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German Pages 428 Year 2017
Laila Lucie Huber Kreativität und Teilhabe in der Stadt
Kultur und soziale Praxis
Laila Lucie Huber (Dr. phil.) ist Kulturanthropologin und Kulturarbeiterin. Zu ihren Forschungs- und Arbeitsschwerpunkten zählen Stadtanthropologie, partizipative Kunst und Kulturarbeit sowie kritische Kulturvermittlung.
Laila Lucie Huber
Kreativität und Teilhabe in der Stadt Initiativen zwischen Kunst und Politik in Salzburg
Gefördert durch die Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-LodronUniversität Salzburg und die MA 2/00 Kultur, Bildung und Wissen der Stadt Salzburg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Dank | 9 Einleitung | 11
I. STANDORTBESTIMMUNG UND FORSCHUNGSFELD 1. Standortbestimmung meiner selbst und Feldzugang | 21
1.1 Mein Feldeinstieg in Salzburg | 23 1.2 Suchbewegungen in Salzburg | 25 2. Fragestellung und Methode | 29
2.1 Suchbewegungen zur Fragestellung | 29 2.2 Methodische Überlegungen | 31 2.2.1 Collage und dichte Beschreibung | 31 2.2.2 Dichte Beschreibung | 32 2.2.3 Feldforschung | 33
II. THEORETISCHE BEZUGSPUNKTE 1. Kreativität und Teilhabe | 43
1.1 Der Schrei – rationale und sinnliche Wege der Erkenntnis zusammenführen | 43 1.1.1 Ästhetische Anthropologie – ein Standort zwischen Kunst und Wissenschaft | 44 1.1.2 Kreativität als soziale Kraft – poetisches Handeln als das Umsetzen von Wünschen | 57 1.2 Ökonomisierung von Kreativität im zeitgenössischen Kapitalismus | 65 1.2.1 Die Vormachtstellung der Kreativwirtschaft und das Herstellen von Öffentlichkeit | 67 1.2.2 Gouvernementalität und der neue Geist des Kapitalismus | 70 1.2.3 KünstlerInnen als Role Models vs. emanzipatorische Handlungsspielräume | 73 1.3 Kunst und Politik – das kulturelle und das politische Feld | 74 1.3.1 Felder der symbolischen Macht und die Strategie der Häresie (Pierre Bourdieu) | 76 1.3.2 Die (Neu-)Aufteilung des Sinnlichen (Jacques Rancière) | 79
1.3.3 Dialogical Aesthetics – Kunst als Prozess und das Dialogische (Grant Kester) | 85 2. Collage City und die Orientierung am Möglichen | 89
2.1 Die Stadt als Forschungsgegenstand in Ethnologie und Soziologie | 92 2.1.1 Die Verbindung zwischen Lokalität und Globalisierung: Transnationale Urbanität | 95 2.1.2 Raumproduktion und Spatial Turn | 96 2.1.3 Lefebvres Theorie der Raumproduktion | 98 2.1.4 Bourdieus Theorie der Ortseffekte: physischer, sozialer und angeeigneter Raum | 103 2.1.5 Habitus und Eigenlogik der Stadt | 105 2.1.6 Community, Identität und symbolische Ortsbezogenheit | 108 2.2 Die Stadt als umkämpfter Raum – sich Stadtraum aneignen | 114 2.2.1 Collage City – die Stadt als urbane Collage | 114 2.2.2 Die Lesart des Möglichen (Henri Lefebvre) | 118 2.2.3 Unitärer Urbanismus – die Situationisten und die Stadt | 121 2.2.4 Das Imaginäre der Stadt und urbane Assemblagen | 128 2.3 Stadtentwicklung und Kreativität | 132 2.3.1 Vom funktionalistischen Stadtbild zur sozialen Fabrik | 133 2.3.2 Kultur als strategischer Standortfaktor | 138 2.3.3 Zwischen Partizipation und Widerstandsstrategien | 142
III. STADT S ALZBURG 1. Die Stadt Salzburg und das kulturelle Feld | 147
1.1 Die Kulturstadt Salzburg im historischen Kontext | 148 1.2 Die Kulturstadt Salzburg heute | 151 1.2.1 Kulturleitbild der Stadt Salzburg | 151 1.2.2 Stadtentwicklung, Kunst, Kultur, Kreativwirtschaft und Partizipation: Das Stadtwerk Lehen als Kreativzentrum | 158 2. Zeitliche und räumliche Einbettung: Alternativkultur, Kunst und Stadt | 163
2.1 Alternativkultureller Aufbruch | 163 2.1.1 Freiraum: autonome und soziale Zentren | 165 2.1.2 Die Hausbesetzungsbewegung in Europa seit den 1970er Jahren | 168 2.2 Kunst und Leben – Kunst und Stadt | 169 2.2.1 Vom Objekt zur Intervention in der Stadt | 169
2.2.2 Ortsspezifische Kunst | 171 2.2.3 Aneignung von (Kunst-)Raum: Leerstandsnutzung als Strategie der Raumaneignung | 172 3. Aufbruch und alternativkulturelle Öffnung in Salzburg nach 1968 | 175
3.1 Physische Raumnahme: Juli 1976 – die Besetzung des Petersbrunnhofs | 176 3.2 Diskursive Raumnahme: Zeitung, Stadtbücher und „Gegenlicht“ | 181 3.3 Die Arge-Rainberg-Bewegung | 185 3.3.1 Vom Imaginären zur Verwirklichung: Symbolischer Ort und physischer Treffpunkt der Alternativkultur | 191 3.3.2 Das Ende einer Ära und Neuaufbruch | 193
