgehalten wird, daraufläßt sich kein Selbstbewußtsein und Kraftbewußtsein gründen, sondern diese Differenz ist eine Wirklichkeit extra se, eine creatio ex nihilo. Das bestätigt auch die zweite Antithese in 2. Kor 4,8b. Heißt es in 2. Kor 4,8b: »Wir wissen nicht ein noch aus, sind aber nicht am Ende« (a:rropOU/kEJ)OI aN..' ou Esa1TOpOU/kEJ)OI), so ist es dagegen nach 2. Kor 1,8 die Folge des Paulus widerfahrenen Übermaßes an Drangsalen gewesen, daß er tatsächlich am Ende war und am Leben verzweifelte. D.h. aber, Paulus hat tatsächlich ein Esa1Topo(j,yjJ)al erfahren, und die Differenz, die er in 2. Kor 4,8b zwischen Kompositum und Dekompositum ansetzt, um seine Bewahrung vor dem Äußersten ausdrücken zu können, ist wiederum verschwindend klein, ja vor diesem über die »Aporie« Hinausgehenden ist Paulus nicht immer bewahrt

31 E. Käsemann, An die Römer (HNT 8a), Tübingen 1973, 239; vgl. auch PhiI4,13 und G. Bornkamm, Paulus, Stuttgart 1969, 177f. 32 Gewiß ist auffallend, daß sich rraVToTE, o'el u.ä. Worte fast nur bei Leidens- und Sterbensaussagen fmden (vgl. aber z.B. 2. Kor 6, I 0 »immer« und 2. Kor 4, 16 »Tag um Tag«), doch wird Ähnliches durchaus angedeutet, etwa in dem KQ,()Wr; ••• oVrwr; (2. Kor 1,5) oder in dem eppUfTQ,TO ••• PUfTETQ,1 (2. Kor 1,10). Rissi, Studien (s. Anm. 23), 57, verweist auf die Perfektformen in 2. Kor 1,9, was besage, »daß der Todesbescheid, den Paulus damals erhielt, noch jetzt gilt«, was zur Folge hat, »daß nur ein andauerndes, wunderbares Eingreifen Gottes, sozusagen eine dauernde Totenerweckung ihn aus der Todessituation retten kann«. 33 Außerhalb des NT werden neben den Substantiven auch die Verben synonym gebraucht; vgl. H. Schlier, ThWNT 3,140f; G. Bertram, ThWNT 7,605.

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worden. Gerade bei dieser radikalen Verlegenheit kann von einem eigenen Aufbäumen keine Rede mehr sein. Das, was ihn hält, ist nicht ein eigener letzter Widerstandswille, sondern der, der ihn auch in der letzten Tiefe nicht fallen läßt, ist Gott. Daß die in den hinteren Gliedern umschriebene Wirklichkeit allein durch Gott selbst realisiert werden kann, macht endlich vor allem das »nicht im Stich gelassen« und »nicht zunichte gemacht« in 2. Kor 4,11 klar. Bei der letzten Antithese, deren Paradoxie ja »besonders grell« ist, hat auch H Windisch von einem »WundereingriffGottes« gesprochen. Entsprechendes gilt auch für 2. Kor 6,9-10, wie hier nur noch einmal durch den Hinweis auf das »siehe, wir leben« belegt sei.

III So sehr die Externität und der Geschenk- und Wundercharakter der in 2. Kor 4,8f mit »aber nicht« eingeleiteten Sätze zu betonen ist und so wenig der Blick des Apostels auf der eigenen Leidensbereitschaft und Leidenskraft ruht, so sehr ist nun nach Paulus andererseits die Stunde des Leidens doch zugleich die Stunde der Bewährung und des Widerstandes. Deshalb heißt es z.B. 1. Kor 4,12: »verfolgt man uns, so erdulden wir es«, und deshalb kann Paulus in 2. Kor 6 vor den Peristasenkatalog »in viel Geduld« setzen (V.4). Gottes helfende Gegenwart in den Peristasen dispensiert nicht vom all€XEaf)al, von unserem Ertragen und Aushalten (vgl. Röm 5,3f; 12,12). Sie geschieht nicht neben, sondern in ihm und ermöglicht es. Die Glaubenden dürfen als Angefochtene darum wissen, daß es ein »über das Vermögen hinaus« nicht geben wird und der »Ausweg« aus dem Peirasmos das von Gott geschenkte »Durchstehenkönnen« ist, und doch ist es zugleich die ihnen geschenkte Kraft der Überwindung, die in ihrem Ertragen zum Zuge kommt (1. Kor 10,13). Hier waltet dieselbe Paradoxie wie in Phil2, 12, wo hart und logisch unverrechenbar nebeneinander der Appell an des Menschen Verantwortung und die Aussage über Gottes AIleinwirksamkeit stehe 4 . Auch eine Nähe zum dialektischen Verhältnis von Indikativ und Imperativ liegt auf der Hand (vgl. Gal 5,25 mit dem Auftauchen des 7TllEU/ka ä')l/Oll in 2. Kor 6,6 oder die Freude im Peristasenkatalog von 2. Kor 6,10 einerseits mit »in großer Bedrängnis mit der Freude, die der heilige Geist gibt« 1. Thess 1,6, und andererseits mit dem imperativischen »freuet euch allezeit«, 1. Thess 5,16).Von daher ist es wohl auch zu verstehen, daß Peristasenkatalog und Charismen- sowie Tugend-Katalog sich durchdringen können.

34

161.

Vgl. R. Bultmann, Gnade und Freiheit, in: ders., Glaube und VerstehenII, Tübingen 1952,149-

Leid, Kreuz und Eschaton

37

Vor allem in 2. Kor 6,6-8 finden sich manche Begriffe, die auch in den paulinischen Tugendkatalogen wiederkehren wie »Langmut« und »Güte«, die nach Gal 5,22 als »Geistesfrüchte« zu gelten haben. Auch das Auftauchen von charismatischen Gaben und Kräften ist unübersehbar. Schon in 1. Kor 4, 12f ist neben uVfx€u8aI35 auch vom »Segnen«36 und» Trösten« die Rede, und gerade napaKaA€/v erscheint Röm 12,8 im Charismenkatalog. Vor allem aber in 2. Kor 6 ist der Übergang von den Peristasen zu den Charismen fließend, aber wohl auch 2. Kor 11 (vgl. 11,28). Dabei kann man im Einzelfall durchaus schwanken, ob das passive oder das aktive Moment im Vordergrund steht oder beides gemeint ist37 . Ist mit u7Puv[al und VYJ(J"TEial in 2. Kor 6,5 (vgl. 11,27) allein das aufgezwungene Entbehren von Schlaf und Nahrung oder auch der freiwillige Schlafverzicht und Nahrungsmangel gemeint?38 Während hier m.E. mehr das Passive im Vordergrund stehen wird, hat die in 1. Kor 4, 12 unter die Peristasen gerechnete Handarbeit - übrigens im bezeichnenden Unterschied zu jeder Glorifizierung der Arbeit - vielleicht stärker eine freiwillige Note (vgl. 1. Thess 4,11).Vor allem die in 2. Kor 6 und 11 aufgeführten Leiden erwachsen allesamt aus Aktionen, die die Sendung des Evangeliums mit sich bringt, auch 35 Schon dieses »Aushalten« hat nach H. Schlier, ThWNT 1,361 »nicht die rein negative Bedeutung eines sich auf sich selbst zurückziehenden Heroismus, sondern impliziert ... ein den anderen nie verlierendes Aufuehmen seiner Ansprüche«. 36 Vielleicht greift Paulus mit AOI~OPOU(.LElJOI EUAO'YOU(.LElJ auf paränetische Tradition zurück; vgl. Röm 12,14; Lk 6,28; l.Petr 2,23; 3,9. Man kann dies nicht dadurch in Frage stellen, daß man sagt, Charismen seien nicht der Paränese zuzuweisen. Aber man darf Charisma auch nicht einseitig dem Indikativ zuordnen und als Gabe verstehen, sondern Paulus kann auch die Charismen als Aufgabe bezeichnen (1. Kor 12,31; 14,1.12.39); vgl. W. Schrage, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese, Gütersloh 1961, 142. 37 Nach F. Hauck, ThWNT 3,828 sollenz.B. bei KlmO/ (2. Kor 11,23) »passiver und aktiver Inhalt des Wortes (Mühsal, Mühe)« ineinander übergehen. 38 J. Müller-Bardoff, Nächtlicher Gottesdienst im apostolischen Zeitalter, ThLZ 81 (1956) 347-352 betont den aktiven Sinn: a'YPU7rJlEllJ habe im NT stets diesen Sinn; in 2. Kor 11,27 sei EV a'Ypu7rJlial~EllI und pUEu8al zu konstatieren ist (vgl. Weish 16,7f.12). Heilen (hebr. raja) ist schon im Alten Testament nicht auf Krankenheilung beschränkt, sondern »geradezu t( erminus) t( echnicus) für die gnädige Heilszuwendung«24. Heilung ist gewiß zunächst Beendigung von Krankheit (Ex 15,26; Dtn 28,27.35; 2.Kön20,5; Ps 103,3), aber auch das Volk (2.Chr 30,20) und sein Schaden erfährt Heilung (Jer 6,14), ebenso Wasser (2.Kön 2,21f) und Land (2.Chr 7,14), vor allem aber umfaßt Heilung auch Aufheben des Unheils, z.B. des Abfalls (Jer 3,22), der uneinsichtigen (Jes 6,10) oder zerbrochenen Herzen (Jes 61,1; Ps 147,3) und der Sünde (Ps 41,5; 103,3 u.ö.), so daß schließlich Heilung oft in die Nähe umfassenden Heils kommt (vgl. Jes 57,18f; 61,1; Jer 17,14). Entsprechendes gilt für die jüdischen Belege. Natürlich ist Heilung auch hier zunächst Heilung des Leibes 25 , aber Gott heilt ebenso Schmerzen des Herzens (Schemone Esre 8), Sünde und Gesetzesübertretung (CD 12,5; Sir 28,3), ja sein Wort heilt »alles« (Weish 16,12). Die Erde kann ebenso geheilt werden (vgl. Hen 10,7; syrBar 53,9) wie die Seele26 . Nach der schon zitierten Stelle Jub 23,29f ist vom Eschaton Heilung durch Gott im umfassenden Sinn (parallel zu Heil) zu erwarten, und 4.Esr 7,123 verbindet mit dem Erscheinen des Paradieses eschatologische »Sättigung und Heilung«. Das Neue Testament gebraucht »Heilung«27 aber überwiegend im Zusammenhang physischer Gesundung, wobei auch hier wieder z.T. direkt an alttestamentliche Verheißungen angeknüpft wird und Jesu Heilungen als Er:fullung solcher Verheißungen interpretiert werden können (vgl. Mt 8,17; 11,5 u.ö.). Vor allem für Matthäus sind Jesu Heilungswunder über die körperliche Heilung hinaus Werke des Knechtes Gottes, der für die Hilflosen eintritt und seine Macht im Dienst der Gequälten anwendet (vgl. das Zitat aus Jes 42,lf in Mt 12,18ff)28. Die unlösliche Verbundenheit von Heil und Heilung gilt jedoch für alle Evangelien, wie etwa deren Summarien dokumentieren (vgl. Mt 4,23; 9,35; Lk 9,11 u.ö.). Zwar gibt es verschiedene Akzentuierungen. Matthäus hat bekanntlich den Block der Heilungsgeschichten erst nach der Bergpredigt A. Oepke, ThWNT 3,203. Vgl. äthHen 67,8; Tob 12,3; Sir 38,9; Jub 10,12; 4.Esr 7,104, JosAs 29,4; ApkE133,5 u.Ö. 26 Vgl. die Belege aus Philo bei A. Oepke, ThWNT 3,203 und H.W. Beyer, ebd. 129. 27 Zur Synonymität von ;CiuBal und ()EparrEuElv vgl. z.B. Mt 8,7f; Lk 5,15.17; 6,18 u.ö. 28 V gl. H.J. Held, Matthäus als Interpret der Wundergeschichten, in: G. Bornkamml G. Barthl H.J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäus-Evangelium (WMANT 1), Neukirchen-Vluyn 1960, 246ff. 24

