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German Pages 443 [444] Year 2007
Inhaltsverzeichnis
Beiträge zur historischen Theologie herausgegeben von
Albrecht Beutel
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Michael Korthaus
Kreuzestheologie Geschichte und Gehalt eines Programmbegriffs in der evangelischen Theologie
Mohr Siebeck
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Michael Korthaus, geboren 1967 in Hagen/Westfalen; Studium der ev. Theologie in Bethel, Marburg, Rom und Münster; 1999 Promotion zum Dr. theol.; 2005 Habilitation im Fach Systematische Theologie.
e-SBN PDF 978-3-16-151052-6 ISBN 978-3-16-149337-9 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2004/2005 von der Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Habilita tionsschrift für das Fach Systematische Theologie angenommen. Für den Druck wurde sie leicht überarbeitet. Entstanden ist diese Untersuchung während meiner Zeit als Assistent an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Dort hat Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Beintker als Direktor des Seminars für Reformierte Theologie dieses Projekt immer mit großem Interesse, konstruktiver Kritik und wertvollen Hilfestellungen begleitet und gefördert. In seinen Sozietäten hatte ich immer wieder Gelegenheit, Teile der Arbeit zur Diskussion zu stellen. Hierfür und für die Erstellung des Erstgutachtens sei ihm von Herzen Dank gesagt! Frau Prof. Dr. Friederike Nüssel hat bereitwillig die Mühe des Zweitgutachtens auf sich genommen. Auch ihr gilt mein herzlicher Dank! Stefan Holtmann hat große Teile des Manuskripts einem ersten gründlichen Korrekturgang unterzogen. Aus dem kollegialen und freundschaftlichen Gespräch mit ihm während unserer gemeinsamen Zeit am Seminar für Reformierte Theologie ist mir manche wertvolle Anregung zugewachsen. Meinen Münsteraner Freunden bin ich auch dieses Mal wieder zu Dank verpflichtet, daß sie während der Entstehung dieser Arbeit und den damit verbundenen Höhen und Tiefen treue Begleiter gewesen sind. Namentlich sei hier Georg Henkel genannt, dessen unerschöpfliche interdisziplinäre Kreativität mich immer wieder davor bewahrt hat, die mit der notwendigen wissenschaftlichen Disziplin einhergehende Beschränkung des Forschungsgegenstandes schon für das Ganze der Sache selbst zu nehmen. Besonderer Dank gilt schließlich Claudia Zabel, die es mir im Spätsommer 2004 ermöglichte, in der Abgeschiedenheit ihres Eider stedter Landpastorats das Manuskript noch einmal in Muße durchzuarbeiten und die Untersuchung zum Abschluß zu bringen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland danke ich für die gewährten Druckkostenzuschüsse. Für die Aufnahme in die »Beiträge zur Historischen Theologie« bin ich deren Herausgeber, Herrn Prof. Dr. Albrecht Beutel, zu herzlichem Dank verpflichtet. Und schließlich gilt dem Verlag Mohr Siebeck, namentlich Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Herrn Matthias Spitzner, mein Dank für die freundliche verlegerische Betreuung. Münster im Frühsommer 2007
Michael Korthaus
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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Die Frage nach der Kreuzestheologie und die Ziele der Untersuchung . . . . 1 B. Anmerkungen zur Geschichte des Begriffs »theologia crucis« bzw. »Kreuzestheologie« in der Evangelischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . 2 C. Kreuzestheologie und Kreuzestheologien. Zu Methode und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Exkurs: Kreuzestheologie als Untersuchungsgegenstand in der theologischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 D. Überlegungen zu einem vorläufigen dogmatischen Begriff von Kreuzestheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
I. Kreuzestheologie in Entwürfen evangelischer Theologie des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. »Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie« – Beobachtungen an der Theologie Martin Kählers . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.1. Zum Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.2. Das Plädoyer für eine am Kreuz orientierte Christologie von 1911 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.3. Das Kreuz Christi in der »Wissenschaft der christlichen Lehre« . . . 33 a) Das Kreuz Christi im »Ersten Lehrkreis« (Christliche Apologetik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Das Kreuz Christi im »Zweiten Lehrkreis« (Evangelische Dogmatik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Das Kreuz Christi im Dritten Lehrkreis (Theologische Ethik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
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1.4. Das Kreuz Christi in der »Lehre von der Versöhnung« . . . . . . . . . . 40 a) Die Person des Versöhners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Der Vollzug der Versöhnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Der Kreuzestod Jesu: Ziel seines Lebens und erste Hälfte des Ostererlebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 bb) Der Opfergedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 cc) Der Gedanke des stellvertretenden Strafleidens . . . . . . . . . . 47 c) Die Versöhnten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 d) »Königsherrschaft des Gekreuzigten«: Glaubensleben und Lebenswandel der Versöhnten . . . . . . . . . . . 51 1.5. Martin Kähler als »kreuzestheologischer Vater« des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2. Die »staurozentrische Theologie« Bernhard Steffens – eine kreuzestheologische Dogmatik in nuce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.1. Thema, Motivation und theologiegeschichtlicher Ort der Kreuzestheologie Bernhard Steffens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.2. Die Formulierung des kreuzestheologischen Programms – Anknüpfung an Martin Kähler und Erich Schaeder . . . . . . . . . . . . . 63 2.3. Wesentliche Momente der Durchführung der »stauro zentrischen Theologie« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Das stellvertretende Strafleiden Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Der Opfergedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Das Kreuz als Sieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2.4. Dogmatik als Pneumatologia crucis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.5. Steffens Kreuzestheologie als ›Theologie der Freude‹ . . . . . . . . . . . . 82
3. Exkurs: Kreuzestheologische Bezüge in der Theologie des ›frühen‹ Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen der Evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Kreuzestheologie als Theorie des »theologischen Realismus« bei Hans-Joachim Iwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1.1. Luthers »theologia crucis« als Schlüssel der Christologie . . . . . . . . . 100 a) Theologia crucis: der seelsorgliche Charakter theologischen Erkennens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Das Kreuz als der »Realismus Gottes« – Die Darstellung der Kreuzestheologie in den Luthervorlesungen . . . . . . . . . . . . . . 110 1.2. Der »Weg des theologischen Realismus« – Kreuzestheologie in Iwands Christologievorlesungen . . . . . . . . . . . 121 a) Der Kreuzestod Jesu Christi als christologisches Thema . . . . . . 122 b) Die soteriologische Funktion des Todes Christi . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Der Botschaftscharakter des Heilsgeschehens . . . . . . . . . . . . 130
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bb) Der theologische Gehalt der Botschaft vom Tode Christi . . 134 cc) Das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung . . . . . . . . . . . . 146 1.3. Theologia crucis als Zugang zur wahren Wirklichkeit – Abschließende Bemerkungen zur Kreuzestheologie Iwands . . . . . . 151
2. Exkurs: »theologia crucis« und »theologia gloriae« als Begriffe in der »Kirchlichen Dogmatik« von Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. »Dogmatische« Kreuzestheologie als hermeneutischer Schlüssel zu Paulus – Beobachtungen an der Theologie Ernst Käsemanns . . . . 161
4. Verborgen versöhnt – Kreuzestheologie bei Gerhard Ebeling . . . . . . 173
4.1. Vorbemerkung zur Textauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4.2. Vorläufige Bestimmung des kreuzestheologischen Typus bei Ebeling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4.3. Das Kreuz in »Luther. Einführung in sein Denken« . . . . . . . . . . . . . 175 a) Theologia crucis als hermeneutischer Schlüssel zu Luthers Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Theologia crucis als Weg, theologisch von Gott zu reden . . . . . . 176 c) Theologia crucis als Weg, theologisch von Mensch und Wirklichkeit zu reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 d) Deus absconditus in cruce et mundo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4.4. Das Kreuz im »Wesen des christlichen Glaubens« und in der »Dogmatik des christlichen Glaubens« . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Das Kreuz in »Das Wesen des christlichen Glaubens« . . . . . . . . . 180 b) Das Kreuz in der »Dogmatik des christlichen Glaubens« . . . . . . 185 aa) Das Kreuz als kriteriologische Mitte der Dogmatik . . . . . . . 185 bb) Die Frage nach dem Menschsein des Menschen und der Menschwerdung Gottes angesichts des Todes . . . . . 186 cc) Das Verstehen des Kreuzes als befreiendes Lebensverstehen . 188 dd) Das Kreuz Jesu: Gott im Zeichen des Gegensatzes . . . . . . . . 190 ee) Der Tod Jesu am Kreuz als Urteil Gottes über die Sünde . . 197 ff) Der Kreuzestod Jesu und die Rede vom »Tod Gottes« . . . . . 200 gg) Der Kreuzestod Jesu als Tod aller Menschen . . . . . . . . . . . . . 201 hh) Vom factum zum verbum: das Kreuz, das Wort und der Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 ii) Der Gehalt des Wortes vom Kreuz: die Integration des Todes in das Versöhnungsgeschehen . . . 206 jj) Das Kreuz und das Geschehen der Versöhnung . . . . . . . . . . 208 kk) Das Kreuz und der Zusammenhang von Gottes Heiligkeit und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 ll) Gottes Verborgenheit im Geschehen des Kreuzes . . . . . . . . 212 4.5. Verborgen versöhnt – Abschließende Bemerkungen zur Kreuzestheologie bei Gerhard Ebeling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
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5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns als Theologie praktischer Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 5.1. Methodologische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 5.2. Die Kreuzestheologie als Thema im theologischen Schaffen Jürgen Moltmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 5.3. Kreuzestheologie als »kritisch-befreiende Theorie Gottes und des Menschen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) »Kritisch-befreiende Theorie« – Die Kreuzestheologie in »Der gekreuzigte Gott« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 aa) Moltmanns definitorische Gegenstandsbestimmung von »Kreuzestheologie« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 bb) Dialektische Gotteserkenntnis« im Kreuz des gottverlassenen Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 cc) Die kreuzestheologische »Revolution« im Gottesbegriff . . 239 b) Die »Leidenschaft Christi« – Die Kreuzestheologie in »Der Weg Jesu Christi« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Der apokalyptische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Die menschliche und die göttliche Dimension des Leidens Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 cc) Das Ziel des Todes Christi: Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 250 dd) Das Abendmahls als Initium der sakramentalen Praxis der Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) ›Leidenschaft für die Freiheit‹ – Kreuzestheologie als Politische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 5.4. Herrlichkeitstheologie unter kreuzestheologischem Titel – Die Auseinandersetzung Pierre Bühlers mit der Politischen Theologie Jürgen Moltmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Kreuzestheologie im Gefolge W. v. Loewenichs . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Das Verhältnis von Kreuz und Eschatologie als Schlüssel problem der Kreuzestheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 aa) Das Politische als theologische Leitkategorie . . . . . . . . . . . . 266 bb) Die Wirklichkeit und der Einzelne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 cc) Grundzüge des politisch-theologischen Eschatologiebegriffs. 272 c) Bühlers Dekonstruktion der Hoffnungs-Kreuzes theologie Moltmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) Moltmanns »eschatologia crucis« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Die politische Interpretation des Kreuzes bei Moltmann . . 280 cc) Die Alternative: eschatologia crucis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Die Interpretationsleistung Pierre Bühlers – Würdigung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 aa) Herrlichkeitstheologie – der vernichtende General vorwurf an die ›Politische Theologie‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 bb) Kritische Schlußbemerkungen zu Bühlers ›Kreuzes eschatologie‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
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5.5. Antikreuzestheologie. Die Verwandlung der Kreuzesbotschaft in politische Weltweisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
6. »Theologia crucifixi« – E. Jüngels Programm einer am gekreuzigten Jesus orientierten Gotteslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 6.1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 6.2. Das Leben Gottes als Liebe – Kreuzestheologie bei E. Jüngel . . . . . 303 6.3. Die Differenz von Programm und System – die Analyse der Jüngelschen Kreuzestheologie bei M. Murrmann-Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 6.4. Anmerkungen zur bleibenden Bedeutung von Jüngels »theologia crucifixi« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
II. Annäherungen an einen dogmatischen Begriff von Kreuzestheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie« – Bezüge zur Paulusexegese und zum Denken Martin Luthers . . . . . . 324
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz . . . . . . . . 324
1.1. Verständigung über den ›locus classicus‹ der paulinischen Kreuzestheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1.2. Grundmomente der paulinischen Rede vom Kreuz in exegetischen Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1.3. Systematisch-theologische Perspektiven in der exegetischen Arbeit an 1 Kor 1f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Die Rede vom Kreuz als Grundlage und Kriterium der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Das Verhältnis von Kreuzestheologie und Rechtfertigungs lehre ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 338 c) Die Frage nach der »Wahrheit« der Kreuzestheologie . . . . . . . . . 341
2. Beobachtungen an der Kreuzestheologie in den theologischen Thesen der Heidelberger Disputation Martin Luthers . . . . . . . . . . . . 344 2.1. Theologia crucis bei Martin Luther – zur Aufgabenstellung . . . . . . 344 2.2. »Theologus crucis dicit id, quod res est« – Kreuzestheologie in den Thesen der Heidelberger Disputation von 1518 . . . . . . . . . . . 348 2.3. Die »kreuzestheologische Situation« – Systematisch theologische Erwägungen zur Heidelberger Disputation . . . . . . . . . 355
3. Kreuzestheologie als assertorische Theologie. Zur bleibenden Bedeutung des Verständnisses theologischer Sätze als assertiones bei Martin Luther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
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B. Theologie des Kreuzes – Eine systematisch-theologische Skizze ihrer wesentlichen Momente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 1. Was ist Kreuzestheologie? Versuch einer Definition . . . . . . . . . . . . . . 363 2. »Gott ist anders anders« – Überlegungen zum Verhältnis von Kreuzestheologie und negativer Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 3. Die Auferweckung des Gekreuzigten als soteriologische Erschließung des Kreuzestodes Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 4. Das Kreuzesgeschehen als Brennpunkt von Sünde und Tod . . . . . . . 379 5. »… an unserer Statt« – der Gekreuzigte als Stellvertreter der Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 6. Das Opfer, das vom Opfern befreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 6.1. Das Opfer als eine neutestamentliche Deutekategorie des Todes Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 6.2. Die Rede vom Opfer als Deutekategorie menschlichen Selbstverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 6.3. Die Rede vom Opfertod Jesu als Auslegung des Subjektwechsels von der alten zur neuen »Kreatur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 6.4. Die Rede vom Opfer als wichtiger Zugang zur Heilsbedeutung des Todes Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
C. »Christo confixus sum cruci« (Gal 2,19) – Kreuzestheologie als Theologie rechter Leiblichkeit . . . . . . . . . . . . . . 396 1. Das »Stehen unter dem Kreuz« als das praktische Proprium der theologia crucis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 2. Der Christ ist anders anders. Das Kreuz als Signatur christlicher Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 3. Christo confixus sum cruci … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 A. Theologien des Kreuzes – Das Erbe des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . 405 B. Kreuzestheologie – das unaufgebbare Erbe der evangelischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
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Einleitung A. Die Frage nach der Kreuzestheologie und die Ziele der Untersuchung Kreuzestheologie hat Konjunktur. Schon ein erster Blick auf die Fülle der systematisch-theologischen Arbeiten in der evangelischen Theologie, die sich im zwanzigsten Jahrhundert mit der Theologie des Kreuzes beschäftigen, bestätigt diese Aussage ohne Einschränkung. Kreuzestheologie hat Konjunktur – keineswegs als einziges theologisches Thema in der Dogmatik, aber doch als eines, das mindestens in der zweiten Jahrhunderthälfte immer wieder zur eingehenden Beschäftigung herausgefordert hat. Kreuzestheologie hat Konjunktur – aber was ist eigentlich »Kreuzestheologie«? Diese Frage stellt sich unabweisbar im Hinblick auf die inhaltliche Bandbreite dessen, was die einzelnen Entwürfe jeweils unter »Kreuzestheologie« verstehen. Diese Frage stellt sich theologiegeschichtlich als Frage nach der ›einzelnen‹ Kreuzestheologie und nach dem, was die ›vielen‹ Kreuzestheologien möglicherweise als ein ihnen gemeinsamer Gehalt verbindet – oder was sie voneinander unterscheidet, vielleicht sogar trennt. Aber der systematische Theologe, der sich nicht allein mit der Aufarbeitung eines theologiegeschichtlichen Phänomens zufriedengeben möchte, sondern dessen Arbeit wesentlich darauf zielt, zur Sprache und damit zur Geltung zu bringen, was heute gelten kann, wird die gestellte Frage nicht allein als Frage nach dem Ist-Gehalt eines Begriffes, sondern gerade auch nach seinem »Soll-Gehalt« stellen. In der vorliegenden Untersuchung geht es deshalb darum, angeregt durch die offensichtliche Konjunktur der Kreuzestheologie in der evangelischen Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts, die Frage, was denn Kreuzestheologie sei, sowohl in theologiegeschichtlicher Hinsicht zu bearbeiten (Teil I) als auch Perspektiven zu ihrer Beantwortung als einer dogmatischen Frage aufzuzeigen (Teil II). Die mit dem Titel »Kreuzestheologie« versehene theologische Arbeit hat eine Geschichte. Diese Geschichte ist in der evangelischen Theologie, auf die wir uns in dieser Untersuchung beschränken, vor allem als Geschichte der aktualisierenden Rezeption der von Paulus und Luther gegebenen kreuzestheologischen Initialimpulse zu lesen. Die Geschichte der protestantischen Kreuzestheologie ist – und das ist allerdings überraschend – bisher nicht umfassend aufgearbeitet worden. Es ist das erste Ziel dieser Untersuchung, zu dieser Aufarbeitung einen grundlegenden Beitrag zu leisten.
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Einleitung
Das Interesse des Systematischen Theologen an der Kreuzestheologie kann sich – wie schon gesagt – nicht in deren theologiegeschichtlicher Aufarbeitung erschöpfen, so sehr diese allerdings zur Präzisierung der mit dem Konzept der »Kreuzestheologie« verbundenen Fragestellungen unerläßlich ist, wenn heutige kreuzestheologische Arbeit als dogmatische Arbeit nicht in selektives Aufstellen theologischer Behauptungen unter Beschwörung reformatorischen Pathos abgleiten will. Deshalb ist es das zweite Ziel dieser Untersuchung, unter einem sowohl exegetisch wie historisch verantworteten Rückbezug auf die kreuzestheologisch einschlägigen neutestamentlichen Texte und reformationstheologischen Konzeptionen systematisch-theologische Grundlinien für gegenwärtige wie künftige kreuzestheologische Arbeit zu skizzieren.
B. Anmerkungen zur Geschichte des Begriffs »theologia crucis« bzw. »Kreuzestheologie« in der Evangelischen Theologie Der Begriff Kreuzestheologie bzw. theologia crucis begegnet uns heute in der theologischen Literatur durchgehend als terminus technicus. Das heißt: es wird durchweg von »der« Kreuzestheologie gesprochen, die dann mit dem jeweils dargelegten theologischen Konzept identisch sein soll. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings rasch, wie groß die Unterschiede der einzelnen Konzepte, wie verschieden die theologischen Schwerpunkte und Zielsetzungen sind und wie mannigfaltig die Bezüge zur theologischen Tradition hergestellt und gestaltet werden. Will man – der Einzeluntersuchung vorgreifend – so etwas wie einen gemeinsamen Nenner »der« Kreuzestheologie, die allerdings nur in Gestalt z.T. sehr verschiedener kreuzestheologischer Konzepte auftritt, formulieren, dann kann man sagen, daß der Begriff der Kreuzestheologie für ein theologisches Programm steht, das das Kreuz Christi zum Ausgangs- und Mittelpunkt aller Rede von Gott und vom Menschen macht und die mit dem Verhältnis von Gott und Mensch zusammenhängenden theologischen Topoi – insbesondere der Sünde und der Versöhnung – ganz in die Reflexion des Wortes vom Kreuz hinein versammelt wissen will. Mit diesem formalen, den meisten Kreuzestheologien gemeinsamen, »Rückgrat« verbindet sich durchgehend die Zuversicht, jeweils das entscheidende Moment des paulinischen Denkens wie der Theologie Luthers als den Mittelpunkt der Theologie schlechthin zur Geltung zu bringen. Und diese Zuversicht tritt in den von uns zu untersuchenden kreuzestheologischen Entwürfen noch einmal gesteigert als die Gewißheit auf, mit der Kreuzestheologie ganz bei der Sache der Theologie überhaupt zu sein. Damit ergibt sich ein doppelter Befund: einerseits divergieren die einzelnen kreuzestheologischen Entwürfe sehr stark hinsichtlich der jeweils in ihnen zum Tragen kommenden konkreten Problemlage und des dann auf diese hin entworfenen theo-
B. Anmerkungen zur Geschichte des Begriffs »theologia crucis«
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logischen Lösungsansatzes. Andererseits konvergieren die einzelnen Entwürfe hinsichtlich ihres gemeinsamen Rückbezugs auf einen bestimmten, relativ gut eingrenzbaren, kreuzestheologischen Kernbestand an Texten von Paulus und von Luther. Ferner besteht zwischen den Entwürfen der Theologie des 20. Jahrhunderts, die explizit als »Kreuzestheologie« verstanden werden wollen, eine gewisse Verwandtschaft, insofern die Konjunktur dieses Konzeptes in der Dogmatik durch Arbeiten von M. Kähler vorbereitet, durch W. v. Loewenichs Arbeit über »Luthers theologia crucis« eigentlich ausgelöst und dann durch seine Übernahme in die Dogmatik durch H. J. Iwand entscheidend befördert wurde. Dieser dreifache Befund stellt uns zunächst vor die Aufgabe, erste Klarheit über die Herkunft und ursprüngliche Prägung des Begriffs »Kreuzestheologie« bzw. »theologia crucis« zu gewinnen. In der Alten Kirche und im Mittelalter ist »theologia crucis« als Begriffskompositum mit einer spezifischen Bedeutung nicht nachweisbar. Bei diesem Befund ist allerdings zu berücksichtigen, daß der Theologiebegriff an sich eine lange Entwicklung zurücklegte und daß die »Ausweitung des Begriffssinnes von Theologie über den Rahmen der Gotteslehre hinaus auf das Ganze der christlichen Lehrwissenschaft […] eine Tat der mittelalterlichen Scholastik [ist]«1. Bei der im 13. Jahrhundert einsetzenden Diskussion um eine Bestimmung des Gegenstandes der Theologie ist eine Prädizierung des Theologiebegriffs durch den des Kreuzes ganz offenkundig nicht durchgespielt worden 2 . Bei Martin Luther taucht der Begriff »theologia crucis« zwar quantitativ nur vereinzelt auf 3, bezeichnet bei ihm aber in verdichteter Form eine hochreflektierte Konzeption von Theologie überhaupt und markiert zugleich eine gegenüber der Scholastik völlig veränderte Akzentsetzung im Gebrauch des Theologiebegriffs. Lassen wir hierzu J. Wallmann ausführlicher zu Wort kommen: »In Luthers Formel von der ›theologia crucis‹ ist Theologie kein Genus proximum, zu dem sich der Genitiv ›crucis‹ in der logischen Beziehung der Differentia specifica verhält und damit noch anderen Möglichkeiten der Theologie Raum gibt. In der Formel ›theologia crucis‹ ist Theologie nicht Genus, sondern eine Größe, die durch ihren Genitiv erst konstituiert wird. In der Gegenüberstellung einer ›theologia gloriae‹ und einer ›theologia 1 J. Wallmann, Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt (BHTh 30), 1961, 12. 2 So aaO 13f. 3 Ein Nachweis findet sich bei H. Blaumeiser, Martin Luthers Kreuzestheologie. Schlüssel zu seiner Deutung von Mensch und Wirklichkeit. Eine Untersuchung anhand der Operationes in Psalmos (1519–1521), 1995, 17 Anm. 12: In das Frühjahr 1518 fallen folgende Texte: Die Heidelberger Disputationsthesen 19–24 einschließlich ihrer probationes (WA 1, 354, 17–28; 361, 31–363, 37); Asterisci Lutheri adversus Obeliscos Eckii (WA 1, 290, 34– 291,12); Randglosse zu Hebr 12,11 (WA 57/III, 79,16–80, 14); Resolutio zur 58. Ablaßthese (WA 1, 613, 21–614,37). Für die Zeit von 1519–20 sind die Operationes in Psalmos (WA 5, 299,18–301, 3 zu Ps 9a,8) und die Assertio omnium articulorum (WA 7, 148, 29) zu nennen. Zum späteren Gebrauch siehe Luthers Kommentar zu den Stufenpsalmen aus den Jahren 1532/33 (WA 40/III, 193–6–7).
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Einleitung
crucis‹ wird das Wort ›theologia‹ also nicht univok, sondern äquivok gebraucht. So wird von Luther der scholastischen Theologie bestritten, daß sie überhaupt Theologie ist, den scholastischen Theologen abgesprochen, daß sie Theologen sind. Die im Mittelalter als Streit der Schulen verfochtene Frage, ob die Theologie spekulative oder praktische Wissenschaft sei, wird bei Luther zu einer Frage des Seins oder Nichtseins der Theologie: vera theologia est practica […] .«4
Indem Luther den Theologiebegriff in der Formel »theologia crucis« durch den Begriff des Kreuzes qualifiziert, so daß er erst von hier aus überhaupt seine Bedeutung erhält – J. Wallmann spricht hier, den geradezu herrischen Impetus Luthers in seiner Konzeption der »vera theologia« treffend, von der »Usurpation« des Theologiebegriffs5 –, ist der Grund dafür gelegt, daß auch in der Rezeption des Konzeptes von der Theologie des Kreuzes in Entwürfen des 20. Jahrhunderts stets mit »Kreuzestheologie« der Anspruch (bzw. zuweilen auch nicht viel mehr als das Pathos) verbunden ist, ›die‹ Theologie schlechthin zu entwerfen. Luther selber aber etabliert seinen Begriff von Kreuzestheologie noch nicht als terminus technicus. Neben und nach ihm setzt schon Philipp Melanchthon in seiner Reflexion auf den Begriff der christlichen Lehre ganz anders an und arbeitet selbst dort nicht mit der Bestimmung der Theologie als Kreuzestheologie, wo es nahegelegen hätte6 : »Streng genommen kann man von einem Theologiebegriff Melanchthons gar nicht reden.«7 Und auch die beiden Hauptvertreter der lutherischen Orthodoxie, Johann Gerhard und Georg Calixt, arbeiten nicht mit dem Begriff der »theologia crucis«8 . Erst im 20. Jahrhundert begegnen wir in der evangelischen Theologie wieder kreuzestheologischen Konzepten. Nun erst beginnt sich der Begriff »theologia crucis« überhaupt als häufig gebrauchter terminus technicus zu etablieren. Von 1920 an ist er in der theologischen Literatur als solcher in auffälliger Häufung nachweisbar. Ein entscheidender inhaltlicher Anstoß zur Reflexion auf das Kreuz ist allerdings schon einige Jahre zuvor von Martin Kähler mit der Absicht unternommen worden, auf prinzipielle Defizite in der christologischen Lehrentwicklung des 19. Jahrhunderts hinzuweisen und Wege zu ihrer Überwindung wenigstens programmatisch zu skizzieren. Martin Kähler rückt in seinem 1911 verfaßten Aufsatz »Das Kreuz. Grund und Maß für die Christologie«9 das »Sinnen […] vom Kreuze«10 bzw. den refor4
J. Wallmann, Theologiebegriff 18. AaO 21. 6 Siehe aaO 20. 7 AaO 19. 8 Siehe hier insgesamt die Studie von J. Wallmann, Theologiebegriff. 9 M. Kähler: Das Kreuz. Grund und Maß für die Christologie, in: Beiträge zur Förderung christlicher Theologie (BFChTh) 15, 1911, 5–14. 10 AaO 9. 5
B. Anmerkungen zur Geschichte des Begriffs »theologia crucis«
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matorischen Satz »Crux sola nostra theologia«11 in das Zentrum seiner Überlegungen: Christozentrische Theologie, so Kähler, ist an das Kreuz gewiesen, »um sich an seinem Verständnisse zu richten, zu sichten, zu vertiefen, zu bewähren«12 . Das Kreuz als Regel und Richtschnur – oder, mit Kählers Titelworten, als »Grund und Maß« – der Christologie: damit formuliert Kähler unter explizitem Rückbezug auf Paulus und Luther ein kreuzestheologisches Programm, ohne jedoch schon den Begriff Kreuzestheologie bzw. »theologia crucis« als terminus technicus für ein solches Programm zu verwenden13. Eine ganz ähnliche Beobachtung läßt sich noch bei einem Schüler Kählers, Bernhard Steffen, machen, der 1920 versucht, Kählers kreuzestheologisches Programm monographisch zu realisieren14. Er verwendet dafür den Begriff »staurozentrische Theologie«. Mit diesem Begriff greift er explizit E. Schaeders Programm einer »theozentrischen« Theologie auf, das – konsequent zuende gedacht – für Steffen »notwendigerweise zur staurozentrischen Theologie«15 führen muß. Den Begriff »Kreuzestheologie« verwendet Steffen zur Bezeichnung seines eigenen Entwurfes nicht; überhaupt taucht dieser Begriff bei ihm nur ganz vereinzelt und fast beiläufig auf. Seine Verwendung bei Steffen zeichnet sich trotzdem durch zwei Auffälligkeiten auf. Zum einen weist sie auf die Auseinandersetzung mit der Theologie Luthers. Zweimal taucht der Begriff bei der Erwähnung von Arbeiten zu Martin Luther auf, und beide Male redet Steffen wie selbstverständlich von »Luthers Kreuzestheologie«16 . Zum andern verbindet Steffen mit dem Begriff »Kreuzestheologie« an den beiden anderen Stellen seiner Arbeit, an denen der Begriff überhaupt auftaucht, sehr grundsätzliche, programmatische Formulierungen17, von denen eine besondere Aufmerksamkeit verdient18 . In ihr identifiziert Steffen Kreuzestheologie als »Gnadentheologie«: Kählers Begründung der Dogmatik auf der Rechtfertigungslehre sei nichts anderes, als ihre »Gründung auf die objektive Gottestat des Kreuzes«19. So verwendet Steffen den Begriff »Kreuzestheologie« hier bereits in einem technischen, schon von der unmittelbaren Lutherinterpretation lösgelösten Sinne zur grundsätzlichen Bezeichnung des durch Kähler repräsentierten, dogmatischen Theologieprojektes, das 11 12 13 14
AaO 13. Ebd. Siehe zu Kähler auch unten Teil I.1.1. B. Steffen, Das Dogma vom Kreuz. Beiträge zu einer staurozentrischen Theologie,
1920. 15
AaO 9. AaO 129 (dort Verweis auf A. v. Öttingen, Noch nicht!, 1895) und aaO 196 (Zöckler, Das Kreuz Christi, 1875). 17 AaO 69.155. 18 AaO 69: »Die Kreuzestheologie stellt Gottes absolutes Recht in den Mittelpunkt und wird gerade dadurch zur Gnadentheologie. Sie baut sich auf der stellvertretenden Strafe auf und ist zugleich durchleuchtet von der stellvertretenden Freude.« 19 Ebd. 16
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Einleitung
exklusiv am Rechtfertigungsgeschehen orientiert ist und dieses vom Kreuzesgeschehen her zu verstehen sucht. Gleichwohl wendet Steffen den Begriff Kreuzestheologie auf seinen eigenen Entwurf nicht an und kann sogar ganz unbefangen von der »Theologie des Kreuzes« als der Bezeichnung für einen Topos innerhalb des Gesamtgefüges seiner »staurozentrischen« Theologie sprechen: Die »Theologie des Kreuzes« wird von ihm nach der »Christologie des Kreuzes« und vor der »Kirche des Kreuzes« verhandelt!20 »Theologie des Kreuzes« – das kann für Steffen also auch die am Kreuz orientierte Gotteslehre im engeren Sinne sein. Steffens staurozentrische Theologie ist jedoch ein wichtiger Beitrag zur Verdichtung der Rede von der Kreuzestheologie zu einem dogmatischen Programmbegriff21. Im Jahr 1923 erscheint von Paul Althaus die kleine Schrift »Das Kreuz Christi«22 . Auch ihm steht der Begriff der Kreuzestheologie als feste Größe fest, wenngleich er ihn – ähnlich wie Steffen und Barth – nur sehr vereinzelt gebraucht. Althaus versteht die Durcharbeitung der Lehre vom Kreuz als eine von der Lutherforschung gestellte Aufgabe. Die Lutherforschung habe sich ausführlich der Rechtfertigungslehre zugewendet23. »Die Lehre vom Kreuz Christi« steht zu dieser »in der nächsten Beziehung«24. So spricht Althaus vom »Nebeneinander und doch wieder Ineinander von Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre«25 , ja: »Vielleicht ist sie sogar mit ihr identisch«26 . Damit stellt sich die Aufgabe, »die Lehre vom Kreuz Christi möglichst zu solcher Vollständigkeit und doch Geschlossenheit zu bringen, wie Luthers Rechtfertigungslehre sie hatte«27, wobei es Althaus besonders darauf ankommt, »die Erneuerung durch Christus mit in die Kreuzeslehre hineinzuziehen«28 , denn indem »Gottes Handeln in Christi Kreuzestat wirkliche Vergebung, nur Vergebung bleibt«29, trägt sie als solche »die ganze Macht der Wiedergeburt in sich«30 . Althaus unternimmt hier nicht weniger, als die Forderung zu erheben, die Kreuzestheologie als eine ›Zwillingsschwester‹ der Rechtfertigungslehre auszuarbeiten. Gerade der Gedanke, die Wiedergeburt und damit das Leben des ›neuen‹ Menschen in ihr verankert zu sehen, ist eine hochinteressante Perspektive, um 20
AaO VIII, siehe dann aaO 140ff. Siehe zu Steffen auch unten Teil I.A.2. 22 P. Althaus, Das Kreuz Christi (ZSTh 1, 1923, 107–152, jetzt in: Ders., Theologische Aufsätze, 1929, 1–50). Vgl. auch Ders., Die Bedeutung des Kreuzes im Denken Luthers (Luther 8, 1926, 97–107). 23 Althaus, Kreuz Christi, 1. 24 Ebd. 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 AaO 1f. 30 AaO 2. 21
B. Anmerkungen zur Geschichte des Begriffs »theologia crucis«
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die Kreuzestheologie vor einer allzu einseitigen Fixierung auf das Sterben des ›alten‹ Menschen zu bewahren, die sie dann folgerichtig doch nie mehr als ein theologisches Durchgangstadium sein lassen würde. Die Größe, ja geradezu die Universalität der dogmatischen Aufgabe, die Althaus mit der Frage nach der Kreuzestheologie gestellt sieht, führt ihn auch zu einer fundamentaltheologischen Reflexion. Denn fast zwangsläufig muß sich ja, wer das Kreuz theologisch zu begreifen sucht, die Frage stellen, ob er nicht durch diesen Anspruch »das Geheimnis dieser Gottestat, ihre Eigenart als ›Torheit‹ und ›Ärgernis‹ verfehlt«31. Dieser Gefahr kann nach Althaus begegnet werden, wenn darauf geachtet wird, daß »alle Vordersätze, von denen wir ausgehen, nicht irgendwelchen allgemeinen philosophischen oder religiösen Begriffen von Gott und Mensch, sondern dem Gottes- und dem Menschenbilde, das in Jesu Geschichte hervortritt, zu entnehmen«32 sind. Kreuzestheologie wird dem ihr immanenten Anspruch, das Wort vom Kreuz diesem angemessen zur Sprache zu bringen, nur gerecht, wenn damit ernst gemacht wird, daß das Kreuz »nur mit seinem eigenen Maße gemessen, mit diesem aber auch wirklich ermessen«33 wird. Der zweite Teil dieses Satzes ist besonders wichtig: denn Torheit und Ärgernis des Kreuzes werden nach Althaus nicht etwa im Verzicht auf »ernste[…] systematische[…] Denkarbeit«34 und auch nicht unter Verweis auf die »Tiefen des Erlebens am Kreuze«35 geschützt: »Mag es mit dem Erleben sonst sein wie es will – innerhalb unseres Lebens mit Gott hat zuletzt nur das wirkliche Bedeutung, was auch durchdacht und in Wort und Begriff gefaßt werden kann.« 36 – Wir verfolgen den kleinen Althausschen Entwurf einer auf die Versöhnung des Menschen mit Gott zielenden Kreuzestheologie an dieser Stelle nicht weiter, können aber festhalten, daß Althaus aus der Beschäftigung mit Luthers Kreuzestheologie heraus zu der bis dato umfassendesten und weitsichtigsten kreuzestheologischen Aufgabenstellung für die Dogmatik gelangen konnte. Gerade die von ihm noch im Sinne einer Hypothese artikulierte enge Verwandtschaft der Kreuzes- mit der Rechtfertigungstheologie konnte der sich später durchsetzenden Auffassung, bei der Kreuzestheologie handele es sich um ein alle Theologie regulierendes Prinzip, um eine regelrechte theologische ›Metatheorie‹, den Weg bereiten. Die genannten Beispiele können zeigen, daß sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf theologiegeschichtlicher Seite im Fortgang der Lutherforschung und auf dogmatischer Seite in wachsendem Unbehagen an der bzw. in Opposition zur liberalen bzw. neuprotestantischen Theologie kreuzestheologische Refle31 32 33 34 35 36
AaO 5. AaO 6. Ebd. AaO 7. Ebd. Ebd. – Ein Gedanke, der nichts an Gültigkeit eingebüßt hat!
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xionen zunehmend verdichten, wobei jedoch der Begriff der »Kreuzestheologie« selbst zunächst noch nicht wirklich als Inbegriff für solche Bemühungen eingebürgert ist, sondern noch eher vorsichtig und experimentell nach und nach in Gebrauch kommt. Die eigentliche Etablierung des Begriffes »theologia crucis« beginnt allerdings erst 1929 – bezeichnenderweise nimmt die endgültige Formung auch dieses Begriffes zum terminus technicus des dogmatischen Diskurses ihren Ausgang in der Lutherforschung. Denn in diesem Jahr erscheint W. v. Loewenichs Arbeit »Luthers Theologia crucis«37. Hubertus Blaumeiser hat in seiner Untersuchung über »Martin Luthers Kreuzestheologie« ausführlich den kreuzestheologischen »Durchbruch«38 gewürdigt, den dieses Buch von W. v. Loewenich für die Lutherdeutung vornehmlich unter den Kirchenhistorikern darstellte – von Blaumeiser als »Klassiker« bzw. »Kronzeuge für Luthers Kreuzestheologie« bezeichnet 39. Erst mit v. Loewenichs Arbeit zu Luthers theologia crucis, der von seinem Doktorvater Paul Althaus wichtige Anregungen empfangen hatte40 , sei »die Kreuzestheologie des Reformators […] in den Vordergrund getreten«41. Von Loewenich habe vor dem Horizont der Dialektischen Theologie, vor dem die Arbeit ausdrücklich verfaßt worden ist, »wesentliche Gesichtspunkte der theologia crucis mit bleibender Gültigkeit zur Sprache gebracht«42 . Allerdings sei dies auch seine systematisch-theologische »Grenze«, denn von Loewenich habe – so Blaumeiser weiter – mehr danach gefragt, »wie Gott ist – der Welt entgegengesetzt und darum auch in der Offenbarung verborgen – als danach, was er am Menschen tut«43. Allerdings habe v. Loewenich der Lutherforschung die wichtige Anregung gegeben, in der Anfechtung (tentatio) einen zentralen Begriff der Kreuzestheologie Luthers zu sehen und damit ihre Zielrichtung ins Praktische zu erfassen44.
37 W. von Loewenich, Luthers Theologia crucis (FGLP, 2. Reihe, Bd. II), (1929) 19826 (in dieser Arbeit zitiert nach der ersten Auflage von 1929). 38 Blaumeiser, Kreuzestheologie, 26. 39 Ebd. Für G. Müller war W. v. Loewenich »der erste, der es unternahm, ›Luthers theologia crucis‹ zu definieren und ihren Stellenwert im Denken des Reformators herauszuarbeiten« (G. Müller, Walther von Loewenichs Beitrag zur Lutherforschung [Luther, 49, 1978, 1–15], 2). Als »klassisch« konnte auch G. Ebeling v. Loewenichs Buch bezeichnen, nämlich für die Herausarbeitung des Begriffes der theologia crucis als einer »reformatorischen Kampfparole« (G. Ebeling, Der Sühnetod Christi als Glaubensaussage. Eine hermeneutische Rechenschaft [ZThK, Beiheft 8, 1990, 3–28], 5 Anm. 9). 40 So Blaumeiser, Kreuzestheologie, 26 in Verbindung mit Anm. 3. 41 Blaumeiser, Kreuzestheologie, 26. 42 AaO 29. 43 Ebd. 44 So aaO 30.
B. Anmerkungen zur Geschichte des Begriffs »theologia crucis«
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W. v. Loewenichs Buch zu Luthers Kreuzestheologie erscheint zuerst im Jahr 1929 und erlebt bis 1982 sechs Druckauflagen. Ausdrücklich schließt sich v. Loewenich schon gleich zu Beginn seines Buches an die ›dialektische Theologie‹ an, als deren Methode er die ausschließliche Rede der Theologie »auf Grund der in Jesus Christus geschehenen Offenbarung«45 namhaft macht, eine Methode, die die »Eigenart der Theologie gegenüber anderen geistigen Gebieten«46 deutlich herausstelle. Daraus folgt für v. Loewenich, daß der Bezugspunkt aller Theologie das paulinische Wort vom Kreuz ist47 – an diesem nämlich werde die Eigenart der neutestamtentlichen Botschaft deutlicher als anderswo48 . Luthers theologia crucis nun habe genau dieses »Erbe des Paulus […] gegenüber einer sicher und satt gewordenen Kirche« 49 hochgehalten. Dabei – so v. Loewenichs These von Anfang an – sei Luthers Kreuzestheologie nicht etwa ein Spezialthema seiner Theologie (etwa einer noch von mystischen Denk- und Redefiguren inspirierten Frühzeit), sondern bei ihr handele es sich um »ein Prinzip der gesamten Theologie Luthers« und deshalb »darf [sie] nicht auf eine besondere Periode seiner Theologie eingeschränkt werden«50 . Nicht um eine »Entwicklungsstufe«, sondern um ein theologisches »Denkprinzip« gehe es bei Luthers Kreuzestheologie51. Diese Auffassung gibt v. Loewenich Gang und Aufbau seiner Arbeit vor: in einem ersten Teil kommt die theologia crucis der Heidelberger Disputationsthesen als ein Programm zur Darstellung, dessen Entfaltung auch in der späteren theologischen Entwicklung Luthers v. Loewenich in einem zweiten, dem eigentlichen Hauptteil seiner Untersuchung, beschreibt. Ein dritter und letzter Teil befaßt sich mit dem Verhältnis der Kreuzestheologie Luthers zur Mystik und der Abgrenzung von dieser. Von Loewenichs Buch zu Luthers Kreuzestheologie hat seine geradezu epochale Bedeutung vor allem durch seine vielfältige Wirkungsgeschichte erlangt. Mit dieser Untersuchung nahm die kreuzestheologische Hochkonjunktur in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts ihren Anfang. Dabei wurden allerdings weniger v. Loewenichs Detailergebnisse in der Analyse der Theologie Luthers maßgeblich, als vielmehr die zentrale These, bei der Kreuzestheologie Luthers handele es sich nicht nur um ein später überwundenes Frühstadium seines Denkens, sondern ganz grundsätzlich um »das Vorzeichen aller Theologie«52 . Gerade diese, im Blick auf Luther artikulierte, Auffassung von Loewenichs wurde in der kreuzestheologischen Entwicklung des 20. Jahrhun45 46 47 48 49 50 51 52
v. Loewenich, Theologia crucis, aaO 2. AaO 1. So ebd. So ebd. AaO 4. Beide Zitate aaO 7 (im Original gesperrt). AaO 8. AaO 12.
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derts immer wieder dahingehend generalisiert, daß Kreuzestheologie als der dem reformatorischen Verständnis der paulinischen Theologie eigentlich angemessene Modus von Theologie überhaupt in Anschlag zu bringen sei. W. v. Loewenichs Untersuchung kreist um zwei Hauptthesen. Die eine, die sich unmittelbar auf seinen Untersuchungsgegenstand bezieht, lautet: »die theologia crucis ist ein Prinzip der gesamten Theologie Luthers […]. [Es] bietet diese Formel ebenso wie bei Paulus eine Charakteristik seines ganzen theologischen Denkens […], mit Klarlegung eines theologischen Denkprinzips Luthers hat es also unsere Untersuchung […] zu tun«53. Mit der Behutsamkeit des vorsichtig urteilenden Historikers spricht v. Loewenich zwar nicht von »dem Prinzip« bzw. »der Charakteristik«, sondern nur von einem Prinzip, von einer Charakteristik des gesamten Denkens Luthers54. Aber die andere von v. Loewenich vertretene These greift weit über seinen theologiegeschichtlichen Gegenstand hinaus und legt sein erkenntnisleitendes Interesse offen: Im ausdrücklichen Anschluß an Einsichten der »dialektischen Theologie«55 stellt v. Loewenich das Besondere an deren wiederentdeckter theologischer Methode heraus, nämlich »daß die Theologie bei keiner ihrer Aussagen davon absieht, daß sie nur auf Grund der in Jesus Christus geschehenen Offenbarung redet«56 . Und das heißt für v. Loewenich – eingedenk der damit verbundenen möglichen historischen Einwände57 – »konkret gesprochen, der Logos, auf den sich alle Theologie zu beziehen hat, ist l8goV toæ stauroæ«58 . Damit hat v. Loewenich das kreuzestheologische Programm par excellence formuliert, das er dann mit dem in Luthers Heidelberger Disputation zuerst greifbaren Begriff der »theologia cru-
53
AaO 7f (im Original teilweise gesperrt gedruckt). Vgl. auch aaO 227: »Das Ergebnis dieser Untersuchung ist uns ein indirekter Beweis dafür, daß die theologia crucis nicht die vorreformatorische Vorstufe zu Luthers eigentlicher Theologie bildet, sondern vielmehr als eine Signatur von Luthers gesamtem theologischen Denken zu gelten hat.« 55 Siehe aaO 1. 56 AaO 2. 57 Siehe ebd. V. Loewenich begegnet dem möglichen Einwand, die Konzentration auf das Kreuz sei eine willkürliche Beschneidung der neutestamtlichen Vielfalt, allerdings nur ex negativo: »Glaubt man wirklich zu dem Entscheidenden an der neutestamentlichen Botschaft vorzudringen bei Umgehung dieses l8goV toæ stauroæ?« (ebd.). Ziehe man die Tatsache des Kreuzes »mit in Betracht« – so v. Loewenich weiter – »dann zeigt sich bald, daß sie unversehens in den Mittelpunkt rückt. Denn nirgends wird die Eigenart der neutestamentlichen Botschaft so deutlich wie an ihr« (ebd.). Diese Behauptung bedarf natürlich der bei v. Loewenich selber nicht gelieferten Nachweise – ihre Prüfung erforderte eine nach allen Seiten hin ausgearbeitete – Kreuzestheologie! V. Loewenich ist sich dieser grundsätzlichen Aufgabenstellung bewußt gewesen, wenn er zum Ende seines Buches »eine gründliche neutestamentliche Untersuchung« (aaO 228) ebenso fordert wie eine »umfassende, systematische Besinnung« (ebd.), die die »Aufstellung dogmatischer Prolegomena bedeuten würde« (ebd.). 58 AaO 2. 54
B. Anmerkungen zur Geschichte des Begriffs »theologia crucis«
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cis«59 verbindet und in dem er die »Auferstehung« 60 der Gedanken des Paulus erblickt, dessen »ganze[s] Denken … vom Gedanken des Kreuzes beherrscht [ist], […] theologia crucis [ist]«61. W. v. Loewenich kreiert in seiner Lutherarbeit also den Begriff der Kreuzestheologie in seiner spezifischen Bedeutung, das Ganze einer Theologie zu bezeichnen, die sich – exklusiv am Wort vom Kreuz orientiert – als genuine Repräsentation »des« paulinischen Denkens und »der« Theologie Luthers versteht. Er erreicht das durch die systematische Generalisierung ›eines Prinzips‹ 62 des Denkens Luthers, das zur theologischen Leitperspektive schlechthin erhoben wird, was durch die These abgestützt werden soll, daß schon die Theologie des Paulus »ganz« von der Reflexion auf das Kreuz Christi bestimmt gewesen sei. W. v. Loewenichs These, die Kreuzestheologie stelle ein Prinzip des gesamten Denkens Luthers dar, ist freilich nicht unwidersprochen geblieben. Nicht jeder mochte ihm dieses ›Ei des Kolumbus‹ der Lutherdeutung abkaufen. Einer der entschiedenen Gegner der Lutherdeutung W. v. Loewenichs war Rudolf Hermann. Auf seine Einwendungen wollen wir hier kurz eingehen. In seinen nachgelassenen Werken zu Luthers Theologie setzt sich Hermann knapp mit v. Loewenichs Thesen auseinander und stellt lapidar fest, daß aus der theologia crucis, wenn diese tatsächlich – wie von v. Loewenich behauptet – »das Wesentliche an Luther«63 sei, »schwerlich die evangelische Kirche gekommen« wäre 64. Für Hermann ist nicht die theologia crucis, sondern die Rechtfertigungslehre »Schlüssel zur Theologie Luthers« 65. Ob zwischen Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre jedoch wirklich eine Alternative besteht, diskutiert Hermann bedauerlicherweise nicht. Er weist die These von der zentralen Stellung der Kreuzestheologie bei Luther schlicht zurück. Ihm steht fest: »Die theologia crucis ist der Gedanke, daß der reformatorische Luther der vorreformatorische ist.«66 Damit schließt sich Hermann nahtlos und ohne theologische Argumentation an diejenige Lutherinterpretation an, die v. Loewenich in seiner Arbeit zur theologia crucis bei Luther überwunden zu haben meinte 67. Immerhin aber ist dem Systematiker Hermann v. Loewenichs Konzept der Kreuzestheologie 59
Siehe aaO 4. AaO 3. 61 Ebd. 62 So aaO 7. 63 R. Hermann, Luthers Theologie (in: Ders., Gesammelte und nachgelassene Werke, Bd. I, hg. v. H. Beintker, 1967), 22. 64 Ebd., im Orig. kursiv. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Siehe v. Loewenich, Theologia crucis, 5f: »Aber dies scheint den meisten der gelegentlichen Äußerungen als stillschweigende Voraussetzung zugrunde zu liegen, daß wir es in der theologia crucis mit der vorreformatorischen Vorstufe von Luthers Theologie zu tun haben. Am klarsten hat diese These Otto Ritschl zum Ausdruck gebracht, indem er in seiner Dogmengeschichte des Protestantismus, Band II,1, dieser vorreformatorischen Kreuzestheologie 60
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eine ausdrücklich Zurückweisung wert – dessen Begriff von Kreuzestheologie beginnt, in die systematisch-theologische Debatte einzusickern. Im Sinne einer zustimmenden Rezeption ist es zunächst der Hermannschüler Hans Joachim Iwand gewesen, der den v. Loewenichschen Begriff von Kreuzestheologie schließlich als terminus technicus in der systematischen Theologie gebraucht. Beispielhaft für sein Vorgehen ist ein Vortrag von 1959 mit dem Titel »Theologia crucis«68 . Iwand schließt sich gegen die klassische Auffassung von O. Ritschl ausdrücklich an W. v. Loewenich an, der gezeigt habe, »daß es sich bei der Theologia crucis um eine ganz neue Fassung des aus der Mystik überkommenen Themas handelt«69. Iwand selber hebt in diesem kleinen Vortrag drei Gesichtspunkte an Luthers Kreuzestheologie hervor. Zunächst »handelt es sich bei diesem theologischen Stichwort um ein theologisches Erkenntnisprinzip […], mit dem Luther auf der Heidelberger Disputation in glänzenden Formulierungen die alte scholastische, aber auch in etwa die augustinische neuplatonische Methode überwindet«70 . Dann »dokumentiert [das Kreuz] den unbeugsamen und harten Widerstand gegen den Mißbrauch des Namens und der Ehre Gottes zum Zweck der menschlichen Weisheit und des allerchristlichsten Imperiums«71. Und schließlich unterstreicht Iwand den »seelsorgerlichen Charakter dieser Theologie«72 , mit der ein ›neuer Begriff von Wirklichkeit‹73 einhergehe. Überhaupt rückt für Iwand der Begriff der »Wirklichkeit« in den Mittelpunkt seiner Feinjustierung des von v. Loewenich übernommenen kreuzestheologischen Konzeptes: »Nicht in die dogmatische Richtung der Versöhnungslehre, sondern in die praktische eines neuen Verhältnisses zur Wirklichkeit«74 weist Luthers theologia crucis, so Iwands These. Mit H.-J. Iwand stehen wir bereits an der Schwelle der großen kreuzestheologischen Konzeptionen der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, die uns im ersten Hauptteil der Arbeit ausführlich beschäftigen werden.
Luthers ein eigenes Kapitel widmete. Darnach trägt diese theologia crucis typisch mönchisches Gepräge und erweist sich eben damit als eine Vorstufe zu dem eigentlichen Luther.« 68 H. J. Iwand, Theologia crucis (in: Ders., Nachgelassene Werke, Bd. II [Vorträge und Aufsätze], hg. v. D. Schellong und K. G. Steck, 20002, 381–398); vgl. zu Iwand auch unten Teil I.2.1. 69 AaO 381. 70 Ebd. 71 AaO 382. 72 Ebd. 73 So ebd. 74 Ebd.
C. Kreuzestheologie und Kreuzestheologien
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C. Kreuzestheologie und Kreuzestheologien. Zu Gang und Methode der Untersuchung Unsere Untersuchung gliedert sich in zwei Hauptteile: der erste wird die wichtigsten kreuzestheologischen Konzeptionen der Theologie des 20. Jahrhunderts kritisch sichten und zur Darstellung bringen; der zweite wird – unter dem doppelten Rückbezug auf Paulus und Luther sowie geschult an den besprochenen Entwürfen des 20. Jahrhunderts – das in systematisch-theologischer Hinsicht Wesentliche und Bleibende dessen, was unter theologia crucis zu verstehen ist, in Grundzügen skizzieren. Da das Kreuz ein zentrales Thema der Theologie beider Konfessionen überhaupt und der Begriff »Kreuzestheologie« oft vieldeutig oder gar unscharf gebraucht wird, wird eine Arbeit zur Kreuzestheologie schon allein vom ihrem Titel her eine Fülle kaum kontrollierbarer Erwartungen wecken, die in einer einzigen Monographie nicht erfüllbar sind. Es ist deshalb auch der an diese Arbeit zu stellende Erwartungshorizont zunächst einmal zu problematisieren, bzw. ist deutlich zu sagen, was von dieser Arbeit eben gerade nicht zu erwarten ist. Erstens beschränkt sich unsere Untersuchung auf die evangelische Theologie. Das hat seinen Grund darin, daß sich die im 20. Jahrhundert auf dem Boden der Evangelischen Theologie entstandenen Kreuzestheologien ausnahmslos u.a. auf die Kreuzestheologie Martin Luthers zurückbeziehen und dadurch gewissermaßen alle – unbeschadet der im Detail stark divergierenden Ausführungen – reformationstheologisch codiert sind. Die theologische Konzentration auf das Kreuz, die wir auch in der katholischen Theologie durchaus finden können, gehört demgegenüber – vielleicht mit Ausnahme der Theologie von J. B. Metz, die sich eng mit der ›Politischen Theologie‹ J. Moltmanns berührt – einer anderen, stärker und ungebrochen von der Mystik berührten, ›Denkfamilie‹ an. Die Konzentration auf die evangelische Theologie im allgemeinen und auf den paulinisch-lutherischen Ursprung der Kreuzestheologie in ihr macht in dieser Arbeit macht auch eine andere Grenzziehung erforderlich: diejenige zur Philosophie. Hegels berühmte Rede vom »spekulativen Charfreitag, der sonst historisch war«75 , und auch seine Aufnahme des nicht minder berühmten Wortes vom ›Tode Gottes‹ werden wir in dieser Untersuchung ebensowenig eigens thematisieren wie das entsprechende Motiv in der Philosphie Nietzsches76 . Die75
G. W. F. Hegel, Glauben und Wissen (PhB 62b), 1962, 124. Zur theologischen Dimension des Hegelschen Denkens, inbesondere zu seiner Rede vom Tode Gottes, siehe u.a.: A. Brunkhorst-Hasenclever, Die Transformierung der theologischen Deutung des Todes bei G. W. F. Hegel. Ein Beitrag zur Formbestimmung von Paradox und Synthese (EHS.T 69), 1976; R. Garaudy, Gott ist tot. Das System und die Methode Hegels, 1966; W.-D. Marsch, Logik des Kreuzes. Über Sinn und Grenzen einer theo76
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ser Verzicht ist schmerzlich, aber darin gerechtfertigt, daß das sowohl von Hegel als auch von Nietzsche ausgearbeitete Verständnis des Kreuzestodes Jesu in seiner Bedeutung für die Rede von Gott eine derartig weitgehende Modifikation des biblisch-reformatorischen Verständnisses des Kreuzestodes Jesu darstellt, daß es durch den in dieser Arbeit verhandelten, explizit theologischen, Begriff von ›Kreuzestheologie‹ nicht getroffen wird. Zweitens ist das Kreuz nicht allein ein ›akademisches‹ Thema der wissenschaftlichen Theologie, sondern sondern spielt gerade auch in Frömmigkeit und Spiritualität eine Rolle. Daß seine Bedeutung im gegenwärtigen Leben der evangelischen Kirche an den Rand gerückt ist, hat schon 1989 Otto Meyer konstatiert77 – seiner Problemanzeige ist auch heute nichts hinzuzufügen. Auch diese kirchlich-praktische Dimension des Umgangs mit dem Kreuz bzw. der Kreuzestheologie wird hier nicht unser Thema sein. Es gehört in die Praktische Theologie. Was wir hier zu leisten versuchen, ist dagegen ein grundlagentheoretischer Beitrag, der auch für die Frage nach dem praktischen Umgang mit dem Kreuz rechte Orientierung zu geben vermag. Das gleiche gilt auch für die ebenfalls auf den Bereich der Praktischen Theologie zielende seelsorgliche Bedeutung des Kreuzes, die vor allem in dem, was wir im Zweiten Teil der Untersuchung ausarbeiten, zwar ihre materiale Grundlegung findet, aber im Rahmen dieser Arbeit nicht selber thematisch gemacht werden kann. Drittens ist das Kreuz eines der zentralen Motive in der christlichen Kunst. In dieser Arbeit können wir allerdings nicht auch die ästhetische Dimension untersuchen, die uns gleichsam als ›vestigium‹ der theologia crucis in der Gestaltung von Altären, auf Gemälden, in Lieddichtung und Kirchenmusik begegnet. logischen Berufung auf Hegel (EvTh 28, 1968, 57–82); E. Schmidt, Hegels System der Theologie, 1974. Siehe hierzu auch ausführlich E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, 19926, 55–137. 77 O. Meyer, Zur Kreuzestheologie im heutigen Protestantismus (Junge Kirche 50, 1989, 82–88). Meyer sieht richtig, daß sich der Protestantismus »in deutschen Landen […] optimistisch [gibt], scheinbar diesseitsorientiert und lebensbejahend« (82). Wenn das Kreuz – etwa im Zusammenhang mit den ›ernsteren Seiten des Lebens‹ dann doch einmal Verwendung finde, komme jedoch »weniger ein Kreuz der Sünde und der Buße [zum Vorschein, sondern] mehr ein Schicksalskreuz mit ein bißchen Todesmystik und einer Religion des Scheiterns, das fromm-verklärend eingesetzt wird« (ebd.). Hier berühren sich nach Meyer evangelikales Gefrömmel und die »aufgepoppte Modernität« (aaO 88), mit denen manche Pfarrer ihren Gläubigen das Kreuz »versüßen« (ebd.) wollen. Ungeachtet der zutreffenden Schärfe der Problemanzeige Meyers ist sein eigener Vorschlag eines Umgangs mit dem Kreuz zumindest vom Ende dieser Untersuchung her gesehen nicht akzeptabel. Denn der frühere Münsteraner Studentenpfarrer Meyer entpuppt sich schließlich als politischer Theologe der revolutionären Spielart, denn es »läge nur in einer Wiederaneignung revolutionärer Kreuzes- und Auferstehungstheologie der Schlüssel für die meisten unserer Probleme. Wie anders wollen wir aus unserer kollektiven Resignation herauskommen und einen Zugang finden zu einer längst fälligen Theologie der Befreiung für Europa?« (ebd.).
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Viertens schließlich muß klar sein, daß wir im ersten Abschnitt des Zweiten Teils (II.A.), in dem wir uns um exegetische Einsichten zum Verständnis von 1 Kor 1f sowie um kirchen- und theologiehistorische Impulse zur Deutung von Luthers Kreuzestheologie in den theologischen Thesen der Heidelberger Disputation bemühen, weder im Bereich der Exegese noch in dem der Kirchengeschichte Ergebnisse vorlegen können, die die Fachtheologen beider Disziplinen hinsichtlich der an ihre jeweiligen eigenen Fächer zu stellenden Erwartungen voll zufriedenstellen können. Stattdessen geht es darum, den für kreuzestheologische Arbeit wesentlichen Rückbezug auf Paulus und Luther wenigstens ansatzweise sowohl exegetisch als auch kirchen- und theologiehistorisch so zu verantworten, daß die in den folgenden Abschnitten des Zweiten Teils (II.B. und II.C.) geleistete dogmatische Arbeit nicht einfach unter den Vorwurf gestellt werden kann, sie habe sich der biblischen und der theologischen Überlieferung an der Arbeit der jeweiligen Fachdisziplinen vorbei bemächtigt. Ein solches Vorgehen würde allerdings nicht nur die von der Exegese und der Kirchengeschichte zu gewinnenden wertvollen Einsichten zum Thema ohne Grund verschenken, sondern müßte die dogmatische Arbeit fast zwangsläufig in eine dieser nur zum Schaden gereichenden positionellen Enge führen. Diese stellt sich stets mit historischer Blindheit zusammen ein und ist besonders für ein Thema wie das der Kreuzestheologie, die ja aufgrund ihres doppelten Rückbezuges auf Paulus und auf Luther zutiefst in der Geschichte der evangelischen Theologie – und das nicht irgendwo, sondern eben in ihrem Ursprung! – verwurzelt ist, nicht verantwortbar. Neben den wichtigen Impulsen, die wir von der neutestamentlichen Exegese wie von der Kirchengeschichte empfangen haben, darf unser Vorgehen auch als Versuch wahrgenommen werden, zu zeigen, wie sehr verschiedene theologische Disziplinen unbeschadet des hohen Grades ihrer jeweiligen Ausdifferenzierung hinsichtlich eines zentralen Themas der Evangelischen Theologie im Grunde an einem Strang ziehen. Allein das wahrzunehmen, ist schon ein wertvolles Ergebnis. Die (a) Auswahl der untersuchten Entwürfe sowie (b) ihre Gruppierung mithilfe der Kategorie der »Dialektik« bedarf noch einiger Erläuterungen. (a) Wir haben uns – wie schon angedeutet – auf Theologen aus dem Bereich der evangelischen Theologie beschränkt und unter diesen auch nur diejenigen ausgewählt, die für die kreuzestheologische Arbeit im 20. Jahrhundert als unverzichtbar, mindestens aber als repräsentativ zu gelten haben. Die kreuzestheologische Arbeit der zweiten Jahrhunderthälfte hat gewissermaßen ihre Vorgeschichte in Denkansätzen Martin Kählers (I.A.1.) und seines Schülers Bernhard Steffen (I.A.2). Deutliche Symptome einer Verdichtung des ›kreuzestheologischen Bewußtseins‹ in der Evangelischen Theologie sind schließlich beim ›frühen‹ Karl Barth (I.A.3.) in der Phase der »Dialektischen Theologie« deutlich nachweisbar. Die Geschichte der kreuzestheologischen Entwürfe in der evangelischen Dogmatik beginnt erst nach der Zeit der »Dialektischen
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Theologie«, gleichwohl aber mit den Arbeiten eines der herausragenden BarthSchüler: Hans-Joachim Iwand (I.B.1.). Aber auch der ›reife‹ Karl Barth setzt sich weiter mit der Kreuzestheologie auseinander. Keineswegs in Gestalt eines entsprechenden Entwurfes, aber so, daß er in seiner »Kirchlichen Dogmatik« eine ebenso auffällige wie originelle Neubestimmung der Begriffe theologia crucis und theologia gloriae – v.a. des letzteren! – unternimmt. Dieser theologischen Operation ist deshalb ein kleiner Exkurs (I.B.2.) gewidmet. Ein Ausnahme bildet der von uns ebenfalls verhandelte neutestamentliche Exeget Ernst Käsemann (I.B.3.). Er kann deshalb innerhalb der Geschichte der kreuzestheologischen Arbeit im 20. Jahrhundert zwischen die Dogmatiker gestellt werden, da seine hermeneutischen Grundentscheidungen zur Paulusexegese eine lupenreine Umsetzung desjenigen kreuzestheologischen Konzeptes darstellt, das W. v. Loewenich auf den Punkt gebracht und das Iwand als erster in großem Stil dogmatisch ausgearbeitet hat. So gehört in kreuzestheologischer Hinsicht Käsemann als Exeget neben den Dogmatiker Iwand. Während wir zur Rekonstruktion von dessen Kreuzestheologie auf z.T. disparates und erst posthum veröffentlichtes Quellenmaterial zurückgreifen müssen, liegt uns der kreuzestheologische Ansatz Gerhard Ebelings (I.B.4.) wesentlich in einer ausgeführten Dogmatik vor, die explizit das Kreuzesgeschehen als die sie orientierende Mitte zur Geltung bringen will. Seiner strengen, an sorgfältigsten Lutherstudien geschulten, Konzentration auf die Relation Wort (vom Kreuz) und Glaube steht der Ansatz Jürgen Moltmanns (I.B.5.) in schroffem Kontrast gegenüber: sein der ›Politischen Theologie‹ zugerechnetes Denken kann – freilich sehr plakativ – durch die Relation Wort (vom Kreuz) und Tat charakterisiert werden. Einen wiederum anderen kreuzestheologischen Denkweg geht Eberhard Jüngel (I. B.6.), der das vielgebrauchte Reizwort vom »Tod Gottes« vom Moment der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz her in soteriologischer Pointierung zu reformulieren sucht. (b) Für eine Gruppierung der in dieser Arbeit untersuchten kreuzestheologischen Entwürfe bietet es sich an, diese in ein Verhältnis zur »Dialektischen Theologie« zu setzen. Die Klassifizierung verschiedener theologischer Entwürfe unter systematischen Gesichtspunkten ist grundsätzlich hochproblematisch, weil die Etikettierung von Theologen und Theologien mit Richtungsschlagworten oder Schulbezeichnungen fast immer Gefahr läuft, der Einzelarbeit Gewalt anzutun und so das Spezifische eines Entwurfs eher zu unterschlagen als es zur Geltung zu bringen. Wenn wir in diesem theologiegeschichtlichen Teil der Arbeit die besprochenen Entwürfe zur Kreuzestheologie mit Hilfe des Begriffs der »Dialektischen Theologie« in »vordialektische«, »dialektische« und »nachdialektische« Ansätze einteilen, dann ist das zunächst darin gerechtfertigt, daß sich die Hochkonjunktur der Kreuzestheologie – wie wir in der Einleitung bereits angedeutet haben – wesentlich des von der Arbeit W. v. Loewenichs zur Kreuzestheo-
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logie Luthers ausgehenden Impulses verdankt. Und dieser stellt das Leitmotiv seiner Lutherarbeit, nämlich eine Antwort auf die Frage »Was ist Theologie?«78 zu finden, ausdrücklich in den Horizont des mit der »sog. ›dialektische[n] Theologie‹«79 heraufgeführten kritischen Umbruchs in der Theologie. Dieser Umbruch besteht nach v. Loewenich eben darin, daß die Theologie sich wieder bewußt geworden sei, daß sie »bei keiner ihrer Aussagen davon absieht, daß sie nur auf Grund der in Jesus Christus geschehenen Offenbarung redet«80 , was »konkret gesprochen [heißt], der Logos, auf den sich alle Theologie zu beziehen hat, ist l8goV toæ stauroæ«81. W. v. Loewenich nimmt auf diese Weise der Sache nach eine materiale Definition dessen vor, was er unter »Dialektischer Theologie« verstanden wissen wollte. Mit seiner kreuzestheologischen Näherbestimmung des Begriffs der dialektischen Theologie steht v. Loewenich in der Gefolgschaft R. Bultmanns, der bereits fünf Jahre vor dem Erscheinen der v. Loewenichschen Lutherarbeit – allerdings ohne den Gebrauch des zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest als terminus technicus etablierten Begriffs der »Dialektischen Theologie«82 – im Hinblick auf die gegen die liberale Theologie gerichtete »jüngste[…] theologische[…] Bewegung, die wesentlich durch die Namen Barth und Gogarten bezeichnet ist«83, schreiben konnte: »Der Gegenstand der Theologie ist Gott, und der Vorwurf gegen die liberale Theologie ist der, daß sie nicht von Gott, sondern von Menschen gehandelt hat. Gott bedeutet die radikale Verneinung und Aufhebung des Menschen; die Theologie, deren Gegenstand Gott ist, kann deshalb nur den l8goV toæ stauroæ84 zu ihrem Inhalt haben; dieser aber ist ein sk2ndalon für den Menschen.«85
Schon Bultmann erblickte also, wie später W. v. Loewenich, im Wort vom Kreuz die entscheidende Zuspitzung derjenigen christologischen Konzentration der Theologie, die später untrennbar mit dem Begriff der »Dialektischen Theologie« verbunden sein sollte und mit welcher dem Anthropozentrismus der Liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts der Garaus gemacht werden sollte. Dabei bleibt der »Ursprung des Begriffes […] unklar […]«86 , ist aber heute wohl unbestritten zur Bezeichnung derjenigen Bewegung in Gebrauch, »die in der Zeit von 1920 bis 1933 durch K. Barth, E. Thurneysen, F. Gogarten, R. Bultmann, E. Brunner und 78
v. Loewenich, Theologia crucis, 1. Ebd. 80 AaO 2. 81 AaO 2. 82 Siehe W. Härle, Art. »Dialektische Theologie«, TRE VIII, (683–696) 683. 83 R. Bultmann, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung (Theologische Blätter III, 1924, 73–86, jetzt in: Ders., Glauben und Verstehen, Bd. 1, 19939, 1–25), 1. 84 AaO 2. 85 AaO 2. 86 M. Beintker, Die Dialektik in der »dialektischen Theologie« Karl Barths (BevTh 101), 1987, 11. So schon Härle, Art. »Dialektische Theologie«, 683. 79
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Georg Merz […] vertreten wurde«87. Eine »programmatisch eingeführte Selbstbezeichnung für die dialektische Theologie fehlt«88 , allerdings bezeichnen die Begriffe Dialektik bzw. Krisis nach Härle mit Recht etwas für diese Theologie Spezifisches, während die auch gebräuchliche Bezeichnung ›Theologie des Wortes Gottes‹ »auch als Kennzeichnung der nachdialektischen Theologie zumindest Barths und Thurneysens in Frage kommt«89. Aufgrund der, wie wir auf Schritt und Tritt sehen werden, außerordentlichen Nachwirkung der v. Loewenichschen Arbeit zur Kreuzestheologie Luthers, die über ihre im engeren Sinne theologiehistorische Fragestellung hinaus denjenigen Begriff von Kreuzestheologie, der vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in der Systematischen Theologie beinahe zum Allgemeingut werden sollte, überhaupt erst kreierte, ist es gerechtfertigt, die in unserer Arbeit untersuchten kreuzestheologischen Entwürfe anhand der Kategorie der Dialektik einzuteilen. Dabei ist zu unterstreichen, daß wir diese Einteilung nicht als ein systematisch-theologisches Präjudiz über den jeweiligen materialen Gehalt der einzelnen kreuzestheologischen Arbeit verstehen, sondern daß uns die »Dialektische Theologie« in erster Linie als chronologischer Bezugspunkt dienen soll, dessen Heranziehung aus den genannten Gründen gerechtfertigt ist, der aber in systematischer Hinsicht nicht zur simplifizierenden Etikettierung mißbraucht werden darf. Das ist zunächst im Blick auf die »nachdialektischen« Entwürfe (Teil I.B.) evident, die alle auf ihre Weise Anliegen der dialektischen Theologie aufnehmen, z.T., wie z.B. Iwand, selber Kinder dieser Bewegung sind, ohne ihr jedoch im engeren Sinne zugeordnet werden zu können. Und für die »vordialektischen« Ansätze Kählers und Steffens gilt, daß ihr Bezug zur Dialektischen Theologie nicht nur kein rezeptiver, sondern noch nicht einmal der einer direkten Vor- oder Wegbereitung ist. Allerdings sind Kählers kreuzestheologische Desideria, die dann von Steffen in großem Stil aufgegriffen wurden, durch ein Problembewußtsein hinsichtlich einer anthropozentrischen Unwucht in der Theologie des 19. Jahrhunderts motiviert, die deutlich auf die Dialektische Theologie vorausweisen, ohne jedoch auch nur von ferne deren Radikalität und deren Unduldsamkeit hinsichtlich der Theologie der ›Väter‹ auch nur zu beabsichtigen. Was Kähler und Steffen noch in Kontinuität und behutsamer Korrektur der Theologie des 19. Jahrhunderts zu bearbeiten suchten, sind die nämlichen Probleme, die die Hauptvertreter der Dialektischen Theologie gleichsam in der Verweigerung jeder Kontinuität und im grundlegenden Neuansatz der Theologie lösen wollten. In diesen hier nur in der »Totale« zu skizzierenden Beobachtungen erweist sich jedoch in der Tat die
87 88 89
Ebd. Ebd. Ebd.
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Zeit der Dialektischen Theologie als die ›Angel‹, um die im 20. Jahrhundert auch die Kreuzestheologie ›schwingt‹.
Exkurs: Kreuzestheologie als Untersuchungsgegenstand in der theologischen Literatur Für die Dogmatik liegt bisher keine umfassende Untersuchung zur Kreuzestheologie vor, die deren Hochkonjunktur im 20. Jahrhundert sowohl theologiegeschichtlich untersucht, als auch schließlich selber den Versuch einer systematisch-theologischen Entfaltung von Kreuzestheologie unternimmt. Wenigstens dem Titel nach hat sich G. Wenz in seiner »Geschichte der Versöhnungslehre« 90 die Aufgabe gestellt, unter der Überschrift »Grundfragen gegenwärtiger Kreuzestheologie oder Cur Deus Crucifixus?« einen solchen Überblick zu geben. Das Thema, das er sich in der Kapitelüberschrift gestellt hat, wird aber im Verlauf seiner Ausführungen weder hinreichend umfassend noch befriedigend bearbeitet. So entwickelt Wenz an keiner Stelle einen dezidierten Begriff von Kreuzestheologie, sondern verwendet das Wort in einem sehr unspezifischen Sinne als Schlagwort für die Thematisierung des Kreuzes innerhalb der Versöhnungslehre überhaupt. Insgesamt scheint es sich bei diesem Kapitel eher um eine Zusammenstellung verschiedener Einzelstudien denn um eine unter einheitlicher Fragestellung angestellte Untersuchung zu handeln. Wenz nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Subjektproblematik der Neuzeit. Diese, weil »für die gesamte Moderne«91 charakteristisch, steht in einer »nicht äußerlich[en]«92 Beziehung zum gegenwärtigen Stand der Versöhnungslehre. Der neuzeitliche Ansatz bei der Selbstkonstituierung des Subjektes – schon früh in die Krise geraten93 – ist durch Hegel dahingehend korrigiert worden, daß das Subjekt nur als vermitteltes begriffen werden sollte. So enstand nach Wenz‹ Urteil ein in der bisherigen Geschichte der Versöhnungslehre unüberbotener Entwurf: »In grandioser Anstrengung des Begriffs, die Ihresgleichen sucht, wird noch einmal der Versuch unternommen, Herkunft und Zukunft, Christentum und Moderne als versöhnte Gegenwart des Geistes zusammenzudenken.«94 Hegels System war jedoch dem Vorwurf ausgesetzt, in der Aufhebung der Religion in den Begriff zugleich »den Untergang der Persönlichkeit Gottes sowie des menschlichen Individuums und seiner empirischen Welt«95 als Preis zu entrichten. Schelling hat demgegenüber darauf insistiert, daß Gott reale Versöhnung »aufgrund der unableitbaren und für den Begriff unvordenklichen Freiheit seiner Tat [schaffe], deren Faktizität nicht logisch hergeleitet, sondern allein a posteriori aus der tatsächlichen Selbstoffenbarung in Jesus Christus rückerschlossen werden könne«96 . In Jesus Christus aber erschließt sich zugleich das existierende Denken selbst, so daß die Subjektivität eben in der Offenbarung zu sich
90 G. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit, Bd. 2, 1986, hier bes. 279–486. 91 AaO 297. 92 Ebd. 93 Siehe aaO 282f. 94 AaO 283. 95 Ebd. 96 AaO 284f.
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selbst kommt: »Der Mensch versteht sich nur von Gott und seiner freien Tat her.« 97 Für Schelling war – so Wenz – das Kreuzesopfer »das Äußerste der Tatsächlichkeit der Geschichte Jesu Christi«98 . Das von Schelling thematisierte Problem der wesentlichen Gleichursprünglichkeit von Vernunft und Faktizität bildet für Wenz den Horizont »in vielen für die Versöhnungslehre relevanten Entwürfen gegenwärtiger Theologie« bzw. bildet den Hintergrund der »Grundfragen gegenwärtiger theologia crucis«99. Für »Gestalt und Verfassung gegenwärtiger Theologie«100 ergibt sich ausgehend von dem Schellingschen Problembewußtsein für Wenz die entscheidende Konsequenz der ›religiösen Bindung theologischer Theorie‹101: Die »Begründungsverfahren von Verkündigung und Lehre« können »von Vollzügen religiöser Vergewisserung nicht generell abgelöst werden«102 . Wenz vollzieht seine Problemanalyse gegenwärtiger Kreuzestheologie nach diesen einleitenden Gedanken in zwei großen Schritten: in einem ersten untersucht er die Konzeptionen von Pannenberg, Moltmann und Jüngel auf dem Hintergrund des zuvor entwickelten subjektivitätstheoretischen Horizontes, bevor er sich um einen eigenen Begriff trinitarischer Kreuzestheologie bemüht, der in dem Desiderat gipfelt, daß »Religion und Theologie, deren Ort […] nicht zufällig die Pneumatologie ist«103 , dem Zeugnis des Geistes nur dann entsprechen können, »wenn sie die Herkunftsgeschichte des Geistes, nämlich die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, dem auferstandenen Gekreuzigten, als ihre eigene Konstitutionsgeschichte sich gefallen lassen«104. Das Kreuz ist dabei nicht von der Auferstehung zu isolieren; Kreuz und Auferstehung sind nur »als einiger Zusammenhang, die Gemeinschaft von Gott und Mensch als vollzogene zu betrachten«105 . – G. Wenz ist im Ergebnis weit davon entfernt, wirklich zu einem Begriff von Kreuzestheologie vorzudringen, der diesen Namen wirklich verdiente. Dennoch ist der Umstand, daß er gerade im Rekurs auf das Kreuz die Begründung der Theologie als solcher vor dem Horizont der spätestens mit der idealistischen Philosophie des 19. Jahrhunderts in der Versöhnungslehre beinahe übermächtig gewordenen Problematik der Selbstvergewisserung des denkenden Subjekts anstrebt, ein deutliches Symptom der Erwartung, eben in der Reflexion auf das Kreuz die Identität der christlichen Theologie zu gewinnen, sie auf den Begriff und so zur Geltung zu bringen.
D. Überlegungen zu einem vorläufigen systematischen Begriff von Kreuzestheologie Es versteht sich von selbst, daß eine breit angelegte Untersuchung zur Kreuzestheologie schon an ihrem Beginn von einer Vorstellung davon geleitet wird, was denn unter Kreuzestheologie zur verstehen sein könnte. An dieser Stelle ist 97 98 99 100 101 102 103 104 105
285. AaO 286. Beide Zitate aaO 288. AaO 294. So aaO 295. AaO 294. AaO 354. Ebd. Ebd.
D. Überlegungen zu einem vorläufigen systematischen Begriff von Kreuzestheologie
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kurz Rechenschaft über die wesentlichen, unsere Fragen nach der Kreuzestheologie orientierenden, Momente eines vorläufigen Begriffes von dieser abzulegen. Wir gehen von einer Reihe von Voraussetzungen aus, die wir im Verlauf der Untersuchung stets auf den Prüfstand zu stellen, zu modifizieren und zu präzisieren haben, bis wir uns im zweiten Teil der Arbeit ausführlich um die Grundlegung und Ausarbeitung eines exegetisch wie historisch verantworteten dogmatischen Begriffes von Kreuzestheologie bemühen. Diese Voraussetzungen benennen wir hier in Form einer Reihe von Thesen: (a) Kreuzestheologie wird in der evangelischen Dogmatik durch den doppelten Rückbezug sowohl auf die paulinische Rede vom Kreuz als auch auf die theologia crucis Martin Luthers konstituiert. Sie ist damit als solche eine explizite Inanspruchnahme des biblischen wie des reformatorischen Ursprungs der evangelischen Theologie überhaupt. Damit ist sie zugleich stets eine Besinnung auf das Wesen des christlichen Glaubens und der christlichen Theologie. (b) Kreuzestheologie thematisiert mit dem Kreuzestod Christi das sachliche Zentrum der Soteriologie. Darin ist sie gewissermaßen die ›Zwillingsschwester‹ der Rechtfertigungslehre, wenngleich ihr Proprium im Vergleich zu dieser darin zu sehen ist, daß sie sich auf das Moment des im Kreuzestod Christi zum Austrag kommenden Widerspruchs Gottes gegen die Sünde und den Menschen hinsichtlich seiner Sünde fokussiert, während die in der Auferweckung des Gekreuzigten verwirklichte Teilgabe der Gerechtigkeit Gottes zwar in der Kreuzestheologie vorausgesetzt ist, aber als solche gleichsam ›im Schatten‹ bleibt. (c) Kreuzestheologie beansprucht, die einzig rechte, nämlich der Selbstoffenbarung Gottes in ›Kreuz und Leiden‹ (nach Luther) angemessene, Art und Weise zu sein, von Gott, vom Menschen, und vom Verhältnis beider zueinander zu reden. Ihr ist von hier aus eine exklusive kriteriologische Funktion für alle Theologie zuzuerkennen. (d) Das Wort vom Kreuz läßt sich nicht in eine hermetische theologische Theorie überführen. Kreuzestheologie ist keine solche, in sich geschlossene, Theorie, die den Anspruch erheben könnte, das Wort vom Kreuz in sich aufgehoben zu haben und nun mit diesem ›alles‹ zu erklären. Sie hätte es gerade damit verloren und als unbewältigten Widerspruch gegen sich. Das Wort vom Kreuz generiert kein kreuzestheologisches ›System‹. Die in den vorstehenden Thesen zum Ausdruck kommenden Vermutungen hinsichtlich des möglichen Gehaltes und der Bedeutung des Begriffes der »Kreuzestheologie« haben bei der nun in Angriff zu nehmenden Einzeluntersuchung der einschlägigen kreuzestheologischen Konzeptionen des 20. Jahrhunderts im Hintergrund gestanden. Sie haben der Detailanalyse dabei keine Fesseln anlegen wollen, durchaus aber eine inhaltliche Akzentuierung der Wahrnehmung des theologiegeschichtlichen Befundes ermöglicht. Aus ihnen haben sich auch klare Konsequenzen für Art und Weise der Gliederung des Stoffes ergeben, auf die wir kurz ausdrücklich hinzuweisen haben.
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(a) Wir haben uns in der Art der Darstellung dazu entschlossen, die verhandelten Entwürfe teilweise ausführlich darzustellen und sie nicht allein auf ein etwaiges ›kreuzestheologisches Destillat‹ zu reduzieren. Kreuzestheologie ist – unbeschadet der Tatsache, daß das so wirkungsmächtige Konzept W. v. Loewenichs, dessen Spuren wir auf Schritt und Tritt wiederentdecken werden, im Grunde so einfach wie das berühmte ›Ei des Kolumbus‹ ist – weniger die Sache bündiger Definitionen, als vielmehr des theologischen Denkweges selbst. Was ein Theologe unter Kreuzestheologie wirklich versteht und wie er die Anknüpfung an die stets schon vorgegebene – und übrigens von keinem Autor bestrittene – kreuzestheologische Tradition in materialer Hinsicht gestaltet, erschließt sich erst dann hinreichend, wenn die kreuzestheologische Denkbewegung in ihrer jeweiligen Ausgestaltung selbst zur Entfaltung kommt. Das bedeutet für den theologiegeschichtlichen Teil unserer Arbeit, daß die einzelnen Entwürfe nicht einfach über den einen ›Kamm‹ einer vorausgesetzten kreuzestheologischen Theorie ›geschoren‹ und streng nach einem an alle gemeinsam angelegten Kriterienkatalog gemessen werden können. Für die Darstellung hat das zur Konsequenz, daß wir uns darum bemühen, den jeweiligen kreuzestheologischen Denkweg wirklich in seinen wesentlichen Momenten nach- und mitzugehen. Die Individualität des jeweiligen Entwurfes spiegelt sich daher in der Gliederung wider. Dieser scheinbare Verzicht auf systematische Bündigkeit in der Darstellung ist allerdings ein guter Tausch für den tatsächlichen und differenzierten Zugang zum jeweiligen kreuzestheologischen Denkweg – ein Zugang, der eine systematisch-theologisch orientierte Kritik schließlich erst ermöglicht. (b) Auch der zweite Teil unserer Arbeit, in dem die Erarbeitung eines dogmatischen Begriffs von Kreuzestheologie unternommen wird, ist nicht als Versuch zu verstehen, ein kreuzestheologisches System zu entwerfen, sofern ein solches überhaupt denkbar wäre. Stattdessen versuchen wir, uns in einer Reihe von systematisch-theologischen Reflexionen von verschiedenen Seiten her einem hinreichend verantworteten Begriff von Kreuzestheologie zu nähern. Dem entspricht der Aufbau dieses Kapitels: die angestrebte Annäherung an einen Begriff von Kreuzestheologie ist zunächst durch einen Rekurs auf seinen doppelten Ursprung in der Theologie des Paulus und im Denken Luthers zu leisten (II.A). Im Anschluß daran sind die sich hieraus von selbst ergebenden systematisch-theologischen Fragen weiterzuverfolgen (II.B.), insofern sie zur Klärung des Begriffes der Kreuzestheologie zielführend sind. Vor allem die von uns für entscheidend gehaltene Verankerung der Kreuzestheologie in der Soteriologie bedarf hier eingehender Bearbeitung. Sie ist der eigentliche dogmatische ›Ort‹ der Kreuzestheologie, von dem aus sie erst sowohl in epistemologischer wie in praktischer Hinsicht ihre kritische und orientierende Kraft entfaltet. Schließlich mündet die Untersuchung in abschließende Gedanken zur der Frage aus, in welcher Weise das Leben des Christen vom ›Wort vom Kreuz‹ her
D. Überlegungen zu einem vorläufigen systematischen Begriff von Kreuzestheologie
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eine spezifische Signatur empfängt (II.C). Wir gehen dabei davon aus, daß der Kreuzestheologie eine ›kreuzestheologische Situation‹ im Leben des Christen entsprechen kann, in der der Glaubende nicht so sehr aus der Fülle der Rechtfertigungsgewißheit gleichsam vom Kreuz her auf das Leben zuzugehen vermag, sondern umgekehrt aus dem Leben heraus auf das Kreuz zugeht und unter ihm verweilt.
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I. Kreuzestheologie in Entwürfen evangelischer Theologie des 20. Jahrhunderts
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie« 1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie – Das kreuzestheologische Plädoyer Martin Kählers 1.1. Zum Vorgehen Martin Kähler hat nirgends einen theologischen Entwurf mit dem Titel »Kreuzestheologie« vorgelegt. Allerdings rückt er in seinem 1911 verfaßten Aufsatz mit dem Titel »Das Kreuz. Grund und Maß für die Christologie«1 das »Sinnen […] vom Kreuze«2 bzw. den reformatorischen Satz »Crux sola nostra theologia«3 in das Zentrum seiner Überlegungen: Christozentrische Theologie, so Kähler, ist an das Kreuz gewiesen, »um sich an seinem Verständnisse zu richten, zu sichten, zu vertiefen, zu bewähren«4. Das Kreuz als Regel und Richtschnur – oder, mit Kählers Titelworten, als »Grund und Maß« – der Christologie: Damit ist der Anlaß gegeben, Kähler auf eine kreuzestheologische Konzeption hin zu befragen. Das bedarf allerdings einer kurzen Rechenschaft über die zur Anwendung kommende Methode sowohl in historischer als auch in systematischer Hinsicht. In historischer Hinsicht steht der Ansatz bei der Schrift von 1911 – d.h. einem Jahr vor Kählers Tod – vor dem Problem, Kählers Theologie sozusagen »rückwärts« befragen zu müssen. Das läßt sich rechtfertigen, wenn davon ausgegangen werden kann, daß das theologische Denken Kählers in den der Untersuchung zu Grunde gelegten Schriften von einer hinreichenden inhaltlichen Einheitlichkeit des Gesichtspunktes bestimmt wird. Und in der Tat kann mit dem Jahr 1869/70 Kählers theologische Entwicklung als vollendet betrachtet werden5 , so daß Kählers Hauptwerke, seine »Wissen1 M. Kähler, Das Kreuz. Grund und Maß für die Christologie (in: Beiträge zur Förderung christlicher Theologie [BFChTh] 15, 1911, 5–14). 2 AaO 9. 3 AaO 13. Der Ausdruck findet sich ursprünglich in Luthers Zweiter Psalmenvorlesung 1519–21 (WA 5,176,32f: »CRUX sola est nostra Theologia.«). 4 Kähler, Grund und Maß, 9. 5 Zum Werden der Theologie Kählers ist nach wie vor die Untersuchung von Ch. Seiler, Die theologische Entwicklung Martin Kählers bis 1869, 1966, maßgeblich, der die Auffassung vertritt: »Das Jahr 1869/70 stellt in K.s theologischer Entwicklung den uns erkennbaren Höhepunkt dar.« (aaO 143) – An wichtiger Literatur zu Kähler sind weiter zu nennen: H.
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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schaft der christlichen Lehre« und auch die zu deren nachfolgend veröffentlichen Ergänzungen zählende Schrift »Zur Lehre von der Versöhnung« mit gewissem Recht – und unbeschadet der systematisch-theologischen Detailanalyse – synchron gelesen werden können. Die genaue Prüfung der Detailprobleme kann dann unter systematischer Fragestellung erfolgen. In systematischer Hinsicht ist zu beachten, daß Kählers Kreuzesschrift von 1911 explizit einen Beitrag zur christologischen Thematik liefern will. Die christologische Fragestellung aber war ihm gegenüber der soteriologischen in den Hintergrund getreten, und mit der Integration der Christologie in die Soteriologie, d.h. mit seiner »Wendung von der auswuchernden christologischen Spekulation zur schriftgebundenen Soterologie (nicht Soteriologie!) gelingt Kähler der Durchbruch zur theologischen Eigenständigkeit«6 . Auf dieser Verschiebung der Fragestellung »basiert sein originaler Beitrag zur Versöhnungslehre im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts«7. Unserer Untersuchung ist dadurch die Aufgabe gestellt, a) die Eigenart der von Kähler 1911 geforderten kreuzestheologischen Orientierung der Christologie herauszuarbeiten und b) deren Beziehung auf seine Versöhnungslehre besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Wir wenden uns im folgenden der kurzen Programmschrift von 1911 zu und richten im Anschluß daran unser Augenmerk auf sein Hauptwerk, die 1883 in erster Auflage erschienene »Wissenschaft der christlichen Lehre«8 , und auf die 1898 veröffentlichte Schrift Kählers »Zur Lehre von der Versöhnung«9, die als ausführliche Ergänzungsschrift zur Wissenschaft der christlichen Lehre zu verstehen ist. Leipold, Offenbarung und Geschichte als Problem des Verstehens. Eine Untersuchung zu Martin Kähler, 1962; J. Wirsching, Gott in der Geschichte. Studien zur theologiegeschichtlichen Stellung und systematischen Grundlegung der Theologie Martin Kählers, 1963; H.-G. Link, Geschichte Jesu und Bild Christi. Die Entwicklung der Christologie Martin Kählers in Auseinandersetzung mit der Leben-Jesu-Theologie und der Ritschl-Schule, 1975; U. Wimmer, Geistestheologie. Eine Untersuchung zur Grundlegung der Theologie und Pneumatologie Martin Kählers, 1978; H.-P. Göll, Versöhnung und Rechtfertigung. Die Rechtfertigungslehre Martin Kählers, 1991; M. Mencke, Erfahrung und Gewißheit des Glaubens. Das Gewißheitsproblem im theologischen Denken Martin Kählers, 2001 (hier auch die derzeit aktuellste Bibliographie zu Martin Kähler, aaO 269–293). Ansonsten bleibt Menckes Arbeit leider sehr weit hinter der philosophischen Gründlichkeit und Umsichtigkeit sowie dem Problembewußtsein der Studie von J. Wirsching zurück). Hinzuweisen ist auch auf die kurze Darstellung der Grundgedanken der Kählerschen Theologie bei J. Rohls, Protestantische Theologie der Neuzeit, Bd. II, 1997, 93–96. 6 W. Führer, Das Kreuz Christi in der Theologie Martin Kählers (BThZ 10,1993, 36– 52),40. 7 Ebd. 8 Dieser Arbeit liegt die dritte Auflage von 1905 zugrunde: M. Kähler, Die Wissenschaft der christlichen Lehre von dem Grundartikel aus im Abrisse dargestellt, (1883) 19053 (Neudruck 1966), im folgenden abgekürzt als WCL. 9 M. Kähler, Zur Lehre von der Versöhnung (in: Ders., Dogmatische Zeitfragen. Alte und neue Ausführungen zur Wissenschaft der christlichen Lehre, Heft 2, Leipzig 1898).
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
1.2. Das Plädoyer für eine am Kreuz orientierte Christologie von 1911 Kählers Aufsatz von 1911 »Das Kreuz. Grund und Maß für die Christologie« ist ein Plädoyer dafür, Christologie entscheidend am Kreuz Christi zu orientieren, weil nur dann der Glaube seines Gegenübers gewiß bleiben kann und wiederum nur in solcher Gewißheit sein wirklichkeitserschließendes und lebensorientierendes Potential zu entfalten vermag. So sehr sich die theologischen Desiderata dieses knappen Essays aus Kählers theologischem Werdegang und Profil nahelegen mögen10 , so wenig scheinen sie doch in die theologische Großwetterlage des Jahrhundertbeginns zu passen. Kählers doppelter Rückbezug – zum einen auf das paulinische »Wort vom Kreuz«11, zum andern auf den reformatorischen Wahlspruch »Crux sola nostra theologia«12 – will sich vielmehr gegen Aporien der zeitgenössischen Theologie wenden, die derart grundsätzlicher Art sind, daß sie in Kählers Urteil nur durch eine Rekonstruktion der Theologie durch diesen doppelten Rückbezug auf die paulinische Kreuzesbotschaft und auf ihre Rezeption bzw. ihre ›vollmächtige Erneuerung‹13 in der Reformationstheologie zu überwinden sind. Kähler setzt bei der Beobachtung ein, daß einige zeitgenössische Theologen – allen voran E. Schaeder mit seinem damals neuen Programm einer theozentrischen Theologie14 – Gefahr laufen, berechtigte Anliegen, wie sie im »Christozentrismus der protestantischen Theologen während des neunzehnten Jahrhunderts«15 zur Geltung gebracht wurden, in den Hintergrund treten zu lassen. In 10 E. Lessing hat darauf hingewiesen, daß Kähler »das spezifische Themenfeld der evangelischen Theologie erschlossen hat – in engem Anschluß an die biblischen Texte und die Hauptwerke der Reformation« (E. Lessing., Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie von Albrecht Ritschl bis zur Gegenwart, Bd. 1, 1879–1918, 2000, 51). Die Art und Weise, in der das geschah, »gab seiner Stimme auch in späterer Zeit immer wieder Gewicht« (ebd.). 11 Kähler, Grund und Maß, 10. 12 AaO 13. 13 So das Fazit von P. Althaus zur Kreuzestheologie Martin Luthers, in: P. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 1962, 42. 14 Siehe zu Schaeder die kurze, instruktive Darstellung bei Lessing, Theologiegeschichte, 122ff, Literatur aaO 116f. 15 Kähler, Grund und Maß, 5. In seiner »Geschichte der protestantischen Dogmatik im 19. Jahrhundert« führt Kähler F. Schleiermacher als christozentrische Leitfigur der Theologie des 19. Jahrhunderts an: »Schleiermacher danken wir es, daß Christus wieder in den Mittelpunkt des theologischen Denkens rückte und die Theologie wieder einen Sinn für die Kirche bekam – d.h. aber, das positiv Christliche betonen.« (M. Kähler, Geschichte der protestantischen Dogmatik im 19. Jahrhundert. Bearbeitet und mit einem Verzeichnis der Schriften Martin Kählers herausgegeben von E. Kähler, 19892, 46). Kähler faßt das Bleibende Schleiermachers in »drei Formeln«: »erstens: Selbstständigkeit des religiösen Lebens […]. Zweitens: die unbedingt zentrale Stellung der Person Christi im Ganzen des Christentums. Drittens: die Überwindung der Individualisierung der Religion, ihrer Auffassung als bloße Privatreligion, und die Betonung dessen, daß Religion Sache der Gemeinschaft sei.« (aaO 82)
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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Vergessenheit scheint in der neuen, von Kähler kritisierten Richtung das theologische Credo der Vorgängergenerationen zu geraten, die den Anspruch erhoben, »mit ihrem Christozentrismus gegenüber der Aufklärung und ihrer Schwärmerei für die Natur eben der Geschichtlichkeit des biblischen Christentumes voll gerecht zu werden«16 . Kähler warnt eindrücklich vor dem Verlassen dieses christozentrischen Weges. Denn das würde bedeuten, das »Ärgernis des Kreuzes in den Schatten (zu stellen)«17 – eine Operation, die »sich doch immer einem eindringenden Verständnisses des Christentums gefährlich erwiesen«18 habe. Kähler unternimmt auf den wenigen Seiten dieses Aufsatzes nun nicht weniger, als den Grund und die Notwendigkeit von Christologie überhaupt zu skizzieren, und zwar einer Christologie, die weder den historiographischen wie theologischen Unzulänglichkeiten der Leben-Jesu-Forschung19 noch den jederzeit möglichen Überraschungen menschlicher Spekulation verfällt 20 . Beide Wege, der rein historiographische wie der spekulative, verfehlen das, was nach Kähler die »Geschichtlichkeit« des Christentums ausmacht. Diese wird nur zur Geltung gebracht, wenn der pneumatische Charakter christlicher Gotteserkenntnis beachtet wird. Denn »auf das Geistzeugnis kann man sich verlassen wie auf das eigne Gewissen«21. Es ist das Zeugnis des Heiligen Geistes, das den Menschen des Gottes gewiß macht, der ihm zugleich verborgen und nicht durchgängig erkennbar bleibt. Und eben diese Gleichzeitigkeit von unbedingter Gottesgewißheit und unüberwindbarer Undurchschaubarkeit Gottes wird nach Kähler in einer am Kreuz orientierten Christologie zusammengehalten. Denn »es gibt ein Unerkennbares bei der Erkenntnis Jesu, unsers Herrn. Und eben auf diese Echtheit unsers christologischen Gottesglaubens trotz der Begrenztheit der mit ihm gewährten Einsicht mag der Ausgang des Sinnens vom Kreuze uns führen.«22 16
Kähler, Grund und Maß, 6. Ebd. 18 Ebd. 19 Vgl. AaO 7f. 20 Vgl. AaO 8f. 21 AaO 8. J. Wirsching hat darauf hingewiesen, daß die hier zutage tretende Denkfigur Kählers sich mit Grundüberzeugungen W. Diltheys trifft: »Seinem Ursprunge nach war Dilthey Theologe wie Kähler und hat wie dieser im Selbsterweis der religiösen Erfahrung gegenüber dem Logismus Hegels sowie dem deterministischen Materialismus der Naturwissenschaft sein eigentliches, nie preisgegebenes Grundanliegen erblickt. Das religiöse Leben gilt ihm als die bleibende, von Metaphysik und Kritik unabhängige Wurzel aller geschichtlichen Entwicklung und seine durch ›Selbstbesinnung‹ zergliedernd zu erhebende ›Struktur‹ als die kennzeichnende Aufgabe der Geisteswissenschaften.« (J. Wirsching, Gott in der Geschichte, 89) Wirsching sieht in Dilthey und Kierkegaard diejenigen Gewährsmänner Kählers, die ihm helfen sollten, das von ihm für theologische Erkenntnis als unbrauchbar betrachtete objektivierende Denken der Neuzeit »durch Rückstieg in die umfassendere vorwissenschaftliche Ganzheit des Personlebens als dem eigentlichen Träger theologischer Verstehensmöglichkeit, als der Stätte, wo die geschichtliche Offenbarung Gottes adäquat erkennbar werde« (aaO 88), zu überwinden. 22 Kähler, Grund und Maß, 9. Mit dieser Konzentration auf die christologisch orien17
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
Kählers »Sinnen vom Kreuze« hat nun zum Ziel, das Entscheidende an der Person Jesu als ein besonderes geschichtliches Faktum herauszustellen. Auf sein Insistieren auf der Geschichtlichkeit des Christentums gegenüber Historiographie auf der einen und Spekulation auf der anderen Seite ist schon hingewiesen worden. Kähler unterscheidet zwischen dem »Symbol« des Kreuzes, das in der Geschichte des Christentums vielfältige Formen annimmt, und dem »Wort« vom Kreuz, wie es bei Paulus formuliert wurde. Beide, das Symbol des Kreuzes wie das Wort vom Kreuz, kennzeichnen »in der christianisierten Welt den Vorgang, in dem das Leben Jesu auf Erden den allgemein menschlichen Abschluß, aber in sehr bestimmter Form gefunden hat, um seine weltgeschichtliche Wirksamkeit erst eigentlich zu eröffnen«23. Kähler formuliert von hier aus die Aufgabe, den Zusammenhang dieser weltgeschichtlichen Wirksamkeit mit dem im Kreuz bezeichneten Vorgang des Todes Jesu zu verstehen. »Eine solche Untersuchung«, so seine These, »ruft zunächst von der Metaphysik ab und in die Geschichte hinein.«24 Und mehr noch: »Hat man in unsern Tagen den Eindruck, daß die begrifflichen Erörterungen über das Wesen Gottes und der Menschen ihn uns nicht deutlicher gemacht haben, so wird man diesen Ruf des Kreuzes willkommen heißen.«25 Das Interesse an der Geschichtlichkeit des durch das Kreuz repräsentierten Ereignisses richtet sich dabei allerdings nicht in erster Linie auf ein vergangenes Ereignis. Christologie, die sich am Kreuz orientiert, ist eben keine Historiographie. Sondern theologisch interessant wird das Kreuz, insofern es »eine fortwirkende Kraft in der Geschichte der Kirche Christi«26 ist. Das Verständnis dieser Fortwirkung ist landläufig mit zwei Tendenzen konfrontiert: zum einem mit der Tendenz, diese Wirkung aus dem »Grundzug aller Religion« heraus zu verstehen; zum andern mit der Tendenz der Geschichtswissenschaft, einen die Einzelphänomene nivellierenden »zusammenfassenden Überblick«27 über die Weltgeschichte zu gewinnen. Beiden Tendenzen begegnet Kähler kritisch. Denn was den Bereich der Religionen betrifft, ist die Wirkung des Kreuzes nicht aus dem allen Religionen Gemeinsamen zu erklären. Vielmehr verhält es sich gerade umgekehrt: »Zur Ersetzung geschichtlicher Religionen durch das geschichtliche Christentum hat das Kreuz tierte und auf die Heilsgewißheit zielende Gotteserkenntnis bei gleichzeitigem Verzicht auf jeden Versuch einer abstrakt-spekulativen Gotteserkenntnis bringt Kähler einen »fundamentaltheologischen« Grundgedanken Martin Luthers zur Geltung: »›Ausser Christo ist Gott ein verzehrend Feuer, und will unbekannt und ungefasset sein.‹ ›Ausser diesem Christo soll man keinen andern Willen Gottes suchen. Die ihren Gedanken nachhängen und speculiren von Gott und seinem Willen ohne Christo, dieselben verlieren Gott ganz und gar‹« (zitiert nach Th. Harnack, Luthers Theologie, Bd. 2, Neue Ausgabe 1927, 101). 23 Kähler, Grund und Maß, 10. 24 Ebd. 25 AaO 10f. 26 AaO 11. 27 AaO 12.
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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den Weg gewiesen.«28 Sichtbar wird das für Kähler an der Tatsache, daß das Christentum »durch bald zwei Jahrtausende zur Missionsgeschichte« wurde: »Aus ihr erfährt man von seiner [sc. des Kreuzes] Überwinderkraft.«29 Und was die Geschichtswissenschaft angeht, so ist das Projekt des »zusammenfassenden Überblicks« christlichen Ursprungs und wird von Kähler unter den Begriff »Heilsgeschichte« gefaßt 30 . Und die Heilsgeschichte wiederum ist es, die »das Rätsel der Weltgeschichte (löst)«31. Das Kreuz schließlich ist in den Zusammenhang der Weltgeschichte zu stellen, »damit es sich als die Angel erweise, um die sie schwingt. Dann umspannt seine Bedeutung die Wirkung der Welt.«32 Dies erschließt sich allerdings nicht dem Augenschein. Nicht der Blick auf die »Unfertigkeit der Weltgeschichte und ihrer Undurchsichtigkeit im Einzelverlaufe«33, sondern die »Herzensgeschichte jedes zum Glauben Gekommenen (trägt) die Bürgschaft dafür, daß die christliche Weltanschauung die Wirklichkeit in sich richtig deutet«34. Damit ist klar: Für Kähler ist im Grunde der Glaube und damit das Zeugnis des Heiligen Geistes im ›Herzen‹ jedes Einzelnen das Erkenntnisprinzip des Kreuzes in seiner Einzigartigkeit und in seiner geschichtserschließenden Kraft35. Und indem der Glaube aber eben das geschichtliche Ereignis des Kreuzes Jesu Christi in seiner Bedeutung für den Glaubenden verbürgt, nämlich den Gekreuzigten »als den offenbaren Gott dem verborgenen Gott einordnet«36 , wird zugleich der »Offenbarungswert«37 der Geschichte überhaupt sichtbar. Das wiederum heißt: die christliche Gotteserkenntnis ist exklusiv an das geschichtliche Ereignis des Kreuzes gebunden, deren Bedeutung durch das Zeugnis des Heiligen Geistes im Glauben verbürgt wird. Exklusive kreuzestheologische Gotteserkenntnis aber heißt, daß natura28
Ebd. Ebd. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Ebd. 34 AaO 13. Mit dieser Lozierung der Geschichtserkenntnis in der »Herzensgeschichte« der Glaubenden ist allerdings der Sache nach die Unmöglichkeit verbunden, die aus Glauben gedeutete Geschichte in dem Sinne zu verobjektivieren, daß ihre Erkenntnis und die Einsicht in ihren übergreifenden Zusammenhang vom Glauben ablösbar wäre. Von Heilsgeschichte sollte nur gesprochen werden, wenn der Gefahr einer Ideologisierung des jeweiligen Geschichtsbildes hinreichend begegnet ist. 35 Siehe aaO 8, wo Kähler sich auf 1 Kor 2,10 bezieht. Der Geist Gottes, von dem Paulus dort redet, gewährleistet nicht etwa einen bestimmten Umfang der Gotteserkenntnis, sondern nur ihre »Echtheit und Verläßlichkeit« (Ebd.). »Auf das Geistzeugnis kann man sich verlassen wie auf das eigne Gewissen. Wie es lautet, so ist, so handelt Gott, derselbe Gott, der uns unsichtbar und in vielen seiner Erweisungen unausspürbar und unerforschbar bleibt.« (Ebd.) 36 Ebd. 37 Ebd. 29
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
listische wie spekulativ-unanschauliche Wege der Gotteserkenntnis38 radikal abgeschnitten sind. Exklusiv kreuzestheologische Gotteserkenntnis wird nach Kähler »ermöglichen und veranlassen, sich mit der geschichtlichen Offenbarung zu begnügen, wenn und weil diese Offenbarung dem Heilsbedürfnis entgegenkommt, wenn auch nicht dem ins Weite und Letzte hineinstrebenden Wissensdurste«39, durch sie »wird die Christologie […] aus der Metaphysik und ihrer zeugungsunfähigen Denknotwendigkeit in die Geschichte und damit in das Reich unserer Wirklichkeit verpflanzt«40 . Kähler bezieht sich in seiner Skizzierung einer exklusiv kreuzestheologisch orientierten Christologie ausdrücklich auf das reformatorische »Crux sola nostra theologia«41. Christozentrische Theologie ist von hier aus »an das Kreuz [gewiesen], um sich an seinem Verständnisse zu richten, zu sichten, zu vertiefen, zu bewähren«42 . Unmißverständlich unterstreicht Kähler zum Ende seiner kleinen Programmschrift nochmals, daß das Kreuz die conditio sine qua non der Christologie ist, die ihrerseits aufgrund des Geistzeugnisses des Glaubens durch das Kreuz »zur unentbehrlichen Aussage des Glaubens«43 gemacht ist: »Ohne Kreuz keine Christologie, und in der Christologie auch kein Zug, der nicht im Kreuze seine Berechtigung aufzuzeigen hätte«44. Fassen wir zusammen: Kähler ruft zur Korrektur einer theologischen Entwicklung auf, in der sich eine primär am Ersten Artikel orientierte Theologie vor die »christozentrische« Theologie des 19. Jahrhunderts zu schieben droht. Der Grund für Kählers Intervention ist nun nicht etwa theologische Nostalgie, sondern das Interesse daran, die für die rechte Erkenntnis Gottes entscheidende Perspektive – nämlich die pneumatische Vergegenwärtigung Gottes in der Heilsgewißheit des Glaubenden und damit die Geschichtlichkeit, d.h. die in die Gegenwart fortdauernde Bedeutsamkeit des Grundes des christlichen Glaubens – festzuhalten45. Als Korrektiv führt Kähler die Notwendigkeit einer kreuzestheologischen Orientierung der Christologie ins Feld. Diese von Kähler geforderte exklusiv kreuzestheologische Orientierung der Gotteserkenntnis ruht weder auf einer allgemeinen religionsgeschichtlichen Kategorisierung noch auf historiographischem Augenschein, sondern auf der 38
Vgl. aaO 7. AaO 13. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 Ebd. 44 Ebd. 45 H. Leipold hat die Auffassung vertreten, man könne »diese Art der Geschichtsbetrachtung Kählers, die das Zueinander von Tatsächlichkeit und Glaubensbedeutsamkeit umfaßt, in ihrer Abzweckung existentiell nennen« (Leipold, Offenbarung und Geschichte, 158). Dabei dürfen aber »Gegenwartsbedeutsamkeit« und Vergangenheit der entsprechenden Tatsachen nicht gegeneinander ausgespielt werden (so ebd.). 39
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»Herzensgeschichte« der Glaubenden, in der – das ist die systematische Konsequenz – die Bedeutung des Kreuzes, Christus als den offenbaren Gott sichtbar zu machen, pneumatisch als Gegenwärtigkeit des in seiner Erhöhung wirksamen auferweckten Gekreuzigten verbürgt wird. Dieser genuin theologische Weg der Gotteserkenntnis, der auf Plausibilisierungsversuche verzichtet, die außerhalb der von Gott selbst im Glaubenden verbürgten Gottesgewißheit angesiedelt sind, zielt auf die Heilsgewißheit des Glaubenden. Dieses Zeugnis rückt das Kreuz Jesu als geschichtliches Ereignis in den Mittelpunkt der Christologie, d.h. als ein Ereignis, das für alle Momente der Christologie orientierende (begründende und kritische) Bedeutung besitzt. Dadurch wird die Christologie »in das Reich unserer Wirklichkeit verpflanzt«46 und nur der in ihr reflektierte wirkliche Glaube als Reflex der pneumatischen Selbstvergewisserung des geschichtlichen Glaubensgrundes kann gewährleisten, daß der Glaube »der Sauerteig des persönlichen Lebens in seinem ganzen Umfange«47 wird. Kählers Programmaufsatz bietet damit der Sache nach eine kreuzestheologische Grundlagenreflexion theologischer Erkenntnis überhaupt mit der Pointe auf der Exklusivität der durch das Kreuz sich vermittelnden Gotteserkenntnis, der persönlichen Heilsgewißheit und einer lebensgestaltenden und –orientierenden praxis pietatis. Dieser Korrekturentwurf gegen die Versuche einer externen Begründung und Absicherung von Gotteserkenntnis und Heilsgewißheit verweist in seiner Ausrichtung auf die Heilsgewißheit und das Geistzeugnis auf die materiale Grundlegung des fundamentaltheologischen Potentials, das Kähler in seinem Aufsatz von 1911 in den Mittelpunkt stellt, zurück. Diese materialtheologische Dimension des Kreuzes ist vornehmlich in Kählers »Wissenschaft der christlichen Lehre« und in der dieses Hauptwerk ergänzenden »Lehre von der Versöhnung« entfaltet. Beiden Schriften wenden wir uns im folgenden zu.
1.3. Das Kreuz Christi in der »Wissenschaft der christlichen Lehre«48 Kählers Hauptwerk, von ihm selber im Vorwort zur dritten Auflage als »schwerfällige[s] Schulbuch«49 bezeichnet, entfaltet seinen Gegenstand, die vom Rechtfertigungsartikel her begriffene christliche Lehre, in drei Lehrkreisen: Christliche Apologetik, Evangelische Dogmatik und Theologische Ethik. Den drei Lehrkreisen ist eine Verständigung zu Begriff und Aufgabe der Theologie sowie ihrem Verhältnis zu den anderen Wissenschaften vorangestellt. In 46
Kähler, Grund und Maß 13. AaO 5. 48 M. Kähler, Die Wissenschaft der christlichen Lehre von dem Grundartikel aus im Abrisse dargestellt, (1883) 19053 (ND 1966), hier abgekürzt als WCL. 49 AaO XXXV. 47
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
allen drei Lehrkreisen spielt die Reflexion auf das Kreuz Christi entsprechend seiner Funktion als Vollzug der Rechtfertigung und als Sachgrund sowohl der Heilsgewißheit des Einzelnen als auch der Erneuerung des Lebens in der Nachfolge eine zentrale Rolle. Wir folgen in unserer Darstellung deshalb dem Aufbau des Kählerschen Werkes. a) Das Kreuz Christi im »Ersten Lehrkreis« (Christliche Apologetik) In der Apologetik will Kähler die Voraussetzungen des Rechtfertigungsglaubens »in dem vorchristlichen Stand«50 klären. Soweit das mit Hilfe des Religionsbegriffs zu geschehen hat, »ist derselbe grundlegend aus dem Verständnisse des Christentums abzuleiten«51. Als den geschichtlichen Ausgangspunkt eines christlich verantworteten Religionsbegriffs macht Kähler »die Lehre des Paulus […], wie ihr Verständnis in der Reformationszeit wiedergewonnen ist«52 , namhaft. Paulus aber hat sowohl den Juden als auch den Heiden »Jesum als Messias verkündet«53. Was er – auch im Gegensatz zum jüdischen Verständnis – als Messias verstanden wissen wollte, »bezeugt Paulus in dem Worte vom Kreuz, und legt es gegenüber der Unklarheit des Judenchristentumes unter dem Gesichtspunkte der Rechtfertigung dar«54. An die Stelle der an die Erfüllung der Gebote gekoppelten Gerechtigkeit aus dem Gesetz tritt damit »die Annahme der Gnade des gekreuzigten Christus als Bedingung der allumfassenden Vergebung und der Gotteskindschaft«55. Die Reformation hat nach Kähler genau dieses Verständnis des Christentums erneuert56 und in der Konzentration auf den Glauben an den »auferstandenen Gekreuzigten«57 Jesus, den Christus selbst, als »das Wesentliche im Christentum«58 herausgestellt. Entscheidend an diesem Verständnis ist für Kähler, daß der »gekreuzigte und zu Gott erhöhete Jesus« vom Evangelium als der »Grund der Rechtfertigung verkündigt«59 wird: So ist er »für den Gläubigen Gegenstand unmittelbarer religiöser Beziehung und darum auch alles christlichen Bekenntnisses« 60 . Jesus ist weder Schulhaupt gewesen noch hat er eine Religionsgemeinschaft gegründet und verfaßt61, sondern die Kirche ist eine Gemeinschaft von Menschen, 50
AaO 83. Ebd., s. auch aaO 86f. 52 AaO 88. 53 AaO 89. 54 Ebd. 55 AaO 89f. 56 AaO 90. 57 Ebd. 90. 58 Ebd. 90. 59 AaO 92. 60 Ebd. Die Unmittelbarkeit der religiösen Beziehung wendet Kähler gegen sittlich orientierte Werkgerechtigkeit einerseits und gegen kirchliche Vermittlung andererseits, s. aaO 90. 61 So aaO 92. 51
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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»welche auf seine Verheißung hin und durch ihre entsprechende eigne Erfahrung gewiß geworden waren, unter der fortgehenden Wirkung des ihnen gegenwärtigen erhöhten Herrn zu stehen« 62 . Und weiter: »Eben er, der lebendige Christus, welchen man als den geschichtlichen gekreuzigten Christus kennt, bildet den wesentlichen Inhalt ihres gesamten Kultus […]« 63. Das Christentum ist darum nicht ablösbar von dessen jeweiliger Gegenwärtigkeit, in der sich überhaupt erst seine Messianität erweist: Das Christentum besteht in »dem aus dem Kreuzestode erhöhten Christus«64. Indem die Kirche in der anfänglichen Bewährung dieses ihres Christusglaubens – Kähler spricht ausdrücklich von ihrer »Leidenszeit«65 – das Dogma von der Gottheit Christi ausgebildet hat66 , hat sie zugleich »den biblischen Gegensatz der einzigen wahren Religion gegen alles Heidentum«67 bewahrt. Kähler knüpft mit dieser Wesensbestimmung des Christentums, die zugleich den Kern seines apologetisch orientierten Religionsbegriffs bildet, bei der in der Reformationstheologie wieder in den Mittelpunkt gestellten Theologie des Paulus an. Deren Herzstück wiederum ist das Wort vom Kreuz, das den Sachgrund der Rechtfertigung zur Sprache bringt, die in der durch Auferweckung und Erhöhung verbürgten je gegenwärtigen Bedeutsamkeit des Gekreuzigten am Einzelnen zur Geltung gelangt. Auffällig ist der enge Zusammenhang, den Kähler zwischen dem Kreuz Christi auf der einen und seiner Auferweckung bzw. Erhöhung auf der anderen Seite herstellt und sogar von der Erhöhung Christi »aus dem Kreuzestode« 68 sprechen kann. Die Auferweckung bzw. Erhöhung vergegenwärtigt, was am Kreuz Christi Faktum geworden ist. Diesem als dem Gegenstand des Rechtfertigungsglaubens wendet sich Kähler im zweiten Lehrkreis, der Evangelischen Dogmatik, zu. b) Das Kreuz Christi im »Zweiten Lehrkreis« (Evangelische Dogmatik) Die Dogmatik, so Kähler, »untersucht den Christenstand in seiner göttlichen Begründetheit und setzt eben da ein, wo die Apologetik abschließt«69. Sie untersucht damit den Sachgrund der »Heilsgewißheit eines jeden Glaubenden«70 , 62
AaO 92f. AaO 93. Dieser Gedanke wird in der »Lehre von der Versöhnung« noch gesteigert durch Kählers auch seelsorglich wichtige Bemerkung, daß »auch Fehlgriff und Fehltritt, auch Schwäche und Rückschritt der schüchternen und strauchelnden Gotteskinder […] unter der Versöhnung [stehen]« (Kähler, LV 456). 64 WCL 93. 65 WCL 96. 66 So ebd. 67 Ebd. 68 WCL 93. 69 AaO 217f. 70 AaO 217. Mit dieser Methode will sich Kähler ausdrücklich von Schleiermacher abset63
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
und dabei handelt es sich um den Inhalt des Glaubens, »nämlich das sich in Christus zusammenfassende Handeln Gottes zu seinem Heile«71. Dieser Inhalt ist wesentlich »die am Kreuze gestiftete Versöhnung«72 , die »Heilsveranstaltung in Christo«73. Diese Versöhnung wird von Gott um der Sünde willen ins Werk gesetzt, und erst »[a]m Kreuze Christi ermißt der Gerechtfertigte die Bedeutung der Menschensünde, und erst in und mit dem Verständnisse des Heilswerkes vollendet sich die unter dem Gesetze des alten Bundes erwachsende Sündenerkenntnis«74. Erkannt wird vom Kreuz als dem Ort der Versöhnung der Welt durch Gott her die Sünde als »Ungehorsam gegen den göttlichen Willen als solchen« bzw. als »Versagung von Glaube und Liebe oder Gottwidrigkeit«75. Indem Kähler allen Nachdruck auf die Versöhnung der Welt legt, stellt sich ihm die Aufgabe, die mit dem Begriff »Welt« ausgedrückte Universalität der Versöhnung mit der Versöhnung des erwählten Einzelnen, des Individuums zusammenzudenken. Beide Dimensionen der Versöhnung, die universale und die individuelle, werden von ihm durch den Stellvertretungsgedanken zusammengehalten. Denn der Gerechtfertigte, der sich »in Christo mit Gott versöhnt«76 weiß, ergreift »in Christo die bürgende Offenbarung der heiligen Liebe Gottes zugleich mit der bürgenden Vertretung, in welcher Christus ihm als einem Gliede der Menschheit für seine Fähigkeit zu stetiger Gottesgemeinschaft einsteht«77. Das bedeutet, daß im Rechtfertigungsglauben »die Einsicht enthalten [ist], des Heiles teilhaftig zu sein«78 . Sachliche Voraussetzung, daß der Einzelne in Christus Anteil an dem universal gestifteten Heil erhält, ist für Kähler die Einheit göttlichen und menschlichen Lebens in der Person Christi. Dezidiert nimmt Kähler seinen Ausgang beim trinitarischen Dogma, das der Christologie die Aufgabe gestellt habe, »in Christo die Gottheit mit der Menschheit zusammenzudenken«79. Diese Aufzen, der »nur die verschieden bestimmten Zustände seines religiösen Bewußtseins auszusagen« (aaO 221) unternommen hatte. Kähler dagegen möchte mit seiner »Betonung der geschichtlichen Offenbarung, sowie mit der Beziehung des Heiles auf die geschichtliche Menschheit und ihre Welt wesentliche Seiten an dem Gegenstande, welche die subjectivistische Bewußtseinsphänomenologie und der einseitige Individualismus vernachlässigen« (ebd.), hervorheben. Für Kähler ist das Bewußtsein des Gerechtfertigten nicht die »Quelle alles dogmatischen Erkennens, sondern nur […] der Ausgangspunkt […], sofern es ja derjenige Punkt des christlichen Erlebens ist, in welchem die sämtlichen Ursachen und Bedingungen der Heilsreligion zusammentreffen, um ihre allseitigen Wirkungen zu vermitteln« (ebd.). 71 AaO 217. 72 AaO 220. 73 AaO 248. 74 AaO 278f. 75 AaO 284f. 76 AaO 316. 77 AaO 316. 78 AaO 317. 79 AaO 339. Vgl. ebd.: »Die kirchliche Christologie setzt bei dem Ergebnis ein, welches durch das trinitarische Dogma bezeichnet wird.«
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gabe sei unter Abweisung ebionitischer Fehldeutungen auf der einen und doketistischer Mißverständnisse auf der anderen Seite gelöst worden80 , »und zwar im Namen des religiösen und des christlichen Grundzuges, des Bedürfnisses nach Gottesgemeinschaft und des Glaubens an den Gekreuzigten«81. Ganz deutlich stellt Kähler hier den Glauben an den gekreuzigten Christus als eine der Voraussetzungen der kirchlichen Zweinaturenlehre heraus82 . Der Glaube als Bezug zur lebendigen Person des auferweckten Gekreuzigten geht der Lehre von dieser Person voraus; die Person Jesu Christi in ihrer Geschichtlichkeit bleibt auch Mittelpunkt ihrer lehrmäßigen Entfaltung und entsprechend stellt Kähler die Forderung auf, »daß alle Christologie Soterologie sein und also dem Heilsbedürfnisse allseitig genug tun muß«83. Die Heilsbedeutung Jesu Christi wird im Evangelium gepredigt, und dieses ist wesentlich Botschaft vom gekreuzigten Christus84. Denn in ihr kommt die »Gnadenerweisung Gottes«85 , die im »Lebensausgang« Jesu kulminiert, zur Sprache. Und insofern dieser Lebensausgang, der Kreuzestod Jesu, zugleich seinen »Übergang zur überirdischen Herrnstellung« markiert, stellt er für Kähler »vornehmlich die zusammenfassende vollkommene Durchführung der unvollkommenen alttestamentlichen Vermittelungen« dar. Deren »geschichtliche Verwirklichung« wird in Jesu »mittlerische[r] Stellung und Leistung« abgeschlossen und zugleich »deren dauernd gegenwärtige Wirkung begründet«. Der neue Bund wird »im Lebensausgange des Messias gestiftet«86 , sein Inhalt ist »die Versöhnung der Welt mit Gott«. Diese wiederum ist die Wandlung des Rechts- bzw. Schuldverhältnisses zwischen Gott und Mensch87. Der 80
So Ebd. Ebd. 82 Dieses sich bei Kähler auch sonst findende Verfahren wird von J. Wirsching kritisch untersucht. Für Kähler gewinne »das rein noetisch gemeinte Korrelat, der Rechtfertigungsstand […], eine, wenngleich eingeschränkte, ontologische Dignität und erlaubt es, die geschichtliche Selbstbekundung Gottes nach Analogie des in ihm gesetzten Ontischen zu begreifen« (Ders., Gott in der Geschichte, 184). Wirsching bemängelt: »Was Kähler erreicht, sind zuletzt doch nur analytische Sätze, keine echten Begründungen« (aaO 188). 83 Kähler, WCL 339. Vgl. auch aaO 343: »Wie die Christologie Soterologie sein muß, so auch die Soteriologie; denn in dem geschichtlichen Jesus Christus hat Gott den Doppelknoten des Heilsbedürfnisses gelöst.« – Zu Entwicklung und theologischer Eigenart von Kählers eigentümlicher Schwerpunktsetzung auf der Soterologie vgl. Seiler, Entwicklung, 122–144. Die soterologische Perspektive will die Wiedergewinnung der Gottesgemeinschaft des Menschen in der Versöhnung durch Christus im Blick behalten und stellt eine Absage gegen jedes theoretische Sich-Verlieren in spekulativen Gottesideen dar (so aaO 131). Und indem im Soter das Formal- und das Materialprinzip des Protestantismus zusammentreffen, bedeutet die soterologische Konzentration nicht nur die eigenartige Fassung einer christologischen Spezialfrage, sondern »[begründet] eine theologische Methode« (aaO 141). 84 So aaO 344. 85 Ebd., die folgenden Zitate stammen von diesem Ort. 86 Ebd. 87 So aaO 346. 81
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
Glaube erkennt in der Person des Versöhners das Mittel zu ihr, und »an ihm hebt sich, wofern er der Messias ist, a seine geschichtliche Stellung, sofern er den Inhalt des Evangeliums ausmacht, b sein Kreuzestod besonders heraus«88 . Jesu Mittlerstellung ist dabei allerdings in der vorgegebenen Einzigartigkeit seiner Person begründet89. Seine »Berufserfüllung« kommt »erst in der Vollendung der Person zur Wirksamkeit«90 . Sie faßt sich in seinem Kreuzestod zusammen, der aber wiederum »seinen Inhalt und Wert erst durch die in ihm handelnde und erlebende Person«91 erhält: »Der Tod eben dieses Jesus am Kreuze, in seiner vollen geschichtlichen Besonderheit aufgefaßt, gibt jenem Lebensausgange sein Gepräge, und verbürgt zugleich der Leistung Christi ihre Geschichtlichkeit. Deshalb ist der Tod Jesu einerseits nicht ein Widerfahrnis ohne weitere Wichtigkeit für seine Berufsstellung; er ist mehr als die bloße Teilnahme an dem allgemeinen Lose der Endlichkeit.«92 Dabei darf dieser Tod aber auch nicht andererseits dadurch unverständlich gemacht werden, daß man ihm jede Gleichartigkeit mit dem menschlichen Sterben völlig abspricht93. Der Lebensausgang Jesu umfaßt »seinen Kreuzestod samt dessen Vorbereitung und die Auferweckung am dritten Tage samt dem, was zwischen dieser und seinem Tode liegt«94. Dieser Abschnitt seines Lebens ist von den anderen durch seinen Charakter als »die geschichtliche Gottestat der Sühne«95 unterschieden. Um eine Sühnetat bzw. »hohepriesterliche Leistung«96 handelt es sich aber nur insofern, als diese Ereignisse nicht nur Widerfahrnisse für Jesus waren, sondern »sich in ihrer Zusammenfassung zugleich als eine Handlung seinerseits darstellen«97. Das Sterben Jesu darf nicht als leiblicher Vorgang an einem Einzelmenschen isoliert werden, sondern muß im Zusammenhang mit dem ganzen »geschichtlichen und übergeschichtlichen Inhalte der sterbenden Person«98 in Beziehung gesetzt und auch mit ihrer Erhöhung zusammengesehen werden. Denn die Auferweckung selbst ist der Vollzug der »Erhöhung Jesu zur irdischen Gottesgemeinschaft«99. Dennoch ist Jesu Passion aber auch in ihrer spezifischen Besonderheit vom sonstigen Leben Jesu abzuheben. Kähler nennt zwei sachliche Punkte: 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99
Ebd. So ebd. Ebd. AaO 347. Ebd. So ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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a) über Jesus entlädt sich »der auf der Menschheit lastende Fluch«100 ; b) Jesu willige Leidenshingabe offenbart eine derart »ungeteilte Beziehung auf Gott, daß diese Hingabe Christi zur zusammenfassenden und ausschließlichen religiösen Handlung oder zu dem Opfer wird, dessen Vollkommenheit in seiner himmlischen Darbringung zur Geltung kommt«101. c) Das Kreuz Christi im Dritten Lehrkreis (Theologische Ethik) Unter dem Titel »Evangelische Asketik. Christo das Kreuz nachtragen«102 stellt Kähler den Gedanken dar, daß die »Selbstbildung« Christi bis hin zum Kreuzestod als dem Punkt, an dem sein Gegensatz zur dem ihn ungebenden Leben aufs deutlichste zum Austrag kam, für seine Jünger die Konsequenz eines »gleichen Verhaltens« nach sich ziehen muß103. Jesus ist als Sohn Gottes »in das verkehrte Leben der Menschheit hineingeboren und hineingewachsen«104. Dem Gegensatz, in dem er sich zu diesem Leben befand, gab Jesus durch forschreitende Abgrenzung von dem ihm umgebenden Leben mehr und mehr Ausdruck; das »tritt besonders deutlich, weil auf höchste gesteigert, in seinem Tode entgegen«105. Jesus hat sich seinem Leidensweg bereitwillig unterzogen, »damit die völlige Lösung aus dem Fleische zustande komme«106 , bzw. weil er Tatsache und Bedeutung seines Todes »als das von seinem Vater ihm zugewiesene Mittel erkennen lernte, jene Scheidung von dem bisherigen Menschentume zu vollziehen, ohne welche er nicht der Anfänger eines neuen werden konnte«107. Sachgrund der Nachfolge ist die erlösende Wirkung von Jesu »Leidenshandlung«108 . Die Nachfolge zielt auf »die völlige Lösung von der sündigen Welt«109. Neben der Aufgabe des irdisch konstituierten Selbst versteht Kähler darunter »die tatkräftige Fügung unter die Leidensschickung, welche Gott einem jeden 100
AaO 358. AaO 358. 102 AaO 568ff. 103 So aaO 568. 104 AaO 569. 105 Ebd. 106 Ebd. 107 Ebd. 108 AaO 570. Vgl. auch aaO 577, wo Kähler noch präziser davon spricht, daß der »Rechtfertigungsglaube an den gekreuzigten erhöhten Christus« zur völligen Umkehr des Verhältnisses zur Welt führt. Auffällig ist hier – wie durchgehend in der WCL – die enge Verbindung von Kreuz und Erhöhung, vgl. auch aaO 657: Jesu Kreuzestod ist die erste Stufe seiner Erhöhung gewesen, weil er nicht bloß Abschluß des Erdenlebens Jesu war, sondern zugleich in der Vergegenwärtigung im Geist für die Jünger bleibende Bedeutung besitzt. Jesu Erhöhung ist damit bei Kähler gleichbedeutend mit der fortdauernden Geschichtlichkeit des im verkündigten Wort vergegenwärtigten gekreuzigten Christus. 109 AaO 570. 101
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
als Jesu Jünger zumißt«110 . Dies gilt umso mehr, als der »demütige[n] Selbsterkenntnis, welche der Glaube an den Gekreuzigten einflößt«111, bewußt ist, daß die Umgestaltung des persönlichen Lebens im Zuge der Nachfolge nicht auf einmal zu bewerkstelligen ist, sondern viel Zeit und Übung in Anspruch nehmen wird112 . Hemmungen auf diesem Weg werden den Christen nicht entmutigen, »denn bei aufrichtiger Bekehrung darf man jene Hemmungen«113 unter die übenden Leiden zählen und aus der Heilsgewißheit »Geduld mit sich selbst schöpfen«114. Das Moment des »Übens« im Leiden will Kähler nun aber auch durchaus als selbständige Aktivität des sich in der Nachfolge befindenden Christen verstanden wissen. Im Verhältnis zur ›sündigen Welt‹ geht es auch um »eine ausscheidende Selbstbehandlung aus eignem Antrieb und Ermessen«115. Der Gedanke der eigenverantwortlich zu vollziehenden Übung bewahrt Kählers Verständnis der Kreuzesnachfolge des Christen sowohl vor enthusiastischer Selbstüberschätzung als auch vor rigoristischer Härte. Kähler vermag so wenigstens ansatzweise einen wirklich gangbaren Weg der Nachfolge aufzuzeichnen.
1.4. Das Kreuz Christi in der »Lehre von der Versöhnung« Auch in der 1898, also dreizehn Jahre vor dem kreuzes-christologischen Aufsatz, erschienenen Schrift »Zur Lehre von der Versöhnung«116 stellt Kähler unter Rückbezug auf Paulus heraus, daß die Konzentration auf das Kreuz ein unverzichtbares theologisches Korrektiv darstellt: »Wo man nun am schlichten Evangelio sich nicht mag genügen lassen, es durch Anpreisung einer gesetzlichen Religiosität überbieten oder in seiner Darstellung der Kunst und Anschauungsweise der Weltbildung angestalten will, da kehrt P. das Kreuz als den Kernpunkt des Evangelii heraus. Es wird eben unerbittlich zur abweisenden Grenze, wenn etwas vom alten Wesen in das christliche Leben eindringen will.«117 Das 110
Ebd. Ebd. 112 Vgl. aaO 577, wo es Kähler um die »Verleugnung des gesamten Selbst nach seiner Fleischlichkeit [geht], und diese Handlung muß sich durch die ganze Lebenszeit hinziehen und sich so in eine Reihe einzelner Handlungen zerlegen«. 113 Dazu zählen nicht nur Außeneinflüsse, sondern vor allem auch »die nicht ausreichend gebändigte und durchgebildete Sinnlichkeit«, aaO 578. 114 AaO 570. Vgl. aaO 577: Der Christ nimmt »sein Kreuz dergestalt auf sich, daß er in den verschiedenen Leidensfügungen erziehende Fingerzeige Gottes auf diejenigen Punkte erkennt, in denen gerade er noch in der Knechtschaft des Fleisches und der Welt liegt, und sie demgemäß zur immer entschiedeneren Lösung jener Bande verwertet«. 115 AaO 578. 116 M. Kähler, Zur Lehre von der Versöhnung (Dogmatische Zeitfragen. Alte und neue Ausführungen zur Wissenschaft der christlichen Lehre, Heft 2), 1898. 117 LV 249. 111
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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Kreuz fungiert hier als Bollwerk gegen Gesetzlichkeit und »Weltbildung«, kurz: gegen das »alte«, durch Christus ein- für allemal überwundene und in die Vergangenheit gewiesene Leben unter der Herrschaft der Sünde. Diese Bedeutung erlangt das Kreuz bei Paulus dadurch, daß an ihm das sühnende Blut Christi vergossen wurde, so daß die alttestamentliche Gesetzesgerechtigkeit überboten wurde118 . Es geht Paulus nach Kähler also um eine realistische Soteriologie119, für die das Kreuz Christi steht: Denn das Kreuz »ist mehr als cultische Symbolik; es ist der Austrag der dort abgebildeten Thatsachen. Folglich ist es nicht bloß eine äußerliche typologische Vergleichung, derentwillen der Apostel das vergossene Blut betont, welches das Kreuzesblut war.«120 Alles, was bisher den Menschen bestimmte, nämlich der »Gesetzes-« oder »Fleischesstand«, ist durch diese erneuernde Versöhnung vergangen: »Also ein gerichtlicher Untergang alles Alten, so weit der Machtbereich dieses Todes reicht. Das ist das Wort vom Kreuz.«121 Dieses Wort vom Kreuz ist nun allerdings eng mit der Auferstehung verknüpft, denn »dieses Wort [vom Kreuz, M.K.] verkündet den lebendigen Gekreuzigten«122 . Von hier aus steht nach Kähler die paulinische Entfaltung des Todes Jesu immer in der Perspektive des Lebens Jesu aus seiner Auferstehung123. Überhaupt gilt: wenn Paulus vom Wort vom Kreuz spricht, um den Gegensatz dieser Botschaft zu menschlichem Ermessen herauszustellen, so steht sachlich die gekreuzigte (und auferweckte) Person im Vordergrund. Kähler faßt das in die Formel: »Jesus der Messias und zwar der gekreuzigte.«124 Die Paraphrase des »Schriftzeugnis[ses] von der Versöhnung«, deren kreuzestheologisch entscheidende Gesichtspunke wir kurz skizziert haben, dient Kähler in seiner »Lehre von der Versöhnung« nun als Basis seiner eigentlich systematisch-konzeptionellen Ausführungen, die er mit der Überschrift »Die Versöhnung durch Jesum, den Christ, der Grund für Glauben, Leben und Wandel des Christen« betitelt125. In ihnen fragt er konsequent nach der Person des Versöhners126 , dem Vollzug der Versöhnung127, den Versöhnten selber128 und 118
So LV 252. Unter »realistischer Soteriologie« verstehen wir hier die Lehre vom Heil des Menschen, insofern ihr Grund nicht in einer bloßen Veränderung der Haltung der Menschen zu Gott (wie bei Ritschl), bzw. einer ›Kräftigung ihres Gottesbewußtseins‹ (nach Schleiermacher) gesehen wird, sondern in einer von Gott her ins Werk gesetzten Veränderung der Wirklichkeit selber. Diese Veränderung der Wirklichkeit besteht in der Überwindung des Todes als der endgültig von Gott trennenden Sündenfolge im Kreuzestod Jesu Christi. 120 LV 253. 121 Ebd. 122 Ebd. 123 So ebd. 124 AaO 258. 125 AaO 332ff. 126 AaO 347ff. 127 AaO 377ff. 128 AaO 413ff. 119
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
schließlich nach dem aus solcher Versöhnung hervorgehenden »Glaubensleben und Lebenswandel«129. Wir beschränken uns hier wiederum auf die entscheidenden Aspekte. a) Die Person des Versöhners Das Subjekt der Versöhnung ist Gott. Denn in der Bibel wird, so Kähler, »Gott selbst der Vollzug der Versöhnung zugeschrieben […], wo überhaupt der Handelnde genannt ist«130 . Und Kähler fügt hinzu: »Alle rettenden Handlungen werden im neuen Testamente Gott, dem Vater unsres Herrn Jesu Christi, als dem eigentlichen Urheber zugeschrieben«131. Dadurch weist Kähler die anselmische Auffassung als unbiblisch und unmaßgeblich ab, Gott sei »der Gegenstand versöhnender Einwirkung«132 , also nicht Subjekt, sondern umgekehrt das Objekt der Versöhnung. Damit stellt sich die Aufgabe, den Bezug dieses versöhnenden Handelns Gottes auf Jesus Christus herzustellen. »Und hier« – so Kähler – »hat es wesentlichen Einfluß, ob man den Standpunkt für die Betrachtung außerhalb oder innerhalb des kirchlichen Dogma nimmt.«133 Geht man vom kirchlichen Dogma aus, das für Kähler mit dem Bekenntnis zur Gottheit Christi im Johannesprolog seinen Anfang nimmt134 , ist »alles Handeln des fleischgewordenen Wortes [als] Handeln Gottes« zu verstehen135. Was das fleischgewordene Wort, Christus, tut, »fällt letztlich durchaus auf Gottes Seite und nicht auf die unsre«136 . Christus also ist die Person, die die Versöhnung der Welt vollzieht, deren Subjekt Gott ist und bleibt137. Indem Kähler die Versöh129
AaO 429ff. AaO 347. 131 AaO 347, Anm. 2. 132 AaO 349. 133 AaO 350. 134 So aaO 351. 135 Ebd. 136 Ebd. Kählers Insistieren auf dem Standpunkt des »kirchlichen Dogmas« wendet sich ausdrücklich auch gegen das Verfahren W. Herrmanns, »die Menschwerdung Gottes als einen ›Glaubensgedanken‹ hinterher aus dem persönlichen Thatbestand des Versöhntseins bei jedem einzelnen zu erschließen.« (Ebd.) Ohne die Voraussetzung des »Dogma(s) von der Gottheit Christi […] scheint jede Mittlerstellung Jesu die Urheberschaft Gottes zu beeinträchtigen, sobald solche Vermittelung mehr bedeutet, als eine Uebermittelung von Gott her an die Menschen.« (ebd.) Mit der Auffassung von der Gottheit Christi in der Entfaltung des Versöhnungsgedankens nicht anzufangen, bedeutet also in der Konsequenz, daß der Gedanke nicht streng durchgehalten werden kann, Gott allein sei das Subjekt der Versöhnung der Welt und des Menschen. Denn dann muß notwendigerweise dem Menschen Jesus eine Qualität eignen, die es erst ermöglicht, den Gedanken der Versöhnung der Welt mit Gott mit ihm zu verbinden. 137 Subjekt heißt hier: das Geschichtsmächtige, das aber der Person als der Trägerin des Individuellen und Kontingenten bedarf, um überhaupt geschichtlich zu werden. Geschichtlichkeit heißt bei Kähler grundsätzlich Gegenwartsbedeutsamkeit. Die Person stellt also die130
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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nung so als Gottes Tat im Lebenswerk der Person Jesus Christus begreift, ist deren geschichtlicher und damit wirklichkeitsverändernder Charakter mitgedacht: »Es ist also ein Vorgang in der Geschichte gemeint, der etwas in dem Verhältnisse Gottes zur ganzen Menschheit geändert hat. Ausgeschlossen soll dadurch die Vorstellung sein, daß man durch diesen Vorgang lediglich eine neue Anschauung über Gottes allzeit gleiche Stellung zur Menschheit gewinne.«138 b) Der Vollzug der Versöhnung Der Versuch einer systematischen Erarbeitung des Vollzugs der von Gott in Christus ins Werk gesetzten Versöhnung ist zunächst mit der Vielfalt der biblischen Auffassungen über die Art Weise, wie denn die Versöhnung der Welt durch Gott zustandegekommen ist, konfrontiert. Diese biblische Vielfalt darf nicht einfach nach Gutdünken reduziert werden, denn »(g)egenüber dem maßgebenden Gottesworte kann die Aufgabe der Theologie nicht in einer Auswahl nach einem Geschmacksurteile bestehen; sie ist vielmehr in wohl begründeter Umfassung und Zusammenfassung zu erkennen«139. Diese setzt wiederum »zuerst einen Einheitspunkt voraus«140 . Den sieht Kähler im Neuen Testament »zweifellos gegeben, denn wo das Thun Gottes in Christo gepredigt wird, da bildet der Ausgang und Grundzug die anlockende Zuwendung Gottes zu den Sündern, während sie sich, dem Tode verfallend, des Gegenteils zu versehen haben.«141 Die neutestamentliche Vielfalt des Redens von der Versöhnung legt ausschließlich diesen einen Gesichtspunkt auseinander; es handelt sich durchweg um »Anthropomorphismen«142 , die dem Alten Testament entstammen und sich der Anwendung in der Beschreibung des Neuen Bundes zwar schon allein aufgrund der gemeinsamen Bildersprache143 empfehlen, von Kähler aber in einem qualifizierten Sinne als Vorbilder verstanden werden, in denen »etwas von Ursächlichem mitgedacht (ist); irgendwie empfängt das Abbildende […] von dem andern sein Gepräge. Diese Beziehung nimmt nun das neue Testament zwischen den beiden Bundesstiftungen an.«144 Auf dieser methodischen Grundlage, mit der Kähler die inhaltliche Einheit des gesamten biblischen Zeugnisses im Hinblick auf die Versöhnungslehre zur Geltung gebracht und jenigen Bezüge des Subjekts auf Zeit und Welt her, die es zum wirksamen (und leidenden) Partizipanten der Geschichte machen, die durch eben diese seine Partizipation mitkonstituiert wird. 138 AaO 369. Damit wendet sich Kähler dezidiert gegen den Schleiermacher-Ritschlschen Typus der Versöhnungslehre. 139 AaO 376. 140 Ebd. 141 Ebd. 142 Ebd. und öfter. 143 So aaO 378. 144 Ebd.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
jeder vereinseitigenden und verkürzenden Auswahl entgegengetreten sehen will, diskutiert er nun die Begriffe von der Sühne, dem Opfer, der Strafe und der Stellvertretung. Kähler fragt also, wie das Leben Christi, »zumal in seinem Ausgange«145 , es vermocht habe, die Sünde zu beseitigen, die es dem Menschen verwehrt habe, »sich seines Verhältnisses zu Gott zu trösten«146 . Aussichtsreich scheint ihm bei der Suche nach einer Antwort – wie er in seiner »Lehre von der Versöhnung« niemals müde wird zu betonen – allein »das Unternehmen, sich nach der biblischen Antwort umzusehen«147. Um seine Skizzierung dieser Antwort nachzuvollziehen, mag es sinnvoll sein, sich zunächst seinen Überlegungen über den grundsätzlichen Stellenwert des Todes Jesu im Verhältnis zu seinem Leben einerseits und seiner Auferweckung andererseits zuzuwenden. aa) Der Kreuzestod Jesu: Ziel seines Lebens und erste Hälfte des Ostererlebnisses Kähler diskutiert dieses Problem im Zusammenhang seiner Ablehnung des Satisfaktionsparadigmas, das den Tod Jesu vergegenständliche und damit der Möglichkeit seiner Heilsbedeutung für andere gerade beraube. Zwar »entspricht die Heraushebung des Leidens zum Tode dem Zeugnisse der Schrift«148 , aber eben die ausschließliche Betonung des Todes Christi schießt über das Ziel hinaus, denn Jesu »Leiden zum Tode hat seine Bedeutung nur, weil es diese Person mit der besonderen Beschaffenheit und dem einzigartigen Berufe trifft. Daß Jesus so stirbt, ist nur der entsprechende Abschluß seines bisherigen Seins, Wandelns und Erlebens«149. Die Satisfaktionsvorstellung dagegen faßt den Tod Jesu rein sachlich150 , isoliert ihn vom Personsein Jesu und kann ihn auf diese Weise gar nicht als geschichtliches Faktum, d.h. als Ereignis in seinem Gegenwartsbezug, würdigen. Genau darauf aber kommt es an, wenn dem Tod Jesu eine Bedeutung für andere beigemessen werden soll, und folglich liegt Kähler alles daran, den Tod Jesu Christi als Moment seines personhaften Leben überhaupt zu verstehen. Vor allem der Zusammenhang des Todes mit der Auferstehung ist unbedingt festzuhalten151. Kähler bezieht den Kreuzestod Jesu Christi sowohl auf das ihm vorangegangene Leben Jesu als auch auf seine Auferstehung. Damit will er dem neutestamentlichen Zeugnis entsprechen, denn dieses »erkennt die Bürgschaft für den Heilsglauben in ihm selbst, in seiner Person; dabei ist dann in die in ih-
145 146 147 148 149 150 151
AaO 379. Ebd. Ebd. AaO 386. Ebd. So aaO 387. So aaO 386f.
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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rer Erhöhung wirksame Person, an den Herrn im Gottesreiche gedacht«152 . So rückt auch an dieser Stelle wieder die eigentliche Motivation des Kählerschen Denkens in den Blick: es geht ihm um die Heilsgewißheit des Glaubenden, die durch nichts und niemanden verbürgt wird, als durch das Heil in Person selber: Jesus Christus, den auferweckten und erhöhten Gekreuzigten. Deshalb will Kähler seine Integration des Kreuzestodes Jesu in das gesamte personhafte Leben Jesu auch nicht als dessen Nivellierung verstanden wissen. Kreuz und Tod Jesu sind nicht einfach »ein Zug seiner Lebensführung […], wie andre einzelne Züge auch«153, denn dem Neuen Testament zufolge »hat Jesus gelebt, um am Kreuze zu sterben«154. Der Kreuzestod wird also als Ziel des Lebens Jesu verstanden, und als solches ist er »in lebendigem Zusammenhange die reife Frucht der zu ihm führenden Entwickelung«155. Denn am Kreuz wird deutlich, »daß Jesus Christus in Person die Sühne […] sei«156 . Dem biblischen Zeugnis wird man nach Kähler jedoch nur gerecht, wenn »dieses Sterben zugleich als erste Hälfte des Ostererlebnisses erkannt wird. Und demgemäß hat das Kreuz seine volle Bedeutung erst in dem auferstandenen Gekreuzigten«157. Und Kähler fügt hinzu: »Was er uns war, ist und bleibt, das ist er voll und ganz durch diesen besonderen Tod in seiner Auferstehung geworden.«158 Mit diesen Äußerungen ist der Kreuzestod Jesu klar als Ort bezeichnet, an dem die Versöhnung der Welt durch Gott zur Entscheidung kommt, indem eben am Kreuz Jesus Christus »in Person die Sühne« geworden ist. Die Auferweckung (die für Kähler mit seiner Erhöhung gleichbedeutend ist) gewährleistet die jeweilige Gegenwärtigkeit des Gekreuzigten und stellt somit den geschichtlichen Zusammenhang zur Gegenwart der Glaubenden her, der dem Kreuz seine Bedeutung als Heilszeichen für alle Menschen sichert. bb) Der Opfergedanke Paulus hatte die Versöhnung mit dem als Blutsühne verstandenen Tod Christi verbunden. Dadurch ist man nach Kähler »auf die sühnenden Opfer des alten Bundes gewiesen«159. Diese zeichneten sich dadurch aus, daß sie auf Anordnung Gottes als Mittel veranstaltet wurden, »um den Sünden ihre störenden Folgen für das Verhältnis zu ihm [sc. Gott] zu benehmen«160 . Nun ist es aber die Eigenart der in allen Religionen üblichen Opfer, daß der Mensch »in ihnen 152
AaO 386. AaO 387. 154 Ebd. 155 Ebd. 156 Ebd. 157 Ebd. J. Rohls spricht von der ›Ratifizierung‹ des christlichen Versöhnungsgeschehens durch Gott in der Auferstehung Christi (so Rohls, Theologie II, 95). 158 Kähler, LV, 387. 159 AaO 379. 160 Ebd. 153
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
Gotte dar[bringt], was er vermag oder mag«161. Genau dieser Aspekt aber kann verdunkeln, worum es im Verhältnis des Menschen zu Gott eigentlich geht: Denn »[s]o gewiß der Schöpfer überhaupt nichts bedarf und das Geschöpf nichts besitzt, das es ihm nicht verdankte, ebenso gewiß kann hier von keiner Darbringung die Rede sein, die man nicht schuldete, oder deren Möglichkeit und Inhalt man nicht eben von ihm hätte. […] Deshalb kann von einer Darbringung an Gott nur die Rede sein, wenn Gott sie gebietet oder verstattet; und er thut das nicht, weil er dessen bedürfte, sondern lediglich dem Menschen zum Frommen.«162 Es kann also beim religiösen Opfer – sofern dieses wirklich als Moment der Beziehung des Menschen zu Gott verstanden wird – nicht darum gehen, daß der Mensch meinte, aus seiner vermeintlichen Fülle Gott etwas geben zu können oder zu müssen, dessen dieser in seinem vermeintlichen Mangel ohne das von Menschen veranstaltete Opfer entbehren würde. Sondern »das Entscheidende des Opfers [liegt] in dem Gehorsam, und aller Gehorsam leistet mehr als ein Opfer, welches nicht aus der Gesinnung eines umfassenden Gehorsams, nicht aus der Willigkeit zur Erfüllung des ersten Gebotes hervorgeht«163. Es ist also der »Gehorsam gegen den bekundeten Gotteswillen«, der »das Eigentliche des Opfers« ist164. Von dieser phänomenologischen Beschreibung des religiösen Opfers aus versteht Kähler die Verbindung, die das Neue Testament zwischen der von Gott gebotenen Sühne und dem leidenden Gehorsam Christi, seiner »Passion bis an das Kreuz hinan«165 herstellt. Denn der »schuldbewußte und seines Willens nicht mächtige Mensch hat keine Aussicht, sich selbst opfern zu können. Ihm ist der einzige Weg zum Ziel aller Religion, zur Gemeinschaft mit Gott versperrt: die Erfüllung des ersten Gebotes. Er kann nicht Gotte nahen, und das heißt: ein Priester sein. Jesus hat das erste Gebot und in und mit ihm alle Gebote erfüllt; er ist dem Willen seines Vaters gerecht geworden, sowohl wie er ihm seine allgemeine Menschenpflicht und seine besondre Berufspflicht vorhielt, als wie er ihm seinen Weg unter Leiden fügte; und dieses Dulden fällt mit seiner Berufspflicht zusammen. Jesus ist seinem Wesen nach Priester, weil er sich opfern konnte und geopfert hat, solange er atmete. Das gipfelt in seinem Leiden und Sterben. Das ist sein Opfer.«166 Die Möglichkeit, daß Jesus überhaupt in der Erfüllung des Ersten Gebotes den von Gott geforderten und Gott geschuldeten Gehorsam durchhalten konnte, ohne sich selber Gott schuldig zu bleiben, ist bei Kähler der Sache nach
161 162 163 164 165 166
AaO 380. Ebd. Ebd. AaO 381. AaO 382. AaO 382f.
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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in dem oben schon erwähnten Inkarnationsgedanken, der sich in das kirchliche Dogma von der Gottheit Jesu Christi hinein verlängert, begründet. cc) Der Gedanke des stellvertretenden Strafleidens Jesus löst in seinem Sterben – so Kähler – »seine Aufgabe für die Menschheit«. Das ist der Sinn des pro nobis, in der »kirchlichen[n] Sprache« mit dem Begriff der Stellvertretung bezeichnet167. Worin Jesus uns vertritt, ist das Erleiden des Todes als der »Strafe für unsre Sünde«168 . Dabei ist es für Kähler zweitrangig, ob man von Strafe oder von Sühne redet: »Sühne und Strafe, beide sind Mittel, von Gott geordnet, um die Bundesordnung der Sünde gegenüber in Geltung zu halten.«169 Möglich ist solche sühnende bzw. strafleidende Stellvertretung aufgrund der Voraussetzung eines »persönlichen, auch vor Gott geltenden Zusammenhange[s] zwischen Vertreter und Vertretenen«170 . Kähler versteht einen solchen Zusammenhang als Teil einer »göttliche[n] Grundordnung der Personenwelt«171, die im göttlichen Heilswerk, d.h. im Blick auf Jesus Christus von ihrer sündhaften Entstellung befreit und wiederhergestellt ist. So kann Kähler sagen: »Hat es nun je gewachsenes und erworbenes Recht, wie gleichermaßen Pflicht zur Vertretung gegeben, so hat es im umfassendsten Maße Jesus für das Verhältnis der Menschheit zu Gott geeignet.«172 Wichtig ist für Kähler hier die Verbindung des göttlichen Heils- mit seinem Schöpferhandeln; jenes setzt dieses in Kraft. Erst das ist die Voraussetzung dafür, in Jesus mehr als »nur den einzelnen religiösen Mustermenschen mit einer Nachwirkung in der Gestalt einer positiven Religion«173 zu sehen. Die Bibel nämlich – immer wieder begegnen uns Kählers Verweise auf die Schrift als letzte und höchste Instanz, deren Wort die theologische Argumentation im Nachhinein begründet, vollendet und abschließt – erkennt in Jesus »die wirksame persönliche Zusammenfassung der Menschheit, die Neubegründung ihrer Einheit und hat die Zuversicht dazu, weil sie aus seiner Herrenstellung seine Einheit mit dem Mittler der Schöpfung erkennt«174. Jesu Stellvertretung der ganzen Menschheit, sein »Universalismus«175 , ist durch seinen »Individualismus«176 vermittelt. Dieser Gedanke ist auch auf seinen Tod anzuwenden, der »Anteilnahme an unsrem Lose in seinem wesentlichen Grundzuge und von allgemeiner Bedeutung«177 ist. 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177
AaO 387. AaO 388. Ebd. AaO 389. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 390. Ebd. Ebd. AaO 391.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
Dieses ›unser Los‹ ist nun aber nichts weniger als der »Tod als Folge der Sünde, als ihr Ergebnis, mit dem sie ihren Söldner ablöhnt«178 . Dieser Tod stellt seinem Wesen nach die »Herauslösung aus [der] zuvor- und entgegenkommenden Darbietung des lebendigen Gottes zur Gemeinschaft«179 dar. Darum wird er mit Recht Strafe genannt, denn Strafe ist die schädigende und spürbare Folge für den Bruch von Lebensordnungen zwischen Personen und auch in besonderer Weise für den Bruch der Lebensordnung zwischen Gott und Mensch. Erst der Glaube an den Auferstandenen gibt dem Verständnis des Todes einen anderen Schwerpunkt als den der Strafe: dem Glaubenden – und auch ausschließlich im Glauben! – »wird er zu einem Fortschritt in dem Laufe eines nicht mehr zu unterbrechenden Lebens, ohne darum auch für sie dem Sterben den Zug des Uebels durchaus zu nehmen«180 . So ist Jesus also den Tod der Sünder gestorben, um ihn »für die Seinigen umzuwandeln«181, und das heißt: Den Glaubenden trifft der Tod nicht mehr als Sündenstrafe. Auf die Frage, ob Jesus in seiner von Kähler stets vorausgesetzten Gottessohnschaft denn überhaupt den Tod der Sünder gestorben sein könne – woran ja die Durchschlagskraft des Stellvertretungsgedankens hängt – antwortet Kähler allerdings ausweichend: Jesus hat es – so Kähler – »in seinem Tode eben mit dem Sterben zu thun, wie Sünder sterben«182 . Er hat in seinem Tod am menschlichen »Lose Anteil genommen, obwohl es nicht das seine hätte sein können, wenn das nicht die Aufgabe seines messianischen Berufes gewesen wäre«183. Den Tod der Sünder zu sterben bzw. ihn als die Sünde selber zu sterben, »ist ihm nicht nur Geschick, sondern vielmehr Beruf«184. Beruf – das bedeutet, daß Jesus der Tod der Sünder nicht als Konsequenz der eigenen Sünde widerfährt, sondern aufgrund des Willens Gottes. Unter Bezugnahme auf 2 Kor 5,21 unterstreicht Kähler, daß Jesus »von Gotteswegen gestorben [ist], wie wir Sünder sterben; und der Grundzug dieses Sterbens ist eben, um der Sünde willen zu sterben; von Gotteswegen die Folgen der Sünde im Sterben zu erdulden«185. Die Kategorie des »Berufes«, also der göttlichen Anordnung, ermöglicht Kähler auch die Entkräftung des Einwandes, daß der Sündentod »für den sündlosen Jesus eine sittliche Unmöglichkeit«186 gewesen sei. Denn dem »Beruf«, diesen Tod zu sterben, korrespondiert auf Jesu Seite die »Willigkeit«, diesen Beruf zu erfüllen187: »Mit dem Innersten restlos hineingelebt in unser ganzes Geschick stirbt 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187
AaO 393. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 396. Ebd. Ebd. AaO 397. Ebd. So aaO 400.
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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der Menschensohn willig den Tod der Sünder und bekommt zu erfahren, was eigentlich Sterben sei, indem der Vater ihm die letzte und wesenhafte Folge der Sünde zu ertragen gibt.«188 Kähler beantwortet die Frage nach der Möglichkeit des stellvertretenden Sühnetodes für die Sünde aller Menschen also implizit dadurch, daß er, statt den Tod Jesu auf sein ›Wesen‹ als dem sündlosen Gottessohn zu beziehen, auf den göttlichen Auftrag Jesu, seinen »Beruf« verweist, der ihm eben diesen Tod zur Aufgabe machte, die Jesus seinerseits in Gehorsam gegen Gott übernommen hat. An dieser Stelle berühren sich der Stellvertretungs- und der Opfergedanke. Denn in der willigen und gehorsamen Erduldung der Sündenstrafe durch Jesus zeigt sich »das darin sich vollziehende Handeln«189, das als persönliches Handeln Jesu eben »das vollkommene Opfer«190 ist. Denn »[p]ersönlicher Gehorsam ist es, das erste Gebot zu erfüllen. Das setzt die Liebe vor den Gehorsam, das Persönliche vor die Sache. Persönlicher Gehorsam, so verstanden ist Opfer. Und so betrachtet ist Jesu Lebensausgang im vollsten Sinne Opfer.«191 Indem Kähler auf diese Weise den Aspekt des stellvertretende Sündertodes Jesu, der auf Gottes Anordnung hin geschieht und dessen Frucht die Versöhnung der Welt und des Menschen mit Gott ist, so daß »forthin keiner mehr zu sterben brauch[t] ohne Gott«192 , ganz in den Mittelpunkt stellt, also den Tod Jesu und seinen Ertrag für den Menschen streng in den theologischen Kategorien von Sünde (sc. Geschiedenheit von Gott) und Versöhnung (sc. erneut geschenkte Gemeinschaft mit Gott) faßt, treten ihm die äußeren Aspekte des Todes Jesu in den Hintergrund. So warnt er vor dem in Karfreitagspredigten und Passionsdichtungen zu beobachtenden Phänomen, die Schilderungen von Jesu gewaltsamem Tod »in der Höhe des Lebenslaufes, mit dem klaren Blick in die Erfolglosigkeit des Wirkens, versalzen durch mißkennenden Haß und jämmerliche Untreue, Verbrechertod voll Hohn und Schmach«193 zu übertreiben. Mit der Warnung vor Übertreibungen an dieser Stelle stellt sich allerdings die Frage nach einem angemessenen Umgang mit dem, was über die äußeren Umstände von Jesu Tod überliefert ist, d.h. die Frage nach dem Identifikationspotential, das dem Glaubenden das Tragen eigenen Leidens erleichtern bzw. mit Sinn zu füllen vermag.