IV. FALLBEISPIELE : TÄTIGSEIN UND RAUMANEIGNUNG 1. Politisch-soziales Tätigsein und autonome Raumaneignung | 203
1.1 Konstituierung einer jungen alternativkulturellen Szene und die „Besetzung der alten Arge“ | 211 1.1.1 Der Infoladen Salzburg | 212 1.1.2 Der RAUM | 215 1.1.3 Die Zeitschrift „Mono Poly – Einfach Viel“ | 219 1.1.4 Poetro – Literatur- und Kunstplattform | 223 1.1.5 Die Besetzung: „Alte Arge – Neu Besetzt!“ | 225 1.1.6 Analyse: Raumaneignung als körperlicher Sprechakt Verbindungslinien zw. Vergangenheit und Gegenwart | 234 1.2 „SUB“ – für das richtige Leben im falschen … | 238 1.2.1 Entstehungsgeschichte des SUBs | 239 1.2.2 Selbstrepräsentation und Selbstverständnis | 246 1.2.3 Sozialen Raum gestalten | 250 1.2.4 Verortung auf der symbolischen Landkarte der Stadt | 257 1.2.5 Zukunftsvision: Mehr Raum | 258 1.2.6 Analyse SUB: Der Traum vom Raum | 262 2. Künstlerisch-imaginatives Tätigsein – partizipative Strukturen auf Stadtteilebene und Zwischennutzung | 265
2.1 Vom „artforum Lehen“ zum „artforum Salzburg“ | 271 2.1.1 Entstehungsgeschichte des artforums | 273
2.1.2 Die Zeit im Stadtwerkehochhaus: Mythos „Cult-Tower Lehen“ | 276 2.1.3 Zäsur: Auszug aus dem Hochhaus und Neuorientierung | 282 2.1.4 Analyse: „artforum Lehen“ vs. „artforum Salzburg“ | 288 2.2 „grandhotel itzling“ ein partizipatives Kunstprojekt von ohnetitel | 294 2.2.1 Die Reihe „Vorstadt vor Ort“ | 294 2.2.2 Das „grandhotel itzling“ (2011) | 304 2.2.3 Analyse: grandhotel | 319 2.2.4 Gesamtanalyse der Reihe „Vorstadt vor Ort“: Schnittstellen zwischen Fiktion und Realität | 329 3. Handwerklich-materielles Tätigsein und kooperative Raumaneignung | 337
3.1 „Initiative für eine offene Werkstatt Salzburg“ | 342 3.1.1 Entstehungskontext der Initiative für eine offene Werkstatt | 342 3.1.2 Ressource symbolischer Raum: Imagination und Vision | 344 3.1.3 Ressource sozialer Raum: Ort der Begegnung | 347 3.1.4 Ressource physischer Raum: Standort und ökonomisches Kapital | 348 3.1.5 Das Vorurteil der Konkurrenz und das Gespenst der Schwarzarbeit | 350 3.1.6 „Ich nehme jetzt einmal an, es wird etwas …“ Vision und Zukunftsperspektiven | 351 3.1.7 Analyse: Initiative für eine offene Werkstatt | 353 3.2 „Craftivism – selbstgemachter Stammtisch“/freiTräume | 355 3.2.1 Das Kunst- und Kulturfeld als politisches Handlungsfeld | 355 3.2.2 freiTräume und die Initiative Craftivism-Stammtisch | 357 3.2.3 Erwartungen, Entwicklungen, Enttäuschungen | 358 3.2.4 Die Suche nach der richtigen Zielgruppe | 360 3.2.5 Zukunftsperspektive: Vernetzung „Someone should use the material …“ | 362 3.2.6 Analyse: Initiative Craftivism | 364 3.3 Schlussfolgerungen: Do-it-Yourself in Salzburg | 367
V. CONCLUSIO: TOPOGRAFIE (N) DES MÖGLICHEN Literatur- und Quellenverzeichnis | 391
| 369
Dank
Die Entstehung dieses Buches wurde von unterschiedlichen Menschen begleitet, unterstützt und ermöglicht. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle herzlich danken! Meinen InterviewpartnerInnen danke ich für ihre Zeit und Bereitschaft zum Teilen ihrer Erfahrungen und ihres Wissens. Durch ihr Interesse und ihre Offenheit wurde die empirische Forschung, die das Fundament dieser Arbeit bildet, erst möglich. Dem Doktoratskolleg „Kunst und Öffentlichkeit“ an der Universität Salzburg & Universität Mozarteum Bernhard Gál, Wolfgang Gratzer, Kornelia Hahn, Nadja Klement, Otto Neumaier, Sonja Prlić und Luise Reitstätter danke ich für den kontinuierlichen fachlichen Austausch und die kollegiale Atmosphäre. Jens Badura, Judith Laister sowie Johannes Moser danke ich für ihr Interesse und den wertvollen Austausch in verschiedenen Phasen des Entstehungsprozesses der Forschungsarbeit. Mein besonderer Dank gilt Angela Huber, Cécile Huber, Richard Huber, Iris Mendel und insbesondere Johannes Wagner für ihre vielfältige Unterstützung zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Formen , die den Entstehungsprozess von Beginn der Forschung bis zur Fertigstellung des Buches begleitet haben.