25

Heil und Heilung im Neuen Testament

95

plaziert, und entsprechend lautet das Wort Jesu an den Täufer bei ihm »Gehet hin und berichtet Johannes, was ihr hört und seht« (anders dagegen die Reihenfolge Lk 7,22). Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß für Jesus ebenso wie rur die Evangelisten beides nicht voneinander zu trennen ist. Die genannte Reihenfolge darf man ohnehin nicht strapazieren, denn Lk 4, 18f steht die messianische Heilspredigt der Freilassung der Gefangenen und der Heilung der Blinden voran (vgl. auch Lk 5,15; 6,18)29, und Mt 11,5 steht umgekehrt die Heilsverkündigung am Schluß der Taten des Messias. Es bestätigt sich somit nur der gleiche Rang und Ursprung von Heil und Heilung. Wird von Heilung primär auch nicht im Blick auf zerbrochene Herzen gesprochen 3o, sondern in Verbindung mit J)6(Jo~ im Sinne leiblicher Krankheit, so übersteigt Jesu Wirken doch, zumal in seiner Passion, seine »heute und morgen« erfolgenden Exorzismen und Heilungen (Lk 13,32t). Nicht zufällig wird Krankheit auch mit Sünde in Verbindung gebracht und Vergebung mit Heilung, wie vor allem Mk 2,5ff zeigt. Dort gehört das Vergebungswort von vornherein zur Heilungsgeschichte hinzu 3l , d.h. der Gelähmte wird mit Leib und Seele gesund, mit Psyche und Physis verwandelt. Aufschlußreich ist auch das Bildwort in Mk 2,17, daß nicht die Gesunden des Arztes bedürfen, sondern die KaKw~ €XOJ)TE~, was an sich diejenigen meint, die krank und elend sind (vgl. Mt 17,15). Das Bildwort wird aber dann weitergeführt, und dabei werden nun die Kranken als Sünder gedeutet (vgl. die Beziehung auf den Umgang Jesu mit Zöllnern und Sündern V.15t). Krankheit ist sozusagen Symptom eines weiterreichenden Unheils und tiefergreifenden Bruches32 . Auch die Anwendung von Jes 53,7f auf Jesus in Mt 8,17 (»Er hat unsere Gebrechen auf sich genommen und unsere Krankheiten weggenommen«) hat zwar primär die leibliche Krankheit im Auge, doch könnte auch hier die Heillosigkeit im umfassenderen Sinne mit

29 U. Busse hat gezeigt, daß Lukas in seinen Wundererzählungen »Jesus als wohltätigen Erlöser der Menschen aus der Gewalt der Dämonen« darstellt (Die Wunder des Propheten Jesus. Die Rezeption, Komposition und Interpretation der Wundertradition im Evangelium des Lukas [fzb 24], Würzburg 1977,25). 30 So die Lesart der Koine in Lk4,18 im Anschluß an Jes 61,1. Nach Busse, Wunderes. Anm. 29), 60 bezieht sich lii,aBal bei Lukas »immer auf konkrete, äußere, den einzelnen Menschen schwer belastende Krankheiten, nie auf >psychologische Fälleganz anderen< Bereich« (7). Nun ist der Tatbestand urchristlicher Rezeption welthafter Ethik als solcher nicht zu übersehen (vgl. Phil 4,8), aber auch nicht zu verabsolutieren. Vor allem aber ist zu bestreiten, daß 1TV€UlhaT1Krf} nur auf die (MNTC), London 12 1949, 194: Der Christ »is not the slave ofthe conventionaljudgments ofsociety«; Käsemann, Röm (s. Anm. 61), 318f. 81 Vgl. Wilckens, Röm III (s. Anm. 61), 7; U. Duchrow, Christenheit und Weltverantwortung, Stuttgart 1970, 116f. 82 Schon E. Lohmeyer, Die Briefe an die Kolosser und anPhiiemon (KEK 91 2), Göttingen 9 1953, 32, hat auf denjüdischen Charakter, speziell auf »bleibendes Ineinander von Erkennen und Handeln« verwiesen; vgl. auch Lohse, Koll Phlm (s. Anm. 57), 58. 83 So z.B. C. Noyen, Foi, charite, esperance et 'connaissance' dans les EpItres de la Captivite, NRTh 9 (1972) 897-911.1031-1052, speziell 1034. 84 J. Dupont, Gnosis. La Connaissance religieuse dans les epItres de S. Paul, Paris 1949,43; vgl. K. Sullivan, Epignosis in the Epistles of St. Paul, in: Studiorum Paulinorum Congressus Internationalis Catholicus 1961 II (AnBibI18), Rom 1963, 405-416, bes. 410f. 85 Zu diesem nicht unumstrittenen Verständnis vgl. Haupt, Gefangenschaftsbriefe (s. Anm. 54), 17; E. Percy, Die Probleme der Kolosser- und Epheserbriefe (SHVL 39), Lund 1946, 123f; Lohse, Koll Phlrn (s. Anm. 57), 62; Schweizer, Kol (s. Anm. 57),42; Noyen, Foi (s. Anm. 83), 1036. 86 So Dibeliusl (Greeven), Koll Eph/ Phlm (s. Anm. 60),7.

148

Zum Verhältnis von Ethik und Vernunft

Motivierung verweist, die Erkenntnis also allein vom Pneuma gewirkt, im Inhalt aber von ganz anderen Größen geleitet wird. Es ist nicht einmal so, daß sich die Erkenntnis der Christen nur auf »geistliche« Gegenstände oder ein bloßes »Glaubensethos« bezieht, das das rational gewonnene »Weltethos« zwar in einen anderen Sinnhorizont rückt, materialiter aber überhaupt nicht verändert. »Geistlich« bestimmt sind vielmehr auch die inhaltlichen Kriterien. »Vor allen Dingen sind es die Maßstäbe, die Gesichtspunkte des Urteils, welche den Gegensatz zwischen geistlicher und sarkischer Weisheit bedingenGesetz( Heiligkeit, Conc (D) 15 (1979) 590- 596; vgl. auch W. Klaiber, Biblische Perspektiven einer heutigen Lehre von der Heiligung, ThBeitr 16 (1985) 26-39, der vom »Auftrag eines heiligenden Einwirkens auf die gesellschaftlichen Verhältnisse« spricht (37). 57 E. Käsemann, Gottesdienst im Alltag der Welt, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen H, Göttingen 1964,198-204; vgl. ders., Römer (s. Anm. 12), 175. 58 Vgl. Klaiber, Perspektiven (s. Anm. 56), 32. 53 54

214

Heiligung als Prozeß bei Paulus

Gerade darum darf man die Heiligung nicht ausschließlich defensiv verstehen oder gar das Wirken des Geistes in abgesteckte Bezirke eingrenzen wollen. Von besonderer Bedeutung, leider aber auch Dunkelheit, ist hier 1. Kor 7,14, wo Paulus erklärt, daß in Mischehen der ungläubige Ehepartner durch den Christen »geheiligt« wird und auch die Kinder solcher Mischehen »heilig« sind59 . Zu beachten ist gewiß, daß Paulus hier wahrscheinlich eine korinthische These, daß Mischehen Verunreinigungen implizieren, umdreht, aber damit ist die paulinische Gegenthese noch nicht erklärt oder gar relativiert. Wie Paulus sich das »Geheiligtsein« vorstellt, ist allerdings sehr umstritten. Manche sprechen von »Heiligkeitskraft (Mana)«, von »mystischer Potenz« und »geistiger Substanz« bzw. »mystisch-primitiver Auffassung«6o. Andere denken an eine Übertragung durch den geschlechtlichen V erkehr61 an eine» Heiligkeitssolidarität der Familie«, an stellvertretenden Glauben oder kultisch-Ievitisches Denken 62 . Am ehesten leuchtet ein, daß hier wie auch bei den sonstigen paulinischen Aussagen über den Geist ein Denken in Machtsphären vorliegt 63 . Gottes heiligende Macht zieht sich jedenfalls nicht in ein abgeschlossenes Ghetto zurück, sondern dringt auch in die »Profanität« ein. Daß »die Männer der Heiligkeit nicht berührt« werden sollen (1 QS 5,13; vgl. 7,17), ist für Paulus eine unmögliche Vorstellung. Was Sach 14,20 für »jenen Tag« verheißt, daß nämlich selbst die Schellen der Rosse und die Töpfe im Hause des Herrn heilig sein werden, und was Jub 4,26 von der neuen Schöpfung erwartet, daß es nämlich zur »Heiligung der Erde« kommen und die Erde »von aller Unreinheit und Sünde geheiligt wird«, das ist proleptisch und fragmentarisch-zeichenhaft schon eschatologische Realität bei denen, die als von den Toten Lebendiggemachte wandeln (Röm 6,13). Heiligung ist insofern eschatologisches Zeichen, in dem sich der Auferstandene selbst bezeugt, »welcher als Herr der Welt uns als ein Stück dieser Welt für seinen Dienst beschlagnahmt«64. Der Hl. Geist bedarf keiner Abschottung, sondern ist allemal heiliger als alle Unheiligkeit. 59 Nach Asting, Heiligkeit (s. Anm. 2), 209 Anm. I soll es sich freilich um Kinder christlicher Eheleute handeln, und man muß wohl zugeben, daß sie mit gemeint sein können, aber vom Zusammenhang her, in dem Paulus von der Mischehe handelt, müssen primär ungetaufte Kinder aus Mischehen gemeint sein. 60 Asting, Heiligkeit (s. Anm. 2), 207 und 209. 61 So H. Lietzrnann (I W.G. Kümmel), An die Korinther 1/ II (HNT 9), Tübingen 4 1949,31, doch schlägt dabei einmal die Auffassung vom angeblich naturalistischen Eheverständnis des Paulus durch, zum anderen bleibt V.14b hierbei unerklärt 62 V gl. die Einzelnachweise bei E. Fascher, Der erste Brief des Paulus an die Korinther I (ThHK 7/ I), Berlin 1975, 1975, 187 und H. Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther (KEK 5), Göttingen 12 1981, I 54f, der selbst auf eine Entsakralisierung der Welt abhebt. 63 Vgl. Ch. Senf!, La premiere I'epitre de Saint Paul aux Corinthiens (CNT[N] 7), Neuchätel1979, 93. 64 E. Käsemann, Römer 6, 19-23 (Meditation), in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1960, 263-266, 263.