188 189 190 191 192 193
Ebd. AaO 406. Ebd. AaO 406f. AaO 167. AaO 397.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
c) Die Versöhnten Wer ist nun durch den leidenden Gehorsam Jesu in seinem Kreuzestod, der als Gehorsam nicht bloßes Widerfahrnis, sondern aktive Tat war, versöhnt worden? Kähler stellt diese Frage unter der Alternative »Kirche oder Welt?«194 , um sogleich darauf hinzuweisen, daß es Paulus bei der Rede von der Versöhnung gerade nicht allein um die erlöste, sondern um die »natürliche Menschheit« gehe, »die fortan für den neuen Bund der Gerechtigkeit nicht in Gottesvolk und Heiden geteilt bleibt«195. Und weiter: »An die Stelle des Volkes Gottes ist die Menschheit Gottes getreten und jeder einzelne erhält nun Vollmacht, in sie hinein Gottes Kind zu werden. Das Kreuz hat die alte Menschheit dem Tode geweiht, sofern sie […] in Offenbarungsgemeinde und in das Menschentum, welches auf eignen Wegen läuft, [geschieden war]. An ihre Stelle ist ein neues Menschenwesen, eine neue Menschheit, eine neue Schöpfung getreten. Das ist die mit Gott versöhnte Welt«196 . Die Versöhnung der Welt, verstanden als ›neue Menschheit‹, ist für Kähler damit eine objektive Gegebenheit, die im Faktum des Kreuzestodes Jesu wurzelt. Das systematische Problem stellt sich dann als Verhältnis der Partizipation an der versöhnten Menschheit und dem Werden eines ›Kindes Gottes‹ – dogmatisch gesprochen: als Verhältnis von Versöhnung und Rechtfertigung, d.h. als Verhältnis der objektiv am Kreuz geschehenen Menschheitsversöhnung mit der Rechtfertigung des einzelnen in dieser Menschheit. Kähler versucht, dieses Problem im Paradigma Universalismus-Individualismus zu fassen. Jesu »Weg zum Universalismus geht durch den Individualismus, sein Weg zur Menschheit durch jeden Menschen«197. Dieser Weg Jesu zum Universalismus geht also »seit Jesu Fleischestagen« durch den Individualismus, d.h. durch Jesu Ansprache einzelner Menschen198 hindurch. Durch die Lozierung des Universalismus-Individualismus-Paradigmas in Jesu Erdenleben wird allerdings das Kreuz Jesu seiner entscheidenden Stellung im Verhältnis von Versöhnung und Rechtfertigung faktisch wieder entkleidet. So bleibt eine unaufgelöste Spannung zwischen diesem Gedanken und dem im gleichen Atemzug mit dem Kreuz verbundenen Gedanken, der sich dem Einzelnen zuwendende Individualismus Jesu setze »die Gottesthat voraus, welche von dem Particularismus des alten Bundes zu dem Universalismus des neuen überführt«199.
194 195 196 197 198 199
So aaO 413. Ebd. AaO 415. AaO 93. AaO 415. Ebd.
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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d) »Königsherrschaft des Gekreuzigten«: Glaubensleben und Lebenswandel der Versöhnten Kählers Spitzenaussage zum Verhältnis der versöhnten Welt zum Kreuz Christi findet sich in dem Abschnitt seiner »Lehre von der Versöhnung«, die dem »Glaubensleben und Lebenswandel« gewidmet ist 200 , fast beiläufig eingestreut: »Die mit Gott versöhnte Welt ist die Welt, wie sie unter der Königsherrschaft des Gekreuzigten steht, ist die in Christo befaßte Welt. Und den einzelnen Menschen wird diese Versöhnung nicht zwangsmäßig angetan, auch nicht auf geschichtlichem Wege, wie es uns Modernen mit der Bildung widerfährt. Versöhnung wird im Wort angeboten und sie wird angenommen, wo es zum Glaubensgehorsam kommt. In dieser Thatsache des persönlichen Lebens spiegelt sich die Thatsache wieder, daß der Universalismus Jesu sich durch den Individualismus vermittelt hat.«201 Die bereits am Kreuz geschehene (und in der Auferweckung als solche sichtbar gemachte) universale Versöhnung wird persönlich, d.h. individuell, zugeeignet; für Kähler ist eben die Rechtfertigung »der zueignende Vollzug der Versöhnung mit Gott an den einzelnen Sündern, und das gibt allem Leben und Treiben der Christen als solcher seine eigentümliche Art«202 . Was Jesus ›für alle‹, und d.h. in universaler Bedeutsamkeit getan hat, gewinnt im Leben des Einzelnen seine jeweilige individuelle Gestalt. Dessen »eigentümliche Art« wiederum besteht in der christlichen Freiheit: »der rechtfertigende Glaube begründet die Freiheit eines Christenmenschen, eben indem er die Versöhnung aneignet«203. Damit stehen wir vor der Frage, ob und inwiefern Kählers Beschreibung des Glaubenslebens und Lebenswandels, also des Stehens und Gehens in der christlichen Freiheit, »aus der Versöhnung heraus«204 mit dem Kreuz Christi verknüpft ist, inwiefern Kähler also mit seinem Begriff von der »Königsherrschaft des Gekreuzigten«205 ernst macht. Auf jeden Fall gibt für Kähler Galater 2,20 das Paradigma für die Verbindung von Versöhnung und Lebenswandel bzw. Glaubensleben ab – in Kählers Paraphrase durch die ausdrückliche Erwähnung des Gekreuzigten akzentuiert: »Der Gekreuzigte, in dem Gott die Welt ihm selber versöhnt hat, ist dem Paulus sein Leben; durch den Glauben an ihn trägt und zieht er es in sich; Christi Geist, der dieses Lebens Odem ist, ist auch seines Wandels bestimmender Trieb. So ist es gemeint, wenn erst von Glaube, Leben und Wandel, hier […] aber von Glau-
200 201 202 203 204 205
AaO 429–460. AaO 445. AaO 428. AaO 455. AaO 429. S.o. und vgl. aaO 445.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
bensleben und Lebenswandel geredet ist. Das ist nicht dreierlei, es ist eines; aber dieses eine Leben in den Regungen, ohne die es eben nicht Leben wäre.«206 Dem Glauben kommt hier die Funktion der Gelenkstelle zwischen dem Gekreuzigten und dem in ihm wurzelnden Leben zu; der Glaube aber ist Kähler »nicht bloß eine fromme Weltanschauung, ein trotziges idealistisches Doch gegenüber den zwingenden Augenscheinlichkeiten der Weltbetrachtung«207 und auch nicht nur eine »Stellung der Seele«208 . Vielmehr ist er »ein persönliches Verhalten zu persönlichem Verhalten«209. Kählers Insistieren auf der Personalität des Versöhnungsvollzuges im leidenden Gehorsam Jesu Christi hatten wir oben ja bereits deutlich herausgearbeitet. Der Glaube ist nun die persönliche Tat, die auf Seiten des Menschen der ›objektiven‹ Versöhnungstat Christi korrespondiert. Überhaupt begreift Kähler den Glauben ganz und gar auf der Grundlage einer persönlichen Beziehung zwischen Christus und dem Menschen 210 . Das wird vor allem dort noch einmal deutlich, wo er im Anschluß an die Reformatoren das Moment des Vertrauens als Spezifikum der fides specialis gegenüber einer »allgemeinen religiösen Denkweise« (der fides generalis) herausstellt211. Denn »Vertrauen kommt nur in Frage, wo das Ergebnis an sich unberechenbar ist und doch bestimmt erwartet werden darf. Das aber trifft ein bei einer Person und dem Geheimnis ihres Inneren und ihres Handelns. Vertrauen hat seine Stelle nur gegenüber dem verläßlichen Wollen und dem zweifellosen Können einer Person, die uns Bürgschaft genug für sich selbst leistet. In diesem Sinne […] gibt es Glauben an Gott nur im Christentum und hier nur, weil Gott in Christo der Versöhner ist«212 . Welche kreuzestheologischen Akzente setzt 206
Ebd. AaO 430. 208 Ebd. 209 Ebd. 210 Daß mit der Personalität des Verhältnisses von Gott und Mensch in Vollzug, Offenbarung und glaubender Zueignung der Versöhnung Kählers theologischer Denkgestus in seinen tiefsten Voraussetzungen angesprochen ist, hat sehr überzeugend J. Wirsching herausgearbeitet. Nach Kähler könne gar nicht hinter die vorausgesetzte Einheit des Selbstbewußtseins zurückgefragt werden (so Wirsching, Gott in der Geschichte, 78). Denn dann verflüchtige sich neben der Person auch Gott in Jesus als der Gegenstand der Theologie. Denn der »kommt in den apersonalen Wirklichkeitsbereichen nicht vor, er besteht nur für die Konkreta eines individuellen Selbstbewußtseins. Mit der Icheinheit des menschlichen Personbewußtseins ist zugleich das Personsein Gottes gewahrt, wie er es in Jesus kundgibt. Die Theologie hat es darum nicht mit Gedanken oder Begriffen zu tun, sondern einzig mit lebendiger ›Wechselbeziehung‹, mit personalem Ineinandergreifen von Gott und Mensch auf dem Boden freiheitlicher selbstwertender Individualität« (aaO 78). 211 Kähler, LV, 434. 212 Ebd. Vgl. hierzu auch H. Leipold, Offenbarung und Geschichte, 159: »Die Offenbarung begegnet in der Geschichte, weil die Geschichte das persönliche Lebensgebiet des Menschen ist, und weil sie den Menschen gerade in seinem Personsein betrifft. Das Verstehen des Offenbarungsgeschehens vollzieht sich also im Rahmen der mit der Personhaftigkeit und Geschichtlichkeit des Menschen gegebenen Grenzen.« In diesem Umstand ist Kählers »in207
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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Kähler nun bei seinem Versuch, die Übersetzung dieses Glaubens in die einzelnen Lebensvollzüge, in die »Regungen« (s.o.) des Glaubenslebens, hinein zu beschreiben? Grundlage des Lebens aus Glauben ist die Tatsache der Versöhnung, die in der Rechtfertigung persönliche Aneignung findet, indem der Glaubende sich »der Sünde tot achten«213 darf. Den »Weg, den rechtfertigenden Glauben an Jesum zu fassen, hält uns die Taufe in seinen Tod hinein vor; diesen Weg, den Glauben immer neu zu gründen und stärken, bis in der Wiederkunft Christi aus dem Glauben Schauen wird, weist uns das Herrenmahl in dem Blute des neuen Bundes«214. Kähler betont hier unter Anspielung auf Römer 6 und unter Anknüpfung an das Symbol des sühnenden Blutes diejenigen Aspekte der Sakramente Taufe und Abendmahl, die mit dem Kreuzestod Jesu in Verbindung zu bringen sind. Aber das ist nicht der einzige und auch nicht der zentrale Aspekt in Kählers Überlegungen, der bei seiner Darstellung des Glaubenslebens sich ohnehin lieber paraphrasierend an eine Fülle von Bibelworten anschmiegt215 , anstatt hier eine stringente Systematisierung vorzunehmen. Die kreuzestheologische Perspektive wird von ihm rasch wieder verlassen, denn indem er sich Römer 7,21ff und Galater 2,19f zuwendet, rückt ihm die Auferwekkung Jesu ins Blickfeld. So wird nun gerade die für das Leben des Glaubenden zentrale Heilsgewißheit nicht mehr mit dem Gedanken des Kreuzes verbunden, sondern mit der Auferweckung Jesu: Der Glaubende kann sich des Heiles gewiß sein, »wenn im Glauben an den Auferstandenen das Recht gewonnen ist, sich tot zwar den Sünden, zugleich aber lebend in Christo zu achten«216 . Ähnlich äußert sich Kähler auch zur Anfechtung in Todesfurcht: Auch sie wird durch die Erinnerung an den »Auferstandenen, an seine eintretende Fürbitte und an seinen Geist, der in uns ruft«217, überwunden, der »denen, die in der Versuchung befangen sind, zu helfen [vermag], niedergesessen zur Rechten Gottes, allzeit lebend, um für sie einzutreten«218 . Kählers Oszillieren zwischen dem Verweis auf den Gekreuzigten einerseits und den Auferweckten bzw. Erhöhten andererseits ist allerdings keinesfalls so zu verstehen, als solle der eine gegen den anderen Aspekt der Person Jesu ausgespielt werden. Vielmehr ist es sein Interesse, Kreuz, Auferweckung und Erhöhung Jesu zusammenzudenken, mithin also die Einheit seiner sich bis in die Gegenwart des Glaubenden erstreckende geschichtliche Wirksamkeit und danere Zuordnung der Geschichtlichkeit des Menschen und der geschichtlichen Offenbarung zueinander« (ebd., im Orig. kursiv) begründet. 213 Kähler, LV, 438. 214 Ebd. 215 Kählers Text ist durchsetzt von Fußnoten, in denen er seine Gedanken an jeweils genau bezeichnete Bibelstellen zurückbindet. 216 AaO 439. 217 AaO 440. 218 AaO 441.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
mit die Einheit seiner Person selber gewahrt zu wissen: »Droben zur Rechten Gottes derselbe, wie am Kreuz; am Kreuz derselbe, wie gegenüber dem fragenden, dem angefochtenen und dem verstummenden Petrus; zu gunsten aller gestorben, damit sie bei ihrem Leben nicht ihnen selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist.«219 Auch hier ist wieder der enge paraphrasierende Anschluß an einzelne Bibelstellen (Mt 18,21; Lk 22,32; Lk 22,61; 2 Kor 5,15) auffällig. Die einzelnen die Person des Glaubenden und sein Leben gestaltenden Konsequenzen kann Kähler offenbar in großer Freiheit fast assoziativ einmal an den Gedanken der Auferstehung bzw. Erhöhung anschließen, ein anderes Mal aber mit dem Bild des Gekreuzigten verknüpfen 220 . Wenn wir zu dem oben herausgegriffenen Begriff von der »Königsherrschaft des Gekreuzigten«221 zurückgehen, so können wir festhalten, daß Kähler mit diesem Begriff Kreuz und Auferweckung bzw. Erhöhung Jesu zusammenhalten will, vor allem aber die Identität des erhöhten Auferweckten mit dem Gekreuzigten ebenso gesichert wissen will, wie die Universalität der die ganze Welt und damit auch das gesamte Leben des Einzelnen betreffenden Konsequenzen, die aus der Versöhnungstat Gottes, wie sie durch die Person Jesu Christi verwirklicht worden ist, zu ziehen sind. Im Hinblick auf die Welt bedeutet das Mission; im Hinblick auf den Einzelnen bedeutet das »Glaubenskampf« im »Glaubensgehorsam«222 .
219 AaO 440. Vgl. auch aaO 460: »Wie man das Christentum nicht haben kann ohne Christum, und zwar den gekreuzigten und zur Rechten Gottes erhöhten, so hat man Christum nicht anders, man bekenne sich denn zu ihm als zu demjenigen, in welchem Gott die Welt mit ihm selber versöhnt hat.« 220 Das beobachtete »Oszillieren« zwischen Kreuz und Auferweckung bzw. Erhöhung kann durch das von Wirsching herausgearbeitete Grundproblem des Kählerschen Denkens motiviert sein, die Wahrheit und damit auch die gegenwärtige Bedeutsamkeit des objektiven Versöhnungsgeschehens am Kreuz im subjektiven Vollzug des Glaubens zu verankern. Die notwendige Verklammerung der Heilsgewißheit im Glauben mit der Versöhnungstat Gottes am Kreuz Christi leistet aber der Gedanke der Auferweckung bzw. Erhöhung, der das vergangene Faktum des Kreuzes und die jeweilige Gegenwart des Glaubenden im Glauben synchronisiert. Wenn es sich so verhält, deckt das Kählersche Ausbalancieren des Kreuzes durch den Auferweckungs- und Erhöhungsgedanken vor allem das Problem der Glaubensgewißheit in ihrem Verhältnis zu den Tatsachen auf: Die Tatsachen sollen als Grund der Gewißheit zur Geltung kommen – doch aus der Not heraus erfahren die Tatsachen des Versöhnungsgeschehens ihre eigentliche Legitimierung aus dem Gewißheitsbedürfnis des Glaubens heraus (vgl. Wirsching, Gott in der Geschichte, 189). 221 Der Begriff selber wird von Kähler außer an der schon erwähnten Stelle (Kähler, LV, 445) nur noch im Zusammenhang der von ihm eingehend erörterten Missionsthematik (aaO 449ff) verwendet. So spricht Kähler dort vom »königliche[n] Recht« (aaO 450) zur Mission, das sich direkt aus dem der Versöhnung entspringenden Frieden ableitet, welcher der gesamten Menschheit gilt: »Von diesem Lebensganzen, von dem entfalteten und gegliederten Menschenleben gilt, unbeschadet der Aussicht auf das künftige sichtende Gericht, daß es Christi Königsherrschaft unterworfen ist« (aaO 451). 222 AaO 455.
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Unter dem letztgenannten Aspekt, nämlich dem von jedem einzelnen selber gegen die Anfechtungen des Zweifels, der »tödliche[n] Krankheit des Glaubens«223, durchzuhaltenden Glauben, gewinnt Kählers Bezugnahme auf das Kreuz bzw. den Gekreuzigten nun endlich eine wirklich spezifische Färbung. Der Glaube entfaltet sein lebensgestaltendes Potential in der christlichen Freiheit224. Hier ist er gegen äußere und innere Bedrohungen durchzuhalten. Die Freiheit des Christen aber, nicht mehr unter dem Gesetz zu sein, sondern im Glauben an den Gottessohn unter der »Norm des Geistes«225 zu leben, in »einem Wandel, der dem Gesetze gerecht wird, indem er aus der Liebe herauswächst«226 , diese christliche Freiheit gewinnt ihre ermutigende Orientierung gerade im »Vorblick auf den vorangegangenen Kreuzträger[, der] das Joch sanft und seine Gebote ›nicht schwer‹ sein läßt und so die Knechtschaft der Gerechtigkeit zur Freiheit wandelt«227. Christus wird in Kählers Ausführungen der Gestaltung der christlichen Freiheit zum Urbild und als solches dann auch zum orientierenden Vorbild für eine Haltung, die mit Geduld und größtmöglicher Konsequenz »Christus in uns zu seiner Herrschaft« gelangen läßt 228 . Christliche Freiheit gewinnt dabei ihre Gestalt in der Erfahrung, die Erfahrung von Freiheit wiederum findet ihre Orientierung in der von Christus vorgelebten Tat: »Alle Freiheit will ja von ihrem Scheinbilde durch Erfahrung unterschieden sein. Schrankenlosigkeit befreit bekanntlich nie, sondern verstrickt nur allseitig. Die Festigkeit und Sicherheit der innersten Bewegung und die Zuversicht ihrer Umsetzung in That, das ist das Urbild der Freiheit, die der Sohn gelebt hat und in uns schaffen will.«229 Kähler denkt dabei an ein »freudiges Christentum mitten in allem Ernst und Schmerz des Kampfes«230 , wie es das Neue Testament predige. Sorge auf der einen und Leichtfertigkeit auf der anderen Seite werden in diesem freudigen Christentum von dem vermieden 231, der »wirklich seine Lebensfreudigkeit allzeit 223
AaO 431. Vgl. aaO 455ff. 225 AaO 441. 226 Ebd. 227 Ebd. Vgl. auch aaO 442, wo Kähler den kreuztragenden Christus ebenfalls als ermutigendes Vorbild einer ›aushaltenden, mannhaften Hoffnung‹ darstellt: »Der Gekreuzigte ist, wenn auch nicht ohne Seufzer, seine zwölf Stunden uns vorangegangen und hat nicht beten wollen, daß der Vater die aus der Welt nehme, die er ihm gegeben hatte und die darum nicht von der Welt waren.« 228 AaO 456. 229 Ebd. 230 AaO 458. 231 Kähler hält nichts vom »ernstmeinende[n] Pietismus« (ebd.) der zur Sorge um die Seligkeit aufrufe. Sorge werde durch Ungewißheit erzeugt, das aber paßt nach Kähler nicht zum Glauben, sondern führt nur »zur Verzweiflung und zu Verzerrungen« (aaO 459). Sympathisch bleibt Kähler dessen ungeachtet »Zinzendorfs Zeugnis von der frohen Jesusliebe« (ebd.). 224
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
vor dem Kreuze sucht«232 . Dem nämlich »wird ›das Scherzen mit der Sünde wohl verleidet‹, und der wird sich der Einladung nicht entziehen können, sein Kreuz auf sich zu nehmen und dem Gekreuzigten nachzufolgen. Der lebendige Hohepriester unseres Bekenntnisses ist für alle, welche an diesem Bekenntnisse festhalten, das Gericht ihrer Sünde und die von innen heraustreibende Kraft unaufhörlicher Umgestaltung in sein Bild«233. Auffällig ist bei den letzten Bezugnahmen Kählers auf das Kreuz die Nähe zur Vorstellungswelt des Hebräerbriefes. Der Hebräerbrief hat ja gerade darin seinen Skopus in einer »parakletische[n] Christologie«234 in Form einer »Neuauslegung des Bekenntnisses zum gekreuzigten und erhöhten Christus«235 die in der Kirche erlahmte Glaubenshoffnung zu reaktivieren. Auf der Grundlage seiner realistischen Versöhnungslehre sind hier bei Kähler Spuren einer Spiritualität des Kreuzes zu spüren: der Gekreuzigte hat die Feindschaft der Welt mit Gott beseitigt und dem Glaubenden das Leben als Raum christlicher Freiheit geschenkt; im Aufblick auf Christus als den Träger des Kreuzes hat der Glaubende die feste Zuversicht, den Gefahren der von ihm zu gestaltenden Freiheit Herr werden zu können und sich auch aus dem inneren und äußeren Scheitern heraus immer wieder der Versöhnung als der »Summa des göttlichen Heilswerkes«236 getrösten zu können.
1.5. Martin Kähler als »kreuzestheologischer Vater« des 20. Jahrhunderts Der vorherrschende Gesichtspunkt, unter dem in den drei hier untersuchten Werken Martin Kählers das Kreuz Jesu Christi zur Geltung gebracht wird, ist der einer realistischen Versöhnungslehre. Am Kreuz hat Jesus stellvertretend für die ganze Menschheit das Leiden auf sich selbst genommen, das als Strafe für die Sünde eigentlich jedem einzelnen Sünder von Gott verordnet war. Dieses stellvertretende Strafleiden des Gekreuzigten hat die Wirklichkeit zwischen Gott und Mensch von Gott her grundlegend verändert: an die Stelle der drohenden Sündenstrafe ist die neue Wirklichkeit der Versöhnung getreten. Indem das Kreuzesgeschehen als wirklicher Vorgang aber einen Punkt in der Vergangenheit markiert, stellt sich Kähler die Aufgabe, das Kreuzesgeschehen in seiner gegenwärtigen Bedeutsamkeit, in der es in der Heilsgewißheit des Glaubens verbürgt wird, aussagen zu können. Dazu bedient er sich des Auferweckungsgedankens: Der Gekreuzigte begegnet dem Glaubenden als der Erhöhte. Und 232 Ebd. Die Verbindung des Kreuzes mit dem Begriff der ›Freude‹ werden wir pointiert bei dem Kählerschüler B. Steffen wiederbegegnen, s. unten Kapitel I.A.2. 233 Ebd. 234 E. Grässer, An die Hebräer (EKK XVII/1), 1990, 26. 235 Ebd. 236 Kähler, LV, 460.
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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umgekehrt: im erhöhten, lebendigen Herrn begegnet niemand anders als der gekreuzigte Christus. Glaube ist seiner Struktur nach eine Begegnung von Gott als Person mit der Person des Menschen. Kähler liegt alles an diesem Verständnis des Gottesverhältnisses als einer wirklichen, personalen, Begegnung zwischen Gott und Mensch 237. Die bei ihm durchweg begegnende Flankierung des Kreuzes- mit dem Auferweckungs- bzw. Erhöhungsgedanken hat also nicht die Funktion, dem Gedanken des Kreuzes etwa »die Spitze abzubrechen« 238 . Sondern es geht umgekehrt gerade darum, die mit dem Kreuz verbundene Verwirklichung der Versöhnung als eine auf die jeweilige Gegenwart des Glaubenden zielende Wirklichkeit aussagen zu können: nur so bleibt das Kreuz eine 237 J. Wirsching hat herausgearbeitet, daß Kähler damit in die theologische Gegenbewegung zu Hegels Panlogismus hineinzustellen ist (Wirsching, Gott in der Geschichte 99). Für Kähler gibt es nur Individuelles; diese Grundüberzeugung wendet er auch auf Gott und Mensch an: »Die wahre Gott-Welt-Beziehung ist […] die Liebe zwischen der ewigen Persönlichkeit und ihren kreatürlichen Abbildern, die nicht als das Konkrete ins Allgemeine aufgelöst, sondern in ihrem Selbstsein bestätigt und zum vollen Genusse der Gottesgemeinschaft erhoben werden. Dieses in freiheitlicher Personalität hervortretende individuelle Selbstbewußtsein ist der gottabbildende Wesenskern des kreatürlichen Seins – ein an Kant gemahnender Gedanke« (aaO 100). 238 Von daher ist W. Führer, Kreuz Christi, 43, entschieden zu widersprechen, der – unter Berufung auf E. Käsemann – behauptet, daß von »einem Ringen um die Heilsbedeutung des Todes Jesu […] bei Kähler nichts zu spüren« sei. Mindestens die Resultate solchen ›Ringens‹ sind bei Kähler wohl kaum in Abrede zu stellen – und darauf dürfte es auch wesentlich ankommen. In seinem kurzen Aufsatz befragt Führer die Theologie Kählers auf ihre kreuzestheologische Konzeption. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß Kähler »keine Kreuzestheologie, die von seiner Versöhnungs- und Rechtfertigungslehre auf der einen und seiner Christologie auf der anderen Seite ablösbar wäre« (aaO 36), entwickelt habe. Kähler habe der Kreuzestheologie – wie auch allen anderen theologischen Lehrstücken – »die Ecken und Kanten abgeschliffen« (aaO 51), indem er die Heilsbedeutung des Kreuzes nicht als solche, sondern nur »in ihrem übergeordneten Zusammenhange« zu würdigen gewußt habe (ebd.). Dieser sei durch den Begriff des »Übergeschichtlichen« markiert (so aaO 48ff), dessen Resistenz gegenüber »jedem konkreten Zugriff« (aaO 50) sich auf alle theologischen Lehrstücke auswirke: »Fragt man nach der Heilsbedeutung des Kreuzes Christi, erhält man keine präzise Antwort, sondern wird auf die Einheit des Gekreuzigten mit dem Auferstandenen verwiesen.« (ebd.) – Führers Analyse verdient aufgrund einer ganzen Reihe von zutreffenden und weiterführenden Einzelbeobachtungen durchaus Beachtung. Im Grundsätzlichen leidet sie allerdings unter dem methodischen Fehler, Kähler am Begriff einer »Kreuzestheologie« zu messen, den Führer selber gar nicht definiert. Soll denn nur eine solche Theologie »Kreuzestheologie« heißen dürfen, die das Kreuz in völliger Isolierung von den anderen christologischen Lehrstücken entfaltete? Würde nicht gerade ein solcher ›Kreuzesmonismus‹ der Rede vom Kreuz Christi die »Ecken und Kanten« abschleifen, weil sie außerhalb des christologischen Gesamtzusammenhanges gar nicht mehr hinreichend in ihrem Gehalt erschließbar wäre? Durch seine unreflektierten kreuzestheologischen Ressentiments bleibt der Bezugspunkt von Führers Kritik an Kähler dunkel. Zudem berücksichtigt Führer nicht, daß Kähler (wie wir in der Einleitung zeigen konnten) den Begriff »Kreuzestheologie« als terminus technicus bzw. als Programmbegriff noch gar nicht verwendet – »die« Kreuzestheologie scheint Kähler zumindest als Leitkategorie theologischen Denkens nicht so wie den Theologen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Blick gewesen zu sein. Deswegen ist er daran auch nicht zu messen.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
geschichtsmächtige Tatsache; nur so können Christologie und menschliche Wirklichkeit zusammengesprochen werden. Das Kreuz Christi als Ort der realen Versöhnung der Welt mit Gott ist als solches orientierender Grund der Nachfolge der Glaubenden. Jesus nachfolgen heißt, sich mehr und mehr – und idealerweise schließlich gänzlich – von der ›sündigen‹ Welt zu lösen. Der kreuztragende Christus ist Ur- und Vorbild für die Geduld und die Beharrlichkeit, die dem Christen nötig ist, um seinen Glauben als die Kraft durchzuhalten, die seinem Leben Gestalt verleiht – sowohl im Entschluß zu eigener Tat als auch im Erdulden von Leid. Denn diese Perseveranz des Glaubens wird im Blick auf den Gekreuzigten gestärkt. Kähler lehnt sich hierbei auffällig an Vorstellungen aus dem Hebräerbrief an und neigt an dieser Stelle beinahe zu einer ›Spiritualität des Kreuzes‹: der am Kreuz und auf dem Leidensweg dorthin sichtbare Versöhner wird zum Vorbild geduldiger Lebensgestaltung und zum Trost noch im Scheitern. Solche Nachfolge ist überhaupt nur möglich, weil ihre sachliche, reale Voraussetzung, die lebensumgestaltende Versöhnung des Menschen mit Gott, am Kreuz schon Ereignis geworden ist. Im Blick auf das Kreuz Christi kann der Glaubende mit fester Zuversicht auf Erfolg und in »Freudigkeit« den mühsamen, kleinschrittigen und nicht zuletzt auch in großer Geduld mit sich selbst zu gehenden Weg der Nachfolge – den »Glaubenskampf«, wie Kähler ihn in der »Lehre von der Versöhnung« nennt – beschreiten. Wir haben gesehen, daß Kähler immer wieder das Kreuz in den Mittelpunkt seines Denkens stellt. Er tut dies in der »Wissenschaft der christlichen Lehre« unter ausdrücklichem Rückbezug auf die Theologie des Paulus, wie sie in der Reformation wieder neu zur Geltung gebracht worden sei. Diesem doppelten Rückbezug auf Paulus und die Reformation werden wir im Zusammenhang mit unserer Untersuchung kreuzestheologischer Konzeptionen im 20. Jahrhundert immer wieder begegnen. Bei Kähler begegnet er im Zusammenhang einer theologischen Konzentration auf Inhalt und Bedeutung der Botschaft vom gekreuzigten Christus in dieser Deutlichkeit zum ersten Mal. Gerade auch der in seinem Aufsatz von 1911 skizzierte Gedanke einer exklusiv an das Kreuz gebundenen Gotteserkenntnis schließt der Sache nach – ohne daß Kähler das in diesem Aufsatz noch ausdrücklich darlegt – an Luthers 20. These der Heidelberger Disputation an 239. Eine unmißverständliche Anknüpfung an Luthers frühe Kreuzestheologie stellt auch der von Kähler in diesem Zusammenhang zitierte Satz »Crux sola nostra theologia« aus Luthers Zweiter Psalmenvorlesung240 dar.
239 WA I, 362, 19f: »Sed qui visibilia et posteriora Dei per passiones et crucem conspecta intelligit.« 240 S.o. Anm. 3.
1. Das Kreuz als Grund und Maß der Christologie
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Wie im Aufsatz von 1911 hatte Kähler schon in seiner »Lehre von der Versöhnung« dem Kreuz eine Korrektivfunktion zugewiesen und es als Garantie eines am Evangelium orientierten Verständnisses des christlichen Glaubens gegen dessen Missverständnis als Gesetzes- oder Weltanschauungsreligion zur Geltung gebracht. Diese Funktion kann das Kreuz ausfüllen, weil an ihm das die Sünde sühnende Blut Christi als des Sohnes Gottes vergossen wurde. Damit steht das Kreuz auch hier für eine realistische Soteriologie und damit für das Wesen der Versöhnung als einer von Gott ins Werk gesetzten Veränderung des Verhältnisses des Menschen zu ihm. Auf dieser Linie liegt auch Kählers Interpretation des herkömmlich mit dem Kreuz verbundenen Opfergedankens in die Richtung des vollkommenen Gehorsams gegen Gott in der Gestalt einer untadeligen Erfüllung des Ersten Gebotes, wie sie eben nur von Jesus Christus geleistet werden konnte. Die Begründung dafür liefert Kähler allerdings nicht durch eine Reflexion auf das Kreuz selber, sondern im Rückgang auf den Inkarnationsgedanken. Darin tritt Kählers Bestreben deutlich zutage, die zentralen Topoi der Christologie hinsichtlich ihres Beitrages zur Darstellung des Versöhnungsgeschehens im Gleichgewicht zu halten. Das Kreuz bildet dabei als Ort der Versöhnung den sachlichen Schwerpunkt. Von ihm aus gewinnen Inkarnations- und Erhöhungsgedanke überhaupt erst ihre Orientierung auf das Versöhnungsgeschehen einerseits und auf den diese Versöhnung dem Einzelnen als gewiß verbürgenden Heilsglauben andererseits. Das Kreuz als zentrale Perspektive der Kählerschen Theologie: Diese Beobachtung bestätigte sich noch einmal eindrucksvoll bei der Sichtung der wesentlichen Momente, die das Leben des Glaubenden in der Nachfolge ausmachen. Denn der Lebensweg des Christen wird nach Kähler im Blick auf den vorangegangenen Kreuzträger Christus gegangen. In den hier exemplarisch untersuchten Werken Kählers lassen sich zusammenfassend drei Funktionen des Kreuzesgedankens nennen: Erstens ist das Kreuz Inbegriff des rechtfertigenden Versöhnungsgeschehens und damit die differentia specifica des Christentums schlechthin. Zweitens hat das Kreuz bei Kähler die Funktion eines Regulativs der Gotteserkenntnis, die unter Verzicht auf alle Spekulation auf das zum Heil Notwendige und damit auf das für den einzelnen Glaubenden eigentlich Bedeutsame konzentriert werden soll. Drittens schließlich orientiert sich die Nachfolge, d.h. die geduldige Bewährung des Glaubens in Selbstbildung und Leiden, am Kreuz. Alle drei Funktionen zusammen bilden das Rückgrat einer Reflexion auf das Kreuz, die mit Fug und Recht »Kreuzestheologie«, theologia crucis, genannt zu werden verdient, auch wenn Kähler diesen Begriff selber nicht auf sein Denken anwendet und wir damit eine erst im 20. Jahrhundert nach Kähler in der Systematischen Theologie etablierte Kategorie auf Kähler rückprojizieren. Indem Martin Kähler als erster Systematiker die drei dargestellten kreuzestheo-
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logischen Grundmomente im expliziten Rückgriff auf Paulus und die Reformationstheologie zu einem geschlossenen Konzept verdichtet hat, ist er der ›Vater‹ der kreuzestheologischen Arbeit im 20. Jahrhundert geworden.
2. Der Kreuzestod Christi als Strafstellvertretung und Quelle der Freude: Die »staurozentrische Theologie« Bernhard Steffens 2.1. Thema, Motivation und theologiegeschichtlicher Ort der Kreuzestheologie B. Steffens Bernhard Steffen bestimmt in seiner 1920 erschienen Arbeit »Das Dogma vom Kreuz«241 das Kreuz als alleinigen »Inbegriff des Dogmas und als Quellpunkt des Lebens«242 , mithin als Garanten für »lebendiges Dogma«243. Zwischen »uferlosem Subjektivismus und starrem Objektivismus«244 darf nach Steffen kein Gegensatz aufgemacht werden. Denn ein solcher Gegensatz würde »unsere Kirche mehr zerbrechen, als alle äußere Feindschaft«245. Dagegen sei »das biblisch verstandene Dogma vom Kreuz die vollkommene Vereinigung des Objektiv-Göttlichen mit dem Subjektiv-Menschlichen«246 . Mithin fordert Steffen eine im paulinischen Sinne »staurozentrische Theologie«247, und zwar eine solche, die »nicht nur Gottes Spuren, sondern Gottes Herz zu finden«248 sucht. Die kurze Einleitung seines Buches liest sich als Konstatierung einer schweren, vielleicht tödlichen Krise der Kirche, die ihre Ursache im Scheitern einer Theologie hat, die es nicht vermag, die Rede von Gott mit dem Leben des Menschen zusammenzubringen, ohne das eine im andern aufgehen zu lassen. An dem Mangel an ›lebendigem Dogma‹ droht die Kirche zu zerbrechen 249 – und dem gilt es zu wehren. Dieses systematisch-theologisch artikulierte Interesse 241 B. Steffen, Das Dogma vom Kreuz. Beitrag zu einer staurozentrischen Theologie, 1920. (Im folgenden werden die im Original gesperrt hervorgehobenen Textteile kursiv wiedergegebenen.). Vgl. auch Dens., Hofmanns und Ritschls Lehren über die Heilsbedeutung des Todes Jesu, 1911 sowie Dens., Kreuz und Gewißheit. Eine historisch-dogmatische Untersuchung, 1929 (Siehe hierzu auch die Rezension von G. Wehrung [THLZ 25, 1930, 67– 70]). 242 AaO 1. 243 Ebd. 244 Ebd. 245 Ebd. 246 Ebd. 247 So aaO 2. 248 AaO 91. Vgl. auch aaO 100: »Wer unter dem Kreuze steht, steht im Zentrum der Welt und am Herzen des überweltlichen Gottes!« 249 So ebd.
2. Der Kreuzestod Christi als Strafstellvertretung und Quelle der Freude
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an einer intakten, auf lebendiger Lehre gegründeten Kirche sieht Steffen theologiegeschichtlich bereits im »Ergebnis der Dogmatik des 19. Jahrhunderts«250 artikuliert, das allerdings »immer noch nicht in gebührender Weise zur Geltung gekommen«251 sei. Die angemahnte Vereinigung der »unveräußerliche[n] objektive[n] Grundwahrheit des alten Dogmas mit den subjektiven Bedürfnissen der Gegenwart«252 ist für Steffen im Denken Martin Kählers schon verwirklicht worden, und Steffens kreuzestheologische Monographie liest sich wie eine ausgeführte Variation zur Versöhnungslehre seines theologischen Lehrers. Das Thema dieses ersten, monographisch angelegten, kreuzestheologischen Entwurfes im 20. Jahrhundert ist also eine Verbindung von Lehre (Dogma) und Leben vermittelst einer sich an Paulus anschließenden Reflexion auf das Kreuz Christi, deren Nutznießerin die Kirche sein soll. ›Staurozentrische‹ Theologie – so könnten Steffens knappe programmatische Bemerkungen in der Einleitung seiner Untersuchung ins Positive gewendet paraphrasiert werden – ist die unverzichtbare Bemühung, die Kirche zusammenzuhalten, die der Ort ist, an dem die Rede von Gott (das »Objektive«) und das Leben des Menschen (das »Subjektive«) sich schneiden müssen, ohne sich wieder scheiden zu dürfen. Steffens Buch ist nach seinen eigenen Worten das »Ergebnis zehnjähriger Studien«253. Von den Anfängen der dialektischen Theologie ist diese Arbeit noch völlig unberührt. Karl Barth etwa, der 1919 die erste Fassung seines Römerbriefkommentars publiziert hatte, bleibt völlig unerwähnt. Die Front der theologischen Auseinandersetzung verläuft noch ganz auf der »vordialektischen« Linie. Die Angriffslinie der ›positiven Theologie‹ gegen die von Schleiermacher, Ritschl und ihren Schülern besetzte Stellung in der Versöhnungslehre ist noch nicht von der Wucht des Barthschen Angriffs gegen diese schlicht mitüberrollt und in das weitgehend unbeachtete Schattenreich der Theologiegeschichte gestoßen worden. Steffen selbst arbeitet noch ganz in der Kontinuität seines Lehrers Kähler und bezieht entscheidende Anregungen von Erich Schaeder. Mit diesen beiden Namen sind seine wichtigsten Gewährsmänner benannt. Von Kähler übernimmt er die zentrale Stellung der Soteriologie und deren reale Voraussetzung im Kreuzestod Jesu. Diesen stellt Steffen aber deutlicher als Kähler exklusiv als sachliches Zentrum der ganzen Dogmatik heraus. Schaeders »Theozentrische Theologie«254 liefert Steffen wichtige Impulse hinsichtlich der Bedeutung der Pneumatologie 250
Ebd. Ebd. 252 AaO 2. 253 AaO V. 254 E. Schaeder, Streiflichter zum Entwurf einer Theozentrischen Theologie (BFChTh 20, Heft 1), 1916; Ders., Theozentrische Theologie, 2 Bände, (1909/1914) 19253/19282; siehe dazu H.-J. Goertz, Geist und Wirklichkeit. Eine Studie zur Pneumatologie Erich Schaeders (FSÖTh 42), 1980. 251
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für die Theologie überhaupt. Aber Steffen selber sieht doch Schaeders Projekt einer theozentrischen Theologie erst in einer konsequenten kreuzestheologischen Orientierung zum Ziel geführt: in seiner eigenen »staurozentrischen Theologie«255. Der heutige Leser wird Steffens Buch allerdings nicht immer ohne ein gewisses Befremden lesen können. Die Ruhe und Tiefe der theologischen Reflexion, die seinen Lehrer Martin Kähler auszeichnete, kommt dem Schüler doch immer wieder abhanden. Stattdessen neigt er dazu, gelegentlich in eher krude, ausschweifende und zumindest aus heutiger Sicht nur als schwarze Pädagogik zu charakterisierende Auslassungen etwa über den »absoluten Wert der Strafe«256 abzugleiten, von dem ihm die offenbar nicht nur im übertragenen Wortsinn »schlagenden Ausführungen«257 eines ›Pädagogen‹ überzeugt haben… Indem Steffens Arbeit unmittelbar an Kählers kreuzestheologische Desiderate anknüpft und die letzte große Arbeit dieses Themas vor der für das 20. Jahrhundert bahnbrechenden Lutherarbeit W. v. Loewenichs ist – ohne, daß jedoch von Steffen eine direkte Linie zu der bereits explizit von der dialektischen Theologie geprägten Studie W. v. Loewenichs und der von ihm ausgelösten kreuzestheologischen Hochkonjunktur des letzten Jahrhunderts hinüberführte –, ist sie für unsere Untersuchung von Bedeutung. Das »Dogma vom Kreuz« hat so gut wie keine Spuren in der kreuzestheologichen Arbeit der nachfolgenden Jahrzehnte hinterlassen 258 . Im Zuge der dialektisch-theologischen Revolution Karl Barths sind an dem von Steffen besetzten Frontabschnitt der theologischen Arbeit gewissermaßen schlicht die Lichter ausgegangen. Auf den folgenden Seiten wird der Versuch unternommen, die prägnantesten Momente der Steffenschen Leistung wenigstens kurz zu streifen und schließlich nach dem möglicherweise bleibenden und bisher zum Schaden der kreuzestheologischen Arbeit verschütteten Ertrag seines Buches zu fragen. 255 Eine kurze Besprechung mit einer differenzierteren theologiegeschichtlichen Verortung, als wir sie im Rahmen dieser Untersuchung leisten können, findet Steffens »Dogma vom Kreuz« bei G. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit, Bd. 2, 1986, 186–190. 256 Steffen, Dogma, 51. 257 AaO 53. Gemeint ist eine Arbeit von F. W. Förster mit dem Titel: Schuld und Sühne. Einige psychologische und pädagogische Grundfragen des Verbrecherproblems und der Jugendfürsorge, 1911. Eine solche Arbeit dient Steffen als Kronzeugin zum Beweis, daß Erziehung nur dann gelingen kann, wenn ihr sicht- und fühlbare Strafe vorausgeht: »Also nicht ›Erziehung statt Strafe‹, sondern: ›erst Strafe, dann Erziehung‹! […]« (Steffen, Dogma, 51, es handelt sich um ein Zitat aus Försters Erziehungsschrift). 258 Für Moltmann hätte Steffens Buch es verdient, »der Vergangenheit wieder entrissen zu werden« (J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, 19936, 187 Anm. 10. Warum Steffens staurozentrischer Theologie diese Ehre widerfahren sollte, sagt Moltmann allerdings nicht – und warum er diese Arbeit dann selber ebenfalls überhaupt nicht rezipiert, bleibt auch verborgen.
2. Der Kreuzestod Christi als Strafstellvertretung und Quelle der Freude
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2.2. Die Formulierung des kreuzestheologischen Programms – Anknüpfung an Martin Kähler und Erich Schaeder Als Hauptgesichtspunkt der Kählerschen Versöhnungslehre hebt Steffen deren objektiven Charakter hervor: »Der Wert der objektiven Versöhnung wird nicht nach subjektivem Ermessen bestimmt, sondern die subjektiven Funktionen werden durch die objektive Versöhnung bestimmt«259. Die Objektivität dieser Versöhnung habe Kähler mit dem Gedanken der stellvertretenden Strafe, durch die eine »Ordnung im Leben von Personen«260 behauptet werde, verbunden und im Kreuz Christi verwirklicht gesehen 261. Diese objektive Fassung des Versöhnungsgeschehens sieht Steffen auch als das eigentliche Anliegen der »theozentrischen Theologie« E. Schaeders, die wegen der Verankerung der objektiven Versöhnung im Kreuz Christi konsequenterweise zur »staurozentrischen« Theologie weiterzuentwickeln ist – eine Konsequenz, die Schaeder selber nicht klar genug gezogen habe262 . Denn Schaeder habe – so Steffen – vom Kreuz lediglich den Aspekt der Verhüllung Gottes und des Anstoßes betont 263 und zugleich dem Gesetz die Funktion der Offenbarung der göttlichen »Herren-Majestät«264 zugewiesen. Mit dieser Unterbestimmung des Kreuzes und der gleichzeitigen Überbestimmung des Gesetzes geht dem Verstehen des letzteren das materiale Kriterium verloren: »Ohne das Kreuz könnte man aus dem Gesetz ebensogut einen Unheilsglauben begründen«265. So kann für Steffen das Gesetz Gottes nur in der Perspektive des Kreuzes recht verstanden werden: »Dem auf das Kreuz gestützten Glauben wird tatsächlich das Gesetz zum Mittel der Majestätsgewißheit Gottes«266 . Das von Schaeder (einseitig) betonte »Für Gott« und das von Kähler unterstrichene »Für uns« werden in der Perspektive des Kreuzes miteinander verknüpft: »Am Kreuze fordert und nimmt Gott alles für sich und gibt doch zugleich alles für uns«267. Und weiter: »das Kreuz ist der gottgegebene Mittelpunkt und zugleich der Einigungspunkt für die Theologie, die Christologie und Anthropologie. […] Hat die christliche Theologie einst unter dem Kreuz das Leben empfangen, muß es auch möglich sein, vom Zentrum des Kreuzes aus den ganzen Umkreis ihres Lebensgebietes zu bestrahlen […]«268 . 259 260 261 262 263 264 265 266 267 268
Steffen, Dogma, 4. Ebd. So ebd. So aaO 9. So ebd. Ebd. AaO 10. Ebd. AaO 11. AaO 12.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
2.3. Wesentliche Momente der Durchführung der »staurozentrischen Theologie« Steffen beginnt seine materialtheologische Entfaltung der »Lehre vom Kreuz« mit einer eigentümlichen Reflexion auf den mit dem Nachfolgegedanken verbundenen Stellvertretungsgedanken 269. Die Stellvertretung Jesu zielt auf die Freude, entsprechend ist der, der »ihm nachfolgt, Nachfolger seiner Freude«270 . Ermöglicht wird diese Nachfolge durch die Liebe Jesu: »Der Heiland durchleuchtet alle Tiefen menschlichen Lebens mit der Freude seiner Liebe und macht sie dadurch ertragbar und segensreich. In jeder Tiefe steht er selbst! Er ging einmal für uns durch alle Tiefen hindurch, damit wir fort und fort mit ihm und durch ihn unsere Tiefen überwinden«271. Ganz deutlich ist hier die seelsorgliche Ausrichtung des Stellvertretungsgedankens spürbar, die überhaupt Steffens Schlüsselperspektive auf die Versöhnungslehre ist und die auf das Tragen bzw. Überwinden von Leid zielt, das seinen Ermöglichungsgrund in Jesu eigenem Gang in ›jede Tiefe‹ hinein hat 272 . Doch der Stellvertretungsgedanke bliebe in der bloßen Konzentration auf das Leiden als solches noch unterbestimmt und muß »bis zur inklusiven Strafstellvertretung«273 vertieft werden, von wo überhaupt erst die tiefste Ursache des Leidens in den Blick gerät: »Wenn ein Christ es fertig bekommt, ohne Murren sich mit unter die Strafe der andern zu stellen, erst dann weiß er, wie tief seines Heilandes Leiden und die von ihm geschaffene Freude reicht. Die stellvertretende Freude, die alle Leidenstiefen durchleuchtet, bleibt der Schlußakkord der Liebe, bei Jesus, wie bei uns. Die strafende Liebe und die gestrafte Liebe reichen sich am Kreuz die Hände zur Versöhnung«274. Mit der Fokussierung auf die unbedingte Notwendigkeit von Strafe und die durch Jesu stellvertretenden Austrag der Bestrafung sich einstellende Freude ist gewissermaßen der Cantus firmus der Steffenschen Versöhnungslehre angeschlagen. Von der Breite der Bearbeitung ist es dennoch im wesentlichen der Strafgedanke, der Steffens kreuzestheologisches Projekt prägt.
269 G. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre II, 187 hat darauf hingewiesen, daß Steffens Fokussierung auf den Stellvertretungsgedanken den »Kählerkritikern aus der Ritschlschule« entgegenkam, insofern er stärker als Kähler den inklusiven Sinn der Stellvertretung, die eben nicht als »eine ersatzweise vollzogene Strafe« verstanden werden dürfe, betont hat. 270 Steffen, Dogma, 41. 271 Ebd. 272 Vgl. auch aaO 42: »Ohne Gottes abschließende Kreuzesoffenbarung liegt über der Welt ein ungewisses Licht, das gegen die Finsternis nicht durchdringen kann. […] Das ist die Situation unzähliger Seelen, die in schweren Schicksalsschlägen an ihrem Gott irre wurden.« 273 AaO 43. 274 AaO 43f.
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a) Das stellvertretende Strafleiden Christi Die Durchführung der Versöhnungslehre steht bei Steffen ganz im Zeichen einer Reflexion des Straf- und des Opferbegriffs. In Analogie zum stellvertretenden, d.h. inklusiven, Leiden Christi faßt Steffen auch Jesu Strafleiden inklusiv auf: »Er hat unsere Strafe getragen und überwunden. In seiner Nachfolge und in der fortwirkenden Kraft seines Werkes tragen und überwinden wir unsere Strafe fortgesetzt durch ihn.«275 Bei Jesu stellvertretendem Strafleiden geht darum, daß Gott die Sünde abstößt, während er den Sünder sucht. Deshalb wird die Strafe durch Christi Kreuz »aus einem Trennungsmittel zum Mittel der Gemeinschaft zwischen dem sündigen Menschen und dem heiligen Gott«276 . Was ›Strafe‹ ist, zeigt der Tod. Unter Bezug auf Röm 6,23 stellt Steffen die theologische Qualität des Todes als Sold der Sünde heraus: »So gewiß auch der Christ tatsächlich stirbt und bis zum Tode tatsächlich sündigt, so gewiß erlebt er den Tod auch als der Sünde Sold«277. Wenn der Tod Inbegriff der jedem Menschen als Sündenlohn von Gott zugemuteten Strafe ist, stellt sich sogleich die Frage nach der Anwendung des Strafbegriffs auf den Tod Christi. Sollte sein Tod als Züchtigungsstrafe verstanden werden, verlöre der Stellvertretungsgedanke seinen Sinn, denn »pädagogische Züchtigung […] gilt nur dem, den sie trifft. […] Als bloßes Züchtigungsleiden kann es, da es den Unschuldigen trifft, niemals den Charakter der Strafe haben. Es kann nur noch Bewährung des eigenen Gehorsams sein«278 – genau diese Lösung aber führt nach Steffen zum Ritschlschen Typus der Versöhnungslehre, die Jesu Tod ja lediglich als Konsequenz seines ›Berufsgehorsams‹ verstehen kannn 279. Um bei der Näherbestimmung der von Christus am Kreuz getragenen Strafe nicht auf solche und andere Abwege zu geraten, fordert Steffen einen objektiven »universalen Rechtsbegriff«280 . Ein solcher ist für Steffen im Gedanken der Vergeltungsstrafe gegeben, denn »durch den Stellvertretungsgedanken offenbart Gott am Kreuz, daß er gerecht ist, wenn er den Gerechten für die Ungerechten straft«281. Gemeint ist für Steffen hier die »sittliche Form des Rechts«282 . Die sich auf sie beziehende sittliche Strafe will Vergeltung und Besserung zusammenbringen, »sie will das Unrecht des Schuldigen und das Recht
275 276 277 278 279 280 281 282
AaO 44. AaO 44. AaO 45. AaO 47f. Vgl. aaO 48. AaO 49. AaO 49. AaO 49.
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des Verletzten in einer Form geltend machen, welche die Gemeinschaft zwischen beiden nicht auflöst, sondern vielmehr betätigt [sic!]«283. Und indem hier von Gottes vergeltender Strafe die Rede ist, ist eben nicht nur die Bestrafung von »etwas« am sündigen Menschen im Blick: Denn »die göttliche Vergeltung trifft die ganze Persönlichkeit und verurteilt in einer einzigen Handlung mit Recht den sündigen Gesamtzustand des Menschen. Unter dieser Verurteilung seines gesamten Wesens bricht der natürliche Mensch zusammen.«284 Steffens Behauptung, es gebe einen »Kausalzusammenhang von Schuld und Strafe«285 , der in seiner absoluten Geltung »Ausfluß der göttlichen Gerechtigkeit«286 sein soll, und dem Jesus sich am Kreuz unterstellt habe, ist allerdings hochproblematisch 287. Denn sie unterläuft prinzipiell die Freiheit Gottes auch dann, wenn diese klar von Willkür unterschieden bleibt. Gottes Freiheit ist nicht deshalb nicht Willkür, weil Gott einen absoluten, mechanischen Kausalitätszusammenhang von Schuld und Strafe aus sich herausgesetzt hätte. Vielmehr entpersönlicht dieser Gedanke Steffens sowohl Gott als auch den Menschen. Denn der Gedanke, daß Gott den Sünder aufgrund seiner Sünde straft, könnte ebenso unter Verzicht auf den Kausalitätsgedanken durchgehalten werden, wenn nämlich die dem Einzelnen zugedachte Strafe als jeweils individuell von Gott verordnet bzw. ›geschickt‹ vorgestellt würde.
Steffens manchmal etwas bemüht und gesucht wirkende Pirouetten, mit denen er den Strafcharakter des Kreuzestodes Christi zu bestimmen sucht, münden schließlich in die mit dem Stellvertretungsgedanken entfaltete theologische Pointe, daß das Gnadenwerk Christi darin besteht, »daß er den Sünder von seiner Sünde loslöst, so daß das Gericht nur die Sünde trifft, während der Sünder begnadigt wird«288 . Es ist die Sünde, die »zum Tode verurteilt«289 wird. Dadurch wird überhaupt erst das Wesen der Sünde erkennbar, nämlich als »Widerspruch gegen Christi Kreuz […], das heißt: als persönlicher Widerspruch gegen den sichtbaren, im Fleisch offenbarten Gotteswillen«290 . Am Kreuz kommt Gottes Gericht über die Sünde darin zum Ziel, daß Gott selber als Retter 283
AaO 51. AaO 53. Der Gedanke solchen Zusammenbruchs begegnet bei Steffen häufiger, z.B. spricht er von der »zusammenbrechenden Erfahrungswelt« (aaO 54) oder – sehr barock anmutend – von dem »von Gottes Rittermacht gewirkten Zusammenbruch des Irdisch-Natürlichen« (ebd.). 285 AaO 54. 286 Ebd. 287 Das Kausalitätsgesetz ist auf das Geistige übertragen worden »und wirkt hier mit einer […] absoluten Präzision. Alle Schuld rächt sich auf Erden. Jede Sünde verursacht in ihrer Wirkung Strafe. Womit jemand sündigt, damit wird er gestraft. Gott hat nur einen Willen in Natur und Geisteswelt: seinen Herrschaftswillen, der jeder Ursache die verdiente Wirkung gibt. Die Kausalität ist der Ausfluß der göttlichen Gerechtigkeit.« (aaO 54) 288 AaO 55. 289 Ebd. Vgl. auch aaO 57: »Seine Verurteilung der Sünde ist also Gottes Gericht, und seine Annahme des Sünders ist Gottes Gnade.« 290 Ebd. 284
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kommt, indem er seinen Sohn sendet: »Er läßt ihn alles auf sich nehmen, was zur Sünde gehört: Strafe, Gottverlassenheit, Tod, Fluch und Verdammnis der Sünde«291, wobei der stellvertretend die Sündestrafe erleidende Gottessohn sündlos bleibt, worin sich die Eigenart seines irdischen Lebens auch in seinem Kreuzestod fortsetzt und durchhält: »Jesu eigenes Verhalten ist innige Gemeinschaft mit den Sündern ohne jegliche Gemeinschaft mit ihrer Sünde.«292 Ziel dieses stellvertretenden Stafleidens sind Versöhnung und Erlösung. Den Versöhnungsgedanken bezieht Steffen auf Gott, den Erlösungsgedanken auf den Menschen: »Die Erlösung ist die dem Menschen zugewandte Seite des Werkes Christi. Zwar geht die Versöhnung auch in der Menschheit vor, aber sie ist völlig Gott zugewandt. Ihre Kehrseite aber ist die dem Menschen zugewandte Erlösung von der Sünde. In der Versöhnung wird der Sünder an Gott gebunden, in der Erlösung wird er von der Sünde losgelöst. Beides ist eins.«293 Diese Aufteilung des Versöhnungs- und des Erlösungsbegriffs auf die göttliche und die menschliche Seite des stellvertretenden Strafleidens Christi wird in ihrer etwas konstruiert und bemüht wirkenden Art verständlicher, wenn man sich das bereits erwähnte Hauptziel Steffens vor Augen führt, die objektive und die subjektive Seite des Heilsgeschehens zu einem Ausgleich zu bringen. Damit will er nämlich eine heute völlig vergessene theologische Kontroverse zwischen seinem Lehrer Martin Kähler auf der einen und Theodor Häring auf der anderen Seite bezüglich des exklusiven bzw. inklusiven Charakters der Versöhnung zur Entscheidung zugunsten ihres inklusiven Charakters bringen und gleichzeitig den auf der Linie von Schleiermacher und Ritschl liegenden Gedanken hinter sich lassen, daß die persönliche, nicht übertragbare und mit Schuldgefühl verbundene Sündenstrafe von Jesus nicht habe gefühlt werden können294. Steffen selbst geht es darum, gegen den bei Schleiermacher, Ritschl und schließlich auch bei Häring durchschlagenden »moderne[n] Subjektivismus und Anthropozentrismus« den von Kähler herausgearbeiteten »biblischen Theozentrismus« stark zu machen, der dahingehend im Recht sei, daß die Bibel »an Stelle der Schuldfrage die Frage nach der Sünde, an Stelle der Folgen in bezug auf den Menschen die Folgen in bezug auf Gott«295 herausgestellt habe.
Ebenso objektiv wie Sünde und Versöhnung bzw. Erlösung ist nun auch die Strafe zu verstehen. Deren objektive Auffassung ist für das Steffensche Denken deshalb unabdingbar, weil ja seine ganze Versöhnungslehre auf diesen Begriff hin orientiert ist. Ebensowenig wie die Sünde kann auch die Strafe »auf das sub-
291
Ebd. Ebd. 293 AaO 57. Steffen will an dieser Stelle den Erlösungsgedanken allerdings streng von der Heiligung unterschieden wissen, um nicht auf die Bahn der »Selbsterlösung« (ebd.) zu geraten. Die Loslösung von der Sünde beruht allein auf der »vollbrachten Erlösung durch Christus« (ebd.), angeeignet wird sie im Glauben, wobei sich der Glaube bei Steffen auf den Lehrinhalt zu beziehen scheint: »Unsere Aufgabe ist nur, zu glauben, daß wir von ihr [sc. der Sünde, M.K.] los sind.« (ebd.) 294 So aaO 58. 295 AaO 58f. 292
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
jektive Schuldgefühl [reduziert]«296 werden – und zwar deshalb, weil Gott sich andernfalls »die Strafen an den Verstockten sparen«297 könne! Hier schlägt zwar in einem Seitengedanken wieder Steffens Hang zur schwarzen Pädagogik durch, die Hauptlinie seiner Argumentation zielt aber auf den theologisch nicht zu beanstandenen Gedanken, daß beide, »Sünde und Strafe, […] auf Gott bezogen werden [müssen], um vollständig bestimmt zu sein«298 . Und allein in ihrer Objektivität kann Strafe überhaupt auf Recht bezogen werden: »Nur die objektive Strafordnung sichert allen gleiches Recht. Sobald der Richter anfängt, subjektive ›Rücksichten‹ zu nehmen, wird das Recht gebeugt.«299 Und dieser objektive, auf den Gedanken des für alle geltenden (göttlichen) Rechts bezogene Begriff der Strafe ist nun für Steffen der im Grunde einzig gangbare Weg zu einem angemessenen Verständnis des Kreuzestodes Jesu. Denn würden die Sünde und die auf sie folgende Strafe nur subjektiv auf der Seite des Menschen verortet, wäre nicht mehr verständlich, »daß wirklich Gott ihm [sc. Jesus] das Kreuz antat«, dann »kommt man dazu, daß Gott sich an Jesus versündigt hat«300 . Nur die rechte Unterscheidung von Gottes und des Menschen Tun bewahrt hier vor Mißverständnissen – und diese Unterscheidung kommt nach Steffen »am Kreuz zur Offenbarung«301, ebenso wie der Vernichtungscharakter der menschlichen Sünde: »Des Menschen Tun ist Sünde – darum ist Gottes Tun Strafe. So gewiß die Sünde etwas Objektives, gegen Gott Gerichtetes ist, so gewiß ist auch die Strafe etwas Objektives, gegen den Menschen Gerichtetes. Dieser doppelte Gegensatz führt zur Vernichtung des Menschen.«302 Gott allerdings läßt diesen Gegensatz schließlich zum Heil ausgehen: das ist der »Weg des Kreuzes«303, wo »die beiden entgegengesetzten Willen, der Wille Gottes und der sündige Menschenwille, tatsächlich eins«304 sind. Es sind beide Willen, die Jesus ans Kreuz bringen, in »seinem persönlichen Bewußtsein stoßen beide zusammen und erzeugen in ihm selbst den Kreuzeswillen«305. Das stellvertretende Strafleiden, das Jesus auf diese Weise auf sich nimmt, »wirkt inklusiv« und »schließt unsere eigene Strafe mit ein«306 . Das bedeutet, daß die den Christen gleichwohl in seinem Leben ereilende Strafe Gottes »für uns nicht mehr Zorn, – der Zorn gilt nur der Sünde, – sondern
296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306
AaO 59. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 60f. AaO 61. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Beide Zitate aaO 62.
2. Der Kreuzestod Christi als Strafstellvertretung und Quelle der Freude
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reine Liebe«307 ist: »Der liebende Vater, nicht der zornige Richter straft uns in Christo«308 . Das stellvertretende Strafleiden Christi trifft die Sünde und trennt diese vom Sünder ab, wir hatten oben bereits darauf hingewiesen. Diese Unterscheidung muß bei Steffen allerdings nicht dahingehend verstanden werden, als werde so der Mensch als Subjekt, als Täter der Sünde von der Inklusion in das Strafleiden Christi und damit auch von der Versöhnung mit Gott gar nicht wirklich selbst erreicht, weil die Sünde gleichsam verdinglicht und veräußerlicht von ihm abgespalten würde. Dieser Eindruck kann leicht entstehen, weil Steffen auf dieser Unterscheidung immer wieder insistiert. An einer Stelle korrigiert er allerdings diesen Eindruck und unterstreicht, daß die Strafe, die Jesus erleidet, »nicht seine Sünde [trifft], sondern unsere Sünde und zwar so, daß wir dadurch mit getroffen sind«309. In dieser Formulierung kommt seine theologische Intention deutlich zum Ausdruck, und von ihr her sollte der problematische Eindruck, der an anderer Stelle gelegentlich ensteht, korrigiert werden.
Am Kreuz vereinigt Gott auf diese Weise »sein Recht und der Menschheit Heil«310 . Dadurch kommen das objektive und das subjektive Moment des Versöhnungsgeschehens zum Ausgleich, allerdings so, daß das subjektive Moment – vermittelst der streng inklusiv verstandenen Stellvertretung – in die Objektivität des Straf- und Versöhnungsgeschehens integriert wird. Diesen Ausgleich zu leisten, ist für Steffen das Verdienst der »Kreuzestheologie«311: »Die Kreuzestheologie stellt Gottes absolutes Recht in den Mittelpunkt und wird gerade dadurch zur Gnadentheologie. Sie baut sich auf der stellvertretenden Strafe auf und ist zugleich durchleuchtet von der stellvertretenden Freude. Denn es gibt für den Sünder keine größere Freude, als daß er seine Sünde hingerichtet sieht, während er sich gerettet sieht.«312 b) Der Opfergedanke Nachdem Steffen Notwendigkeit und Leistungskraft des Stellvertretungsgedankens untersucht hat, wendet er sich in einem zweiten Schritt dem Opfergedanken zu. Seine Ausgangsfrage ist dabei die, ob durch den Opferbegriff »ein neuer, unveräußerlicher Gedanke zu der Strafstellvertretung hinzukommt«313. Steffen stellt im Verlauf seiner Argumentation schließlich zwei Grundgedan307
Ebd. AaO 63. 309 AaO 66. 310 AaO 68. 311 AaO 69. Dies ist eine der ganz wenigen Stellen, an denen Steffen diesen Terminus überhaupt verwendet! 312 Ebd. Damit sieht Steffen seinem Lehrer Kähler zum Recht verholfen, dessen »Begründung der Dogmatik durch den rechtfertigenden Glauben nichts anderes ist, als die Gründung auf die objektive Gottestat des Kreuzes« (ebd.). 313 AaO 81. 308
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ken heraus, die für ihn mit dem Opferbegriff in besonderer Weise verknüpft sind: es ist zum einen die Tatsächlichkeit und Realität des Opfers, die er gegen eine Überbetonung des persönlich-sittlichen Aspektes der Versöhnung ins Feld führt314 , zum andern aber die Universalität des stellvertretenden Stafleidens Jesu, die durch den Opferbegriff sichergestellt wird315. Verbunden werden der Stellvertretungs- und der Opfergedanke bei Steffen durch den Verweis auf »Jesu Priestertum«316 , denn der »persönliche Stellvertreter und das an sich unpersönliche Opfer vereinigen sich zu der Gestalt des Hohenpriesters, der seine eigne [sic!] Person als Opfer darbringt«317. Grundlage einer sinnvollen Verwendung des Opferbegriffs ist zunächst die Tatsache, daß es sich bei Jesu Opfer um eine persönliche Tat und nicht um eine dinglich-sachliche Gabe handelt. Wir beginnen mit diesem letzten Gedanken (a), wenden uns dann dem Aspekt der Universalität (b) und schließlich dem der Tatsächlichkeit (c) zu. a) Im Unterschied zum »unvollkommen[en] und schattenhaft[en]«318 alttestamentlichen Opfer konnte Jesus als Person selber zur Sünde werden und diese tragen, ohne dabei selber zum Sünder zu werden319. Alles hängt für Steffen dabei daran, das persönliche Moment zu betonen, das dadurch ins Spiel kommt, daß Jesus die Sünde trägt. Denn ein dingliches bzw. sachliches, an der Opferung von Tieren oder Gegenständen orientiertes, Verständnis des neutestamentlichen Opferbegriffs will Steffen entschieden ausschließen: »Im Opfer Jesu wird die unfreiwillige dingliche Hingabe zur freien persönlichen Hingabe.«320 Jesus nämlich vergießt sein Blut im Unterschied zum Opfertier freiwillig. Dem Blut als Sache kommt dabei keinerlei Bedeutung zu, aber »es bekommt unendlichen Wert als Ausfluß seines persönlichen Willens«321. Dieser Wille – wir hatten oben bereits von dem »Kreuzeswillen« Jesu gesprochen –, der die »Gewalttat gegen sich als Recht anerkennt«, gibt eben dadurch »Gott recht«322 . Jesu zum Kreuz geneigter Wille entspricht also genau dem Willen Gottes, ihn »bei den Feinden Gottes fest[zuhalten]«323. Es ist also Gott selbst, der dieses Opfer Jesu am Kreuz will, und »Gott selbst wollte sein Opfer für sich, damit es dadurch für uns wirksam würde«324. In dieser Gegenseitigkeit
314 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324
So aaO 93. So aaO 91. AaO 100ff. AaO 101. AaO 88. So ebd. AaO 89. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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des Nutzens bildet sich die »Wechselseitigkeit der Gemeinschaft«325 zwischen Gott und Mensch überhaupt ab, denn das Opfer »stammt von Gott und ist doch zugleich Tat der Menschheit. Es zielt auf Gott ab und hat zugleich die neue Menschheit zum Zweckt. Aber in dieser wechselseitiger Gemeinschaft bleibt Gott der Herr.«326 b) In der Vollendung dieses Opfers, d.h. im Tod Jesu am Kreuz, ist für Steffen »die Entwicklung der Religion vollendet«327. Es gibt zugleich weder in Sittlichkeit, Kultur, Wissenschaft, Philosophie und Weltanschauung »eine höhere oder vollkommenere Stufe«328 , weil eben mit dem Kreuzesopfer »bei erreichter Gottesgemeinschaft Ziel und Zentrum«329 überhaupt erreicht ist. Das soll andererseits aber nicht heißen, nun die Wahrnehmung der ganzen Schöpfung überhaupt »auf den einen Punkt des Kreuzes zu beschränken oder aus ihm die ganze Welt zu entwickeln«330 , denn: »Gottes Spuren sind in ihr erkennbar auch für den, der nicht den Spuren des Kreuzes folgt. Aber wenn es sich darum handelt, nicht nur Gottes Spuren, sondern Gottes Herz zu finden, die Widersprüche gegen den Gottesgedanken endgültig zu überwinden und Wahrheit, Leben und Seligkeit von Gott zu schauen, dann muß man dorthin schauen, wo sich Gott im Kreuze gibt. Und wenn man diesen Mittelpunkt erreicht hat, dann fällt auf den ganzen Weltkreis rings umher ein neues Licht.«331 Damit ist der für Steffen wichtige Gedanke der Universalität des Kreuzesgeschehens formuliert, den er fest in dem auf Gottes Willen bezogenen Opferbegriff verankert sieht: »Indem Jesus als Opfer stirbt, stirbt er für Gott. Dadurch ist seine Tat in Gottes ewigem Willen verankert, und darum für alle Zeiten und alle Völker gültig.«332 c) Der Opfergedanke unterstreicht die Tatsächlichkeit, die Realität des Versöhnungsgeschehens. In dieser Tatsächlichkeit entspricht es der Objektivität von Sünde und Strafe333. »Tod und Sünde sind zu reale Tatsachen, als daß sie durch Ideen ohne Tatsachen überwunden werden könnten. Ideen sind Menschengedanken. Tatsachen sind Gottesgedanken. Das Kreuz als Idee ist Menschenweisheit. Das Kreuz als Tatsache ist Menschentorheit und göttliche Weisheit. Wer unter bußfertigem Verzicht auf eigenes Leben, Tun und Denken 325
AaO 90. Ebd. 327 Ebd. 328 Ebd. 329 Ebd. 330 AaO 91. 331 Ebd. 332 Ebd. Vgl. auch aaO 94, wo Steffen davon spricht, daß am Kreuz »das im Tempel verborgene und eng begrenzte kultische Handeln in die Öffentlichkeit der Weltgeschichte [tritt]. Was am Kreuz geschieht, schafft eine neue Tatsache und einen neuen Tatbestand für die ganze Welt.« 333 So aaO 92f. 326
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diese göttliche Tatsache einfach annimmt, dem wird durch sie ein neues Leben, Tun und Denken aus Gnaden geschenkt.«334
Durch dieses Geschenk neuen Lebens bleibt das Kreuzesgeschehen selber nicht unpersönlich, sondern die »Quelle persönlichen Lebens«335 , dessen »Probe« darin besteht, »daß [der Mensch] das Todesurteil über seine Sünde überlebt«336 . Die Verbindung der kultischen mit der persönlichen Seite des Kreuzesopfers ist für Steffen die Hauptaufgabe der Theologie seiner Zeit: »Sie wird nur dann gefunden werden, wenn man durch Zurückgreifen auf Luther und Paulus das Kreuz wieder in den Mittelpunkt der Theologie stellt.«337 Eine weitere Beziehung, die Steffen zum Kreuz herstellt, ist die zur Natur. Deren Mittelpunkt ist das Kreuz deshalb, weil es der Punkt ist, »wo Leben und Tod sich berühren«338 . Was sich hier zeigt, ist die »unerbittliche Kausalität des göttlichen Wirkens«339. Das Christentum gründet sich – so Steffen – »auf die Einheit von Natur und Geist in Gott«340 . Beide, Natur und Gott, sollten von Gott beherrscht sein. Jesus hat dieser Forderung am Kreuz Genüge getan, »indem er seine Natur durch den Geist Gott geopfert, Gott restlos hingegeben hat«341. Daraus zieht Steffen Konsequenzen für die Lebenshaltung des Christen, die dem heutigen Leser wohl die Haare zu Berge stehen lassen: »Das Kreuz gibt uns die Antwort auf die Frage: Wie kann die tierische Seite unseres Daseins zum Organ Gottes werden? Das Kreuz antwortet: durch Opferung. Alles Leiblich-Materielle hat ein Ende. Aber Gott hat es durch Christum dem Menschen in die Hand gegeben, aus dem erzwungenen Aufhören ein freiwilliges Aufhören zu machen.«342 Als Beispiel führt Steffen das Essen (sic!): an man höre schließlich nicht erst im Überdruß auf, sondern regele das Essen »durch die sittliche Persönlichkeit«343. Diese Stelle ist ein schönes Beispiel dafür, wie Steffen immer wieder zu einer gleichsam totalitären Lebensdeutung vom Kreuz her neigt und sich zu wirklich kruden sog. ›Beweisen‹ seiner Anschauungen versteigt.
334
AaO 93. Ebd. 336 Ebd. 337 AaO 95. An dieser Stelle findet sich übrigens ein expliziter Verweis auf »Luthers Kreuzestheologie« (ebd.), die für Steffen der erste Ansatz dazu war, »eine Tatsachentheologie zu schaffen, in welcher die Geschichte um so mehr hervortritt, je mehr die Mystik zurückgedrängt wird« (ebd.). Diese Wendung zeigt deutlich, daß Steffen schon einige Jahre vor der Lutherarbeit v. Loewenichs bereits ansatzweise in der Lage war, die Kreuzestheologie Luthers nicht weitgehend unter die Mystik zu subsumieren und sie dann als vor- bzw. unreformatorisch zurückzuweisen. 338 AaO 98. 339 AaO 99. 340 Ebd. 341 Ebd. 342 Ebd. 343 Ebd. 335
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c) Das Kreuz als Sieg Nach dem Stellvertretungs- und dem Opfergedanken wendet Steffen sich in einem dritten Schritt dem Kreuz als »Siegestat« zu. Hier arbeitet er den eigentlich polemischen Charakter der Kreuzestheologie heraus, den sie durch die Opposition des Gekreuzigten gegen Sünde und Tod, Teufel und Hölle gewinnt. Das theologische Hauptgewicht liegt auf dem ersten Punkt, der Überwindung von Sünde und Tod im Kreuzesgeschehen. Jesu Leiden wird von Steffen zugleich als Straf- und als Siegesleiden verstanden: beide vereinigen sich, »indem Jesus die Strafe besiegt« 344. Steffen sieht den Sieg Jesu im Kreuz ganz in der Perspektive von Auferstehung und Erhöhung, die zugleich bereits einen eschatologischen Ausblick darstellt: »Durch seinen Kreuzessieg richtet der Messias-Christus die Königsherrschaft Gottes […] für die ganze Welt auf.«345 Jesu Sieg wird in der Auferstehung offenbart346 . Steffen versteht Jesus als Gottessohn, der als solcher nicht im Tod bleiben kann, wenn er ihn auf sich nimmt: »Der Gekreuzigte ist der, der notwendig auferstehen wird.«347 Auferstehung und Erhöhung des gekreuzigten Jesus sind also – samt seiner Gottessohnschaft – die Voraussetzungen für das Verständnis des Kreuzes als Sieg über Sünde und Tod. In seinem Versuch, diesen Sieg Jesu über Sünde und Tod theologisch zu formulieren, entgeht Steffen allerdings nicht der doketischen Falle, das Leiden Christi von seiner postulierten Gottheit her tendenziell zu verharmlosen. Denn weil die Erfahrung von Strafe, Kreuz und Leiden von Gott gegeben sind, »ist zugleich schon ihre absolute Überwindung gegeben. Darum ist der eigentliche Kampf für Jesus schon ausgefochten, als er in Gethsemane die Gewißheit gewinnt, daß Gott den Kelch nicht an ihm vorübergehen lassen will. […] Indem er das Kreuz der Verwerfung aus Gottes Händen nimmt, wird es ihm zum Kreuz der Herrlichkeit.«348 Eine solche Formulierung konterkariert natürlich das von Steffen ansonsten verfolgte Bemühen, im Eingehen Jesu in die menschliche Todeswirklichkeit gerade die tatsächliche Verbindung des Gottessohnes mit der dem Tode unterworfenen Menschheit zu unterstreichen. Steffens Absicht ist es freilich auch an dieser Stelle, die Vereinigung von menschlicher Strafe und göttlichem Sieg im Tode Christi zum Ausdruck zu bringen, nämlich seine »Knechtsgestalt und [seine] Königsgestalt«349. Beide verbürgen »in untrennbarer Einheit […] Gottes Sieg«350 . Und als ob Steffen seine doketische Neigung selber korrigieren wollte, betont er mit Nachdruck Jesu Eingang in den Tod. Denn Jesu Sieg 344 AaO 110. Die Stelle ist ein Beispiel für Steffens häufig durchschlagende Neigung für eine pathetische und zugleich etwas schiefe Ausdrucksweise. 345 AaO 109. 346 So aaO 112. 347 Ebd. 348 AaO 110. 349 AaO 111. 350 Ebd.
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sei ein Sieg wirklich »über den Tod durch das Grab hindurch«351 und er gehe nicht an diesem vorbei, etwa indem er »mit seinen göttlichen Lebenskräften dem Tode getrotzt hätte«352 . Denn dann hätte er sich »als Sieger von der todverfallenen Menschheit getrennt«353. Stattdessen »ging er stellvertretend in unsere Todesstrafe ein und überwand sie gerade dort, wo sie uns trifft«354. Dieses Eingehen Jesu in die Todeswirklichkeit, verstanden als Sündenstrafe, ist entscheidend, um die Objektivität des Versöhnungsgeschehens aussagen zu können. Wieder schlägt Steffens Frontstellung gegen die Schleiermacher-Ritschlsche Linie einer subjektiv verstandenen Versöhnungslehre durch: »Ohne die Kreuzesoffenbarung behalten Tod und Strafe das letzte Recht, auch dort, wo man sich in idealistischen Illusionen über sie hinwegzusetzen sucht. Denn Tod und Strafe sind als Realitäten allen Idealen überlegen.«355 Diese realistische Auffassung des Todes und seiner Überwindung durch den Eingang des Gottessohnes in die Todeswirklichkeit ermöglicht es Steffen, der bleibenden Todeserfahrung des Menschen den rechten Platz anzuweisen. Denn der Tod des Einzelnen wird durch Jesu Kreuzestod ja nicht abgeschafft, aber – und das ist entscheidend – »in die Sphäre des Vorübergehenden, Vergänglichen hinabgedrückt und zum Werkzeug des Bleibenden, Unvergänglichen gemacht«356 . – Ob diese Sicht Steffens allerdings der tatsächlichen Sterbe- und Todeserfahrung des Menschen wirklich gerecht wird, sei dahingestellt. Zur Rede von Jesu Sieg über Sünde und Tod gehört nach Steffen unabdingbar auch die Rede von der Überwindung der personalen Manifestation des Bösen im »Satan« dazu. Wer nämlich eine ›dingliche‹ Versöhnungslehre überwinden will, darf nach Steffen auch das Böse nicht verdinglichen. Wer »den Bösen« durch »das Böse« ersetzen will, wird der Realität des Bösen nicht gerecht: »Mit dem unpersönlichen Bösen läßt sich spielen, mit dem persönlichen nicht.«357 Das unpersönliche Böse wird leicht unterschätzt und verharmlost, weil man sich der Überlegenheit der eigenen Persönlichkeit sicher wähnt 358 ; »das persönliche Böse dagegen tritt unsrer Persönlichkeit bestimmend gegenüber und kann sie in eine Knechtsgestalt zwingen, an der unsre Persönlichkeit einfach zugrunde gehen kann«359. Allerdings darf es nicht zu einem Dualismus Gott – Satan kommen: »Der Satan darf weder zu persönlich, noch zu unpersönlich gedacht werden.«360 Steffen bietet folgende Lösung dieses Dilemmas an: der 351 352 353 354 355 356 357 358 359 360
AaO 112. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 121. AaO 112. AaO 114 (im Original kursiv). So aaO 114f. AaO 115 (»unsrer« und »unsre« im Original). Ebd. Diese Formulierung ist ein gutes Beispiel für die immer wieder auftretenden de-
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»Satan ist die besiegte Person. Das Sieghafte, das im Persönlichen liegt, fehlt ihm; er gibt sich nur den Schein, als besäße er es. In Wahrheit ist seine persönliche Macht gebrochen durch den Gekreuzigten.«361 Nur wo dieser nicht gekannt wird, bekommt die Persönlichkeit des Satan Macht und »reißt alles, was sich ihm ergibt, mit sich ins Verderben, in die völlige Ohnmacht gegenüber dem richtenden Gotteswillen«362 . Hier ist kritisch einzuwenden, daß auch eine besiegte Person eine Person bleibt – erst in der Zerstörung ereignet sich die Depotenzierung des Personhaften. Es ist von daher ungeschickt, daß Steffen das Problem des »Satans« im Verhältnis zu Gott im Schema »persönlich-unpersönlich« diskutiert. Denn damit wird zugleich die Anwendung des Personbegriffs auf Gott thematisch und damit zugleich präzisierungsbedürftig. Dieses Problem sieht Steffen überhaupt nicht. Insofern wäre es hilfreicher gewesen, den »Satan« in einem symbolischen Sinne als personhafte Manifestation des Bösen aufzufassen. Indem Steffen nicht zwischen der Rede vom Satan und dessen Existenz unterscheidet, handelt er sich zudem das Problem mythologischer Rede überhaupt ein. Wer im Jahr 1920 noch wirklich »Satanologie« treiben wollte, hätte sich wesentlich mehr einfallen lassen müssen, als das Steffen gelungen ist!
2.4. Dogmatik als Pneumatologia crucis Der dritte Teil der staurozentrischen Theologie Steffens ist der knappe, aber bemerkenswerte Versuch, von der zuvor entfalteten Zentralstellung des Kreuzesgeschehens als dem objektiven Ereignis der Versöhnung des Menschen mit Gott ausgehend eine komplette kreuzestheologisch orientierte Dogmatik zu skizzieren. »Prinzip« dieser Dogmatik soll der »Geist des Gekreuzigten« sein363. Die pneumatische Ausrichtung der Dogmatik ist eine explizite Anknüpfung an den von Steffen immer wieder als Gesprächspartner herangezogenen E. Schaeder, der in seiner theozentrischen Theologie die Geistfrage als Schlüsselfrage der Theologie gestellt hatte364. Aber Steffen führt ausdrücklich auch Kähler, Schlatter, Lütgert, und v. Öttingen als Gewährsleute für seine Verbindung des pneumatischen Ansatzes der Dogmatik mit dem Kreuz Christi365 an. Es wird hier, wie auch sonst bei Steffen, deutlich, daß er sich nirgends als ›Neuerer‹ versteht, sondern als Theologe, der konstruktiv und klärend in die Diskussionslage der von ihm vorgefundenen zeitgenössischen Theologie eingreifen möchte. Das finitorischen Präzisionsmängel bei Steffen. Man ahnt nur aus dem Zusammenhang, was er sagen will – seine tatsächliche Formulierung ist allerdings nebulös. 361 Ebd. 362 AaO 116. 363 So der Titel des dritten Teils: »Der Geist des Gekreuzigten als Prinzip der Dogmatik«, aaO 128. 364 Vgl. aaO 128. 365 Siehe aaO 128f.
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verleiht seinem Buch – trotz der Patina, die es im Laufe der vergangenen achtzig Jahre deutlich angesetzt hat, – letztlich eine angenehm unprätentiöse Note. Die kreuzestheologisch orientierte Pneumatologie als Ansatz der Dogmatik ist bei Steffen in den größeren Zusammenhang der Trinitätslehre eingebettet: er bemüht sich um eine große, trinitätstheologisch organisierte Geschlossenheit seines Entwurfs. Der »Christologie« und der »Theologie des Kreuzes« widmet er eigene Abschnitte366 (die Pneumatologie wird nicht eigens behandelt, da sie ja den theologischen Pulsschlag des Ganzen darstellt und in allen Einzeltopoi mitläuft). Nach Christologie und Gottes- bzw. Schöpfungslehre skizziert er die »Kirche des Kreuzes«367, bevor er nach der Ekklesiologie auf das Leben des Christen unter dem Kreuz368 zu sprechen kommt und hier im wesentlichen die Themen Rechtfertigung, Heiligung, Bekehrung, Wiedergeburt und die christliche Freiheit behandelt. Den Abschluß bildet ein eschatologischer Ausblick unter dem Titel »Die Vollendung des Kreuzesglaubens«369. Wir stellen die wesentlichen Momente dieser im Keime vollständig angelegten Dogmatik im folgenden knapp heraus. Steffens Christologie ist streng an der Zweinaturenlehre orientiert. Die Wahrheit des christologischen Dogmas wird für ihn durch die Tatsachen von Kreuz und Auferstehung ›bewiesen‹: »Daß Jesus wirklich stirbt und den Tod in seiner vollen widernatürlichen Schwere als der Sünde Sold durchkostet, ist der Beweis für seine wahre Menschheit. Daß Jesus diesen Tod in der göttlichen Siegeskraft des Geistes überwindet, das ist der Beweis für seine wahre Gottheit im messianischen Sinn.«370 So ist Jesus »[a]ls der Gekreuzigte […] Gott in Person, weil er der ist, gegen den sich die Sünde der Menschheit richtet, und der sie durch göttlichen Schöpferakt überwindet«371. Steffens Gotteslehre hat drei Schwerpunkte: die Schöpfung, Gott als Vater und die Trinitätslehre. Im Hinblick auf die Schöpfung stellt Steffen fest, daß bei Gott Schöpfungs- und Versöhnungswille von Anfang an beieinander waren372 , was an der Schöpfungsmittlerschaft Christi deutlich wird. Denn als »Gott die Welt schuf, war das Mittel der Schöpfung zugleich Mittel des Heils: das Wort, der Logos […]«373. In der ›ersten Schöpfung‹ ist um der Freiheit des Menschen willen die Möglichkeit der Sünde angelegt »und damit auch die Möglichkeit einer neuen Schöpfung aus Gnaden«374. Die ›erste Schöpfung‹ ist dann durch den 366 367 368 369 370 371 372 373 374
AaO 131ff. u. 140ff. AaO 155ff. AaO 168ff. AaO 189ff. AaO 131. Ebd. So aaO 140. AaO 141. Ebd.
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Sündenfall »aus dem göttlichen Jenseits ins irdische Diesseits gefallen« 375 , kann sich aber aufgrund der in Christi Schöpfungsmittlerschaft angelegten ›Versöhnungsoption‹, die im Kreuzestod Jesu Wirklichkeit wurde, ihrer Restitution gewiß sein: »Der Gekreuzigte bringt die diesseitige Erdenwelt wieder zu ihrer jenseitigen göttlichen Bestimmtheit zurück. […] Er stirbt in der Gewißheit der Auferstehung und gibt damit der ganzen Welt die Hoffnung, daß sie auferstehen wird.«376 Das Wirken Gottes und seine Eigenschaften werden von Steffen pneumatologisch bestimmt. Die »weltüberwindende Macht Gottes ist sein Geist«377. Alle Eigenschaften Gottes (Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit, Allweisheit, Unveränderlichkeit, Überweltlichkeit und Ewigkeit378) fassen sich zusammen »in dem Fundamentalsatz christlicher Gotteserkenntnis: Gott ist Geist«379. Gott ist zwar unveränderlich und bleibt derselbe in Ewigkeit, aber »durch die Versöhnung [ist] eine völlige Änderung seines Verhaltens (nicht nur seines Verhältnisses zu uns), eingetreten«380 . Diese Verhaltensänderung Gottes macht sich am Kreuz fest, ohne welches Gott den Sünder mit seiner Sünde identifizieren und damit vernichten würde 381. Am Kreuz hat Gott den Sünder von der Sünde getrennt und ihn mit dem gerechten Christus identifiziert, obwohl sein Verhalten zur Sünde unverändert dasselbe bleibt. Hier kommt wieder Steffens an Kähler geschulter Versöhnungsrealismus (gegen die Schleiermacher-Ritschl-Linie) durch: Versöhnung ist keine subjektive Änderung des menschlichen Verhaltens, »sondern sie ist durch das Kreuz objektiv in Gott selbst gegründet«382 . Der Vaterbegriff drückt ein neues Verhältnis Gottes zur sündigen Welt aus, das der Gekreuzigte durch den göttlichen Geist geschaffen hat 383. Allerdings führt die Betonung der Einheit von Vater und Sohn im Gekreuzigten Steffen wieder in doketistisches Fahrwasser, wenn er schreibt: »Indem Jesus so gestraft wird, wie ein Vater sein Kind straft [sic!], wird er nicht seines einzigartigen Charakters entkleidet. Seine menschliche Ohnmacht nimmt ihm nichts von seiner göttlichen Macht. Seine Niedrigkeit nimmt ihm nichts von seiner Ho-
375
Ebd. Ebd. 377 Ebd. 378 Siehe ebd. 379 Ebd. 380 AaO 142. 381 So ebd. Mit Recht kritisiert G. Wenz an dieser Stelle, daß bei Steffen das Problem unerörtert bleibt, »inwiefern angesichts des Kreuzes die Unveränderlichkeit Gottes und eine faktische Veränderung seines Verhaltens zugleich behauptet werden können« (Ders., Geschichte der Versöhnungslehre II, 189). 382 Steffen, Dogma, 142. 383 So aaO 148. 376
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heit. Sein Tod nimmt ihm nichts von seinem wahren Leben. Seine Strafe nimmt ihm nichts von seiner Heiligkeit.«384 Wenn diese Aussagen in dieser Weise vom Gekreuzigten gemacht werden, droht die von Steffen sonst unterstrichene Verbindung Gottes zur wirklichen Menschheit in Christus wieder verdunkelt zu werden. Außerdem wird die Tiefe der Anfechtung Jesu wie die des Glaubenden nicht mehr wirklich erreicht. Hier wirkt sich die durchweg starre und schematische Applikation des christologischen Dogmas nachteilig aus und konterkariert Steffens eigentliche Absicht, gerade aufgrund dieses Dogmas die Tatsächlichkeit der im Kreuzestod geschehenen Überwindung der Sünde und die Verläßlichkeit der so erreichten Versöhnung mit Gott sicherzustellen.
Die Trinitätslehre schließlich wird nicht von außen an die Gotteslehre herangetragen, sondern »wächst von innen aus den dogmatischen Resultaten heraus«385. Sie »gründet sich ganz auf die geschichtliche Heilstat des Kreuzes«386 : »Gott ist seinem Wesen nach der Vater des Gekreuzigten. Gottes Sohn ist seinem Wesen nach der Gekreuzigte. Gottes Geist ist seinem Wesen nach der Geist des Gekreuzigten.«387 Nicht die »spärlichen trinitarischen Formeln«388 im Neuen Testament, sondern »das durchgehende einheitliche Zeugnis vom Kreuz ist der Schriftgrund für den christlichen Glauben an den dreieinigen Gott«389. Deshalb setzen die Widerstände gegen die Trinitätslehre, die sich in der Theologie seit Schleiermacher hartnäckig artikulieren, gar nicht erst bei dieser selbst, sondern schon an der »einfachen Tatsache des Kreuzes«390 an. Die Kirche ist der Ort, an dem die in Christi Kreuzestod begründete Gottesgewißheit dem Einzelnen »ständig neu begründet und vermittelt«391 wird. Die »Kirche des Geistes […] ist eine Kirche des Kreuzes. Sie lebt ständig unter dem Kreuz. Leid und Not, Sünde und Strafe trägt und überwindet sie allezeit durch ihren Herrn.«392 Gerade an der Kirche zeigt sich nach Steffen die Härte der Sündenstrafe, denn ihr wird immer wieder »ihr irdisches Haus« von Gott zerbrochen, »um ihren himmlischen Geist zu reinigen und zu bewahren«393: »Die Kirche bleibt unter dem Gericht des Kreuzes, solange sie auf Erden ist. Sie trägt als der Leib Christi die Wundenmale ihres Herrn, die Male der Schande, der 384 Ebd. Auch hier ist wieder G. Wenz zuzustimmen, der vor allem im Hinblick auf die Verhältnisbestimmung von Kreuz und Auferstehung bei Steffen konstatieren muß, daß dieser »die wahre Menschheit Jesu in ihrer Selbständigkeit unterbestimmt und zum bloßen Handlungsorgan der Gottheit [herabsetzt]« (Wenz, Versöhnungslehre II, 189). 385 Steffen, Dogma, 152. 386 Ebd. 387 Ebd. 388 Ebd. 389 Ebd. 390 AaO 154. 391 AaO 155. 392 Ebd. 393 Ebd.
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Verachtung und Ohnmacht, der Strafe und Zucht Gottes, als lauter Ehrenmale und Siegeszeichen.«394 Steffen verdeutlicht diese kreuzesförmige Existenz der Kirche am Beispiel der Mission, die er in engstem Zusammenhang zur Passion sieht395 und in einer für heutige Zeitgenossen kaum erträglichen Weise als »Kriegserfahrung«396 bezeichnen kann. Der Missionsgedanke zielt nach Steffen letztlich auf ein zentrales Moment der Versöhnungslehre, denn »die Versöhnung des Kreuzes ist Weltversöhnung«397. Mit dieser missionstheologischen Ausrichtung der Ekklesiologie nimmt Steffen wieder einen Gedanken auf, der auch bei Kähler eine große Rolle spielte398 . In einer zumindest für die heutige deutsche evangelische Kirche kaum mehr nachvollziehbaren Weise konstatierte Steffen noch eine »Missionskraft« des Christentums, die so groß sei, »daß sie den Unglauben in Glauben zu verwandeln vermag«399 – und das, insofern die Kirche auf der dem subjektiven Belieben entzogenen Tatsache des Kreuzes gegründet ist. Sie bleibt aber selber ›kreuzförmig‹, insofern ihr die Formen ihrer Existenz in der Welt nicht als solche sichergestellt sind und eines ständigen Abbruchs und einer unaufhörlichen Neuschaffung unterliegen: »Die Kirche des Kreuzes […] ist die Trägerin des weltumspannenden Gottesgeistes, der auch starke Gegensätze mit umspannt und der, wenn die äußere Form zerbricht, stets neue Formen zu schaffen vermag.«400 Als Glied der gerade beschriebenen Kirche Christi erlebt der Einzelne an sich selbst in Analogie zur Kirche »den Zusammenbruch der irdisch-diesseitigen Form des Daseins und das Aufleuchten eines neuen überweltlichen Lebens«401. Das habe die Reformation mit der Rechtfertigung allein aus Glauben gemeint. Die Erkenntnis der Sünde angesichts des Kreuzes Christi führt den Christen in die Buße, die »unter dem Kreuz nicht Verzweiflung, sondern Selig394
Ebd. So aaO 155. 396 AaO 157. 397 AaO 160. 398 Siehe dazu H. Frohnes (Hg.), Martin Kähler. Schriften zur Christologie und Mission, 1971. 399 Steffen, Dogma, 160. 400 AaO 168. 401 Ebd. Steffens wiederholt auftretende Rede vom »Irdisch-Diesseitigen« einerseits und vom »Überweltlichen« scheint von Kählers Begriffen des »Geschichtlichen« bzw. »Übergeschichtlichen« inspiriert zu sein. Steffen scheint aber aber die differenzierte Durchdringung dieser Begriffe, wie sie bei Kähler geleistet ist, nicht zu erreichen, sondern entgeht hier nicht einem gewissen Dualismus. Steffens spezifische Färbung der Rede vom »Überweltlichen« als einer Alternative zum »Irdischen«, das im Blick auf jenes hinter sich gelassen werden könne, scheint ein Mißverständnis der christlichen spes zutage zu fördern. Christliche Hoffnung, die aus dem Glauben hervorgeht, hat sich ja gerade im Irdisch-Weltlichen zu bewähren und sich nicht aus diesem herauszusehnen. Gerade diese Bewährung von Glaube und Hoffnung in der Geschichte hatte Kählers Begriff des Übergeschichtlichen ja absichern wollen. 395
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keit«402 ist: »Sie schaut glaubend von sich weg zu Gott empor, der um Christi willen der treue Vater bleibt, auch wenn er straft.«403 Denn der die Sünde als Richter zum Tode verurteilt, steht dem bußfertigen Sünder in Christus »als Vater gegenüber, der mich persönlich wie ein Vater straft, um mich von der todverfallenen Sünde loszulösen. Im rechtfertigenden Glauben ergreife ich seine völlige Vergebung, die über aller Strafe in seinem ewigen Rat und Willen liegt.«404 Die Buße führt damit zum Glauben als der Annahme der göttlichen Gnade. Das ist auch entscheidend für die Heiligung, denn wir können uns »nur so für ihn heiligen, daß wir die von ihm erworbene Heiligung glaubend annehmen«405: »Unsere Heiligung ist ein Bleiben in ihm, ein Bleiben in der Liebe, mit der er uns geliebt hat, ein Bleiben in seinem vollendeten Werk.«406 Mittel der Heiligung ist das Gebet, dessen »Objekt« selbstverständlich niemand anderes als der Gekreuzigte ist407. Das Gebet selbst ist zugleich eine »Betätigung des Vorsehungsglaubens«408 , der eine »Frucht der Heiligung« ist. Der Anfang des Christseins, die Bekehrung, ist Gottes Werk: sie ist »die Hinkehr zu Gottes Wirken«409. In dieser Hinkehr ist der Bekehrte auch selber beteiligt, indem er Gottes Wirken an ihm geschehen läßt, denn »Gott bekehrt uns nicht ohne uns, nicht über unsern Kopf hinweg«410 . Ähnliches gilt für die Wiedergeburt: auch sie muß sich der Mensch »gefallen lassen« 411. Darin ist er in gewisser Weise tätig, wenngleich das Bild von der Wiedergeburt für Steffen ein »Bild der absoluten Passivität«412 des Menschen ist: die Wiedergeburt ist ganz und gar Gottes Werk413, durch das aber »die Selbsttätigkeit des Menschen nicht unterbunden, sondern erst recht frei gemacht werden« 414 soll. Die Balance zwischen Passivität und Selbsttätigkeit des Menschen gelangt bei Steffen nicht zu wirklicher Klarheit. Sicher ist nur, daß der letzte Gedanke der Selbsttätigkeit des Menschen nicht mehr sein Verhältnis zu Gott, sondern vielmehr zu sich selbst und der Welt bezeichnen soll. Damit gelangt Steffen folgerichtig zum Freiheitsproblem, das er – wie auch alle anderen Fragen zuvor – kreuzestheologisch durchzubuchstabieren versucht.
402 403 404 405 406 407 408 409 410 411 412 413 414
AaO 171. Ebd. Ebd. AaO 173. Ebd. So aaO 175. AaO 177. AaO 178 (im Original kursiv). Ebd. AaO 180. Ebd. So ebd. AaO 181.
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»Der unversöhnte Mensch ist unfrei.« 415 Die Freiheitssehnsucht des Menschen ist also Sehnsucht nach der Vergebung von Schuld, die angesichts des Kreuzes »zur vollen Wirklichkeit«416 wird. Der Geist des Gekreuzigten befreit von der Gebundenheit an das Leibliche und von der »Herrschaft der Dinge«417, die die »große Last unseres Lebens«418 darstellen. Dadurch, daß das Kreuz als Lebensziel »die absolute Hingabe an Gott«419 anweist und alles diesem Ziel unterordnet, verlieren die ›Dinge‹ ihren den Menschen beherrschenden Charakter: sie sind angesichts des Kreuzes nur noch als Mittel zum Zweck zu brauchen, jede »absolute Bedeutung«420 ist ihnen genommen und der »ewige Grund seiner [sc. des Menschen] am Kreuz versöhnten Seele ruht jenseits aller Last der Dinge frei in Gott«421. Und diese Freiheit von der Last der Dinge »erweitert sich zur absoluten Freiheit über die Welt«422 . Steffens Eschatologie behandelt die Zukunft der Welt unter dem Begriff der »Weltvollendung«423, ausgehend von Himmelfahrt und Wiederkunft Christi424 werden die Auferstehung der Toten425 und die »ewige Seligkeit«426 verhandelt. Die Weltvollendung gerät zunächst als Verwandlung der Kirche von der streitenden zur triumphierenden Kirche in den Blick – und in diese Verwandlung der Kirche ist die Vollendung des Lebens des Einzelnen eingebettet: »Die ecclesia militans wird sich vollenden zur ecclesia triumphans. Wer hier mit Christo im Leiden steht, steht dort in lauter Herrlichkeit. Wer hier ›ein Leben unter dem Kreuz‹ führt, genießt dort ewiglich ein ›Leben über dem Kreuz‹.«427 So steht am Ende der Kreuzestheologie für Steffen die »Freude dessen, der überwunden hat«428 , und von diesem Ende her verwandelt sich schon die Existenz des jetzt noch im Kampfe stehenden Christen in eine von der Freude bestimmte Existenz: »Der Geist des Gekreuzigten ist schon jetzt ein Geist der Freude (Joh. 17,13) […]«429. Und weiter: »Auch die Leidens- und Sterbensgemeinschaft, zu der die Kirche des Kreuzes wieder werden wird, wird eine Gemeinschaft der Freude sein. Denn sie öffnet uns den Zugang zur ewigen Freude. Mag das Leid sich oft genug in die Einsamkeit zurückziehen, die Freude kann 415 416 417 418 419 420 421 422 423 424 425 426 427 428 429
AaO 183. Ebd. AaO 186. Ebd. AaO 187. Ebd. AaO 188. AaO 189. AaO 191. Siehe aaO 192. Siehe aaO 193. Siehe ebd. Ebd. AaO 194. Ebd.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
nicht einsam bleiben […], sie sucht stets Genossen der Freude. […] Wenn einst alle Bande, die die Menschen aneinander ketten, reißen, wird ein Band bleiben für Zeit und Ewigkeit: das Band der Liebe und Freude, das sich vom Kreuze aus um begnadigte Sünder schlingt.«430
2.5. Steffens Kreuzestheologie als ›Theologie der Freude‹ Steffens »Dogma vom Kreuz« ist eine – wir erwähnten es bereits eingangs – im Zuge der theologiegeschichtlichen Entwicklung der frühen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts verschüttete Arbeit, die in der Literatur bislang kaum Beachtung gefunden hat431. Steffen selbst hat neun Jahre nach dem Erscheinen dieses Buches eine weitere dem Kreuz gewidmete Arbeit publiziert432 , die aber weder neue Gesichtspunkte bringt noch die inzwischen dramatisch veränderte theologische Diskussionslage berücksichtigt. Wir können sie deshalb hier unbeachtet lassen. Das Erstlingswerk des Kählerschülers bietet sowohl in theologiegeschichtlicher als auch in systematisch-theologischer Hinsicht eine Reihe von Aspekten, die es verdienen, festgehalten zu werden. In theologiegeschichtlicher Hinsicht ist die Arbeit deshalb interessant, weil sie die Formulierung und die skizzenhafte Ausarbeitung eines kreuzestheologischen Programms bietet, bevor das später in der Dogmatik unbeschadet seiner verschiedenen Variationen einschlägig gewordene Konzept von W. v. Loewenich formuliert wurde. Im Vergleich zur späteren, von W. v. Loewenichs Lutheruntersuchung ausgehenden, kreuzestheologischen Arbeit mutet Steffens Buch wie ein ›blinder Wurmfortsatz‹ an: er ist auf Fragestellungen konzentriert, die sich aus der positiven Theologie und der Bibeltheologie seines Lehrers Martin Kähler ergaben, und die er in der Auseinandersetzung mit Theologen wie Schaeder, Lütgert, Schlatter und Häring – um nur die wichtigsten zu nennen – abarbeitet. Dabei geht Steffen durchweg behutsam, konstruktiv und zugleich sehr entschlossen in der Absicht vor, die Tatsächlichkeit, die Objektivität des Kreuzesgeschehens gegenüber aller rein subjektiven Fassung der Versöhnungslehre zur Geltung zu bringen. Die Gesprächslage, in der er sein Anliegen verfolgt, ist durch den Aufbruch der dialektischen Theologie weitestgehend in den Hintergrund gedrängt worden – auch Steffen mußte so fast zwangs430
AaO 195. Ausnahmen bilden lediglich die oben in Anm. 15 erwähnte kurze Besprechung von Steffens Buch bei G. Wenz; seine oben in Anm. 18 notierte Erwähnung bei J. Moltmann sowie ein Bezug E. Jüngels auf Steffens trinitätstheologische Deutung des Kreuzesgeschehens als »Ereignis göttlicher Liebe« (E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, 19926 , 481 Anm. 21). 432 B. Steffen, Kreuz und Gewißheit. Eine historisch-dogmatische Untersuchung, 1929. Siehe dazu die Rezension von G. Wehrung (THLZ 25, 1930, 67–70). 431
2. Der Kreuzestod Christi als Strafstellvertretung und Quelle der Freude
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läufig in Vergessenheit geraten. Aber in seinem Bemühen, die Forderung Kählers, das Kreuz zum ›Grund und Maß der Christologie‹ zu machen, dahingehend umzusetzen, daß er das Kreuz – bzw., um ganz genau zu sein, den »Geist des Gekreuzigten« – zum Prinzip der ganzen Dogmatik macht und dies nicht nur als Programm formuliert, sondern auch vollständig skizziert, präludiert er die spätere Generalisierung der Kreuzestheologie zum konstruktiven wie kritischen Konstruktionsprinzip der Dogmatik. Erst bei G. Ebeling ist wieder der grundsätzliche Versuch zu beobachten, den Gehalt einer ausgearbeiteten Dogmatik als Ganzen von der Kreuzesbotschaft her zu entwickeln und diese zentrale Funktion der Kreuzestheologie auch explizit thematisch zu machen: Theologie ist für ihn »im ganzen theologia crucis«433. Kreuzestheologie ist also kein Topos neben anderen, sondern wird hier geradezu zum Synonym für christliche Dogmatik überhaupt.
In systematisch-theologischer Hinsicht sind an Steffens kreuzestheologischem Entwurf vor allem zwei Momente bemerkenswert. Zum einen ist es sein Insistieren auf der Tatsächlichkeit des Kreuzestodes Jesu, der eben nur in dieser Tatsächlichkeit zugleich Sachgrund und Wirklichkeit der Versöhnung des Menschen mit Gott ist. Darin stellt sich Steffen dezidiert in die ihm von Kähler vermittelte kreuzestheologische Tradition von Luther und Paulus und erteilt zugleich der Aufhebung nicht nur der Anstößigkeit, sondern auch des soteriologischen Sinnes des Kreuzestodes Jesu, wie er auf jeden Fall bei Ritschl und im Grunde auch schon bei Schleiermacher vorliegt, eine entschiedene Absage. Bei H.-J. Iwand, dem ersten wirklichen ›Kreuzestheologen‹ nach der dialektischtheologischen Wende, werden wir dieselbe Frontstellung – allerdings transponiert in die veränderte theologische Landschaft der Jahrhundermitte – wiederfinden: Kreuzestheologie in dem skizzierten Sinne wird für Iwand der einzige und zugleich notwendige Weg ›theologischen Realismus‹ sein. Von solchem theologischen Realismus bzw. – in der Diktion Steffens – von der Objektivität des Kreuzes, ohne die jeder Gedanke an eine subjektive Aneignung der Versöhnung mit Gott ins Leere griffe, wird sich auch künftige Kreuzestheologie nicht ungestraft entfernen können. Außerordentlich problematisch ist allerdings die starre Applikation des christologischen Dogmas bei Steffen. Der Versuch, stets die Balance zwischen der Göttlichkeit und der Menschlichkeit Jesu zu wahren, ohne aber das christologische Dogma wirklich kreuzestheologisch zu reformulieren, wie es angesichts der Tatsache notwendig wäre, daß dieses Dogma das Kreuz Jesu selber nicht zum Thema macht, führt bei Steffen dazu – wie G. Wenz richtig angemerkt hat –, daß die stets starr vorausgesetzte Einheit von Gottheit und Menschheit Jesu »nur am Ort Gottes, nicht jedoch am Ort des Menschen Je433
G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. II: Der Glaube an Gott den Versöhner der Welt, 19893 131.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
sus ausgesagt«434 wird. Das Anliegen Steffens, im Kreuzestod Jesu dessen wirkliches Überwinden des Todes als der Sündenstrafe des Menschen zur Geltung zu bringen, wird durch das faktische Übergewicht, das die Gottheit Jesu auf diese Weise bei ihm erhält, immer wieder unterlaufen. Zum Schluß ist auf einen Gedanken Steffens hinzuweisen, der alle Beachtung auch für die künftige kreuzestheologische Arbeit in der Dogmatik verdient. Denn seine Kreuzestheologie will auf die Freude als den »köstlichste[n] Sinn«435 der Stellvertretung Christi in seinem Kreuzestod zielen: »Über seinem stellvertretenden Leiden steht nicht ewige Nacht, sondern die Sonne der stellvertretenden Freude. Wer ihm nachfolgt, ist Nachfolger seiner Freude!« 436 Diese Fokussierung auf die Freude des Glaubenden als des Nutznießers der in Christus verwirklichten Versöhnung mit Gott behält bei Steffen das letzte Wort und verweist auch den bei ihm schwarz und düster gefärbten Strafgedanken in die Vorläufigkeit. Zuletzt, wenn die Kirche des Kreuzes ihre universale Sendung erfüllt hat, sieht Steffen geradezu einen »Sozialismus der Freude«437 heraufziehen, mit dem die in der Weltvollendung triumphierende Kirche den »öden, freudlosen Sozialismus des Hasses« 438 besiegen wird: »Wenn einst alle Bande, die die Menschen aneinanderketten, reißen, wird ein Band bleiben für Zeit und Ewigkeit: das Band der Liebe und Freude, das sich vom Kreuz aus um begnadigte Sünder schlingt.«439 Diese Freude in der Nachfolge des Gekreuzigten ist bei Steffen nun allerdings kein plattes »happy end« oder ein Sprung aus dem zu durchlebenden Leben in eine erträumte Seligkeit hinein. Sondern diese Freude behält die Signatur des Kreuzes440 . Für die Kirche gilt, daß auch sie, die immer wieder eine »Leidensund Sterbensgemeinschaft«441 wird, als solche eine »Gemeinschaft der Freude«442 ist, weil sie dem Christen »den Zugang zur ewigen Freude«443 öffnet. Und der einzelne Christ lebt in der Freude, sich von Christus erlösen zu lassen, so wie es Christi Freude war, die Menschen zu erlösen444. Auch diese Nachfolgefreude behält die Signatur des Kreuzes, weil sie ja Freude in der Nachfolge des Gekreuzigten ist: »Seine Freude war es, den Willen des Vaters zu tun; unsere Freude ist es, durch ihn in seiner Nachfolge denselben Willen tun zu können.«445 434 435 436 437 438 439 440 441 442 443 444 445
G. Wenz, Versöhnungslehre II, 190. Steffen, Dogma, 41. Ebd. AaO 195 (im Original kursiv). Ebd. Ebd. Vgl. auch das Kirchenlied »In dir ist Freude in allem Leide« (eg 398). Steffen, Dogma, 195. Ebd. Ebd. AaO 41. Ebd.
3. Exkurs: Kreuzestheologische Bezüge in der Theologie des ›frühen‹ Karl Barth
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Damit kommt eine Unterscheidung im Begriff der Freude in den Blick: die »ewige« und durch kein Leiden mehr getrübte Freude, auf die der Christ im Glauben hoffen darf, ermöglicht ihm die ›kreuzförmige‹ Freude inmitten seiner auch von Leiden und Sterben gezeichneten irdischen Existenz. Steffens Rede von der Freude als dem ›Modus‹ des Kreuzesglaubens und dem Zielbegriff der Kreuzestheologie ist eine wertvolle Ergänzung der Rede vom Trost des angefochtenen Gewissens, die sich mit der Kreuzestheologie Luthers verbindet, die jedoch bei Steffen keine Rolle spielt. Der Begriff der Freude macht ähnlich wie der des Trostes deutlich, worum es in der Kreuzestheologie überhaupt geht: um das Heil des lebendigen Menschen, das als Glaube zur Erfahrung kommt und das schon mitten im Leben die Freude des Menschen ist, weil er sich über Leid und Tod hinaus auf dieses Heil – freuen darf. Indem Steffen die Kreuzestheologie unbeschadet ihres Gehaltes in eine Theologie der Freude transponieren kann, hat er der künftigen kreuzestheologischen Arbeit auch über den Graben der Theologiegeschichte hinweg, der das beginnende 21. Jahrhundert von dem noch ›vordialektischen‹ Beginn des 20. Jahrhunderts trennt, eine wichtige Anregung ins Stammbuch geschrieben.
3. Exkurs: Kreuzestheologische Bezüge in der Theologie des ›frühen‹ Karl Barth In der Einleitung zu dieser Untersuchung hatten wir bereits gesehen, daß sich die Arbeit W. v. Loewenichs zu Luthers Kreuzestheologie explizit derjenigen theologischen Richtung bzw. Bewegung verpflichtet fühlte, die später allgemein unter dem Titel »Dialektische Theologie« zusammengefaßt wurde und deren wohl herausragendester Vordenker Karl Barth war. Eine unmittelbare Anregung zur kreuzestheologischen Frage durch Karl Barth läßt sich bei v. Loewenich zwar nicht nachweisen, aber dennoch liegt es nahe, auch beim Fehlen eines direkten literarischen Berührungspunktes beim ›frühen‹ Barth nach kreuzestheologischen Bezugspunkten zu suchen. Dabei sind wir wesentlich auf die zweite Auflage seines Kommentars zum »Römerbrief«446 (1922) und auf den auf einen Vortrag zurückgehenden Aufsatz »Not und Verheißung der christlichen Verkündigung«447 (ebenfalls 1922) gewiesen. Daß Karl Barth in der Zeit um die Erarbeitung der zweiten Fassung des Römerbriefkommentars die theologia crucis Luthers für seine eigene Dialektik in Anspruch genommen hat, hat M. 446 K. Barth, Der Römerbrief (1922), 199916 . (Die Seitenangaben beziehen sich vor dem Schrägstrich auf die aktuelle Ausgabe von 1999 und nach dem Schrägstrich auf die Originalpaginierung von 1922). 447 K. Barth, Not und Verheißung der christlichen Verkündigung (1922, in: Ders., Das Wort Gottes und die Theologie. Gesammelte Vorträge, 1929, 99–124).
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
Beintker bereits zum Gegenstand eingehender Erörterungen gemacht448 . Im folgenden werden wir uns dem Barthschen Vortrag, einer ›Stichprobe‹ aus dem Römerbriefkommentar (im folgenden: Römer II) und der Beurteilung des Barthschen Vorgehens hinsichtlich seiner Rezeption der Kreuzestheologie Luthers durch M. Beintker zuwenden. 1922, zwei Jahre nach dem Erscheinen von Steffens »Dogma vom Kreuz«, hielt Barth den Vortrag »Not und Verheißung der christlichen Verkündigung«. In diesem Vortrag bezeichnet Barth das konsequente Durchhalten der Infragestellung des Menschen, in der durch das göttliche Nein hindurch schon das göttliche Ja als die Antwort enthalten sei449, als Stehen unter dem Kreuz. Sich unter das Kreuz zu stellen heißt nämlich, »sich vor Gott zu stellen«450 . Das ist zugleich die konsequente Absage an die »Linie des katholischen Altarsakraments«451, auf der die Kirche sich in teilweise sehr subtiler Form dem Gericht wie der Gnade als selbstherrliche ›creatrix creatoris‹ 452 entzieht. Barth erläutert diese Situation vor allem unter Rückbezug auf Luthers Heidelberger Disputation: die Opposition von theologia crucis und theologia gloriae markiert den unversöhnlichen Gegensatz menschlicher Selbstmächtigkeit auf der einen und der rückhaltlosen Nachfolge (Barth verwendet den selten gebrauchten Begriff »derelictio«453, um das Aufgeben der alten, über die wirkliche Situation des Menschen vor Gott hinwegtäuschenden, Bindungen zum Ausdruck zu bringen) auf 448 M. Beintker, Die Dialektik in der »dialektischen Theologie« Karl Barths (BeTh 101), 1987, 209ff. Vgl. auch Dens., Das Krisis-Motiv der Römerbriefphase als Vorstufe von Barths Zuordnung von Gesetz und Evangelium (in: H. Köckert / W. Krötke [Hg.], Theologie als Christologie. Zum Werk und Leben Karl Barths. Ein Symposium, 1988, 56–70) sowie W. M. Ruschke, Entstehung und Ausführung der Diastasentheologie in Karl Barths zweitem »Römerbrief«, 1987; H. Bintz, Das Skandalon als Grundproblem der Dogmatik. Eine Auseinandersetzung mit Karl Barth, 1969; T. L. Cross, Dialectic in Karl Barth’s Doctrine of God (Issues in Systematic Theology 7), New York 2001; J. F. Lohmann, Karl Barth und der Neukantianismus. Die Rezeption des Neukantianismus im ›Römerbrief‹ und ihre Bedeutung für die weitere Ausarbeitung der Theologie Karl Barths, 1995 – Unter den Genannten hat allein Beintker den Zusammenhang der Dialektik bzw. Diastatik des frühen Barths mit der Kreuzestheologie Luthers wahrgenommen und eingehend diskutiert. Selbst die Untersuchung von Bintz, bei der dieser Bezug von ihrem Thema her noch am nächsten gelegen hätte, stellt die Frage nach dem Verhältnis von Barths Skandalon-Begriff zur Kreuzestheologie nicht. In diesem Verzicht mag allerdings methodisch das Urteil des Verfassers durchschlagen, daß sich in der »Behandlung des Skandalonproblems […] erneut Barths idealistische Denkform« (Bintz, Skandalon, 61) zeige, in der der »Glaubende […] das Skandalon nur als im Hegelschen Sinne ›aufgehobenes‹ Ärgernis zu Gesicht [bekommt], nämlich als Ärgernis, das nur als überwundenes besteht« (Ebd.). Im Hinblick auf Barths Ausführungen zum Begriff der theologia crucis in der Kirchlichen Dogmatik kann man dieser Einschätzung einen gewissen Reiz nicht absprechen, s.u. in dieser Arbeit Teil I.2.2. 449 So aaO 114. 450 Ebd. 451 AaO 121. 452 So aaO 122 u.ö. 453 AaO 121.
3. Exkurs: Kreuzestheologische Bezüge in der Theologie des ›frühen‹ Karl Barth
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der anderen Seite. Luther habe – so Barth – die reformatorische Theologie, »auf deren Boden wir angeblich stehen, definiert als theologia crucis, die von dort aus entworfen ist, wo der Mensch auch sein Höchstes und Bestes, gerade das, preisgegeben und unter das Gericht gestellt hat und so die Verheißung ergreift, auf Glauben, allein auf Glauben hin, weil er selber ergriffen ist von der grundlosen, nur in sich selber begründeten Barmherzigkeit Gottes, weil Christus der Gekreuzigte in seiner derelictio der Träger der Verheißung ist«454. Barth fragt nun in seinem an Pfarrer gerichteten Vortrag nach den Konsequenzen, die ein Ernstmachen mit der theologia crucis nach sich ziehen müßte: »Wollen wir dort stehen, dann müssen wir jedenfalls allem resolut den Abschied geben, was auf der Linie des katholischen Altarsakraments liegt, dieses genialsten Symbols einer Kirchenherrlichkeit, die sich dem Gericht entziehen zu können meint und sich gerade der Gnade entzieht […]. Wir sollen unter keinen Umständen creatores creatoris sein wollen. […] Was in der Linie des Altarsakraments liegt, das ist Flucht von der Not der christlichen Verkündigung und darum Flucht auch vor ihrer Verheißung.«455 Um das zu erreichen, sei Besinnung nötig »über das, was da geredet und getan wird, […] Besinnung heißt Erinnerung an den Sinn unsres Redens und Tuns. […] Reformation findet statt, wo Besinnung stattfindet«456 . So hat die scheinbar tote Kirche allen Grund, auf ihre Auferstehung(en) zu hoffen457. Deutlich ist an Barths Gebrauch des Begriffes der theologia crucis, daß er ihn einerseits in enger Anlehnung an Luthers Heidelberger Disputation verwendet, und andererseits von hier aus eine Generalisierung vornimmt, die mehr zu sein beansprucht, als ein bloßer historischer Rückbezug auf Luthers Konzept der Kreuzestheologie von 1518. Gerade in dieser Generalisierung wird Barth aber vielleicht dem Geist der lutherischen Konzeption überhaupt gerecht: Denn Barth versteht theologia crucis in diesem Vortrag in dem von Luther formulierten Sinne als Paradigma reformatorischer Theologie überhaupt458 . Reformation ihrerseits – als Besinnung auf die von Gott an den Menschen ergehende Frage verstanden, in der Nein und Ja, Gericht und Gnade, Tod und Leben beschlossen sind459 – ist dann als solche das Stehen vor Gott, was sich dem ereignet, der unter dem Kreuz steht460 . Hier schließt sich der kreuzestheologische Gedankenkreis dieses Barthschen Vortrages: Kreuzestheologie im skizzierten, an Luther angelehnten, Sinne ist hier der Sache nach das Paradigma der rechten, sich rückhalt-
454 455 456 457 458 459 460
Ebd. AaO 121f. AaO 123. So aaO 124 in Anlehnung an J. Calvin. So aaO 121. So aaO 114. Vgl. aaO 114.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
los – in der Haltung der »derelictio« – auf die Situation des Menschen vor Gott besinnenden Theologie. Als ein Beispiel für Barths Deutung des Kreuzes Christi bzw. des Mitgekreuzigtseins mit Christus in Römer II ziehen wir hier seine Auslegung von Römer 6, 3–7 heran, in der es um den in der Taufe bezeugten Tod Christi geht, »in welchem der rücksichtslose, der radikale Anspruch Gottes auf den Menschen triumphierte«461. Durch die Taufe wird der Mensch in dieses Ereignis einbezogen, ist »verschwunden und verloren in diesem Tod, verschlungen und bedeckt von diesem Anspruch Gottes«462 . Das wiederum bedeutet, daß der Mensch jeder Spielart des Wahns, Gott ähnlich zu sein, entschlagen ist, »denn was soll davon übrig bleiben angesichts des Kreuzes?«463. Das Mitsterben mit Christus in der Taufe ist der Tod, das Ende, der Abbruch des alten, unter der Macht der Sünde lebenden Menschen: der Tod des Christus »schafft den Hohlraum, in dem die usurpierte Selbständigkeit des Menschen nicht mehr gedeiht«464. Es ist die »unanschauliche Wurzel der anschaulichen Sünde«465 , die hier angegriffen wird. Und genau deshalb ist dieser Tod an sich Gnade466 , weil schon allein die »Gefährdung, Unterhöhlung und Zersetzung, die von ihm ausgeht, das Tun Gottes ist«467. Es geht Barth unmißverständlich darum, den Tod des alten Menschen radikal zu fassen und keinerlei ›Reste‹ und Kontinuitäten, die vom alten zum neuen Menschen hinüberführen können, übrigzulassen. Sondern der neue Mensch ist wirklich neu, und seine Neuheit ist nicht ohne radikale Verneinung des alten zu haben. Aber indem genau diese Negation nicht weniger als ein Handeln Gottes darstellt, ist »die Kräftigkeit seiner Negation urkräftigste Position«468 . So ist dieser Tod »zugleich Angel, Schwelle, Übergang und Wende […] zum neuen Menschen«469. Darin vollzieht sich ein Kategorienwechsel von menschlichem, der Sünde verfallenem, Wesen hin zum göttlichen Handeln selber: »Tod ist nicht Gnade, solange er eine bloß relative Negation ist, solange der Angriff auf diesen Menschen stecken bleibt in bloßer Kritik, Opposition und Revolution gegen diese und jene Gegebenheit, solange die relativen Menschenmöglichkeiten etwa bloß vermehrt werden durch einige weitere (negative!) Menschenmöglichkeiten wie Askese, ›zurück zur Natur!‹, ›schweigende Anbetung‹, mystischer Tod, buddhistisches Nirwana, Bolschewismus, Dadaismus u. dgl., solange der An461 462 463 464 465 466 467 468 469
K. Barth, Römer II, 188/173 Ebd. Ebd. AaO 188/173. Ebd. So aaO 189/174. Ebd. AaO 189/174. Ebd.
3. Exkurs: Kreuzestheologische Bezüge in der Theologie des ›frühen‹ Karl Barth
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griff also nicht (›begraben mit ihm!‹) fortschreitet zur grundsätzlichen Negation dieses Menschen und seiner Möglichkeiten.«470 Diese Negation, diese »Krisis, das Ende, der Schall der letzten Posaune« 471 geht »diagonal hindurch, durch das Ja und Nein, Leben und Sterben, Alles und Nichts, durch das Genießen und Entbehren, Reden und Schweigen, Erhalten und Umstürzen, durch das tätige Handeln und durch das beschauliche Warten dieses Menschen«472 . Und die Auferstehung verstärkt geradezu noch den Ernst und die Radikalität dieses Tauftodes. Christus hat diesem Menschen das Begräbnis bereitet473, und zwar »in der Schaffung des neuen, des unanschaulichen Menschen, […] in unserem Sein in Christus die Aufhebung unseres Seins in Adam«474. Das neue Leben, in dem der Getaufte und mit Christus mitgekreuzigte wandeln darf, wird nun weder in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft »etwa Ereignis neben andern Ereignissen«475. Sondern es bleibt »mein unsichtbarer Blick- und Beziehungspunkt, die Krisis, die mein Endliches durch mein Unendliches erfährt, die Drohung und Verheißung, die unzeitlich-unanschaulich jenseits aller zeitlich-anschaulichen Ereignisse ›meines‹ Lebens steht – jenseits aller, weil und sofern Welt Welt, Zeit Zeit und Mensch Mensch ist« 476 . Insofern bleibt das Wandeln im neuen Leben als »Futurum resurrectionis«477 »ewige[s] Futurum«478 . Dieses neue Leben ist – wie der neue Mensch selber – in diesem Leben unanschaulich. Das unterscheidet ihn vom Leib der Sünde: Diese hat einen »Leib« und so wird sie »fortwährend anschaulich, geschichtlich«479. Bei der »Kreuzigung des alten Menschen« handelt es sich nun um nicht weniger als »um die Aufhebung dieses Leibes, dieses meines zeitlich-dinglich-menschlich bestimmten Daseins«480 , denn »[i]n der Krisis des Christustodes wird die Totalität meiner Leiblichkeit, meines Da-Seins und So-Seins als solche in Frage gestellt, um, also ›aufgehoben‹, in Beziehung gesetzt zu werden zu dem unanschaulichen neuen Menschen, mit dem ich, mit Christus gekreuzigt, identisch bin.«481 Besonders im Hinblick auf Römer II hat M. Beintker unterstrichen, daß Barth sich für die »kreuzestheologische Einweisung der Theologie, Verkündigung und Glaubenshaltung […] betont auf die theologia crucis des jungen 470 471 472 473 474 475 476 477 478 479 480 481
AaO 189f/174. AaO 190/174. Ebd. So ebd. Ebd. AaO 190/175. AaO 191/175. AaO 190/175. AaO 191/175. AaO 195/179. Ebd. Ebd.
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
Luther«482 beruft, wobei er Luthers Zurückweisung der theologia gloriae »im Hinblick auf die zeitgenössische theologische Situation paraphrasiert« 483 und dabei »den Sinn von Luthers Unterscheidung zwischen ›theologia crucis‹ und ›theologia gloriae‹ in der Disputatio Heidelbergiensis, besonders Thesen und Probationen 19–22, angemessen erfaßt hat und wiedergibt«484: »Römer II tritt mit dem Anspruch auf, zu sagen ›id quod res est‹, wie Luther es vom Theologen unter dem Kreuz erwartet«485. Beintker zeigt von hier aus, daß Barth »die Dialektik als die der theologia crucis einzig angemessene Denkform [erscheint]«486 . Die Pointe der Dialektik Barths in Römer II liegt nun darin, daß das Stehen unter dem Kreuz bedeutet, vom Ostermorgen nur im Modus der Verheißung reden zu können487: »Kein Weg, der den Glaubenden am Ärgernis des Kreuzes, das zugleich seine Verheißung ist, vorbeiführt.«488 Genau in dieser Schärfe, in der Barth das Stehen und dem Kreuz zeichnet, treten nach Beintker nun aber auch deutliche Differenzen zwischen Barth und Luther zutage. Anders als Barth »würde Luther die Verheißung des Ostermorgens in die Rede vom Kreuz einbeziehen und die tröstliche Kraft des Sterbens und Auferstehens Christi denn auch deutlich aussprechen«489. In Römer II dagegen bleibt die Existenz des neuen Menschen im Glauben völlig unanschaulich, »ein Gedanke, der Luther in dieser Fassung völlig fremd war, aber für das eschatologisch geschärfte Problembewußtsein von Römer II geradezu typisch ist«490 . Barth konnte sich für die kreuzestheologische Rechtfertigung seiner Dialektik aber durchaus auf die auch Luther »sehr geläufig[e]« 491 »Dialektik des göttlichen Handelns als Töten und Lebendigmachen«492 beziehen. Allerdings wäre es für Barth »undenkbar« – was Beintker im Kontrast zu Luthers Auslegung von Mt 15,21–28 ausführt –, »daß wir gegen das göttliche Nein auf das göttliche Ja pochen können und in dieser Berufung auf Gottes Ja gegen Gottes Nein tatsächlich ›Gott zu eygen‹ nach unserem Willen bekommen […], die theologia crucis dieses Buches vereitelt alle Versuche, ›Gott mit seinen eigenen Worten zu fangen‹!«493. Nach Beintkers Urteil hat Luther von der Erfahrung des Ja Gottes auch reden können, »ohne dieses Ja sogleich wieder mit dem Nein konfrontieren zu 482 483 484 485 486 487 488 489 490 491 492 493
M. Beintker, Dialektik, 209. AaO 210. Ebd. Ebd. AaO 211. So ebd. Ebd. So ebd. AaO 212. Ebd. Ebd. AaO 213.
3. Exkurs: Kreuzestheologische Bezüge in der Theologie des ›frühen‹ Karl Barth
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müssen«494. Bei Luther führe die theologia crucis »unmittelbar in die unverfälschte Freude am mir zuteil werdenden Geschenk göttlicher Gerechtigkeit«495. Dagegen behaftet Barth in Römer II »den Glaubenden bei der Permanenz des Angefochtenseins«496 . Barth will damit unmißverständlich der Neigung entgegensteuern, die Rechtfertigungsgewißheit »im Sinne eines religiösen Habens«497 zu verfälschen. Deshalb – so Beintker – »hat Barth in der Phase von Römer II alle gewiß machenden, tröstenden, seelsorgerlichen Elemente der reformatorischen Rechtfertigungslehre dialektisch problematisiert« 498 . So ist im Ergebnis für Beintker Barths Berufung auf Luthers Kreuzestheologie zwar »nicht einfach unberechtigt und unbegründet«499, bleibt aber »einseitig«500 : »Anders als Luther hält Barth in der theologia crucis die Spannung des angefochtenen Glaubens auch im Angesicht des Christus crucifixus bewußt durch: Christi Kreuz hebt die Erfahrung des göttlichen Nein für uns Menschen in der Zeit nicht in einem ungebrochenen Akt des Ja auf. Das Ja als solches, ohne den Einspruch des Nein, bleibt für uns Verheißung.«501 Es ist also ganz deutlich, daß Karl Barth in der Zeit von Römer II Luthers Kreuzestheologie nicht allein konstruktiv aufnimmt, um in ihr eine Kronzeugin für seine eigene Dialektik zu finden, sondern daß er sich bei diesem Vorhaben sogar auf die ›radikale‹, noch nicht durch die spätere positive Entfaltung der Rechtfertigungslehre ausbalancierte Kreuzestheologie des frühen Luther konzentriert. Die darin zur Geltung kommende ›Einseitigkeit‹ (Beintker) in der Lutherrezeption zieht sich übrigens auch durch Barths weiteres theologisches Schaffen durch. Ebeling hat mit Recht bemerkt, daß der Umbruch der Römerbriefzeit Barths zwar durchaus von einem »spürbare[n] Berührtsein von der geistlichen und sprachlichen Ausstrahlungskraft Luthers«502 begleitet war, »ohne daß freilich diese Sympathie eine gründliche Beschäftigung mit Luthers Theologie bei Barth ausgelöst hätte«503. Für Barths Verhältnis zu Luther waren nach Ebeling »zwei Faktoren hemmend wirksam: zum einen sein reformierter Standort, anfänglich verstärkt durch den darauf bezogenen Lehrauftrag, zum andern das Vorhaben einer Dogmatik, wofür Luther vom Fach her nicht primär als Gesprächspartner in Betracht zu kommen […] schien«504. 494
AaO 214. Ebd. 496 Ebd. 497 AaO 215. 498 Ebd. 499 Ebd. 500 Ebd. 501 Ebd. 502 G. Ebeling, Karl Barths Ringen mit Luther (in: Ders., Lutherstudien, Bd. III: Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen – Wirkungsgeschichtliches, 1985, 428–573), 531. 503 Ebd. 504 Ebd. 495
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A. Kreuzestheologische Ansätze und Bezüge bis zur »Dialektischen Theologie«
Unsere Ausgangsfrage nach kreuzestheologischen Bezugspunkten und deren Bewertung hat sich durch die vorstehenden Ausführungen bereits positiv beantworten lassen: Es gibt beim ›dialektischen‹ Barth deutliche und explizite Bezüge auf Luthers Kreuzestheologie. Diese wird positiv im Sinne der eigenen Dialektik Barths rezipiert und tendenziell in die Richtung der größtmöglichen Diastase zwischen Gott und Mensch interpretiert. Inwieweit damit Luthers eigene theologia crucis zumindest der Frühzeit tatsächlich noch getroffen oder doch bereits überspannt worden ist, müssen wir im Rahmen dieser Arbeit offen lassen. Der kreuzestheologische Befund beim frühen Barth zeigt beispielhaft, daß der Aufbruch der »Dialektischen Theologie« ein ideales »Klima« für eine mehr als nur beiläufige Zuwendung zur Kreuzestheologie Luthers schuf – ein Klima, in dem sich dann einige Jahre nach Barths zweitem Römerbrief W. v. Loewenich dialektisch-theologische Grundeinsichten und gründliche Lutherexegesen zu dem Konzept von »Kreuzestheologie« verdichten konnte, das dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer in den zwanziger Jahren selbst wohl noch kaum voraussehbaren Blüte gelangen sollte.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen der Evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts 1. Kreuzestheologie als Theorie des »theologischen Realismus« bei Hans-Joachim Iwand Für Hans Joachim Iwand (1899–1960)1 ist der Begriff der theologia crucis durchweg ein zentraler Orientierungsbegriff seiner eigenen Theologie gewesen. Die kreuzestheologische Orientierung seines Denkens verdankt sich seinen intensiven Auseinandersetzungen mit der Theologie Martin Luthers, wird aber erst dann voll verständlich, wenn gesehen wird, daß er ganz dezidiert die kreuzestheologische Lutherhermeneutik W. v. Loewenichs in ein dogmatisches Prinzip überführt. Durch die Anknüpfung bei v. Loewenich – aber nicht nur durch sie – ist Iwands Kreuzestheologie, die im wesentlichen erst in Arbeiten aus den 50er und 60er Jahren ausgearbeitet zutage tritt, zugleich eine der späten Früchte des dialektisch-theologischen Aufbruchs der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Katalysatorisch für die Konzentration Iwands auf die theologia crucis als das in formaler wie in materialer Hinsicht organisierende Prinzip rechter christlicher Theologie haben zweifellos die Herausforderungen gewirkt, die Iwand zunächst durch den Kirchenkampf und später dann durch die Situation des Kalten Krieges gestellt wurden2 . In Luthers Kreuzestheologie, wie sie ihm vor allem in dessen Psalmenvorlesungen und seiner Römerbriefvorlesung von 1 Zur Biographie Iwands siehe E. Burdach, Hans Joachim Iwand. Theologe zwischen den Zeiten. Ein Fragment 1899–1937, 1982; P. Sänger / D. Pauly (Hg.), Hans Joachim Iwand – Theologie in der Zeit. Lebensabriß und Briefdokumentation. Bibliographie, 1992; J. Seim, Biografische Skizzen zu H. J. Iwand – Iwand in seinen menschlichen Beziehungen (in: M. Hoffmann [Hg.], Die Provokation des Kreuzes. Entdeckungen in der Theologie Hans Joachim Iwands, 1999, 15–43); Ders., Hans Joachim Iwand. Eine Biographie, 1999; Ders., Hans Joachim Iwand. Biografische Skizze (in: B. Klappert / M. Schulze [Hg.], Aus der Umkehr leben. Hans Joachim Iwand 1899–1999 [=Veröffentlichungen der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, Neue Folge, Bd. 4], 2001); G. C. den Hertog, Befreiende Erkenntnis. Die Lehre vom unfreien Willen in der Theologie Hans Joachim Iwands, 1994, 19–48. 2 »Wer Iwand in seinen tiefsten Absichten verstehen möchte, kann deshalb nicht umhin, nach einer Beschreibung zu suchen, die sowohl dem systematischen als dem biographischen Aspekt gerecht wird.« (G. C. Den hertog, Erkenntnis, 12)
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
1515/16 begegnete, war für Iwand »der theologische Eckpunkt«3 gefunden: Von hier aus »sollte er die kommenden kirchlichen und politischen Ereignisse beurteilen«4. Mehr noch: Das Kreuz wird »für Iwand zum Erkenntnisprinzip seiner Theologie überhaupt«5. In dieser Arbeit interessiert uns vor allem das zweite Moment. Sowohl seine kirchenpolitische Rolle im Kirchenkampf als auch seine theologisch motivierte politische Versöhnungsarbeit in der Zeit des Kalten Krieges bleiben in dieser Untersuchung ausgespart. In diesem Kapitel sollen die entscheidenden Momente der Kreuzestheologie bei H. J. Iwand zur Darstellung kommen. Im Rahmen dieser Arbeit ist es dabei nicht möglich, das gesamte und zu großen Teilen posthum veröffentlichte Œuvre Iwands zu berücksichtigen. Das ist auch sachlich nicht erforderlich, denn das, was Iwand kreuzestheologisch von Luther lernt, und wie er dieses dann produktiv in seiner Theologie verarbeitet, läßt sich unter Bezugnahme auf einige ausgewählte Arbeiten darstellen. Als solche Basistexte werden hier die Vorlesung »Luthers Theologie« (1956/57)6 ; der Beienroder Vortrag »Theologia crucis« von 19597 und vor allem die bisher wenig untersuchten drei großen Christologievorlesungen aus den Jahren 1958/598 herangezogen. In der Literatur zu Iwand ist bereits mehrfach auf die wichtige Rolle der Kreuzestheologie in seinem Denken hingewiesen worden. Exemplarisch seien hierzu Arbeiten von R. Heinrich9, G. C. den Hertog10 und von M. Hoffmann11 genannt. R. Heinrich wendet sich besonders der Rolle der theologia crucis in Iwands Lutherinterpretation zu. Iwand habe von Anfang an versucht, »den konstitutiven Zusammenhang 3 M. Hoffmann, Einführung: Theologie unter der Provokation des Kreuzes (in: Ders. [Hg.], Die Provokation des Kreuzes, 9–14), 10. 4 Ebd. 5 M. Hoffmann, Die Kreuzestheologie Hans Joachim Iwands (in: Ders. [Hg.], Die Provokation des Kreuzes, 135–151), 136. 6 H. J. Iwand, Luthers Theologie (in: Ders., Nachgelassene Werke, hg. v. M. Gollwitzer / W. Kreck / K. G. Steck / E. Wolf, Bd. 5, 20033). 7 H. J. Iwand, Theologia crucis (in: Ders., Nachgelassene Werke, Hg. v. H. Gollwitzer / W. Kreck / K.G. Steck / E. Wolf, Bd. 2, 20002, 381–398). 8 H. J. Iwand, Christologie. Die Umkehrung des Menschen zur Menschlichkeit. Bearbeitet, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von E. Lempp und E. Thaidigsmann (in: Ders., Nachgelassene Werke. Neue Folge, Hg. v. der Hans-Iwand-Stiftung, Bd. 2), 1999. Vgl. hierzu: H. Assel, »… für uns zur Sünde gemacht…« (2 Kor 5,21). Christologie und Anthropologie als Kreuzestheologie bei Hans Joachim Iwand (EvTh 60, 2000, 192– 210). 9 R. Heinrich, Verheißung des Kreuzes. Die Christologie Hans Joachim Iwands (Fundamentaltheologische Studien Nr. 4), 1982. 10 G. C. den Hertog, Die Schule des Glaubens – Kreuzestheologie in den Predigtmeditationen von Hans-Joachim Iwand, in: J. Seim / M. Stöhr (Hg.), Beiträge zur Theologie Hans Joachim Iwands (=Arnoldshainer Texte 51), 1988, 226–262, und Ders., Erkenntnis. 11 M. Hoffmann, Kreuzestheologie Iwands, 135–151.
1. Kreuzestheologie als Theorie des »theologischen Realismus«
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zwischen Rechtfertigungslehre und theologia crucis bei Luther aufzuzeigen und gleichzeitig die systematischen Prämissen einer Theologie aufzudecken, die die Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes von der theologia crucis Luthers scheiden wollte«12 . Nur die Kreuzestheologie bewahrt die Rechtfertigungslehre vor subjektiver Einseitigkeit bzw. davor, zu »einer Theologie der gläubigen Existenz [zu werden], die den Werken und dem Verdienstgedanken nicht wirkungsvoll widersprechen kann«13. Gleichzeitig weist Heinrich zu Recht auf den engen Zusammenhang hin, den Iwand zwischen der Rechtfertigungslehre und der als Erkenntnisweg verstandenen Kreuzestheologie auf der einen, und der Anthropologie auf der anderen Seite hergestellt hat14. Denn die »theologia crucis gewährleistet als erkenntnistheoretisches Prinzip die realistische Tiefendimension der Anthropologie«15 . Dann wird nämlich der Mensch anthropologisch »negativ bestimmt, in dem sein aktiver Selbstbehauptungswille als unfreie Leidensform erkennbar wird«16 . Und er wird wesentlich als ein Werdender beschrieben, dessen Leben gleichsam die Schule des Leidens ist: »Diese realistische Anthropologie wäre ohne die durch die theologia crucis bedingte christologische Konzentration der Gotteslehre nicht möglich. In der einseitigen Erkenntnis Gottes im Gekreuzigten wird Gott zugleich in Kreuz und Leiden gefunden und verborgen. Die Verborgenheit Gottes repräsentiert das extra nos und die Proexistenz Gottes im Kreuz (…). Paradox verbürgt also gerade der deus absconditus – immer zugleich gedacht mit dem deus crucifixus –, daß Gott aus dem wechselhaften geschichtlichen Leben nicht ausgegrenzt wird und daß der deus crucifixus in der zeitlich-vergänglichen Wirklichkeit diese selbst überwindet.«17 Heinrich hebt hervor, daß die theologia crucis »als hermeneutisches Prinzip Iwands Interpretation der Lutherschriften«18 bestimme. Das bedeutet, daß Iwand mit der inhaltlichen, durch sein Verständnis der theologia crucis transportierten, Voraussetzung an Luther herangeht, »daß der Mensch als ein werdendes Wesen anzusehen ist, dessen Werden inhaltlich vom Leidensprozeß Jesu bestimmt wird«19. ›Werden‹ heißt, »in der eigenen Existenz, im Verstehen, Erleben, Erfahren und Handeln in die Konfrontation von werkgerechtem Selbstbehauptungswillen und Anerkennung der fremden Gerechtigkeit hineingenommen zu sein. Interpretieren kann der Mensch dann nur, wenn er sein Erleben und seine Erfahrung in der Begegnung mit dem Gekreuzigten christlich wertet.«20 Daraus resultiert, daß Iwand Luther »immer im Interesse eines gegenwartsgebundenen Vorverständnisses, das wiederum von der geschichtlichen Entwicklung her erhellt werden muß«21, interpretiert. Damit beschreibt Heinrich genau den hermeneutischen Zirkel, der uns bei Iwands Lutherinterpretation auf Schritt und Tritt begegnen wird: Iwand paraphrasiert Luther in enger und stets einfühlsamer Nähe zu dessen Texten und dessen Sprache – und das dergestalt, daß er sich Luthers Denken zu eigen macht, indem er sich den Grundkonflikt zwischen Mensch und Gott sowie seine Überwindung von Gott her am 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Heinrich, Verheißung, 103. Heinrich, Verheißung, 108. So Heinrich, Verheißung, 103f. Heinrich, Verheißung, 117. Ebd. Heinrich, Verheißung, 117f. Heinrich, Verheißung, 118. Ebd. Heinrich, Verheißung, 119. Ebd.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
Kreuz des Christus von Luther in seine – Iwands – eigene Gegenwart hinein aufs Neue freilegen läßt. G. C. den Hertog 22 hat ebenfalls die zentrale Bedeutung der theologia crucis für das theologische Erkennen bei Iwand herausgestellt. Den Hertog »glaub[t] nicht fehlzugehen«23 , wenn er in Luthers Auslegung von Psalm 32 das Wesen der Iwandschen Kreuzestheologie erblickt: der Mensch solle sich in Unverstand senken, um den Verstand Gottes zu empfangen. Entscheidend ist die von den Hertog gestellte Frage, ob die unter der theologia crucis aufgebrochene, ja verneinte Einheit von Glauben und Wissen nicht dazu führe, daß dann »zwar die Zeugen von Gott bewegt, die Geschichte jedoch sich selbst überlassen« bleibe24. Der Weg zu einer rationalen Rechenschaft des Glaubens scheint abgeschnitten und den Hertog spitzt die Frage zu, worin sich diese »theologia crucis von einer Kreuzesideologie« unterscheide25 . Den Hertog greift diese Frage auf, indem er nach der Bedeutung v.a. der Kreuzestheologie Luthers für Iwands Erkenntnistheorie fragt: »Von Luthers theologia crucis her kann Iwand die Möglichkeit der Gotteserkenntnis von der Schöpfung und der vollen und wahren Offenbarung Gottes selbst in Jesus Christus her so stark betonen. Gott ist in Christus handelnd in dieser Welt gegenwärtig. Aber – wir sehen ihn nicht.«26 Das liegt daran, daß der Mensch sich selbst und Gott von seinem eigenen Selbstbewußtsein und seinen eigenen Werken her verstehen will: »Deshalb ist er blind für Gott, der sich in Christus, in Leiden und Kreuz offenbart. Das entspricht nicht seinem geblendeten, um sich selbst kreisenden Selbstbewußtsein!«27 Theologia crucis – als Methode – heißt dagegen, »daß wir vom Sein her zum Bewußtsein gelangen«28 . Das geschieht durch das Wort Gottes, das »aus dieser Wirklichkeit nicht ableitbar [ist] und … keinen einzigen Stützpunkt [bietet] – außer in sich selbst«29. Wort und Sein haben nach den Hertog bei Iwand »eine gemeinsame Wurzel«30 . Diese Wurzel ist der Erkenntnis allerdings nicht zugänglich (den Hertog verweist hier auf die Analogie des Iwandschen Gedankens zu Kants »Ding an sich«31). Außerdem läßt sich nicht hinter das Wort nach dem Sein Gottes zurückfragen: »Deshalb ist und bleibt der Glaube Glaube, und läßt sich nicht in eine Weltanschauung umwandeln. Wir haben Gott nicht anders als in seinem Wort.« 32 Menschliches Erkennen wurzelt von daher immer in einem Erkanntwerden und kann sich nicht davon isoliert vollziehen. Das heißt, daß eine als theologia crucis verstandene Dogmatik »nie ein System sein« kann33 , denn dieses wäre ganz anders als die vom Erkanntwerden durch das Wort Gottes ausgehende Erkenntnis »die Bewegung des Suchens nach Erkenntnis Gottes auf dem Felde der Geschichte«34. Theologia crucis erlaubt es nicht, »in sich ruhende Dog-
22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34
G. C. den Hertog, Erkenntnis. AaO 205. AaO 214. Ebd. AaO 405. AaO 405. Ebd. AaO 406. AaO 407. So aaO 406f. AaO 407. AaO 408. Ebd.
1. Kreuzestheologie als Theorie des »theologischen Realismus«
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men, die eine abgerundete Erkenntnis enthalten, zu formulieren«35 . Von der Kreuzestheologie her können dogmatische Aussagen nur eine kritische Funktion erfüllen, denn diese nimmt der Theologie ihre Möglichkeiten zum Spekulieren 36 . Damit erhebt sich allerdings die Frage nach dem positiven Charakter dogmatischer Aussagen. Theologische Ist-Sätze sind nach Iwand auf den Verheißungscharakter der Offenbarung gegründet [d.h. nicht etwa auf einen etwaigen Informationscharakter der Offenbarung, der es ermöglichte, ihren Inhalt in einen geistigen Besitz zu verwandeln und so das kreuzestheologische Kernmoment von der Unsichtbarkeit und Unverfügbarkeit Gottes wieder zu unterlaufen]. Solchen Ist-Sätzen ist der Theologe, der sich ausspricht, selber verpflichtet. Den Hertog zieht den Schluß: »Diese ›Ist-Sätze‹ haben bei Iwand daher im großen und ganzen die gleiche Funktion wie die assertio in der mittelalterlichen Tradition der Disputationen, in der auch Luther stand.«37 Das wiederum bedeutet im theologischen Ergebnis bei Iwand, daß die Gewißheit solcher Sätze nicht mit dem Selbstbewußtsein des Aussagenden, sondern mit dem extra me des Wortes Gottes zusammenfällt. Entsprechend bilden dogmatische Aussagen, als assertiones im dargestellten Sinne verstanden, einen ›Stachel im Fleisch des autonomen Denkens‹ 38 . Oder – auf das Problem von Glauben und Wissen gewendet: »Erst der Glaube befreit zum Wissen!«39 Im diesem Zusammenhang spricht den Hertog von einer gegenüber Luther »neuen Profilierung der theologia crucis« bei Iwand40 . Iwand hatte – so den Hertog – die geistige Situation seiner Zeit im Begriff des Nihilismus zusammengefaßt41. Nihilismus wurzelt in der annihilatio Dei, die die Wirklichkeitserkenntnis verdirbt und zur Ideologie pervertiert. Der Glaube bricht aus diesem Nihilismus aus, wird aber selber durch ihn angefochten, weil das Kreuz »die Radikalisierung des Nihilismus« ist42 . Das Kreuz lehrt nämlich, in die scheinbar objektive Gottlosigkeit der Lebenswirklichkeit hineinzugehen, um zu lernen, »dort zu hoffen, wo es nach menschlichem Ermessen nichts mehr zu hoffen gibt, wo außer dem lebendigen Gott und dessen promissio nichts anderes übrigbleibt«43. Der Glaube überwindet also den Nihilismus, aber durch radikale Passivität, indem er sich alle Wirklichkeitsgewißheit im Außerhalb des Wortes Gottes entziehen läßt. Durch diese Bezogenheit auf das Wort Gottes ist diese Passivität dann allerdings äußerste Aktivität – eine Aktivität der Hoffnung44. Mit diesen Überlegungen versucht Iwand nach den Hertog, »die Fragen von Glauben und Wissen mit Hilfe der theologia crucis tiefer ins Leben [hineinzuziehen]«45 . Und hier, »wo die neue Welt Gottes in unsere konkrete Wirklichkeit hereinbricht«46 , »wird man theologus crucis!«47 Die Neuprofilierung der Kreuzestheologie Iwands gegenüber Luther verdankt sich also dem dezidierten Eingehen Iwands auf das Problem von Glauben und Wissen und dem von Hegel vorgelegten Lösungsvorschlag, 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
AaO 406. So ebd. AaO 417. So aaO 418. AaO 419. AaO 455. So aaO 456. AaO 456. AaO 456f. So aaO 457. Ebd. AaO 459. Ebd.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
»Glauben in Denken [zu verwandeln]«48 . Gerade damit hatte Hegel aber »die Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf verwischt«49. Hier setzt nach den Hertog Iwands Hegelkritik ein: wird Gott nämlich in die Grenzen des menschlichen Denkens eingesperrt, bleibt der Mensch an das Vorhandene gebunden, das befreiende Wort, das Gott eben von außen in die menschliche Wirklichkeit hineinspricht, wird geradezu methodisch ausgeschlossen »und wir sind nur einen Schritt vom Nihilismus entfernt«50 . Damit schließt sich der Kreis der den Hertogschen Analyse der Kreuzestheologie Iwands. Martin Hoffmann hat in einem von ihm herausgegebenen Sammelband zur Theologie Iwands einen Aufsatz zu Iwands Kreuzestheologie veröffentlicht51, in dem er Iwand »einen fast vergessenen Meister der Kreuzestheologie«52 nennt, »der gleichermaßen aus biblischen Quellen und aus der Theologie Martin Luthers schöpfte, um damit die gesellschaftlichen Fragen seiner Zeit anzugehen«53. Auch für Hoffmann steht die formale, erkenntnistheoretische Funktion im Zentrum der Iwandschen Kreuzestheologie. Iwand wollte die Welt vom Kreuz Christi aus verstanden wissen, um eine Alternative zu rein subjektiven Weltdeutungen (Werturteilen) zu formulieren, denn er reklamierte »für die theologische Sicht der Wirklichkeit […] den gleichen, ja höheren Anspruch auf Wahrheit als ihn empirischwissenschaftliche Erkenntnis formuliert«54. In inhaltlicher Hinsicht hat Iwand in der Kreuzestheologie den Kulminationspunkt des Versöhnungsgeschehens zwischen Gott und Mensch formuliert55 . Dabei isoliert Iwand das Kreuz allerdings nicht, sondern versteht es »im Rahmen«56 von Inkarnation, Tod und Auferstehung Christi. Unter Anknüpfung von Iwands Rezeption der 19. These der Heidelberger Disputation Luthers skizziert Hoffmann die vom Kreuz aus zu gewinnende Gottes- und Selbsterkenntnis, die in einer »eschatologische[n] Anthropologie [resultiert], welche den Menschen unter den Aspekten von Kritik und Verheißung in den Blick nimmt«57. Ähnliches gilt für die Kirche. Sie ist nicht mit dem Volk Gottes identisch und muß sich mit diesem immer wieder durch das Wort vom Kreuz aus ihrer »Selbstgefälligkeit«58 herausrufen lassen. Gleichzeitig hat sich diese Kirche auch praktisch und politisch in den Dienst der in ihr bezeugten Versöhnung zu stellen: »Zur Theologie des Kreuzes aber gehört eine Kirche, die um der Versöhnung willen den Konflikt riskiert.«59 Auch Religion und Kultur erhalten in der Kreuzestheologie ihre rechte Perspektive. Weder der kulturprotestantische Weg der Synthese, noch der Weg der Diastase, der in der Trennung von Christentum und Kultur gegipfelt habe, waren für eine Verhältnisbestimmung von Religion und Kultur erfolgreich. Iwand hat nach Hoffmann seinen Ansatz im Anschluß an Karl Barth mit Hilfe der »Unterscheidung von Evangelium und Religion«60 gewonnen. Gegen den in der Religion zur Geltung kommenden Weltbezug als Ausgangspunkt um das Wissen von Gott hat sich auch Iwand gewandt. Denn 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60
AaO 370. AaO 379. AaO 380. M. Hoffmann, Kreuzestheologie Iwands, 135–151. AaO 135. Ebd. AaO 137. So ebd. Ebd. AaO 143. AaO 145. AaO 146. AaO 147.
1. Kreuzestheologie als Theorie des »theologischen Realismus«
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im Evangelium ist es Gott selbst, der sich zu erkennen gibt: im Gekreuzigten leuchtet die »neue […] Wirklichkeit des Gottesreiches«61 auf. Von hier aus werden auch menschliche Wertvorstellungen nicht einfach ins Recht gesetzt, sondern neu konstituiert62 . Denn die Vernunft braucht einen orientierenden Referenzrahmen in der Offenbarung Gottes, so daß überhaupt erst eine rationale, profane Kultur ermöglicht wird, durch die »das Gewissen des Menschen frei von allen weltlichen Bindungen für eine letzte und ausschließliche Bindung an Gott« 63 wird. Diese Sicht Iwands hat sich nach Hoffmann gerade auch in der »positive[n] Zusammenarbeit mit Ideologien« bewährt, »z.B. in der gemeinsamen Friedens- und Versöhnungsarbeit mit Sozialisten in der Zeit des Kalten Krieges«64. Hoffmann faßt seine Eindrücke zu Iwands Kreuzestheologie zusammen: »Das Kreuz kann [nicht] Symbol für eine allgemein-menschliche Religiosität sein – dabei würde der eschatologische Charakter der Kreuzesbotschaft unterschlagen […] .Das Wort vom Kreuz ist sehr wohl skandalon-Botschaft in seinem prophetisch-kritisch-aufklärenden Zug, aber setzt vor dem durch ihn eröffneten Hoffnungshorizont auch die konstruktive Mitarbeit in Kultur und Gesellschaft frei.«65
Die drei besprochenen Literaturbeispiele zeigen insgesamt, daß die Iwandforschung in der Aufarbeitung der Kreuzestheologie des Theologen noch nicht über eher knappe und schlaglichtartige Arbeiten hinausgekommen ist. Iwands theologia crucis muß gerade auf dem Hintergrund ihrer von allen Autoren einmütig erkannten und in Anschlag gebrachten zentralen Stellung im Denken Iwands wesentlich gründlicher untersucht werden. Vor allem besteht in der bisherigen Literatur ein deutliches Defizit hinsichtlich der materialtheologischen Funktion der Kreuzestheologie bei Iwand. Zu der bisher noch ausstehenden gründlicheren Aufarbeitung der Kreuzestheologie Iwands soll dieses Kapitel einen Beitrag leisten. Außerdem scheint in der bisherigen Iwand-Forschung das Bewußtsein über den theologiegeschichtlichen Ort der Iwandschen Kreuzestheologie noch nicht hinreichend entwickelt: Daß diese im Grunde eine lupenreine Umsetzung des v. Loewenichschen Programms, wie wir es im ersten Teil unserer Untersuchung herauspräpariert haben, auf dem Felde der Dogmatik darstellt, wird überhaupt nicht gesehen. Iwand ist jedoch gerade derjenige Theologe gewesen, der das v. Loewenichsche Konzept der Kreuzestheologie Luthers in die dogmatische Arbeit im engeren Sinne implementiert hat. Dadurch hat er die kreuzestheologische Hochkonjunktur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erst ausgelöst.
61 62 63 64 65
AaO 148. So ebd. AaO 149. Ebd. AaO 151.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
1.1. Luthers »theologia crucis« als Schlüssel der Christologie Für Iwands Lutherarbeiten gilt die Feststellung K.-H. zur Mühlens, daß Iwand »die lebendige Begegnung mit dem Reformator und die Übertragung seiner Gedanken in die Gegenwart (wesentlicher und wichtiger)« war als etwa das historische Referat66 . Dieses Urteil bestätigt Iwands eigene Aussage, daß die Deutung von Luthers Konzeptionen nicht heißen könne, »seine Formeln nachbeten, sondern heißt: die Intention erfassen und sie scheiden von den faktischen Entwicklungen, die aus diesen Formeln hervorgegangen sind«67. Dementsprechend kann es nicht darum gehen, im Detail zu untersuchen, ob und inwieweit Iwand Luther »richtig« interpretiert hat und wo genau Iwand innerhalb der Lutherforschung zu verorten wäre. Vielmehr wird es darum gehen, die kreuzestheologischen Grundgedanken und -anliegen Iwands herauszuarbeiten, die dieser selbst als von Luther gewonnen festgehalten hat. Unser Interesse an Iwands Lutherverständnis ist also nicht in erster Linie historisch, sondern systematisch motiviert. Für K.-H. zur Mühlen steht fest, daß sich in den in Band 5 der Nachgelassenen Werke Iwands veröffentlichten Vorlesungen68 , die für uns durch Iwands frühen Tod an die von Iwand eigentlich geplante monographische Gesamtdarstellung zur Theologie Luthers treten müssen, »die Hauptkonturen seines Verständnisses der Theologie Luthers und seines Lutherbildes erkennen« lassen69. Wir werden uns darum auf diese Vorlesungen, die Iwand in den Jahren 1956 und 1957 gehalten hat, konzentrieren. Weil aber unser zentrales Interesse auf der Kreuzestheologie liegt, wenden wir uns zuerst dem einschlägigen Vortrag »Theologia crucis« aus dem Jahre 1959 zu70 . a) Theologia crucis: der seelsorgliche Charakter theologischen Erkennens 1959 hält Iwand in Beienrode einen Vortrag mit dem Titel »Theologia crucis«. Dieser Vortrag bringt in Kurzform die zentralen Aspekte zur Sprache, die Iwand von Luthers Kreuzestheologie aufgreift, und das in den für Iwand typischen systematischen Akzentuierungen. Iwand geht in diesem Vortrag auf die
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K.-H. zur Mühlen, Das Lutherverständnis Hans Joachim Iwands (in: B. Klappert / M. Schulze [Hg.], Aus der Umkehr leben, 2001, 79–96), 79. Vgl. auch aaO 96: »[Die] Nähe zu Luthers Theologie zeichnet H. J. Iwands Lutherverständnis aus, die Distanz objektivierter historischer Betrachtung war nicht sein primäres Anliegen.« An zur Mühlens kurzer Darstellung von Iwands Lutherverständnis fällt allerdings auf, daß er ohne eine einzige Erwähnung von Luthers theologia crucis und Iwands Bezugnahme auf sie auskommt! 67 H. J. Iwand, Luthers Theologie (Ders., Nachgelassene Werke [=NW], Hg. v. H. Gollwitzer, W. Kreck, K.G. Steck, E. Wolf, Bd. 5), 20003, 230. 68 S.o. Anm. 6. 69 AaO 93. 70 S. o. Anm. 7.