„Ganz egal wie alt du bist, tu einfach wonach dir ist, schränke dabei keinen ein, und alle werden glücklich sein!“1
1
Flyertext im Rahmen der Besetzung des ehemaligen Kulturgeländes Arge Nonntal in Salzburg im März 2006 (Flyer „Alte Arge – Neu besetzt“).
Einleitung
Das utopische Denken beinhaltet Poesie. Bleibt das poetische Moment immer im Unvollendeten, im Dazwischen dessen, wie es ist und wie es sein könnte? Und ist das Bloch’sche Noch-Nicht (vgl. Bloch 1977) nicht auch zentral für die Lebendigkeit und Veränderlichkeit sozialer Beziehungen und des sozialen Raums schlechthin? Wie verhält es sich mit dem poetischen Moment, wenn Utopien, also andere Orte und Räume, realisiert werden? Und was hat das politischtransformative Moment mit dem „wilden Denken“ des Bastlers (vgl. LéviStrauss [1962] 1973) bzw. dem mythischen und insofern poetischen Denken zu tun? Ausgehend von John Holloways (2004) Definition des Schreis als Startpunkt wissenschaftlicher Forschung situiere ich die vorliegende Arbeit als ästhetische Anthropologie, in Anlehnung an Ina-Maria Greverus (2005). Als wichtige Antriebskraft anthropologischer Forschung wird dabei das Imaginäre und das Bloch’sche Noch-Nicht einer besseren Welt verstanden. Ernst Bloch bezeichnet als „Noch-Nicht“ das utopische, fragmenthafte Wesen des Seins, das „Nicht“ versteht er als „utopisch-dialektische weitertreibende Negation“ (Bloch 1977: 360). Durch das prozessuale Noch-Nicht wird Utopie zum Realzustand der Unfertigkeit (vgl. ebd.) und verweist auf das stetige Werden und das Streben nach Glück und einer besseren Welt, das Bloch als „Prinzip Hoffnung“ fasst.1
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Blochs „Prinzip Hoffnung“ wurde u.a. im Sinne des Fortschrittsglaubens usurpiert. In diesem Kontext stellt Hans Joas (1984) dem Prinzip Hoffnung das „Prinzip Verantwortung“ anstelle des „Prinzips Furcht“ gegenüber. Joas versteht Hoffnung als Bedingung jeden Handelns, wobei in der Hoffnung das Potenzial zur „selbstvertrauenden Zuversicht“ steckt, die sich wiederum in verantwortungsvollem Handeln ausdrückt. Dabei versteht er Verantwortung als „die als Pflicht anerkannte Sorge um ein anderes Sein.“ (Joas 1984: 91)
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Bezugnehmend auf Claude Lévi-Strauss’ Begriffe des mythischen/wilden Denkens und des rationalen/gezähmten Denkens formuliere ich ein dazwischen liegendes poetisches Denken. Dieses poetische Denken beschreibt einerseits den Standort einer eingreifenden Kulturanthropologie/Wissenschaft sowie andererseits, im Feld selbst, das auf wunscherfülltes, auf transformatives Handeln ausgerichtete Denken. Aufbauend auf das poetische Denken wird Kreativität als sozialer Prozess im Sinne Holloways (2004) und David Graebers (2008) aufgefasst und beschrieben. Für vorliegende Arbeit wird ein Verständnis von Kreativität geprägt, das das demokratiepolitische Potenzial fokussiert und sich von der Ökonomisierung von Kreativität dezidiert abgrenzt. Entgegen der Engführung von Kreativität als ökonomisch verwertbarer kultureller Produktion setze ich die empirische Forschung an der Schnittstelle des kulturellen/künstlerischen Feldes und des politischen Feldes an. Denn gerade die nicht-kommerzielle kulturelle Produktion und Herstellung von Öffentlichkeit ist, meiner Meinung nach, der Dreh- und Angelpunkt, um Kreativität zu restituieren bzw. zurückzuholen.2 Es geht mir darum, das Denken von Möglichkeiten zurückzugewinnen. Um mein Interesse an der Schnittstelle des kulturellen und politischen Feldes zu fundieren, beziehe ich mich auf Jacques Rancières Theorie der „Aufteilung des Sinnlichen“ (2008), in der er Kunst und Politik als die zwei gesellschaftlichen Bereiche beschreibt, in denen die Bedingungen für Teilhabe ausgehandelt werden. Sowohl in der Kunst als auch in der Politik wird festgelegt, welche AkteurInnen bzw. Standorte und Formen innerhalb einer Gemeinschaft gehört und gesehen und insofern auch gespürt und wahrgenommen werden und welche nicht. Mit seinen Überlegungen schafft er eine neue Möglichkeit, Schnittstellen von Kunst, Kultur und Politik zu denken. Rancières Überlegungen zum Kunstund Kulturfeld sowie zu den Überschneidungen dieser gesellschaftlichen Tätigkeitsfelder lese ich parallel bzw. in Ergänzung zu jenen von Pierre Bourdieu (2001a, 2001b), der sich ebenfalls intensiv mit dem Kunstfeld sowie dem Feld der Politik beschäftigte. Von besonderem Interesse sind für mich Pierre Bourdieus gesellschaftstheoretisches Konzept des sozialen Raums und die Positionierung der AkteurInnen des kulturellen Feldes als dem Machtfeld zugehörig, jedoch als „beherrschte Herrschende“ in einer tendenziellen Position der Opposition, Häresie und Infragestellung der herrschenden Ordnung befindlich. Die zeitgenössisch dominante Verortung von Kreativität im ökonomischen Sektor und die Loblieder auf Kreativwirtschaft und „Kreative“ werden ebenfalls
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In der Ausgabe „Kreativität. Eine Rückrufaktion“ der Zeitschrift für Kulturwissenschaften (Althans et al. 2008) wurde ein ähnlicher Versuch gestartet.