Heiligung als Prozess bei Paulus

215

Gewiß darf man aryla);w8al hier nicht im Sinne von Kor 6,11 soteriologisch verstehen - daß der nichtchristliche Ehepartner durch den christlichen gerettet wird, hat Paulus nicht gesagt, auch wenn er die Hoffnung hat, daß solche Rettung geschehen kann (V.15) -, andererseits aber kann man sich nicht einfach mit der Auskunft begnügen, der Akzent ruhe darauf, daß Christen keine Verunreinigung befurchten müssen. Paulus sagt eben nicht bloß, daß die Christen ihre Heiligkeit nicht verlieren, sondern daß ihre Heiligkeit auf den Nichtchristen übergreift. Darin bekundet sich in der Tat, »daß jeder, der geheiligt ist, nicht für sich selbst geheiligt ist, sondern für Gott und sein Werk und so auch für die Welt. Unsere Stelle besagt also gerade nicht, daß Heiligkeit eine individuell inhärierende Qualität und Zuständlichkeit sei, sondern das In-AnspruchGenommen-Sein für den anderen«65. V ersucht man für den Heiligungsprozeß über die genannten Konkretionen hinaus eine inhaltliche Grundausrichtung zu finden, wird man auf die Agape verwiesen. Es ist zwar fraglich, ob man auch 1. Thess 4,9ff in die Heiligkeitsthematik einbeziehen und unter die Überschrift von V.3a subsumieren darf. Die inclusio s.v. arylaap,oq (V.3.7) und der Neueinsatz TIEpi (JE (V.9) sprechen nicht dafür, das Motiv des TIEP/(Y(TeUEIJ) p,uUoJ) (V.l.10; vgl. 3,12) aber weist auf eine Verklammerung. Wer in der Liebe vorankommt, kommt auch in der Heiligung voran. »In making the Thessalonians abound in agape the Lord simultanously works that process of hagiasmos«66 (vgl. 1. Petr 1,22). Diese Parallelisierung von Heiligkeit und Liebe belegt auch der Gebetswunsch von 1. Thess 3,12 f, der Herr möge die Gemeinde reich und überreich machen an Liebe zueinander und zu allen, um die Herzen zu befestigen in Heiligkeit.

65 66

Sta1der, Werk (s. Anm. 12),206. Deidun, New Covenant Morality (s. Anm. 43), 102.

Zur Frontstellung der paulinischen Ehebewertung in l. Kor 7,1-7 Heinrich Greeven zum 70. Geburtstag

1. Will man die paulinische Sicht der Ehe recht einschätzen und sie nicht in die Reihe antiker Ehe- und Sexualdiskreditierung einordnen, muß man sie mit der korinthischen auch konfrontieren, nicht aber mit ihr nur identifizieren. Das ist zum Schaden der Sache oft nicht genügend beachtet worden und hat Paulus mit den Ruf eingetragen, in der Ehe »etwas Minderwertiges« zu sehen l . Bekanntlich beginnt Paulus in 1. Kor 7 mit seinen Antworten auf Fragen und Thesen 2 des Schreibens der Korinther, das vielleicht durch Stephanas, Fortunatus und Achaikus überbracht worden ist (16, 17t). Dieses scheint sich primär nicht auf »dogmatische« Probleme, sondern auf Fragen der Lebensführung und der gottesdienstlichen Versammlung bezogen zu haben. Es läßt sich zwar nicht erweisen, daß das Schreiben der Korinther Punkt für Punkt eine Reaktion auf den in 5,9 erwähnten Brief des Apostels darstellt- eine Rekonstruktion dieses paulinischen Briefes bleibt, wenn man ihn nicht in Teilen des 1. und 2. Korintherbriefes findet, ohnehin im Bereich der Spekulation -, doch über den Inhalt des korinthischen Briefes lassen sich einige begründete Vermutungen anstellen. Ob sich das 7TEpi (JE am Anfang der einzelnen Themenkomplexe stets auf den Brief der Korinther bezieht, ist zwar nicht ganz sicher, doch spricht die größte Wahrscheinlichkeit dafür, daß das 7TEpi (JE von 7,1 auch in 7,25; 8,1; 12,1; 16,1.12 mitzuhören ise. Hier soll es nur um 7,1 gehen. Da Paulus am Beginn der einzelnen Abschnitte jeweils ein Stichwort nennt oder sogar wie in 8,1 einen Satz zitiert, liegt die Vermutung nahe, etwas EntI So H. Preisker, Christentum und Ehe in den ersten drei Jahrhunderten (NSGTK 23), Berlin 1927, 127; R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 4 1961 ,203. Die Belege rur ähnliche Urteile ließen sich beliebig vermehren. 2 Meist wird nur von Anfragen der Korinther gesprochen (A. Schlatter, Paulus der Bote Jesu, Stuttgart 3 1962,208 vergleicht sie sogar mit Anfragen der Juden an die fiihrenden Lehrer Jerusalems), doch entspricht das weder dem pneumatischen Selbstbewußtsein der Korinther noch dem Inhalt ihres Schreibens, soweit er erkennbar wird. J. Weiß, Der erste Korintherbrief(KEK 5), Göttingen 21910, 343 erschließt aus 14,37-40 denn auch sogar umgekehrt, die Gemeinde habe sich in der Lage gewußt, ihre Angelegenheiten selbst zu entscheiden und scheine geneigt, sich Weisungen des Apostels zu verbitten. Vgl. auch H. v. Campenhausen, Die Begründung kirchlicher Entscheidungen beim Apostel Paulus, in: ders., Aus der Frühzeit des Christentums, Tübingen 1963, S.30-80, 41. 3 Das wird in 12,1 und 4 dadurch bestätigt, daß 1rcpt!Je TWV 1rVcU/haTIKWV von Paulus selbst durch xap/rr/haTa interpretiert wird. {1rcpt !Je kann aber anders als 7,1 auch einfach der Beginn eines neuen Topos sein; vgl. EKK VII/l,91}.

218

Zur Frontstellung der paulinischen Ehebewertung in 1. Kor 7,1-7

sprechendes auch in 7,1 zu finden. Grammatisch kann KaAov sowohl durch ein Elval wie ein €O"TIV ergänzt werden, so daß die Möglichkeit besteht, KaAov uvOpomep '}'UvalKoq wi} ä7ITEU"Oal rur eine Parole der Korinther aus ihrem Schreiben an Paulus zu halten4 . Das paßt vorzüglich in das Gesamtbild der korinthischen Theologie und findet eine Bestätigung auch durch die paulinische Antwort, die wegen ihres nicht usuellen, sondern aktuellen Charakters gewisse Rückschlüsse auf die korinthischen Praktiken und Ansichten erlaubt. Die auch aus anderen Teilen des Kapitels zu erschließende asketische Neigung der Korinther läßt sich aber aufs beste mit der Parole von V.l in Einklang bringen. Endlich gewänne das adversative (JE in V.2 so einen guten Sinn, denn V.2 bedeutet gegenüber V.l auch inhaltlich zweifellos eine gewisse Korrektur5 , auch wenn diese nicht so zu bestimmen ist, daß hier eine »überstiegene Idealforderung« (V. 1) in eine »naturalistische Wertung der realen Lebensverhältnisse« umschlägt6 oder hier der »Praktiker« Paulus mit »Erfahrung und Weltklugheit« »die Grenzen unbedingter Forderungen« erkenne. Was sich hier bekundet, ist kein Umschlag von Idealismus in den Materialismus und kein Kompromiß zwischen Theorie und Praxis, sondern der Blick rur die Wirklichkeit des Leiblichen und Geschlechtlichen und das Wissen darum, daß ein Verbot der Ehe »die Freiheit verleugnet hätte«8. Es ist auch nicht so, daß hier die Schöpfungswirklichkeit gegen die eschatologische Existenz ausgespielt würde9 oder Paulus in V.l eine Modifizierung gegenüber der eigenen früheren Ansicht anbrächte lO • Korrigiert werden sollen vielmehr die spiritualistischen Höhenflüge der Korinther, die den Boden unter den Füßen verlieren und das (; KUpIOq TeP 4 So möglicherweise schon Tertullian und Origenes; vgl. J.M. Ford, St. Paul, the Philogamist (I Cor VII in Early Patristic Exegesis), NTS 11 (1964/65) 326-348, bes. 329 und 343. V gl. weiter A. Robertson! A. Plummer, I Corinthians (lCC 7), Edinburgh 2 1914, XXV (anders 132); Ph.-H. Menoud, Mariage etcelibat selon S. Paul, RThPh 9 (1959) 21-34, 27 Anm. 1; J.-J. v. AHmen, Maris etfemmes d'apres S. Paul (CTh 29), Neuchätel1951, 11; J. Jeremias, Zur Gedankenfiihrung in den paulinischen Briefen, in: ders., Abba, Göttingen 1966, 269-276, 273; C.K. Barrett, The First Epistle to the Corinthians (BNTC), London 1968, 174; v. Campenhausen, Begründung (s. Anm. 2), 50 Anm. 37 (»vieHeicht von den Korinthern formuliert«); R. Schnackenburg, Die Ehe nach dem NT, in: Theologie der Ehe, Regensburg u.a. 1969,9-36,22; H. Greeven, Ehe nach demNeuen Testament, in: ebd. 37-79, 73; weitere Autoren bei J.C. Hurd, The Origin ofI Corinthians, Macon 1965, 68.163. 5 Es ist darum wenig wahrscheinlich, daß auch V.2 noch Zitat ist, wie C.H. Giblin, 1 Cor 7 - A Negative Theology ofMarriage and Celibacy?, BiTod 41 (1969) 2839-2855 meint. 6 So Weiß, 1. Kor (s. Anm. 2),172. 7 So Preisker, Christentum (s. Anm. 1), 125. 8 So Schlatter, Paulus (s. Anm. 2), 210. 9 Man mag von »widersprüchlichen Motivreihen« sprechen (so K. Niederwimmer, Zur Analyse der asketischen Motivation in 1. Kor 7, ThLZ 99 [1974], 241-248, 246), doch ist es m.E. verfehlt, wenn man die »die eschatologische Existenz begrenzenden Bedingungen der Endlichkeit (und Entfremdung)« verselbständigt und ausdrücklich bestreitet, daß die Ehe in Beziehung zum Heilsgeschehen gesetzt werde; vgl. dazu unten zu V.3fund 7. 10 Das wird von Hurd, Origin (s. Anm. 4) erwogen; vgl. auch J.A. Ziesler, Christian Asceticism, London 1973, 77.81.