1. Kreuzestheologie als Theorie des »theologischen Realismus«
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19. und 20. These von Luthers Heidelberger Disputation, auf seine Operationes in Psalmos und seine Auslegung der Sieben Bußpsalmen ein. Er will grundsätzlich zeigen, daß es sich beim Stichwort theologia crucis bei Luther »um ein theologisches Erkenntnisprinzip handelt, mit dem Luther auf der Heidelberger Disputation (…) die alte scholastische aber auch in etwa die augustinische neuplatonische Methode überwindet«71. »Theologia crucis« bezeichnet also ein Prinzip theologischen Erkennens. Als solches aber ist es nun nicht etwa bloß ein theoretisches oder spekulatives Prinzip, sondern hat eine eminent praktische Bedeutung: Iwand mißt der von ihm bei Luther vorgefundenen Kreuzestheologie »seelsorgerlichen Charakter«72 bei, insofern sie den neuen, sich für den Glauben an das Kreuz ergebenden »Begriff von Wirklichkeit« entfaltet73. Die Frühfassung von Luthers theologia crucis weist also für Iwand nicht »in die dogmatische Richtung der Versöhnungslehre, sondern in die praktische eines neuen Verhältnisses zur Wirklichkeit«74. Dieses – gegenüber der mittelalterlichen Auffassung – neue Wirklichkeitsverständnis besteht darin, daß der Theologe, der den kreuzestheologischen Weg der Gottes- und Welterkenntnis betritt, nicht etwa zum mönchisch-klösterlichen Versuch einer Weltflucht oder -überwindung angeleitet wird, sondern »Gott begegnet in der Wirklichkeit eines gänzlich unberechenbaren, von unendlichen und weithin abgründigen Wechselfällen erfüllten geschichtlichen Lebens«75. An dieser Stelle tritt der Begriff der Wirklichkeit ins Zentrum. Wir werden dem Wirklichkeitsbegriff im folgenden immer wieder als Zielbegriff der Kreuzestheologie Iwands begegnen, wobei die kreuzestheologische Perspektive Iwand eben zu einem dezidiert theologischen Verständnis von Wirklichkeit anleitet. Der Begriff der Wirklichkeit, die Iwand von Gottes Handeln im und am gekreuzigten Christus her zu verstehen sucht, wird von ihm in verschiedene Richtungen entfaltet: es geht bei der Wirklichkeit um Gott, der die eigentliche, die wahre Wirklichkeit ist; es geht um die Welt, die sich an sich selbst nur mit einem Schein von Wirklichkeit zu umgeben vermag; und es geht um den Menschen, der sich erst von der am Kreuze zu Tage tretenden Wirklichkeit Gottes her selber zu verstehen vermag. Trotz dieser immer wieder in Anschlag gebrachten theologischen Perspektive, in der der Wirklichkeitsbegriff bei Iwand zum Tragen kommt, behält die71
AaO 381. AaO 382. 73 Ebd. 74 Ebd. 75 Ebd. Dieser Gedanke Iwands ist ein schönes Beispiel dafür, wie ihm die historische Betrachtung von Luthers eigenem Lebensweg und die systematische, generalisierende Rezeption des historischen Beispiels ineinanderfließen: Denn Iwand sieht hier deutlich Luther im Hintergrund, der als »Theologus crucis – im Gegensatz zu dem überkommenen Verständnis des Mönchtums, das die Kreuzesfrömmigkeit als Weltflucht und Weltüberwindung übte – aus dem Kloster ausscheidet« (ebd.). 72
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
ser doch etwas Schillerndes und wird nicht durchgehend und eindeutig bestimmt. Er bleibt daher in besonderer Weise deutungsoffen und interpretationsbedürftig. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, daß der Iwandschüler Moltmann später den Wirklichkeitsbegriff zum Zentralbegriff seiner eigenen Kreuzestheologie machen kann und ihn doch zugleich eben nicht mehr als theologisch bestimmten Begriff durchzuhalten versucht: bei ihm wird die erlebte, erfahrene Wirklichkeit zum hermeneutischen Schlüssel für das Wort vom Kreuz. Bei Iwand ist es umgekehrt. Wenden wir uns Iwands Ausführungen zur Heidelberger Disputation zu. In ihr hatte Luther nicht allein die Frage nach der theologia crucis, sondern auch nach dem theologus crucis gestellt. Denn Theologie ist für ihn kein theoretisches Ergebnis, das von dem Menschen und der Art und Weise, wie dieser sie betreibt, ablösbar wäre. Im Blick auf die 19. These der Disputation unterstreicht Iwand, daß nach Luther nicht verdient, Theologe genannt zu werden, wer – in scholastischer Manier verführt durch die herrschende Meinung, die Intelligibilität des Menschen lasse ihn erkenntnistheoretisch aus der Schöpfung herausragen – Theologie als das Bemühen versteht, von der sichtbaren geschaffenen zur unsichtbaren Welt Gottes aufzusteigen. Auch Luther verknüpft das Anschauen Gottes mit dem menschlichen Verstehen (intelligere): »Aber« – so stellt Iwand fest – »er geht dabei nicht von den sichtbaren Dingen aus, die geschaffen sind, er geht bei dieser Gotteserkenntnis überhaupt nicht von der Welt aus, sondern von Gott. Gottes verborgene ›visibilia et posteriora‹ sind Gegenstand der ›Anschauung‹.«76 Und von Luthers Aussage ausgehend, Gott sei als der zu verehren, der in den Leiden verborgen ist, schlägt Iwand eine Linie von der Inkarnation zum Kreuz77 und weiter zum Erkennen Gottes: »Die Inkarnation ist also identisch mit dem ›deus absconditus‹. Die Theologia crucis und das Prinzip der Erkenntnis Gottes allein in Christo müssen nun zusammenfallen.«78 Diese christologische Konzentration der Gotteserkenntnis, »mit der die Reformation theologisch ihren Anfang nimmt«79, ermöglicht – unter direkter Bezugnahme auf die erste Barmer These – Iwand auch die Zurückweisung einer Unterscheidung innerhalb der Gotteserkenntnis zwischen natürlicher Offenbarung und Heilsoffenbarung: die Annahme der Möglichkeit einer natürlichen Offenbarung – so ist Iwand hier zweifellos zu verstehen – befindet sich nämlich gemeinsam mit der von Luther abgewiesenen scholastischen Theologie auf dem Boden der »theologia gloriae« und ist damit von Anfang an im Grunde ›Nicht76
AaO 386. In seiner Christologievorlesung (Iwand, NW NF Bd. 2) wird Iwand der Sache nach das Kreuz als das Telos der Menschwerdung Gottes, der Inkarnation, herausarbeiten. 78 Iwand, Theologia crucis, 386. Iwand kann sich auch auf Luthers Erläuterungen zur 20. These stützen, aus denen er zitiert: »Ergo in Christo crucifixo est vera Theologia et cognitio Dei«; »At Deum non inveniri nisi in passionibus et cruce« (aaO 387). 79 AaO 387. 77
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Theologie‹. Die Theologia gloriae hatte ein ›Schauen‹ Gottes zum Ziel; die Theologia crucis dagegen echtes »›intelligere‹, ein Begreifen und Verstehen«80 . Der Theologe endlich hinter der Theologie ist darum wichtig, weil sein Menschenbild selber ja die Theologie mitprägt. Hinter der theologia gloriae steht der Mensch, der meint, als Geistwesen Gott verwandt zu sein. Bei Luther dagegen wird, was der Mensch ist, erst angesichts des Deus absconditus et crucifixus deutlich. Der »Theologus crucis« läßt sich in seinem Erkennen Gottes ausschließlich davon leiten. Er »leidet« es – so könnte man die der Gottesoffenbarung im Kreuz entsprechende Haltung bezeichnen, die einen Theologen zum Theologus crucis macht –, Gott so (und zwar nur so!) zu verstehen, wie dieser selbst sich dem Menschen zu erkennen geben will. Von sich selber her, und das heißt eben: ohne diese Bereitschaft, Gott als den zu »leiden«, der im Leiden und Kreuz des Christus begriffen werden will, kann der Theologe wie übrigens der Mensch überhaupt Christus gar nicht erkennen, er »ignorat Deum absconditum in passionibus«81. Von hier aus hat er dann ein von Grund auf irriges Wertgefühl: »Er neigt dazu, das Wirken dem Leiden vorzuziehen.«82 Und genau das ist diejenige unheilvolle Umkehrung des Verständnisses von Mensch und Wirklichkeit, die Luther zu bekämpfen suchte – ein Kampf, dessen Anliegen Iwand sich im Blick auf das Problem der natürlichen Theologie und seiner von ihm theoretisch wie existentiell gründlich ebenso durchlebten wie durchdachten Konsequenzen selber zu eigen macht: »Die Flucht vor dem Gnadenwort in die Leistung, die Verwandlung der theologischen Situation in eine ethische ist ein Adam – also unserem natürlichen Menschen – kongeniales Tun. Luther sieht in diesem ›praktischen‹ Akt die Wurzel für den Einbruch der natürlichen Theologie.«83 Nur der Blick auf das Kreuz als den von Gott gewählten Ort seiner Offenbarung im Leiden kann den Menschen aus seiner theoretischen und praktischen Fehlorientierung in Bezug auf die Wirklichkeit, deren Teil er selber ist, befreien. Der Mensch der natürlichen Gotteserkenntnis nämlich »wertet Leiden und Schmach als etwas Schlimmes, etwas Böses. Er sucht das Gute dort, wo es nicht ist. Darum lebt er verkehrt. Er lebt falsch.«84 Der neue »Begriff der Wirklichkeit« dagegen »bricht […] durch«, wenn »Theologus crucis dicit id quod res est (These 21).«85 Nachdem Iwand an einigen Thesen der Heidelberger Disputation das Problem falscher und rechter Gotteserkenntnis und das damit zusammenhängende Menschen- und Wirklichkeitsverständnis erörtert hat, wendet er sich Luthers 80 81 82 83 84 85
Ebd. AaO 386. AaO 387. AaO 388. AaO 388. AaO 389.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
Operationes in Psalmos zu. Hier findet er das, was in den Heidelberger Disputationsthesen schwerpunktmäßig erkenntnistheoretisch durchgeführt worden war, praktisch-existentiell vertieft. So wird Iwand »[d]ieser Psalmenkommentar […] die genuine Darstellung dessen, was Luther unter diesem theologischen Prinzip verstand«86 . Das ist im Charakter der Psalmen selber begründet: »Die Psalmen und die Theologia crucis – das ist ein- und dasselbe. Hier war sie gelebt, bekannt und ausgelegt. Hier war sie laut geworden in der Schrift.«87 Um nämlich die Psalmen überhaupt richtig zu verstehen, »müßte man von der Theologia crucis herkommen, besser noch: man mußte [sic!] vom Kreuz Jesu Christi herkommen«88 . Denn im Leiden Christi waren alle Psalmbeter gerechtfertigt, die allein auf Gott gehofft hatten. Luther stellt – und darin bewährt sich das auch in den Heidelberger Thesen begegnende Schema – »das aktive und das passive Leben des Frommen gegenüber, der Weg geht vom Tun zum Leiden, und erst im Leiden – so meint er – zeigt sich, ob ich allein auf Gott vertraue«89. Die Adamexistenz ist ganz auf Werke ausgerichtet 90 – das »ist das ›positive Christentum‹, das man sehen und an das man sich halten kann bei sich selbst wie bei anderen«91. Der Glaube dagegen bewährt sich erst in der vita passiva und seine Bewährung ist die Geburt der Hoffnung im Menschen92 . Luthers Verständnis von der Hoffnung, die im Tragen des von Gott her angenommenen Leidens geboren wird, ist nach Iwand vom mittelalterlichen und vom kantischen Lohngedanken denkbar weit entfernt: bei Luther tritt die Hoffnung erst zum Vorschein, wenn auf nichts Sichtbares mehr zu hoffen ist und allein der lebendige Gott und seine Verheißung bleibt: »spes purissima in purissimum Deum«93. Es sind die Anfechtungen, das Gefühl, dem Zorn Gottes schutzlos ausgesetzt zu sein, die das eigene Selbstvertrauen abbauen, und dieser »Untergang und Zusammenbruch aller ›merita‹«94 ist ein dem Tod analoges Phänomen95. Dieses
86
AaO 389. Ebd. 88 Ebd. 89 Ebd. 90 Vgl. den aaO 388 von Iwand angeführten Satz Luthers: »Adam per opera potius aedificatur«. (Vgl. WA 1, 362, 31, dort im Zusammenhang »[…] per crucem destruuntur opera et crucifigitur Adam, qui per opera potius aedificatur«.) 91 AaO 389. 92 »Hinzuzunehmen ist das passive Leben, das das ganze aktive Leben tötet und abbaut, so daß kein Verdienst übrig bleibt, dessen sich der Überhebliche rühmen könnte. Dadurch – wenn der Mensch aushält – entsteht in ihm Hoffnung, d.h. er lernt, daß nichts da ist, über das er sich freuen, auf das er seine Hoffnung setzen, dessen er sich rühmen kann, außer Gott. Die Trübsal nämlich, da sie uns alles nimmt, läßt allein Gott zurück und kann uns Gott nicht nehmen, im Gegenteil: sie bringt Gott nahe.« (AaO 390, Anm. 20, vgl. WA 5, 165, 35) 93 Ebd. 94 AaO 391. 95 So ebd. 87
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Erlebnis der Gottverlassenheit, das »Mitgekreuzigtsein des Geistes«96 , läßt Hoffnung nur noch als patientia, als Geduld erfahren: »So daß man die Hoffnung nur noch als geistliche Geduld oder als Geduld, Schulden zu ertragen (in culpis sustinendis), bezeichnen kann«97. Bei alledem geht es um die Unabhängigkeit des Glaubens vom sentire, dem sinnlichen Wahrnehmen, dem Erleben, das seinen Lohn sofort schon in sich hat. Erst wenn das Sichtbare, das wir schaffen und an dem wir uns festhalten zu können glauben, stürzt, wenn wir wirklich haltlos ins Nichts stürzen, entsteht die Hoffnung: »Sie wird wirklich in uns geboren, und die Leere des Lebens, das Nichts im Sturz aller Werte, ist die Kehrseite, die wir spüren und die wir fühlen bei dieser Geburt. Im Augenblick des Durchbruchs des Glaubens können wir uns nur als Abgefallene, Zweifelnde und Verzweifelnde wissen. Da, wo unser Wissen um uns selbst zu Hause ist, ist nichts zu sehen.«98 Nur der Glaube, den wir uns nicht aneignen, sondern der Gottes Werk an uns ist, ist echt und bedeutet echtes Leben. Denn alles, was wir uns selber aneignen und ins Werk setzen, geschieht ja in der Hinsicht auf eine Gegenleistung, eine ›Rendite‹. Von hier aus muß Luther die scholastische Habitus-Ethik kritisieren: von der Theologia crucis aus kann keine auf menschlichen Akten aufbauende Ethik entworfen werden, denn das Tun »entspringt immer einem Sein, einem vom Glauben ausgehenden Bewegtwerden«99. Und indem es immer vom Glauben ausgeht, steht es eben nicht im aktiven Verfügen des Menschen. Hier bekommt das Wort seine zentrale Bedeutung, denn es ist eben das verbum Dei, durch das der Mensch von seiner notorischen Eigensicherung losgerissen wird: die Seele, das menschliche Selbstbewußtsein »rapitur per verbum in solitudinem«100 . Aus dem Selbstsein des Menschen wird das Sein im Wort. Das Wort Gottes aber kann man nur haben, indem es dem Menschen alles wird, indem man sich durch dasselbe die sichtbaren, gemachten, verfügbaren (eigenen) Werke entwinden läßt: »Alles oder nichts. Das ist das unvermeidliche Entweder-Oder bei der Begegnung mit dem Wort. Das ist das ›verbum purum‹.«101 Iwand betont, daß Luther diesen Zusammenhang in seinem berühmten Satz aus den Operationes in Psalmos zusammenfaßt: »CRUX sola est nostra Theologia«102 . Weil nämlich – so Iwand – »der Mensch von Hause aus Gott feind ist, darum kann er das Wirken Gottes an ihm nur als Leiden, als Anfechtung und Beraubung erfahren, eben nicht als Lebenserhöhung, sondern als Gericht und Tod. Darum lehnt sich Luther auch gegen das ›liberum arbitrium‹, gegen den 96 97 98 99 100 101 102
AaO 390. Übersetztes Lutherzitat, aaO 390 Anm. 22. AaO 392. Ebd. Zitiert aaO 392. Ebd. Zitiert aaO 393.
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freien Willen auf. Wir können uns nicht für den Glauben entscheiden […]«103. Denn auch Glauben, Lieben, Hoffen ist allein das Geführtsein durch das Wort Gottes. Diese Argumentation ist nur verständlich auf dem Hintergrund der tatsächlichen, die menschliche Wirklichkeit durch und durch bestimmenden und vom Menschen aus nicht überwindbaren Feindschaft zu Gott, der Sünde – radikal verstanden104. Iwand faßt diesen Abschnitt zusammen, indem er unterstreicht, daß die Theologia crucis »weder eine lediglich theoretische Wendung, noch eine bloße Antithese zu der Theologia gloriae (ist), sondern […] in unser Leben eingezeichnet sein [will]«105. Von ihr aus wird erst verstanden, »was es überhaupt heißt, ein Christ zu sein«106 . Christ kann man nur werden, denn das Sein des Christen ist in Gott verborgen. Es ins Bewußtsein zu erheben, also auf es intentional zu reflektieren, hieße dagegen, es zu zerstören107. Iwand legt aber Wert darauf, die positive Wendung dieses Gedankens bei Luther nicht zu übergehen und weist darauf hin, daß Luther neben der Tatsache, daß Glaube, Liebe und Hoffnung nicht im Bewußtsein vorfindlich sind, von der Notwendigkeit gesprochen habe, um das eigene Glauben, Lieben und Hoffen zu wissen und dessen auch gewiß zu sein108 . Es ist dies also ein Wissen und eine Gewißheit auf der Metaebene, nämlich lediglich um das »Daß« des eigenen Glaubens, Liebens und Hoffens zu wissen, ohne das diese dem eigenen Anschauen im Bewußtsein sichtbar würden – sie sind eben keine »visibilia«, vom Menschen gewirkt, gemacht und gestaltet, sondern »invisibilia«, Früchte des Wortes Gottes, in denen Gott selber sein Werk am Menschen tut. Die praktische Bedeutung seines kreuzestheologischen Ansatzes hat Luther nach Iwands Urteil auch in seiner Auslegung der sieben Bußpsalmen in den Mittelpunkt gestellt109. Iwand hebt sofort auf die Bedeutung des Kreuzes für das 103
Ebd. Vgl. auch Iwand, Christologie 161: Iwand lehnt jede Wendung des Christseins ins Ethische, Sittliche strikt ab: Gott will uns um sich haben, aber nicht als ›Heuchler‹, sondern als ›wirkliche Menschen‹. Dieses Ja zu uns hat er in seiner Menschwerdung gesprochen, im Menschen Jesus. – Dem durch die Sünde gefangenen Willen, der Unfähigkeit, Gott als Gott zu »wollen«, kann nur der völlige Verzicht auf jede Ethisierung und Versittlichung des Glaubens bzw. des Gottesverhältnisses entsprechen. Denn diese wäre wiederum ein »opus« des Menschen. Die von Jesus her zu gewinnende Einsicht in das Wesen des eigenen, tatsächlichen (Sünder-)Seins läßt nur radikale Passivität zu: nämlich alles Mach-, Hab-, und Festhaltbare zu lassen, um der Hoffnung Raum zu geben, die allein auf Gott hofft. 105 Iwand, Theologia crucis, 394. 106 Ebd. 107 Das ist dahingehend zu verstehen, daß das Bewußtsein bei Iwand als der Ort verstanden ist, wo wir uns und unser Sein, unsere Identität zu »haben« glauben und uns darin eben schon nicht mehr ganz Gott überlassen. Insofern kann das Bewußtsein als der Ursprungsort der opera, der vita activa, begriffen werden. 108 Siehe aaO 394. 109 So aaO 395. 104
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Wirklichkeitsverständnis ab. Denn nach Luther (Auslegung von Ps 21,10) ist das »wirkliche Leben«, das der Mensch durch Gott – oft gegen seine eigenen Pläne und sozusagen über seinen Verstand hinaus – geführt wird, eben der »Weg des Kreuzes«110 . Es ist der Lebensweg, der – ungekannt – vor uns liegt. An dieser Stelle ist es wichtig, genau auf Iwands Satzstellung zu achten: der Weg des Kreuzes ist Prädikat, das wirkliche Leben ist Subjekt. Es geht Iwand also nicht darum, daß der Mensch seines eigenen Lebens durch eine ideologisierte Nachfolgevorstellung und damit eigentlich durch einen Mißbrauch des Kreuz- oder Leidensweges entfremdet würde, sondern darum, das wirkliche, eigene Leben als den eigenen Weg des Kreuzes zu entdecken: das wirkliche Leben ist der Weg des Kreuzes; nicht aber ist der in der Frömmigkeit vielfältig idealisierte Kreuzesweg Jesu das, was dem [wirklichen] Leben jedes einzelnen Christen seine Prägung geben sollte oder auch nur könnte. Das wirkliche Leben ist der Weg des Kreuzes: Genau das unterscheidet Luthers Sicht von der Wirklichkeitsflucht und -ferne der gerade auch kreuzestheologisch überwundenen monastischen Frömmigkeit. Dieser Gedanke ergibt sich übrigens auch ganz folgerichtig aus Iwands Überlegungen zu Luthers Psalmenvorlesung. Denn dort hatte er mit Luther den mystischen Weg der Kreuzesfrömmigkeit zurückgewiesen, der den Aufstieg des Menschen über Sein und Nichtsein zu Gott als einen menschlichen Akt verstanden hatte. Gerade darum aber geht es eben nicht: stattdessen geht es um das »Erleiden von Tod und Hölle«111. Es ist also das »wirkliche Leben« der wahre und eigene Kreuzweg des Glaubenden: »Nicht das abstrakte, das selbstgezimmerte, das in einer bestimmten Isolierung von der Welt verbrachte, womöglich mit eigenen Martern und Kasteiungen geformte Dasein. Der Ruf Gottes geht an eine bestimmte Stelle – da ist er vernehmbar, nur da. Und wenn ich dem wirklichen Leben in seinen Höhen und Tiefen, seinen Anfechtungen und Tröstungen ausweiche, dann vernehme ich den Ruf Gottes nicht. Denn ich stehe ja dort, wo ich selbst meinen Platz, meinen Standort gewählt habe.«112 Schon gar nicht ist für Iwand etwa das Leben in der kirchlichen Nische des Christlichen für den genuinen, von Gott geführten Weg des Kreuzes zu halten! Iwand fragt nicht in erster Linie, warum sich die Menschen von der Kirche, sondern umgekehrt, warum sich die Kirche von den Menschen abgewandt haben könnte: »Man könnte fragen, ob nicht eine bestimmte vorgefaßte und geprägte Meinung von ›Fromm-Sein‹ und ›Christ-Sein‹ der Grund ist, warum sich die Kirche von den Menschen abwendet. Der Ruf Gottes an die Menschen ergeht eben nicht da und so, wie die ›Kirche‹ das von sich aus bestimmt. Genau hier liegt der Bruch der Reformation mit der mittelalterlichen Kirche – denn der 110 111 112
AaO 395. AaO 393 (kursiv M.K.). AaO 395f.
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Weg des Kreuzes, den Gott uns führt, ist nicht das Leben in der Kirche, sondern der Weg des Volkes Gottes in der Welt.«113 Der Weg des Lebens, den Gott den Menschen führt, bleibt unverständlich – sonst wäre es ja nicht Gottes, sondern wieder des Menschen Weg. Deshalb kann man nach Iwand immer nur beides zugleich finden: »Gott, den wirklichen Gott, der der Herr meines ganzen Lebens ist, und die Wirklichkeit dieses Lebens selbst in seiner ganzen tiefen Rätselhaftigkeit. Das tiefste und schwerste Rätsel ist in uns selbst, im Menschen.«114 Das Problem des tief im Menschsein verankerten Bösen besteht nun darin, daß man eben von seinen Werken leben will, daß man die vita passiva coram Deo von der vita activa coram mundo her überspringt und damit das Neuwerden des Menschen von Gott her gerade verdirbt. Dieses Überspringen liegt zwar in der Willkür des Menschen, es zu unterlassen, übersteigt aber seine Kräfte, denn es wird durch das »in uns und mit uns selbst gesetzte Böse […] jenseits aller unserer Freiheit«115 motiviert. Das aber »ist das eigentliche Leiden des Menschen – er muß tun was er nicht will. Die ganze Lehre von seiner ›Freiheit‹ ist ein hohler Wahn«116 . Dieses Leiden unter der Illusion einer nicht vorhandenen Freiheit kann nur loswerden, wer sich ganz dem Handeln Gottes in dem uns von ihm zugedachten Leiden aussetzt. Dieses von Gott bereitete Leiden begegnet dem Menschen in der »Unberechenbarkeit des Lebens«: »Darum Ehe, darum Arbeit, darum heraus aus einer präparierten Form christlicher Existenz! Darum […] immer ausgerichtet auf das Leben, das selbst das Ergebnis unserer Fehler und Leidenschaften ist.«117 Gerade die Unberechenbarkeit des begegnenden Lebens läßt das Leben des Glaubenden einen Kampf zwischen Furcht und Hoffnung bleiben: Gott macht seine Kinder in »widrigen und uneinigen Dingen selig«118 . Echte Hoffnung schreibt Gott weder Ziel, Art und Weise, Zeit noch Maß ihrer Erfüllung vor119. 113 AaO 396. Beachte Iwands dezidierte Unterscheidung zwischen der Kirche und dem »Volk Gottes in der Welt«! 114 AaO 396. Vgl. auch Iwand, Christologie, 160: Der »Mensch, den ich meinte in Händen zu haben, wird mir zum größten Rätsel. Ein Abgrund von Fragen. Kein Ziel, kein Ende. Kein wirkliches Bei-sich-selbst-Sein«. Der Mensch kommt auch nicht an sich selbst zu sich selbst, sondern nur im Glauben an Christus, den »wahren Menschen« (ebd.): Nur »wenn wir spüren, daß das Menschsein ein Abgrund ist, ein Meer von furchtbarer Tiefe, in dem wir versinken, kann er uns retten, nicht solange wir meinen, es sei sozusagen die gleiche Ebene, auf der wir uns mit ihm treffen. Er kann über diese Wogen wandeln, wir nicht. Er ist der Mensch, der wir nicht sind, der wir aber werden sollen!« (aaO 161). 115 Iwand, Theologia crucis, 397. 116 Ebd. 117 Ebd. Man muß aber fragen, ob nicht auch eine Fixierung auf »Ordnungen« wie Ehe, Arbeit, Staat etc. für eine subtile Form »präparierter« christlicher Existenz steht! 118 Vgl. das von Iwand aaO 398 angeführte Lutherzitat. 119 So ebd.
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Ziehen wir ein erstes Fazit. Iwand hebt in diesem Vortrag darauf ab, daß die Kreuzestheologie des jungen Luther zwar dezidiert ein Prinzip theologischen Erkennens skizziert, dieses aber eminent praktischen, ja seelsorglichen Charakter hat, indem dieses am Kreuz orientierte theologische Erkennen ein neues Verständnis der Wirklichkeit als Ganzer aus sich heraussetzt. Als »Wirklichkeit« kommt nun das Leben in der Welt mit seinen – als von Gott geschickt angenommenen – Wechselfällen in den Blick. Der Lebensweg, den der Mensch von Gott geführt wird, das ist der dem Einzelnen zugedachte Weg des Kreuzes; der wirkliche Gott und das wirkliche Leben lassen sich nur gemeinsam finden. Die Begriffe von »Wirklichkeit« und »Leben« fließen bei Iwand übrigens durchweg ineinander. Beiden Begriffen ist bei Iwand die Tendenz gemeinsam, daß sie etwas meinen, das der Mensch eher zu erleiden als aktiv zu gestalten hat. Der »Wahn der Freiheit« ist vom Menschen preiszugeben: dem Leiden in der Unberechenbarkeit des Lebens hat er sich passiv auszusetzen. Nur so ist die menschliche Haltung der Gottesoffenbarung in Leiden und Kreuz angemessen. Dieser m.E. sehr problematische Akzent, den Iwand setzt, ist möglicherweise als ein Reflex auf seine eigene, sehr wechselvolle und ihm in vielen entscheidenden Weichenstellungen weitgehend und geradezu dramatisch entzogene Biographie zu begreifen. Sieht man davon aber ab, muß doch gefragt werden, mit welchem schlagenden Argument der Mensch sein Leben eher zu erleiden als selber mindestens mitzugestalten hätte. Denn wer auf diese aktive Mitgestaltung verzichtet, läßt andere mindestens indirekt über sein Leben entscheiden und bestätigt damit via negativa bzw. passiva deren vita activa! Zudem ist auch die Einwilligung darin, sein Leben eher zu erleiden als zu führen, ein Akt, der im Paradigma der vita activa verbleibt. So gesehen, gibt es vom Menschen aus überhaupt keinen Ausweg aus der vita activa, er mag es drehen und wenden, wie er will. Und deshalb sollte er m. E. auch tapfer entschlossen sein, es im Rahmen seiner endlichen Möglichkeiten selber zu führen, statt es bloß als ein Erleiden von Widerfahrnissen zu begreifen.
Am Kreuz als der zentralen Perspektive jeder Gotteserkenntnis wird die Identität des Deus incarnatus und des Deus absconditus deutlich: Gott ist nur hier, im Leiden des gekreuzigten Christus, recht zu erkennen. Iwand folgt Luther in dieser exklusiv christologischen Konzentration der Gotteserkenntnis und wendet sie unmittelbar gegen jede Idee einer »natürlichen Theologie«. Es geht nicht um eine vom Menschen erdachte oder erträumte Gottesschau, wie sie dem »theologia gloriae« genannten Theologiemodell zu eigen ist, sondern um das exklusiv am Kreuz orientierte Begreifen und Verstehen Gottes, von dem angemessen die »theologia crucis« spricht. Gott kreuzestheologisch angemessen erkennen kann aber nur, wer sich als theologus crucis konsequent an den Ort stellt, an dem Gott sich in Kreuz und Leiden des Christus selber zu erkennen geben wollte und will: der Theologe des Kreuzes »leidet« es, Gott eben nur hier – und das heißt an einem gegenüber der spekulativen Schau der erdachten und erträumten Götter eher spröden Ort, zu suchen und sich auch im Erkennen eben hier von Gott finden zu lassen.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
Darin steht der Theologus crucis allerdings an dem Ort und geht denselben Weg, der jedem Christen zukommt. Denn die Gotteserkenntnis und die von hier ausgehende Lebenspraxis, das Leben des »wirklichen« Lebens, sind ja – das hebt Iwand immer wieder hervor – zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Im Leben bewährt sich die Kreuzestheologie in der vita passiva bzw. in der Hoffnung, der spes, die zuletzt auf nichts hofft als auf Gott allein. Diese, aller irdischen Kompensationen völlig entkleidete Hoffnung auf Gott, wird in der Anfechtung geboren. In den Anfechtungen wird der Glaube vom sentire, von seinen sinnlichen Krücken abgekoppelt. Das wiederum geschieht durch das Wort (vom Kreuz). Das Wort nämlich ruft den Menschen vom Selbstsein weg in das Sein im Wort (d.h. in das Sein, das sich ganz und gar dem Angeredetsein, dem ›Gemeintsein‹ durch Gott verdankt und seine konkrete Lebensgestalt so in jedem Lebenswiderfahrnis finden kann: »Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluß berufen sind«, Röm 8,28). b) Das Kreuz als der »Realismus Gottes« – Die Darstellung der Kreuzestheologie in den Luthervorlesungen In seinen postum veröffentlichten Luthervorlesungen120 spielt die Auseinandersetzung mit Luthers Kreuzestheologie eine zentrale Rolle. Es ist ganz deutlich, daß Luther hier, soweit es die entscheidende Stellung der theologia crucis betrifft, in der durch W. v. Loewenich entworfenen Perspektive gelesen und angeeignet wird. Iwand legt immer wieder allen Nachdruck darauf, daß es in Luthers Verständnis des Kreuzes Christi um das rechte Verständnis der Wirklichkeit des Menschen und Gottes gegangen sei: Kreuzestheologie bringt den «Realismus Gottes«121 selbst zur Sprache und erteilt damit der verzerrten Eigensicht des Menschen auf die Wirklichkeit eine radikale Absage. Schon in seiner Römerbriefvorlesung von 1516/16 hat Luther programmatisch seine ›Wende zur Sache‹ vollzogen, nämlich die Fleischesgerechtigkeit zu vernichten und dafür die Sünde groß zu machen. Das setzt sich in der Heidelberger Disputation fort: »Sehen, wie es wirklich um die Dinge steht: die Parole ›ad res!‹ ist die Luther bewegende Leidenschaft: ›Theologus crucis dicit id quod res est‹, zu deutsch: ›Der am Kreuz ausgerichtete Theologe sagt, worum es geht‹.«122 Iwand unterscheidet zwischen einer Phase »ausgesprochene(r)« theologia crucis (es handelt sich dabei um die Zeit der zweiten Psalmenauslegung [Opera120
Iwand, Luther. Beachte hierzu auch die editorischen Hinweise von K. G. Steck (aaO
11ff). 121 122
AaO 35. Ebd.
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tiones in Psalmos] 1519–21) und der Kreuzestheologie als dem »Inbegriff des Ganzen von Luthers Theologie«123. Zudem darf Luthers kreuzestheologischer Ansatz nicht mißverständlich in die Nähe der Mystik gerückt werden, in der es um eine »Einfühlung in den leidenden Gott«124 ging. Beim Luther der Römerbriefvorlesung hat das Kreuz dagegen eine ganz andere Bedeutung; es zielt nicht darauf, Mitleid mit dem gekreuzigten Christus zu wecken, sondern steht »in unmittelbarem Verhältnis zu jenem ›magnificare peccatum‹! Das Kreuz ist der Realismus Gottes selbst«125. An diesem ›Realismus Gottes‹, d.h. an dem am Kreuz sichtbaren »wirkliche[n] Gott« müssen »alle falschen, matten und halben Götterbilder zerbrechen. Kreuz heißt: ›Weil nämlich die Menschen die Erkenntnis Gottes aus den Werken mißbrauchten, wollte wiederum Gott aus den Leiden erkannt werden‹.«126 Mit den (selbstgemachten) Gottesbildern zerbrechen aber auch die erdachten Wege der Selbsterlösung. Das ›magnificare peccatum‹ aus Luthers Römerbriefvorlesung läßt den Menschen sich nämlich selber so verstehen, daß er die »falschen Heilmittel verschmäht”127, deren erstes und verderblichstes die Tat ist: »Der Tatmensch ist am Kreuz gerichtet, der sich von der Tat her Hilfe versprechende, sich in seinem Suchen nach Gott an den Werken Gottes orientierende Mensch. Der Werkmensch und der Werkgott, sie sind beide gerichtet.«128 Indem Luther die Erkenntnis des Kreuzes Christi ganz auf die Zunichtemachung des ›homo faber‹ richtet, steht er nach Iwand anders unter dem Kreuz »als Bernhard (von Clairvaux) und anders als Zinzendorf und auch ein bißchen anders als Paul Gerhardt unter dem Kreuz gestanden haben«129. Nur auf Paulus konnte er sich dabei berufen. Das Kreuz schneidet den Weg zu dem aus seinen Werken erkennbaren Gott ab, »das Kreuz ist der ›verborgene Gott‹ (Deus absconditus) und in der Tat ist für den jungen Luther auch umgekehrt der Deus absconditus immer = crucifixus!«130 . Das Wirken Gottes aber vermittelt durch die Schöpfung zu denken war die Grundidee der aristotelischen Gottesanschauung, die Th. v. Aquin »mit dem christlichen Lebensgefühl zu verschmelzen«131 versucht hatte. Dagegen richtet sich der lutherische Angriff, der von schlechthin grundsätzlicher Durchschlagskraft ist: »Homo operibus aedificatur (der Mensch wird durch die Werke erbaut) – eben diese falsche Erbaulichkeit innerhalb der Theologie muß entfernt werden. Wir spüren bereits eins, was uns 123 124 125 126 127 128 129 130 131
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 36. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 37.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
nie mehr loslassen wird: das Problem der Werke ist offenbar kein zeitbedingtes, kein ›katholisches‹.«132 Das Werkproblem ist für Iwand konfessions- und zeitlos; es bricht auf, wo man – wie Luther – tatsächlich »den wirklichen Gott und den wirklichen Menschen zu finden sucht«133. Darin ist Luther als Theologe Realist. Immer wieder greift Iwand diese, auf die Wirklichkeitserkenntnis zielende, Stoßrichtung von Luthers früher, expliziter Kreuzestheologie auf. Denn Luther sucht Gott nicht in der geistigen Welt der Vorstellungen, sondern in der Wirklichkeit in concreto. Weil aber die Welt ›verkehrt‹ und ihr Selbstverständnis gesetzlich und an den opera bzw. am Menschen als dem ›Macher‹ orientiert ist, »kann die Wirklichkeit Gottes ihr auch nur in verkehrter, in sozusagen auf den Kopf gestellter Form, in der Negation begegnen. Nur als Negation der Negation kann uns Gottes Wahrheit und Gerechtigkeit begegnen«134. Diese göttliche Negation der Negation Gottes vollzieht sich darin, daß am Kreuz alles das gerichtet ist, »was wir als Fundament und Basis unseres Selbstbewußtseins ansehen«135. Die Kraft zu dieser kreuzestheologischen Polemik konnte Luther aus seinem paulinischen Biblizismus schöpfen, mit dessen Hilfe er das von ihm vorgefundene mystische Erbe der Kreuzestheologie entscheidend umgeformt hat136 . Luther will also – und Iwand hebt das hervor – mit seiner Kreuzestheologie nicht nur das Kreuz als geschichtliche Tatsache würdigen und auch nicht nur aus soteriologischem Interesse an ihm Grund und Vollzug der Sündenvergebung darstellen. Sondern als »Formel«137 steht sie dezidiert für den »Abbau des natürlichen Menschen, Abbau seiner virtus, seiner sapientia und iustitia. Am Kreuz ist alles das gerichtet, was wir als Fundament und Basis unseres Selbstbewußtseins ansehen«138 . Luthers Kreuzestheologie ist für Iwand anti-idealistisch, anti-empirisch und anti-psychologisch139. Sie ist grundsätzlich anti-idealistisch, wenn man unter Idealismus dies versteht, daß wir die Idee des Guten, Wahren und Gerechten in uns tragen und in uns vorfinden«140 . Gleichzeitig ist die theologia crucis antiempirisch, denn das neue Leben ist ebenso unsichtbar, »wie das Leben im Kreuz unsichtbar, ungreifbar ist«141. Am wichtigsten ist für Iwand aber die anti-psychologische Stoßrichtung der Kreuzestheologie142 . Als ›psychologisch‹ versteht 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142
Ebd. Ebd. Ebd. AaO 38. Ebd. AaO 39. Ebd. So ebd. AaO 38. Ebd. So ebd.
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Iwand hier die mittelalterliche Auffassung der Rechtfertigung als einem linearen Prozeß von der Sünde zur Gerechtigkeit. ›Antipsychologisch‹ ist dagegen Luthers Formel ›simul iustus et peccator‹: »Beides liegt in ein und derselben Zeit.«143 Iwands Ausführungen zur frühen Kreuzestheologie Luthers bleiben im Hinblick auf einige Fragen unklar und sogar widersprüchlich. So hat Iwand seine Auffassung, ungeachtet der Kürze ihrer frühen »expliziten« Phase sei die Kreuzestheologie als generelles organisierendes Prinzip des Denkens Luthers zu verstehen (wörtlich als »Inbegriff des Ganzen von Luthers Theologie«144), nicht hinreichend explizit ausgearbeitet, um den Einwand zu entkräften, bei ihr handele es sich eben doch eher nur um einen speziellen, der Mystik entlehnten, Zug seiner Theologie neben anderen. Denn Iwand kann in starker Spannung zur gerade angeführten Auffassung auch sagen, die theologia crucis sei »nicht die Formel, mit der das Ganze der Theologie des jungen Luther zu umreißen wäre«145. Allerdings ist es an dieser Stelle nicht Iwands Interesse, zu letzten Definitionen über die Eigenart von Luthers Frühtheologie oder auch über das Wesen seiner theologia crucis zu gelangen. Deshalb sollten diese definitorischen Anläufe und die in ihnen zu konstatierenden Widersprüche nicht überbewertet werden. Denn insgesamt finden wir nämlich in der praktischen Durchführung von Iwands Lutherdeutung ganz deutlich jenen Zug der thetischen Prinzipialisierung der Kreuzestheologie als dem Inbegriff von rechter Theologie überhaupt wieder, der schon die Untersuchung W. v. Loewenichs zu »Luthers theologia crucis« von Grund auf geprägt hatte. Diese Auffassung wird auch – wie wir noch sehen werden – Iwands Christologievorlesungen entscheidend prägen. In seiner systematischen Rekonstruktion der Theologie Luthers, soweit sie uns in den Vorlesungen zum Denken des Reformators skizziert vorliegt, versucht Iwand durchaus den Prinzipiat der Kreuzestheologie in der Einzeldarstellung zu bewähren. Wir werden das im folgenden an den Themen zeigen, an denen Iwand dezidiert das Kreuz als den Schlüssel zum Verständnis eines Topos in Anschlag bringt, und uns mit dem Verhältnis des Kreuzes zur 1) Inkarnation, 2) zur Bibelhermeneutik, 3) zum menschlichen Leiden, 4) zur Erwählung und 5) zum Todesverständnis befassen. 1) Kreuz und Inkarnation Iwand unterstreicht, daß Luther die Kreuzestheologie oft mit dem Inkarnationsgedanken verbunden hat. Denn im Sehen der Menschlichkeit und humilitas Christi sieht der Mensch die göttliche Majestät, wie sie seinem Fassungsvermögen angepaßt ist146 . Luther vertritt also keine Kenosistheologie, in der Christus 143 144 145 146
Ebd. AaO 35. AaO 37. So aaO 118.
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sich in seiner menschlichen, bis zum Kreuzestod gesteigerten Niedrigkeit seiner Göttlichkeit entäußert hätte. Die Offenbarung Gottes in der Menschheit Christi ist durchaus aber zugleich seine größte Verhüllung. Das menschliche Fassungsvermögen, Gott in dieser Verhüllung überhaupt als Gott zu erkennen, ist allerdings keine natürliche Disposition, sondern etwas, das Gott dem Menschen überhaupt erst gibt. Sinne und Fleisch begreifen von sich aus die Offenbarung Gottes in der Menschheit und Niedrigkeit Christi nicht, denn im »Gegenteil, unser natürliches Empfinden geht darauf hinaus, daß Gott abstrakt sein muß, d.h. daß er nicht in dieser menschlichen Person erscheint«147. Über die Menschheit Christi soll der Mensch nicht spekulativ hinausgehen, um etwa dahinter Gott zu suchen. Die Menschheit Jesu ist eine Gottgegebenheit, die wir nicht mehr transzendieren sollen, sondern an die wir uns im Glauben halten sollen und halten können: »Wer über dies hinausgeht, wer dahinter kommen möchte, der stürzt in einen Abgrund.«148 Iwand hebt in seiner Lutherdarstellung also besonders heraus, daß bei Luther das Kreuz den Fluchtpunkt der Inkarnation darstellt: ohne das Kreuz ist der menschgewordene Gott in Jesus gar nicht recht zu erkennen. Das Kreuz ist also nicht etwa bloß das Ende oder der Abbruch des irdischen Lebens Jesu. Es ist keine Akzidenz der Menschwerdung, sondern gleichsam ihre ratio. – Dieser Gedanke wird uns auch in der Kreuzestheologie seiner Christologievorlesungen an zentraler Stelle wieder begegnen. 2) Kreuz und Schriftverständnis Was vom Verhältnis des Kreuzes zur Inkarnation zu sagen war, bestimmt auch die Hermeneutik Luthers, so wie Iwand sie darstellt. Denn die Heilige Schrift wird nur vom Kreuz Christi aus recht verstanden. Nur von hier aus wird z.B. das christologisch verstandene »Ich« der Psalmen dahingehend begriffen, daß Gott eben »nichts Menschliches fremd ist«149, daß »der Mensch in seinem Menschsein vor Gott offenbar ist«150 . Aufgrund der Inkarnation, der Annahme des menschlichen Fleisches, sind »alle menschlichen Leiden und Anfechtungen in Jesus«151. Für die Schriftauslegung bedeutet diese Einsicht insgesamt, daß das christologische Verständnis der Schrift entscheidend wird, aus dem sich der tropologische Sinn ergibt, der auf den Einzelnen als Glied des Leibes Christi, der Kirche zielt: »Der tropologische Schriftsinn bedeutet jetzt – von der Christologie her – dies, daß ich nicht verstehen kann, was sich hier vollzieht, wenn ich etwa ein Wort der Schrift auslege, ohne daß in meiner eigenen Existenz eine Entscheidung fällt, ohne daß dieses Verstehen mich hineinnimmt in den Ge147 148 149 150 151
AaO 120. Ebd. AaO 112. Ebd. Ebd.
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gensatz von Fleisch und Geist. Insofern kann Luther auch sagen, daß das Kreuz entscheidend ist für die ganze Bibel.«152 So werden wir im Schriftverstehen durch den gekreuzigten Christus selbst aus dem Fleisch in den Geist geführt153; das Kreuz Christi ist nicht als historisches Ereignis schon in seinem Wesen erfaßt, sondern erst dann, wenn es als der »Schlüssel« begriffen wird, »mit dem die ganze heilige Schrift entschlüsselt wird«154. Und indem er durch den Gekreuzigten selber in das Verstehen der Schrift eingewiesen wird, begreift sich der Mensch selber. Denn der »Christus crucifixus ist gleichzeitig die Offenbarung des Menschen vor Gott, wie er wirklich vor Gott steht, und das Gericht über den Menschen durch Gott«155. Nach Iwand ist das »Neue, das Radikale«156 in Luthers Kreuzestheologie, daß Inhalt und Form der Offenbarung vom Gekreuzigten hergeleitet werden157. Diese Koinzidenz von Inhalt und Form der Offenbarung wird bei Luther durch die Rede vom Deus absconditus auf den Begriff gebracht. Gegenüber der mittelalterlichen, metaphysischen Unsichtbarkeit Gottes hat die Rede vom Deus absconditus bei Luther darin ihre Pointe, daß Gott in Jesus sichtbar ist: »Er, der Christus crucifixus, ist Gottes eigene Präsenz unter den Menschen. […] Im Christus crucifixus ist Gott wirklich der, der er ist.«158 Er ist aber nicht anders sichtbar und gegenwärtig als eben im leidenden und gekreuzigten Christus. 3) Kreuz und menschliches Leiden Die Identifizierung Gottes im gekreuzigten Christus hat erhebliche Konsequenzen für das Verständnis des menschlichen Leidens. Weil nämlich im Gekreuzigten – und eben nur hier! – Gott bei sich selbst ist, besteht eine grundsätzliche qualitative Differenz zwischen Christi Leiden und unserem Leiden als Menschen: »Luther versteht […] das Leiden Christi nicht aus Analogie zu unserem Leiden. So wie Christus hat niemand gelitten. Christus stellt heraus, was die Sünde ist, der Tod Christi ist ein Tod, wie ihn nie ein Mensch erlitten hat. Christus schmeckt den Zorn des Gesetzes. Wir in unseren Anfechtungen ahnen es kaum. Christi Leiden ist das reale Leiden und das reale Sterben. In Christus hat der Tod und die Sünde als reale Macht ihr Ende gefunden.«159 Iwand, der zwar – wie wir oben gesehen haben – von Leben und Wirklichkeit als dem »Weg des Kreuzes« sprechen kann, vertritt also nichts weniger als eine ›natürliche Kreuzestheologie‹, in der die Wirklichkeit des Lebens selber 152 153 154 155 156 157 158 159
AaO 113. So ebd. AaO 114. Ebd. Ebd. So ebd. AaO 115. Ebd.
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zum »Kreuz« geriete, an das wir geheftet wären. Iwand geht von der Unhintergehbarkeit jener Differenz aus, wenn er – von dem am Kreuz Christi identifizierbaren Gott ausgehend – allen Nachdruck auf das im Blick auf den Gekreuzigten erschlossene neue Wirklichkeitsverständnis legt: der qualitative Unterschied zwischen Christi Leiden und unserem menschlichen Leiden besteht darin, daß jener den Tod so erleidet, wie er vor Gott und von Gott her als der uns verhängte Tod unsere Wirklichkeit ist – nämlich als Tod, der die Sünde straft, als den vollstreckten Zorn des göttlichen Gesetzes. In diesem qualitativem Unterschied wird aber dieser »Christus crucifixus […] auch die Quelle meiner Selbsterkenntnis«160 . Denn was an Christus offenbar geworden ist (mithin die eigentlich theologische Qualität von Sünde und Tod), »wird einmal offenbar werden an uns allen«161. Das Kreuz Christi bleibt aber dem Menschen immer extern, so sehr der Gekreuzigte im Glauben mit dem Menschen eine unauflösliche Verbindung eingeht. Das Kreuz ist zugleich die tiefste Quelle meiner Selbsterkenntnis und das Ziel meiner Hoffnung, indem ich Zuflucht zum Christus crucifixus nehme162 . Dieses Zufluchtnehmen vollzieht sich in einem »Affekt«, in dem der Mensch das in der Passion Geschehene auf sich bezieht. Nach Iwand geht es hierbei um eine Erkenntnis, »die uns selber überwältigt, der gegenüber wir passiv sind«163. Hier sind wir nicht mehr einfach frei, uns dafür oder dagegen zu entscheiden, sondern »wenn die Wahrheit Gottes uns aufgeht, wird sie uns immer überwältigen. […] Die rechte Lehre von Christus ist eben eine Macht und nicht nur eine Theorie – weil er lebt«164. In dieser an Luthers Theologie geschärften Überzeugung Iwands wird die vorher schon festgestellte Koinzidenz von Form und Inhalt der Offenbarung auf die Christologie angewandt: Christologie als Lehre von der Erkenntnis des Gekreuzigten als der Offenbarung Gottes, die Mensch und Welt in ihre wesentliche, von Gott eigentlich gewollte Wirklichkeit bringt, muß selber auf der Fluchtlinie dieser Koinzidenz betrieben werden. Nur dann kann sie wirklich zur Sprache bringen, was am Kreuz Jesu Christi von Gott her Wirklichkeit wird. Christologie kann dann nur von Gottes Offenbarung am Kreuz Christi her entschiedenes Verstehen Gottes sein: Christologisches Denken ist consentire mit dem gekreuzigten Christus, und d.h. die Herstellung eines denkerischen Konsenses mit der Selbstidentifizierung Gottes mit dem Leiden und der Niedrigkeit des Menschen Jesus, der überfließt in die nicht mehr allein theore160
AaO 116. Ebd. 162 So ebd. 163 AaO 117. 164 Ebd. Auf die Identifikation von Theologie und Verkündigung bei Iwand hat auch den Hertog hingewiesen: »Wenn durch die Theologie etwas geschehen soll, dann wird auch in der Theologie etwas geschehen müssen.« (den Hertog, Erkenntnis, 208). 161
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tische, sondern praktische, existentielle Erkenntnis, Christus sei am Kreuz pro me gestorben. 4) Kreuz und Erwählung Die Entschiedenheit des menschlichen Lebens von der am Kreuz erfolgten stellvertretenden Übernahme des Todes als Sündenstrafe her bestimmt auch Iwands Ausführungen zu Luthers Erwählungsgedanken. Im Ruf Jesu sind die Seinen schon vorherbestimmt; das Verhältnis Jesu zu den Seinen ist »ein solches der Erwählung«165. Diese Erwählung des Menschen ist – wie ja auch der Inkarnationsgedanke – exklusiv mit dem Kreuz Christi verkoppelt: »Im crucifixus sind die Seinen erwählt, nämlich diejenigen, die sich nicht auf ihre eigene Reue und Buße verlassen, sondern die sich gerufen wissen durch sein Leiden.«166 Es sind also die erwählt, die sich die »Polemik« der Gottesoffenbarung im Gekreuzigten gegen ihr eigenes Selbstbewußtsein gefallen lassen – das ist glaubendes consentire mit dem Gekreuzigten. Von hier aus gewinnt Iwand nun einen »ganz neuen Aspekt«167 für die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Denn Gesetz und Evangelium richten sich – wenn der Gedanke an die Erwählung des Menschen als einer integren Person ernsthaft durchgeführt wird – nicht an verschiedene menschliche Haltungen, sondern an unterschiedliche Menschen. Entsprechend weist Iwand den Gedanken zurück, Luthers frühe Theologie begründe sich auf die mittelalterliche humilitas: »Die humiliatio ist nicht ein Zustand des Menschen, sondern humiliati sind die Seinen. Sie sind diejenigen, die zu Christus gehören kraft seiner Erwählung. Käme er nicht mit dem Rufe: ›Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid‹(Mt 11,28), dann würde auch das Beladensein und das Unter-der-Mühsal-Gehen keine Nähe zu Christus haben.«168 Indem die Erwählung im Gekreuzigten nicht zwischen bloßen menschlichen Haltungen, sondern zwischen den Menschen an sich scheidet, ist der Gekreuzigte der göttliche Widerspruch gegen alle, »die Gott ihre eigene Gerechtigkeit, ihre eigene Weisheit, ihre eigenen Ziele vorschreiben möchten«169. Und weiter: »Der crucifixus ist der Protest Gottes, ist das Zeichen, daß Gott der Herr ist, ist die Abwehr aller derer, die nicht die Seinen sind, ist das Gericht über alle falsche Frömmigkeit, denn in ihm, dem crucifixus ist alles gerichtet, was hoch und edel und fromm und wahr sein möchte in dieser Welt ohne Christus. […] Durch 165
Iwand, Luther, 106. Ebd. 167 Ebd. 168 AaO 115. Dieser Gedanke ist entscheidend, um eine sog. »theologia crucis naturalis« abzuwehren: Leiden und »Niedrigkeit« sind nicht von sich aus transparent zu Gott, sondern zu Gott führen sie nur, weil und indem Gott selber in Christus Leidensgestalt annimmt, um die Leidenden anzunehmen. 169 AaO 108. 166
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diese Verkündigung macht Luther Christus frei aus der Menschen Hände. Christus ist der Herr.«170 Das Herrsein Christi macht den Versuchen der Welt ein Ende, ihrerseits Christus zu beherrschen. Für diesen Versuch steht exemplarisch das römische Imperium171, in deren Mitte die (Papst-)Kirche »in einer schaudererregenden Gestalt«172 sitzt. Dagegen steht in diametralem und vernichtendem Gegensatz das erwählende Handeln des gekreuzigten Christus: »Christus ist der Gekreuzigte für die Menschen, soweit sie wahre Menschen sind, nicht für die, die sich für Götter halten. Die auf ihren eigenen Geist bauen und auf ihr eigenes Selbstvertrauen, die also nicht wahre Menschen sein wollen, werden in Gottes Gericht gestürzt. Der Ruf des Evangeliums muß bestimmte Menschen treffen, weil Gott sich selbst im Kreuz eine Bestimmung gegeben hat. Nur die wahren Seinen werden sich Gottes nicht bemächtigen, der sich im Gekreuzigten offenbart. Der ›crucifixus‹ ist die Erwählung Gottes, indem er alle die erwählt, die sich nicht für die Erwählten halten, und alle die verwirft, die sich für die Erwählten halten.«173 5) Kreuz und Tod Schließlich gewinnt auch Iwands Darstellung der Gedanken Luthers zur Überwindung des Todes (verhandelt unter der Überschrift »Die Mächte«174) ihre Kraft durch ihre konsequente kreuzestheologische Orientierung. Iwand stellt nämlich zunächst heraus, daß der Gedanke der Sündenvergebung nicht von dem der Überwindung des Todes isoliert werden darf. Denn nur der Glaube an die Überwindung des Todes schenkt diejenige Gewissensfreiheit, die die Tatsache der Sündenvergebung ganz umgreift175. Dazu aber muß der Christ nach Luther auf den Tod Christi sehen176 . Der glaubende Blick sieht den Verstorbenen dann nicht mehr in Sarg und Grab liegen, sondern weiß ihn in Christus. Schließlich ist der Getaufte geistlich schon in der Taufe – ›in die Leiden unseres Herrn eingewickelt‹ – gestorben. Sein leiblicher Tod ist dann eigentlich nicht mehr der wirkliche, von Gott her zu sterbende Tod, den ja Christus stellvertretend am Kreuz auf sich genommen hat, sondern ist vielmehr dem Einschlafen zu vergleichen: »Taufe ist das Übernehmen des Todes in einer ähnlichen Weise, wie Christus den Tod übernommen hat. […] So erwählt der Mensch in der Taufe den Tod. Die getauften Menschen fliehen nicht mehr vor dem Tod, sondern sie sterben den Tod ›in Christus‹. Darum ist dann der leibliche Tod, den sie sterben, 170 171 172 173 174 175 176
Ebd. So aaO 108f. AaO 109. AaO 110. AaO 188f. So aaO 189. So aaO 191.
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nur noch etwas, was vor den fünf Sinnen geschieht, und was täuschend ist; in Wahrheit bedeutet der Tod nur einen Schlaf.«177 Auch hier schlägt Iwands am Gekreuzigten gewonnenes Wirklichkeitsverständnis durch: wie er den Tod Christi ja als den eigentlich wirklichen Tod bezeichnen konnte, so stirbt auch der Einzelne seinen wirklichen Tod nur im Mitsterben mit Christus, wie es in der Taufe vollzogen wird und dann auch unwiderruflich vollzogen ist und bleibt. Vor diesem Hintergrund fragt Iwand, warum Sünde und Tod immer wieder personifiziert werden. Als etwas »an sich« können sie – so seine Überzeugung – erst in einer gottlosen Welt gelten. Auch das Gesetz wird in der gottlosen Welt überhaupt erst eine Größe für sich »und wird eine Ideologie«178 , ebenso wie die Sünde – und die »regiert im Gewissen«179. Am Tod wird das Für-Sich-Sein des Kosmos am deutlichsten anschaubar, weil es in ihm eben auch Realität ist. Das bedeutet nun wieder für die Wirklichkeitswahrnehmung, daß wir »in dem Augenblick, in dem wir die Realität des Todes überspringen, den Schrecken des Todes, die Gottfeindlichkeit des Todes übersehen [und] uns die Wirklichkeit der Welt verstellt [haben]«180 . Das Gottsein Gottes gegen diese gottlose Welt in ihrer Todeswirklichkeit erweist sich dagegen in der Auferstehung. In der Perspektive von Auferstehung und Wiederkunft wird das angemaßte Sein des Todes als Nichtsein erwiesen werden181: »Das ›In-Christus-Sein‹ ist also Ausdruck der einzigen Wirklichkeit, die es gibt. Dagegen wird die angemaßte Wirklichkeit des Todes, die eine Wirklichkeit ist, weil der Zorn Gottes dahintersteht, als ein Schein erwiesen werden.«182 Iwand beobachtet, daß die Verwandlung des Todes in das Leben, das von Gott her ist, ja, sogar die Bejahung dieses mit Christus mitgestorbenen Todes, in vielen Kirchenliedern zwar anklingt, daß aber in den Gemeinden kaum noch jemand aus der Gewißheit des Mitgestorbenseins mit Christus heraus leben und auf seinen leiblichen Tod als ein »Einschlafen« zugehen kann, »als ob er uns zu mächtig wäre, als ob wir nicht mehr die Macht hätten, wie sie uns in Luthers Lehre bezeugt wird«183. Bei Luther wird der Tod ja geradezu ins Leben hineingenommen, »er ist eine Funktion des Lebens geworden«184. Hierbei ist der Mensch ganz an das Wort gewiesen. Nur im Wort kann der Mensch gegen den Todesschein der Welt anglauben. Denn im Leben haben wir »den Teufel zum Herrn«, sind »seine Gäste als in einer fremden Herberge«185 , das fühlen wir; wir haben aber Teil am 177 178 179 180 181 182 183 184 185
AaO 192. AaO 193. Ebd. AaO 194. So aaO 195. Ebd. AaO 199. AaO 200. Zitiert nach Luther, aaO 208.
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Sieg Christi, das dürfen wir glauben. Denn »indem ich das Wort ergreife, nehme ich teil an dem Sieg Christi über die Mächte, über den Tod. Dann kann ich auch fühlen, empfinden, dieser Glaube hat ein Fühlen im Gefolge. Er bestimmt mein ganzes Ich. Christus muß vorangehen, er muß so vorangehen, daß nichts da ist als das Wort, auf das ich mich stütze. Ich muß es schon wagen, das Wort im Nichts zu ergreifen, denn es hat keine andere Daseinsweise als durch sich selbst. Es ist, was es ist, nicht durch etwas, sondern durch sich selbst. Ich muß wagen, alles andere dem Wort gegenüber nichts sein zu lassen.«186 Im Tod Christi ist also der Tod wirklich überwunden. An dieser Überwindung des Todes bekommt der Einzelne in der Taufe Anteil, so daß er seinen »wirklichen«, theologisch als Sündenstrafe zu bestimmenden Tod schon gestorben ist. So wird in dieser Teilhabe am Sieg Christi über den die Sünde strafenden Tod die Vergebung der Sünde als Freiheit des Gewissens gewiß. Der Getaufte ist also aufgrund des Kreuzestodes Christi frei geworden von den »Mächten« der Welt und frei davon, sich von der Angst schrecken zu lassen, die der bloße Schein des Todes, der die Welt noch verschleiert, verbreiten mag. Ziehen wir wieder Zwischenbilanz, indem wir die zentralen kreuzestheologischen Momente, die Iwands systematisch-theologische Paraphrase der Theologie Luthers kennzeichnen, nun noch einmal zusammenfassen. Iwand fokussiert seine Luthervorlesungen ganz auf das neue, wahre, Verständnis von Mensch und Wirklichkeit, wie es sich vom Kreuz Christi her ergibt und in der Kreuzestheologie formuliert wird. Dabei unterscheidet Iwand eine explizite (1519–21) Phase Lutherscher Kreuzestheologie von ihrer generellen Fundierung seiner Theologie im Ganzen. In dieser Auffassung, die Kreuzestheologie präge das Ganze der Theologie Luthers, meldet sich jene Prinzipialisierung der aus einigen Schriften der »expliziten« Phase herauspräparierten theologia crucis an, die schon die Luther-Untersuchung von W. v. Loewenich kennzeichnete und damit die eigentliche Geburtsstunde der Kreuzestheologie als dogmatisches Konzept in der Theologie des 20. Jahrhunderts charakterisiert hatte. Daß die Kreuzestheologie aber über die »explizite« Phase hinaus als »Inbegriff« der Theologie Luthers bezeichnet werden kann, kann Iwand – mangels weiterer expliziter Äußerungen Luthers zu dieser Frage – nur in der systematischen Rekonstruktion der Theologie Luthers in kreuzestheologischer Perspektive selbst zu bewähren suchen. Im Wort vom Kreuz kommt der Realismus Gottes zur Sprache; vom Kreuz her werden Mensch und Welt erkennbar, wie sie nicht bloß dem Scheine nach sind, sondern eben in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit Gottes in Wahrheit erkannt werden müssen. Diese neue Sicht auf Mensch und Welt vollzieht sich als ›Negation der Negation‹ – Gott widerspricht am Kreuze des Christus der verkehrten 186
AaO 208.
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Weltsicht des Menschen. So ist Luthers Kreuzestheologie für Iwand antiidealistisch (Gottes Gerechtigkeit steht gegen die Degenerierung des Wahren, Guten und Gerechten zur bloßen menschlichen Idee), sie ist antiempirisch (das neue Leben aus und in Gott ist ebenso unsichtbar wie es das Leben im Kreuz des Christus ist), und sie ist antipsychologisch (der Gerechte bleibt der Sünder und umgekehrt, Luthers »simul iustus et peccator« ist eine Absage gegen ein lineares oder prozessuales Verständnis der Rechtfertigung als einem Fortschreiten vom Sünder- zum Gerechtsein in der Zeit). Diese Beispiele zeigen übrigens sehr schön, daß Iwand nicht an einer historischen Rekonstruktion der Theologie Luthers interessiert ist, sondern daß er Luthers (Kreuzes-)theologie überhaupt erst auf dem unmittelbaren Wege ihrer Einzeichnung in z.T. moderne, im 19. Jahrhundert generierte, Problemstellungen gewinnt. Und die Art und Weise, wie Iwand in seiner Lutherdarstellung einige systematische Einzeltopoi aufarbeitet, läßt klar erkennen, wie sehr es ihm um die Bewährung seiner Auffassung, die theologia crucis sei der »Inbegriff« von Luthers Theologie überhaupt, zu tun ist. Darin zeigt Iwands Lutherhermeneutik den deutlichen und starken Einfluß des von W. v. Loewenich übernommenen systematischen Konzepts der theologia crucis. Iwands Luthervorlesungen erweisen sich insgesamt als eindringliche Studien über die Theologie des Reformators, die sowohl deren theologischen wie geistlichen ›Nerv‹ zu treffen und zur Sprache zu bringen vermögen. Es sind dogmatische Paraphrasen im besten Sinne des Wortes. Dabei dient die Auseinandersetzung mit den Texten Luthers der Inspiration, Darstellung und Schärfung der eigenen Theologie Iwands. Wir lassen hier daher die Frage, ob die Kreuzestheologie mit gutem Recht als »Inbegriff« des Ganzen der Theologie Luthers bezeichnet werden kann, noch dahingestellt. Auf jeden Fall aber kann die theologia crucis, wie Iwand sie von v. Loewenich als theologisches Programm übernommen hat, mit Fug und Recht als der Inbegriff seiner, Iwands, eigenen Theologie bezeichnet werden. Das schlägt auch in seinen großen Christologievorlesungen durch, denen wir uns nun zuwenden wollen.
1.2. Der »Weg des theologischen Realismus« – Kreuzestheologie in Iwands Christologievorlesungen Mit Iwands Christologievorlesungen, die erst vor wenigen Jahren ediert und der theologischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden187, haben wir die ausführlichsten christologischen Ausarbeitungen des Theologen, gleichsam »das Kernstück von Iwands Theologie«188 , vor uns. Von den drei Vorlesungen gibt die erste, 1953/54 gehalten, einen Überblick über christologische Grund187 188
Iwand, Christologie (s. Anm. 8). AaO, Vorwort o.S.
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probleme und ist von deutlich theologiegeschichtlichem Charakter. Die beiden anderen Vorlesungen (»Menschwerdung Gottes. Christologie I« und »Tod und Auferstehung. Christologie II«) sind durchweg viel stärker systematisch angelegt. Diese Vorlesungen hat Iwand in den Jahren 1958 und 1959 gehalten. Sie folgen damit zeitlich den oben besprochenen Luthervorlesungen. Viele der dort an Luther geschulten kreuzestheologischen Gedanken Iwands finden wir in den Christologievorlesungen wieder. Hier wie dort wird der Wirklichkeitsbegriff zur Leitkategorie der Darstellung. Denn Iwand betont, daß es in der Geschichte Jesu Christi um ein reales Handeln Gottes geht, das die Wirklichkeit der Welt und des Menschen von Grund auf verändert, und daß der Kreuzestod Christi das Zentrum aller christologischen Erkenntnis darstellt, von dem allein aus das Handeln Gottes und in dieser Perspektive eben auch der Mensch zu begreifen ist. Gerade auf dem letzten Aspekt liegt Iwands Nachdruck. Iwands Gedanke, das Kreuz Christi als ›Realismus Gottes‹ zu begreifen, der wir schon in seinen Luthervorlesungen begegnet waren, durchzieht als roter Faden auch seine Christologievorlesungen. In der folgenden Darstellung untersuchen wir zunächst die Bestimmung des christologischen Themas anhand der Einführungsabschnitte der Vorlesungen. Im Anschluß daran fragen wir nach der Thematisierung des Kreuzestodes Christi und seinem systematischen Ort in Iwands Christologie. Abschließend versuchen wir, die dabei gewonnen Erkenntnisse zu einem Gesamtbild von Iwands Kreuzestheologie in den Christologievorlesungen zusammenzufassen. a) Der Kreuzestod Jesu Christi als christologisches Thema »Jesus Christus ist Mensch geworden, um zu sterben« – sein Tod ist nicht nur konsequentes Ende seines Weges, sondern »das von vornherein bestimmte Ziel, er ist die Bestimmung, und sein ganzes Leben wird unter dem Aspekt dieser besonderen Bestimmung gesehen«189. Das sind Spitzensätze Iwands aus der Einleitung der dritten Christologievorlesung (Tod und Auferstehung. Christologie II, Bonn 1959), die unmißverständlich die gesamte Christologie in die Leitperspektive des Todes Jesu rücken. Auch dieser Gedanke ist uns aus den Luthervorlesungen schon vertraut. Wir werden auf die thematische Justierung der Christologie in dieser Vorlesung nachher wieder zurückkommen und wenden uns zunächst den Einleitungen der ersten beiden Christologievorlesungen Iwands und ihrer Themenbestimmung der Christologie zu. In der ersten Vorlesung (Christologie. Eine Einführung in ihre Probleme, Bonn 1953/54), die als Einführung in die Christologie »eine Art Propädeutik«190 darstellt, will Iwand klarstellen, »wie sich die Gottheit und die Mensch189 190
AaO 294. Editionsbericht, aaO 521.
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heit in dem einen Menschen Jesus Christus einen«191. Iwand möchte dabei ein Gleichgewicht zwischen der Befassung mit der Gottheit und der Menschheit Jesu Christi erreichen, denn die »Christologie ist […] nichts anderes als das Bemühen […], Jesus Christus so zu erkennen, daß wir in ihm Gott und uns, den wirklichen Gott und den wirklichen Menschen, gleichzeitig finden, und zwar so, daß beide miteinander versöhnt sind.«192 Damit wird das christologische Dogma von Iwand als Voraussetzung der Christologie in Anschlag gebracht. Dabei liegt Iwand alles an einer Abgrenzung zum idealistischen Verständnis Jesu Christi wie des Menschen überhaupt, denn ein solches Verständnis würde die soteriologische Bedeutung des Kreuzestodes Jesu notwendig in Abrede stellen müssen. Jesus Christus ist der »wahre Mensch«193, aber nicht in dem Sinne, in dem Kant Jesus als »Urbild des Gott wohlgefälligen Menschen, des sittlich vollkommenen Menschen« bezeichnen konnte194. Denn die dort vorgenommene Bestimmung des Menschen Jesus durch die Idee des wahren, vollkommenen Menschen ist »das Verwirrende und Zerstörende, welches damit in die Christologie eingedrungen ist. Denkt man diese Entwicklung zu Ende, dann muß sie eines Tages die Christologie als solche unmöglich machen. Die Idee der Menschheit und ihre irdische Erscheinung genügen.«195 Wenn Jesus aber nur noch als exemplarische Verwirklichung der Humanität begriffen wird, dann haben wir es auch »nicht mehr mit dem für uns Gekreuzigten zu tun, sondern zunächst einmal mit dem Menschen, der für seine Idee standhaft in den Tod gegangen ist«196 . Iwand fragt demgegenüber, ob nicht die »Idee des Menschen nun eben die eigentliche Vernichtung unserer selbst wäre«197 – eine Vernichtung, von der Jesus Christus als der wahre Mensch uns gerade frei machen will, wenn es sich wirklich so verhält, daß »Jesus und der Glaube an ihn und die Begegnung mit ihm die Erlösung des Menschen von der Idee seiner selbst zur Wirklichkeit seiner selbst wären«198 . Es geht in der christologisch entfalteten Einheit von Menschheit und Gottheit in Christus also um die Befreiung des Menschen von seiner eigenen Gerechtigkeit199. Gott eint sich nämlich nicht mit einer Idee des Menschen, sondern er kommt im Menschen Jesus Christus zum Menschen, »um sich des wahren Menschen anzunehmen, d.h. des von allen seinen Tugenden und Ideen entkleideten, des nackten, elenden, argen, Gott nicht mehr begreifenden, Gott nicht mehr suchen191 192 193 194 195 196 197 198 199
AaO 17. AaO 24. So aaO 18. So aaO 19. AaO 20. Ebd. AaO 21. Ebd. So ebd.
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den, Gott nicht mehr ernst nehmenden Menschen«200 . Für Iwand ist Menschsein, das den eigenen Bildern nachlebt, den »Bildungsbildern, in denen wir unser unwirkliches Leben leben, […] die Hölle in uns«201; ist Leben in tiefster Zerrissenheit zwischen »dem, was wir sind, und dem Bild eines vermeintlich wahren Menschen, dem wir nachstreben«202 . Dem stellt sich Gott entgegen: »Das ist die Frage, die uns die Geschichte Jesu Christi stellt: ob wir bereit sind, die Wahrheit des Menschen, wie sie uns da entgegentritt, als die von uns vergessene Wahrheit anzuerkennen und ihr die Bilder zu opfern, in denen sich unser Denken, vornehmlich unser sittliches Denken, bewegt.«203 Die wahre Menschheit des Gottessohnes Jesus Christus, die Thema der Christologie ist, ist im »gekreuzigten Herrn anschaulich und offenbar geworden, […] ein Ärgernis für jeden, der den Begriff des wahren Menschen, der die Idee des wahren Menschen je gedacht hat und von ihr ergriffen worden ist«204. Die wahre Menschlichkeit Jesu Christi ist also ein ebensolches Ärgernis wie seine Gottheit. Der Weg christologischen Verstehens, den Iwand von hier aus skizziert, ist in der Betonung der Herablassung und Verborgenheit Gottes zweifellos von der 20. These der Heidelberger Disputation Luthers inspiriert: »Die idealistische Überfremdung der Bestimmung des Menschen ist für uns alle zur Religion geworden. Wir müssen versuchen, sie zu überwinden. Und eben darum setzen wir an diesem Punkte ein und versuchen zunächst einmal, Jesus Christus zu verstehen als den wahren Menschen, also in der Herablassung, in der Verborgenheit, im Inkognito Gottes, um von da aus dann das andere zu verstehen, daß dieser Mensch zugleich wahrer Gott ist in seiner Erhöhung, in seinem Sieg über die Sünde und über den Tod.«205 Iwand erwähnt das Kreuz in diesen Vorüberlegungen zur ersten Christologievorlesung zwar nur am Rande, aber jeweils mit einer ganz spezifischen Bedeutung: es steht für Gottes Annahme des wirklichen, nicht bloß ideal vorgestellten, Menschen in Jesus Christus206 . Im Gekreuzigten wird »die wahre Menschheit Jesu Christi« sichtbar207; nur hier, »in der Herablassung, in der Verborgenheit, im Inkognito Gottes208« kann Jesus Christus als wahrer Mensch überhaupt angemessen verstanden werden. Damit wird der kreuzestheologische Cantus firmus der Iwandschen Christologievorlesungen intoniert, der dann vor allem die dritte Vorlesung entscheidend bestimmt: das Kreuz Jesu 200 201 202 203 204 205 206 207 208
AaO 22. Ebd. Ebd. AaO 23. AaO 23f. Ebd. Siehe aaO 20. AaO 23. AaO 24.
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Christi ist der zentrale Fluchtpunkt der Christologie, weil das Kreuz das vollendende Ziel schon der Menschwerdung des Gottessohnes ist! Die Einleitung der zweiten Vorlesung (Menschwerdung Gottes. Christologie I, Bonn 1958/59) greift den Gedanken der Einheit von Gott und Mensch in Christus und mithin den Gehalt des christologischen Dogmas erneut auf. Wenn Christologie nämlich der Sammelbegriff für alle Probleme ist, die sich um die Frage »Wer ist Jesus Christus?«209 herum gruppiert haben, dann geht es inhaltlich genau darum, »daß dieser bestimmte Mensch, Jesus von Nazareth, der Sohn des lebendigen Gottes bzw. der Messias ist«210 , und darum, daß die Existenz Gottes und dieses Menschen untrennbar »miteinander verflochten sind«211. Die Front, gegen die sich Iwand absetzt, ist in dieser Vorlesung nicht, wie in der ersten, der Idealismus, sondern sie ist durch pantheistische wie deistische Vorstellungen bestimmt. Denn die denkende Erfassung der Einheit von Gott und Mensch in Christus muß sich sowohl vor dem pantheistischen als auch vor dem deistischen Irrtum hüten. Beide Abwege dividieren Gott und den Menschen Jesus auseinander: Im Pantheismus fallen Gott und Welt so sehr ineins, daß Jesus nur noch als eine historische und damit veränderliche Figur erscheint. Die Unwandelbarkeit Gottes gegen den Menschen Jesus auszuspielen – das war nach Iwand der Fehler des Arius. Im Deismus dagegen werden Gott und Welt auseinandergerissen. Die Welt wird zwar von Gottes Vorsehung geleitet, aber die intelligible und die sensible Welt sind scharf voneinander geschieden. Iwand versteht unter Deismus die Tatsache, »daß das Individuum gegenüber der Idee, die in ihm aufbricht und die sich das Individuum zu ihrem Träger auswählt, belanglos ist« 212 . Von hier aus kann man die göttliche Repräsentanz Jesu zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte durchaus zugeben – aber von Dauer ist sie eben nicht. Die Christus-Idee in ihrer Kraft und Wirkung hängt dann nicht mehr davon ab, »daß Jesus lebt, daß also dieser Eine an das Kreuz geheftet wird und dieser zu den Toten geworfene Mensch auferstanden ist«213. Das christologische Problem dagegen wird aber überhaupt nur unter der Voraussetzung erfaßt, daß der gekreuzigte und auferweckte Jesus Christus lebt und unter uns ist 214. Es muß deshalb vermieden werden, »das Verhältnis von Gott und Welt so zu fassen, daß entweder der Sohn nur noch ein Stück Welt war oder nichts anderes übrigblieb als die Spur, die sein vergänglicher Fuß hinterlassen hatte, in der wir aber den Abdruck einer unvergänglichen Idee haben«215. Die Erfassung der Lebendigkeit Gottes kann in der Christologie nur erreicht 209 210 211 212 213 214 215
AaO 233. Ebd. Ebd. AaO 235. Ebd. AaO 236. Ebd.
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werden, wenn man damit ernst macht, daß es in ihr statt um bloße Benennungen und christologische Prädikationen »um ein Sein«216 geht, darum, daß »eine Person von Fleisch und Blut unter uns ist, die als solche die Gegenwart Gottes mitten unter uns darstellt und realisiert«217. Das unsichtbare Wesen Gottes wird in Jesus Christus so in die Sicht- und Greifbarkeit hineingenommen, »daß es Gegenwart unter uns ist, daß Gott erst jetzt uns erst so ganz Gott ist«218 . Gott hat also in der Menschwerdung nicht seine Gottheit aufgegeben, im Gegenteil: »Jetzt erst kennen wir wirklich seine ganze Größe und seine ganze Macht!«219 Gottes Eigenschaften nämlich werden erst in ihrem Bezug auf den Sohn »mit dem rechten Inhalt versehen«220 , und dieser Bezug ist nichts anderes als das Handeln Gottes am Gekreuzigten: »Was wäre das für eine Macht (dynamis) Gottes, die Jesus nicht von den Toten zu erwecken vermöchte! Was wäre das für eine Weisheit Gottes, die die Torheit des Kreuzes (vgl. 1Kor 1,18.23) nicht aufzuheben, zu verwandeln vermöchte! Was wären das für eine Weltüberlegenheit und Höhe Gottes, die nicht in diese Tiefe reichten, in der Jesus steht und leidet (Eph 4,9)!«221 Mit der dritten Vorlesung (Tod und Auferstehung. Christologie II, Bonn 1959) erreicht Iwand die theologische Mitte seines ganzen Christologie-Zyklus. Hier wird seine Kreuzestheologie in aller Ausführlichkeit manifest. Das Sterben Jesu ist das Ziel seiner Existenz, sein Tod ist »das von vornherein bestimmte Ziel, er ist die Bestimmung, und sein ganzes Leben wird unter dem Aspekt dieser besonderen Bestimmung gesehen«222 . Die menschliche Erdenexistenz Jesu beginnt mit der Inkarnation des Logos, die Existenz des Logos wiederum beginnt mit dem Beginn aller Zeit überhaupt. Von daher kann Iwand im Blick auf die Christologie sagen: »Christologie ist Logoschristologie, beide sind ein und dasselbe. Ohne die Logoschristologie, diesen theologischen Überschritt über die Geschichte hinaus […] bleibt die Historie Jesu letzten Endes unbegreiflich.«223 Und gleichzeitig geht es Iwand in der Christologie immer um »das Offenbarwerden Gottes am Kreuz Jesu Christi«224. Dieser Gedanke ist mit dem der 216
Aao 238. Ebd. 218 Ebd. 219 AaO 239. 220 Ebd. 221 Ebd. Iwand wendet sich hier ausdrücklich gegen den »starre[n] ontologische[n] Gottesbegriff der Vernunft« (ebd.) und den Gottesbegriff des Absoluten, die an sich ungeeignet sind, Gottes Eigenschaften recht zu erfassen, denn es »bricht hier der Schein von Weihnachten in den natürlichen, ontologischen, solipsistischen Gottesbegriff des Heidentums herein« (ebd.). 222 AaO 294. 223 AaO 293. 224 AaO 336. 217
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Inkarnation unlöslich verbunden, denn dieses »Kreuz steckt bereits in dem Satz, daß das Wort Fleisch wurde«225. Die »Historie Jesu« hat ihren Ursprung in der Inkarnation des ewigen Logos und ihr Ziel im Kreuzestod Christi. Denn sein Tod »birgt den Inhalt, den unaussprechlichen Wert dieses ganzen Daseins«226 . Er ist darin nicht bloß das verlöschende Auslaufen eines Lebens, sondern »die Vollendung dieses Lebens, […] Jesu Lebenswerk«227. Dieses »Lebenswerk« besteht darin, daß die vom Tod beherrschte Wirklichkeit des Menschen real verändert wird, indem in Jesu Sterben etwas »geschieht, […] was von ewiger Bedeutung ist: Der Tod Jesu ist mehr als ein schlichtes Sterben, er ist – wie es besonders Paulus herausstellt – eine Begegnung mit dem Tod, ein Offenbarmachen und Offenbarwerden desselben.«228 – Die enge Verklammerung der Aussage von der Göttlichkeit des Menschen Jesus Christus mit dem Gedanken, daß Gott in seiner Göttlichkeit nur am Kreuz offenbar wird, an dem dieser Mensch Jesus stirbt, stellt bei Iwand sicher, daß das Kreuzesgeschehen nicht nur akzidentiell, sondern wesentlich auf Gott bezogen und als dessen Handeln verstanden werden kann. Auf diese Weise kann das Kreuz im weiteren Verlauf der Vorlesung dann exklusiv als der Ort zur Geltung kommen, an dem Gott die Wirklichkeit sowohl zur Erkenntnis bringt als auch grundstürzend verändert: das Verständnis des Gekreuzigten im Lichte des christologischen Dogmas bereitet einer konsequenten soteriologischen Interpretation des Kreuzes den Boden. Iwand verbindet also das Kreuz Christi unlöslich mit seinem »realen«, objektiven Ansatz der Christologie, dem selbstoffenbarerischen Handeln Gottes in seiner Mensch- bzw. Fleischwerdung in Jesus Christus. Das Kreuz Christi ist die Selbstoffenbarung Gottes, denn die Fleischwerdung des Wortes zielt mit innerer Notwendigkeit auf das Kreuz. Damit ist die Gleichung aufgemacht: Christologie ist theologia crucis. Sie ist theologia crucis allerdings unter der Bedingung, daß ihr Ansatz nicht bei der Fleischwerdung des Wortes unter Absehung vom Kreuz und auch nicht bei einer ethischen bzw. religiösen Bewertung Jesu genommen wird. Mit beiden Wegen verstellt der Mensch sich den Blick auf das wirkliche Handeln Gottes, wie es sich am Gekreuzigten darstellt229. Diese zentrale Stellung des Kreuzestodes Jesu innerhalb der Christologie hat Iwand im Gefolge der dialektischen Theologie wiedergewonnen. Das meint Iwand offenbar mit der »Wiederentdeckung der reformatorischen Theologie«, wenn er sagt: »Erst seit der Wiederentdeckung der reformatorischen Theologie und gleichzeitig damit des neuen Verständnisses der paulinischen Lehre fangen wir
225 226 227 228 229
Ebd. AaO 294. Ebd. Ebd. Vgl. Assel, »… für uns zur Sünde gemacht …«, 193.
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wieder an zu begreifen, daß diese Person nicht ist, was sie ist, ohne den Tod, indem daß hier und hierdurch Jesus Christus erst mein Herr und Erretter ist.« 230 Die dialektisch-theologische Herkunft Iwands wird dadurch unterstrichen, daß er sich mit dieser Verortung des Kreuzes im Zentrum der Christologie ausdrücklich von Schleiermacher absetzt. Denn bei diesem wurde nicht der Tod Christi, sondern das vom Erlöser ausgehende Leben in den Mittelpunkt gestellt. Alles lag daran, daß das Sein Gottes in Jesus auf uns übertragen wird – der Tod Jesu spielte dabei keine Rolle. Die Wirksamkeit Christi war die Fortsetzung der schöpferischen göttlichen Tätigkeit, aus der heraus auch die Person Christi entstand. Statt vom Tode Jesu sprach Schleiermacher von der Ertötung der alten, durch die Sünde gehemmten Persönlichkeit. So wurde der Tod Jesu bei ihm durch »etwas anderes« ersetzt: »durch den Wirkzusammenhang, der von dem Erlöser auf die Erlösten, der von dem Gott-Menschen auf die Menschen ausging«231. Der Lebenszusammenhang, von dem Schleiermacher sprach, ist allerdings nicht der durch Tod und Auferstehung Christi konstituierte, sondern derjenige, der »bereits zwischen Jesus und den Jüngern zu Zeiten seines irdischen Lebens und Wirkens bestand«232 . Iwand kritisiert an diesem Konzept, daß die Lebensgemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern bzw. den an ihn Glaubenden eben darin ihre Eigentümlichkeit habe, daß sie durch den Tod Christi konstituiert ist und bewahrt wird. So muß man nach Iwand feststellen, »daß seit mehr als einem Jahrhundert eben dieser Versuch gemacht worden ist, für den Schleiermacher so bedeutsam wurde, den Tod Jesu in seiner ausgezeichneten Funktion zu umgehen (gegen Hegel, Kähler u.a.). Man suchte die persönliche Beziehung zu dem Menschen Jesus und begriff nicht, daß die Beziehung zu der Person Jesu in seinem Tod verborgen ist.«233 Den Tod Jesu »in seiner ausgezeichneten Funktion« zur Geltung zu bringen – das ist Iwands christologisches Grundanliegen, das er verfolgt, um das Ziel christologischer Arbeit überhaupt erreichen zu können, denn »Christologie ist nichts anderes als eben dieser Prozeß, daß wir erst an Jesus Christus von Gott her lernen, was es heißt, Mensch zu sein, in seiner ganzen Tiefe und seiner ganzen Höhe«234. Fassen wir die wichtigsten Erkenntnisse zu Iwands Bestimmung des christologischen Themas und der Funktion des Kreuzes Christi in den Einleitungen zu den drei zu besprechenden Christologievorlesungen zusammen. Iwand 230 Iwand, Christologie 298. Dazu paßt Iwands ausdrückliche Anknüpfung an v. Loewenichs Arbeit »Luthers theologia crucis«, vgl. Iwand, Theologia crucis, 381. 231 Iwand, Christologie, 296. 232 AaO 297. 233 AaO 298. Der Angriff Iwands gegen Kähler ist auf dem Hintergrund der in dieser Arbeit vorgetragenen Erkenntnisse zum Verständnis des Kreuzestodes in Kähler Theologie als ungerechtfertigt zurückzuweisen. 234 AaO 303.
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setzt in den Vorlesungseinleitungen verschiedene christologische Schwerpunkte, die jedoch alle auf die Herausarbeitung der in der dritten Vorlesung in den Mittelpunkt gestellten ›ausgezeichneten Funktion des Todes Jesu‹235 zulaufen. In der ersten Vorlesung gilt Iwands Augenmerk dem Gleichgewicht in der Behandlung der Gottheit und der Menschheit Jesu. Hier will Iwand dem idealistischen Defizit in der Würdigung der Annahme der Menschheit durch Gott in Jesus Christus entgegensteuern. Christus, der Gottessohn als wahrer Mensch – das ist ein Ärgernis für den Idealisten mit seinem idealen Menschenbild, das sich als selbstgerechte Religion zu etablieren vermochte. Die wahre Menschheit Jesu Christi läßt dagegen Gott nur in ›Herablassung, Verborgenheit und Inkognito‹ erkennen 236 . Dieser an Luthers 20. Heidelberger Disputationsthese angelehnte Gedanke thematisiert indirekt den Kreuzestod Jesu Christi als die Offenbarung und Bewährung des wahren und eben nicht bloß ideal vorgestellten Menschseins Jesu. Damit kommen wir zu den Funktionen des Todes Jesu, wie Iwand sie in den Vorlesungseinheiten skizziert. In der ersten Vorlesungseinleitung bringt Iwand lapidar den ›Gekreuzigten‹ gegen die Auffassung von Jesu Tod als dem Tod eines standhaft für seine Idee sterbenden Menschen in Anschlag. In den Vorüberlegungen zur dritten Vorlesung nimmt Iwand Jesu Tod als die Vollendung seines Lebens, ja mehr noch: als sein ›Lebenswerk‹ in den Blick. Dadurch ist dieser Tod kategorial vom Tod anderer Menschen als dem ›verlöschenden Auslaufen‹ ihres Lebens unterschieden. Auf dieser Grundlage dieser Position, daß nämlich Christus am Kreuz das eigentliche ›Werk‹ seines Lebens vollbracht hat, lassen sich nun näherhin drei Funktionen des Todes Jesu in den Vorlesungseinleitungen unterscheiden. Zuerst kommt der Tod Jesu als die Begegnung mit dem Tod überhaupt in den Blick. Inwiefern er kategorial anders ist, als ›schlichtes Sterben‹, inwiefern also Jesu Tod die theologische Qualität des Todes freizulegen vermag, wird uns unten bei der Besprechung vor allem der dritten Vorlesung intensiv beschäftigen. Über diese noetische Funktion hinaus kann Iwand zweitens den Tod Jesu auch als Grund dafür bezeichnen, daß Jesus ›mein Herr und Erretter‹ ist 237, ja, daß er durch seinen Tod überhaupt der ist, der er ist. Jesus – so könnte man diesen Gedanken hier schon im Vorgriff auf die eingehende Analyse der dritten Vorlesung paraphrasieren – gelangt in seinem Kreuzestod zu seiner Identität, zu seinem Selbst-Sein, das als solches rettendes Sein für mich ist. Mit diesem Gedanken, daß die Beziehung zu Jesus in seinem Tod konstituiert und bleibend gewährleistet ist, setzt Iwand sich dezidiert von Schleiermacher ab, für den der Wirkzusammenhang des auf der Erde lebenden Jesus mit seinen Jüngern und 235 236 237
So aaO 298. So aaO 24. So aaO 298.
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dann seiner Gemeinde sowie ihre Fortsetzung seiner göttlich-schöpferischen Ausstrahlung entscheidend war. Die dritte in den Vorlesungseinleitungen angesprochene Funktion des Todes Jesu schließt direkt an dieses Ineinander von Jesu Selbstvollendung und seinem Rettersein für die Menschen an. Denn in materialer Hinsicht bewirkt Jesu Tod nicht bloß einen ›Bewußtseinswandel‹ in uns – auch das ist wieder gegen Schleiermacher und den von ihm ausgehenden Typ der Versöhnungslehre (man denke nur an Ritschl!) gerichtet –, sondern überwindet faktisch die Sünde und den Tod. Nicht das Bewußtsein, sondern die dem Bewußtsein voraus- und bleibend zugrundeliegende Wirklichkeit wird in Jesu Tod fundamental von Gott her verändert und vom Todesverhängnis der menschlichen Sünde in die Perspektive göttlichen Lebens zurückgebracht. Indem Iwand die einmalige und schlechthin zentrale Funktion des Todes Jesu in der Christologie zur Geltung bringen will und sämtliche christologische Topoi auf das Kreuz als dem Telos der Menschwerdung und dem Menschsein Gottes in Jesus Christus hinordnet, kann seine Christologie insgesamt als theologia crucis, als Kreuzestheologie bezeichnet werden. In ihr geht es darum, am gekreuzigten Christus von Gott her zu erfahren, was es heißt, Mensch zu sein. b) Die soteriologische Funktion des Todes Christi In den folgenden Abschnitten werden wir die Funktion des Kreuzes Christi in Iwands dritter Christologievorlesung untersuchen. aa) Der Botschaftscharakter des Heilsgeschehens Das Ereignis des Kreuzestodes Christi, der objektiv für uns geschehen ist, wird Ereignis an uns, indem er uns in der Botschaft vom Kreuz verkündigt wird. Das ›an uns‹ darf allerdings nicht dahingehend mißverstanden werden, als würde hier einem im Grunde unberührten In-Sich-Ruhen des Menschen irgendeine Akzidenz beigelegt. ›Meine‹ Geschichte wird hier nicht bloß interpretiert oder in ein neues Licht gerückt, sondern sie wird als eine ganz andere, nämlich als Geschichte Jesu Christi zur Sprache gebracht: wenn mich diese Botschaft wirklich erreicht, werde ich – so kann man Iwands Gedanken fortführen – selber ein anderer. Die Botschaft von Tod und Auferstehung Christi hat damit nicht im mindesten den Charakter der distanzierten Information, sondern »ist so gezielt, daß sie diese Geschichte als meine Geschichte erzählt«238 . In diesem »für uns« hat alles »an-und-für-sich« philosophischer und mythologischer Spekulation ihre Grenze. Denn diese geht nicht über Schauen und Begreifen hinaus und bleibt – so muß man Iwand hier verstehen – damit doch dem Geschauten und Begriffenen äußerlich. Der Glaube entmythologisiert nämlich den Mythos, in238
AaO 305.
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dem er sich an das Wort hängt: »Der Glaube macht mich zum Empfangenden«239, der Glaube »begreift im Wort – in diesem bleibenden Wort – das Geschehen«240 . Und im Festhalten am vorgegebenen Wort wird der christliche Glaube davor geschützt, sich in einen Mythos des Gottsterbens und –auferstehens zu verwandeln: »Es muß also der Tod Jesu als unvergängliche Botschaft mitten unter uns sein, damit der Glaube sie fassen, ja, damit er als Glaube selbst auf den Plan treten kann. Die Botschaft in diesem Sinne, nicht die Beschreibung, sondern das Kerygma von diesem Tod muß so beschaffen sein, daß es den Glauben herausruft, daß es ihn erzeugt. Das Wort der Wahrheit erzeugt erst den, der an es glaubt (vgl. Jak 1,18).«241 Diese schöpferische Funktion des Wortes impliziert, daß es sich bei der Botschaft vom Tod Jesu bzw. dem »Wort der Wahrheit« nicht um eine Information über eine im Grunde abwesende »Sache« handelt. Eine solche Differenz des Wortes zum Besagten würde ja die Möglichkeit eröffnen, daß die so verstandene Botschaft in die Verfügung des Menschen geraten und Teil seiner, des Menschen Weisheit werden könnte. Dagegen unterstreicht Iwand mit 1. Kor 1,18ff, daß das Wort vom Kreuz im ausdrücklichen Gegensatz zur philosophischen oder rhetorischen Weisheit Gottes Kraft ist und den Glauben an es selber schafft. Gottes Kraft ist das Wort vom Kreuz aber in einem genau qualifizierten Sinn: Im Wort vom Kreuz ist »der Gekreuzigte selbst zwischen uns und Gott getreten«242: »Diese Botschaft von dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn stellt uns vor Christus selbst, ja in ihr steht Christus vor uns. Es ist aber damit noch mehr gesagt: Jesus Christus, der Herr, ist selbst der, welcher unter der Gestalt seiner Boten redet.«243 Diese Identifikation des Gekreuzigten mit der Botschaft von ihm bringt die biblisch-reformatorische Grundeinsicht zur Geltung, daß im Verhältnis Gottes zum Menschen alles von Gott abhängt, und das radikal: nicht nur anfänglich und partiell, sondern dauernd und total. Der »Botschaftscharakter« des Wortes vom Kreuz zielt bei Iwand darauf, daß hier eine Initiative Gottes zum Zuge kommt, daß hier ein Gefälle von Gott zum Menschen realisiert wird, das nicht umkehrbar ist. Das hat Konsequenzen für die Auffassung von den Boten, die diese Botschaft weitersagen: Die Boten sind hier nichts anderes als »Zeugen«. Und letztlich ist es Gott, der uns »darin selbst mit letzter, durch nichts zu überbietender Gewißheit (bezeugt), daß er es ist, der uns in Jesus Christus, in seinem Tod und seiner Auferstehung, gefunden, heimgeholt und als Eigentum proklamiert hat«244. 239 240 241 242 243 244
AaO 306. Ebd. Ebd. AaO 321. AaO 327 AaO 325.
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Der enge Zusammenhang von Botschaft und Glaube nötigt Iwand zu einigen Präzisierungen hinsichtlich seiner Auffassung vom Glauben. Zunächst setzt er sich von der im 19. Jahrhundert vorherrschenden Tendenz ab, die Unterscheidung von fides qua und fides quae zu überzeichnen. Der Glaubensakt wurde dann den Glaubensinhalten vorgeordnet und diese standen nur insoweit in Geltung, als sie im lebendigen Glaubensakt beschlossen lagen. Alles andere wurde als bloßer fernliegender Traditionsstoff zurückgesetzt. Vom Kerygma im oben dargestellten Sinne aus – so Iwand – stellt sich der Sachverhalt allerdings umgekehrt dar: die Botschaft ist das Primäre, das, was uns den Glauben »abnötigt«, ihn geradezu »erzeugt«245. Der Ausgangspunkt und Maßstab im Verhältnis von Gott und Mensch ist eben nicht eine als »Glauben« deklarierte Tat des Menschen, sondern das, was Gott »in Jesus Christus für uns getan hat«. Dieses Tun Gottes ist das, was Glauben – so läßt sich Iwand wohl interpretieren – überhaupt erst lebendig macht, indem in ihm der lebendige Gott selber am Werk ist. »Glaube« ist also immer qualifiziert durch das Handeln Gottes; und wie die Christologie ›realistisch‹, also auf das Handeln Gottes in Christus als ihre ›res‹ bezogen ist, so kann auch dieser Glaube als ›realistisch‹ bezeichnet werden. Und von dieser seiner ›Sache‹, dem Gegenüber der diese ›Sache‹ vergegenwärtigenden Kreuzesbotschaft her ist der Glaube das einzige angemessene Verhalten des Menschen: »Es gibt so vielerlei Glauben, Vertrauen, Anerkennen, Geltenlassen und was derlei Dinge mehr sind, es gibt viele Möglichkeiten des Menschen, aus Glauben zu leben. Aber diese eine Möglichkeit, die uns die Botschaft von Jesus Christus eröffnet – die Möglichkeit, neu zu leben –, liegt jenseits aller unserer sonstigen menschlichen Denk- und Seinsmöglichkeiten. Darum sprechen die Menschen, die durch Jesus Christus zum Glauben gekommen sind, von ihrer neuen Geburt.«246 Aus dem sachlichen Vorrang der Botschaft vor dem Glauben, bzw. aus dem Gedanken der den Glauben ermöglichenden, fordernden und schaffenden Initiative Gottes folgt, daß der Glaube als Tat des Menschen der Botschaft nicht einfach symmetrisch gegenübersteht. Das Gefälle vom Handeln Gottes in dem in der Kreuzesbotschaft vergegenwärtigten Heilsgeschehen hin zum Glauben als der menschlichen Tat ist darin begründet, daß »der Glaube […] in diese Botschaft eingeschlossen [ist]«247. Das heißt, daß die Unterscheidung von fides qua und fides quae, deren Überzeichnung Iwand an der Theologie des 19. Jahrhunderts kritisiert hatte, nur unter der Voraussetzung sinnvoll sein kann, daß der glaubende Glaube (fides qua) ausschließlich als innere Möglichkeit der Botschaft selbst (fides quae), die diesen Glauben wirkt, verstanden wird. Glaube ist im Iwandschen Verständnis kein abstraktes Instrument im Vermögen des Men245 246 247
So aaO 329. AaO 331. Ebd.
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schen und damit etwa vom »unbedingten Angegangensein« im Sinne Tillichs ganz grundsätzlich verschieden248 . Das Subjektsein Gottes in der Ausrichtung seiner Botschaft durch den Dienst der menschlichen Boten und in dem durch die verkündigte Botschaft geweckten, von Gott geschaffenen Glauben setzt sich folgerichtig auch in der Kirche fort: sie ist »das Geschöpf dieser Botschaft (creatura verbi)«249. Als Geschöpf der verkündigten Botschaft, des Wortes von Kreuz und Auferstehung, ist die Kirche nicht etwa als Stiftung des irdischen Jesus zu verstehen. Vielmehr ist für Iwand die Botschaft vom gekreuzigten und auferweckten Herrn die »Stiftungsurkunde«250 der Kirche, deren für sie eingesetzte Sakramente Taufe und Abendmahl ohne »die Botschaft vom Tode des Herrn und von der Kraft seiner Auferstehung nicht zu denken noch zu verstehen« sind251. Das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf darf gerade auch in der Ekklesiologie nicht verwischt oder umgekehrt werden. Es drohte dann nämlich die Gefahr, »daß die Kirche das Verhältnis zur Botschaft umkehrt und diese als Ausdruck, als Produkt ihres Glaubens und ihres Selbstverständnisses faßt«252 , die Botschaft also in ein Produkt menschlicher Gedanken und Kunst verkehrt: »Dagegen sagt Paulus: Ich habe unter euch nichts gewußt als Jesus und den als gekreuzigten (vgl. 1Kor 2,2). Dieses Datum ist vorgegeben. Alle Verkündigung ist nur insofern von Gott her gesandt und beauftragt, als sie die Vorgegebenheit dieses Datums wahrt: die Offenbarung der Gnade Gottes in dem für uns gekreuzigten und auferstandenen Herrn.«253 Dem Programm einer ›realistischen‹ Christologie und einer ›realistischen‹ Pisteologie entspricht also auch eine ›realistische‹ Ekklesiologie: die Kirche ist nur, insofern sie von der Selbstvergegenwärtigung des Handelns Gottes in der Botschaft von Kreuz und Auferstehung Christi herkommt. Indem die Botschaft von Kreuz und Auferstehung als Rahmen »immer Gott und sein Tun«254 hat, ist Gott in dieser Botschaft inmitten der Welt handelnd gegenwärtig. Es wäre also grundfalsch, Gott als ein metaphysisches Faktum aus dem Weltzusammenhang herauszulösen. In der Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn redet Gott »zu uns und aller Welt«255. Und hier geht es um mehr 248 Vgl. zu Tillichs Glaubensbegriff M. Korthaus, ›Was uns unbedingt angeht‹ – der Glaubensbegriff in der Theologie Paul Tillichs, 1999. 249 AaO 331, vgl. ebd.: »So, wie Gott der Herr dieser Botschaft bleibt, sich im Wort vom Kreuz als der bezeugt, der uns mit sich versöhnt, und sich im Wort von der Auferstehung als der verheißt, der auch unsere Leiber lebendig machen wird, so ist die Kirche das Geschöpf dieser Botschaft (creatura verbi).« 250 Ebd. 251 Ebd. 252 AaO 332. 253 Ebd. 254 Ebd. 255 AaO 333.
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als nur um christliches Selbstverständnis: »Es ist nicht einfach so, daß die Christen damit ihren Glauben und ihre Erfahrung in Worte fassen und zum Ausdruck bringen; dem Botschaftscharakter, der dieser Tatsache des Kreuzes zu eigen ist, in dem sie lebt und uns begegnet, entspricht ja die Weite der Gültigkeit dessen, was am Kreuz geschehen ist. Es ist ja die Sünde der ganzen Welt, es ist die Sünde schlechthin, für die Jesus Christus in den Tod gegangen ist […]. Der Radius der hier geschehenen Versöhnung geht weit über die hinaus, die das Wort annehmen und glauben. […] Sie gilt faktisch allen. Sie beschließt alle Welt unter die Sünde, um sie eben damit unter das große Erbarmen Gottes zu stellen. Darum muß die Botschaft proklamiert werden als Wort des Gottes, der auch der Heiden Gott ist. […] Sie läuft der Umkehr und dem Glauben vorweg.«256 Das Programm der realistischen Christologie bedeutet eben auch dies, daß die Glaubenden sich nicht etwa mit ›ihrer‹ Botschaft in einem frommen Winkel aufgehoben wähnen dürften. Sondern die ›res‹ der Botschaft, Gottes Handeln selber, hat objektiv verändert, was Menschsein heißt. Die Glaubenden wissen, daß das auch denen gilt, die es (noch) nicht wissen. Darum ist die Kirche, sind die Boten, ist jeder einzelne Glaubende mit innerer Notwendigkeit an die Welt gewiesen. Denn die göttliche Initiative, den Menschen aus seinen Unheilszusammenhängen herauszurufen und zu retten, kommt nicht schon in der Kirche, sondern erst in der ganzen Menschheit zum Ziel. bb) Der theologische Gehalt der Botschaft vom Tode Christi Nach Iwands Ausführungen zum Botschaftscharakter als der Form des Heilsgeschehens wendet er sich der Frage nach dem Inhalt dieser Botschaft mit dem primären Interesse daran zu, »welches denn nun ganz konkret die Sätze sind, in denen das Geheimnis des Todes Jesu Christi erschlossen wird«257. Was wir schon bei Iwands Untersuchung der Form des Heilsgeschehens gesehen haben, daß nämlich der Tod Jesu die zentrale Perspektive darstellt, dieses überhaupt zu verstehen, wird uns bei der Analyse des Inhalts dieser Botschaft wieder begegnen: es geht »auch bei diesen inhaltlichen Aussagen im wesentlichen und vor allem um den Tod Christi«258 . Iwand unterstreicht dessen Vorordnung vor die Auferstehung. Gegen alle Versuche, den Kreuzestod nur als Durchgangsstadium zur Auferstehung mißzuverstehen, hält Iwand daran fest, daß der »Akzent der Schrift […] eindeutig auf dem Tode Christi«259 gesetzt ist – »auf ihm liegt das ganze Gewicht«260 . Von dieser materialen Voraussetzung ausgehend, kann die Frage nach dem Inhalt der in der Christologie zu verhandelnden Bot256 257 258 259 260
Ebd. AaO 343. Ebd. Ebd. Ebd.
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schaft nun präziser als Frage nach dem »Zugang zu dem Ereignis des Todes Christi«261 gestellt werden. Iwand möchte »das Verstehen« begreifen, »an dem alle besonderen Einzelfragen hängen«262 , den »zentralen Punkt […], eine Tür sozusagen, durch die man in diesen ganzen Reichtum der Gnade und des Erbarmens Gottes Einlaß findet«263. Iwand setzt bei seinem Versuch, sich der Bedeutung des Todes Jesu unter einer zentralen Perspektive zu nähern, mit einer Abgrenzung von Verkürzungen und Mißverständnissen des Todes Jesu in der protestantischen Lehrtradition ein (a) und erschließt dann die Bedeutung des Todes Jesu in breiten Schriftparaphrasen (b). (a) Die Abgrenzung vom Altprotestantismus und von der Schleiermacher-Ritschlschen Linie Für Iwand stellt sich im Hinblick auf die Lehre von der Idiomenkommunikation das Problem, daß die geheimnisvolle Einheit der beiden Naturen hier zunächst seziert und dann künstlich wieder zusammengesetzt wird. Durch dieses Versagen, die Einheit von Gottheit und Menschheit in Christus auch in ihrer unaufhebbaren Differenz in geeigneter Weise theologisch zu fassen und darzustellen, wurde im Grunde schon der Weg für die anthropologische Betrachtungsweise des Neuprotestantismus geebnet, die den Tod Jesu »ganz von den göttlichen Eigenschaften löste und ihn einfach als Berufserfüllung gegenüber seinem göttlichen Auftrag ansah«264. Das Wahrheitsmoment des altprotestantischen Weges will Iwand allerdings unbedingt festhalten: daß nämlich Jesu Tod ein grundsätzlich anderer Tod als der aller anderen Menschen und eben nicht eines der zahllosen Martyrien war. Wird der Gedanke, daß dieses Sterben in der Einheit und Unterscheidung von Vater (im Himmel) und Sohn (auf Erden) geschehen ist, aufgegeben, dann kann sich nach Iwand die – heidnische – Vorstellung von einem menschlichen Opfer, von einer Selbstreinigung des Menschen wieder einschleichen. Die kategoriale Verschiedenheit des Todes Jesu vom Sterben aller anderen Menschen darf allerdings nicht in die Richtung des Gedankens hin überzeichnet werden, sein Tod bedeute nun etwa den Tod Gottes selber. Das ist ein Abweg, denn in diesem Falle hätte Jesus als Mensch, der mit seinem radikalen Gottvertrauen gescheitert ist, »den ersten und entscheidenden Schritt für den Menschen getan, nicht fernerhin auf Gott zu warten und mit seinem wunderbaren Eingreifen zu rechnen, sondern selbst Hand anzulegen und sich darauf zu besinnen, daß er in dieser Welt allein ist, dazu berufen, allein mit ihr fertigzuwerden und sie und das 261 262 263 264
Ebd. Ebd. Ebd. AaO 344.
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Zusammenleben unter seinesgleichen so zu ordnen, daß eben jenes Ziel der Gerechtigkeit und des Friedens, das mit Gott und durch Gott erreicht werden sollte, nun ohne ihn und in voller Bewußtheit, daß es allein am Menschen und seiner Verantwortung liegt, erreicht werden kann.«265 Wenn Christi Tod nicht grundsätzlich vom allgemeinen menschlichen Sterben verschieden wäre, dann wäre nicht zu erklären, wieso der Tod dieses einen für »die vielen« eine erlösende Bedeutung haben sollte. Und deshalb »muß dieser Tod seinen notwendigen unveräußerlichen Platz in dem Dasein des Sohnes Gottes haben, wie es durch das Verhältnis des Vaters zu seinem Sohn bestimmt ist«266 . Iwand unterstreicht – hier schon Formulierungen J. Moltmanns vorwegnehmend –, »daß es sich bei diesem Geschehen um eine Geschichte handelt, die innerhalb Gottes selber spielt und sich ereignet, ein Geschehen, bei welchem der Vater und der Sohn, der menschgewordene Sohn Gottes, die allein Handelnden und Bestimmenden sind.«267 Der neuprotestantische Weg der theologischen Erfassung des Todes Jesu hat seinen deutlichsten Ausdruck in A. Ritschls Ausarbeitung des von Schleiermacher aufgenommenen Begriffes des sittlichen Berufs gefunden. Hierbei wird gegenüber dem altprotestantischen Anliegen, die Heilsbedeutung Christi in seinem Tod zu suchen und auch zu finden, der Akzent »von dem Tod Jesu verschoben auf sein Leben, sein Wirken«268 . Jesus wird hierbei zunächst für sich selbst betrachtet, denn – so paraphrasiert Iwand Ritschl – »(j)edes geistige Leben verläuft in dem Schema des persönlichen Selbstzweckes«269. Der Begriff der autonomen sittlichen Persönlichkeit dringt in die Christologie ein. Der Beruf Jesu zielt auf die sittliche Verwirklichung der Gottesherrschaft. Der eschatologische Charakter des Reiches Gottes wird preisgegeben und der Weg zur Säkularisierung des zur »Weltanschauung« gewandelten christlichen Glaubens ist frei. Ein entscheidender, nämlich »eine Entscheidung fordernder«270 Unterschied zwischen der Gemeinde und der bürgerlichen Gesellschaft kann auf dieser Basis nicht mehr formuliert werden. Nach diesem Ansatz konnte der Tod Jesu nur noch aus den Hemmnissen heraus verstanden werden, die sich jedem sittlichen Streben natürlicherweise in den Weg stellen und auch mithilfe des sittlichen Vermögens selbst zu überwinden sind: »Die Welt ist also dasjenige Gebiet, demgegenüber sich der einzelne in seinem sittlichen Beruf zu bewähren hat. Sie ist, wie bereits in der idealistischen Philosophie, Materie, oder wie man jetzt sagt: Natur. Sie ist das vom Geist noch nicht Geordnete und Rohe, das unter dem Gesetz des Sittlichen erst zu Formende und zu Bildende. So ist der Tod 265 266 267 268 269 270
AaO 346. AaO 347. AaO 347. AaO 348. AaO 348. AaO 350.
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die letzte Prüfung, aber auch die äußerste Anfechtung, ob sich der seinem Beruf treue Mensch der Welt gegenüber bewährt.«271 An die Stelle der Botschaft, des Evangeliums, tritt so die sittliche Idee, die von Christus und den anderen Menschen grundsätzlich in derselben Weise, allenfalls der Intensität nach verschieden, in der Berufstreue verwirklicht wurde und wird. Neben dem Tod hat in Bibel und Frömmigkeit zu Recht das Leiden Christi seinen Platz: Christus hat, indem er auf Erden ein Leidender war, »das wahre Wesen des menschlichen Lebens offenkundig«272 gemacht. Es ist nun für Iwand fraglich, ob das Leiden – wie Ritschl meinte – »nur aus den Widerständen zu erklären ist, auf die der sittliche Wille oder der Gehorsam gegen Gott in dieser Welt stoßen«273. Für Ritschl wird das Leiden nur unter sittlichem Aspekt interessant. Zwar ist daran richtig, daß das Leiden getragen werden muß, für Ritschl kommt aber immer nur das eigene Leiden, nicht das der anderen in den Blick, denn er »versteht den Tod aus dem In-der-Welt-Sein des Menschen. Wir werden aber die Welt verstehen und begreifen müssen aus der Offenbarung dieses einen Todes, der in ihr und für sie geschehen ist.«274 Der Tod Jesu in seiner Bedeutung kann jedoch nach Iwands Überzeugung nicht aus unserem Erfahrungsbereich heraus begriffen werden. Dieser Tod ist schließlich nicht deshalb von Bedeutung, weil wir »im Glauben ihn für ein stellvertretendes Leiden halten und dies ein religiöses Werturteil ist, sondern weil er stellvertretend für unsere Sünden erlitten wurde und weil es in den Möglichkeiten der Welt und der Menschheit dieser Welt keine einzige auch nur denkbare Möglichkeit gibt, daß sie anders als so – in diesem Leiden und Sterben – aufgehoben werden könnte«275. Dieser Tod und die Vergebung unserer Sünden sind untrennbar eins – seine sündenvergebende Wirkung ist objektiver Natur und wird eben nicht nur in einer Änderung der subjektiven Gesinnung des Menschen Ereignis. Das Fazit, in dem Iwands kurzer und stark typisierender theologiegeschichtlicher Exkurs gipfelt, führt systematisch bereits ohne Umwege auf den von ihm favorisierten Weg der Deutung des Todes Jesu zu. Iwand hält fest, daß »[n]ie und nirgends […] diese Botschaft ausgesprochen [wird], ohne daß von der Vergebung der Sünden die Rede ist«276 . In Jesu Kreuzestod wird also nicht etwa sein Scheitern besiegelt. Das Kreuz ist eben nicht »eine post festum dazu erkorene und erkannte Heilstatsache, vielmehr – daran müssen wir als an dem Hauptpunkt festhalten – ist das Kreuz das Werk und die Tat Jesu, in welcher die Vergebung der Sünden ganz von ihm allein aus und ganz ohne unser Zutun so 271 272 273 274 275 276
AaO 350. AaO 351. Ebd. AaO 355. AaO 357. AaO 362.
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verwirklicht wurde, daß sie hier in Zeit und Ewigkeit begründet ist und feststeht«277. (b) Die inhaltliche Erschließung des Todes Jesu in dogmatischen Schriftparaphrasen Die Leitperspektive der ›realistischen Christologie‹, die dem Kreuzestod die zentrale Rolle bei der Veränderung der Wirklichkeit durch die tatsächliche Überwindung und Aufhebung der Sünde zumißt, prägte von Anfang an Iwands Definition der christologischen Aufgabenstellung überhaupt und auch seinen ebenso eklektischen wie typisierenden theologiegeschichtlichen Exkurs. Ähnlich wie bereits in den oben besprochenen Luthervorlesungen begegnen wir in den Christologievorlesungen wieder dem theologischen Verfahren Iwands, assertorische Grundpositionen mit biblischem und theologiegeschichtlichem Material so miteinander zu verweben, daß der Hervorgang der assertiones aus der Schriftlektüre ebenso deutlich werden soll, wie ihre Bewährung gegenüber dem idealistischen Theologietypus, der bei Iwand – bei allen Detaildifferenzen – durch Hegel, Schleiermacher und Ritschl repräsentiert ist. Die methodische Verwandtschaft zum Impetus Karl Barths, Theologie aus der Schrift, gestützt auf die großen Theologen der Reformation und gegen die ›moderne‹ Theologie seit der Aufklärung treiben zu wollen, ist bei Iwand mit Händen zu greifen. Verschafft man sich einen Überblick über die Bibeltexte und –stellen, auf die Iwand in seinen der biblischen Erschließung der Kreuzesbotschaft gewidmeten Kapiteln hauptsächlich Bezug nimmt, dann fällt sofort auf, daß er sich auf einige ›Kernstellen‹ aus dem Römerbrief, dem 2. Korintherbrief und dem Galaterbrief konzentriert. In systematischer Hinsicht hat Iwand seine Schriftparaphrasen klar gegliedert: Er setzt mit Erörterungen über die Gerechtigkeit Gottes ein, fährt mit Ausführungen zu Liebe und Gericht Gottes fort und mündet schließlich in der Darstellung des Stellvertretungsgedankens. Die Begriffe der Gerechtigkeit und der Liebe Gottes will Iwand streng von Gott her verstanden wissen. Das aus menschlicher Erfahrung und menschlichem Denken gespeiste Vorverständnis ist zum Verständnis dieser Begriffe, insofern sie Eigenschaften – Iwand spricht lieber von »Wesenheiten«278 – Gottes meinen, ungeeignet. Denn nicht der Mensch hat sich die Begriffe von Gottes Gerechtigkeit und Liebe selber zu bilden, sondern Gott »hat sie uns ausgelegt, hat uns darin das Wesen seiner Gerechtigkeit und seiner Liebe zugänglich gemacht«279. Der Ort, an dem sich diese Begriffe erschließen, die als Gottes ›Wesenheiten‹ nichts anderes als die oben schon besprochene Einheit seines Seins und seines Schaffens ausdrücken, ist das Kreuz Christi: »Wir werden […] immer 277 278 279
Ebd. AaO 379. Ebd.
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den Tod Christi als den Schlüssel ansehen müssen, um Gott in seinem Sein und seinem Handeln zu verstehen.«280 Für Iwand fällt folgerichtig genau hier die Entscheidung darüber, »welcher Theologie wir uns verschreiben: ob wir von unserer Begrifflichkeit ausgehen und diese zum Maßstab setzen, um die Offenbarung Gottes zu verstehen und dementsprechend zu beurteilen, oder ob wir umgekehrt von der Offenbarung Gottes – und zwar von dieser Offenbarung Gottes in Jesus Christus – ausgehen und hier die Begriffe gewinnen, sie erfüllen lassen, sie neu, ganz neu und wahr werden lassen durch das, was Gott zu ihrer Erfüllung und Deutung zu sagen hat«281. Gottes Gerechtigkeit und Liebe sind aus dem Tode Jesu Christi zu verstehen. Für Iwand steht man damit »an dem Punkt, um den es in der ganzen Theologie geht und von dem der Glaube lebt: daß wir nicht aus unserer Begrifflichkeit von Gott leben, aus dem, was wir in den Begriffen von Gerechtigkeit und Liebe über Gott zu wissen meinen, sondern daß wir lernen – am Tode Jesu lernen, wie es um beide steht«282 . Diese Auffassung ist nun allerdings keineswegs dahingehend fehlzudeuten, als sei das Kreuz Christi ein theologisches Seminar, in dem der Mensch theoretisch die richtigen Begriffe von Gottes Handeln an die Hand bekäme. Auch das Neue Testament »weiß […], daß dieses Lernen nicht leicht ist«283. Das ›Erlernen‹ der rechten Begriffe von Gottes Gerechtigkeit und Liebe geschieht vielmehr in einem umfassenden, existentiellen Vorgang, nämlich in den »Anfechtungen unseres Glaubens an Gott«284 , wie sie sich zwangsläufig einstellen müssen, wo wirklich und exklusiv mit dem Tod Jesu als dem Ort rechter Gotteserkenntnis gerechnet wird. Wo der Mensch Gottes Liebe am liebsten »an den Führungen [seines] Lebens ablesen«285 möchte, bezeugt ihm in denkbar scharfem Gegensatz dazu der Tod Jesu, »daß der von Gott geliebte Mensch der verstoßene und angefochtene, der heimatlose und in Bedrängnis geratene Mensch sein soll«286 . Iwand verstärkt diesen Gedanken anhand einer Paraphrase von Römer 8. Denn hier werden alle Widrigkeiten des Lebens aufgeführt, die den Menschen, der seinen Glauben von – positiver – Lebenserfahrung abhängig macht, schließlich doch von Gott zu trennen vermögen: »Hunger, Fährlichkeit, Schwert, die Mächte in der Höhe und die Mächte in der Tiefe, die Bilder von des Menschen Ruhm und Herrlichkeit, seine Genialität und sein Heroentum auf der einen Seite und sein Elend und der Abgrund seines inneren Lebens auf der anderen Seite«287. Es macht gerade die »natürliche Religiosität«288 des Men280 281 282 283 284 285 286 287 288
Ebd. Ebd. AaO 382. AaO 379. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 380. Ebd.
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schen aus, die Liebe Gottes »aus seinem Ergehen«289 abzulesen und sich »immer eine harmonische, geordnete, eine gerechte und freie Welt [zu denken] als die eigentliche und überzeugende Manifestation der Herrschaft Gottes«290 . Dagegen steht nun die Botschaft von der Erkenntnis Gottes im gekreuzigten Christus: »Hier, in der Hingabe des Sohnes, im Tode Jesu, ist die Liebe Gottes erschienen, die uns, wie die Gerechtigkeit, so fest in sich einschließt, daß nichts mehr dazwischen kommen kann: nicht die Trübsal, nicht der Tod, auch nicht das Leben, nicht die Engelmächte und nicht die Geister der Tiefe. Diese Liebe ist in sich selbst genug. Sie hält den Menschen auch im Untergang und Leiden.«291 Die am Kreuz offenbarte Liebe Gottes ist allein als unanschauliche Liebe wirklich 292 . Darin ist sie kategorial von der Liebe, wie Menschen sie sich natürlicherweise als anschauliche, fühl- und erlebbare Liebe vorstellen, verschieden. Indem Gottes Liebe durch nichts ins Wanken gebracht werden kann und eben nicht mit der gefühlten Qualität menschlicher Erfahrung steht oder fällt, kann Iwand diese Liebe mit dem Prädestinationsgedanken zusammenbringen: Gottes Liebe »prädestiniert« uns293; die »Liebe Gottes ist die Erwählung des Menschen im Tode Jesu Christi, nichts sonst«294: »Hier, in dieser Liebe Gottes, ist unser Heil festgemacht. Es müßte schon umgestoßen werden, was hier gesetzt ist: Dieser Tod müßte aufhören, des Menschen neue Gerechtigkeit und Heiligung zu sein, es müßte etwas geben, demgegenüber dieser Tod ohnmächtig, nicht mehr die Liebe Gottes wäre – und das kann nicht sein. Gott hat sein Liebe gegen uns an diesen Tod gebunden, daß, wer sich aufmacht, die Liebe Gottes zu finden, zu diesem Tode geführt wird, und wer die Botschaft dieses Todes vernimmt, damit […] die Liebe Gottes findet. Hier, nirgends sonst!«295 Die Begriffe der Gerechtigkeit und der Liebe Gottes gewinnen durch den Tod Christi eine neue Bedeutung. Gerechtigkeit und Liebe bilden vom Kreuzestod Jesu her nicht nur keinen Gegensatz mehr, sondern kommen von hier aus »zur völligen, zur absoluten Versöhnung«296 . In Christi Tod erschließen sich Gerechtigkeit und Liebe Gottes gegenseitig, in ihm sehen wir Gottes Wesen, »wenn der gedachte Gott beiseite gelassen und der wirkliche Gott in Jesus Christus ergriffen wird«297. Diese Einheit von Gerechtigkeit und Liebe Gottes bringt es jedoch mit sich, daß in Gottes Liebe ein hartes Nein, »ein unendlicher 289 290 291 292 293 294 295 296 297
Ebd. Ebd. AaO 380f. So aaO 381. Ebd. AaO 382. AaO 381f. Ebd. AaO 372.
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Schmerz«298 liegt. Es ist das Nein zum Menschen »von Fleisch und Blut«299, dem Menschen der Sünde. Gottes Liebe »muß etwas radikal verwerfen, zunichte machen, aufheben, damit das andere sein, erwählt werden und in dieser Liebe bestehen kann«300 . Die Härte des Todes Christi zeigt, daß die Liebe Gottes nicht auf Kosten seiner Gerechtigkeit gewonnen wird, »daß man ihr nicht unter Umgehung der Gerechtigkeit begegnen kann, sondern daß sie echt ist, daß die Liebe eine Grenze in mich und in die Menschheit legt zwischen dem, was göttlich und dem, was widergöttlich ist«301. Wieder klingt der Gedanke der Einheit von Sein und Schaffen Gottes an, wenn Iwand darauf hinweist, daß Gottes Liebe, indem sie über die widergöttliche Wirklichkeit des Menschen grundsätzlich und endgültig hinausgreift, es wagt, »das Nicht-Seiende als seiend anzusprechen. Sie erkennt die Wirklichkeit nicht an, in der wir uns bewegen, sie hebt sie auf«302 . Damit steht im Opfer Christi »Wirklichkeit […] gegen Wirklichkeit«303. Im Tod Christi »ist vorweggenommen, daß ich ihm gehöre«304. Der in diesem Tod geschlossene Bund zerbricht nicht; die Liebe Gottes im Tode des Sohnes »ist die Prädestination«305. So bringt Iwand also die Begriffe der Liebe Gottes und der Prädestination zusammen bzw. versteht den Erwählungsgedanken ganz aus der am Kreuz Christi realisierten, die Sündenwirklichkeit des Menschen aufhebenden und überwindenden Liebe Gottes heraus: »Prädestiniert sein und geliebt sein bei Gott ist ein und dasselbe. Die Prädestination drückt die Härte, die Stärke dieser Liebe aus, die faktische, tatsächliche Weltüberlegenheit (…).«306 Diesen Gedanken der Weltüberlegenheit der Liebe Gottes, die im Tod Christi die von der Sünde bestimmte Wirklichkeit der Welt verändert und aufgehoben hat, führt Iwand unter Bezugnahme auf 2 Kor 5,14ff weiter aus, indem er den Aspekt der Universalität des Kreuzestodes Christi unterstreicht. Denn die in Jesus Christus Gestalt gewordene Liebe Gottes geht die ganze Menschheit und jede menschliche Existenz an: mit diesem einen Tod ist »allen Menschen das Lebensrecht genommen«307. In Christi Tod ist über alle Menschen das Todesurteil gesprochen, er ist »die entscheidende Krisis des Menschengeschlechts«308 . Jesus ist in seinem Tod unser aller Repräsentant, »er erleidet den
298 299 300 301 302 303 304 305 306 307 308
Ebd. AaO 373. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 374. Ebd. AaO 375. Ebd.
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Tod stellvertretend für uns alle, und was ihn trifft, trifft alle«309. Dieser stellvertretende Tod zeigt, »daß sie alle offenbar den Tod verdient hatten, daß sie alle todgeweiht, verloren waren«310 . Dabei handelt es sich nicht um den irdischen Tod, sondern um den Tod, »der uns von Gott her trifft«311. Dieser für alle erlittene Tod ist unserer Existenz vorgeordnet; das ist »der tiefere und göttliche Sinn der Humanität«312 . Das Todesurteil gilt dem Menschen, »der das Zentrum seines Lebens im Ich hat und zu haben meint«, dem »Menschen des freien Willens (liberum arbitrium)«313. Der Tod Christi gibt dem Menschen einen neuen, außerhalb seiner selbst gelegenen Mittelpunkt. Darin wird schon hier das Moment deutlich, »welches das Entscheidende beim Tode Jesu Christi überhaupt sein dürfte: die Tatsache der Stellvertretung«314. Hier wird die Wahrheit über den Menschen deutlich, jenes Todesurteil »ist zugleich die Freilegung unseres Lebens für ihn, von ihm her«315. Iwand kann soweit gehen, zu sagen, daß in Christi Tod das »wirkliche und wahre Wesen des Menschen«316 erschienen sei: »der Mensch ist erschienen«317. Der Tod Jesu ist aber zugleich Gottes Gericht »für uns«, und dieses »Füruns« ist am Kreuz Jesu Christi festgemacht. Es zeugt gegen den Menschen, der für sich selber genugtun und für sich etwas vor Gott sein will. Das »Für« ist in Gott und nicht im Menschen verankert; es kommt nicht entscheidend darauf an, daß wir begreifen, daß wir diese Tat Gottes brauchen, um vor Gott bestehen zu können, »sondern daß wir vor Gott nicht bestehen können, solange wir diese seine Tat nicht brauchen und sofern wir nicht aus ihr leben«318 . Das ist nach Iwand das Geheimnis des Kreuzes Jesu, »die innere Tiefe dieses Heiligtums«319. Hier wird zwischen Glauben und Unglauben, zwischen unserem Ja und unserem Nein unterschieden. Hier begegnen wir unserer Geschichte in der Geschichte Jesu »als de[m] Inhalt, [der] Fülle, [dem] Sinn seiner Geschichte«320 . Der Tod Jesu muß als der genuine Gerichtsakt Gottes verkündigt werden, wobei aber eben alles an diesem Gang Jesu ans Kreuz liegt: die Sünde der Welt wird erst hier eigentlich sichtbar. Der Akt des Gehorsams Jesu schafft rettende Geschichte. Im Tod Jesu ereignet sich das Gericht, das Gott über alle Welt vollzieht – die beteiligten Menschen sind nur unwissende Werkzeuge: »Was sich 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318 319 320
Ebd. Ebd. AaO 376. Ebd. Ebd. AaO 377. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 387. Ebd. Ebd.
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hier mitten in unserer Geschichte abspielt, ist – recht gesehen – das Ende dieser Welt- und Menschengeschichte. Wir werden Zeugen, dürfen Zeugen dieses letzten Ernstes Gottes sein. Hier erst können wir lernen, die Sünde wirklich ernst zu nehmen.«321 Der Tod Jesu wird als Gericht Gottes proklamiert, »und die Proklamation des Todes Jesu in diesem Sinne ist das Evangelium«322 . Der christliche Glaube muß über »diese entscheidende Tat Gottes in Jesus Christus«323 begründet werden, jeder andere Versuch »muß zu einer Veränderung des Inhaltes unseres christlichen Glaubensbegriffs führen«324. Durch die Verknüpfung des Gerichtsgedankens mit dem Tod Jesu ist zugleich der Weg zur Einsicht in das Wesen der Sünde angesichts des Kreuzes Christi freigelegt. Die Sünde ist »eine Größe für sich«325 (peccatum originale), die nicht einfach in ›meiner‹ Sünde oder in einzelnen Taten aufgeht (peccatum actuale). Mit dem Tod Jesu wird die Sünde herausgestellt, »zur Schau gestellt«326 . Nur hier, wo Gott sie zerbricht und richtet, ist sie »ganz und endgültig und vollständig enthüllt und greifbar gemacht«327. Der Mensch ist der Sünde nicht gewachsen, obwohl er immer aufs neue glaubt, mit ihr fertigwerden zu können: das ist »der Sinn aller rein menschlichen, philosophischen, gesellschaftlichen, aristokratischen oder auch sozialistischen Ethik«328 . Aber alle diese Versuche müssen die Sünde uminterpretieren, abschwächen, verharmlosen. Dagegen ist aber dieses »die Freudenbotschaft, die sich mit dem Tode Jesu verbindet: daß wir hier die Wirklichkeit der Sünde als aufgehobene, als vergebene, als hinweggenommene sehen. Wie wir in der Auferstehung Jesu den Tod aufgehoben sehen, überwunden und besiegt, so in seinem Tode die Sünde: die Sünde und damit auch unsere Sünde.«329 In einer Randnotiz zu seinem Vorlesungsmanuskript bezeichnet Iwand den Stellvertretungsgedanken als den ›zentralen Zugang‹ zum Tod Christi330 . Denn Jesus erleidet seinen Tod nicht, wie sonst Menschen ihren Tod erleiden, sondern er ist »in diesem Sterben an unsere Stelle getreten«331. Gerade das unterstreicht noch einmal, »daß in der Verkündigung des Evangeliums der Tod Jesu seine Tat, sein Entschluß war«332 , daß »sein ganzes Leben bereits als der Gang in den
321 322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332
AaO 391. AaO 392. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 393. Ebd. Ebd. AaO 394. Siehe aaO 399 Anm. 117. AaO 399. Ebd.
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Tod und die Übernahme des Todes erscheint«333. Die Übernahme des Todes ist »identisch mit der Menschwerdung Jesu Christi« – so Iwand wieder in einer Randnotiz zum Vorlesungsmanuskript334. Sein Tod ist also nicht Naturnotwendigkeit, sondern sein eigener Gehorsam; er »ist von Gott gewollt und darum auch von seinem Sohn auf sich genommen«335. Und gewählt hat Jesus diesen seinen Tod »um unsretwillen«336 . Wenn in der Bibel von der Sündlosigkeit Jesu die Rede ist, darf das nach Iwand nicht als moralische Qualifizierung des Menschen Jesu mißverstanden werden, sondern bedeutet, daß dieser Tod nicht durch die Sünde erklärt werden kann337. Vom Menschen aus hängt der Tod Jesu allerdings wesentlich mit der Sünde zusammen: »Es kennzeichnet die Stellungnahme zum Tode Jesu, daß die, welche an ihn glauben, von vornherein bekennen, daß er für uns, und das heißt für unsere Sünde, gestorben ist. Unsere Sünde und sein Tod hängen zusammen.«338 Dieser im Stellvertretungsgedanken theologisch begriffene und dargestellte Zusammenhang von Christi Tod und unserer Sünde bildet nun das Fundament der Anthropologie. Erst durch Christi Stellvertretung in seinem Kreuzestod wird nach Iwand überhaupt sichtbar, wer der Mensch eigentlich ist: »In Jesus Christus hat Gott aufgedeckt, wer wir sind, wer der Mensch ist«339. Deshalb kann die Christologie nicht von der Anthropologie aus entworfen werden. Es ist vielmehr umgekehrt: In Christus bekommt der Mensch überhaupt erst seine Geschichte. Das schließt ein, daß die anthropologische Frage, wer denn der Mensch sei, nicht in der ethischen Frage, wie er sich handelnd zu verwirklichen trachte, aufgehen kann. Das hat erhebliche Konsequenzen für das Projekt einer autonomen Ethik. Der moderne Mensch nämlich begreift seine Verantwortung nur in dem, worauf sich überhaupt seine Freiheit erstreckt. Vom Kreuz her wird aber die Schuld des Menschen als nicht begleichbar aufgedeckt, trotzdem bleibt bzw. wird sie so erst meine Schuld340 . So begreift der Mensch, daß er vor Gott in der Verantwortung für seine Schuld steht, obwohl deren Überwindung dem Vermögen seiner natürlichen Freiheit schlechthin entzogen ist. Diese – den Grundüberzeugungen moderner auto333
Ebd. Siehe aaO 399 Anm. 118. 335 AaO 400. 336 Ebd. 337 So aaO 401. 338 Ebd. 339 AaO 402f. 340 So aaO 403. Sie wird deshalb meine Schuld, weil ich mich ihrer eben nicht zu entledigen vermag, sie bleibt also nicht handhabbares ›Prädikat‹ meiner selbst, sondern bestimmt meine Identität, macht das aus, was mein Selbst-Sein ist, macht mich zu dem, der ich bin. Weil Schuld und Unschuld nicht in der Verfügung meiner Freiheit stehen, sind opera von Grund auf sinnlos! 334
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nomer Ethik diametral entgegengesetzte341 – Erkenntnis wird im Gewissen zur Erfahrung des Menschen, wo nach Iwand zunächst »keiner ist, auf den wir schauen können«342: »Hier schauen wir nur auf uns selbst. Hier wird die Autonomie des Menschen zum Gefängnis seiner Verzweiflung. Darum ist es Gottes Gnade, daß er die Erkenntnis unserer Schuld dort aufbrechen läßt, wo sie nicht nur erkannt, sondern zugleich weggenommen und aufgehoben ist. Wenn wir unsere Schuld hier ansehen – und das eben ist die Kunst und die Tat des wirklichen Glaubens –, dann sehen wir sie ganz und voll, aber wir sehen sie zugleich uns abgenommen und aufgehoben.«343 Mit seiner Geburt tritt der Mensch in eine Geschichte ein, die in Jesus Christus ihre Lösung erfahren hat. Das Menschsein ist für den Menschen einerseits untragbare Bürde – andererseits ist es der Ort, an dem ihm das Wunder der göttlichen Gnade widerfährt, »daß wir mit ihm sind, was wir in uns nicht sind, und mit ihm können, was wir aus uns heraus nie vermögen«344: »Hier liegt die Verwandlung, die jedem Menschen widerfährt, wenn er sich aus den Träumen seiner Ethik vor das Kreuz Jesu Christi gestellt sieht. Hier wird deutlich, daß der Mensch über sich hinausgreifen muß, wenn er die entscheidende Frage seines Lebens, die ethische Frage, lösen will. Aber nicht so über sich hinaus, daß wir auf den Übermenschen warten, sondern so, daß wir von uns wegweisen lassen – mit dem berühmten Finger des Johannes – auf den, der der Welt Sünde trägt.«345 Die Frage, was der Mensch sei, greift also über den Bereich der Ethik hinaus. Hier findet der Mensch immer nur vorläufige Antworten. Die ›ethische Frage‹, wie sie sich für Iwand als Frage nach dem Menschsein des Menschen stellt, hat Gott im Tode Jesu auf eine »unserer Vernunft unbegreiflichen Weise«346 beantwortet. Denn hier »ist der Mensch als Mensch in Bewegung geraten; hier hat er aufgehört, sich selbst gleich zu sein. Hier hat er in Jesus Christus seine Geschichte, sein Werden bekommen: das Werden des Menschen!«347 Und darum greift der ethische Einwand der moralischen Unvertretbarkeit des Menschen gegen den theologischen Stellvertretungsgedanken nicht: Die Stellvertretung Christi rückt die Ethik an die richtige, die logisch zweite Stelle: die ethische Frage bricht im Weltverhältnis des Menschen aus, dort, wo die Frage nach seiner Menschlichkeit aber schon beantwortet ist, nämlich in der stellvertretenden Übernahme des Todes als der Sündenstrafe durch Jesus Christus selber. 341 Man denke nur an Kants klassische Zurückweisung des Stellvertretungsgedankens, weil dieser mit der Autonomie des wesentlich ethisch bestimmten Menschen unvereinbar sei! 342 Ebd. 343 AaO 403f. 344 AaO 404. 345 Ebd. 346 AaO 405. 347 AaO 405.
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cc) Das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung Bisher hatte Iwand sich auf die Darstellung des theologischen Gehaltes der Botschaft vom Tode Jesu und seiner für das Heil des Menschen entscheidenden Momente konzentriert. Nur gelegentlich und dann eher beiläufig war explizit vom Kreuzestod Jesu bzw. vom ›Wort vom Kreuz‹ als der diesen Tod in seiner Heilsbedeutung vergegenwärtigenden Botschaft die Rede gewesen. Indem Iwands gesamte Anlage seiner drei besprochenen Christologievorlesungen wesentlich um die Erörterung des Todes Jesu und seiner theologischen Bedeutung kreist, und dieser Tod eben als Tod am Kreuz qualifiziert ist, gipfelt Iwands dritte und letzte Christologievorlesung in einer direkten Reflexion auf das Kreuz Jesu Christi und sein Verhältnis zur Auferstehung. Iwand hält die Bedeutung des Wortes vom Kreuz in der neueren Theologie für vernachlässigt. Einzig Bultmann sei »der Sache näher als andere« 348 gekommen, weil er noch das Paradox festgehalten habe, daß Gott sich am Kreuz im Widerspruch zu seinem eigenen Begriff offenbare349. Aber Bultmanns Zugang zum Kreuz bleibt für Iwand doch defizitär, weil die entscheidende epistemologische Funktion des Kreuzes, wie sie Luthers in der Heidelberger Disputation zur Geltung gebrachter Begriff der »theologia crucis« beinhalte, eben gerade nicht in Anschlag gebracht wird: »[Die] die Tiefe der Theologie des Kreuzes (theologia crucis) wie die Reformation, insbesondere Luther sie in seiner großen Zeit erreichte, gewinnt er [sc. Bultmann] nicht. Wie sollte er auch? Man darf nicht vergessen: Die hohe Zeit der Reformation Luthers, also die Jahre der Entscheidung, erfolgte auf dem Hintergrund der neu entdeckten, eigentlich erst seit der ›Heidelberger Disputation‹ (1518) so entdeckten Theologie des Kreuzes (theologia crucis). Ist es nicht seltsam, sich diese Theologie gerade hinter dem Luther von Worms zu denken: ›Der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge beim richtigen Namen‹! Es ist offensichtlich der neue Realismus, die Überwindung der Illusionen der Theologie der Herrlichkeit (theologia gloriae), was ihn stark machte.«350 Bultmann dagegen wollte das Kreuz von der Geschichte her verstehen, statt Kreuz und Geschichte in eins fallen zu lassen351. Damit wird aber der Sache nach das Kreuz unter einen ihm übergeordneten Begriff – den der Geschichte – subsumiert und damit gerade um sein Spezifikum gebracht. Das aber ist von Luthers Heidelberger Thesen aus betrachtet ein grundlegendes Mißverständnis, das bezeichnenderweise in Bultmanns programmatischer Formel von ›Glauben und Verstehen‹ seinen Niederschlag findet und dem Iwand deutlich widerspricht: »Es geht hier wirklich um das ›allein aus Glauben‹ (sola fide), nicht 348 349 350 351
AaO 406. So ebd. AaO 406f. So aaO 407.
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um Glauben und Verstehen, sondern um Glauben und Nicht-Verstehen. Das Kreuz ist das ganz und gar Inkommensurable in der Offenbarung Gottes. Uns ist es viel zu sehr gewohnt, wir stoßen uns kaum noch daran. […] Wir haben eine Heilstheorie daraus gemacht. Aber das ist nicht das Kreuz. Das ist nicht die in ihm wohnende, die in es von Gott hineingelegte Härte.«352 Auch Hegel (wobei Hegel für Iwand hier nur der beiläufige Anlaß für seinen eigenen Gedankengang ist!), hat mit seinem Diktum »Gott ist tot«353 wohl richtig gesehen, daß es am Kreuz um »die Nacht der wirklichen, der letzten und undeutbaren Gottesferne«354 geht. Denn hier »zerbricht der Schöpfungsglaube«355 , hier »wird diese ganze Philosophie und Weisheit der Narrheit überführt«356 : »Hier ist Gott Nicht-Gott. Hier triumphieren der Tod, der Feind, die Nicht-Kirche, der Unrechtsstaat, die Lästerer, die Soldaten – hier triumphiert der Satan über Gott.«357 Aber genau hier, wo die Atheisten meinen, daß er zuende sein müsse, wird für Iwand der Glaube geboren: »Unser Glaube muß dort geboren werden, wo alle Gegebenheiten ihn verlassen«358 . Der Glaube erfährt das Nichts radikal. Das trennt seine Erfahrung des Nichts von der des Nihilismus, weil der Nihilismus den Abbau bis auf den Grund »immer noch als Kraft der Neugeburt, als revolutionäre Sprungfeder, […] damit man neu anfangen könne«359, auffaßt. Das Kreuz dagegen ist kein Sprungbrett für einen Neuanfang aus menschlicher Kraft. Vielmehr deckt es zuerst die Situation des Menschen vor Gott schonungslos auf, es »ist das Offenkundig-Machen unserer objektiven Gottlosigkeit, unserer grenzenlosen Verlassenheit«360 . Diese Erkenntnis muß zunächst akzeptiert und ausgehalten werden. Für Iwand ist es eben dieses Kreuz des Christus, das uns »sagt […], daß wir erst in diese Tiefe der Nacht hineingehen müssen, daß ohne diesen Preis, ohne diese Wüste, ohne diese Entbehrung allen Trostes und aller Gewißheit, eben kein Mensch wirklich Gott findet«361. – Unüberhörbar klingt durch diese Formulierungen Iwands die Radikalität der frühen Kreuzestheologie Luthers, besonders die der Paradoxe seiner Heidelberger Disputationsthesen durch! Beide von Iwand angesprochenen Momente, die sich mit dem Kreuz Christi verbinden – die Destruktion der menschlichen Illusion von der Vergöttlichung 352 353
Ebd. Sie bei Iwand aaO 407; ebd. Anm. 141 Verweise auf die einschlägigen Fundstellen bei
Hegel. 354 355 356 357 358 359 360 361
AaO 407. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 408. Ebd. Ebd.
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der Welt bzw. von der Verweltlichung Gottes sowie die Rechtfertigung derer, die sich in der Erfahrung radikaler Entweltlichung diese Destruktion als Handeln Gottes an ihnen gefallen lassen –, dürfen jedoch nie nur als theologischtheoretische Denkoperation unterbestimmt und damit fundamental mißverstanden werden. Die vom Kreuz ausgehende Erkenntnis gewinnt ihre Tiefe und Kraft daraus, daß sie Erkenntnis im Angesicht Gottes ist, denn das »Kreuz ist mehr als ein Ereignis im Leben Jesu, das von Paulus theologisch interpretiert worden wäre. Die Theologie des Kreuzes hat es nicht mit Paulus, sondern mit Gott zu tun, und Paulus war der erste, der sich der damit gestellten Aufgabe unterzogen hat. Er ist darin unser Vorbild geworden.«362 Wer im Vernehmen des Wortes vom Kreuz der Sache nach vor dem Kreuz selber steht, ist mit Gott selbst konfrontiert. Und genau diese Konfrontation mit Gott in ihrer Unverrechenbarkeit wird überspielt, wo das Kreuz unter theologische Oberbegriffe (wie den der Geschichte bei Bultmann!) subsumiert wird. So kommt Iwand zu dem Urteil: »Wir haben uns die Härte des Kreuzes, der Offenbarung Gottes im Kreuz Jesu Christi, dadurch erträglich gemacht, daß wir es in seiner Notwendigkeit für den Heilsprozeß verstehen lernten.«363 Das war schon das Hauptproblem von Anselms Satisfaktionslehre gewesen. Dort wurde das Problem, das sich mit der Botschaft vom Tod des Sohnes Gottes stellte, von der vorausgesetzten Ordnung Gottes her durchgehend denkend aufgelöst; dadurch aber »verliert das Kreuz den Charakter der Kontingenz, des Unbegreiflichen«364. Erst die Reformation »tritt ganz ein in die Härte der Theologie des Kreuzes (theologia crucis), in das Dunkel der Nacht, in die Weglosigkeit dieses Glaubens«365. Das Kreuz bzw. die Kreuzestheologie ist für Iwand offenbar noch einmal von der theologischen Deutung des Todes Jesu als solchem zu unterscheiden: Denn wenn die Bibel vom Grund und der Ausrichtung des rechtfertigenden Glaubens spricht, redet sie »lieber vom Tode Jesu Christi und vom Lösegeld«366 . Im Unterschied dazu begreift die Theologie des Kreuzes im engeren Sinne das Kreuz als »Schule des Glaubens«, das lehrt, Gottes Handeln gerade im Gegensatz zu dem zu begreifen, was nach menschlichen Maßstäben vor Augen liegt: »In der Kreuzestheologie (theologia crucis) aber ist das Kreuz die Schule des Glaubens. Was der Glaube sieht, ist das Gegenteil dessen, was das Auge sieht. […] In der Theologie des Kreuzes (theologia crucis) heißt Glauben: in diesem Gekreuzigten den Herrn sehen, in dem Verworfenen den Erwählten, in dem zu den Toten Gerechneten den ewig Lebenden; in der Schmach die Ehre, in der Ausgestoßenheit das Heil finden, überhaupt in diesen
362 363 364 365 366
Ebd. Ebd. Ebd. AaO 409. Ebd.
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Gegensätzen die Wirklichkeit Gottes erfassen. Hier geschieht etwas durch den Glauben! Er konstatiert nicht nur, was ist, er entdeckt, was nicht ist.«367 Der Kreuzestod und die Auferstehung Jesu gehören zusammen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Im Hinblick auf das Verständnis des Todes Jesu droht für Iwand an dieser Stelle eine ›doketische‹ Zurücksetzung des Kreuzestodes gegenüber der Auferstehung. Der Kreuzestod wird dann nur noch als bloßes Durchgangsstadium auf dem Weg zu Jesu Sitzen zur Rechten Gottes, »seiner wahrhaften Erscheinung«368 , verstanden. Auf der anderen Seite ist das Verständnis der Auferstehung durch das historistische Mißverständnis bedroht, in ihr nicht mehr und nichts anderes als bestimmte »Vorstellungen und Visionen der Jünger«369 zu sehen. Die Theologie des 18. und 19. Jahrhunderts ist beide Irrwege gegangen: sie »hat die Gottheit Jesu gestrichen, um seinen Tod zu begreifen […]. Und sie hat die Menschheit Jesu fallenlassen, um seine Auferstehung zu erfassen und ihn als geistige Realität in der Existenz der Gemeinde bzw. in seinem Fortwirken in der Welt weiterbestehen zu lassen«370 . Damit hat die Theologie dieser beiden, durch Aufklärung und Idealismus geprägten, Jahrhunderte »den Tod Jesu ethisiert und seine Auferstehung spiritualisiert. Der Tod Jesu erscheint als Erfüllung seiner Berufstreue und die Auferstehung als Übergang seiner sinnlichen Erscheinung in die geistige Existenz.«371 Iwand wendet sich entschieden gegen ein solches Mißverständnis, eine solche Fehldeutung von Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christ. Der Erlösungstod Jesu Christi darf nicht isoliert und dann im Sinne eines »sittlich-religiösen Wert[es]« mit dem Zweck der Beschwichtigung des Schuldbewußtseins verstanden werden 372 . Der Tod Jesu, dieses ›Wort der Versöhnung‹, muß aber nicht allein aus seiner moralischen Umklammerung befreit werden, sondern mehr noch müssen wir »einsehen, daß der Tod Jesu nur von seiner Auferstehung her Sinn hat. Jesus lebt. Er sitzt zur Rechten Gottes – eben der für uns Gekreuzigte und an unserer Stelle in den Tod Gegangene.«373 Mit diesem Verständnis ist jeder Ethisierung des Todes Jesu eine Absage erteilt. Für Iwand bedeutet die Identität des erhöhten Auferstandenen mit dem Gekreuzigten, daß er, »der Auferstandene und Lebendige, […] selbst das Werk seines Erdenlebens [verwaltet], er hat es nicht aus der Hand gegeben. Sein irdisches Werk, insbesondere seine Lebenshingabe, ist nicht in die Hände der Menschen gelegt, damit diese daraus machen, was ihnen genehm ist, wieder eine ›Religion‹. Jesus gibt 367 368 369 370 371 372 373
Ebd. Ebd. AaO 411. AaO 412. Ebd. Ebd. AaO 413.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
sein Lebenswerk nicht ab. Er ist der, welcher es verwaltet, er bringt es dar vor Gott, er tritt für uns ein und nur darum, nur insofern ist er der Herr.«374 Das Entscheidende ist im Zusammenhang mit der Auferstehung aber auch damit noch nicht gesagt. Die »Hauptsache«375 liegt für Iwand nämlich »in der Feststellung, die die ersten Zeugen treffen: Er ist auferstanden! […] Damit ist unsere ganze Welt als Todeswelt bezeichnet.«376 Erst auf dieser Ebene sind – so kann man Iwand hier sicherlich verstehen – die theologischen Binnenfrontstellungen verlassen und ist die Ebene der in der Theologie eigentlich zu verhandelnden Sache erreicht. Jesu Tod war ein offensichtlicher Sieg der »menschlichen Möglichkeiten gegenüber Gott«377, der Mensch läßt sich das Erscheinen Gottes in seiner Mitte nicht gefallen. Gott hat stattdessen »in seinem Reich zu bleiben und uns die Welt zu überlassen! Das ist der Sinn des Todes Jesu als menschlicher Spruch und menschliche Tat.«378 Auf eine diametral entgegengesetzte Weise sind beide, Tod und Auferstehung Jesu, Gericht: in der Kreuzigung Jesu haben Menschen ihr Urteil gesprochen; in der Auferstehung ergeht der »Spruch Gottes gegen die menschlichen Richter«379 : »Gott ist Sieger. Der Versuch der Menschen, über Gott zu Gericht zu sitzen, ist von Gott selbst beantwortet. Er ist beantwortet mit der Auferweckung Jesu.«380 Das Subjekt der »Botschaft vom Kreuz«381 ist kraft seiner Auferstehung der »lebendige Herr«382 . Diese Botschaft ist seine Spur in der Welt, sie »geht jetzt wie ein Strom des Lebens selbst durch diese Todeswelt«383. Die Kraft seiner Auferstehung »lebt indirekt in den Berichten der Evangelisten von dem irdischen Jesus«384. Der durch die apostolische Predigt begründete Auferstehungsglaube faßt Kreuz und Auferstehung nun keineswegs nur als »versöhnliche[n] Abschluß dieses tatkräftig wirkenden Lebens«385. Sondern, was oben schon für den Tod Jesu galt, daß er in der Menschwerdung Gottes bereits als Telos des Menschenlebens Jesu angelegt war, das gilt auch für seine Auferweckung: »[…] alles, was voranging, lief auf die Erfüllung dieses Letzten zu« 386 . Erst in Kreuz und Auferstehung wird Jesus »ganz der, der er ist, als der Sterbende und als der 374 375 376 377 378 379 380 381 382 383 384 385 386
Ebd. Ebd. Ebd. AaO 415. AaO 416. Ebd. Ebd. AaO 421. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 419. Ebd.
1. Kreuzestheologie als Theorie des »theologischen Realismus«
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Auferweckte. Hier wird er der, der er sein wird, als welcher er der Welt verkündigt wird.«387 Die Identität des Auferweckten mit dem Gekreuzigten ist dabei der entscheidende Gedanke. Gegen Hegels Vorstellung eines Geist-Christus388 besteht Iwand darauf, daß der Erhöhte den irdischen Jesus nicht hinter sich gelassen habe389. Der Auferstandene und Erhöhte ist kein anderer als der Fleischgewordene: »Der Erhöhte reicht immer noch bis in diese Tiefe, und diese Tiefe hat an jedem Punkt ihres Weges die Identität mit dem, der den Tod hinter sich gelassen hat«390 . In dieser Identität des Auferweckten mit dem Gekreuzigten kommt zur Geltung, daß »der Weg Jesu bis zum Kreuz bejaht und neu erleuchtet ist«391.
1.3. Theologia crucis als Zugang zur wahren Wirklichkeit. Abschließende Bemerkungen zur Kreuzestheologie Iwands Hans-Joachim Iwand ist der erste Theologe gewesen, der das von W. v. Loewenich an Luther gewonnene und erprobte Verständnis von theologia crucis in die dogmatische Arbeit implementiert und als programmatische Mitte seines eigenen Denkens in zahlreichen seiner theologischen Arbeiten auch breit durchgeführt hat. Wie der frühe v. Loewenich hat auch Iwand seine entscheidende Prägung der dialektischen Theologie zu verdanken. Dankbar konnte er sich so von den kreuzestheologischen Paradoxen Luthers inspirieren lassen, die ihm in die gleiche Richtung wie die Grundanliegen der dialektischen Theologie zielten, nämlich Gott und Mensch aus ihrer diametralen, durch die Sünde des Menschen bedingten, Entgegensetzung in diejenige Beziehung zu bringen, die durch das versöhnende Handeln Gottes überhaupt erst hergestellt wird. Diese Versöhnung aber geschieht durch das tödliche Gericht über den von der Sünde pervertierten Menschen, das Jesus Christus in seinem Kreuzestod stellvertretend für den Menschen auf sich genommen hat. Gegenüber v. Loewenichs stärker epistemologischem Interesse an der Kreuzestheologie Luthers verschiebt Iwand den Akzent deutlich auf deren praktische Dimension: denn von der Versöhnung des Menschen im Kreuzestod Christi aus wird die ganze Wirklichkeit gleichsam im Rückblick als durch Sünde und Tod entstellt sichtbar: es geht Iwand durchweg darum, die Kreuzestheologie als die rechte Perspektive auf die Wirklichkeit, wie sie in Wahrheit, und d.h. im Urteil Gottes, zu begreifen ist, zur Geltung zu bringen. Alle soteriologischen Überlegungen – und Iwand vermag, wie wir gesehen haben, die ganze Soterio387 388 389 390 391
Ebd. So aaO 420. Ebd. Ebd. AaO 421.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
logie konsequent vom Kreuz her zu entfalten – zielen letztlich auf dieses rechte Wirklichkeitsverständnis, das die Frucht der realen Veränderung dieser Wirklichkeit durch den Kreuzestod Christi ist, der dieser gleichsam den ›Stachel‹ der Sünde und des Todes ›gezogen‹ hat. Iwands Kreuzestheologie behält auch für den heutigen Leser ihre Faszination. Diese wird keineswegs dadurch geschmälert, daß Iwand sie nicht – wie später etwa Gerhard Ebeling – in einer vollständigen und gewissermaßen ruhig dahinströmenden Dogmatik ausgearbeitet, sondern in Aufsätzen, Gelegenheitsschriften und Vorlesungen in immer wieder neuen Anläufen und Ansätzen mehr skizziert als durchgehend ausgeführt hat. Die bei Iwand fast immer spürbare doppelte Leidenschaft, einerseits die Kreuzestheologie Luthers in ihrer religiös-existentiellen Lebendigkeit neu zu vergegenwärtigen und andererseits auch die moderne, v.a. durch den Horizont der Theologie und Philosophie des 19. Jahrhunderts geprägte Geisteslage als eine solche darzustellen, in der es nicht um rein theoretische Begriffs- und Denkspiele, sondern um den Nerv des christlichen Glaubens überhaupt und damit letztlich um eine Sache von Wahrheit oder Lüge, Tod oder Leben geht, gibt Iwands Denken seine eigentümliche Färbung. Mit dieser doppelten Leidenschaft versteht er es zweifellos, den religiösen und theologischen Nerv der theologia crucis nicht allein zu berühren, sondern von ihm aus auch sein ganzes theologisches Denken zu verlebendigen. Bei dieser positiven Einschätzung dürfen allerdings erhebliche Bedenken nicht unterschlagen werden. Denn indem Iwand die »praktische« Ausrichtung der Kreuzestheologie, die bei Luther wesentlich auf den Gewissenstrost des angefochtenen Glaubenden zielt, durch den Begriff der Wirklichkeit zur Geltung bringen will, diesen Begriff aber letztlich in einer schillernd-vieldeutigen Schwebe beläßt, behält seine Spielart der Kreuzestheologie eine gewissermaßen ›offene Flanke‹. Denn sein Wirklichkeitsbegriff oszilliert gewissermaßen zwischen zwei Bedeutungen: zum einen ist die Wirklichkeit für Iwand der Schauplatz des tatsächlich gelebten Lebens und damit entscheidend der Ort des vom Menschen zu tragenden Leidens. Wirklichkeit ist das Konkrete, das dem Menschen begegnet. Zum andern kann Iwand neben diesem eher phänomenologisch erschlossenen Wirklichkeitsbegriff einen streng theologisch gefaßten ins Feld führen, der unter ›Wirklichkeit‹ wesentlich das von der Sünde und ihrer Vergebung durch Gott bestimmte Leben des Menschen auffaßt. Da Iwand die systematische Strenge und die gedankliche Disziplin eines G. Ebeling nicht erreichte, zwischen diesen beiden Bedeutungen seines Wirklichkeitsbegriffes sauber zu unterscheiden, um sie dann kontrolliert und ohne Schaden für die kreuzestheologisch gebotene strenge und konsequente theologische Erschließung auch der erlebten und erfahrenen Wirklichkeit aufeinander zu beziehen, ist sein Wirklichkeitsbegriff letztlich äquivok. Diese Monitum ist auch dann unvermeidbar, wenn mindestens im Hinblick auf Iwands im engeren Sinne theologische Arbeiten, die allein wir in diesem Kapitel untersucht haben, festzustellen ist, daß
2. Exkurs: »theologia crucis« und »theologia gloriae«
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es stets die Intention seiner theologischen Argumentation bleibt, Wirklichkeit theologisch zu verstehen. Diese Intention kommt ja gerade in seinem Insistieren auf der zentralen Funktion der kreuzestheologischen Perspektive auf die Wirklichkeit zum Ausdruck. Die äquivoke, schillernde Verwendung seines Wirklichkeitsbegriffs mag ein Grund dafür sein, daß beispielsweise der Iwand-Schüler J. Moltmann sich ganz in der Nachfolge seines Lehrers wissen konnte, wenn er dazu überging, in seinem eigenen kreuzestheologischen Versuchen, nicht mehr die Wirklichkeit vom Kreuz, sondern das Kreuz Christi von der Wirklichkeitserfahrung her zu erschließen.
2. Exkurs: »theologia crucis« und »theologia gloriae« als Begriffe in der »Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth1 Ungeachtet der Tatsache, daß der »reife« wie schon der »frühe« Barth immer wieder Bezüge zur Kreuzestheologie herstellt und um die Bestimmung dessen, was mit »theologia crucis« und »theologia gloriae« gemeint sei, gelegentlich geradezu zu ringen scheint, kann die »Kirchliche Dogmatik« ebensowenig wie schon die zweite Auflage des »Römerbriefs« als kreuzestheologischer Entwurf in dem Sinne bezeichnet werden, daß hier das Wort vom Kreuz exklusiv zur orientierenden Mitte der ganzen Dogmatik gemacht werden soll. Mehrfach geht Barth im großen Hauptwerk seiner zweiten Lebenshälfte jedoch auf die Begriffe »theologia crucis« und »theologia gloriae« ein – und dies nicht etwa nur in beiläufiger Anlehnung an die auch von ihm im Kleingedruckten beifällig erwähnten Forschungsergebnisse W. v. Loewenichs2 , sondern so, daß er ganz offenbar der Gefahr einer Isolierung der theologia crucis von der Auferstehung ebenso entgegensteuern will, wie er andererseits den Begriff der theologia 1 Die Literatur zur Theologie Karl Barths ist Legion. Im folgenden werden – soweit nicht bereits im ersten Exkurs zur Kreuzestheologie beim ›frühen‹ Barth bzw. im Text an geeigneter Stelle genannt – nur einige Titel genannt, die für ein Gesamtverständnis der Theologie Barths und der Funktion von Christologie und Versöhnungslehre in ihr besonders instruktiv sind: H. U. v. Balthasar, Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie, (1951) 1976 4, M. Beintker, Art. Barth, Karl, RGG4 I, 1138–1141; M. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie. Die Auseinandersetzung mit Calvin, Zwingli und den reformierten Bekenntnisschriften während seiner Göttinger Lehrtätigkeit (Neukirchener theologische Dissertationen und Habilitationen 8), 1997; W. Härle, Art. Barth, Karl, TRE V, 251– 268; D. Korsch, Dialektische Theologie nach Karl Barth; C.-D Osthövener, Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth (TBT 76), 1996; G. Pfleiderer, Karl Barths praktische Theologie (BHTh 115), 2000; 2 Siehe K. Barth, KD I/1, 173: v. Loewenich habe »mit Recht geurteilt, daß es sich dabei [sc. um die theologia crucis, M.K.] nicht um ein besonderes Kapitel der Theologie, sondern um eine besondere Art der Theologie und bei Luther nicht bloß um ein Prinzip des jüngeren Luther, sondern um ein Prinzip seiner ganzen Theologie handle«.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
gloriae nicht einfach als Negativfolie der Kreuzestheologie preisgeben, sondern – im Sinne einer recht verstandenen Herrlichkeitstheologie! – zurückerobern bzw. neu besetzen möchte. Im folgenden skizzieren wir dieses doch auffällige Vorgehen Barths, das gerade in seiner Eigenwilligkeit auch zur Geschichte der Kreuzestheologie im Zwanzigsten Jahrhundert gehört, verzichten aber darauf, an dieser Stelle zugleich seine ganze Passionstheologie darzustellen – eine Aufgabe, die den Rahmen dieser Arbeit ebenso sprengen würde, wie sie im Hinblick auf unsere Frage nach der Kreuzestheologie im engeren Sinne aus Gründen, die sich auf den folgenden Seiten hinreichend deutlich herauskristallisieren werden, wenig ergiebig bleiben dürfte3. Es ist – besonders auch vor dem Hintergrund des in unserem Exkurs zum »frühen« Barth zu den kreuzestheologischen Anknüpfungen in der zweiten Auflage des Römerbriefkommentars Gesagten – klar, daß Barth das Begriffspaar theologia crucis – theologia gloriae von Luther entlehnt hat. Von seiner Erwähnung der Studie v. Loewenichs hatten wir schon gesprochen, aber Barth bezieht sich auch unmittelbar auf Luther selbst. An der einen Stelle in der Kirchlichen Dogmatik, in der das im Hinblick auf Luthers Kreuzestheologie geschieht, fällt aber sofort auf, daß Barth mit dem Gegenbegriff zur Kreuzestheologie, dem der theologia gloriae, gleichsam zu spielen beginnt und ihn insofern ›gegen den Strich bürstet‹, als er ihn selber nicht einfach als theologisches ›Feindbild‹ der Kreuzestheologie aufgreift, sondern ihn selber in ein positivdialektisches Verhältnis zur theologia crucis des frühen Luther setzt. Zu dessen Vorliebe zur dialektischen Ineinanderschau von Göttlichem und Menschlichem schreibt Barth: »Der Gleichungen oder Koinzidenzen von Subjekt und Objekt, von Gott und Mensch, Geben und Empfangen, Leiden und Tun ist in diesem ursprünglichen, unheimlich tiefsinnen Unternehmen Luthers kein Ende. Es war eine theologia crucis, die seltsamerweise alle Merkmale einer theologia gloriae: einer Theologie der Zusammenschau aller Standpunkte vom Standpunkte Gottes (der zugleich der Standpunkt des glaubenden Menschen sein sollte) an sich trug.«4 Hier erscheint theologia gloriae geradezu als eine legitime Möglichkeit der Theologie – aber vor dem Hintergrund der theologia crucis selbst. Unsere Deutung mutet an dieser Stelle vielleicht noch etwas gewagt an, wir werden jedoch sehen, daß sie angesichts der Verhältnisbestimmung von Kreuz und Auferstehung bei Barth und seiner entsprechenden Ausführungen zur theologia gloriae 3 Siehe zur Passionstheologie Barths im allgemeinen: B. Klappert, Die Auferweckung des Gekreuzigten. Der Ansatz der Christologie Karl Barths im Zusammenhang der Christologie der Gegenwart, (1971) 19813, bes. 85–101. 4 K.Barth, KD IV/1, 587 (die im Original gesperrt gedruckten Stellen werden hier wie in den folgenden Zitaten kursiv wiedergegeben). Barth bezieht sich an dieser Stelle auf die Studie von A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung in der frühen evangelischen Theologie Luthers, 1952.