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besprochen, insbesondere, da sie für das Forschungsfeld Stadt im hegemonialen Diskurs eine zentrale Bedeutung besitzen. Die Kreativwirtschaft wird als dominanter ökonomischer Sektor der Wissensökonomie und der postfordistischen Stadt verstanden. Mein Forschungsvorhaben situiert sich quer zu den Forschungslinien Kreativwirtschaft, Gentrifizierung und Stadtentwicklung. Diese stehen nicht im Zentrum, jedoch im konzentrischen Umfeld meiner Fragestellung und werden daher im theoretischen Rahmen erläutert. Im kreativwirtschaftlichen Diskurs werden die KünstlerInnen zum Role Model des „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling 2007) stilisiert. In Bezug auf die Figur der KünstlerInnen als Projektionsfläche zeitgenössischer hegemonialer Diskurse ist neben dem kreativwirtschaftlichen Hype auch das Partizipationsparadigma in der zeitgenössischen Kunst zu beachten: Der kritische Impetus der Anfänge partizipativer künstlerischer Praxen in den 1960er und 70er Jahren verkehrte sich zusehends in eine Kunst, die als sozialer Kitt eingesetzt wird, jedoch ihren vormals gesellschaftskritischen Ansatz einbüßt (vgl. Huber 2009). Insgesamt weisen die Entwicklungen im Mainstream mit Kreativwirtschaft einerseits und Kunst als sozialem Kitt andererseits weg von Kunst und Kreativität als Positionen der Gesellschaftskritik. Mir scheint, dass heute Joseph Beuys’ Ausspruch „Jeder Mensch ist ein Künstler“3 – den er im Rahmen seiner Theorie der „Sozialen Plastik“ und eines erweiterten Kunstbegriffs formulierte – nicht mehr funktioniert, nicht zuletzt, da dieser Ausspruch unter umgekehrten Vorzeichen in die Realität umgesetzt wurde: insofern heute ein Diskurs des „kreativen Imperativs“ (von Osten/Spillmann 2002) herrscht, der suggeriert jede/r sei selbstverantwortlich für seine/ihre Karriere und Grundlage dafür sei die maximale Ausbeutung der eigenen Kreativität für den Markt. Beuys’ Ausspruch „Jeder Mensch ist ein Künstler“ meint, ganz in meinem Sinne, dass jeder Mensch kreatives Potenzial bzw. das Potenzial des Möglichkeitssinns hat. Doch ist das Bewusstsein für diese Bedeutung von Kreativität heute nicht mehr so leicht herzustellen, da der Begriff
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Das vollständige Zitat Beuys’ aus seinem Aufsatz „Ich durchsuche Feldcharakter“ lautet: „JEDER MENSCH IST EIN KÜNSTLER, der aus seiner Freiheit, denn das ist die Position der Freiheit, die er unmittelbar erlebt, die anderen Positionen im GESAMTKUNSTWERK ZUKÜNFTIGE GESELLSCHAFTSORDNUNG bestimmen lernt. Selbstbestimmung und Mitbestimmung im kulturellen Bereich (Freiheit), in der Rechtsstruktur (Demokratie) und im Wirtschaftsbereich (Sozialismus), Selbstverwaltung und Entflechtung (Dreigliederung) findet statt: DER FREIE DEMOKRATISCHE SOZIALISMUS“ (Beuys ([1972] 1998: 1120).