Zur Frontstellung der paulinischen Ehebewertung in 1. Kor 7,1-7

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UWf.1.aTI (6,13) verleugnen, wenn sie das Somatische und damit auch das Ge-

schlechtliche in libertinistischer oder asketischer Manier dämonisieren und dem Zugriff von Pneuma und xapI~ vorenthalten. Gegen das Vorliegen eines Briefzitats läßt sich zwar einwenden, daß KaAov KTA. paulinischer Stil ist!! . Aber einmal ließe sich denken, daß Paulus sich dem korinthischen Sprachgebrauch anpaßt (vgl. 2,14fu.ö.) bzw. korinthische Thesen aufnimmt (vgl. 8,1; 10,23), ohne sich ganz mit deren Sinn zu identifizieren!2, zum anderen aber besteht die Möglichkeit, mit einer sinngemäßen Wiedergabe statt mit einem wörtlichen Zitat zu rechnen (vgl. 8,1 mit 8,4). Daß in V.1 nur vom Verhalten des Mannes gesprochen wird, führt denn auch H Conzelmann auf eine korinthische Formulierung zurück, weil Paulus selbst »auf der Basis der Gleichberechtigung« antwortet. Auch der Hinweis auf 1,12 und 15,12, wo Paulus ausdrücklich auf Äußerungen der Korinther aufmerksam macht! 3 , ist kein durchschlagendes Gegenargument, da 6, 12a und 6, 13a ebensowenig als Zitat gekennzeichnet sind wie die durch ol~af.1.€v eingeführten Sätze in 8,1 und 8,4. Was aber ist nun der Sinn der korinthischen These? Leider ist nicht ganz sicher, ob die korinthische Parole, »keine Frau zu berühren«, das Ideal der Ehelosigkeit vertritt oder (Eheleute) vom Geschlechtsverkehr zurückhalten will. Denn ö,1IT€UOal 7UvalKo~ als ein auch in der LXX bekannter Euphemismus bezeichnet ganz allgemein den geschlechtlichen Verkehr mit der Frau. Oft wird zwar gesagt, die Wendung stehe für den ehelichen Umgang!4, doch sprechen die Belege mehr für den Geschlechtsverkehr überhaupt!5. Auch uvOpwmp statt 11 H. Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther (KEK 5), Göttingen 1969, 139 Anm. 10 mit Hinweis aufV.8.26; vgl. auch V.37f. 12 Schon A. Juncker, Die Ethik des Apostels Pau1us 11, Halle 1919, 184 hielt es für möglich, daß Paulus sich an die Redeweise der Asketen angelehnt habe und fragte, ob ?VlJaIKo. Il/i} ä7ITEuBal »eines ihrer Schlagworte« gewesen sei. Daß Paulus das KaAOlJ in bestimmter Weise unterschreibt, besagt also nicht, daß unter KaAOlJ hier und da dasselbe verstanden würde. Für Pau1us ist das ?VlJaIKo. /k7) ä7ITEuBal weder um der Virginität und Askese als solcher willen »gut« noch erst recht wegen einer Diskriminierung der Sexualität, sondern hat ganz andere, nämlich eschatologische und christologische Gründe (vgl. V.25ft). Pau1us sieht in dem KaAOlJ auch keine absolute Wertung: dieselbe Tat (sc. die Heirat) ist einmal KaAw. (V.38) und einmal KPEITTOlJ (V.9), ebenso gilt die Ehelosigkeit einmal als KaAw. (V.37 und 8) und einmal als KPEllTlTOlJ (V.38). Wahrscheinlich versteht Pau1us das KaAOlJ im Sinne des rrpo. TO U/kWlJ oV/kqJOPOlJ (V.35), des E'}'W 3E U/kWlJ cPEl3o/kal (V.28) und des /kaKaplWTEpa (V.40). 13 H. Baltensweiler, Die Ehe im Neuen Testament (AThANT 52), Zürich 1967, 156. 14 Vgl. W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlinl New York 51975, 203f. 15 Prov 6,29 bezieht sich auf die Frau des Nächsten, Gen 20,6 aufAbimelech gegenüber Sarah (vgl. auch Ruth 2,9), Josephus, Ant 1,163 auf Pharao gegenüber Sarah. P1ato, Nom. 840a steht es parallel zu »Knaben berühren«, Aristoteles, Pol. 1335b (für Mann und Frau) zu O/kIAla rrpo. äMOlJ';; äM'Y}lJ. Nach P1utarch, Alex. 21 rührte Alexander nach seinem Sieg über die Perser keine der Frauen an (vgl. auch l/;auw in Ps-Phocylides 179: »Berühre nicht deine Stiefmutter«). TestRub 3,15 bezieht sich ä7ITEuBal dagegen auf die Ehefrau bzw. Nebenfrau des Jakob, der die von Ruben mißbrauchte Bilha

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G,V()pI, das Fehlen des determinierenden Artikels vor '}'UvaIK6~ und die folgen-

den Verse deuten eher darauf hin, daß man in Korinth prinzipiell die geschlechtliche Enthaltsamkeit befürwortet hat (vgl. V.5). Das würde fur Unverheiratete ohnehin Ehelosigkeit implizieren. Aus V.7 ist denn auch zu schließen, daß man Ehelosigkeit als die christliche Verhaltensweise favorisierte, aus V.28 folgt, daß Heirat als Sünde galt 16 (vgl. auch V.36), und V.lOf(vgl. V.27) könnte für eine Tendenz zur Auflösung bestehender Ehen sprechen (vgl. auch die Furcht vor der entheiligenden und ansteckenden Macht der (}"aps innerhalb der Mischehe, die aus ä7rTE(}"8al V.14 zu erschließen ist). Jedenfalls hat man in Korinth prinzipiell fur sexuelle Askese plädiert und nicht umgekehrt geschrieben, Paulus urteile »über diese Seite des natürlichen Lebens allzu rigoros«17. Will man die korinthische Losung richtig beurteilen, bedarf sie der näheren Interpretation und religionsgeschichtlichen Einordnung. Dies ist umso notwendiger, als mit dieser sexuellen Abstinenz und Askese im Unterschied zu 6,12ff (vgl. auch 5,1 ft) hier nun das Pendant des korinthischen Libertinismus zutage tritt, das aber als ethischer Gegenpol in der Gnosis eng damit zusammengehört. Diese gnostische Bipolarität von Libertinismus und Askese in Korinth wird zwar bestritten 18, doch folgt beides aus derselben Grundvoraussetzung der radikalen Abwertung alles Leiblichen und Weltlichen. W. SchmithaIs hat nur darin recht, daß kaum dieselben Leute asketisch und libertinistisch gelebt haben werden. Richtig ist auch, daß der Libertinismus das pneumatische Selbstgefuhl und exzessive Freiheitsbewußtsein besonders eindrücklich dokumentiert. Daß aber die Asketen »schwerlich Gnostiker, sondern im Protest gegen die Gnosis begriffen« seien, ist bei der gerade von SchmithaIs verfochtenen gnostischen Beeinflussung der Korinther wenig wahrscheinlich, zumal da der Protest der Gnostiker gegen Welt und Leib »normalerweise in der Form strenger Askese« geschah l9 . Auch die Meinung von eh. Maurer, 6,12-20 und 7,lff nicht mehr »berührt«. Ganz unbelegbar ist dagegen, daß in dem Wort auch die »geistigen und seelischen Lebenbeziehungen gewürdigt« werden, wie das Ph. Bachrnann, Der erste Brief des Paulus an die Korinther, Leipzig 3 1921 , 253fin V.1 findet. 16 Weiß,!. Kor (s. Anm. 2), 194 meint zwar, OVX -I)/LapT€, könne sich nicht allgemein aufs Heiraten, sondern nur auf den Bruch des Gelübdes dauernder Jungfräulichkeit beziehen, doch ist es von den Voraussetzungen der Korinther her keineswegs unfaßlich, daß die normale Heirat als Befleckung mit Sarx und damit als Sünde galt; vgl. die Belege unten. 17 So Th. Zahn, Einleitung in das Neue Testament I, Leipzig 3 1924,198, der das für die Meinung der Mehrheit in der Gemeinde hält; ähnlich G.G. Findlay, zitiert bei Hurd, Origin (s. Anm. 4), 155. 18 W. Schmithals, Die Gnosis in Korinth (FRLANT 66), Göttingen 2 1965,224.338; vgl. dagegen Conzelmann, 1. Kor (s. Anm. 11), 139 Anm. 11. 19 H.M. Schenke, Die Gnosis, in: Umwelt des Urchristentums I, Berlin 1965,395. M.E. ist auch W.G. Kümmel inkonsequent, wenn er einerseits sieht, daß »der ganze Brief eine Front gegen eine gnostische Umdeutung der Christusbotschafl« zeigt, die dem Pneurnatiker als dem von der Sarx Befreiten »unbedingte sittliche Freiheit« zuschreibt, die »Zurückhaltung gegenüber der Ehe« dagegen seiner Meinung nach »nur gewaltsam aus gnostischen Voraussetzungen abgeleitet« werden kann (Einleitung