2. Exkurs: »theologia crucis« und »theologia gloriae«
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ihr volles Recht besitzt. Überhaupt scheint es so, daß Barth in der Kirchlichen Dogmatik mehr an einer Bestimmung dessen, was mit theologia gloriae denn Sinnvolles zu sagen wäre, interessiert ist, als an einer Beschäftigung mit der Kreuzestheologie ›an sich‹. Nur sehr vereinzelt begibt er sich überhaupt auf deren Spur – ein uneingeschränkt affirmatives Bekenntnis zu ihr fehlt völlig. Wo immer von ihr die Rede ist, wird sie von Barth mit Bedenken und Fragezeichen versehen. Die vielleicht einzige Stelle, in der die konstruktive Rezeption kreuzestheologischer Gedanken (in Verbindung mit dem Begriff der theologia crucis selber!) die Bedenken eindeutig überwiegt, findet sich gleich im fünften Paragraphen (Die Rede Gottes als Geheimnis Gottes5). Hier führt er das Begriffspaar theologia crucis – theologia gloriae ein erstes Mal ins Feld. Es gehört zum Wesen des Glaubens, »daß eben auch in der Enthüllung Gottes seine Verhüllung zu erkennen und zu anerkennen ist«6 . Dem steht allerdings die menschliche Neigung entgegen, sich in der »speculatio Maiestatis«7 zu ergehen, denn Erfahrung und Denken wollen immer »geradlinig weitergehen«8 , aber »diese Geradlinigkeit ist dem Glauben durch das Wort Gottes verwehrt, das uns aus der Verzweiflung zum Triumphieren, aus dem Ernst in die Freude, aber auch aus dem Triumph zum Verzweifeln und aus der Freude zum Ernst ruft. Das heißt theologia crucis. So, in dieser Zucht durch sein Wort, die uns nie uns selber überläßt, weder in unserer Demut noch in unserem Hochmut, so ist Gott sich selber und uns treu […]«9. Mit diesem Gedanken hat Barth der Sache nach den antispekulativen Impetus der Kreuzestheologie, wie sie in Luthers Heidelberger Disputationsthesen begegnet, ebenso getroffen und zur Geltung gebracht wie deren Stoßrichtung gegen den Wahn, sich mit eigenen (Frömmigkeits-)werken vor Gott ›aufzubauen‹ (Barth geht an der besprochenen Stelle auch auf eine klare Unterscheidung von Glaube und Mystik ein!10). Zugleich warnt er davor, die Kreuzestheologie selber zu einer ins Düstere und Verzweifelte spielenden Variante menschlicher Frömmigkeit verkommen zu lassen: es gibt, so Barth, »auch eine negative theologia gloriae!«11 5
K. Barth, KD I/1, 128–194. K. Barth, KD I/1, 185. 7 Ebd. (im Original kursiv). 8 K. Barth, KD I/1, 186. 9 Ebd. 10 Siehe ebd. Siehe zu Barths Verhältnis zur Mystik die aus katholisch-theologischer Perspektive angefertige Untesuchung von N. Klimek, Der Begriff »Mystik« in der Theologie Karl Barths, 1990. 11 Ebd. In KD IV/1, 623 kehrt diese Furcht – nun allerdings leider polemisch verarbeitet – wieder, wenn Barth einer »abstrakten«, d.h. von der Auferstehung isolierten, Kreuzestheologie »nordische[n] Schwermut« und »allzu heidnische[n] Ernst« attestiert. Diese Äußerungen deuten m.E. eher auf ›atmosphärische‹ Schwierigkeiten Barths mit der Kreuzestheologie des Deutschen Luther als auf eine wirklich theologische Auseinandersetzung oder Bewältigung hin. Wohl kaum ein Leser der KD möchte sich gerne ›nordischen Schwermut‹ oder – noch verhee6
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
Deutlicher werden Barths Bedenken gegen die theologia crucis schon dort, wo er innerhalb der Versöhnungslehre die Passion Christi als Tat Gottes für uns definiert12 . Die Wiederholung dieser Definition – etwa in den Einsetzungsworten des Abendmahls13 – ist schlichter Hinweis auf das Ereignis selbst, das »sein Recht, seine Geltung, seine Macht in sich selber«14 hat: »Die theologia crucis kann und soll auf sie hinweisen: alle Theologie lebt aber davon, daß das Kreuz Jesu Christi selbst das Werk und also das in jeder Hinsicht genugsame Wort Gottes ist: kein leeres, sondern ein erfülltes und in seiner Fülle zu hörendes Wort, aber Gottes eigenes Wort. Die kommentarlose Nebeneinanderstellung: crux – unica spes! kann und soll nicht das Einzige sein, was hier zu sagen ist. Sie ist aber gerade in ihrer Schlichtheit die grundlegende und darum unentbehrliche Erinnerung daran, wer hier am Werk ist und das Wort führt.«15 Die Einräumung des wichtigen Hinweischarakters der theologia crucis wird in vorstehender Äußerung sogleich durch das »aber« eingeschränkt, daß das Kreuz als das Werk Gottes selber verstanden werden müsse. Das Kreuz kann ja nur auf dem Hintergrund der Voraussetzung, daß Gott im Gekreuzigten gegenwärtig handelt, als »unica spes« bezeichnet werden! Welches Zerrbild von Kreuzestheologie mag Barth hier vor Augen gehabt haben, das das Kreuz Christi nicht in der Perspektive des göttlichen Handelns zu sehen versucht hätte? Barths Furcht, die Kreuzestheologie könnte, von der Auferstehung isoliert, zu einer gefährlichen Absurdität geraten, tritt schließlich mehrfach offen dort zutage, wo er ausdrücklich das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung unter Bezug auf die Begriffe theologia crucis – theologia gloriae diskutiert. Alles liegt Barth daran, die Auferstehung als eine dem Kreuzesgeschehen gegenüber selbständige und neue Tat Gottes, also »nicht nur [als] dessen noetische Kehrseite«16 zu begreifen. In ihrem Verhältnis zur Kreuzestheologie kommt die Auferstehung als theologia resurrectionis zur Sprache und nimmt in ihrem Gegenüber zu jener den Platz der theologia gloriae ein. Die folgende Stelle ist ein klarer Fingerzeig, auf welcher Grundlage Barth den Begriff der theologia gloriae in verschiedenen Anläufen, wie wir sehen werden, positiv zu besetzen versucht: nämlich auf der Basis der recht verstandenen Auferstehung Christi: »Es kann und darf die theologia crucis die theologia resurrectionis nicht resorbieren, so gewiß auch das Umgekehrte nicht geschehen darf. Es ist das Osterrender – ›heidnischen Ernst‹ nachsagen lassen. Es ist allzu billig, die Kreuzestheologie auf diese Weise ins Abseits zu manövrieren, nur weil sie – wie übrigens jede theologische Konzeption – die Gefahr der Einseitigkeit und des Mißbrauchs bergen mag und weil vor ihrem in der Tat schweren und ernsten Horizont der eigene Entwurf ebenso leichtfüßig daherkommen möchte wie vielleicht die Musik Mozarts im Vergleich zu derjenigen eines J. S. Bach. 12 K. Barth, KD IV/1, 273ff. 13 So K. Barth, KD IV/1, 274. 14 K. Barth, KD IV/1, 275. 15 Ebd. 16 K. Barth, KD IV/1, 335.
2. Exkurs: »theologia crucis« und »theologia gloriae«
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ereignis in seiner unlöslichen Beziehung zum Kreuzesgeschehen ein Ereignis von eigenem Gehalt und von eigener Gestalt.«17 Mit dem Gekreuzigten haben wir es nämlich nur noch als mit dem Auferstandenen zu tun: »Es gibt keinen Gekreuzigten in abstracto und also auch keine Kreuzespredigt und keinen Kreuzesglauben in abstracto.«18 Und wieder schlägt Barths oben schon konstatierte Furcht vor einer Kreuzestheologie durch, die sich in einer von der Auferstehung isolierten Rede vom Kreuz womöglich erschöpfen könnte: »Es gibt kein Zurück hinter den Ostermorgen. Aller Kreuzestheologie, aller Kreuzesfrömmigkeit, allen Kreuzesexerzitien und aller Kreuzesästhetik ist – wie grimmig ernst sie sich auch gebärden möge – sofern sie ein solches Zurück in sich enthalten und darstellen möchte, schlicht entgegenzuhalten: ›Er ist nicht hier, er ist auferweckt!‹«19 Im Lichte des Ostermorgens kann Barth nun endlich zu einem Begriff sinnvoller theologia gloriae vorstoßen. Rechte Theologia gloriae wäre nach Barth nichts anderes als »das Lob dessen, was Jesus Christus in seiner Auferweckung für uns empfangen hat und als der Auferstandene für uns ist«20 . Da aber Jesus Christus als der Gekreuzigte lebt, hätte eine solche theologia gloriae keinen Sinn, »wenn sie nicht die theologia crucis immer auch in sich schlösse: das Lob dessen, was er in seinem Tode für uns getan hat und als der Gekreuzigte für uns ist«21. Umgekehrt hätte auber auch eine »abstrakte theologia crucis keinen Sinn«22 . Christi Passion und Tod können nicht recht gelobt werden, »wenn dieses Lob die theologia gloriae nicht schon in sich schließt: das Lob dessen, der in 17
K. Barth, KD IV/1, 335f. K. Barth, KD IV/1, 379 – Für Barth ist diese Einsicht übrigens Argument gegen »alle Abbildungen des gekreuzigten Christus als solchen« (ebd.). 19 K. Barth, KD IV/1, 380 (Hier findet sich wieder Barths polemischer Hang, die Kreuzestheologie als ›ernst‹ und ›grimmig‹ zu diskreditieren und so, statt mit wirklich überzeugenden theologischen Argumenten, seine Leser an seiner Voreingenommenheit gegenüber der Kreuzestheologie teilhaben zu lassen.) – Jesus lebt als der für uns Gekreuzigte, er ist ein »strenger Herr« darin, »daß er uns alle Rückwege und Rückblicke versperrt, daß er uns unser bißchen Kreuz – nicht das seinige, sondern das unsrige! – auf uns zu nehmen und ihm nachzufolgen […] heißt« (KD IV/1, 381f). In dieser Äußerung zeigt sich eine bedenkliche Tendenz zur Abwertung der menschlichen Leidenserfahrung, die vor dem überstark gemalten Bild des leidenden Christus (aaO 382) geradezu verblaßt. »Unser bißchen Kreuz« – Kein Wunder, daß andere (man denke nur an J. Moltmann!) hier zu entschiedenen Korrekturen, ja mitunter sogar heftigen Überkorrekturen neigen mußten! Zum Verhältnis des göttlichen zum menschlichen Leiden bzw. zum Verhältnis Gottes zum Leiden des Menschen bei Barth siehe ausführlich die Untersuchungen von B. Krause, Leiden Gottes – Leiden des Menschen. Eine Untersuchung zur Kirchlichen Dogmatik Karl Barths (CThM.ST 6), 1980 sowie von Ch. Kress, Gottes Allmacht angesichts von Leiden. Zur Interpretation der Gotteslehre in den systematisch-theologischen Entwürfen von Paul Althaus, Paul Tillich und Karl Barth (Neukirchener theologische Dissertationen und Habilitationen 27), 1999. 20 K. Barth, KD IV/1, 622. 21 Ebd. 22 Ebd. 18
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
seiner Auferstehung der Empfänger unseres Rechtes und unseres Lebens ist, der für uns von den Toten Auferstandene«23. Mit diesen Überlegungen bildet Barth das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung auf das Begriffspaar theologia crucis – theologia gloriae ab. Es ist deutlich, daß er damit eine gegenüber der historischen Herkunft des Begriffspaars in Luthers Heidelberger Disputation entscheidende Modifikation vornimmt: Denn dort »verteilten« sich Kreuz und Auferstehung keinesfalls einfach auf die beiden Begriffe, sondern waren sachlich beide der theologia crucis zugeordnet 24 , insofern am Kreuz Christi der Gott offenbar wurde, der aus dem Tode neues Leben zu schaffen vermag. Die theologia gloriae dagegen war bei Luther nichts weniger als ein zur Kreuzestheologie komplementäres Moment, sondern deren absoluter Antipode, insofern in ihr die Zuversicht des Menschen zur Möglichkeit einer Gotteserkenntnis zur Darstellung kommt, die dem Menschen eben nicht durch den Tod des Sünders und aus dem lebendigmachenden Handeln Gottes zukommen, sondern ihm gleichsam natürlich zuwachsen sollte.
Immer wieder besteht Barth auf der Unumkehrbarkeit des Weges Jesu von der Kreuzigung (»dort«, »terminus a quo« 25) hin auf die Auferstehung (»hier«, »terminus ad quem«26). Und immer wieder begegnet die Warnung vor einer »abstrakten«27 Kreuzestheologie, die »mit christlicher Erkenntnis Jesu Christi wenig und schließlich gar nichts mehr zu tun«28 habe. Was Christus in seinem Tod für uns getan hat, muß uns entgehen, »wenn wir es abstrahiert von dem, was er in seiner Auferstehung für uns empfangen hat, verstehen […]«29. Derselbe Sachverhalt spiegelt sich exakt in der Rede von der Erniedrigung des Gottes- und der Erhöhung des Menschensohnes nieder. Denn wer Jesus Christus sagt, kann nicht nur von der Erniedrigung des Gottessohnes reden, sondern »hat eben damit schon ›Erhöhung des Menschensohnes‹ gesagt«30 und kann damit »nicht in einer abstrakten theologia crucis stecken bleiben, denn eben sie ist voll heimlicher theologia gloriae«31. Statt von ›heimlicher‹ kann Barth auch von ›falscher‹ theologia gloriae reden. Denn würde z.B. die Souveränität Gottes, von der auch die Lehre von der 23
Ebd. Vgl. hierzu unten Teil II.A.2.! 25 So K. Barth, KD IV/1, 622f. 26 So u.a. ebd. 27 K. Barth, KD IV/1, 623 u.ö. 28 Ebd. 29 K. Barth, KD IV/1, 624. 30 K. Barth, KD IV/2, 30 31 K. Barth, KD IV/2, 30f. – Hier verwendet Barth den Begriff theologia gloriae als Gegenbegriff nicht zur Kreuzestheologie, sondern zur theologia resurrectionis selbst. Der Gedanke, den negativ gebrauchten Begriff der Herrlichkeitstheologie über den der Kreuzestheologie zu legen und dieser dann der »heimlichen« Glorie (offenbar also einer eigenmächtigen Unterbestimmung der Auferstehung als dem entscheidenden Handeln Gottes am Gekreuzigten) zu zeihen, mag ihm im Zusammenhang mit der oben schon erwähnten Beobachtung am frühen Luther gekommen sein, dessen theologia crucis für ihn ja »seltsamerweise alle Merkmale einer theologia gloriae« (KD I/1, 587) trug. 24
2. Exkurs: »theologia crucis« und »theologia gloriae«
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Rechtfertigung allein durch den Glauben abhängt 32 , als eine »dem Menschen zugewendete, den Menschen erhöhende, verändernde, erneuernde Gnade«33 verstandene, »verfinstert«34 werden, dann würde »die theologia crucis, in der die rechte theologia gloriae ihre Wurzel hat, durch eine falsche theologia gloriae zunichte gemacht werden«35. Aber die rechte, weil von der Auferstehung Christi als der definitiven Tat Gottes herkommende, theologia gloriae ist der Kreuzestheologie damit unbedingt an die Seite zu geben. Denn die Gemeinde kommt schließlich von der Auferstehung her, sie glaubt an den Herrn Jesus Christus, »den Gekreuzigten, aber als der Gekreuzigte Siegenden und als dieser Sieger von den Toten Auferstandenen und Offenbarten«36 . Und dabei ist nicht auf halber Strecke haltzumachen: »[…] theologia crucis nicht nur, sondern auch theologia resurrectionis und also theologia gloriae, will sagen: Theologie der Herrlichkeit des in dem gekreuzigten, aber als der Gekreuzigte triumphierenden Jesus Christus verwirklichten und auf den Plan getretenen neuen Menschen, Theologie der Verheißung unseres ewigen Lebens, das in dem Tode dieses Menschen seinen Grund und Ursprung hat«37. Weil in der »Erniedrigung des Sohnes Gottes die Erhöhung des Menschensohnes und in ihm als unserem Bruder und Haupt unsere eigene Erhöhung verwirklicht und offenbar ist«38 , ist nach Barth nicht allein die »Legitimität«, »sondern die Unentbehrlichkeit einer theologia gloriae zu proklamieren, in der die theologia crucis zu ihrem Ziele kommt«39. Auch in der Heiligung des Menschen spielt das Kreuz bei Barth eine wichtige Rolle: es ist für ihn nämlich ein »unentbehrliche[s] Element jeder christlichen Lehre von der Heiligung«40 und als solches von ihm »bis zuletzt aufgehoben«41 worden. Das Kreuz bezeichnet a) die »Grenze der Heiligung als der dem trägen Menschen in der Kraft der Auferstehung Jesu Christi widerfahrenden Aufrichtung […]: den Punkt, an welchem dieses Geschehen über sich selbst hinausweist auf das neue Kommen Jesu Christi, auf die Auferstehung des Fleisches, auf das letzte Gericht«42 und stellt b) alle Aspekte der Heiligung des Menschen »als participatio Christi, als Ruf in seine Nachfolge, als Erweckung zur Umkehr, als das Lob guter Werke«43 dar. Das Kreuz des Christen, das dieser zu tragen hat, 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
So K. Barth, KD IV/2, 8. Ebd. Ebd. Ebd. K. Barth, KD IV/2, 396. Ebd. K. Barth, KD IV/2, 397. Ebd., im Original als rhetorische Frage formuliert. K. Barth, KD IV/2, 676. Ebd. K. Barth, KD IV/2, 677. Ebd.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
»indem das Volk Gottes als solches es zu tragen bestimmt ist«44 , steht »mit dem Kreuz Jesu Christi selber in nächster Beziehung«45: »Das Kreuz ist die konkreteste Gestalt der Gemeinschaft zwischen Christus und den Christen.«46 Die Beziehung zwischen dem Kreuz Christi und dem Kreuz der Christen ist aber dennoch »keine direkte, sondern eine indirekte Beziehung«47. Zwischen dem Kreuz Christi und dem Kreuz der Christen besteht ein kategorialer, nicht hintergehbarer Unterschied. Die Christen folgen Christus nach, sie »gehen also nicht neben ihm her in Gleichheit ihres Kreuzes mit dem seinen, geschweige denn, daß sie ihm eigentlich vorangingen, indem nämlich sein Kreuz seine Realität und Bedeutsamkeit erst darin bekäme, daß sie ihr Kreuz auf sich nehmen. Hinter dieser Anschauung steht die alte mystische Vorstellung, es sei das Kreuz Christi selbst, das die Christen aufzunehmen und zu tragen hätten. Diese Vorstellung ist falsch.«48 Unser kleiner Exkurs zu Karl Barths Gebrauch der Begriffe theologia crucis und theologia gloriae in der »Kirchlichen Dogmatik« hat zu einer Reihe interessanter Beobachtungen geführt, die nun noch einmal zusammenfassend zu bewerten sind. Barth konnte in den Prolegomena zur KD durchaus W. v. Loewenich zustimmen, der die theologia crucis ja allgemein – und nicht nur im Hinblick auf Luther! – als eine Art von Theologie überhaupt und nicht allein als ein Kapitel in ihr bezeichnet hatte. In der Entfaltung der »Kirchlichen Dogmatik« stellte sich die Zustimmung Barths zu v. Loewenich aber als bloßes Lippenbekenntnis heraus: Faktisch wird beim ›reifen‹ Barth die theologia crucis doch zu einem bloßen »Kapitel«, nämlich dem der Passion und dem Kreuz Christi gewidmeten Topos innerhalb der Theologie, dem die theologia gloriae als das andere, von der Auferstehung Christi handelnde, »Kapitel« zur Seite und gegenübergestellt wird. Daß die Kreuzestheologie damit ihre kriteriologische Funktion gegenüber aller Theologie verliert, wird noch deutlicher, wenn die weitere gravierende Modifikation der Bedeutung des Begriffspaars in den Blick kommt. Die kriteriologische Funktion der theologia crucis geht mit der Zuversicht einher, bei ihr handele es sich um die rechte Theologie als solche, der die theologia gloriae als die falsche Theologie, ja, als Nicht-Theologie, gegenübersteht. Aus der Parallele theologia crucis – theologia gloriae / rechte Theologie – falsche Theologie wird nun bei Barth die neue Parallele rechte theologia crucis – falsche (abstrakte) theologia crucis / rechte theologia gloriae (theologia resurrectionis als Ziel der theologia crucis) – falsche Herrlichkeitstheologie (Übertragung der Souveräntität 44 45 46 47 48
Ebd. Ebd. Ebd. K. Barth, KD IV/2, 678. Ebd.
3. »Dogmatische« Kreuzestheologie als hermeneutischer Schlüssel zu Paulus
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Gottes auf den Menschen). Die Unterscheidung von rechter und falscher Theologie geht in Barths KD damit quer sowohl durch die Kreuzes- wie durch die Herrlichkeitstheologie hindurch! Und indem Barth die theologia resurrectionis und mithin die theologia gloriae als das Ziel der theologia crucis bezeichnen kann49, stellt er die ›klassische‹ Bedeutung dieser Begriffe gleichsam von den Füßen auf den Kopf. Zugleich wird deutlich, von woher nun diejenige kriteriologische Funktion über alle Theologie auszuüben ist, die spätestens seit W. v. Loewenich mit dem Begriff der »theologia crucis« untrennbar verbunden ist: nämlich von der Auferstehung her. Barth ›entkernt‹ also den Begriff der theologia crucis und nimmt ihm sein die Theologie orientierendes Schwergewicht zugunsten der Auferstehung und des von ihm neu und positiv besetzten Begriffes einer rechten theologia gloriae. Vom Standpunkt der Kreuzestheologie aus ist das nicht weniger als ein Versuch, diese systematisch zu destruieren. Dieses Urteil ist auch kaum unter Hinweis auf mögliche Überzeichnungen und Einseitigkeiten von Kreuzestheologie und –frömmigkeit abzumildern, denen Barth ja offenbar mit Macht entgegensteuern wollte. Denn wer sind seine Gegner, die ihm sein Zerrbild von Kreuzestheologie geliefert haben, das er dann so vehement angreifen muß? Barth nennt sie nicht. Stattdessen bleibt der Eindruck eines atmosphärischen Unbehagens gegenüber einem Begriff, den Barth um seines eigenen Systems willen unbedingt ›domestizieren‹ mußte, und mit dessen bloßer behutsamer Korrektur er sich nicht zufriedengeben konnte.
3. »Dogmatische« Kreuzestheologie als hermeneutischer Schlüssel zu Paulus – Beobachtungen an der Theologie Ernst Käsemanns Ernst Käsemann (1906–1998) war von 1959–1971 Professor für Neues Testament in Tübingen. Daß wir sein pointiertes kreuzestheologisches Profil in diesem Teil der Arbeit, zwischen den von uns untersuchten Vertretern der Systematischen Theologie, skizzieren, ist darin gerechtfertigt, daß Käsemann im Grunde von systematisch-theologischen Prämissen ausgeht und diese als hermeneutischen Schlüssel für die Pauluslektüre in Dienst nimmt. Uns geht es im folgenden weder um eine fachexegetische Diskussion der Position Käsemanns, noch um eine theologiegeschichtliche Standortbestimmung innerhalb des Faches Neues Testament, die wir im Rahmen dieser Arbeit nicht leisten können. Sondern wir bemühen uns darum, das Ausmaß der dogmatischen Präjudizien hinsichtlich der Kreuzestheologie freizulegen, das in der Paulusexegese Käsemanns wirksam gewesen ist und auch seine oft polemischen Positionsbestimmungen in zeitgenössischen theologischen und kirchlichen Debatten bestimmt hat.
49
So K.Barth, KD IV/2, 397.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
Seine systematisch-theologischen Voraussetzungen, soweit sie sein Konzept von Kreuzestheologie betreffen, entsprechen im übrigen den Schlußfolgerungen, die W. v. Loewenich aus seiner Untersuchung der Kreuzestheologie Luthers gezogen hat: Kreuzestheologie gibt das eigentliche Proprium der reformatorischen Theologie an, sie ist die Mitte von Luthers Theologie, wie sie bereits der Inbegriff der paulinischen Theologie gewesen ist. Zudem greift Käsemann explizit auf Kählers Programmschrift »Das Kreuz. Grund und Maß für die Christologie« zurück und schließt sich zustimmend dessen Zitat von Luthers Formel »Crux sola nostra theologia« an1. Was diese Formeln für Käsemann bedeuten, erschließt sich uns in einem Aufsatz Käsemanns, der mit Fug und Recht als ordentliche kreuzestheologische Programmschrift gelesen werden muß. Es ist die auch sonst oft beachtete Arbeit »Die Heilsbedeutung des Todes Jesu bei Paulus«2 . Ihm wenden wir uns im folgenden zu. Evangelische Theologie in reformatorischem Verständnis ist für Käsemann Kreuzestheologie, und sie ist dies im expliziten Rückgriff auf Paulus3. Diese stellt das Zentrum der Theologie des Apostels dar, und Käsemann behauptet »mit äußerster Schärfe […], daß Paulus historisch wie theologisch von der reformatorischen Einsicht her verstanden werden muß« 4. In diese Intonierung seines Aufsatzthemas mischt Käsemann allerdings unmittelbar einen polemischen Unterton ein, der im Verlauf seiner Auseinandersetzungen immer wieder in den Vordergründ rücken wird. Denn Käsemann muß konstatieren, daß selbst »auf protestantischem Boden […] heute diese Feststellung nicht mehr allgemein anerkannt [wird]«5. Gerade auch auf dem Hintergrund der Entwicklung der Paulusexegese bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hinein kann Käsemann sagen, »daß die Kreuzestheologie des Apostels im heutigen Protestantismus eher herausfordernd wirkt als selbstverständlich erscheint« 6 . Deshalb muß, wer sich mit ihr befaßt, damit rechnen, »als dogmatisch oder konfessionell befangen zu gelten«7: »(wir) vertreten also eine umstrittene These und haben sie in Auseinandersetzung mit abweichenden Anschauungen zu begründen wie aus der Gesamtbotschaft des Apostels neu abzuleiten«8 . Damit hat Käsemann die kreuzestheologische Aufgabe präzise formuliert, wie sie sich nicht nur dem Exegeten, sondern auch dem Systematiker jeweils neu stellt: im theologisch verantworteten Rückgriff sowohl auf die paulinische Über1 E. Käsemann, Die Heilsbedeutung des Todes Jesu bei Paulus, in: Ders. (Hg.), Paulinische Perspektiven, 19722, (61–107) 64; vgl. M. Kähler, Das Kreuz. Grund und Maß der Christologie, in: BFChTh 15 (1911), (5–14) 13. 2 S. Anm. 1. 3 So Käsemann, Heilsbedetutung 61. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 AaO 63. 7 Ebd. 8 AaO 63f.
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lieferung als auch auf die reformatorische Interpretation dieser Überlieferung Kreuzestheologie als Theologie im Horizont der Herausforderungen der jeweiligen Gegenwart zu entwerfen. Indem Käsemann hier die Auseinandersetzung mit »abweichenden Anschauungen« noch vor der Ableitung der Kreuzestheologie aus der Botschaft des Paulus nennt, räumt er dem polemischen Charakter der Kreuzestheologie eine hervorragende Stellung ein. Ihren polemischen Charakter gewinnt Kreuzestheologie – bei aller Verschiedenheit der einzelnen Entwürfe – immer wieder aus dem Widerspruchscharakter des Wortes vom Kreuz, das als göttliche Torheit der menschlichen Weisheit fundamental widerspricht. Kreuzestheologie ist für Käsemann mehr als lediglich die Entfaltung der Heilsbedeutung des Todes Jesu (die schließlich von niemandem in Frage gestellt werde): es geht in ihr vielmehr um die particula exklusiva, die zuerst von Luther deutlich unterstrichen und von M. Kähler entschieden ins Gedächtnis zurückgerufen worden ist: »crux sola est nostra theologia«9. Kreuzestheologie bedeutet die Befreiung der Christologie von der Metaphysik10 und ist ihre Versetzung in die Geschichte und damit zugleich »in das Reich unserer Wirklichkeit«11. Von daher muß auch Bultmanns Programm der Entmythologisierung noch einmal radikalisiert werden: »Von der Kreuzestheologie her ist sowohl Entmythologisierung wie existentiale Interpretation unabdingbar gefordert, und zwar radikaler als vom modernen Weltbild und Selbstverständnis her, weil Jesu Kreuz sich konstitutiv gegen alle religiöse Illusion wendet und den Menschen in seine Menschlichkeit verweist.«12 Käsemann versteht also Bultmanns Entmythologisierungsprogramm als Anzeige eines Problems, dessen Wurzel die Sünde des Menschen ist – eines Problems, das zeitlos ist und sich doch immer nur in der Zeit manifestiert. So verstanden, ist das eigentliche Problem der Theologie auch kein hermeneutisches, kein Sprachproblem, sondern ein solches des Inanspruchgenommenseins, nämlich der Entscheidung des Menschen: »Theologisch gesehen, fallen die letzten Entscheidungen nicht im Bereich der Sprache, wo sie sich allenfalls äußern, sondern dort, wo wir in Überheblichkeit und Verzweiflung geraten oder den Ruf zu Gehorsam und echter Menschlichkeit vernehmen, nämlich wenn über unsern Willen entschieden wird. Das eben ist dem Gekreuzigten gegenüber der Fall, und darum kann eine theologische Hermeneutik, also eine Lehre vom Verstehen und rechten Interpretieren der biblischen Botschaft, im Schatten der Kreuzestheologie angesiedelt werden.«13 9 AaO 64 (kursiv M.K.); siehe auch M. Kähler, Das Kreuz. Grund und Maß für die Christologie (BFChTh 15, 1911, 5–14), 13. 10 Darin ist Käsemann zumindest im Hinblick auf Luthers Heidelberger Disputationsthesen Recht zu geben. 11 Käsemann, Heilsbedeutung, 65. 12 Ebd. 13 AaO 66.
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Das Kreuz ermöglicht es für Käsemann, auch den philosophischen Strukturanalysen der Wirklichkeit zwar mit Aufgeschlossenheit, aber doch kritisch gegenüberzutreten, denn »für uns ist Jesu Kreuz die wahrhaft kritische Macht der Erde und jedes einzelnen, weil es Existenz im ganzen, nämlich mit Denken und Sprechen auch unsern Willen bestimmt«14. Mit dieser nur kurz skizzierten kritischen Auseinandersetzung mit den fundamentaltheologischen Implikationen von Bultmanns Entmythologisierungsprogramm hat Käsemann nicht weniger unternommen, als aus dem Vertrauen heraus, mit der Reflexion auf das Kreuz Christi zum Kern theologischen Denkens überhaupt vorstoßen zu können, die Frage aufzuwerfen, wer oder was eigentlich der Adressat theologischer Rede ist: die Wirklichkeit in einer durch philosophische Deutung scheinbar plausibel vermittelten Form, oder der Mensch, in seinem Fundamentalwiderspruch gegen Gott als Sünder begriffen? Kreuzestheologie ist also für Käsemann – das zeigt sein Aufsatz von der ersten bis zur letzten Zeile – immer auch Polemik. Ja, das Stichwort Kreuzestheologie verliert in unpolemischem Gebrauch geradezu seinen Sinn, es »hat sich stets kritisch gegen eine in der Überlieferung herrschende Interpretation der christlichen Botschaft gewandt und charakterisiert nicht zufällig den protestantischen Aufbruch«15. Die polemische Kraft der Kreuzestheologie ergibt sich für Käsemann ganz folgerichtig aus den Implikationen der Kreuzigung Jesu selbst, wie sie uns im Neuen Testament begegnen. Denn der Begriff Kreuz wird dort offenbar verwandt, um den des Todes noch zu steigern. Paulus und der Hebräerbrief sprechen vom Tod Jesu außerhalb des Gottesbundes bzw. außerhalb des Lagers der Bundesgemeinde. Zum Motiv des Verbrechertodes tritt damit das des Todes in der Gottlosigkeit hinzu. Jesus ist also außerhalb der Grenzen des geweihten Bezirkes gestorben, wozu schon seine Gemeinschaft mit Zöllnern und Sündern zu Lebzeiten paßte. Er stieß damit »in vermeintliche Gottesferne gerade im Namen Gottes«16 vor. Macht man sich das bewußt, wird das Ausmaß der Immunisierung des Kreuzes deutlich, das inzwischen ja zum Inbegriff eines religiösen Symbols überhaupt und damit zum bloß erbaulichen Zeichen geworden ist: »Faktisch hindert solche Erbaulichkeit das Evangelium mehr, als radikalste Entmythologisierung es vermag. Denn sie entzieht uns dem brutalen Zugriff der Christusbotschaft und macht uns zu Betrachtern eines Weihespiels.«17 Für Paulus war das kennzeichnende Merkmal der »Welt« deren Kreuzesfeindschaft. Deshalb bezeichnet Gal 6,14 zutiefst die christliche Existenz. Denn der Christ steht – so wie der Apostel – nur in der Nachfolge, »solange er im 14 15 16 17
AaO 66f. AaO 67. AaO 68f. AaO 69.
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Schatten des Kreuzes steht«18 . Die »Stigmatisierung« des Glaubenden durch den Gekreuzigten, der paradoxe »Ruhm der Anfechtung«19 reicht bis ins Leibliche hinein und umfaßt auch diese Dimension des Lebens. Damit ist für Käsemann in ernsthafter, auch leidender Nachfolge zugleich ein Kriterium rechter dogmatischer Arbeit gegeben: »Wir haben Grund, uns wieder auf diesen Sachverhalt zu besinnen, weil der erlebte und erlittene Glaube in unserm theologischen Denken von blutleer gewordenen, vagen oder massiven Glaubensüberzeugungen verdeckt wird. Dogmatische Überzeugungen, die sich nicht in leidender Nachfolge verwirklichen, illusionieren heute die Gemeindefrömmigkeit, und ein abstrakt gewordenes Christentum ist der Welt völlig uninteressant. […] Es besagt gar nichts, daß Jesus als Herr proklamiert und geglaubt wird. Alles hängt vielmehr daran, ob christliche Frömmigkeit, um mit Kähler zu sprechen, bis in den Alltag hinein am Kreuz den Grund und ihr Maß findet.«20 Die vorpaulinischen Aussagen über die Liebe Gottes und Jesu Tod werden bei Paulus insofern vertieft, als sie ihm »Anlaß zur Reflexion darüber (geben), wer Gott und wer der Mensch wirklich ist«21. Und es »gehört für ihn mit zum Heil, daß das von Jesu Tod aus scharf und unvergeßlich erkannt wird. In solcher Erkenntnis läßt sich überhaupt Heil erst völlig verstehen und dauernd bewahren. Am Kreuze zeigt sich, daß der wahre Gott allein der Schöpfer ist, der am Nichtigen handelt, die Schöpfung stets aus dem Chaos herausholt und darum seit Anbeginn der Welt sich ständig als Auferwecker der Toten bekundet.«22 Am Kreuz wird sichtbar, daß der »wahre Mensch unter dem Aspekt der Heilsfrage immer der Sünder ist«, der »Glied der verlorenen, chaotischen, nichtigen, bestenfalls auf Auferweckung der Toten wartenden Welt ist«23. Daran ändern auch Moral und Religiosität nichts, sondern sie »intensivieren die Verlorenheit, indem sie überheblich oder verzweifelt das Unmögliche versuchen lassen, nämlich Heil zu wirken und die Welt zu transzendieren«24. Das Kreuz bleibt Ärgernis und Torheit, weil es die Illusionen menschlicher Selbst-Transzendierung aufdeckt, indem Gott diese vom Kreuz her als töricht, eitel, gottlos aufdeckt 25. Heil kann damit für das Geschöpf nur vom Schöpfer kommen, nicht vom eigenen Werk. Als Heil bezeichnet Käsemann nun in unvermitteltem Übergang vom Kreuz zu Gottes lebendigmachenden Handeln »immer Auferweckung der Toten, weil das Gottes Werk in allen seinen Taten und Gaben uns gegenüber ist«26 . Christi 18 19 20 21 22 23 24 25 26
AaO 70. Ebd. AaO 71f. AaO 74. Ebd. AaO 74f. AaO 75. So ebd. AaO 75f.
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Auferweckung ist die »Offenbarung dessen, worauf alles Gotteshandeln stets tendiert«27. Käsemann spricht dann in direktem Anschluß an die Behauptung der offenbarerischen Qualität der Auferweckung Jesu von derselben Eigenschaft des Kreuzes. Über dem am Kreuz Sterbenden waltet Gott als Schöpfer und Auferwecker von den Toten. Kreuz und Auferstehung sind damit aufs Engste miteinander verbunden. Zeigt die Auferweckung die auf das Leben zielende Tendenz des göttlichen Handelns, so zeigt das Kreuz den Menschen als Menschen gerade im Zerbrechen seines lebensfeindlichen Ungehorsams gegen Gott: »Weil Paulus am Kreuze die Gottheit Gottes sich darin offenbaren sieht, daß sie die Illusion des sich selbst verwegen oder fromm transzendierenden Menschen aufdeckt und zerstört und uns aus trügerischem Heroismus in die Menschlichkeit des Geschöpfes zurückführt, zeichnet er den sterbenden Jesus […] als den Gehorsamen. […] Der Gehorsame ist das eschatologische Gegenbild dessen, der im Ungehorsam seine Geschöpflichkeit preisgab […]. […] Gehorsam ist das Zeichen wiedergewonnener Geschöpflichkeit, der Stand vor Gottes Angesicht, indem er zugleich der Stand in nicht mehr über sich selbst hinausgreifender Menschlichkeit ist.«28 Wie verhalten sich nun Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre bei Paulus zueinander? Für Käsemann besteht eine enge Wechselwirkung zwischen Kreuzes- und Rechtfertigungstheologie. Denn Paulus habe die »vor ihm umlaufende Tradition über Jesu Kreuz im Sinne seiner Rechtfertigungslehre gedeutet. Er hat diese Rechtfertigungslehre vom Kreuz aus gewonnen, und sie ist umgekehrt seine Interpretation des Todes Jesu«29. Allerdings scheint Käsemann insgesamt doch eher von einem Gefälle von der Kreuzes- zu Rechtfertigungstheologie auszugehen. Denn er kann sagen, daß der sterbende Christus »Grund und Wirklichkeitsraum des gerechtfertigten Menschen«30 ist. Oder, an anderer Stelle: »Die Rechtfertigung des Gottlosen ist für Paulus die Frucht des Todes Jesu, nichts sonst.«31 Damit versteht Käsemann sachlich die Rechtfertigungslehre als Reflexion auf die Rede vom Kreuz Christi; diese wiederum bringt den Sachgrund der Rechtfertigung zur Sprache. Diese Einsicht in den engen Zusammenhang von Rechtfertigungslehre und Kreuzesverständnis hilft Käsemann bei der angemessenen Interpretation der traditionellen Kategorien, mit denen der Tod Jesu im Neuen Testament gedeutet wird. So hält Käsemann den Opfergedanken für häufig »ungebührlich betont«32 . Paulus selber habe den Opfergedanken zwar gekannt, aber »nie eindeutig Jesu Tod als Opfer bezeichnet, zumal dieser im allgemeinen als Gottes Tat 27 28 29 30 31 32
AaO 76. AaO 76f. AaO 77. AaO 77f. AaO 84. AaO 78.
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gilt und Gott sich nicht gut selber Opfer bringen kann«33. Das Hauptargument gegen die Überakzentuierung des Opfergedankens ist aber die Beobachtung, daß alle einschlägigen Schriftstellen sich bei Paulus viel mehr mit der Bedeutung des Todes Jesu für die Menschen und weniger mit dessen Auswirkungen auf Gott auseinandersetzen. Von daher zieht Käsemann den Schluß: »Von christologischem Gewicht ist allein der Stellvertretungsgedanke«34. Der Stellvertretungsgedanke bedarf für Käsemann allerdings besonders hinsichtlich seiner Verknüpfung mit dem Gedanken des Strafleidens der Präzisierung. Denn die paulinischen Texte »sprechen nicht von Strafe, sondern von der tiefsten Schmach der Inkarnation als dem Preis des ohne unsere Mitwirkung zustande gekommenen Heils und der sich in unsern Bereich erniedrigenden Kondeszendenz Gottes«35. In dieselbe Richtung zielt der Versöhnungsgedanke, der im Neuen Testament durchgehend »beendete Feindschaft«36 meint. Für Paulus ist das mit Hilfe des Versöhnungsgedankens zur Sprache gebrachte Heil »nicht primär Ende vergangenen Unheils und der vergebende Schlußstrich unter ehemaliger Schuld, sondern nach Röm 5,9f u. 8,2 Freiheit von der Macht der Sünde, des Todes und des göttlichen Zornes, nämlich die Möglichkeit des neuen Lebens. Er hat die von ihm aufgegriffene Überlieferung also radikalisiert«37. Eine drittes, von Paulus vorgefundenes Interpretament des Todes Jesu ist der Erlösungsgedanke. Dieses Motiv wurde schon in urchristlicher Zeit im Zusammenhang des Sklavenloskaufs verstanden (vgl. 1 Kor 6,20; 7,23; Gal 3,13; 4,5), von Paulus allerdings nirgends eindeutig mit dem Erlösungsbegriff verknüpft, ist aber im Sinne von Befreiung zu verstehen: »Aus Röm 8,23 wird man […] als Hauptsinn ›Befreiung‹ entnehmen. […] Seit dem Sterben Christi steht die Gemeinde in jener angefochtenen, aber sieghaften Freiheit, welche aus der Liebe Gottes, also seinem Dasein und Eintreten für uns, erwächst und sie irdisch spiegelt«38 . Paulus nimmt also verschiedene Überlieferungen, die Jesu Tod als Heilsereignis deuten, auf, ohne eine von ihnen zu bevorzugen. Stattdessen vertiefte, korrigierte, radikalisierte und richtete er die ihm vorgegebene Tod-Jesu-Tradition neu aus. Käsemann stellt fest, daß die Tradition das Kreuz Jesu zwar in seiner Heilsbedeutung erschließen wollte, dies jedoch »ohne jene kritische Schärfe«39 tat, »welche das spezifische Merkmal paulinischer Theologie ist«40 . Paulus nämlich sah »höchst anstößig und paradox die Heilsbedeutung des 33 34 35 36 37 38 39 40
Ebd. AaO 79. Ebd. AaO 80. AaO 81. AaO 82. AaO 83. Ebd.
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Kreuzes darin, daß Gottes Liebe sich dem Sünder, dem Gottlosen, dem Feinde schenkt und damit unverrückbar den Platz des Menschen fixiert, der ihm außerhalb der Gnade gebührt. Am Kreuze Jesu endet die Verzweiflung, weil dort zugleich der Stolz endet […]. Vor dem sich selbst erniedrigenden Gott endet der sich selbst transzendierende Mensch, den sogar die christliche Maske nicht schützt.«41 Paulus wollte nach 1 Kor 1,23; 2,2 nichts als den Gekreuzigten predigen, »obgleich christliche Prediger und Gemeinden darin eine unerträgliche Reduktion und eine Schmälerung des Reichtums Christi erblicken«42 . Aber gerade in solcher Konzentration auf den Gekreuzigten ist für Käsemann das Zentrum der paulinischen Theologie fixiert: »Sie kann nichts anderes als Kreuzestheologie sein, wie und weil sie sich nicht von der Rechtfertigungsbotschaft lösen läßt und jedem Enthusiasmus mit einer kritischen und realistischen Anthropologie begegnet.«43 Wir hatten eingangs bereits darauf hingewiesen, daß für Käsemann Kreuzestheologie unter Absehung von ihrem polemischen Charakter gar nicht vorstellbar scheint. In der Tat ist Kreuzestheologie nicht deshalb polemisch, weil sie nur im Streit und mit Gewalt zur Geltung kommen könnte, sondern ist sie ist polemisch, weil gegen sie selbst protestiert wird und weil sie in und durch solchen Protest als eine Provokation erscheint. Für Käsemann gehört der gegen die exklusiv verkündigte Kreuzesbotschaft »zu allen Zeiten und so auch heute wieder fast überall erhobene Protest […] notwendig zum Weg und Werk des Paulus. Dieser Protest kleidet sich, seit die Korinther ihn zuerst anmeldeten, in das Gewand einer Theologie der Auferstehung und tut es heute erneut in der gesamten Christenheit. […] Bestritten wird dabei nicht die Kreuzesbotschaft als solche, wohl aber das Recht, sie zum eigentlichen oder gar alleinigen Thema der paulinischen Theologie zu machen.«44 Käsemann räumt ein, daß es auf den ersten Blick gute Gründe zu geben scheint, gerade von der Auferstehung her die exklusive Zentralstellung des Kreuzes anzugreifen. Denn Paulus selbst kann an vielen Stellen den Auferweckten als ausschließlichen Grund des Heils geltend machen (Röm 1,4; 1 Kor 6,14, 2 Kor 4,14; 1 Thess 1,10, Röm 10,9; 1 Kor 15,17), so daß der Ausleger eigentlich zu der Konzession gezwungen sein müßte, »anzuerkennen, daß die Theologie des Apostels Kreuz und Auferweckung Jesu in gleicher Weise betont und folglich zwei Brennpunkte hat«45. Allerdings könnte man dann kaum bei der Auferstehung stehenbleiben; weitere mögliche Schwerpunkte der paulinischen Theologie ließen sich mühelos hinzufügen, so daß sich die Feststellung 41 42 43 44 45
Ebd. AaO 84. Ebd. AaO 84f. AaO 86.
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aufdrängte, »daß selbst Kreuz und Auferstehung nur einen Ausschnitt aus einer Kette bilden, zu der nicht zuletzt die Betrachtung Christi als des Schöpfungsmittlers gehört und der allein eine Theologie der Heilstatsachen gerecht werden kann, wie sie sich heute der größten Beliebtheit erfreut«46 . Eine solche Einordnung der Kreuzestheologie in einen größeren Zusammenhang würde diese aber gegen ihre ursprüngliche Intention nivellieren und relativieren. Für Käsemann steht dann aber das reformatorische Profil der evangelischen Theologie überhaupt auf dem Spiel, wie er am Beispiel einer gegen die Exklusivstellung des Kreuzes opponierenden ›Theologie der Heilstatsachen‹ erläutert: »Crux sola nostra theologia kann man einzig sagen, wenn damit das zentrale und in gewisser Hinsicht alleinige Thema christlicher Theologie bezeichnet wird. Die Aussage wird rhetorisch, wenn das Kreuz ein oder selbst das wichtigste Glied in einer Kette ist. Ob einem das lieb oder leid ist, bleibt dann das Kreuz im Schatten der Auferstehung und der Heilstatsachen. Dann sind allerdings 1. Kor 1–2 gegen die feierlichsten Erklärungen des Apostels rhetorisch und ein Zeugnis theologischer Übertreibung und Selbstvergessenheit.«47 Die These von der schlechthin zentralen Bedeutung der Kreuzesbotschaft läßt sich vor solchem Hintergrund nur dann durchhalten, »wenn wir das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung oder Heilstatsachen besser verstehen, als die Paulus-Auslegung fast durchweg vermag«48 . Käsemann weist darauf hin, daß für Paulus der einzige Zugang zu Kreuz, Auferweckung und Erhöhung Christi die Predigt ist. Gegen diese können die sogenannten Heilstatsachen auf keinen Fall ausgespielt werden: »So gewiß sie die Predigt begründen, so wenig hat man sie anders als durch die Predigt.«49 Mehr noch: in ihrer irdischen Sichtbarkeit bleiben Kreuz auf Auferweckung Jesu zweideutig und »schaffen eben nicht bloß Glauben, sondern zugleich Unglauben«50 . Das in ihnen begegnende Heil »muß offenbart und geglaubt werden«51, weshalb es Heilsgewißheit »allein mittels der Predigt«52 gibt. Und von hier aus kann Käsemann folgerichtig sagen, daß die Predigt »Heilsbedeutung für uns [hat], und […] alles Heil für uns an sie gebunden [ist]«53. Die Rede von den Heilstatsachen führt dagegen zu dem Verlust einer Theologie des Wortes und zu einer Theologie der Epiphanien und damit geradewegs in den »Bereich der allgemeinen Religiosität«54 zurück. Sie verwischt die Grenzen zwischen Christentum und Heidentum und genau an dieser Unklarheit liegt es für Käsemann, daß «der heutige Protestantismus 46 47 48 49 50 51 52 53 54
AaO 87. AaO 88. AaO 89. AaO 90. AaO 91. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 92.
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überall in sich unsicher und im ganzen fragwürdig geworden ist«55. Der Heilscharakter der Predigt, den Käsemann übrigens wie selbstverständlich und ohne weitere Begründung mit der Verkündigung der Kreuzesbotschaft gleichzusetzen scheint56 , konstituiert den unlöslichen Zusammenhang von Kreuzes- und Worttheologie: »Die Theologie des Kreuzes und die Theologie des Wortes gehören zusammen und werden gemeinsam verspielt oder gewonnen.«57 Paulus kannte nach Käsemann nur einen Glaubensinhalt, nämlich »Christus als Herrn«58 . Als solcher kann er niemals das Objekt von Überzeugungen, dogmatischen Fixierungen, religiösen Gewohnheiten, Weltanschauungen oder Ideologien werden. Allerdings ist die Christenheit in Käsemanns Sicht gerade dieser Gefahr erlegen, denn diese »ertrinkt wie einst die korinthische Gemeinde in einem religiösen Reichtum, der in Wahrheit ein Chaos ist«59. In solchem Chaos geht natürlich die Anerkennung des Herrseins Christi unter, und Christus wird nach Käsemann heute am meisten von den Christen selber bestritten, »weil über ihrem religiösen Betrieb und ihren dogmatischen Überzeugungen seine Herrschaft illusionär, theoretisch, imaginär wird« 60 . Das entscheidende Merkmal dieser Herrschaft, das sie zugleich von allen anderen Religionsstiftern unterscheidet, ist nun allerdings »allein das Kreuz« 61. Und so kann Käsemann alle seine bisherigen Ausführungen noch einmal zugespitzt zusammenfassen: »Wenn Theologie unverwechselbare Aussagen über Jesus geben soll, müssen alle ihre Feststellungen auf das Kreuz bezogen werden. Genauso bleibt Nachfolge unverwechselbar nur als Jüngerschaft des Gekreuzigten. Das Kreuz ist Grund und Maß der Christologie.« 62 Auf dieser, ganz auf der Linie des Kählerschen Programms von 1911 liegenden, Grundlage wendet sich Käsemann noch einmal einer präzisen Bestimmung des Verhältnisses von Kreuz und Auferstehung zu: die Auferstehung ist Erkenntnisgrund der Heilsbedeutung des Kreuzes Christi. Denn erst seit Ostern ist es ja möglich, Jesus im Hinblick auf die Heilsgewißheit des Menschen zu erkennen. Das ist auch die Voraussetzung der Theologie des Wortes, denn »durch das Wort der Verkündigung handelt nach dem Zeugnis des gesamten Neuen Testamentes der Auferstandene« 63. Außerdem ist Jesu Kreuz von 55
Ebd. Diese Gleichsetzung von Wort- und Kreuzestheologie wird aaO 106 explizit greifbar, wo Käsemann schreibt, daß die paulinische Theologie »Theologie des Wortes [ist], weil allein durch das Wort vom Kreuz dieser Tod Jesu gegenwärtig, Gnade, Verheißung, Verpflichtung bleibt […]«. 57 AaO 92f. 58 AaO 95. 59 AaO 97. 60 AaO 98. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 AaO 99. 56
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den Jüngern offenbar zunächst als dunkles Rätsel empfunden worden. Auf diesem Hintergrund stellt Käsemann sich noch einmal der Gegenprobe zur behaupteten Exklusivität des Kreuzes, ob die »Kreuzestheologie nun zu einem Kapitel der Auferstehungstheologie werden«64 muß. Für Paulus selbst war Jesu Auferweckung allerdings nicht als Geschehen einer individuellen Totenauferweckung gemeint, sondern sie stellte für ihn den »Herrschaftsantritt dessen, mit dem das Reich göttlicher Freiheit beginnt«65 , dar. Die Auferweckung Jesu galt vorpaulinisch ohnehin »von vornherein als Inthronisation […] und die Osterscheinungen [wurden] als Manifestationen des schon Erhöhten begriffen«66 . Das barg allerdings die Gefahr, das Kreuz nur als Durchgangsstation auf dem Weg der Erhöhung zu verstehen (›Durchs Kreuz zur Krone‹), wodurch es in den Schatten seiner Erhöhung rückt, »sei es im Rahmen einer heilsgeschichtlichen Theorie, sei es moralisierend als Modell jenes christlichen Weges, auf dem, nicht ohne göttlichen Anstoß und göttliche Mitwirkung, die Transzendierung unseres irdischen Weges und der Natur durch die Übernatur schließlich doch proklamiert werden kann« 67. Das paulinische Verständnis des Kreuzes steht einer solchen Auffassung aber diametral entgegen. Selbstverständlich ist auch für Paulus »der Auferstandene derjenige, welcher die Herrschaft antritt. Doch wird das Kreuz nicht zum Weg dahin und zum Preis dafür. Es bleibt vielmehr die Signatur des Auferstandenen.«68 Gerade in der Auseinandersetzung mit den korinthischen Enthusiasten wurde für Paulus so die Interpretation der Auferstehung zu einem nur vom Kreuz her lösbaren Problem. Denn hier zeigte es sich zum ersten Mal, »daß eine dem Kreuz vorgeordnete und ihm gegenüber isolierte Auferstehungstheologie zu einer christlichen Variation religiöser Weltanschauung führt, in welcher die Nachfolge Jesu und die Herrschaft Christi ihre konkrete Bedeutung verlieren«69. Demgegenüber hat Paulus unmißverständlich zur Geltung gebracht, daß Glaube und Nachfolge nur dann auf das Evangelium bezogen bleiben, wenn sie exklusiv auf das Kreuz hin orientiert bleiben und von hier aus Inhalt und Richtung empfangen: »Nur der Gekreuzigte ist auferstanden, und die Herrschaft des Auferstandenen geht gegenwärtig so weit, wie dem Gekreuzigten gedient wird.«70 Die Herrlichkeit der Auferstehung trägt bleibend die Züge des Gekreuzigten, ja, sie ist nur in diesen Zügen überhaupt anschaubar. Deshalb ist Nachfolge immer Kreuzesnachfolge. Zu ihr überhaupt befähigt zu werden, ist die im irdi64 65 66 67 68 69 70
Ebd. Ebd. AaO 100. AaO 100f. AaO 101f. AaO 102f. AaO 103.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
schen Leben also nur im Paradox erfahr- und lebbare Form der Auferstehungsherrlichkeit. Das Kreuz ist so für Käsemann das Kriterium, an dessen exklusiver Geltung sich ausweist, ob Theologie wirklich christliche Theologie, und ob Nachfolge wirklich Christusnachfolge ist: »Für (Paulus) besteht Jesu Herrlichkeit darin, daß er seine Jünger auf Erden willig und fähig macht, ihm das Kreuz nachzutragen, und die Herrlichkeit der Kirche und des Christenlebens darin, daß sie gewürdigt werden, den Gekreuzigten als Gottes Weisheit und Kraft zu preisen, nur in ihm das Heil zu suchen und ihr Dasein zu einem Gottesdienst im Zeichen von Golgatha werden zu lassen. Die Theologie der Auferstehung ist hier ein Kapitel in der Theologie des Kreuzes, nicht deren Überbietung. Seit Paulus erwächst aller theologischer Streit letztlich von einem Zentrum her und wird darum nur an diesem Zentrum entschieden: Crux sola nostra theologia.«71 Wir fassen zusammen. Käsemann steht in der untersuchten Schrift ganz und gar auf der durch W. v. Loewenich markierten Position der Kreuzestheologie, die er mit Recht als durch M. Kähler schon vorbereitet begreifen konnte. Diese Position ist dadurch gekennzeichnet, daß die Behauptung der Exklusivität des Kreuzes als dem identitätsstiftenden Merkmal des christlichen Glaubens durch Luther in der Tat nicht einfach ein Spezialproblem von dessen Frühtheologie berührt, sondern unmittelbar zum Wesen des christlichen Glaubens überhaupt vordringt. Zugleich tritt Käsemann von hier aus mit dem Anspruch auf, die reformatorisch-kreuzestheologische Perspektive auf Paulus sei zum Verständnis von dessen Theologie allein sachgemäß. Das gilt unbeschadet der zentralen Stellung der Rechtfertigungslehre in der paulinischen Theologie, denn Paulus habe die ihm vorgegebene rechtfertigungstheologische Tradition kreuzestheologisch zugespitzt, so daß das Kreuzesgeschehen sachlich als Grund und Kernstück der Rechtfertigung verstanden werden kann. Käsemann bringt insgesamt die Kreuzestheologie sowohl in ihrer alle Theologie orientierenden kriteriologischen Bedeutung als auch in ihrer polemischen Funktion zur Geltung. Seine dezidierte und pointierte Interpretation der paulinischen Theologie im Sinne des v. Loewenichschen Konzeptes, das sich seinerseits ja als eine über den historischen Befund hinausgehende dogmatische Prinzipialisierung der Kreuzestheologie Luthers herausgestellt hatte, rechtfertigt es, beim Exegeten Käsemann geradezu von einer »dogmatischen« Kreuzestheologie zu sprechen.
71
AaO 106f.
4. Verborgen versöhnt – Kreuzestheologie bei Gerhard Ebeling
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4. Verborgen versöhnt – Kreuzestheologie bei Gerhard Ebeling 4.1. Vorbemerkung zur Textauswahl Auch diesem Kapitel, das sich mit grundlegenden Momenten der kreuzestheologischen Konzeption von Gerhard Ebeling (1912–2001) beschäftigen wird, sind im Rahmen der Gesamtuntersuchung enge Grenzen in Bezug auf die Auswahl der zu besprechenden Texte gesetzt. Es ist unmöglich, etwa Ebelings zahlreiche, detaillierte und in jeder Beziehung außerordentlich ertragreiche Arbeiten zu Werk und Theologie Martin Luthers hier im einzelnen zu analysieren. Da aber – wie auch bei Hans Joachim Iwand und anders als bei dem eher eklektisch vorgehenden Jürgen Moltmann – Ebelings Kreuzestheologie aus eingehenden Lutherexegesen hervorgeht, greifen wir dankbar auf den meisterhaft verdichteten und auf das Wesentliche fokussierten Ertrag dieser Studien zurück, wie er in dem zuerst 1964 erschienen Buch »Luther. Einführung in sein Denken« vorliegt, das Ebeling selbst als die »Konzentration gleichsam auf den Herzschlag dieses Denkens«1 bezeichnen konnte. Was Ebeling kreuzestheologisch an Luther gelernt hat, findet bruchlos Eingang in seine explizit systematisch-theologischen Arbeiten, von denen wir hier das zuerst 1959 erschienene Buch »Das Wesen des christlichen Glaubens«2 heranziehen, in dem Ebeling gewissermaßen seine 1979 in erster Auflage veröffentlichte »Dogmatik des christlichen Glaubens« präduliert hat, deren zweiter, der Versöhnungslehre gewidmeter Band, schließlich den Hauptgegenstand unseres Interesses darstellt.
4.2. Vorläufige Bestimmung des kreuzestheologischen Typus bei Ebeling Gerhard Ebeling bestimmt das Kreuz als die Mitte sowohl des christlichen Glaubens als auch der auf diesen Glauben bezogenen Reflexion, der Theologie. Theologie ist für ihn »im ganzen theologia crucis und nicht abwechslungsweise statt dessen auch einmal als theologia incarnationis oder als theologia resurrectionis und so oder so als theologia gloriae zu charakterisieren«3. Theologie ist als ganze Kreuzestheologie, weil sich am Verständnis des Kreuzesgeschehens nicht nur die Christologie, deren »Herzstück«4 die Aussage über den Tod Christi ist, sondern das Gottesverständnis überhaupt entscheidet. Denn in der Botschaft 1 2 3 4
G. Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, (1964) 20065, V. G. Ebeling, Das Wesen des christlichen Glaubens, (1959), Nachdruck 1993. G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Band 2, 19893, 131. Ebd.
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vom Kreuzestod Christi werden Gott und Tod so eng zusammengedacht, »daß dieses Kreuz ein für allemal gültig aussagt, was es heißt, sich auf Gott einzulassen, daß darum auf dieses Kreuz Jesu hin geglaubt sein will, daß folglich der so geglaubte Gott der erst am Tode seine wahre Wirklichkeit erweisende ist und daß deshalb das Sicheinlassen auf diesen Gott das Teilhaben am wahren Leben ist«5. Diese Funktion des Kreuzes als der die ganze Theologie orientierenden Mitte hat Ebeling bereits bei Martin Luther ausgemacht, der, obwohl er den Begriff Kreuzestheologie nicht als »Richtungsschlagwort[…] in ständigem Gebrauch genommen hat«6 , doch mit theologia crucis »nicht ein Teilthema oder eine spezielle Art von Theologie, sondern was das Kriterium und der Ort wahrer Theologie überhaupt ist«7, gemeint habe. Es ist ganz deutlich, daß Ebeling damit die von Loewenichsche Generalisierungshypothese vertritt8 und – analog zum Vorgehen Iwands – diesen Interpretationstyp der Kreuzestheologie Luthers in die Dogmatik hinein vermittelt. Ebeling selber skizziert im Vorwort zur 1992 unternommenen Neuausgabe seines Buches »Das Wesen des christlichen Glaubens« seine »Herkunft einerseits aus dem Luther-Studium, andererseits aus der Dialektischen Theologie und der Phase ihrer Bewährung«9. Damit verweist er auf eine ganz ähnliche theologische und zeitgeschichtliche Herkunft wie auch Iwand und zugleich auf den theologiegeschichtlichen Zusammenhang mit W. v. Loewenich und seiner Lutherinterpretation. Auf den ersten Blick könnten Iwand und Ebeling so denselben kreuzestheologischen Typus repräsentieren. Allerdings darf der geschichtlich und hermeneutisch zunächst ähnliche Ausgangspunkt beider Theologen nicht über eine ganz entscheidende Differenz hinwegtäuschen: während Iwand, wie wir gesehen haben, die Kreuzestheologie weniger auf die Soteriologie als vielmehr auf das (wie auch immer präzise zu fassende) Wirklichkeitsverständnis beziehen wollte, ist es für Ebeling undenkbar, hier auch nur den kleinsten Anschein einer Alternative zu konstruieren: für ihn ermöglicht überhaupt erst das stringent soteriologische Verständnis des Kreuzesgeschehens einen unverstellten Blick auf die Wirklichkeit! Diese unterschiedliche Weichenstellung bei Iwand und Ebeling ist theologisch von nicht zu unterschätzendem Gewicht. An den Schülern beider Theologen wird das in der Konsequenz besonders deutlich sichtbar: 5
Ebeling, Wesen, 89. Ebeling, Luther, 259. 7 AaO 260. 8 Explizit schließt sich Ebeling an W. v. Loewenichs Position, die Kreuzestheologie sei ein Prinzip der gesamten Theologie Luthers, in seinem Aufsatz »Des Todes Tod. Luthers Theologie der Konfrontation mit dem Tode« (in: G. Ebeling, Theologie in den Gegensätzen des Lebens (Wort und Glaube IV), 1995, [612–642]), 612 in Verb. mit Anm. 13 an: Die Formel theologia crucis hebe nicht irgendeinen Gegenstand der Theologie Luthers hervor, sondern »[bestimmt] deren Wesen«. Diese kreuzestheologische Orientierung der Theologie ergibt sich nach Ebeling aus der »Konfrontation mit dem Tode« überhaupt (so ebd.). 9 Ebeling, Wesen, IX. 6
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während J. Moltmann die von seinem Lehrer Iwand bereits sanft intonierte Desoteriologisierung der Kreuzestheologie in ihrer politischen Operationalisierung auf die Spitze treibt, bemüht sich P. Bühler in der Linie G. Ebelings gerade hier um eine entschiedene, die Kreuzestheologie zu ihrem Wesen als Theologie zurückrufende, Korrektur. Diese Korrektur ist dabei kein bloß theoretischer Selbstzweck und dient auch nicht irgendeiner Positionierung in einem bestimmten theologischen »Lager«, sondern hat ein sachliches Ziel: dem Glauben zu dienen, indem das Heil auf rechte Weise streng als eine Veranstaltung Gottes zu des Menschen Gunsten begriffen wird, das durch die Aufhebung des Todes in die Versöhnung Gottes mit dem Menschen hinein auf einer tatsächlichen Veränderung der menschlichen Situation, nämlich der unhintergehbaren Überwindung der Sünde im Kreuzestod Jesu, beruht.
4.3. Das Kreuz in »Luther. Einführung in sein Denken« a) Theologia crucis als hermeneutischer Schlüssel zu Luthers Theologie Ebelings in ihrer Prägnanz und Konzentration immer noch beispielhafte Einführung in das theologische Denken Luthers liegt in kreuzestheologischer Hinsicht ganz auf der Linie der von Loewenichschen Generalisierung der Kreuzestheologie als dem Inbegriff von Luthers Theologie überhaupt. Ebeling vertritt – allerdings ohne Erwähnung v. Loewenichs – diese Position explizit, wenn er zu den Begriffen der theologia crucis und der theologia gloriae beim frühen Luther schreibt: »Obwohl er [sc. Luther] sie nicht etwa als Richtungsschlagworte in ständigen Gebrauch genommen hat, sondern nur selten wieder einmal aufgreift, hat er doch darin treffend sein Verständnis von Theologie zum Ausdruck gebracht. Denn wie er mit theologia gloriae den Grundzug der philosophisch begründeten scholastischen Theologie zu kennzeichnen beansprucht, meint er mit theologia crucis nicht ein Teilthema oder eine spezielle Art von Theologie, sondern was das Kriterium und der Ort wahrer Theologie überhaupt ist […].«10 Also kam bei Luther »mit ›theologia crucis‹ mehr zur Sprache als ein Augenblicksanliegen oder eine Eigentümlichkeit nur des jungen Luther. Das Stichwort wird zum Hinweis auf das, was ihm bleibend als die Grundorientierung theologischen Denkens aufgegangen war.«11
10 11
Ebeling, Luther, 259f. AaO 260.
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b) Theologia crucis als Weg, theologisch von Gott zu reden Dabei ist die Theologie an einer theologischen Bestimmung des Menschen ebenso interessiert wie an einer theologischen Bestimmung Gottes, am ›Deus theologicus‹. Luther hatte dazu die Theologie des Kreuzes von der der Herrlichkeit unterschieden. Diese Unterscheidung bezeichnet in der Ebelingschen Lutherinterpretation mehr als nur ein historisches oder theologiegeschichtliches Datum. Mit ihr ist nämlich nicht weniger in Anschlag gebracht als der theologisch-begriffliche Ausdruck der schlichten Alternative von rechter und falscher Theologie überhaupt. Indem Luther von Gott als dem »Deus theologicus« spricht und damit eine Näherbestimmung einführt, die andeutet, daß die Alternative von rechter oder falscher Theologie eben zuererst an der Rede von Gott selbst virulent wird12 , will er nach Ebeling zur Geltung bringen, »daß [Gott] der Deus crucifixus und absconditus ist«13. Das ist in Anlehnung an 1 Kor 1,18ff und im Gegensatz zu der in Röm 1,20 zur Sprache gebrachten Gotteserkenntnis der Heiden aus den Schöpfungswerken formuliert. Wo man vom Sichtbaren zum Unsichtbaren emporsteigt, kommt man nur zum herrlichen Gott, zum »Deus gloriosus«14. Die auf diesem Wege erreichte rein geistige, d.h. eigentlich nur in der metaphysischen Attributisierung Gottes bestehenden, Unsichtbarkeit, die im Grunde nichts anderes als eine »Glorifizierung der Welt«15 ist, hat mit »der Verborgenheit des schmachvoll gekreuzigten Gottes, der sich in die Sichtbarkeit, ins Fleisch, ins Leiden begeben hat«16 , nichts zu tun. Denn die »der Vernunft anstößige Verborgenheit des gekreuzigten Gottes wird dem, der glaubt, zum Ende aller eigenen Weisheit und Gerechtigkeit, um Gott wirken zu lassen«17. Die Gotteserkenntnis im Kreuz steht nämlich »im Zeichen des Widerspruchs«18 , und gerade als solche wird sie der Wirklichkeit überhaupt gerecht19 : der Theologe des Kreuzes sagt, ›was die Sache ist‹, »er bringt die Wirklichkeit in Wahrheit zur Sprache«20 . ›Vernünftige‹ Gotteserkenntnis kommt nicht über ein »Daß« Gottes hinaus – sein Wesen kann sie nicht erfassen, geht vielmehr in die Irre und ist eigentlich Anlaß, Gott im ›Finsteren‹ zu suchen 21. Luther wendet sich in seiner Abweisung vernünftiger Gotteserkenntnis gegen die »spekulative mystische Theo12
Vgl. aaO 259, wo Ebeling von der ›pseudotheologischen‹ Weise des Redens von Gott und Mensch in dem mit theologia gloriae bezeichneten Denktyp spricht. 13 Ebd. 14 AaO 261. 15 Ebd. 16 Ebd. 17 Ebd. 18 Ebd. 19 So ebd. 20 AaO 261f, in Anlehnung an Luthers 21. Heidelberger Disputationsthese. 21 So Ebeling, Luther 263.
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logie des Neuplatonismus«22 , die in das Geheimnis Gottes selbst vordringen und »Gott in seiner Gottheit selbst, Gott in seiner Majestät, in gänzlicher Unmittelbarkeit«23 zu begegnen trachtet. Für Luther ist derlei Gotteserkenntnis – sobald sie die bloße Spekulation überschreitet – »die Hölle«24. Das gilt auch für religiöse oder philosophische Gotteserkenntnis überhaupt: sie werden Ebeling zufolge aus der Haltung heraus getrieben, »Gott berechenbar und verfügbar zu machen, der von ihm her drohenden Gefahr aktiv zu begegnen und Gott in die Rolle dessen zu zwingen, der das billigt, was der Mensch tut«25. Überdies muß nach Ebeling die Gotteserkenntnis aus der Vernunft in den Atheismus münden, denn »die Vernunft kann der Anfechtung durch die Macht und den Widersinn des Bösen in der Welt nicht standhalten«26 . Denselben Effekt erzielt übrigens die »schwächliche, an der Wirklichkeit vorbeigehende Auffassung vom ›lieben Gott‹, dem das Vergeben selbstverständlich ist«27. c) Theologia crucis als Weg, theologisch von Mensch und Wirklichkeit zu reden In Anlehnung an die 24. Heidelberger These paraphrasiert Ebeling, daß die Dinge der Wirklichkeit nicht an sich böse sind, sondern der nichtige Gebrauch, den der Mensch von ihnen macht. Ohne die Kreuzestheologie, d.h. den rechten, aus Gottes Selbstidentifizierung im gekreuzigten Christus her gewonnenen Wirklichkeitszugang, werden die besten Dinge auf das übelste mißbraucht: »Theologie des Kreuzes zielt also in eminentem Sinne ins ›Praktische‹, auf den rechten Umgang mit der Wirklichkeit. Sie treibt in die Erfahrung, ist existentielle Theologie.«28 Praktisch ist in dem von Ebeling angestrebten strengen theologischen Verständnis aber gerade jene Theologie, die nicht auf die Werke und eine religiöse Überhöhung des Menschen setzt. Sondern praktisch – entgegen unserem landläufigem Verständnis – ist allein »die Theologie des Glaubens, weil des Werkes und Wortes Gottes, eine Theologie, deren ›Praxis‹ Anfechtung ist, und die allein so und deshalb Theologie der Gewißheit ist […]«29. Die Bedeutung der Anfechtung als der eigentlichen Praxis des Glaubens konnte Luther nicht oft genug einschärfen. 22
AaO 264. Ebd. 24 Ebd. 25 AaO 264f. 26 AaO 265. 27 Ebd. 28 AaO 262. 29 Ebd. Vgl. auch Ebeling, Dogmatik II, 517ff, wo Nachfolge und Glaube miteinander identifiziert werden: »Nachfolge ist nicht eine Ergänzung zum Glauben. Nachfolge ist vielmehr Glaube.« (aaO 525) Und in die andere Richtung: Der Glaube ist als solcher Nachfolge, »konkreter Glaube, nicht etwa nur oder gar in erster Linie durch die Umsetzung in die Tat, sondern primär und eigentlich durch Versetztsein in Jesus Christus, dahin, wo der Glau23
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In der Perspektive des scholastischen Naturbegriffs, der den Menschen als Ursprung seiner Werke und als Prinzip kontingenten Handelns verstand 30 , wird der Mensch »zunächst in seinem An-sich-Sein in Ansatz gebracht«31. Das für Luther als einziger Gegenstand der Theologie zentrale Thema des sündigen Menschen und des rechtfertigenden Gottes kommt in diesem, dem Kausalitätsdenken verhafteten, Schema, erst in zweiter Hinsicht zur Sprache. Causa und natura erweisen sich deshalb schon im Ansatz als untauglich, theologische Leitbegriffe abzugeben. Luther hat aus diesem Grund die scholastische Theologie als theologia illusoria 32 bezeichnet, »in der die Theologie aufgehört hat, theologia crucis zu sein«33. Wahre Gottes- und Menschenerkenntnis gibt es dagegen nur von Jesus Christus aus. Nicht das – spekulative, religiöse oder in Werke verstrickte – Emporsteigen des Menschen zu Gott, sondern die Menschwerdung Gottes im Mutterleib ist der Anfang solcher Erkenntnis34 , die sich schließlich unter dem Kreuz Jesu vollendet. Der Deus theologicus ist der wunderschaffende Gott (das Schöpferwort schafft ja auch aus dem Nichts!). Entsprechend ist auch der homo theologicus nur als Wunderwerk Gottes recht verstanden, als »die trotz ihrer Gottlosigkeit nicht von Gott preisgegebene Kreatur Gottes«35. So will Luther nach Röm 3,28 den Menschen entscheidend aus dem Geschehen der Rechtfertigung durch Gott heraus definiert sehen: »Nicht seine differentia specifica, die ihn von anderen Lebewesen unterscheidet, sondern das Handeln Gottes, das den Menschen im Geschehen der Rechtfertigung vom Menschen selbst unterscheidet und den Menschen dieses Lebens die Materie für das Leben seiner Zukünftigkeit sein läßt, definiert den Menschen; nicht in einem Lehrsatz, sondern in einem Geschehen, welches währt, solange dieses Leben und solange deshalb das Geschehen der Rechtfertigung des Sünders währt.«36 d) Deus absconditus in cruce et mundo Dieser rechtfertigende Gott ist, »wie es in der Sprache der theologia crucis heißt, der verborgene, nämlich der unter dem Gegensatz verborgene Gott«37. Hier widerspricht das Zeichen dem Bezeichneten. Das gilt auch für die Erfahrung des bende mit aller Lust und Unlust seines Lebens, mit allem Guten und Bösen darin angenommen ist und wo er seinen Ort hat, den Ort der Vergebung und Wiedergeburt, der Anfechtung und des Sterbens, den Ort, wo alles, was der Mensch tut und ist, in den Glauben hineingenommen und so dem Leben Jesu Christi überantwortet und anvertraut wird.« (aaO 526) 30 So aaO 267. 31 AaO 268. 32 So aaO 269. 33 Ebd. 34 AaO 270. 35 AaO 276. 36 Ebd. 37 AaO 272.
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Glaubens selber, in der die Annahme und der Trost Gottes nicht einfach im (sinnlichen) Erleben aufweisbar sind, ja, diesem sogar oft auf das Härteste widersprechen: »Weil die Offenbarung Gottes im Kreuz geschieht, darum ist hier alles auf Wort und Glaube gestellt.«38 Das kann dazu führen, daß dem Menschen die göttliche Gnade als Zorn bzw. Gott selbst als Teufel erscheint 39, denn »[im] Zeichen dieser Verborgenheit der Offenbarung unter dem Gegensatz steht alles, was Luther über Wort und Glaube, über Rechtfertigung und neues Leben, über den Heiligen Geist und über die Kirche sagt.«40 Die Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus, der am Kreuz offenbar wird, hat Luther nicht zu einer Entscheidung für den einen gegen den anderen veranlaßt. Luther hat sich nicht in eine Winkelfrömmigkeit zurückgezogen, die Gott zu einem »Herz- und Hausgötzen macht und ihn nicht als Herrn der Welt zu bekennen wagt«41. Es hätte nach Ebeling nahe gelegen, die Kreuzestheologie zur welt- und lebensfernen Frömmelei werden zu lassen, die Jesus nicht mehr mit dem uns völlig entzogenen und unbegreiflichen, dem allmächtigen Gott zusammenzubringen vermocht hätte, der in einer uns unzugänglichen Weise hinter allem Weltgeschehen angenommen werden muß42 . Ein Widerspruch liegt hier nicht vor, wenn man daran festhält, daß die Verborgenheit Gottes ja von Gott selbst verursacht ist, »daß also die Verborgenheit selbst Gott ist und so der offenbare Gott nur gegen den verborgenen Gott, Gott nur gegen Gott geglaubt werden kann und deshalb Gott als Gott im strengsten Sinn geglaubt werden muß«43. Wenn Gott nicht sogar der »in den Gottlosen und im Satan als der Allmächtige der letztlich Wirkende ist, so wäre er nicht als Gott ernst genommen, so wäre Gott ein lächerlicher Gott«44. Das bedeutet: wenn Gott nicht als der Deus absconditus auch in mundo gedacht wird, wird seiner auf das Heil des Menschen zielenden Verborgenheit am Kreuz Jesu die soteriologische Spitze abgebrochen, weil dann der Gottesgedanke überhaupt nicht durchgehalten würde. Der Gott, der »nur« am Kreuz verborgen wäre, wäre weniger als Gott. Aber dieser Gott ist es, an den wir uns angesichts der Rätsel des im Weltgeschehen verborgenen Gottes allein vertrauend zu halten haben.
38 39 40 41 42 43 44
Ebd. So aaO 273. AaO 274. AaO 277. So ebd. Ebd. AaO 278.
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4.4. Das Kreuz im »Wesen des christlichen Glaubens« und in der »Dogmatik des christlichen Glaubens« a) Das Kreuz in »Das Wesen des christlichen Glaubens« Es ist Ebelings Absicht, in diesem Buch die Frage nach dem Wesen des christlichen Glaubens als eine Frage zu stellen, »die mich nicht nur in dieser oder jener Hinsicht, sondern in meinem Selbstsein angeh[t]«45. Dieses schlechthin existentielle Interesse unterscheidet die Frage nach dem Wesen des christlichen Glaubens von Neugier oder Wissensdrang46 – wer diese Frage stellt, muß wissen, daß er »mit in den Bereich des Befragten gehör[t]«47. Indem der Fragende sich hier als Moment des Gegenstandes seiner Frage begreift, kommt die Wirklichkeit überhaupt in den Blick, zu dem das, wovon christliche Verkündigung redet, »in Relation«48 steht. Ebeling muß allerdings einräumen, daß diese Frage nach dem Wesen christlichen Glaubens selten wirklich offen und erwartungsvoll gestellt wird, und daß sie »gerade für einen an das Christentum Gewöhnten eine außerordentlich schwere Zumutung« 49 darstellt. Der Versuch, zum Wesen des christlichen Glaubens vorzudringen, stößt auf erhebliche Schwierigkeiten wie etwa die, daß die christliche Verkündigung »in der Gegenwart wie eine fremde Sprache wirkt«50 . Was davon an einzelnen Momenten wiederum allzu vertraut scheint, fordert kaum mehr zum »Erstaunen und Nachdenken« 51 heraus, ein Bezug zur gegenwärtigen Wirklichkeit wird meistens nicht mehr hergestellt. Aber für Ebeling geht es im christlichen Glauben »um nichts anderes als um diese unsere Wirklichkeit«52 , und das Betroffensein von dieser ist ihm »Kriterium für das Verstehen dessen, worum es im christlichen Glauben geht«53. Damit ist der Begriff des Wesens des christlichen Glaubens erreicht und mit ihm meint Ebeling – unbeschadet seiner Geschichte – »vorerst nichts anderes als das, worauf es eigentlich ankommt im christlichen Glauben, das, was ihn zum christlichen Glauben macht«54. Verkündigung und Wirklichkeit sind gewissermaßen die beiden Pole, die in dem Einleitungskapitel des Buches diejenige Spannung konstituieren, in der Ebeling die »großen Themen, die im christlichen Glauben beschlossen sind«55 , behandeln will. In der Reihe dieser 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55
Ebeling, Wesen, 2. AaO 1. AaO 3. AaO 10. AaO 7. AaO 10. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 13. AaO 14.
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Themen56 taucht das Kreuz Christi oder die theologia crucis nicht auf. Dennoch finden sich an mehreren Stellen zwar wenige, aber außerordentlich signifikante Erörterungen der Bedeutung des Kreuzesgeschehens, die dessen sowohl konstitutive als auch regulative Funktion für die Bestimmung dessen, was Ebeling als das Wesen des christlichen Glaubens verstanden wissen will, klar herausstellen. Wir konzentrieren uns im folgenden auf diese »Fundstellen«. Die Frage nach der Wahrheit des Glaubens konzentriert sich für Ebeling auf die Gottesfrage. Denn Glaube ist das Sicheinlassen auf Gott57. Jesus als Zeuge des Glaubens hat genau das getan, »und zwar nicht nur im Leben, sondern auch im Tod«58 , er hat das Ja zur Nähe Gottes selbst noch »in der Gottverlassenheit am Kreuz«59 durchgehalten. Solcher Glaube ist nicht imitierbar, sondern muß auf eigene Verantwortung hin gewagt werden. Zum Grund des je eigenen Glaubens ist Jesus deshalb geworden, »weil angesichts des gekreuzigten Zeugen des Glaubens sich auf Gott einzulassen nun einen radikalen Sinn erhalten hat; die Präsenz des Gekreuzigten sorgt dafür, daß der Glaube reiner Glaube bleibt« 60 , der sich auf keinerlei weltliche Sicherung mehr stützt. Zugleich ist die Radikalität des Glaubens angesichts des gekreuzigten Christus darin zu sehen, daß eben dieser Glaube das Bekenntnis zur Auferstehung Jesu von den Toten ist – nicht »trotz des Kreuzes Jesu, sondern gerade wegen des Kreuzes Jesu« 61. Damit wird auch Gott als der bekannt, der ›nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen‹ ist62 . Denn Gott und das Kreuz gehören so zusammen, »daß dieses Kreuz ein für allemal gültig aussagt, was es heißt, sich auf Gott einzulassen, daß darum auf dieses Kreuz Jesu hin geglaubt sein will, daß folglich der so geglaubte Gott der erst am Tode seine wahre Wirklichkeit erweisende ist und daß deshalb das Sicheinlassen auf diesen Gott das Teilhaben am wahren Leben ist«63. Gott konkret zu denken, heißt also, »Gott im Widerspruch denken. […] Nur in diesem 56 Jesus, der Glaube an Christus, Gott, Wort Gottes, Heiliger Geist, Mensch, Rechtfertigung, Liebe, Kirche, Welt, Anfechtung und Hoffnung, siehe aaO 14. G. Eichholz, Die Grenze der existentialen Interpretation. Fragen zu Gerhard Ebelings Glaubensbegriff (EvTh 22, 1962, 565–580) hat bemängelt, daß in allen Überschriften das »eine und entscheidende Stichwort (des Glaubens)« (aaO 565) vorkomme, worin sich zwar auf den ersten Blick systematische Geschlossenheit, im Grunde aber lediglich eine bedenkliche »Existentialisierung« (aaO 575) zeige, die Ebeling als »konsequente[n] Bultmannschüler« (aaO 574) ausweise. Der Leistungskraft des Ebelingschen Glaubensbegriffes, der ja nichts weniger beabsichtigt, als die verhandelten Einzelthemen zu bloßen Variationen ein- und desselben Themas (des ›subjektiven‹ Glaubens) zu machen, wird Eichholz mit diesem Vorwurf allerdings nicht gerecht. In ähnliche Richtung geht auch F. Duensing, Fragen zu Ebelings Glaubens- und Gottesbegriff (EvTh 24, 1964, 34–45). 57 So aaO 88. 58 Ebd. 59 AaO 65. 60 AaO 89. 61 Ebd. 62 So ebd., nach Mk 12,27. 63 AaO 89.
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Widerspruch gegen Sünde und Tod kann von Gott recht gesprochen werden.« 64 Dieser Widerspruch ist der konkrete Ort des Redens von Gott, und indem der Glaube diesen Ort betritt, zielt er auf konkrete Wirklichkeitsverantwortung. Denn die Einsicht in den Umstand, daß Leben und Welt von Sünde und Tod gezeichnet sind, bedeutet gerade den rechten Zugang zur Wirklichkeit als solcher. Insofern das aber ein Zugang allein des Glaubens ist, ist gerade der Glaube »der schärfste Feind von Aberglaube und Illusion« 65 und »fordert geradezu einen redlichen und gewissenhaften Gebrauch der Vernunft und offene Augen für die Wirklichkeit«66 . Allerdings ermöglicht der Glaube nach Ebeling in seinem prägnanten und genau qualifizierten Begreifen Gottes und der Wirklichkeit auch den neuzeitlichen Atheismus erst richtig: »Nur wo Gott so radikal verkündet und geglaubt wird, kann er auch so radikal negiert werden.«67 Gott angesichts des Gekreuzigten zu glauben – ja, ihn erst vom Gekreuzigten her eigentlich und ausschließlich zu glauben – hat selbstverständlich erhebliche Konsequenzen für die Art und Weise, solchen Glauben auf Erfahrung zu beziehen. Die Frage nach diesem Bezug ist unausweichlich, ist doch der Ort des Glaubens »die Welt, genauer: die Zeit« 68 , und er selbst eben deshalb »nicht an sich, sondern in seinem Bezogensein auf die ganze uns angehende Wirklichkeit zu bedenken«69. So kann zuletzt der Glaubende nur in seinem eigenen Leben »wirklich erfahren […], was Glauben heißt«70 . Damit ist aber die Frage aufgeworfen, was in diesem Zusammenhang überhaupt »Erfahrung« heißen kann. Nun ist es die grundlegende Signatur des Glaubens, gegen seine ständige Infragestellung durchgehalten zu werden – dieses Infragegestelltsein bzw. diese Angefochtenheit gehört allerdings zum Wesen des Glaubens selbst71. Wird der Glaube in diesem Sinne – und nur als ein Wunder72 – durchgehalten, dann »reiht sich hier offenbar Erfahrung an Erfahrung«73, ohne daß allerdings die Wahrheit des Glaubens selber zur Erfahrung kommt. Denn der Gott des christlichen Glaubens kommt »eben gerade nicht zur Erfahrung. Sondern hier gilt reiner Glaube, der sich allein auf die Zusage verläßt, allein an das Wort sich hält. […] Der Glaube glaubt gegen alle Erfahrung. […] Nur im ›dennoch‹ kann geglaubt werden.«74 Der Glaube glaubt »nicht nur mehr, als er erfährt, sondern entgegen
64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74
AaO 91. Ebd. Ebd., Hervorhebung im Original. AaO 97. AaO 212. Ebd. AaO 223. So aaO 213. So ebd. AaO 223. AaO 224.
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aller Erfahrung«75. In dieser prinzipiellen Opposition gegen alle bekannte, vertraute Lebens- und Welterfahrung öffnet sich der Horizont der Glaubenserfahrung zur letzten Tiefe der Anfechtung hin, in der sich der Glaube »von dem, auf den er sich verläßt, verlassen«76 sieht. Gottes Zusage wird in ihr als eine Absage erfahren, sein Ja schlägt in Nein um und »die Gewißheit des Heils in Gewißheit der Verdammung, Glaube in Verzweiflung«77. Angesichts dieser Lage stellt sich für Ebeling die Frage nach der Zukunft des Glaubens und nach dem Stellenwert der Lehre von den ›letzten Dingen‹78 . Wir haben uns an dieser Stelle darauf zu konzentrieren, inwiefern gerade die Orientierung an dem Datum des Kreuzesgeschehens den Blick auf die Zukunft des Glaubens an den Gekreuzigten freigibt. Angesichts der Anfechtung, deren Gegenwärtigkeit den Glauben eigentlich überhaupt erst als Glauben im strengsten, auf nichts anderes als auf Gottes Heilszusage bauenden, Sinne erweist, kann von der Zukunft dieses Glaubens nur dann recht und nicht bloß im Sinne eines überflüssigen Anhangs gesprochen werden, wenn eben der auf Zukunft bezogene Charakter des Glaubens konsequent unterstrichen und festgehalten wird. »Glaube und Zukunft«, so Ebeling, »gehören wesenhaft zusammen«79. Der Glaube läßt das Zukünftige kommen – unbeschadet der Ungewißheit des Kommenden. Analog zur Anfechtung ist gerade das »schlechthin Ungewisse[…]«80 das »Element, wo er [scil. der Glaube] sich zu bewähren hat«81. Ebeling kann sogar sagen, daß der Glaube nicht bloß Zukunft hat, sondern Zukunft ist82 . Dabei ist der Glaube nicht allein auf die »eschatologische, endgültige Zukunft«83 ausgerichtet, sondern gehört »selbst schon zum Geschehensvollzug des Endgültigen, Eschatologischen«84. Und mit dem Blick auf seinen Charakter als einem reinen Sich-Anvertrauen der Gnadenzusage Gottes, das nichts außer sich als Grund des Heils kennt, öffnet sich die Perspektive auf die kreuzestheologische Grundorientierung des Glaubens. Denn es ist gerade das Kreuz, von dem her der Glaube sein Wesen darin gewinnt, ganz Ausrichtung auf die Zukunft Gottes zu sein und keines anderen ›Relevanzaufweises‹ zu bedürfen, als der mit diesem Glauben geschenkten Heilsgewißheit: »Richtet der Glaube seinen Blick auf den gekreuzigten Jesus, so hat er damit zwar ein historisches Faktum der Vergangenheit vor Augen. Aber geglaubt ist es nur, sofern darin 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84
Ebd. AaO 225. Ebd. So aaO 226. AaO 229. AaO 230. Ebd. AaO 231. AaO 233. Ebd.
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die Zukunft entspringt, sofern Verheißung von da ausgeht, rettendes, durch nichts in seiner Wirksamkeit aufzuhaltendes, endgültiges, ein für allemal gültiges Wort.«85 Dieses den Glauben gründende und erhaltende Wort ergeht in Raum und Zeit, und läßt doch die Dinge in Raum und Zeit anders zur Sprache bringen, als das außerhalb des Glaubens geschähe: Begriffe wie Gott, Welt und Zukunft bekommen einen anderen Sinn, eine neue Bedeutung. Dennoch gleitet der im Glauben sich vollziehende »Wandel des Bedeutungssinnes«86 nicht in eine »Sonder- oder Geheimsprache«87 ab. Die Welt und die Zeit bleiben die Horizonte des Glaubens. Und diesen Horizonten bleibt der Glaube angefochtener Glaube, der sich eben nicht in eine esoterische eigene Welt und eigene Zeit zurückziehen darf, wenn er sich nicht der mit seinem Bezug zur ›realen‹ Welt und zur ›realen‹ Zeit der Anfechtung entziehen will: »Ein Glaube aber, der sich der Anfechtung entzieht, bleibt nicht Glaube. Der Glaube stirbt nicht an der Anfechtung, sondern er stirbt an der Flucht vor der Anfechtung.«88 Das können wir – nach dem zuvor über das Kreuz und seinen unlösbaren Zusammenhang mit ihm Gesagten – auch kreuzestheologisch paraphrasieren: Der Glaube stirbt nicht angesichts des Kreuzes, aber er stirbt an der Flucht vor dem Kreuz, am Ausblenden des gekreuzigten Christus. Will man angesichts des Kreuzes, und das heißt aus dem Angefochtensein des Glaubens heraus, von der Zukunft sprechen, um die dieser Glaube weiß, von der er redet und die in ihm schon anbricht, dann werden nach Ebeling »letzte Entscheidungen fallen«89. Denn gerade so spitzt sich ja die Frage zu, ob der Tod das letzte Wort hat, oder ob es ein Wort gibt, »das dem Tode das letzte Wort streitig macht und dem Sterbenden und dem Toten noch gilt«90 , ob also der Tod oder aber Gott »die Zukunft der Zukunft«91 ist. Weil der Glaube nun Gott als die Zukunft bekennt, braucht er weder Tod noch Anfechtung ausweichen92 . Dem Glaubenden ändert sich damit seine Zukunft – die lediglich dem Augenschein nach dieselbe bleibt wie unter Absehung vom Glauben: »Der Glaube schafft eine neue, schafft wahre Zukunft, indem er im Aushalten dieser menschlich-allzumenschlichen Zukunft Gott als die Zukunft der Zukunft preist und damit das Angesicht dieser Zukunft wandelt.«93
85 86 87 88 89 90 91 92 93
AaO 236. AaO 237. Ebd. AaO 238. AaO 240. Ebd. AaO 241. So ebd. Ebd.
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Dem im Glauben getrösteten Gewissen wird die Zukunft nicht zum Fluch, sondern zum Segen, es ist in der Lage, »das Zeitliche, alles Zeitliche zu segnen«94. b) Das Kreuz in der »Dogmatik des christlichen Glaubens« aa) Das Kreuz als kriteriologische Mitte der Dogmatik Theologia crucis beschreibt für Ebeling, wie wir gesehen haben, die Mitte des christlichen Glaubens – das Kreuz Jesu muß damit auch zum Zentrum seiner Dogmatik werden. Mehrfach betont Ebeling die schlechthin zentrale Funktion der Kreuzestheologie im zweiten, der Christologie gewidmeten, Band seiner Dogmatik ganz ausdrücklich. Ebeling unterstreicht diese Stellung des Kreuzes gerade auch in der Abgrenzung von den flankierenden christologischen Themen Menschwerdung und Auferstehung. Denn es ist für ihn zunächst »der Haupttest für die integrierende Erfassung christologischer Aussagen eben der, daß das Bekenntnis zur Auferstehung das Kreuz nicht aufhebt, sondern allererst aufrichtet«95. Zwar hat unter doxographischem Aspekt (d.h. der Frage, wie sich die christologische Erkenntnis entfaltet hat) die Auferstehungsgewißheit »den historischen und sachlichen Primat«96 . Dennoch steht die Aussage über den Tod »als Herzstück der Christologie«97 in der Mitte zwischen der Menschwerdungs- und der Auferstehungsbotschaft: »Denn am Verständnis des Kreuzesgeschehens entscheidet sich sowohl das der Menschwerdung Gottes als auch das der Auferstehung. Um dieser christologisch zentralen Bedeutung des Kreuzes willen ist die Theologie im ganzen theologia crucis und nicht abwechslungsweise statt dessen auch einmal als theologia incarnationis oder als theologia resurrectionis und so oder so als theologia gloriae zu charakterisieren.«98 Diese kreuzestheologische Signatur empfängt das Ganze der Theologie von eben demselben Charakter des christlichen Glaubens überhaupt. Denn in seiner Entstehung war das Ereignis der Kreuzigung Jesu der »schlechterdings kritische Punkt«99, zugleich ist mit der Beziehung zu diesem Kreuzestod »die kritische Schwelle zum spezifisch Christlichen markiert«100 : »Die Ausrichtung auf den Gekreuzigten ist dasjenige, was unverwechselbar den christlichen Glauben kennzeichnet.«101 Aber ungeachtet dieser Zentralfunktion des Kreuzesge94 95 96 97 98 99 100 101
Ebd. Ebeling, Dogmatik II,w 131. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 156. Ebd. Ebd.
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schehens für den Glauben102 bleibt es eine Sache schwerer Auseinandersetzungen, die Tragweite der Botschaft von diesem Geschehen zu erfassen. Das galt schon für Paulus im Streit mit den Korinthern und es »bleibt seither ständig neu zu durchkämpfen, welches Gewicht dem zukommt, daß das Christuswort das Wort vom Kreuz ist«103. Die Evangelien bringen dieses Gewicht zur Geltung, indem die Passionsgeschichte ihr umfänglicher »Schwerpunkt« und sachlicher »Zielpunkt«104 ist, auf die alles andere als ihre Vorgeschichte hingeordnet ist. Von dieser Gewichtung der Passionsgeschichte in den Evangelium empfängt nun die christliche Verkündigung generell ihr kreuzestheologisches Gepräge: »Was sich an der Form des Evangeliums zeigt, gilt nun aber für die christliche Verkündigung überhaupt: In ihr ist das Wort vom Kreuz nicht ein Thema neben vielen anderen, sondern der Skopus und damit das Kriterium von allem.«105 Diese exklusive kriteriologische Funktion des Wortes vom Kreuz (Ebeling spricht ausdrücklich von ›dem‹ Kriterium von ›allem‹!) ergibt sich schlicht daraus, daß Gott sich im Gekreuzigten selber zu erkennen gibt. Deshalb kann der Gottesbegriff nicht mehr ohne den Bezug zum Kreuzestod Christi gefaßt werden, weil dieser der Schlüssel zum rechten christlichen Gottesverständnis ist. Christliche Verkündigung ist deshalb natürlich nicht auf ein einziges Thema einzuengen. Das Kreuz muß keineswegs immer und überall explizit thematisch werden. Aber auch, wenn die Verkündigung in inhaltlicher Hinsicht von sehr vielem zu reden hat, gibt doch das Wort vom Kreuz »allem christlichen Wort die entscheidende Ausrichtung«106 . Denn »daß sie [sc. die Verkündigung] von allem in der rechten Weise spricht und daß sie überhaupt die Fülle ihres Inhalts zur Aussage bringt, hängt von der konzentrischen Ausrichtung auf eben dieses Thema ab. […] Nur dann ist das Wort vom Kreuz in der rechten Weise wahrgenommen, wenn es in die Weite greift und Himmel und Erde umspannt und wenn es zugleich den Cantus firmus abgibt, dem alles andere zu- und untergeordnet ist.«107 bb) Die Frage nach dem Menschsein des Menschen und der Menschwerdung Gottes angesichts des Todes In der Entfaltung seiner Christologie wählt und begründet Ebeling zunächst einen anthropologischen Zugang zum Tod Christi und seiner Bedeutung. Wenn der Tod und Gott so eng wie im Kreuzestod Jesu zusammengedacht werden108 und von der Heilsbedeutung dieses Todes gesprochen werden soll, »dann muß 102 103 104 105 106 107 108
So aaO 210. AaO 211. Ebd. Ebd. AaO 219. Ebd. Vgl. dazu auch G. Ebeling, Des Todes Tod, 620ff.
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dabei die ganze Härte menschlicher Todeswirklichkeit und Todeserfahrung präsent sein«109. Das Verständnis des Todes Jesu bewegt sich zwar nicht einfach in den Grenzen menschlicher Todeserfahrung, aber wenn diese ignoriert würden, dann »drohte ein krasser Doketismus«110 . Ebeling versteht den Tod nicht nur als Endphase des Lebens, sondern spricht von dessen »das ganze Leben durchdringenden Präsenz«111, die dazu zwingt, »daß man sich zu dem in jedem Augenblick dahinschwindenden Leben in irgendeiner Weise verhalten muß«112 . Damit wird der Tod zur regelrechten Lebensaufgabe, auch wenn gilt, daß dem »Tod gegenüber […] das Leben letztlich schlechterdings passiv«113 ist. Aber das Verhältnis des Menschen zum Tod ist doch insofern auch aktiver Natur, weil der Tod das ganze Leben begleitet und also den Menschen unablässig herausfordert, sich zu ihm ins Verhältnis zu setzen. Bejahung und Verneinung des Todes sollten schließlich zu einer Einheit verschmelzen: »Verneinung insofern, als der Mensch nicht durch Lebensüberdruß und Todestrieb zum Anwalt des Todes werden, sondern dem Tod zum Trotz dem Leben dienen und sich seiner freuen soll; Bejahung aber insofern, als er nüchtern mit dem Tod rechnen und deshalb das Leben desto ernster nehmen soll, um gegebenenfalls bereit zu sein, den Tod anzunehmen, vielleicht auch, wenn die Umstände es nahelegen, sich nach ihm zu sehnen, nicht jedoch in Bitterkeit und mit einem Fluch auf das Leben, sondern als einer, der alles loszulassen und das Zeitliche zu segnen gewillt ist.«114 Vom Tod her stellt sich die Frage, »was es mit dem Menschsein auf sich hat«115 , in äußerster Schärfe – und für Ebeling stellt sich analog »auch erst von Jesu Sterben am Kreuz her die Frage, was es mit der Menschwerdung Gottes auf sich hat: ob sie denn wirklich auch den Tod und warum eben diesen Tod mit einschließt«116 . Der Tod, um den es hierbei geht, ist der Kreuzestod. Das Kreuz ist zwar einerseits »in unbestrittener Einmütigkeit zu dem christlichen Symbol schlechthin geworden«117. Dennoch wurde es andererseits nicht immer mit der »strengen Ausschließlichkeit«118 versehen wie bei Paulus und auch Luther, es prägt vielmehr »in vielen Variationen die christliche Frömmigkeit«119. In der 109
Ebeling, Dogmatik II, 132. Ebd. 111 AaO 133. 112 Ebd. 113 AaO 142. 114 AaO 142f. Der Gedanke, daß aus der recht verstandenen Bejahung des Todes die Freiheit erwächst, alles »Zeitliche zu segnen«, war uns in weitgehend identischer Formulierung schon im »Wesen des christlichen Glaubens«, aaO 241 begegnet. 115 Ebeling, Dogmatik II, 149. 116 Ebd. 117 AaO 150. 118 AaO 151. 119 Ebd. 110
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Fülle seiner Deutungen hat sich das Kreuz »aus einer furchtbaren Realität in ein religiös verklärtes Bild verwandelt, aus einem blutigen Geschehen gar in eine blutleere theologische Chiffre«120 . Viele theologische Theorien scheinen gar das Kreuz weitgehend zu entstellen. Diese Beobachtung wirft die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit einer Orientierung der Theologie am Kreuzesgeschehen überhaupt auf: »Das eine Kreuz ist offenbar nicht nur auf eine, einhellige Weise sagbar oder wohl letztlich überhaupt nicht sagbar. Muß nicht aber dann die Theologie, statt als theologia crucis vom Kreuz zu leben, an ihm scheitern?«121 cc) Das Verstehen des Kreuzes als befreiendes Lebensverstehen Eng mit dieser grundsätzlichen Bedeutungsverschiebung des Kreuzes, die in die Pluralität seiner Deutungen mündete, ist das Problem des Umgangs mit den in Frömmigkeit und Theologie verankerten und eigentlich zur deutenden Übersetzung des Kreuzesgeschehens in – einst – vertrautere Vorstellungen wie die vom Sühnetod, von Stellvertretung und Satisfaktion, von Opfer und Loskauf etc. verbunden, die »vielfach nicht mehr als Schlüssel zum Verstehen empfunden [werden], sondern nur noch als unverständliche Verschlüsselungen«122 . Diese Verstehensprobleme sind nun für Ebeling nicht allein durch historische Abstände verursacht. Auch dem antiken Menschen war der Zugang zum Verständnis des Kreuzes nicht einfach leicht erschwinglich. Auf jeden Fall werden die zeitbedingten Verständnisschwierigkeiten dadurch »relativiert, daß sich das eigentliche Verstehenshindernis an anderer Stelle befindet«123. Das hat schon Paulus durch seine prinzipielle Gleichstellung von Juden (Kreuz als Skandal) und Griechen (Kreuz als Unsinn) artikuliert: »Es liegt nicht an einer zufälligen Haltung, sondern an dem grundsätzlichen Gegensatz der Kreuzesbotschaft zu den Wunschbildern und Maßstäben, die dem sündigen Menschen überhaupt in bezug auf sich selbst und bezug auf Gott eigen sind. Deshalb fällt dafür der Unterschied der Zeiten nicht stärker ins Gewicht als der in der Perspektive des Paulus am schwersten wiegende Unterschied unter seinen Zeitgenossen.«124 Anders gesagt: Ebeling macht die Sünde als die Wurzel aller Hindernisse auf dem Weg zu einem angemessenen Verständnis des Kreuzesgeschehens namhaft. Das bedeutet – so kann Ebeling hier verstanden werden –, daß die ›zeitbedingten Verstehenshindernisse‹ dadurch nicht allein relativiert, sondern überhaupt erst richtig verstanden werden, wenn sie auf die Sünde als das eigentliche Widerstreben des Menschen dagegen zurückgeführt werden, sich durch das Wort vom Kreuz entgegen aller Wunsch- und Trugbilder Gottes sagen zu las120 121 122 123 124
Ebd. Ebd. AaO 152. AaO 153. Ebd.
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sen, wie die Dinge in Wahrheit beschaffen sind (vgl. wieder Luthers 21. Heidelberger These!). Wird das Kreuzesgeschehen also streng theologisch auf die Sünde als den Fundamentalwiderspruch des Menschen gegen Gott bezogen, dann wird es zu einer schlechthin über die Existenz entscheidenden Frage, dieses Geschehen zu verstehen, wobei sich Verstehen und Geschehen auf das Engste verbinden und das Verstehen zuletzt mit der göttlichen Erwählung koinzidiert. Dieser letzte Gedanke Ebelings trägt ganz folgerichtig dem Umstand Rechnung, daß der Mensch aus eigener Wahl aus seinem Fundamentalwiderspruch gegen Gott, der Sünde, gar nicht aus eigener Kraft herausfinden kann: er könnte aus diesem Widerspruch heraus das Kreuzesgeschehen gar nicht wirklich verstehen, wenn dieses Verstehen nicht streng mit dem Widerspruch Gottes gegen diesen Widerspruch des Menschen gegen ihn parallel laufen und damit mit der Bejahung des Sünders durch Gott ineins fallen würde: »Verstehen wird somit hier zu einer Frage des Lebens selbst und nicht bloß des verstandesmäßigen Begreifens und ist darum letztlich Sache unbegreiflicher Erwählung (1. Kor 1,24). Gottes Erwählen aber ist von den geschichtlich differenten Verstehensvoraussetzungen unabhängig.«125 Das Kreuz will auf »seinen Logos hin«126 bedacht werden. Die Verstehensbemühung um die Kreuzesbotschaft hebt allerdings dessen Charakter als Skandalon oder Torheit nicht nur nicht auf, sondern will umgekehrt gerade zur Geltung bringen, worauf die Anstößigkeit dieser Botschaft zielt. Dann entfaltet sich das Verstehen des Kreuzes geradezu als befreiendes (d.h. den Fundamentalwiderspruch der Sünde durchbrechendes) ›Lebensverstehen‹ im oben angedeuteten Sinne: »Angesichts dessen, wie es mit den Erwartungen und Maßstäben des sündigen Menschen bestellt ist, muß sich Gottes Kraft und Weisheit in der Gestalt von Schwäche und Ohnmacht offenbaren (1. Kor 1,25). So dient die rechte Verstehensbemühung nicht der Abschwächung des Skandalons und einem Überschminken der Torheit. Vielmehr bringt sie diesen Anstoß mit aller Schärfe dort zur Geltung, wo sich der Umbruch vom Unglauben zum Glauben ereignen muß.«127 Diese Aufgabe, in eigener Verantwortung auszusagen, worin die Bedeutung des Todes Jesu besteht, wird aber weder in der Wiederholung kerygmatischer Formeln noch auch »durch eine dogmen- und theologiegeschichtliche Darstellung dieses Themas«128 gelöst. Das eigene Durchdenken »muß gerade aus Respekt vor jener großen Vielfalt auf den darin wirksamen einen Sachverhalt ausgerichtet sein«129. Dabei ist ein »Höchstmaß an eigenem Erfassen und Erfaßt125 126 127 128 129
AaO 154. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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werden«130 ebenso anzustreben wie »ein möglichst weitreichende[r] Consensus, der anderen das Einstimmen erlaubt«131. Die denkende Reflexion des Kreuzestodes »fügt sich dann diesem seinem Gegenstand, wenn sie sich an dessen Gegensätzlichkeit orientiert«132 , nämlich der »Polarität von Jesu Leben und seinem Tod am Kreuz«133, die seine Sündlosigkeit und seine Gottverlassenheit vor Augen stellt. Die christologische Erörterung über »das Kreuz als Versöhnungsgeschehen […] [konzentriert] sich auf diese beiden Schwerpunkte«134. dd) Das Kreuz Jesu: Gott im Zeichen des Gegensatzes Den Ausgangspunkt seiner Deutung des Todes Jesu soll nun bei Ebeling nicht etwa eine »bestimmte Theorie des Todes Jesu«135 bilden, sondern die »Erfahrung mit diesem Tode«136 . Erfahrung ist nie sprachlos, »Ereignis und Deutung lassen sich nie restlos auseinanderdividieren, kommen aber auch nie ganz zur Deckung«137. Diese Spannung bildet sich in der »Differenz von Erfahrung und Reflexion auf die Erfahrung«138 ab. Erfahrung gibt es also nicht ohne ein Mindestmaß an Explikation, diese ist aber oft noch suchend und unentwickelt. So aber kann Erfahrung wachsen. Das gilt allgemein, aber in besonderer Weise auch für den Tod Jesu. Denn das Geschehnis selbst ist zunächst nur in Ansätzen verstanden worden. Weitergehende Verstehensversuche sind mit der Zeit entstanden, »die wiederum auf die Erfahrung selbst einwirkten«139. Die ersten Erfahrungen mit dem Tod Jesu waren Gewißheit (im Blick auf Jesus und auf sich selbst: »nicht verworfen, sondern angenommen zu sein«140), Liebe (»Wer an den Gekreuzigten glaubt, weiß sich als begnadigten Sünder mit allen Menschen solidarisch«141) und Geist142 . Die mit dem Tod Jesu eingetretene Wende »wurde als etwas erfahren, was nicht trotz dieses Todes, sondern kraft dieses Todes in Geltung steht«143. Der Ausgangspunkt dieser Wende waren die Ostererfahrungen144. Das in ihnen enthaltene Nein zum Tod Jesu impliziert allerdings ein Ja zu diesem Tod: »Das Ja des Glaubens zum Tode Jesu ist 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144
Ebd. AaO 154f. AaO 155. So ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 156. AaO 157. AaO 158. So aaO 158f. AaO 159. Ebd.
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durch das entsprechende Nein der Auferstehungsbotschaft bestimmt. […] Die Auferstehungsbotschaft selbst meint das Ja Gottes zum Gekreuzigten. […] Die Ostererfahrung ist als solche eine Erfahrung mit dem Tode Jesu, und zwar nicht etwa die, daß es mit ihm gar nichts mehr auf sich habe, sondern die, daß ihm in alle Ewigkeit entscheidende Bedeutung zukomme. […] Jedenfalls meint hier das Auferstehungsleben die Entmachtung des Todes gerade kraft dieses Todes.«145 Indem das Kreuzesgeschehen mit dem in ihm zur Geltung gebrachten Ja und Nein Gottes zum Tod Jesu eben auf das Gottesverhältnis bezogen wird, ist die religiöse Dimension des Kreuzesgeschehens erreicht. So ist das Kreuz von einem »Extrem der Profanität« (nämlich einem Werkzeug grausamster Hinrichtung) »zu einem hochreligiösen Symbol und zu einem Spitzenwort der Frömmigkeitssprache geworden«146 . Dennoch ist die Verbindung von Kreuz und Religion hochproblematisch, denn z.B. der Rückgriff auf die Tora in Gal 3,13 weist dem Kreuz eigentlich eine negativ-religiöse Wertigkeit zu. Die Kategorie des Religiösen kann hier also nur »bei äußerster Formalisierung des Wortes religiös, andererseits bei radikaler Kritik an den gewohnten Strukturen religiöser Denkweise«147 in Anschlag gebracht werden. Weil es aber am Kreuz um ein Geschehen zwischen Gott und Mensch geht, geht es eben darin »um ein Geschehen zwischen Gott und der Menschheit«148 , genauer: »um das Zusammentreffen des Heilswillens Gottes und der Sünde der Menschheit«149. Und weil darin auch sichtbar wird, was von Gott für die Welt endgültig zu erwarten ist, »eignet dem Kreuzesgeschehen die eschatologische Dimension«150 . »Geistlich« schließlich ist das Kreuzesgeschehen, weil es »Sache nicht der Spekulation, sondern des Glaubens ist, dessen Bezug zum Eschatologischen durch das Nadelöhr des Gewissens führt«151. Die geistlich-eschatologische Auffassung des Kreuzestodes Jesu impliziert auch seinen Charakter als universales Drama152 . Jeder Einzelne und die Welt als ganze sind beteiligt, neben den Weltmächten Sünde und Tod. Alles ist dabei streng auf Jesus konzentriert: »Im Kreuzesgeschehen geht es darum, daß und wie das unzerstörte Zusammensein von Gott und Mensch in Jesus unter den Bedingungen der sündigen Menschheit offenbar wird und allen zugute kommt.«153
145 AaO 159f. Vgl. auch die fast gleichlautenden Ausführungen Ebelings in seinem Aufsatz ,Des Todes Tod« (in: G. Ebeling, Wort und Glaube IV), 524f. 146 Ebeling, Dogmatik II, 162. 147 AaO 163. 148 AaO 164. 149 Ebd. 150 Ebd. 151 AaO 164f. 152 So aaO 165. 153 AaO 167.
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Der Gekreuzigte steht exakt inmitten dieses Gegensatzes zwischen der sündigen Menschheit und Gott. Indem das Kreuzesgeschehen aber der Selbstvollzug Gottes in diesem Gegensatz ist, kann Ebeling sagen, daß nun Gott selbst »im Zeichen des Gegensatzes«154 steht: Vom Kreuz ist einerseits die Tatsache der Gottesferne nicht zu trennen, wenn Gesetz, Sünde und Tod wirklich ernstgenommen werden. Zugleich ist das Kreuz andererseits die Gewähr für den »nahen, liebenden, versöhnungschaffenden«155 Gott. Von hier aus rückt auch das ›simul iustus et peccator‹ der Menschen in den Blick156 . Auch die Mächte sind nun einerseits »extrem zum Ausbruch gekommen«157, gelten aber dennoch »vom Kreuz her als überwunden, besiegt und entmachtet«158 . Diese Gegensätze bestimmen die innere Polarität der Kreuzestheologie und damit der ganzen Versöhnungslehre: »Eine am Kreuz orientierte Theologie hat sich daran zu bewähren, daß sie diese Gegensätze nicht kurzschlußhaft harmonisiert, vielmehr von ihnen her bestimmt, was Versöhnung heißt.«159 Eine besondere Art der Gegensätzlichkeit stellt das Ineinander von Wirken und Leiden dar. Jesus geht seinen Leidensweg, aber er bejaht ihn in willentlichem Gehorsam gegen Gott. Deshalb ist es geboten, auch die Gottheit des Sohnes als ein Ineinander von Leiden und Wirken zu reflektieren160 . Die auf diesem Leidensweg wirksamen Weltmächte müssen sowohl vom sündigen Menschen als auch von Gott erst zu ihrem Wirken ermächtigt werden. Das »eigentliche Thema des Kreuzesgeschehens weist aber auf die Entmachtung der Mächte oder in äußerster Pointierung darauf, daß Jesu Tod des Todes Tod geworden ist«161. Was am Kreuz geschehen ist, wurde zunächst mit einer Vielzahl von Vorstellungen interpretiert, die dem kultischen, dem juridischen, dem kämpferischen und dem personalen Bereich entnommen waren162 . Mit der kultischen Interpretation verbindet sich die Opfervorstellung, der wiederum der Sühnegedanke eng verwandt ist. Das Opfer wird zum Ausdruck einer Schuldigkeit des Menschen Gott gegenüber, wobei der Stellvertretungsgedanke eingeschlossen ist, der sich sowohl auf das priesterliche Handeln als auch auf die Opfergabe selber erstreckt. Allerdings ist die »darin waltende Logik […] einer Zeit fremd geworden, die keine kultischen Opfer mehr kennt – trotz der Hekatomben von Menschen, die sie sozusagen sich selbst als Opfer darbringt«163. Die juridische Inter154 155 156 157 158 159 160 161 162 163
AaO 168. AaO 168f. So aaO 169. Ebd. Ebd. Ebd. So aaO 171. Ebd. So aaO 171f. AaO 172.
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pretation des Kreuzesgeschehens stößt auf das Problem, daß das Juridische in der Neuzeit als dem Religiösen fremd empfunden wird. Die heute gemeinhin als plausibel geltende Antithetik von Recht und Liebe trifft übrigens auch noch die kultischen Vorstellungen. Deshalb ist in der Neuzeit die – oft scharfe – Zurückweisung der Anselmschen Satisfaktionstheorie gängig geworden164. Aber nach Ebeling läßt sich der Gerichtsgedanke »unmöglich ausschalten […], ohne das Kreuzesgeschehen von dem Bezug zur Sünde überhaupt zu trennen«165. Der kämpferische Vorstellungsbereich berührt sich in gewisser Weise mit dem Rechtsgedanken, denn die Durchsetzung des Rechts ist immer auch eine Machtfrage. Am Kreuz geht es nicht einfach um »etwas Verrechenbares […], sondern um das unableitbare Geschehen einer Machtentscheidung, wie denn auch Sünde und Gnade, Unglaube und Glaube nicht auf ihr Ereigniswerden hin nachrechenbar sind«166 . Der in der Neuzeit in der Regel bevorzugte Vorstellungsbereich zur Interpretation des Kreuzesgeschehens ist der personale. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu wird hierbei wesentlich von seiner Beziehung zu den Gläubigen her erfaßt. Der hier herrschende Grundgedanke ist der des Miteinanders und des Daseins für andere167. In seiner ethisch-mitmenschlichen Variante hebt die personale Kreuzesinterpretation ganz auf ein Verständnis des Todes Jesu als der »Solidarisierung mit den Armen und Verachteten [als] Vorbild eines entsprechenden mitmenschlichen, gegebenenfalls auch politischen Verhaltens«168 ab. Die personale Dimension kann die Heilsbedeutung des Kreuzes nach Ebeling allerdings nur erfassen, »wenn darin die Situation des Sünders vor Gott als ausschlaggebender Richtpunkt präsent ist«169. Allen angesprochenen Interpretationsweisen ist gemeinsam, »daß sie das Kreuzesgeschehen zu einer menschlichen Grunderfahrung in Beziehung setzen, die durch den Stachel des Todes am spürbarsten wird und folgendermaßen zu umreißen ist: Der Mensch ist mit seinem Leben nicht für sich allein«170 . Vieles steht in seinem Leben im Widerspruch zu ihm, wie er sich auch seinerseits selber zu vielem in Widerspruch setzt: »Das völlige Alleingelassenwerden führt deshalb statt zu einem abstrakten Für-sich-allein-Sein zu einem Alleinsein inmitten von Widersachern, die sich gegen ihn vereinen. Da kann er nicht für sich allein bestehen.«171 Der Bezug der Kreuzesinterpretamente zu menschlicher Grunderfahrung muß es allerdings dulden, daß alle christologischen Interpretamente das Chri164 165 166 167 168 169 170 171
So ebd. AaO 173. AaO 174. So aaO 175. AaO 175. Ebd. AaO 176. Ebd.
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stusgeschehen nur dann »von allgemeiner menschlicher Erfahrung her«172 erschließen, »wenn sie dabei ihrerseits einer von Jesus ausgehenden Uminterpretation unterzogen werden«173. Sie müssen nämlich auf die »geistlich-eschatologische Dimension«174 hin ausgerichtet werden, weil Jesus Gott vor den Menschen und die Menschen vor Gott vertritt. Durch die Bestimmtheit des Gottesverhältnisses des Menschen durch die Sünde droht diese Einheit allerdings auseinanderzubrechen: »Als Anwalt Gottes ist er der Sündlose, weil mit Gott eins. Als Anwalt der Menschen vereint er sich mit den Sündern und wird der von Gott Verlassene. Diese Polarität muß für jede Interpretation des Kreuzesgeschehens maßgebend sein.«175 Besondere Aufmerksamkeit wendet Ebeling nun erneut auf die Sündlosigkeit Jesu, denn sie ist gewissermaßen der Sachgrund dafür, daß das Gottesverhältnis exklusiv über Jesus definiert werden kann: Jesus ist der Sündlose, weil in ihm eben Gott gegenwärtig wird. Das aber ist keine allgemeine menschliche Möglichkeit, sondern »schlechthinnige[s] Wunder«176 . Von daher muß das Sündersein der anderen nicht mehr im Einzelnachweis erwiesen werden, »sondern dieser Sachverhalt ist durch die Erscheinung Jesu Christi als die menschliche Gesamtsituation offenbar geworden«177. Dabei bedeutet die Sündlosigkeit Jesu aber nicht Absonderung von der Menschheit, sondern gerade umgekehrt Zuwendung zu ihr178 . Und auch, was Jesus dann dazu zwingt, die Welt zu verlassen, ist nicht etwa der Wunsch, sich nicht in ihr zu beflecken. Sondern sein Weg aus der Welt heraus ist »die Folge dessen, daß er sich vorbehaltlos auf sie eingelassen hat«179. Sündlos ist nicht der, der es gegen die anderen wäre, sondern der, »der es für andere ist gegen sich selbst, indem er übernimmt, woran sie tragen«180 . Und weiter: »Sündlosigkeit ist nicht ein ängstlich gehüteter Besitz, sondern die Freiheit, sich selbst schutzlos hinzugeben.«181 Diese Freiheit darf nicht durch die Bagatellisierung der Sünde verkleinert werden. Das geschähe, wenn man die Sünde z.B. unter Androhung von Strafe stellte, oder ihr mit »umstürzender Veränderung der Weltverhältnisse«182 begegnen wollte. Gerade die Fixierung des herkömmlichen Sündenverständnisses auf einzelne Taten (und auch die Illusion, Sünde wäre durch menschliche Taten in den Griff zu bekommen!) wird dadurch verändert, daß Jesus sich der Sünder 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182
AaO 177. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 181. Ebd. So ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 182.
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annimmt. Nicht das Urteil der Mitwelt ist beim Thema Sünden maßgeblich, sondern das Urteil Gottes, »das auf jeden Fall das Gewissen reinigt, ob es dieses nun überführt und erst wahrhaft bindet oder aber ob es das sich dann selbst schuldig sprechende Gewissen überwindet und befreit«183. Deshalb redet Jesus sowohl die sogenannten Sünder als auch die sogenannten Gerechten gemeinsam als Sünder an. Beide sind im Urteil Gottes also vereint »und nicht getrennt durch ihre gegenseitige Anklage«184. Das Sich-Einlassen auf Parteien ist im Sinne einer besseren Weltgestaltung nötig und richtig185. Es ist jedoch ein Kurieren an den Symptomen und rührt nicht an die Sünde selbst. In der Welt unter der Macht der Sünde sind »schuldhaftes Tun und unschuldiges Leiden ineinander verknäuelt«186 . Sich unter dieser Voraussetzung der Sünder anzunehmen, heißt nun, sich jener verhängnishaften Verkettung nicht verschließen, sich über das Maß möglicher Weltverbesserung keine Illusionen machen und dennoch sich mit einem liebevollen Herzen hingabebereit dieser Situation aussetzen und ihrer Bitterkeit entgegenwirken.«187 Der Wille, mit dem Jesus sich alledem aussetzt, ist kein schwacher Wille, der nicht anders kann, sondern hier ist »Vollmacht in Anspruch genommen […], die sich aber mit Ohnmacht paart«188 . Diese Vollmacht tritt in Jesu Anspruch zu Tage, Sünden vergeben zu können. Ohnmächtig ist diese Vollmacht, weil Jesus als Legitimation dieses seines Anspruchs nichts anderes als die Aufnahme des Willens Gottes in seinen eigenen Willen angeben kann: »Das entspricht in äußerster Zuspitzung der Situation des Glaubens: die Nähe Gottes in Anspruch nehmen, auch wenn Gott ferne scheint. Und eben dies ist es, was die Zuwendung zum Sünder ausrichtet: Sie holt ihn hinein in die Situation des Glaubens, in einen Frieden inmitten des Unfriedens der Welt, auch wenn sich dieser dem Glauben gegenüber sogar noch steigern sollte; und in eine Freiheit inmitten der Zwänge der Welt, selbst wenn man diese daraufhin erst recht zu spüren bekommt.«189 Die satisfaktorische Auffassung, Jesus habe durch seine Zustimmung zum Willen Gottes, der ihn in das Leiden und Sterben führte, das Ungenügen der Menschen, das Gesetz zu erfüllen, durch Strafleiden kompensiert, erfaßt nach 183
AaO 183. Ebd. Das richtet sich der Sache nach auch gegen das bei Moltmann deutlich zu Tage tretende parteiliche Sündenverständnis: gerecht sind tendenziell die Leidenden, ungerecht tendenziell die Leidverursacher. Eine solche simplifizierende Aufteilung der Menschen wird unmöglich, wo die Wirklichkeit der Sünde hinreichend radikal verstanden wird: sie wurzelt zutiefst in jedem Menschen und liegt jeder seiner Taten zugrunde, sie mögen für gut oder für schlecht gelten. 185 So ebd. 186 Ebd. 187 AaO 183f. 188 AaO 184. 189 Ebd. 184
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Ebeling die Rolle des Gesetzes »nicht im Sinne der theologia crucis«190 . Denn der Gesichtspunkt der Sündenstrafe ist für das Verständnis des Leidens und Sterbens Jesu nicht ausreichend. Jesus muß gerade in seiner Sündlosigkeit ganz radikal mit der Sünde zusammengedacht werden: die Identifikation Jesu mit dem Willen Gottes angesichts der Macht der Sünde führt »an den Ort, den Gott in dieser Welt der Sünde einnimmt: an den Ort seines Verachtet- und Ausgestoßenseins. Denn am Ort der Sünde ist Gott der verachtete und ausgestoßene, der zum Leiden verurteilte Gott.«191 Indem Jesus als wahrer Gott und als wahrer Mensch Gott und die Menschen unter der Bedingung der Sünde zusammenzulieben versucht192 , versammelt sich auf ihn das Wesen der Sünde, nämlich die »Zerstörung wahren Lebens«193. Als Sündloser hatte Jesus nicht nur unter den Folgen der Sünde, sondern gerade auch »extrem unter der Sünde selbst«194 zu leiden. Das in diesem Sinne stellvertretende Leiden wird darin »zur höchsten Steigerung des Leidens«195. Aus der Sündlosigkeit Jesu erwuchs in der Genese des christlichen Glaubens auch ein neues Verständnis des Willens Gottes196 , das sich in einem neuen Verständnis von Gesetz und Evangelium und ihrem Verhältnis zueinander niederschlagen muß. Denn was Gottes Wille ist, wurde nicht nur durch Jesu Lehre, sondern »auch und vornehmlich durch sein Leben und Sterben vermittelt«197. Das gilt gerade auch für die am Kreuz Ereignis werdende Verbindung des Sündlosen mit der Sünde198 . Äußerlich scheint hier ein Gegensatz zu liegen, aber es geht tatsächlich um das »gegensätzliche Beieinander eines doppelten Urteils Gottes […] unter dem Aspekt des Gesetzes und dem Aspekt des Evangeliums: des Gesetzes, das richtet, und des Evangeliums, das freispricht und lebendig macht. Wenn überhaupt zwischen Gesetz und Evangelium unterschieden wird, dann ist dies nur möglich auf Grund eines solchen Verständnisses des Kreuzesgeschehens, das Gott hier in doppelter Weise am Werke sieht.«199 Aus genau diesem Grund lösen sich Gesetz und Evangelium auch nicht einfach ab, sondern »bleiben vielmehr aufeinander bezogen, und sie zu unterscheiden ist eine Aufgabe, die nie endgültig erledigt werden kann, solange das 190
AaO 185. AaO 186. 192 So ebd. 193 Ebd. 194 AaO 187. 195 AaO 188. Ebeling bezeichnet es in einem sehr guten und notwendigen Gedanken als eine »Beleidigung aller Leidenden« (aaO 187), wenn man Jesu Leiden in dem Sinne als einzigartig heraushebt, als habe er mehr gelitten als andere. Denn: »[W]o wirklich gelitten wird, geschieht immer etwas Unvergleichliches.« (ebd.) 196 So aaO 189. 197 Ebd. 198 So aaO 190. 199 Ebd. 191
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Leben in seiner Vorläufigkeit währt«200 . Die Gottverlassenheit Jesu am Kreuz steht in extremer Spannung zur Vollmacht, in der er Gottes Nähe angesagt hatte201 – sie ist völliger Ohnmacht gewichen. Der Verzweiflungsschrei Jesu: »Sich flüchten zu dem entflohenen Gott, zu Gott gegen Gott – das ist die Lage.«202 ee) Der Tod Jesu am Kreuz als Urteil Gottes über die Sünde Mit der Aussage von der Sündlosigkeit sind Intention des Lebens und Ursache des Sterbens Jesu angegeben. Von hier aus muß der Kreuzestod Jesu zu Gott in Beziehung gesetzt und als Urteil Gottes verstanden werden 203. Als Urteil Gottes kann man ihm weder in Richtung auf das Leben Jesu noch auf die Auferstehung ausweichen. Vernehmbar als Urteil Gottes »wird es aber nur in Hinsicht auf die Sünde […], und zwar in der Perspektive, die sich aus dem dargelegten Verständnis von Sündlosigkeit ergibt«204. Das Verhältnis zwischen Gott und der Sünde ist durch einen doppelten Ausschluß bestimmt: die Sünde schließt Gott aus, und Gott seinerseits schließt die Sünde aus. Gottes Ausschluß der Sünde geschieht aber nicht so unmittelbar, »daß sie überhaupt nicht da wäre«205. Damit stellt sich für Ebeling die »für die Christologie akute Frage«206 , was Gott gegen die Sünde tun kann. Zunächst stellt Ebeling fest, daß Gott die Sünde ernst nimmt. Darin zeigt sich zugleich »ein entschiedenes Ernstnehmen des Menschen«207. Gott behaftet den Menschen bei der Sünde und »übergibt ihn allererst der sich auswirkenden Macht der Sünde«208 . Zugleich dämmt Gott aber deren Auswirkungen ein: durch Gebote und Verbote, durch Institutionen und Recht 209. Zieht man das neben dem Umstand in Betracht, daß Gott die Sünde andererseits zuläßt, dann ist festzuhalten, daß sein Verhältnis zur Sünde eines der »Geduld [ist], die nicht für Gleichgültigkeit zu halten ist«210 . Die Tatsache der Sünde und ihrer Folge, das Vertrauen zwischen Gott und Mensch zerstört zu haben, bedarf aber der Versöhnung – »einer Versöhnung, die nichts beschönigt, sondern alles sühnt.«211
200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211
AaO 190f. So aaO 191. AaO 192. So ebd. Ebd. AaO 193. Ebd. AaO 194. Ebd. So aaO 194f. AaO 195. Ebd.
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Dazu reicht weder eine Änderung der menschlichen Vorstellung von Gott noch ein bloßer Einstellungswechsel Gottes zum Menschen: »Man erläge vor allem dem Irrtum, die eigene Einstellung zur Sünde wäre dadurch geändert, daß man seine Vorstellung von Gottes Einstellung zu ihr ändert.«212 Es ist tatsächlich ganz anders: Versöhnung beruht auf einer konkreten Tat Gottes, die nur die Tat Gottes sein konnte: nämlich dem Kreuzestod des Sündlosen für die Sünder. Denn Gottes Nein zur Sünde ist ein Doppeltes, und daraus »geht das Ja hervor, das sich als Urteil Gottes im Kreuz Jesu Christi ereignet hat und so zur Quelle und zum Inhalt des Evangeliums geworden ist«213. Gottes Nein ist zunächst »das Nein zur Sünde als ein Nein zum Sünder«214. Weiterhin ist sein »Nein zur Sünde als ein Ja zum Sünder«215 zu begreifen. Dabei wird der Sünder von der Sünde getrennt: sie wird »ihm abgesprochen. Er wird von ihr freigesprochen […], weil Gott in einem freien Akt der Gnade die Schuld für nichtig erklärt«216 . Das zweite Nein nimmt das erste Nein in sich auf. Die Verurteilung der Sünde wird nicht zurückgenommen, sondern »ist die bleibend gültige Voraussetzung des zweiten Nein«217, das das erste Nein in bezug auf den Sünder selbst aufhebt, »indem es ihn davon freispricht«218 . Beide Arten des Nein greifen wie in bezug auf Gott, so auch in bezug auf den Sünder ineinander. Denn dieser ist bejaht und angenommen, ist »dem Fluch der Sünde entrissen, aber keineswegs ihrem Wirkungsbereich überhaupt«219 : »So ist er noch Sünder und doch schon gerecht, in einem Übergang begriffen, der erst mit dem Tode zum Ziel kommt.«220 Der Tod bleibt dem Sünder nicht erspart. Er hat durch den Freispruch von der Sünde zwar seinen früheren Charakter als Fluchtod bzw. Sündenstrafe verloren, aber er ist »wegen der immer noch wirksamen Sünde nicht frei von seinem Stachel«221. Die Berufung auf das zweite Nein bedeutet auch die Anerkennung dessen, daß durch das befreiende Ja alles, was vorher das Leben bestimmte, »als alt und vergangen einzuschätzen ist«222: »Insofern ist der Tod als ein DerSünde-Gestorbensein bereits eingetreten, und er bleibt als ein tägliches Sterben wirksam.«223
212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223
AaO 196. Ebd. AaO 197. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 198. Ebd. Ebd. AaO 199. Ebd.
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Man kann nach Ebeling keinesfalls simplifizierend das doppelte Nein auf ein einfaches Nein zur Sünde und ein einfaches Ja zum Sünder reduzieren: »Damit würde die wirkliche Situation des Menschen dieses Lebens illusionär überspielt, moralistisch-nomistisch oder enthusiastisch. Und aus dem Verständnis des Heils würde das Sterben ausgeklammert, statt daß es als konstitutiv miteingeschlossen wäre.«224 Entscheidend ist nun, wie Ebeling das Verhältnis von Ja und Nein zueinander definiert. Denn es handelt sich weder um eine zeitliche Abfolge noch um Alternativen, sondern darum, daß das Ja Gottes zum Sünder unter dem Nein zu diesem und seiner Sünde verborgen ist und für die Zeit dieser Welt auch verborgen bleibt. Die sachliche Möglichkeit, daß Gottes Ja und Gottes Nein im Kreuzestod Jesu zur Deckung kommen können, und zwar so, daß das Ziel des Kreuzesgeschehens das im Nein durchgehaltene Ja bleibt, ist in der Sündlosigkeit Jesu begründet, die damit der Sache nach bei Ebeling zur entscheidenden »Qualität« Jesu im Hinblick auf das Versöhnungsgeschehen, das Heil des Menschen, wird. Das Kreuz kann nach Ebeling überhaupt nur als Heilsereignis verstanden werden, wenn begriffen ist, »daß nicht etwa dem Kreuzesgeschehen als dem Nein Gottes erst nachträglich ein ihm widersprechendes Ja hinzugefügt worden ist, daß vielmehr das Ja Gottes bereits im Kreuzesgeschehen enthalten ist, obschon tief verborgen unter dem Nein«225. Zu diesem Nein Gottes sagt der Sündlose, Jesus, Ja, selbst wenn ihm für sich selbst dabei Gottes Liebe entschwindet: er »verharrt in der Feindesliebe und glaubt darin Gottes Liebe«226 . Obwohl von Gott und den Menschen verlassen, »ist der Gekreuzigte dennoch keineswegs für sich allein«227 in dem Sinne, daß er in der Situation der augenscheinlichen Verlassenheit ohne Bezug zu Gott und den Menschen wäre. Denn an diesem Tod sind vielmehr »als dem unter dem Nein verborgenen Ja Gottes zum Sünder […] Gott und die gesamte Menschheit beteiligt«228 . Jesus geht also als der von Gott und den Menschen verlassene Sündlose darin auf, für Gott und die Menschen dazusein: »Darum ist dieser Tod in äußerster Verlassenheit durchaus nicht nur sein eigener Tod, sondern auch der Tod Gottes und der Tod aller. Oder dürfte man gar sagen: Dieser Tod ist nicht sein Tod, weil der Tod Gottes und der Tod aller?«229
224 225 226 227 228 229
Ebd. AaO 200f. AaO 202. Ebd. Ebd. Ebd.
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ff) Der Kreuzestod Jesu und die Rede vom »Tod Gottes« Mit dieser letzten Frage intoniert Ebeling die gewagte Rede vom Tod Gottes230 . Sie ist »an dem geistesgeschichtlichen Vorgang der Neuzeit orientiert, in dem Gott dem Bewußtsein entschwindet«231. Dabei ist aufgrund der atheistischen Intention des Begriffs im Grunde nicht Gott selbst, sondern die Gottesvorstellung des Menschen gemeint232 . Die theologische Rezeption der Rede vom Tod Gottes hat sich in erster Linie auf das Sterben eines Götzen, eines (theistischen oder moralistischen) Zerrbildes Gottes, konzentriert. Das aber ist für Ebeling nichts anderes als der – zweifelhafte – Versuch, »wenn auch nicht Gott zum Leben zu erwecken, so doch die Theologie am Leben zu erhalten durch das Pathos des neuzeitlichen Atheismus«233. Neben dieser neuzeitlichen Denklinie gibt es die – vornehmlich lutherische, aber auch schon altkirchliche – Tradition, sich dem Gedanken des Todes Gottes in der Auslegung des Kreuzesgeschehens als Heilsereignis wenigstens zu nähern. Hier ist nicht der Atheismus Ursprung der Rede vom Tod Gottes, sondern der »Kern des christlichen Glaubens«234 selber: »Sie meint nicht ein Ereignis der neuzeitlichen Geistesgeschichte, sondern das Ereignis des Kreuzes Jesu Christi. Sie meint nicht die Gottverlassenheit der sündigen Menschheit in deren modernen Selbstverständnis, sondern die Gottverlassenheit des Sündlosen im Verständnis des Glaubens.«235 230 Siehe auch Ebeling, Des Todes Tod, 620–627. Es ist gerade die Menschwerdung Gottes, die nach Ebeling ans Kreuz führt, »nicht zum Schein, sondern in blutiger Realität« (aaO 620). So allein »kommt es zur Konfrontation Gottes mit dem Tode« (ebd.). Der Tod des menschgewordenen Gottes ist allerdings nicht bloß eine solidarische Geste in Richtung der leidenden Kreatur. Denn was den Tod des Gekreuzigten und den aller Menschen im Tiefsten verbindet, ist nicht der geschöpfliche Schmerz der Endlichkeit, sondern die Sünde, die »Zerstörung wahren Lebens« (aaO 621). Daß nun der menschgewordene Gott diesen Sündentod auf sich nimmt, geschieht zugunsten der unter diesem Tod ahnungslos gefangenen Menschen: »Daß nun aber Gott und Mensch bis in den Tod hinein vereint sind, trotz eines Sterbens in Gottverlassenheit, das wurde zur Quelle der Botschaft von der Versöhnung mit Gott.« (ebd.) Anders gesagt: der Kreuzestod Jesu wird ›des Todes Tod‹. So ist »in Gott beides widerspruchsfrei vereint […]: der Tod Gottes und des Todes Tod, das selbst erlittene Todesgericht über die Sünde und die sieghafte Vernichtung des Todes, das Ja zum Kreuzestod Jesu Christi und die schlechthin lebensbejahende Auferweckung von den Toten« (aaO 624). Das wird jedoch nicht spekulativ erkannt, sondern dadurch, daß der Christ selber durch die Taufe in das Christusgeschehen hineingenommen ist (so ebd.) und sein Leben von hier aus »zu einem täglichen Sterben und Auferstehen in geistlicher Hinsicht« (aaO 625) wird. So hat im Kreuzestod Jesu der Tod des Christen seinen ewigen Charakter verloren, ein Umstand, der freilich geglaubt sein will, denn »das Heil, welches das Evangelium verheißt, [steht] so sehr im Zeichen des Kreuzes […], daß es nur gegen seinen Anschein und im Streit mit der Erfahrung als Heil geglaubt werden kann« (aaO 627). 231 Ebeling, Dogmatik II, 202 232 So ebd. 233 AaO 203. 234 Ebd. 235 Ebd.
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Die Teilhabe Gottes am Kreuzesgeschehen, wie sie sich in der Gottverlassenheit des Sündlosen darstellt (Gott greift nicht gemäß menschlicher Wünsche und Maßstäbe ein, sondern ist in seiner Abwesenheit, die wie Abraham sogar zum Opfer des eigenen Sohnes bereit ist, in »furchtbarster Art«236 anwesend), kann nach Ebeling nur bejaht werden, »wenn sie als Teilhabe Gottes am Leiden selbst verstanden wird«237: »also nicht als die an einem anderen vollzogene Todesstrafe, auch nicht als die Entgegennahme eines Gott dargebrachten Opfers; vielmehr als das Durchhalten der Verneinung Gottes und des Menschen in Jesus bis in den Tod hinein und als die sich darin vollziehende Liebe zum Sünder. Ihr Wille zu vergeben schließt den Willen zu leiden in sich. Und ihre sühnende Kraft hängt daran, daß Gott selbst das Opfer bringt und seinen eigenen Sohn hingibt.«238 Gottverlassenheit und Gottesleiden gehören also als Aspekte des Kreuzesgeschehens zusammen, sie stellen »zwei unterschiedliche Weisen der Verborgenheit Gottes«239 dar. Indem aber in beiden Weisen Gott verborgen ist, wird noch ein weiterer Gedanke unabweisbar: man darf nun, angesichts des in seiner Verborgenheit im gekreuzigten Christus selber anwesenden Gottes nicht »nur noch von dem deus absconditus in cruce als dem deus revelatus«240 reden und dabei den »deus absconditus in mundo«241 vergessen. Denn dann »entschwindet einem infolge des Kreuzes der Schöpfer, während doch gerade sein Teilhaben am Kreuzestod ihn gerade als den verstehen lehren soll, der die Toten zum ewigen Leben erweckt«242 . gg) Der Kreuzestod Jesu als Tod aller Menschen Das Verständnis des Kreuzestodes Jesu als dem Tod aller Menschen führt direkt auf den Gedanken der Stellvertretung. Denn Jesus nimmt durch seinen Tod den Ort ein, der eigentlich dem Menschen zukommt, den dieser in seiner Sünde aber verfehlt. Jesus tut das nicht, um den Menschen von dort zu verdrängen, sondern »um den Menschen an den Ort zu bringen, an den er gehört, ihn in eben die Stelle einzuweisen, die ihm zukommt«243. Der Personwechsel, der in diesem Stellvertretungsgeschehen Ereignis wird, scheint zu der unaustauschbaren Identität des Menschen im Widerspruch zu stehen. In Wirklichkeit verhält es sich aber genau umgekehrt, wie Ebeling unter Verweis auf Gal 2,19f unterstreicht: »Er zielt aber gar nicht darauf, den Menschen seiner Identität zu berau236 237 238 239 240 241 242 243
AaO 204. Ebd. Ebd. AaO 204f. AaO 205. Ebd. Ebd. AaO 206.
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ben, vielmehr darauf, ihn dadurch zu sich selber zu bringen, daß er von sich selbst befreit wird.«244 Die Stellvertretungsrelation ist dabei unumkehrbar. Der Mensch wird also nun nicht in dem Sinne Stellvertreter Christi, daß er diesen zum Vorbild eines eigenen Seins für andere nähme. Diese Unumkehrbarkeit ist durch ihre Verankerung im Sterben Jesu am Kreuz als dem »schlechterdings unumkehrbaren Geschehen«245 gesichert: »Das Definitive, Nicht-rückgängig-zu-Machende ist der Tod Jesu am Kreuz. Dieser Tod ist aller Tod, weil hier die Situation des Menschen vor Gott bis zum letzten durchgestanden, man möchte geradezu sagen: durchgestorben ist. Dadurch ist ein unumstößliches Urteil darüber gefällt, was als erledigt zu gelten hat und der Vergangenheit angehört.«246 Am Kreuzestod Jesu ist die Versöhnung Gottes und des Menschen gerade auch im Hinblick auf das Stellvertretungshandeln streng als ein Handeln Gottes zu erfassen. Der Mensch kann daran nur teilhaben, indem »er es gelten läßt, es als für sich geschehen bejaht, und [indem] er sein Leben in den dadurch geöffneten Freiheitsraum des Vertrauens und Friedens einweisen läßt, kurz: so, daß er an Jesus Christus glaubt«247. Dadurch verändert sich auch der noch ausstehende Tod, der sich für den Glaubenden von dem Sterben des Sündlosen darin unterscheidet – die entscheidende Frucht des Stellvertretungsgeschehens –, »daß ihm der Fluchtod abgenommen und die Gottverlassenheit nicht in letzter Einsamkeit aufgeladen ist«248 . Die Anfechtung, die der Tod mit sich bringt, wird den sterbenden Einzelnen trotzdem ereilen. Aber im Gekreuzigten ist »ein Anwalt […] da, der den anklagenden Mächten entgegentritt«249. Aber nicht nur der Tod hat sich verändert, auch das Verständnis des Heils250 . Denn indem das Leben den Tod in sich verschlungen hat, hat es auch das Sterben in sich aufgenommen. Das Heil ist dementsprechend nicht einfach durch das Kreuz zustandegekommen, um dieses dann hinter sich zu lassen, sondern es steht »vielmehr selbst, weil durch den Tod am Kreuz eröffnet, im Zeichen des Kreuzes«251. Wieder unterstreicht Ebeling hier seine Auffassung, daß Gottes Ja zum Sünder nicht von seinem Nein zur Sünde abzusondern ist, sondern daß jenes unter diesem verborgen ist. Andernfalls könnte in der Tat das Kreuzesgeschehen nicht in seiner bleibenden Bedeutung für die Versöhnung des Menschen mit Gott erfaßt werden, es wäre bloßes vergangenes Durchgangsstadium göttlichen Verzeihens. 244 245 246 247 248 249 250 251
AaO 207. Ebd. Ebd. AaO 208. Ebd. Ebd. So ebd. AaO 209.
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hh) Vom factum zum verbum: das Kreuz, das Wort und der Glaube Der Schritt vom factum zum verbum »gehört zum Wesen der Christologie«252 . Von hier aus stellt sich die doppelte Aufgabe der Reflexion darauf, inwieweit das Kreuz in das Wort eingegangen ist und in welcher Weise es in diesem »weiterhin präsent und wirksam ist«253. Von seinem äußeren Geschehen her ist das Kreuz – wie jedes furchtbare Ereignis – durchaus erzählbar. Entscheidend ist dabei, »was eigentlich durch Erzählen zur Sprache gebracht wird«254. Und erstaunlich ist hier, »daß das Kreuzesgeschehen zu einem Kreuzeswort geworden ist, zu einem weitergehenden Wortgeschehen, das an dem einmaligen Kreuzesgeschehen beteiligt sein läßt«255. Das Wort vom Kreuz ist für Ebeling also nicht nur ein auf ein vergangenes Ereignis verweisender Bericht, sondern selber Vergegenwärtigung dieses Ereignisses. Das führt zu der Frage, welche Bedeutung die durch das Wort geschaffene Gegenwart dieses Ereignisses für das Leben des Menschen hat. Denn es versteht sich keineswegs von selbst, daß das Kreuz umfassend zur Lebenswirklichkeit in dem Sinne in Beziehung gesetzt wird, daß es »allererst dem Leben wirklichen Lebensraum erschließt«256 . Daß das Kreuz aber auf solche, Lebensraum erschließende Weise, sagbar ist, »hängt nicht an der Erzählbarkeit dessen, was an ihm augenfällig ist, sondern an der Glaubbarkeit dessen, was in ihm verborgen ist, nämlich des Willens Gottes, der sich in ihm vollzieht und kundgibt«257. Gegenwärtig im Sinne einer Auslegung des Lebens – Ebeling spricht von der Erschließung wirklichen Lebensraumes, der sich, so kann man ihn hier paraphrasieren, dem Menschen öffnet, indem die Kreuzesbotschaft ihm die Wahrheit seines Lebens auslegt – wird das Kreuzesgeschehen also durch den Glauben, der das im Wort vom Kreuz Ausgesagte streng auf Gott und seinen auf die Versöhnung des Menschen zielenden Willen bezieht. Schon die Gestalt des Wortes ist für Ebeling »als reines Wort dem Kreuz gemäß«258 . Und durch seinen Gehalt setzt das Wort vom Kreuz »alles zum Kreuz in Beziehung«259, indem es »seiner Wirkung nach am Kreuzesgeschehen [teilgibt]«260 . Das Kreuzesgeschehen wirkt allein in der Weise des in die jeweilige Situation hineingesprochenen Wortes weiter, »kraft eines Wortes, das einer ganz bestimmten Tradition entspringt, nämlich der Überlieferung eben dieses Kreuzesgeschehens, das sich nun aber in einem unerschöpflichen schöpferischen Ge252 253 254 255 256 257 258 259 260
Ebd. Ebd. AaO 210. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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schehen sprachlicher Verantwortung vollzieht«261. Durch das Wort vom Kreuz wird das Kreuz nicht als bloßes, sozusagen nur für sich stehendes Faktum, sondern »als Eingriff in das eigene Leben erfahren«262 . Nur im Medium des Wortes wird das Kreuz der Magie (z.B. äußerlicher, materieller Reliquien) entzogen »und im Horizont des Geheimnisses der Wirklichkeit erfaßt«263; das Wort ist für Ebeling »das einzige angemessene Mittel, unter Bezug auf das Kreuz zum Glauben einzuladen und den Glauben im Zeichen des Kreuzes streng dabei zu behaften, Glaube zu bleiben.«264 Paulus grenzt in 1 Kor 1,22–24 die wesenhafte Affinität des Kreuzesgeschehens zu seiner Glauben fordernden worthaften Vergegenwärtigung im Wort vom Kreuz von den beiden grundlegenden Mißverständnissen ab, die mit der jüdischen bzw. griechischen Zurückweisung des Wortes vom Kreuz gegeben sind. Beiden typischen Mißverständnissen ist gemeinsam, daß das ihnen gesagte Wort in der Weise »einleuchten [soll], daß es sich ihren Erwartungen fügt«265. Das Wort vom Kreuz ist aber der »äußerste Gegensatz«266 sowohl zu einem Macht- (Juden) wie zu einem Weisheitswort (Griechen), »weil es Gott mit der Ohnmacht eines Sterbenden, dazu noch eines den Fluchtod Sterbenden identifiziert«267 bzw. weil es »dem Menschen die Souveränität und den Grund zum Sichrühmen abspricht, wie sie mit dem Besitz von Weisheit erstrebt und erlangt werden«268 . In beiden Fällen »dient das Wort der Steigerung menschlicher Möglichkeiten«269. Beide Erwartungen können durch ein im anspruchsvollsten Sinne religiöses bzw. moralisches Wort erfüllt werden. Das Wort vom Kreuz jedoch ist weder ein religiöses noch ein moralisches Wort, weil es Gott wirklich ernst nimmt und obwohl es »geradezu umstürzende Folgen für das menschliche Verhalten hat«270 . Das Wort vom Kreuz nämlich »will als Wort des Glaubens verstanden sein«271. Das ist es nicht schon einfach dadurch, »daß erzählend oder reflektierend auf das Kreuz Bezug genommen wird«272 . Das tun auch religiöse und moralische Deutungen, allerdings mit dem Impetus, daß der Anstoß des Kreuzes beseitigt wird 273. Denn allzu menschlich ist die Abwehr dagegen, »Gott in einem Gekreuzigten zu begegnen, seiner in einem Gekreu261 262 263 264 265 266 267 268 269 270 271 272 273
Ebd. Ebd. AaO 212. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 213. Ebd. Ebd. So ebd.
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zigten ansichtig zu werden und an dem Kreuz – als einem Heilszeichen – selber Anteil zu gewinnen«274: »Das Wort vom Kreuz im Sinne eines solchen Ja zum Kreuz kann nach Maßgabe des allgemeinen menschlichen Erwartungshorizontes nur als extrem anstößig und töricht, als irreligiös und unmoralisch empfunden werden.«275 Allein das Wort kann dem entsprechen, »was das Kreuz zum Gottesereignis macht«276 . Und es allein kann den Menschen dazu bringen, statt zu widersprechen, ihm angemessen zu antworten: in der Weise des Glaubens als der »einzig angemessene[n] Weise«277. Denn »wo des Menschen Größe und Ruhm um Gottes willen zerbrechen und dies dennoch als ein Geschehen gelten darf, durch das Gott den Menschen annimmt und ihn bejaht, da ist das Gottesverhältnis aller irdischen Sicherungen entledigt und ganz auf den Glauben gestellt, weil ganz auf die Gnade. […] Denn Glaube und Wort sind ebenso Korrelate wie Glaube und Kreuz. Deshalb entsprechen sich auch Kreuz und Wort in der gemeinsamen Relation zum Glauben. Das Wort vom Kreuz – das ist die explizit gewordene Ausrichtung des Kreuzes auf den Glauben. Nur durch das Wort kann diese Intention des Kreuzesgeschehens zum Ziel gelangen.«278 Zugleich kommt das Wort selbst als Wort vom Kreuz »zur höchsten Erfüllung seiner Bestimmung«279. Für Ebeling weist die Tatsache, daß das Kreuzesgeschehen worthaft repräsentiert wird, dem Wort und der Sprache überhaupt zugleich ihren legitimen Raum und ihre notwendige Grenze zu. Denn das Wort vom Kreuz ist ja (das muß bei Ebeling sinnvollerweise als eine sozusagen hermeneutik-theoretische Interpretation von 1 Kor 1,18 verstanden werden), auch eine kritische Abgrenzung gegen alle Versuche, das Gottesverhältnis auf Beweise statt auf den Glauben zu gründen, auf »Beweise einer Geistesmacht, die den Charakter eines Superlativs menschlicher Macht hat«280 . Das Wort vom Kreuz spricht Gott zwar weder Allmacht noch Weisheit ab, aber es ist wohl darauf aus, »sie ihm in einem Sinne zuzusprechen, der Gott vor der Verwechslung mit einem Übermenschen bewahrt und darum auch erkennen läßt, was an dem geläufigen Verständnis von Macht und Weisheit, so menschlich es ist, doch letztlich unmenschlich ist«281. So ist das Wort vom Kreuz auch in diesem, grundsätzlich sprachtheoretisch verstandenen, Sinne für Ebeling »ein Wort des Umdenkens und Umkehrens«282 , und es wird in seinem Gewicht gemindert, wenn es auf etwas anderes gestützt werden soll, was nicht reiner Glaube ist: »Es 274 275 276 277 278 279 280 281 282
AaO 214. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 215. Ebd. Ebd.
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kommt […] erst dann zu seiner eigentlichen Relevanz, wenn es gewissermaßen nackt und wehrlos dem Spott und der Verachtung preisgegeben ist wie der Mann am Kreuz, der gerade so seine Vollmacht besiegelte.«283 ii) Der Gehalt des Wortes vom Kreuz: die Integration des Todes in das Versöhnungsgeschehen Die gerade referierten Überlegungen drängen zur Beantwortung der Frage, was denn das Wort vom Kreuz als solches zur Sprache bringt und damit in dem Sinne vergegenwärtigt, daß das Leben des Glaubenden in seiner Ganzheit getroffen und in das Kreuzesgeschehen einbezogen wird. Es geht hierbei zugleich darum, was eigentlich die theologische ›Pointe‹ der Kreuzesbotschaft ist: Dasjenige also, was diese unverwechselbar macht und darin von der Auslegung des Versöhnungsgeschehens durch andere theologische Topoi unterscheidet. Ebeling definiert den Gehalt des Wortes vom Kreuz folgendermaßen: »Seinem Gehalt nach ist das Wort vom Kreuz darauf ausgerichtet, daß die Rettung der Menschheit durch Gott nicht am Tod vorbei erfolgt, sondern durch den Tod hindurch.«284 Es ist eben diese Integration des Todes in das Versöhnungsgeschehen zwischen Gott und der Menschheit, das die Pointe der Kreuzesbotschaft darstellt und durch die der Gehalt des Wortes vom Kreuz einen schroffen Widerspruch zu den landläufigen menschlichen Vorstellungen von Gott bildet. Dennoch berühren sich das, was am Kreuz offenbar gemacht worden ist und das Leben des Menschen in dem Umstand, daß »das menschliche Leben als solches in sehr verborgener Weise schon vom Kreuz gewissermaßen gezeichnet«285 ist – andernfalls könnte das Wort vom Kreuz nach Ebeling überhaupt gar nicht Glauben erwecken 286 . In dieser Auffassung, in der sich der zuvor schon erwähnte anthropologische Zugang zum Thema Tod als Propädeutikum des Verständnisses des Kreuzestodes Jesu in Ebelings Dogmatik widerspiegelt, kommt die an Luther gewonnene Einsicht zur Geltung, daß die Kreuzestheologie die Wirklichkeit trifft, während diese von der Herrlichkeitstheologie gerade ideologisch verfälscht und so verfehlt wird287. Luthers 21. Heidelberger These bringt zum Ausdruck, daß der Kreuzestheologe, indem er das Versöhnungsgeschehen konsequent auf die Todeswirklichkeit des Menschen zu beziehen vermag, dem Leben gerecht wird: »er trifft den Nagel auf den Kopf, er bringt zur Sprache, was es mit dem Leben in Wahrheit auf sich hat«288 . Damit haben durch das Wort vom Kreuz Leiden und Sterben einen neuen Stellenwert bekommen. Ein Ver283 284 285 286 287 288
Ebd. Ebd. AaO 216. Ebd. Ebd. Ebd.
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ständnis von Heil, das dem Menschen einleuchtet, muß von der Beseitigung von Unglück, Schmerz, Leiden und Sterben reden 289. Vordergründig wäre das auch durch Verdrängung oder Kompensation von Leidens- und Sterbeerfahrungen möglich. Dann aber hätte der Tod im Heilsverständnis gerade keinen Ort und würde allenfalls als Durchgang zum Heil gelten. Für das Heilsverständnis bedeutete das aber entweder eine »dem Tod gegenüber resignierende Verinnerlichung«290 oder eine Projektion des Heiles in eine utopisch konstruierte geschichtliche Zukunft, »für die man nur mit Hilfe von Äquivokationen eschatologische Prädikate in Anspruch nehmen kann«291. Im biblischen Kontext bricht die Heilsfrage aber gerade »nicht an der äußeren Gefährdung und der welthaften Sicherung des irdischen Lebens auf, sondern an dem, was die Bibel Sünde nennt und was als die Zerstörung wahren Lebens immer schon eingetreten, jedoch keineswegs als definitiv und unwiderruflich hinzunehmen ist«292 . Deshalb ist der Kern des Wortes vom Kreuz der, daß »ein für allemal der Tod Jesu Versöhnungsgeschehen ist«293. Hier wird – wir haben es schon erwähnt – das Heil so gefaßt, »daß der Tod darin integriert ist«294. Das gilt für das Sterben Jesu wie für das eigene Sterben: »Es kann auch nicht das als Heil gelten, was nicht erst im Tode zur Vollendung kommt«295. Diese Integration des Todes in das Heilsverständnis, vor der auszuweichen in nutzlos oberflächliche pseudotheologische bzw. pseudogeistliche Illusionen führen würde, ist für Ebeling auf keinen Fall im Sinne von Todesverherrlichung und Leidensmystik mißzuverstehen: der Gedanke der Integration des Todes in das Heilsverständnis ist nicht umkehrbar, das Heil wird nicht in den Tod integriert und das Wort vom Kreuz »verherrlicht und verewigt nicht den Tod und predigt nicht eine Leidensmystik als Heilsweg«296 . Sondern das Wort vom Kreuz ist umgekehrt der »denkbar schärfste Einspruch gegen die Todesresignation und gegen den Irrglauben an die Allgewalt des Todes«297. Es »steht nicht zum Wort des Lebens im Widerspruch, ist vielmehr dessen Grund und Legitimation«298 . Aber es wird auch nicht durch die Auferstehungsbotschaft überholt 289
So aaO 217. Ebd. 291 Ebd. Dieser Einwand trifft die Theologie Moltmanns, für den Leiden und Tod im wesentlichen Unterdrückungs- und Ungerechtigkeitssymptome sind, die durch ›gerechtes‹ Handeln zum Verschwinden gebracht werden sollen – und zum Verschwinden gebracht werden können, wodurch das Reich Gottes zeichenhaft vorweggenommen wird. Vgl. in dieser Untersuchung das Kapitel zur Kreuzestheologie Moltmanns. 292 Ebd. 293 AaO 218. 294 Ebd. 295 Ebd. 296 Ebd. 297 Ebd. 298 Ebd. 290
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oder korrigiert, »sondern ist mit ihr der Sache nach eins«299. Ebeling spricht von der »unaufhebbare[n] Einheit von Kreuz und Auferstehung«, die »alle Dimensionen des christlichen Glaubens«300 durchdringt. Glaube an Gott ist immer Glaube an den Gott, der – nach Röm 4,17 – die Toten erweckt (vgl. Röm 4,17). Durch das Wort vom Kreuz wirkt das Kreuz als die »weiterwirkende Gegenwart des Lebens Jesu«301 weiter. In ihm wird weitergegeben, was in diesem Leben und Sterben vollbracht wurde. Das Weiterwirken steht dadurch im Zeichen des pro nobis, ist also nicht durch eigenes Wirken der Nachfolger charakterisiert, »sondern als ein empfangendes Wirkenlassen, ein Sicheinlassen auf das, was durch Jesus gewirkt ist«302 . Darin zeigt sich wieder die wesenhafte Verbindung des Wortes vom Kreuz mit dem Glauben, die Ebeling nicht oft genug unterstreichen kann. Deshalb kann Ebeling die Wirkungsgeschichte des Wortes vom Kreuz auch als »Glaubensgeschichte«303 bezeichnen. jj) Das Kreuz und das Geschehen der Versöhnung Der Versöhnungsbegriff bringt zur Sprache, daß das Wort vom Kreuz nicht Unheilswort, sondern Heils- und Freudenbotschaft ist304. Wort von der Versöhnung im Sinne von 2 Kor 5,19 »ist dies nur dann, wenn es als Wort vom Kreuz Evangelium ist und als Evangelium Wort vom Kreuz bleibt«305. Das Evanglium ist nicht verstanden, wenn das Befreiende daran »als Befreiung vom Kreuz und in seiner Negation«306 gesehen würde. Versöhnung vollzieht sich im Kreuzesgeschehen aber nicht als gegenseitige Annäherung oder als Umstimmung Gottes seitens des Menschen, sondern Versöhnung im Verhältnis von Gott und Mensch »kann sich vielmehr nur kraft eines einseitigen Aktes Gottes ereignen, als ein Friedenstiften von Gott her«307. Für das Versöhnungsverständnis ist nun entscheidend, warum »das Versöhnungsgeschehen, als dessen Subjekt allein Gott in Betracht kommt, in Christus loziert ist«308 . Warum genügt nicht, so fragt Ebeling, »das Wort von der Liebe Gottes als des selbstverständlich lieben Gottes«309? An der Konzentration auf Christus kommt, so Ebelings Antwort auf diese Frage, ein Zweifaches zum Ausdruck: Versöhnung ereignet sich von Gott her, und sie ereignet sich nicht anders denn im Kreuzesgeschehen,
299 300 301 302 303 304 305 306 307 308 309
Ebd. Ebd. AaO 219. AaO 219f. AaO 220. AaO 220f. AaO 221. Ebd. Ebd. AaO 221f. AaO 222.