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Kreativität im ökonomischen Bereich usurpiert wurde.4 Meiner Meinung nach ist die Figur der KünstlerInnen viel zu be- und überladen sowie jene der „Kreativen“ viel zu stark ökonomistisch verortet. Es geht u.a. um das Erörtern einer anderen Denkfigur, die die Gesellschaftskritik wieder in den Vordergrund hebt. Diese Denkfigur muss nicht notwendigerweise eine personelle Form einnehmen, sondern kann sich eventuell von Beginn an auf einen Prozess beziehen, wie beispielsweise jenen des poetischen Denkens oder der Kreativität als soziale Kraft und sozialer Prozess (vgl. Holloway 2004; Graeber 2008). Es erscheint mir von großer Wichtigkeit, auf theoretischer Ebene Ansätze zu suchen und mit empirischer Forschung dieser Entwicklung Konzepte und Belege anderen Denkens und Handelns entgegenzusetzen und lokal sichtbar zu machen. Lokal sichtbar zu machen, bedeutet im Rahmen dieser Arbeit die Bezugnahme auf das konkrete Lebensumfeld Stadt, am Beispiel Salzburg. Ich orientiere mich an Lefebvres Formulierung der Lesart des Möglichen von Städten. Es geht darum, sich am Potenziellen, am Wunsch zu orientieren. Als Denkfigur für das Potenzielle steht die „Topographie des Möglichen“ (Rancière 2008: 61) dem Begriff des „städtischen Habitus“ (vgl. Lindner 2003) und der „Eigenlogik der Stadt“ von Martina Löw (2008a) gegenüber. Dabei wird nach den eigenlogischen Strukturen und spezifischen Dispositionen der Stadt gefragt, die bestimmten Formen von Kreativität zum Ausdruck verhelfen, während andere Formen keinen oder kaum Ausdruck finden, da die dafür notwendigen Strukturen durch die dominante Eigenlogik einer Stadt gehemmt werden können.Im Rahmen meiner Forschungsarbeit stellt sich die Frage nach der Verfügbarkeit der Ressource Raum für nicht-kommerzielle kulturelle Produktion/nichtkommerzielles kulturelles Schaffen. Als roter Faden dient das Verständnis von Kreativität als sozialer, auf gesellschaftliche Transformation gerichteter Prozess des Herstellens von Situationen und Räumen der Teilhabe an Schnittstellen des kulturellen und politischen Feldes.5 Dabei geht es um die aktive Teilhabe an kollektiven Prozessen der Herstel-
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Dies wird nicht zuletzt im Diskursfeld der sich neu etablierenden Begriffskonstellation und Praxis „künstlerischer Forschung“ deutlich. Der Machtkampf zwischen einer ökonomistischen Eingliederung und einem gesellschaftskritischen Verständnis von künstlerischer Forschung ist dabei voll im Gange.
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Da es mir um die Untersuchung von Situationen und Räumen geht, erläutere ich als Hintergrundfolie die Theorie des „unitären Urbanismus“ der Situationistischen Internationalen, die eine frühe Form der eingreifenden Kunst im Stadtraum darstellte und dabei gleichzeitig die Unterteilung von Kunst, Politik und Alltag ablehnte und über-
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lung von sozialen Räumen des Tätigseins abseits der Erwerbsarbeit, die in Richtung einer „transformierten Alltäglichkeit“ (vgl. Lefebvre 1972a) weisen. Auf der Suche nach Positionen der Infragestellung des dominanten Habitus der Stadt Salzburg geht es darum, Aufbruchslinien eines anderen kulturpolitischen Imaginären als jenem der Hochkultur, Tradition und Tourismus in der Stadt sichtbar zu machen und ihr Zustandekommen zu analysieren. In Salzburg fand eine erste alternativkulturelle Öffnung ihren Ausdruck in den Raumforderungen und Raumeroberungen einer jungen alternativkulturellen Bewegung, die 1976 mit einer Besetzung ihren sichtbaren Anfang nahm und einige Jahre später in der Gründung des selbstverwalteten Kulturgeländes Arge Nonntal münden sollte. In der Gegenwart Salzburgs verfolge ich also Aufbruchslinien, die sich unter dem Slogan „Kunst und Kultur für alle“ (vgl. Nußbaumer/Schwarz 2012b)6, der in den 1970er/80er Jahren für die alternativkulturelle Bewegung stand, fassen lassen, wobei diese sich in unterschiedlichen Ausformungen manifestierten. Drei Bereiche haben sich als greifbare Einheiten in der lokalen Textur der Stadt Salzburg an der Schnittstelle zwischen kulturellem und politischem Feld herauskristallisiert, die für die Ausarbeitung einer „Topografie des Möglichen“ eine bedeutende Relevanz hatten: „politische Selbstorganisation“ (diskursives Bezugsfeld: Politik), „künstlerische Selbstorganisation“ (diskursives Bezugsfeld: Kunst) und „handwerkliche Selbstorganisation“ (diskursives Bezugsfeld: Do-it-Yourself). „Politische Selbstorganisation“ spielt eine zentrale Rolle, da Kulturarbeit immer als Teil von emanzipatorischem gesellschaftlichen Wandel oder Utopien zu betrachten ist, insbesondere hinsichtlich der Zurverfügungstellung von Raum und Wissen. Hier wird die historische Linie der Alternativkultur und des „politisch-sozialen Tätigseins“ sowie der „autonomen Raumaneignung“ verfolgt. „Künstlerische Selbstorganisation“ wird einerseits unter dem Aspekt betrachtet, sich Raum zum künstlerischen Schaffen anzueigenen, sowie andererseits un-