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hätten es »mit demselben Gegner zu tun«, richte sich aber gegen den Libertinismus, ist vom gesamten Kapitel 7 her wenig plausibel. Daß Paulus bei einer asketischen Richtung »das Gebot zum gegenseitigen Umgang mit der Vollwertigkeit des Leibes begründen« müsse, ist eine petitio principii. Dafür, daß sich 7,1 ff primär gegen die Proklamierung des freien Geschlechtsverkehrs richtet, läßt sich auch weder das unbetonte EauTou noch i~/O~ anführen 20 , allenfalls ~/a Ta~ 7rOpliE[a~. "I~/O~ und EauTou sind nicht sonderlich zu akzentuieren und erfordern kaum die Ergänzung »aber keine(n) fremde(n)« im Sinne einer Warnung vor außerehelichem Geschlechtsverkehr oder »aber keine(n) zweite(n)« im Sinne einer Warnung vor Polygamie, auch wenn beides für Paulus selbstverständlich eingeschlossen ist (vgl. das unbetonte i~/O~ in V.4 und den teilweise abgeschliffenen Gebrauch in der Koine (Bauer, Wörterbuch [so Anm. 14], 731), und zwar vor allem bei Verwandtschafts graden und Hausangehörigen (vgl. Eph 5,221. Tim 3,12; 5,8; 6,1; Tit 2,5 u.ö.). Somit ist die These Maurers, daß Paulus hier gegen die Promiskuität die Exklusivität der Ehe stelle, nur implizit mitgegeben. Das aber wird von Paulus selbst als Grund genannt und darf kaum auch für die Korinther in Anspruch genommen werden. Sind Libertinismus und Askese aber nur verschiedene Formen der mit dem Dualismus gegebenen Degradierung des fTw/La, besagt das, daß die korinthische Askese kaum einfach als übertriebene Gegenwirkung gegen das KOP/V8"iSEfT8a/ 21 bzw. als Reaktion gegen den Libertinismus 22 verstanden werden in das Neue Testament, Heidelberg 17 1973, 237). Vgl. auch Niederwimmer, Analyse (s. Anrn. 9), 242, der denn auch V.l rur »des Paulus eigenes Urteil« hält (243 und 247 Anm. 11) und das im Sinne einer »Scheu vor ritueller Verunreinigung durch den sexuellen Kontakt« (244) versteht. Aber V.12ff, wo Paulus Bedenken gegenüber einer Weiterruhrung einer Mischehe mit dem Argument zerstreut, daß die heiligende Kraft Gottes auch in die Profanität eindringt, spricht eindeutig gegen die Annahme einer paulinischen(!) »Tabu-Askese«. 20 Ch. Maurer, Ehe und Unzucht nach 1. Kor 6,12 -7,7, WuD 6 (1959) 159-169, bes. 160f. 21 Preisker, Christentum(s. Anm. 1), meint z.B., es sei begreiflich, daß die junge Christengemeinde im Gegensatz zu der geradezu sprichwörtlichen Unsittlichkeit Korinths »in das andere Extrem verfallt und nicht nur Keuschheitsgelübde rur die Ledigen fordert, sondern weitergeht und Enthaltung von der Ehe oder Verzicht auf Geschlechtsverkehr in der bereits bestehenden Ehe verkündet« (125); vgl. auch Robertsonl Plummer, 1. Kor (s. Anm. 4), 131; weitere Autoren bei w. Schrage, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese, Gütersloh 1961, 217f Anm. 141. Nach J. Leipoldt, Die Frau in der antiken Welt und im Urchristentum, Gütersloh 1962, 118 soll die asketische Bewegung in Korinth »durch den Gegensatz zu der Sittenlosigkeit der Riesenstadt« jedenfalls »gefördert« worden sein. 22 Nach Maurer, Ehe (s. Anm. 20), 161 sind in Korinth Stimmen laut geworden, »die angesichts der Ausschweifungen der Libertinisten die Geschlechtlichkeit als solche für sündhaft halten und deshalb durch den Ruf nach Askese die Gefahr zu bannen versuchen«. Ihre Anfrage habe gelautet, ob es nicht »angesichts des libertinistischen Treibens« besser sei, auf Ehe und Geschlechtlichkeit zu verzichten; so auch O. Merk, Handeln aus Glauben (MThSt 5), Marburg 1968, 100, der freilich die Anfrage der Korinther »in einer doppelten Weise« mit der Lage in Korinth in Verbindung bringen will, a) »von seiten der gnostischen Gemeindeglieder« sei die »Anfrage« Ausdruck eines Verständnisses, nach dem die Ehe und Geschlechtlichkeit der )>niederen Sphäre« zugehören, über die sich die Korinther erhaben wissen, b) besage dieselbe Frage »von seiten der dem Apostel getreuen Gemeindeglieder« das, was

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kann. Erst recht darf man die gegensätzlichen Tendenzen nicht aufverschiedene Stadien der korinthischen Entwicklung23 oder auf verschiedene »Parteien« verteilen24 • Weder ist 6,12-20 einem gegenüber Kap. 7 früheren Brief zuzuweisen, noch spricht irgend etwas dafür, daß hier einzelne der in 1,12 erwähnten »Parteien« zu Wort kommen, etwa Paulusleute, die sich durch die Ehelosigkeit des Paulus angezogen fühlten, oder gar Petrusleute, die das Verheiratetsein des Petrus bevorzugten. Angesichts des zur gleichen Zeit und am selben Ort erkennbar werdenden Freiheitspathos bis hin zur Teilnahme an Götzenopfer-Mahlen und 7fOpVEla ist die sinnvollste Erklärung für den gleichzeitig zu beobachtenden libertinistischen und asketischen Trend darum m.E. die, beides als verschiedene Konsequenzen aus derselben negativen Grundeinstellung zu o-wp.,a und o-ap; aufzufassen. Will man sich nicht einfach mit der Feststellung enkratitischer oder »radikal-asketischer Strömungen« begnügen25 , liegt darum eine Zuordnung zu einer gnostisch motivierten Askese am nächsten26 • 2. Daß eine dualistische Leibfeindschaft und Leibverachtung in gnostischen Kreisen immer wieder auch zur Ablehnung der Ehe und vor allem der ehelichen Geschlechtsgemeinschaft geführt hat, ist hinreichend zu belegen, auch aus anderen Teilen des Neuen Testaments. 1. Tim 4,3 richtet sich ausdrücklich gegen Leute, die die Ehe verbieten (KWAUOVTE~ 'Yap.,E/V), die Auferstehung enthusiastisch spiritualisieren (2. Tim 2,18) und wahrscheinlich einer judaisierenden Gnosis zuzurechnen sind (vgl. auch KoI2,23). Starke asketische Tenden-

Ta,

eben von Maurer zitiert wurde. Aber (;/0, 7ropllEia,- steht eben nicht bei KaJ...Oll KTA. in V.l, sondern in der Antwort des Paulus in V.2. 23 Weiß,!. Kor (s. Anm. 2),169 vermutet, »ernste, ängstliche, unfreie Gemüter, durch Ausfuhrungen wie 6,12-20 erschreckt« - von Weiß und anderen ja einem früheren Brief zugeordnet - könnten »nun die Konsequenz auch fur die Ehe gezogen« haben. 24 Vgl. die Fragen Schlatters (paulus [so Anm. 2], 21Of) und andere Autoren bei Hurd, Origin (s. Anm. 4), 155f. 25 So v. Campenhausen, Begründung (s. Anm. 2), 50. V gl. auch H. Chadwick, RAC 5,349f, der von »einer einflußreichen asketischen Gruppe« spricht, »die die Ehe als unvereinbar mit dem christlichen Bekenntnis ansah«; J. Moffatt, The First Epistle ofPaul to the Corinthians (MNTC), London 81954, 73: >>Ultra ascetical party«; Hurd, Origin (s. Anm. 4),158: »an ascetic tendency or group at Corinth«. 26 Vgl. auch H. Strathmann, RAC 1 (1950) 760f; H.D. Wendland, Die Briefe an die Korinther (NTD 7), Göttingen 12 1968, 54; ders., Ethik des NT (GNT 4), Göttingen 1970, 76. - Es ist nicht meine Absicht, die gesamte Thematik des gnostischen, prägnostischen oder protognostischen Charakters der korinthischen Enthusiasten hier zu diskutieren, doch eine gewisse Präferenz fur die in letzter Zeit wieder stark bestrittene Gnostiker-These gebe ich gerade von dem Nebeneinander von Askese und Libertinismus her- dieses Problem wird z.B. bei R. Mc. Wilson, Gnosis und Neues Testament, Stuttgartu.a. 11 1971 (vgl. auch ders., HowGnostic were the Corinthians?, NTS 19 [1972]65-74) und S. Arai, Die Gegner des Paulus im 1. Kor und das Problem der Gnosis, NTS 19 (1972/ 73) 430-437 nicht angesprochen - unverhohlen zu. Dabei würde ich mit Conzelmann, 1. Kor (s. Anm. 11), 30 von einer »Gnosis in statu nascendi« sprechen. Gerade zur Begründung von Askese und Libertinismus sind ausgebildete spekulativ-mythologische Theorien keine conditio sine qua non {EKK VIII I ,52 optiere ich fur »gnostisierende« Tendenzen}.