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sie ist Tat in der Form des Leidens und Sterbens. An diesem Beieinander von Tat und Tod in der Versöhnung hängt ihr Sühnecharakter.«310 Im kultischen Opfergedanken ist »richtig erahnt, wenn auch nur dunkel«311, daß das »menschliche Leben in seiner Schuld- und Todverfallenheit, in seinem Bedroht- und Geängstetsein und doch auch wieder seinem Beschenkt- und Beschämtsein […] nur durch Hingabe von Leben in Ordnung und Frieden [kommt], durch ein Heil also, das das Moment des Todes in gewisser Weise in sich schließt«312 . Falsch ist an der Opfervorstellung allerdings die Auffassung, der Mensch könne dies durch eigenes Handeln Gott gegenüber praktizieren. Auf das Kreuz findet der Opfer- und Sühnegedanke deshalb nur dann eine vertretbare Anwendung, wenn er als Rekurs auf das Handeln Gottes dargestellt wird, »nämlich daß der Vater den Sohn für alle dahingegeben und darum zugleich mit ihm alles geschenkt hat«313. Die Unmöglichkeit, das Wort von der Versöhnung auf Gottes Liebe im Sinne bloßer Versöhnlichkeit zu reduzieren, erschließt sich von hier aus in »grundeinfache[r] Deutung«314. Denn Gottes Liebe läßt sich glaubhaft nicht bloß als theoretische, sondern nur »unter Hinweis auf wirklich gelebte Liebe«315 aussagen. Dann aber ist es Liebe, »die im Kontext der von der sündigen Menschheit bestimmten Welt durchgehalten ist«316 , und die nicht in Erscheinung treten kann, ohne daß deutlich wird, »was in diesem Falle Versöhnung kostet«317. Am Kreuz endlich »wird dieses beides miteinander anschaulich: zum einen der Widerstand der sündigen Menschheit gegen die gelebte Liebe Gottes und zum andern der Preis des Sündlosen für die gelebte Liebe Gottes.«318 Der Umstand, daß die Versöhnung Gottes mit dem Menschen den Charakter einer Wirklichkeit besitzt und von bloßer Theorie oder einer bloßen Haltung bzw. Gestimmtheit ebenso grundlegend unterschieden ist wie von einer Identifikation mit ihrer jeweilig aktuellen Relevanz bzw. ihrem erleb- und erfahrbaren Effekt, hängt entscheidend an ihrem perfektischen und an ihrem theologischen Charakter, nämlich »daß es sich um ein für allemal vollbrachte, und zwar um von Gott her gewirkte Versöhnung handelt«319. Wieder steht auch bei diesem Gedanken Ebelings sein Verständnis des Glaubens als der einzigen Weise im Hintergrund, die Versöhnung angemessen zu be- bzw. zu ergreifen. Auf den ersten Blick wird die Versöhnung dadurch unkonkret, nicht erleb310 311 312 313 314 315 316 317 318 319
Ebd. Ebd. Ebd. AaO 222f. AaO 223. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 225.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
bzw. erfahrbar. Das ist für Ebeling der Grund, weshalb sich das Interesse oft auf die Versöhnung zwischen den Menschen untereinander verlagert, eine Versöhnung, die im Unterschied zu der zwischen Gott und Mensch konkreter und greifbarer erscheint. Aber selbst hier hängt alles an Wort und Vertrauen (in Gelingen wie Mißlingen), worin sich eine »religiöse Dimension«320 von Versöhnung überhaupt anmeldet, womit – so ist Ebeling hier zu verstehen – der Blick wieder für das fundamentale, aller zwischenmenschlichen Versöhnung sachlich zugrundeliegende Geschehen der Versöhnung zwischen Gott und Mensch geöffnet ist. Die scheinbar ›konkrete‹ Versöhnung zwischen Menschen ist im Grunde allein konkret in ihrer Verwurzelung in der allein durch den Glauben angemessen zu ergreifenen Versöhnung des Menschen mit Gott, wie sie im Kreuzesgeschehen real verwirklicht worden ist und im Wort vom Kreuz immer wieder neu vergegenwärtigt wird. kk) Das Kreuz und der Zusammenhang von Gottes Heiligkeit und Liebe Der Sinn des Glaubens an Jesus Christus ist es, die »an Christus gewonnene Erkenntnis als Gotteserkenntnis gelten zu lassen«321. Das gilt – wir haben es bereits mehrfach unterstrichen – gerade auch für den Kreuzestod Jesu Christi, der dem Wort vom Kreuz, das ihn vergegenwärtigt, die Funktion eines exklusiven Kriteriums für Verkündigung, Gottesdienst und theologische Reflexion zuweist. Wie jede christologische Aussage, muß dann folgerichtig auch die Rede vom Kreuzestod Jesu »in das Verständnis der Gottesattribute hinein reflektiert werden«322 . Im Zusammenhang mit dem Kreuz wendet sich Ebeling in besonderer Weise dem Gottesattribut der Heiligkeit zu, »das primär der Gebetsanrede korrespondiert«323. Dem Begriff des Heiligen liegt zunächst ganz grundsätzlich zugrunde, daß er die religiöse Urgegebenheit als eine den Menschen »ganzheitlich«324 treffende Erfahrung anspricht, die darin von einem primär theoretischen Wissen unterschieden ist. Denn beim Heiligen geht es um »eine konkrete Begegnung, ein bestimmtes Widerfahrnis, eine begrenzte Begebenheit, eine Raum und Zeit strukturierende Orientierung und in all dem eine Macht, eine Übermacht, die den Menschen in seinem Lebensvollzug trifft, bewegt, bindet, niederwirft oder hinreißt«325.
320
AaO 227. AaO 229. 322 Ebd. 323 AaO 230, beim Thema der Menschwerdung rückt Ebeling das Attribut der Liebe, beim Thema Auferstehung das der doxa in den Mittelpunkt seines Nachdenkens. 324 AaO 231. 325 Ebd. 321
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Aufgrund ihrer Säkularisierungsresistenz326 ist die Kategorie der Heiligkeit nach Ebeling besonders gut geeignet, eine »religionsimmanente Interpretation«327 zu ermöglichen. In Verbindung mit dem Kreuzestod Christi wird deutlich, daß im Neuen Testament Heiligkeit nicht etwa die Separation vom Sünder, sondern »Kommunikation mit ihm, in der sich das Nein zur Sünde und die Trennung von ihr verwirklicht«328 , bedeutet. Im Neuen Testament wird vom Heiligen schwerpunktmäßig im Zusammenhang mit dem Heiligen Geist geredet. Darin äußert sich »eine aus dem Kreuzesgeschehen entspringende neue Erfahrung«329. Die Geisterfahrung eröffnet auch die eschatologische und damit zugleich die universale Dimension des Heiligkeitsverständnisses 330 : die Unterschiede zwischen rein und unrein sind unter den Menschen nun aufgehoben. Dadurch wird das Heilige aber keineswegs entwertet, sondern es wird umgekehrt »die Heiligkeit Gottes schlechterdings bestimmend«331, die – als kommunikatives Attribut verstanden – geradezu zwanglos zum Begriff der Liebe Gottes hinüberführt: »Nur von dem völligen Ernstnehmen der Heiligkeit Gottes her empfängt die christliche Freiheit gegenüber der herkömmlichen Unterscheidung von heilig und profan ihre Begründung. Und nur so kann das Verhältnis von Heiligkeit und Liebe recht erfaßt werden.«332 Gottes Liebe und seine Heiligkeit bestimmen sich gegenseitig und werden bei Ebeling eigentlich erst in ihrem wechselseitigen Bezug aufeinander richtig verstanden. Als wahre Liebe darf die Liebe Gottes die Heiligkeit nicht aufheben333. Gottes Liebe wird nur dann richtig erfaßt, wenn »sie die unendliche Differenz zu dem Menschen in sich schließt, – zu dem Menschen, dem das reine Herz mangelt und der nur dann vollkommen in der Liebe und reinen Herzens ist, wenn er sich von Gott geliebt weiß«334. Um dieser Liebe willen muß die Heiligkeit gewahrt werden. Denn sie läßt es nicht zu, Sünde und Tod zu überspielen335. Ohne die Heiligkeit Gottes wird »der Mensch selbst inhuman […] und Gottes Liebe [verliert] für ihn ihren Ernst, ihre Notwendigkeit und ihre Macht«336 . Aber es gilt auch umgekehrt, daß wahre Heiligkeit immer von Liebe bestimmt ist 337. Auf keinen Fall dürfen Heiligkeit und Liebe Gottes gegeneinander ausgespielt werden. Der Glaube »bejaht die Heiligkeit Gottes, auch in 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337
So ebd. Ebd. AaO 238. Ebd. So ebd. AaO 241. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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Gestalt des distanzgebietenden ganz Anderen, als Akt der Liebe, die Gott selbst ist und die auch in dem kommunikativen Attribut der Heiligkeit wirksam ist«338 . Die Aufhebung der religiösen Unterscheidung von heilig und profan durch das Kreuz bedeutet keine Profanisierung. Die religiöse Fundamentalunterscheidung von Gott und Welt, heilig und profan, wird hier nicht aufgehoben, sondern richtiggestellt: »Gott und Welt sind, gerade weil versöhnt, nun erst wahrhaftig unterschieden«339. Durch den Glauben kann nun die Welt wirklich als Welt, d.h. als Schöpfung Gottes, wahrgenommen werden, »und der Umgang mit ihr sich allererst geistlich, weil in Freiheit und Dankbarkeit«340 vollziehen. Das Kreuzesgeschehen steht also im Dienste der Heiligkeit Gottes, in dem Sünde und Tod weder verharmlost noch ignoriert, sondern vom Sündlosen, Jesus, durchlitten und durchstorben werden. Daß es eben der Sündlose ist, der dem Menschen das Leiden und Sterben um seiner Sünde willen abnimmt, ist das Geschehen der göttlichen Liebe, in dem Gott dem Menschen seine Heiligkeit als Nein zur Sünde und als gleichzeitiges Ja zum Sünder mitteilt. ll) Gottes Verborgenheit im Geschehen des Kreuzes 341 Verborgenheit und Nähe sind Relationsbegriffe und in tauchen in der klassischen Dogmatik gar nicht als Gottesattribute auf. Werden sie dennoch unter die göttlichen Attribute gezählt, dann soll nach Ebeling auf jeden Fall deutlich werden, daß »der relationale Charakter sowie der Ereignischarakter dessen betont [wird], was in den Aussagen über Gott intendiert wird«342 . Ebeling verwundert es nicht, daß dies in einer eher substanzmetaphysischen und nicht durchgehend christologisch orientierten Gotteslehre ausgeklammert bleibt 343. Verborgenheit und Nähe sind keine Gegensätze, denn »der Gegensatz zu Verborgenheit ist Offenbarsein, zu Nähe Ferne«344. Im christlichen Glauben lösen sich diese Momente nun keineswegs gegenseitig ab, sondern hier weiß man, »daß in der Offenbarung das Moment der Verborgenheit enthalten ist«345. Allerdings ist dabei eine »Polarität«346 intendiert, die die »spannungsvolle, aber untrennbare Zusammengehörigkeit zweier Aspekte«347 meint – ganz ähnlich wie in der Zuordnung von Heiligkeit und Liebe. 338 339 340 341 342 343 344 345 346 347
Ebd. AaO 242. Ebd. Vgl. auch G. Ebeling, Dogmatik, Bd. 1, 19873, 242. AaO 243. So ebd. AaO 244. Ebd. Ebd. Ebd.
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Auch die Verborgenheit Gottes wird von Ebeling als »kommunikatives Attribut«348 verstanden. Selbst wenn das Verborgene schweigt, meldet es sich doch gerade in diesem Schweigen »als verborgen«349 an. Und ohne »irgendeine Art von Mitteilung kann man nicht um Verborgenes wissen«350 . Wer von der Verborgenheit Gottes spricht muß – weil Gotteserkenntnis stets »im strikten Sinne einer Lebensrelation«351 zu verstehen ist – immer auch von der Verborgenheit des Menschen reden: Gottes- und Menschenerkenntis gehören unlösbar zusammen und es befinden sich nach Ebeling »die absconditas hominis und die absconditas Dei in Korrespondenz miteinander«352 . Denn die Hineinnahme der Verborgenheit in das Gottesverständnis läßt diesem einen großen »Erfahrungs- und Wirklichkeitsbezug«353 zuteil werden. Das soll nun nicht einer negativen Theologie das Wort reden, »deren Wahrheit ohnehin erst von ihrem Gegenteil her aufgeht«354. Die Rede von Gottes Verborgenheit hat vielmehr »nur solange Gewicht, wie sie eine Weise von Gottes Anwesenheit ist, einer bedrängenden, nicht einschläfernden, sondern wachrüttelnden, umtreibenden Anwesenheit, die Gott nicht vergessen, sondern erst recht nach ihm fragen und suchen läßt«355. Gottes Verborgenheit ist nun aber kein in sich ruhender Zustand und kein Selbstzweck, sondern Gott hat in seiner Verborgenheit eine Dynamik, die gerade zum Gegenteil, seinem Offenbarwerden, hindrängt. Denn Gott ist für Ebeling unbeschadet seiner Verborgenheit vor allem – »Licht«356 , und das bedeutet – wie ein »gewaltige[s] Crecendo«357 – »eine unaufhaltsame Bewegung von der Finsternis zum Licht, von der Blindheit für Gott zum Schauen Gottes, von der Verborgenheit zum Offenbarwerden«358 , allerdings immer in strenger Relation zum Glauben, die das Offenbarwerden Gottes von platter Sicht- und Habbarkeit immer fundamental und bleibend scheidet. Denn Gottes Offenbarung »haftet weiterhin die dem Heiligen gemäße Verborgenheit an, so daß ihr allein der Glaube entspricht. Für den Unglauben aber verdichtet sich diese Verborgenheit zu völligem Nichtverstehen und zu Verstockung«359. Diese bleibende Verborgenheit Gottes, die ausschließlich vom Glauben durchdrungen werden kann, ohne in dieser glaubenden Schau aufgehoben zu werden, 348 349 350 351 352 353 354 355 356 357 358 359
AaO 245. Ebd. Ebd. AaO 246. Ebd. AaO 248. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 249. Ebd. Ebd.
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ist die kreuzestheologische Imprägnierung des christlichen Offenbarungsverständnisses, das Ebeling schon in der synoptischen Tradition entdecken kann, denn es ist »ein Zug der theologia crucis in der synoptischen Tradition, wenn sie Jesus den Vater dafür preisen läßt, daß er Jesu Botschaft vor den Weisen und Klugen verborgen gehalten und den Unmündigen enthüllt hat (MT 11,25)«360 . In dieser Verborgenheit Gottes meldet sich – und das ist kreuzestheologisch in materialer Hinsicht der entscheidende Aspekt, aus dem der epistemologische erst folgt – der Widerspruch Gottes gegen die Sünde und den Menschen als Sünder an, ein Widerspruch, der um der Versöhnung Gottes mit eben diesem Menschen aufgerichtet und bis zum Kreuzestod des Gottessohnes durchgehalten wird. So kommen im Kreuzesgeschehen Gottes Heiligkeit und Liebe zur Deckung und zur Erfüllung, und dies so, daß der Gott widersprechende Mensch mithilfe des Widerspruchs Gottes gegen ihn, der im Kreuzestod Jesu zum Vollzug kommt, gerettet wird: »Vollends aber nimmt das Wort der Offenbarung als Wort vom Kreuz den Charakter der Verborgenheit an, weil hier Gott selbst unter dem Gegenteil dessen verborgen ist, was die Welt von ihm erwartet. Aber gerade so tut er ihr seinen Willen kund, seine heilige Liebe.«361
4.5. Verborgen versöhnt – Abschließende Bemerkungen zur Kreuzestheologie bei Gerhard Ebeling Zu Beginn dieses Kapitels hatten wir bereits eine erste theologiegeschichtliche Zuordnung der Ebelingschen Kreuzestheologie vorgenommen. Ebeling wußte sich explizit der Programmatik des Ansatzes von W. v. Loewenich verpflichtet, die Kreuzestheologie zunächst als orientierendes Prinzip der ganzen Theologie Luthers zu begreifen und sie von hier aus sowohl als kriteriologische Mitte rechter Theologie überhaupt als auch als materiales Zentrum der Versöhnungslehre zur Geltung zu bringen. Unsere Darstellung seiner kreuzestheologischen Grundkoordinaten hat darüber hinaus gezeigt, daß Ebeling das v. Loewenichsche Programm nicht allein aufgreift, sondern im Grunde überhaupt erst vollständig durchführt. Diese Durchführung leistet Ebeling einerseits durch seine thematisch ebenso breit angelegten wie im Detail außerordentlich tiefschürfenden Lutherarbeiten, deren systematischen Ertrag wir anhand des Buches »Luther. Einführung in sein Denken« untersucht haben. Andererseits bleibt die an Luther gelernte Kreuzestheologie für Ebeling kein theologiegeschichtliches Phänomen der Vergangenheit, sondern wird vor allem in seiner »Dogmatik des 360
Ebd. Ebd. Vgl. auch aaO 255: »Gott setzt sich in seiner Heiligkeit dem Menschen gegenüber durch. Deshalb hat das Kreuzesgeschehen seine Entsprechung in dem, was der heilige Geist wirkt.« Damit ist die Schwelle zur dogmatischen Reflexion des dritten Artikels markiert, die wir im Rahmen dieser Arbeit allerdings zurückstellen müssen. 361
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christlichen Glaubens« in der theologischen Verantwortung des christlichen Glaubens für die Gegenwart fruchtbar gemacht. Ebeling weist der Kreuzestheologie einerseits eine kriteriologische Funktion für die ganze Theologie zu, anderseits beschreibt sie für ihn die materiale Mitte der Versöhnungslehre, woraus ihre kriteriologische Funktion überhaupt erst hervorgeht. In beiderlei Hinsicht ist entscheidend, daß das Kreuz der Versöhnung des Menschen mit Gott wie auch der theologischen Reflexion dieses Geschehens die entscheidende und bleibende Prägung verleiht: es ist die Integration des Todes in das Versöhnungsgeschehens, der – als Strafe für die Sünde verstanden – von Gott überwunden wurde, indem er stellvertretend von Jesus Christus, dem Sündlosen, gestorben wurde, und den – im Glauben mit Christus verbunden – auch der Christ im Glauben bereits mitgestorben ist, unbeschadet der Tatsache, daß er sein Leben noch unter den leiblichen und zeitlichen Folgen des Todes, d.h. unter den Symptomen dieser Zerstörung wahren Lebens zu führen hat. Theologie ist als Ganze theologia crucis, auch wenn sie sich nicht immer explizit mit dem Kreuz auseinandersetzt. Man kann Ebeling sogar so interpretieren, daß für ihn Theologie entweder theologia crucis, oder im Grunde überhaupt keine Theologie ist, weil Gott überhaupt nur in einer Perspektive wirklich als Gott verstanden wird, die das Kreuz Jesu zum Fluchtpunkt hat. Auf derselben Linie liegt es, wenn Ebeling das Kreuzesgeschehen auch als die orientierende Mitte von Gottesdienst und Verkündigung zur Geltung bringt. Das Zur-Sprache-Bringen des Kreuzesgeschehen in der christlichen Verkündigung und seine Reflexion in der theologischen Arbeit erst lassen Gott und Mensch recht verstehen, und das heißt in ihrer bleibenden fundamentalen Unterscheidung voneinander bei gleichzeitigem Aufeinander-Bezogensein. Daß dieser Bezug Gottes auf den Menschen wie die unhintergehbare Unterscheidung zwischen Gott und Mensch für diesen heilvoll ist, daß also das Kreuzesgeschehen Vollzug von Versöhnung ist, geschieht streng von Gott her, und zwar aufgrund der endgültigen Todeshingabe des menschgewordenen Gottes. Das Kreuzesgeschehen und was mit ihm verwirklicht wird, geschieht nicht reziprok, sondern in einem schlechthin unumkehrbarem Gefälle von Gott zum Menschen hin. Gerade so – und nur so – kann von Versöhnung gesprochen werden, die mehr ist als bloße Solidarität im Leiden oder vordergründiges Verzeihen, das aber nicht mit der Überwindung der lebenszerstörenden Sünde die Wurzel der Verwerfung zwischen Gott und Mensch selber auszuziehen vermag. Die vorstehenden Überlegungen führen uns bereits hinüber auf das Feld der materialen Orientierung der ganzen Theologie, die die Reflexion auf das Kreuzesgeschehen bei Ebeling neben ihrer kriteriologischen Funktion für die Bestimmung rechter Theologie und ihrer Aufgabe leisten soll. Ebeling hatte zunächst nach einem Anschluß gesucht, der den Kreuzestod Jesu und seine Interpretation als ein Gott selbst erschließendes Geschehen in
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geeigneter Weise auf die menschliche Erfahrung beziehen konnte. Diesen Anschluß hatte er in dem Gedanken gefunden, daß das menschliche Leben als solches durch und durch mit dem Tod konfrontiert ist, der sich auf der Oberfläche in Leiden und Schmerz äußert. Theologisch gesehen ist die Tiefenstruktur des Todes jedoch die Sünde, die wahres, von Gott gewolltes und gemeintes, Leben zerstört. Die Sünde und mit ihr ihr zentrales Symptom, der Tod, in seinen unzähligen Erscheinungsformen und Abschattungen, sind vom Menschen her nicht zu überwinden, weshalb jeder religiöse oder moralische Optimismus ein im letzten Grunde verantwortungsloser Irrweg ist, ein Wahn menschlicher Herrlichkeit und also nichts anderes als das Grundmuster jeder theologia gloriae repräsentiert. Am Kreuz Jesu wirkt sich der Widerspruch des Menschen gegen Gott in der Zerstörung wahren Lebens aufs Äußerste gesteigert aus. Zugleich widerspricht Gott der Sünde und dem Sünder, indem er beide zu Tode bringt und damit zugleich seine Heiligkeit bewährt. Gott verbindet sich aber in Jesus selbst mit dem Tod: es ist ein Akt seiner Liebe, daß der Kreuzestod Christi zum »Tod des Todes« wird, so daß hier mit Recht, aber auch nur in diesem auf die Versöhnung des Menschen in der Überwindung des Todes durch den sich dem Tod aussetzenden sündlosen Christus sogar vom Tod des menschgewordenen Gottes selbst gesprochen werden kann. Gott integriert also am Kreuz den Tod in das Versöhnungsgeschehen: damit werden Mensch, Sünde und Tod ernstgenommen, aber der Sünder wird in ebendemselben Geschehen von seiner Sünde getrennt und ist nicht mehr mit dem ewigen Tod konfrontiert. Er bleibt aber als von Gott gerecht geachteter Sünder noch lebenslang mit der Wirklichkeit und der Wirkung des Todes konfrontiert und hat diese zu durchleben, zu durchleiden und auch zu durchsterben: es gilt also streng das simul iustus et peccator. Das Leben aus der Taufe im Glauben wird von Ebeling in engem Anschluß an Luther als ein einziger Übergang in das nicht mehr von der Todeswirklichkeit überschattete Leben verstanden – ein Übergang, der bis über die Grenze des leiblichen Todes hinwegführt. Indem Ebeling das Kreuzesgeschehen auf das von ihm radikal durchgehaltene Sündenverständnis bezieht, kann und muß er folgerichtig entsprechende Konsequenzen für die Möglichkeit eines existentiellen Verstehens des Wortes vom Kreuz, das das Kreuzesgeschehen ja stets neu vergegenwärtigt, ziehen. Denn wenn die Sünde vom Menschen aus schlechthin unüberwindbar ist, dann kann der göttliche Sieg über Sünde und Tod im Kreuzesgeschehen nicht einfach durch ein Verstehen dieses Geschehens angeeignet werden, das als Verstehen selber noch im Bereich menschlicher Möglichkeiten läge. Vielmehr ist das Verstehen des Kreuzesgeschehens als existentielles Lebensverstehen an sich bereits ein Akt göttlicher Erwählung. Dessen ungeachtet ist aber das Kreuz nur dann als Heilsereignis verstehbar, wenn begriffen wird, daß Gottes Ja im Kreuz unter seinem Nein verborgen ist,
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daß also nicht etwa das Kreuz allein das Nein repräsentiert und es durch die Auferstehung als das »Ja« Gottes abgelöst würde. Wir hatten es zuvor schon mehrfach betont: Ebeling liegt alles daran, daß das Kreuz bzw. der Tod in das Versöhnungsgeschehen wirklich integriert bleibt. Nur so ist ein Begriff von Versöhnung erreicht, der den Tod nicht verdrängt, sondern seine wirkliche Überwindung durch Gott in sich begreift. Das Ja Gottes im Nein des Kreuzes: das ist die äußerste Zuspitzung der Tatsache, daß der Kreuzestod Jesu ein Widerspruchsgeschehen ist. Wie dem Tod, so widerspricht Gott im Kreuz des Sündlosen auch der verkehrten Erkenntnis, die sich der Mensch von ihm macht. Der Widerspruchscharakter der kreuzestheologischen Gottes- und Menschenerkenntnis gehört schon nach Paulus (1 Kor 1,18ff) und Luther (21. Heidelberger These) zum kreuzestheologischen »Urgestein«. Allerdings wird dieser Widerspruchscharakter selten wirklich so radikal durchgehalten wie in der Kreuzestheologie Ebelings, nämlich als Grundwiderspruch Gottes gegen die Menschheit, die als solche unter der Macht des lebenszerstörenden Todes leidet. Dadurch wird der Widerspruchscharakter des Kreuzes nicht zu einem formal verstandenen, allgemeinen Prinzip des Widerspruchs, sondern bleibt eben immer dieser Widerspruch, der material aus dem Widerspruch Gottes gegen die Sünde und den sündigen Menschen als solchen besteht. Bei J. Moltmann etwa begegnen wir einer gänzlich untheologischen Entschärfung dieses Widerspruchs, die auf seiner bei Ebeling streng vermiedenen Formalisierung und Prinzipialisierung beruht: Moltmann entkernt den Widerspruchscharakter des Kreuzes gewissermaßen um seinen materialen theologischen Gehalt und kann das Kreuz dann für bestimmte politisch-gesellschaftliche Parteimeinungen in Dienst nehmen. Das Kreuz Christi wird damit zum allgemeinen Symbol des Widerprechens gegen wie auch immer verstandene Ungerechtigkeiten oder Leidstrukturen auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene. Gerade so aber kommt der Fundamentalwiderspruch Gottes gegen alle Menschen – nicht nur gegen einzelne Parteien – nicht mehr zur Geltung. Ihn zur Sprache zu bringen, muß dann fast unvermeidlich als ein Symptom für die Verdrängung der ›Wirklichkeit‹ durch eine Verinnerlichung des Gottesverhältnisses in seinem Verständnis als ›bloßer‹ Glaube erscheinen. Da dieser göttliche Fundamentalwiderspruch aber gerade um des Menschen Heil, nämlich der Trennung des Sünders von seiner Sünde, willen, ergeht, ist in Moltmanns Theologie das Kreuz auch nicht mehr wirklich als göttliches Heilszeichen zur Geltung gebracht. Zugleich ist damit aber die paulinisch-lutherische Tradition der Interpretation des Kreuzes und mithin der reformationstheologisch verantwortbare Bezug zur Kreuzestheologie der Sache nach preisgegeben.
Diesem Widerspruchscharakter des Kreuzesgeschehens, der seine epistemologische Entsprechung in der Unzugänglichkeit Gottes für natürliche oder metaphysische Erkenntnis hat (auch diese Unzugänglichkeit hat ihre Wurzel in der Sünde, d.h. dem Grundwiderspruch des Menschen gegen Gott), ist allein ein Offenbarungsbegriff angemessen, der Gottes Offenbarung in Verborgenheit beschreibt. Die einzige Brücke, die aus dieser Verborgenheit Gottes zur Erkenntnis des Men-
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schen führt, ist das Wort. Diesem wiederum entspricht der Glaube als die einzige Weise, Gott am Kreuz zu erkennen. Dem in die Verborgenheit der Offenbarung schauenden Glauben entspricht seinerseits die bleibende Anfechtung dieses Glaubens durch alles, was ihm dem Augenschein nach widerspricht. Das Kreuz Jesu läßt den Glauben reinen Glauben bleiben, indem in ihm keine vom Menschen gemachten Gottes-, Heils- und Menschenbilder eine Rechtfertigung finden, sondern als Götzen, Illusionen und Lebenslügen entlarvt werden. Der Glaubende, der im Vertrauen auf das Wort vom Kreuz, das ihm den Tod des sündlosen Christus als seinen Tod zusagt und ihn als den vor Gott nun nicht länger durch seine Sünde identifizierten Menschen proklamiert, bedarf keiner ›weltlichen‹ Sicherung und keines Relevanzaufweises dieses Glaubens. Anders gesagt: wer nach der »Relevanz« des Glaubens fragt, nach seiner vermeintlich notwendigen Beglaubigung in Erlebnis, Erfahrung oder sonstiger Lebenspraxis, glaubt noch nicht wirklich. Für den aber, dem sich die Frage nach der weltlich ausweisbaren Relevanz des Kreuzesgeschehens im Glauben an den bei Gott lebenden Gekreuzigten beruhigt, ist der Kreuzestod Jesu der Ort, an dem sich Wirklichkeitserfahrung (Sünde, die in Lebenszerstörung manifest wird) und Gotteserfahrung (vollmächtiger Widerspruch gegen Sünde und Sünder, aber im Gefälle der heilvollen Trennung des Sünders von der Sünde durch deren unhintergehbare Überwindung) treffen – als des Todes Tod und damit als Versöhnung des Menschen mit Gott durch Gott. Diese Versöhnung bleibt im Glauben verborgen – aber als verborgene bestimmt sie die Wirklichkeit der ganzen Schöpfung unwiderruflich.
5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns als Theorie praktischer Solidarität 5.1. Methodologische Vorbemerkung Jürgen Moltmanns »Klassiker« zum Thema Kreuzestheologie ist das in erster Auflage 1972 erschienene Buch »Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie«1 . 1988 erscheint als dritter Band seiner Reihe »Systematische Beiträge zur Theologie« Moltmanns Christologie unter dem Titel: »Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen«. Moltmann selber stellt in seinem Christologiebuch fest, daß er in ihm »einen neuen Ansatzpunkt«2 gegenüber »Der gekreuzigte Gott« wählt, ohne 1 J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, (1972) 19936. Siehe dazu auch M. Welker (Hg.), Diskussion über Moltmanns Buch ›Der gekreuzigte Gott‹, 1979. 2 J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, 1988, 173.
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aber von dem dort Enfalteten irgendetwas zurückzunehmen3. 1972 ging es ihm in erster Linie um die Gottesfrage (»Was bedeutet der Tod Christi für Gott selbst?«4). Damals wollte er zeigen, daß das Leiden Jesu für Gott selbst wesentlich ist, und daß deshalb der Schrei der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz »das Kriterium für alle Theologie, die christlich zu sein beansprucht«5 , sein müsse. Nun verschiebt sich der Schwerpunkt von der 1972 proklamierten ›Revolution im Gottesbegriff‹ hin zu einer Fruchtbarmachung der Lehre vom ›gekreuzigten Gott‹ für den aktuell leidenden Menschen. Moltmanns kreuzestheologische Argumentationsfiguren bleiben jedoch im wesentlichen dieselben, so daß er in 1988 keine neue Kreuzestheologie entwirft, sondern seinen bereits 1972 entfalteten Ansatz lediglich in einer neuen Leitperspektive – der des Leidens »unserer Zeit«6 – neu zur Geltung bringt. Wir werden in diesem Kapitel unser Interesse auf diese beiden Arbeiten Moltmanns konzentrieren, ohne es aber zu versäumen, auch andere seiner Schriften flankierend heranzuziehen, wenn es zum Verständnis seiner Kreuzestheologie notwendig ist7. Den Schwerpunkt dieses Kapitels wird die Auseinandersetzung mit »Der gekreuzigte Gott« bilden – das hier Gesagte soll dann durch das ergänzt werden, was sich Moltmann in »Der Weg Jesu Christi« durch eine veränderte kreuzestheologische Leitperspektive an weiteren Einsichten erschlossen hat. Unsere Diskussion der Moltmannschen Kreuzestheologie, die hier ja nicht monographisch erfolgt, sondern in die Bearbeitung einer ganzen Reihe von Autoren eingefügt ist, muß und darf sich nicht allein in der Auswahl der Quellen beschränken, sondern ihr sind auch im Hinblick auf die zu besprechende Sekundärliteratur Grenzen gesetzt. Eine Arbeit allerdings ragt aus der breiten und sehr unterschiedlichen literarischen Auseinandersetzung mit Moltmanns Kreuzestheologie heraus und verdient eine gesonderte Behandlung. Es ist die 3
So ebd. Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Siehe z.B. J. Moltmann, Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre, 19862 ; Ders., das Experiment Hoffnung. Einführungen, 1974; Ders., Ohne Macht mächtig. Predigten, 1981; Ders., Die Sprache der Befreiung. Predigten und Besinnungen, 1972; Ders., Mensch. Christliche Anthropologie in den Konflikten der Gegenwart, 19772; Ders., Kirche in der Kraft des Geistes. Ein Beitrag zur messianischen Ekklesiologie, 1975; Ders., Prädestination und Perseveranz. Geschichte und Bedeutung der reformierten Lehre ›de perseverantia sanctorum‹, 1961; Ders., Politische Theologie – Politische Ethik, 1984; Ders., Im Gespräch mit Ernst Bloch. Eine theologische Wegbereitung, 1976 – Zur umfassenden Bibliographie Moltmanns siehe D. Ising, Bibliographie Jürgen Moltmann, 1987; an Sekundärliteratur siehe u.a. M. Matic, Jürgen Moltmanns Theologie in Auseinandersetzung mit Ernst Bloch, 1983; G. Müller-Fahrenholz, Phantasie für das Reich Gottes. Die Theologie Jürgen Moltmanns. Eine Einführung, 2000; W.-D. Marsch (Hg.), Diskussion über die ›Theologie der Hoffnung‹, 1967. 4
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1981 erschienene Dissertation von Pierre Bühler, »Kreuz und Eschatologie«8 . Bühlers Arbeit ist zwar vor Moltmanns »Weg Jesu Christi« erschienen, wird in diesem Kapitel aber dennoch erst im Anschluß an die Erarbeitung beider Moltmann-Arbeiten diskutiert, was durch die prinzipielle Homogenität dieser beiden kreuzestheologischen Entwürfe gerechtfertigt ist.
5.2. Die Kreuzestheologie als Thema im theologischen Schaffen Moltmanns In der Einleitung zu »Der gekreuzigte Gott« will Moltmann die Kreuzestheologie generell als den »rote[n] Faden [s]eines theologischen Denkens«9 verstanden wissen. Sie habe ihn seit »den Anfängen [s]eines Theologiestudiums beschäftigt«10 . Diesen seinen roten Faden hat er nach eigenem Zeugnis nicht etwa im theoretischen Denkexperiment des Studier- und Arbeitszimmers aufgenommen, sondern zunächst während seiner »ernsten Beschäftigung mit den Fragen des christlichen Glaubens und der Theologie in der Existenz eines Kriegsgefangenen hinter Stacheldraht«11. Und ausdrücklich erwähnt er den Einfluß seiner Göttinger Lehrer Hans Joachim Iwand, Ernst Wolf und Otto Weber, die es verstanden hatten, die Kriegserfahrungen ihrer Studenten theologisch verarbeiten zu helfen: »Eine Theologie, die nicht im Angesicht des gottverlassenen Gekreuzigten von Gott gesprochen hätte, hätte uns damals nicht erreicht.«12 Damit ist der für Moltmann grundlegende biographische Entdekkungszusammenhang des Kreuzes Christi als ein grundlegender Orientierungspunkt seines eigenen theologischen Denkens bezeichnet. Moltmann selber weiß um die Unwiederholbarkeit und auch Unübertragbarkeit von eigenen Erfahrungen. Es kommt ihm auch nicht auf diese an sich an, sondern auf den, »den man in ihnen erfahren hat«13. Trotzdem ist der Hinweis auf den Entdeckungszusammenhang seiner Kreuzestheologie zu deren Verständnis unverzichtbar. Unverzichtbar gerade angesichts ihrer – wie wir noch sehen werden – erheblichen Kritikbedürftigkeit. Eigene Erfahrungen, selbst wenn sie persönlicher oder sogar privater Natur sind, stellen oft die entscheidenden Weichen für das Verständnis dessen, was man in ihnen erfährt oder entdeckt und, als ein Objektives begriffen, schließlich losgelöst von der eigenen Entdeckungserfahrung zur Sprache zu 8 P. Bühler, Kreuz und Eschatologie. Eine Auseinandersetzung mit der politischen Theologie, im Anschluß an Luthers theologia crucis (HUT 17), 1981. 9 Moltmann, DgG, 7. 10 Ebd. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd.
5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns
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bringen versucht. Moltmann ist im Erfahren eigenen Kriegsleidens kreuzestheologisch sensibilisiert worden. Dieses eigene Leiden war nun allerdings nicht allein ein privates Schicksal, sondern er teilte es mit seiner ganzen Generation. Moltmanns spätere theologische Reflexion auf das Kreuz Christi wird immer diese doppelte Imprägnierung ihrer Herkunft behalten: er wird sie einerseits als Reflexion auf die Praxis von Leidenserfahrung und Wirklichkeitsveränderung entfalten, und andererseits wird seine Deutung von Leiden, Wirklichkeit und Veränderung immer über den Einzelnen hinweg auf ihre gesellschaftliche, institutionelle, politische – ja letztlich kosmische Erfahrung, Bewältigung und Überwindung zielen. Moltmanns erstes großes und programmatisches Werk ist die 1964 zuerst erschienene »Theologie der Hoffnung«14. Sie ist der Eschatologie gewidmet, einem in der Theologie traditionell vernachlässigten Topos, wie Moltmann feststellt. Ohne sein Eschatologieverständnis ist die Pointe seiner 1972 in »Der gekreuzigte Gott« zuerst entfalteten und dann 1988 in »Der Weg Jesu Christi« noch einmal mit anderer Schwerpunktsetzung neu dargelegten Kreuzestheologie, nämlich eine »praktische Theorie« zu sein, die »in den Leiden unserer Zeit relevant wird«15 , nicht wirklich nachvollziehbar. Einige Grundlinien seiner Eschatologie sind daher im folgenden zu skizzieren. Die Eschatologie wird nach Moltmann in der Dogmatik in der Regel vernachlässigt, weil der Einfluß des griechischen Logosbegriffes die Durchsetzung einer ›transzendentalen Eschatologie‹, wie sie dann klassisch bei Kant vorliegt, begünstigt habe: alle Zeiten sind im transzendental-eschatologischen Verständnis »gleich unmittelbar zu Gott und gleich-gültig vor der Ewigkeit«16 . Damit kann aber – so Moltmanns Kritik – kein eigentlicher Begriff von Geschichte erreicht werden. Ihr offener, prozeßhafter Charakter ist dann nicht mehr darstellbar. Dieses Defizit im Geschichtsbegriff konstatiert Moltmann auch bei Barth und Bultmann – bei Barth werde die Selbstoffenbarung Gottes ungeschichtlich, bei Bultmann werde die transzendentale Subjektivität des Menschen ihrer Geschichtlichkeit beraubt, indem die Eigentlichkeit des Menschen immer nur in den jeweils für sich stehenden Augenblicken des Angeredetseins durch Gott erreicht wird17. Gerade die existentialistische Engführung der Eschatologie ist gefährlich, da ihr über den Verlust der Geschichte auch noch der Weltverlust droht. Wenn der Mensch und die Welt nämlich derart stark wie etwa bei Bultmann auseinanderdividiert werden, »verschwimmt die Hoffnung zur Hoffnung der einsamen Seele im Gefängnis einer versteinerten Welt und wird zum Ausdruck gnostischer Erlösungssehnsucht«18 . Dagegen 14 15 16 17 18
J. Moltmann, Theologie der Hoffnung, (1964) 198011. Moltmann, Weg 173. Moltmann, Hoffnung, 36. So ebd. AaO 60.
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führt Moltmann nun seinen auf die Auferstehung Christi fokussierten Offenbarungsbegriff ins Feld. Aufgrund der Auferstehung Christi gibt die Offenbarung keiner an sich sinnlosen Geschichte einen – am Ende bloß akzidentiellen – Sinn, sondern sie macht selber »den inneren Sinn und die Verheißung von Geschichte offenbar. Offenbarung macht Geschichte.«19 Moltmann will auf diese Weise den seiner Ansicht nach eschatologisch defizitären Offenbarungsbegriff der griechisch-abendländischen Tradition überwinden, indem er sein Offenbarungsverständnis ganz aus einer Konzentration auf die biblische Christusbotschaft zu gewinnen sucht20 . Entscheidendes Moment ist dabei die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten, wie sie aufgrund der Ostererscheinungen erkannt und verkündigt wird 21. Diese Identität qualifiziert er als »Identifikationsgeschehen, als Akt der Treue Gottes«22 . Und auf diese Treue gründet sich »die Verheißung der noch ausstehenden Zukunft Jesu Christi«23. Die Geschichte erscheint dann auf dem Hintergrund dieser noch ausstehenden Zukunft »als offener Raum voller ungeahnter und noch nicht realisierter Möglichkeiten. Dann aber fängt die Arbeit, die Praxis der Hoffnung erst an; denn dann geht es darum, ›die Welt als gott- und zukunftsoffene Geschichte zu erweisen‹«24. Was hat Moltmann damit erreicht? Er hatte versucht, zunächst die Geschichte als ein auf Zukunft ausgerichtetes Kontinuum zurückzugewinnen, als Raum, der von der Treue Gottes her, wie sie sich in der Auferweckung des Gekreuzigten erwiesen hat, zur Zukunft Jesu Christi hin offen ist. Dieser Raum – die Geschichte – ist gestaltbar und muß gestaltet werden. Die zentralen theologischen Begriffe wie z.B. der Begriff der Gerechtigkeit werden dann durch Äquivokation zur Gestaltung von Geschichte operationalisiert. Dabei fällt immer wieder ins Auge, daß bei Moltmann der Mensch durch seine Praxis die Welt als gott- und zukunftsoffen erweisen soll – ist gerade das aber nicht Gottes Sache, und zwar gerade um einer ›gottgefälligen‹ Zukunft der Welt willen? Bei Moltmann selbst steht der Gedanke, daß der Mensch durch gerechtes Handeln die Gott- und Zukunftsoffenheit der Welt darzustellen habe, in einer nachvollziehbaren Opposition zu einem kosmologisch-mechanistischen Weltverständnis, d.h. zu »einer Welt ohne Alternative und ohne Möglichkeiten und ohne Zukunft«25. Dennoch muß gegenüber Moltmann der Einwand ausgesprochen werden, daß das legitime und in jeder Hinsicht zu unterstüt19 20 21 22 23 24 25
AaO 37. So ebd. So ebd. Ebd. AaO 38. AaO 38f, Zitat aus Moltmann, Hoffnung, 82. Moltmann, Hoffnung, 82.
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zende Bemühen, Geschichte als Raum eigenverantwortlicher Tat zu gewinnen und zu verteidigen, nicht schon eo ipso als Mandat begriffen werden kann und auch nicht als Mandat begriffen werden muß, sich die Eröffnung der doch von Gott selbst heraufzuführenden Zukunft des Regnum Christi als menschliches (Mit-)Tun selber anzueignen. Der Blick in die Zukunft – und damit eben Geschichte – wird für Moltmann möglich, weil Gott Zukunft verheißt. Er tut das im auferweckten Gekreuzigten, der als der Kommende zu erwarten ist. Der Begriff der Verheißung wird von Moltmann durch einen weiten Ausgriff ins Alte Testament G.-v.Radscher Lesart grundgelegt. Die Erwartung der Erfüllung der göttlichen Verheißungen – nur soviel sei hier erwähnt – lassen eine Art »Sog der Geschichte«26 entstehen. Diese sich im Alten Testament stetig ausdehnenden Erwartungen führen einerseits über Israel hinaus in die Universalität der Völkerwelt, andererseits führen sie auch über die Schranken unseres Daseins hinaus27. In der ›Theologie der Hoffnung‹ formuliert Moltmann diesen Gedanken folgendermaßen: »Die Universalisierung der Verheißung findet in der Verheißung der Herrschaft Jahwes über alle Völker ihr eschaton. Die Intensivierung der Verheißung findet an der Infragestellung des Todes ihre Schwelle zum Eschatologischen.«28 Diese Schwelle zum Eschatologischen wird mit der Auferweckung des gekreuzigten Jesus Christus überschritten. Die Auferstehung sollte dabei aber nicht in enthusiastischem Überschwang als Erfüllung und Ende der Verheißungen mißverstanden werden. Das Christentum ist eben keine Mysterienreligion 29. Davor bewahrt die Tatsache, daß der Auferweckte identisch ist mit dem Gekreuzigten. Von daher ist das »Christusgeschehen […] Leidensgemeinschaft mit dem Gekreuzigten«30 . Eschatologie, die also nicht auf griechisch-philosophischer Spekulation beruht, sondern aus der Reflexion auf das Christusgeschehen hervorwächst, ist deshalb für Moltmann »eschatologia crucis«. Wir sehen hier aber ungeachtet der Titulierung der Eschatologie als eschatologia crucis, daß das eigentliche Movens des Moltmannschen Eschatologieverständnisses die Auferweckung ist. Neben ihr erscheint das Kreuz als Korrektiv, welches das menschliche Selbstverstehen und sein Handeln in der Wirklichkeit vor enthusiastischer Überhitzung bewahren soll, die wiederum den Verlust der Geschichtlichkeit des Weltlaufes bedeutete. Die Auferweckung als Movens der Eschatologie: Moltmanns Pointe hinsichtlich der Auferweckung Christi liegt darin, das Christusgeschehen insgesamt als einen »Prozeß mit der Weltge-
26 27 28 29 30
Moltmann, Weg, 39. So aaO 39f. Moltmann, Hoffnung 119, im Orignal kursiv. Moltmann, Weg, 40. Moltmann, Hoffnung, 146.
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schichte«31 zu begreifen. Dieser Prozeß scheint mit der Kreuzigung Jesu zu einem für Gott ungünstigen Abschluß gekommen zu sein. Aber Gott selbst hält ihn durch die Auferweckung des gekreuzigten Christus offen. Geschichte – das ist eigentlich die Offenheit dieses Prozesses Gottes gegen den ihm aus der Welt entgegenschlagenden Widerspruch des Menschen. Moltmann betont dabei, daß die hier eröffnete »Offenheit christlicher Existenz […] nicht ein Spezialfall allgemeinmenschlicher Offenheit [ist]«32 . Immer wieder lesen wir bei ihm, daß die durch die Auferweckung eingetretene Veränderung der Situation auf Hoffnung hin von Gott ins Werk gesetzt ist. Ich lege darauf allen Nachdruck, weil wir diese Seite bei Moltmann nicht unterschlagen dürfen, sondern ihn ja ad maiorem partem interpretieren wollen! Dennoch zögert er nicht lange, diese von Gott her eröffnete Existenzoffenheit dem Menschen zu konkreter Gestaltung zu übergeben, denn die »Erscheinungen des Auferstandenen wurden von den Betroffenen als Beauftragung zu Dienst und Sendung in der Welt erfahren […]. Die Beauftragung zum apostolischen Dienst an der Welt galt als das eigentliche Wort des Auferstandenen.«33 Die in der Erfüllung solchen Dienstes und solcher Sendung zu gewinnende Zukunft – in ihrem Oszillieren zwischen ihrer Erwartung von Gott her und ihrer Verwirklichung durch menschliches Handeln – ist durch inhaltlich klar qualifizierte Verheißungen geprägt: Gerechtigkeit Gottes, Leben aus der Auferstehung der Toten und Reich Gottes34. Obwohl Moltmann einerseits betont, daß Gottes Zukunft Gottes Zukunft bleibe35 , ist für ihn aber »christliche Eschatologie […] Tendenzkunde der Auferstehung und Zukunft Christi und geht darum unmittelbar in das praktische Wissen der Sendung über«36 . Problematisch ist hier neben diesem sich überstürzenden Gefälle ins Praktische hinein vor allem die behauptete »Unmittelbarkeit« dieses Übergangs. Gerade sie unterläuft doch im Ansatz jede Kritik ermöglichende Differenz zwischen der Eschatologie und der durch sie inspirierten Gestaltung christlichen Lebens, die gerade um der Tatsache willen notwendig ist, daß die Eschatologie eben das Handeln Gottes beschreibt, die Praxis der Sendung jedoch Handeln des Menschen meint. Wenn diese Differenz verwischt wird, droht die praktische Instrumentalisierung der Eschatologie bzw. die theologisch überhöhte Ideologisierung praktischer Maximen. Schon Eduard Tödt konnte bei Moltmann über das faktische, wenngleich ungewollte, Vorhandensein einer ›chiliastischen Komponente‹ nicht hinwegsehen 37. 31 32 33 34 35 36 37
AaO 163. AaO 178. AaO 183. So aaO 184f. So 176f. AaO 177. Siehe Müller-Fahrenholz, Phantasie, 47.
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Gerechtigkeit ist der Zielbegriff, auf den Moltmanns theologisches Denken grundsätzlich zuläuft. Gerechtigkeit bedeutet für ihn »in Ordnung sein« und »Bestehenkönnen«38 . Gottesgerechtigkeit hat ihren Grund sowohl im Kreuz als auch in der Auferstehung. Gerade im Blick auf das Kreuz warnt Moltmann vor einer einseitigen Überbetonung. Diese Warnung entspricht seinem gerade erwähnten Verständnis der Eschatologie als »Tendenzkunde« der Auferwekkung und Zukunft Christi – gemeint ist eben eine Tendenz weg von dem in der Vergangenheit des Leidens liegenden Kreuz hin zur künftigen Herrlichkeit, in der das Leiden der Welt überwunden ist. Damit verbindet sich die theologische ›Tendenz‹ bei Moltmann, die Sündenvergebung jener im Grunde zurückliegenden und zurückzulassenden Vergangenheit zuzuordnen und sich ganz auf eine erwartete und in der Erwartung schon durch eigenes Handeln vorwegzunehmende ›neue Gerechtigkeit‹ hin zu orientieren. Das in diesem Gedanken sich kaum verbergende gravierende Problem, wie sich denn ›alte‹ und ›neue‹ Gerechtigkeit zueinander verhalten, wird von Moltmann nicht reflektiert. So heißt es bei ihm lediglich lapidar: »Eine einseitige Kreuzestheologie würde nur zum Evangelium von der remissio peccatorum gelangen, nicht aber zur promissio der neuen Gerechtigkeit, deren Leben in seinem Leben gründet und deren Zukunft in der Zukunft seiner Herrschaft besteht. […] Die offenbar werdende Gottesgerechtigkeit findet ihr Maß nicht an der Sünde, die sie vergibt, sondern an dem neuen Leben in der Herrschaft des auferweckten und erhöhten Christus, das sie verheißt und in das sie weist.«39 Wie kann nun eine Kreuzestheologie aussehen, die auf dem Horizont einer zum Programm erhobenen »eschatologia crucis« entworfen ist, die unter der Hand aber eigentlich zu einer »eschatologia resurrectionis« geraten ist? Kann Moltmanns Kreuzestheologie überhaupt noch das spezifische Gewicht des Wortes vom Kreuz zum Tragen bringen, wenn doch Glaube und Hoffnung ganz von der ›Tendenz‹ auf die Zukunft in Herrlichkeit hin ergriffen sind und der Rückbezug auf Kreuz und Auferweckung als auf das Perfectum der Gottesgerechtigkeit damit notwendigerweise zurücktritt hinter die Idee, diese Gerechtigkeit in der noch zu gewinnenden Zukunft der offenen Geschichte durch rechte Praxis (»Orthopraxie«) überhaupt erst zu verwirklichen?
38 39
So Moltmann, Hoffnung, 185. AaO 187.
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5.3. Kreuzestheologie als »kritisch-befreiende Theorie Gottes und des Menschen« a) »Kritisch-befreiende Theorie« – Die Kreuzestheologie in »Der gekreuzigte Gott« Moltmann entfaltet seine Kreuzestheologie in sieben Kapiteln. Zuerst versucht er zu zeigen, daß die Reflexion auf das Kreuz das Dilemma von Identität und Relevanz des christlichen Glaubens in eine produktive Polarität überführt (I). Zunächst allerdings muß das Kreuz von der Patina seiner traditionellen Domestizierung und Verharmlosung befreit werden: der Gekreuzigte als Realität geht in keiner Rede von ihm auf. Das Kreuz bezeichnet das an Jesus, was jedem Hörer und Deuter bleibend entgegensteht (II). Die beiden folgenden Teile versuchen, das Kreuz in ein Gesamtbild von Jesus einzuzeichnen, wobei Moltmann in (III) in einem eschatologisch erweiterten Schema des christologischen Dogmas vorgeht, in (IV) sich dem geschichtlichen Prozeß Jesu zuwendet, der mit der offenen Frage nach Gott (Schrei am Kreuz) zugleich von der Auferstehung her als eschatologisch offenbleibend erscheint, was in (V), einer Erörterung des »eschatologischen« Prozesses Jesu, vertieft wird. Dieses Kapitel bezieht die Auferweckung Jesu in dem Sinne auf das Kreuz, daß in ihr die Leiden und der Tod Jesu als die (Todes-)Leiden Gottes selber offenkundig gemacht werden. An diese drei christologischen Kapitel schließen sich drei systematische Kapitel an, in denen die Kreuzestheologie in ihren Konsequenzen für den Gottesbegriff, die Anthropologie und die Gesellschaftstheorie ausgearbeitet wird. Dabei nimmt das Kapitel zum Gottesbegriff (VI) mit 80 Seiten mit Abstand den größten Umfang ein. Den Abschluß macht das Buch mit einem Kapitel (VII) zur psychischen und (VIII) zur politischen Befreiung des Menschen. Wir brauchen im folgenden nicht das ganze Werk zur Darstellung bringen, sondern können uns auf die wesentlichen Momente beschränken. Zu diesen zählt Moltmanns Definition der Kreuzestheologie, ihre epistemologische Funktion und vor allem ihre konstitutive Bedeutung für den Gottesbegriff – eine Bedeutung, die Moltmann in kritischer Absetzung von einer einseitig an der Soteriologie orientierten Kreuzestheologie40 ganz ins Zentrum seines Interesses rückt. Von der so umrissenen Spielart von Kreuzestheologie gewinnt Moltmann dann ganz auf der Linie seines schon skizzierten Eschatologieverständnisses Handlungsimpulse, die sich zu einer dezidiert kreuzestheologisch fundierten ›politischen‹ Theologie verdichten. Auch ihr und ihrer gründlichen Kritik durch Pierre Bühler wird unsere Aufmerksamkeit gelten.
40
Vgl. Moltmann, DgG, 9.
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aa) Moltmanns definitorische Gegenstandsbestimmung von »Kreuzestheologie« An verschiedenen Stellen des Buches setzt Moltmann zu expliziten Definitionen des Begriffes »Kreuzestheologie« an und nimmt auch Abgrenzungen von Mißverständnissen des Begriffes vor. Seine definitorischen Gegenstandsbestimmungen richten sich teils auf die kreuzestheologische Tradition und teils auf den systematischen Sollgehalt des Begriffes, wie Moltmann ihn verstanden wissen will. Gleich zu Beginn seines Buches fragt Moltmann, welche Kreuzestheologie heute dem gekreuzigten Christus, der »Herausforderung der christlichen Theologie und Kirche«, entspreche41. Er erkennt an, daß Kreuzestheologie »eine gewisse Tradition« hatte, aber »nie beliebt« war42 . Meilensteine dieser Tradition waren u.a. Paulus, Luther, Zinzendorf, der »bessere[…] Teil der frühen Dialektischen Theologie«43, die Lutherrenaissance der zwanziger Jahre, Martin Kähler, und »verfolgte[…] Gemeinden der Armen und Unterdrückten«44. Die kreuzestheologischen Ansätze der Genannten leiden nach Moltmann jedoch an einem gemeinsamen Defizit, nämlich ihrer Konzentration auf die Soteriologie: »Kreuzestheologie wurde bei den Genannten immer nur im Rahmen des menschlichen Elends und des Heils relevant, wenngleich es auch Ansätze darüber hinaus gibt.«45 Ins Positive – und damit zugleich ins Eschatologische – gewendet heißt das für Moltmann, daß heute die beklagte soteriologische Einseitigkeit der Tradition vermieden werden müßte: Man muß endlich »den Gekreuzigten im Licht und im Zusammenhang seiner Auferstehung und folglich der Freiheit und der Hoffnung […] begreifen«46 . Der Zusammenhang von Kreuz und Auferstehung bei gleichzeitiger Voraussetzung der Identität von Gekreuzigtem und Auferstandenem sowie der Voraussetzung, daß Gott selbst auferweckendes Subjekt ist, erweitert die Frage nach dem Kreuz zur Frage nach Gott selbst. Deshalb ist über die Grenzen der Soteriologie hinauszugehen und »nach der fälligen Revolution im Gottesbegriff zu fragen«47. Nicht nur nach dem Menschen und seinem Heil hat Kreuzestheologie zu fragen, sondern sie muß die doppelte Frage nach Gott und dem Menschen48 stellen. Mit der anvisierten Überwindung der soteriologischen Konzentration gilt es zugleich, den traditionellen Hang zum Heilsindividualismus zu überwinden. Die »Sorge um 41 42 43 44 45 46 47 48
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. So ebd.
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persönliches Heil« muß zurückstehen, wenn es um die »Befreiung des Menschen und sein[…] neue[s] Verhältnis zur Realität der Teufelskreise in seiner Gesellschaft«49 geht. Die reformatorische Kirchenkritik ist zur »Gesellschaftskritik«50 weiterzutreiben. Ganz auf dieser Linie kann Moltmann dann definieren: »Kreuzestheologie […] ist eine kritisch-befreiende Theorie Gottes und des Menschen. Christliche Existenz ist in der Nachfolge des Gekreuzigten eine den Menschen selbst und die Verhältnisse ändernde Praxis. Insofern ist Kreuzestheologie eine praktische Theorie.«51 Als solche aber ist sie nun nicht irgendeine theologische Theorie neben anderen, sondern das eigentlich identitätsstiftende Moment christlicher Theologie überhaupt: »Christliche Theologie ist Kreuzestheologie, wenn sie als christliche Theologie an Christus identifizierbar sein soll.«52 Diese identitätsstiftende Funktion kommt der Kreuzestheologie deshalb zu, weil das Kreuz selber das »innere Kriterium«53 aller christlichen Theologie ist. Und das wiederum hat seinen Grund darin, daß der christliche Glaube selber »mit der Erkenntnis des Gekreuzigten [steht und fällt], d.h. mit der Erkenntnis Gottes im gekreuzigten Christus oder, um es mit Luther noch schärfer zu sagen: mit der Erkenntnis des ›gekreuzigten Gottes‹54. Christliche Theologie, die Kreuzestheologie ist, kann nach Moltmann nicht »reine Theorie«55 sein. Denn Theorie, lediglich als Anschauung verstanden, verwandele den Schauenden in den Angeschauten und gebe damit Anteil an Gott und seiner Weisheit selbst. Mögliche Stufen der Vermittlung wären die Natur, die Geschichte und die Tradition, das vorausgesetzte Erkenntnisprinzip wäre das der Analogie. Dagegen führt Moltmann das Kreuz ins Feld: »Im gottverlassenen und verfluchten Gekreuzigten aber findet der Glaube keine Entsprechungen dieser Art, die ihm eine indirekte, analogische Gotteserkenntnis vermitteln, sondern den Widerspruch dazu.«56 Deshalb darf christliche Theologie eben nicht reine Theorie Gottes sein, sondern muß »kritische Theorie Gottes«57 werden. Kritik wird vom Gekreuzigten aus in dreifache Richtung geübt: gegen die Gottsuche im Gesetz (»Zwang zur Selbstrechtfertigung«58), gegen den Willen zur politischen Macht und Welt-
49
Ebd. Ebd. 51 AaO 30. 52 Ebd. 53 AaO 66. 54 Ebd. 55 AaO 70. Das richtet sich gleichermaßen gegen beide von Moltmann unterschiedenen Theologietypen: den kirchlichen und den wissenschaftlichen, vgl. aaO 68ff. 56 AaO 71. 57 Ebd. 58 Ebd. 50
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herrschaft (»Zwang […] der machtvollen Selbsterhöhung«59) und die Gotteserkenntnis in den Werken und Ordnungen des Kosmos (»Zwang […] der illusionären Selbstvergottung«60). Von »ihrem Subjekt her«61 kann Kreuzestheologie für Moltmann nur »polemische, dialektische, antithetische und kritische Theorie«62 sein. Sie ist so »kreuzigende Theologie und ist darin befreiende Theologie«63. Dieses Verständnis von Kreuzestheologie stellt – vorsichtig ausgedrückt – eine kritisch-modifizierte Rezeption der kreuzestheologischen Tradition dar, die Moltmann vorgefunden hat. Er selber legt in einem Exkurs zur Tradition der Kreuzestheologie Rechenschaft über die von ihm vorgenommenen Modifikationen ab. Von Paulus will Moltmann lernen, daß Kreuzestheologie die Überwindung des »Unmenschen« ist, der »Gott nicht Gott sein lassen sein kann« 64. Diese Überwindung geschieht durch die von Gott erwählte menschliche »Existenz und Praxis jeder Gemeinde der Schwachen, Niedrigen und Verachteten, die die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse, die jene Aggression des Unmenschen zustande bringen, außer Kraft setzt und zu überwinden trachtet« 65. Luther habe dann 1518 in der Heidelberger Disputation »die reformatorische Erkenntnis des befreienden Evangeliums vom Gekreuzigten gegen die theologia gloriae der mittelalterlichen Kirchengesellschaft auf den Begriff [gebracht]«66 . In deutlicher Akzentverschiebung gegenüber Luther wird Moltmann in diesem Zusammenhang nun der Begriff der Menschlichkeit zum Schlüsselbegriff von Luthers Heidelberger Thesen. In der Aufnahme dieses Begriffes im kreuzestheologischen Zusammenhang ist er zweifellos von seinem Lehrer Iwand inspiriert, dessen typische Diktion er an dieser Stelle auch übernimmt. Denn »Kreuzeserkenntnis bringt einen Interessenkonflikt zwischen dem menschgewordenen Gott und dem gottseinwollenden Menschen hervor. […] Sie führt den Unmenschen so zur Menschlichkeit.«67
59
Ebd. AaO 72f. 61 AaO 72. 62 AaO 72. 63 Ebd. 64 Ebd. 65 AaO 72f. 66 AaO 73. Es ist bezeichnend, daß Moltmann die theologische Frage der Gotteserkenntnis in der Heidelberger Disputation zunächst auf den Gedanken der Gegnerschaft zur mittelalterlichen Kirchengesellschaft hin verschiebt, bevor er sich der Frage der Gotteserkenntnis zuwendet (ebd.), die aber nun nur noch als Unterpunkt zum Problem einer »falschen« Gesellschaftsstruktur erscheinen muß. Ähnlich wie schon bei Moltmanns Pauluslektüre ist tatsächlich das Politische der entscheidende hermeneutische Zugang zum Thema. Dabei wird der theologiegeschichtliche Ursprung der theologia crucis bei Luther jedoch gerade verfehlt! (Vgl. hierzu insgesamt Teil II dieser Arbeit.) 67 Ebd. 60
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In Anlehnung an eine der kreuzestheologischen Grundannahmen W. v. Loewenichs unterstreicht Moltmann schließlich, daß Kreuzestheologie »nicht ein Kapitel der Theologie, sondern das Vorzeichen aller christlichen Theologie«68 ist. Aber er geht sofort in materialer Hinsicht in eine ganz andere Richtung als v. Loewenich, wenn er unmittelbar hinzusetzt, daß »sie nur theologia crucis [bleibt] im Zusammenhang der kritisch-befreienden Praxis in Verkündigung und Leben«69. Denn »Kreuzestheologie ist eine Kampflehre und kann darum weder zur Theorie des gegenwärtigen Christentums noch zur christlichen Theorie der Weltgeschichte werden«70 . Luthers Kreuzestheologie hatte beispielsweise ihre »politische Grenze«71 darin, daß er sie in den Bauernkriegen nicht sozialkritisch gegen die feudalistische Gesellschaft formulieren konnte oder formulieren wollte. Statt dessen habe er sich mit »unprotestantische[r] Leidensmystik und Demutsergebenheit«72 begnügt. Es geht Moltmann aber darum, »nicht nur kirchenreformatorische, sondern auch sozialkritische Kreuzestheologie zusammen mit einer die Elenden und ihre Beherrscher befreienden Praxis zu entwickeln«73. Dieser Ausgriff über die Kirche hinaus auf die ganze Welt ist durch die Eschatologisierung der Kreuzestheologie möglich: Moltmann läßt sich – im Bilde gesprochen – das, was als eschatologische Neuschöpfung des ganzen Kosmos eigentlich von Gott zu erwarten wäre, schon als Startkapital für die Neugestaltung der Welt durch den Menschen ›auszahlen‹. Von dieser politischen Operationalisierung der Eschatologie aus muß allerdings die gesamte kreuzestheologische Tradition schon im Ansatz als ein ›zu kurzer Sprung‹ erscheinen. Moltmanns Paulus- und Lutherlektüren weisen in systematischer Hinsicht nun nicht nur die schon angedeuteten Schwächen auf, sondern stellen bei aller Kritikbedürftigkeit Versuche einer systematisch-theologischen Fruchtbarmachung für die Gegenwart dar. Ein solcher Versuch ist aus systematisch-theologischer Sicht auch dann unverzichtbar und gerechtfertigt, wenn er in historischer Hinsicht zu gewissen Unschärfen oder Einseitigkeiten führt. Auch darin ähnelt Moltmanns Duktus dem seines Lehrers Iwand. Denn wie schon Iwand, so schiebt auch Moltmann Paulus und Luther nicht in eine museale Vergangenheit, sondern befragt sie auf den von beiden zur Sprache gebrachten zeitlosen Grundkonflikt. Bei Paulus ist das die »tiefere Interessenlage des Unmenschen«74 , bei Luther ist es das »unmenschliche Interesse des Menschen an Selbstvergottung«75. Demgegen68 69 70 71 72 73 74 75
AaO 74. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 75. Ebd. AaO 72. AaO 74.
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über ist die konkrete historische Frontstellung, in der Paulus und Luther sich befunden haben (Juden/Griechen bzw. römische Kirche) für Moltmann von zweitrangiger Bedeutung. Dieses Verfahren ist rein formal unerläßlich, um das Wort vom Kreuz und seine überlieferte Interpretation nicht als Relikt theologischer Vergangenheit ohne Bezug zur eigenen Situation in der Vergangenheit stehenzulassen. In materialer Hinsicht bleibt bei Moltmann allerdings der Verdacht, daß er die genannten Grundkonflikte und ihre Wendung ins Politische mindestens teilweise gewaltsam auf Paulus und Luther abbildet und so durch sein eigenes theologisches Interesse deren Rede vom Kreuz verdunkelt und nivelliert. Damit aber wäre die Grenze legitimer systematischer Vergegenwärtigung von Vergangenem unzulässig überschritten. Moltmann profiliert seine definitorischen Ansätze zur Bestimmung des kreuzestheologischen Begriffes durch den Ausschluß einer Reihe von Mißverständnissen des Kreuzes Christ vor allem in kirchlich-religiöser Praxis, die keinen Eingang in seinen theologischen Begriff von Kreuzestheologie finden sollen. Ein unverstellter Blick auf das Kreuz sei nämlich durch den an den Bedürfnissen der Menschen orientierten und dann gewohnheitsmäßig gewordenen Umgang mit ihm getrübt worden. Um also »den Karfreitag in seiner ganzen Härte und Gottlosigkeit wiederherzustellen (Hegel), ist es für den christlichen Glauben notwendig, jene traditionellen Heilstheorien zunächst zu verlassen, die die Rede vom Kreuz im Christentum zur Gewohnheit haben werden lassen.«76 Auf diesem Weg will Moltmann ein kritisch-geläutertes, neues Verständnis von der kultischen Vergegenwärtigung des Kreuzes im Abendmahl ebenso gewinnen wie von der Kreuzesmystik und der Nachfolge77. Kreuzestheologie, wie Moltmann sie sich vorstellt, ist zuerst vom »Kult des Kreuzes«78 abzugrenzen. Unter ihm ist die »Vergegenwärtigung Christi im Meßopfer«79 zu verstehen. Aber in der kirchlich-kultischen Anamnese des Kreuzesopfers Christi wird nach Moltmann nicht zur Geltung gebracht, sondern »vielmehr verdrängt und vernichtet, was das Einmalige, Besondere und Anstößige an Christi Tod war«80 , weil sein Tod eben das Ende alles Kultischen gewesen ist, so daß sein Tod »kein wiederholbares oder übertragbares Opfer«81 ist. In der richtig verstandenen Eucharistie wird Christi Tod im Sinne der Verkündigung und nicht der Wiederholung vergegenwärtigt 82: sie ist das »Fest der erinnernden Hoffnung auf ihn«83. Daraus ergibt sich als Konsequenz: »An die 76
AaO 35. Dieser Themenbereich wird in Kapitel II (»Der Widerstand des Kreuzes gegen seine Deutungen«) abgeschritten, aaO 34ff. 78 AaO 44. 79 Ebd. 80 AaO 46. 81 Ebd. 82 So ebd. 83 Ebd. Vgl. auch Moltmann, Weg, 226ff, wo das Abendmahl ebenfalls ganz unter dem 77
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Stelle der Kultreligion werden vielmehr die Ausbreitung des Wortes vom Kreuz, das Fest des Glaubens und die praktische Nachfolge treten müssen.«84 Neben diese Ablehnung einer kultischen, d.h. im Opferhandeln des Menschen realisierten Vergegenwärtigung des Gekreuzigten tritt die Zurückweisung jeder Form von Leidensmystik, die im Interesse von Leidverursachern steht. Denn mit »der Kreuzestheologie und Leidensmystik ist viel Mißbrauch durch die Kirche im Interesse derer getrieben worden, die Leiden verursacht haben«85. Leidensmystik aber, die von Leidverursachern gepredigt wird, weil es ihrem Interesse dient, wenn Leidende und (absichtlich) Benachteiligte sich mit ihrer Situation abfinden, ohne dagegen zu rebellieren, ist »eine Blasphemie und eine Ausgeburt der Unmenschlichkeit«86 . Solcher Mißbrauch des Kreuzes Christi und der Identifikation mit ihm darf aber den Blick nicht für die konstruktiven Momente einer mystischen Annäherung an das Kreuz trüben. Denn in der mittelalterlichen Mystik nahm der Gedanke der Gottverlassenheit des Gekreuzigten breiten Raum ein – ein Gedanke, der ja für Moltmanns eigene Bestimmung des kreuzestheologisch orientierten trinitarischen Gottesbegriffs zentral ist. Aber mehr noch: In »der Theologie der Kreuzesmystik des späten Mittelalters fällt auch zuerst das ungeheuerliche Wort vom ›gekreuzigten Gott‹, das Luther dann aufnahm«87. Unter Verweis auf D. Bonhoeffer und K. Kitamori meint Moltmann, daß die Ansätze, im Leiden Christi das Leiden Gottes selbst zu beschreiben, weiterzuführen seien88 . Denn die Betonung des Leidens Christi, in dem Gott selbst sich in Leid begibt, ermöglicht den Leidenden und Verlassenen besonders gut die Identifikation mit dem in Schande gekreuzigten Christus, weil sich Jesus durch sein Leiden und Sterben ja selber mit ihnen identifiziert hat: »Jesus [ist] ihre Identität bei Gott in einer Welt, die ihnen die Hoffnung genommen und ihre menschliche Identität bis zur Unkenntlichkeit zerstört hatte.«89 Diese »unangreifbare Identitätserfahrung«90 ist nach Moltmann »das Durchhaltende der Kreuzesmystik« und der innere Grund für den immer wieder neu aufbrechenden »Protest des Elends«91. Kreuzesmystik als Erfahrung der eigenen Identität im gekreuzigten Christus bzw. im selber leidenden Gott gewinnt in solchem Protest ihre unveräußerliche praktische und damit notwendig auch politische Dimension. Denn bloß passive Kreuzeskonformität, die das Leiden Leitbegriff des Gedächtnisses bzw. des »Gedenkens der Leiden Christi« (aaO 227) erörtert wird. 84 Moltmann, DgG, 46. 85 AaO 51. 86 Ebd. Darin ist Moltmann rückhaltlos zuzustimmen! 87 AaO 49 unter Bezugnahme auf WA I, 614, 17. 88 So ebd. 89 AaO 50. 90 Ebd. 91 Ebd.
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der Leidenden stabilisieren würde, übersähe die zutiefst aktive Eigenart des Leidens Jesu, der eben nicht »an Natur und Schicksal«92 gelitten hat, sondern dessen Leiden aus seinem Handeln erwuchs: »Jesus litt nicht passiv an seiner Welt, sondern brachte seine Umwelt durch seine Botschaft und sein gelebtes Leben gegen sich auf.«93 Das Leiden, das er deswegen zu erwarten hatte, nahm er aktiv auf sich. Wer das erkennt, kann Jesu Passion nicht mehr »zum Urbild der eigenen Schwäche machen«94. Nachfolge heißt dann: aus der eigenen Leidenssituation herausgehen, Jesu »Sendung aufnehmen und ihr aktiv folgen«95. So wird endlich aus »passiver Kreuzesmystik aktive, politisch relevante Nachfolge«96 . Der Gedanke Moltmanns, daß die Identifikation mit dem Kreuz des Christus nicht dazu mißbraucht werden darf, Menschen passiv auf ihr Leiden festzulegen, ist unbedingt festzuhalten. Mit dem Gekreuzigten kann sich nur identifizieren, wer dies in und aus Freiheit tut. Kein Mensch kann durch einen anderen zum Tragen ›seines‹ Kreuzes gezwungen werden! Das Kreuz ist keine symbolische Visualisierung von durch Schicksal, Natur oder Menschen verursachten Leiden. Als Kreuz Christi ist es in der Tat auch die Konsequenz für aktives Eintreten für die Leidenden im konkreten, riskanten Widerspruch gegen leidverursachende Verhältnisse. Kreuzesmystik, d.h. die Identifikation mit dem Gekreuzigten ist dem Kreuz Christi nur dann wirklich angemessen, wenn sie in die eigene Aufnahme des aktiven Widerstandes gegen Leid mündet, sofern das möglich ist. Was Moltmann allerdings nicht genügend würdigt, ist die Tatsache, daß solcher Widerstand nicht immer möglich ist, und daß das Kreuz auch solches, nicht durch Rebellion oder Aktion überwindbares, Leiden umfangen kann. Sowohl in sozialen Verhältnissen als auch z.B. in Krankheit ist »Rebellion« oft nicht einmal ansatzweise ein gangbarer Weg. Aber auch das Leiden als solches ist ein Protest gegen die Umstände, unter denen es entsteht – und das gilt gerade auch dann, wenn sich die Festlegung von Menschen auf ihr Leid etwa im Interesse von Leidverursachern immer und unbedingt verbietet. Jesus selbst ist ja nicht nur als der ›aktiv Leidende‹ sondern gerade auch als der den Tod passiv erleidende Gekreuzigte der genuine Hoffnungsträger für die, die ihrem Leiden weder durch Auflehnung und Rebellion noch durch eine Flucht entgehen können. Auch die passive Seite der Kreuzesmystik hat ihren guten und gerade in der praktischen – oder besser: geistlichen – Perspektive der Annahme und Bewältigung unvermeidbaren Leidens ihren absolut unveräußerlichen Sinn! Die Unterschlagung dieses m.E. unveräußerlichen Grundmoments der kreuzestheologischen Tradition ist eine der Kehrseiten der Abweisung je92 93 94 95 96
AaO 53. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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der Konzentration auf einen vermeintlichen ›Heilsindividualismus‹. Auch Leiden wird – ganz gleich, in welch überindividuellem Rahmen es verursacht worden ist – zuerst und zuinnerst individuell gelitten. Im Leiden – wie im Tode – ist der Einzelne unvertretbar, und die politisch-gesellschaftliche Rationalisierung des Leidens enthebt das Individuum ebenfalls nicht vom Durchleiden und Bewältigen seiner je eigenen Leiderfahrung. Daß Moltmann offenkundig die individuelle gegen die politisch-gesellschaftliche Dimension des Leidens ausspielt und die erstere zugunsten der letzteren abblendet, darf man ihm im Interesse einer angemessenen Interpretation des Kreuzes Christi nicht durchgehen lassen! Der anhand seiner Ausführungen zur Mystik schon herauspräparierte Gedanke der politisch relevanten Praxis als Korrektiv traditioneller Kreuzesinterpretationen prägt auch Moltmanns Nachfolgeverständnis. Denn zur Verzeichnung und Domestizierung der Kreuzesbotschaft gehört seiner Ansicht nach auch die Vernachlässigung des Nachfolgegedankens im Protestantismus. Dieser habe sich in der friedlichen Koexistenz von Kirche und Gesellschaft eher auf vermeintliche Entsprechungen in einer sogenannten christlichen Welt konzentriert, statt zu begreifen, daß Kreuzesnachfolge immer auch Widerspruch gegen das Bestehende bedeutet. Aber mit der Diskreditierung des Märtyrerbegriffs geht der Kirche das Verständnis des Leidens überhaupt verloren. Das etablierte Christentum bringt sich so um seine eschatologische Hoffnung97: »Die Verbürgerlichung des Christentums bedeutet immer Kreuzesvergessenheit und Hoffnungslosigkeit.«98 Und weiter: »Erst in Zeiten des Widerspruchs zwischen Kirche und Gesellschaft werden die Erfahrungen bewußter Nachfolge gemacht, treten Märtyrer auf und wird das Mitgekreuzigtwerden mit Jesus wieder verstanden.«99 Das »Mitgekreuzigtwerden mit Jesus« weist zurück zu Moltmanns der Mystik abgeschautem Gedanken der Identität des leidenden Menschen mit dem Gekreuzigten. Der Gedanke der Nachfolge impliziert dabei aber schon logisch eine Differenz zum Vorgänger. Auf diese Differenz legt Moltmann großen Nachdruck: das Leiden Christi und die Leiden der Nachfolger sind nicht identisch, vielmehr begründet Christi Leiden erst die Leiden der Nachfolger als christliche Leiden. Deshalb gewinnt das Wort »Kreuz« für das Nachfolgeleiden seinen Sinn nur von dem Leiden Christi als dem von Gott Verworfenen, nicht aber »vom natürlichen oder sozialen Leiden«100 her. Neben der Verwerfung bedeutet Christi Kreuz aber auch Gottverlassenheit, in ihm steckt auch »die Hingabe an die Verwerfung durch den Vater«101. Dieses Kreuz bleibt exklusiv das 97 98 99 100 101
So aaO 60f. AaO 60. AaO 55. AaO 57. Ebd.
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Kreuz Christi und geht nur abgeschattet in das Kreuz der Nachfolger ein102: »Jesus litt und starb in Einsamkeit. Die Nachfolger aber leiden und sterben in seiner Gemeinschaft. Das ist bei aller Gemeinsamkeit etwas anderes.«103 Diese »qualitative Differenz zwischen Christi eigenem Kreuz und diesem Kreuz seiner Nachfolger«104 darf nicht unterschlagen werden: »Christi Kreuz wird zum Grund für das Mitgekreuzigtwerden des Apostels, der Märtyrer und der selbstvergessen Liebenden.«105 Verbindet man diese Grundeinsicht mit der Forderung, »die Nachfolge Jesu heute konkret zu machen in Liebe, Leiden und Revolte«106 , dann wird verständlich, daß Moltmann den möglichen ›orthodoxen‹ Einwand, er löse den Glauben in Ethik auf, entschieden zurückweist. Was er will, ist, die »Orthodoxie auf die Einheit von Theorie und Praxis in Orthopraxie«107 zurückzuführen. Sein Verständnis der Nachfolge – davon ist Moltmann überzeugt – »überwindet die Privatisierung des Mitgekreuzigtwerdens und seine Spiritualisierung in Richtung auf eine politische Theologie der Nachfolge des Gekreuzigten«108 . Die Identifikation mit dem Gekreuzigten, wie sie die Identität des Christen konstituiert und in der Theologie des Kreuzes begrifflichen Ausdruck zu finden hat, wird also von Moltmann wesentlich selber als Praxis bestimmt, und »[c]hristliche Identifikation mit dem Gekreuzigten heißt Solidarität mit dem Leiden der Armen und dem Elend der Unterdrückten wie der Unterdrücker«109. Mit solcher Solidarität bringt Moltmann in der Tat ein zentrales und unverzichtbares Moment christlicher Existenz und christlichen Engagements in Gesellschaft und Politik zum Ausdruck. Allerdings kann dieses Moment m.E. nur dann als christliche Solidarität in Anschlag gebracht werden, wenn nicht – wie Moltmann es unternimmt – die menschliche, politisch-praktische Identifikation mit dem Gekreuzigten am Anfang steht. Vielmehr muß dieser Identifikation eine andere vorausgehen: Gott identifiziert sich im Gekreuzigten zuerst selber mit dem Menschen – zugeeignet wird diese Identifikation im Glauben, der selber wiederum eine Initiative des göttlichen Geistes ist. So müßte – anders als bei Moltmann – doch der Glaube als die ›erste Praxis‹ christlicher Existenz anerkannt werden, paradoxerweise eine Praxis, bei der nicht der Mensch, sondern der Geist Gottes selber aktiv ist. Dieser Zusammenhang wird von Molt102
So ebd. Ebd. Moltmann nimmt hier einen Gedanken Bonhoeffers auf: »Kreuz ist nicht an die natürliche Existenz gebundenes Leiden, sondern an das Christsein gebundenes Leiden.« (ebd.) Diese Gedanken zeigen, daß Moltmann die Gefahr einer »theologia crucis naturalis« bewußt ist. 104 AaO 65. 105 AaO 65f. 106 AaO 64. 107 Ebd. 108 Ebd. 109 AaO 29. 103
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mann konsequent ignoriert. Das ist umso bedauerlicher, als seine Bestimmung der Kreuzestheologie als einer ›praktischen Theorie‹ von hier aus auch in politisch-theologischer Hinsicht erst ihre volle Leistungskraft gewinnen könnte! Moltmann selber stellt die Frage, ob seine »Kreuzestheologie dem historisch gekreuzigten Jesus«110 entspricht. Um diese Frage im eigenen Sinne bejahen zu können, versucht er111, eine Differenz zwischen dem Gekreuzigten und dem Wort vom Kreuz zu behaupten, die er dahingehend fruchtbar machen will, daß der Gekreuzigte als das »innere Kriterium aller Worte, die sich auf ihn berufen«112 , in Anschlag gebracht wird. Der Gekreuzigte ist »mehr als das Wort vom Kreuz«113. Damit wird es in der Konsequenz ganz von Moltmanns Jesusbild abhängen, was das Wort vom Kreuz ›eigentlich‹ zu sagen hat. Durch diesen hermeneutischen Taschenspielertrick eröffnet Moltmann sich methodisch die Möglichkeit, das Wort vom Kreuz und das, was zum traditionellen Motivbestand der Kreuzestheologie gehört, grundlegend und unter Berufung auf den von ihm hinter dem Wort vom Kreuz ausgemachten ›historisch gekreuzigten Jesus‹ zu modifizieren. Mit dieser Problemanzeige im Hintergrund fragen wir im nächsten Abschnitt, wie Moltmann die vom Kreuz her zu gewinnende Gotteserkenntnis begreift. bb) »Dialektische Gotteserkenntnis« im Kreuz des gottverlassenen Christus Kreuzestheologie ist – wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen – für Moltmann eine »kritisch-befreiende Theorie Gottes und des Menschen«114 bzw. eine »praktische Theorie«115. Für den Übergang der Kreuzestheologie von einem Ausdruck mittelalterlicher Leidensmystik zur praktischen Theorie macht Moltmann keinen Geringeren als Luther namhaft, der in seiner 19. Heidelberger These nicht allein von der Theologie, sondern auch vom Theologen des Kreuzes gesprochen habe, und damit die theologische Theorie in ihrem Zusammenhang mit ihrem usus durch den Menschen bedacht habe. Dadurch habe schon Luther den Übergang »von einer reinen Theorie zu einer kritischen Theorie«116 vollzogen und – ganz auf der Linie von Horkheimer und Habermas übrigens! – Erkenntnis und Interesse in ihrem Zusammenhang miteinander reflektiert117. Luther habe sich dabei gegen die theologia naturalis des Petrus 110
Ebd. AaO 75–77. 112 AaO 77. 113 Ebd. 114 AaO 30. 115 Ebd. 116 AaO 193. 117 Vgl. ebd. Anm. 27. Sicher ist es in einem allerdings sehr allgemeinen Sinne möglich, Luthers Heidelberger Thesen mithilfe der Kategorien Erkenntnis und Interesse zu interpretieren. Allerdings fassen diese Kategorien bei Luther doch etwas grundlegend anderes als bei 111
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Lombardus und v.a. den kosmologischen Gottesbeweis des Thomas von Aquin gewendet. Denn die Erkenntnis Gottes im Leiden und Sterben Christi sei keine aufsteigende, aufblähende, sondern »herabsteigende, überführende Erkenntnis«118 . Diese Gotteserkenntnis ereignet sich nicht am Leitfaden der Analogien von Himmel und Erde, »sondern sub contrario, durch Widerspruch, Schmerz, Leiden. Gott erkennen, heißt Gott erleiden. Gott im Kreuz Christi erkennen, das ist eine kreuzigende Erkenntnis, weil sie einem alles zerschlägt, woran man sich halten und erbauen kann, die Werke sowohl wie die Erkenntnis der Wirklichkeit, und einen gerade dadurch befreit.«119 Dieses kritisch-befreiendes Potential entfaltet die Kreuzestheologie nun allerdings bei Moltmann im politisch-emanzipatorischen Modus des Widerspruchs gegen das Bestehende – jedoch nur gegen ganz bestimmtes Bestehendes! Zu solchem Widerspruch ist sie in der Lage, weil die in ihr zur Sprache kommende Gottes- und Menschenerkenntnis nicht aus Analogien der die Kirche umgebenden Gesellschaft gewonnen wird120 , sondern aus der Identifikation mit dem Gekreuzigten. Diese Identifikation wiederum bedeutet eine Entfremdung von den »Gleichheits- und Ähnlichkeitsprinzipien der Gesellschaft«121. Die Identifikation mit dem Gekreuzigten setzt dieses Analogiedenken außer Kraft und führt zu dialektischem Denken: man muß nach Moltmann »die eigene Identität im anderen und Fremden erkennen und darstellen«122 . Der platonische Grundsatz, daß Gleiches nur von Gleichem erkannt werde, sei auf die Offenbarung nicht anwendbar, denn »Kreuzestheologie muß […] mit dem Widerspruch einsetzen und kann nicht auf vorzeitigen Entsprechungen aufbauen.«123 Entsprechend ist das »Geselligkeitsprinzip des Gekreuzigten« die Solidarität mit den Anderen und Fremden. Es geht nicht um die Freundesliebe zum Gleichen oder Schönen (philia), sondern um »die schöpferische Liebe zum anderen, Fremden und Häßlichen (agape)«124. Denn wird »der Gleichheitsgrundden Vertretern der ›Frankfurter Schule‹. Diesen ging es um eine Einrede gegen den Leerlauf der verabsolutierten nachaufklärerischen Vernunft; Luther dagegen ging es u.a. darum, zu zeigen, daß Erkenntnis ebenso wie Interesse in dem Maße pervertiert werden und eine falsche ›theologia gloriae‹ aus sich heraussetzen, in dem der Mensch als Sünder sich selbst als Subjekt der Gotteserkenntnis wähnt. Die Alternative, die ›theologia crucis‹, geht aus der Selbstoffenbarung Gottes in Niedrigkeit und Leiden hervor: hier allein wird die Gotteserkenntnis des Menschen zurechtgebracht, indem sie seinem Eigeninteresse als Sünder nicht mehr unterworfen ist. Das Subjekt kreuzestheologischer Gotteserkenntnis ist deshalb im strengen Sinne Gott selbst und es liegt im wahren Interesse des Menschen, diese Erkenntnis Gottes sich als Glaube in ihm vollziehen zu lassen. 118 AaO 197. 119 Ebd. 120 Siehe aaO 30. 121 Ebd. 122 AaO 31. 123 Ebd. 124 Ebd.
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satz strikt verstanden, so wird Gott nur von Gott erkannt. Wird aber Gleiches auf diese Weise nur von Gleichem erkannt, so wird eine Offenbarung im anderen, das nicht Gott ist, und im Fremden, das nicht göttlich ist, eigentlich unmöglich.«125 Stattdessen habe das »dialektische Erkenntnisprinzip« zur Geltung zu kommen: »Gott wird nur in seinem Gegenteil, in der Gottlosigkeit und Gottverlassenheit, als ›Gott‹ offenbar. Konkret gesagt: Gott wird im Kreuz des gottverlassenen Christus offenbar. Seine Gnade wird bei Sündern offenbar. Seine Gerechtigkeit wird bei Ungerechten und Rechtlosen offenbar und seine Gnadenwahl bei den Verdammten. Das erkenntnistheoretische Prinzip der Kreuzestheologie kann nur dieses dialektische Prinzip sein: Gottes Gottheit wird im Paradox des Kreuzes offenbar.«126 Diese Option für das ›dialektische Prinzip‹ der Gotteserkenntnis soll aber nun nicht etwa – wie man eigentlich erwarten könnte – das analogische Prinzip ersetzen, sondern dieses lediglich ergänzen. Der ›Widerspruch gegen das Bestehende‹ ist doch nur ein Widerspruch gegen ganz bestimmtes Bestehendes und nicht etwa – wie man von Luthers Heidelberger Thesen, auf die Moltmann sich ja explizit immer wieder beruft, vermuten können sollte – gegen die gesamte vom Menschen ins Werk gesetzte Wirklichkeit von Erkenntnis und Tun. Denn da die Dialektik der Gotteserkenntnis in den Widerspruch zum gesellschaftlich und politisch Etablierten führen soll, erübrigt sie sich für die, die ohnehin gar nicht zu den Etablierten gehören bzw. zu den Opfern des Bestehenden zählen: »Sofern Gott in seinem Gegenteil offenbar wird, kann er von den Gottlosen und Gottverlassenen erkannt werden, und eben dieses Erkennen bringt sie zur Entsprechung zu Gott und, wie der 1. Johannesbrief 3,2 sagt, sogar in die Hoffnung auf Gottähnlichkeit. […] Würde man dem Gleichheitsgrundsatz einseitig folgen, so müßte man eine theologia gloriae für den Himmel entwerfen. Erst die dialektische Erkenntnis Gottes in seinem Gegenteil bringt den Himmel auf die Erde der Gottlosen und öffnet den Gottlosen den Himmel.«127 Indem Moltmann auf diese Weise das analogische und das dialektische Prinzip der Gotteserkenntnis nebeneinander gelten lässt und beiden Prinzipien bestimmte Gesellschaftsgruppen zuordnet, wird deutlich, daß er seine Theorie der Gotteserkenntis von vornherein aus seiner politischen Perspektive aus entwirft, in der ein strikter Dualismus von Tätern und Opfern, Leidverursachern und Leidenden, bürgerlich Religiösen und ›Gottlosen‹ herrscht. Auf diesen postulierten gesellschaftlichen Dualismus projiziert Moltmann beide Weisen der Gotteserkenntnis: die analogische und die dialektische. Die dialektische Weise soll die Etablierten, die Täter und Leidverursacher in das ›Andere‹, ›Fremde‹ reißen, dorthin, wo die Opfer und die Leidenden sitzen, denen – da sich das 125 126 127
Ebd. AaO 32. AaO 33.
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Kreuz Christi ja bereits an ihnen abbildet – der analogische Weg der Gotteserkenntnis offensteht. Wenn richtig ist, daß die epistemologische Lehre aus dem Wort vom Kreuz die ist, daß Gott sich unter seinem Gegenteil offenbart, daß also der, der das Leben selbst ist, sich unter dem Leiden und Sterben seines Sohnes zu erkennen geben will, damit jeder Mensch begreift, daß er sich in seinem vermeintlichen Wissen und Kennen Gottes niemals schon dort wähnen darf, von wo aus einfache Analogien ausgehend von der eigenen Erfahrung zum Sein und Tun Gottes führen könnten, dann gilt das eben auch für die Leidenden, die Opfer, die Benachteiligten, für die, die scheinbar ohne die Hilfe Gottes leben, die ›gottlos‹ sind. Moltmann entwirft zwar durchaus keine theologia gloriae des Himmels, aber eben doch – und das ist prinzipiell dasselbe! – eine theologia gloriae der Gottlosigkeit und Gottverlassenheit, mithin, um einen Ausdruck Karl Barths aufzugreifen, »negative theologia gloriae«128 . Das wirkt zwar engagiert und im Blick auf die Begünstigten sympathisch, ändert aber nichts an der Tatsache, daß es sich eben um eine theologia gloriae handelt, der mit Luthers 19. und 20 These der Heidelberger Disputation zu widersprechen wäre. In der Tat ist das Wort vom Kreuz ein Widerspruch. Aber es ist eben kein simpler Widerspruch einer gesellschaftlichen Gruppe gegen eine andere (und sei ein solcher Widerspruch politisch auch noch so nachvollziehbar und begrüßenswert), sondern der Widerspruch Gottes gegen die Sünde und ihre Herrschaft, unter der jedem Menschen, auch dem Opfer und auch dem Leidenden, die Gottlosigkeit droht, aus der keine Handlungsoption mehr retten kann. Diese Erkenntnis nicht zur Geltung zu bringen, ist der schwere und unvermeidbare Haupteinwand Moltmanns Theorie der dialektischen Gotteserkenntnis, die sich bei näherem Hinsehen als bloß scheinbar dialektische, in Wirklichkeit aber als eine der Entsprechung auf der Grundlage einer politischen Parteinahme entpuppt. cc) Die kreuzestheologische »Revolution« im Gottesbegriff Wir hatten zu Beginn dieses Kapitels schon festgehalten, daß Moltmann die Kreuzestheologie aus der von ihm bemängelten einseitigen soteriologischen Engführung befreien möchte, um zur der Frage vorzustoßen, was denn das Kreuz Jesu für Gott selber bedeute. Denn dieser Frage nachzugehen, hieße, geradezu eine »Revolution im Gottesbegriff«129 auszulösen. Schon Karl Barth habe sich auf diesen Weg begeben, indem er, um sogenannte ›lutherische‹ (Moltmann meint damit offenbar: soteriologische) Einseitigkeiten der Kreuzestheologie zu vermeiden, »die Härte des Kreuzes in den Gottesbegriff eingezeich-
128 129
Barth, KD I/1, 186 (im Orignal gesperrt und kursiv). Moltmann, DgG, 185.
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net«130 hatte. Allerdings habe er dabei noch zu theologisch und zu wenig trinitarisch gedacht131. Trinitarisches Denken Gottes ergibt sich aus der Reflexion auf das Kreuz für Moltmann dagegen geradezu mit Notwendigkeit: »Je mehr man das ganze Kreuzesgeschehen als Gottesgeschehen versteht, um so mehr zerbricht der einfache Gottesbegriff. Er tritt dem Erkennenden gleichsam trinitarisch auseinander. […] Das ist die ›Revolution im Gottesbegriff‹, die der Gekreuzigte offenbart.«132 Denn es ist erst das »Kreuzesgeschehen«, in dem die »Beziehungen Jesu, des Sohnes, zum Vater und umgekehrt«133 offenbar werden. Aus der ›befreienden Wirkung‹ des Kreuzesgeschehens erklärt sich dann der Ausgang des Geistes vom Vater134: »Das Kreuz steht mitten im trinitarischen Sein Gottes, trennt und verbindet die Personen in ihren Beziehungen zueinander und zeigt sie konkret.«135 Diese Lozierung des Kreuzes Christi im Sein Gottes selbst bedeutet nun, daß Jesu Tod nicht etwa der vielbeschworene Tod Gottes, sondern der Tod in Gott bzw. Gott in diesem Tod ist136 . Eine der aus dieser Einsicht zu ziehenden Konsequenzen ist die gemeinsame Zurückweisung des Theismus und des Atheismus. Der theistische Gottesbegriff ist auf den »christlichen Glauben des gekreuzigten Gottes«137 gar nicht anwendbar. Denn das dem Theismus zugrundeliegende metaphysische Gottesdenken muß alle gegen das Sein gerichteten Bestimmungen (Tod, Leiden, Sterblichkeit) vom göttlichen Sein ausschließen, um das endliche Sein ganz im Sinne einer Begründung und Bestandssicherung umschließen zu können. Aber ungeachtet dieses scharfen Widerspruchs von Theismus und christlichem Glauben darf nach Moltmann die Metaphysik bzw. die Philosophie und mit ihr die Breite der »Deutung von Welt, Zeit und Selbst«138 nicht sich selbst überlassen bleiben. Stattdessen komme es darauf an, »den Gott des Kreuzes mit allen Konsequenzen nicht nur im theologischen Bereich, sondern auch im Bereich der Sozialität und der Personalität des Menschen, im Bereich der Gesellschaft und der Politik und endlich im Bereich der Kosmologie zu denken.«139 Der Atheismus auf der anderen Seite richtet sich gegen die ontische Voraussetzung eines Rückschlusses vom endlichen auf das göttliche Sein, die darin besteht, daß zwischen dem erfahrbaren endlichen und dem unsichtbaren gött130 131 132 133 134 135 136 137 138 139
AaO 187. So aaO 188. AaO 189. AaO 192. So ebd. Ebd. Ebd. So 199. AaO 202. Ebd.
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lichen Sein eine »Seinsgemeinschaft«140 besteht. Aber in solcher Kritik ist dennoch die kritisierte Rückschlußlogik selber wirksam, denn der Atheismus schließt vom Zustand der Welt zwar nicht auf einen Gott, aber doch auf »einen launischen Dämon, ein blindes Schicksal, ein verdammendes Gesetz oder das vernichtende Nichts«141. Gegen einen solchen ›Gott‹ wendet sich der »Protestatheismus«142 , den Moltmann im Anschluß an A. Camus auch als »metaphysische Revolte«143 bezeichnet. Metaphysisch ist diese »Revolte« deshalb, weil Sinn und Ziel der Schöpfung und des Menschen bestritten werden. Bei Horkheimer endlich begegnet »ein protestierender Glaube, der über den platten Gegensatz von Theismus und Atheismus hinausführt«144. Dieser Glaube besteht in der »Sehnsucht nach dem ganz Anderen«145 , ohne die »die Kritik des Hiesigen unmöglich«146 ist. Solcher »Protestatheismus« protestiert gegen Unrecht ›um Gottes willen‹147, hält also im Grunde die Frage nach Gott offen. Ein teilnahmsloser Gott im Himmel wird absolut unannehmbar. Die Frage, ob denn dann alternativ Gott selbst am Kreuz gelitten habe, kann erst beantwortet werden, wenn erkannt ist, »was zwischen Jesus und seinem Vater am Kreuz geschehen ist«148 . Auf jeden Fall kann »[r]adikale Kreuzestheologie« auf die »Frage des sterbenden Christus« weder eine theistische, noch eine atheistische Antwort geben. Im ersteren Falle würde sie »das Kreuz entleeren«, im zweiten Falle würde sie »den Todesschrei Jesu nach Gott nicht mehr ernst nehmen«. Denn der »Gott des Theismus kann ihn nicht verlassen haben, und nach einem nichtexistenten Gott kann er in seiner Verlassenheit nicht gerufen haben«149. Einziger Ansatzpunkt für die Kreuzestheologie ist der immerhin noch im Namen Gottes ergehende »Protestatheismus«, über den aber eine Kreuzestheologie hinausführen muss, »die Gott im Leiden Christi als den leidenden Gott begreift […]. Gottes Sein ist im Leiden, und das Leiden ist in Gottes Sein selbst, weil Gott Liebe ist«150 . Die klare kreuzestheologische Abweisung jeder Art von Theismus, wie sie sich für Moltmann aus seiner ›revolutionären‹ Amalgamierung von Gott und Leiden im Kreuz des Sohnes her ergibt, führt ihn nicht allein zu konsequentem trinitätstheologischem Denken, sondern auch zu einer Revision der traditio140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150
AaO 205. Ebd. AaO 206. Ebd. AaO 211. Ebd. Ebd. So aaO 213. Ebd. AaO 212. AaO 214.
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nellen Zweinaturenlehre. Diese Revision ist notwendig, weil schon die Alte Kirche mit ihrem Postulat der Unveränderlichkeit Gottes theistischen Anschauungen verpflichtet war, und es deshalb nicht vermocht hatte, »Gott selbst mit dem Leiden und dem Tod Jesu zu identifizieren«151: »Der theistische Gottesbegriff, nach dem Gott nicht sterben kann, und die Heilshoffnung, nach der der Mensch unsterblich werden soll, machten es unmöglich, Jesus wirklich für Gott und zugleich für gottverlassen zu halten.«152 In seiner kritischen Revision der reformatorischen Rezeption der altkirchlichen Zweinaturenlehre sucht Moltmann insbesondere wieder den Anschluß an Martin Luther153. Denn Luther hatte – anders als Zwingli – stets betont, daß nicht nur ein Nebeneinander zweier selbständiger Naturen zu denken sei (das hätte die göttliche Natur wieder wesentlich unberührt gelassen), sondern daß »eine göttliche Person eine anhypostatische menschliche Natur angenommen hat«154. Diese Einheit wird im Handeln der göttlichen Person selber realiter hergestellt, ist also nicht nur verbaliter (so Zwingli) zu verstehen. Oder, anders gesagt: Diese Einheit der Person Christi ist nicht erst im Hinblick auf die Offenbarung, sondern schon im Hinblick auf das Sein Gottes und Christi anzunehmen. Diese Differenz zwischen Zwingli und Luther hat entscheidende Konsequenzen für das Verständnis Gottes angesichts des Kreuzestodes Jesu: »Für Zwingli bleibt Gott durch die Annahme der menschlichen Natur Christi in seiner Souveränität unberührt. Christus leidet und stirbt nach seiner Menschheit, seiner Hülle aus Fleisch um unsertwillen. Für Luther aber ist die Person Christi durch die göttliche Person bestimmt. Darum leidet und stirbt auch die göttliche Person im Leiden und Sterben Christi.«155 Zusammenfassend gesagt: Vor allem Luther hat mit der Lehre von der communicatio idiomatum die »geistige Sperre gegen die Wahrnehmung Gottes in Christi Tod«156 zu überwinden versucht. Nun erst konnte wirklich Gott selbst in der Gottverlassenheit Christi gedacht werden. Auf diese Weise »radikalisiert« Luthers Christologie des gekreuzigten Gottes die »Inkarnationslehre auf das Kreuz«157. Zugleich wird von dieser Korrektur der altkirchlichen Zweinaturenlehre her trinitarische Kreuzestheologie erst möglich und in ihr vollendet sich die von Moltmann proklamierte ›Revolution im Gottesbegriff‹. Als Ort der Trinitätslehre wird von Moltmann nicht das Denken als solches, »sondern das Kreuz Jesu«158 bezeichnet, was nach dem Bisherigen nicht überra151 152 153 154 155 156 157 158
AaO 214. AaO 215. Siehe aaO 218ff. AaO 219. AaO 220. AaO 221. AaO 222. AaO 227.
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schen dürfte. Von hier aus wird die Trinitätslehre zum »theologische[n] Begriff der Anschauung des Gekreuzigten«159 überhaupt. Fragt man dabei nach dem, was denn ›Kreuz‹ in diesem Zusammenhang bedeutet, dann stößt man bei Moltmann auf das Moment der Gottverlassenheit Jesu als Ansatzpunkt der trinitätstheologischen Reflexion. Denn in der Gottverlassenheit Jesu habe Paulus die »Hingabe des Sohnes durch den Vater für die gottlosen und gottverlassenen Menschen«160 gesehen. Denn eben darum, daß Gott seinen Sohn verlassen hat, sind die Gottlosen nicht gottverlassen – ein Gedanke, der für Moltmann mit dem Rechtfertigungsgedanken zusammenfällt: »Darum liegt in der Hingabe des Sohnes an die Gottverlassenheit der Grund für die Rechtfertigung der Gottlosen und die Annahme der Feinde durch Gott.«161 Und indem es Gottes Sohn ist, der hier verlassen wird, »ergreift jenes NichtVerschonen und Verlassen auch den Vater selbst. In der Verlassenheit des Sohnes verläßt auch der Vater sich selbst«162 . Zwischen der Hingabe des Vaters und des Sohnes besteht allerdings ein Unterschied: Jesus erleidet das Sterben in Verlassenheit; der ihn verlassende und hingebende Vater »erleidet den Tod des Sohnes im unendlichen Schmerz der Liebe«163. Das Todeserleiden durch den Vater in seinem Schmerz muß deshalb unterstrichen werden, damit die Trinitätslehre nicht doch noch einen monotheistischen Hintergrund behält: Der Sohn und der Vater sind Subjekt dieses Vorgangs; »[i]m Kreuz sind Vater und Sohn in der Verlassenheit aufs tiefste getrennt und zugleich in der Hingabe aufs innigste eins«164. Aus diesem Beieinander von Verlassenheit und Hingabe geht schließlich der Geist hervor, »der Gottlose rechtfertigt, Verlassene mit Liebe erfüllt und selbst die Toten lebendig machen wird, da auch ihr Totsein sie nicht von jenem Geschehen des Kreuzes ausschließen kann, sondern der Tod in Gott auch sie einschließt«165. Der Geist Gottes, der als »Geist der Hingabe des Vaters und des Sohnes«166 aus dem Geschehen zwischen Vater und Sohn hervorgeht, erschließt dieses Geschehen dem Menschen. Auf der theoretischen Ebene ver159 Ebd. »Das Materialprinzip der Trinitätslehre ist das Kreuz Christi. Das Formalprinzip der Kreuzeserkenntnis ist die Trinitätslehre.« (aaO 228). Moltmann schließt sich hier übrigens ausdrücklich an das ›längst vergessene Buch‹ von Bernhard Steffen, »Das Dogma vom Kreuz«, an, der bereits »das durchgehende, einheitliche Zeugnis vom Kreuz« als den »Schriftgrund für den christlichen Glauben an den dreieinigen Gott« bezeichnet und davon gesprochen hatte, daß »der kürzeste Ausdruck für die Trinität […] die göttliche Kreuzestat [ist], in welcher der Vater den Sohn sich durch den Geist opfern läßt.« (zitiert nach Moltmann, DgG; vgl. auch B. Steffen, Das Dogma, 152. Dort auch noch prägnanter: Die Trinitätslehre »gründet sich ganz auf die geschichtliche Heilstat des Kreuzes« [ebd.]). 160 Moltmann, DgG, 229, vgl. Gal 3,13. 161 AaO 229. 162 AaO 230. 163 Ebd. (kursiv M.K.) 164 AaO 231. 165 Ebd. 166 AaO 232.
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steht Moltmann die Trinitätslehre von daher als »die Kurzfassung der Passionsgeschichte Christi in ihrer Bedeutung für die eschatologische Freiheit des Glaubens und des Lebens der bedrängten Natur«167. Die Bedrängtheit der Kreatur und ihre Todeswirklichkeit ist durch das Kreuz Christi nun zum Leiden in Gott selbst geworden: »Die ›Entzweiung‹ in Gott muß den ganzen Aufruhr der Geschichte in sich enthalten. […] Es gibt kein Leiden, das in dieser Geschichte Gottes nicht Gottes Leiden, es gibt keinen Tod, der nicht in der Geschichte auf Golgatha Gottes Tod geworden wäre. […] Die ›Geschichte in Gott zu denken‹ aber heißt zuerst, Menschsein in Teilnahme am Leiden und Sterben Christi zu verstehen, und zwar das ganze Menschsein mit allen seinen Aporien und Unheimlichkeiten.«168 Was der Begriff »Gott« also aussagt, ist nichts anderes als die Geschichte von Golgatha. Gott ist keine »himmlische Person oder eine moralische Instanz«169, sondern ein Geschehen, aber eben »nicht das Geschehen der Mitmenschlichkeit, sondern das Golgathageschehen, das Geschehen der Liebe des Sohnes und des Schmerzes des Vaters, aus dem der zukunftseröffnende, lebenschaffende Geist entspringt«170 . Ungeachtet solcher Beteuerungen, die Differenz zwischen der auf Golgatha sich verwirklichenden göttlichen Liebe und der Mitmenschlichkeit des Menschen als unaufhebbar festzuhalten, kann Moltmann den Gedanken des aus dem Geschehen der göttlichen Liebe hervorgehenden Geistes sofort wieder äquivok politisch operationalisieren. Er rechtfertigt das mit dem Hinweis auf »Entsprechungen« zwischen der göttlichen Liebe und der politisch-gesellschaftlichen Verantwortung des Menschen. Denn diese Liebe des Vaters und des Sohnes »schafft im Geist Entsprechungen der Liebe im widersprechenden Menschen«171. Der Glaube erfährt in der Hineinnahme in das Kreuzesgeschehen Befreiung: »Durch das profane Kreuz auf Golgatha, verstanden als offene Verwundbarkeit und als Liebe Gottes zu lieblos-ungeliebten Unmenschen, ist Gottes Sein und Gottes Leben offen für den wahren Menschen. Es gibt bei Gott kein ›Draußen vor der Tür‹ (W. Borchert), wenn doch Gott selbst der ist, der draußen vor dem Tor auf Golgatha für diejenigen starb, die draußen sind.«172 Indem Moltmann diesen Glauben, der den Glaubenden in das befreiende Kreuzesgeschehen integriert, nun nicht konsequent rechtfertigungstheologisch, sondern praktisch-politisch verstehen will – schließlich hat er die Kreuzestheologie ja aus ihrem vermeintlichen soteriologischen Exil herausgeführt! – liegt der als Alternative zu deren soteriologischer Orientierung ver167 168 169 170 171 172
Ebd. AaO 233. AaO 234. Ebd. AaO 235. AaO 236.
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standene praktisch-politische Impetus seiner Kreuzestheologie vor Augen, der später noch eingehend zu erörtern sein wird. b) Die »Leidenschaft Christi« – Die Kreuzestheologie in »Der Weg Jesu Christi« 1988 erscheint Moltmanns Christologie unter dem Titel »Der Weg Jesu Christi«. Im vierten Teil dieses Buches, unter der Überschrift »Die apokalyptischen Leiden Christi«173, will Moltmann nach eigenem Bekunden »einen neuen Ansatzpunkt« gegenüber der in »Der gekreuzigte Gott« dargestellten Kreuzestheologie wählen, ohne jedoch von dem dort Gesagten irgendetwas zurückzunehmen174. Der Differenzpunkt der in der Christologie »zu entwickelnden Kreuzestheologie« zu dem sechzehn Jahre zuvor erschienen Werk besteht darin, daß nun der Begriff der Leiden Christi zum Leitbegriff werden soll175. 1972 war es ihm in erster Linie um die Gottesfrage (»Was bedeutet der Tod Christi für Gott selbst?«176) zu tun gewesen. Damals wollte er zeigen, daß das Leiden Jesu für Gott selbst wesentlich ist, und daß deshalb der Schrei der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz »das Kriterium für alle Theologie, die christlich zu sein beansprucht«177, sein müsse. Jetzt, 1988, verschiebt sich der Schwerpunkt von der ›Revolution im Gottesbegriff‹ hin zu einer Fruchtbarmachung der Lehre vom ›gekreuzigten Gott‹ für den aktuell leidenden Menschen. Moltmanns kreuzestheologische Argumentationsfiguren bleiben jedoch im wesentlichen dieselben, so daß er in der Tat 1988 keine neue Kreuzestheologie entwirft, sondern seinen bereits 1972 entfalteten Ansatz lediglich in einer neuen Leitperspektive – der des Leidens ›unserer Zeit‹ – neu zur Geltung bringt. Die Homogenität beider kreuzestheologischen Ansätze erstreckt sich auch auf die Eschatologisierung der Kreuzesbotschaft und zieht dieselbe theologische Kritik auf sich. Dieser Umstand rechtfertigt es, den späteren Ansatz in die Untersuchung der Kreuzestheologie des »Gekreuzigten Gottes« zu integrieren, wie es mit diesem Abschnitt geschieht. In systematischer Hinsicht entspricht der Aufbau des vierten Teiles des »Weges« auffällig dem Gedankengang der zentralen Teile des »Gekreuzigten Gottes«178 . Moltmann stellt das Kreuzesgeschehen zunächst in den ›apokalypti173
Moltmann, Weg, 172–234. So aaO 173. 175 So aaO 172. 176 AaO 173. 177 Ebd. 178 Das sind die Teile III-VIII, d.h. von der Erörterung des Problemes von Person und Geschichte Jesu, die in dessen »eschatologischen Prozeß« (Teil V) kulminiert, über die Integration des Kreuzestodes Jesu in den Gottesbegriff (Teil VI) bis hin zu den politisch-praktischen Konsequenzen des Mitleidens Gottes in der »psychischen« und »politischen« Befreiung des Menschen (Teile VII und VIII). 174
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
schen Horizont der Weltgeschichte‹179. Der apokalyptische Bezug wird also schon als Teil der Kreuzestheologie thematisiert. Das knüpft in systematischer Hinsicht an die Gedankenfigur des »eschatologischen Prozesses Jesu« aus dem »Gekreuzigten Gott« an. Daran schließt sich eine ganz äußerlich an der Zweinaturenlehre orientierte Diskussion der »menschlichen« und der »göttlichen« Leiden Jesu an180 , wobei bezeichnenderweise schon in den Überschriften Menschlichkeit bzw. Göttlichkeit als Attribute der Leiden Jesu und nicht als dessen Naturen zur Sprache kommen181. Dieser Abschnitt entspricht den Teilen III–VI im »Gekreuzigten Gott«. Aus den Leiden Jesu entspringt »Gerechtigkeit« als das Ziel des Todes Jesu182 – diese Gerechtigkeit wird abgebildet im »Martyrium« und im eucharistischen »Gedächtnis«. Sowohl das Leidenszeugnis als auch das Gedächtnismahl werden von Moltmann apokalyptisch verstanden (damit schließt sich der Kreis zum apokalyptischen Beginnen der Kreuzestheologie!). In beiden Vollzügen wird das Weltende im Leiden derer antizipiert, die an den Leiden Christi teilnehmen und so zu Zeugen des Kommenden gegen das Bestehende werden183. Dieser Abschnitt entspricht den Teilen VII und VIII im »Gekreuzigten Gott«. aa) Der apokalyptische Ansatz Der Gedanke der Apokalyptik wird bei Moltmann einerseits von der Erwartung der kommenden Neuschöpfung der Welt durch Gott und andererseits von der Notwendigkeit ihrer Antizipation im politisch-gesellschaftlichen Handeln derer getragen, die sich im Glauben mit dem gekreuzigten Christus, d.h. mit dem mitleidenden Gott, verbunden wissen. Dieses Verständnis von Apokalyptik ist im Grunde das Prinzip des Moltmannschen Kreuzesverständnisses im »Weg«. Gerade der antizipatorische Aspekt wird dabei zentral. Er nötigt Moltmann, Leiden wesentlich auch als Aktion zu begreifen, ohne allerdings dessen passiven Aspekt zu ignorieren. Beide Momente verpackt er in einem Wortspiel über die vermeintliche »Leidenschaft Christi«: »Im Zentrum des christlichen Glaubens steht das Leiden des leidenschaftlichen Christus. Seine Lebensgeschichte und seine Leidensgeschichte gehören zusammen. Sie zeigen die aktive und die passive Seite der Passion Christi.«184 Früher habe man oft die Leidenschaft Christi übersehen und ein Bild des ein trauriges Schicksal stumm erduldenden Schmerzensmannes gezeichnet185. 179
AaO 172–181. AaO 181–191.192–203. 181 Diese Beobachtung deckt sich mit Bühlers Kritik an der Leidzentriertheit von Moltmanns Verständnis der Sünde und ihrer Überwindung, siehe Bühler, Kreuz, 42ff. 182 Moltmann, Weg, 203–219. 183 AaO 219–226.226–234. 184 AaO 172. 185 So ebd. 180
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Heute übersieht man umgekehrt gerne »das Leiden, das zu jeder großen Leidenschaft gehört«186 . Beide Momente sind aber für das Leben wesentlich: »Leben ohne Leidenschaft […] wird arm. Leben ohne Bereitschaft zum Leiden wird oberflächlich. Die Angst vor der Leidenschaft muß ebenso überwunden werden wie die Furcht vor dem Leiden, wenn Leben wirklich gelebt und bis zum Tod bejaht werden soll.«187 »Leiden« hat also die doppelte Bedeutung von Leidenschaft (aktiv) und von Erleiden (passiv). Die »Leiden Christi« sind dabei keineswegs »auf Jesus beschränkt, sondern haben universale Dimensionen, weil sie im apokalyptischen Horizont der für alle befristeten Zeit stehen«188 . Bei ihnen handelt es sich u.a. um die »persönlichen Leiden Jesu von Gethsemane bis Golgatha«189, die apostolischen Leiden, die Leiden Israels, der Propheten und Johannes des Täufers, und schließlich »die Leiden der ganzen seufzenden Kreatur in dieser Zeit«190 . Diese letzten Leiden aber »sind in den ›Leiden Christi‹ auf Golgatha zusammengefaßt. Jesus erleidet sie in Solidarität mit anderen, in Stellvertretung für viele und in Vorwegnahme für die ganze leidende Schöpfung.«191 Moltmann will auf dieser Grundlage eine Christologie entwerfen, »die in den Leiden unserer Zeit relevant wird«192 . Wir hatten oben schon darauf hingewiesen. Die Leiden dieser Zeit sind selber »apokalyptisch«, sie sind »die Geburtsschmerzen der neuen Welt«193. Die Leiden Jesu ihrerseits sind apokalyptisch, weil er sie nicht persönlich für sich, sondern solidarisch für die leidende Welt erleidet194. Insofern kommen sie auch nicht zufällig über die Welt, sondern sind »notwendige Leiden«195. Darin steht Jesus aber nicht isoliert, sondern findet sich »in einer Traditionsgemeinschaft mit dem leidenden Israel und seinen verfolgten Propheten«196 wieder. Evoziert werden seine Leiden durch seine messianische Reich-Gottes-Botschaft, aber auch von Ostern fällt ein Licht auf den apokalyptischen Charakter seiner Leiden, denn Gott »hat an Jesus schon
186
Ebd. Ebd. 188 AaO 173. 189 Ebd. 190 Ebd. 191 Ebd. 192 AaO 173. Die »Relevanz« beschäftigte Moltmann intensiv schon im »Gekreuzigten Gott«, wo er mit der Feststellung einer »Relevanzkrise« von christlichem »Leben« und »Glauben« einsetzt (Moltmann, DgG, 12ff). »Relevant« wird Kreuzestheologie dann, wenn sie ihr »kritisch-befreiendes« (aaO 30) Potential entfaltet, d.h. als »praktische Theorie« (ebd.) zur Anwendung in der politisch-konkreten Überwindung von Leid- und Unterdrükkungsstrukturen gelangt. 193 Moltmann, Weg, 174. 194 So ebd. 195 Ebd. 196 AaO 175. 187
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die Macht des Todes gebrochen«197. Von daher bedeutet Apokalyptik aber auch »messianische Hoffnung«198 – selbst in der gegenwärtigen nuklearen und ökologischen Situation »endzeitlicher Hoffnungslosigkeit«199. Messianische Hoffnung aber artikuliert sich im Maranatha-Ruf 200 . Und indem diese Hoffnung »leidenschaftlich« ist 201, kann sie – so ist Moltmann hier sicher nicht mißverstanden – nicht nur empfangende, passive Erwartungshaltung sein, sondern muß eben in Hingabe geschehen, und das heißt in einem Handeln, das politisch-befreiend etwas von dem endzeitlich Erhofften vorwegzunehmen bestrebt ist. bb) Die menschliche und die göttliche Dimension des Leidens Christi Der Tod Jesu in seiner ›menschlichen Dimension‹ wird von Moltmann ganz aus den verschiedenen sozialen und durch die religiöse Tradition vermittelten Rollen Jesu heraus verstanden. So starb er den »Tod des Messias«202 , den »Tod des Kindes Gottes«203, den »Tod eines Juden«204 , den »Tod eines Armen«205 und schließlich den »Tod alles Lebendigen«206 . Aus dieser breiten Palette wollen wir nur drei Aspekte herausgreifen. Als Armer, der ein Sklavenschicksal im römischen Reich erlitt, hat Jesus nach Moltmann »die Leiden der Machtlosen, rechtlosen, heimatlosen Massen der Armen in der Welt«207 in sich repräsentiert. Da trifft es sich gut, daß Jesus, der ja im Blick auf seinen Lebensausgang und gemessen an der zeitgenössischen Messiaserwartung ein »Messias gegen den Augenschein«208 war, von Moltmann im Blick auf seine Wirkungsgeschichte als »der einzig wirklich revolutionäre Messias« 209 verstanden werden kann. Mit dem Tod des Armen, der zugleich ein revolutionärer Messias war, begegnen wir dem für die Interessen der politischen Theologie unmittelbar brauchbaren Prototypen des eschatologisch motivierten Weltverbesserers, der glaubt, durch sein 197
AaO 176. AaO 181. 199 Ebd. 200 So ebd. 201 So ebd. 202 AaO 185. 203 AaO 187. 204 AaO 189. 205 AaO 190. 206 Ebd. 207 Ebd. 208 AaO 187. 209 Ebd. Moltmann begründet das damit, daß durch das von Jesus induzierte Christentum das römische Weltreich grundlegend verändert wurde. M. E. ist das keine legitime Interpretation. Denn Jesus hatte ja dezidiert kein politisches Programm (vgl. nur Mk 12,17 par.!). Ihn selbst über die Wirkungsgeschichte des Christentums (die ja auch in politischer Hinsicht sehr differenziert zu sehen wäre!) rückwirkend zum Revolutionär zu erklären, bedarf einer ebenso blühenden wie gewaltsamen politisch-theologischen Phantasie. Mit »Jesulogie« hat das wenig, mit Christologie wohl gar nichts mehr zu tun. 198
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Handeln das Böse besiegen und das Reich Gottes antizipieren zu können. Die Desoteriologisierung des Todes Jesu, die Moltmanns Kreuzestheologie durchweg prägt, kommt dann vollends zum Zuge, wenn er Jesu Tod als den »Tod alles Lebendigen« auszulegen versucht. Jesus stirbt diesen Tod, weil er »sterblich [war] und […] auch ohne die Hinrichtung eines Tages gestorben«210 wäre. Moltmann weist von hier aus die Position des Paulus zurück, den Tod als »Sold der Sünde« (siehe Röm 6,23) zu verstehen. Denn würde Jesu Tod so verstanden, dann wäre Jesus als sündloser Gottessohn nicht seinen eigenen Tod gestorben, sondern »starb nur aus Barmherzigkeit stellvertretend unseren Tod«211. Das aber wäre eine Engführung auf den menschlichen Tod, der das natürliche Sterben der außermenschlichen Kreatur nicht umfassen würde. Wenn man (mit Schleiermacher) dagegen den Kausalzusammenhang zwischen Sünde vor Gott und physischem Tod des Menschen bestreitet, dann ist nicht er, sondern die Todesangst Folge eines sündigen und darin verfehlten Lebens212 . Wem die Sünden vergeben sind, der braucht keine Angst mehr vor dem gleichwohl noch ausstehenden natürlichen Tod zu haben. Durch Christus wird »der Tod des Sünders, nicht aber der natürliche Tod überwunden«213. Dieser nämlich ist Schicksal alles Lebendigen »und darum auch ein Anstoß zur Sehnsucht nach kosmischer Erlösung«214. Denn »[d]ie ›Leiden Christi‹ sind […] auch die ›Leiden dieser Zeit‹ (Röm 8,18), die über alles Lebendige gehen. Umgekehrt leidet die Kreatur in ihrer Sehnsucht nach Leben die ›Leiden Christi‹ mit.«215 Moltmann versucht mit dieser Argumentation, den Tod von der Sünde, als deren Konsequenz oder Symptom er mit Paulus zu begreifen wäre, zu trennen. An Sterben und Tod interessiert ihn zentral der ›natürliche‹, der ›schicksalshafte‹ Charakter216 . Dieser stellt für Moltmann aber keinen gedanklichen Hinderungsgrund dar, solches Sterben unvermittelt als Mitleiden mit Christus zu identifizieren, der sich seinerseits in seinem Leiden mit dem Leiden aller Kreatur solidarisch zeigt. Von der Sünde bleibt (im Anschluß an Schleiermacher) nur die Sündenangst, also das Leiden an ihr. Indem Moltmann sich in seinem Verständnis des Leidens und Sterbens Christi ganz auf die Symptome der Sünde konzentriert, desoteriologisiert er das Kreuzesgeschehen, um freie Bahn zu dessen politischer Operationalisierung zu bekommen. Aber gerade mit Paulus (Röm 8!) müßte eben auch der »natürliche« Tod, auch das Leiden der außermenschlichen Kreatur, als Symptom der Sünde ver210
AaO 190. AaO 191. 212 So ebd. 213 Ebd. 214 Ebd. 215 Ebd. 216 Das geschieht, ohne daß Moltmann die theologischen Konsequenzen seiner unbekümmerten Verwendung des Natur-, und noch weniger des Schicksalsbegriffs an dieser Stelle überhaupt reflektiert! 211
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standen werden. Nicht nur der Mensch, nein, die Schöpfung insgesamt sehnt sich nach der Erlösung aus ihrer Vergänglichkeit (Röm 8, 20ff). Paulus verbindet nun gerade die Erlösung des Menschen wie die der ganzen Schöpfung mit dem Gedanken der Gerechtmachung in Christus (Röm 8, 31ff). Von daher muß klar und deutlich gegen Moltmann gesagt werden, daß gerade das Interesse an einer Überwindung des natürlichen Leidens alles Lebendigen zu einer dezidierten Konzentration auf den soteriologischen Gehalt des Kreuzesgeschehens nötigt. Moltmanns Desoteriologisierung des Kreuzes entzieht jeder theologischen Erfassung von Sünde, Leid und Leidüberwindung im Sieg über die Sünde den Boden. Das aber ist keine Kreuzestheologie, sondern – scharf formuliert – Antikreuzestheologie! cc) Das Ziel des Todes Christi: Gerechtigkeit Aus der »Geschichte Christi« heraus, die aufgrund seiner Auferstehung in eschatologischer Perspektive weitergeht, ergeben sich für Moltmann verschiedene »Ziel- und Sinnhorizonte«217: rechtfertigender Glaube, Herrschaft über Tote und Lebendige, Überwindung des Todes und neue Schöpfung sowie schließlich die Verherrlichung Gottes durch seine erlöste Welt 218 . Wichtig ist für Moltmann, Rechtfertigung weder als perfektisches, noch als punktuelles Geschehen zu begreifen. Vielmehr handelt es sich bei ihr um einen »Prozeß, der im Herzen Einzelner durch Glauben beginnt und zur gerechten neuen Welt führt. Dieser Prozeß beginnt mit der Vergebung der Sünden und endet mit dem Abwischen aller Tränen.«219 Es ist dies ein »universaler Theodizeeprozeß«, der in eine »universale[…] kosmische[…] Doxologie«220 mündet. Damit wird auch die Rechtfertigung eschatologisiert – mit der von Moltmann allerdings nicht reflektierten Konsequenz, daß die Gewißheit der Rechtfertigung im Glauben an den Gekreuzigten auf diese Weise nicht mehr im Blick auf das Perfectum des Versöhnungsgeschehens am Kreuz zu gewinnen und zu befestigen ist. Damit unterspült Moltmann ein – wenn nicht gar das – Grundmoment mindestens der lutherischen Reformationstheologie! Der rechtfertigende Glaube ist die Entsprechung zu dem für uns gekreuzigten Christus, durch ihn »wird die befreiende Kraft der Auferstehung Christi erfahren«221. Moltmann betont mit Paulus und den Reformatoren den untrennbaren Zusammenhang von Christologie und Rechtfertigungslehre. Rechtfertigung ist allerdings »mehr als Versöhnung«222 . Dieser Gedanke richtet sich ge-
217 218 219 220 221 222
AaO 204. So aaO 205. Ebd. Ebd. AaO 205. AaO 209.
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gen die Funktionalisierung der Christologie zur »Versöhnerchristologie«223, wie Moltmann sie bei Anselm, Hegel und Barth konstatiert. Er selbst hält dagegen die Kategorie der Gerechtigkeit gegenüber dem Versöhnungsgedanken für »zentral und grundlegend«224. Denn Versöhnung sei ein »nach rückwärts gerichteter Akt«225 , während Rechtfertigung »zum Zwecke einer gerechten Welt für alle Geschöpfe«226 geschieht – sie öffnet also die Geschichte als den nach vorne hin offenen Raum für die ›Orthopraxie‹ des Menschen. In fataler Weise schlägt selbst hier, bei der Rechtfertigungslehre, die programmatische Desoteriologisierung des Kreuzestodes Christi durch. Denn würde Moltmann nicht völlig unnötig den Versöhnungsgedanken geradezu als Alternative zum Gedanken einer weltverbessernden und leidüberwindenden Praxis des Menschen begreifen, dann könnte er die am Kreuz vollbrachte Versöhnung – im Sinne einer perfektischen Soteriologie – als Grund für die Öffnung der Gegenwart als Raum der Hoffnung auf die eschatologische Erlösung begreifen, und zugleich als Raum des menschlichen Handelns, das seine Verheißung gerade darin hat, daß es aufgrund der geschehenen Versöhnung frei von jeder theologischen Ideologisierung, etwa als Mitarbeit an der Erlösung, ist. Unter der Gemeinschaft der Lebendigen und der Toten versteht Moltmann das Selbstverständnis der Glaubenden als Gemeinschaft, »in der die Grenze des Todes durchbrochen ist«227. Denn Christus hat nicht allein den Sündentod stellvertretend für alle (lebenden) Menschen übernommen, sondern durch seinen Tod »wurde er auch zum Bruder und Erlöser der Toten«228: »War Gott selbst ›in Christus‹, dann ist Gott auch selbst in dem toten Christus bei den Toten gegenwärtig. […] Der durch Stellvertretung erlösenden Kraft seiner Leiden sind keine Grenzen gesetzt, weil Gott ›in ihm‹ war. Darum sind auch die Toten in sie eingeschlossen.«229 Es ist für Moltmann wichtig, diesen Sieg der Liebe Gottes über den Tod zu unterstreichen, weil andernfalls ja »Gott nicht Gott wäre und der Tod ein Gegengott genannt werden müßte«230 . Wie bei den Lebenden, so gilt aber auch bei den Toten der eschatologische Vorbehalt: Gott »hat die Macht der Sünde gebrochen, aber das Ende der Todesherrschaft steht noch aus«231. Die Toten sind schon ›in Gott‹, aber noch nicht vollendet, sondern noch auf dem Weg. Dadurch ›existieren‹ sie in der gleichen Hoffnung, aber auch in der gleichen Gefahr wie die Lebenden. Würde die Erde zerstört, erwiese sich auch ihr Leben vom Ende 223 224 225 226 227 228 229 230 231
Ebd. Ebd. AaO 210. AaO 211. AaO 211. Ebd. AaO 211f. AaO 212. AaO 214.
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her als sinnlos: »Auch die Toten warten auf Gerechtigkeit, auch ihr Prozeß ist noch offen, solange der Weltprozeß offen ist.«232 Auch an diesem Punkt schlägt wieder – wie oben – der Ausfall der von Moltmann programmatisch zurückgewiesenen perfektischen Soteriologie durch: denn so, wie er die Teilhabe der Toten an der göttlichen Lebenswirklichkeit eschatologisiert, gerät das Handeln Gottes an den Toten geradezu in Abhängigkeit vom Tun der Lebenden und hängt vom Ausgang ihrer Mitarbeit an Gottes Reich und Gerechtigkeit ab. Das eschatologische Geschick der Toten in der Hand Gottes aber vom Gelingen oder Scheitern der eschatologisch virulenten politischen Aktion der Lebenden abhängig zu machen, ist ein ebenso theologisch wie seelsorglich unerträglicher Gedanke! Das Leiden an der unerlösten Welt bedeutet, das Leben zu lieben und sich nicht mit dem »jetzt herrschenden Zustand«233 abzufinden. Das kann nur der Glaubende, denn wer »nur einen Augenblick die Liebe Gottes erfahren hat, der drängt auf die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes«234. Und das in kosmologischer Dimension, denn die »Leiden der sterbenden Natur der Erde sind auch die ›Leiden Christi‹, und die ›Leiden Christi‹ werden in Hinsicht auf die sterbende Natur als Geburtsschmerzen einer ›neuen Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt‹, wahrzunehmen sein«235. Die Wiederentdeckung kosmologischer Christologie wird angesichts der Ausbeutung und Zerstörung der Erde »mit einer ökologischen Christologie beginnen müssen«236 , die allein heute »von therapeutischer Relevanz«237 für die leidende Natur wäre. Das Ziel des ganzen, durch das eschatologisch motivierte Weltverbesserungshandeln angetriebenen Geschichtsprozesses ist der Zustand, wenn »die Gerechtigkeit Gottes siegt und menschliches Unrecht und Gewalt von der Erde«238 verschwunden sind. Um herauszuarbeiten, auf welche Weise Christen am Leiden Christi teilhaben und aus dieser Teilhabe heraus an der ›Geburt‹ der ›neuen Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt‹, mitwirken, bedient sich Moltmann zweier traditioneller Topoi: des Martyriums und des Sakraments des Abendmahls. Beide Topoi werden allerdings – kaum noch überraschend – stark modifiziert, um in Moltmanns theologische Grundfigur des durch das ›Befreiungshandeln‹ des Menschen entscheidend vorangetriebenen eschatologischen Prozesses implementiert werden zu können.
232 233 234 235 236 237 238
Ebd. AaO 215. Ebd. AaO 217. Ebd. Ebd. AaO 219.
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Martyrium ist die »Schicksalsgemeinschaft der Kirche mit ihrem Herrn«239, und »Ecclesia martyrum«240 ist »ein alter und ehrwürdiger Titel für die Kirche Jesu Christi«241. Moltmann weist darauf hin, daß gerade das 20. Jahrhundert eine derartige »Welle von Martyrium«242 erlebt hat, daß man schon in die Anfänge des Christentums mit ihren organisierten Christenverfolgungen zurückgehen müßte, um auf ähnliche Zahlen zu kommen. Moltmann greift nun drei Beispiele heraus, die für ihn jeweils einen Typus ›relevanten‹ Leidens repräsentieren: Paul Schneider (Leiden um des Glaubens willen), Dietrich Bonhoeffer (Leiden im Widerstand gegen ungerechte und rechtlose Gewalt) und Arnulfo Romero (Teilnahme an den Leiden des unterdrückten Volkes)243. Im ›klassischen‹ Sinne ist eigentlich nur Schneider ein Märtyrer. Aber im Anschluß an L. Boff gewinnt Moltmann einen weiteren Begriff des Martyriums und spricht von Märtyrern »des Reiches Gottes und der Politik Gottes«244. Neben der christologischen Seite des Martyriumsbegriffs, nämlich der physischen Darstellung einer besonderen Vereinigung mit Christus, zielt Moltmann wesentlich auf dessen apokalyptische Seite, nämlich der Vorwegnahme der endzeitlichen Leiden der Schöpfung am eigenen Leibe245. dd) Das Abendmahls als Initium der sakramentalen Praxis der Christen Den eigentlichen Höhepunkt des kreuzestheologischen Kapitels seiner Christologie erreicht Moltmann aber im letzten, dem »Gedächtnis der Leiden Christi« gewidmeten Abschnitt. Das beginnt schon bei Moltmann programmatischen Einsatz bei einem ›sakramentalen‹ Verständnis christlicher Praxis, die eben »nicht nur ethisch und politisch [sein kann], sondern […] auch sakramental sein [muß], denn sie ist Christi Praxis, bevor sie unser Leben bestimmt«246 . Zunächst allerdings scheint sich Moltmanns Abendmahlsverständnis in durchaus ›orthodoxen‹ Bahnen zu bewegen. Denn zuerst unterscheidet er Nachfolge und Abendmahlsgedenken: »In der Nachfolge versuchen Menschen, Christus gleich zu werden, im Abendmahl aber ist Christus ganz für die Menschen da, um sie durch seine Hingabe auf seinen Weg in seine Zukunft mitzunehmen.«247 In dieser Mitnahme auf den Weg in die Zukunft Christi sieht Moltmann die »Heilsbedeutung« des Leidens Christi, die im Brechen des Brotes und im Trin239 240 241 242 243 244 245 246 247
Ebd. Ebd., im Orig. kursiv. Ebd. Ebd. Siehe aaO 221ff. AaO 225 im Anschluß an Leonardo Boff. So aaO 226. Ebd. Ebd.
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ken des Weines »praktiziert«248 wird. Auf dieser Linie kann er sagen, daß das Abendmahl als solches »praktizierte Kreuzestheologie«, bzw., im weiteren eucharistischen Horizont verstanden, »praktizierte Trinitätslehre«249 ist. In ihrem Mahl stellt sich die christliche Gemeinde selber »in die Situation von Gethsemane und Golgatha und erfährt die Hingabe Jesu in jener Gottesfinsternis und Verlassenheit von Menschen«250 . Brotbrechen und Weinausgießen werden von Jesus in seinem letzten Mahl symbolisch mit seiner »Lebenshingabe«251 verbunden, insofern vergegenwärtigen Brot und Wein »seitdem das Reich Gottes in der Person Christi und in seinem ›für uns‹ gebrochenen Leib und seinem ›für uns‹ vergossenen Blut. […] Er selbst ist ›das Reich Gottes in Person‹«252 . Es ist bezeichnend und liegt ganz auf der Linie der in »Der gekreuzigte Gott« programmatisch vollzogenen Distanzierung des Kreuzes von der Soteriologie, daß Moltmann hier nicht von der Sündenvergebung bzw. der Versöhnung des Menschen mit Gott spricht, sondern vom Reich Gottes als dem Zielbegriff des eschatologisch motivierten Weltveränderungs- und Weltverbesserungshandeln des Menschen. So ist auch die Aussage zu verstehen, daß durch Jesu Tod »das von ihm dargestellte Erbarmen Gottes geschichtlich verwirklicht«253 wird. Zugleich ermöglicht der Reich-Gottes-Gedanke in der typischen Moltmannschen Politisierung ihm hier eine besonders rasante Äquivokation. Denn »Christi Praxis« wird hier unvermittelt in einem doppelten Sinne verstanden: einerseits als Hingabe Christi für uns, andererseits aber auch als Vorbild für unser eigenes Handeln. Diese Äquivokation erreicht Moltmann, indem er die »Koinzidenz von Gedächtnis und Erwartung«254 ganz auf das Verständnis des Abendmahls als »Zeichen der gegenwärtig befreienden Gnade255 hin ausrichtet. Der Gedanke der gegenwärtigen Befreiung ist ja – das haben wir inzwischen zur Genüge gesehen – mit dem der politischen Relevanz, wie sie in der »Praxis« des Menschen Gestalt gewinnen muß, deckungsgleich. Dennoch unterstreicht Moltmann zunächst den kategorialen Unterschied der ›Weltzeiten‹256 von Vergangenheit und eschatologischer Zukunft, von Erinnerung des Leidens und Sterbens Christi und der Zukunft der kommenden Ewigkeit: »Die Erinnerung ist geschichtlich, die Erwartung aber apokalyptisch«257. Unterschieden werden in der »eucharistischen Zeiterfahrung« die 248
Ebd. AaO 227. 250 Ebd. Man gewinnt den Eindruck, Moltmann verstehe die Abendmahlsfeier als Bibliodrama! 251 Ebd. 252 Ebd. 253 Ebd. 254 AaO 228. 255 Ebd., kursiv M.K. 256 So aaO 229. 257 AaO 228. 249
5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns
255
»Leidensgeschichte des Todes auf der einen Seite, die Auferstehungsgeschichte des Lebens auf der anderen Seite«258 Die erwartete Zukunft Christi liegt aber nicht mehr auf der Linie zukünftiger Zeit, weil sie sonst eine Zukunft wäre, die ihrerseits wieder Vergangenheit werden müßte259. Sondern sie ist die kommende Ewigkeit, »welche die Zeit beendet«260 . Mit dem Zeitende ist die Hoffnung der Leidenden und Sterbenden auf die Überwindung ihrer Leiden verbunden, aber dieses – mit dem Gedanken der Auferstehung Christi untrennbar verknüpfte – Zeitende ist nicht unmittelbar und nicht als solches zu haben. Während das Gedächtnis der Leiden Christi »direkt und unmittelbar«261 geschieht, ereignet sich das Gedächtnis der Auferstehung Christi »nur indirekt und vermittelt über das Gedächtnis der Leiden Christi«262 . Damit rückt der Begriff des Gedächtnisses in den Mittelpunkt des Interesses. Gedächtnis hat für Moltmann eine ganze Reihe von Bedeutungsdimensionen. Da ist zunächst die Erzähl-, Erfahrungs- und Orientierungsgemeinschaft263. In ihr entsteht Weisheit als Erfahrungswissen, aber es werden genauso die »unerlösten Leiden«264 der Vergangenheit erinnert. ›Gedächtnis‹ ist geradezu eine Eigenschaft des Volkes Israel, denn »Israels Glaube ist erinnerte Hoffnung« ebenso wie »anklagendes Erinnern der Leiden und Toten Israels«265. Schließlich ist ›Gedächtnis‹ auch ein Akt zwischen Menschen und Gott: Der Schrei der Leidenden ruft das Gedächtnis Gottes an 266 . Die Leidensgeschichte des Menschen kann höchstens verdrängt, aber nicht ungeschehen gemacht werden, und sie »gewinnt keinen Sinn in der Geschichte, auch nicht durch zukünftige Geschichte, sondern harrt auf ihre Erlösung.«267 Das Abendmahlsgedächtnis »hat für Menschen den Sinn, die Freiheit zu vermitteln, die aus seinem ›Leiden für uns‹ entspringt«268 . Aber darüber hinaus hat 258
Ebd. So ebd. 260 Ebd. 261 Ebd. 262 Ebd. 263 So ebd. 264 Ebd. 265 Beide Zitate aaO 230. 266 So aaO 231. 267 AaO 230. Dieser Gedanke ist notwendig und hilfreich, um von psychologischem ›Therapismus‹ ebenso zu entlasten wie von der Idee, Menschenopfer – etwa im Kriege – seien im Hinblick auf die Bewältigung politischer und historischer Vergangenheit zu rechtfertigen. Er ist richtig, insofern Leiden aus der Vergangenheit kein Sinn durch die Taten einer künftigen Zeit beigelegt werden kann – es sei denn, um den Preis neuer Verdrängung. Dennoch ist aber gerade das Erinnern des Kreuzes Jesu ein Angebot, das eigene Leiden – auch das Leiden aus der eigenen Vergangenheit – mit dem Leiden Christi in dem Sinne zu identifizieren, daß es als in diesem geborgen und getragen bewältigt werden kann. Dies verschafft keine Genugtuung – kann aber Trost bringen. Und das scheint mir die praktische Vollendung der theologia crucis zu sein! 268 AaO 231. 259
256
B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
es auch den »Sinn, Gott an diese Leiden Christi zu erinnern und die verheißene Erlösung zu beschleunigen, auf die diese leidende Welt wartet«269. Das Leidensgedächtnis Christi im Abendmahl hat eine exklusive (Das göttliche und menschliche Leiden des »einsamen Christus« ist »einzigartig[…]«270) und eine inklusive (Zusammenfassung der menschlichen und göttlichen Leiden in ihm 271) Seite. Die Überlieferung hat vor allem die inklusive Seite betont. Das kritisiert Moltmann: »In einer Welt der Gewalttat und ihrer Opfer haben solche Auslegungen einen begrenzten Wert. Sie können zur Rechtfertigung einer Welt mißbraucht werden, in der es immer Opfer geben wird.«272 Auf der anderen Seite können die Auslegungen des Leidens Christi etwa durch Sühnopfervorstellungen und Meßopferrituale »die religiösen und die modern-säkularen Opferkulte der gewalttätigen Welt dadurch durchbrechen, daß sie Christus als das einzige und ›einfürallemal‹ zureichende Opfer darstellen und deshalb gegen die Opferkulte protestieren«273. An dieser Stelle ist Moltmann Recht zu geben: in diesem Sinne sollte die exklusive Bedeutung des Leidensgedächtnisses – neben und logisch nach der in ihr zum Ausdruck kommenden soteriologischen Bedeutung des Leidens Christi – tatsächlich rezipiert werden. Jeder Leid- und Opferrechtfertigung und jedem damit etwa verbundenen theologischen oder kirchlich-religiösen Quietismus ist entschieden entgegenzutreten! Es kommt in solchem Gedächtnis der Leiden Christi zu einem doppelten Identifizierungsgeschehen, daß dann auch notwendig solidarisches Handeln zugunsten von Leidopfern aus sich heraussetzt: »Christus für uns gestorben – wir in Christus lebendig. Ein ›Christus für uns‹ im Abendmahl ohne die Erfahrung ›wir in Christus‹ würde zu einer Vergebung der Sünden ohne neues Leben in der Gerechtigkeit führen.«274 Von hier aus kommen Moltmann noch ›andere Seiten der Leiden Christi‹275 in den Blick, die »in der kollektiven Solidarität des apokalyptischen Christus mit den Leiden Israels, den Leiden des Volkes, den Leiden der Menschen und 269
Ebd. Ebd. 271 So ebd. 272 Ebd. 273 Ebd. Im Blick auf Moltmanns Schätzung der Meßopfertheologie ist wohl festzustellen, daß er offenbar bereit ist, mit jeder Theologie zu koalieren, insofern sie der ›Revolte‹ dienlich ist. Diese scheint das eigentliche materiale Kriterium in Moltmanns Theologie zu sein! Auf keinen Fall sollte man – wie Moltmann es tut – Sühn- und Meßopfer in eine Parallele zueinander setzten, weil im Blick auf den Kreuzestod Jesu das erste immerhin Gott als Subjekt hat, während das zweite eine gänzlich andersartige Unternehmung der Römischen Kirche bezeichnet. 274 AaO 232. In dieser Auslegung der Formel »in Christo« und der von Moltmann offenbar unterstellten Opposition von Sündenvergebung und neuem Leben in Gerechtigkeit schlägt wieder seine Desoteriologisierung des Kreuzesgeschehens voll durch! 275 So ebd. 270
5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns
257
den Leiden aller lebendigen Wesen«276 bestehen: »Vergebung der Sünden und Befreiung aus den gottlosen Strukturen der Gewalt sind die Früchte der Leiden Christi auf der einen Seite. Das ›Abwischen aller Tränen von ihren Augen‹ ist die andere Seite.«277 Christus versammelt in seinem Leiden die Leidensgeschichte der ganzen Welt auf sich, seine Leiden sind »universal und umfassend«278 und werden durch seine Auferweckung von den Toten »selbst zu Geburtsschmerzen der neuen Welt«279. Darum ist es wichtig, »das Gedächtnis der Leiden Christi auf alle auszuweiten, in deren Gemeinschaft Christus leidet und die er durch sein Leiden in seine Gemeinschaft hineinzieht. […] Wo aber das Vergessen herrscht, werden die Toten noch einmal getötet und die Lebendigen werden blind«280 . Der Schrei Christi auf Golgatha steht »am Anfang der Aufweckung aus dem Tod in das ewige Leben«281. Das Leidensgedächtnis Christi bringt diese Leiden »nicht nur Menschen ins Bewußtsein, sondern auch Gott«282 . Dieser Schrei ist für Christus persönlich in seiner Auferweckung zwar beantwortet 283, aber für alle anderen, die in der Gemeinschaft seiner Leiden stehen und leben, »ist dieser Schrei wohl in ihm, aber noch für sie persönlich und auch kosmisch noch nicht beantwortet. Ihre Tränen sind noch nicht abgewischt und ihre Theodizeefrage bleibt noch offen.«284 Das Gedächtnis der Leiden Christi ist damit die »Fortsetzung jenes universalen Theodizeeprozesses, der in dem Kreuzestod Christi kulminiert, weil er in Christus an die Grenze der Auferstehung und der neuen Schöpfung aller Dinge geführt wurde«285. Weil aber dieser Prozeß noch offen ist und seines Abschlusses harrt, ist »das Mahl des Gedächtnisses Christi das Mahl der Mitleidenden und der für die Leidenden dieser Welt Hoffenden: ein Mahl der Erwartung«286 . Das aber mündet schließlich in eine »Praxis der Auferstehungshoffnung […], die Leib und Seele, Mensch und Mitmensch, Menschheit und Natur lebendig macht«287.
276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286 287
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 233. Ebd. Ebd. So aaO 234. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 237.
258
B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
c) ›Leidenschaft für die Freiheit‹ – Kreuzestheologie als politische Theologie Moltmanns Kreuz soll befreien – es befreit aber weniger den im Glauben an den Gekreuzigten Mitgekreuzigten von Sünde und Schuld, als vielmehr die emanzipatorische Energie des homo politicus, der die am Kreuz sichtbar werdende Offenheit Gottes für den ›wahren Menschen‹ in seinem weltgestaltenden und – verändernden Tun abzubilden sich eben durch das Kreuz aufgefordert begreift. Moltmann vollzieht diesen Schritt auf dem Wege eines äquivoken Gebrauchs des Begriffes der Liebe. Denn das trinitarisch begriffene Kreuzesgeschehen bringt Liebe »als Geschehen in einer lieblosen, gesetzlichen Welt [zur Sprache]: [als Geschehen] einer zuvorkommenden, unbedingten und grenzenlosen Liebe, die jeden Ungeliebten und Verlassenen, Ungerechten wie Rechtlosen ergreift und ihm eine neue Identität schenkt, ihn also von den Normen der gesellschaftlichen Identifikationen und Götzenbildern befreit«288 . Solche Liebe ist nun allerdings »Torheit und Ärgernis in dieser Welt«289, wobei diese Anspielung auf 1 Kor 1, 23 bei Moltmann nicht theologisch, sondern politisch gemeint ist. Das wird nun an dem – wiederum äquivok gebrauchten – Begriff der Freiheit sichtbar. Denn die Liebe, die in Emanzipation von ›gesellschaftlichen Identifikationen‹ eine ›neue Identität‹ schenkt, ist ja – aufgrund ihres emanzipatorischen Charakters – befreiende Liebe. Als solche ist sie auf grundsätzliche Freiheit angewiesen, die sie auch ihren Gegnern einräumen muß. Sie kann also Sklaverei und Feindschaft nicht verbieten, »sondern muß an diesem Widerspruch leiden und kann nur den Schmerz an diesem Widerspruch und den Schmerz des Protestes dagegen auf sich nehmen und diesen Schmerz im Protest offenbaren. Eben das ist im Kreuz Jesu geschehen. Gott ist bedingungslose Liebe, weil er den Schmerz am Widerspruch der Menschen auf sich nimmt und den Widerspruch nicht zornig niederschlägt. Gott läßt sich verdrängen. Gott leidet, Gott läßt sich kreuzigen und wird gekreuzigt, und vollendet darin seine bedingungslose und hoffnungsvolle Liebe.«290 Für unsere kurze Skizze des politischen Impetus der Moltmannschen Kreuzestheologie konzentrieren wir uns im folgenden auf das achte Kapitel von »Der gekreuzigte Gott«, das den Titel »Wege zur politischen Befreiung des Menschen« führt 291. Politisch-gesellschaftliche Befreiung – das hat sich schon nach dem Bisherigen überdeutlich abgezeichnet – wird von Moltmann als unmittelbare Konsequenz, ja im Grunde als Imperativ des Glaubens an diesen leidenden Gott begriffen, denn die »Situation des gekreuzigten Gottes macht menschliche Situationen der Unfreiheit als Teufelskreise offenbar, die
288 289 290 291
AaO 234. AaO 235. AaO 235. AaO 294ff.
5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns
259
durchbrochen werden müssen, weil sie in ihm durchbrochen werden können«292 . Moltmann selber wehrt sich gegen den an dieser Stelle naheliegenden Ideologievorwurf: es gehe nicht um eine »Reduktion der Kreuzestheologie auf eine politische Ideologie, sondern [um] ihre Interpretation in politischer Nachfolge«293. Leider braucht der Leser sehr viel Phantasie, um dieses grundsätzlich begrüßenswerte Ansinnen in Moltmanns eigenen Ausführungen zu den politischen Implikationen der Kreuzestheologie auch eingelöst zu finden. Verräterisch ist der inflationäre Gebrauch des Wortes »Müssen« im ganzen achten Kapitel. Denn in dem Postulat eines »Müssens«, das aus dem Glauben an den Gekreuzigten gleichsam notwendig hervorgehe, wird im Grunde eine Möglichkeit politischer Kreuzesnachfolge schließlich und unverblümt ideologisiert. Die Zwei-RegimentenLehre mit ihren mindestens als Warnung vor einer Vermischung von Theologie und Politik, von Glaube und Weltgestaltung sehr konstruktiven Unterscheidungen scheint bei Moltmann völlig ausgeblendet, ja vielmehr: diese Lehre wird von ihm als »Entlastungsmodell« diffamiert, mit dessen Hilfe »die im Glauben erfahrene Freiheit vor Gott zur Entlastung von der Notwendigkeit realpolitischer Befreiung in der Welt mißbraucht«294 werden könne. Stattdessen führt Moltmann »politische[…] Inkarnationen«295 des Glaubens und der Überwindung seiner »unchristliche[n] Abstraktion, die ihn von der gegenwärtigen Situation des gekreuzigten Gottes fernhält«296 ins Feld. In solchen ›politischen Inkarnationen‹ gewinne der Glaube überhaupt erst seine »Substanz«297, im politischen Klärungsprozeß entscheide sich für christliche Theologie sogar, »ob sie Glauben oder Aberglauben verbreitet«298! Neben Moltmanns Zurückweisung des »Entlastungsmodells« Zweireichelehre tritt seine Ablehnung des »Entsprechungsmodells«, wie es in Barths Analogielehre vorliege. Denn das Entsprechungsmodell hat den Kunstfehler, daß es auf einer qualitativen Differenz von Gott und Mensch beruht299 und daß die Entsprechungen deshalb »von oben nach unten und […] oft beliebig«300 verlaufen. Auf Christengemeinde und Bürgergemeinde übertragen bedeutet das, daß die Kirche zum Gesellschaftsvorbild idealisiert und damit ihre Erlösung bereits vorausgesetzt wird. Dabei wird sie »praktisch doch erst zusammen mit der Gesellschaft, in der sie lebt, frei«301. 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301
AaO 294. Ebd. AaO 295. AaO 294. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 296. Ebd. AaO 297.
260
B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
Moltmann wirft beiden Modellen gleichermaßen vor, die »Freiheit in Aktion« im »Möglich-Beliebigen«302 zu belassen. Das christliche Befreiungsgeschehen werde zuerst allgemein verstanden, bevor erst dann in einem zweiten Schritt nach Konkretionen gefragt werde. Moltmann fragt dagegen, ob man nicht »von vornherein Gott in der Welt, das Jenseitige im Diesseits, das Universale im Konkreten und das Eschatologische im Geschichtlichen begreifen«303 müsse, »um zu einer politischen Hermeneutik des Gekreuzigten und einer Theologie der realen Befreiungen zu kommen«304. Worauf Moltmann schließlich hinauswill: »Die Geschichte ist das ›Sakrament‹ christlicher Ethik, nicht nur ihr Material.«305 Ein solches – äquivokes – Ineinander und Durcheinander von Gott und Welt306 , bzw. Gottes und des Menschen Handeln hintergeht die Eindeutigkeit der Identifizierbarkeit Gottes in seinem Wort, durch er erst sich selbst als Gott und die Welt als Welt überhaupt erkennbar macht. Es ist in der Tat ein wichtiges Anliegen, zu »realen Befreiungen« auch in den Weltbezügen zu kommen. Sie darzustellen und ins Werk zu setzen, ist nun aber eben keine Aufgabe der Theologie, sondern der Politik – einer Politik aber, die sich ihrer Differenz zur Theologie bewußt sein muß. Erst die klare Unterscheidung beider Bereiche dient dem Zur-Sprache-Bringen des Heils des Menschen in der Theologie und dem praktischen, wirklichkeitsgestaltenden und -verändernden Dienst an seinem Wohl in der Politik. Wer die Geschichte unverhohlen und in bizarrer Karikatur des Sakramentsbegriffs als »Sakrament« der »Ethik« begreifen will, verdirbt beides: das Sakrament und die Ethik, die Theologie und die Politik. Moltmanns Intention ist es, die christliche Religion den »politischen Religionen« und »politischen Theologien« entgegenzustellen, »in denen politische Interessen Religion, Theologie und Kirchentümer beherrschen«307. Von ihnen gilt es sich zu befreien, damit es überhaupt zu befreiender Theologie kommen kann308 . Bis es soweit ist, gilt praktisch, daß die »etablierten christlichen Kirchen der jeweiligen civil religion angepaßt sind«309. Entweder die Kirchen folgen der jeweiligen civil religion – dann »müssen sie die Erinnerung an den politischen Prozeß Christi verdrängen und ihre Identität als christliche Kirchen verlieren«310 . Oder 302
Ebd. Ebd. 304 Ebd. 305 AaO 298. 306 Eine scharfe und durch und durch den Kern des Problems treffende Kritik der äquivoken Theologie Moltmanns bietet die Untersuchung von J. Niewiadomski, Die Zweideutigkeit von Gott und Welt in J. Moltmanns Theologien (Innsbrucker theologische Studien 9), 1982. 307 Moltmann, DgG, 298. 308 So ebd. 309 AaO 301. 310 Ebd. 303
5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns
261
aber sie verabschieden sich von der civil religion – dann droht ihnen die Verkümmerung zur gesellschaftlich irrelevanten Sekte: »Zwischen irrelevanter christlicher Identität und sozialer Relevanz ohne christliche Identität geht der Weg einer gesellschaftskritischen Kreuzestheologie.«311 Die Erinnerung an den Gekreuzigten (der ja gewissermaßen auch im Namen einer civil religion gekreuzigt worden war!) macht »die Kirchen zu Institutionen gesellschaftskritischer Freiheit, die sich auf seine [sc. Jesu, M.K.] Weise dysfunktional verhalten«312 . Das soll nach Moltmann theoretisch durch Kritik an Symbolen und Argumentationsstrategien der bürgerlichen Religionen und praktisch durch die Parteinahme für die jeweils Anderen, d.h. die Opfer der herrschenden politischen Religion, geschehen 313. Die Erinnerung an die Leiden und das Sterben Christi soll die Kirche aus ihrer politisch-religiösen Anpassung bzw. ihrer »politisch-religiöse[n] Kirchenpolitik«314 befreien »zu einer christlich-kritischen politischen Theologie«315. Dadurch soll die bisher immer einseitig soteriologische Auslegung des Todes Jesu in politischer Hinsicht ergänzt werden316 . Die Konkretionen der Befreiung, welche die politische Kreuzestheologie zur Darstellung bringen soll, werden von Moltmann durch den oben schon erwähnten inflationären Gebrauch des Wortes »Müssen« eingeführt 317. Politische Kreuzestheologie »muß« den Staat von politischem Götzendienst und die Menschen von politischer Entfremdung und Entmündigung befreien 318 . Sie »muß« sich um eine Entmythologisierung von Staat und Gesellschaft bemühen; sie »muß« politische Herrschaftsverhältnisse abbauen, um »der Umwertung aller Werte, die in der Erhöhung des Gekreuzigten liegt«319, Vorschub zu leisten. Politische Herrschaft kann dann nur noch ›von unten‹ gerechtfertigt werden 320 : »Der gekreuzigte Gott ist in der Tat ein staatenloser und klassenloser Gott. Aber es ist darum kein unpolitischer Gott. Er ist ein Gott der Armen, der Unterdrückten und Erniedrigten. Die Herrschaft des politisch gekreuzigten Christus kann nur in Befreiungen von entmündigenden und apathisch machenden Herrschaftsformen und den sie stabilisierenden politischen Religionen ausgebreitet werden.«321 311 Ebd. Vgl. auch aaO 12ff, wo Moltmann die Situation der christlichen Theologie überhaupt von einer doppelten Krise geprägt sieht: »der Relevanzkrise und der Identitätskrise«. 312 AaO 301. 313 So ebd. 314 AaO 303. 315 Ebd. 316 So ebd. 317 Siehe v.a. aaO 304ff! 318 So aaO 304. 319 Ebd. 320 AaO 305. 321 Ebd.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
Moltmann versteht diese Theologie des »politisch gekreuzigten Christus« bzw. diese »politische Hermeneutik« des Kreuzes ausdrücklich als »theoretische Weiterbildung der Tradition«322 , die auf eine »Hermeneutik des Lebens in der Situation der Passion Gottes«323 hin zu überschreiten ist – das schließt »Praxis und Veränderungen der Praxis ein«324. Krankmachende und hoffnungslose psychische, ökonomische, soziale und politische »Regulationssysteme«325 ›müssen‹ überwunden werden. Das politisch-praktische Interesse Moltmanns, lebenshemmende und -zerstörende Kreisläufe von Unterdrückung und Leid aufzubrechen und nicht duldsam an ihnen zu zerbrechen, ist als solches unbedingt zu würdigen. Man kann nicht guten Gewissens Christ – ja: eigentlich nicht einmal guten Gewissens Mensch – sein, ohne sich diese Anliegen Moltmanns entschlossen und nicht nur als Lippenbekenntnisse zu eigen zu machen. Was aber mit derselben Entschlossenheit zurückzuweisen ist, ist die Suggestion, dieses politische Interesse sei eine notwendige Konsequenz des Glaubens an den Gekreuzigten und als solche die im Grunde einzig legitime Form der Kreuzesnachfolge des Christen. Moltmann hat diesen politischen Impetus der Nachfolge ja geradezu als das eigentliche Interesse Gottes im Kreuzesgeschehen selber zur Geltung bringen wollen. Dieser Operation hatte er, wie wir gesehen haben, sogar die soteriologische Orientierung der kreuzestheologischen Tradition zum Opfer gebracht. Damit hat er eine Linie weiter ausgezogen, die sich bereits bei seinem Lehrer Iwand, und bei diesem unter Berufung auf Luthers seelsorglich-praktisches Interesse, nachweisen läßt 326 . – Hätte Moltmann seinen Gedanken der politischen Nachfolge dagegen vorsichtiger als eine der dem Christen in Freiheit offenstehenden Möglichkeiten seiner Weltverantwortung angeboten, dann hätten Theologie und Kirche gleichermaßen Grund gehabt, für eine solche Korrektur einseitig quietistischer Lesarten des Evangeliums von Herzen dankbar zu sein! Versteht man aber den Glauben im reformatorischen Sinne streng theologisch aus seiner Relation zu der ihm vorausgehenden und ihn fortdauernd immer wieder neu weckenden Anrede im Evangelium – und dann eben gerade nicht aus seiner Relation zu der ihm erst nachfolgenden Tat – heraus, dann muß man festhalten, daß der Glaube, sobald er wesentlich von der ihm folgenden po322
AaO 306. Ebd. 324 Ebd. 325 Ebd. 326 Man beachte nur Iwand, Theologia crucis, 382: »Nicht in die dogmatische Richtung der Versöhnungslehre, sondern in die praktische eines neuen Verhältnisses zur Wirklichkeit« weise die »frühe Fassung der Theologia crucis«. Iwand hat hier allerdings die seelsorgliche Einübung eines neuen Wirklichkeitsverhältnisses, wie es sich von der am Kreuz geschehenen Versöhnung her ergibt, im Blick. Das ist noch etwas grundsätzlich anderes als eine prinzipielle Politisierung der Kreuzesbotschaft im Sinne eines permanenten, ›revoltierenden‹ Widerspruchs gegen das gesellschaftlich Etablierte, wie sie von Moltmann angestrebt ist. 323
5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns
263
litischen Manifestation aus verstanden oder gar evaluiert bzw. verifiziert werden soll, sofort gar nicht mehr im Vollsinne des Begriffes Glaube genannt werden kann. Die kategoriale Differenz zwischen dem durchaus möglichen politischen Nachfolgeakt und seinem Movens, dem Glauben, der sich der Botschaft von der am Kreuz ins Werk gesetzten Versöhnung des Menschen mit Gott verdankt, muß immer gewahrt bleiben und darf nie aufgehoben werden. Insofern bleibt der Glaube in der Tat immer innerlich und unveräußerlich individuell, auch wenn er in dieser Innerlichkeit und Individualität der Predigt des Evangeliums als dem Konstitutivum der Kirche entspringt, also niemals nur der jeweils eigene Glaube ist. Gerade um des soteriologischen Gewichts willen, das im Neuen Testament ungeachtet Moltmanns gegenteiliger Beteuerungen auf dem Kreuz Christi liegt, ist jedes Postulat einer Notwendigkeit politischer Konsequenzen aus dem Wort vom Kreuz abzulehnen. Gerade weil der bei Moltmann mit dem Gedanken der politischen Kreuzestheologie untrennbar verknüpfte Vorgang prinzipieller Emanzipation von bestehenden Gesellschaftsverhältnissen, denen per se Unterdrückungs- und Leidverursachungscharakter unterstellt wird, hoch zweideutig ist – jede Überwindung alter Abhängigkeiten führt in neue bindende Konkretionen, die ggf. selber wieder überwunden werden müssen –, kann die primär politische Indienstnahme der Kreuzesbotschaft diese nur zur Parteiensache verkommen lassen. So wird der Zugang zu ihrem soteriologischen Gehalt programmatisch verspielt: das Licht des Evangeliums ist in der Nacht des Gesetzes untergegangen.