schritt. Als Bezugspunkt dient mir der unitäre Urbanismus insbesondere in seiner Eigenschaft eines grenzüberschreitenden Denkens, das Teilhabe und Aneignung sowie einen veränderten urbanen Alltag zum Ziel hat und durch das Herstellen nichtkommerzieller Situationen bzw. kultureller Interventionen in den städtischen Alltag eingreift. 6
Der diesem Selbstverständnis zugrunde liegende Kulturbegriff zielt ab auf eine „Aufhebung der Trennung von Produktion und Konsum, Kunst und Publikum, Politik und Alltag […]. ‚Alle‘ ermächtigt zu direktem Handeln, dessen Legitimität aber erst durch die Praxis beurteilt wurde.“ (Nußbaumer/Schwarz 2012b: 16)
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ter dem Aspekt partizipativer Kunst als Ausdruck des Überschreitens der Grenze von Kunst und Leben. Dabei liegt der Fokus auf „künstlerisch-imaginativem Tätigsein“ auf Stadtteilebene sowie der Raumaneignung durch „Zwischennutzung“. „Handwerkliche Selbstorganisation“ als historische Linie des DIYPunkprinzips einer selbstgemachten Welt steht für die oszillierenden bzw. potenziell wechselnden Positionen der ProduzentInnen und KonsumentInnen sowie für ein nicht-kommerzielles Kulturverständnis. Hier wird „handwerklichmaterielles Tätigsein“ im Kontext der beiden zuvor eingeführten Aufbruchslinien verfolgt sowie der Aspekt „kooperativer Raumnutzung“ betrachtet. 7 Im Folgenden wird ein Überblick über die Gliederung des Buches gegeben: In Kapitel I werden Feldzugang, Fragestellung und die methodischen Überlegungen ausgeführt. In Kapitel II werden die für meine Arbeit bedeutsamen theoretischen Ansätze dargestellt: Im ersten Teil „Kreativität und Teilhabe“8 wird der Kreativitätsbegriff als sozialer Prozess für die vorliegende Arbeit fundiert und in Abgrenzung zu ökonomistischen Vereinnahmungen verortet. Ebenso werden Zusammenhänge von Kunst, Kultur und Politik als Felder im sozialen Raum erläutert. Im zweiten Teil „Collage City und die Orientierung am Möglichen“ wird die Stadt als sozial- und kulturwissenschaftliches Forschungsfeld eingeführt sowie die Perspektive auf Stadt als prozessuale Collage und als Möglichkeitsraum fundiert. Dabei geht es um die Verräumlichung des kulturellen Feldes in der Stadt sowie um die Rolle des physischen, sozialen und symbolischen Raums für die Topografie(n) des Möglichen (in) einer Stadt. Das Kapitel III „Stadt Salzburg“ gliedert sich in einen ersten Teil zur historischen und gegenwärtigen Kontextualisierung des kulturellen Feldes in der Stadt Salzburg. In einem zweiten Teil folgt eine zeitliche und räumliche Einbettung des alternativkulturellen Aufbruchs sowie der Aufbruchslinie zwischen Kunst
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Gerade die zweite und dritte Linie (Kunst und DIY) finden in der Herausbildung der „Kreativwirtschaft“ als diskursiv/symbolisch und strukturell unheilvolle Mischung von Flexibilisierung und Aushöhlung arbeitsrechtlicher Sicherheiten einerseits und dem Mythos künstlerischer Freiheit andererseits gewissermaßen eine Zusammenführung unter ökonomischen Vorzeichen.
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In vorliegender Arbeit geht es nicht um eine theoretische Darlegung und/oder Genealogie der Begriffe „Kreativität“ und „Teilhabe“, sondern darum, diese als operationale Begriffe (Werkzeuge) im kulturanthropologischen Werkzeugkasten zu verstehen. Dementsprechend wird eine Perspektivierung der beiden Begriffe vorgenommen.
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und Leben im Handlungsfeld Stadt. Der dritte Teil gibt Einblick in den alternativkulturellen Aufbruch der 1970er und 80er Jahre in der Stadt Salzburg. Kapitel IV umfasst sechs Fallbeispiele gegenwärtiger künstlerischer, kultureller und politischer Initiativen in der Stadt Salzburg: Im Bereich „politischsoziales Tätigsein“ und „autonome Raumaneignung“ geht es um den Kulturverein „SUB“ und die „Besetzung der alten Arge“ (2006). Im Bereich „künstlerisch-imaginatives Tätigsein“ und „Zwischennutzung“ werden das partizipative Kunstprojekt „grandhotel itzling“ des Kollektivs ohnetitel sowie der Kulturverein „artforum“ vorgestellt. Im Bereich „handwerklich-materielles Tätigsein“ und „kooperative Raumnutzung“ werden schließlich die „Initiative für eine offene Werkstatt“ sowie die „Initiative Craftivism“ analysiert. In Kapitel V wird in einer Conclusio die empirische Forschung mit den theoretischen Ansätzen reflektiert, abschließend werden Schlussfolgerungen sowie ein Ausblick als „Topografie(n) des Möglichen (in) der Stadt Salzburg“ formuliert.