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zen sind aber vor allem aus den Berichten der altkirchlichen Häresiologen und aus Originaldokumenten der gnostischen Bewegung bekannt. Von den Gnostikern Satornils wird berichtet, daß sie Heirat und Kinderzeugung fur satanisch halten (nubere autem et generare a Satana dicunt esse) und als solches Teufelswerk meiden 27 • Marcion verbot seinen Anhängern Ehe und jeglichen Geschlechtsverkehr, da sie an die gottfeindliche Materie und böse Schöpfung binden; nach Tertullian (Adv. Mare. 1,29) soll er die Ehe als Obszönität (accusatur spurcitiae nomine) und die eheliche Gemeinschaft als unzüchtige Beschäftigung (negotium impudicitiae) diffamiert haben, nach Hippolyt, Ref. 10,19 als 8opa 28 • Wie für Marcion so war auch für andere Gnostiker Ehe = TIopv€[a 29 . Die gnostischen Originaldokumente, vor allem die gnostisch-koptischen Handschriften, sprechen eine nicht weniger deutliche Sprache. Der Verfasser des Thomasbuches läßt Jesus sagen: »Wehe euch, die ihr den Verkehr mit der Weiblichkeit und das schmutzige Zusammensein mit ihr liebt«30, und in der Sophia Jesu Christi 106,5 wird selbst die geschlechtliche Zeugung als »schmutzige Übung« disqualifiziert3l . EvPhil 130,4funterscheidet zwischen der »Hochzeit der Befleckung« und der }>unbefleckten Hochzeit«, dem Sakrament des Brautgemachs 32 . Der Grund dieser Abwertung ist wieder ein radikaler Dualismus, der die Geschlechtlichkeit auf satanische Mächte zurückführt: Nach ApokrJoh 63,5ffpflanzt denn auch Jaldabaoth in Adam die Zeugungsbe27 Irenaeus, Haer. 1,24,2 und A. Hilgenfeld, Die Ketzergeschichte des Urchristentums, Leipzig 1884 = 1966, 192.194; vgl. ders., Der Gnostizismus, in: Gnosis und Gnostizismus, hg. v. K. Rudolph (WdF 262), Darmstadt 1975, 201f. 28 Nach A. v. Harnack, Marcion (TU 45), Leipzig 2 1924 = 1960, 149 ist der Verzicht auf die Geschlechtlichkeit bei Marcion »nicht nur ein Protest gegen die Materie und das Fleisch, sondern auch ein Protest gegen den Gott der Welt und des Gesetzes«, der diesen »menschlichen Kadaver« und »verabscheuungswürdigen Fortpflanzungsapparat« geschaffen hat; weitere Belege bei Harnack, ebd. 273*. 29 Clemens Alexandrinus, Strom. 3,49,1; ähnlich Tatian nach Irenaeus, Haer. 1,28,1; vgl. auch Strom. 3,1 über die Basilidianer und Epiphanius 45,2,4 über die Severianer und Archontiker. 30 Thomasbuch 144,9f, zitiert nach Die Gnosis 1/ I, hg. von M. Krause/ K. Rudolph (BA W.AC), Zürich 1971, 146. - Im gnostischen Ägypter-Evangelium erhält Salome auf die Frage, wie lange der Tod noch herrschen werde, die Antwort: »Solange ihr Frauen gebärt. Ich bin gekommen, die Werke der Weiblichkeit zu zerstören« (Clemens Alexandrinus, Strom. 3,45,3; 63, I; 64,1; vgl. Exc. ex Theod. 67). Hier wären auch die Texte anzufahren, die die Überwindung der Geschlechtlichkeitund sexuellen Polarität durch Rückkehr zur Ureinheit und Bisexualität = Asexualität empfehlen (EvThom 22.114; EvPhil1l6,22ff; 118,9ffu.Ö.). 31 W.c. Till, Die gnostischen Schriften des koptischen Papyrus Berolinensis 8502, 2. Aufl. bearbeitet v. H.M. Schenke (TU 60), Berlin 1972, 253; vgl. auch 82, 13f(205). Auch in den gnostischen Thomasakten ist vonpurrapa Kotvwvia die Rede (12.43.88), und in der ParaphrSem« 38,6ffheißt es: »Die, die Verstand haben vom Licht des Geistes, werden sich nicht beteiligen an dem unreinen Reiben (TptßEIA1} verpflichtet, ein Euphemismus für den ehelichen Geschlechtsverkehr. Zunächst ist hiermit zweifellos an eine Verpflichtung innerhalb der vom Schöpfer geschaffenen Ordnung gedacht61 , doch ist kaum auszuschließen, daß Paulus in einer Mahnung an christliche Ehepartner diese Oc/>EIA1} auch im Licht der Oc/>EIA1} der Liebe und der gegenseitigem Verantwortung versteht 62 • Wie sehr dieser Gesichtspunkt tatsächlich leitend ist63 , Satan sagen können: Ein Pfeil in deine Augen (= du kannst mir nichts anhaben)!« (Bill. III,368.372). Die Ehe hat somit im Judentum wie bei Paulus »antidämonischen Charakter« (Wendland, Ethik [so Anm. 26), 76), sie ist aber kein KaKov, was hellenistische Anschauung ist. 60 Greeven, Ehe (s. Anm. 4), 73 Anm. 62 plädiert wegen des sonst seiner Meinung nach zu starken Widerspruchs zu V.7a.8 für »behalten«, was zwar gegenüber asketischen oder libertinistischen Tendenzen zur Auflösung der Ehe guten Sinn gäbe, doch ist ')'I.JvalKa bzw. av(Jpa €XEIV sonst stets im Sinne von Verheiratetsein (GaI4,27; I. Kor 7,13 av(Jpa; I. Kor 7, 12.29 ')'I.JVaIKa) oder der geschlechtlichen Gemeinschaft (I. Kor 5,1; Joh4,18) verstanden; vgl. weiter außer der in Ga14,27 zitierten Stelle aus Jes 54,1 auch 2.Chr 11,21; Ex 2,1; Dtn 28,30; I.Esr 9,12.18; Tob 3,8; auch Stobaios IV,22,29.44.48 U.ö. Es besteht keine Veranlassung, den Eheschluß in V.2 auszuschließen und ihn erst in V.8 angesprochen zu finden, so daß V.2-6 allein vom Verhalten innerhalb einer schon bestehenden Ehe handeln würde, so v. Campenhausen, Begründung (s. Anm. 2), 51 Anm. 38; Merk, Handeln (s. Anm. 22),101; »an diese Alternative denkt Paulus hier noch nicht«, Conzelmann, I. Kor (s. Anm. 11), 141. So wie V.I ist auch V.2 allgemein gehalten; vor allem bestätigt auch V.7, daß nicht nur die Frage der continentia, sondern auch die der Ehelosigkeit im Blick ist. 61 F. Hauck, ThWNT 5,564: »die aus der schöpfungsmäßigen Ordnung sich ergebende gegenseitige Verpflichtung der Ehegatten«. 62 Auch verbales ader mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat< (Gal. 2,20)«. Damit soll nicht bestritten werden, daß die durch Christi Liebestat vom »Fluch des Gesetzes« Befreiten (3, 10) die Freiheit zur Liebe und damit zur Erfüllung des »Gesetzes Christi« gewinnen, wohl aber dem möglichen Mißverständnis gewehrt werden, daß dieser Erfüllung des Gesetzes durch Christen eine soteriologische Dimension eignet. 112 Vgl. z.B. R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 4 1961,266; Schrage, Einzeigebote (s. Anm. 15), 99f; Fumish, Theology(s. Anm. 108) 64f; Mußner, Gal(s. Anm. 17) 399 und die in der nächsten Anm. Genannten. Etwas anders z.B. Hays, Christology (s. Anm. 21), 274f: Das Gesetz Christi sei die paradigmatische Selbsthingabe Jesu und 1I0Jl.O, meine hier »a regulative principle or structure of existence« (ebd. 276) bzw. »the pattern of action« (ebd. 286), die Jesus verkörpere; zustimmend dazu auch Fung, Gal (s. Anm. 3), 289 Anm. 28; kritisch Söding, Liebesgebot (s. Anrn. 9), 206Anm.93. 113 V gl. schon Theodoret: NO/koll XpIOTOU T7}11 a'YQ.7M'}1I EKQJ..€U'€11 (PG 82,500). 114 Nach W. Gutbrod, ThWNT 4, 1069 wird dadurch »das Gesetz nach seiner eigentlichen Intention erfüllt«; nach Schlier, Gal (s. Anm. 3), 272 ist »das Gesetz Christi« »in neuer Weise das ursprüngliche Gesetz, das ja >heilig< und >pneumatischalTlq (böser Vorwand) sei«44. 3. In der Reformationszeit wird Ga13,28 vor allem im Sinn der Zwei-ReicheLehre ausgelegt und die Aussage des Verses auf den »inneren« Menschen bezogen. Zudem wird die Überholung des Gegensatzes von Jude und Grieche als Kritik an gesetzlicher »Judenzerei« aufgefaßt. Auch hier begegnen zunächst sehen gekommen. Als aber Christus erschien, hatte er auch dies aufgehoben«; nach Zitat von Ga13,28 fahrt er dann fort: »Bist du [wirklich um das Wohl der Sklaven] besorgt, so wirst du keinen [mehr] zu deiner eigenen Bedienung beschäftigen, sondern wirst sie käuflich erwerben, sie ein Gewerbe erlernen lassen, so daß sie auf eigenen Füßen zu stehen vermögen [und nicht das Elend der bettelnden Sklaven vergrößern] und sie dann freilassen ... « (KThQ 1, 192f). 39 H. Bellen, Studien zur Sklavenflucht im römischen Kaiserreich (FASk 4), Wiesbaden 1971, 81. 40 Bellen, ebd. 149 mit Anm. 169. Vg!. dazu auch B. Lohse, Askese und Mönchtum in der Antike und in der alten Kirche (RKAM[W] I), Wien 1969, 207: »Wenn die Frauen dieser asketischen Bewegung Männerkleidung trugen, so sollte dadurch wohl die von Paulus verkündete eschatologische Aufhebung des Unterschiedes von Mann und Frau (Ga!. 3,28) schon jetzt verwirklicht werden«. 41 Bellen, Studien (s. Anm. 39), 150. 42 Bellen, Studien (s. Anm. 39),151. 43 Bellen, Studien (s. Anm. 39), 91. 44 Bellen, Studien (s. Anm. 39), 88f.

Skizze einer Auslegungs- und Wirkungsgeschichte von Ga13,28

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alle möglichen Erweiterungen, die z.T. aktuellen Anlaß haben. Nach Martin Luther könnte man im Sinne des Paulus fortfahren: »Hier ist nicht Obrigkeit und Untergebener, nicht Lehrer und Zuhörer, nicht Erzieher und Schüler, nicht Hausherrin und Magd etc. Denn in Christus sind alle Stände nichts, auch wenn sie von Gott verordnet sind. Mann, Frau, Knecht, Freier, Jude, Heide, König, Untergebener etc. sind zwar alle gute Kreaturen Gottes, aber in Christus, d.h. wenns um das ewige Heil geht, sind sie mit all ihrer Weisheit, Gerechtigkeit, Religion und Macht nichts«45. Nach Johannes Calvin sind alle berufen, ob »Mann und Frau, klein und groß, Diener oder Herr, Lehrer oder Schüler, Kleriker oder Laie, Jude oder Grieche ... , (nur) des Französischen oder (auch) des Lateins kundig«46. Besonders beliebt ist die Folgerung, daß in Christus auch »weder pfaffnoch ley«47 bzw. »vnnder ley vnnd pfaffkhein vnnderscheydt« ist« 48. Aber mit Gal 3,28 werden auch Sekten und Orden verworfen49 sowie Ehelosigkeit und Virginität relativiert, z. T. auch in Kombination mit Ga16, 15. Nach Johann Brenz etwa sind Ehe, Witwenschaft und Virginität nichts (nihil sunt), sondern die Beachtung der Gebote bzw. die neue Kreatur50 . Die Hauptakzente der Auslegung aber liegen anderswo, nämlich einerseits auf dem Nichtgelten des Judeseins im Sinne des Abtuns von Gesetz, Beschneidung und Tempeldienst51 , und im Nichtgelten des Griecheseins als Verwerfung 45 WA 40/1,542. Übersetzung nach H. Kleinknecht, Luthers Galaterbrief-Auslegung von 1531, Göttingen 1980, 208.Vgl. auch C. Schwenckfeld, in: Corpus Schwenckfeldianorum IV, hg. v. Ch.D. Hartranft u.a., Leipzig 1914, wo nach Zitat von Ga13,28 fortgefahren wird: "ia do weder schuster noch schniderl weder Edelman noch bur ist« (475). 46 Calvin-Studienausgabe I, Neukirchen-Vluyn 1994,49. 47 M. Bucer, Deutsche Schriften I, hg. v. R. Stupperich, Gütersloh 19601 81, 331; vgl. auch C. Schwenckfeld, in: Corpus Schwenckfeldianorum (s. Anm. 45) XV, Pennsylvania 1960, 31: »Das Christenthumb kan auch solche theilung der Leien oder Geleerten nicht leiden« mit folgendem Zitat von Joh 6,45 und Gal 3,28; vgl. auch ebd. XVI, 146 gegenüber Johannes Brenz: »Das Brentz auch in seiner Conciliation ainen vnterschaidt der Christlichen leere macht! Als das etliche auff die Cantzel fiir die gemaine kirchel vnd ettliche in die schule fur die geleerten gehoeret! geschieht noch der schul Theologen oder Sophisten lere on allen grund! vnd er solte billich bedacht haben! das solehs wider die H. schrifft ist« mit folgendem Zitat von Gal 3,28. 48 Ebd. H,445. 49 Vgl. Luther, WA 50,272: Da in Christus ein Leib ist und kein Jude und Grieche, fahrt Luther fort, »kein Barfusser, kein Cartheuser etc., sondern alle einer und jnn einem Christo, Da toben und wueten die heiligen oerden wider diesen einigen orden Christi und sonst wider keinen. damit bekennen sie, das sie Rotten kirchen und des Teuffels orden sind«; s. auch WA 2,145. M. Bucer übt von Ga13, 28 her Kritik an »geistlich und weltlich, priester und leyen, mengerley orden, Barfusser, Prediger und Augustiner« (Schriften IV, hg. v. R. Stupperich, Gütersloh 1975, 75); s. auch ebd. 71: Wenn weder Knecht noch Herr, weder Weib noch Mann, sondern alle eins in Christus sind, dann sind »geystlich und weltlich oerdens und ander priester, die oerdens ouch unzaelichs underscheids« unhaltbar. 50 J. Brenz, Frühschriften H, hg. v. M. Brecht, Tübingen 1974, 59, wo auf die Beispiele des verheirateten Abraham, des unverheirateten Täufers und der verwitweten Prophetin Hanna verwiesen wird. 51 Bei Bucer (Schriften H, hg. v. R. Stupperich, Gütersloh 1962, 141) wird das Nicht-Jude-sein dadurch interpretiert, »das dem gerechten kein gesatz geben ist«, auch mit Zitat von I.Tim 1,9 und unter Hinweis darauf, daß die Jerusalemer darin irrten, daß sie bei geborenen Juden auf dem Halten des