5.4. Herrlichkeit statt Kreuz. Die Auseinandersetzung Pierre Bühlers mit der ›politischen‹ Theologie J. Moltmanns Im Jahr 1981 erscheint die breit angelegte Dissertation von Pierre Bühler327, in der er sich gründlich mit dem kreuzestheologischen Anspruch der politischen Theologie Moltmanns auseinandersetzt. Bühler setzt die Frage nach dem rechten Verständnis des Wortes vom Kreuz – d.h. die Frage nach der theologia crucis im Gegensatz zu ihrer Verfehlung in der theologia gloriae – ins Verhältnis zur Frage nach einem angemessenen Zugang zur Eschatologie. Von dieser nämlich hänge es ab, ob Kreuzestheologie überhaupt als Glauben fordernde Offenbarung Gottes in der Verborgenheit unter Leiden und Tod durchgehalten wird, 327 P. Bühler, Kreuz und Eschatologie. Eine Auseinandersetzung mit der politischen Theologie, im Anschluß an Luthers theologia crucis, 1981. Aus der theologischen Nähe dieser Arbeit zum Denken Ebelings macht dessen Schüler Bühler kein Hehl – er weist selber darauf hin, daß »Kreuz und Eschatologie« zeitgleich mit Ebelings Abfassung der »Dogmatik des christlichen Glaubens« entstanden ist, was sich »prägend ausgewirkt« (aaO V) habe. Siehe auch die Rezension von K. Schwarzwäller, Kreuzestheologie – Politische Theologie (ThR 52, 1987, 87–95).
264
B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
oder aber – ungeachtet ihres bloßen Titels – zum Zweck politisch-gesellschaftlicher Weltgestaltung und einseitiger Parteinahmen operationalisiert und so entschieden verfehlt wird. Bühlers Arbeit gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil328 bestimmt das Verhältnis von Kreuz und Eschatologie als grundsätzliches theologisches Problem, an dem sich zentrale Grundfragen wie etwa die Radikalität der Erfassung des Bösen und der Gedanke seiner Überwindung entscheiden, die schließlich ausschlaggebend für die Bestimmung des Kreuzes werden. Der zweite Teil der Arbeit329, der gut die Hälfte des Gesamtumfangs ausmacht, widmet sich eingehend der »Entstehung und erste[n] Entfaltung der theologia crucis in den Jahren 1517–19«330 bei Martin Luther. Im dritten und abschließenden Teil 331 versucht Bühler, anhand der im ersten Teil unternommenen Problemanzeige und der anhand seiner Lutherexegesen gewonnenen kreuzestheologischen Substanz das Verhältnis von Kreuz und Eschatologie so zu klären, daß mit einem angemessenen theologischen Verständnis der Eschatologie zugleich die theologia crucis wieder aus ihrer Usurpation durch die politische Theologie befreit wird. Denn die politisch-theologische Fassung der »Kreuzestheologie« hatte sich – das kann Bühler überzeugend nachweisen – als verkappte Spielart der theologia gloriae entpuppt und kann den Titel der theologia crucis gerade nicht mit Recht für sich Anspruch nehmen. »Kreuz und Eschatologie« ist eine exzellente theologische Streitschrift, die das Wort allerdings nicht im Gerangel irgendwelcher Schulmeinungen ergreift, sondern im Streit um das rechte Verständnis von Theologie überhaupt. Mit dem Ausgang dieses Streites – das zu unterstreichen wird diese Arbeit auf keiner ihrer Seiten müde – wird zugleich über das rechte, theologische Verständnis Gottes und des Menschen und somit des Menschen Heil oder Unheil entschieden. Die Tatsache, daß Bühler diesen Streit in Auseinandersetzung mit einer der größten und folgenreichsten kreuzestheologischen Systembildungen der Theologie des 20. Jahrhunderts, nämlich der Theologie Moltmanns führt, und daß sein Schlag gegen die politische Operationalisierung des Wortes vom Kreuz und der damit einhergehenden radikalen Fehlbestimmungen sowohl der Kreuzesbotschaft wie auch der Eschatologie aufgrund seiner Lutherstudien von bis heute unüberbotener Durchschlagskraft ist, läßt es uns geraten sein, Bühlers Buch, das weitaus mehr ist, als »nur« ein Titel Sekundärliteratur zu Moltmanns »Gekreuzigtem Gott«, diesen eigenen Abschnitt zu widmen.
328 329 330 331
Bühler, Kreuz, 3–62. AaO 63–285. AaO 78. AaO 286–411.
5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns
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a) Kreuzestheologie im Gefolge W. v. Loewenichs In seinem hermeneutischen Zugang zur Kreuzestheologie Luthers schließt sich Bühler exakt an die von Loewenichsche Generalisierungshypothese an. Er selber untersucht die Anfänge von Luthers Kreuzestheologie in Schriften aus den Jahren 1517–1519 und bemerkt, daß Luther die Kreuzestheologie nach 1519 expressis verbis nur sehr selten wieder aufgreift. Trotzdem habe die »Frage der Kreuzestheologie« nicht nur den jungen Luther beschäftigt: »Vielmehr wird man sagen müssen, daß diese fundamentaltheologische Einsicht so tief in seine Theologie eingedrungen ist, daß sie nicht mehr so sehr als Spezialthema behandelt wird, sondern unmittelbar auf das Verständnis der theologischen Hauptthemen überhaupt einwirkt.«332 Bühler läßt diese Beobachtung allerdings nicht als bloße These stehen, sondern führt anhand einer ganzen Reihe von zentralen Einzelthemen (Spes, Peccatum, Fides, Libertas, Deus absconditus, Gottesreich und Weltreich) den materialen Nachweis, daß die Generalisierung der Kreuzestheologie als hermeneutischer Schlüssel zu Luthers Theologie überhaupt auch tatsächlich funktioniert, daß also das Ereignis des Leidens und Sterbens Jesu »für die gesamte Theologie das alleinige grundlegende Geschehen«333 darstellt. Übrigens folgt er in dieser Einschätzung der zentralen Bedeutung der theologia crucis für Luthers Theologie exakt seinem Lehrer Gerhard Ebeling, der dieselbe Auffassung vertritt334. Für Bühler ist die Pointe des Kreuzes »das persönliche Heil des Einzelnen«335. Die Kategorie des Einzelnen ist deshalb die entscheidende Kategorie theologischer Reflexion und muß gegen die politische Theologie, für die die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bezüge entscheidend sind, ins Feld geführt werden336 . Wir werden dieser Fokussierung der kreuzestheologischen – und das heißt zugleich: der soteriologischen – Thematik auf die Kategorie des Einzelnen immer wieder begegnen. Diese Konzentration auf den Einzelnen ist 332 AaO 132. Vgl. auch aaO 261: »Einerseits konzentriert sich die ausdrückliche und intensive Beschäftigung mit dem Thema der theologia crucis bei Luther auf einige Texte einer bestimmten Zeit. Andererseits aber steht die gesamte Theologie Luthers und dem (oft impliziten, unausgesprochenen) Einfluß der theologia crucis.« 333 AaO 262. 334 Auch Ebeling vertritt der Sache nach klar die von Loewenichsche Generalisierungsposition, wenn er zu den Begriffen theologia crucis und theologia gloriae schreibt: »Obwohl er [sc. Luther] sie nicht etwa als Richtungsschlagworte in ständigen Gebrauch genommen hat, sondern nur selten wieder einmal aufgreift, hat er doch darin treffend sein Verständnis von Theologie zum Ausdruck gebracht. Denn wie er mit theologia gloriae den Grundzug der philosophisch begründeten scholastischen Theologie zu kennzeichnen beansprucht, meint er mit theologia crucis nicht ein Teilthema oder eine spezielle Art von Theologie, sondern was das Kriterium und der Ort wahrer Theologie überhaupt ist […].« (Ebeling, Luther, 259f) 335 Bühler, Kreuz 1. 336 So ebd.
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jedoch explizit nicht als individualistische Verinnerlichung des Glaubens gemeint, sondern wird von Bühler gerade umgekehrt als die notwendige, unabdingbare Voraussetzung für eine angemessene Wahrnehmung auch der gesellschaftlichen, sozialen und politischen Wirklichkeit und des Handelns in dieser Wirklichkeit zur Geltung gebracht 337. Bühlers Interesse an der Kategorie des Einzelnen ist deutlich von Ebeling inspiriert. Dieser setzt – darauf sei hier nur beispielhaft und grundsätzlich hingewiesen – im ersten Teil seiner Dogmatik mit einer Phänomenologie des Glaubens ein, in dem sich das Gottesverhältnis des Menschen »erfüllt«338 und dessen sich daraus ergebendes Gewicht »in außerordentlicher Weise den einzelnen Glaubenden [heraushebt]«339. Der Mensch ist als Glaubender schlechthin unvertretbar. Das gilt auch für das mit dem Glauben untrennbar zusammengehörende Bekennen 340 . Obwohl »in dieser Schärfe«341 zum Einzelnen geworden, gilt vom Glaubenden zugleich, »daß er nur durch die Kirche zum Glaubenden wird und nur als Glaubender Glied der Kirche ist«342 . Auch Ebeling verbindet mit der Wahrnehmung des Menschen als dem Einzelnen nichts weniger als einen individualistischen Rückzug in eine geträumte Innerlichkeit, versteht den Einzelnen aber wesentlich vor dem Horizont der Kirche, während Bühler dagegen den Einzelnen dem Schwerpunkt nach in Beziehung zur Welt setzt. b) Das Verhältnis von Kreuz und Eschatologie als Schlüsselproblem der Kreuzestheologie aa) Das Politische als theologische Leitkategorie Bühler beginnt seine Untersuchung gleichsam in der Perspektive der »Totalen« und setzt mit grundsätzlichen Problemanzeigen hinsichtlich des Projektes der »Politischen Theologie« ein, als deren Hauptvertreter er Jürgen Moltmann – und diesen vor allem als Autor des Buches »Der gekreuzigte Gott« – im Blick hat. Von hier aus bestimmt er dann den Eschatologiebegriff als den Prüfstein, an dem sich zu entscheiden habe, ob die theologia crucis als solche nicht bloße dem Namen, sondern der Sache nach durchgehalten wird. Bühlers Ausgangsbeobachtung ist, daß die Vielfalt der immer wieder versuchten Kreuzesinterpretationen Symptom des Bemühens ist, das Kreuz zu aktualisieren, es mit den brennenden Problemen einer Zeit in »direkten Zusammenhang«343 zu bringen. Zugleich wird die in der Theologie oft vernachlässigte 337 338 339 340 341 342 343
Siehe aaO 23f. Ebeling, Dogmatik I, 82. Ebd. So aaO 83. Ebd. Ebd. Bühler, Kreuz, 3.
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Eschatologie in den Mittelpunkt der Wahrnehmung gerückt. Beide Pole treffen schließlich »in der politischen Theologie der zwei letzten Jahrzehnte« zusammen344. Diese politische Theologie hat wichtige Impulse von der dialektischen Theologie empfangen. Besonders wichtig wurde für sie die Frage, inwieweit es der dialektischen Theologie im Kirchenkampf gelungen war, »ihre politische Verantwortung sachgemäß wahrzunehmen«345. Von Karl Barth wurde der Gedanke einer Analogie des Politischen und des Theologisch-Eschatologischen entlehnt. So erlangte die politische Theologie »sowohl ihre christologische Grundlage als auch ihre eschatologische Orientierung«346 . Diese positiven Anknüpfungen der politischen an die dialektische Theologie darf nicht über entscheidende Differenzen beider hinwegtäuschen. Denn die dialektische Theologie habe – so der Vorwurf der politischen Theologie – nur politische Konsequenzen der Theologie aufzeigen wollen, ohne aber das Politische selbst zur grundlegenden Kategorie zu machen. In diesem Defizit sei eine existentalistisch enggeführte Anthropologie wirksam, die »den Blick für die sozialpolitischen Realitäten verschließt«347. Insgesamt stellt die politische Theologie in ihrem Anliegen, das Politische zur Leitkategorie des Theologischen zu erheben, einen »Neuansatz«348 dar, der auf dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und der Verarbeitung der Kriegsfolgen verstanden werden muß. Aber auch das durch die Frankfurter Schule und ihre Rezeption geförderte, eher schematische Rechts-Links-Denken gibt der politischen Theologie eine nicht zu übersehende Imprägnierung349. Tatsächlich hat die politische Theologie durchaus den Impetus, eigentlich mehr zu sein als nur Theologie – sie will faktisch eine »politische Funktion der Religion«350 ausüben. Interessanterweise trifft sich die politische Theologie der zweiten Jahrhunderthälfte mit politischen Theologie älteren Typus, wie sie von Carl Schmitt vertreten wurde, gerade in dem Moment des Verständnisses des »Politischen als des Totalen«351, das heißt, der zentralen, die ganze Wirklichkeit erfassen und umgreifen sollenden Perspektive der Wahrnehmung, des Denkens und des Handelns. Der neueren politischen Theologie des Moltmannschen Typus geht es jedoch nicht um »legitimierende, sondern vielmehr revolutionäre Religion«352 . Ihr Leitstern ist die Sehnsucht nach einer besseren Gesellschaftsordnung, auf die hin die Verhältnisse zu verändern sind. Eine solche Veränderung der Verhält344 345 346 347 348 349 350 351 352
AaO 4. AaO 5. AaO 6. AaO 7. Ebd. So aaO 8. AaO 10. AaO 12. AaO 13.
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nisse: das ist das aktive Prinzip der politischen Theologie – ihm korrespondiert die Solidarität mit den Leidenden und Opfern als ein passives Prinzip. Die klassische politische Religion hielt es mit den Herrschenden, die an der Erhaltung des Bestehenden interessiert sein mußten, die neue politische Theologie stellt sich nun dezidiert »auf die Seite der Beherrschten […] [und will] mit ihnen leiden und an ihrer Stelle kämpfen«353. Zum Kriterium für das eschatologisch bestimmte verhältnisverändernde Handeln und die am Kreuz orientierte Solidarität wird das »Christliche« selbst, denn das »Christliche läßt sich unmittelbar im Bereich des Politischen interpretieren«354 und dieses wiederum »bildet die Wirklichkeit, in der das Christliche zur Wahrheit kommt«355. Aber der politisch-theologische Ansatz ist noch radikaler, denn: »Christliche Theologie als solche und als ganze kann nur und muß politische Theologie sein.«356 Die politische Theologie versteht damit »das Politische als grundlegende, allumfassende Kategorie der theologischen Arbeit«357, damit droht aber die »Gefahr der Politisierung«358 . Diese Gefahr wird Realität, wenn zwischen dem Politischen und dem Theologischen nicht mehr angemessen unterschieden wird. Dann aber wird der »Aspekt der Freiheit«359 unterschlagen: Politische Verantwortung aus Glauben heißt eben nicht, daß damit schon praktisch die Art und Weise vorgeschrieben wäre, »wie der Glaubende diese Verantwortung wahrzunehmen und zu vollziehen hat«360 . Es muß also – anders als in der politischen Theologie – um »verantwortliche Ausübung der Freiheit«361 gehen, diese »ist die höchste und grundlegende Konsequenz des Theologischen in politischer Hinsicht«362 . Zwischen dem Politischen und dem Theologischen muß sauber unterschieden werden: dem Politischen muß zugunsten des Theologischen der Anspruch auf Letztgültigkeit streitig gemacht werden 363. Nur so kann vom Theologischen her zur Wahrnehmung der politischen Aufgaben »im weitesten Sinne befreit«364 werden. Unterbleibt diese Unterscheidung und wird – wie in der politischen Theologie – ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Theologischen und dem Politischen hergestellt, dann werden »die theologischen Sachverhalte auf ihre politischen Komponenten reduziert«365. Die Politisierung der ganzen 353 354 355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 365
Aao 14. Ebd. Ebd. AaO 14f. AaO 17. Ebd. AaO 18. Ebd. AaO 19. Ebd. So ebd. Ebd. Ebd.
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Wirklichkeit wird sich dann aber in Wahrheit als eminent reduktionistischer Ansatz erweisen366 . Ungeachtet dieser ersten kritischen Zuspitzungen des Konzeptes der politischen Theologie will Bühler durchaus ihre legitimen Anliegen gewürdigt wissen. Denn es ist ja wahr: Theologie muß sich ihres gesellschaftlichen und politischen Umfeldes bewußt sein und eine angemessene Analyse des Gegebenen leisten, die vor allem das »Problem des Bösen« als die »Grundgegebenheit der politischen Wirklichkeit«367 in den Blick nimmt und nicht von einer guten, heilen Wirklichkeit ausgeht, die entweder einfach fortzuschreiben oder aber durch revolutionäres Handeln erst noch zu erreichen wäre368 . Das Anliegen der politischen Theologie, die Wirklichkeit stets zu verbessern (»Dimension der Positivität«369), ist für Bühler ebenso notwendig wie die Solidarität mit den Leidenden (»Dimension der Negativität«370). Ebenso ist das hermeneutische Problembewußtsein der politischen Theologie grundsätzlich zu würdigen: es geht immer auch um das Mitbedenken der Verstehenssituation als solcher. bb) Die Wirklichkeit und der Einzelne Die politische Theologie erhebt den Anspruch, die Wirklichkeit in ihren Konkretionen angemessen zu erfassen. Bühler will die Frage nach dem Konkreten aber tiefer angesetzt wissen, als es dort geschieht, denn das Konkrete ist für ihn gerade das, »in dem die gesamte Wirklichkeit wurzelt«371 und gleichsam zusammenwächst, und »neben dem alle anderen Bestimmungen des Konkreten Abstraktionen darstellen«372 . Weil Wirklichkeit als solche beurteilt werden muß, stellt sich die Frage nach der Wirklichkeit als »Frage nach einer solchen Urteilsinstanz«373. Der Mensch findet sich nun nach Bühler in der Wirklichkeit vor als einer, der ihr gegenüber »in der Situation der Betroffenheit« bzw. »wie vor einem Gericht« steht 374. Diese Einsicht in die Urteilssituation als der ›Wirklichkeit der Wirklichkeit‹ läßt Bühler allen Nachdruck auf die »Kategorie des Einzelnen« legen. Die Zuspitzung der Wirklichkeitsfrage auf die Urteilssituation, in der der Einzelne steht, könnte freilich als individualistisch-subjektive Engführung375 oder als Rückzug in die Innerlichkeit376 erscheinen. Aber gerade das wäre nach Bühler ein gravierendes Mißverständnis der Kategorie des 366 367 368 369 370 371 372 373 374 375 376
So 19f, bes. 20. AaO 15. So ebd. AaO 16. Ebd. AaO 21. Ebd. AaO 22. Ebd. So aaO 23. So aaO 24.
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Einzelnen. Denn der Einzelne ist ja als solcher immer in Verantwortung stehend begriffen, und wird damit immer innerhalb seiner vielfältigen Weltbezüge, durch die er angegangen und in Verantwortung genommen wird377, verstanden: »Also nicht durch Abgeschlossenheit zeichnet sich sein Standpunkt aus, sondern durch Offenheit: in ihm werden alle Wirklichkeitshinsichten und –bezüge aufgenommen, in ihm wachsen diese zu einer Einheit zusammen, die sie erst konkret werden läßt.«378 Jürgen Moltmann hatte ja die ›Kategorie der Individualität‹ entschieden kritisiert 379, aber die Kategorie des Einzelnen wird nach Bühler »völlig mißverstanden, wenn sie als Abkapselung in die Privatsphäre interpretiert wird«380 . Vielmehr ist »der notwendige Weltbezug […] erst richtig verstanden, wenn die unabdingbare Verankerung im Einzelnen anerkannt wird. Der Einzelne ist der Erfahrungsort der theologischen Aussagen überhaupt, und deshalb auch der eschatologischen.«381 Nicht zuletzt erschließt sich für Bühler für diese kategoriale Zentralstellung des Einzelnen im Blick auf den Tod. Denn der Tod fordert den Menschen – jeden einzelnen Menschen! – in eschatologischer Hinsicht entscheidend heraus. Der Glaubende gewinnt von ihm her »eine Distanz gegenüber dem Leben und seinen verschiedenen Situationen«382 . Diese »freiheitliche Distanz«383, die ja immer nur vom je einzelnen Menschen vollzogen werden kann, legt die Konzentration auf den Einzelnen geradezu mit Notwendigkeit nahe, und deshalb insistiert die Kreuzeseschatologie auf der »Priorität des Einzelnen gegenüber der Welt«384. Im Einzelnen nämlich werden die Wirklichkeitsbezüge überhaupt erst konkret, aus dieser Konkretion auszubrechen »bedeutet immer einen Übergang von der theologia crucis in die theologia gloriae«385. Die im Begriff des Einzelnen gedachte Einheit aller Weltbezüge ist aber nicht einfach gegeben, sondern sie bleibt »Lebensaufgabe«386 , ein Vollzug also, der alle Lebensbereiche umgreift. Der Verinnerlichungsvorwurf Moltmanns greift hier nach Bühler nicht: Zwar ist der Mensch in der Tat durch die Wirklichkeit in seinem Innersten betroffen, nämlich »als Person, dort, wo er letztlich Mensch ist«387. Aber indem er von außen in seinem Innern getroffen wird, weist gerade die sich darin konkretisierende Urteilssituation auf die Externität seines Be-
377 378 379 380 381 382 383 384 385 386 387
So aaO 23. Ebd. So aaO 311. Ebd. AaO 312. AaO 401. Ebd. AaO 402. Ebd. AaO 23. AaO 24.
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stimmtwerdens hin388 : Der Mensch wird in seinem Innersten auf das Externe hin geöffnet389. Und genau damit ist die eigentlich theologische Perspektive auf den Menschen als Einzelnen angesprochen. Denn die Externität des Inneren muß radikal als das Vor-Gott-Sein des Menschen verstanden und zur Sprache gebracht werden 390 : »Den Menschen als Einzelnen gibt es überhaupt nur als den Menschen vor Gottes Angesicht.«391 Die ›Kategorie der Externität‹ balanciert die ›Kategorie des Einzelnen‹ damit in gewisser Hinsicht aus und macht das Mißverständnis, hinter ihr verberge sich das Programm einer wirklichkeitsfremden Verinnerlichung des Glaubens, unmöglich: Wie der Einzelne von Gottes Wort in seinem Gewissen getroffen werden muß, so ist dieses Wort Anrede von ›außen‹, Wort Gottes, das den Einzelnen in Gericht und Gnade dadurch in seine Würde einsetzt, indem es ihn aus sich selbst herausruft und vor das Angesicht Gottes stellt. Der Verlust dieser Externität des göttlichen Wortes wäre deshalb katastrophal, denn »[t]heologia gloriae entsteht, wo auf irgendeine Weise das Externe, das mit dem Kreuz Christi ein für allemal radikal gesetzt wurde, internalisiert wird, wo das Versetztwerden außerhalb unser selbst, das im Glauben an den Gekreuzigten erfolgt, in ein Internalisieren der göttlichen Gnade verwandelt wird«392 . Dieser Gedankengang hat für Bühler weittragende Konsequenzen für die Eschatologie. Diese muß nämlich »radikal im Zeichen des Kreuzes«393 erfaßt werden, als eschatologia crucis. Dazu gehört zuerst die entschiedene Absage an jede Internalisierung des Externen. Stattdessen muß »die Kategorie der Externität zur zentralen Kategorie der eschatologia crucis werden«394. Denn über den eschatologischen Charakter der Theologie entscheidet allein »das radikale Ernstmachen mit der bleibenden Externität des Theologischen«395. Die Dimension der Externität ist erst bei voller Gewichtung der Passivität wirklich erstgenommen, denn in der »Passivität öffnet sich der Mensch ganz der Externität« 396 . Luther konnte entsprechend auch die Hoffnung als passio (statt als virtus) bestimmen: ebenso kann sie auch als Mitgekreuzigtwerden verstanden werden397. In der Passivität als der Haltung, in der der Mensch sich von Gott empfängt, kommt erst seine Ganzheit überhaupt in den Blick. Die Gnade trifft den Menschen im Herzen, das heißt: »am Punkt, an dem sich sein Menschsein überhaupt 388 389 390 391 392 393 394 395 396 397
So ebd. So ebd. So ebd. Ebd. AaO 275. AaO 277. Ebd. Ebd. AaO 278. So aaO 279.
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entscheidet, denn nicht in dem, was der Mensch in seinem Handeln von sich gibt, sondern in dem, was ihm im Glauben von außen her gegeben wird, steht sein Menschsein zur Entscheidung, darin, ob ihm Gericht oder Gnade zuteil wird«398 . cc) Grundzüge des politisch-theologischen Eschatologiegebriffs Am Eschatologiebegriff der politischen Theologie unterscheidet Bühler eine positive und eine negative Dimension. Unter »Positivität« versteht er einen solchen »Bezug zur Zukunft«399, der in der Erwartung einer eindeutigen Verbesserung besteht. Für die Ausgestaltung des Zukunftsbezuges der politischen Theologie wurde in ihr die Inanspruchnahme der neuentdeckten marxistischen Eschatologie prägend400 . Die Idee des Reiches (sc. Gottes) wird nun weniger – wie etwa bei Bultmann – auf die Gottesherrschaft bezogen, »sondern stärker in der Perspektive des Sozialpolitischen verstanden, als Form des Zusammenlebens erfaßt«401. Das ist keineswegs neu – schon im Kulturprotestantismus Ritschlscher Prägung war das Reich Gottes als Ziel der Geschichte benannt worden, auf das der Mensch »sich tätig auszurichten hat«402 . Von K. Barth schließlich stammt dann der Gedanke der »Gleichnishaftigkeit, der Analogie zwischen den sozialpolitischen Zielen und dem verkündigten und geglaubten Reich Gottes«403. Die marxistische Eschatologie wird in der politischen Theologie gerade in ihrer religionskritischen Pointe aufgenommen: die Jenseitshoffnung ist Ausdruck der zu Bewußtsein kommenden »Unwahrheit des jetzigen, diesseitigen Zustandes«404. Die Religionskritik führt zu einer »Enteschatologisierung« der Geschichte: man entledigt sie der Ausrichtung auf das ›Jenseits der Wahrheit‹, um sich in ihr der wirklichen ›Aufgabe der Geschichte‹ zu widmen«405. Obwohl nun mit einem überraschenden Einbruch des Eschatologischen nicht mehr gerechnet wird, bleibt die Geschichte auf ein letztes Ziel ausgerichtet. Die Enteschatologisierung der Geschichte führt zu einer »Vergeschichtlichung der Eschatologie«406 , denn das »eschatologische Motiv wird zu einem aktivistischen Geschichtsprinzip«407. Trotzdem bleibt das letzte Geschichtsziel eschatologisch bestimmt, dadurch wird die Geschichte re-eschatologisiert408 : »Das Endziel soll durch die Praxis erreicht 398 399 400 401 402 403 404 405 406 407 408
Ebd. AaO 27. So aaO 30. Ebd. AaO 31. Ebd. Ebd. AaO 32. Ebd. Ebd. So ebd.
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werden, doch ist es unerreichbar; das Endziel ist fern und unerreichbar, doch soll alles Handeln darauf ausgerichtet sein, es zu erreichen.«409 Auf diese Weise wird ein äquivoker Gebrauch des Begriffes »Eschatologie« möglich, der dann in der politischen Theologie durchschlagen wird410 . Das Problem der Äquivokation des Eschatologiebegriffs im politischen Gebrauch liegt darin, daß mit dem Namen »eschatologisch« nicht etwas eindeutig Eschatologisches mehr bezeichnet ist. Denn das Eschatologische wird in der politischen Theologie mit bestimmten Zielvorstellungen (z.B. der Idee der klassenlosen Gesellschaft) verknüpft: »Dadurch verwandelt sich die begrenzte, bestmögliche Verbesserung in das letztgültige und vollkommene Heil, die unbedingte Vollendung.«411 Auf solche Weise werden entweder das Bestehende oder das zu Erreichende geheiligt und folgerichtig »mit totalitären sozialpolitischen Sanktionierungen verbunden«412 . Das äquivokative Oszillieren von theologischen und politischen Leitbegriffen führt zu einer Verknüpfung von Hoffen und Handeln. In der Konsequenz wird das Handeln eschatologisiert, die Hoffnung dagegen deeschatologisiert. Die Eschatologisierung der weltverändernden Praxis richtet diese mit innerer Logik auf Endgültigkeit aus. Dadurch wird allerdings die historische Kontingenz des Ausgangspunktes der Veränderung vernachlässigt – der eigene geschichtliche Ort wird damit überbewertet413. Denn wird das Verhältnis des Politischen zum Eschatologischen nach dem Analogieprinzip bestimmt, dann wird der Widerspruch des Eschatologischen gegen alles Politische verharmlost und »bloß noch als ein vorläufiger Widerstand gegen die Durchsetzung der letzten Ähnlichkeit verstanden«414. Dieser Widerstand wird aber mithilfe der das kommende Reich gleichnishaft abbildenden ›antizipatorischen Zeichen‹ eingeebnet – die angesprochene Entsprechung wird hier geradezu methodisch zementiert415. Hochproblematisch wird von Bühler auch die einseitig zukünftige Bestimmung des Eschatologischen in der politischen Theologie gesehen. Denn durch sie geht die Einsicht in den Zusammenhang des Zeitkontinuums verloren. Die eschatologische Bedeutung der Gegenwart als dem Schnittpunkt von Vergangenheit und Zukunft gerät aus dem Blickfeld. Dagegen wäre das Eschatologische nicht einseitig im sukzessiven Zeitablauf auf die letzte Zukunft hin zu begreifen, »sondern vielmehr in der Gleichzeitigkeit, wie sie im gegenwärtigen Augenblick zum Ausdruck kommt«416 . Die Exklusivität der futurischen Eschatologie 409
Ebd. So ebd. 411 AaO 35. 412 Ebd. 413 Das wäre dann geradezu ein Scheitern an der hermeneutischen Aufgabe, den eigenen Verstehenshorizont aufzuhellen und mitzureflektieren. 414 AaO 39. 415 So ebd. 416 AaO 40. 410
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muß nach Bühler überwunden werden, um die Eschatologie »im Spannungsfeld der Zeitekstasen«417 denken zu können. Das legt dann nahe, eine präsentische Eschatologie »auf eine perfektische Eschatologie zu begründen«418 , in welcher Perspektive allein futurische Eschatologie ihre rechte Ortsbestimmung findet419. Die negative Dimension der Eschatologie ist mit dem für die politische Theologie zentralen Gedanken der Solidarität mit den Opfern und den Leidenden angesprochen. Das zentrale Symbol für solche Solidarität ist das Kreuz – diese Solidarität zu symbolisieren, ist allerdings in der politischen Theologie auch schon dessen entscheidende Bedeutung. Denn in ihr ist das Kreuz »als ein Symbol des in der Welt allgegenwärtigen Leidens verstanden«420 . Die damit einhergehende Konzentration der politischen Theologie auf das Leiden wirft für Bühler allerdings die brennende Frage nach dessen Verhältnis zum Bösen auf. In der Tat wird ja im Leiden das Böse konkret spürbar. Deshalb muß, um das Problem des Bösen erfassen zu können, »diese schmerzende Tatsache des Leidens in ihrem vollen Gewicht«421 wahrgenommen werden. Leiden bedeutet Passivität des Opfers. Die Opferperspektive »bildet den sensiblen Punkt im Problem des Bösen«422 . Die politische Theologie befaßt sich mit unfreiwilligen und unerwünschten Leiden. Allerdings sind gerade angesichts von leidverursachenden Strukturen, die verändert werden müssen und auch in veränderter Form unvermeidlich neues Leid produzieren, Aktivität und Passivität ineinander verschlungen. Das hat Konsequenzen für die Erfassung des Bösen: dieses darf nicht lapidar auf den passiven Aspekt des Leidens reduziert werden. Stattdessen muß eine »radikale Erfassung des Bösen […] von dieser Spannung von Passivität und Aktivität im Verhältnis des Menschen zum Bösen ausgehen« 423. Diese Spannung stellt sich für den Menschen geradezu als »Teufelskreis«424 dar: gegen das Erlittene will er ankämpfen, doch gerade darin verursacht er neues Leid, das seinerseits wieder korrigiert werden muß. In diesem steten Selbstwiderpruch des Menschen wird die »letzte Wurzel des Problems des Bösen«425 sichtbar, und das ist nichts weniger als »die Sünde des Menschen«426 . Sie ist als solche Widerspruch gegen Gott, und damit zugleich der Widerspruch des Menschen gegen sich selbst.
417 418 419 420 421 422 423 424 425 426
Ebd. Ebd. So ebd. AaO 43. Ebd. AaO 44. AaO 45. Ebd. AaO 46. Ebd.
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Nachdem Bühler das Problem des Leidens konsequent auf die Sünde zurückgeführt hat und damit das Problembewußtsein der politischen Theologie um den eigentlich entscheidenden Aspekt vertieft hat, stellt sich die Frage nach der Überwindung sowohl des Leidens als auch der Sünde. Die Antwort auf diese Frage läßt dann den Rückschluß zu, ob das dem Leiden zugrunde liegende Sündenproblem überhaupt in seiner ganzen Schärfe erfaßt worden ist. Die politische Theologie ihrerseits konzentriert ihr Konzept der Leidüberwindung auf den Gedanken der Solidarität Gottes mit den Leidenden. Das Böse wird hier also wesentlich als Leiden verstanden. Von der Solidarität Jesu am Kreuz wird der Mensch insgesamt zum »homo sympatheticus«427. Dessen Offenheit zu Solidarität und Anteilnahme ist radikal eschatologisch ausgerichtet und damit »ist die Solidarität entscheidend auch auf das Handeln ausgerichtet«428 . Wahre Sympathie mündet in befreiendes Handeln: »Das zeigt sich schon daran, daß für die politische Theologie das Leiden Jesu am Kreuz vornehmlich ein aktives Leiden war.«429 Dieses Handeln wird durch »die Zukunftsvorstellung der Hoffnung«430 geleitet, es antizipiert zeichenhaft die Zukunft Christi: »Erst in diesem eschatologischen Handeln findet die Solidarität ihren Sinn und ihre Wahrheit. Dieses Verhältnis der Solidarität zu Hoffnung und Handeln weist den Grundzug der Beurteilung des Kreuzes in der politischen Theologie auf.«431 In diesem Sinne als Solidarität verstanden, hat das Kreuz aber nicht als solches, sondern nur als »negatives Zeichen« von »Hoffnung und Handeln« 432 eine Bedeutung. Denn würde Solidarität als solche schon als Positivität verstanden, »würde sie auf eine Perpetuierung der Leidenssituation hinauslaufen«433. Diese Tendenz in der Interpretation des Kreuzes lastet Moltmann der kreuzestheologischen Tradition an, deren »Einseitigkeiten« er entschieden zu vermeiden trachtet434 , um der Kreuzestheologie in der Ausrichtung auf die in der Auferstehung antizipierte Hoffnung »die Rolle der Kehrseite der Hoffnungstheologie«435 zuzuteilen. Bühler kann dieses Anliegen deutlicher noch als Moltmann selbst zuspitzen: »Dem Kreuz kommt […] keine positive Bedeutung zu. Die Positivität ist erst in der Auferstehung und in den auf sie zurückgehenden Antizipationen der Zukunft gesetzt.«436 . Demgegenüber fragt Bühler, »ob man nicht erst so dem Bösen, dem Bösen als Sünde interpretiert, wirklich gerecht wird, daß man dem Kreuz selbst als Überwindung des Bösen eine positive Heilsbe427 428 429 430 431 432 433 434 435 436
AaO 46f. AaO 47. Ebd. AaO 48. Ebd. Ebd. Ebd. Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 9. Bühler, Kreuz, 48. AaO 49.
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deutung zuschreibt«437 und dessen Verständnis – anders, als es in der politischen Theologie geschieht – soteriologisch orientiert438 . Dabei plädiert Bühler gegen Moltmanns einseitig negative Sicht auf jeden ›Heilsindividualismus‹ durchaus dafür, vom persönlichen Heil zu reden, aber »gerade nicht individualistisch«439, sondern der Kategorie des Einzelnen entsprechend – und »also gerade auch in seiner Auswirkung auf das Verhältnis des Menschen zur gesellschaftlichen Realität und zu ihren Teufelskreisen«440 . Bühler attestiert der politischen Theologie, durch ein natürliches Verständnis der Eschatologie geleitet zu werden441, d.h. von dem Zutrauen, das Sein und Tun schon des natürlichen Menschen in die eschatologische Zukunft hinein verlängern zu können. Auf die Leidensgegenwart der Opfer unter den Menschen bezogen bedeutet das, daß diese Leidensgegenwart im Vorfeld einer erlösten Zukunft steht. Diese ist erst im Kommen, »doch ist sie schon in der bereits geschehenen Auferstehung Christi vorgezeichnet und muß durch gezieltes, veränderndes Handeln, das jetzt schon einsetzt, antizipiert werden«442 . Daran kritisiert Bühler einerseits eine unscharfe Erfassung der Eschatologie (mangelnde Unterscheidung zwischen Gottes Handeln und dem Tun des Menschen), andererseits aber die Überspielung des eigentlichen Problems des Bösen (die Reduktion auf den Leidaspekt erfaßt die Sünde als die Wurzel des Bösen nicht hinreichend). Bühler selbst will an Moltmanns Programmbegriff einer »eschatologia crucis« ansetzen – allerdings in polemischer Absetzung von Moltmann443. Denn er will die Eschatologie von dem im Sinne einer perfektischen Soteriologie verstandenen Kreuz her und nicht umgekehrt dieses im Lichte einer natürlichen Eschatologie verstehen: »Nur so wird man dem Problem gerecht, daß man die Kreuzeseschatologie mit der natürlichen Eschatologie konfrontiert, dem natürlichen Verständnis der Eschatologie mit der eschatologia crucis auf schärfste widerspricht und es dadurch gerade zur Wahrheit bringt.«444 Abgewiesen werden soll damit eine ethisch-politische Interpretation des Kreuzes, in der dieses bloß Symbol der »Anteilnahme an den Leiden der Menschen [wäre] als der Einstellung, die als negatives Vorzeichen der letzten Befreiung entspricht, die in der Auferstehung antizipatorisch einsetzt.« 445 Stattdessen 437
Ebd. So ebd. 439 AaO 50. 440 Ebd. 441 Siehe aaO 25ff. Diese Problemanzeige will er jedoch nicht als »Schelte« (25) verstanden wissen, sondern als Hinweis »auf ein zentrales, immer noch unbewältigtes, ein bleibendes Problem der Theologie überhaupt« (26). 442 AaO 53. 443 AaO 54 und ebd. Anm.59. 444 AaO 55. 445 AaO 57. 438
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spricht sich Bühler für eine existentiell-eschatologische Kreuzesinterpretation aus, die zunächst einmal der Auferstehung ihr rechtes Gewicht gibt. Denn die Auferstehung (verstanden als Ja Gottes zum Gekreuzigten) betone den Kreuzestod Jesu »mit unendlichem Ernst und in seiner letztgültigen Relevanz«, wodurch dieser gerade als zentrales eschatologischen Geschehen«446 begriffen sei. Und nur in dieser Perspektive werde das Kreuz in seiner Heilsbedeutung für den Einzelnen in vollem Umfang wahrnehmbar. Dieses Heil (Jesus vollzieht in der Gottverlassenheit die Solidarität mit dem Einzelnen als Sünder447 ) »spricht mich nicht nur ethisch-politisch an, nicht nur in Hinsicht auf mein Handeln und Verhalten, sondern in dem, was mein Menschsein selbst ausmacht, in Hinsicht auf meine Wirklichkeit überhaupt«448 . c) Bühlers Dekonstruktion der Hoffnungs-Kreuzestheologie Moltmanns aa) Moltmanns »eschatologia crucis« Es hatte sich als eines der kreuzestheologischen Grundanliegen Moltmanns herausgestellt, daß dieser die Kreuzestheologie aus den Grenzen der Heilslehre befreien wollte. Er wollte damit eine vermeintliche individualistische Engführung der Soteriologie treffen »und Gotteslehre und Gesellschaftstheorie unmittelbar miteinander zu einer neuen Soteriologie verknüpfen«449. Aber dieses »Überspielen des Einzelnen« bedeutet nach Bühler theologischen Wirklichkeitsverlust – man befindet sich damit im Grunde »in einer Form von Theologia superborum«450 . Denn die Vernachlässigung des Einzelnen als des ersten Adressaten des im Wort vom Kreuz verkündigten göttlichen Handelns hat zur Folge, daß der Mensch nicht bzw. nicht hinreichend als der von Gott gerecht gesprochene Sünder im steten simul seines Sünder- und seines Gerechtseins wahrgenommen wird. Ohne diese kreuzestheologisch zurechtgerückte Selbstwahrnehmung ist aber die überindividuelle Wahrnehmung von Welt und Gesellschaft schon im Ansatz verdorben, und das gilt selbstverständlich in der Konsequenz auch von der in der so wahrgenommenen Welt projektierten politischen Praxis. Als wesentlichen Ertrag seiner Lutherstudien hält Bühler die »Einschärfung des Gegensatzes von theologia crucis und theologia gloriae«451 fest. Die Gegenüberstellung dieser Grundmodelle »verwehrt die Flucht in die pluralistische Lösung einer friedlichen Koexistenz verschiedener theologischer Ansätze und radikalisiert die theologische Verantwortung zu einem leiden446 447 448 449 450 451
Ebd. So ebd. AaO 58. AaO 264. Ebd. AaO 290.
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schaftlichen Streit um das eigentlich Christliche als das einzig Wahre«452 . Als die eschatologische Grundkategorie der theologia crucis hatte sich die Externität herausgestellt. Ganz im Gegensatz dazu stellt sich »die Vergeschichtlichung der Eschatologie in der Moderne gerade als eine Form der Internalisierung der eschatologischen Externität dar«453. So aber wird die Eschatologie geschichtsimmanent »zu einem menschlichen Prinzip uminterpretiert«454. Und das ist nichts anderes als theologia gloriae! Und es ist Bühlers Generalvorwurf an Moltmann, genau eine solche Herrlichkeitstheologie vorgelegt zu haben: »Moltmanns Theologie der Hoffnung ist eine theologia gloriae […] unter eschatologischem Zeichen«455. Sie ist »eine eschatologia gloriae. Diese ›Herrlichkeitseschatologie‹ gründet nicht so sehr auf dem Kreuz, sondern auf der in die eschatologische Zukunft weisenden Auferstehung Christi.«456 Auf der Grundlage dieses Vorwurfs steigt Bühler dann in die Detailkritik Moltmanns ein, von der wir im folgenden nur die wichtigsten Argumente darstellen wollen. Es war Moltmanns Ziel, in seiner Kreuzestheologie »die Hoffnung realistischer, konkreter«457 machen. Bühler wirft ihm nun vor, er habe das Kreuz jedoch in die Hoffnung hinein aufgehoben, wodurch die dringende Frage aufgeworfen wird, welche Bedeutung das Kreuz in seiner Theologie überhaupt eigentlich hat. Hoffnung gründet bei Moltmann in der Auferstehung, und das heißt in der Konsequenz, »daß trotz der Einheit von Kreuz und Auferstehung die in der Auferstehung begründete Hoffnung den Blick nicht dem Kreuz, sondern ganz der zukünftigen Herrlichkeit zuwendet«458 . Die Auferstehung Christi selber wird als eschatologischer Prozeß verstanden: sie »ist das Einsetzen eines Kampfes um die eschatologische Offenbarung der Wahrheit, Gerechtigkeit und Herrschaft Gottes«459. Dieser Prozeß ist damit zugleich »die Perspektive der Geschichte«460 . Bühler kritisiert, daß Moltmann dadurch die Auferstehung gegenüber dem Kreuz verselbständige, so wie er diesem gegenüber auch die Eschatologie verselbständigt. Das Kreuz wird zwar aufgenommen, aber »als ein vermitteltes Moment. Moltmanns Eschatologie ist deshalb eine eschatologia resurrectionis, sie gründet auf der Auferstehung Christi als der einsetzenden Vorwegnahme der Zukunft Christi.«461 Bei der bloßen Eröffnung dieses eschatologischen Prozesses an sich bleibt es nun bei Moltmann 452 453 454 455 456 457 458 459 460 461
Ebd. AaO 292. Ebd. AaO 317. Ebd. AaO 295. AaO 297. AaO 299. AaO 300. AaO 303.
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nicht – er könnte ja auch rein als Sache Gottes verstanden werden. Nicht aber in Moltmanns Theologie. Denn jene Eröffnung des eschatologischen Prozesses durch die Auferstehung Christi »bedeutet zugleich einen eschatologischen Auftrag für die Zeugen dieser Auferweckung«462 . Die Erwartungen an die eschatologische Zukunft sollen in gegenwärtige Aktivität verwandelt werden: das wird mit dem Begriff der »aktiven Antizipation« ausgedrückt463: Bühlers Urteil über diese Gedankenfigur ist ebenso scharf wie vernichtend: »Damit wird das eschatologische Heil, das Moltmann mit der verheißenen Zukunft der Gerechtigkeit, des Lebens und des Reiches Gottes umschreibt, zum Material und Inhalt menschlicher Aktivität als antizipatorischer Aktivität. Es bedeutet deshalb im Grunde genommen synergistische Werkgerechtigkeit unter eschatologischem Zeichen.«464 Der von Moltmann beschworene Geist der Hoffnung entpuppt sich bei genauem Hinsehen damit als Geist der Weltveränderung. Menschliches und göttliches Handeln werden geradezu programmatisch miteinander vermischt: »Was von Gott selbst eschatologisch zu erwarten ist, liegt nun antizipatorisch im Bereich der menschlichen Praxis.«465. Dadurch erweist sich Moltmanns Hoffnungstheologie in Bühlers Urteil letztlich als eine Spielart ›sozialpolitischen Messianismus‹, »der die marxistischen, vor allem neomarxistischen Zukunftsperspektiven in der Perspektive des eschatologischen Geschichtsprozesses mit den christlichen Hoffnungsinhalten äquivoziert«466 . Das Gewicht, das Moltmann auf die Antizipation der Hoffnung und deren ausstehende eschatologische Verifikation legt, stellt nach Bühler nichts weniger als »eine Vertagung der Wahrheitsfrage«467 dar. Da die Wahrheit noch aussteht, »ist das einzig Wahre schließlich das erwartende, hoffende Ausgerichtetsein auf die Zukunft, in der sich erst die Wahrheit offenbaren wird«468 . Das Kreuz kann demgegenüber eigentlich nur als ein Datum der Vergangenheit erscheinen, über das der Rausch der Hoffnung fast mit Notwendigkeit hinweggehen muß. Noch einmal gefragt: Welche Bedeutung kommt dem Kreuz in der Kreuzestheologie Moltmanns in Wahrheit zu?
462 463 464 465 466 467 468
AaO 308 (Kursiv vom Verf.) S. ebd. AaO 309. Ebd. Ebd. AaO 306. Ebd.
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bb) Die politische Interpretation des Kreuzes bei Moltmann Auf dem Hintergrund von Bühlers Generalvorwurf, bei der Theologie Moltmanns handele es sich im ganzen um eine Herrlichkeitstheologie, die als solche frontal von Luthers Angriffen auf die scholastische und von ihm so genannte theologia gloriae getroffen wird, nimmt es nicht mehr wunder, daß Bühler Moltmann vorwirft, dessen Rede vom Kreuz könne gar nicht eigentlich als Kreuzestheologie bezeichnet werden, weil »dem Kreuz nur eine bestimmte Rolle im Rahmen einer Herrlichkeitstheologie zuteil«469 werde. Kreuzestheologie – bzw. Kreuzeseschatologie als der theologische Ausdruck eines angemessenen Verhältnisses der Eschatologie auf das Kreuz – steht der Moltmannschen ›Herrlichkeitseschatologie‹ vielmehr diametral als dessen prinzipielle Alternative gegenüber: »[D]ie Kreuzeseschatologie schärft das Kreuz als schlechthinniges und endgültiges Zeichen des eschatologischen Lebens ein; die Herrlichkeitseschatologie betrachtet das Kreuz als eschatologisch vorläufiges Prinzip, das durch die Herrlichkeit abgelöst wird.«470 Kreuzestheologie ist es also nicht, was Moltmann nach Bühlers Urteil mit dem Kreuz Christi anfängt. Er macht es sich vielmehr zunutze, indem er es »unmittelbar politisch interpretiert«471. Das hat zur Folge, »daß die Identifizierung mit den Leiden und Kreuzen dieser Zeit auch schon die Solidarität mit ihnen ist«472 . Hinter diesem solidarischen Kurzschluß schlägt die mit Moltmanns Konzentration auf das Leiden und der mangelhaften Erfassung des Problems des Bösen einhergehende Abblendung der soteriologischen Dimension des Kreuzes voll durch. Gerade damit aber bleibt »die Kreuzestheologie eine politische Parteinahme für die Leidenden und Unterdrückten und der Gekreuzigte ein ethisch-politisches Vorbild« 473. Wieder einmal zeigt sich, wie sehr das Verständnis von Kreuz und Sünde sich gegenseitig bedingen. Für Luther wäre der Gedanke, das Kreuz könne durch das solidarische Handeln des Menschen überholt werden, völlig abwegig gewesen, weil eben die Sünde vom Menschen nicht überholt werden kann: das Kreuz »gilt endgültig für die haec vita, die bis in den Tod hinein währt«474. Bei Moltmann wurde die Sünde nicht in diesem Sinne radikal genug erfaßt, sie »bleibt moralisch-politisch bestimmt, als Schwäche, carentia, defectus«475 . Problematisch ist für Bühler auch die für Moltmann so charakteristische enge Verknüpfung von Trinitätslehre und Kreuzestheologie. Denn mit ihr löse
469 470 471 472 473 474 475
AaO 319. AaO 327. AaO 319. AaO 320. Ebd. AaO 329. Ebd.
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Moltmann das Paradox der Kreuzestheologie auf476 . In besonderer Weise fatal sei Moltmanns Rede von der »Geschichte in Gott«. Wenn nämlich Gott, als Geschehen begriffen, »den eschatologischen Geschichtsprozeß«477 meine, liege eine klare »Internalisierung« vor: »Gott meint dann nichts mehr anderes als die Offenheit der Geschichte auf die eschatologische Zukunft hin.« 478 Dadurch wird die bei Luther so zentrale Dualität von Gott und Welt aufgehoben; »Gott wird, im Sinne der Transzendierung auf Zukunft hin, das Prinzip der eschatologischen Zukunft in der Welt.«479 In dieser Internalisierung findet der Einfluß des neomarxistischen Messianismus v.a. Blochscher Prägung ihren Niederschlag. Denn hier wollte man die Religion im Atheismus beerben und das Messianische als eschatologisch-politische Dimension gewinnen. Das aber führt eben zu der noch bei Moltmann manifesten »Internalisierung Gottes in den Geschichtsprozeß als dessen messianischer Tendenz«480 . Das Böse wird dabei als notwendiges Moment im revolutionären Prozeß verharmlost. Und wieder erhebt Bühler den Vorwurf der Herrlichkeitstheologie: »Internalisierung Gottes und Verbrämung des Bösen sind Kennzeichen der theologia gloriae.«481 Allerdings räumt Bühler ein, daß sich im Unterschied zu Bloch Vertreter der Frankfurter Schule (Bühler denkt hier offenbar an Adorno) der Begrenztheit und Endlichkeit menschlicher Möglichkeiten in eschatologischer Hinsicht sehr wohl bewußt waren. Und dieser »Respekt der Negativität ist in die theologia crucis aufzunehmen«482 . cc) Die Alternative: eschatologia crucis Gegen Moltmanns »eschatologia resurrectionis« und die mit ihr einhergehenden gravierenden Mißverständnisse der menschlichen Sünde und ihrer Überwindung sowie der eschatologischen Reichweite des menschlichen Handelns entwirft Pierre Bühler zum Ende seiner Untersuchung483 in Grundzügen seine eigene Vorstellung einer »eschatologia crucis« . Es ist dabei seine Absicht, den »Versuch einer Kreuzeseschatologie im Kontext der modernen Situation«484 zu unternehmen. Die angestrebte Verknüpfung des Eschatologischen mit dem Soteriologischen bedeutet dabei »eine polemische Abgrenzung gegen den Messianismus«485 , denn das Soteriologische ist – gegen Moltmann – »als zentrale 476 477 478 479 480 481 482 483 484 485
So aaO 325. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 356. AaO 357. Ebd. AaO 358–411. AaO 358. Ebd.
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Dimension in die eschatologische Kreuzesinterpretation aufzunehmen«486 . Christlicher Messianismus – recht verstanden – kann nur Kreuzestheologie sein. Moltmanns Theologie habe sich dagegen als ein »bloß christianisierte[r] Messianismus«487 erwiesen. Rechte Kreuzestheologie muß die »grundlegende Externität«488 Gottes einschärfen, und sie muß das Böse in seiner Radikalität begreifen. Erst so kann die Heilsfrage überhaupt angemessen in den Blick genommen werden. Nur, wer das Böse verharmlost, kann überhaupt Gott internalisieren489. Das von Gott kommende Heil widersetzt sich dem Widerspruch des Menschen gegen Gott, der sich in der Sünde behauptet, und »darin liegt der Grund für die paradoxale Struktur der Kreuzestheologie, die zutiefst der paradoxalen Struktur der Verzweiflung korrespondiert«490 . Unter Verzweiflung versteht Bühler das Symptom der Unmöglichkeit des Menschen, sich von sich selbst aus mit sich selbst in Einklang zu bringen. Soteriologisch orientierte Kreuzestheologie eröffnet in dieser Situation den einzigen wirklichen Ausweg: »[I]n der Gefangenschaft seiner Verzweiflung ist der Sünder in sich selbst verschlossen und so, als Gefangener seiner selbst, mit sich selbst allein gelassen. In der Christologie geht es deshalb um die Frage, ob diese Verschlossenheit und Einsamkeit durchbrochen werden kann, ob jemand zum Sünder gelangen, seine Situation teilen und sie dadurch radikal verändern kann.«491 Die soteriologische Orientierung der Kreuzestheologie hilft auch, ein vertieftes Verständnis von Solidarität zu gewinnen. Denn die am Kreuz geübte Solidarität Jesu ist nicht schwerpunktmäßig politisch-ethisch, sondern existentiell-eschatologisch zu verstehen492 . Sie ist eben nicht nur Parteinahme, sondern es geht in ihr »um das, was alle Menschen ausnahmslos benachteiligt, ausgeschlossen, unterdrückt, leidend und elend macht. Mit anderen Worten: es geht in ihr um die Sünde in ihrer existentiellen Dimension als Verzweiflung. Die existentiell-eschatologische Solidarität ist Solidarität mit den Sündern.«493 Von hier aus formuliert Bühler als »Grundregel«494 des Verständnisses des Kreuzesgeschehens als eschatologisches Heilsereignis: »[D]ie Kreuzesinterpretation erfaßt erst dann richtig das eschatologische Heil im Kreuzestod, wenn sie die Sünde existentiell als Verzweiflung gegen Gott erfaßt.«495 Am Kreuz vollzieht sich nun die »Verzweiflung der Verzweiflung«, bzw. die »Negation der Negation«. Der Todesschrei Jesu (Mk 15,34; Mt 27,46 nach Ps 22) 486 487 488 489 490 491 492 493 494 495
AaO 359. AaO 359. AaO 360. So aaO 366. AaO 367. AaO 369. So ebd. Ebd. AaO 373. AaO 373f.
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artikuliert »die Verlassenheit des Verzweifelten«496 – aber es ist zugleich der Verzweiflungsschrei des Sündlosen! Im Unterschied zur Verzweiflung des Sünders, in der nach Bühler »immer noch eine Vermessenheit, ein Trotz, eine Auflehnung gegen Gott«497 liege, ist im gekreuzigten Christus »die verzweiflungstiftende Gottverlassenheit mit einer paradoxalen Gottesanwesenheit verknüpft, die ihn nicht auf die Verzweiflung selbst verweist […], sondern ihm die Möglichkeit schenkt, sich gerade dem verlassenden Gott anzuvertrauen, zum ihm ›Mein Gott, mein Gott‹ zu schreien.«498 Was hier geschieht, hatte Luther mit dem Begriff der »fiducialis desperatio«499 bezeichnet, der Jesu »Verzweifeln in vollem Vertrauen«500 zum Ausdruck bringt. Und diese vertrauende, zuversichtliche Verzweiflung des sündlosen Gekreuzigten ist schließlich die »Verzweiflung der Verzweiflung«, die »Negation der Negation« (den Begriff entlehnt Bühler von Adorno). In ihr vollzieht sich Trennung des Sünders von der Sünde aufgrund Jesu Identifikation mit der Sünde in seiner Bereitschaft zu jener radikalen Verzweiflung501. Diese Negation der Negation ist nur im existentiellen Nachvollzug sachgemäß, nämlich im Glauben, der gegen die Anfechtung anglaubt. Andernfalls wird sie objektiviert »und läuft letztlich auf ideologische Positivität hinaus, die die Züge der theologie gloriae trägt. Im Sinne der Kreuzestheologie gibt es Negation der Negation als Verzweiflung der Verzweiflung nur in der Mitteilung des Wortes vom Kreuz und in der Teilhabe des Glaubens am Kreuz. Gerade darin vollzieht sich das Kreuz als eschatologisches Heilsereignis.«502 Gegenüber Moltmann muß eine eschatologia crucis auch das Verhältnis der Auferstehung zum Kreuz anders und richtig bestimmen. Bei Moltmann wurde das Kreuz eschatologisch vorläufig und in der antizipierten Hoffnung permanent übersprungen. Die Auferstehung diente dabei als »realutopische[s] Prinzip«503. Auf solcher Grundlage kann jedoch schon im Ansatz keine echte Kreuzestheologie entstehen: »Auch wenn sie sich Kreuzestheologie nennt, ist doch eine Theologie, in der das Kreuz eschatologisch aufgehoben wird, Herrlichkeitstheologie.«504 Dagegen ist für Bühler – im Anschluß an Ebeling – »der Haupttest für eine Theologie, die im ganzen theologia crucis sein will, ›der, daß das Bekenntnis zur Auferstehung das Kreuz nicht aufhebt, sondern allererst aufrichtet‹«505. Denn die Auferstehung macht das Kreuz weder rückgängig, 496 497 498 499 500 501 502 503 504 505
AaO 374. Ebd. Ebd. AaO 374f. AaO 375. So 375f, vgl. auch aaO 405. AaO 376. AaO 377. Ebd. AaO 377, Bühler zitiert hier Ebeling, Dogmatik II, 131.
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noch überholt sie es, vielmehr vollzieht sich in der Auferstehung »die Autorisierung des Kreuzes in seiner eschatologischen Heilsbedeutung. […] Die Auferstehungsbotschaft ist die Proklamation der Verzweiflung im Kreuzestod Jesu, die Explikation des Kreuzestodes als schlechthinniger Solidarität mit den Sündern und deshalb als Offenbarung Gottes in der Gottverlassenheit. Die Auferstehungsbotschaft ist nichts anderes als die Proklamation des Kreuzes.«506 Verkündigt, vergegenwärtigt wird das Kreuz im Wort vom Kreuz. Als die Torheit und das Ärgernis, als die Paulus es von Anfang an begriffen und bezeichnet hatte (1 Kor 1,23), ist es nicht internalisierbar. Es ist zudem die »einzige Mitteilung des Kreuzes als des eschatologischen Heilsereignisses«507, es ist damit auch nicht im Denken oder Handeln vermittelbar. Entscheidend ist und bleibt hier die Perspektive des Glaubens, denn »erst im Lebensvollzug des Glaubens wird das Kreuz zum eschatologischen Heilsereignis«508 . Der Glaube ist in sich selbst »Teilhabe am Kreuz Jesu«509, er ist ein Mitgekreuzigtwerden: »Indem wir mit Christus gestorben sind, sind wir unserer Sünde abgestorben. Das offene, befreite Leben ist nun ein Leben nicht mehr für die Sünde, sondern für Gott.«510 Dadurch aber steht Christus »mit uns in unserem Leben und Sterben. […] [E]r war allein in der Gottverlassenheit, von allen verlassen; wir sind nicht einsam, wir können auf sein solidarisches Leiden und Sterben vertrauen, in dem er uns vorangegangen ist, wir können im Schutz seines Leidens leiden, im Schutz seines Todes sterben.« 511 Der Glaube selber ist Kreuzesnachfolge, weil durch ihn das ganze Leben des Christen unter dem Zeichen des Kreuzes steht. Das heißt auch – mit Luthers Freiheitsbegriff verknüpft: »Kreuzesnachfolge ist Freiheit in der Dienstbarkeit.«512 Diese glaubende Teilhabe am Kreuz bedeutet zugleich die Anerkenntnis des Urteils Gottes über mich als Sünder, »ich rechtfertige ihn in seinem Wort«513. Und in eben dieser Anerkennung hebe ich das Urteil zugleich auf, »denn diese Anerkennung ist Preisgabe der Sünde als der Auflehnung gegen Gott. […] Indem ich glaube, daß ich Sünder bin, bin ich gerechtgesprochen, denn in diesem Glauben anerkenne ich die Gerechtigkeit Gottes.«514 Wird das Kreuz als eschatologisches Perfekt begriffen und von hier aus die futurische Eschatologie aus der Reichweite des menschlichen Tuns und Trachtens herausgehalten, ergibt sich auch eine andere Bestimmung der Unterscheidung der ›zwei Reiche‹, als das bei Moltmann der Fall ist. Bei ihm hatte die 506 507 508 509 510 511 512 513 514
Ebd. AaO 381. AaO 382. AaO 383. Ebd. Ebd. AaO 384. AaO 385. Ebd.
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Äquivozierung des Theologisch-Messianischen mit dem Politischen zu einer Vermischung von beidem geführt: »einerseits wird das Theologische politisch investiert und so im Rahmen der Ideologie politisiert, andererseits wird das Politische theologisch überhöht und so theologisiert«515. Damit entpuppt sich ein derartiger Messianismus aber im Grunde als Einreichelehre. Unklar bleibt bei Moltmann übrigens stets, »ob das Reich letztlich realisiert werden kann oder nicht«516 . Bühlers Kreuzeseschatologie will dagegen hervorheben, »daß das Futurische nur angemessen aufgenommen ist, wenn es ganz und gar Gott anvertraut wird«517. Das bedeutet zugleich auch den Verzicht auf die Antizipation dieser göttlichen Zukunft durch menschliches Handeln. Denn diese bedeutet »eine Pervertierung der spes purissima durch Werkgerechtigkeit unter eschatologischemVorbehalt«518 . Im Reich der Welt gelten nicht Evangelium und Glaube, sondern Gesetz und Werke519. Damit muß sich der prinzipielle Verzicht auf Heil und Errettung im weltlichen Handeln verbinden. Denn dieses »steht immer schon im Zusammenhang des Bösen, und das Mißachten dieses Zusammenhanges bekräftigt nur das Böse«520 . Bühler schließt seine Untersuchungen mit Überlegungen zur eschatologia crucis als »Sprachlehre des Glaubens«. Für die von ihm zurückgewiesene eschatologia gloriae liegen die Konkretionen »im Vollzug der verändernden Praxis, im aktiven Antizipieren der zukünftigen Herrlichkeit«521. Für die Kreuzeseschatologie sind die Werke gerade nicht die ›eigentliche‹ Konkretion des Glaubens, sondern gehören zu ihm »als deren natürliche Frucht«522 . Denn die Konkretion selbst liegt für Bühler »im Existentiellen: sie geschieht im Glauben als dem das ganze Leben durchdringenden Nachvollzug des Gekreuzigtwerdens«523. Und weil der Glaube unhintergehbar am Wort hängt, wird das Verhältnis von Kreuz und Eschatologie sprachlich konkret: »Kreuzeseschatologie gibt es deshalb eigentlich nur als Sprachlehre des Glaubens.«524 Als solche wird sie eher »an unscheinbaren Stellen ansetzen«525 , ohne also (etwa im Streben nach dem integralen denkerischen System) »die Paradoxien, Gegensätze, Widerstände und Spannungen«526 , die den Glauben begleiten, aufzulösen: »Als Kreuzeseschatologie kann die Sprachlehre des Glaubens nicht darauf aussein, 515 516 517 518 519 520 521 522 523 524 525 526
AaO 390. AaO 391. AaO 394. AaO 395. So aaO 397. Ebd. AaO 408. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 410. AaO 411.
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diese Spannungen aufzulösen und in einem kohärenten Gedankensystem harmonisch zu vereinen. ›Crux sola est nostra theologia‹ als Leitgedanke weist daraufhin, daß die Paradoxien und Widerstände in ihrem Lebensbezug erfaßt und auf den Lebensvollzug hin bedacht werden müssen, daß man ihnen nur im spannungsvollen Zusammenhalten, man könnte fast sagen: im Zusammenleben der Gegensätze gerecht werden kann. […] Das Kreuz allein: das will gelebt sein.«527 c) Die Interpretationsleistung Pierre Bühlers – Würdigung und Kritik aa) Herrlichkeitstheologie – der vernichtende Generalvorwurf an die ›politische‹ Theologie »Herrlichkeitstheologie« – Das ist Pierre Bühlers schwerer Generalvorwuf an die politische Theologie, wie sie ihm vor allem in Moltmanns »Gekreuzigtem Gott« begegnet war. Bühler konnte zeigen, daß das konzeptionelle Rückgrat der Theologie Moltmanns eine Eschatologie ist, die sich im Grunde ganz an der Auferstehung Christi orientiert, eine »eschatologia resurrectionis«, und diesen Sieg Gottes über das Leiden operationalisiert, indem das menschliche Handeln in Gesellschaft und Politik unter das Diktat der »aktiven Antizipation« der zukünftig erwarteten, allgemeinen Auferstehungsherrlichkeit gestellt wird. Auf diese Weise wird das Kreuz Christi in die Hoffnung, die bei Moltmann wesentlich der Geist des weltverändernden menschlichen Handelns ist, hinein aufgehoben: das Kreuz ist nur ein vermitteltes, vorübergehendes, zurückzulassendes Moment in der Überwindung von Leiden und Unterdrückung: es ist das Symbol der Solidarität Gottes mit den Leidenden dieser Welt und darin Vorbild für das Handeln der Menschen. Hinter dieser Politisierung des Kreuzes und seiner von Moltmann betriebenen programmatischen Desoteriologisierung, nämlich der angestrebten Befreiung aus den engen, traditionellen Grenzen der Heilslehre, steht – so Bühler – letztlich eine mangelhafte Erfassung der Sünde. Diese wird nicht als vom Menschen unhintergehbarer Grundwiderspruch gegen Gott verstanden, sondern nur in ihren bloßen Symptomen – eben dem Leiden der Menschen – gesehen und von Moltmann auch nur an diesen Symptomen kuriert. Voraussetzung für diesen Versuch ist die Grundannahme einer Analogie von Mensch und Gott, oder – wie Bühler es vorzugsweise ausdrückt – die ›Internalisierung‹ Gottes, die es Moltmann ermöglicht, den Menschen schließlich zum Subjekt des von Gott zu erwartenden eschatologischen Heils- und Vollendungshandelns zu machen, wobei es bei Moltmann bezeichnenderweise stets diffus bleibt, ob und inwieweit der Mensch das ›Reich Gottes‹ als den Zielbegriff seines eschatologisierten Handelns überhaupt erreichen kann oder nicht. Auf jeden Fall kommt dem Kreuz in diesem Denken nur die Funktion eines ne527
Ebd.
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gativen Vorzeichens der Hoffnung und damit eines zu überwindenden Zwischenstadiums zu. Und aus eben diesem Grund führt nach Bühlers Urteil Moltmanns Theologie zu Unrecht den Titel »Kreuzestheologie«. »Theologia gloriae« versus »theologia crucis« – es ist genau diese schroffe Alternative, vor die Bühler Moltmanns Theologie stellt und der gegenüber er keine Möglichkeit eines dritten Weges gelten lassen kann. Durch die Konfrontation mit dieser Alternative mutet er sich zugleich die Entscheidung darüber zu, ob Moltmanns politische Kreuzestheologie überhaupt »rechte« oder »falsche« Theologie ist – wir haben gesehen, daß er in letzterem Sinne entschieden hat. Diese Konzentration auf die fundamentaltheologische Unterscheidung von Herrlichkeits- und Kreuzestheologie als dem Leitparadigma der Analyse und Beurteilung der politischen Theologie Moltmanns und ihres kreuzestheologischen Anspruchs ist die Frucht der eingehenden Lutherexegesen Bühlers, insbesondere seiner Beschäftigung mit der Heidelberger Disputation von 1517. Von Luther gewinnt Bühler die theologische Bestimmung derjenigen Schlüsselbegriffe, die in seiner Auseinandersetzung mit der politischen Theologie im Mittelpunkt stehen: das radikale Verständnis der Sünde als dem Widerspruch des Menschen gegen Gott, dem dessen Widerspruch gegen den Menschen entspricht; das Verständnis des Kreuzes als Symbol nicht bloß der Solidarität mit dem Leidenden, sondern mit dem Sünder, der durch Christi Identifikation mit der Sünde selbst von dieser im Urteil Gottes unterschieden wird; von hier aus das Verständnis des perfektischen Charakters der Eschatologie: das eigentliche Heilsereignis ist mit dem Kreuz datum und nur als solches immer noch und immer wieder auch futurum, die crux und nicht die gloria ist die bleibende Signatur der Eschatologie; das Verständnis des Glaubens als dem Mitgekreuzigtwerden mit Christus und damit der persönlichen Teilhabe an jener Unterscheidung des Sünders von seiner Sünde im Urteil Gottes; die Einsicht in die Bedeutung der Offenbarung Gottes sub contrario, die das letztlich am vergänglich-sinnlichen haftende Analogiedenken zerstört und dem Glauben ebenso Raum schafft, wie der sich auschließlich auf Gott selbst richtenden Hoffnung (›spes purissima in purissimum Deum‹). Und von hier aus muß Bühler mit Luther unterstreichen, daß das Kreuz die bleibende Signatur des irdischen Christenlebens ist, die der Mensch nicht durch ein vermeintliches Ergreifen eschatologischer Herrlichkeit fallenlassen kann – die Sünde des Menschen bleibt sein Leben lang, und so lange steht der Mensch unter dem Kreuz. Er ist im Urteil Gottes zwar von seiner Sünde unterschieden, indem er glaubend mit Christus mitgekreuzigt ist, aber er ist noch nicht endgültig von seiner Sünde geschieden. Diesen Sachverhalt zu ignorieren hieße, in die theologia gloriae hinein abzugleiten, hieße, Gott vermeintlich im Sichtbaren und Geschaffenen finden, hieße also, von einer grundlegenden Entsprechung zwischen Mensch und Gott auszugehen. Dagegen nennt die theologia crucis aufgrund ihrer radikalen Erfassung der Sünde den Widerspruch des Menschen gegen Gott beim Namen – sie
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tut das jedoch nicht »absolut« (das bedeutete ja das Ende jeder theologischen Rede), sondern so, daß sie die Kreuzesbotschaft als göttliche Weisheit verkündet, die aber, weil sie schärfster Widerspruch gegen den Menschen als Sünder ist, von diesem nur als »Torheit« verachtet werden kann. bb) Kritische Schlußbemerkungen zu Bühlers ›Kreuzeseschatologie‹ Pierre Bühler skizziert im letzten Teil seiner Arbeit 528 , den wir oben bereits in seinen Grundzügen dargestellt hatten, die Alternative zur politisch-theologischen Theologie Jürgen Moltmanns. Er plädiert für eine eschatologia crucis – und dies expressis verbis im Kontext der »modernen Situation«529. Die Grundmomente dieser Kreuzeseschatologie sind das Insistieren auf der Externität Gottes (gegen dessen Internalisierung in den politisch-theologischen Entwürfen) als der Voraussetzung eines Glaubensbegriffes, der wirklich ›rein‹ den Glauben an Gott zum Inhalt hat und nicht mit einem operationalisierten Verständnis christlicher Hoffnung oszilliert; ein radikales Verständnis der Sünde als des Grundwiderspruchs des Menschen gegen Gott, dem gegenüber das Leiden »nur« als deren Symptom begriffen werden kann; schließlich ein ein existentiell-eschatologisches Verständnis der Solidarität, daß sich nicht – wie in der politischen Theologie – in einseitigen Parteinahmen erschöpft, sondern die Solidarität Gottes mit dem Sünder selbst meint. Immer wieder unterstreicht Bühler die von Luther gelernte Verhältnisbestimmung von Kreuz und Auferstehung: die Auferstehung nämlich überholt das Kreuz nicht, stattdessen ›autorisiert‹ sie es in seiner Heilsbedeutung. Bühlers Generalvorwurf gegen Moltmanns politische Theologie, »Herrlichkeitstheologie« zu sein, schlägt sich auch in seiner These nieder, Moltmann vertrete im Grunde eine »Einreichelehre«, in der das Theologische politisiert und das Politische theologisiert werde. Wir nehmen im folgenden auf eine Reihe der wichtigsten Grundgedanken Bühlers noch einmal Bezug, indem wir unterstreichen, was von Bühler zu lernen ist und auch deutlich machen, wo wir ihm doch kritisch ins Wort zu fallen haben. Bühlers Arbeit ist eine ebenso schonungslose wie fundierte Auseinandersetzung mit Moltmanns Kreuzestheologie und ihrem theologischen und philosophischen Hintergrund. Zweifellos ist es auf den ersten Blick eine der großen Stärken des Buches, mit der Konzentration auf die Alternative theologia crucis – theologia gloriae ein Schema zu benutzen, das es leicht macht, die Grundentscheidungen Moltmanns in ihrer erheblichen Differenz zu den kreuzestheologischen Grundmomenten der Theologie Luthers wahrzunehmen. Was in Luthers 21. Heidelberger These der knappen thetischen Polemik zugute kommt und dem Genre der Thesen durchaus entspricht, entgeht in 528 529
AaO 358–411. AaO 358.
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Bühlers großer monographischer Durchführung allerdings nicht immer der Gefahr einer zu starken Simplifizierung, die den Anliegen Moltmanns nicht mehr angemessen bzw. nur noch in Form summarischer Lippenbekenntnisse530 gerecht zu werden vermag. Indem er ihre Intention, als ›praktische Theorie‹ das Konkrete des menschlichen Lebens tatsächlich und nicht nur scheinbar zum theologischen Thema zu machen, nicht angemessen zu würdigen versteht, nimmt er seiner beeindruckend profunden Kritik zuletzt doch einen Teil ihrer Durchschlagskraft: Bühler trifft im Grunde nur den ›halben‹ Moltmann, indem er dessen theologische Begründungsfiguren aufgrund ihrer Differenz zu Luthers kreuzestheologischem Denken aburteilt, ohne aber Moltmanns unbedingtes Interesse am lebenden und leidenden Menschen, das schließlich den Entdeckungszusammenhang dieser Theologie bezeichnet, angemessen auffangen zu können. Man lese nur in Moltmanns »Gekreuzigtem Gott« die ersten Seiten, um zu verstehen, daß Moltmann das Thema seiner Theologie als ein in die historischen, gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen involviertes ›Kind seiner Zeit‹ gefunden hat. Es ist unmöglich und bei aller berechtigten Kritik an Moltmanns Theologie nicht sachgemäß, im theologischen Urteil davon derartig zu abstrahieren, wie Bühler das tut. Auch der Rückgriff auf Martin Luther suspendiert als solcher nicht davon, daß jeder Theologe – wie übrigens jeder Christ! – an seinem eigenen historischen Ort steht und daß deshalb die Entfaltung des christlichen Glaubens immer auch eine spezifische, gleichsam ›ortsgebundene‹ Färbung erhalten wird. Bühler reflektiert den »weiten Sprung«531 in seiner Arbeit – vom 20. ins 16. Jahrhundert und danach wieder zurück – an zwei Stellen 532 . Zunächst ergibt sich ihm schon von der lutherischen Begriffsbildung »theologia crucis« her die Einsicht, daß die Aufgabe einer heutigen Kreuzestheologie an Luthers Kreuzestheologie zu messen ist533. Das ist aber noch keine Vorentscheidung über das theologische Urteil über Luthers Ansatz. Sondern es geht zunächst einmal schlicht darum, daß »die Rezeption von Luthers theologia crucis für die jeweils rezipierende Kreuzestheologie selbst charakteristisch«534 ist – was auch für die politische Theologie selber gilt: »was hier bei Luther kritisiert, abgelehnt, und was positiv aufgenommen wird, ist von Bedeutung für die theologischen Tiefendimensionen«535. Darin, daß der Vergleich mit Luthers Kreuzestheologie in 530 Bühler bringt es innerhalb seines 411–seitigen Werkes auf lediglich zwei (!) Seiten einer »Würdigung des Anliegens der politischen Theologie« (aaO 15–17), die weitgehend im Allgemeinen bleiben. 531 AaO 63. 532 AaO 63.286–292. 533 So 63. 534 Ebd. 535 Ebd.
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gewisser Hinsicht als ›Lackmustest‹ für die theologischen Grundentscheidungen der Späteren dienen kann, ist Bühler Recht zu geben. Allerdings reflektiert er das Problem nicht hinreichend, daß es nicht ›die‹ Kreuzestheologie Luthers als fixe Eichgröße gibt, sondern daß eben die Ermittlung und Darstellung ›der‹ Kreuzestheologie Luthers, die Auswahl, Gewichtung und Interpretation der Quellen, selber ein Moment in der Rezeptionsgeschichte dieser Kreuzestheologie ist, so daß der in gefährliches Fahrwasser gerät, wer aufgrund eines theologiegeschichtlichen Lutherbefundes, der als solcher auch ein Stück perspektivische Theologiegeschichte ist, meint, in systematisch-theologischer Hinsicht auf einer Art archimedischem Punkt zu stehen. Bühler ist sich seinerseits darüber im klaren, daß ihm »die dogmatistische Lösung einer Repristination von Luthers Theologie eindeutig verwehrt ist«536 . Die Rezeption der lutherischen Kreuzestheologie muß zunächst mit einer Beschreibung des Situationswandels hin zur »Neuzeit« beginnen. Diese ist für Bühler durch natur- und später auch humanwissenschaftliche Entdeckungen bestimmt, die »als Emanzipation, als Befreiung von der hemmenden, vornehmlich durch das Christentum geprägten und nun konfessionell zerstrittenen Tradition«, kurz: als »Säkularisierung« konzipiert worden sind 537. Neuzeitliche Freiheit geht also einerseits auf das Christentum zurück, richtet sich aber andererseits gegen eben dieses: die Stellung des Christlichen ist dadurch in der Neuzeit »durch eine starke Ambivalenz charakterisiert«538 . Gerade die Emanzipation der Sittlichkeit gegenüber der religiösen Tradition stellte jedoch eine Emanzipation dar, die »letzten Endes eine Krise des Ethischen selbst auslöste«539. Von daher beschreibt Bühler die »fundamentale Spannung der Neuzeit« wie folgt: »ihre Befreiung von den Autoritäten der Tradition geschah im Namen des Humanum, und doch fehlte ihr gerade eine Verständigungsmöglichkeit in Hinsicht auf dieses Humanum, auf das eigentlich Menschliche«540 . Die Folge ist ein im Grunde immer von der eigenen Unmenschlichkeit bedrohter Humanismus. Bühler formuliert nun den Verdacht, daß dem Defizit hinsichtlich der Verständigung auf das Menschliche »das Fehlen des Gottesbezuges als einer konstitutiven Externrelation«541 zugrunde liege. Bühler hat sich damit einen für ihn praktikablen Begriff von »Neuzeit« als einem Selbstwiderspruch des nach Menschlichkeit fragenden Menschen entworfen, der, indem er ihm eine latente Frage nach Gott unterlegt, sowohl für seine bei Luther erhobene Kreuzestheologie, die den Widerspruch Gottes gegen den Selbst- und Gotteswiderspruch des Menschen zum Thema hat, als auch für seine eigene Skizze einer »eschato536 537 538 539 540 541
AaO 289. AaO 287. AaO 288. Ebd. Ebd. AaO 289.
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logia crucis« direkt anschlußfähig ist. Dieser Versuch, einen Begriff von »Neuzeit« zu gewinnen, ist durchaus legitim. Man muß nur deutlich sehen und auch sagen, daß Bühlers Neuzeitbegriff seine Kreuzestheologie bzw. -eschatologie bereits zur Voraussetzung hat. Seine religiösen Implikationen sind möglich, aber nicht notwendig. Wirklich hilfreich sind sie möglicherweise aber nur dem, dem die neuzeitliche, latente, Gottesfrage bereits im Bühlerschen Sinne beantwortet ist. Der »weite Sprung«, den Bühler zweimal deutlich hervorhebt, verliert auf dem Hintergrund dieser Analyse erheblich an Dramatik – ohne daß die systematisch-theologische Brisanz, die in ihm steckt, von Bühler wirklich abgearbeitet worden wäre. Im Grunde handelt es sich nur um einen Sprung im chronologischen Sinne: indem Bühler der Neuzeit eben jene Widerspruchsstruktur attestiert, auf die schon Luther prinzipiell mit seiner Kreuzestheologie geantwortet und die Moltmann verharmlosend kaschiert habe, synchronisiert Bühler Luther und Moltmann auf der Ebene seines Neuzeitbegriffes, um sie hier wie auf einem Schlachtfeld gegeneinander antreten zu lassen. Aber indem er in seinen Neuzeitbegriff den emanzipatorischen Impetus des modernen Menschen auch in seinem Bestreben, zum wirklichen Humanum zu gelangen, ausschließlich als Krisenperspektive eingezeichnet hatte, ist schon im Ansatz klar, daß Bühler – wenn das militärische Bild einmal erlaubt ist – Luthers Armee auf den Hügeln, Moltmanns Truppen aber in der schutzlosen Ebene plaziert hat. Es ist kein fairer Kampf. Aber wir bezweifeln zugleich, daß er wirklich auf dem Boden einer angemessen bestimmten »Neuzeit« stattfindet, indem wir den Verfalls- und Krisenpessimismus des Bühlerschen Begriffs nicht ungebrochen teilen können. Kritisch anzumerken ist ferner, daß der theologisch zweifellos immer »korrekte« ständige Verweis auf die Wirklichkeit der Sünde, der alle Menschen situationsunabhängig unterworfen sind, nicht zur Ignoranz gegenüber der Kontingenz des konkret gelebten Lebens führen darf. Wer – wie Bühler – durch den Gebrauch theologischer Basiskategorien derartig in eine Totalperspektive geht, fängt zwar ein Bild des Ganzen ein – aber es ist ein Bild, welches aus einer solchen Entfernung aufgenommen worden ist, daß mit ihm in den Einzelheiten kaum wirklich etwas anzufangen ist. Bühler selbst will ja den Glauben erst in seinen Lebensvollzügen seine Konkretion gewinnen sehen 542 . Moltmann hat genau das mit hohem, theologisch sicherlich zu hohem, Einsatz versucht und er hat diesen Versuch mit einer zweifelsfrei zu kritisierenden politischen Parteinahme verbunden, die im Sinne der Universalität des Evangeliums so nicht akzeptabel ist – aber er hat es wenigstens wirklich versucht. Eine der von Bühler aber zu Recht unternommenen Einreden gegen Moltmann ist die entschiedene Zurückweisung der Erhebung des »Politischen« in 542
So aaO 411.
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den Rang einer theologischen Leitkategorie. Das »Politische« ist eben keine theologische Kategorie – wird das suggeriert, gerät in der Tat das Theologische schon im Ansatz in den Sog einer Fremdbestimmung, in der die Theologie schließlich politisiert und die eigenverantwortliche Ausübung der eigentlichen politischen Freiheit ideologisch unterminiert wird. Mit diesem Gedanken geht Bühlers ebenfalls zustimmungswürdige These einher, daß jede Reduktion der Wirklichkeitswahrnehmung auf das Politische diese defizitär bleiben läßt. Politische Theologie, die auf dieser Reduktion beruht, steht dann in der Gefahr, einen totalitären Ansatz darzustellen und die theoretische in eine praktische Reduktion (und das heißt immer immer auch: in eine Zerstörung) der Wirklichkeit umschlagen zu lassen. Vor der ideologieanfälligen Dominanz des »Politischen« bewahrt zu Recht das Bewußtsein um die Zentralstellung der Kategorie des Einzelnen, gerade weil mit ihr nichts weniger als ein isolationistischer Individualismus gemeint ist. Bühler scheint der Gegensatz von theologia crucis und gloriae geeignet, die »Flucht« in theologischen Pluralismus zu verwehren und die theologische Verantwortung zu einem »Streit um das eigentlich Christliche als das einzig Wahre« zu »radikalisieren«543. Kreuzestheologie kann und darf nicht mehr sein, als eine Theorie, die einlädt, sich praktisch auf den Glauben selbst einzulassen, der Gott am Kreuze glaubt und aus dem die Hoffnung hervorwächst, die alles Sichtbar-Erfahrbar-Besitzbare fahren lassen kann, um sich allein auf Gott zu richten – und so den Glaubenden befähigt, alles auf Erden anzupacken, es zum Wohle der Menschen gestalten zu helfen. Trotzdem kann Kreuzestheologie als theologische Theorie, die auf dem assertorischen Rückbezug auf das Wort vom Kreuz aufruht, auch eine polemische Funktion im Streit um die angemessene Bestimmung des Gegenstandes der Theologie ausüben. Aber sie ist keine totalitäre Doktrin und darf es nie werden, selbst und gerade dann, wenn sie die Wahrheitsfrage zu beantworten wagt! Insofern steht und redet sie inmitten des theologischen Pluralismus und darf sich seiner nicht in der Selbstüberschätzung des vermeintlich exklusiven Wahrheitsbesitzes überheben. Zu dieser Haltung des Verzichtes muß gerade die in dieser Arbeit deutlich herausgestellte Einsicht von der Pluralität, der »die« Kreuzestheologie selber in ihren verschiedenen Manifestationen unterworfen ist, zwingen. Gegen Moltmanns politische Orientierung von Eschatologie und Kreuzestheologie setzt Bühler sein Plädoyer für eine konsequente soteriologische Orientierung von Kreuzestheologie und Eschatologie. Nur so – und darin ist ihm vorbehaltlos Recht zu geben – ist das Eigentliche der Theologie zu wahren, nämlich vom Menschen entscheidend in seiner Relation zu Gott bzw. in der Relation Gottes zu ihm zu reden. Von daher ergibt sich – wieder gegen die durch543
AaO 292.
5. »Der leidende Gott« – Die Kreuzestheologie J. Moltmanns
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gehende Politisierung der Theologie zu wenden –, daß der Glaube selbst die eigentliche Konkretion der Kreuzestheologie als eine Erfahrung sui generis ist, der keine externe Verifikation (weder im Handeln noch im Erleben) nötig hat und demgegenüber auch keine externe Falsifikation möglich ist. Die soteriologische Orientierung der Kreuzestheologie ist konsequent nur durchhaltbar, wenn der Unterschied zwischen Gott und Mensch nicht verwischt wird, wie es Moltmann in seiner Tendenz, das Göttliche als Handlungsmotiv des Menschen zu internalisieren, unter der Hand ständig unterläuft. Bühler insistiert daher auf der Kategorie der Externität, die den unhintergehbaren Unterschied zwischen Gott und Mensch einschärft und den mit Gott versöhnten Menschen gerade als den von Gott angeredeten und so aus seiner Selbstverschlossenheit zu Glaube und Dienst herausgerufenen begreifen möchte. Als notwendige Konsequenz aus dem Gedanken der unhintergehbaren Externität Gottes ergibt sich auch der entschiedene Widerspruch gegen die Eschatologisierung der Geschichte in der politischen Theologie. Dieser wird gewehrt, wenn die Eschatologie perfektisch konstruiert wird und also das Kreuz als entscheidendes Heilsereignis als Datum voraussetzt. Das »eigentliche« Heilshandeln Gottes ist schon geschehen – von hier aus sind dann die präsentische und die futurische Eschatologie zu bestimmen: Die präsentische Eschatologie wird auf die perfektische gegründet, von hier aus wird die futurische als Gottes Futurum begriffen und belassen, geglaubt und erhofft, aber nicht schon erjagt oder ergriffen! Das Kreuz schließlich kann dann auch nicht mehr wie bei Moltmann in sehr verkürzter Form als Symbol der Solidarität Gottes und des Menschen mit den Leidenden und Unterdrückten unterbestimmt werden. Denn Leiden ist das Symptom des Bösen und der Sünde, aber nicht dieses selbst. Indem Gott in Christus den Kreuzestod auf sich genommen hat, hat er aber nicht bloß an den Symptomen kuriert, sondern sich mit der Sünde selbst identifiziert und sie im eigenen Kreuzestod selber sterben lassen. Hier muß in Ergänzung Bühlers darauf hingewiesen werden, daß in geistlicher und seelsorglicher Hinsicht das Mitleiden Christi mit uns fast wichtiger ist als unser Mitgekreuzigtsein mit ihm! Beides – die seelsorgliche Richtung und das soteriologische Rückgrat der Kreuzestheologie sind nicht gegeneinander ausspielbar: der seelsorgliche Trost im Leiden an den Sündensymptomen bliebe fade und falsch ohne seinen Sachgrund in der göttlichen Überwindung der Sünde selbst. In Summa: Bühlers Arbeit »Kreuz und Eschatologie« ist hervorragend geeignet, auf der Grundlage einer profunden Erarbeitung der Kreuzestheologie des »frühen« Luther die davon erheblich abweichende theologische Konzeption der politischen Theologie in ihrem Verständnis des Kreuzes als des negativen Horizontes der durch das eigene politische Handeln darzustellenden eschatologischen Hoffnung in ihren Voraussetzungen und Konsequenzen deutlich zu
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machen. Die Stärke der Arbeit – die scharfe polemische Zuspitzung auf die Frage nach rechter bzw. falscher Theologie nach dem Schema theologia crucis – theologia gloriae – ist zugleich ihre Schwäche: indem insbesondere der Entwurf Moltmanns auf diesen Schematismus projiziert wird und im Ganzen dem Verdikt der ›falschen‹ Herrlichkeitstheologie verfällt, gelingt es Bühler nicht mehr, diesen Entwurf ungeachtet seiner zu Recht monierten erheblichen theologischen Fragwürdigkeiten in seinen Intentionen angemessen zu würdigen: als einen Entwurf, der nicht nur theologisch »richtig«, sondern in dem Sinne menschlich sein will, daß er dem lebenden und leidenden Menschen des 20. Jahrhunderts (angesichts der noch andauernden theologischen Arbeit Moltmanns wird man auch sagen dürfen: ebenso des 21. Jahrhunderts) nicht bloß einen Platz innerhalb eines hermetischen Zirkels korrekter theologischer Kategorien anweisen, sondern wirklichen Raum zu einem besseren Leben verschaffen will.
5.5. Antikreuzestheologie. Die Verwandlung der Kreuzesbotschaft in politische Weltweisheit In Moltmanns Theologie vom gekreuzigten Gott und ihrer Fortschreibung im passionstheologischen Teil in »Der Weg Jesu Christi« ist die Theologie des Kreuzes in einer Theologie der politisch instrumentalisierten Eschatologie untergegangen: das Kreuz Christi stellt auch dort nicht die Mitte des Moltmannschen Denkens dar, wo dieses den ausdrücklichen Titel Kreuzestheologie führt. Stattdessen steht hier stets eine auf Gott projizierte Vorstellung von Gerechtigkeit und Menschenwohl im Hintergrund, die dann – als Auftrag Gottes an den Menschen deklariert – im politisch-gesellschaftlichen Handeln vom Menschen verwirklicht werden soll. Bevor wir in diesem letzten Abschnitt unsere Beobachtungen und unsere Kritik an Moltmanns Kreuzesinterpretation zusammenfassen und abschließend zuspitzen, müssen wir gleichwohl noch einmal an den eingangs schon erwähnten ›Entdeckungszusammenhang‹ der Moltmannschen Kreuzestheologie erinnern, dessen Kenntnis manche Einseitigkeit in dieser Theologie wenigstens in ihrer Intention verstehen hilft. Es waren wohl zunächst die Erfahrungen von Kriegsleid und Kriegsgefangenschaft, die Moltmann in besonderer Weise für das Thema des Leidens aufgeschlossen haben – und das eben nicht so sehr in seiner individuellen, persönlichen Dimension, sondern in seiner politischen und gesellschaftlichen, sozusagen ›geschichtsmächtigen‹ Tragweite. Ganz offenbar aus diesen Erfahrungen ist Moltmanns entschiedenes Eintreten gegen jede quietistische Tendenz in der (Kreuzes-)theologie zu verstehen: Glaubensfreiheit und Freiheit in den gesellschaftlich-sozialen Lebensvollzügen gehören für ihn zusammen – und das selbst dann, wenn letztere Freiheit in Protest und Revolte zu erringen oder zu verteidigen ist. Denen, die durch die rücksichtslose
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Verfolgung ihrer wirtschaftlichen oder politischen Interessen anderen Menschen Leid verursachen, soll nicht kampflos die Macht überlassen werden. In dieselbe Richtung geht Moltmanns Zurückweisung jeder Form von »Leidensmystik«, die bei ihm im Verdacht steht, zur Beruhigung und äußerlich-oberflächlichen Stabilisierung von Leidenden im Interesse der Verursacher ihres Leidens zu dienen. Man mag Moltmann mit einigem Recht vorwerfen, seine Theologie habe hier eine deutliche ›linke Schlagseite‹. Wir haben verschiedentlich darauf hingewiesen, daß Moltmanns Denken klar zu einer vom theologischen Standpunkt aus zu kritisierenden politischen Parteinahme neigt. Die berechtigte Kritik daran darf allerdings nicht zu der gegenteiligen, wiederum dem politischen Lagerdenken verfallenen, Auffassung verleiten, Kreuzestheologie sei etwa im bürgerlich-konservativen Lager per se besser aufgehoben! Die selbstzufriedene, oft gar selbstgefällige Haltung der ›in sich ruhenden Bürgerlichkeit‹ (nach Tillich) ist ebensowenig die natürliche Heimat des Wortes vom Kreuz wie der weltverbessernde Impetus eines eschatologisch aufgeheizten Neomarxismus und seiner praktisch-politischen Spielarten. In seinem Versuch, den quietistischen Weg der Kreuzesdeutung als gefährlichen Irrweg auszuschalten, lehnt Moltmann auch eine Konzentration der Kreuzestheologie auf das individuelle Heil des Menschen ab. Es ist sein doppelter Vorwurf an die kreuzestheologische Tradition, daß sie einseitig heilsindividualistisch interessiert gewesen sei und überhaupt die Kreuzestheologie in einer Art ›soteriologischem Exil‹ gefangen gehalten habe. Dadurch sei der Kreuzestheologie der Blick auf die überindividuelle, gesellschaftliche und politische Dimension des Leidens versperrt gewesen und zur Sache der Erbauung des Einzelnen degeneriert. Unter diesem Eindruck betreibt Moltmann nun jedoch auf der ganzen Linie eine geradezu programmatische Desoteriologisierung der Kreuzestheologie, die mit ihrer konsequenten parteiischen Politisierung einhergeht. An diesem Punkt kann Moltmann nicht entschieden genug widersprochen werden: die Soteriologie, das vermeintliche ›Exil‹ der theologia crucis, ist deren genuine Heimat! Denn der Verzicht auf die soteriologische Verortung des Wortes vom Kreuz macht dieses zum bloßen Leidenssymbol, das prinzipiell durch ein anderes ersetzbar ist. Was das Kreuz Christi einzigartig und unersetzbar macht, ist gerade das an ihm realisierte, in die Wirklichkeit gebrachte Heil des Menschen. Und dieses Heil steht nicht nur in politischer Opposition zum Leiden der Menschen, wie es auch in deren gesellschaftlicher und sozialer Verfaßtheit generiert wird, sondern es kann zuallererst überhaupt nur deshalb Heil – und nicht etwa Wohl – genannt werden, weil es die Wurzel des Leidens, die Sünde des Menschen, überwunden und besiegt hat. Auf dieser soteriologischen Grundlage erst gewinnt das Kreuz Christi auch als Leidenssymbol seine eigentliche Kraft: mit ihm ist alles menschliche Leiden aufgehoben in dem Sinne, daß es als von Gott wirklich ›am eigenen Leibe‹ erkannt und mitgetragen ver-
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standen werden kann. Moltmanns Desoteriologisierung des Kreuzes entzieht jeder theologischen Erfassung von Sünde, Leid und Leidüberwindung im Sieg über die Sünde den Boden. Das aber ist eigentlich keine Kreuzestheologie, sondern – scharf formuliert – Antikreuzestheologie, weil sie dem, was in der Kreuzesbotschaft eigentlich als überwunden verkündet wird, auf erstaunlich naive Weise ungeschützt ausgesetzt ist: der Selbstüberschätzung des menschlichen Handelns im Blick auf sein Heil als einer der Spielarten, in denen die Sünde im Leben und Handeln der Menschen konkrete Gestalt gewinnt. Moltmanns Vorwurf der heilsindividualistischen Verengung der kreuzestheologischen Tradition ist zwar in seiner polemischen Abzweckung in gewissen Grenzen nachvollziehbar. Allerdings verdrängt Moltmann weitgehend den von Bühler im Anschluß an entsprechende Gedanken Ebelings ins Gedächtnis zurückgerufenen Umstand, daß der Einzelne die erste Instanz ist, die sich – im Gewissen – als von Gottes Wort angeredet und getroffen begreifen kann, und von der aus sich erst alle sozialen und gesellschaftlichen Bezüge aufbauen und gestalten. Dieser Primat des Einzelnen sollte nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Andernfalls ginge der Theologie der genuine Ort des Gewissens wie des Glaubens verloren. Und es ließe sich auch nicht mehr plausibel machen, wer denn für soziale Strukturen und politische Prozesse Verantwortung trägt. Die Vernachlässigung oder sogar die programmatische Zurücksetzung des Einzelnen nimmt gerade auch legitimem politischen Protest seine Spitze! Denn wer, wenn nicht jeweils einzelne Menschen sind die Subjekte des gesellschaftlichen und politischen Handelns? Ähnliches gilt übrigens auch vom Leiden. Es ist gewiß unverzichtbar, das strukturelle und überindividuelle Moment in der Verursachung von Leiden ebenso hervorzuheben wie die Tatsache, daß Leiden wie ein Schicksal über ganze Gruppen von Menschen, über ganze Völker, ja, über ganze Generationen kommen kann. Dennoch ist die überindividuelle Dimension des Leidens doch wohl immer eine Abstraktion über dem konkreten Leiden, daß eben zuinnerst den Menschen als Einzelnen trifft. Was Moltmann in seiner strikten Zurückweisung jeder Tendenz von ›Heilsindividualismus‹ eben übersieht, ist der Umstand, daß Leiden immer auch und wohl immer zuerst individuell erfahren wird und getragen werden muß. Und nicht jedes Leiden kann in einen aktiven oder gar ›revolutionären‹ Auflehnungsimpuls umgelenkt werden: es gibt eine Ohnmacht im Leiden, in der sich die christliche Freiheit und Würde gerade in seiner Annahme bewähren können und müssen – unbeschadet des absolut richtigen Gedankens, sich gegen jedes Fremdinteresse am eigenen Leiden entschieden und entschlossen mit allen geeigneten Mitteln zur Wehr zu setzen. So hat die am Kreuz Christi auch zutage tretende passive Seite des Leidens, die den Leidenden geradezu zum Objekt herabdrückt, ihren unaufgebbaren Sinn in der praktischen – oder besser: geistlichen – Perspektive der Annahme und Bewältigung unvermeidbaren Leidens. Leiden wird, ganz gleich, in welchem überindi-
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viduellen Rahmen es verursacht worden ist, zuerst und wesentlich individuell gelitten. Ich leide, bzw. ich sehe, daß Du leidest! Im Leiden – wie auch zugespitzt im Tode – ist der Einzelne unvertretbar, und die politisch-gesellschaftliche Rationalisierung des Leidens, wie Moltmann sie unternimmt, enthebt das Individuum nicht vom Durchleiden und Bewältigen seiner je eigenen Leiderfahrung. Daß Moltmann die individuelle gegen die gesellschaftlich-politische Dimension des Leidens ausspielt und die erstere zugunsten der letzteren abblendet, kann man ihm im Interesse einer angemessenen Interpretation des Kreuzes Christi nicht entschieden genug ankreiden. Die Unterschlagung des ›Leidensindividualismus‹, dieses unveräußerliche Grundmoment mehr noch der Kreuzesfrömmigkeit als der Kreuzestheologie, ist eine der nicht hinnehmbaren Konsequenzen von Moltmanns genereller Diskreditierung jedes Heilsindividualismus. Denn dem wesenhaft individuellen Leid muß sinnvollerweise eine Auffassung von der auch individuellen Zueignung des Heils korrespondieren, die allerdings nicht gegen die gesellschaftliche und politische Dimension des Wohles der Menschen ausgespielt werden darf: wie die Liebe spontan dem Glauben folgt, so wird der, der in der Überwindung der Sünde am Kreuz Christi auch sein eigenes Leiden aufgehoben wissen darf, auch an der Überwindung überindividueller leidversursachender Verhältnisse mitwirken wollen: nicht am Heil, durchaus aber am Wohl des Menschen. Das Politische ist keine Alternative zum Individuellen, sondern wird durch dieses überhaupt erst begründet und ermöglicht! Die Desoteriologisierung des Kreuzes und die Deindividualisierung von Leiden und Heil sind weder angemessene noch überhaupt notwendige Maßnahmen für eine brauchbare theologische Beschreibung des Politischen und der sich aus dem christlichen Glauben ergebenden Handlungsoptionen. Pierre Bühler hat überzeugend das eschatologische Fundament der Kreuzestheologie Moltmanns herausgearbeitet und gezeigt, daß deren eigentliches Movens weniger das Geschehen am Kreuz selber, als vielmehr die Auferstehung ist. Moltmanns eschatologia crucis überschreitet die Schwelle der diesseitigen Verantwortlichkeiten und Hoffnungen zum Eschatologischen hin. Dem Kreuz kommt darin eher die Rolle eines Korrektivs zu, das inmitten aller eschatologischen Begeisterung doch vor enthusiastischer Überhitzung bewahren soll. Und indem Eschatologie – wir hatten darauf hingewiesen – für Moltmann ›Tendenzkunde‹ der Auferstehung und Zukunft Christi ist, die unmittelbar in ein praktisches und damit politisch operationalisierbares Wissen der Sendung der Glaubenden übergeht, weist sie eine klare Tendenz weg vom Kreuz und hin zur zukünftigen, aber im eigenen Handeln schon gegenwärtig vorweggenommenen Herrlichkeit auf. Damit ist Moltmanns Eschatologie auch dort, wo sie vorgibt, sich am Kreuz Christi zu orientieren, im Grunde der programmatische Abschied von jeder echten Kreuzestheologie, die das Kreuz zwar im Lichte der Auferstehung wahrnimmt, es aber in dieser Wahrnehmung als Heilszeichen eben gerade nicht überholt oder als einen ver-
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gangenen Moment des nach vorne gerichteten eschatologischen Geschichtsprozesses unterbestimmt. Es ist zwar zu würdigen, daß der Gedanke, daß der Mensch selber durch gerechtes Handeln die Gott- und Zukunftsoffenheit der Welt darstellen könne, bei Moltmann in einer nachvollziehbaren Opposition zu einem mechanistischen Weltverständnis oder einer fatalistischen Lebenshaltung steht, in der Welt und Leben ohne eigentliche Möglichkeiten und damit auch ohne Zukunft erscheinen. Dennoch ist gegen Moltmann einzuwenden, daß das legitime und in jeder Hinsicht zu unterstützende Bemühen, Geschichte als Raum eigenverantwortlicher Tat zu gewinnen und zu verteidigen, nicht einfach auch als Mandat begriffen werden kann (und übrigens auch nicht als Mandat begriffen werden muß), sich die Eröffnung der doch von Gott selbst heraufzuführenden Zukunft des regnum Christi als menschliches (Mit-)tun selber anzueignen. In »Der Weg Jesu Christi« legt Moltmann diese Auffassung unter dem Begriff der Geschichte als dem ›Sakrament christlicher Ethik‹ dar. Das damit allerdings hergestellte äquivoke Durcheinander von Gott und Welt bzw. Gottes und des Menschen Handeln macht die Identifizierbarkeit Gottes in seinem Wort uneindeutig, durch das er sich selbst als Gott und die Welt als Welt überhaupt erst erkennbar macht. Ein weiteres deutliches Symptom dieses Durcheinanders ist die Verhältnisbestimmung von Glaube und Praxis. Denn es ist die praktische Identifikation mit dem Gekreuzigten im Sinne politischen Tuns, die nach Moltmann erst die Identität des Christen konstituiert und in der Theologie des Kreuzes begrifflichen Ausdruck zu finden hat. Diese Identifikation wird von Moltmann wesentlich als Praxis bestimmt, und »[c]hristliche Identifikation mit dem Gekreuzigten heißt Solidarität mit dem Leiden der Armen und dem Elend der Unterdrückten wie der Unterdrücker«544. Mit solcher Solidarität bringt Moltmann in der Tat ein zentrales und unverzichtbares Moment christlicher Existenz und christlichen Engagements in Gesellschaft und Politik zum Ausdruck. Allerdings kann dieses Moment nur dann als christliche Solidarität in Anschlag gebracht werden, wenn nicht – wie Moltmann es unternimmt – die menschliche, politisch-praktische Identifikation mit dem Gekreuzigten am Anfang steht. Vielmehr muß dieser Identifikation eine andere vorausgehen: Gott identifiziert sich im Gekreuzigten zuerst selber mit dem Menschen – zugeeignet wird diese Identifikation im Glauben, der selber wiederum eine Initiative des göttlichen Geistes ist. So müßte – anders als bei Moltmann – doch der Glaube als die erste und wesentliche Praxis christlicher Existenz verstanden werden, paradoxerweise eine Praxis, bei der nicht der Mensch, sondern der Geist Gottes selber in der Initiative ist. Dieser Zusammenhang wird von Moltmann konsequent ignoriert, ja geradezu verleumdet. Das ist umso bedauerlicher, als seine Bestimmung 544
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der Kreuzestheologie als einer ›praktischen Theorie‹ von hier aus auch in politisch-theologischer Hinsicht erst ihre volle Leistungskraft in einer rechten Zuordnung von Glaube und Handeln (bzw. ›Liebe‹) gewinnen könnte. Damit ist zugleich die irrige Auffassung zurückgewiesen, die Fokussierung auf den Glauben bzw. auf das Gewissen als den Ort, an dem der Einzelne, von Gott angeredet, zu sich selbst findet, leiste einer einseitigen und weltabgewandten Innerlichkeit Vorschub545. Moltmann selbst kann politische Aktion sogar als ›Substanz des Glaubens‹ bezeichnen: Indem er die politischen Konsequenzen, die aus dem Glauben seiner Ansicht nach gezogen werden müssen, als die ›Substanz‹ dieses Glaubens begreift, legt er unmißverständlich offen, wie weit er sich von jedem reformationstheologisch verantwortbaren Verständnis des Glaubens entfernt hat: wenn man überhaupt den Begriff der Substanz in diesem Zusammenhang verwenden will, dann dürfte sie doch wohl in dem Glauben begründenden Geschehen von Kreuz und Auferweckung Christi zu sehen sein, das in der Tat ›perfektisch‹, abgeschlossen ist, das aber im Geist dem Glaubenden unentwegt gegenwärtig gemacht wird. Will man von ›politischen Inkarnationen‹ sprechen, wie Moltmann es tut, dann sollte man den Begriff der Inkarnation hier illustrativ und höchst uneigentlich verwenden und keinesfalls eine Analogie zur Fleischwerdung des göttlichen Logos aufmachen. Andernfalls ist es nicht mehr möglich, zwischen göttlichem Handeln und menschlichem Tun ordentlich zu unterscheiden. Anders gesagt: die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium geht verloren. Dieser Verlust ist vielleicht das entscheidende Gravamen, das gegen Moltmanns Theologie des gekreuzigten Gottes klar und deutlich erhoben werden muß. Es ist in der Tat ein wichtiges Anliegen, zu realen Befreiungen, konkret gelebten und erlebten Verbesserungen, auch in den Weltbezügen zu kommen. Sie darzustellen und ins Werk zu setzen, ist nun aber keine genuine Aufgabe der Theologie, sondern der Politik – einer Politik aber, die sich ihrer Differenz zur Theologie deutlich sein muß und sein darf. Erst die klare Unterscheidung beider Bereiche dient dem Zur-Sprache-Bringen des Heils des Menschen in der Theologie und dem praktischen, wirklichkeitsgestaltenden und -verbessernden Dienst an seinem Wohl in der Politik. Wer aber die Geschichte selber unverhohlen und in einer bizarren, um nicht zu sagen: zynischen Karikatur des Sakramentsbegriffs als »Sakrament« der Ethik begreifen will, verdirbt beides: das Sakrament und die Ethik, die Theologie und die Politik. Diese beiderseitige Verderbnis aber ist sicher nicht das, was das Wort vom Kreuz dem Menschen sagen will – weder im Blick auf sein Heil, noch in Hinsicht auf sein Wohl! Vielmehr 545 So der Tenor der Rezension von K. Schwarzwäller zu Bühlers Arbeit »Kreuz und Eschatologie« (K. Schwarzwäller, Kreuzestheologie – Politische Theologie (ThR 52, 1987, 87–95).
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rückt die im Glauben gewonnene und in ihm bestehende Freiheit die Verantwortung, die sich mit der kategorial verschiedenen Freiheit innerhalb der Welt stellt, in ein neues Licht: der Gerechtfertigte kann seine Weltverantwortung ideologiefrei wahrnehmen, weil er weiß, daß er im Vorletzten, im Diesseitigen, im ganz und gar Uneschatologischen reformiert, verbessert, vielleicht sogar revoltiert. Seine Arbeit an einer besseren Welt und an einem besseren Leben der Menschen in ihr ändert nichts daran, daß er seine Hoffnung auf den wahren Menschen und eine neue Schöpfung in alledem zuerst und zuletzt ausschließlich auf Gott richtet. Immer wieder betont Moltmann den Widerspruchscharakter der Kreuzesbotschaft und wirft dem ›bürgerlichen‹ Protestantismus vor, sich mit vermeintlichen Entsprechungen zwischen Gott und Welt eine bequemen Weg bereitet zu haben, die eigenen gesellschaftlichen und politischen Optionen als Analogien zum Sein und Tun Gottes zu rechtfertigen. Moltmann denkt hierbei vor allem an die Theologie des späten K. Barth. Und so sehr er damit den vielleicht entscheidenden Schwachpunkt des Analogiedenkens getroffen haben mag, so sehr muß Moltmann sich doch selber vorwerfen, daß er den von ihm in Anschlag gebrachten Widerspruchscharakter der Kreuzesbotschaft nicht genuin theologisch, sondern vielmehr nur politisch, und das heißt im Sinne einer innerweltlichen Parteinahme zu begreifen scheint. Denn Moltmann läßt ja das analogische und das dialektische Prinzip der Gotteserkenntnis nebeneinander gelten. Beiden Prinzipien ordnet er bestimmte Gesellschaftsgruppen zu. Damit wird vollends deutlich, daß er seine Theorie der Gotteserkenntnis von Beginn an aus einer politischen Perspektive aus entwirft, in der ein strikter – im Grund fast naiver – Dualismus von Tätern und Opfern, von Leidverursachern und Leidenden, von bürgerlich Religiösen und sogenannten ›Gottlosen‹ waltet. Auf diese postulierten gesellschaftlichen Dualismus, der zugleich zwischen iusti und peccati sauber zu scheiden scheint, projiziert Moltmann beide Weisen der Gotteserkenntnis: die analogische und die dialektische. Die dialektische Weise soll die Etablierten, die Täter und die Leidverursacher in das ›Andere‹, ›Fremde‹ reißen, dorthin, wo ihre Opfer und die durch sie Leidenden sitzen, denen – da sich das Kreuz Christi ja bereits an ihnen abbildet – der analogische Weg der Gotteserkenntis ganz unbefangen offensteht. Die gesellschaftsanalytische Treffsicherheit dieses Dualismus und die epistemologische Leistungskraft der Verteilung zweier sich im Grunde ausschließenden Prinzipien der Gotteserkenntnis auf beide Seiten dieses Dualismus muß allerdings entschieden bezweifelt werden. Hier ist viel mehr an neomarxistischer Ideologie als an realistischer Wirklichkeitsanalyse am Werk! Auch Leid- und Opfererfahrung, die sich ihrer Identität mit der Passion Christi allzu sicher wähnt, wird zur Weltweisheit, die durch das Wort vom Kreuz gerade prinzipiell (und das sogar ohne die Konzession eines Prinzipiendualismus) zur »Torheit« gemacht wird (vgl. 1 Kor 1, 20). Moltmann, so könnte man es etwas salopp formulieren, ist auf dem ›linken Analogieauge‹
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blind. Und auch die Anerkenntnis einer unbedingten Verpflichtung für eine politisch-gesellschaftliche Option zugunsten eines Eintretens für die Opfer von Einzelnen oder von Strukturen darf diesen methodischen Mangel in Moltmanns Entwurf einer ›dialektischen‹ Gotteserkenntnis nicht überspielen. Auch zu dem Themenkomplex Entsprechung und Widerspruch ist Bühler wieder recht zu geben: Entsprechung und Widerspruch müssen, als theologische Kategorien verstanden, auf eine ganz andere Ebene zielen, als das bei Moltmann der Fall ist: wenn das Kreuz als Widerspruch begriffen werden muß, dann so, daß es als Tod der Sünde der Widerspruch gegen alle Menschen ist, die sich ohne Ausnahme unter dem Grundwiderspruch der Sünde befinden. Dieser Grundwiderspruch des Menschen gegen Gott bleibt im Leben trotz der Vergebung der Sünde unhintergehbar: der Mensch, Gerechter in spe, bleibt doch Sünder in re. Der Widerspruch Gottes gegen die Sünde wird durch das Kreuz repräsentiert, indem der gekreuzigte Christus diesen Widerspruch in Person selber und stellvertretend für die Menschen mit tödlicher Konsequenz an sich selber austrägt. Wer sich diesen Widerspruch als eigenes Widersprechen auf der innerweltlichen Ebene der Macht- und Interessenunterschiede zu eigen machen will, ›internalisiert‹ Gott – darin ist Bühler wieder zuzustimmen – und täuscht sich damit über den wahren Stand der Dinge, den der Theologe des Kreuzes, um mit Luthers 21. Heidelberger These zu sprechen, doch gerade ›beim Namen‹ zu nennen hat. Moltmanns Theologie des gekreuzigten Gottes ist im Ganzen das eindrückliche Dokument des Scheiterns einer Theologie, die das Kreuz Christi politisch zu instrumentalisieren sucht. Es ist ein theologisches Scheitern, das nicht dadurch abgefangen wird, daß Moltmanns Leser – selbst, wenn er die heute längst überholte und ad acta gelegte Rechts-Links-Schematisierung, der Moltmann doch weitgehend und erstaunlich unkritisch erlegen ist, nicht nachvollziehen kann und will – mit manchen seiner politischen Anliegen sympathisieren mag und auch gemeinsam mit Moltmann ein entschiedener Gegner einer unreflektiert ›quietistischen‹ Interpretation des Wortes vom Kreuz ist. Diese Kreuzestheologie ist gerade in ihrem programmatischen eschatologisch-politischen Gestus die Verwandlung des Wortes vom Kreuz als der Weisheit Gottes in ein praktisch verwertbares Weltwissen. Das aber ist nichts anderes als – man kann Moltmann den Vorwurf nicht ersparen – Antikreuzestheologie. Zugleich aber hat Moltmann denn bis heute letzten großen systematischen Versuch vorgelegt, Kreuzestheologie als theologisches Programm darzustellen und durchzuführen. Er hat darin die Ansätze von W. v. Loewenichs Lutherinterpretation und von Iwands Christologie in großem Stil fortgeschrieben. Inwieweit sein Scheitern schon in deren kreuzestheologischen Grundideen angelegt sein mag, werden wir im zweiten Teil der Arbeit noch erörtern. Hier sei jedoch soviel gesagt, daß angesichts des kreuzestheologischen Befundes bei Jürgen Moltmann der dringende Verdacht ausgesprochen werden muß, daß der
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Versuch, das Wort vom Kreuz zum systembildenden Prinzip von Theologie zu erheben, es möglicherweise schon im Ansatz verfehlt. Nach Moltmann hat sich die Aufgabe, das Wort vom Kreuz zu verstehen, um es ihm selbst angemessen zur Sprache bringen zu können, neu gestellt. Es ist bezeichnend, daß es seither in der Theologie nicht erneut zum systembildenden Prinzip geworden ist.
6. »Theologia crucifixi« – E. Jüngels Programm einer am gekreuzigten Jesus orientierten Gotteslehre 6.1. Vorbemerkung Christliche Theologie soll für Eberhard Jüngel »fundamental Theologie des Gekreuzigten«1 sein, »theologia crucifixi«2 , weil der Gekreuzigte »geradezu so etwas wie die Realdefinition dessen [ist], was mit dem Wort ›Gott‹ gemeint ist«3. Zielbegriff dieser Theologie ist die Liebe, denn »Theologie des Gekreuzigten ist Rede von Gott als der im Tode des Menschen Jesus geschehenen Liebe«4. An der Ausarbeitung dieser in der Einleitung zu »Gott als Geheimnis der Welt« formulierten Programmatik hat Jüngel kontinuierlich und in weitem Ausgriff auf den Entwurf einer kreuzestheologisch orientierten Trinitätslehre überhaupt gearbeitet. Im Rahmen unserer Untersuchung müssen wir uns auf wesentliche Grundzüge der Theologie Jüngels beschränken und unsere Fragestellung streng auf das Kreuzestheologische seiner Kreuzestheologie konzentrieren. Wir werden dabei seinen Aufsatz aus dem Jahre 1968 »Vom Tode des lebendigen Gottes. Ein Plakat«5 sowie den Schlußteil seines zuerst 1977 erschienen Buches »Gott als Geheimnis der Welt« zugrunde legen. Das Verhältnis von Jüngels kreuzestheologischem Programm und dessen tatsächlicher Durchführung ist im Blick auf die Trinitätslehre in der Untersuchung von Michael Murrmann-Kahl »Mysterium trinitatis?«6 untersucht und einer scharfsinnigen, aber ihrerseits wieder kritikbedürftigen Analyse unterzogen worden. Mit Murrman-Kahl werden wir uns in einem eigenen Abschnitt auseinandersetzen, bevor wir uns schließlich um eine kritische Würdigung des kreuzestheologischen Projektes der Jüngelschen Theologie bemühen.
1
E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 19926 ,15. Ebd. 3 Ebd. 4 AaO 505. 5 E. Jüngel, Vom Tod des lebendigen Gottes. Ein Plakat (1968, in: Ders., Unterwegs zur Sache. Theologische Bemerkungen [BEV 61], 1988, 105–125). 6 M. Murrmann-Kahl, Mysterium trinitatis?, 1997, hier v.a. 108–134. 2
6. »Theologia crucifixi« bei E. Jüngel
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6.2. Das Leben Gottes als Liebe – Kreuzestheologie bei E. Jüngel Jüngels kreuzestheologisches Interesse ist in sein großes theologisches Projekt integriert, von Gott als dem wirklich Lebendigen zu reden, der sich in dieser, den Tod mitumfassenden, Lebendigkeit als Liebe zugunsten des Menschen erweist. In seinem Aufsatz »Vom Tod des lebendigen Gottes. Ein Plakat« wird die Rede vom Tode Gottes christologisch präzisiert und ganz auf den Gedanken des Lebens Gottes bezogen: »[D]er Tod Jesu Christi ist dasjenige Ereignis, in dem sich Gottes Leben für uns ereignet, um sich als Gottes Leben für uns österlich zu offenbaren.«7 Der Tod Jesu ist sowohl »der Ernstfall« der menschlichen Rede von Gott als auch des göttlichen Lebens selber: »Im Tode Jesu Christi wurde der Fall des Todes zu Gottes eigenem Fall.«8 Die Rede vom »Tod Gottes« hat – Jüngel stellt das in Grundzügen dar 9 – bereits ihre Geschichte. Von dieser hebt Jüngel besonders Hegels »metaphysische Rede vom Tode Gottes« hervor, die sich bei diesem »ihres christlichen Ursprungs bewußt«10 geblieben sei: »Hegel hat […] die Theologie seiner und jeder kommenden Zeit daran erinnert, daß das Ereignis des Todes Jesu Christi für das Sein Gottes und für den christlichen Gottesbegriff nicht belanglos ist. Hegel erinnert daran, daß das Wort vom Kreuz von Gott selber redet, daß das Ereignis des Todes Jesu Christi das Sein Gottes unbedingt angeht und also das Sein Gottes betrifft.«11 Damit erinnert Hegel – freilich ohne direkten Rückbezug – an einen Gedanken, den schon Luther im Zusammenhang seines Verständnisses der communicatio idiomatum herausgestellt hatte, daß nämlich »die Einheit der beiden Naturen in der Person Jesu Christi die der menschlichen Natur zukommenden Prädikate des Leidens, Gekreuzigtwerdens und Sterbens auch der göttlichen Natur zuspricht, weil die Person selber die Ereignisse vollzieht bzw. erträgt, die jede der beiden Naturen durch sich oder an sich geschehen läßt«12 . Luther hatte damit vor allem gegen Zwingli den Gedanken betont, »daß die Geschichte, die die Person Jesu Christi secundum humanitatem macht, Gottes eigene, sein eigenes Sein angehende Geschichte wird«13. Daran, daß Gott im Leiden und Sterben Jesu selber gelitten hat und gestorben ist, »hängt für Luther die soteriologische Implikation der Soteriologie«14. Jüngel macht sich von hier aus an den Ver-
7 8 9 10 11 12 13 14
Jüngel, Plakat, 105. AaO 106. Siehe aaO 106–111. Beide Zitate aaO 110. Ebd. AaO 112f. AaO 115. Ebd.
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such, den Tod Gottes in seiner Bedeutung für das Sein Gottes (a) als auch für das menschliche Begreifen Gottes (b) sowie für den Tod selbst (c) zu umreißen. a) Die Bedeutung des Todes Gottes für das Sein Gottes. Die vorher festgestellte »Notwendigkeit«15 , vom Tod Gottes zu reden, widerspricht der traditionellen Rede von Gott als actus purissimus bzw. simplicissimus: von einem derart verstandenen Gott »kann Leiden, Sterben und in diesem Sinne Negation nicht prädiziert werden«16 . Und so definiert Jüngel die Aufgabe zeitgenössischer Gotteslehre, »in Auseinandersetzung mit der traditionellen Gotteslehre Gottes Sein aus demjenigen Ereignis her zu verstehen, das uns jeden metaphysischen Gottesbegriff vom Verständnis Gottes so lange fernzuhalten nötigt, bis die traditionellen metaphysischen Begriffe neu begriffen sind und das metaphysische Begreifen überwunden ist. Dieses Ereignis ist der Tod Jesu.«17 Diese Einsicht bestätigt sich für Jüngel im Blick auf ausgewählte neutestamentliche Zeugnisse (Röm 1,4; Joh 17,1; Mk 15,34–39; Hebr 2,9)18 und führt ihn zu der systematisch-theologischen Konsequenz, »daß der Tod Jesu nicht mehr als ein Heilsereignis in der Reihe anderer, aber auch nicht als ein unter Voraussetzung des Gottesbegriffes zu interpretierendes Ereignis sui generis aufgefaßt werden kann, daß vielmehr Gottes Gottsein vom Ereignis dieses Todes her zu verstehen ist […]«19. Gottes Gottsein ist nun aufgrund seiner Integration des Todes Jesu so zu verstehen, »daß er diesen Tod nicht einfach durchschreitet wie ein Siegestor«20 , sondern daß »Gott vielmehr im Ereignis des Todes Jesu so Gott sein will, daß er selbst diesen Tod erleidet«21. Das wiederum bedeutet, daß Gott sich dem »ihm fremden Wesensakt des Todes ausgesetzt«22 hat. Das Wesen des Todes und Gottes Wesen widersprechen einander im Tod Jesu, stellen »das Wesen des Einen am Wesen des Anderen […] in Frage«23. Aber diese Infragestellung des Wesens Gottes durch den Tod wird doch von Gott aufgehoben, denn es bleibt Gott, der »selbst an sich eine Verneinung duldet, die in seinem Sein Raum schafft für anderes Sein«24. Mit diesem Gedanken will Jüngel das pro nobis des Todes Jesu reformulieren, denn »[f]ür andere, nämlich für uns ist er ja in den Tod gegangen. Das Nein Gottes zu sich selbst ist sein Ja zu uns.«25
15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
AaO 117. Ebd. Ebd. Siehe aaO 118. AaO 119. AaO 120. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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b) Die Bedeutung des Todes Gottes für das menschliche Begreifen Gottes. Die Selbstdefinition Gottes an einem Toten 26 hat zur Folge, daß »das Wort ›Gott‹ jeder schöpferischen Sinngebung des Menschen entzogen ist«27. Menschliche Sinngebung wird hier sinnlos, und so kennt der Glaube, der sich an der »im Ereignis des Todes Jesu sich vollziehende[n] Selbstdefinition Gottes«28 orientiert, »keinen selbstentworfenen ›Gott‹ mehr«29. c) Die Bedeutung des Todes Gottes für den Tod. Durch die Integration des Todes in sein eigenes Leben »erweist sich Gott nicht ohne den Tod als Gott«30 . Das bedeutet für die Christologie, daß »der Gekreuzigte […] als Gottessohn nicht ohne das Kreuz verkündbar«31 wird. Denn Jesu Auferstehung ist keineswegs die Zurücknahme seines Todes, sondern sie bedeutet eine Veränderung des Todes selbst: Im »Ereignis des Todes Gottes läßt Gott den Tod das Sein Gottes bestimmen und hat damit schon über den Tod bestimmt. Im Ereignis des Todes Gottes wird der Tod dazu bestimmt, ein Gottesphänomen zu werden.«32 Der von Gott zum Moment seiner Selbstbestimmung gemachte Tod verliert gerade darin seine Eigenmacht: »Wo der Tod nun auch hinkommt, da kommt Gott selbst. So tötet Gott den Tod. […] Deshalb erscheint der Auferstandene als der Gekreuzigte. Deshalb sind die Wundmale des Herrn seine Herrschaftszeichen.«33 Der so depotenzierte Tod »erwartet den Glaubenden noch als Weltphänomen«34 , ist aber »zum Sterben entmythologisiert«35 werden. Dieses selber »entfremdet nicht mehr den Menschen und Gott, sondern »es gehört von Anfang an in die christliche Existenz«36 . In seinem zuerst 1977 erschienenen Buch »Gott als Geheimnis der Welt« bildet der letzte, mit dem Titel »Zur Menschlichkeit Gottes« überschriebene Teil den materialtheologischen Schwer- und Mittelpunkt der ganzen Untersuchung, die sich inhaltlich an die im »Plakat« von 1968 skizzierte Fragestellung anschließt, wie Gott als der Dreieinige zu verstehen ist, wenn er konsequent vom Ereignis des Todes Jesu als einem das Sein Gottes selbst betreffenden Geschehen her bestimmt wird. Im folgenden beschränken wir unsere Darstellung im wesentlichen auf diesen Schlußteil. Sachlich in genauer Entsprechung zum »Plakat« stellt Jüngel sich die Aufgabe, »Gott selber als Einheit von Tod und Le26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
So aaO 121. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 123. Ebd. AaO 124. Ebd. Ebd.
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ben zugunsten des Lebens zu denken«37. In formaler Hinsicht läßt sich Gott »nur aufgrund seines eigenen Seins erkennen und denken«38 . Gott teilt sich selbst mit: er tut dies – und zwar ausschließlich – im Wort, dem allein der Glaube entspricht: »Der nur im Wort kommende Gott findet aber nur im Glauben seine Entsprechung, weil allein der Glaube Gottes Sein als ein Sein im Kommen, und das heißt: Gott als abwesenden anwesend sein läßt«39. »Denkbar« wird Gott aufgrund seiner »Sagbarkeit«, nämlich »aufgrund der von Gott selbst besorgten Entsprechung zwischen Gott und Mensch«40 . Von hier aus nimmt eine Grundlegung narrativer Theologie breiten Raum ein, die Jüngel im Blick auf die Worthaftigkeit der Selbstmitteilung Gottes skizziert. »Gottes Sein bleibt im Kommen« – Gott kommt aber als »stets neu zu erzählende Geschichte«41, in der seine »Menschlichkeit […] der menschlichen Vernunft gegenübertritt, ohne durch deren vernehmenden Akt ein für allemal vereinnahmt werden zu können«42 . Daß dies geschieht, ist der »Kraft des Heiligen Geistes«43 zu verdanken. Und indem Gottes Geschichte in dieser Kraft immer wieder neu erzählt werden muß, so daß diese als geschehene »nicht aufhört, geschehende Geschichte zu sein«44 , bleibt Gott »Subjekt seiner eigenen Geschichte«45. Der Mensch seinerseits, als Hörer dieser Geschichte, wird eben als Hörer, »der, solange er zuhört, überhaupt nichts tun kann«46 , »aus seinem Zwang zu selbst […] befreit«47 und kann aus dieser Freiheit heraus in der Weise handeln, »daß seine Tat, auch und gerade als Handlung, eine Tat des Wortes bleibt«48 . Die im Erzähltwerden zur Sprache kommende Geschichte Gottes ist als »Evangelium von der Menschlichkeit Gottes […] als Wort vom Kreuz erzählend in die Weltgeschichte eingeführt«49 und »sofort durch theologische Argumentation identifizierend auf sich selbst zurückgeführt«50 worden. Gerade diese schon in den neutestamentlichen Texten zu beobachtende »lehrhafte Fixierung auf den Gekreuzigten«51 gibt schließlich den Darstellungen »der Ge37
Jüngel, Geheimnis, 409. AaO 410. 39 Ebd. 40 AaO 411. 41 AaO 415. 42 Ebd. 43 Ebd. 44 Ebd. 45 Ebd. 46 AaO 422. 47 Ebd. Jüngel kann in diesem Zusammenhang von einer »gleichsam sakramentale[n] Funktion des Erzählens der christologischen Geschichte« (ebd.) sprechen. 48 Ebd. 49 AaO 425. 50 Ebd. 51 AaO 428. 38
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schichte Jesu Christi als Evangelium ihre erzählerische Einheitlichkeit, insofern sie von vornherein auf die Passionsgeschichte – die im Osterereignis gipfelt – hin entworfen sind«52 . An dieser Stelle bringt Jüngel also innerhalb seiner allerdings wirklich nur als Skizze zu verstehenden Ausführungen zur einer »Theorie des Narrativen in der Theologie«53 die kriteriologische Funktion des Wortes vom Kreuz für die rechte Art und Weise, Theologie zu treiben, zur Geltung. Diese kriteriologische Funktion stellt ein wesentliches Moment von Kreuzestheologie überhaupt dar. Hierbei bleibt Jüngel allerdings nicht stehen. Denn das Wort vom Kreuz soll ihm ja zur Begründung der Trinitätslehre überhaupt dienen, insofern die schlechthin grundlegende Bestimmung Gottes als Liebe54 aufgrund der Identität Gottes mit dem Menschen Jesus »notwendig zur Einsicht in die Selbstunterscheidung Gottes von Gott und so schließlich zum Begriff des dreieinigen Gottes«55 führt, »als dessen vestigium dann allein das Sein des Menschen gelten kann, mit dem Gott sich identifiziert hat«56 . Diesem von Jüngel in Aussicht gestellten »staurologischen Ansatz einer Lehre vom dreieinigen Gott«57 wenden wir uns nun zu. Unsere Fragerichtung zielt dabei weniger auf die Detailprobleme der Ausarbeitung der Trinitätslehre selber, als vielmehr auf deren als kreuzestheologisch zu identifizierenden Momente. Die Trinitätslehre – »das soteriologische Lehrstück schlechthin«58 – ist für Jüngel zunächst einmal der Ausdruck für die »Wahrheit, daß Gott lebt«59. Dadurch, daß Gott »in seiner Gottheit den Tod Jesu erträgt«60 , erweist er »sein göttliches Sein als lebendige Einheit von Leben und Tod«61. Diese Einheit wird bei Jüngel allerdings weitgehend als binitarische Selbstunterscheidung Gottes von sich als ›Vater‹ und ›Sohn‹ zur Geltung gebracht, während der Geist Gottes bei ihm auffallend im Hintergrund bleibt und zunächst vor allem in – wenn der Ausdruck einmal gestattet ist – Jüngels ›triadischen Formeln‹, die bezeichnenderweise kaum argumentativ aufgelöst werden, vorkommt 62 . 52
Ebd. AaO 427. 54 Vgl. u.a. aaO 430. 55 Ebd. 56 Ebd. 57 Ebd. 58 AaO 471. 59 AaO 470. 60 AaO 471. 61 Ebd. 62 Vgl. z.B. u.a. aaO 472 oder 474. Jüngel entfaltet ausführlich im Grunde nur das Verhältnis von Vater und Sohn. Der Geist scheint bei ihm nicht dieselbe personale Dignität zu erhalten, wodurch seine Trinitätstheologie natürlich an einer wesentlichen Stelle ein entscheidendes Defizit aufweist. Vgl. auch Murrmann-Kahl, Mysterium, der zu Recht darauf hingewiesen hat, daß der Heilige Geist bei Jüngel die Funktion eines »deus ex machina« (aaO 121) erhält, um Vater und Sohn nach dem Verhältnisabbruch im Tode Jesu neu ins Verhältnis zu53
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Wir lassen diesen Befund einmal dahingestellt und wenden uns einem in kreuzestheologischer Hinsicht erheblichen Problem zu. Denn Jüngel will die trinitarische Unterscheidung zwischen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Geist als »kritische[n] Ausdruck« 63 verstanden wissen, »daß das Woher und das Wohin des Kommens, in dem Gottes Sein ist, nichts anderes als Gott selbst ist. Das besagt, positiv ausgedrückt, daß Gott sich selber Ursprung und Ziel ist«64. Jüngel sagt das im Blick auf die Unterscheidung zwischen deus absconditus und deus revelatus, die nicht nur nicht als Alternative zur trinitätstheologischen Unterscheidung innerhalb des Gottesbegriffs in Anschlag gebracht werden dürfe, sondern vielmehr umgekehrt eine »notwendige Differenz« 65 darstelle, die »das Kommen Gottes in der Bewegung zwischen Woher und Wohin [hält]«66 . Erst Tod und Entzogensein Jesu (und damit die absconditas Gottes) »ermöglichen es, sein Sein als Kommen Gottes zu verstehen« 67. Die so verstandene Abwesenheit Gottes als Möglichkeit seines Kommens, die damit ja ein Modus der Anwesenheit ist, hat für Jüngel zur Konsequenz, »daß wir es auch in der Situation der Gottverlassenheit mit Gott zu tun haben, daß auch die Wirklichkeit fehlender Gotteserkenntnis eine Weise der Wirklichkeit Gottes, die Wirklichkeit seines Gesetzes und Gerichtes ist, […] daß der sich uns offenbarende Gott wirklich Gott selber ist, daß er also durch keinen anderen ›Gott‹ relativiert werden kann […]«68 . Es geht bei der Rede von revelatio bzw. absconditas Gottes um dessen Selbstentsprechung, denn »Gott widerspricht sich nicht selbst«69 und die »Unterscheidung Gottes von Gott [kann] niemals als Widerspruch in Gott verstanden werden«70 . Der Gedanke der Ursprungs- und Zielidentität – wenn solche Wegmetaphern wie auch die des »Kommens« überhaupt auf Gott Anwendung finden sollen – ist im Blick auf Gott in der Tat notwendig, um Gott als Gott denken zu können, und ihm die die Wirklichkeit bestimmenden Mächte nicht in dualistischer Weise gleichsam ebenbürtig an die Seite stellen zu müssen. Im Blick auf den Menschen ist allerdings zu fragen, ob ein Gott, der sich selber Ursprung und Ziel ist, wie Jüngel behauptet, wirklich die Geschichte des Menschen Jesus und damit gerade auch sein Leiden und Sterben in sein eigenes Sein aufzunehmen vermag. Kurz: »kommt« dieser Gott wirklich in ›Menschlichkeit‹ und damit als ›Liebe‹ zum Menschen, wie Jüngel es gerne denken möchte? Bleibt einem Gott, der sich selbst Ursprung einander zu setzen, bzw. der den Geist als »vinculum caritatis« (aaO 125) zwischen Vater und Sohn begreift: »eine im Kern binitarische[…] Vorstellung« (ebd.). Über dieses pneumatologische Defizit in Jüngels trinitätstheologischem Ansatz wird man wohl kaum ernsthaft hinwegsehen können. 63 Jüngel, Geheimnis, 474. 64 Ebd. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 AaO 478. 68 AaO 474. 69 Ebd. 70 Ebd.
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und Ziel ist, nicht der Tod doch letztlich äußerlich, un-wesentlich – ganz so, wie Gottverlassenheit, die es noch mit Gott zu tun zu haben glaubt, eben keine echte Gottverlassenheit sein kann, und Anfechtung, die sich ihrer Überwindung schon sicher wäre, eben keine echte Anfechtung ist! Es würde aber gerade zum spezifischen Beitrag von Kreuzestheologie gehören, unter dem Kreuz so zu verweilen, daß die Tiefe von Gottverlassenheit und Anfechtung wirklich zugelassen, durchgestanden und dieser nicht schon von Anfang an ein sichernder Boden eingezogen würde. Diese Beobachtung zeigt sehr deutlich, daß Kreuzestheologie, die in den Dienst einer ihr übergeordneten Systembildung (hier von Jüngels trinitätstheologischem Ansatz) genommen wird, ihren spezifischen Charakter verwischt. Beide Perspektiven, diejenige auf die Konsistenz des Gottesgedankens und diejenige auf die Wahrhaftigkeit menschlicher Erfahrung, sind m.E. nicht verrechen- oder harmonisierbar. Der Theologie wie der Christ muß damit rechnen, daß das theologisch Richtige seiner Erfahrung auch einmal »nichts sagt«, und daß das »Nichtssagen« der erzählten Geschichte Gottes um der Wahrhaftigkeit der Erfahrung von Gottlosigkeit, Leiden und Anfechtung und um der Wahrheit der Geschichte Gottes willen auszuhalten ist
Von einer wirklichen Integration des Lebens und Leidens Jesu in den Gottesgedanken hängt nach Jüngel nun aber die ganze Trinitätslehre ab, die andernfalls »allenfalls ein mysterium logicum, eine müßige und in sich selbst haltlose Spekulation«71 wäre. Der Mensch Jesus wird für Jüngel – in kritischer Modifikation der traditionellen Rede von den vestigia trinitatis – zum »vestigium trinitatis«72 . Es ist also der Mensch Jesus, der das trinitarische Begreifen Gottes erst ermöglicht; der Mensch Jesus »muß als vestigium trinitatis einsichtig werden, wenn die biblische Rede von Gott dem Vater, dem Sohn Gottes und vom Heiligen Geist nicht willkürlich und damit auch die solches Reden von Gott notwendig implizierende Rechtfertigungslehre nicht als ganz und gar unbegründet erscheinen soll«73. Nun bleibt bei Jüngel in diesem Zusammenhang eine Unschärfe bestehen, die nicht ausgeräumt wird. Denn einerseits ist für Jüngel generell das »Menschsein dieses Menschen, […] seine Lebens- und Leidensgeschichte«74 das, was Jesus zum vestigium trinitatis macht. Daneben kann Jüngel aber auch die Auffassung vertreten, daß in einem wesentlich engeren Sinne der »gekreuzigte Mensch Jesus von Nazareth als das vestigium trinitatis zu verstehen ist«75. Dabei liegt es fern, zwischen beiden Bestimmungen einen simplen Widerspruch zu konstruieren, zumal Jüngel zweifellos so verstanden werden muß, daß er das Kreuz Jesu als integrales Moment des Lebens Jesu begreift76 . Den71
AaO 479. Ebd. 73 AaO 480. 74 AaO 479. 75 AaO 481. 76 Vgl. aaO 428, wo Jüngel die Einheit der verschiedenen neutestamentlichen Erzählungen der Geschichte Jesu Christi als Evangelium gerade daran festmacht, daß diese »von vornherein auf die Passionsgeschichte – die im Osterereignis gipfelt – hin entworfen sind«. Siehe auch aaO 492: Hier kann Jüngel den Jesus aufgezwungenen Tod als »Integral seiner Exi72
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noch muß dem dezidiert nach einem kreuzestheologischen Profil Jüngels fragenden Leser hier mindestens eine deutlich verschiedene Akzentsetzung auffallen. Verliert der Kreuzestod Jesu aber seine exklusive Bedeutung für das Gottesverständnis, dann kann die immer wieder bemühte staurologische Programmatik Jüngels in ihrer gedanklichen Durchführung kein wirkliches Profil gewinnen, und damit würde in der Konsequenz aber auch die kreuzestheologische Fundierung der ganzen Trinitätslehre als bloßes und nicht wirklich durchgehaltenes Programm entlarvt werden. Stattdessen wäre an Jüngel die Frage zu richten, ob es gerade angesichts seiner Absicht, Theologie als ›theologia crucifixi‹ zu verstehen, nicht vielmehr genau umgekehrt sein müßte, ob also nicht das Leben Jesu als integrales Moment seines Kreuzestodes zu verstehen wäre. Erst durch eine solche Bestimmung könnte Jüngels Argumentation in ein kreuzestheologisches Gefälle gebracht und das entsprechendes Programm tatsächlich eingelöst werden77. Als Spezifikum des Kreuzestodes Jesu scheint Jüngel das Moment der ›totalen Gottverlassenheit‹ herauszuheben78 : »Die besondere Härte der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz ist die Erfahrung der Gottverlassenheit im Horizont einer ganz von Gott her sich beziehenden Existenz.«79 Damit dieser Tod aber – wie es vor allem Paulus tut – als Tod für uns behauptet werden kann, bedarf es »eines die Gottverlassenheit dieses Todes positiv deutenden Ereignisses«80 . Und dieses »Ereignis« ist bei Jüngel der »Osterglaube«81, der »nichts anderes als der Glaube […] an Gottes Sohn als den gekreuzigten Jesus von Nazareth«82 ist. Dabei kommt ein von Bultmann inspiriertes Verständnis des Verhältnisses der Rede von der Auferstehung und dem Glauben zur Geltung, denn Jüngel läßt sich auf keine Differenz zwischen dem Glauben und seinem ihn begründenden und ermöglichenden Ursprung ein: »Die Identifikation Gottes mit Jesus, die diesen als Gottes Sohn zu bekennen erlaubt, ist zugleich die Entstehung des christlichen Glaubens. Im christologischen Als erkennt der Glaube seinen eigenen Ursprung.«83
stenz« bezeichnen, weil dieser Tod »in gewisser Weise die Konsequenz seines ursprünglichen Geheimnisses« (aaO 493) war, das Jesus in die Bereitschaft führte, »den Konflikt, in den er das Gesetz mit sich selbst gebracht hat, an seiner eigenen Person auszustehen« (ebd.). 77 Ein solches Verständnis des Lebens Jesu als Integral seines Kreuzestodes haben wir bei H. J. Iwand feststellen können, der ja im Kreuzestod Jesu das Telos seiner Menschwerdung gesehen hatte, siehe oben Teil B.I.1. dieser Arbeit. 78 So Jüngel, Geheimnis, 495. 79 Ebd. 80 Ebd. 81 Siehe aaO 496. 82 Ebd. 83 AaO 496.
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Es ist also das Kerygma von der Auferweckung, das die Gottverlassenheit Jesu als ein Ereignis für uns zu deuten vermag. Indem Gott sich mit dem toten, von Gott verlassenen, Jesus identifiziert, bestimmt nach Jüngel das Sein dieses Toten »Gottes eigenes Sein so, daß man von einer Unterscheidung zwischen Gott und Gott reden muß«84. Diese Selbstunterscheidung Gottes ist als »Akt Gottes selber«85 zu begreifen und keinesfalls »als ein dem Sein Gottes aufgenötigter Gegensatz […] Nur ein göttliches Motiv kann Gott von Gott unterscheiden.«86 Dieser Akt, in dem »Gott sich selbst definiert, indem er sich mit dem toten Jesus identifiziert«87 ist der Gehalt der Rede von der Auferstehung. Dieser Akt ist, als Aufnahme des Todes in das Leben, zugleich »diejenige Wendung des Todes in das Leben, die das Wesen der Liebe ist«88 . Allein die Liebe vermag sich »auf die ganze Härte des Todes einzulassen«89. Und diese Liebe, die auf das Geschöpf, das Gott gegenüber »schlechthin Andere«90 zielt, »ist das ewige, das göttliche Motiv der Selbstunterscheidung Gottes, ohne die seine Identität mit dem Menschen Jesus nicht denkbar wäre«91. Und so kann Jüngel schließlich definieren: »Theologie des Gekreuzigten ist Rede von Gott als der im Tode des Menschen geschehenen Liebe.«92 Gott als Liebe wird von Jüngel näherhin »als das schlechthin selbstlose Wesen«93 verstanden. Mit dieser Formulierung will Jüngel die traditionelle Auffassung einer immanenten Trinitätslehre vermeiden, die Gott als das »schlechthin selbstbezogene Wesen«94 verstand. Selbstlosigkeit und Selbstbezug sollen für Jüngel allerdings nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern beide Moment »entsprechen«95 sich in der Liebe, so daß in Bezug auf Gott »von einer je immer größeren Selbstlosigkeit in noch so großer – und mit Recht noch so großer – Selbstbezogenheit«96 zu reden ist.
84
AaO 498. Ebd. 86 Ebd. 87 Ebd. 88 AaO 499. 89 Ebd. 90 AaO 500. 91 Ebd. 92 AaO 505. 93 AaO 506. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Ebd. Jüngel spricht aaO 505f davon, daß Liebe »wesentlich Steigerung von Sein« (505) ist, bzw. daß Gott als Liebe der »sein eigenes Sein Steigernde« (506) ist. 85
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6.3. Die Differenz von Programm und System – die Analyse der Jüngelschen Kreuzestheologie bei M. Murrmann-Kahl Michael Murrmann-Kahl versteht Jüngels Rede von Gott als Liebe als »Globalformel«97 der Theologie Jüngels, die in kritischer Absetzung eine »Differenz zum überwiegend von Herrschaftsvorstellungen geprägten Denken Barths artikuliert«98 . Der Weg zum Verständnis der Theologie Jüngels mit Hilfe dieser Formel führt allerdings zunächst über dessen Begriff der Lebendigkeit Gottes, der die grundsätzliche Frage aufwirft, wie er »mit dem Kreuz und Tod Jesu zusammengedacht werden kann«99. Wird diese Frage beantwortet und erklärt, wie Gott sowohl das Leben als auch den Tod umfaßt, dann ist der Weg zum Verständnis Gottes als Liebe frei100 . Damit ist das kreuzestheologische Augangsproblem bei Jüngel benannt, das dieser im Rekurs auf die Rede vom Tod Gottes in den Blick zu nehmen versucht, die sowohl christologisch als auch trinitätstheologisch »in die Theologie heimzuholen«101 ist. Insgesamt ist es ihm dabei »um eine staurozentrische Konstitution der Gotteslehre als Trinitätslehre zu tun«102 – mit der Absicht, weder Gott noch Jesus isoliert zu verstehen, sondern »von Anfang an den konstitutiven Bezug Gottes auf den Menschen Jesus und auch umgekehrt«103 zu reflektieren. Murrmann-Kahl bearbeitet diese Problemstellung weitgehend in der Auseinandersetzung mit Jüngels Buch »Gott als Geheimnis der Welt«, für dessen Argumentationsgang die durch die Rezeption Heideggers verstärkte Neuzeitkritik Barths leitend sei, der als Gegenposition die cartesische Philosophie des methodischen Zweifels an der Existenz Gottes entgegengestellt werde104. Für Jüngel liegt nun alles daran, daß die durch Offenbarung ermöglichte Wahrnehmung der ursprünglichen Einheit von Existenz und Wesen nicht »durch das sicherstellende cogitare«105 verstellt wird. Damit aber »reproduziert« Jüngel – so Murrmann-Kahl – »die von Barth aufgemachte Alternative von neuzeitlichem Denken versus Offenbarungstheologie als dem ›gehorsamen‹ Nachdenken«106 . Diese Position stellt Jüngel allerdings »nur behauptend gegen die Selbständigkeit der Vernunft«107. Es geht ihm dabei darum – wieder
97
Murrmann-Kahl, Mysterium, 108. Ebd. 99 Ebd. 100 So aaO 108f. 101 AaO 109. 102 AaO 110. 103 AaO 109. 104 AaO 112. 105 AaO 113. 106 Ebd. 107 Ebd. 98
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im Anschluß an Barth – die »Erkennbarkeit Gottes durch sich selbst«108 als Voraussetzung des Denkens geltend zu machen, und zwar als eine Voraussetzung, die als Wort das Denken initiiert: »Aus der ontologisch-hermeneutischen Wendung der Offenbarungstheologie resultiert die Zurückführung der Denkauf die Sagbarkeit Gottes.«109 Gott wird bei Jüngel als im Wort selber zu Wort kommend, mithin als Subjekt dieses Zu-Wort-Kommens begriffen, wobei aber seine Selbstdefinition im Wort vom Kreuz gebunden bleibt110 . Im Zusammenhang mit dem Frage nach der angemessenen Rede von Gott stellt sich bei Jüngel das Problem der Analogie zwischen Gott und Mensch, die er – anders als Barth – zugunsten der Ähnlichkeit beider durch die »Überwindung der Differenz von Gott selbst«111 verstanden wissen will. Dieses Analogieverständnis hat Jüngel christologisch gewonnen, denn in Jesus ist Gott der Menschheit in einzigartiger Weise nahegekommen112 . Dieses Nahekommen setzt aber die ganze Geschichte Jesu bis hin zur seinem Kreuzestod als der »Integration des Todes Jesu in das Wesen Gottes«113 voraus, weshalb Jüngel von der Selbstidentifikation Gottes mit dem Gekreuzigten her die ganze Trinitätslehre aufgebaut wissen will114. Den Versuch einer kreuzestheologischen Begründung der Trinitätslehre sieht Murrmann-Kahl bei Jüngel im Ergebnis allerdings fehlgeschlagen. Zunächst habe Jüngel zwar den Kreuzestod Jesu als Seinsabbruch begriffen, der »Gott und Jesus in ein Verhältnis der Verhältnislosigkeit«115 gebracht habe. Aber Jüngels Konzept der Neubegründung eines Verhältnisses »zwischen dem verlassenden Gott und dem getöteten Jesus«116 entscheidet im Urteil Murrmann-Kahls – und darin ist ihm grundsätzlich zuzustimmen – schließlich »über Jüngels staurozentrischen Konstitutionsversuch der Trinitätslehre«117. Es ist dabei die Auferstehungsbotschaft, die bei Jüngel die Selbstdefinition Gottes im Gekreuzigten zur Kenntnis gibt118 . Die Trinität selber soll auf der Grundlage der Auferstehungsbotschaft vom Kreuzestod Jesu her als »Unterscheidung zwischen Gott und Gott«, und zwar als »Selbstunterscheidung Gottes«119 verstanden werden: Der Kreuzestod »habe für Gott die Folge der trinitarischen Verfaßtheit, für Jesus die Anerkennung seiner Gottessohn-
108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119
Ebd. AaO 114. So ebd. Ebd. AaO 115. Ebd. So ebd. AaO 116. Ebd. Ebd. Ebd. Beide Zitate ebd.
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schaft«120 . Die sich für Murrmann-Kahl hier folgerichtig aufdrängende Frage, wer der sich identifzierende Gott »angesichts des toten Jesus und der Verhältnislosigkeit von Gott und Jesus«121 eigentlich ist, bleibe nun bei Jüngel unbearbeitet, der seinerseits, statt den Charakter des Handlungssubjektes »Gott« zu klären122 , auf das Osterkerygma verweist, »das immer schon die Identität von Gott und Jesus unterstellt, freilich gerade nicht wegen des Kreuzestodes, sondern allererst aufgrund der Auferweckung«123. Diese augenscheinliche Erschließung der Rede von der »Selbstidentifikation Gottes« bei Jüngel aus dem Osterkerygma läßt im Urteil Murrmann-Kahls »die Redeweise von einer ›kreuzestheologischen Begründung‹ der Trinitätslehre zumindest ungenau bleib[en]«124. Dem Osterkerygma kommt bei Jüngel, so Murrmann-Kahl, nur eine retrospektive Bedeutung im Hinblick auf Tod und Auferstehung Jesu zu, »ohne daß die ontische Begründung der unterstellten ›Selbstidentifikation Gottes‹ damit schon geleistet wäre«125. Letztlich ist es damit der Glaube, der in Selbstauslegung die Trinität begründet126 , bzw. der ›sich selbst glaubt‹127. Und so kann Murrmann-Kahl zuspitzen: »An der entscheidenden Stelle des Verhältnisses der Verhältnislosigkeit zwischen Gott und Jesus bringt Jüngel den Osterglauben als Begründungsinstanz ins Spiel, die verhindern soll, daß diese Verhältnislosigkeit des Todes das letzte Wort behält. Damit wird die Trinitätslehre als eine solche Voraussetzung des Glaubens namhaft gemacht, die sich selbst einer Interpretation und Setzung des Glaubens verdankt.«128 Ein weiteres, die von Jüngel anvisierte kreuzestheologische Begründung der Trinitätslehre konterkarierendes Problem ist der Umstand, daß Jüngel faktisch Gott »immer schon als Liebe und damit auch als Trinität konstituiert, bevor die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu bedacht wird«129. Jüngel kann zwar zeigen, so Murrmann-Kahl, daß die Trinitätslehre von Kreuzesgeschehen und Auferstehung her erkannt wird, nicht aber, »wie das Wesen Gottes über diesen Tod Jesu als Trinität konstituiert wird«130 . Das führt ihn zu dem harten Urteil, daß von einer »kreuzestheologischen Begründung der Trinität keine Rede sein [kann], allenfalls von einer verdeckt trinitarischen Interpretation des Kreuzes Jesu, die sich dem Osterglauben verdankt«131, und zur Konstatierung des 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131
Ebd. AaO 116f. So aaO 117. Ebd. Ebd. Ebd. So ebd. So aaO 118. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
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»Scheitern[s] eines staurozentrischen Konstitutionsversuchs der Trinität«132 bei Jüngel. Die Voraussetzung der bereits konstituierten Trinität hat nun für die Christologie entscheidende Konsequenzen. Murrmann-Kahl stellt heraus, daß Jüngel das Verhältnis von En- und Anhypostasie Jesu in Analogie zum »Modell von Wesen und Erscheinung«133, das sich hinter seiner Verhältnisbestimmung von immanenter und ökonomischer Trinität verbirgt, bestimmt134. Auf diese Weise habe Jüngel in der Folge »das ewige Wesen des trinitarischen Gottes vor aller Geschichte [konstruiert], so daß auch bei ihm der Rekurs auf den irdischen Jesus nur die nachgeordnete Bedeutung der Erscheinung des ewigen Wesens Gottes hat«135. Auf diese Weise könne aber »von einer kreuzestheologischen Begründung der Trinität keine Rede sein«136 , weil »das zu Begründende in Wahrheit immer schon als begründet vorausgesetzt und beansprucht wurde. Der Kreuzestod Jesu macht nur evident, was ewig immer schon gilt, die ewige ›Selbstunterscheidung‹ Gottes.«137 Dieser Sachverhalt macht sich, wie Murrmann-Kahl scharfsinnig zeigen kann, auch an der Selbstkorrektur Jüngels deutlich, die dieser in der Verschiebung seiner Rede von ›Gottes Sein im Werden‹ zu ›Gottes Sein im Kommen‹ vorgenommen habe138 , denn indem »Gottes Sein ›kommt‹, aber nicht ›wird‹, ist noch einmal bestätigt, daß der trinitarische Gott allen Erörterungen Jüngels schon zugrunde liegt«139. Um das bereits erwähnte Problem zu lösen, wie das Verhältnis zwischen Gott und Jesus nach seinem Abbruch im Kreuzestod neu begründet werden kann, zieht Jüngel – für Murrmann-Kahl »gleichsam als ›deus ex machina‹«140 – den Heiligen Geist heran. Dieser ist es nämlich, der den Identifikationsvorgang und damit das In-Beziehung-Bleiben zwischen Vater und Sohn leistet141. Die Hypostase des Vaters »bleibt […] trotz der Kreuzigung des Sohnes in der Personeinheit mit Jesus mit sich selbst identisch, dem Kreuzigungsgeschehen immer vorausgesetzt«142 . Deshalb muß Murrmann-Kahl feststellen, daß der trinitätstheologischen Konzeption Jüngels – ganz ähnlich wie schon derjenigen Karl Barths – »doch ein Verständnis Gottes zugrunde[liegt], das ein allmächtiges, weltüberlegenes Handlungs- und Herrschaftssubjekt unterstellt, das sich trotz der Selbstaussetzung in die Zeitlichkeit und Vergänglichkeit kontinuiert 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142
AaO 119. AaO 120. So ebd. Ebd. Ebd. Ebd. So aaO 121. Ebd. Ebd. AaO 122. AaO 124.
316
B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
und erhält. Es wird das göttliche Sein zuletzt doch in den Farben der Aseität und Allmacht der Vaterhypostase, die ja mit dem Wesen Gottes identisch ist, gemalt. Die trinitarische Explikation des Kreuzesgeschehens fällt aufs Niveau der abstrakten Gotteslehre zurück und dementiert folglich das Programm einer staurozentrisch vermittelten Trinitätslehre.«143 Trotz dieser fundamentalen Kritik an Jüngels Konzeption bemüht sich Murrmann-Kahl, die kreuzestheologischen Intentionen Jüngels zu würdigen. Denn dieser wolle augenscheinlich »mit Christologie und Kreuzestheologie das Moment namhaft [machen], das offenkundig auch nach der Meinung des ›Barthianers‹ Jüngel bei Barth zu kurz kommt: die Selbständigkeit von Mensch und Welt«144. Denn das bei Jüngel durchweg durchschlagende Interesse an der Soteriologie »verrät das Interesse des Menschen an sich selbst, theo-logisch formuliert: das Interesse des Menschen daran, daß Gott wirklich zu ihm kommt, ihn erreicht«145. Insofern scheint Jüngel Defizite der Barthschen Theologie ausgleichen zu wollen und widerspricht in seiner »eigenen, kreuzestheologischen Intention […] Barth mehr, als er es wahrhaben will«146 . Da Jüngel aber keinen Abschied von der Theologie Barths beabsichtigt, stehen bei ihm »die affirmativen und kritischen Momente unausgeglichen nebeneinander«147 und die bei Barth zu konstatierenden Schwierigkeiten, die Selbständigkeit von Mensch und Welt wirklich zu denken, bleiben mindestens teilweise unüberwunden148 . Im Vergleich der theologischen Konzeptionen Barths und Jüngels hält Murrmann-Kahl schließlich drei Kritikpunkte bzw. Einwände fest. 1) Die Bestimmung Gottes unter den Leitvorstellungen von Herrschaft oder Liebe ist problematisch, weil mit ihr »Vorstellungen aus dem menschlichen sozialen Bereich auf Gott übertragen werden«149. Beide Vorstellungen »enfalten gleichermaßen eine binitarische Tendenz, bei der besonders die Stellung des Geistes ungeklärt bleibt«150 . 2) Murrmann-Kahl fragt, ob der »einen Einseitigkeit, die Trinität schon vor der Christologie zu konzipieren, mit der anderen Einseitigkeit begegnet werden kann, die Trinität als die Folge der Christologie zu behaupten«151. In diesem Zusammenhang will Murrmann-Kahl »gegen die Isolierung des Kreuzes auf der Einheit von Kreuz und Auferweckung Jesu«152 bestehen und zudem daran erinnern, daß am Kreuz Jesu selber noch nicht die Trinität, sondern nur erst eine ›Zweieinigkeit‹ – nämlich in der Unterscheidung Gottes von 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152
Ebd. AaO 128. Ebd. Ebd. Ebd. So ebd. AaO 132. Ebd. Ebd. Ebd.