I. Standortbestimmung und Forschungsfeld
1. Standortbestimmung meiner selbst und Feldzugang
Eine Standortbestimmung meiner selbst sowie das Nachzeichnen des Feldzuganges dienen der Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Themenfindung und Fragestellung. Durch die Suchbewegungen in der Stadt Salzburg hat sich der thematische Fokus des Forschungsfeldes nach und nach herauskristallisiert. Wie dies Christine Bischoff und Karoline Oehme-Jüngling betonen, bestimmen Forschende „vorläufig und immer wieder neu, die verschiedenen Ausdrucksformen des zu untersuchenden Phänomens – Handlungen, Akteur_innen, Objekte, Bedeutungszuschreibungen, Diskurse, etc. […].“ (Bischoff/Oehme-Jüngling 2014: 34) Insofern ist mit Forschungsfeld „ein Netzwerk aus verschiedenen Bezügen und Beziehungen [gemeint], das sich immer wieder neu und anders konstituiert“ (ebd.). Ich kam im Frühling 2010 aufgrund einer neuen Anstellung von Berlin nach Salzburg. Die Annäherung an mein Forschungsfeld gestaltete sich parallel zu meinem individuellen Zurechtfinden in der Stadt und erfolgte über meine Berufstätigkeit im Feld der bildenden Kunst. Das Spannungsfeld Kulturarbeit und politisches Handeln stellt jenes Feld dar, in dem ich mich selbst in einer Stadt verorte und dem mein Forschungsinteresse im Lebensraum Stadt entspringt. Bereits seit der Lektüre John Holloways „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“ (2004) im Rahmen eines selbstorganisierten Lesekreises ein paar Jahre zuvor beschäftigte mich das Thema Kreativität in seiner sozial und politisch gestaltenden Dimension. Diese, bei Holloway, neu gefundene Idee von Kreativität als „kreative Macht“ beflügelte meine Phantasie und mein Denken. Ich sah darin eine Möglichkeit, meine Leidenschaft für das Gemeinschaftliche und Politische mit meiner Leidenschaft für das Poetische auf einer theoretischen Ebene zu verbinden. In vorangegangenen Forschungsarbeiten hatte ich mich mit dem Kunstfeld aus kulturanthropologischer Perspektive befasst und mich dabei mit partizipativen Kunstprojekten und dem Verhältnis von Kunst und Politik
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auseinandergesetzt. Die Frage des politischen Engagements sollte nun auch bei ersten Überlegungen für ein neues Forschungsvorhaben eine Rolle spielen. Mein Interesse galt einem spezifischen Verständnis und Verhältnis von Kreativität und Rebellion, das es für mich erst noch zu ergründen galt. Erste Überlegungen beschäftigten sich mit dem Verhältnis von Kreativität und Rebellion in den sozialen Bewegungen, doch sollte sich die Suchbewegung bald in Richtung Stadt und Kulturarbeit fokussieren. Der Wunsch nach dieser Neuausrichtung und Konzentration auf den Lebensraum Stadt entsprang meinen Erfahrungen der Selbstorganisation im kulturellen Feld meiner Heimatstadt Graz in jener Zeit. Ich hatte erlebt, wie sich mein Befinden in der Stadt durch die Raumnahme in selbstorganisierten Kontexten sowie Aktionen im öffentlichen Raum veränderte: Ich erlebte die Stadt zunehmend als „meine“, als angeeigneten Raum – was ich als beglückendes Gefühl empfand und nun aus der forschenden Perspektive näher erkunden wollte. Diese Raumaneignungen waren kollektiver Natur und ich denke, dass dieser Aspekt ganz wesentlich dafür ist, sich als (politisch) handlungsfähig zu erleben. Mein heutiges Selbstverständnis als Kulturarbeiterin und Forscherin begann sich damals stärker zu konturieren. Meine forschende Praxis verstehe ich heute als Teil meiner politischen Praxis, als einen Beitrag gesellschaftskritischen Engagements. Doch verlangte mein Selbst damals nach Praxis statt Theorie – nach Kulturarbeit und nicht nach deren Erforschung. Erst als ich im Rahmen des Doktoratskollegs „Kunst und Öffentlichkeit“ an der Universität Salzburg die Gelegenheit zu einer Forschungsstelle und Ausarbeitung einer Dissertation erhalten sollte, schien der richtige Zeitpunkt gekommen, meine Überlegungen zu konkretisieren: Ich wollte an meine Forschungen zur Diplomarbeit1 anschließen und erneut partizipative Kunstprojekte in den Blick nehmen, jedoch diesmal mit dem Fokus auf den Lebensraum Stadt. Da das Themenfeld Kreativität und Stadt heute nicht ohne einen Bezug zum Themenfeld der Kreativwirtschaft und zum Emblem der kreativen Städte (Creative Cities) betrachtet werden kann, sollte auch dies im Konzept seinen Platz finden. Mein ursprüngliches Ziel war es, eine komparative Studie zwischen Berlin, Neapel und Salzburg durchzuführen, um das Themenfeld Kreativität und Stadt sowie Prozesse und Strukturen der Teilhabe zu untersuchen. Nach Beginn des Doktoratskollegs (Herbst 2010) ging es an die Ausarbeitung des konkreten Forschungsdesigns. Bald wurde mir klar, dass eine Betrachtung der drei Städte im
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Die 2005 an der Karl-Franzens-Universität Graz eingereichte Diplomarbeit wurde 2009 unter dem Titel „Kunst der Intervention. Die Rolle Kulturschaffender im gesellschaftlichen Wandel“ im Tectum-Verlag publiziert.
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vorgesehenen Zeitraum nicht machbar wäre. Auch wenn ich mich in der Feldforschung letztlich auf die Stadt Salzburg fokussierte und keinen direkten Städtevergleich mehr anstrebte, bleiben alle von mir bisher erlebten Städte Referenzpunkte einer inhärent vergleichenden Analyse der im Forschungsfokus stehenden Stadt. Die innere Landkarte der Orientierung in Städten wächst dabei kontinuierlich. Da ich im Alltag nicht aufhöre, Kulturanthropologin zu sein, ist das Erforschen von Städten auch Teil meiner Alltagspraxis bzw. der Alltagspraxis eines jeden Menschen, da das Ordnen und Vergleichen der Wirklichkeit nicht nur den KulturanthropologInnen eigen ist. Also musste ich mich selbst erst in der Stadt zurechtfinden und verorten, bevor ich sie als Forschungsensemble betrachten konnte bzw. war meine eigene Standortbestimmung im sozialen Raum der Stadt notwendig, um zu wissen, wie ich mich weiterbewegen konnte und wie ich das Vorgefundene als Teil des Gesamten der Stadt verstehen konnte.