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von Weisheit, Gerechtigkeit und Macht, wobei aber Gerechtigkeit den göttlichen wie den wirtschaftlichen und politischen Bereich umfaßt52 . Vor allem gegenüber den sog. »Schwärmern« wird die innere Freiheit als das Entscheidende herausgestellt: »Denn eyn leybeygener kan wol Christen seyn und Christliche freiheyt haben, gleich wie eyn gefangener odder krancker Christen ist und doch nicht frey ist. Es will dieser artickel (sc. Art. 8 der Bauernschaft in Schwaben) alle menschen gleich machen und aus dem geystlichen reich Christs eyn weltlich, eusserlich reich machen, wilchs unmueglich ist, Denn welltlich reich kan nicht stehen, wo nicht ungleicheyt ist ynn personen, das etliche frey seyn, etliche gefangen, etliche herren, etliche unterthan etc. Wie S. Paulus sagt Ga!. 3, das ynn Christo herr und knecht eyn ding sey«53. Ähnlich urteilt auch Johannes Calvin, der im Zusammenhang seiner Begründung der Zwei-Reiche-Lehre die These vertritt, daß »geistliche Freiheit und bürgerliche Knechtschaft sehr wohl miteinander bestehen können«, wobei Ga13,28 zeigen soll, »daß es nichts ausmacht, in welcher Stellung man unter den Menschen ist und unter den Gesetzen welches Volkes man lebt, weil eben Christi Reich durchaus nicht in diesen Dingen besteht«54. Die politische und Gesetzes bestanden, auch wenn sie die heidenchristliche Freiheit anerkannten (Apg 18,20fi); durch Gal 3,28 und 3,26--28 sieht er »gepreuch und ceremonien« freigegeben (VII,43). V gl. auch das Calvinzitat in der nächsten Anm. 52 Luther, Galaterbriefauslegung (s. Anm. 45), 208f; vgl. auch WA 57,64. Calvin, Auslegung der heiligen Schrift XVII, hg. v. O. Weber, Neukirchen-Vluyn 1963, 62 erklärt ebenso: »Die äußere Stellung eines Menschen und seine Zugehörigkeit zu irgendeinem Volk oder Stand bedeutet hier nichts ... So groß alle diese Unterschiede an sich sein mögen, der eine Christus genügt, um sie alle zu vereinigen. Gotteskindschaft und Heilshoffnung hängen nicht vom Gesetz ab, sondern alles ist in Christus allein gegeben; der eine Christus ist alles«. 53 Luther, WA 18,327. Vgl. Johannes Brenz, Frühschriften I, hg. v. M. Brecht, Tübingen 1970, 140: »Wiewol nu in der unsichtbarlichen welt kein underschiedlichhait ist der zeyt stet und derglychen eusserlichen dingen, so last doch disse welt! der eusserlichen welt iren lauff und ordnung, nimpt ir nit die stund und jare, laßt sie glych eben in irm wesen furt und furt gen biß zu dem jungsten tag«. Auch bei A. Engelbrecht heißt es nach Zitat von Ga13,28 und 6,15: »So mag dannocht ein christ wol ein oberherr syn vnd jn der oberkeit bliben, so jnn der beruff des euangelions darjnnen fmdet, oder ouch hernach, so er darzu erwöllet oder geborn, sollich ampt vnd stand wol annemen vnd flirren, diewyl das wort gottes, wo es angenomen, nit die empter oder stand darjnnen man den glouben vnd die liebe vben kan, sonder die gemüter zu gott durch Christum bekeret vnd verwandlet« (QGT VIII,62). In Kirchenordnungen wird der Text entsprechend sofort mit Einschränkungen versehen. In der Hessischen Kirchenordnung von 1566 wird zunächst Ambrosius gelobt, weil er dem Kaiser Theodosius nicht erlaubt hat, den ihm als einer weltlichen Person nicht gebührenden Ort der Priester und Kirchendiener einzunehmen, obwohl er in Konstantinopel »under den elericis zu stehen gewonet war«, bei Gott aber eben kein Ansehen der Person gilt und »im geistlichen Reich des Herren Christi kein jude noch griech ist, kein knecht noch freier, kein mann noch weib«; unmittelbar daran wird aber hinzugefiigt: »Jedoch gefeit es Gott, daß in der eußerlichen regierung und gemeinschaft der kirchen gleich so wol als im weltlichen regiment und bewonung ein underscheid zwischen den Personen sei und gehalten werde« (EKO VIII, 180f). 54 Inst. 4,20,1 (Unterricht der christlichen Religion, dt. Übers. der Institutio v. O. Weber III, Neukirchen-Vluyn 1936/38, 627f; kursiv im Original gesperrt). Bei Schwenckfeld, in: Corpus Schwenck-

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soziale Ordnung wird entsprechend von Gal 3,28 nicht tangiert, ja selbst in geistlichen Dingen schlägt das patriarchalische Leitbild durch, wie sich vor allem an der Frage des »Amtes« zeigt, wo zwar die geistliche Vollmacht der Frau nicht prinzipiell in Frage gestellt wird, wohl aber die Ausübung eines »Amtes«: »Also ist nur eyn unterscheyd eusserlich des ampts halben, datzu eyner von der gemeyne beruffen wirtt. Aber fur Gott ist keyn unterscheyd ... Wenn du willt die Christen ansehen, do mustu keyn unterscheyd ansehen, und nicht sagen: das ist eyn man odder eyn weyb, eyn knecht odder herre, alt odder jung, wie Paulus sagt Gal. 3. Es ist alles eyn ding, und eyttel geystlich volck. Darumb sind sie alle zu mal priester, muegen alle Gottis wort verkundigen, on das weyber nicht ynn der gemeyn reden sollen, sondern die menner predigen lassen, umb des gepotts willen, das sie yhren mennern sollen unterthan seyn, wie S. Paulus leret l.Cor: 14. Solch ordnung lesset Gott bleyben, mach aber nicht unterscheyd des gewallts«55. Bei aller Warnung vor äußerlicher Gleichmacherei wird jedoch die gegenseitige Verantwortung und auch ein gewisser sozialer Ausgleich eingeschärft. So heißt es nach dem Zitat von Ga13,28 bei Martin Bucer zunächst wieder, daß Gott »in eusserlichen thun gantz underschayden und gar nit ains wesens, sonder etlich reych, etlich arm, etlich gwaltig, etlich schwach, etlich wol und hoch, etlich schlecht und ring (= gering) geacht, etlich klueg, etlich ainfaeltig haben will«, doch dann wird hinzugerugt: »Also doch, daß sy all durch seinen gaist dermassen zu samen verfuegt und verleibt werden, daß ymmer der, so vortayl hat, sich so viI mehr der anderen nachtail und mangel zue erstatten schuldig erkenn und sich gegen inen geflissen beweyß und der, so nachtayl und mangel hat, nit zweyfel, es sey im also gut, demuetig gegen got und denen, an woelchen Gott will sein hilff stohn (= stehen), und deßhalb gegen denselbigen etwas underworffen seye«56. Diese Sicht ändert sich auch in der Folgezeit nicht. Nach Johannes Coccejus (1603-1669) betrifft V.28 die Universalität desselben Rechtes, desselben status und derselben Freiheit, doch auch in der Gemeinde gebühre Ehre, wem Ehfeldianorum (s. Anm. 45) X, Leipzig 1929,939 heißt es dagegen: »Das im Newen Testament nicht zwaierleil Nemmlich ain flaischlich vnnd gaistlich volckh/ sunder nur ainerlei volck gottes erfunden wirt das darzu gehe,oret und des Newen ewigen bundes inn Christo tailhafftig wirt! dauon Ga!. 3[28]«. 55 W A 12,309; s. auch 8,250f. Obwohl auch fiir Bucer »die weyber gleich so wol in die gemeinschafft Christi gehören als die man«, hält er es für nötig, weil in den Gemeinden »alle ding ordenlich vnd also heyliglich sollen angericht vnd gehandlet« werden, daß der Mann stellvertretend fiir die Frauen in seinem Haus in den Sonntagsversammlungen handelt (Schriften XVII, Gütersloh 1981,278). Ein Loblied auf die Frauen hat von Ga13,28 her immer wieder Schwenckfeld gesungen, die »inn der Marter vnnd pein oder verfolgung viimals bestendiger denn die Mennerl auch kecker gewest sein« (Corpus [so Anm. 45], XI,930), »die an dem wort gottes anherrig/ desselbigen fleissige schuler vnd trew bewarerinl ja reich im glauben sein« (ebd. V,583) u.ä.; vg!. auch ebd. IV,728f, XI, 176 u.ö. 56 Schriften IV,227f; vgl. auch 11,287, wonach »wir alles guts von im empfahind und uffs trülichest rniteinandren teylen«.