6. »Theologia crucifixi« bei E. Jüngel
317
sich selbst, die als solche noch keinen Gedanken an eine dritte Person aus sich heraussetzt – sichtbar wird153. 3) Die Konzentration des Interesses auf das Kreuz Jesu »chiffriert« nach Murrmann-Kahl »das soteriologische Interesse des Menschen an sich selbst«154. Die bei Jüngel damit einhergehende »Funktionalisierung der Trinität für die Gotteslehre […] oder die Soteriologie […] belegt die Anteilnahme am neuzeitlichen Bewußtsein allen Abgrenzungsversuchen zum Trotz«155. Denn nicht »ihre [sc. der Trinitätslehre] Dignität als Überlieferung oder kirchliches Dogma, sondern allererst das ihr unterstellte Problemlösungspotential für spezifisch neuzeitliche Aporien (der Gotteserkenntnis, der Soteriologie) rechtfertigt die Denkanstrengung in der Aneignung der Tradition«156 .
6.4. Anmerkungen zur bleibenden Bedeutung von Jüngels »theologia crucifixi« »Theologie des Gekreuzigten ist Rede von Gott als der im Tode des Menschen Jesus geschehenen Liebe.«157 Dieser Satz ist Jüngels eigentliche Definition von Kreuzestheologie, die bei ihm als theologia crucifixi gefaßt wird, und zugleich der Inbegriff seines ganzen, auf die Explikation der Liebe Gottes in der aufhebenden Überwindung des Todes zielenden, trinitätstheologischen Projektes. Von Hegel hatte Jüngel sich die kreuzestheologische Aufgabe im Hinblick auf die Gotteslehre stellen lassen – eine Aufgabe, deren Lösung auf der Ebene theologischer Reflexion einzulösen versprach, was Paulus und Luther auf je ihre Weise zunächst mehr assertorisch zur Geltung gebracht hatten. Luther hatte in seiner Fassung der Lehre von der communicatio idiomatum die vom Wort vom Kreuz her gestellte Aufgabe, den Tod Jesu in seinen Konsequenzen für den mit ihm wesenseins geglaubten Gott zu durchdenken, auf dem Felde der Christologie bereits entschlossen anzugehen versucht. Jüngel selbst rekurriert immer wieder darauf, daß Gott im Tode Jesu, mit dem er sich selbst identifiziert hat, an sich selbst die Verneinung seines Wesens durch den Tod duldet und diesen damit aufhebt. Eben darin erweist er sich als lebendige Einheit von Leben und Tod zugunsten des Lebens, so daß sein Sein überhaupt als Liebe zu bestimmen ist. Diese Duldung des Todes an sich selbst wird manifest in der Geschichte Jesu Christi. Diese kommt zu Wort, indem sie erzählt, und zur Geltung, indem sie gehört und geglaubt wird. Es ist gerade eine »Theorie des Narrativen«, die Jüngel als eine dem Wort vom Kreuz ange153 154 155 156 157
So aaO 133. Ebd. Ebd. AaO 134. Jüngel, Geheimnis, 505.
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B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
messene Reflexionsform der erzählenden Vergegenwärtigung des Evangeliums als der Geschichte Jesu Christi vor Augen steht – ein überaus interessanter Gedanke. Denn das Erzählen kann in der Tat dem Wort vom Kreuz adäquat sein, weil es sich seiner Natur gemäß Gottes nicht in metaphysischem Zugriff bemächtigt, sondern ihn gleichsam ›unten‹, inmitten der ›Menschlichkeit‹ seiner Geschichte, die er als Geschichte Jesu Christi identifiziert hat, ›ent-deckt‹. Das erste, ganz grundsätzliche Problem, das wir hier zu benennen haben, ist die Art und Weise, in der Jüngel den Begriff Kreuzestheologie bwz. »theologia crucifixi« definiert. Wir haben oben darauf hingewiesen, daß seine explizite Definition zugleich der verdichtete Inbegriff seiner ganzen trinitarisch entfalteten Gotteslehre ist. Das eigentliche staurologische Spezifikum, das das definiens dieser Definition aber material z.B. von der Rechtfertigungslehre unterscheidet, bleibt im Dunkeln. Einzig das von Jüngel mehrfach herausgehobene Moment der Gottverlassenheit benennt ein kreuzestheologisches Spezifikum. Ansonsten scheint es sich bei Jüngel letztlich so zu verhalten, daß der bloße Rekurs auf den Tod Jesu bereits ›das Kreuzestheologische‹ der theologia crucifixi markiert. Das aber scheint uns – wie wir im zweiten Hauptteil der Untersuchung zeigen wollen – zu wenig zu sein, um den Begriff der »Kreuzestheologie« bzw. den der »theologia crucifixi« in einem spezifischen Sinne auf ein Theologieprojekt anzuwenden. Die letztlich fehlende Schärfe des Begriffes Kreuzestheologie bei Jüngel führt uns zur Kritik Murrmann-Kahls an Jüngels staurologischer Begründung der Trinitätslehre. Murrman-Kahl hatte ja, wie wir oben gesehen haben, vom Scheitern einer kreuzestheologischen Begründung der Trinitätslehre bei Jüngel gesprochen und höchstens eine ›zumindest ungenaue‹ bzw. allenfalls eine ›verdeckte‹ staurologische Fundierung derselben ausmachen können. Bevor wir uns an einigen ausgewählten Punkten den damit markierten theologischen Sachproblemen zuwenden, müssen wir allerdings konstatieren, daß auch Murrman-Kahl – ähnlich wie Jüngel – keinen wirklich spezifischen Begriff von Kreuzestheologie besitzt. Seine Einrede gegen Jüngel bleibt, insofern sie sich gegen dessen Verständnis von Kreuzestheologie wendet, aus eben diesem Grunde stumpf: Hier wird nur der eine unspezifische gegen den anderen unspezifischen Begriff von Kreuzestheologie gesetzt. Mit anderen Worten: der Gebrauch des Begriffes »Kreuzestheologie« taugt nicht zur Aufklärung theologischer Sachverhalte, solange er äquivok bleibt. Wenden wir uns aber den mit Murrmann-Kahls Pauschalvorwurf verbundenen theologischen Sachproblemen zu, dann sind vor allem drei Hauptpunkte hervorzuheben. a) Murrmann-Kahl erhebt den gewichtigen Einwand gegen Jüngel, daß sich das Scheitern einer kreuzestheologischen Begründung der Trinitätslehre an deren faktischer Verankerung im Osterkerygma festmacht. Das Osterkerygma bringt die Auferstehung Jesu als Akt der Selbstidentifizierung Gottes mit dem
6. »Theologia crucifixi« bei E. Jüngel
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Gekreuzigten zur Sprache. Durch den Rekurs auf das Osterkerygma werde nach Murrmann-Kahl einerseits die Identität von Gott und Jesus immer schon – d.h. auch vor der Bezugnahme auf den Kreuzestod Jesu – vorausgesetzt und verdanke sich andererseits einer ›Setzung des Glaubens‹. Dadurch aber – und darauf zielt dieser Gedanke Murrmann-Kahls zweifellos ab – würde Jüngel sich unter der Hand als Vertreter eines ›neuzeitlichen‹ Theologietyps entlarven, der Dogmatik als Glaubenslehre betreibt und damit die behauptete Objektivität des Glaubensgrundes bzw. die dem Denken vorausgesetzte Vorgängigkeit der Offenbarung gerade nicht einholen würde. Nun muß man gegen Murrmann-Kahls Kritik an dieser Stelle einwenden, daß unter Kreuzestheologie kaum ein solcher Rekurs auf den Tod Jesu verstanden werden kann, der unter Absehung von Jesu Auferstehung unternommen würde. Murrmann-Kahl selber insistiert »gegen die Isolierung des Kreuzes auf der Einheit von Kreuz und Auferweckung Jesu«158 , ohne diese Einheit allerdings näher auszuführen. Diese Einheit kann aber doch nur darin bestehen, daß sowohl die Rede vom Kreuz als auch von der Auferweckung Jesu streng auf Gott bezogen wird: Gott ›zeigt‹ als ›Handelnder‹ in der Auferweckung Jesu, wer er als ›Leidender‹ im Tode Jesu ›ist‹. »Kerygma« ist die Auferstehungsbotschaft, insofern sie eben keine sachliche Information, sondern involvierendes Erzählen ist, das Glauben wecken will und als solches den Kreuzestod Jesu als ein Geschehen »für«, bzw. »zugunsten von« zur Sprache bringt. Das Osterkerygma ist insofern eine Funktion des Wortes vom Kreuz, die unverzichtbar ist, um dieses als Evangelium aussagen und vernehmen zu können. – Von dieser Seite aus kann Jüngel auf keinen Fall ein generelles Scheitern seiner kreuzestheologischen Bemühungen angelastet werden, und die Kritik MurrmannKahls ist an dieser Stelle zurückzuweisen. b) Murrmann-Kahl kritisiert an Jüngels trinitätstheologischem Konzept, daß in diesem die Selbstidentität der Vaterhypostase so zur Geltung gebracht werde, daß gegen die eigentliche Intention Jüngels, überhaupt erst vom Kreuzestod Jesu her das Wesen Gottes zu bestimmen, dieses faktisch doch im Sinne der alten metaphysischen Rede von Gottes Aseität und Allmacht zur Geltung kommt: Gott bleibe – letztlich doch wesentlich unberührt von Jesu Tod – das allmächtige und weltüberlegene Herrschafts- und Handlungssubjekt, als das ihn schon Karl Barth auf den Plan gebracht hatte. Und in der Tat kann an Jüngel die kritische Rückfrage gestellt werden, ob eine Verneinung, die Gott gleichsam souverän an sich selbst duldet, eine echte Verneinung seiner selbst sein kann, oder ob eine derart gedachte Verneinung, immer schon ins »Ja« bzw. ins Leben Gottes hinein aufgehoben, nicht eine bloß scheinbare Verneinung, ein bloßes ›Katz-und-Maus-Spiel‹ Gottes mit dem Tod ist. Der Vorwurf Murrmann-Kahls freilich steht – ohne, daß wir das im Rahmen dieser Arbeit detailliert ausführen 158
Murrmann-Kahl, Mysterium, 132.
320
B. Kreuzestheologische Arbeit in nachdialektischen Entwürfen
können – ganz im Dienste des ›neuzeitlichen‹ Interesses an der Selbstständigkeit und Freiheit des menschlichen Subjektes, der der Gedanke einer schlechthin ›weltüberlegenen‹ göttlichen Subjektivität ein Dorn im Auge sein und bleiben muß. Es kann nun aber nicht ernsthaft im Interesse einer theologischen Interpretation des Kreuzes liegen, die dieses in der Fluchtlinie des biblischen Zeugnisses als Heilsereignis für den Menschen zur Sprache bringen will, Gott kategorial auf die Ebene des Menschen zu ziehen, indem seine Begegnung mit dem Tod als eine solche gedacht würde, in der das Sein Gottes selber mit Ernst vom Nichtsein bedroht wäre! Wem würde Gott dann sein ›Überleben‹ verdanken? Nein: Gott im Gekreuzigten zu identifizieren, heißt gerade, Gott als den zu begreifen, der im Tode, ja: als Tod dem Tod überlegen bleibt und diese Überlegenheit gerade nicht in Aseität für sich selbst in Anspruch nimmt, sondern dem todgeweihten Menschen zuwendet. Das ist der Sinn des »pro nobis«, und ohne die Annahme der Welt- und Todesüberlegenheit Gottes, die gerade ein Implikat des Glaubens an den auferweckten Gekreuzigten ist, würde das Kreuz Jesu soteriologisch vollkommen depotenziert. Übrig bliebe allenfalls ein »Gottesgedanke« als Ausdruck einer Solidaritätssehnsucht des Menschen, die aber nicht durch eine tatsächliche heilvolle Verwandlung der Todeswirklichkeit erfüllt würde – mithin nichts als ein theologischer ›Placebo‹. Hinter dem ›neuzeitlichen‹ Unbehagen an der absoluten Souveränität Gottes verbirgt sich nicht weniger als ein mangelndes Interesse an der Gottheit Gottes und mithin das durchaus nicht allein neuzeitliche Interesse an einer subtilen Selbstvergottung des Menschen als des eigentlich freien Subjektes. – Auch auf dieser Linie sind die kreuzestheologischen Intentionen Jüngels nicht überzeugend dekonstruierbar, geschweige denn in ihrem konstruktiven Potential erschließbar. c) Ein letzter Punkt, den wir an der Jüngel-Kritik Murrmann-Kahls wenigstens kurz hervorzuheben haben, ist die Unterstellung, hinter der soteriologischen Ausrichtung der Jüngelschen Trinitätstheologie verberge sich im Grunde das neuzeitliche Interesse des Menschen an sich selbst. Von daher stehe das Dogma bei Jüngel auch nicht als solches in Geltung, sondern nur im Hinblick auf sein ›Problemlösungspotential für neuzeitliche Aporien‹. Dagegen ist einzuwenden, daß das Christentum wesentlich und von Anfang an Heilsreligion ist. Das Evangelium ist Heilsbotschaft, weil es in der Tat vom Interesse am Menschen redet – allerdings wesentlich von Gottes Interesse am Menschen. Die soteriologische Orientierung der Trinitätslehre bei Jüngel ist also als solche nicht schon Ausdruck einer neuzeitlichen Problemlage, sondern lediglich Ausdruck eines sachgemäßen Verständnisses des christlichen Glaubens überhaupt. Die Anwendung des Begriffes »Neuzeit« oder die gern behauptete Subsumierung der Jüngelschen Trintiätstheologie unter die »Subjektproblematik« erklärt in diesem Zusammenhang im Grunde gar nichts und ist schon gar nicht zu deren Dekonstruktion geeignet.
6. »Theologia crucifixi« bei E. Jüngel
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Die Konstruktivität des Jüngelschen trinitätstheologischen Bemühens erweist sich nämlich gerade darin, daß Jüngel versucht, ›neuzeitliche Aporien‹ theologisch zu bearbeiten. Was wäre denn dazu die Alternative? Fragen zu beantworten, die niemand stellt? Es ist wohl kaum ernsthaft die Aufgabe theologischer Dogmenhermeneutik, zu jeder Zeit alle denkbaren Fragen zu bearbeiten, sondern selbstverständlich werden die jeweils interessierenden in den Vordergrund rücken. Das an sich ist nicht schon Symptom ›neuzeitlicher Subjektivität‹, sondern schlicht und einfach der Modus konstruktiver theologischer Arbeit überhaupt. Es bleibt durchaus zu fragen, ob es Jüngel wirklich gelungen ist, die Trinitätslehre kreuzestheologisch zu begründen. Auf jeden Fall hat sich Jüngel aber um eine kreuzestheologische Imprägnierung der Trinitätslehre verdient gemacht, die die Rede vom Tod Gottes vom Moment der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz her so reformuliert, daß gerade die soteriologische Pointe trinitarisch verfaßter Gotteslehre überhaupt zum Tragen kommt: nämlich davon zu reden, daß Gottes Liebe den Menschen in dessen eigener Gottverlassenheit als das Leben umfängt, das den Tod in sich aufgehoben und überwunden hat. Diese Pointe ist in der Tat dasjenige, was Kreuzestheologie wesentlich und bleibend in der Tat zur ›theologia crucifixi‹ macht, und was diese sich zum Fluchtpunkt aller ihrer Aussagen über Gott und den Menschen zu machen haben wird.
322
323
II. Annäherungen an einen dogmatischen Begriff von Kreuzestheologie
324
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«. Bezüge zur Paulusexegese und zum Denken Martin Luthers
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz Der für die Kreuzestheologie in der evangelischen Dogmatik konstitutive Rückbezug auf die paulinische Rede vom Kreuz legt eine exegetische Vergewisserung dieses Schriftbezuges nahe. Im Rahmen unserer Untersuchung, in der in diesem Teil wesentliche und bleibende Grundmomente der Kreuzestheologie in systematisch-theologischer Perspektive skizziert werden sollen, kann es dabei nicht um eine fachexegetische Erarbeitung der Kreuzestheologie des Paulus gehen, sondern lediglich darum, die Erträge einiger exegetischer Arbeiten zur paulinischen Kreuzestheologie unter systematisch-theologischer Perspektive zusammenzuführen. Aus diesem Grund ist es klar, daß die exegetische Literatur zur paulinischen Kreuzestheologie hier nicht erschöpfend bearbeitet werden kann. Die ausgewählten Titel sind aber allesamt hervorragend geeignet, einer unter dogmatischem Interesse durchgeführten Untersuchung über die Kreuzestheologie wichtige Impulse zu geben. Insofern mag dieser Abschnitt auch als Ausdruck der Einsicht in die grundsätzliche Notwendigkeit verstanden werden, daß der Bezug der Dogmatik auf die Schrift nicht einfach mehr oder weniger willkürlich oder eklektisch-erbaulich erfolgen kann, sondern in engem Austausch mit der fachexegetischen Arbeit geschehen sollte, insofern diese sich überhaupt (noch) als theologische, und d.h. nicht allein als historische oder philologische Arbeit versteht. Daß auch umgekehrt der Bezug der neutestamentlichen Wissenschaft auf die Systematische Theologie eine wesentliche Rolle beim hermeneutischen Zugang zu den biblischen Texten spielt, zeigen übrigens die in diesem Abschnitt zu Wort kommenden Exegeten je auf ihre Weise deutlich. Auch innerhalb der Exegese steht offenbar das Unternehmen, Phänomene des paulinischen Denkens unter den Begriff »Kreuzestheologie« zusammenzufassen, in einer Geschichte des Denkens, die immer auch bereits in erheblichem Umfang durch die Dogmatik geprägt worden ist. Der hermeneutische Zirkel zwischen der theologischen Begriffsbildung und der Lektüre des biblischen Textes ist in beiden Disziplinen, der neutestamentlichen wie der systematisch-theologischen, in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung wirksam. Hier wie dort bedarf er immer wieder von beiden Seiten der Reflexion und
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
325
der kritischen Kontrolle. Versteht man Theologie insgesamt wesentlich als Schriftauslegung, dann sind neutestamentliche und dogmatische Wissenschaft derselben Aufgabe verpflichtet, auch wenn ihre Methoden und ihre fachspezifischen Zielsetzungen differieren. Wir gehen wie folgt vor: in einem ersten Abschnitt ist kurz der Textbestand zu klären, der einer Erarbeitung der paulinischen Kreuzestheologie zugrundezulegen ist. In einem zweiten Abschnitt wird die Frage zu behandeln sein, was Exegeten eigentlich unter dem Begriff der paulinischen Kreuzestheologie verstehen. Und in einem dritten und abschließenden Abschnitt sind schließlich die für die systematisch-theologische Arbeit an der Kreuzestheologie entscheidenden Perspektiven zu benennen, die sich aus ausgewählten exegetischen Arbeiten über die Kreuzestheologie des Paulus ergeben.
1.1. Verständigung über den »locus classicus« der paulinischen Kreuzestheologie Als locus classicus der paulinischen Kreuzestheologie hat 1 Kor 1,18ff zu gelten. Freilich steht dieser Text in einem größeren Zusammenhang: zunächst in dem literarischen des ersten Korintherbriefes, darüber hinaus aber in dem des paulinischen Denkens, wie es uns aus den Briefen des Apostels gegenübertritt, überhaupt. Bei allen Differenzen in der genauen Abgrenzung des für die Untersuchung der paulinischen Kreuzestheologie maßgeblichen Textumfanges und unbeschadet der Heranziehung weiterer, flankierender Stellen kann die exegetische Konvergenz klar in der Angabe von 1 Kor 1,18–2,16 1 als allgemeiner Konsens angesehen werden.
1
Vgl. die Umfangsangaben bei U. Luz, Theologia crucis als Mitte der Theologie im Neuen Testament (EvTh 34, 1974, 116–141), 122: 1 Kor 1,18ff; 2,1ff; 2 Kor 4,7ff; Gal 6,1; H. Weder, Das Kreuz Jesu bei Paulus. Ein Versuch, über den Geschichtsbezug des christlichen Glaubens nachzudenken (FRLANT 125), 1981, 9: 1 Kor 1,13.17; 1,18–25; 1,26–31; 1 Kor 2,1– 5; 2,6–16; 2 Kor 13,4; Gal 2,19f.; 3,1; […] Gal 6,14; F. Voss, Das Wort vom Kreuz und die menschliche Vernunft. Zur Soteriologie des 1. Korintherbriefes (FRLANT 199), 2002, 15: 1 Kor 1,17; 1,18–25; 1,26–2,5; 2,6–16; 3,1–4; 8,1–6; 13; S. Vollenweider, Weisheit am Kreuzweg. Zum theologischen Programm von 1 Kor 1 und 2 (in: A. Dettwiler / J. Zumstein (Hg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament [WUNT 151], 43–58), 43: 1 Kor 1,18–2,16; H.Ch. Kammler, Kreuz und Weisheit. Eine exegetische Untersuchung zu 1 Kor 1,10–3,4 (WUNT 159), 2003: 1 Kor 1,10–17; 1,18–25; 1,26–31; 2,1–5; 6–16; 3,1–4.
326
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
1.2. Grundmomente der paulinischen Rede vom Kreuz in exegetischen Arbeiten U. Luz, der die paulinische mit der markinischen Kreuzestheologie vergleicht, kann zunächst feststellen, daß sich »[f]ast jede christliche Theologie«2 mit dem Kreuz Christi beschäftigt. Um von der sich mit der Frage nach der Kreuzestheologie verbindenden Frage nach »christlicher Identität«3 nicht in »vernebelnde[r] Vielfalt«4 sprechen zu müssen, will er zunächst im Blick auf das Neue Testament insgesamt Kreuzestheologie »in einem eingeschränkten Sinne«5 verstanden wissen und hebt drei konstitutive Momente hervor: a) das Kreuz wird »als Grund des Heils in dem Sinne exklusiv [verstanden], daß alle anderen Heilsereignisse (z.B. Auferstehung, Parusie) dem Kreuz zugeordnet und von dort her verstanden werden bzw. ihr gängiges Verständnis von dort her kritisiert wird«6 ; b) das Kreuz wird in dem Sinne als Ausgangspunkt der Theologie verstanden, daß es keine Gotteslehre unter Absehung von diesem geben kann. Kreuzestheologie »versteht sich nicht als ein Bestandteil der Theologie, sondern als die Theologie schlechthin, in der alles, auch die Gottesfrage, auf dem Spiel steht«7; c) Kreuzestheologie versteht das Kreuz »als den Angelpunkt der Theologie, von dem aus theologische Ansätze in die Anthropologie, die Geschichtsphilosophie, die Ekklesiologie, die Ethik etc. hinein entfaltet werden«8 . An der paulinischen Kreuzestheologie im engeren Sinne ist für Luz charakteristisch, daß Paulus in ihr nicht so sehr das Kreuz selbst interpretiert, »sondern daß er vom Kreuz her die Welt, die Gemeinde, den Menschen interpretiert«9. Christologie ist für Paulus »immer angewandte Christologie«10 : »Die Wahrheit des Wortes vom Kreuz steht nicht an sich, sondern in der korinthischen Gemeinde oder am Problem des Unglaubens Israels oder am Problem der menschlichen Sünde zur Debatte.«11 Daß auf diese Weise die »Welt […] zum Gegenstand der Kreuzestheologie«12 wird, ist das Neue des paulinischen Denkens gegenüber der früheren, vorpaulinischen Tradition. Die Interpretation der Welt durch das Kreuz ist jedoch zugleich immer auch eine Interpretation des Kreuzes selber, »das eine setzt das andere voraus«13. Allerdings ergibt sich von 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Luz, Theologia crucis, 116. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 122 (im Original kursiv). Ebd. (im Original kursiv). Ebd. AaO 123. Ebd.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
327
hier aus ein »Dilemma« innerhalb des paulinischen Denkens: »Das Wort vom Kreuz, das nach Paulus den Menschen neu schafft und menschliche Weisheit zerstört, ist zugleich von Menschen ausgelegtes Wort vom Kreuz, also zugleich menschliche Weisheit.«14 Luz spitzt zum Ende seines Aufsatzes seine an Paulus und Markus gewonnenen kreuzestheologischen Einsichten noch einmal in einer Reihe von Thesen zu15. Hier hebt er vor allem den polemischen Charakter der Kreuzestheologie hervor, der in der mit dem Wort vom Kreuz heraufgeführten Krisis über menschliche Religiosität, Moralität und Theologie wurzelt16 , immer wieder zu Korrekturen des Gottes- und Heilsverständnisses führt und sich auch gegen die jeweils aktuelle Gestalt von Kreuzestheologie selbst richtet17. In diesem Zusammenhang wirft Luz eine hochinteressante Frage auf, die sich an der Beobachtung entzündet, daß sich im Neuen Testament Kreuzestheologie »oft als sekundär [erweist], als Theologie, die eine andere voraussetzt, als Reaktion, als Theologiekritik«18 . Für das Problem der christlichen Identität überhaupt erhebt sich nämlich von hier aus die Frage, ob »das kritisch-polemische Verständnis des Kreuzes zu den grundlegenden Konstituenten christlicher Identität«19 gehört, oder ob »es ein von den christlichen Kirchen im allgemeinen mit Recht liegengelassener, in einzelnen Fällen aber zur Korrektur gefährlicher Einseitigkeiten nötiger Zusatz zur christlichen Identität«20 ist. Eine Antwort auf diese Frage ist im Grunde die Entscheidung darüber, ob Kreuzestheologie Kriterium der Theologie oder Korrektiv innerhalb der Theologie ist – dasselbe gilt analog für die Existenz des Christen. Die Abschlußthesen von Luz zeigen – wie schon der ganze Aufsatz – in welchem Ausmaß das Verständnis paulinischer Theologie21 als Kreuzestheologie sich auch in der Arbeit eines Exegeten unter der Hand in implizite Dogmatik verwandeln kann, ohne dabei den Ausweis dieses dogmatischen Ertrages an den Paulustexten aus dem Blick zu verlieren. Ähnliches gilt für die als nächste in den Blick zu nehmende Arbeit von Hans Weder. Die Untersuchung von Hans Weder mit dem Titel »Das Kreuz Jesu bei Paulus« ist ein Beitrag zur Frage nach dem Geschichtsbezug des christlichen Glaubens, wie sie im 20. Jahrhundert in der Frage nach dem historischen Jesus erneut
14
Ebd. So aaO 139f. 16 So aaO 139. 17 So ebd. 18 AaO 140. 19 Ebd. (im Original kursiv). 20 Ebd. 21 Die markinische Kreuzestheologie lassen wir hier auf sich beruhen, weil sie für Genese und Geschichte der Kreuzestheologie in der Systematischen Theologie nicht annähernd von ähnlich einschlägiger Bedeutung wie die paulinische Kreuzestheologie ist. 15
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A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
aufgebrochen war22 . Zur Lösung dieser Aufgabe stellt er seine exegetische Arbeit ganz in den hermeneutischen, philosophischen und systematischen Zusammenhang der Frage nach der Geschichtlichkeit Gottes überhaupt. Im Grunde ist sein Buch damit eine systematisch-theologische Arbeit, die auf einer exegetischen Argumentation aufgebaut ist und interessanterweise den Begriff ›Kreuzestheologie‹ nur sehr selten verwendet, obwohl sämtliche der kreuzestheologisch einschlägigen Texte von Paulus einer Analyse unterzogen werden. Es geht Weder dabei um die Distanz des Glaubens zur und seine Angewiesenheit auf Geschichte: »Im Blick auf dieses Problem ist es lohnend, dem theologischen Stellenwert des Kreuzes Jesu bei Paulus nachzudenken.«23 Als historischexegetische Frage ist diese Frage als eine solche »nach dem Verhältnis der Theologie des Paulus zum irdischen Jesus, und zwar zunächst zum Tod des irdischen Jesus«24 zu stellen: »Sie steht also im Kontext jener typisch neuzeitlichen Fragestellung, welche mit dem Ausdruck ›Paulus und Jesus‹ umschrieben werden kann.«25 Dabei geht es Weder nicht um die Stellung des Paulus zur bloßen Faktizität des Kreuzestodes Jesu, sondern um »die Spuren des inhaltlichen Stellenwertes jenes geschichtlichen Ereignisses«26 . Der exegetische Ausgangspunkt ist die Beobachtung, daß Paulus als erster explizit vom Kreuzestod Jesu und dessen Heilsbedeutung redet. Damit ersetzt er die vorher übliche Rede vom Tod bzw. Blut Jesu 27. Zugleich ist es eine Besonderheit bei Paulus, daß er das Kreuz nicht durch die Auferweckung überholt sein läßt 28 – es bleibt als Kreuz für den Glauben von Bedeutung, »es geht als solches den Glauben unmittelbar an«29. Das Kreuz wird bei Paulus zwar ausschließlich im Rahmen der Auferweckung thematisch, dabei aber nie seiner Kontingenz beraubt 30 – es ist in keine höhere Allgemeinheit hinein aufhebbar. Indem dieses schlechthin Kontingente zum »Grunddatum christlicher Rede von Gott«31 wird, hat es als »Ereignis des Kontingenten […] das Ereignis des Absoluten zu seiner Kehrseite«32 . Und von ihr aus läßt sich dann der theologische Gehalt der paulinischen Rede vom Kreuz Christi darstellen: »[Das Kreuz] tritt […] ins Gegenüber zu allen Ereignissen der Geschichte, den vergangenen wie den künftigen. Es wirft sein Licht auf die vergangenen Versuche, sich der Welt, des Kreuzes, ja sogar Gottes selbst zu bemächtigen. Es wirft sein Licht auf die künftige Verfolgung und das Leiden, wel22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
So Weder, Das Kreuz Jesu, 13. AaO 17. AaO 33. AaO 34. AaO 41. So aaO 42f. So aaO 43. Ebd. So aaO 233. Ebd. Ebd.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
329
che in seinem Namen ausgehalten werden müssen. Es wirft sein Licht auf die gegenwärtigen Anstrengungen zur Wahrung des Gesichts und die gegenwärtige Lebensführung nach dem Fleisch, welche in seinem Licht als unzeitgemäß und überholt offenbar werden. Indem dieses kontingente Ereignis des Kreuzes ins Gegenüber zu allen Ereignissen der Welt tritt, stellt es diese in ein neues Licht: das ist die Neuschöpfung der Welt, soweit sie sich in dieser Welt manifestiert.«33 Die Exklusivität der Bindung der Rede von Gott an das Kreuz impliziert zugleich ihre Universalität: wenn Gott exklusiv im Gekreuzigten aller Welt zugänglich ist, »dann ist die Gottesmächtigkeit geschichtlicher Abläufe an ihr Ende gekommen […]. Die Geschichte ist in die Kontingenz entlassen. […] Die Geschichte wird weltlich, weil Gott in sie eingegangen ist. Deshalb ist der Glauben keine bloße Hinnahme des Kontingenten, sondern die Freiheit zur Weltlichkeit.«34 Um eine genaue Bestimmung des Begriffes Kreuzestheologie in der Anwendung auf das paulinische Denken bemüht sich auch K. Haldimann in seinem Aufsatz »Kreuz – Wort vom Kreuz – Kreuzestheologie«35. In Bezug auf den Begriff Kreuzestheologie zeichne sich im Anschluß an Ernst Käsemann ein »gewisser Konsens«36 darüber ab, daß Kreuzestheologie »eine bestimmte Weise bezeichnen soll, angesichts des Kreuzes Jesu von Gott und dem Menschen zu reden«37. Sie ist »eine bestimmte Form von Theologie, nicht eine spezielle Variante der Christologie«38 . Theologisch bedeutsam wird das Kreuz dort, wo, »wie bei Paulus, die spezifische Art dieses Todes reflektiert wird und daraus Konsequenzen für die Deutung der Offenbarung Gottes und der eigenen Existenz gezogen werden«39. Haldimann definiert die Art und Weise, in der das Kreuz im Wort vom Kreuz in spezifischer Weise zum Auslegungsgegenstand wird, folgendermaßen: »Das Kreuz ist im Wort vom Kreuz insofern das alleinige Heilsereignis, als hier festgelegt wird, von welchem Ereignis überhaupt gesprochen wird. Bei der Auferstehungsaussage geht es (im Rahmen des Wortes vom Kreuz!) um die Identifikation dessen, der am Kreuz stirbt, nicht um die Identifikation des Heilsereignisses. Diese Identifikation ist logisch gesehen eine sekundäre, als es um die Prädikation ›von etwas Bestimmten als etwas‹ geht,
33
Ebd. AaO 234. 35 K. Haldimann, Kreuz – Wort vom Kreuz – Kreuzestheologie. Zu einer Begriffsdifferenzierung in der Paulusinterpretation (in: A. Dettwiler / J. Zumstein [Hg.], Kreuzestheologie im Neuen Testament [WUNT 151], 2002, 1–25). 36 AaO 1. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 AaO 3. 34
330
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
nicht, wie bei der Rede vom Kreuz, um die primäre Identifikation, ›von etwas Unbestimmtem als etwas‹.«40 Im Ergebnis stellt Haldimann fest, daß es »zumindest einige gute Gründe gibt, in der Paulusexegese an einem profilierten Begriff von Kreuzestheologie festzuhalten«41. Drei dieser guten Gründe hebt er ausdrücklich noch einmal hervor: 1. läßt sich zwar die zentrale Bedeutung des Kreuzes »nicht auf einer lexematischen Ebene ausweisen; die kritische Schärfe der paulinischen Theologie verdankt sich aber dem Nachdenken über das Kreuz«42 ; 2. läßt sich das Evangelium seinem Inhalt nach zwar auch anders als als Wort vom Kreuz bestimmen, jedoch läßt sich das »mit dem Kreuz verbundene Skandalon […] aber nur als ›Wort vom Kreuz‹ explizieren«43; 3. bestimmt die Kreuzestheologie das Kreuz deshalb »als alleiniges Heilsereignis, gerade weil sie den Gekreuzigten als Auferstandenen wahrnimmt«44. Problematisch bleibt bei Haldimann allerdings die Bestimmung des Begriffs ›Kreuzestheologie‹ selber. Er macht den Vorschlag, zwischen ›Kreuzestheologie‹ und dem ›Wort vom Kreuz‹ zu unterscheiden und diejenigen Merkmale, die die paulinische Theologie insgesamt auszeichnen, als Merkmale des Wortes vom Kreuz zu verstehen, damit der Begriff Kreuzestheologie nicht seine Konturen verliert45. Das Wort vom Kreuz kann als sowohl kreuzestheologisch (wie in 1 Kor) als auch rechtfertigungstheologisch (wie in Röm) artikuliert werden: verschiedene historische Situationen geben nämlich Anlaß, »ein theologisches Konzept (das ›Wort vom Kreuz‹) in unterschiedlicher Weise zu erproben«46 . Insofern dürfte Haldimann unter Kreuzestheologie die situative Anwendung des Wortes vom Kreuz verstehen, wie sie im Ersten Korintherbrief vorliegt, nicht aber die Generalisierung des Wortes vom Kreuz zum Kriterium und Korrektiv aller Theologie überhaupt. Mit dieser Auffassung unterscheidet sich Haldimann klar vom mehrheitlichen Verständnis des Begriffes der Kreuzestheologie. Sein endgültiges Fazit, daß der »Begriff ›Kreuzestheologie‹ ein in gewissem Sinne offener und vager Begriff [bleibt], der daran erinnert, dass die paulinische Theologie letztlich eine je situative Auslegung des Evangeliums ist« 47, ist bei allem Verständnis für die Vorsicht Haldimanns im Umgang mit dem Begriff ›Kreuzestheologie‹ dann doch zu wenig: seine ausschließliche Verknüpfung mit der letztlich trivialen Einsicht in die Situativität der Verkündigung läßt den Begriff ins Unspezifische entgleiten. 40 41 42 43 44 45 46 47
AaO 5 (Interpunktion im letzten Satzteil original). Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. So aaO 24. Ebd. Ebd.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
331
Für Samuel Vollenweider ist das Kreuz Christi das »Realsymbol von Tod und Leiden«48 , das im Ersten Korintherbrief als »Nadelöhr« der Gotteserfahrung hingestellt werde49, um – von Paulus exemplarisch in der Opposition mit der korinthischen spirituellen Weisheit durchgeführt – zur grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem »Zeitgeist«, d.h. mit den »grundlegenden Orientierungsmassstäbe[n] einer Epoche«50 anzuleiten. Paulus entwickelt dazu in 1 Kor 1,18–2,16 eine »kriteriologische Metatheorie«51. Dieser kriteriologische Anspruch ist zugleich dasjenige, was das Besondere der Kreuzestheologie des Paulus ausmacht und sie von der Rechtfertigungstheologie des Römer- und des Galaterbriefes unterscheidet. Aus der Tatsache, daß Paulus das spezifisch korinthische Problem als Problem der Weltweisheit überhaupt behandelt, zieht Vollenweider generalisierend die Konsequenz, daß es erlaubt sei, »die ersten Kapitel des 1. Korintherbriefs auch im Blick auf die die Neuzeit konstituierenden Denk- und Lebensvoraussetzungen zu lesen«52 . Weltweisheit orientiert sich immer an kulturellen Normen, an dem, was »in ›dieser Welt‹ Wert und Geltung hat«53. Das ist für Paulus nicht bloß eine »Aufblähung«, sondern sogar die »Aushöhlung« des Kreuzes Christi54: »Dem allem stellt Paulus das Kreuz Christi entgegen, also den Kreuzestod eines verurteilten Verbrechers, was sich im Horizont des ersten Jahrhunderts n.Chr. ausgesprochen einfältig und anstössig ausnimmt.«55 Insgesamt hebt Vollenweider vier für die paulinische Kreuzestheologie entscheidende Aspekte heraus: 1. Religionsgeschichtlich steht Paulus im Horizont apokalyptischer Theologie, »sapientiale Motive und Themen [werden] eschatologisch umgebrochen«56 . Paulus will so die »Wahrnehmung für Differenz der Weltzeiten inmitten der Gegenwart«57 schärfen. Zwischen den Weltzeiten steht die Dimension des Todes bzw. des Nichts: »An genau diesem (Un-)Ort steht das Kreuz Christi.«58 2. Als Krisis über diese Weltzeit stellt das Kreuz »alle Gestalten des Erkennens, die sich am gegenwärtigen Kosmos des Seienden orientieren, in Frage«59. Das Wort vom Kreuz rückt die »toten Winkel« 60 der »Wissens- und Orientie48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60
Vollenweider, Weisheit, 46. So ebd. Ebd. AaO 43. AaO 46. AaO 47. So ebd. Ebd. AaO 56. Ebd. Ebd. AaO 57. Ebd.
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A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
rungssysteme«61 einer jeden Zeit ins Bewußtsein: »Indem er diese spezifischen Ausblendungen benennt, stellt er die Machtförmigkeit des jeweiligen Erkenntnisstrebens heraus und nimmt darin eine Verneinung Gottes als des Lebensgrundes wahr (vgl. Röm 1,21f).«62 Damit werden die das Leben begleitenden Negativitäten, Leiden und Vergänglichkeit, sichtbar, »die in der metaphysischen Theoriebildung ausgeblendet werden«63. 3. Das Wort vom Kreuz ist dennoch nicht einfach das Prinzip negativer Dialektik, es ist »kein lebensfeindlicher Richter menschlicher Weisheitssuche« 64. Sondern durch »sein Nadelöhr hindurchgeführt«65 werden die Lebensgüter in ihrer eigenen, nicht instrumentalisierten, Art erkennbar: »Die tödliche Krisis, die im Logos vom Kreuz reflektiert wird, öffnet zur grossen Weite der Schöpfung, die von der Weisheit Gottes durchdrungen ist […].« 66 Diese Lebensfreundlichkeit ermöglicht die Verifizierung des Evangeliums an »vielfältigen, im Glauben eröffneten Lebenserfahrungen«67. Durch die kritische Schärfe des Wortes vom Kreuz wird der Raum für die Gemeinschaft der Kirche geöffnet, die sich »jenseits des Zwangs zur Selbsterhaltung, d.h. frei von der ›Sünde‹, formt und gestaltet«68 . 4. Der Logos vom Kreuz bleibt immer »das brutum factum eines Marterinstruments, an dem das Denken zerbricht«69. Seine »wohl verwirrendste Eigenschaft«70 ist die der Selbstaufhebung: »Er ruft zwar nach systematischer Theologie, stellt diese aber zugleich immer wieder in Frage. Er ist ein ständiger Begleiter theologischen Erkennens, entzieht sich aber jeder Bemächtigung.«71 Die Gefahr einer Bemächtigung des Kreuzeswortes durch die Weltweisheit ist sehr groß, etwa durch seine Sterilisierung auf dem Wege eines Verständnisses »im Modus einer blossen Paradoxie«72 . Es ist deshalb hochbedeutsam, daß diese Gefährdung des Wortes vom Kreuz in 1 Kor 1–4 »durch die Referenz auf das göttliche Gericht thematisiert«73 wird. Die Verkündigung wird im Gericht darauf geprüft, »ob sie dem Evangelium Raum gibt oder ob sie das Kreuz Christi ›leer‹ macht (1,17b)«74. 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. AaO 58. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
333
Ohne expliziten Rekurs auf den Begriff ›Kreuzestheologie‹ kommen zwei neuere monographische Untersuchungen zur paulinischen Kreuzesbotschaft aus: die Arbeiten von F. Voss75 und H.-Ch. Kammler76 . Zugleich tritt in ihnen – etwa im Vergleich zur oben bereits erwähnten Untersuchung von H. Weder – detaillierte Textexegese noch stärker in den Vordergrund. Voss legt die paulinische Polemik gegen die menschliche Weisheit auf das Problem von Glaube und Vernunft hin aus77. Paulus habe zeigen wollen, »inwiefern menschliche Vernunft oder Weisheit und christlicher Glaube sich ausschließen und inwiefern das Kreuz den menschlichen Verstand zugleich neu in Anspruch nimmt«78 . Dabei geht es nicht um sachlich richtige oder falsche Erkenntnisse, sondern um den Erkennenden selbst, um die »Integrität dessen […], der etwas zu verstehen sich anschickt«79. Denn der Mensch erkennt am Kreuz, daß er »in seiner solchen Weise korrumpiert ist, daß er von vornherein zu echtem Verstehen nicht in der Lage ist«80 . Das Kreuz führt aber das menschliche Verstehen nicht allein in eine »fundamentale Krisis«81, sondern ermöglicht auch ein neues Verstehen, denn »vom Angesicht des gekreuzigten Jesus Christus her strahlt der Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in der Welt«82 . So ergibt sich vom Kreuz her eine »ganze Erkenntnislehre«83, die zu erhellen Voss sich zum Ziel seiner Untersuchung gesetzt hat. Diese epistemologische Fragestellung ist dabei – wie schon der Untertitel des Buches andeutet – auf das engste mit der soteriologischen Thematik der paulinischen Theologie verknüpft. Die Einheit beider Aspekte wird gerade über die strikte Orientierung am Kreuz gewährleistet, »das Grundlage und Kriterium des christlichen Glaubens ist«84. Das bedeutet für Voss dreierlei: 1. Vom staurozentrischen Ansatz der paulinischen Theologie ist grundsätzlich zu lernen, daß, wer von Gott reden will, vom Gekreuzigten reden muß, »sei es explizit, sei es, indem er die Rede von Gott und der Welt implizit prägt«85. Dabei ist das Kreuz kein dem Menschen einfach verfügbares »Positum«86 , sondern als Adressat des Kreuzeskerygmas wird der Mensch aus seiner aktiven, 75 F. Voss, Das Wort vom Kreuz und die menschliche Vernunft. Zur Soteriologie des 1. Korintherbriefes (FRLANT 199), 2002. 76 H.-Ch. Kammler, Kreuz und Weisheit. Eine exegetische Untersuchung zu 1 Kor 1,10–3,4 (WUNT 159), 2003. 77 So Voss, Wort vom Kreuz, 11. 78 AaO 14. 79 Ebd. 80 Ebd. 81 AaO 15. 82 Ebd. 83 Ebd. 84 AaO 272. 85 AaO 272. 86 AaO 275.
334
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
sinnherstellenden Rolle befreit87, so daß hier »nicht primär der Mensch als Interpret des Kreuzes gefragt [ist], vielmehr interpretiert das Kreuz den Menschen, gerade auch und sofern er ein denkender und verstehender Mensch ist«88 . 2. Weil die Sünde das menschliche Verstehen korrumpiert, ihn »dazu treibt, auch im Denken und Verstehen sich selbst zu suchen« und dem »Denken also fälschlicherweise soteriologische Relevanz«89 zukommen zu lassen, ist sie das »eigentliche Problem beim menschlichen Erkennen«90 . Der in sich selbst verschlossene Mensch wird nun von außen, durch das Wort der Liebe Gottes, aufgeschlossen. Der Glaube ist das »Einverständnis in die ›Rechtfertigung‹ durch die Liebe Gottes«91. Damit wird der Glaube zur Voraussetzung des Verstehens, dieses ist »ein Zweites nach dem Glauben«92: »Die Wahrnehmung des Gekreuzigten ist die Fundamentalerkenntnis, aus der sich dann auch ein neues Verstehen aller anderen dem Verstehen überhaupt potentiell offenstehenden Dinge ergibt.«93 3. Paulus hat, so Voss, die menschliche Vernunft grundlegend »depotenziert«94 und sie von ihrer »soteriologischen Überfrachtung befreit«95. Das geschieht durch die Wahrnehmung des Kreuzes »als einer Wohltat für den Menschen«96 , durch die die Vernunft zurechtgebracht wird. Als Befreiung des Menschen ereignet sich darin zugleich die Befreiung der Vernunft: sie kann sich nunmehr »endlich einfach an dem im Sinne der Liebe Nützlichen orientieren«97. Paulus steht damit nicht in prinzipieller Opposition zur Vernunft überhaupt, sondern denkt von ihr »letztlich sehr hoch«98 , weil er an ihrem angemessenen Gebrauch interessiert ist: »Angemessen ist der Gebrauch nur dann, wenn er der Begrenztheit der Vernunft entspricht.«99 Begrenzt ist die Vernunft, weil sie a) die Gottesbeziehung nicht konstituieren kann100 und b) weil ihr erster und letzter theologischer Erkenntnisgegenstand der Gekreuzigte ist, was ein bleibender Anstoß für die Vernunft ist101. Der Bezug der Vernunft auf den Ge87
So ebd. AaO 275f. 89 Beide Zitate aaO 287. 90 Ebd. 91 AaO 288. 92 Ebd. 93 AaO 291. Über die hier bereits voraussgesetzte grundsätzliche Konvergenz von Rechtfertigungs- und Kreuzestheologie legt Voss aaO 292 ausdrücklich Rechenschaft ab. 94 AaO 292. 95 Ebd. 96 AaO 293. 97 Ebd. 98 Ebd. 99 AaO 293f. 100 So aaO 294. 101 So aaO 295. 88
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
335
kreuzigten bedeutet »eine dauernde Infragestellung […], die nie bewältigt ist«102 . Gegenüber der zwar bedeutenden, aber in der Ausführung doch letztlich im Allgemeinen und beinahe Konventionellen bleibenden Fragestellung von Voss wendet sich Kammler in seiner Untersuchung »Kreuz und Weisheit« zwei detaillierten Interpretationsproblemen innerhalb des Textkomplexes von 1 Kor 1,10–3,4 zu. Er will einerseits klären, »wie sich der gekreuzigte Christus zu der Weisheit Gottes verhält und ob Paulus etwa neben der Kreuzespredigt noch eine weitere Gestalt der Verkündigung kennt«103. Andererseits hat er sich im Blick auf das Leben des einzelnen Christen in der Gemeinde die Frage vorgelegt, »ob der Apostel innerhalb der christlichen Gemeinde zwei Stufen des Christseins unterscheidet: die Anfangsstufe derer, denen lediglich die als Elementarlehre begriffene Kreuzesverkündigung ausgerichtet worden ist, und die höhere Stufe derer, die aufgrund der Weisheitsrede tiefere geistliche Erkenntnisse gewonnen und damit den besonderen Status ›vollkommener‹ Christen erlangt haben«104. Es ist klar, daß von der Antwort auf diese Fragen abhängt, welchen Stellenwert die Kreuzesverkündigung des Paulus innerhalb seiner Theologie überhaupt einnimmt. Beide Fragen kann Kammler nach eingehenden Textexegesen dahingehend beantworten, daß Paulus a) in 1 Kor 1,18–2,5 und 1 Kor 2,6–3,4 nicht zwischen zwei verschiedenen Verkündigungsgestalten unterscheidet: »Die Kreuzesrede ist als solche Weisheitsrede – und zwar deshalb, weil sie den gekreuzigten Christus als Gottes rettende Weisheit proklamiert«105 , und daß Paulus b) ebensowenig zwischen zwei verschiedenen Stufen des Christseins unterscheidet: Vielmehr zielt Paulus auf »den absoluten Gegensatz zwischen Geretteten und Verlorenen, Glaubenden und Nichtglaubenden, geistlichen Menschen und natürlichen Menschen«106 . Paulus besetzt hier also einerseits den Weisheitsbegriff als den Zentralbegriff korinthischer Heilsvorstellungen selbst und bestimmt ihn eindeutig christologisch. Andererseits macht er deutlich, daß es innerhalb der Gemeinde keine verschiedenen Grade gibt, an denen sich etwa eine unterschiedliche Intensität der Teilhabe an der Weisheit Gottes, wie sie der Gekreuzigte darstellt, gibt. An 1 Kor 2,9 wird überdies deutlich, daß Paulus »die schlechthinnige Unableitbarkeit und Analogielosigkeit des Christusgeschehens«107 herausstellt. In dieser Analogielosigkeit liegt der eigentliche Grund, daß der Mensch aufgrund seiner eigenen Möglichkeiten den Gekreuzigten »nicht als die rettende Gegen102 103 104 105 106 107
Ebd. Kammler, Kreuz und Weisheit, 1. AaO 1f. AaO 245. Ebd. AaO 246.
336
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
wart Gottes zu erfassen vermag«108 . Deshalb werden Person und Werk Christi überhaupt nur dort erkannt, »wo Gott selbst durch das offenbarende Wirken des Heiligen Geistes das Verstehen eröffnet«109. Die paulinische Pneumatologie gewinnt in 1 Kor 2,10ff ihr besonderes Profil darin, daß »der Apostel das Wirken des Geistes hier streng unter dem Aspekt bedenkt, daß dieser den gekreuzigten Christus zu erkennen gibt«110 .
1.3. Systematisch-theologische Perspektiven in der exegetischen Arbeit an 1 Kor 1f Die vorgestellten exegetischen Stichproben lassen zuerst im Blick auf die Verwendung des Begriffes »Kreuzestheologie« einen interessanten Befund zutage treten. Vergleichen wir den von uns wegen des klaren Übergewichtes der systematisch-theologischen Prämissen im ersten Teil der Arbeit verhandelten Entwurf von E. Käsemann mit dem von U. Luz, dann sticht in beiden Fällen ins Auge, daß diese Exegeten mit einem klaren Vorverständnis des Begriffes »Kreuzestheologie« an die Paulustexte herantreten. Dieses Vorverständnis wird in der Arbeit an den Paulustexten verifiziert und gerechtfertigt, aber deutlich ist, daß der Begriff der Kreuzestheologie sowohl hinsichtlich seines Gehaltes als auch seiner grundsätzlichen Anwendbarkeit auf Paulus doch bereits vorausgesetzt ist. Zugleich ist nicht zu übersehen, daß die Bedeutung des Begriffes Kreuzestheologie bei Käsemann wie bei Luz wesentlich auf der Linie des v. Loewenichschen Konzeptes liegt, auch wenn ein direkter literarischer Bezug meines Wissens nicht nachweisbar ist. Angesichts des Siegeszuges, den die v. Loewenichsche Fassung des Begriffes der Kreuzestheologie in der Dogmatik v.a. der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angetreten hat, liegt die Vermutung selbst ohne einen solchen direkten literarischen Bezug nahe, daß auch Exegeten von dem v. Loewenichschen Konzept der Kreuzestheologie beeinflußt waren und sind. Bezeichnenderweise tritt der Einfluß dieses klassisch gewordenen Begriffes von Kreuzestheologie in den neueren exegetischen Arbeiten auffallend zurück. Wo er – wie bei Vollenweider – noch konstruktive Verwendung findet, wird er ganz als aus den Paulustexten heraus gewonnen vorgestellt. Wo er – wie bei Haldimann – in seiner grundsätzlichen Erschließungskraft eher in Zweifel gezogen wird, scheint man sich in differenzierter Textwahrnehmung geradezu dem stark generalisierenden Käsemannschen Auslegungstypus entwinden zu wollen. Wir hatten schließlich gesehen, daß Voss und Kammler wichtige mate108 109 110
Ebd. AaO 247. Ebd.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
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riale Momente der paulinischen Rede vom Kreuz erarbeiten konnten, ohne das Denken des Paulus dabei unter den Begriff »Kreuzestheologie« zu subsumieren. Und im Vergleich zu früheren exegetischen Arbeiten tritt in ihren Monographien die Detailexegese der Paulustexte erheblich in den Vordergrund. Es scheint also möglich geworden, Kreuzestheologie ohne den Begriff Kreuzestheologie zu treiben! Dieser Befund, der auch angesichts der hier nur schmalen Auswahl an exegetischen ›Zeugen‹ Anlaß zu der Vermutung gibt, daß an dieser Stelle tatsächlich eine Entwicklung innerhalb der Paulusexegese manifest wird, gereicht der Arbeit an der Kreuzestheologie überhaupt nun keineswegs zum Schaden. Denn wenn dieser Begriff mehr sein soll, als eine dogmatische Fiktion mit eindrucksvoller Wirkungsgeschichte, dann ist er in der protestantischen Theologie immer wieder auch auf dem Wege unvoreingenommener Paulusexegese neu zu gewinnen: er ist als vorausgesetzter dogmatischer Begriff nicht allein an den Texten des Apostels zu rekonstruieren, sondern er bedarf vielmehr immer wieder neu überhaupt erst der Konstruktion auf dem Wege einer kritischen, auch exegetischen, Revision. Die Dogmatik kann der Exegese für ihre Befreiung aus der hermeneutischen Vorherrschaft eines dogmatischen Begriffs dankbar sein, weil sie gerade damit der dogmatischen Arbeit neue und differenzierte Einsichten zuführen kann. Im Hinblick auf die zentralen kreuzestheologisch relevanten Themenfelder wollen wir die hier gewonnenen Einsichten noch einmal kurz zusammenfassen. a) Die Rede vom Kreuz als Grundlage und Kriterium der Theologie Weil Paulus in 1 Kor 1 und 2 das Kreuz exklusiv als Heilsgrund in Anschlag bringt, von dem aus erst alle anderen theologischen Themen wie Auferstehung, Parusie und auch die Ethik richtig verstanden werden können, ist es gerechtfertigt, die Rede vom Kreuz als Grundlage aller christlichen Theologie zu verstehen: erst die konsequente staurologische Orientierung vom Kreuz her begründet in der paulinischen Tradition die christliche Identität der Rede von Gott, Mensch und des Menschen wie der Welt Heil. Die Exklusivität des Kreuzes als Heilsgrund bedeutet zugleich, daß es neben der Grundlegung aller christlichen Theologie zugleich deren Kriterium, d.h. ihr kritisches Korrektiv bleibt: jede Rede von Gott, dem Menschen und des Menschen und der Welt Heil, die unter Absehung von oder gar unter Negation der exklusiven Selbstidentifikation Gottes mit dem gekreuzigten und d.h. unter dem Fluch der Gottlosigkeit zu Tode gebrachten Christus ergeht, ist von der Rede vom Kreuz her entschieden zurückzuweisen. Dieses ebenso exklusive wie universale Verständnis der paulinischen Kreuzestheologie ist gerechtfertigt, weil Paulus in 1 Kor 1 und 2 seine Rede vom Kreuz nicht allein auf den situativen Bezug zu der mit dem Begriff der »Welt-
338
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
weisheit« verbundenen Selbstüberschätzung der Korinther hinsichtlich ihrer Gotteserkenntnis beschränkt, sondern grundsätzlich kreuzestheologisch argumentiert und so die konkrete Situation in Korinth bearbeiten kann. Denn die Grundeinsichten seiner Kreuzestheologie sind Paulus nach U. Luz nicht etwa erst in der konkreten Auseinandersetzung mit der Gemeinde in Korinth aufgegangen, sondern er hat »in seiner Bekehrung – für ihn kontingent und unableitbar – das [erfahren], was er dann in seiner Kreuzestheologie als das gnadenvolle Gericht des Kreuzes über die menschliche Gerechtigkeit auslegt«111. b) Das Verhältnis von Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre Das Nebeneinander von kreuzestheologischer und rechtfertigungstheologischer Argumentation in den Paulusbriefen nötigt zur Verhältnisbestimmung beider Denkwege. Exklusivität und Universalität lassen sich von der Kreuzestheologie nur dann konsistent aussagen, wenn diese auch als Grundlage und Kriterium der Rechtfertigungslehre aussagbar ist. Luz hatte zunächst festgestellt, »daß paulinische Rechtfertigungslehre und paulinische Kreuzestheologie dasselbe intendieren«112 . Denn ähnlich wie in der Rechtfertigungslehre komme die Welt vom Wort vom Kreuz her in das Gericht: »Menschliche Heilsvorstellungen und -entwürfe werden durch es zuschanden. Theologie wird als Menschenweisheit entlarvt (1 Kor 1,18ff). Religiöse und moralische Versuche werden als Werkgerechtigkeit, als Versuch eigener Leistung deutlich.«113 In ähnlicher Richtung, aber differenzierter, hatte auch Vollenweider überzeugend zeigen können, daß Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre gemeinsam das zentrale Anliegen des Paulus, nämlich »die Verkündigung des Evangeliums, in verschiedenen Kontexten zu realisieren«114 suchen. Kreuzes- und Rechtfertigungstheologie sind also beide auf das Evangelium rückführbar. Allerdings ist das Wort vom Kreuz nicht einfach mit dem Evangelium und damit auch die Kreuzestheologie nicht einfach mit der Rechtfertigungslehre deckungsgleich. Denn die Kreuzesbotschaft »erhebt darüber hinaus einen kriteriologischen Anspruch, indem [sie] die theologische Reflexion im Blick auf ihre Übereinstimmung mit dem Evangelium prüft«115. Es ist – so sind Vollenweiders Überlegungen weiterzuführen – ihr Charakter als eine »kriteriologische Metatheorie«116 , der die paulinische Rede vom Kreuz zum Kriterium und also zum kritischen Korrektiv auch der Rechtfertigungslehre macht. Mit dem Verhältnis von Kreuzes- und Rechtfertigungstheologie hat sich eingehend Haldimann befaßt. 111 112 113 114 115 116
Luz, Theologia crucis, 128. AaO 124. AaO 123f. Vollenweider, Weisheit, 44. Ebd. AaO 43 (»Metatheorie« im Original kursiv).
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
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Die soteriologische Bedeutung des Skandalons des Kreuzes wird nach Haldimann in den beiden Korintherbriefen und dem Galater-, Philipper- und Römerbrief auf je unterschiedliche Weise ausgearbeitet117. Haldimann will nun anhand von Exegesen von Gal 3,13f und Röm 3,23–26, die wir hier nicht im Detail darstellen müssen, zeigen, daß »auch der Römerbrief zentral vom Kreuz Jesu her denkt«118 – eine im Hinblick auf die im Römerbrief im Mittelpunkt stehende Rechtfertigungsproblematik, deren Zusammenhang mit dem Wort vom Kreuz auf den ersten Blick nicht sichtbar werden muß, in der Tat wichtige Frage. Während der Galaterbrief eher christologisch und der Römerbrief mehr theologisch ansetzt, haben nach Haldimann doch beide Ansätze »darin ihre Einheit, dass das Handeln Gottes nur am Geschick Jesu abgelesen resp. das Geschick Jesu nur von einem neuen Verständnis des Seins Gottes her verstanden werden kann. Insofern ist auch der Römerbrief eine Entfaltung des Wortes vom Kreuz.«119 Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre sind beide als umfassende theologische Rede entworfen, sind aber als solche durchaus »ineinander transformierbar«120 . Haldimann nennt vier Merkmale, die die Kreuzestheologie des Ersten Korintherbriefes von der Rechtfertigungslehre des Römerbriefes abheben. 1. Die paradoxale Struktur. Gott offenbart sich »in einer unerwarteten, überraschenden, bisherige Massstäbe in Frage stellenden Weise«121. Die Rechtfertigungslehre ist hyperbolisch angelegt: Gott ›übertrifft‹ sich selbst (vom Gerecht-Sein zum Gerecht-Machen, vgl. Röm 3,26c). Darin kommt entscheidend eine Kontinuität zur Geltung, denn das Christusereignis offenbart nichts anderes, als was das Gottesverhältnis des Menschen schon immer ausgezeichnet hat. Das wird an der Adam-Christus-Analogie in Röm 4 deutlich. Die kreuzestheologische Paradoxie betrifft im Unterschied dazu die »kategoriale Wahrnehmung der weltlichen Phänomene«122 und ist wesentlich von einer Diskontinuität beherrscht. Es geht bei ihr nicht bloß um eine innerweltliche ›Umwertung aller Werte‹123. Die Wirklichkeit Gottes wird – vom Standpunkt des Gesetzes bzw. der Weisheit aus gesehen – am Nichtseienden (vgl. 1 Kor 1,28) artikuliert. Dadurch soll nicht das Seiende abgewertet, sondern »die Wahrnehmung seiner Dimension als eines Geschaffenen, in der es in der Tat von sich aus nichts ist, weil es ganz von einem Externen lebt«124 , ermöglicht werden. 2. Der pneumatologisch-rekursive Charakter. Der 1 Kor setzt bei der Wahrnehmung der kirchlichen Wirklichkeit ein. Die Kreuzestheologie des 1 Kor ist »vom dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses her konzipiert«125 . Die pneumatologischen und ekklesiologischen Phänomene werden dabei aber auf ihre christologische Fundierung hin reflektiert126 . Der in der Kirche wirkende Geist wird als ausschließlich christologisch verfizierbar herausgestellt. Der Römerbrief ist demgegenüber »pneumatologisch prospektiv«127 orientiert. Er stellt das Leben im Geist als Überwindung der Sarx-Orientierung dar, wäh117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127
So Haldimann, Kreuz – Wort vom Kreuz – Kreuzestheologie, 9. AaO 10. AaO 16f. AaO 17. Ebd. AaO 18. So ebd. Ebd. Ebd. So aaO 18f. AaO 19.
340
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
rend 1 Kor in der pneumatisch gestalteten Wirklichkeit »Formen der heimlichen Herrschaft der Sarx aufdeckt (3,1–4)«128 . 3. Die eschatologische Rückbindung. Das Vollendungsbewußtsein wird in 1 Kor ins noch ausstehende Eschaton verwiesen. Die Heilspräsenz wird darum von der Selbst- oder Fremdbeurteilung der Rezipienten abgekoppelt: »Die diakritische Funktion des Kreuzes dient nicht allein dazu, die Kritik an Heilsvorstellungen zu perpetuieren, sondern das Heil dort zu verankern, wo es allein zu verankern ist.«129 Demgegenüber ist der Römerbrief protologisch ausgerichtet. »Er lenkt das Denken von der erfahrenen eschatologischen Rettung zurück auf die Herkunft im Gottesgedanken (Röm 3,29f), in der Verheissung (Röm 4,13–17) sowie im erwählenden Handeln Gottes (Röm 8,28–30).«130 4. Die Subjektzentriertheit. »Die Kreuzestheologie zielt in einer Weise auf das Subjektsein des Menschen, die dessen Verflüchtigungen in Selbstkonstruktionen und Selbstaufhebungen a limine unterläuft.«131 Am Subjekt realisiert sich ja die Leibhaftigkeit auch der Kirche. Paulus denkt dabei aber »nicht von einem ›unendlichen Wert der menschlichen Seele‹ her, sondern von der Konstitution des Subjekts in der Fremdwahrnehmung des Christus«132 . Das Soma drückt die Identität des Menschen auch über den Tod hinaus aus. Das sich am Soma Durchhaltende »sind keine Eigenschaften an ihm selbst, sondern sein ›Erzähltwerden‹ aus einer Fremdperspektive – für Paulus: die Wahrnehmung der Biographie in der Perspektive Gottes«133. Der Römerbrief ist in seinem Subjektverständnis davon nicht unterschieden, orientiert sich aber universalistisch: »Der Nachdruck des theologischen Denkens liegt auf der Einholung der Kategorie ›alle‹«134 – dies aber so, daß das Verständnis des »einen« als Individualkategorie dabei nicht unterlaufen wird.
Haldimanns Auffassung von der gegenseitigen Transformierbarkeit von Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre beruht auf der auch bei Vollenweider wirksamen Voraussetzung, daß beide Theologieformen auf eine gemeinsame Grundlage, das Evangelium, zurückzuführen sind. Es kann bei der Herauspräparierung dessen, was Paulus unter dem Wort vom Kreuz verstanden hat, und was wir heute auf den Begriff ›Kreuzestheologie‹ zu bringen gewohnt sind, also keineswegs um eine Konkurrenz zur Rechtfertigungslehre gehen. Allerdings darf m.E. die Möglichkeit der gegenseitigen Transformierbarkeit auch nicht im Sinne der Austauschbarkeit mißverstanden werden. Denn die Kreuzestheologie hat aufgrund ihrer kriteriologischen, »metatheoretischen« (Vollenweider) Funktion, die sich auch auf die Rechtfertigungstheologie bezieht, gegenüber dieser einen Primat, ohne ihr jedoch ihren Stellenwert als der zweiten, umfassenden und suffizienten, theologischen Denk- und Redeform, in der der Apostel das Evangelium von der rettenden Gnade Gottes in Jesus Christus zur Sprache gebracht hat, streitig machen zu können oder zu dürfen. 128 129 130 131 132 133 134
Ebd. AaO 20. AaO 21. Ebd. AaO 22. Ebd. AaO 23.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
341
Diesen Primat der Kreuzes- gegenüber der Rechtfertigungstheologie hat M. Luther in seiner Bibelübersetzung praktisch dadurch zur Geltung gebracht, daß er Röm 3,28 mit der im griechischen Text nicht vorhandenen Exklusivpartikel »allein« übersetzt hat: »So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.«135 Das Verständnis der Rechtfertigung allein durch den Glauben ist im Grunde nur kreuzestheologisch begründbar: wer angesichts des Gekreuzigten begreift, daß ihm jede Möglichkeit eigener Heilsgewährleistung entschlagen ist, weil Gott in seiner Selbstidentifikation mit dem gekreuzigten Christus alle Wege menschlicher Selbstsicherung und -vergewisserung durch Religion und Moral gleichsam ›links liegen‹ gelassen und stattdessen den Fluchort des Kreuzes zum Heilsort gemacht hat, begreift glaubend, daß er allein im Glauben an diesem Heil partizipiert. Luther hat also die Rechtfertigungstheologie in diesem kleinen, aber höchst gewichtigen Eingriff in den griechischen Bibeltext der Sache nach kreuzestheologisch präzisiert und gegenüber jeder synergistischen Versuchung, der nachzugeben eine prinzipielle Leugnung des Kreuzes Christi ist, vereindeutigt. Nur so, gleichsam mit kreuzestheologischem Rückgrat, konnte der Artikel von der Rechtfertigung mit Fug und Recht zum ›articulus stantis et cadentis ecclesiae‹ avancieren.
c) Die Frage nach der »Wahrheit« der Kreuzestheologie Die Tatsache, daß die paulinische Rede vom Kreuz auf eine kategoriale Entgegensetzung menschlicher und göttlicher Weisheit dringt und diese als die ›weisere Weisheit‹ in Anschlag bringt, wirft die Frage nach einem oder mehreren möglichen Wahrheitskriterien dieser Theologie auf. Warum sollte die Behauptung, Gottes Weisheit weise sich vor der Welt als ›töricht‹ aus, nicht einfach durch die entgegengesetzte Behauptung neutralisiert werden? Für Luz ist die Kreuzestheologie von der Existenz des Apostels selber, d.h. von »dem über ihn selbst fortwährend ergehenden Gericht«136 , nicht zu trennen. Diese unlösliche Verbindung von Kreuzestheologie und apostolischer Existenz ist bei Luz grundlegend für die Beantwortung der Frage nach dem Wahrheitskriterium der Kreuzestheologie. Dieses kann auf keinen Fall eine externe, von außen an das Wort vom Kreuz herangetragene Instanz sein – denn das Wort vom Kreuz ist ja eine über den Menschen verfügende und ihn richtende dynamis Gottes: »Ein Wahrheitskriterium im üblichen Sinn für das Wort vom Kreuz kann es also nicht geben, weil im Wort vom Kreuz sich entscheidet, was der Mensch in Wahrheit ist, nicht umgekehrt der Mensch über die Wahrheit des Wortes vom Kreuz entscheidet.«137 Luz läßt deshalb nur ›sekundäre‹ Wahrheitskriterien gelten, bei denen es sich gleichsam um Manifestationen der Wirkung derjenigen Gotteskraft selber handelt, die im Wort vom Kreuz dem Menschen begegnet und seine Existenz verwandelt: bei Paulus gibt es »keine Kreuzestheologie ohne Existenz unter dem Kreuz […], keine kritische Destruktion menschlicher Weis135 136 137
WA DB VII, 39. Luz, Theologia crucis, 128. AaO 129 (im Original kursiv).
342
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
heit vom Kreuz her, ohne daß der Kreuzestheologe seine eigene Existenz und seine eigene Theologie unter dieses Gericht stellt«138 . Ein solches sekundäres Kriterium wäre für Luz auch der Umstand, daß das Gericht über den Menschen, von dem die Kreuzestheologie redet, »wirklich ergeht und [daß] die menschliche Solidarität, die sie stiftet, wirklich besteht«139. Das bedeutet in der Gegenprobe, daß »eine alleswissende und im Namen Gottes befehlende Inanspruchnahme der Wahrheit, die mit dem Menschen, den sie verurteilt, nicht zutiefst solidarisch ist, ein Kriterium gegen ihre Wahrheit sein könnte«140 . Vollenweider weitet den Wahrheitserweis des mit der Kreuzesrede zur Sprache Gebrachten auf die christliche Existenz innerhalb der Gemeinde überhaupt aus. Denn Paulus traue der Glaubenserfahrung die »Verifizierung des Wortes vom Kreuz«141 zu, was im Wirken des göttlichen Geistes begründet ist. Die Berufung des Apostels auf die Unteren und Verachteten in 1 Kor 1,26ff nimmt die »alttestamentlich-jüdische, aber auch im paganen Raum bekannte«142 Tradition der Umkehrung der Verhältnisse auf, allerdings so, daß die Kontradependenz des einfachen Umkehrungsmusters hier überschritten wird, »geht es doch um den göttlich gewirkten Durchbruch auf ein fundamental neues Niveau«143. Paulus weist damit die rein rhetorisch wirkende Rede zugunsten des Kerygmas vom gekreuzigten Christus zurück und stützt sich darin »auf die Kritik der Philosophen an den Sophisten«144. Es geht nicht um wundersame Krafterweise, sondern um die Wirkung des Evangeliums, dessen Frucht die Korinther als Gemeinde selber sind145. Der menschlichen Weisheit steht die Wirksamkeit Gottes entgegen, und ihr entspricht allein der Glaube, der im Unterschied zu menschlicher Weisheit »transparent für Gottes Dynamis«146 ist. Der Verifikation der Kreuzesrede widmet Paulus sich in 1 Kor 2,10ff nochmals ausführlich in einer pneumatologischen Argumentation. In diesem Abschnitt rückt – nach der vorhergehenden Fokussierung auf die Gemeinde – der Geist Gottes in den Mittelpunkt des Interesses, der die Gemeinde ja überhaupt erst schafft. Wieder appelliert Paulus an die Glaubenserfahrung der Adressaten, greift aber nun »auf den philosophischen Topos zurück, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt wird«147. Die Erkenntnis Gottes ist höher als menschliche Weisheit, ihr Zentrum jedoch ist »wieder das im Kreuz Christi gründende
138 139 140 141 142 143 144 145 146 147
Ebd. AaO 130. Ebd. Vollenweider, Weisheit, 50. AaO 51. Ebd. AaO 52. Ebd. Ebd. AaO 54.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
343
Heil«148: »Man könnte dahingehend formulieren, dass das Kreuz des Christus am Grund der ›Tiefen Gottes‹ aufgerichtet ist, trägt doch der alles ergründende Geist im Verständnis des Paulus die Züge des gekreuzigten Christus.«149 Das Insistieren auf der Geistoffenbarung als der Kommunikation der Wahrheit der Kreuzesbotschaft birgt nun zweifellos, wie Vollenweider richtig sieht, die Gefahr einer Selbst-Referentialität150 , die, keiner externen Kriterien mehr unterstellt, von bloß behauptender Willkür nicht mehr unterschieden wäre. Allerdings nennt Paulus in 1 Kor 1,16 ein solches externes Kriterium: den Gekreuzigten. Und in 1 Kor 3,3–5 erinnert er an die große Verantwortung der Verkündiger, die im Gericht Gottes selber Rechenschaft abzulegen haben. Beiden von Vollenweider genannten Kriterien ist allerdings gemeinsam, daß sie die Wahrheit der Kreuzesverkündigung im Grunde bereits als gegeben voraussetzen. Deshalb sind sie nicht wirklich als externe Kriterien zu bezeichnen. Sie markieren allerdings den hermeneutischen Rahmen, in dem die Rede vom gekreuzigten Christus immer wieder am Ereignis des Kreuzes selbst, und das in letzter Verantwortung hinsichtlich des göttlichen Gerichtes, zu orientieren ist. Ein wichtiger, mit der Wahrheitsfrage untrennbar verknüpfter Gesichtspunkt, ist die Frage nach der sachgemäßen Form der Rede vom Kreuz Christi. Luz hat darauf hingewiesen, daß die Kreuzestheologie des Paulus vor allem im Unterschied zur erzählenden markinischen Kreuzestheologie argumentativen Charakter hat151. In ihrer argumentativen Gestalt entspricht die Kreuzestheologie des Paulus insofern ihrem Gehalt, als dieser eben nicht autoritativ dekretiert werden kann, »sondern sich den eigenen Standpunkt selbst vom Kreuz her kritisieren lassen muß«152: »Für sein eigenes Argument kann Paulus – wegen der Macht des Kreuzes – keine absolute Autorität beanspruchen.«153 Und gerade die vielen Widersprüchlichkeiten und Paradoxien in den paulinischen Briefen sind für Luz Ausdruck dessen, »daß Paulus sich der Sache der Kreuzestheologie offenbar nicht in einer endgültigen und erschöpfenden Weise bemächtigen kann«154. Diese exegetische Beobachtung hat für Luz die grundsätzliche Konsequenz, daß es eine »echte Kreuzestheologie [kennzeichnet], daß sie niemals die Gestalt eines endgültigen und geschlossenen Systems haben kann, das Gott innerhalb des Systems einen Ort anweist, statt sich das eigene System von Gott her in Frage stellen zu lassen«155. Dieser Gedanke ist für die systematisch148 149 150 151 152 153 154 155
Ebd. Ebd. So aaO 55. So Luz, Theologia crucis, 135. AaO 130. Ebd. Ebd. AaO 140.
344
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
theologische Arbeit von großer Bedeutung: denn auch dieses kann dem Wort vom Kreuz möglicherweise nur gerecht werden, indem es auf dessen Überführung in ein hermetisches System verzichtet. Insgesamt läßt sich hinsichtlich der exegetischen Arbeit an der paulinischen Kreuzestheologie feststellen, daß es durchaus einen Grundkonsens zwischen Exegeten und Dogmatikern hinsichtlich der Feststellung und der Interpretation des theologischen Gehaltes der kreuzestheologisch einschlägigen Texte des Paulus gibt. Hermeneutische Prämissen, deren Herkunft aus der Dogmatik sich eindeutig nahelegt und deren Bestätigung, Präzisierung und differenzierte Korrektur durch die Arbeit an den einzelnen Texten durchdringen sich bei den untersuchten Exegeten wechselseitig156 . Zugleich kann festgestellt werden, daß von den im ersten Teil dieser Arbeit untersuchten dogmatischen Entwürfen allenfalls der von Jürgen Moltmann in seiner Grundintention aus dem exegetisch-dogmatischen Konsens hinsichtlich des Verständnisses der kreuzestheologischen Paulustexte insofern herausfällt, als der eschatologische Sog, der das Kreuz letztlich im weltverbessernden Impetus des menschlichen Handelns untergehen läßt, sich nicht auf die paulinische Predigt vom Kreuz Christi berufen kann.
2. Beobachtungen an der Kreuzestheologie in den theologischen Thesen der Heidelberger Disputation Martin Luthers 2.1. Theologia crucis bei Martin Luther – zur Aufgabenstellung Neben Paulus ist Martin Luther der Kronzeuge der Kreuzestheologie in der evangelischen Dogmatik, und vor allem einige der theologischen Thesen der 1518 gehaltenen Heidelberger Disputation157, dieses »Programms der theologia 156 Zum Verhältnis von Exegese und Dogmatik im allgemeinen siehe den bis heute unübertroffenen Aufsatz von H. Weder, Exegese und Dogmatik. Überlegungen zur Bedeutung der Dogmatik für die Arbeit des Exegeten (ZThK 84, 1987, 137–161), der mit dem Gedanken schließt, daß Exegese und Dogmatik nicht »darauf zu beschränken [sind], historisch oder dogmatisch wahre Sätze zu finden. Sie sind vereint in der Aufgabe, dem Lebensphänomen gerecht zu werden, dem Leben die Würde zuzuerkennen, die es vor Gott hat. Denn in den fort und fort träumenden Dingen aller Lebenserfahrung schläft das Lied ihres Schöpfers. Dogmatik und Exegese sind vereint in der Suche nach dem Zauberwort, das, einmal gefunden, die Welt so zu singen anheben läßt, daß es weder Dogmatik noch Exegese mehr braucht.« (aaO 161) 157 Siehe zur Heidelberger Disputation folgende Literatur (Auswahl): K. Bauer, Die Heidelberger Disputation Luthers (ZKG 21, 1901, 231–268); H. Blaumeiser, Martin Luthers Kreuzestheologie – Schlüssel zu seiner Deutung von Mensch und Wirklichkeit. Eine Untersuchung anhand der Operationes in Psalmos (1519–1521), 1995; H. Bornkamm, Die theologischen Thesen Luthers bei der Heidelberger Disputation 1518 und seine theologia crucis (in: Ders., Luther. Gestalt und Wirkungen. Gesammelte Aufsätze, 1975, 130–146); M. Brecht, Martin Luther. Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483–1521, 19893, 225–228 (zur
2. Kreuzestheologie in Luthers »Heidelberger Disputation«
345
crucis«158 , fungieren als regelrechte »loci classici« der Kreuzestheologie Luthers – freilich, wie Heinrich Bornkamm mit Recht festgestellt hat, in einem zumeist sehr eklektischen Sinne. Denn den sich in den Thesen findenden Begriff der theologia crucis gebrauchen »die meisten ganz unreflektiert, andere mit vollem Bewußtsein als die erhellendste Kurzformel für Luthers Evangelium, manche [verwenden] ihn ohne erklärte Gründe gar nicht […]«159. Einige lehnen ihn ganz ab: »er sei ein Erbe der Mystik, ›vorreformatorische Mönchstheologie‹, also mittelalterliche Demutslehre und letztlich noch Gesetz, nicht Evangelium«160 . Diese Auffassung ist in der Lutherforschung inzwischen eher in den Hintergrund getreten – auch dies eine Frucht der Überzeugungskraft des v. Loewenichschen Ansatzes und seiner Rezeption, als deren Folge sich die Einsicht durchgesetzt hat, daß es einerseits sehr wohl möglich und legitim ist, von »der« Kreuzestheologie Luthers zu sprechen, und daß diese andererseits wiederum keineswegs mehr der Sache nach noch der mittelalterlichen Demutstheologie verpflichtet ist, sondern umgekehrt gerade den pointiertesten Ausdruck der Wiederentdeckung der iustitia aliena darstellt und insofern exakt der reformatorischen Rechtfertigungslehre korrespondiert. Allerdings fangen mit dieser beinahe schon trivialen Feststellung die Schwierigkeiten erst an: Die außerordentlich seltenen expliziten Erwähnungen des Begriffes ›theologia crucis‹161, vor allem in der Heidelberger Disputation (1518) und den Operationes in Psalmos (1519–1521), werfen die Frage nach einer MeHeidelberger Disputation); P. Bühler, Kreuz und Eschatologie. Eine Auseinandersetzung mit der politischen Theologie, im Anschluß an Luthers theologia crucis, 1981, 102–120 (siehe zu Luthers Kreuzestheologie den beachtlichen Versuch einer Gesamtdarstellung aaO 63– 285); G. Ebeling, Fides occidit rationem. Ein Aspekt der theologia crucis in Luthers Auslegung von Gal 3,6 (in: Ders., Lutherstudien, Bd. III: Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen – Wirkungsgeschichtliches, 1985, 181–222); W. Joest, Ontologie der Person bei Luther, 1967; H. Junghans, Die probationes zu den philosophischen Thesen der Heidelberger Disputation Luthers im Jahre 1518 (LuJ 46, 1979, 10–59); W. v. Loewenich, Luthers theologia crucis, 1929, 11–20; O. Modalsli, Die Heidelberger Disputation im Lichte der evangelischen Neuentdeckung Luthers (in: LuJ 47, 1980, 33–39); K. H. zur Mühlen, Die Heidelberger Disputation (in: L. Grane / B. Lohse [Hg.], Luther und die Theologie der Gegenwart. Referate und Berichte des Fünften Internationalen Kongresses für Lutherforschung, Lund, 14.-20. August 1977, 1980, 164–169); M. Plathow, Wirklichkeit – erschlossen im Kreuz. Martin Luthers Kreuzestheologie im heutigen Kontext (KuD 47, 2001, 180–202); E. Thaidigsmann, Kreuz und Wirklichkeit. Zur Aneignung der ›Heidelberger Disputation‹ Luthers (LuJ 48, 1981, 80–96). Zu den philosophischen Thesen der Heidelberger Disputation sei hier folgende Arbeit genannt: Th. Dieter, Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie, 2001, hier v.a. 431ff. 158 v. Loewenich, Luthers theologia crucis, 9. 159 H. Bornkamm, Die theologischen Thesen, 130f. 160 AaO 131. Bornkamm hat hier v.a. Otto Ritschls »Dogmengeschichte des Protestantismus« vor Augen. 161 Siehe eine Auflistung der Fundorte bei H. Blaumeiser, Martin Luthers Kreuzestheologie, 17 Anm. 12.
346
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
thode zur Erarbeitung der Kreuzestheologie Luthers auf, die am besten geeignet wäre, einen Ausweg aus dem vielfach eklektischen Umgang mit einzelnen Luthertexten zu weisen. Einen konstruktiven Vorschlag dazu hat Hubertus Blaumeiser unterbreitet, dessen Arbeit »Martin Luthers Kreuzestheologie« über eine profunde Textinterpretation der Operationes in Psalmos hinaus eine sorgfältige und zuverlässige Aufarbeitung der Forschungs- und Interpretationsgeschichte hinsichtlich der Kreuzestheologie Luthers bietet, auf die wir hier zurückgreifen können162 . Blaumeiser, der zunächst feststellt, daß sich die Arbeit an Luthers Kreuzestheologie in den ersten Jahrzehnten nach W. v. Loewenichs Buch auf die Interpretation der theologischen Thesen der Heidelberger Disputation konzentrierte163 , schlägt als »Gegenprobe zu dem, was sich aus der Heidelberger Disputation entnehmen läßt«164 , nicht etwa sofort eine »Untersuchung des Gesamtwerkes auf entsprechende Gedanken«165 vor, sondern fordert zunächst »eine genaue Analyse jener keineswegs zahlreichen Stellen, an denen die Wendung theologia crucis bzw. theologus crucis bei Luther sonst noch vorkommt«166 . Eine solche – »bis heute nur in beschränktem Umfang«167 vorliegende – Analyse wäre dann die Voraussetzung für den nächsten Schritt, nämlich »Luthers Kreuzestheologie auch dort aufzuspüren, wo von ihr nicht ausdrücklich die Rede ist«168 . Auch diese Arbeit ist bisher nur in ersten Ansätzen in Angriff genommen, aber noch keineswegs umfassend geleistet worden169. Blaumeiser wertet den forschungsgeschichtlichen Befund auch in systematischer Hinsicht aus und unterscheidet drei sich teilweise überschneidende Deutungsansätze, »die uns eine dreifache Stoßrichtung der theologia crucis vor Augen führen«170 : a) die epistemologische Deutung171; b) die anthropologische Deutung172 und c) die christologische Deutung173.
a) Die epistemologische Deutung Sie geht unmittelbar auf W. v. Loewenich zurück, der »Luthers Kreuzestheologie aus dem theologischen Kontext seiner Zeit heraus vor allem als Prinzip der theologischen Erkenntnis verstanden«174 hatte. Seine Deutung, daß in der Kreuzestheologie »der allem menschlichen Erkennen durch Ratio und Sinne entgegengesetzte Schlüssel zu Gottes Offenba-
162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174
AaO 26–90. So aaO 34ff. AaO 44. Ebd. AaO 44f. AaO 45. AaO 49. Siehe aaO 49ff. AaO 73. So ebd. So aaO 76. So aaO 79. AaO 73.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
347
rung unter dem Gegenteil (sub contrario)«175 begegnet, »hat sich bis heute gehalten und hat ihre Berechtigung, solange man nicht vorgibt, sie erschöpfe das Ganze«176 .
b) Die anthropologische Deutung Indem in der Forschung mehr und mehr der Zusammenhang von Kreuzestheologie und Rechtfertigung in den Blickpunkt des Interesses rückte, wurde deutlich, daß es in der Kreuzestheologie nicht allein um rechte Gotteserkenntnis geht, »sondern um unser Leben als ganzes und […] um die Überwindung unserer unvermeidlichen Neigung zur Selbstvergötzung«177. Einer der Hauptvertreter dieser Deutungsrichtung ist nach Blaumeiser der von uns im ersten Teil der Arbeit ausführlich besprochene H.-J. Iwand178 , dessen praktische Stoßrichtung seiner Kreuzestheologie wir immer wieder deutlich unterstrichen haben.
c) Die christologische Deutung Während bei v. Loewenich die christologische Orientierung der Kreuzestheologie deutlich im Hintergrund bleibt, haben Theologen wie E. Ellwein oder E. Vogelsang herausgearbeitet, daß sich das, was »die theologia crucis beschreibt, […] in Christus [vollzieht]«179 : »In seiner Verlassenheit und Angefochtenheit, aber auch in seiner Erhöhung ist er nicht nur das Urbild (exemplum), sondern ebenso der Grund (sacramentum) jener tiefgreifenden Verwandlung und jenes Hinübergangs zu Gott (transitus), die auch uns bevorstehen.«180 Diese drei Deutungslinien der Kreuzestheologie Luthers sind – worauf Blaumeiser zu Recht hinweist – nicht voneinander zu trennen, was für diese Theologie gerade bezeichnend ist: »Sie ist in einem Rede von Gott, Rede vom Menschen und Rede von Christus, und auf allen diesen Ebenen zugleich theologische Lehre und Wegweisung für das Leben.«181
Der forschungsgeschichtliche Überblick bei Blaumeiser zeigt eindrucksvoll, wie sehr die Erforschung der Kreuzestheologie Luthers nach wie vor eine ›offene Baustelle‹ ist, auf der noch gigantische und zugleich hochdifferenzierte Interpretationsaufgaben ihrer Bewältigung harren. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung können wir uns dieser Aufgaben nicht mit dem Anspruch annehmen, einen eigenen Forschungsbeitrag zur Erarbeitung der Kreuzestheologie Luthers vorzulegen. Es ist wichtig, das deutlich zu betonen. Aber gleichzeitig hat eine dogmatische Erörterung der Kreuzestheologie ihren Rückbezug auf das Denken Luthers ebenso nachvollziehbar zu verantworten, wie den auf 175 176 177 178 179 180 181
Ebd. Ebd. AaO 76. Siehe aaO 76f. AaO 79. Ebd. AaO 82.
348
A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
die paulinische Rede vom Kreuz. Im folgenden wird versucht, den Bezug zur Kreuzestheologie Luthers anhand einer interpretatorischen Miniatur zu den kreuzestheologischen Thesen der Heidelberger Disputation, im Gesamtzusammenhang der Disputation begriffen, herzustellen.
2.2. »Theologus crucis dicit id, quod res est« – Kreuzestheologie in den Thesen der Heidelberger Disputation von 1518 Als klassische Bezugsstellen für Luthers Kreuzestheologie werden in der Literatur – wir hatten es im ersten Teil der Untersuchung immer wieder gesehen – vor allem die Thesen 19–21 und 24 herangezogen. In These 21 findet sich der bevorzugt in seiner zweiten Hälfte geradezu inflationär zitierte Satz: »Theologus gloriae dicit malum bonum et bonum malum, Theologus crucis dicit id quod res est.«182 Dieser Satz, ebenso wie Aussagen aus den anderen erwähnten Thesen, fungieren – zumeist aus dem Gesamtzusammenhang der Disputation gerissen – häufig nur als dicta probantia für die jeweils vorgetragene Auffassung von der Kreuzestheologie Luthers im besonderen, oft aber auch von Kreuzestheologie ›an sich‹. H. Blaumeiser konnte zeigen, wie sehr das Verständnis des Begriffes der Kreuzestheologie in der Heidelberger Disputation davon abhängt, auf welche der Thesen man in der Interpretation sein Hauptaugenmerk richtet. Hatte die ältere Forschung sich vornehmlich auf die Thesen 1–24 konzentriert, in denen die theologia crucis »nichts anderes als ein kritisches Programm [darstellt], das jeden Versuch des Menschen, von sich aus zu Gott zu gelangen, zunichtemacht und gleichzeitig äußerster Demut das Wort redet«183 , so bezieht die jüngere Forschung verstärkt auch die Thesen 25–28 in die Interpretation mit ein184. Von hier aus wird dann deutlich, daß die Kreuzestheologie der Heidelberger Disputation nicht mehr vornehmlich »dem mönchischen Ideal der Demut und somit der vorreformatorischen Frühtheologie Luthers«185 verpflichtet ist, sondern »daß in der Heidelberger Disputation auch das neue Leben des theologus crucis – seine Rechtfertigung aus reinem Glauben und reiner Gnade – zur Sprache kommt«186 .
H. Bornkamm hat mit Recht unterstrichen, daß die Heidelberger Disputationsthesen nicht nur als additive Aufreihung von Einzelaussagen, sondern »als wohlgegliederte Einheit«187 zu verstehen und folglich auch die Einzelthesen in einer zentralen inhaltlichen Perspektive zu interpretieren sind. Die 182
WA I, 354, 21f. Blaumeiser, Luthers Kreuzestheologie, 37. 184 So aaO 38. 185 AaO 37. 186 AaO 38. 187 Bornkamm, Die theologischen Thesen Luthers, 131. Auch Brecht, Luther I, 225 spricht von einer »sorgfältig durchgegliederte[n] Einheit«. 183
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
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Thesen 1 und 28 umrahmen dabei eine ganze Reihe von Themen; die »beiden Aussagen über das Handeln Gottes umklammern die anthropologischen«188 . Die theologischen Thesen der Heidelberger Disputation sind ungeachtet ihrer durchdachten Architektur »kein Lehrkonzept, sondern Polemik«189, was manche ihrer Einseitigkeiten erklären hilft – z.B. die, daß »die Satisfaktionsbedeutung des Kreuzestodes nicht so ausdrücklich entfaltet wird wie die Lebensgegenwart Christi«190 . Für Bornkamm – und darin ist ihm zuzustimmen – ist die »Summe der ganzen Disputation«191 der Satz aus der probatio der 20. These: »Ergo in Christo crucifixo est vera Theologia et cognitio Dei.«192 In dieser Perspektive also sind die im engeren Sinne ›kreuzestheologischen‹ Thesen 19–24 zu verstehen, die wir im folgenden kurz und unter Berücksichtigung der oft nur wenig beachteten probationes193 paraphrasieren wollen. Das Wissen sowohl um den scholastischen ›common sense‹ hinsichtlich Anthropologie und Gnadenlehre als auch um grundlegende Anschauungen der deutschen Mystik v.a. J. Taulers, von denen Luther in seiner Frühzeit deutlich beeinflußt ist, setzen wir hier als bekannt voraus194.
19195. »Non ille digne Theologus dicitur, qui invisibilia Dei per ea, quae facta sunt, intellecta conspicit.« Der Relativsatz ist ein wörtliches Vulgatazitat von Röm 1,20. Die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis reicht zwar aus, den Menschen vor Gott schuldig zu machen, aber eben nicht, um diesen aus den Werken der Schöpfung tatsächlich zu erkennen. Darum verdient, wer den für das durch die Sünde völlig in die Irre geleitete menschliche Erkenntnisvermögen ungangbar gewordenen Weg der Gotteserkenntis zu gehen meint, vom sichtbaren Geschaffenen auf den unsichtbaren Schöpfer zu schließen196 , nicht, überhaupt Theologe genannt zu werden.
188
Bornkamm, Die theologischen Thesen Luthers, 131. AaO 144. 190 Ebd. 191 AaO 146. 192 Ebd. Vgl. WA I, 362, 18f. 193 WA I 355, 26–365, 20. 194 Zur detaillierten Erörterung der scholastischen Gegenpositionen Luthers sei hier auf die instruktive Darstellung von Bühler, Kreuz und Eschatologie, 104ff verwiesen. 195 WA I, 362, 17f. »Nicht der heißt mit Recht Theologe, der das Unsichtbare Gottes, begriffen an den geschaffenen Werken, erschaut«. 196 Siehe zum einschlägigen scholastischen Verständnis von Röm 1,20 im Sinne einer »Seinsanalogie […], die Gott und Geschöpfe in ein durch das Verhältnis von Ursache und Wirkung geprägtes Entsprechungsverhältnis setzt« und damit den Menschen »in gloria« bestimmt: Bühler, Kreuz und Eschatologie, 104–107 (vorstehende Zitate aaO 106). 189
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A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
20197. »Sed qui visibilia et posteriora Dei per passiones et crucem conspecta intelligit.” Was an Gott dem Menschen überhaupt erkennbar ist, ist – in Anklang an Ex 33 – seine ›Rückseite‹, und diese ist nur in Leiden und Kreuz zu schauen. In der probatio zu dieser These begründet Luther 1 Kor 1, daß Gottes ›Rückseite‹ und seine Sichtbarkeit genau das Gegenteil dessen ist, was an ihm unsichtbar bleibt (sc. seine Herrlichkeit), nämlich seine Menschlichkeit, Schwachheit und Torheit198 . Gott in seiner Herrlichkeit, »in gloria et maiestate«199 zu schauen, ist dem Menschen nicht bestimmt. Das wird in der probatio mit 1 Kor 1,25ff bewiesen 200 . W. v. Loewenich hat auf die doppelte Bedeutung der Begriffe crux und passiones hingewiesen. Luther habe mit ihnen »zunächst Leiden und Kreuz Christi gemeint«, denke aber gleichzeitig »an das Kreuz des Christen«201. Weil angesichts des Kreuzes Christi »der Gesamtcharakter der Wirklichkeit offenbar geworden ist, ist eine Entscheidung über meine Existenz getroffen. […] Gott erkennen per passiones et crucem, d.h. am Kreuz Christi, dessen Sinn nur dem, der selbst in Kreuz und Leiden steht, offenbar wird, entsteht Erkenntnis Gottes. Hier an diesem einen Punkt.«202
21203. »Theologus gloriae dicit malum bonum et bonum malum, Theologus crucis dicit id quod res est.” Wir folgen der Kommentierung dieser These, die Luther in der probatio selber gegeben hat. Mit dem »Theologus gloriae« ist der bezeichnet, der sich im Versuch seiner Gotteserkenntnis an geschaffenen Werken, Herrlichkeit, Macht und Weisheit orientiert und diese dem Kreuz, der Schwachheit und der Torheit vorzieht. Der Abweg der Herrlichkeitstheologie nimmt seinen Ausgang von der Unkenntnis Christi, die zugleich Unkenntnis darüber bedeutet, daß Gott in Leiden verborgen ist204. Gott aber nicht in Christus zu suchen heißt, die Gotteserkenntnis gleichsam von den Füßen auf den Kopf zu stellen: daraus resultiert eine völlig verkehrte, ja, der Wahrheit diametral entgegengesetzte Bewertung der Dinge. Die ›Herrlichkeitstheologen‹ nennen das Gute des Kreuzes schlecht und die Schlechtigkeit der Werke gut 205 – sie sind ›Feinde des Kreuzes Christi‹206 . Ihnen stellt Luther die ›Freunde des Kreuzes‹207 entgegen, die umgekehrt das Kreuz gut und die Werke schlecht nennen. Durch das Kreuz werden die Werke zerstört und wird Adam gekreuzigt, der durch die Werke aufgebaut wird 208 . W. v. Loewenich hat auch hier zu Recht auf die 197 WA I, 362, 19f: »sondern der, welcher das Sichtbare und die Rückseite Gottes als durch Leiden und Kreuz angeschaut, begreift.” 198 Siehe WA I, 362, 4f: »[…] humanitas, infirmitas, stulticia […]«. 199 WA I, 362, 12. 200 Siehe WA I, 362, 9f. 201 v. Loewenich, Luthers theologia crucis, 15. 202 AaO 16. 203 WA I, 362, 21f: »Der Theologe der Herrlichkeit nennt das Böse gut und das Gute böse, der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge bei ihrem Namen.« 204 Siehe die probatio zur 21. These, WA I, 362, 23ff. 205 So Luther in der probatio, siehe WA I, 362, 27f. 206 WA I, 362, 26: »Tales sunt quos Apostolus vocat Inimicos crucis Christi.” 207 WA I, 362, 29: » […] amici crucis […]”. 208 WA I, 362, 30f: » […] per crucem destruuntur opera et crucifigitur Adam, qui per opera potius aedificatur.”
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
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»Doppeldeutigkeit« des opera-Begriffs in den Probationes hingewiesen, der sowohl die Schöpfungswerke Gottes als auch die moralischen Leistungen des Menschen bezeichne209. Allerdings drücke sich in dieser Doppeldeutigkeit die Einsicht Luthers aus, daß »die moralischen Werke und die Werke der Schöpfung, sofern sie als Weg zu Gott in Frage kommen, auf eine Linie [rücken]«210 . Die Werke müssen dem Menschen zunächst vollständig entschlagen werden, bis er es aufgibt, an ihnen zur Erkenntnis Gottes zu gelangen. Das ist notwendig, weil der Mensch die rechte Art der Gotteserkenntnis nicht einfach frei als Alternative zur falschen Art wählen kann 211: es ist ihm nach Luther unmöglich, sich nicht durch seine für gut gehaltenen Werke ›aufzublähen‹212 . Er muß also durch ›Leiden und Übel entleert und zerstört‹ werden, bis er erkennen kann, ›daß er selbst nichts ist und die Werke nicht sein, sondern Gottes sind‹. Erst dann hat er die »res«, die Dinge bzw. die Wirklichkeit so erkannt, wie sie in Wahrheit, und d.h. im Urteil Gottes dasteht: er erkennt sich selbst als Sünder, der die an sich gute Wirklichkeit auf das Übelste mißbraucht und ihr im falschen Gebrauch die Signatur seiner Sünde aufzwingt: die Sünde ist »im Grunde genommen die Sache, die die theologia crucis in aller Deutlichkeit aussagt«213. Und zuzulassen, die Wirklichkeit eben so und nicht anders wahrzunehmen, als sie vor Gott dasteht, heißt, ein ›Theologe des Kreuzes‹, ein »Theologus crucis« zu sein. Kreuzestheologie empfängt von hier aus ihre »paradoxale Aussagestruktur«214 , die eben deshalb auf das Äußerste zugespitzt ist, »weil der Mensch, auf den sie [sc. die Kreuzestheologie] stößt, im Widerspruch mit sich selbst ist«215 .
22216 . »Sapientia illa, quae invisibilia Dei ex operibus intellecta conspicit, omnino inflat, excaecat et indurat.” Das menschliche Ansinnen, Gott aus seinen Schöpfungswerken zu erkennen, ist zwar »ein Triumph der menschlichen Erkenntniskraft selbst«217, führt aber »notwendig zu einer Gier ohne Ende«218 . In der probatio zu dieser These denunziert Luther den metaphysischen Erkenntisweg der scholastischen Theologen geradezu als Begierde – eine Begierde jedoch, die ebensowenig echte Befriedigung findet, wie die Gier nach Ehre sie durch den 209
v. Loewenich, Luthers theologia crucis, 14. AaO 14f. 211 In der 13. These hatte Luther in scharfen Worten zum Ausdruck gebracht, daß der freie Wille (»Liberum arbitrium«, WA I, 359, 33) nach dem Sündenfall nichts weiter als eine nur noch dem Namen nach existierende Sache ist (»res est de solo titulo«, WA I, 359, 33), so daß der, der nach seinem eigenen Vermögen handelt (»facit quod in se est«, WA I, 359, 34) und damit nach scholastischer Lehre das ihm vor Gott Gebotene tut, in Wahrheit Todsünden begeht (»peccat mortaliter«, WA I, 359, 34) – ein schroffer, radikaler Affront Luthers gegen die scholastische Anthropologie! 212 WA I, 362, 31f: »Impossibile est enim, ut non infletur operibus suis bonis, qui non prius exinanitus et destructus est passionibus et malis, donec sciat seipsum esse nihil et opera non sua sed Dei esse.” 213 Bühler, Kreuz und Eschatologie, 115. 214 AaO 113. 215 Ebd. 216 WA I, 362, 32f: »Jene Weisheit, die die unsichtbaren Werke Gottes anschaut, nachdem sie sie aus den [geschaffenen] Werken begriffen hat, bläst alles auf, verblendet und verhärtet.« 217 Bornkamm, Die theologischen Thesen, 134. 218 Ebd. 210
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A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
Erwerb von Ehre, die Gier zu herrschen sie durch Macht und Herrschaft, oder die Gier nach Anerkennung sie durch Lob zu finden vermag 219. Denn das ist gerade das Wesen der menschlichen Begierde, daß sie letztlich unstillbar ist: »Sic de omnibus cupiditatibus.«220 Weil also Gott durch das menschliche Begehren, ihn aus den geschaffenen Werken zu erkennen, eben nicht erkannt wird, man mag es damit so weit treiben, wie man will, gilt: der Mensch muß »lernen, sich eher davon zurückzuziehen, als sich damit zu sättigen; also auch lieber den Rückweg aus der menschlichen Weisheit zu suchen«221; man kann sie nur »heilen, wenn man sie nicht befriedigt, sondern zerstört, zum Verschwinden bringt«222 : Denn diejenige Weisheit, durch die Gott schließlich doch erkannt wird, ist die, welche – mit 1 Kor 1 – vor der Welt als Torheit dasteht, »quae mundo est stulticia«223.
23224. »Et lex iram Dei operatur, occidit, maledicit, reum facit, iudicat, damnat, quicquid non est in Christo.” Diese These ist im Grunde ein komprimierter Schriftbeweis für das zuvor Gesagte. Die vergleichsweise knapp gehaltene probatio bietet auch keine ausführlichen Erläuterungen, sondern Luther verweist lediglich auf eine Reihe von Schriftstellen (in der Reihenfolge der Erwähnung): Gal 3,13; 3,10; Röm 4,15; 7,10; 2,12; 2,23. – Luther führt hier den Begriff des Gesetzes Gottes ein. Dieses wird gerade nicht durch das faktische Unvermögen des Menschen, durch die von diesem gebotenen Werke vor Gott recht dazustehen, außer Kraft gesetzt, sondern es ist das Instrument des göttlichen Zornes. Aber indem es eben das zunichte macht und verdammt, was nicht in Christus ist, klingt hier via negativa seine positive Funktion schon durch: es ist eben der durch das Gesetz bewirkte Zorn Gottes, der gleichsam die Luft aus dem durch seine sich irrigerweise selbst zugeschriebenen Werke aufgeblasenen Menschen herausläßt und ihn eben damit überhaupt erst fähig macht, Gott schließlich in der Torheit von Leiden und Kreuz zu erkennen. Zugleich wird hier ein klarer und entscheidender Unterschied in den Heidelberger Thesen Luthers zur mystischen Auffassung deutlich, die Zunichtemachung und Entleerung des Menschen werde durch dessen eigene Bereitung bewirkt: bei Luther ist es Gott selbst, der dies durch sein Gesetz am Menschen tut.
24225. »Non tamen sapientia illa mala nec lex fugienda, Sed homo sine Theologia crucis optimis pessime abutitur.” Weil hinter dem Gesetz Gott selbst steht, ist dieses ebensowenig zu fliehen, wie jene (göttliche) Weisheit, die vor der Welt als Torheit dasteht, weil sie die Gestalt des leidenden und gekreuzigten Christus trägt. Das Problem des Gesetzes ist nicht seine Existenz, sondern der falsche Gebrauch, den der Mensch davon macht, indem er sich Erkenntnis 219
Siehe WA I, 363, 5ff. WA I, 363, 4. 221 Bornkamm, Die theologischen Thesen, 135. 222 Bühler, Kreuz und Eschatologie, 112. 223 WA I, 363, 14. 224 WA I, 362, 25f: »Auch betreibt das Gesetz den Zorn Gottes, schmäht und klagt an, richtet und verdammt alles, was nicht in Christus ist.« 225 WA I, 362, 27f: »Dennoch ist es keine schlechte Weisheit noch ist das Gesetz zu fliehen, sondern der Mensch mißbraucht ohne die Theologie des Kreuzes die allerbesten Dinge auf das Schlechteste.« 220
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
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und sittliche Leistungen selbst zuschreibt und dazu noch glaubt, genau so mit dem Gesetz Gottes im Einklang zu sein 226 : Denn »wer noch nicht zerstört und auf ein Nichts zurückgeführt worden ist durch Kreuz und Leiden, rechnet sich Werke und Weisheit selber zu, nicht jedoch Gott, und auf diese Weise werden die Gaben Gottes mißbraucht und geschändet«227. Wer aber jenen ›redactus ad nihilum‹ an sich geschehen läßt, der läßt von den Werken ab, weil er weiß, daß Gott »in ihm wirkt und alles tut«228 . Dieses Zunichtewerden des Menschen durch Kreuz und Leiden kann man sich nach den Heidelberger Thesen gar nicht radikal genug vorstellen: es ist weder eine fromme, den Menschen doch nur wieder selbst bestätigende Übung229, und zunächst auch noch nicht durch ein neues Sein des Menschen ›aufgehoben‹. Der Mensch ›bleibt derselbe, ob er Werke tut oder nicht, und er rühmt sich weder, wenn Gott in ihm wirkt, noch wird er aus der Fassung gebracht, wenn Gott es nicht tut: er weiß, daß es ihm genug ist, wenn er leidet und durch das Kreuz zerstört wird, so daß er mehr und mehr zunichte gemacht wird‹230 . – Der Theologe des Kreuzes hält das Kreuz aus, und die Theologie des Kreuzes spricht diese Notwendigkeit im Hinblick auf die rechte Gottes- und Selbsterkenntnis des Menschen unmißverständlich aus. Der Theologe des Kreuzes nimmt die Erfahrung, das Fühlen (»sentire«231) des Todes aus Gottes Hand entgegen und läßt sich eben damit genügen. Auch nur einen Augenblick – so ist Luther hier zweifellos zu verstehen – von der Überwindung dieses am eigenen Leibe gefühlten Todes zu träumen, hieße schon wieder, sich der Lebensgier hinzugeben, in der der Mensch in tausend Gestalten stets nur das eigene sucht, aber nicht das, was Gottes ist.
H. Bornkamm beschäftigt sich mit der naheliegenden Frage, ob die Aussagen Luthers zur Entleerung und zum Zunichtewerden des sich an die Werke klammernden und in seiner sich selbst meinenden Begierde völlig fehlgeleiteten Menschen nicht legitimerweise den Verdacht mystischen Quietismus wecken müssen 232 . In der Tat hatte Luther Tauler sehr geschätzt und viel von ihm übernommen: »das Zunichtewerden, Leerwerden, Gelassenwerden, Sterben, rein auf Gott harren, alles von ihm hinnehmen, die Anfechtungen im Herzen erdulden«233. Zugleich aber hat Luther »diese Begriffe Taulers […] immer wieder [hinübergeführt] in seine Sprache, die Sprache des Paulus und der Bibel«234. Statt – wie Tauler – von der ›Gottesgeburt in der Seele‹ spricht Luther vom Glauben. Die auf die unio mit Gott gerichtete Mystik Taulers bleibt Luther fremd, aber im Gedanken der »völligen Hingabe an Gott, weg von allem eige226
Siehe Bornkamm, Die theologischen Thesen, 135. WA I, 363, 28ff (Übersetzung M.K.) 228 WA I, 363, 31f (»[…] Deum in se operari et omnia agere novit.”). 229 »Es geht hier nicht um reine Leidensmystik: der redactus ad nihilum findet hier nicht Seelenruhe, Gelassenheit. Die Leiden des Kreuzes führen nicht zu einer Absonderung mit ekstatischer oder asketischer Prägung. Die destructio ist hier Sündenerkenntnis und Buße als einzige praeparatio ad gratiam.« (Bühler, Kreuz und Eschatologie, 117). 230 Nach WA I, 363, 32ff. 231 WA I, 363, 36f: »Mori, inquam, id est, mortem praesentem sentire.« 232 So Bornkamm, Die theologischen Thesen, 136. 233 AaO 137. 234 Ebd. 227
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A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
nen Tun, und im Erwarten des Heils allein von Gott her«235 ist Luther dem Mystiker wiederum nahe. Aber »er übersetzt dabei ständig Taulers Bild der Geburt in den Begriff des göttlichen Handelns«236 . Von hier aus – also streng aus dem Gegensatz von Gottes Tun und dem menschlichen Nichttun heraus – ist nach Bornkamm dasjenige zu verstehen, »was Luther damals oft, auch in den Heidelberger Thesen, über die menschliche Passivität und über das Kreuz und Leiden sagt«237. Die Passivität des Mitleidens und Mitgekreuzigtwerdens mit Christus »ist bei ihm bezogen auf den handelnden Gott und den in uns zur Wirkung kommenden Christus«238 . Das Interesse Luthers an der Passivität des Menschen vor Gott ist dabei weder quietistisch motiviert, noch – so darf man wohl hinzufügen – psychologisch als Ausdruck einer gestörten, lebensgehemmten Persönlichkeit zu begreifen, sondern in ihr gewinnt ein genuin religiöses Anliegen Gestalt: »Was heißt wahrhaft geistlich, wahrhaft aus Gott leben?«239 Luther hebt auch in den Operationes in Psalmos hier die theologia crucis ganz entschieden von der theologia mystica ab, »deren genaues Gegenteil sie ist«240 , obwohl er mystisches Vokabular noch lange verwendet. Die häufigen Erwähnungen der Passivität wären also gründlich mißverstanden, wenn sie als Quietismus gedeutet würden: »Sie bedeuten für Luther zunächst einmal die überzeugendste Gegenformel gegen den Werk- und Verdienstaktivismus, den er aus der scholastischen Theologie kannte, vor allem gegen das Gnade bewirkende ›facere quod in se est‹ des Nominalismus, das ihn bis aufs Blut gereizt hatte.«241 Die vom Menschen zu durchleidende passio ist bei Luther stets vom Glauben flankiert: durch den Glauben werden Wort und Herz aufs innigste miteinander verschmolzen, was für Luther aber »nicht Mystik, sondern Paulinismus (1. Kor 6,17)«242 ist. Dieser Weg der göttlichen Weisheit kann dem Menschen nur als Torheit erscheinen. Der Mensch muß ganz aus sich heraustreten, um Gott ›nachzuschauen‹, in Leiden und Kreuz zu sehen, wo er handelt, nämlich »durch Realitäten, nicht durch moralische Anweisungen, mit denen sich der freie, seiner Souveränität bewußte Mensch schon zu arrangieren versteht. Wer die Realitäten passiones et crux sehen lernt, ist der wahre Theologe und der wahre Glaubende. Sie umfassen beides: sowohl das Leiden und Kreuz Christi für uns wie das Tragen von Leid, Anfechtung und Kreuz innerlich und äußerlich in seiner Nachfolge. Das ist nicht voneinander getrennt.«243 235 236 237 238 239 240 241 242 243
AaO 138. Ebd. Ebd. AaO 139. AaO 138. AaO 141. Ebd. AaO 142. AaO 145f.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
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2.3. Die »kreuzestheologische Situation« – Systematisch-theologische Erwägungen zur Heidelberger Disputation Das Stehen unter dem Kreuz, fühl- und erfahrbar als der eigene, gegenwärtige Tod, in dem der Mensch auf ein Nichts reduziert wird, in dem kein archimedischer Punkt für eigenes Tun, eigene Gerechtigkeit und die Rechtfertigung eigenen Ruhmes zu finden ist, macht den Theologen des Kreuzes aus, wie er uns in der Heidelberger Disputation entgegentritt. In der Frage der Gotteserkenntnis geht es aller menschlichen Neigung zu Trotz und Spott nicht um rechte Spekulation – wir würden heute vielleicht ›Gegenstandserkenntnis‹ im Sinne verobjektivierenden Erkennens sagen. Sondern es geht hierbei um Erkenntnis als Erfahrung des Urteils Gottes über den Menschen. Der nämlich mißbraucht die in seinen Werken Gestalt gewinnende Wirklichkeit in seinem Streben, sie zum Ausgangspunkt seiner vermeintlichen Gotteserkenntnis zu machen und entstellt damit zugleich die Erkenntnis seiner selbst. P. Bühler hat diesen Sachverhalt im Blick, wenn er betont, daß die »theologia crucis […] nicht etwas materialiter Neues, eine neue Weisheit, neue opera, einen neuen Seelenzustand usw.«244 intendiere, sondern daß es ihr »allein um den rechten Umgang des Menschen mit allem, was zu seiner Wirklichkeit gehört, [gehe,] um die Unterscheidung zwischen dem rechten usus und dem verwerflichen abusus«245. Die Theologie des Kreuzes leistet dabei nicht mehr und nicht weniger, als die radikale Rückführung des Menschen auf sich selbst zur Sprache zu bringen und zwar als den, der von sich aus nichts tut und von sich aus nichts weiß, und der in dieser Rückführung auf sich selbst als ein Nichts vor Gott ›Leiden und Kreuz‹ und damit eben das Handeln Gottes an ihm anzunehmen in der Lage ist. Dies zu vermögen, heißt, in Christus und mit diesem mitgekreuzigt zu sein, so daß Luther in den Operationes in Psalmos schließlich jene prägnante Kurzformel bilden konnte: »CRUX sola nostra Theologia«246 . Das leidende und duldende ›Stehen unter dem Kreuz‹, diese Entleerung des Menschen von sich selbst und sein Zunichtewerden durch Leiden und Kreuz als das Fühlen des ihm selbst gegenwärtigen eigenen Todes können wir als die kreuzestheologische Situation bezeichnen. In ihr zu stehen ist bei Luther durchaus kein Selbstzweck. Vor einem solchen Mißverständnis bewahrt einen die schon eingangs in Aussicht gestellte Berücksichtigung der Gesamtkomposition der Heidelberger Thesen, v.a. ihre Rahmung durch die Thesen 1 und 28, auf die wir noch einzugehen haben. Dennoch kann nicht deutlich genug betont werden, daß die kreuzestheologische Situation in ihrer geradezu furchtbaren Realität überhaupt ohne jede Hinsicht auf irgendeinen »Zweck« oder 244 245 246
Bühler, Kreuz und Eschatologie, 117. Ebd. WA 5, 176, 29ff.
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A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
ein »Ziel« zu ertragen ist. Jeder ihr beigelegte Zweck, jedes Ziel, auf das sie selber schon ausgerichtet wäre, würde dem Tod des Menschen, der ›Kreuzigung des Adam‹ (probatio zur 21. These) die Wirklichkeit, den Charakter der nicht schon in ihrer Schärfe abgefangenen Realität, nehmen und den ›redactus ad nihilum‹ zur bloßen Redeweise, die aber nicht mit der gemeinten Sache dekkungsgleich wäre, verharmlosen. Das aber wäre schon wieder Herrlichkeitstheologie, in der der Mensch nun doch noch einen archimedischen Punkt behielte, von dem aus er die kreuzestheologische Situation bereits eigenmächtig wieder verlassen hätte, indem er sie auf einen Zweck oder ein ihr innewohnendes Ziel hin gedeutet und damit aber in sein Denken hinein aufgehoben hätte. Unter dem Kreuz stehen heißt, wirklich nur das Kreuz sehen und nicht von einem anderen, sichereren oder bequemeren Ort aus auf das Kreuz blicken. Das nämlich hieße, sich dem mit ihm verbundenen Tod, dem eigenen Mitgekreuzigtwerden, doch zu entziehen. Werden die Aussagen der 22. These und ihrer in der probatio von Luther gegebenen kaum mißverständlichen Erläuterungen wirklich ernstgenommen, dann muß darauf insistiert werden, daß der kreuzestheologischen Situation auf Seiten des Menschen nichts gegenübersteht, als seine verderbliche Gier, seine »cupiditas«, die sich an allem abarbeitet, was in ihre Reichweite kommt, ohne dabei je zu ermüden oder gar befriedigt zu werden. Die cupiditas aber läuft am Kreuz ins Leere, deshalb wird sie es von sich aus niemals selber für sich wählen wollen. Und dann ist klar, daß die kreuzestheologische Situation vom Menschen schlicht als Handeln Gottes an ihm anzunehmen und auszuhalten ist, sie mag dauern, solange sie dauert, und sei es ein ganzes Leben lang. Der Glaube an Gott, der sich im gekreuzigten Christus und sonst gar nicht zu erkennen gibt, wird nicht etwa in dem Wahn sogenannten ›gelingenden‹ Lebens nach den Maßstäben der menschlichen cupiditas verifiziert. Er wird überhaupt durch nichts verifiziert, solange der Mensch lebt – und ist gerade so Glaube: »Theologia crucis ist Theologie des Glaubens.«247 Auf keinen Fall nämlich darf der Mensch, durch seine cupiditas vollkommen entstellt in allem, was immer er wollen, tun und denken mag, sich zur kreuzestheologischen Situation in ein Verhältnis eigenen Urteilens setzen: er hat hier Gott an sich wirken zu lassen – und sich dessen nicht zu rühmen, und er hat auch hinzunehmen, wenn Gott nicht an ihm wirkt – ohne darüber aus der Fassung zu geraten, wie Luther in der probatio zur 24. These, das Empfinden und das Selbstbewußtsein des durch und durch von der cupiditas beherrschten Menschen auf das äußerste provozierend, ausführt. Die schneidende Schärfe, in der Luther die kreuzestheologische Situation beschreibt, wird auch nicht dadurch zurückgenommen, daß Luther in den Heidelberger Thesen noch von einem anderen Handeln Gottes reden kann, das 247
v. Loewenich, Luthers theologia crucis, 17.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
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dem ›redactus ad nihilum‹ in der kreuzestheologischen Situation positiv, schöpferisch, entspricht, ohne aber etwa als dessen innere Konsequenz schon aus diesem selbst hervorzugehen. In der 1. These spricht Luther von der »Lex Dei«, die zwar eine heilsame Lehre zum Leben sei, den Menschen aber nicht zur Gerechtigkeit befördern könne, sondern tatsächlich sehr schädlich sei 248 . These 28 dagegen spricht von der »Amor Dei«, die das, was sie liebt, nicht schon vorfindet, sondern erst schafft und sich darin von der Liebe des Menschen, die sich immer am schon vorhandenen Liebenswerten entzündet, unterscheidet249. Bornkamm sagt dazu in kaum zu übertreffender Weise: »Wenn Gottes Gesetz eine saluberrima doctrina war, die dem Menschen doch nichts hilft, so steht am Ende die creatio, die Liebe, mit der Gott sich den Menschen schafft, den er haben will, der seiner angemessen ist. Das übersteigt das Höchste, was der Mensch aus sich heraus erleben kann. […] So sind am Ende […] schließlich Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf, das zum Schaffen unfähig, aber auf Beschenkung angelegt ist, ins rechte Verhältnis zueinander gebracht.«250 Um dieses rechte Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf geht es – allgemein gesprochen – in der Kreuzestheologie Luthers. Es ist ein Lebensverhältnis, eine Begegnungswirklichkeit, und kein Verhältnis distanzierter Objekterkenntnis, sei es Gottes oder des Menschen. Das Stehen unter dem Kreuz, die kreuzestheologische Situation, ist die Situation einer Korrektur des Menschen, die so radikal ist, daß er in ihr auf Nichts reduziert seinen Tod erlebt, hierbei nicht schon beruhigt durch das Wissen, ob er auch fühlen wird, von Gott als geliebtes Gegegenüber neu geschaffen zu werden, und der gerade im Beieinanderseinlassen des erlebten Todes, des Nichtwissens um ein Ende seiner kreuzestheologischen Situation und der Hoffnung auf die auch ihn neuschaffende Liebe Gottes Gott als Gott, gegenüber dem er selber keine Ansprüche geltend zu machen hat, die Ehre gibt.
3. Kreuzestheologie als assertorische Theologie. Zur bleibenden Bedeutung des Verständnisses theologischer Sätze als assertiones bei Luther Der Anspruch der Kreuzestheologie, zur Sprache zu bringen, wie sich die Dinge in Wahrheit, d.h. im Urteil Gottes, verhalten, und den Menschen aufgrund seiner Sünde als Toten anzureden, der Leben nur aus einem Neugeschaffenwerden durch die Liebe Gottes erhoffen darf, führt zur Frage nach einer fundamentaltheologischen Verständigung über Möglichkeit und Eigenart kreuzestheologi248 249 250
So WA I, 353, 8ff. So WA I, 354, 35f. Bornkamm, Die theologischen Thesen, 133.
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A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
scher Aussagen. Und insofern Kreuzestheologie aufgrund der exklusiven konstituierenden und orientierenden Funktion des Kreuzes für den christlichen Glauben den ›Sauerteig‹ aller rechten Theologie darstellen wird, ist damit die Frage nach dem Charakter theologischer Aussagen überhaupt mitgestellt. Der kreuzestheologische redactus ad nihilum, der uns in Luthers Heidelberger Disputationsthesen und ihren Erläuterungen begegnete, diese existentielle, völlig rückhaltlose Erfahrung, daß das ganze Selbstbewußtsein eingerissen und zertrümmert wird, das auf eigene Selbstvergewisserung vor Gott aufgrund von Werken, die der Mensch sich selbst zuschreibt, aufgebaut war, kann unmöglich als ein autonomer Akt des souveränen Selbstbewußtseins selbst verstanden werden, ohne entweder als Spielart morbider Ästhetik seines letzten Ernstes beraubt zu sein oder aber in den Verdacht zu geraten, ein bedenkliches psychopathologisches Phänomen abzugeben. Folglich kann analog zu dieser Erfahrung des Kreuzes auch die Rede vom Kreuz nicht einfach als Ausdruck des Selbstbewußtseins verstanden werden, da sie sonst nicht die Wucht und Durchschlagskraft, wirklich in die kreuzestheologische Situation zu führen, haben könnte. Gerade ein im kreuzestheologischen Sinne ›frommes‹ Selbstbewußtsein könnte, da es, auf »Nichts« reduziert, nichts als Todeserfahrung wäre, niemals die Theologie des Kreuzes aus sich selber heraussetzen! Eine ausgezeichnete Möglichkeit fundamentaltheologischer Vergewisserung von Kreuzestheologie stellt der Begriff assertorischer Theologie dar, wie ihn Luther in »De servo arbitrio«251 skizziert hat. Ein solcher direkter Rückgriff auf Luther bedarf allerdings einer guten Rechtfertigung. Auf keinen Fall kann es hierbei um eine »Repristination« Lutherscher Gedanken gehen. Sondern es geht um den in der Systematischen Theologie nicht nur legitimen, sondern sogar notwendigen Versuch, die ›Theologieangebote‹ verschiedener Epochen auf das in ihnen möglicherweise bleibend Gültige hin zu befragen und dieses dann behutsam, aber konsequent in einen konstruktiven Bezug zur theologischen Problembearbeitung der eigenen Gegenwart zu setzen. Wir befassen uns also im folgenden mit einem Angebot, sich in einen Begründungszusammenhang theologischer Sätze einweisen zu lassen, das a) den paulinischen Aussagen über die Radikalität der Sünde gerecht wird und welches auf dieser Basis b) ermöglicht, das Heil des Menschen ebenso radikal zu verstehen, nämlich unter Integration des Todes und damit die Grundanliegen der theologia crucis konsequent zur Sprache zu bringen. Am Beginn von Luthers Schrift »De servo arbitrio« ist der Begriff der »assertio« der Zentralbegriff einer fundamentaltheologischen Argumentation, mit der Luther den Ursprung und die Eigenart theologischer Aussagen und deren 251 WA 18, 600–787. Siehe zum assertio-Begriff in dieser Schrift: G. Bader, Assertio. Drei fortlaufende Lektüren zu Skepsis, Narrheit und Sünde bei Erasmus und Luther (HuTh 20), 1985 sowie D. Kerlen, Assertio. Die Entwicklung von Luthers theologischem Anspruch und der Streit mit Erasmus von Rotterdam, 1976.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
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untrennbaren Zusammenhang mit dem Wesen des christlichen Glaubens überhaupt beschreiben will252 . Der christliche Glaube steht und fällt nach Luther mit den assertiones bzw. mit dem asserere: »Tolle assertiones, et Christianismum tulisti.«253 Und auf den einzelnen Christen bezogen kann Luther sagen: »Non est enim hoc Christiani pectoris, non delectari assertionibus, imo delectari assertionibus debet, aut Christianus non erit.«254 Jede dieser beiden Äußerungen legt den Schwerpunkt auf einen anderen Aspekt des »asserere«: die erste legt den Nachdruck auf den Vorgang des Bejahens (a), die zweite auf den Inhalt des Bejahten (b). Wir unterziehen beide Aspekte einer kurzen Analyse. a) Das gewisse Bejahen (asserere) Luther Definition des asserere enthält die Momente des Bekenntnisses und des Beharrens bis zum Tode: »Assertionem autem voco (ne verbis ludamur) constanter adherere, affirmare, confiteri, tueri atque invictum perseverare […]«255. Es ist nun zum rechten Verständnis des asserere schlechthin entscheidend zu sehen, daß Luther das asserere nicht den natürlichen Kräften des Menschen zuschreibt. Es ist also nicht so, daß der Mensch sich selber zu Christusverherrlichung, Christusbekenntnis und Martyrium aufschwänge. Vielmehr hat das asserere, das feste Bejahen, seinen Grund in der Gabe des Heiligen Geistes, der den Christen »de coelo […] datur, ut clarificet Christum et confiteatur usque ad mortem […]«256 . Der Heilige Geist wird Luther sogar unter der Hand zum eigentlichen Subjekt des asserere, der mit dem asserere die Initiative in der Auseinandersetzung um das rechte Selbstverständnis der Welt zu ergreifen vermag: »Denique adeo asserit spiritus, ut etiam ultro invadat et arguat mundum de pec252 G. Bader hat darauf hingewiesen, daß sich Luther in »de servo arbitrio« an zwei Grundformen des assertio-Begriffs orientiert. Gelegentlich folgt er a) dem aristotelischen Sprachgebrauch und meint dann eher unspezifisch die lehrhafte und formale Isolierung einzelner Sätze. Dem Schwerpunkt nach kommt es Luther aber b) auf einen spezifischen Gebrauch dieses Begriffes an, bei dem assertio »im ursprünglichen und materialen Sinn Evangelium [ist]. Von der Seite der claritas externa her erscheint die Assertio als in sich klares Wort, das nur darauf wartet, daß alle Verstellung, Verbiegung und Verdunkelung durch das Subjekt an ihm vergehen« (G. Bader, Assertio. Drei fortlaufende Lektüren zu Skepsis, Narrheit und Sünde bei Erasmus und Luther (HuTh 20), 1985, 169). Das asserere hat nach Bader eine rezeptive und eine aktive Seite: »Asserere ist nach Luthers Definition ein constanter adherere [Sc. Deo]; von der subjektiven Seite her ist asserere das Aussprechen der Abhängigkeit von Gott. Von innen heraus gedacht zielt dieses Aussprechen ins Leere; das adhaerere Deo bedarf des inhaerere verbo; in der Reziprozität beider vollendet sich der Begriff der Assertio. Sprache und Wille, verba und animus, claritas externa und claritas interna durchdringen sich vollständig.« (AaO 170) – Im folgenden konzentrieren wir uns auf die zweiten und theologisch entscheidende Bedeutung des assertio-Begriffes. 253 WA 18, 603, 28f. 254 WA 18, 603, 10ff. 255 WA 18, 603, 12f. 256 WA 18, 603, 29ff.
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A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
cato, velut lacessens pugnam […]«257. Denn »Spiritus sanctus non est Scepticus, nec dubia aut opiniones in cordibus nostris scripsit, sed assertiones ipsa vita et omni experientia certiores et firmiores.«258 Indem das asserere in dem hier von Luther gemeinten Sinne (Christusverherrlichung, -bekenntnis und Beständigkeit bis zum Tod) direkt von der Gabe des Heiligen Geistes und seiner damit gegebenen aktiven Gegenwärtigkeit aus gedacht wird, kann Luther im zuletzt zitierten Gedanken zum Begriff der (Glaubens-)gewißheit vorstoßen, die stärker und »evidenter« ist als die kreatürliche Selbsterfahrung und die Logik der menschlichen Vernunft. Das asserere als festes Bejahen, das auf der Gabe des Heiligen Geistes beruht, der im Grunde selber das Subjekt des asserere des Christen ist: alles liegt hier an dieser wesentlichen Verbindung des asserere mit der Gabe des Heiligen Geistes. Denn diese Verbindung entzieht das asserere dem menschlichen Verfügen, indem sie es schon im Ansatz nicht dem natürlichen Vermögen des Menschen, weder seiner Vernunft, noch seinem Willen, noch seinem Gefühl zuordnet und damit der Selbsterfahrung des Menschen und der auf diese Selbsterfahrung bezogenen Reflexion entzieht. Es ist gerade dieses pneumatische Verständnis des asserere, das die christliche Glaubensgewißheit jeder behauptenden Willkür des Menschen, die so oder so ausschlagen könnte, ebenso entzieht, wie sie sie davor schützt, zu einer fanatischen Haltung zu degenerieren, die den Menschen zwänge, alle seine ambivalenten natürlichen Kräfte aufzubieten, um sich selber einzureden, was doch allein vom göttlichen Geist in das Herz des Menschen geschrieben werden muß. In fundamentaltheologischer Hinsicht leiten diese Beobachtungen an Luthers pneumatologischem Begriff des asserere zu der Konsequenz, daß theologisches Begreifen mit der durch den Heiligen Geist gewirkten Gewißheit des christlichen Glaubens in Bezug auf das Handeln Gottes zu rechnen hat. Theologisches Denken muß im Spannungsfeld von Gotteshandeln und Glaubensgewißheit vollzogen werden und das heißt, es muß sich durch das asserere des Heiligen Geistes seinen Gegenstand geben lassen. Andernfalls hörte es auf, theologisches Denken zu sein, weil es seinen Gegenstand aufgäbe, der es überhaupt erst zu theologischem Denken macht. b) Das mit Gewißheit Bejahte (assertio) Indem Luther als Zweck der Gabe des Heiligen Geistes die Verherrlichung und das (bis hin zum Martyrium durchzutragende) Bekenntnis Christi anführt, nennt er den inhaltlichen Inbegriff des asserere. Denn dieses kann und soll sich nach seiner Auffassung nicht auf jede beliebige Meinung oder Lehre beziehen, 257 258
WA 18, 603, 31ff. WA 18, 605, 32ff.
1. Exegetische Einsichten zur paulinischen Rede vom Kreuz
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sondern »loquor de rebus illis asserendis, quae nobis traditae sunt divinitus in sacris literis«259 Die letzte Bemerkung muß selbstverständlich auf dem Hintergrund des pneumatischen Charakters des asserere gelesen werden, das Christus zum Inhalt hat und damit Gott als den, der den Menschen gerecht macht und gerecht spricht. Das asserere darf also nicht rein formal verstanden werden, sondern ist von den christologisch-soteriologisch bestimmten assertiones aus zu begreifen. Dem entspricht die in der Einleitung von »De servo arbitrio« festgestellte Bewegung des asserere, die in der göttlichen Initiative der Gabe des Heiligen Geistes ihren Ursprung hat. Diese Bewegung besteht darin, daß der göttliche Geist in der durch ihn geschenkten Christusgewißheit Gotteserkenntnis ermöglicht. So kommt die augenscheinliche (Selbst-)Erfahrung des Menschen in der sie sozusagen unendlich übersteigenden Glaubensgewißheit (die material Rechtfertigungsgewißheit ist) zum Ziel. Fundamentaltheologisch bedeuten Luthers Ausführungen zu den assertiones als dem Inhalt des asserere, daß theologisches Denken, das sich durch das asserere des Heiligen Geistes seinen »Gegenstand« geben läßt, eben durch diesen »Gegenstand« christologischsoteriologisch orientiert sein wird. Diese kurzen Überlegungen zu den beiden Grundaspekten des asserere (dem gewissen Bejahen und dem mit Gewißheit Bejahten) lassen nachvollziehen, warum mit den assertiones für Luther der christliche Glaube und mit dem asserere das Christsein insgesamt steht und fällt. Luther will unterstreichen, daß theologische Positionen aus der Einheit die vergegenständlichende Aussage sich mit ihrem Gegenstand einen müssen, um überhaupt als theologische Aussagen identifizierbar zu sein. Da diese Deckung von Aussage und Sache sich aber nicht anders denn pneumatisch ereignet, ist der Theologe als Adressat des Geistes Gottes immer auch selber involviert. (Das entspricht dem auffälligen Umstand, daß Luther in der Heidelberger Disputation sowohl von der theologia crucis als auch vom Theologus crucis geredet hatte.) Theologische Sätze müssen als solche selber assertorisch sein und dürfen die ihnen vorgegebenen assertiones und das ihnen vorausbleibende pneumatische asserere nicht methodisch derart in Zweifel ziehen, daß eine mögliche Evidenz der assertiones bzw. des asserere außerhalb der geistgewirkten Glaubensgewißheit zu suchen und abzusichern bzw. zu bestreiten wäre (etwa durch Gründe der Vernunft, der natürlichen Selbsterfahrung des Menschens oder seines Gefühls). Mit seinen Ausführungen zum asserere und zu den assertiones umreißt Luther in »De servo arbitrio« die »conditio sine qua non« jeder theologischen Aussage. Es geht um die Frage, ob theologisches Denken Kriterien seiner Sachgemäßheit sucht, die außerhalb der von ihr zum Gegenstand gemachten Wirklichkeit des Handelns Gottes selber liegen, oder ob sie sich als dem einzigen Kriterium ihrer Sachgemäßheit dem gewißmachenden und Christus beglaubi259
WA 18, 603, 14f.
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A. Das »Wort vom Kreuz« und die »Kreuzestheologie«
genden Zeugnis des Heiligen Geistes selber unterstellt. Im ersten Fall würde sie notwendig der Skepsis verfallen, da Aussagen über Gott nur von Gott her beglaubigt werden können und unter Anwendung außertheologischer Kriterien mit Notwendigkeit bezweifelt und grundsätzlich als unwahr bestritten werden müssen, weil sie keiner der menschlichen Vernunft oder der menschlichen Selbsterfahrung gegebenen »Sache« entsprechen und von Wahrheitskriterien, die aus diesen Wirklichkeitsbereichen stammen, gar nicht angemessen erfaßt werden können. Im zweiten Fall dagegen wird sie assertorische Theologie sein, die dem asserere des Heiligen Geistes nachdenkt und in das Verstehen der damit untrennbar verbundenen materialen assertiones einweist. Der auch in ihrer pneumatischen Verifikation immer vorausgesetzte Christusbezug ist ihr diejenige Externität, die sie vor bloßer Behauptung oder gar christlich verbrämter Ideologie prinzipiell bewahrt. Assertorische Theologie ist dabei eine durch und durch kritische Theologie, denn ihr Vollzug ist ein komplexer Verstehensvorgang, nämlich wesentlich Schriftauslegung im Hinblick auf den Christus crucifixus als dem externen Kriterium aller theologischen Sätze. Assertorische Sätze haben keine Selbstvergewisserung des Subjektes im ›modernen‹ Sinne zur Voraussetzung, sondern sind gleichursprünglich mit der extern, pneumatisch, generierten Glaubensgewißheit des Menschen. Dieser Ursprung ist das rechtfertigende Handeln Gottes in Christus, in das der Mensch als »Mitgekreuzigter« eingeholt werden soll. Der Verifikationszusammenhang ist also der des göttlichen Handelns selber: nämlich der des Todes des Sünders als einem mit Christus Mitgekreuzigten, dessen Leben allein das Neugeschaffensein aus der Liebe Gottes selber ist.
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B. Theologie des Kreuzes. Eine systematisch-theologische Skizze 1. Was ist Kreuzestheologie? Versuch einer Definition Im theologiegeschichtlichen Teil dieser Arbeit haben wir eine Reihe von Entwürfen untersucht, deren jeder auf seine Weise den Anspruch erhebt, theologia crucis zu realisieren. Die Legitimität dieses Anspruchs schien durchweg dadurch abgesichert zu sein, daß man sich auf die »loci classici« der Kreuzestheologie – das erste und zweite Kapitel des Korintherbriefes und v.a. die Thesen 19 und 20 der Heidelberger Disputation Martin Luthers – zurückbezog und von dort aus gegenwartsrelevante Folgerungen für das Verständnis von Gott, Mensch und Wirklichkeit zu ziehen versuchte. Diese Folgerungen freilich haben sich als recht disparat herausgestellt: zwischen der konsequent soteriologischen Perspektive, in der beispielsweise Gerhard Ebeling seine Kreuzestheologie entfaltet, und der politisch-operationalisierbaren Abzweckung, auf die die Moltmannsche Interpretation des Wortes vom Kreuz durch und durch zielt, hatte sich ein Graben aufgetan. Dadurch war nicht allein die Frage aufgeworfen worden, ob jener Rückbezug auf die kreuzestheologischen loci classici an sich schon die Generierung von »Kreuzestheologie« sicherzustellen vermag. Sondern es hatte sich noch drängender das Problem gestellt, ob es überhaupt legitim ist, so selbstverständlich im Singular von »der« Kreuzestheologie zu sprechen anstatt vorsichtiger im Plural von »den« Kreuzestheologien. Der Begriff Kreuzestheologie und der ihm inhärente exklusive Anspruch, stets »die eine« rechte Interpretation des Wortes vom Kreuz zu entfalten, steht scheinbar quer zu dem theologiegeschichtlichen Befund, daß uns »die« Kreuzestheologie nur in einer Pluralität von verschiedenen Kreuzestheologien begegnet. Wenn wir das Auftreten von Kreuzestheologien lediglich als theologiegeschichtliches Phänomen betrachten wollten, müßten wir in der Tat bei der Konstatierung dieses Befundes – bezogen auf einen definierten Zeitraum – stehenbleiben. Als Historiker müßten wir die Frage, ob es »die« Kreuzestheologie gibt oder überhaupt geben kann, unbeantwortet lassen. Der Theologiehistoriker könnte allenfalls feststellen, daß die einzelnen Kreuzestheologien in einer Intention konvergieren, nämlich eine angemessene Interpretation der Botschaft vom Kreuzestod Jesu Christi und seiner Bedeutung für den Menschen zu liefern. Aber die Gemeinsamkeit der Intention scheint uns doch zu wenig zu sein,
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
um bereits von einer gemeinsam vertretenen Theologie reden zu können. Der Begriff »Kreuzestheologie« besitzt deutliche Konturen hinsichtlich seiner paulinischen und lutherischen Wurzeln, auf die sich die Autoren des 20. Jahrhunderts alle zurückbeziehen. Er verliert aber enorm an Schärfe hinsichtlich der Akzentuierung dieses Rückbezuges und der aus ihm gezogenen systematischen Konsequenzen. Müssen wir angesichts dieser Tatsachen von einem Scheitern der kreuzestheologischen Arbeit im 20. Jahrhundert reden? Haben die immer neuen, in teilweise sehr unterschiedliche Richtungen auseinandergehenden, Anläufe uns nicht mehr vor Augen führen können, als das offenbare Unvermögen, zu einer theologisch verantworteten Übereinstimmung im Verständnis des Kreuzesgeschehens zu kommen? Hat die erstaunliche Hochkonjunktur des Begriffes »theologia crucis« im 20. Jahrhundert wirklich nicht zu mehr geführt, als Luthers berühmtes Dictum ›Crux sola nostra theologia‹ zu einer Leerformel werden zu lassen, die allenfalls noch unbestimmtes, bei näherem Hinsehen rasch verpuffendes, reformatorisches Pathos heraufbeschwört? Das Gegenteil ist der Fall. Der disparate und zunächst vielleicht entmutigende theologiegeschichtliche Befund entspricht bei tieferer Betrachtung sehr genau der »Torheit«, als die Paulus das Wort vom Kreuz den nach Weisheit fragenden Griechen zuzumuten hatte (1 Kor 1,22f). Indem das Wort vom Kreuz in systematisches Denken überführt wird – und es muß in dieses überführt werden, um überhaupt verstanden werden zu können! – wird die dem Denken anstößige Torheit des Kreuzes gleichsam aus der Not der Verstehensaufgabe heraus in menschliche Weisheit transponiert, nämlich in kohärentes und relevantes1 Denken in Begriffen und Sätzen. Der das Wort vom Kreuz verstehen wollende Denkakt unterläuft damit notwendig den Charakter der Torheit der Kreuzesbotschaft, indem er den sich am Kreuz vollziehenden absoluten göttlichen Widerspruch gegen den Menschen als Sünder in den Denk- und Redeformen eben dieses Sünders zu begreifen und zu artikulieren sucht. Das wiederum bedeutet, daß jeder Anlauf, theologia crucis zu betreiben, das Wort vom Kreuz selbst gleichsam prinzipiell, also vom ersten Anfang an und bleibend, gegen sich hat. Anders gesagt: Kreuzestheologie zerbricht in eben dem Moment, in dem sie sich im theologischen Denken manifestiert, an eben dem Wort vom Kreuz, das sie ja zu verstehen und auszulegen beabsichtigt. Würde sie diesem Zerbrochenwerden durch ihren »Gegenstand« widerstehen wollen, wäre sie keine Kreuzestheologie, sondern Theologie der Herrlichkeit, ein menschliches Geschäft, das sich als solches vom lebendig machenden Gott nicht stören lassen will, selbst wenn es sich das Zeichen des Kreuzes zum ›Logo‹ erwählte. 1 Vgl. P. Bühler, Kreuzestheologie und Soteriologie zwischen Neuem Testament und systematischer Theologie (in: A. Dettwiler / J. Zumstein [Hg.], Kreuzestheologie im Neuen Testament [WUNT] 151, 264–281), 274, der die systematisch-theologische »Aufgabe der Kohärenz und Relevanz« (ebd.) bereits bei Paulus und Luther gestellt sieht.
1. Was ist Kreuzestheologie? Versuch einer Definition
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Diese – aus der Sicht theologischen Systemstrebens nur als Dilemma zu bezeichnende – Lage bildet sich klar im theologiegeschichtlichen Befund der kreuzestheologischen Arbeit im 20. Jahrhundert ab: von dem gemeinsamen Rückbezug auf Paulus und Luther tasten sich die Kreuzestheologien im Versuch, jeweils bestimmte soteriologische oder gar gesellschaftlich-politische Problemstellungen zu bearbeiten, nach vorne, um aber im Ergebnis gleichsam an ganz unterschiedlichen Zielpunkten zu erstarren und die kreuzestheologische Aufgabe, nämlich das Wort vom Kreuz verstehend auf die Gegenwart hin auszulegen, neu aus sich herauszusetzen. Gerade darin aber geben sie – ob dies nun von den Verfassern im einzelnen intendiert ist oder nicht – dem Wort vom Kreuz die ihm gebührende Ehre. Jede Theologie des Kreuzes ist als solche vor ihrem Gegenstand selber eine Torheit: eine solche allerdings, die hinzunehmen, ja sogar aktiv zu begehen ist, solange der Mensch in der Zeit dieser Welt aus dem Glauben heraus zu leben hat, der es auf das Wort vom Kreuz hin wagen muß, weil es Gott selber gefallen hat, sich eben so und nicht anders zur Sprache und zur Geltung zu bringen. Allein im Wissen um diese prinzipielle Torheit derjenigen theologischen Bemühung, die wir »Kreuzestheologie« nennen, und in der sich die paradoxe Struktur des Wortes vom Kreuz also in der Denk- und Redeform seiner Auslegung selber einzeichnet, kann der systematische Geltungsanspruch des einzelnen kreuzestheologischen Entwurfs ertragen werden. Der Anspruch, als Mensch in der Auslegung des Wortes vom Kreuz die ›Dinge beim Namen zu nennen‹ (nach Luthers 21. Heidelberger Disputationsthese), ist töricht. Aber dennoch kann er nicht ermäßigt werden. Der Anspruch, als Kreuzestheologe Gültiges zu sagen, wird durch die Torheit des Kreuzes selber zur Torheit und ist zum Scheitern verurteilt. Aber auch der Verzicht auf die Absicht, hier Gültiges zu sagen, wäre ein Ausweichmanöver vor der Torheit des Kreuzes, die ja Gott weder zum Verschwinden noch zum Schweigen bringt, sondern gerade eine dem durch Gott ins Werk gesetzten Heil des Menschen zutiefst angemessene Redeform sein will. Auf diesem Hintergrund – neben der schon erwähnten Disparatheit der besprochenen Entwürfe – ist es unabdingbar, daß jede der untersuchten Kreuzestheologien den (jeweils genau zu begründenden) Anspruch erhebt, Gültiges auszusagen. Jede Kreuzestheologie wird dabei von ihrem Ursprung her ein eminent geschichtliches Bewußtsein ihrer selbst entwickeln. Gerade der sich durch die Geschichte der kreuzestheologischen Arbeit durchziehende Impetus, zum Wesenskern des christlichen Glaubens überhaupt vorzustoßen, ist ein genuin reformatorischer Traditionsanschluß, also ein solcher, der, vermittelt durch die hermeneutische Erschließungsarbeit des Theologen, gegenwartsrelevante theologische Durchschlagskraft gewinnen will. Dieser reflektierte Bezug eines geschichtlichen Standpunktes (also des Rückbezuges auf Paulus und Luther mit dem Ziel, die jeweilige Gegenwart theologisch gültig zu deuten), führt bei den besprochenen Kreuzestheologen nun kei-
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
neswegs zu einer historischen Relativierung der eigenen kreuzestheologischen Position und ihres systematischen Geltungsanspruches. Auch eine solche Selbstrelativierung wäre ein Scheitern gegenüber der Torheit des Wortes vom Kreuz, daß ja als Logos wesentlich zur Rede drängt, auch wenn diese Rede in ihrer Form menschlicher Weisheit immer wieder selber töricht in dem Sinne ist, daß sie das Wort vom Kreuz nicht in einer menschlichen Denk- und Redeform einzuholen oder gar bleibend festzuhalten vermag. Kreuzestheologie, die vom Bewußtsein dieser Ambivalenz geprägt ist, hat assertorischen Charakter 2 . Denn sie unterstellt ihren Geltungsanspruch einerseits dem bleibenden Rückbezug auf das ihr immer und unhintergehbar vorausgesetzte Wort vom Kreuz, sie setzt diesen Geltungsanspruch der Verifikation durch die pneumatisch generierte Erfahrung der Glaubenden3 aus, und sie begreift sich in letztem Ernst vor dem Horizont des Gerichtes Gottes (1 Kor 4,3– 54), in dem auch der Kreuzestheologe seine Rede über Gott und Mensch angesichts des auferweckten Gekreuzigten selbst zu verantworten hat. Diese dreifache, und dem Theologen selber doch in ihrem pneumatischen Moment zuletzt immer entzogene, Ausbalancierung der kreuzestheologischen Arbeit unterscheidet die kreuzestheologischen Assertiones von ideologischen Behauptungen ebenso wie von bloßen und – weil nicht effektiv leistbaren – hochproblematischen Selbstvergewisserungsversuchen des sich als Subjekt begreifenden Menschen. Sie unterscheidet die kreuzestheologische Arbeit von theologia gloriae in ihren zahlreichen – und keineswegs nur mittelalterlich-scholastischen – Spielarten. In der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der einzelnen Kreuzestheologien hält sich ein kontinuierliches Moment durch, das bereits Paulus der Kreuzestheologie mit seiner Entgegensetzung von Welt- und Gottesweisheit eingestiftet hat: Kreuzestheologie ist – zunächst ganz formal gesagt – widersprechende Theologie. Der Widerspruchscharakter der Kreuzestheologie muß sich im Idealfall auf zwei Ebenen artikulieren, die jedoch auf das engste zusammengehören: Es wird zum einen der vom Wort vom Kreuz her ergehende Widerspruch gegen die jeweils namhaft zu machenden »Mächte« sein, die das Leben des Menschen in Unwahrheit, Unfreiheit und Hoffnungslosigkeit verkehren und damit zerstören5. Kreuzestheologie artikuliert immer wieder neu den radikalen und un2 Siehe hierzu oben unsere Ausführungen zur bleibenden Relevanz von Luthers Auffassung assertorischer theologischer Rede. 3 Vollenweider kann in der Exegese von 1 Kor 1,26–2,5 davon sprechen, »dass Paulus der Glaubenserfahrung die Verifizierung des Wortes vom Kreuz zutraut. Die Erfahrung der Glaubenden zeugt von der Wahrheit dessen, was in der Rede vom Kreuz zur Sprache kommt.« (Vollenweider, Weisheit, 50). 4 Siehe dazu wieder Vollenweider, aaO 55. 5 Das Musterbeispiel für den Versuch, Kreuzestheologie auf ganz konkret benannte lebenshemmende und – zerstörende Verhältnisse hin zu entwerfen, ist die politische Kreuzestheologie J. Moltmanns.
1. Was ist Kreuzestheologie? Versuch einer Definition
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versöhnlichen Widerspruch gegen die von diesen Mächten entstellte Rede von Gott, gegen die Herrlichkeitstheologie. Zum andern aber wird Kreuzestheologie radikal den fundamentalen Widerspruch artikulieren, der im Kreuzestod Jesu von Gott her gegen die Sünde des Menschen überhaupt ergeht. Dieses ist die eigentlich theologische Ebene, ohne die es nicht legitim ist, wirklich von Kreuzestheologie in dem Sinn zu reden, daß damit eine auch exegetisch ausweisbare Rezeption der paulinischen Kreuzesbotschaft gemeint ist6 . Denn die Sünde ist der situative Horizont des Menschen, seines Denkens, Wollens und Handelns, der überhaupt erst den Daseinsmächten zur Macht verhilft. Aber insofern das Leben des Menschen notwendig »leiblich« ist, also eine greifbare Gestalt selbst in ungeäußerten Gedanken und nicht mitgeteilten Gefühlen besitzt, gehört zu der Adressierung der Sünde auch die Reflexion ihrer »Symptome« in den stets variierenden Daseinsverhältnissen des Menschen in die Kreuzestheologie hinein. Ohne die Auslegung in einen konkreten situativen Kontext hinein bliebe Kreuzestheologie allenfalls ein museales Relikt theologischer Vergangenheit; ohne ihr materiales Fundament, nämlich das soteriologisch verstandene Kreuzesgeschehen, zu dem unlösbar seine pneumatische Vergegenwärtigung im Wort vom Kreuz gehört, würde sie zu einem bloßen pathetischen Schlagwort und schlimmstenfalls zu einer ideologieanfälligen Worthülse verkommen. Die systematisch-theologische Aufgabe, Kreuzestheologie zu betreiben, stellt sich auch heute. Auch heute hat sich die Theologie wieder neu dem Anspruch zu stellen, daß Paulus mit seiner Kreuzestheologie nicht eine »spezielle Variante der Christologie«, sondern »eine bestimmte Form von Theologie«7 – und dies als »fundamentale Explikation des Evangeliums«8 mit einem »kriteriologischen Anspruch […], die theologische Reflexion im Blick auf ihre Übereinstimmung mit dem Evangelium«9 zu prüfen, entworfen hat. Die Frage nach »der« Kreuzestheologie als Ausdruck der genuinen Aufgabe systematischer Theologie, den Brückenschlag von der biblischen Überlieferung sowie ihrer Rezeption und Interpretation in der Geschichte von Theologie und Kirche in die jeweilige Gegenwart hinein zu wagen, ist also nicht nur legitim, sondern ebenso geboten wie der Versuch, sie auch verbindlich zu beantworten. Das kritische Potential der Kreuzestheologie entfaltet sich nur im Wagnis, das Wort vom Kreuz vernehmbar zur Sprache zu bringen, und ihr Widerspruchscharakter kommt eben nur im Widerspruch zur Geltung, der sich nicht sogleich selber wieder zurücknimmt. Auch dieser Geltungsanspruch ist bereits paulinisches 6 Das Musterbeispiel für den Entwurf einer Kreuzestheologie, die zentral von diesem Fundamentalwiderspruch Gottes gegen die Sünde des Menschen und den Menschen selber, insofern er Sünder ist, ausgeht, ist die Theologie G. Ebelings. 7 Beide Zitate bei K. Haldimann, Kreuz – Wort vom Kreuz – Kreuzestheologie,1. 8 AaO 2. 9 S. Vollenweider, Weisheit, 44.
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
Erbe, von Martin Luther in der Heidelberger Disputation kongenial auf die theologische Frontstellung seiner Zeit bezogen worden, und stellt einen mehr oder minder stark zutagetretenden Charakterzug aller von uns untersuchten kreuzestheologischen Entwürfe dar. Was den fast schon autoritär zu nennenden Impetus von theologia crucis von theologia gloriae unterscheidet, ist das oben bereits angesprochene, unvermeidliche Scheitern der Kreuzestheologie am Wort vom Kreuz selbst, sobald sie zum »Entwurf« geronnen ist. Die göttliche Weisheit des Kreuzes Christi und die menschliche Torheit seiner aneignenden Interpretation und Explikation selbst im unter größter Demut unternommenen theologischen »Entwurf« fallen hier augenscheinlich ineins, ohne sich aber je zu vermischen: die göttliche Weisheit des Kreuzes Christi wird in der menschlichen Torheit des theologischen Entwurfs vielleicht punktuell einmal berührt, in der assertio vollmächtig zur Sprache und zur Geltung gebracht, niemals aber aufgehoben. An dieser Stelle sei nun der Versuch gewagt, das Wesen von Kreuzestheologie systematisch-theologisch in drei Thesen zu umreißen: 1. Kreuzestheologie ist diejenige Vergegenwärtigung des Evangelium von Gottes freier, dem Menschen im Glauben zugewandten Gnade, die ihren Grund und ihr Maß allein im paulinischen »Wort vom Kreuz« sucht und findet. Kreuzestheologie als exklusive Orientierung der Theologie am Wort vom Kreuz ist möglich und legitim, weil und insofern Paulus selber nach 1 Kor 2,2 in der Lage war, das Evangelium zu verkündigen, indem er es (in Korinth) für angemessen hielt, »nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten«.
2. Kreuzestheologie vergegenwärtigt das Evanglium in materialer Hinsicht dergestalt, daß der am Kreuz Christi sich als Ereignis und Botschaft zugleich manifestierende Widerspruch Gottes gegen die den Menschen beherrschenden Mächte der Sünde und des Todes unhintergehbar ins Zentrum gestellt wird, damit auch die Bejahung des Menschen durch Gott als dem in jenem Widerspruch von seiner Sünde Freigesprochenen ebenso unhintergehbar zur Sprache gebracht werden kann. Paulus identifiziert in 1 Kor 1 und 2 das Unheil des Menschen mit dessen Unfähigkeit, Gott mit seiner eigenen, menschlichen Weisheit zu erkennen. Indem Gott im gekreuzigten Christus die »Weisen zuschanden« macht und »das Verachtete« erwählt (1 Kor 1, 27), erhält eben dieses ein neues, heilvolles Sein in Christus, »der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und Heiligung und zur Erlösung« (1 Kor 1,30).
3. Kreuzestheologie prüft in fundamentaltheologischer Hinsicht mit dieser Explikation des Evangeliums zugleich auch die theologische Reflexion selber hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit dem Evangelium. Sie erfüllt damit eine kriteriologische Funktion auf einer metareflexiven Ebene gegenüber sich selbst und auch gegenüber aller anderen, nicht explizit und intentional als Kreuzestheologie entworfenen theologischen Rede von Gott und dem Menschen.
2. Kreuzestheologie und negative Theologie
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Paulus weist in 1 Kor 2, 3f unmißverständlich auf die Kreuzförmigkeit seiner Verkündigung des Evangeliums hin: die Verkündigung zielt darauf, daß der Glaube allein auf »Gottes Kraft«, nicht aber auf »Menschenweisheit« (1 Kor 2,5), deren soteriologische Impotenz Paulus zuvor ausführlich unterstrichen hatte, steht. Indem Paulus das Heil exklusiv am Kreuz Christi festmacht, und die Denk- und Redeform dieses Heils eben dieser Koppelung entsprechen muß, um sachgemäß zu sein, hält er die Verkündigung für ihre pneumatische Verifikation (vgl. 1 Kor 2, 10ff) offen. Die Form der Verkündigung – und damit auch die Gestalt theologischer Reflexion – wird damit durch die exklusive Orientierung am Kreuz Christi bei ihrer »Sache« gehalten, nämlich davon zu reden, daß Gott allein das Heil des Menschen – und zwar ausschließlich am Kreuz Jesu Christi – ins Werk setzt und er allein es dem Menschen im Glauben zueignet und sein Geist allein es dem Glaubenden gleichsam »wahr macht«.
2. »Gott ist anders anders« – Überlegungen zum Verhältnis von Kreuzestheologie und negativer Theologie »Gott ist anders anders«10 – mit dieser Zuspitzung hatte Samuel Vollenweider in seiner Exegese von 1 Kor 1,18–25 zum Ausdruck bringen wollen, daß die paulinische Entgegensetzung von Kreuz und Weltweisheit keineswegs auf eine »negative, apophatische Redeweise«11 hinauslaufe. Gott ist nicht in dem Sinne anders, daß man gar nicht von ihm sprechen könnte. Über bloße Paradoxe drängt das Evangelium hinaus, denn es will die vor der Welt als Torheit dastehende Weisheit Gottes »im Erfahrungsbereich der Glaubenden« als die »weisere Weisheit und stärkere Kraft Gottes«12 identifizieren. Wir verzichten hier darauf, im Detail nach Vollenweiders Erfahrungsbegriff zu fragen und halten fest, daß das Evangelium in der Redeform des Wortes vom Kreuz Gott nicht ins Unsagbare entschwinden läßt. Er ist nicht in dem Sinne »anders«, daß mehr als die Feststellung dieses seines Andersseins nicht von ihm gesagt werden könnte, sondern er ist »anders«, damit von ihm als dem geredet werden kann, der den Menschen gerade in dem bewahrt, wo dieser sonst verstummt: in Leiden, Vergänglichkeit und Tod, dem »toten Winkel des menschlichen Erkenntnislichts, in der Schattenzone der ›Weisheit dieser Welt‹«13, wie Vollenweider es ausdrückt. Angesichts des Kreuzes Christi ist also menschliches Verstummen keine wirkliche Option. Gott ist am Kreuz zwar verborgen, aber nicht verschwunden, er ist als Gott verborgen, aber in dieser Verborgenheit als Gott anwesend. Daß Paulus das Kreuz Christi in seiner Entfaltung des Evangeliums nicht nur nicht übergangen, sondern als sachliches Zentrum seiner Verkündigung zur 10 11 12 13
Vollenweider, Weisheit, 49. Ebd. AaO 50. Ebd.
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
Geltung gebracht hat, zeigt, daß gerade von dieser Anwesenheit Gottes in der Verborgenheit des Kreuzes geredet werden muß – aber so, daß die Rede von Gott unter der Bedingung eben dieser seiner Verborgenheit zu geschehen hat. Wir haben im vorangegangenen Abschnitt bereits darauf hingewiesen, daß die Mittel menschlicher Weisheit, in denen auch die kreuzestheologisch verantwortete Rede von Gott und vom Menschen notwendig entworfen wird, angesichts der Torheit des Kreuzes selber zur Torheit werden, also ihre Unzulänglichkeit und Dürftigkeit nicht verbergen können. Diese kreuzestheologische Aporie, daß die Rede von Gott, die ihr Maß am gekreuzigten Christus findet, unmöglich nicht selber die Grenze der Weltweisheit überschreiten kann, insofern sie – was sie andererseits notwendig sein muß – vernünftige, auf Verstehen angelegte Rede ist14 , und dadurch unausweichlich von der Torheit des Kreuzes selber zur Torheit gemacht wird, könnte nun dazu verlocken, einen Ausweg in der Position zu suchen, daß von Gott eigentlich gar nicht geredet bzw. von ihm nur ausgesagt werden kann, was und wie er nicht ist. Deus definiri nequit: damit würde die beschriebene Aporie der Kreuzestheologie in eine Spielart negativer Theologie münden. Eberhard Jüngel hat diesen Weg unter Verweis auf den den Menschen rechtfertigenden Gott, der sich am Kreuz des Christus zu erkennen gegeben hat, entschieden zurückgewiesen: »Ist Gott der den Menschen Rechtfertigende, dann ist damit auch gesagt, wer oder was Gott ist. […] Der Rechtfertigungsglaube behauptet deshalb, daß Gott, indem er den Menschen rechtfertigt, zu erkennen gibt, wer er eigentlich ist. Und da die Rechtfertigung des Gottlosen durch Gott im Ereignis der Identifizierung Gottes mit dem gekreuzigten Menschen Jesus geschehen ist, hat sich theologisches Denken von diesem christologischen Ereignis sagen zu lassen, was Gott – und was Mensch – zu heißen verdient.«15 Ralf Stolina hat in seiner Arbeit über negative Theologie, »Niemand hat Gott je gesehen«16 , kritisiert, daß Jüngel es unterlassen habe zu fragen, »ob es auch einen theologischen Begriff negativer Theologie gibt, welche ihrerseits sinnvoll ist für eine dem Evangelium entsprechende Rede von Gott«17. So komme bei Jüngel z.B. die negative Theologie »als konsequente Kreuzestheologie bei Przywara«18 nicht in den Blick. Stolina selbst schlägt als systematisch-theologische Summe seiner Exegesen der negativen Theologien von Dionysius Areopagita, Johannes vom Kreuz, Erich Przywara, Eberhard Jüngel und Bernhard Welte 14 Jüngel hat mit Recht darauf hingewiesen, daß Theologie auf »eine dem gekreuzigten Jesus Christus entsprechende Sprache bedacht« ist und eben deshalb vor der Aufgabe steht, »Gott zu denken. Wer verantwortlich von Gott reden will, muß Gott denken. Er darf die Arbeit am Gottesgedanken nicht scheuen.« (Jüngel, Geheimnis, 308f) 15 Jüngel, Geheimnis, 315. 16 R. Stolina, Niemand hat Gott je gesehen. Traktat über negative Theologie, 2000. 17 AaO 75. 18 Ebd.
2. Kreuzestheologie und negative Theologie
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einen eigenen Begriff negativer Theologie vor, der diese auf das Ziel hin orientieren soll, »zur Wahrung der Verantwortung und Rechenschaft des Glaubens in einer der konkreten Offenbarung und Mitteilung Gottes angemessenen Weise von Gott zu sprechen, der in seiner Offenbarung verborgen bleibt, dem Menschen unverfügbar«19. Es geht ihm bei dem Projekt negativer Theologie gerade nicht darum, die Sagbarkeit Gottes zu verneinen oder aber via negativa »zu einem wie auch immer gefaßten höchsten Sein oder Absoluten vorzudringen«20 . In der Überzeugung, von einer Unsagbarkeit Gottes nicht aus »Platons Geist« heraus reden zu können, stimmen Jüngel und Stolina sachlich überein 21. Allerdings schüttet Jüngel in Stolinas Augen das Kind mit dem Bade aus, wenn er von hier aus eine theologisch – und das heißt für ihn vor der Selbstoffenbarung Gottes in seinem Wort 22 , das als Wort vom Kreuz »eine Gott definitiv zur Sprache bringende Proklamation«23 ist – verantwortete negative Theologie generell für unsachgemäß hält. Stolina seinerseits, so läßt es sich straff zusammenfassend zuspitzen, kommt nun auf demselben kreuzestheologischen Fundament zur negativen Theologie, von dem aus Jüngel diese gerade kategorisch ablehnt. In der Tat – so Stolina – besitzt die negative Theologie ein »Negationsmoment«24. Allerdings wird das letzte Wort der negativen Theologie eben nicht als Negation gesprochen, sondern ihr Negationsmoment ist »auf das Empfangen und Vernehmen der Mitteilung Gottes, mithin das Affirmationsmoment ausgerichtet«25. Negations- und Affirmationsmoment sind die beiden »Vollzugsmomente«, deren »formaler Oberbegriff«26 der der negativen Theologie ist. In diesem Gefälle vom Negations- zum Affirmationsmoment folgt negative Theologie treu der Offenbarung Gottes, beide zusammen »stellen die theologischen Vollzugsmomente für ein empfangendes Vernehmen der Mitteilung des in seiner Offenbarung verborgenen Gottes dar«27. Es ist eine der zentralen Absichten Stolinas, durch seinen Begriff negativer Theologie die »Unverfügbarkeit Gottes«28 zu wahren, die ihren »gewichtigsten theologischen Ausdruck […] im paulinischen Wort vom Kreuz«29 gefunden hat. Das Wort vom Kreuz redet davon, daß die menschlichen Erkenntniserwartungen im Hinblick auf Gott und die mit ihm verbundenen »Erfahrungserwar-
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
AaO 125. Ebd. Vgl. Jüngel, Geheimnis, 318 und Stolina, Negative Theologie, 74. Vgl. Jüngel, Geheimnis, 311. AaO 312. Stolina, Negative Theologie, 125. AaO 124. Ebd. AaO 125. Vgl. u.a. aaO 137. Ebd.
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
tungen«30 von Gott selbst »durchkreuzt«31 werden. Entscheidend ist dabei aber, daß dieses ›Durchkreuzen‹ keine absolute Negation meint: »Vehement verweist Paulus auf das Kreuz als den Ort, an dem sich Gott der Welt mitgeteilt und sich seine Gnade ereignet hat; nichts will daher Paulus wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten (1 Kor 2,2), der auch als der Auferstandene der Gekreuzigte bleibt und dessen Gnade ebenfalls, wie die Rede vom Mitgekreuzigtwerden vor Augen führt, kreuzgestaltig ist. Mit ihm sind die Glaubenden verbunden und ihm sollen sie in der Nachfolge gleichgestaltet werden.«32 Indem Stolina seinen Begriff negativer Theologie auf das engste an den Gedanken der Selbstoffenbarung Gottes anmodelliert, die bleibend auf das Empfangen dieser Offenbarung durch den Menschen und mithin auf den Glauben zielt, ohne jemals Gott im menschlichen Begreifen seiner Verborgenheit entreißen zu können, legt sein Begriff negativer Theologie ein Konzept frei, daß ein unaufgebbares und zentrales Moment des paulinischen Wortes vom Kreuz sichern hilft: die Unverfügbarkeit Gottes. Diese Unverfügbarkeit hat Paulus auf das schärfste in seiner Entgegensetzung von göttlicher und menschlicher Weisheit zur Sprache gebracht – wo sie – theoretisch, moralisch oder religiös – unterschlagen würde, wäre das Wort vom Kreuz sofort verstummt. Kreuzestheologie ist nur unter prinzipieller Anerkenntnis dieser Unverfügbarkeit Gottes – oder sie ist nicht! Es ist Stolinas besonderes Verdienst, diese Unverfügbarkeit nicht gegen die Selbstmitteilung bzw. Offenbarung Gottes (er selbst spricht bevorzugt vom »Sehen und Erkennen des Glaubens«33) ausgespielt , sondern diese gerade als Telos jener zur Geltung gebracht zu haben. Darin trifft er sich zweifellos mit Jüngels Intention, dessen Verdienst es seinerseits ist, unmißverständlich und kompromißlos gegen jede Versuchung einer neuplatonischen Entfremdung von einem schriftorientierten Gottes- und Offenbarungsbegriff opponiert zu haben. Zugleich hat Stolina mit seiner Arbeit den dankenswerten Versuch unternommen, negative Theologie aus ihrer ›platonischen Gefangenschaft‹ zu befreien: es ist ihm gelungen zu zeigen, daß negative Theologie ein genuines Implikat der Kreuzestheologie ist und nicht ein philosophischer Begriff platonischer Konvenienz, der im christlich-theologischen Gebrauch immer erst nachträglich biblisch-exegetisch angereichert wird. Negative Theologie in dem von Stolina erarbeiteten Sinne dürfte sich jedem künftigen kreuzestheologischen Entwurf als ein außerordentlich wertvoller Wegbegleiter erweisen: denn auch kreuzestheologischer Arbeit droht auf Schritt und Tritt – wir haben es im vorangegangenen Abschnitt bereits ausführlich erörtert – die ›Geiselnahme‹ des Gottesgedankens durch das sich selbst zum System auftürmende menschliche Denken. Ihm hat negative Theologie 30 31 32 33
AaO 138. Ebd. Ebd. Siehe z.B. aaO 147 und öfter.
3. Die Auferweckung des Gekreuzigten
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immer wieder mit der Erinnerung daran in den Arm zu fallen, daß Gott schlechthin unverfügbar bleibt, auch und gerade, wenn er sich uns in seinem Wort zu empfangen gibt; daß er schlechthin anders ist, gerade weil er in dem Sinne »anders anders« (Vollenweider) ist, daß er sich dem Menschen in seinem Anderssein eben nicht entziehen, sondern den Glaubenden geradezu in sein Bild verklären (2 Kor 3,18) und damit den Menschen zu einem anderen machen will, als dieser unter der Macht der Sünde gewesen ist und zu sein hatte. Zuletzt sei noch an die streng kreuzestheologische Definition negativer Theologie durch Martin Luther erinnert, der in seiner Auslegung des 90. Psalms von 1534 – in scharfer Abgrenzung vom Areopagiten – sagen kann: »Nos autem, si vere volumus Theologiam negativam definire, statuemus eam esse sanctam crucem et tentationes, in quibus Deus quidem non cernitur, et tamen adest ille gemitus, de quo iam dixi.«34
3. Die Auferweckung des Gekreuzigten als soteriologische Erschließung des Kreuzestodes Jesu Die Reflexion des Verhältnisses von Kreuz und Auferstehung gehört sachlich vor die eigentlich materialtheologische Deutung des Kreuzestodes Jesu, insofern die Auferstehungsbotschaft überhaupt die Voraussetzung dafür ist, das Kreuz in seiner Heilsbedeutung verstehen zu können. In der Erkenntnisordnung setzt erst die Auferstehungsbotschaft das Wort vom Kreuz in Kraft, aber so, daß die Botschaft von der Auferstehung dann sachlich als Implikat der Kreuzesbotschaft zu begreifen ist, insofern diese eben streng vom Handeln Gottes in und an der Person des gekreuzigten Christus handelt. Die Auferstehungsbotschaft fügt dem Wort vom Kreuz also material nichts hinzu, sie läßt es nicht überhöhend hinter sich, sondern »entdeckt« es erst eigentlich. Daher gehört sie gewissermaßen als »Präambel« an den Anfang der Kreuzestheologie und nicht an deren Schluß und darf ihr schon gar nicht als eine Auferstehungstheologie mit dem sachlichen Gefälle nachgestellt werden, die Kreuzestheologie abzulösen oder sachlich über diese hinausgehen zu wollen. »Das Kreuz« – so I. U. Dalferth – »ist stumm und macht stumm. Gott schwieg. Jesus verschied. Die Jünger liefen weg. Mehr gibt das Kreuz im Kontext menschlicher Lebenserfahrung nicht zu verstehen. […] Das Kreuz ist soteriologisch stumm.«35 Diese Aussage Dalferths mutet im ersten Moment scho34 WA 40 III, 543, 11 (›Wir aber, wenn wir wahrhaftig die negative Theologie definieren wollen, wollen feststellen, daß sie das heilige Kreuz ist und die Anfechtungen, in denen Gott allerdings nicht wahrgenommen wird, und doch jenes Seufzen da ist, von dem ich schon geredet habe‹, Übersetzung M.K.). 35 I. U. Dalferth, Das Wort vom Kreuz in der offenen Gesellschaft (in: Ders., Gedeutete Gegenwart. Zur Wahrnehmung Gottes in den Erfahrungen der Zeit, 1997, 57–85), 62.
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
nungslos hart an, sie tut es aber nur deshalb, weil sie dem Leser in ihrer nüchternen Härte schlagartig vor Augen führt, wie sehr mit dem Kreuz in aller Regel immer schon irgendeine bestimmte oder unbestimmte, eine bewußte oder auch unreflektierte Deutung verbunden ist. Wer »Kreuz« denkt, denkt sich dabei immer auch »etwas«, denkt einen Horizont mit, vor dem das Kreuz seinen Ort bekommt, an dem es dann »etwas« bedeutet. Dalferths Rede von dem an sich »stummen« Kreuz entschlägt uns zunächst aller wie selbstverständlich mit dem Wort »Kreuz« mitlaufenden deutenden Gedanken und stellt uns vor die Aufgabe, überhaupt erst über die Möglichkeit einer Deutung des Kreuzes Rechenschaft abzulegen. Schon G. Ebeling mußte feststellen, daß das »eine Kreuz […] offenbar nicht nur auf eine, einhellige Weise sagbar oder wohl letztlich überhaupt nicht sagbar [ist]«36 . Uns geht es hier – ebensowenig wie Dalferth oder Ebeling – freilich nicht um »irgendeine« Weise, das Kreuz ›aussagen‹, es deuten zu können, sondern darum, uns der Möglichkeit seiner Deutung als dem zentralen Symbol der Soteriologie zu nähern. Innerhalb der christologischen Topoi hat das Kreuz natürlicherweise die engsten Bezüge zur Inkarnation (denn es markiert den Tod des Menschgewordenen) und zur Auferweckung (denn es ist ja der zuvor Gekreuzigte, der von den Toten auferweckt wird). Aber auch wenn man – wie Iwand – das Kreuz gleichsam als das Telos der Inkarnation bezeichnen will37, so zeigt sich bei näherem Hinsehen doch, daß die Inkarnation erst vom Kreuz her als auf dieses hin orientiert begriffen werden kann. Die Frage nach dem Verständnis des Kreuzes als dem Interpretament der Menschwerdung Gottes in Christus stellt sich dann sogar noch in zugespitzter Weise, so daß es sinnvoll scheint, mit der Frage nach dem Verhältnis von Kreuz und Auferweckung einzusetzen, bevor dann, auf der Grundlage des dann womöglich ›soteriologisch sprechenden‹ Kreuzes auf dessen Verhältnis zur Inkarnation zurückzukommen. Diesen letzten Problemkreis werden wir in dieser Untersuchung allerdings nicht eigens bearbeiten, sondern belassen es beim Verweis auf das in unserem Kapitel zur Kreuzestheologie Iwands dazu Gesagte38 . Wir definieren das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung wie folgt: Die Auferstehung ist als Akt der Identifikation Gottes mit dem gekreuzigten Jesus Christus39 zu verstehen, durch den das Kreuzesgeschehen selbst als das entWortgleich bereits in: Ders., Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, 1994, 44. 36 Ebeling, Dogmatik II, 151. 37 Siehe Iwand, Christologievorlesungen, 294: »Jesus Christus ist Mensch geworden, um zu sterben.« 38 S.o. Kapitel I.2.2. 39 Vgl. auch E. Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens. Eine theologische Studie in ökumenischer Absicht, 1998, 139: »Mit dem Gekreuzigten hat sich, wenn wir dem österlichen Bekenntnis der ältesten Christenheit folgen, Gott selbst so identifiziert, daß man sagen muß: in diesem Menschen ist Gott zur Welt gekommen.«
3. Die Auferweckung des Gekreuzigten
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scheidende und unüberbietbare Heilsereignis öffentlich herausgestellt wird, dessen soteriologische Suffizienz durch die Erhöhung des auferweckten Gekreuzigten zur Mitherrschaft Gottes in der Perspektive der eschatologischen Vollendung des Heilshandelns Gottes an der ganzen Schöpfung steht. Das Verständnis der Auferstehung als Identifikationsakt Gottes mit dem Gekreuzigten richtet sich zunächst in negativer Hinsicht gegen jede Neigung, das Kreuz als ein vorübergehendes Durchgangsstadium zum Heil zu verstehen, das in der Auferstehung ebenso hinfällig wie überboten würde. Eine solche – populär allerdings weit verbreitete – Sicht würde eine im strengen Sinne theologische Deutung des Kreuzes kaum mehr zulassen, weil diesem im Sog einer ganz auf die Auferstehung konzentrierten Theologie keine positive Bedeutung mehr zukommen würde. Das Kreuz würde zur Negativfolie der Rede von der Auferstehung, die dann ihrerseits – ohne inneren Bezug zum Kreuzesgeschehen – zum Kristallisationskern von allerlei Phantasien über das Leben und sein vermeintliches »Gelingen«, Aufstehen aus Unterdrückung und Trübsal etc. verkommen muß, wie jeder Hörer durchschnittlicher Osterpredigten ohne ernsthafte Gegenwehr zu bestätigen gezwungen sein dürfte. Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, die Verkündigung des Kreuzesgeschehens ganz in den Hintergrund treten zu lassen. Daß die Auferweckung Gottes Affirmation des Gekreuzigten und darin die Offenbarmachung des Kreuzes- als Heilsgeschehen ist, haben G. Ebeling und I. U. Dalferth deutlich unterstrichen. Für Ebeling meint die Auferstehungsbotschaft »das Ja Gottes zum Gekreuzigten. Der Inhalt des Osterglaubens ist nicht der, daß dem Tod am Kreuz seine Bedeutung genommen, daß er durch die Auferstehung annulliert, hinfällig geworden oder widerlegt sei. Vielmehr besteht die Ostererfahrung eben darin, daß Jesu Tod am Kreuz den Jüngern als definitives Heilsereignis aufgegangen ist, als ein Geschehen von soteriologischer Bedeutung mit eschatologischem Gewicht.«40 Für Dalferth ist die paulinische Auferweckungsbotschaft »nichts anderes als das Wort vom Kreuz, das das Kreuz als Heilsereignis zur Sprache bringt«41. Dalferth betont hier geradezu die Identität von Auferwekkungs- und Kreuzesbotschaft: die Verkündigung der Auferstehung bringt die soteriologische Qualität des Kreuzesgeschehens zur Sprache, damit wird das Wort vom Kreuz überhaupt erst als Heilsbotschaft verstehbar. Wie Ebeling, so wendet sich auch Dalferth entschieden gegen die »Verharmlosung des Kreuzes« in seiner »Abwertung […] zugunsten der Auferstehung«42 . Eine solche Auffassung würde nämlich unterschlagen, »daß es der Gekreuzigte ist, der auferweckt wird, und daß auch der Erhöhte der Gekreuzigte bleibt«43. Das Verständnis des Kreuzes darf also niemals zur Rede von einem vorübergehenden Durchgangsstadium auf dem Weg zur Erhöhung degenerieren, denn dann würde das Christentum nur noch Erfüllungsgehilfe »frommer oder fleischlicher Sehnsüchte nach
40 41 42 43
Ebeling, Dogmatik II, 159. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 63. AaO 50. Ebd.
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
Überwindung der Gräber«44 sein – Sehnsüchte aber, die auf Schritt und Tritt enttäuscht werden, solange das Leben ›im Fleisch‹ währt.
Das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung ist freilich erst dann vollständig bestimmt, wenn auch der mit der Auferstehungsbotschaft intonierte Bezug der Eschatologie auf das Kreuz wenigstens in seinen wichtigsten Grundzügen geklärt ist. Würde man die Eschatologie hier ausblenden, könnte z.B. nicht mehr erklärt werden, warum etwa die kreuzestheologischen Entwürfe Ebelings und Moltmanns erheblich differieren, obwohl sie doch beide der Auferstehung dieselbe theologische Funktion zuerkennen, nämlich das Kreuz als Heilszeichen zu deuten. So konnte Moltmann die Auferstehung bzw. die Ostererscheinungen durchaus als »Identifikationsgeschehen, als Akt der Treue Gottes«45 bezeichnen. Dieser göttliche Treueakt, der sich auf das Verhältnis Gottes zum Gekreuzigten bezieht46 , wird bei Moltmann aber sofort nach vorne, in die Zukunft gewendet. Denn auf ihn gründet sich »die Verheißung der noch ausstehenden Zukunft Jesu Christi« 47, die für Moltmann ein »offener Raum voller ungeahnter und noch nicht realisierter Möglichkeiten«48 ist. Damit ist dann allerdings der Wunsch- und Sehnsuchtsprojektion des Menschen wieder Tür und Tor geöffnet, der Moltmann in seiner eschatologisch motivierten, politisch operationalisierten Theologie auch weitgehend erliegt.
Wird mit der Auferstehungsbotschaft eine Eschatologie im Moltmannschen Sinne verbunden, in der der Erweis des Gottseins Gottes im Grunde erst in einer Zukunft erwartet wird, an deren Heraufführung der Mensch durch sein Handeln antizipatorisch bereits mitwirkt, dann wird die das Kreuz als Heilsereignis deutende Auferstehungsbotschaft zu einer Art »trojanischem Pferd«, die das Kreuz notwendig zum vorübergehenden Tiefpunkt auf dem Wege zum künftigen Gottesreich mißverstehen wird. Es kann dann nur noch als Negativfolie der Vergangenheit, vor der sich die erwartete und im eigenen Tun immer schon zeichenhaft vorweggenommene Zukunft strahlend abzuheben vermag, fehlgedeutet werden. Man mag es drehen und wenden, wie man will: trotz aller gegenteiligen Beteuerungen ist das Verständnis des Kreuzes als des zentralen Symbols der Soteriologie dann prinzipiell zugunsten einer Auferstehungstheologie mit eschatologischem Sog verspielt. Oder, mit der Heidelberger Antithese Martin Luthers ausgedrückt: die theologia crucis ist auch dann unter der Hand einer Spielart der theologia gloriae gewichen, wenn diese sich mit dem Namen jener schmückt. Um die Theologie des Kreuzes als solche bei ihrer Sache zu halten und ihr soteriologisches, kriteriologisches und existentielles Potential zu entbinden, ist 44 45 46 47 48
AaO 51 unter Verwendung eines Käsemann-Zitates. Moltmann, Theologie der Hoffnung, 37. Ders., GdG, 168f Ders., Theologie der Hoffnung, 38. Ebd.
3. Die Auferweckung des Gekreuzigten
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es notwendig, mit Dalferth zu unterstreichen, daß das Auferweckungshandeln Gottes sich »konstitutiv auf die Geschichte des gekreuzigten Jesus von Nazareth [bezieht] und […] insofern zu den perfektischen Realitätsaussagen der Christologie [nötigt]«49. Ein konsequent am Kreuz orientiertes, perfektisches Verständnis der Christologie und damit der Soteriologie hat erhebliche Konsequenzen für die Deutung des menschlichen Lebens. Das folgende Zitat von Dalferth kann – auch wenn es in seinem Zusammenhang nicht explizit so entworfen ist – als kurze, aber treffende Korrektur des Moltmannschen Theologietyps gelesen werden: »Wir müssen mit unseren frommen und fleischlichen Auferstehungs- und Sinnsehnsüchten anders umgehen. Wann immer diese ohne das Kreuz auskommen zu können meinen, können sie auch mit dem Gericht nichts anfangen und die Zerbrochenheit und Unfertigkeit unseres Lebens nur als etwas begreifen, das, wenn schon nicht im aktuellen Lebensvollzug, dann doch wenigstens im Denken zur Ganzheit und zum Heilsein hin überstiegen und vollendet werden muß. Umgekehrt wußte Paulus gerade deshalb auch vom Gericht zu reden und mit der Unfertigkeit seines Lebens umzugehen, weil das Kreuz Kern seiner Auferstehungslehre war. Christliche Auferstehungsverkündigung ist Teilaspekt der Kreuzesverkündigung – nur so ist sie Heilsverkündigung.«50 Im Anschluß an diese Überlegungen können wir das Verständnis der Auferstehung als Identifikationsakt Gottes mit dem Gekreuzigten in positiver Hinsicht dahingehend bestimmen, daß das Kreuzesgeschehen im Lichte der Auferstehung durch und durch als ein Handeln Gottes begriffen werden kann. Gott hat den Gekreuzigten in der Auferweckung bejaht und den, der gewissermaßen durch die Sünde der Menschen ins Unrecht gesetzt, darin abgeurteilt und zu Tode gebracht wurde, zuletzt selber »ins Recht gesetzt«. Damit hat Gott sich definitiv als Herr über die Sünde und ihr integrales Symptom, den Tod erwiesen. Dadurch, daß Christus als Repräsentant Gottes (d.h. als Vergegenwärtigung Gottes in Person) in die Todeswirklichkeit der Welt, in der sich die Sünde als Zerstörung wahren Lebens (Ebeling) manifestiert, eingegangen ist, ist diese dadurch kein Ort der Gottesferne mehr: der Tod, der zwar seine »Gestalt« und seinen »Stachel« behält, hat »Recht und Gewalt« verloren51. Zugleich wird an Gottes Identifikation mit dem gekreuzigten Jesus, der in der Auferweckung als Christus offenbar wird, deutlich, daß Gottes Sieg über Sünde und Tod im Kreuzesgeschehen nicht etwa ein ihm durch die Kontingenz des geschichtlichen Prozesses gegen Jesus von Nazareth aufgezwungener »Zufall« war. Sondern indem der Gekreuzigte in der Auferweckung als der offenbar wird, der Gott in Person repräsentiert, muß auch seine Passion im strengen 49 50 51
Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 56. AaO 51. Vgl. das Osterlied Martin Luthers »Christ lag in Todesbanden«, Strophe 3.
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
Sinne als Akt verstanden werden: Jesu Weg ans Kreuz ist – wie Iwand immer wieder unterstrichen hat – ein Akt freien Gehorsams gegen den Willen des Vaters, der auf das Heil des Menschen im Sieg über Sünde und Tod zielt. Dieser Sieg über Sünde und Tod am Kreuz Christi ist endgültig: ihm kommt, wie Bühler mit Recht betont hat, »schlechthinnige, letztgültige Bedeutung zu«52 . Und deshalb »konstituiert das Kreuz die Eschatologie als christologisches Perfekt«53. Das Kreuz Christi »ist die eigentliche Antizipation […], als radikal perfektische Antizipation Wirklichkeit gewordene Eschatologie«54. Für Bühler ist dies gerade »das eigentlich Neue in der christlichen Eschatologie«55 , daß sie in diesem christologischen, am Kreuz ›festgemachten‹ Perfekt begründet ist. Daraus ergibt sich ein gänzlich anderer Umgang mit der Zukunft, als dies durch den Moltmannschen Denktyp der operationalisierten, d.h. in Handlungsoptionen verwandelten, Eschatologie der Fall ist. Für Bühler – und wir schließen uns dieser Sicht an – führt das perfektische Verständnis der Eschatologie nicht in eine – realistisch betrachtet – utopische Theorie eines theologisch hybrid übersteuerten menschlichen Handelns, mit dem das Gottesreich vorweggenommen werden soll, sondern es »stellt vor die Entscheidung des Glaubens als Nachvollzug der Kreuzigung«56 . Die Auferstehungsbotschaft verkündigt das Ja Gottes zum gekreuzigten Christus und in Einheit damit das die Toten lebendig machende Tun Gottes. Sie ermöglicht so das Wort vom Kreuz als Botschaft der Versöhnung des Menschen mit Gott und ist gewissermaßen in der paulinischen Präambel der Christologie auf den Punkt gebracht: »Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung« (2 Kor 5,1957 ). Diese Aussage des Paulus ist ein entscheidendes Interpretament der Rede vom Kreuz Christi und ermöglicht es sachlich überhaupt erst, dieses als Wort vom Kreuz sowohl epistemologisch in Hinsicht auf die Gotteserkenntnis als auch soteriologisch im Hinblick auf das Heil des Menschen auszulegen. Grundzüge einer materialtheologischen Entfal52
Bühler, Kreuz und Eschatologie, 387. Ebd. 54 Ebd. 55 AaO 388. 56 AaO 389 (Kursiv M.K.). Daß menschliches Handeln und Glaube deshalb aber nicht gegeneinander auszuspielen, sondern vielmehr einander richtig zuzuordnen sind, reflektiert Bühler ausführlich aaO 390ff. In ähnlicher Weise hatte übrigens schon M. Luther in seiner Galaterbriefvorlesung von 1531 in der Auslegung von Gal 2,20 das Mitgekreuzigtsein durch den Glauben von der Nachahmung der Kreuzigung in der beispielhaften Nachfolge (»Loquitur autem Paulus hic non de concrucifixione imitationis seu exempli«, WA 40/I, 280, 25f), die als bloßes Mitgekreuzigtwerden des Fleisches zu verstehen ist, unterschieden. 57 Für F. Lang, Die Briefe an die Korinther (NTD 7), 19942 , 302 drückt der Vers »die Einheit von Gott und Christus im Sühnegeschehen am Kreuz aus«. Wenn wir den Vers auf die Versöhnung des Menschen bezogen haben, obwohl im griechischen Text »kosmos« steht, ist das darin gerechtfertigt, daß dieser Begriff »die ganze sündige Menschheit« (ebd.) meint. 53
4. Das Kreuzesgeschehen als Brennpunkt von Sünde und Tod
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tung des Wortes vom Kreuz werden wir in den folgenden Abschnitten wenigstens kurz skizzieren, auch wenn eine detailliert ausgearbeitete Kreuzestheologie den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde und deshalb hier unterbleiben muß.
4. Das Kreuzesgeschehen als Brennpunkt von Sünde und Tod Gott ist »anders« als der Mensch, insofern er wesenhaft der Sünde des Menschen und dem Menschen als Sünder entgegengesetzt ist. Aber dieses Anderssein Gottes ist nicht als Kontradependenz mißzuverstehen, als sei Gott in seinem Anderssein von der Sünde des Menschen abhängig. Sondern Gottes Anderssein beruht im Grunde auf der Horizontverschiebung, die der Mensch selber vornimmt, indem er sich von Gott abwendet, ihn nicht Gott sein läßt: erst dadurch wird Gott unerkannt, abgelehnt, für tot erklärt58 . Erst durch diese Abwendung »wird« Gott als der, der der Heilige bleibt, der »Andere« – ja, der »ganz Andere« (Barth). Die Sünde als die Abwendung von Gott als dem Ursprung und Erhalter des Lebens, als Zerstörung des Gottesverhältnisses gewissermaßen in Tateinheit die »Zerstörung wahren Lebens«59 überhaupt, gewinnt nach Paulus nichts anderes als den Tod als den ihr angemessenen Lohn (Röm 6,2360) – und das schon »mitten im Leben«61. Um diesen Gedanken vor schweren Mißverständnissen zu bewahren, sind im Hinblick auf das Verständnis des Todes allerdings einige Präzisierungen notwendig. Zunächst ist mit Ebeling zu unterstreichen, daß es hier nicht um die »irreführende[…] Vorstellung« geht, »das physische Sterben des Menschen sollte als Sündenfolge erklärt werden« 62 . Für Ebeling ist mit dem Bewußtsein des »wie ein Viehtreiber mit einem gespitzen Stecken den Menschen treibende[n] Tod[es], dessen Herrschaft über ihn nicht im bloßen Auslöschen des Lebens, sondern im schmerzhaften Verwunden des Lebens ausgeübt wird« 63, der Gedanke des Ertrages des Lebens überhaupt verbunden: »Im Zeichen der Sünde als 58 Vgl. Ebeling, Dogmatik II, 60: »Wenn der Gottlose in seinem Herzen spricht: ›Es ist kein Gott‹ (Ps 14,1 53,2), so meint dies keine Theorie, sondern eine Praxis, eine Willensregung, die Auflehnung gegen, die Absage an Gott, den Widerwillen, dem nicht bloß dies oder das in bezug auf Gott mißfällt, sondern der nicht will, daß Gott Gott sei, und der ihn so im Herzen und im Verhalten und darum vielleicht auch mit Worten zu töten versucht.« 59 Ebeling, Dogmatik II, 147; 186 und öfter. 60 Siehe zu dem Zusammenhang von Sünde und Tod auch Ebeling, Dogmatik II, 146ff. 61 Vgl. das Kirchenlied »Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen« (Evangelisches Gesangbuch Nr. 518), das in seiner ersten Strophe den Zusammenhang zwischen dem das Leben durchwebenden Tod und der Gott ›erzürnenden Missetat‹ des Menschen zum Ausdruck bringt. Für E. Käsemann, An die Römer (HNT 8a), 19804, 177 ist Röm 6,23a dahingehend zu verstehen, daß »die Sünde […] schon heute mit dem Tode [zahlt]«. 62 Ebeling, Dogmatik II, 146. 63 AaO 147.
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
der Zerstörung wahren Lebens gibt der physische Tod nicht nur den Anstoß zur Bilanz und verbindet sich mit dem Gedanken des Gerichts, sondern präsentiert sich auch als der Ertrag eines Lebens, welches das wahre Leben verfehlte und auf das baute, worauf kein Verlaß ist.« 64 Deshalb ist nicht das physische Sterben als solches der Lohn der Sünde. Sondern indem der Mensch in seinem ganzen Leben unfrei in die Sünde verstrickt ist, empfängt er »von ihr deshalb auch den Sold, den sie zahlt und der gewissermaßen in ihrer Währung ausgezahlt wird: als die das Leben in all seinen Manifestationen vergiftende und zersetzende Macht des Todes« 65. Damit ist aber auch der physische Tod auf die Sünde als seine Wurzel zurückgeführt. Allerdings ist das ein Gedanke hoher theologischer Abstraktion von der allgemeinen Erfahrung und Ebeling ist darin Recht zu geben, wenn er jede Verrechnung dieses Zusammenhangs von Sünde und Tod am individuellen Einzelfall strikt zurückweist und nur im Blick auf die Menschheit insgesamt »die Tatsache einer solchen tödlichen Verquickung dessen, was aus dem Leben gemacht wird, und dessen, was dies für das Leben einbringt«66 , einschärft. Ebeling gelingt es mit seinen Ausführungen, einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen der Vorstellung von einem ›leiblichen‹ Tod einerseits und einem ›ewigen‹ Tod andererseits herzustellen. Der ›zeitliche‹ Tod – und das in all‹ seinen Schatten, die bereits in das gelebte Leben hineinfallen – wird so als ein Symptom des ›ewigen‹ Todes begreifbar. Allerdings sind die Begriffe ›zeitlich‹ und ›ewig‹ in Anwendung auf den Tod irreführend, wenn sie wörtlich in temporärem Sinne aufgefaßt werden. Tod hat in seiner Endgültigkeit im Grunde keine »Zeit«. Alles zieht er in die Zeitlosigkeit unbegrenzt ›dauernden‹ Nichtseins. Die temporalen Aspekte ›zeitlich‹ und ›ewig‹ sollten deshalb nur symbolisch auf den Tod Anwendung finden. Dann bringt der Begriff ›zeitlich‹ zum Ausdruck, daß der physische, leibliche Tod, das in die Zeit gespannte Sterben des Menschen, als solches »theologisch neutral« ist, bis es vom Kreuzesgeschehen her eben zugleich als Symptom der Sünde und Ausdruck göttlichen Gerichtes über den Sünder gedeutet werden kann. ›Ewig‹ ist der Tod insofern, als er Ausdruck der von Gott zu wollenden und gewollten definitiven Trennung des Sünders und der Sünde von sich ist. W. Härle hat in seiner Dogmatik die Auffassung zurückgewiesen, daß Jesus Christus den Tod gestorben ist, der »ewig von Gott trennt«, denn »von Ostern her« wäre seiner Meinung nach zu sagen, »daß Jesus Christus durch seinen Tod nicht ewig von Gott getrennt wurde«67. An dieser Stelle ist Härle m.E. im Interesse einer konsequent zu Ende gedachten Soteriologie zu widersprechen. Denn verstehen wir die Rede vom »ewigen« Tod symbolisch als Rede vom verdienten Sturz des Sünders in das absolute Nichtsein68 , dann ist es 64 65 66 67 68
Ebd. Ebd. Ebd. W. Härle, Dogmatik, 20002, 334. Wir gehen hier nicht dem philosophischen Problem nach, ob »absolutes Nichtsein«
5. »… an unserer Statt« – der Gekreuzigte als Stellvertreter der Menschheit
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gerade das Entscheidende an Jesu Weg in den Kreuzestod, in eben diese Situation hineingegangen zu sein, um Gott dort zu vergegenwärtigen, wo vom Menschen her kein Ausweg mehr aus der unhintergehbar tötenden Gottlosigkeit zu finden wäre. Dieser Gedanke wird durch den Hinweis auf die Auferstehung nicht nur nicht erledigt, sondern im Gegenteil verstärkt: denn es ist eine geradezu dramatische Steigerung des schöpferischen, lebenschaffenden Handelns Gottes, eben den von den Toten auferweckt zu haben, der denjenigen Tod gestorben ist, aus dem heraus keine Brücke mehr zu Gott zurückführt. Das gilt aber nicht ebenso umgekehrt von Gott her. Denn Gott erweist sich gerade als wahrer Herr über den Tod, indem er dessen »Ewigkeit« mit dem Wunder der Auferweckung Jesu von den Toten ein heilvolles Ende bereitet, der mit dem Tod verbundenen Verzweiflung des Menschen die ewigkeitliche Abgründigkeit nimmt und damit die Auferstehungshoffnung aller Christen begründet69.
Am Kreuz Christi bringt die Sünde des Menschen den Sündlosen zu Tode. Eigentlich erst hier wird der Zusammenhang zwischen Sünde und Tod sichtbar. In diesem Tod ergeht aber das Gericht Gottes über die Sünde: Der Mensch hatte durch seine Abwendung von Gott und dem Drang, wahres Leben zu zerstören, sein ganzes Leben mit der Wirklichkeit des Todes verhängt: Leben gibt es nur im Verhängnis des Todes, der eben nicht nur physischer, natürlicher, »zeitlicher« Tod ist, sondern von Gottes Nein über Sünder und Sünde eine »ewige« Qualität besitzt und daher in der Tat die Konsequenz dieses göttlichen Neins ist. Die Sünde als Ursprung des Todes, der Tod als »Sold« der Sünde und der Tod als Gericht Gottes über den Sünder fallen im Kreuz Christi zusammen. Am Kreuz wird die Sünde überhaupt erst in ihrer tötenden Qualität (d.h. in ihrer von Gott verhängten Todesfolge) offenbar gemacht. Deshalb erkennt sich erst hier, am Kreuz Christi der Mensch wirklich selbst. Zugleich mit sich selbst aber erkennt er hier auch Gott in seinem auf ihn zielenden Heilswillen.
5. »… an unserer Statt« – der Gekreuzigte als Stellvertreter der Menschheit Am Kreuz treffen Sünde und Tod zusammen – beide aber begegnen dort zugleich dem Heilswillen Gottes, der im Tod Christi für uns bzw. an unserer Statt zum Ziel kommt70 . Diese, das Sterben und Auferstehen Jesu näherbestimmenden, Präpositionen stellen die Theologie vor das Problem, das mit dem – offenbar erst im Zuge des Pietismus aufgekommenen71 – Begriff der Stellvertretung angesprochen ist, der, worauf B. Janowski hingewiesen hat, »in Rechtswissenüberhaupt denkbar ist, sondern verstehen den Ausdruck als Rede davon, daß der Sünder hinsichtlich seiner Sünde von Gott um seiner Heiligkeit willen nicht am Leben erhalten werden kann. 69 Vgl. u.a. Röm 6, 3–11; 1 Kor 15, 20–28; 1 Thess 4, 14. 70 Röm 5,8; 1 Kor 15,3; 1 Thess 5,10 etc. 71 So E. Jüngel, Das Geheimnis der Stellvertretung. Ein dogmatisches Gespräch mit
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
schaft und Soziologie klar definiert, in der Theologie aber […] umstritten ist«72 . Die Auseinandersetzung um Sinn und Unsinn des Stellvertretungsgedankens entzündet sich seit I. Kant an der Frage, ob der Mensch, als moralisches Subjekt verstanden, überhaupt vertretbar ist – und daran, ob ein durchgängig moralisches Verständnis des Menschen im Kantschen Sinne in einer biblisch verantworteten und reformatorisch orientierten theologischen Perspektive überhaupt angemessen ist. Die Frage nach dem Stellvertretungsgedanken hat also erhebliche anthropologische Relevanz, insofern das, was jeweils unter dem Geschehen der Stellvertretung verstanden wird, immer ein Verständnis davon impliziert, was der Mensch ist bzw. sein soll73. Auch wenn im Rahmen dieser Arbeit die Stellvertretungsproblematik nicht annähernd vollständig in den Blick genommen werden kann74 , ist diese doch wenigstens in ihren Grundzügen zu umreißen. Denn nur so ist es möglich, den Stellvertretungsgedanken in theologisch verantworteter Weise auf das Kreuzesgeschehen zu beziehen, worum es in diesem Abschnitt schließlich gehen soll. Der Stellvertretungsbegriff ist zunächst einmal ein Interpretament der biblischen Aussagen, daß Jesus »gestorben ist für unsere Sünden« (1 Kor 15,3), und daß dieser sein Tod »für uns« auf die Versöhnung des Menschen mit Gott zielt (vgl. Röm 5,10; vgl. auch 2 Kor 5,19.21). Diese Präpositionen »bringen zum Ausdruck, daß eine Person anstatt bzw. an Stelle anderer Personen etwas getan oder erlitten hat«75. Es geht bei der theologischen, d.h. biblisch verantworteten und soteriologisch ausgerichteten, Rede von der Stellvertretung darum, den Menschen dort zu erreichen und aufzusuchen, »wo seine eigenen Möglichkeiten zu Ende sind«76 , wo also auch etwa der kategorische Imperativ Kants ins Leere läuft77. Das Ende der Möglichkeiten des Menschen ist aber dort erreicht, wo der Mensch als Sünder unter dem lebenshemmenden Schatten und der lebenszerstörenden Macht des Todes als dem immer schon gegenwärtig ausgezahlten »Sold« der Sünde steht. Gegen das »Gesetz der Sünde« (Röm 7, 2378) ist die Moralität des Heinrich Vogel (1984, in: Ders., Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens. Theologische Erörterungen III [BevTh 107], 1990, 243–260), 250. 72 B. Janowski, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff (SBS 165), 1997, 20. 73 Die Relevanz des Stellvertretungsgedankes für den Menschen als Gesellschaftswesen analysiert ausführlich M. Bieler, Befreiung der Freiheit, Zur Theologie der stellvertretenden Sühne, 1996, 51ff. 74 Hier sei auf die ausführliche Monographie von St. Schaede, Stellvertretung. Begriffsgeschichtliche Studien zur Soteriologie (BHTh 126), 2004, verwiesen. 75 Jüngel, Geheimnis der Stellvertretung, 251. 76 AaO 18. 77 Eine detaillierte Diskussion der Stellvertretungsproblematik in Kants Religionsschrift bietet Schaede, Stellvertretung, 602–624. 78 Für Käsemann, An die Römer, 197 zielt der Begriff des ›Gesetzes der Sünde‹ in »universale Weite und betrifft jede Existenz im Gefolge Adams«, wobei »[d]eutlich vom unerlösten Menschen gesprochen« (ebd.) wird. Und weiter: »Die hier geschilderte Existenz ist in
5. »… an unserer Statt« – der Gekreuzigte als Stellvertreter der Menschheit
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Menschen machtlos. Deshalb wäre es fatal, Schuld in erster Linie als Konflikt im »Binnenraum des Subjekts«79 begreifen zu wollen, statt als »die Not, aus eigener Kraft nicht mehr weiter zu wissen«80 . Von hier aus ist nur noch ein kleiner Schritt zur Buße, also zu dem Eingeständnis der eigenen Schuld vor Gott und der Bitte, nicht endgültig auf sie festgelegt zu bleiben. Und von hier aus wird auch der grundsätzliche Unterschied von Stellvertretung und Ersatz81 in theologischer Perspektive noch einmal entscheidend zugespitzt: wer Buße tut, ist gerade nicht auf den Ersatz seiner selbst aus, denn Buße heißt immer wesentlich, selber vor Gott Verantwortung für die eigene Sündenschuld zu übernehmen – in dem Wissen, eben gerade nicht ersetzbar zu sein, wohl aber der im Kreuzesgeschehen verwirklichten und im Evangelium zugesagten Stellvertretung im Gericht Gottes über den Sünder Vertrauen schenken zu dürfen. Der Mensch, der sich vielleicht vor dem Spiegel seines moralischen Ungenügens schämen möchte, braucht sich vor Gott nicht zu schämen als einer, der bekennt, auf die Vergebung seiner Sünde durch Gott angewiesen zu sein82 . G. Ebeling hat diesen Sachverhalt dahingehend formuliert, daß Jesus den Menschen nicht von seinem Ort verdrängt. Sondern er will ihn »in eben die Stelle einweisen, die ihm zuihrer leiblichen Weltbezogenheit mit allen ihren Fähigkeiten Operationsbasis der Sündenmacht, die sich unserer Glieder als ihrer Werkzeuge bedient« (aaO 200). Für Käsemann betont Paulus an dieser Stelle »klar, daß der Zwang der Sünde nicht außerhalb von uns bleibt und uns wenigstens einen gewissen persönlichen Spielraum beläßt. Er konkretisiert sich als Zwang in unseren Gliedern und erfaßt uns deshalb total.« (Ebd.) 79 Janowski, Stellvertretung, 19. 80 Ebd. In die gleiche Richtung geht Käsemanns Auslegung von Röm 7,21–25, denn angesichts der Ausweglosigkeit des unerlösten Menschen angesichts der über ihn siegreichen Macht der Sünde bleibt »letztlich allein die Klage und der Schrei nach Erlösung [übrig]. Darauf ist unsere Geschöpflichkeit gleichsam zusammengeschrumpft. Darin tritt nicht so sehr unsere Gottzugewandtheit als die Tiefe unseres Falls zutage. Wir werden von uns aus mit uns selbst nicht fertig, und einzig der Schrei nach dem Erretter und seiner Hilfe wird dieser Lage gerecht« (Käsemann, An die Römer, 201). – Siehe zur Unterscheidung von Stellvertretung und Ersatz auch M. Bieler, Befreiung der Freiheit, 67ff, der die mit dieser Unterscheidung verbundene Problematik auf dem Hintergrund eines Verständnisses des modernen Menschen als »Träger verschiedener Rollen« (aaO 67) behandelt. In Anlehnung an D. Sölle betont Bieler, daß die »Pointe des Vorganges der Stellvertretung« darin besteht, »dass diese als ein für alle Mal […] geschehene Hinwendung Gottes zum Menschen die Berücksichtigung und Konstitution menschlicher Selbständigkeit ist, auf die der Mensch keinen Moment verzichten kann, um er selbst zu sein« (aaO 69). Durch die so verstandene Stellvertretung wird der Mensch aus seinem Dasein als Träger funktionalisierter »fixierend-vergleichgültigender Rollen« (aaO 67), »der sich im Grunde genommen aus allem raushält« (ebd.), zu einer ›ganzheitlichen‹ menschlichen Person befreit (so ebd.). 81 »Wenn wir von einem Stellvertreter sagen: er vertritt einen anderen, dann wollen wir zugleich zum Ausdruck bringen, daß er ihn nicht ersetzt.« (Janowski, Stellvertretung, 15) In die gleiche Richtung geht auch D. Sölle, Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem »Tode Gottes«, 19822, 59: »Wo ich unersetzlich bin, muß ich vertreten werden; weil ich unersetzlich bin, muß ich vertreten werden.« 82 Ähnlich W. Härle, Dogmatik, 333, der betont, daß dem Menschen in der Stellvertretung nicht etwas abgenommen wird, sondern daß etwas mit ihm, ihm zu Gunsten geschieht.
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
kommt«83. Deshalb konstruiert der theologische Stellvertretungsgedanke keinen Widerspruch zur unaustauschbaren Identität des Menschen, sondern dieser wird gerade zu sich selber gebracht, indem er von sich selber befreit wird84. Denn durch die Stellvertretung ist dem Glaubenden »der Fluchtod abgenommen und die Gottverlassenheit nicht in letzter Einsamkeit aufgeladen«85 . Diese Abnahme des Fluchtodes wurde von K. Barth darin gesehen, »daß Gott in Jesus Christus an unseren Ort getreten ist, wo wir zu Sündern, zu seinen Feinden werden, als solche unter seiner Anklage und seinem Fluch stehen und unseren eigenen Verfall auf uns ziehen.«86 Genau das ist der Sinn des Deus pro nobis 87. Der Sohn Gottes ist zwar Mensch geworden, »um die Welt zu richten«88 . Aber Gott hat in der Vollstreckung seines Gerichtes Gnade erwiesen: »Es geschah da, daß der Sohn Gottes das gerechte Gericht über uns Menschen damit vollstreckte, daß er selbst als Mensch an unsere Stelle trat und an unserer Stelle das Gericht, dem wir verfallen waren, über sich selbst ergehen ließ. Dazu trat und war er unter uns.«89 Und dieses Für-uns-Sein Jesu Christi vollzog sich eben dadurch, daß er an unserer Stelle litt, gekreuzigt wurde und starb90 , ist also wesentlich kreuzestheologisch orientiert.
Der Stellvertretungsgedanke – das läßt sich zusammenfassend sagen – ist der Versuch, den Zusammenhang zwischen dem Kreuzestod Christi und dem Menschen so auf den Begriff zu bringen, daß dieser Tod a) in seiner Heilsbedeutung und b) in seiner Heilsbedeutung für uns erfaßt werden kann. Indem er diese Funktion erfüllt, ist er in der Tat, wie Iwand richtig gesehen hat, der »zentrale[…] Zugang zum Tod Christi«91. Ein weiterer Zugang, der in Theologie und Kirche eine sehr große und oft ambivalente Rolle gespielt hat, ist der Opfergedanke. Ihm wenden wir uns im folgenden Abschnitt zu.
83
Ebeling, Dogmatik II, 206. So aaO 207. 85 AaO 208. Ganz ähnlich Kähler, Die Lehre von der Versöhnung, 167, der die Frucht des den Menschen mit Gott versöhnenden stellvertretenden Strafleidens Christi am Kreuz darin erblickt, »daß kein Mensch mehr »zu sterben braucht ohne Gott«. 86 Barth, KD IV/1, 237. 87 So ebd. 88 Barth, KD IV/1, 243. 89 Barth, KD IV/1, 244. 90 So Barth, KD IV/1, 269. 91 Iwand, Christologievorlesung, 399 Anm. 117. Auch M. Bieler hat unterstrichen, daß die verschiedenen neutestamentlichen Kategorien zum Verständnis des Todes Jesu, »die ein ›für uns‹ des Todes Jesu ausdrücken wollen, im Gedanken der stellvertretenden Sühne verwurzelt sind« (Ders., Befreiung der Freiheit, 354). 84
6. Das Opfer, das vom Opfern befreit
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6. Das Opfer, das vom Opfern befreit 6.1. Das Opfer als eine neutestamentliche Deutekategorie des Todes Jesu Die folgenden Ausführungen müssen skizzenhaft und unvollständig bleiben. Es gilt nach wie vor die Feststellung des Neutestamentlers Jürgen Becker, daß die neutestamentliche Wissenschaft »zur Zeit nicht behaupten [könne], sie könne von konsensfähigen Grundaussagen zu unserem Thema ausgehen«92 . Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – ist es für den systematischen Theologen unerläßlich, sich am Neuen Testament wenigstens im Sinne einer vorsichtigen Richtungsanzeige zu orientieren. Das frühe Christentum, wie es uns in den neutestamentlichen Schriften entgegentritt, hatte gleich auf eine ganze Fülle von überlieferten Vorstellungen zurückgegriffen, um sich den Kreuzestod Jesu verständlich zu machen, ihn als sinnvoll zu begreifen und diesen begriffenen Sinn auch zu kommunizieren. Die Pluralität der heilsdeutenden Paradigmen zeugt – mit den Worten von Jürgen Becker – von einem »differenzierte[n] Bemühen, dem nervus rerum in dieser Angelegenheit zur Sprache zu verhelfen«93. Wir begegnen dem Bild des (Sklaven-)Loskaufs 94 , dem Stellvertretungsgedanken95 und der Beschreibung des Todes Jesu als Befreiung, die traditionell als Erlösung96 , Sündenvergebung97, Heiligung98 , Versöhnung99 oder Rechtfertigung100 – einem der Hauptbegriffe der paulinischen Theologie – näher bestimmt wird. Und schließlich begegnen wir breit bezeugt auch der Opfervorstellung101. Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür ist der Hebräerbrief. Hier wird der Tod Jesu als das endgültige und vollkommene Selbstopfer »ohne Fehl« (Hebr 9, 14) verstanden. Endgültigkeit und Vollkommenheit dieses Opfers werden »durch zwei Eingriffe in die überkommene Grammatik des Opferbildes zum Ausdruck gebracht«102 . Die im kultischen Opfer unterschiedenen Rollen des Opferherrn, des Opfers und des Priesters fallen in Christus zusammen: »Er 92 J. Becker, Die neutestamentliche Rede vom Sühnetod Jesu (ZThK, Beiheft 8 [Die Heilsbedeutung des Kreuzes für Glaube und Hoffnung des Christen], 1990, 29–49), 31 93 AaO 47. 94 Gal 3,13; 4,5; 1 Kor 6,20; 7,23; Blut als ›Kaufpreis‹: 1 Petr 1,18f. 95 1 Petr 2,21–24. 96 Röm, 3,24; Kol 1,14 u.ö. 97 Apg 13,38; Kol 1,14 u.ö. 98 Eph 5,25, vgl. 1 Kor 1,2. 99 Röm 5,10f; 2 Kor 5,18f; Kol 1,20.22; Eph 2,16. 100 Röm 4,25; 3,25f. 101 Mk 10,45; 1 Tim 2,6; Röm 4,25; Gal 2,20; Eph 5,2; als Passaopfer 1 Kor 5,7; als Bundesopfer Hebr 13,20. 102 Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 247.
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ist der Opfernde – auch wenn er anders als im kultischen Ritual die Tötung nicht selbst vollzieht –, das Opfer am Kreuz und der Priester, der sein Selbstopfer selbst vor Gott bringt.«103 Außerdem erscheint Christus als die Vollendung nicht nur einer, sondern aller Arten von Opfern. »In Hebr 9–10 wird sein Tod als die vollkommene Form des Sündopfers am großen Versöhnungstag (Lev 16,21f; 17), des Bundesopfers von Ex 24 und des Reinigungsopfers der rötlichen Kuh von Nu 19 präsentiert.«104 Auch bei Paulus spielt Opferterminologie eine wichtige Rolle. Wir konzentrieren uns hier auf zwei Stellen, an denen die Opfertodvorstellung begegnet, Röm 3,25 und Röm 4,25. Das bedarf einer kurzen methodischen Erläuterung. Es geht an dieser Stelle nicht darum, zwei »dicta probantia« aus der Fülle der Paulusbriefe heranzuziehen, um daraus eine Opfertheologie des Apostels zu konstruieren. Denn Paulus selber war es offenbar nicht daran gelegen, eine selbständige Opfertheologie zu entwickeln. Vielmehr scheint seine Rezeption von Opfertermini und -vorstellungen als Teil eines Bemühens zu verstehen zu sein, den Tod Jesu von einem Gesamtverständnis der Person Jesu her zu begreifen105 . Dieses Gesamtverständnis legt sich Paulus »von der Erfahrung des die Menschen verändernden Evangeliums her«106 nahe, einer Erfahrung, die in anderer Terminologie auch als Rechtfertigungsgewißheit auszulegen ist. Die Integration des Opfergedankens in den paulinischen Denkgestus begegnet dabei als kritische Rezeption traditioneller Vorstellungen. Das heißt: Der traditionelle Vorstellungshorizont des alttestamentlichen Opfers wird sowohl aufgegriffen als auch entscheidend modifiziert. Das ist im folgenden exemplarisch und ohne hier Vollständigkeit beanspruchen zu können, an den zwei genannten Römerbriefversen anzudeuten.
In Röm 3,25 spricht Paulus davon, daß Gott Jesus Christus »für den Glauben hingestellt [hat] als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit«. Das Wort, das Luther mit »Sühne« übersetzt hat, lautet im Griechischen ƒlast»rion. Damit war im jüdischen Tempelkult ursprünglich der Teil der Bundeslade gemeint, der am großen Versöhnungstag vom Hohenpriester mit Opferblut besprengt wurde und deshalb als Stätte göttlicher Präsenz bzw. als Ort des Sühnens galt107. Umstritten ist, ob Paulus genau diese Bedeutung voraussetzt, oder ob er etwas unbestimmter einfach das Mittel meint, wodurch Sühne geleistet wird108 . Man muß ja überhaupt fragen, in welchem Sinne Paulus 103
Ebd. Ebd. 105 So Becker, Sühnetod Jesu, 49. 106 AaO 44. 107 So Käsemann, An die Römer, 91. Vgl. zur Wortbedeutung in LXX und bei Paulus ThWNT, Bd. 3, 320ff. Lev 16,2: »[…] ich erscheine in der Wolke über dem Gnadenthron« (LXX: ƒlast»rion). Durch das Besprengen dieses ƒlast»rion mit dem Blut der Opfertiere sollte das Heiligtum entsühnt werden von den Sünden der Israeliten (Lev 16, 6.16.19.(30). 108 So Käsemann, An die Römer, 91. Dagegen aber ThWNT, Bd 3, 323, der davon ausgeht, daß die mit hilasterion gemeinte Sühne nicht Gott erst gnädig macht, sondern diese Gnade bereits voraussetzt. 104
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bei der Aufnahme kultischer Begrifflichkeit noch den primären kultischen Sitz im Leben »und das damit gesetzte Wirklichkeitsverständnis« aufnimmt: »Es geht methodisch nicht an, die priesterliche Sühneanschauung durch Überspringen von einigen Jahrhunderten direkt für Paulus vorauszusetzen, ohne zu klären, ob und inwiefern sich die den Texten zugrundeliegenden Deutemuster geändert haben«109. Auf jeden Fall aber stellt der Begriff ƒlast»rion (Sühne) den Bezug zur Vorstellungswelt des großen Versöhnungsopfers, wie es in Lev 16 beschrieben ist, her. Dazu paßt in Röm 3,25 auch der Hinweis darauf, daß die Sühne durch das Blut Christi zu geschehen hat. Gott läßt in Lev 16 durch das Versöhnungsopfer im Allerheiligsten des Tempels den durch die Sünden des Volkes Israel gebrochenen Bund wieder herstellen. Es ist gerade das vergossene und auf dem hilasterion versprengte Blut der Opfertiere, das die Erneuerung des Bundesschlusses wirksam macht. In Röm 3,24 steht diese Vorstellung zweifellos Pate: das vergossene Blut Christi stellt diesen als die Gerechtigkeit Gottes dar, die vom Glauben ergriffen werden kann. Im Unterschied zu Lev 16, wo ja der Hohepriester opfert, ist bei Paulus allerdings Gott selber das Subjekt dieses Sühnopfers: »Gott selber schafft diese Sühne und ermöglicht so wieder die vorher gestörte Gemeinschaft«110 . Es ist also nicht der Mensch – der Hohepriester – als Opfernder, sondern schlicht der Mensch als Glaubender, dem Gott diesen Christus als Sühnung der Sünde »hinstellt«, d.h. öffentlich sichtbar und damit »ergreifbar« macht. In dieselbe Richtung geht übrigens Gal 2,20, wo Paulus davon redet, wie der Mensch im Glauben Christus als sein neues Subjekt, sein neues Selbst ergreift. In Röm 4,25 finden wir die Aussage, daß Christus »um unserer Sünden willen dahingegeben« worden ist, die im Neuen Testament eine »feste Formel der Passionstradition«111 ist. Das griechische Verb parad…dwmi, im lateinischen tradere, das Luther mit »dahingeben« übersetzt, steht an dieser Paulusstelle in absoluter, passivischer Form, die »göttliches Handeln umschreibt«112 . Möglicherweise wird hier sogar die Vorstellung vom leidenden Gottesknecht aus Jes 53,5.12 auf Jesus übertragen, wobei das nicht zwangsläufig so sein muß – das Alte Testament wird bei Paulus oft eklektisch zitiert, ohne daß der ursprüngliche Zusammenhang mit übernommen werden soll113. Auf jeden Fall hat das Dahingegebenwerden Jesu die »soteriologische Funktion, nach welcher Gott 109 Becker, Sühnopfer, 42. Vgl. auch H. Wenschkewitz, Die Spiritualisierung der Kultbegriffe Tempel, Priester und Opfer im Neuen Testament (Angelos Beih. 4), 1932; G. Klinzing, Die Umdeutung des Kultus in der Qumrangemeinde und im Neuen Testament (StUNT 7), 1971. 110 Käsemann, An die Römer, 91. 111 AaO 122. Vgl. auch Röm 8,32 und 1 Kor 11,23. Die genannten Stellen bringen das Verb parad…dwmi (tradere). 112 Käsemann, An die Römer, 122. 113 Ebd. Vgl. zum Schriftgebrauch des Paulus insgesamt D.-A. Koch, Die Schrift als
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
wie in 3,24 durch Jesu Opfertod ohne unser Mitwirken gnädig an uns gehandelt hat«114. Und wie in 3,24 ist es unser Glaube, der der göttlichen Opferhandlung entspricht und sie sich zugute geschehen sein läßt. Wegen unserer Übertretungen ist Jesus am Kreuz – einmal und endgültig – von Gott dahingegeben worden. In der glaubenden Begegnung mit dem von Gott auferweckten Gekreuzigten wird uns die am Kreuz einmal und unaustauschbar veranstaltete Entsühnung von unseren Sünden immer wieder als »Sieg und Herrschaft des Gekreuzigten« zuteil115. Neben solchen mindestens in der Interpretation nicht ohne eine gewisse Plausibilität zu konstruierenden Bezügen der paulinischen Rede vom Sühnopfer auf Lev 16 fallen doch auch eine Reihe sehr bedeutender Differenzen auf. Wir hatten oben ja bereits von einer kritischen Rezeption, von einer Aufnahme und einer darin erfolgenden entscheidenden Modifikation traditioneller Opfervorstellungen bei Paulus gesprochen: a) Daß in Röm 3,25 Gott selbst derjenige wäre, der das Sühnopfer vollzieht, ist schon gesagt worden. Der menschliche Opferpriester des regelmäßigen Versöhnungsopfers nach Lev 16 ist damit funktionslos und überflüssig geworden. Gott als Opferherr ist identisch mit Gott, dem Opferpriester. b) Paulus versteht den Tod Jesu und seine Auferweckung als einen unauflöslichen Zusammenhang. Die Auferweckung setzt öffentlich in Kraft, was im Kreuzestod Jesu geschehen ist. Die priesterschriftliche Opfervorstellung in Lev 16 dagegen spricht nur vom Tod des Opfertieres, dessen Blutvergießen allein mit der Entsühnung von Priester, Tempelheiligtum und Volk verbunden wird. c) Die Veranstaltung des großen Sühnopfers in Lev 16 dient der Wiederherstellung des durch die Übertretungen des Volkes immer wieder gebrochenen Bundes. Das aber scheint Paulus im Hinblick auf die Grunderfahrung des Christen, die dieser im Glauben an den von Gott auferweckten gekreuzigten Jesus Christus macht, zu wenig zu sein. Paulus spricht von der neuen Kreatur, von der Neuschaffung des Menschen. Damit ist nicht nur seine teilweise oder zeitweise Erneuerung gemeint, sondern die Lebendigmachung aus den Toten (Röm 4,17), die Überwindung des Todes als Sündenfolge im Sein in bzw. im Glauben an Christus (Röm 6,23), der, selber »für uns zur Sünde gemacht« (2 Kor 5,21, vgl. auch Gal 3,13), die Sünde und den Tod für uns besiegt hat. Damit enthält der so verstandene Opfertod Jesu einen deutlichen ›soteriologischen Überschuß‹ gegenüber dem immer wieder aufs Neue zu vollziehenden Bundeserneuerungsopfer in Lev 16.
Die Art und Weise, wie im Neuen Testament die kritische Rezeption der alttestamentlichen Sühnopfervorstellung geleistet wird, macht sehr deutlich, daß die Rede vom Opfer fortan von Jesu Heilstod aus – und nur von hier aus! – zu verstehen ist. Mit Jüngel ist festzuhalten, »daß das Verständnis des Todes Jesu Christi als des die Menschheit entsühnenden Opfers, in dem sich Gott in der Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, 1986. 114 Käsemann, An die Römer, 122. 115 Ebd.
6. Das Opfer, das vom Opfern befreit
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Person des Sohnes selber dahingab, eine andere als die christologische Verwendung der Kategorie des Sühnopfers hinfort unmöglich macht. Das Kreuzesopfer ist ein für allemal geschehen, so daß ihm sinnvoll keine weiteren Sühnopfer mehr folgen können.«116
6.2. Die Rede vom Opfer als Deutekategorie menschlichen Selbstverständnisses Wenn wir uns vom Neuen Testament herkommend unserer Lebenswelt zuwenden, dann treten wir ebenfalls in einen von Opferterminologie und -vorstellungen durchsetzten Raum ein. Die Rede vom Opfer begegnet uns nämlich als ein sehr aufschlußreiches Moment unserer Selbstauslegung, also der Art und Weise, wie wir unser Menschsein verstehen. Wie wir uns selbst verstehen, so reden wir auch vom Opfer und vom Opfern. Und das in ganz banalen Zusammenhängen ebenso wie bei Fragen, die Leben und Tod berühren. Opfer können ganz und gar alltäglich sein, wobei der alltäglich begegnende Gebrauch des Opferbegriffs meist wenig reflektiert ist und sich eine ganze Reihe verschiedener Bedeutungsnuancen überlagern. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Selbstauslegung des Menschen mittels der Opferkategorie ist mit dem Widerstand gegen das Opfern angesprochen. Denn Opfern bedeutet, etwas oder sogar sich selber nicht allein zu geben, sondern hinzugeben. Sich selbst hingeben heißt, sich selbst loslassen, die Selbstbestimmtheit bzw. die Autonomie des Subjekts wenigstens zeitweise zu suspendieren wenn nicht sogar ganz aufzugeben und es zuzulassen, zum Objekt im konkreten »Opferzusammenhang« zu werden. Mit dem Akt der Hingabe selber ist aufgrund des mit ihm verbundenen Sich-Selbst-Loslassens die Drohung des Selbstverlustes verbunden. Dem Menschen als Subjekt, der von der Möglichkeit durchgängiger Selbstbestimmtheit, also von Autonomie, ausgeht, muß die Aussicht des Selbstverlustes unerträglich scheinen. Denn ein Akt der Selbsthingabe, ein »Opfer«, muß von dieser Seite her gesehen den Menschen, der sich über seine Möglichkeit zur Selbstbestimmung überhaupt erst als Mensch konstituiert sieht, in seinem Wesen bedrohen. Der Gedanke des Opfers als Selbsthingabe stößt damit auf den erbitterten Widerstand des Menschen, der sich gerade in der Weigerung der Selbsthingabe für etwas oder für jemanden in seinem 116 Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung, 141. Jüngel ist hier zuzustimmen, wenn er Dalferths These, christliche Soteriologie sei »ohne diese Kategorie« (sc. des Sühnopfers) möglich, als zu weitgehend zurückweist (vgl. Dalferth, Der aufgeweckte Gekreuzigte, 283). Denn Dalferths Weg läuft Gefahr, diejenigen Momente zu unterschlagen, die die kritische Rezeption des Opferkategorie und damit aber auch die Herstellung einer gewissen Kontinuität zwischen dem hergebrachten Opferverständnis und der Explikation der Heilsbedeutung des Todes Jesu im Neuen Testament überhaupt erst motiviert haben.
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
Menschsein, d.h. der durchgängigen Selbstbestimmung des Subjekts, sichern zu können meint. Gerhard Ebeling hat darauf hingewiesen, daß heute »sogar das Sich-Aufopfern einer Mutter für ihr Kind zu einer fragwürdigen Selbstlosigkeit degradiert ist«117. Mit diesen Überlegungen legt sich uns der Blick auf ein Dilemma frei. Denn der Widerstand des zuallererst an seiner durchgängigen Selbstbestimmung interessierten Subjekts gegen die im Opfer zu vollziehende Selbsthingabe wird ja gerade im Interesse derselben Subjektivität geleistet, die sich auf der anderen Seite durch Opfervollzüge zu konstituieren, zu sichern und zu re-konstituieren sucht! Es ist ja derselbe Mensch, der durch die Ahnung tödlicher Bodenlosigkeit seiner Existenz bis hin zu Akten der opfernden Selbsthingabe getrieben wird, um seiner Existenz das ersehnte Fundament zu verschaffen, dem sich aber angesichts der mit dem Opfer verknüpften Selbsthingabe die Drohung der Bodenlosigkeit in der Angst des Selbstverlustes potenziert und der sich dann, obwohl – oder gerade weil! – eigentlich zutiefst von der Logik des Opferns durchherrscht, jeder Selbsthingabe verweigert. Das läßt sich übrigens auch am Verständnis des modernen Menschen als eines Trägers diverser »Rollen« durchspielen. Wenn die von M. Bieler 118 aufgegriffene Analyse G. Simmels119 zutrifft, daß die unverwechselbare Identität des Menschen heute darin besteht, »im Schnittpunkt vieler Kreise«120 zu stehen, d.h. an einer ganzen Reihe verschiedener Rollen teilzuhaben, »wobei der grundsätzlich frei bleibende Träger nirgends ganz engagiert ist«121, dann ist sofort nachvollziehbar, daß die Vorstellung, sich selbst ganz in einer »Rolle«, die ja immer nur die Realisation einer Teildimension des Lebens ist, zu opfern, im Grunde abwegig ist. Opfer oder Selbsthingabe können in einer »Rolle« bestenfalls ästhetischen Charakter haben, bleiben aber aufgrund der Neigung bzw. Notwendigkeit, sich jederzeit aus jeder Rolle heraus gleichsam in sich selbst zurückziehen zu können, bloßes pathetisches und unernstes Spiel innerhalb oder mit der Rolle, ohne daß sich der Rollenträger »an sich« dabei wirklich aufs Spiel setzen oder gar »opfern« würde.
Theologisch gesprochen: diese Pattsituation, sich zum Opfer gezwungen zu sehen und zugleich doch das Opfern fliehen müssen – und jedes für sich um des eigenen Selbsterhaltes willen, ist die Situation des Menschen unter der Herrschaft der Sünde. Es ist gerade der Impetus der durchgängigen Selbstbestimmtheit, der Subjektautonomie, durch die der Mensch erst ganz und eigentlich er selbst zu sein glaubt, durch die er sich aber in Wahrheit selber fremd wird. Kühn in freier Paraphrase von Röm 7,20 gesprochen: die Subjektivität als Inbegriff der 117 G. Ebeling, Der Sühnetod Christi als Glaubensaussage. Eine hermeneutische Rechenschaft (ZThK, Beiheft 8 [Die Heilsbedeutung des Kreuzes für Glaube und Hoffnung des Christen]), 1990, 3–28), 6. 118 M. Bieler, Befreiung der Freiheit. 119 G. Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, 19836. 120 M. Bieler, Befreiung der Freiheit, 66. 121 AaO 67.
6. Das Opfer, das vom Opfern befreit
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Selbstkonstituierung und –absicherung des Menschen im Oszillieren zwischen Opferbereitschaft und Opferverweigerung ist »die Sünde, die in mir wohnt«. Und dann auch umgekehrt: die Sünde ist meine tatsächliche Subjektivität, meine tatsächliche Autonomie, das Gesetz, unter dem ich faktisch selbst stehe. Damit aber stehen mein Opfernwollen (meine Bereitschaft zur Selbsthingabe) und mein Opferwiderstand gemeinsam unter der Sünde: Weder das eine noch das andere wird meine Existenz sichern, ihre Grundlage wiederherstellen, mich eigentlich Mensch sein und bleiben lassen – mein Opferwille ebenso wie meine Opferweigerung ist sinnlos, zukunftslos, denn der, der zwischen Selbsthingabe und Hingabewiderstand hin- und hergerissen ist, das bin ich in meinem »todverfallenen Leibe« (Röm 7,24), dessen tatsächliches Subjekt die Sünde ist.
6.3. Die Rede vom Opfertod Jesu als Auslegung des Subjektwechsels von der alten zur neuen »Kreatur« Das Ziel menschlichen Opferns, nämlich die Stillung der Sehnsucht nach Ordnung, Heil, Ganzheit und Reinheit122 , läßt sich unter der Herrschaft der Sünde, der totalen tödlichen Fremdbestimmtheit des doch so sehr von seiner Selbstbestimmtheit überzeugten Subjekts, also nicht erreichen. Wenn es so ist, wie Paulus in Röm 7 zu verstehen gibt, daß die Sünde mein eigentliches Subjekt ist, dann wird der Mensch sich selbst weder durch eigenes Opfern gewinnen, noch durch die Verweigerung von Selbsthingabe bewahren können. Selbsthingabe und Selbstbehalt stehen beide unter dem Bann der unter dem Todesverhängnis stehenden Sünde (vgl. Röm 6,23). Wenn überhaupt ein Opfer sinnvoll sein soll, dann müßte es von einem anderen Subjekt als dem der Sünde dargebracht werden, ja: ein solches Opfer müßte das Subjekt der Sünde grundsätzlich überwinden können, wenn »Heil« in der endgültigen und unwiderruflichen Überwindung der Sünde und ihres Todesverhängnisses besteht. »Ordnung, Heil, Ganzheit und Reinheit« müßten mit einem Subjekt- bzw. Herrschaftswechsel einhergehen, der Mensch müßte von außen konstitutiert, neu konstituiert werden. Diese »Bedingungen eines sinnvollen Opfers« sind freilich schon vom Ziel der theologischen Argumentation her konstruiert. Es ist dabei interessant, daß Paulus in Gal 2,20 einen Gedanken formuliert, der genau parallel zu Röm 7,20 liegt: »Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im 122 Siehe auch G. Ebeling, Sühnetod, 25: »Das Urphänomen, daß der Mensch – allein er! – opfert, rührt an das Erschrecken vor der geheimnisvollen Unverfügbarkeit des Lebens. Gestörte Ordnung, verwirktes Leben sind zu sühnen um der Welt- und Lebensordnung willen, sofern nicht direkt, so doch zumindest – und das heißt im Normalfall – stellvertretend, ersatzweise.«
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Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.«123 Hier ist nun genau von jenem Subjektwechsel die Rede, durch den an die Stelle der Sünde Christus als das Subjekt des Menschen tritt. Christus ist in Gal 2,20 prädiziert als Sohn Gottes, der »mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben«. Dieser Gedanke stellt dadurch den Bezug zum Tod Jesu her und versteht diesen als Heilstod unter Verwendung des Begriffes der Hingabe (parad…dwmi), einem Terminus der traditionellen Opferterminologie, der uns in Röm 4,25 schon begegnet war. Anders gesagt: der Opfertod Jesu, verstanden als Hingabe für mich aus Liebe zu mir ist der Sachgrund für den Subjektwechsel, der im Glauben Wirklichkeit wird und aus dem Sünder einen vor Gott Gerechten – eigentlich müßte man kühner formulieren: einen Christus – macht. Zu dieser Stelle sagt Martin Luther in seiner Galaterbriefvorlesung von 1531: »Ne igitur, malitiose, calumnieris, quod dixi me mortuum esse, nec tu, infirme, offendaris, sed recte distingue, quia duplex vita est, mea et aliena. Mea vita non vivo, alioqui lex dominaretur mihi meque captivum retineret. Ne ergo me retineat, per aliam legem illi mortuus sum. Et haec mors parti mihi alienam vitam, scilicet Christi, quae mihi non innata est, sed donata per Christum in fide.”124 Mit diesem Sachverhalt des Subjektwechsels kommt nun aber das Stellvertretungsmoment des alttestamentlichen Sühnopferritus zum Tragen, nämlich die Übertragung der »Sündenidentität« auf das Opfertier, wodurch gleichsam eine Leerstelle geschaffen wird, die von der wiederhergestellten Bundes- bzw. Gerechtigkeitsidentität besetzt werden kann. Im alttestamentlichen Opfer geschieht diese Identitätsübertragung durch das Aufstemmen der Hand des Priesters auf den Kopf des Opfertiers mit dem einhergehenden Sündenbekenntnis125. Nun, im Blick auf den als Opfer verstandenen Heilstod Jesu Christi, der von hier aus eben als stellvertretender Opfertod in den Blick kommt126 , ist der Glaube »die Identitätsübertragung, durch die der einzelne Mensch sich mit dem Geschick Jesu Christi so identifiziert, daß er sich in ihm gestorben und in ihm von den Toten auferweckt weiß«127. Mit dieser Identitätsübertragung, die123 Vgl. dazu F. Nüssel, »Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir« (Gal 2,20a). Dogmatische Überlegungen zur Rede vom ›Sein in Christus‹ (ZThK 99, 2002, 480– 502). 124 WA 40/1, 287, 34–288, 16. 125 Vgl. Lev 16,21f. 126 Vgl. auch Ebeling, Dogmatik II, 172, der mit dem aus dem kultischen Bereich stammenden Opfergedanken untrennbar den Sühne- und den Stellvertretungsgedanken verbunden sieht: »Denn das priesterliche Handeln hat ebenso stellvertretenden Charakter wie die Opfergabe selbst.« 127 Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung, 140. Eine detaillierte Synopse der für das alttestamentliche Sühnopfer konstitutiven Momente mit den entsprechenden Aspekten des als Opfer gedeuteten Heilstodes Jesu findet sich bei Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 271–283.
6. Das Opfer, das vom Opfern befreit
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sem Subjektwechsel, ist die menschliche Opferlogik ein Stück endgültiger Vergangenheit: der glaubende Mensch, dessen Subjekt der gekreuzigte und auferweckte Christus ist, muß sich nicht mehr durch Opferakte selber zu konstituieren versuchen und er muß sich nicht mehr durch die Verweigerung auch sinnvoller Selbsthingabe selber bewahren wollen. Der Glaubende ist – in Christus – eine neue Kreatur, eine neue Schöpfung, Leben aus den Toten geworden128 . Das aber ist ein deutlicher soteriologischer Mehrwert gegenüber dem alttestamentlichen Bundeserneuerungsopfer! Das Ziel seiner Opferversuche und seiner Opferverweigerung wird ihm gerade durch den prinzipiellen und endgültigen Entzug des eigenen Opferns im Heilstod Jesu als Geschenk zuteil129.
6.4. Die Rede vom Opfer als wichtiger Zugang zur Heilsbedeutung des Todes Jesu Die neutestamentliche Besinnung hatte gezeigt, daß das Opfer eine Kategorie zur Deutung des Todes Jesu neben anderen ist – auch bei Paulus. Eine isolierte Opfertheologie – wir hatten bereits darauf hingewiesen – läßt sich weder aus den paulinischen Briefen noch aus anderen Schriften des Neuen Testaments ableiten. Sie würde dem biblischen Befund nicht gerecht und müßte vor allem den soteriologischen Überschuß des Heilstodes Jesu gegenüber dem alttestamentlichen Sühnopfer unterschlagen, der gerade auch in der Vielfalt der neutestamentlichen Deuteparadigmen des Todes Jesu sichtbar wird. Dennoch hat die Opferkategorie in der neutestamentlichen Deutung des Todes Jesu ihren festen Platz – im Sinne der in diesem Kapitel dargestellten »kritischen Rezeption« der traditionellen Vorstellungen. Gerade in der christologischen Modifikation traditioneller opfertheologischer Momente bringt die Rede vom Opfer dann allerdings ganz wesentliche Aspekte des Heilstodes Jesu zur Sprache, wie die Überlegungen zum Subjektwechsel vom alten, von der Sünde beherrschten zum neuen, von Christus belebten Menschen im Glauben gezeigt haben. Und die Überlegungen zur Opferkategorie als Ausdruck des Selbstverständnisses des »alten« Menschen haben zutage gefördert, daß eine recht verstandene, theologisch sauber verantwortete, Rede vom Opfer im Grunde außerordentlich »anschlußfähig« sein sollte.
128
Vgl. Röm 4,17; 2 Kor 5,17. Vgl. Härle, Dogmatik, 332f.: Die in vielen Religionen anzutreffende Opfervorstellung »wird im christlichen Glauben radikal überwunden, und zwar nicht (nur) durch Aufklärung, sondern insbesondere durch die Vorstellung, daß im Kreuzestod Jesu Christi Gott selbst sich zugunsten des verlorenen Menschen geopfert habe. […] Als Überwindung der religiösen Institution des Opfers behält das Verständnis des Kreuzestodes Jesu Christi als Sühnopfer seine bleibende Bedeutung.« 129
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B. Theologie des Kreuzes · Eine systematisch-theologische Skizze
Beide Ergebnisse legen sowohl der christlichen Verkündigung als auch der theologischen Reflexion nahe, die Opferkategorie bewußt und gezielt zu besetzen, um das Verständnis des Todes Jesu als Heilstod für uns zur Sprache und zur Geltung zu bringen. Es ist allerdings nicht angeraten, sich in der Auslegung des Todes Jesu als Heilstod für uns ausschließlich auf die Rede vom Opfer zu versteifen, etwa in der Art und Weise der auf die Wiederherstellung einer »moralischen«130 Weltordnung fixierten Satisfaktionslehre Anselm von Canterburys131. Aber es ist genausowenig geraten, auf die Rede vom Opfer zu verzichten, nur weil sie mißbraucht werden kann, wenn sie nicht streng christologisch orientiert bleibt132 . Die Rede vom Opfertod Jesu bringt besser als andere Deutekategorien zum Ausdruck, daß Gottes Liebe zu uns keine ihm äußerliche, akzidentielle Eigenschaft, sondern wirkliche Selbsthingabe ist. Sinnenfälliger Ausdruck dafür ist das Blutvergießen133 des gekreuzigten Christus, wie es in der Abendmahlsliturgie vergegenwärtigend erinnert wird. Gott hat in seiner Liebe das menschliche Sündenverhängnis mit Todesfolge sich nicht äußerlich 130
So Härle, Dogmatik, 322. Siehe zur Satisfaktionslehre Anselms und ihrer Kritik u.a.: Härle, Dogmatik, 322f; W. Joest, Dogmatik, Bd. 1: Die Wirklichkeit Gottes, 19893, 244ff. Joest unterstreicht zwar, daß Anselms Satisfaktionslehre das Stellvertretungsmoment stark zum Tragen gebracht habe (so aaO 246), kritisiert aber, daß die Versöhnung »wie ein objektiver Verrechnungsvorgang zwischen Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit [erscheinen kann], der sich fernab unserer eigenen Existenz vollzogen hat«. Vgl. auch M. Bieler, Befreiung der Freiheit, 208–228. Für Bieler ist die »Grundintention« der anselmschen Satisfaktionslehre dieselbe wie die der heutigen Soteriologie, denn »wenn Gott dem Menschen wirklich die Würde eines verantwortlichen Gegenübers zugestehen will, [muß] die göttliche Barmherzigkeit die Gerechtigkeit inkludieren« (aaO 209). Bielers Darstellung Anselms stellt einen der wenigen Versuche dar, den mittelalterlichen Theologen ad maiorem partem zu lesen. Die Problematik des rein juridischen, fast völlig verdinglichten Verständnisses der Versöhnung als eines Ausgleichs objektiver Defizite auf Seiten des sündigen Menschen durch objektive Verdienste auf Seiten unschuldigen, sündlosen Gottessohnes blendet Bieler dabei bedauerlicherweise aus. Die Frage, ob und wenn ja, wie Anselm in der heutigen Soteriologie konstruktiv rezeptiert werden kann, bleibt damit unbeantwortet. 132 Man nehme nur folgende Schriften zur Hand: L. Schottroff / B. WartenbergPotter / D. Sölle, Das Kreuz: Baum des Lebens, 1987; A. Wagner (Hg.), Sühne, Opfer, Abendmahl. Vier Zugänge zum Verständnis des Abendmahls, 1999. In durchweg sämtlichen in diesen beiden Bänden zusammengefaßten Aufsätzen wird die Rede vom Opfer als unzumutbar und unverstehbar abgetan, bevor diese Kategorie theologisch wirklich im Blick auf den Heilstod Jesu durchgearbeitet ist. 133 Der Stellenwert des Blutes im Vorgang des entsühnenden Opfers bedarf an anderer Stelle gründlicherer Durcharbeitung, die in dieser Untersuchung nicht zu leisten ist. Hier sei nur hingewiesen auf Lev 17,11, d.h. dem unmittelbaren (ebenfalls priesterschriftlichen) Kontext von Lev 16: »Des Leibes Leben ist im Blut, und ich habe es euch für den Altar gegeben, daß ihr damit entsühnt werdet. Denn das Blut ist die Entsühnung, weil das Leben in ihm ist.« Vgl. auch Dtn 12,23, eine Speisevorschrift: »Achte darauf, daß du das Blut nicht ißt; denn das Blut ist das Leben; darum sollst du nicht zugleich mit dem Fleisch das Leben essen […] auf daß dir´s wohlergehe und deinen Kindern nach dir, weil du getan hast, was recht ist vor dem Herrn.« 131
6. Das Opfer, das vom Opfern befreit
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bleiben lassen. Indem Gott in Christus das Todesverhängnis des Menschen ganz durchschritten hat, ist der Tod kein Ort der Gottesferne mehr, er ist es nicht mehr für den Glaubenden, der in das Leben des auferweckten Gekreuzigten hineingenommen ist. Die Rede vom Opfer ist diejenige Deutekategorie des Todes Jesu, die bis an diesen Punkt vorzustoßen vermag, wo das Leben in der Gestalt der Liebe Gottes endgültig und unwiderruflich über den Tod siegt, weil es sich selbst ganz in den Tod hinein hinzugeben vermochte, ohne sich in diesem zu verlieren.
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C. »Christo confixus sum cruci« (Gal 2,19) – Kreuzestheologie als Theologie rechter Leiblichkeit Der Christ, ›mit Christus gekreuzigt‹, verdankt seine Identität jenem Subjektwechsel, von dem Paulus in Gal 2,29f spricht. Seine ›neue‹ Identität ist allerdings eine geglaubte. Ist der Christ in seinen Verhältnis zur Welt und zu sich selbst, also in seiner ›Leiblichkeit‹ insgesamt, überhaupt als ein solcher identifizierbar, der seine Identität jenem Identitätswechsel verdankt? Am Abschluß unserer Untersuchung stehen Überlegungen zur Gestalt, die das Leben des Christen unter dem Kreuz – oder besser: unter dem »Wort vom Kreuz« bzw. in der kreuzestheologischen Situation – annehmen wird. Es ist klar, daß es hierbei nur um einige Denkanstöße gehen kann1. Denn das Leben im Glauben an den auferweckten Gekreuzigten, das Leben also als ein mit Christus Mitgekreuzigter ist ebensowenig wie das Leben im Glauben an die eigene Rechtfertigung Sache einer Deduktion aus vorher aufgestellten theologischen Prämissen 2 , sondern des lebendigen und damit situativen, spontanen Vollzuges selbst. Die erste, weil naheliegendste Frage ist die nach einem praktischen Proprium der Kreuzestheologie. Ein solches praktisches Proprium der Kreuzestheologie müßte sinnvollerweise eine unterschiedliche Akzentsetzung gegenüber einer Skizzierung des Christenlebens bzw. der Erfahrung aus Glauben darstellen, wie sie aus der Rechtfertigungslehre als solcher gewonnen werden könnte.
1 Unbehandelt bleibt hier das wichtige und eine eingehende eigene Untersuchung verdienende Thema einer kreuzestheologisch fundierten und orientierten Ekklesiologie. Die Verbindung der Kreuzestheologie zur Ekklesiologie ergibt sich über zwei zentrale Zugänge: zum einen wird der Christ durch die Taufe nach Röm 6 Tod und Auferweckung gleichgestaltet und darin zum andern in den Christusleib, die Kirche, inkorporiert, vgl. u.a. 1 Kor 12,12ff u. Gal 3, 26ff. Siehe zum Thema einer kreuzestheologisch orientierten Ekklesiologie M. Beintker, Das Wort vom Kreuz und die Gestalt der Kirche (KuD 39, 1993, 149–163, jetzt in: M. Beintker, Rechtfertigung in der neuzeitlichen Lebenswelt. Theologische Erkundungen, 1998, 155–169); F. Fleinert-Jensen, Erwägungen zu einer Ekklesiologie des Kreuzes in ökumenischer Perspektive (KuD 37, 1991, 174–189); U. Hauser, »… sagt das, was wirklich ist«: Kreuzestheologie als Herausforderung im Pfarramt (Lutherische Monatshefte 1, 1998, 32–34); H. Kremer, Die Kreuzestheologie und die Gestalt der Kirche (Lutherische Monatshefte 30, 1991, 509–510). 2 Ähnlich auch E. Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung, 220.
1. Das ›Stehen unter dem Kreuz‹ als das praktische Proprium der theologia crucis
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Wir beschränken uns hierbei auf den Einzelnen. Diese Konzentration ist nicht als Abblendung der gesellschaftlichen oder politischen Dimension des Lebens des Christen mißzuverstehen. Eine Darstellung dieser Dimension, die nicht in die von uns kritisierten Fehler der sog. ›Politischen Theologie‹ verfiele und sich auch nicht nur in trivialen Allgemeinplätzen erginge, machte allerdings eine sorgfältige kreuzestheologische Durchbuchstabierung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium notwendig, die wir hier ebensowenig leisten können, wie die im Anschluß daran notwendige Dechiffrierung des Gesetzes im Hinblick auf gesellschaftlich-politische Konkretionen, die als solche dann auch eindeutig kreuzestheologisch identifizierbar sein müßten. Aber insofern der Einzelne sich immer schon in gesellschaftlich-politischen Bezügen vorfinden dürfte, und er zugleich diese Bezüge als Einzelner mitkonstituiert, ist die ›Kategorie des Einzelnen‹ (nach Bühler) für jede Beschreibung sozialer, gesellschaftlicher und politischer Wirklichkeiten grundlegend.
1. Das ›Stehen unter dem Kreuz‹ als das praktische Proprium der theologia crucis Von der Rechtfertigungslehre aus scheint das Leben des Christen sich als ein bruchloses, sich spontan und freudig ereignendes, permanentes Hervorgehen des Tuns aus dem Glauben beschreiben lassen zu können. Glaube und Werk, Christsein und christliches Leben gehören zusammen wie ›das Brennen und Leuchten zum Feuer‹3 (Luther). Eberhard Jüngel kann in seinem Rechtfertigungsbuch daher den Glauben als »reines Empfangen«4 bezeichnen, der als solcher »der schöpferische Ursprung angespanntester Tätigkeit zum Wohle der Welt5 sei. Das Evangelium von der Rechtfertigung ist ihm der ›souveräne Indikativ‹, der »wirklich lebendiges Leben« als »Sein in Möglichkeiten«6 erschließt. Freilich ist jener ›souveräne Indikativ‹ zunächst eine Unterbrechung der »Wirklichkeit dieser Welt«7, sozusagen das göttliche Veto gegen alle vom Menschen »selbsterzeugten Finsternisse«8 und die Befreiung »aus den Lebenslügen […], in die der Sünder verstrickt ist und in denen er umzukommen droht«9. In diesem Widerspruchscharakter berühren sich Rechtfertigungs- und Kreuzestheologie. Allerdings hat die Rechtfertigungslehre jene göttliche Unterbrechung der Weltwirklichkeit als eine ihrer Voraussetzungen sozusagen ›in sich aufgehoben‹, in ihr stehen die im Kreuzesgeschehen bereits erfolgreich gewonnene und im Glauben ergriffene Gerechtigkeit des Menschen und die sich aus ihr ergebenden 3 Siehe M. Luther, Vorrede auf die Epistel S. Pauli an die Römer, WA DB 7, 11, 21ff: »Also, das unmueglich ist, werck vom glauben scheiden, Ja so unmueglich, als brennen und leuchten, vom fewr mag gescheiden werden.« 4 Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung, 219. 5 Ebd. 6 AaO 220. 7 Ebd. 8 AaO 221. 9 AaO 223.
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C. »Christo confixus sum cruci« (Gal 2,19)
positiven, allerdings immer nur situativ zu konkretisierenden, Handlungsmöglichkeiten, im Vordergrund. Die Kreuzestheologie dagegen – ohne deshalb in irgendeiner Weise in Widerspruch zur Rechtfertigungslehre zu treten – legt den Fokus auf den Widerspruch Gottes gegen die Weltwirklichkeit als solchen. Kreuzestheologie verweilt bei diesem Widerspruch, sie verweilt bei dem, was dieser Widerspruch, der im Kreuzesgeschehen selber Wirklichkeit geworden ist, für das Verständnis Gottes und des Menschen bedeutet. Kreuzestheologie verweilt – bildlich gesprochen – anders unter dem Kreuz als die Rechtfertigungslehre. Diese hat das Kreuz sozusagen als ihre Voraussetzung im Rücken und blickt von ihm fort ins Leben und seine Möglichkeiten hinein. Die Kreuzestheologie blickt gewissermaßen auf das Kreuz hin, sie macht es als Voraussetzung der Rechtfertigungslehre selber thematisch und macht damit den Kern des Rechtfertigungsgeschehens selber sichtbar. So nämlich, in diesem Hinblicken auf das Kreuz, in dieser expliziten, thematisch gemachten Reflexion auf das Wort vom Kreuz, kann sie sich überhaupt erst ihre kriteriologische Funktion für die ganze Theologie erarbeiten, der auch die Lehrgestalt der Rechtfertigung zu unterstellen ist. Das »praktische Proprium« der Kreuzestheologie ist dementsprechend auch dem Schwerpunkte nach nicht durch die Zuversicht in eine Kontinuität von Glauben und Tun des Christen bestimmt, sondern durch den Widerspruchscharakter des Kreuzesgeschehens selber, der seine schärfste Zuspitzung in Luthers Heidelberger Formel von der »redactio ad nihilum« gefunden hat, die wir der Sache nach – gerade, weil sie nicht mehr als Inbegriff mittelalterlicher Demutstheologie und –übung verstanden werden darf – als Auslegung der paulinischen Rede vom Mitgekreuzigtwerden mit Christus im Glauben (Gal 2, 10) verstehen können.
2. Der Christ ist anders anders. Das Kreuz als Signatur christlicher Existenz Wie das Kreuz Christi die spezifische Differenz des christlichen Glaubens zu den Religionen und den Weltanschauungen markiert und die Theologie des Kreuzes die dem christlichen Glauben wesensgemäße Denkform und als solche Grund und Kriterium aller Theologie überhaupt darstellt, so verleiht der Glaube an den gekreuzigten Christus dem Leben des Christen seine eigentümliche Signatur: Der Christ ist anders, aber er ist – um Vollenweiders anregendes Wortspiel hier noch einmal aufzugreifen – anders anders. Er ist anders, weil er im Glauben an Christus mitgekreuzigt, und d.h. in einer noch zu entfaltenden Hinsicht tot ist. Das ist genau das, was Luther in der Heidelberger Disputation mit dem »redactus ad nihilum« meinte. Darin ging es nicht mehr um mittelalterliche Frömmigkeits-, Askese-, und Zuchtübungen,
2. Der Christ ist anders anders
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die doch nur ein äußerliches Spiel mit dem Sterben des alten Menschen und darin eigentlich eine Verspottung des Kreuzes Christi sein konnten, sondern um den echten Tod des Menschen, der, dem Gesetz unterworfen, nichts als Ungerechtigkeit vor Gott war und sich nichts als dessen Todesurteil zuziehen konnte. Aber der Christ ist wiederum anders anders, weil er auch als ein im Glauben Mitgekreuzigter nicht einfach aus dem leiblichen Leben in allen seinen Weltbezügen verschwindet, sondern in diesen bleibt – aber nun als einer, in dem Christus lebt und alle Dinge tut. Die Entfaltung dieses Gedankens als Skizze der kreuzestheologischen Signatur des Christenlebens legt allerdings zunächst eine grundsätzliche Reflexion auf die von Fleisch und Gewissen10 nahe. In seiner Auslegung von Galater 2,19 hat Luther unterstrichen, daß »Conscientiae diligenter sunt docendae, ut Locum de discrimine iustitiae legis et gratiae bene discant.«11 Denn die Gnadengerechtigkeit »simpliciter non pertinet ad carnem«12 . Dieses »non debet esse libera, sed manere in sepulchro, carcere, grabato, debet subiici legi et exerceri per Aegyptios«13. Dem steht die Freiheit im Gewissen gegenüber, dieses muß nun allerdings »libera a lege [esse] et prorsus nihil habere commercii cum ea«14. Diese Unterscheidung ist für Luther der »gravissimus ac summus articulus […] qui maxime valet ad consolandas afflictas conscientias«15. Denn durch die ›erhabene Mitkreuzigung‹16 mit Christus werden »peccatum, Diabolus, mors crucifigitur in Christo, non in me. Hic Christus solus omnia facit; sed credens concrucifigor Christo per fidem, ut et mihi illa sint mortua et crucifixa.«17 Aus dieser finalen Befreiung des Gewissens vom Gesetz und damit vom Zwang der Selbstrechtfertigung vor Gott, die nicht anders zu gewinnen ist, als durch das Mitgekreuzigtsein, das Mitsterben mit Christus, ergibt sich ein völlig neues Verhältnis zum Leben des Christen »im Fleisch«. In Galater 2,20 zieht Paulus selber die Konsequenz aus dem Gedanken des Mitgekreuzigtseins: »Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes […].« Luther versteht das Ich, das nun nicht mehr lebt, als das Ich unter dem Gesetz, das im Glauben »est persona quaedam segregata a Christo«18 . Als solche gehört sie »ad mortem et Infernum«19. 10
Mit dieser Unterscheidung nehmen wir die Begrifflichkeit der Auslegung von Gal 2,19f in Luthers Galaterbriefvorlesung von 1531 auf. 11 WA 40/1, 270, 28f. 12 WA 40/1, 270, 29f. 13 WA 40/1, 270, 30f. 14 WA 40/1, 271, 12f. 15 WA 40/1, 271, 13f. 16 WA 40/1, 281, 17f: »Sed loquitur hic de illa sublimi concrucifixione […].« 17 WA 40/1, 281, 18–20 18 WA 40/1, 283, 24. 19 WA 40/1, 283, 25.
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C. »Christo confixus sum cruci« (Gal 2,19)
Wer im Christen lebt, ist Christus selbst: »Christus ergo […] sic inhaerens et conglutinatus mihi et manens in me hanc vitam quam ago, vivit in me, imo vita qua sic vivo, est Christus ipse.«20 Oder, in einer anderen Formulierung: »Secundum animalem meam vitam mortuus sum, iam que vivo alienam vitam. Non vivo iam Paulus, sed Paulus mortuus est. Quis tum vivit? Christianus.«21 Und Christus ist es, der im Christen »loquitur, operatur et exercet omnes actiones. Hoc iam non est Paulinae sed Christianae vitae«22 . Alles liegt an diesem Subjektwechsel, dessen Anstößigkeit und Unerhörtheit Luther wohl bewußt ist. Was bedeutet diese Unterscheidung zwischen dem eigenen, in der Mitkreuzigung gestorbenen, und dem fremden, sich als Leben Christi entfaltenden Leben für das Leben im Fleisch? Für Luther ist das Leben im Fleisch, das er ja keineswegs leugnen kann, da der Tod des Menschen im Mitgekreuzigtsein mit Christus ja im Glauben statthat, also das Gewissen trifft, nunmehr nicht mehr das eigentliche Leben des Christen (»vere vita«23), sondern »tantum larva vitae, sub qua vivit alius, nempe Christus, que est vere vita mea«24. So gilt vom Christen, dessen Leben sich äußerlich von dem eines anderen Menschen überhaupt nicht sichtbar unterscheiden muß, »in carne quidem vivo, sed non vivo ex carne vel secundum carnem, sed in fide, ex fide et secundum fide«25. Der Christ gebraucht zwar die fleischlichen Dinge, aber er lebt ihnen nicht, »ut mundus ex carne et secundum carne vivit, quia extra hanc carnalem vitam nec novit nec sperat aliam vitam«26 . Die Dinge des fleischlichen Lebens werden vom Christen wie bloße ›Instrumente‹ gebraucht, die nötig sind, um die von Christus selbst gewirkten Taten des Glaubenslebens zu tun – zur Ehre Gottes und zum Dienste am Nächsten. Eindrücklich beschreibt Luther dieses Leben Christi in dem derart ›instrumentalisierten‹ Fleisch des Christen: »Ergo quantulacunque est, inquit [Paulus], ista vita quam in carne vivo, in fide filii Dei vivo, Id est, hoc verbum quod corporaliter sono, est verbum non carnis sed Spiritus sancti et Christi. Iste visus qui ingreditur vel egreditur ex oculis, non venit ex carne, licet in carne sit, sed in et ex spiritu sancto est. Christianus non loquitur nisi casta, sobria, sancta et divina, quae pertinet ad Christum, ad gloriam Dei et ad salutem proximi. Ista non veniunt ex carne neque fiunt secundum carnem, et tamen sunt in carne. Non enim possum docere, praedicare scribere, orare, gratias agere nisi istis instrumentis carnis quae requiruntur ad talia opera perficienda; Et tamen ea non veniunt ex carne neque in ea nascuntur, sed donantur et revelantur e coelo divinitus.«27
20 21 22 23 24 25 26 27
WA 40/1, 283, 30f. WA 40/1, 287, 30f. WA 40/1, 287, 33. WA 40/1, 288, 24. WA 40/1, 288, 25f. WA 40/1, 288, 29f. WA 40/1, 288, 35f. WA 40/1, 289, 16–27.
2. Der Christ ist anders anders
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So ist es im Mitgekreuzigten der Heilige Geist, der das Christenleben regiert, »qui iam videt, audit, loquitur, operatur, patitur et simpliciter omnia agit in ipso, etiamsi caro reluctetur«28 . Was Luther hier beschreibt, ist das Leben des Christen aus derjenigen Neuschöpfung durch Gott heraus, deren Voraussetzung das Zunichtewerden des alten, von der Sünde beherrschten, Menschen ist. Dieses Leben, das Christus im Christen führt, trägt von der Seite des Menschen bleibend die Signatur des Kreuzes, denn der Christ ist bleibend ein Mitgekreuzigter. Nur als solcher kann Christus an seine Stelle treten, gleichsam in seiner Person handeln und das Fleisch als bloßes Instrument seines Willens in Gebrauch nehmen. Das Leben des Christen in der kreuzestheologischen Situation entfaltet sich also weder in Kontinuität zum »alten Menschen« – dieser ist tot in Christus – noch in Kontinuität zum Kreuz Christi selber – denn dieses ist der Ort des Todes des alten Menschen 29 –, sondern es hat jenen schöpferischen Neubeginn zur Voraussetzung, der mit dem auferweckenden Handeln Gottes am gekreuzigten Christus Realität geworden ist. In der kreuzestheologischen Situation hat der unter dem Kreuz verweilende angefochtene Mensch vielleicht die völlige Abwesenheit ›positiver‹ Glaubenserfahrung zu ertragen. Sein Glaube negiert – paradox gesprochen – seinen Glauben. Dem Angefochtenen bietet Gott im Wort vom Kreuz nichts als den Tod als ein glaubendes Mitgekreuzigtwerden mit Christus an – den Tod dessen nämlich, der von den Anfechtungen von Sünde und Tod getroffen werden kann, weil er unter der Herrschaft des Gesetzes steht. Wer aber so stirbt, ›der stirbt wohl‹30 , denn in diesem Tod ist Christus enger mit ihm verbunden, »quam maritus est uxori copulatus«31 – Christus selbst lebt nun im Christen und dieser lebt nun nur noch als einer, in dem Christus lebt. So verweilt der Angefochtene auch deshalb unter dem Kreuz, weil er unter dem eigenen Mitgekreuzigtwerden im Glauben, unter seinem eigenen Tod in Christus den letzten, entscheidenden und endgültigen Widerspruch Gottes gegen seine Anfechtung glauben und sich gefallen lassen darf. Das praktische Proprium der Kreuzestheologie ist also diese zweifache Widerspruchserfahrung: Anfechtung gegen Glaube; Glaube gegen Anfechtung bzw. Mitgekreuzigtwerden im Glauben gegen ein Leben in Angst vor dem ewigen Tod der Gottesferne und der aus eigener Kraft unüberwindbaren Lieblosigkeit einer um die eigene Selbstgewißheit kreisenden Gottlosigkeit.
28
WA 40/1, 290, 28ff. Dieser Gedanke sollte vor jeder kreuzestheologisch verbrämten Leidensverherrlichung bewahren! 30 Siehe das Passionslied »O Haupt voll Blut und Wunden«, 10. Strophe (Evangelisches Gesangbuch Nr. 85). 31 WA 40/1, 286, 17. 29
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C. »Christo confixus sum cruci« (Gal 2,19)
3. Christo confixus sum cruci … Der Christ im Lichte der Kreuzestheologie ist »anders« als andere Menschen, weil er um den fundamentalen Widerspruch Gottes gegen ihn als den Täter der Sünde weiß. Er weiß darin auch um seine eigene Tödlichkeit, die sich in seiner das ganze Leben imprägnierenden Sterblichkeit abbildet. Der Christ im Lichte der Kreuzestheologie ist »anders« als andere Menschen, weil er angesichts des sich im Gekreuzigten offenbarenden Gottes grundstürzend desillusioniert worden ist. Desillusioniert von allen religiösen, intellektuellen, ideologischen und moralischen Selbstüberhöhungen, mit denen er seine Tödlichkeit zu verschleiern und seine Sterblichkeit zu verdrängen sucht. Der Christ in der kreuzestheologischen Situation, der unter dem Kreuz verweilt, ist aber vor allem deshalb anders, weil nicht mehr er selbst, sondern Christus in ihm lebt. Dieses Anderssein des Christen ist keine Möglichkeit alternativen Lebens innerhalb der unbegrenzten Möglichkeiten der Welt, es hat sein Wesen nicht in irgendeiner Kontradependenz zu den tatsächlichen Lebensformen der Menschen in der Welt – weder zu einer noch zu allen. Sondern das Anderssein des Christen ist ein kategoriales Anderssein, in dem das ganze Leben nach dem Fleisch im Tode seines Mitgekreuzigtseins mit Christus durchgestrichen ist, aber alle Dinge im Fleisch ihm nunmehr zum Gebrauch überlassen sind. Genau deshalb ist der Christ im Lichte der Kreuzestheologie bzw. in der kreuzestheologischen Situation nun aber eben anders anders, weil er sich genau aus den genannten Gründen, die sein Anderssein ausmachen, nicht in eine Sonderwelt zurückziehen muß. Er muß nicht innerhalb der Maßstäbe seiner Umund Mitwelt, also ›nach dem Fleisch‹, anders sein als die Menschen um ihn herum, weil er als Concrucifixus (Gal 2,20) ›nach dem Geist‹ bereits kategorial ein anderer ist. Ob der Christ nun ›anders‹ lebt als der Nichtchrist oder der gegenüber dem christlichen Glauben Gleichgültige, oder ob er sich in seinem Wandel von diesen nicht auffällig unterscheidet – der Christ ist hier frei, zu wählen, sofern er in beidem er selbst, und das heißt eben nun concrucifixus bleibt: Was er unter dieser Voraussetzung wählt, hängt auch von seiner Persönlichkeit und den Anforderungen seiner konkreten Lebensaufgaben ab – und es darf ruhig von ihnen abhängen. Es kann ihm nämlich im Grunde gleich sein – nur nichts, was immer er wähle, darf ihn gefangennehmen (vgl. 1 Kor 6,12). Kreuzestheologie entpuppt sich damit überraschend auch als als Theologie rechter Leiblichkeit: Die Hingabe von Leib und Blut Christi, »für uns zur Sünde gemacht« (2 Kor 5,21), um für uns der Sünde zu sterben (vgl. Röm 6, 10f), entideologisiert die irdische Existenz grundlegend und läßt diese im Glauben als neu geschaffenes, neu verdanktes Leben begreifen, als Wunder des Gottes, der Leben aus dem Tode schafft, das, vor ihm als gerecht geltend, Bestand hat. Denn auf dieses Leben zielte die Hingabe Jesu Christi in seinem Kreuzestod (vgl. wieder 2 Kor 5,21 u. Röm 6, 11). Der vor Gott gerechte Mitgekreuzigte bleibt
3. Christo confixus sum cruci …
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ein Sünder im irdischen Leben, aber als solcher ist er schon in Christus gestorben und damit frei von der lähmenden Last des der Sünde drohenden ewigen Todes der unüberwindbaren Gottesferne. Die Leiblichkeit seines Lebens wird den Christen auch als Christen anfechten, denn Gott wird ja als der unter der Leiblichkeit Abwesende erlebt und in einer die cupiditas des Leibes nach einer die sinnlich-geistige Lebens- und Welterfahrung in der letzten Überhöhung noch bestätigenden Weise der Gotteserkenntnis nicht befriedigenden Weise als abwesender Gott »nur« geglaubt. Der Christ ist anders anders, weil er als Concrucifixus in Wahrheit und nicht nur relativ zu seinen Umweltparametern frei ist. Und er ist deshalb in Wahrheit frei, weil ihm der gekreuzigte Christus die Last seiner Tödlichkeit als dem Täter der Sünde abgenommen hat und er im Gekreuzigten den Beistand im Durchleben und Durchstehen seiner eigenen Sterblichkeit – glauben darf. Er ist anders als das »Weltkind«, weil seine Verzweiflung angesichts seiner Sterblichkeit tiefer gehen mag – denn Gott selbst entzieht sich ihm. Er ist aber wiederum anders anders, weil er in der Tiefe seiner Verzweiflung, dort wo er auf ein Nichts zurückgeführt wird, indem er sich als mit Christus mitgekreuzigt begreift, dem Gott begegnet, der ihm ein neues Leben schenken wird, dem Gott, der im toten Christus in jeder Tiefe immer schon da ist als der, »der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, daß es sei« (Röm 4,17).
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Zusammenfassung A. Theologien des Kreuzes – Das Erbe des 20. Jahrhunderts Am Beginn unserer Untersuchung hatten wir auf dem Hintergrund der von uns beobachteten Konjunktur der Kreuzestheologie in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts die Frage nach dem gestellt, was Kreuzestheologie eigentlich ist. Wir hatten diese Frage differenziert als theologiegeschichtliche Frage nach den entscheidenden theologischen Entwürfen gestellt, die uns in der Theologie des vergangenen Jahrhunderts als ›Kreuzestheologie‹ begegnen, und als dogmatische Frage nach dem, was als ›Kreuzestheologie‹ hinsichtlich des mit diesem Begriff zu verbindenden theologischen Gehaltes auch heute und bleibend zu verantworten wäre. Diese doppelte Fragestellung hat uns den Aufbau dieser Arbeit vorgegeben. Wir fassen an dieser Stelle noch einmal den Gang und die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammen. Der mit der Verwendung des Begriffes fast ausnahmslos verbundene, doppelte Rückbezug auf Luther und auf Paulus kann auf den ersten Augenschein den Eindruck erwecken, bei der Kreuzestheologie, der theologia crucis, handele es sich um ein gleichsam ›antikes‹ theologisches Konzept, dem schon allein aufgrund seiner doppelten Verwurzelung sowohl im biblisch-neutestamentlichen als auch im reformatorischen Ursprung der evangelischen Theologie eine besondere Bedeutung zuzuerkennen wäre. Und in der Tat: Sowohl die paulinische Rede vom Kreuz als auch die explizite theologia crucis des jungen Luther stellen dasjenige theologische Potential zur Verfügung, das in der kreuzestheologischen Arbeit auch des 20. Jahrhunderts – wenngleich auf sehr verschiedene Weise – immer wieder neu zur Geltung gebracht werden sollte. Wir haben zu Beginn unserer Untersuchung aber zeigen können, daß Kreuzestheologie als dogmatisches Programm ungeachtet ihrer paulinisch-lutherischen ›Patina‹ ein modernes Konzept ist: es hat seinen Ausgang in der Zeit der ›dialektischen Theologie‹ genommen und stellt zunächst das Ergebnis einer Verbindung dialektisch-theologischer Grundgedanken mit den Resultaten der Lutherforschung dar. W. v. Loewenich hat in seiner für die Kreuzestheologie epochemachenden Arbeit »Luthers theologia crucis« diese als ›Inbegriff‹ der Theologie Luthers bezeichnet, deren Anspruch freilich, die Unterscheidung zwischen rechter und falscher Theologie überhaupt zu markieren, über das Werk des Reformators hinaus und in die theologische Arbeit jeder Zeit hinein-
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Zusammenfassung
ragt. Mit dieser Einsicht wird Kreuzestheologie zur Aufgabe der Dogmatik. Dieser Aufgabe hat sich zuerst – und unbeschadet der Auseinandersetzung mit Luthers Kreuzestheologie, die sich auch in Karl Barths zweitem Römerbriefkommentar nachweisen läßt – Hans Joachim Iwand unterzogen. Er hat als erster, selbst zutiefst ein ›Kind‹ sowohl der dialektischen Theologie als auch des Denkens Martin Luthers, dogmatische Arbeit als kreuzestheologische Arbeit aufzufassen versucht. Mit Iwand ist ›Kreuzestheologie‹ als terminus technicus in der Dogmatik etabliert worden. Die Verdichtung des Konzeptes der Kreuzestheologie in der Zeit der ›Dialektischen Theologie‹ hat jedoch ihrerseits eine Vorgeschichte, die entscheidend mit dem Namen Martin Kähler verbunden ist. Denn dieser hatte zu Beginn des letzten Jahrhunderts bereits den dringenden Bedarf an einer am Kreuz Christi orientierten Korrektur der Christologie festgestellt, die die ›Geschichtlichkeit‹ des Christentums sicherstellen müsse, statt in die fruchtlose Historiographie der ›Leben-Jesu-Forschung‹ auf der einen und in nicht minder aussichtslose metaphysische Spekulation auf der anderen Seite abzugleiten. Kähler formuliert sein Desiderat bereits ausdrücklich unter Rückbezug auf die paulinische Theologie und deren ›vollmächtiger Erneuerung‹ in der Reformation, besonders im Denken Luthers. Der Begriff ›Kreuzestheologie‹ fällt bei Kähler noch nicht als terminus technicus im späteren Sinne; der doppelte Rückbezug auf die kreuzestheologische ›Substanz‹ bei Paulus und bei Luther, der für das spätere dogmatische Konzept so typisch werden sollte, ist bei ihm aber bereits thematisch. Was Kähler – seine eigene Arbeit in Christologie und Versöhnungslehre gleichsam zusammenfassend – noch kurz vor seinem Tod als Programm formulierte, wird von seinem Schüler Bernhard Steffen aufgenommen und weitergeführt. Dessen Hauptinteresse gilt der ›Objektivität‹ des Versöhnungsgeschehens, die die Voraussetzung ihrer subjektiven Zueignung ist – dieses ihr wesentliches Moment wird nicht anders als durch das Kreuz Christi, auf das hin alle Theologie zu orientieren sei, garantiert. Steffens ›staurozentrische‹ Theologie (der Begriff der Kreuzestheologie fällt auch bei ihm noch nicht als dogmatischer terminus technicus) hat dabei eine eigentümliche Doppelfärbung: Einerseits betont sie in einer für heutige Leser kaum erträglichen Weise die Härte der göttlichen Sünden- und Sünderstrafe, die Gott am Kreuz, sich selber unerbittlich treu bleibend, vollzieht. Andererseits hat eben dieser Strafvollzug Gottes am Kreuz Christi den Sinn, den Menschen in die Freude über die von Christus realisierte Versöhnung des Menschen mit Gott zu führen. ›Freude durch Strafe‹ – möglich ist das durch den bei Steffen zentralen Begriff der ›Strafstellvertretung‹. Theologiegeschichtlich steht Steffen noch in einer Frontlinie mit seinem Lehrer Kähler. Wie dieser bearbeitet er seine theologischen Themen noch in einer grundsätzlichen Kontinuität mit der Gesprächslage des ausgehenden 19.
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und beginnenden 20. Jahrhunderts. Die kreuzestheologische Orientierung wird bei beiden Theologen zwar mit Bestimmtheit, aber im Grunde doch eher als behutsames Korrektiv einer anthropozentrischen ›Drift‹ in Christologie und Soteriologie in Anschlag gebracht. Mit ihren Einwänden gegen eine Theologie, die in anthropozentrischem Gefälle ihre ›Sache‹ zu verlieren droht, berühren sich Kähler und Steffen mit den späteren ›dialektischen‹ Theologen. Diesen aber war es nicht mehr um Kontinuität mit dem 19. Jahrhundert zu tun, sondern zunächst um Abbruch und dann um Neuaufbau. Von daher erklärt es sich beispielsweise, daß Karl Barth im zweiten Römerbriefkommentar die Kreuzestheologie des jungen Luther ganz im Sinne eines scharfen göttlichen ›Nein‹ gegen den Menschen auslegte: hier geht es nicht mehr um kreuzestheologische Korrekturen innerhalb eines theologischen Gesprächs, hier wird die Wirklichkeit Gottes als Negation der Wirklichkeit des Menschen in Anschlag gebracht. Kreuzestheologie – so ließen sich sowohl der Duktus des frühen Barth als auch die Lutherinterpretation v. Loewenichs vereinfachend auf den Punkt bringen – ›korrigiert‹ nicht, sondern sie unterbricht zunächst das theologische Gespräch, um es überhaupt auf eine neue, nämlich die rechte, Grundlage zu stellen. Hatte W. v. Loewenich in seiner Lutherarbeit ganz auf das für ihn mit der Kreuzestheologie Luthers verbundene epistemologische Moment rechter Gotteserkenntnis abgehoben, so sah sich Hans Joachim Iwand hier zu einer anderen Schwerpunktsetzung herausgefordert. Er, der das von v. Loewenich an Luther gewonnene Verständnis von theologia crucis als erster Theologe in der dogmatischen Arbeit implementiert hat, legte allen Nachdruck auf den praktischen Impetus der Kreuzestheologie Luthers, den er dann in seiner eigenen christologischen Arbeit zur Entfaltung zu bringen suchte. Kreuzestheologie bringt nach Iwand die Versöhnung der Welt im Kreuzestod Christi zur Sprache: darum stellt sie die rechte Perspektive auf die Wirklichkeit dar, wie sie in Wahrheit, und d.h. im Urteil Gottes, zu begreifen ist. Iwands Kreuzestheologie, die wir in dieser Arbeit vor allem an seinen Luther- und seinen Christologievorlesungen untersucht haben, ist von einer doppelten Leidenschaft erfüllt: es geht ihm um eine lebendige Vergegenwärtigung der Theologie Luthers und darum, den christlichen Glauben wirklich als eine Sache von Wahrheit oder Lüge, Tod oder Leben begreifbar zu machen. Diese Leidenschaft geht allerdings mit einigen problematischen Unschärfen einher, deren bedenklichste zweifellos der äquivoke Gebrauch des Begriffes der ›Wirklichkeit‹ ist. Denn diese kann bei Iwand sowohl in eher phänomenologischer Hinsicht das tatsächlich gelebte Leben – v.a. in seinen Widerfahrnissen –, als auch in streng theologischer Hinsicht das Leben in der Spannung von menschlicher Sünde und göttlicher Vergebung meinen. Beide Bedeutungen des Wirklichkeitsbegriffs oszillieren bei Iwand, aber seine Äquivokation an dieser Stelle wirkt eher arglos und unbedacht, und zumindest in seinen im engeren Sinne dogmatischen Schriften bleibt sie weitge-
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hend folgenlos. Es sollte aber einer seiner Schüler, Jürgen Moltmann, eben diese Äquivokation zum System machen und damit in den dogmatischen Konsequenzen zu einer einschneidenden Modifikation der kreuzestheologischen Tradition gelangen. Iwand hatte als erster die von v. Loewenich gestellte kreuzestheologische Aufgabe als dogmatische Aufgabe in Angriff genommen. Seine eigene kreuzestheologische Arbeit vollzog sich in einer Reihe von Anläufen, ohne aber bei ihm schließlich in eine größere systematische Ausarbeitung zu münden. Seine Christologievorlesungen, die dem noch am nächsten kommen, sind eben Vorlesungen, die zudem von Iwand selber nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren, sondern erst postum zugänglich gemacht wurden. Die ersten Versuche einer systematischen Durchführung von Kreuzestheologie im Sinne ausgearbeiteter dogmatischer Entwürfe finden wir erst bei Jürgen Moltmann und Gerhard Ebeling. In unserer Arbeit haben wir Ebeling vor Moltmann behandelt, obwohl die erste Auflage von Moltmanns Buch »Der gekreuzigte Gott« bereits 1972 und damit einige Jahre vor Ebelings »Dogmatik des christlichen Glaubens« erschienen ist. Diese Anordnung hat ihren Grund darin, daß wir uns im Anschluß an die Besprechung Moltmanns mit der Kritik des Ebeling-Schülers Pierre Bühler auseinanderzusetzen hatten. Es hätte den inneren Spannungsbogen der Arbeit an dieser Stelle zerstört, wenn Ebeling als die theologische Wurzel der Bühlerschen Moltmann-Kritik erst im Anschluß an diese thematisiert worden wäre. Durch die gewählte Gliederung kommt ein erwünschter, scharfer Kontrast zweier kreuzestheologischer Alternativtypen zur klaren Darstellung. Für Ebeling ist die Theologie ›als ganze‹ Kreuzestheologie, weil sich am Verständnis des Kreuzesgeschehens nicht allein die Christologie (darauf hatten sich sowohl Kähler als auch Iwand konzentriert), sondern das Gottesverständnis überhaupt entscheidet. Dieser Einsicht hat Ebeling in seiner dreibändigen ›Dogmatik des christlichen Glaubens‹ Rechnung zu tragen versucht, in die u.a. der systematische Ertrag seiner umfangreichen und detaillierten Studien zur Theologie Martin Luthers Eingang gefunden hat. Ebeling hat der Kreuzestheologie eine kriteriologische Funktion für die ganze Theologie zugewiesen. Diese wächst ihr aus ihrer materialen Mittelstellung in der Versöhnungslehre zu. Und diese wiederum hat die Kreuzestheologie, weil sie gewissermaßen den ›Ernstfall‹ des Lebens, den Tod, in das Versöhnungsgeschehen integriert. Dadurch nämlich ist die Sünde, diese ›Zerstörung wahren Lebens‹ tatsächlich von Gott her und damit unhintergehbar überwunden. Diese Versöhnung wird im Glauben zugeeignet. Das Kreuz, indem es dem Menschen schon die bloße Frage nach einer weltlich ausweisbaren Relevanz der Botschaft von der Versöhnung entschlägt, sorgt eben damit dafür, daß der Glaube reiner Glaube bleibt. So ist die Versöhnung des Menschen mit Gott, die die Kreuzestheologie zur Sprache bringt, im Glauben verborgen, bestimmt aber als solche unwiderruflich die Wirklichkeit der ganzen Schöpfung.
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An Ebelings kreuzestheologischer Dogmatik ist von bleibender Bedeutung, daß es ihm in ihr gelungen ist, die kreuzestheologische ›Hypothese‹ v. Loewenichs, in der Entfaltung einer ganzen Dogmatik tatsächlich durchzuführen und damit gewissermaßen zu beweisen – zu beweisen nicht im Sinne einer Tatsachenverifikation, sondern im Sinne einer überzeugenden Ausarbeitung. Ebeling bringt dabei das epistemologische und das praktische Moment der Kreuzestheologie, die bei Iwand noch als alternative Schwerpunkte aufgefaßt wurden, zur Deckung. Das ist ihm möglich, weil er die Kreuzestheologie entscheidend in der Versöhnungslehre loziert und von da aus die gesamte Dogmatik auf sie hin orientiert. Zu zeigen, daß weder die Frage der Gotteserkenntnis noch diejenige nach der Wirklichkeit von dem am Kreuz zum Austrag gekommenen Versöhnungsgeschehen ablösbar sind, sondern umgekehrt streng von diesem her ihre Antwort finden müssen, ist ein bleibendes kreuzestheologisches Verdienst Ebelings. Ein weiteres Verdienst liegt darin, den mit der Rede vom Kreuz verbundenen Widerspruchscharakter nicht allgemein und formal (und damit in äquivoker Deutungsoffenheit), sondern durch und durch theologisch als Widerspruch Gottes gegen die Sünde und den Menschen als Sünder aufgefaßt und zur Geltung gebracht zu haben. Durch diese Konsequenz bleibt auch das Versöhnungsgeschehen streng theologisch als Handeln Gottes zugunsten des Menschen beschreibbar. Bei Jürgen Moltmann stehen wir vor einem Theologen, der den Begriff der Kreuzestheologie beinahe schon inflationär gebraucht. Bei ihm verändert sich das Wort dabei geradezu von einem Programm- zu einem Kampfbegriff. Das ist an sich noch nicht anstößig – schon mit Luthers Heidelberger Disputation ist der Kreuzestheologie ein polemischer Impetus zweifellos eingestiftet. Und doch wird bei Moltmann eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Moltmanns Kreuz nämlich hat zunächst einmal ganz verschiedene Gestalten. Der Begriff wird äquivok gebraucht. Neben das Kreuz Christi treten die vielen ›Kreuze der Wirklichkeit‹. Die Horizonte der Passion Christi und der menschlichen Leiderfahrung werden auf diese Weise ineinander verschoben bzw. aufeinander projiziert. Nun wird interessant, was Gott mit dem Kreuz Christi tut: er hebt es im Grunde in der Auferstehung Jesu auf, da der Schöpfung nicht Ungerechtigkeit und Leiden, sondern Gerechtigkeit und Friede im Reich Gottes verheißen sind. Das Kreuz wird damit zur bloßen Negativfolie des eschatologisch Verheißenen. Dieses nun kann und muß der Mensch zur Sache eigener ›antizipatorischer‹ Tat machen. Er soll sich so gegen Leiden und Ungerechtigkeit wenden, wie Gott sich gegen den Tod des gekreuzigten Christus gewendet hat. Das Kreuz wird damit zur Negativfolie politischer Befreiung. Ging es bei Ebeling – und P. Bühler wird eben diesen Gedanken gegen Moltmann ins Feld führen – aber um eine Befreiung des Menschen von der Sünde durch Gott, so geht es bei Moltmann damit wesentlich um eine Befreiung des Menschen von dem Symptom der Sünde, dem Leiden, und das entscheidend durch sein eigenes weltver-
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besserndes Tun. Kreuzestheologie will hier politisch interpretiert sein. Der praktische Impetus der Kreuzestheologie wird eben darin zur Geltung gebracht. Zugleich wendet sich Moltmann von jeder Verinnerlichung der Kreuzestheologie ab, die ihm doch nur auf eine Internalisierung und Stabilisierung von Leiden hinausläuft, die den ›Leidverursachern und Unterdrückern‹ dieser Welt in die Hände spielt. An Moltmanns Entwurf ist zunächst einmal die Absicht zu würdigen, lebenshemmende Strukturen und Kreisläufe von Unterdrückung und Leid aufzubrechen und sich um ihre Überwindung zu bemühten, statt duldsam an und in ihnen zu zerbrechen. Zurückzuweisen ist allerdings seine Suggestion, dieses wichtige und unaufgebbare politische Interesse sei als solches die genuine Konsequenz des Glaubens an den Gekreuzigten und als solches der einzig legitime Weg der Kreuzesnachfolge des Christen. Moltmann hat diese politische Stoßrichtung der Nachfolge geradezu als das eigentliche Interesse Gottes am Kreuzesgeschehen zur Geltung bringen wollen. Dieser theologischen Operation hatte er sogar aussdrücklich die soteriologische Orientierung der kreuzestheologischen Tradition zum Opfer gebracht. Er hat die Kreuzestheologie damit aber um ihren entscheidenden Gehalt entkernt. So, und dadurch, daß er den Glauben durch das politische Tun des Menschen verifiziert wissen will, hat Moltmann im Ergebnis nichts weniger als Antikreuzestheologie betrieben. Jürgen Moltmanns Kreuzestheologie hat in der evangelischen Theologie keine ernstzunehmenden Nachfolger gefunden. Überhaupt stehen mit Moltmann und Ebeling die beiden ersten und auch letzten großen kreuzestheologischen Gesamtentwürfe nebeneinander – und sie tun dies in schroffer Unvereinbarkeit der Art und Weise, wie sie die kreuzestheologische Tradition interpretieren und welche systematisch-theologischen und auch praktischen Konsequenzen sie aus dieser ziehen. Nach Moltmann und Ebeling unterschreitet die kreuzestheologische Arbeit wieder die Ebene des ausgearbeiteten Systems, auf die sie mit der kleinen Dogmatikskizze B. Steffens und den Arbeiten H. J. Iwands zuvor zugesteuert war und wendet sich – wo sie überhaupt ernsthaft betrieben wird – der Bearbeitung dogmatischer Einzelprobleme zu. Daß sie dabei keineswegs an Gewicht verliert, zeigt die in unserer Untersuchung den Schluß des theologiegeschichtlichen Teils markierende Arbeit von Eberhard Jüngel. Jüngels ›theologia crucifixi‹, wie er sie vor allem in seinem Buch »Der gekreuzigte Gott« vorgelegt hat, ist der große Versuch, eine kreuzestheologische Lösung für das mit der Rede vom »Tode Gottes« gestellte Problem zu formulieren, den Tod auch als ›Ernstfall‹ für die Rede von Gott zu begreifen. Dieses Problem versucht Jüngel trinitätstheologisch dahingehend zu lösen, daß er Gott als ›lebendige Einheit von Tod und Leben zugunsten des Lebens‹, mithin als Liebe versteht. Die Duldung des Todes an sich selbst kommt im Kreuz Christi zum Austrag. Wir hatten an Jüngel zu kritisieren, daß sein Begriff der ›theologia
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crucifixi‹ – v.a. in der Abgrenzung von der Rechtfertigungslehre – gleichwohl blaß und und doch eher unspezifisch geblieben war. Es schien uns, daß für Jüngel der bloße Rekurs auf den Tod Jesu an sich schon den Titel der ›Kreuzestheologie‹ rechtfertigte. M. Murrmann-Kahl hatte auf die trinitätstheologischen Defizite, die sich daraus ergeben mußten, hingewiesen. Trotz dieser Defizite ist jedoch an Jüngels kreuzestheologischer Arbeit bleibend zu würdigen, daß er sich um eine kreuzestheologische Imprägnierung der Trinitätslehre verdient gemacht hat: er hat es zweifellos verstanden, die Rede vom ›Tode Gottes‹ von dem Moment der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz her so zu reformulieren, daß die soteriologische Pointe einer trinitarisch verfaßten Gotteslehre zum Tragen kommen kann, nämlich daß Gottes Liebe den Menschen in dessen eigener Gottverlassenheit als das Leben umfängt, das den Tod in sich aufgehoben und damit überwunden hat. Können wir rückschauend auf diese z.T. ganz verschiedenen Kreuzestheologien von einem kreuzestheologischen »Erbe« in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts sprechen, das uns Heutigen zur Bewahrung und Fortentwicklung aufgegeben wäre? Meines Erachtens ist das eindeutig der Fall: 1. Zunächst einmal verdanken wir der Zündung von Impulsen aus der Lutherforschung und aus der ›Dialektischen Theologie‹ jene Verdichtung des Konzeptes ›Kreuzestheologie‹, das uns nicht allein zur Wahrnehmung eines theologiegeschichtlichen Befundes beim frühen Luther oder zur Kenntnisnahme eines exegetischen Befundes bei Paulus nötigt, sondern uns – und das ist entscheidend – dazu herausfordert, in der dogmatischen Arbeit das Kreuz Christi als das exklusive Kriterium rechter Theologie überhaupt in Anschlag zu bringen. 2. Der doppelte Rückbezug auf Luther und auf Paulus, der das Konzept von Kreuzestheologie überhaupt konstituiert, läßt Kreuzestheologie sich nur als komplexe hermeneutische Interpretationsleistung entfalten. Diese Komplexität erhöht sich noch, wenn der polemische Charakter der Kreuzestheologie in die Betrachtung mit einbezogen wird, da dieser ja auf die jeweilige Gegenwart, die ebenfalls der Analyse und der Interpretation bedarf, zielt. Kreuzestheologie ist also, recht verstanden, durchaus ein Programmbegriff, der die Aufgabe stellt, jenen doppelten Rückbezug immer wieder angemessen und überzeugend zu leisten. Kreuzestheologie ist aber schon aufgrund ihrer hermeneutischen Komplexität niemals »fertig«. Sie eignet sich damit weder zur Ideologisierung noch zur Indienstnahme durch außertheologische Interessen. Wo dies – wie z.B. bei Moltmann – versucht wurde, ist der Theologe an ihr gescheitert. 3. Zum kreuzestheologischen Erbe des 20. Jahrhunderts gehört die Pluralität der kreuzestheologischen Arbeiten und Entwürfe. Der heutige Theologe, der sich für Kreuzestheologie interessiert, kann diese vorliegenden Denkwege probeweise nachgehen. Er kann von ihnen lernen, kann seine Urteilskraft schärfen und ein eigenes kreuzestheologisches Profil entwickeln. Die diversen kreuzes-
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theologischen Ansätze des letzten Jahrhunderts sind dabei nicht einfach auf einen Nenner zu bringen. Auch die Frage nach ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner würde nicht weiterführen. Allenfalls in einer sehr weiten theologiegeschichtlichen Perspektive könnte die kreuzestheologische Konjunktur dieses Jahrhunderts als Ausdruck eines gesteigerten Krisenbewußtseins innerhalb der Theologie wie der Kirche gewertet werden, das durchaus – mit einem Begriffspaar Moltmanns – als Frage nach ›Identität und Relevanz‹ des christlichen Glaubens zu bezeichnen wäre, das seinen ersten eruptiven Ausbruch in der Dialektischen Theologie fand, deren Nachwirkungen auf verschiedene Weise aber in der ganzen Folgezeit in der Theologie spürbar sind. Wir haben, um den Rahmen unserer Untersuchung nicht zu sprengen, auf die detaillierte Ausarbeitung einer solchen theologiegeschichtlichen Lozierung und Auswertung der kreuzestheologischen ›Landschaft‹ als Ganzer verzichten müssen. 4. Die hermeneutische Unabgeschlossenheit und Unabschließbarkeit der kreuzestheologischen Arbeit, sowie die Wahrnehmung der Pluralität der kreuzestheologischen Entwürfe führen den gegenwärtig arbeitenden Theologen zu der Einsicht in die eigene Unvertretbarkeit: die Aufgabe, das ›Programm‹ der Kreuzestheologie einzulösen, stellt sich ihm neu. Von dieser Einsicht ausgehend, haben wir uns im zweiten Teil unserer Untersuchung selber um Annäherungen an einen dogmatischen Begriff von Kreuzestheologie bemüht.
B. Kreuzestheologie – das unaufgebbare Erbe der evangelischen Theologie Das vielleicht wichtigste Moment des kreuzestheologischen Erbes des 20. Jahrhunderts ist die Einsicht, daß die kreuzestheologische Aufgabe als solche nicht so sehr ein Produkt der Arbeit dieses Jahrhunderts selber ist. Kreuzestheologie ist ihrem Wesen nach weder Zeiterscheinung noch Angelegenheit einer Mode. Sondern die kreuzestheologische Aufgabe verweist an den doppelten Ursprung der evangelischen Theologie als solcher, nämlich an die Theologie des Paulus und diejenige Martin Luthers. Kreuzestheologie, als Programmbegriff evangelischer Theologie verstanden, meint von daher immer wesentlich die Rückversicherung der Theologie hinsichtlich dieses ihres doppelten Ursprungs. Kreuzestheologie wird von daher mit dem Interesse verbunden bleiben, sich der Identität evangelischer Theologie zu vergewissern, und das nicht als einer konfessionellen Spielart neben anderen, sondern als derjenigen Theologie, die im Evangelium selber ihren Grund, ihr Kriterium und ihre Grenze findet. Zugleich weist Kreuzestheologie aber über die Denkbewegung theologischer Arbeit im engeren Sinne hinaus, sie zielt ins Praktische des aus Glauben gelebten Lebens, weil sie ja als Herzstück der Versöhnungslehre den Sachgrund des Christseins schlechthin zur Sprache bringt,
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das von hier aus seine kreuzestheologische Imprägnierung empfangen wird. In jeder dieser Perspektiven bleibt die Kreuzestheologie das unaufgebbare Erbe der evangelischen Theologie und Kirche, und beider Zukunft wird auch davon abhängen, auf welche Weise dieses Erbe in ihnen lebendig bleibt.
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Personenregister Der Übersichtlichkeit halber werden in diesem Register die in eigenen Kapiteln ausführlich behandelten Personen, die besser über das Inhaltsverzeichnis zu finden sind, nicht aufgeführt. Adorno, Theodor W. 281, 283 Althaus, Paul 6ff. Anselm von Canterbury 42, 148, 193, 251, 394 Beintker, Michael 86ff., 396 Blaumeiser, Hubertus 8, 346ff. Bonhoeffer, Dietrich 232, 235, 253 Bornkamm, Heinrich 345, 348ff. Brunner, Emil 17 Bultmann, Rudolf 17, 146, 148, 163f., 181, 221, 272, 310 Bernhard von Clairvaux 111 Calixt, Georg 4 Dalferth, Ingolf U. 373ff. Dionysius Areopagita 370 Gerhard, Johann 4 Gerhardt, Paul 111 Gogarten, Friedrich 17 Habermas, Jürgen 236 Häring, Theodor von 67, 82 Härle, Wilfried 18, 380f., 393 Haldimann, Konrad 329f., 336, 338ff. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 13f., 19, 29, 57, 86, 97f., 128, 138, 147, 151, 231, 251, 303, 317 Heinrich, Rolf 94ff. Hermann, Rudolf 11f. Hertog, Gerard C. den 96ff. Hoffmann, Martin 98f. Horkheimer, Max 236, 241
Janowski, Bernd 381f. Johannes der Täufer 145, 247 Kammler, Hans-Christian 333, 225f. Kant, Immanuel 57, 96, 104, 123, 145, 221, 382 Loewenich, Walther von 3, 8ff., 16ff., 22, 62, 72, 82, 85, 92, 93, 99, 110, 113, 120, 121, 128, 151, 153f., 160ff., 172, 174, 175, 214, 230, 265, 301, 336, 345ff., 350f., 356, 405, 407 Lütgert, Wilhelm 75, 82 Luther, Martin 1ff., 18, 21f., 26, 28, 30, 58, 62, 72, 82ff., 90ff., 124, 128f., 138, 146f., 151ff., 172ff., 187, 189, 200, 206, 214, 216f., 220, 227ff., 250, 262ff., 271, 277, 280ff., 287ff., 301, 303, 317, 324, 341, 344ff., 363, 373, 376, 377f., 386f., 392, 396ff. Luz, Ulrich 326f., 336, 338, 341f., 343 Melanchthon, Philipp 4 Merz, Georg 18 Meyer, Otto 14 Mühlen, Karl-Heinz zur 100 Nietzsche, Friedrich 13f. Öttingen, Alexander von 5, 75 Pannenberg, Wolfhart 20 Paulus 1, 3, 5, 9, 10ff., 22, 30f., 34f., 40f., 45, 50f., 58, 60f., 72, 83, 111, 127, 133, 148, 161ff., 186ff., 204, 217, 227, 229,
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Personenregister
230f., 243, 249f., 284, 310, 317, 324ff., 344, 353, 364ff., 369, 373, 377ff., 383, 386ff., 391, 393, 396, 399f., 405f., 411f. Przywara, Erich 370 Ritschl, Albrecht 41, 61, 65, 67, 74, 77, 83, 130, 135ff., 272 Ritschl, Otto 11, 345 Schaeder, Erich 5, 28, 61ff., 75, 82 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 19f. Schlatter, Adolf 75, 82 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 28, 35, 41, 43, 61, 67, 74, 77f., 83, 128ff., 135f., 138, 249 Stolina, Ralf 370ff. Tauler, Johannes 349, 353f.
Thomas von Aquin 111, 237 Thurneysen, Eduard 17f. Tillich, Paul 133, 157, 259 Vollenweider, Samuel 331, 336, 338, 340, 342f., 366ff., 373, 398 Voss, Florian 333f. Wallmann, Johannes 3f. Weber, Otto 220 Weder, Hans 327ff., 333, 344 Welte, Bernhard 370 Wenz, Gunther 19f., 77, 78, 83 Wolf, Ernst 220 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 55, 111, 227 Zwingli, Ulrich 242, 303
Sachregister Abendmahl 53, 133, 156, 231, 252ff., 394 Aktivität 40, 97, 274, 279 Allmacht 77, 179, 205, 315f., 319 Altarsakrament 86f. Anfechtung 8, 53, 55, 78, 104f., 107, 110, 114f., 137, 139, 165, 177f., 183f., 202, 218, 283, 309, 353f., 401 Antikreuzestheologie 250, 294ff., 301, 410 Ärgernis 7, 29, 86, 90, 124, 129, 165, 258, 284 Assertio 97, 138, 357ff. – assertorisch 138, 292, 317, 358, 361f., 366 Atheismus 147, 177, 182, 200, 240ff., 281 Bekehrung 40, 76, 80, 338 Bibel 42, 47, 53, 54, 67, 82, 113, 115, 137f., 144, 148, 207, 341, 353 Bund 36f., 43, 45, 47, 50, 53, 141, 164, 386ff. Buße 14, 79, 80, 117, 353, 383 Christentum 19, 29ff., 34ff., 52, 55, 59, 72, 79, 98, 104, 165, 169, 180, 223, 230ff., 253, 290, 320, 375, 385, 406 Christologie 4f., 17, 26ff., 56ff., 63, 76, 78, 83, 100ff., 114, 116, 121ff., 138, 144, 162f., 167, 170, 173, 185f., 190, 193, 197, 203, 210, 212, 218, 226, 242, 245ff., 267, 282, 301, 305, 310, 312f., 315ff., 326, 329, 335, 346f., 361, 367, 370, 374, 377f., 389, 393f., 406ff. Communicatio idiomatum 242, 303, 317 Deismus 125 Derelictio 86ff. Einzelner 31, 34ff., 50f., 54ff., 74, 78f., 81,
109, 114, 119f., 134, 136, 191, 202, 221, 234, 250, 265, 277, 292, 295f., 301, 335, 359, 392, 397 Ekklesiologie 76, 79, 133, 326, 396 – ekklesiologisch 339 Erfahrung 29, 35, 55, 66, 73, 79, 85, 90, 91, 95, 134, 137, 138, 140, 145, 147, 148, 153, 155, 177, 178, 182, 183, 190, 193, 200, 210, 211, 213, 216, 218, 220, 239, 255f., 270, 293f., 309, 310, 353, 355, 358, 366, 369, 371, 380, 386, 396, 401 – Glaubenserfahrung 342, 366, 401 – Gotteserfahrung 331 – Identitätserfahrung 232 – Lebenserfahrung 139, 332, 344, 373, 403 – Leidenserfahrung 157, 207, 221, 234, 297, 300, 409 – Ostererfahrung 191, 375 – Selbsterfahrung 360f. – Todeserfahrung 74, 187, 190, 358 – Zeiterfahrung 254 Erleben 7, 36, 38, 44, 45, 65, 95, 102, 105, 140, 152, 165, 179, 209, 218, 293, 299, 357, 403 Erlösung 67, 123, 167, 249ff., 255f., 259, 368, 383, 385 – Erlösungssehnsucht 221 – Erlösungstod 149 – Selbsterlösung 67, 111 Erwählung 113, 117ff., 140f., 189, 216 Eschatologie 81, 221ff., 163ff., 294, 297, 299, 376, 378 – Herrlichkeitseschatologie 278, 280 Exegese 2, 15, 16, 21, 92, 161, 162, 172, 173, 264, 287, 324ff., 344, 366, 367, 369, 370, 372, 411 Externität 270f., 278, 282, 288, 293, 362
426
Sachregister
Fides – Fides generalis 52 – Fides qua 132 – Fides quae 132 – Fides specialis 52 Freiheit 19, 51, 55ff., 66, 76, 80f., 108f., 118, 120, 144, 167, 171, 187, 194f., 202, 211f., 227, 233, 244, 255, 258ff., 284, 290, 292, 294, 296, 300, 306, 320, 329, 399 Gebote 34, 46, 49, 55, 59, 197 Geheimnis 7, 52, 134, 135, 142, 155, 177, 204, 391 Gehorsam 46, 49ff., 59, 65, 137, 142, 144, 163, 166, 192, 312, 378 Geist, Heiliger 29, 31, 179, 306, 309, 315, 336, 359ff., 401 Gerechtigkeit 21, 34, 41, 50, 55, 91, 95, 110, 112f., 117, 121, 123, 136, 138ff., 176, 222, 224f., 238, 246, 250ff., 278f., 284f., 294, 338, 355, 357, 368, 386f., 392, 394, 397, 399 Gericht 41, 56, 66, 78, 86f., 105, 111f., 115, 117f., 138, 142f., 150f., 159, 193, 200, 269, 271f., 308, 332, 338, 341ff., 366, 377, 380, 381, 383f. Geschichte 1, 7, 30, 32, 43, 52, 72, 79, 96, 122, 124ff., 130, 136, 142ff., 154, 163, 180, 221ff., 228, 244, 251, 255, 266, 272, 278, 281, 293, 298, 299, 303, 306, 309, 313, 317f., 324ff., 365, 367, 377 – Geistesgeschichte 200 – Glaubensgeschichte 208 – Heilsgeschichte 31 – Herzensgeschichte 31f. – Kirchengeschichte 15 – Lebensgeschichte 246 – Leidensgeschichte 246, 255, 257, 309 – Passionsgeschichte 186, 244, 307, 309 – Rezeptionsgeschichte 290 – Theologiegeschichte 15, 61, 85, 290 – Weltgeschichte 31, 71, 230, 246 – Wirkungsgeschichte 9, 208, 248, 337 Gesellschaftstheorie 226, 277 Gethsemane 73, 247, 254 Gewissen 29, 85, 99, 118ff., 145, 152, 185, 191, 195, 262, 271, 296, 299, 399f.
Gewißheit 2, 28, 73, 77, 97, 106, 119, 131, 147, 177, 183, 190, 250, 360 – Auferstehungsgewißheit 185 – Gottesgewißheit 29, 33, 78 – Heilsgewißheit 30, 32ff., 40, 45, 53, 56, 169f., 183 – Rechtfertigungsgewißheit 23, 91, 361, 386 – Selbstgewißheit 401 – Wirklichkeitsgewißheit 97 Glaube 21, 28, 31, 37, 48, 52ff., 57ff., 79f., 87, 96ff., 101, 104ff., 119f., 130ff., 143ff., 173ff., 225, 228, 231, 235, 240, 244, 250ff., 262ff., 284f., 288ff., 305f., 310, 314, 319f., 328, 341, 348, 353ff., 369, 378f., 392f., 396ff. – Aberglaube 259 – Christusglaube 35 – Glaubenserfahrung 342, 366 – Glaubensfreiheit 294 – Glaubensgrund 33, 319 – Glaubenshaltung 89 – Glaubenshoffnung 56 – Glaubensinhalt 170 – Glaubensleben 42, 51ff. – Glaubensüberzeugungen 165 – Gottesglaube 29 – Heilsglaube 44, 59 – Irrglaube 207 – Kreuzesglaube 76, 85, 157 – Osterglaube 375 – Rechtfertigungsglaube 34ff., 370 – Schöpfungsglaube 147 – Unglaube 79, 142, 169, 189, 193, 213, 326 – Unheilsglaube 63 – Vorsehungsglaube 80 Gnade 5, 34, 37, 66, 69, 72, 76, 80, 86, 87, 88, 103, 133, 135, 145, 159, 168, 170, 179, 183, 193, 198, 205, 238, 254, 271, 272, 338, 340, 349, 354, 368, 373, 384, 386, 399 Golgatha 172, 244, 247, 254, 257 Gott – Deus absconditus 95, 102f., 109, 111, 115, 176, 178ff., 201, 213, 265, 308 – Gegengott 251 – Gottesbegriff 126, 186, 219, 226, 227, 232, 239, 240, 242, 245, 303, 304, 308
Sachregister
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Gottesbeweis 237 Gottesbewußtsein 41 Gottesdienst 172, 210, 215 Gotteserfahrung 218, 331 Gotteserkenntnis 29ff., 58f., 77, 96, 98, 101ff., 109f., 176f., 210, 213, 228f., 236ff., 300f., 308, 338, 347, 349ff., 361, 378, 403, 407, 409 Gottesferne 147, 164, 192, 377, 395, 401, 403 Gottesfrage 219, 241, 245, 291, 326 Gottesgeburt 353 Gottesgemeinschaft 36ff., 57, 71 Gottesgewißheit 29, 33, 78 Gottesglauben 29 Gottesherrschaft 136, 140 Gotteskindschaft 34 Gottesknecht 387 Gotteslehre 3, 6, 76, 78, 95, 212, 312, 316ff., 326, 411 Gottesoffenbarung 103, 109, 117 Gottesschau 109 Gottessohnschaft 48, 73 Gottestat 5, 7, 38, 69 Gottähnlichkeit 238 Gottheit 35f., 42, 47, 73, 76, 83f., 123f., 129, 135, 192 Gottlosigkeit 97, 119, 164, 178, 231, 238f., 243, 257, 309, 337, 381, 401 Gottsuche 228 Gottverlassenheit 16, 67, 105, 181, 190, 197, 200ff., 219, 232, 238f., 242f., 277, 284, 308ff., 318, 384, 411 Gottvertrauen 135 Handeln Gottes 6, 36, 42, 88, 96, 101, 108, 122, 126f., 132ff., 139, 148, 151, 156, 165f., 178, 202, 209, 224, 252, 260, 276, 277, 279, 286, 293, 298f., 319, 339f., 349, 354ff., 360ff., 373, 375, 377, 381, 387, 401, 409 Reich Gottes 45, 99, 136, 247, 254, 265, 272, 279, 286, 376, 378, 409 Selbstvergottung 229f., 320 Sohn Gottes 49, 55, 59, 67, 73f., 124f., 129, 158f., 214, 392, 394 Vater 39, 42, 46, 49, 55, 69, 76, 77f., 80, 84, 135, 136, 209, 214, 240ff., 307ff., 315f., 378
427
– Volk Gottes 50, 160 – Wille Gottes 46, 66, 75, 196, 203 – Wort Gottes 43, 177 Götter 118 Griechen 188, 204, 231, 364 Heiden 34, 35, 50, 126, 134, 169, 176 Heil 36, 45, 53, 59, 68f., 76, 85, 140, 146, 148, 165, 167f., 172, 175, 179, 183, 199, 202, 207, 217f., 227f., 260, 264f., 273, 282, 295ff., 326, 337, 340, 354, 358, 365, 369, 375, 391ff. – Heilsbedürfnis 32, 37 – Heilsereignis 167, 199f., 216, 282ff., 287, 293, 304, 320, 326, 329f., 375f. – Heilsgeschehen 67, 130ff., 375 – Heilsgewißheit 30, 32ff., 40, 45, 53f., 56, 169, 183 – Heilsindividualismus 227, 234, 276, 296, 297 – Heilstatsachen 137, 169 – Heilstod 388, 392ff. Heiligkeit 78, 80, 210ff., 214, 216, 381 Heiligung 57, 76, 80, 140, 159, 368, 385 Herrlichkeit 73, 81, 87, 139, 171f., 176, 216, 225, 252, 263, 278, 285, 333, 350 Historisch 2, 10, 13, 15, 18, 21, 26, 60, 82, 87, 100, 101, 115, 121, 125, 158, 162, 172, 176, 183, 185, 188, 230, 231, 236, 255, 273, 289, 324, 327, 328, 330, 344, 345, 366 Hoffnung 55f., 77, 97, 99, 104ff., 116, 221ff., 248, 251, 257, 258, 262, 271ff., 275, 277ff., 292f., 297, 300, 357, 381 Inkarnation 47, 59, 98, 102, 113f., 117, 126f., 167, 259, 299, 374 – Inkarnationslehre 242 Juden 34, 188, 204, 231, 248 Kirche 3, 6, 9, 11, 14, 30, 34, 35, 50, 56, 60f., 76, 78f., 81, 84, 86, 87, 98, 107, 108, 114, 118, 133f., 147, 172, 179, 227ff., 232, 234, 237, 242, 253, 259ff., 327, 332, 339, 340, 367, 384, 412f. – Kirchenkampf 93f. Kondeszendenz 167
428
Sachregister
Kreuz – Wort vom Kreuz 7, 9, 11, 17, 21, 22, 28, 30, 35, 41, 98, 99, 102, 120, 131, 133, 146, 153, 170, 186, 188, 203ff., 210, 214, 218, 231, 236, 239, 263, 277, 284, 292, 299, 300, 302, 303, 306f., 313, 317, 318, 324ff., 364ff., 371ff., 375, 378, 396, 398, 401 Liebe 36, 49, 55, 64, 69, 80, 82, 84, 106, 138ff., 165, 167f., 177, 190, 193, 196, 199, 201, 208ff., 212, 214, 216, 325, 241, 243f., 252, 258, 297, 299, 302, 303ff., 312, 314, 316, 321, 334, 357, 362, 392, 394f., 410, 412 – Feindesliebe 199 – Freundesliebe 327 Logos 10, 17, 76, 126f., 189, 221, 299, 332, 366 Lutherforschung 6ff., 100, 345, 405, 411 Mächte 118, 120, 139, 191f., 202, 308, 366ff. – Engelmächte 140 Martyrium 246, 252f., 259, 360 Menschheit 36, 39, 43, 47, 50, 56, 69, 71, 73f., 76, 78, 83, 114, 134, 137, 141, 191f., 194, 199f., 206, 209, 217, 257, 313, 380, 388 – Menschheit Jesu Christi 83, 114, 123f., 129, 135, 149 Menschwerdung 42, 102, 106, 114, 125f., 130, 144, 150, 178, 185, 200, 210, 310, 374 Metaphysik 29, 30, 32, 115, 133, 163, 176, 212, 217, 240, 241, 303f., 318f., 332, 351, 406 Mitgekreuzigt 88f., 105, 234f., 258, 271, 284, 287, 293, 354ff., 362, 373, 378, 396, 398ff. Mystik 9, 12ff., 72, 111, 113, 155, 232, 245, 349, 353f. – Kreuzesmystik 231ff. – Leidensmystik 207, 230, 232, 236, 295, 353 – Mystiker 354 – mystisch 9, 88, 107, 112, 160, 176, 232, 352, 354
– Todesmystik 14 Mythos 130f. – mythologisch 75, 130 – Entmythologisierung 130, 163f., 261, 305 Nachfolge 27, 34, 39f., 58f., 64ff., 84, 86, 107, 159, 165f., 170ff., 177, 208, 228, 231, 332ff., 253, 259, 262f., 284, 354, 372, 378, 410 Negation 88f., 112, 208, 283, 304, 337, 371f., 407 – Negation der Negation 120, 282ff. Nichts 89, 105, 147, 178, 241, 331, 353, 355, 357f., 403 Nichtsein 4, 107, 119, 320, 380 Nihilismus 97f., 147 Offenbarung 8ff., 17ff., 31f., 36, 50, 52, 63, 68, 96f., 99, 102, 103, 114ff., 127, 129, 133, 137, 139, 147f., 166, 179, 212ff., 217f., 222, 237f., 242, 252, 263, 278, 284, 287, 312, 319, 329, 371f. – Geistoffenbarung 343 – Gottesoffenbarung 103, 107, 109 – Heilsoffenbarung 102 – Kreuzesoffenbarung 64, 74 – Offenbarungsbegriff 217, 222 – Offenbarungstheologie 312f. – Selbstoffenbarung 221, 371f. Orthodoxie 235 – lutherische 4 Orthopraxie 225, 235, 251 Osterkerygma 314, 318f. Pantheismus 125 Passivität 80, 97, 106, 271, 274, 354 Paulinisch 2, 9, 10, 11, 13, 21, 28, 41, 60, 112, 127, 162, 165, 167ff., 217, 324ff., 358, 364, 387ff., 385, 386, 388, 393, 398, 405 Politik 235, 240, 253, 259ff., 286ff. – politisch 13, 94, 98, 175, 193, 217, 221, 226, 228, 230ff., 254, 287ff., 363, 365f., 376, 397, 409f. Prozeß 113, 128, 221, 250, 252, 278, 281 – Heilsprozeß 148 – Leidensprozeß 95
Sachregister
– Prozeß Jesu 223ff., 260 – Theodizeeprozeß 250, 257
429
Realismus 77, 83, 93, 110ff., 120, 122, 146 – realistisch 41, 56, 59, 74, 95, 132ff., 138, 168, 278, 300 Rechtfertigung 34, 35, 50, 51, 53, 76, 79, 90, 113, 121, 148, 159, 166, 172, 179, 218, 243, 250, 251, 256, 334, 347ff., 355, 358, 370, 385, 396f. – Rechtfertigungsartikel 33 – Rechtfertigungsbotschaft 168 – Rechtfertigungsgeschehen 6 – Rechtfertigungsgewißheit 23, 91, 361, 386 – Rechtfertigungsglaube 34ff., 370 – Rechtfertigungslehre 5, 6, 11, 21, 91, 95, 166, 172, 250, 251, 309, 318, 338ff., 345, 396, 397ff., 411 – Rechtfertigungstheologie 7, 166, 244, 330, 331, 338f., 340 Redactus ad nihilum 353, 356ff., 398 Reformation 2, 13, 28, 34, 35, 58, 60, 79, 87, 102, 107, 138, 146, 148, 217, 250, 299, 344, 406 Religion 14, 19f., 28, 30, 34ff., 45ff., 59, 71, 98, 124, 129, 149, 170, 191, 211, 223, 232, 260f., 267f., 272, 281, 320, 331, 341, 393, 398 Revolution 62, 88 – Revolution im Gottesbegriff 219, 227, 239ff. revolutionär 14, 147, 241, 248, 267, 269, 281, 296
Schrift, Heilige 27, 41, 44, 47, 78, 104, 114ff., 134, 138ff., 167, 243, 324f., 352, 362, 372 Sieg 73ff., 120, 150, 159, 167, 192, 200, 216, 249ff., 186, 295f., 304, 336, 377f., 383, 388, 395 Solidarität 215, 235ff., 247, 256, 268, 274f., 277, 280ff., 293, 298, 320, 342 Soteriologie 21f., 27, 41, 59, 61, 174, 226f., 251ff., 276f., 295, 303, 316f., 374, 376f., 380, 407 – Desoteriologisierung 175, 249f., 256, 286, 295ff. Spekulation 4, 13, 27, 29ff., 37, 59, 101, 109, 114, 130, 155, 176ff., 191, 200, 223, 309, 355, 406 Strafe 44, 47ff., 56, 62ff., 117, 120, 145, 167, 194, 196, 198, 201, 215, 406 Stellvertretung 36, 44, 47ff., 56, 60, 63ff., 117f., 137f., 142ff., 151, 167, 188, 192, 196, 201f., 215, 247, 249, 251, 301, 381ff., 392, 394, 406 Sühne 38, 41, 44ff., 53, 59, 188, 192, 201, 209, 378, 384, 386ff. Sünde 2, 14, 21, 36, 41, 43, 44, 45, 47ff., 53, 56, 59, 65ff., 88, 106, 110, 112, 113, 115ff., 128, 130, 137, 141ff., 151, 158, 163, 165ff., 175, 178, 182, 188ff., 211ff., 225, 237, 246, 249ff., 174ff., 301, 326, 332, 349, 351, 357ff., 362, 367ff., 373, 377ff., 401ff. Sünder 43, 48ff., 56ff., 77, 80, 82, 84, 106, 121, 158, 164f., 168, 189f., 193ff., 198ff., 211ff., 237f., 249, 277, 282ff., 301, 351, 362, 364, 379ff., 392, 397, 403, 406, 409 Sündlosigkeit 144, 190, 194, 196f., 199
Satan 74f., 147, 179 Scholastik 3 Schöpfer 46f., 98, 133, 165, 178, 201, 344, 349, 357 – schöpferisch 128, 130f., 203, 327, 305, 357, 381, 397 Schöpfung 50, 71, 76, 96, 102, 111, 165, 212, 218, 230, 241, 246f., 250, 253, 257, 300, 329, 349, 351, 375, 393, 401, 408f. – Schöpfungslehre 76 – Schöpfungsmittler 76f., 169
Taufe 53, 88, 118ff., 133, 200, 216, 396 Tentatio 8, 373 Theismus 200, 240ff. Theodizee 250, 257 Theologia 4f. – Theologia crucis 2ff., 13ff., 59, 83, 85ff., 93ff., 100ff., 120f., 127, 130, 146, 151ff., 153ff., 173ff., 214f., 230, 237, 255, 263ff., 287ff., 344ff., 363f., 368, 376, 397, 405, 407 – Theologia crucis naturalis 117, 235
Quietismus 256, 353f.
430
Sachregister
– Theologia illusoria 178 – Theologia gloriae 3, 16, 86, 90, 102, 106, 109, 146, 153ff., 173, 175f., 185, 216, 229, 237ff., 263ff., 277ff., 287f., 292, 348, 350, 366, 368, 376 Theologe – Theologe der Herrlichkeit 350 – Theologe des Kreuzes 83, 90, 109, 110, 146, 176, 206, 236, 301, 342, 351, 353, 355, 365f. – Theologus crucis 97, 101ff., 109f., 346, 348ff., 361 – Theologus gloriae 348, 350f. Theologie – christozentrische 5, 26, 28, 32 – dialektische 8ff., 15ff., 61f., 82f., 85, 91ff., 127f., 151, 174, 227, 267, 405ff. – Herrlichkeitstheologie 146, 154, 158ff., 206, 278, 280ff., 286ff., 350, 356, 364, 367 – katholische 13, 155 – liberale 7, 17 – negative 369ff. – neuprotestantische 7, 136 – reformatorische 2, 13, 28, 35, 60, 217, 250, 299 – staurozentrische 5, 6, 60ff., 75, 312, 313, 315, 316, 333, 406 – theozentrische 5, 28, 61ff., 75 Theorie 20ff., 93, 116, 171, 188, 190, 209, 221, 226, 228ff., 235f., 238f., 289, 292, 299f., 307, 317, 378 – Erkenntnistheorie 96 – Gesellschaftstheorie 226, 277 – Heilstheorie 147 – Metatheorie 7, 331, 338 – Satisfaktionstheorie 193 Tod 26, 41, 43, 47ff., 53, 65ff., 71ff., 80, 84, 85, 87ff., 98, 104, 105, 107, 113, 115ff., 136ff., 150, 151, 158, 167, 181ff., 192, f., 198, 206ff., 212, 215ff., 223, 234, 240, 244, 248, 263, 270, 280, 297, 301, 303, 305ff., 340, 353, 255ff., 368, 377, 379ff., 395, 399ff. – Tod Gottes 13, 16, 135, 200ff., 240, 304ff. – Tod des Todes 192 – Todesverhängnis 395
Torheit 7, 71, 126, 163, 165, 189, 258, 284, 288, 300, 350, 352, 354, 364ff. Tradition 2, 22, 83, 97, 132, 35, 166, 167, 172, 200, 203, 214, 217, 221, 222, 226ff., 247, 248, 252, 262, 275, 286, 290, 295, 296, 304, 309, 311, 317, 326, 337, 342, 365, 385, 386, 387, 388, 392, 393, 408, 410 Treue 222 – Berufstreue 137, 149 – Treue Gottes 222, 376 – treu 80, 137 Trinität 314ff. – Trinitätslehre 76, 78, 242ff., 254, 280, 302, 307, 309f. – trinitarisch 20, 36, 78, 232, 240, 242, 258, 308, 313ff., 321, 411 – trinitätstheologisch 76, 241, 243, 308f., 312, 315, 317, 319, 410f. Trost 44, 58, 85, 90, 107, 147, 152, 179, 293 Ungerechtigkeit 65, 195, 207, 217, 238, 253, 258, 399, 409 Verantwortung 136, 144, 181, 189, 204, 215f., 244, 267, 268, 270, 277, 292, 300, 343, 371, 383 – Politische Verantwortung 268, 296 – Weltverantwortung 262, 300 – Wirklichkeitsverantwortung 182 Verborgenheit 95, 124, 129, 176, 179, 201, 212ff., 263, 369, 370, 372 Vergebung 6, 34, 80, 81, 112, 118, 120, 137, 152, 178, 225, 250, 254, 256, 301, 383, 385, 407 Verheißung 35, 85ff., 104, 159, 184, 222ff., 251, 376 Verkündigung 20, 85ff., 118, 133, 143, 170, 180, 186, 210, 215, 230f., 330, 332, 338, 343, 369, 375, 377, 394 Vernunft 20, 99, 126, 145, 176f., 182, 237, 306, 312, 333f., 360ff., 370 Versöhnung 2, 7, 12, 19f., 27, 33, 35f., 40ff., 49ff., 64, 67, 69ff., 75, 77ff., 82f., 94, 98f., 101, 134, 140, 149, 151, 153, 156, 167, 173, 175, 190, 192, 197ff., 208ff., 214ff., 250ff., 262, 378, 383, 385ff., 394, 406ff.
Sachregister
– Versöhnungsgeschehen 45, 54, 59, 63, 69, 71, 74, 98, 190, 199, 206ff., 215ff., 250, 406, 408f. – Versöhnungslehre 12, 19, 20, 27, 43, 56, 61ff., 74, 77ff., 82, 84, 101, 130, 153, 156, 173, 192, 214, 215, 262, 406, 408f., 412 Verzweiflung 55, 79, 145, 155, 163, 168, 183, 282ff., 381, 403 – Verzweiflungsschrei Jesu 197, 283 Vita – Vita activa 108f. – Vita passiva 104, 108f. Wiedergeburt 6, 76, 80, 178 Wirklichkeit 12, 28, 31ff., 43, 52, 56ff., 77,
– – – –
431
81, 83, 95ff., 110, 112, 115, 116, 119f., 123, 127, 130, 138, 141, 143, 149, 151ff., 163, 164, 166, 174, 176ff., 180, 201, 204, 206, 209, 213, 216ff., 221, 223, 237ff., 262, 266ff., 277, 291, 295, 299, 308, 339, 350f., 355ff., 361, 363, 387, 392, 397, 398, 407ff. Lebenswirklichkeit 97, 203, 252 Todeswirklichkeit 73, 74, 187, 216, 244, 320, 377, 381 Wirklichkeitserkenntnis 97, 112 Wirklichkeitsverantwortung 182
Zweifel 55, 105, 312, 336, 361f. Zweinaturenlehre 37, 76, 242, 246