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re gebührt, wie denn auch injeder societas bestimmtejura civilia aut naturalia notwendig seien, so daß die Obrigkeit und die Familienväter über Ort, Zeit und Ordnung der Versammlungen u.ä. bestimmen können57 . Als Beispiel aus dem Pietismus sei Philipp Jakob Spener (1635-1705) erwähnt: Zunächst wird eingeräumt, daß die traditionellen Trennungen in Christus keine Bedeutung mehr haben, so daß z.B. anders als bei den Reformierten im Notfall »eine christliche weibsperson! wol tauffen mag und soll«, doch wird sofort hinzugesetzt, »daß einem weib nicht anstehe/ offentlich zu lehren oder zu predigen«, auch wenn nach Offb 1,6 »alle/ manns- und weibspersonen! von Christo zu priestern und priesterinnen gemacht seyen«58. An anderer Stelle heißt es, alle Christen seien »in eine freyheit gesetzt! nemlichl in dem geistlichen und vor GOtt! was ihren innern menschen anlanget! der/ und also auch das gewissen keiner menschlichen gewalt unterworffen ist! aber damit hat GOtt seine uebrige ordnungen nicht aufgehoben! sondern so lang die menschen in der welt noch einer regierung bedoerffen! will er sie durch menschen regieret ... haben! daß sie sich in ihrem aeußerlichen auch ander menschen! nemlichl der Obrigkeit! die er darzu gesetzet! oder vielmehr seiner ordnung in ihnen! unterwerffen sollen. So gehet also die bruederschafft der Christen das geistliche an! und bleibt... wahr«; nach Zitat von Gal 3,28 fährt Spener dann fort: »Indessen! wie gleichwol in dem natuerlichen der unterscheid unter mann und weib bleibt! und deßwegen ein weib nicht ein mann wird! weil sie eine Christin ist! so bleibt auch unter Christen der unterscheid in den aeusserlichen ordnungen! die Goettlich sind«59. Während die Stelle im Normalfall ekklesiologisch verstanden wird, bezieht Sören Kierkegaard (1813-1855) sie auch auf den einzelnen: Wenn der Mensch »die heilige Stätte betritt«, wird sein Sinn »für diese Stunde bewahrt werden in der Gleichheit vor Gott, dazu gebildet werden, diese Gleichheit auch im Lärm der Welt mehr und mehr zu bewahren, mit ihr die Verwirrung zu durchdringen ... , da ist des Herrschers Stimme nicht zu hören, ebensowenig wie im Grabe, da 57 Commentarius in Epistolas Pauli, Opera IV, Frankfurt 1689, 517. Hugo Grotius (1583-1645) geht in seinem Kommentar nur auf das erste Gegensatzpaar ein und merkt dazu an, daß dem männlichen Geschlecht im Judentum ein großes Privileg zukomme, da allein der Mann das Zeichen des Bundes an seinem Leibe trage, nur er zur Herrschaft und zum Priestertum tauglich und nur er zur Erbschaft zugelassen ist, ohne freilich zu erörtern, was über die Tatsache hinaus, daß nach Ga13,28 die Stellung und der Unterschied der Geschlechter nichts ausmacht, dies fiir das Christentum bedeutet und ändert; Opera Omnia Theologica 1112 (Faksimile-Nachdruck der Ausgabe Arnsterdam 1679), Stuttgart 1972, 872. 58 Schriften 1112, hg. v. E. Beyreuther, Hildesheiml New York 1979/89,471. 59 Schriften, Bd. 1111 1.2,132lf, wo Spener auch darauf verweist, daß zur Zeit des Apostels die Sklaverei und Leibeigenschaft »aller orten im schwange gegangen! wie noch jetzt bey den unglaubigen voelckern«, doch die Apostel sollen gleichwohl »dieselbe knecht- und leibeigenschafft nit unter den Christen nothwendig abgeschafft haben wollen! sondern sie gaben sowohl den Christlichen knechten ihre lection! wie sie sich halten solten«, und auch »ihren Herren befahlen sie ebenfals nicht! daß sie so bald ihre knechte und maegde loslassen muesten«; vgl. auch ebd. IV/2.1,204.

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ist kein Unterschied zwischen Mann und Weib, ebensowenig wie in der Auferstehung«6o. 4. In der neuzeitlichen Theologie ändert sich vor allem im evangelischen Raum nach und nach die Interpretation und Heranziehung des Textes, insofern die früher allzu scharfen Grenzziehungen z.T. differenzierter beurteilt werden. Unbestritten ist weiterhin die Bedeutung der Stelle für die Einheit der Kirche, und zwar interkonfessionell, denn das »in Christus« gilt auch heute überwiegend als ekklesiologische Formel, »meint also nicht primär eine individuellmystische Verbundenheit mit Christus, sondern das Eingefügtsein in den Leib Christi«61. Die darüber hinausgehenden Konsequenzen aber werden weniger einheitlich als bei den Reformatoren eingeschätzt. Auf der einen Seite heißt es weiter wie bei Paul Althaus, Paulus nehme »die Kultur-, Wirtschafts- und politischen Verhältnisse hin, wie sie gegeben sind«, ja die SklavensteIlung lasse »die innere Freiheit nur desto heller leuchten«62. Auch Helmut Thielicke urteilt, das Neue Testament halte »beides - den Gleichheits- und den Ungleichheitsaspekt - streng auseinander«, und er beschränkt Gal 3,28 auf die »Unmittelbarkeit zu Gott« und die »in ihr gegebene Kindschaft«, während auf der »horizontalen Lebensebene« das gelte, was etwa in den Haustafeln steht63 . Diese Beschränkung auf die »Horizontale« wird von Dietrich Bonhoeffer ekklesiologisch erweitert, insofern er das Zueinandergehören der Kirche in weltweitem Ausmaß betont: »Wir sind nicht länger Amerikaner oder Deutsche, wir sind 60 Gesammelte Werke, hg. v. E. Hirsch/H. Gerdes (GTB 606), Gütersloh 21987, hier: Erbauliche Reden 1843/44,7.-9. Abt., 39; vgL auch Der Begriff Angst, 11.-12. Abt. (GTB 608), Gütersloh 21987,71, wo Kierkegaard das auf das Verhältnis von Mann und Frau anwendet: »Im Christentum hat das Religiöse das Erotische suspendiert, nicht bloß vermöge eines ethischen Mißverständnisses als das Sündige, sondern als das Indifferente, weil im Geiste da kein Unterschied ist zwischen Mann und Weib. Hier ist das Erotische nicht ironisch neutralisiert, sondern suspendiert, weil das Christentum darauf gerichtet ist, den Geist weiter zu entfalten ... «; vgL auch Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift, 16. Abt. II (GTB 613), Gütersloh 21987, 164. 6\ So H. Küng, Die Kirche (ÖF.E I), Freiburg 1967,274; zur Einheit der Kirche vgL auch ebd. 320ffmit Literatur. Küng führt ebd. 359 unsere Stelle neben I. Kor 9,19-23 auch als Beleg fiir den Universalismus und das Dasein der Kirche »fiir die Anderen, fiir die Menschheit, rur die Welt« an. M. Schmaus, Katholische Dogmatik IIII1, München 1958, 268 betont bei der Einheit der Kirche von Gal 3,29 her vor allem die Verbindung mit dem atL Gottesvolkgedanken: »Die Angehörigen des atL Gottesvolkes verschmelzen mit denen aus dem Heidentum Berufenen zu einer neuen Gemeinschaft, zu dem neuen Gottesvolk«, doch »der tiefste Grund der kirchlichen Einheit« sei »die Gemeinschaft mit Christus«, in dem »die natürlichen Gegensätze der Völker und Rassen, der Geschlechter und Lebensalter, der politischen und gesellschaftlichen Gebilde überwunden« werden 562; vgL auch lVI 2,264). 62 So P. Althaus in seiner Kritik am religiösen Sozialismus, zitiert bei M. Meiser, Paul Althaus als Neutestamentler. Eine Untersuchung der Werke, unveröffentlichten Manuskripte und Randbemerkungen (CThM 15), Stuttgart 1993, 55f; vgL auch ebd. 222f zum berüchtigten Gutachten aus dem Jahre 1933 über die Zulassung von Christen jüdischer Herkunft zu den Ämtern der Deutschen Evangelischen Kirche, wo von der Bindung an das Volkstum her argumentiert wird. 63 H. Thielicke, Theologische Ethik III, Tübingen 1964,493.

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eine große Gemeinde von Brüdern«64. Gewiß erkenne die Gemeinde dankbar Familie und Volk als »Gaben ihres Schöpfers« an, sie wisse aber, »daß der Heilige Geist Menschen fester zusammenschließt als Blut und Geschichte. In der Gemeinde ist nicht Herr und Knecht, Mann und Frau, Jude oder Deutscher ... «65. Karl Barth spricht zwar von einer Relativierung der Unterschiede, sieht aber in 1. Kor 11,2ffkeinen Widerspruch zu GaI3,28, insofern es auch in 1. Kor 11 durchaus um »das Leben dieser neuen Kreatur« gehe 66 , doch ist ihm wichtiger, daß das Einssein in Christus zugleich das Miteinandersein begründet: »Daß sie in ihm Einer, auf einem Fuße, gleich und gleich sind« heiße: »Sie sind gerade, was sie für sich sind, indem sie sich gegenseitig zugeordnet, zugehörig, zugewendet sind«67. Auch Otto Weber sieht in Ga13,28 eine gegenseitige Zuordnung in der Gemeinde bezeugt: »Oben« und >>Unten« seien »nicht das, was sie in der> Welt< sind. Auch Juden und Nichtjuden, Freigeborene und Unfreie, Männer und Frauen sind (Gal. 3,28; Kol. 3,11) in der Gemeinde einander anders zugeordnet als in der >Weltheilsgeschichtlich< bedingte(n) Trennung« gesprochen80, »ein religionsgeschichtlich einmaliges Faktum« (»Versöhnung sogar in bezug auf religiöse Antagonie als Folge der Versöhnung mit Gott«) konstatiert81 oder allenfalls stärker als früher daran erinnert wird, daß sich bei den im 1. Gegensatzpaar angesprochenen Gruppen die Verhältnisse gegenüber der neutestamentlichen Zeit erheblich verschoben haben 82 , ist das ganz anders bei der Diskussion um die Bewertung der Frau. Die Sicht der offiziellen katholischen Kirche ist dabei allerdings fast unverändert geblieben. Zwar gibt es nach dem 2. Vatikanischen Konzil »in der Kirche keine Ungleichheit in bezug auf die Rasse oder die Nation, die soziale Stellung oder das Geschlecht« (mit folgendem Zitat von Gal 3,28)83. Das hat aber selbst in der Kirche kaum prakti78 H. Gollwitzer, Wendung zum Leben, München o.J., 205.208. V gl. auch das Gollwitzer-Zitat bei Wolf, Sozialethik (s. Anrn. 70). 79 Ein Beispiel für das typische Verständnis aus dem vorigen Jahrhundert ist Ch. Blumhardt, nach dem Paulus »dem jüdischen Gesetzesgeist« entgegengetreten ist (Eine Auswahl aus seinen Predigten, Andachten und Schriften H, hg. v. R. Lejeune, Zürich! Leipzig 1925,525; vgl. auch ebd. 528, daß wir uns in Christus »dem Geiste nach freimachen von menschlichen Satzungen«). Ohne ausdrückliche Apostrophierung des Judentums werden ähnliche Stimmen im Anschluß an Gal 3 auch sonst laut. So warnt M. Doerne vor dem »Hang zum Rückfall in den )Knechtsgeist< (Röm 8,15) des Gesetzes« in zwei Formen, einerseits vor der innerchristlichen »mit den Parolen einer entschiedenen und radikalen Christlichkeit«, andererseits vor der »weltlichen«, »deren Erscheinungsbilder in verwirrender Vielfalt einander ablösen« (Die alten Episteln, Göttingen 1967, 37). Allerdings warnt umgekehrt J.J. Meuzelaar, Der Leib des Messias. Eine exegetische Studie über den Gedanken vom Leib Christi in den Paulusbriefen, Assen 1961, 86 vor »der )christlichen< Zwangsvorstellung, dass gerade der Jude als Jude keine Daseinsberechtigung mehr hätte. Ja, die Juden wurden sogar im Namen Christi verfolgt, weil sie überhaupt noch vorhanden waren und nicht schon längst aufgegangen waren in den