1.1 M EIN F ELDEINSTIEG IN S ALZBURG Die ersten vier Monate in Salzburg, ab Mai 2010, waren insbesondere durch meine Arbeit für die Internationale Sommerakademie für bildende Kunst 2 geprägt. So sollte ich Salzburg aus dem Blickwinkel der bildenden Kunst kennenlernen und gleichsam einen ersten Feldzugang finden. Die Landschaft bildender Kunst, die ich über die Sommerakademie kennenlernte und die insbesondere jene Institutionen und Vereine betraf, mit denen die Sommerakademie kooperierte, schien mir überschaubar: So lernte ich neben dem Salzburger Kunstverein im Künstlerhaus nicht-kommerzielle und kommerzielle Galerien kennen.3 Insbesondere der von jungen KünstlerInnen betriebene Ausstellungsraum „periscope“
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Die vom Künstler Oskar Kokoschka als „Schule des Sehens“ gegründete Sommerakademie für bildende Kunst findet seit den 1950er Jahren jährlich statt und schafft einen Raum, in dem sowohl AutodidaktInnen als auch professionell orientierte NachwuchskünstlerInnen in Kursen mit international renommierten KünstlerInnen ihr Können vertiefen (vgl. Amanshauser 2013).
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Ausstellungen von Lehrenden und AssistentInnen der Sommerakademie fanden in verschiedenen Galerien und Kunsträumen in Salzburg und Hallein statt. Zudem wurden unter dem Motto „Salzburg erkunden“ Galerien und Kunsträume besucht, wobei das Spektrum von der kommerziellen und international renommierten „Galerie Thaddaeus Ropac/HALLE“ bis hin zum artist-run Offspace „periscope“ reichte und so Einblick in die Bandbreite Salzburger Kunsträume gab.
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hatte es mir angetan. Die BetreiberInnen, die auch als AssistentInnen in verschiedenen Kursen der Sommerakademie arbeiteten, waren mir auf Anhieb sympathisch und das im Sommer 2010 von ihnen organisierte Projekt „ArtCamp Leipzig“ weckte meine Neugier: Eine rund 25-köpfige Gruppe aus Mitgliedern des „Netzwerks unabhängiger Kunsträume“ aus Leipzig war eingeladen, sich für zwei Wochen mit der Stadt Salzburg auseinanderzusetzen und eine Ausstellung über ihre Stadterfahrungen und -reflexionen zu entwickeln.4 Als mich das periscope-Team einige Monate später zur Mitarbeit einlud, war ich glücklich darüber einen Ankerpunkt für eigene kulturarbeiterische Tätigkeiten in der Stadt gefunden zu haben.5 Hinsichtlich meiner Suche nach partizipativer Kunst befragte ich einige AkteurInnen aus dem Feld der bildenden Kunst (KünstlerInnen, KunstvermittlerInnen) zu ihren Einschätzungen bezüglich der Situation in Salzburg. Ich hatte bis dahin partizipative Kunstprojekte vor allem in der bildenden Kunst kennengelernt und in diesem Feld verortet, daher erschien mir dieser Zugang als selbstverständlich. Doch gilt es festzuhalten, dass insbesondere partizipative Kunstprojekte häufig die Grenzen der Sparten und Genres überschreiten und als transdiszip-
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Die Gäste wurden in einer leerstehenden, ebenerdigen Wohnung ein paar Straßen entfernt vom Ausstellungsraum des periscopes untergebracht. Aufgrund ihres alternativ bis punkig wirkenden Äußeren brachten die Leipziger Kulturschaffenden einen in Salzburg wenig sichtbaren alternativen Lebensstil in einen gründerzeitlichen und kleinbürgerlichen Stadtteil. Dieser temporäre Neuzuzug im Stadtteil führte zu unerwarteten sowohl negativen als auch positiven Reaktionen aus der Nachbarschaft.
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Durch meine Mitarbeit ergab sich für mich die Frage, wie ich mit periscope als künstlerischem Offspace, der ins Interessensfeld meiner Forschung fiel, umgehen sollte. Um nicht in die Bredouille allzu großer Nähe zum Erforschten zu kommen, beschloss ich zu Beginn, das periscope nicht für meine Forschung zu berücksichtigen. Nach einem Jahr der Mitarbeit entschloss ich mich dennoch zu einem Gruppeninterview mit den anderen Teammitgliedern (Elisabeth Schmirl, Stefan Heizinger, Bernhard Lochmann und Karin Peyker, am 24.9.2012) da mir der zu jenem Zeitpunkt einzige Offspace im Feld der bildenden Kunst in der Stadt als wichtige Position erschien. Letztendlich verzichtete ich jedoch auf die Aufnahme des periscopes in das Sample der Fallbeispiele aufgrund pragmatischer Überlegungen in Bezug auf den Umfang der vorliegenden Arbeit, als auch inhaltlicher Entscheidungen über die Komposition der vergleichenden Analyse. Doch meine Erfahrungen und mein durch die Mitarbeit geschärfter Blick für das Kunstfeld (bzw. das Feld der bildenden Kunst) fließen zweifelsohne in vorliegende Arbeit ein.
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linäre Interventionen funktionieren. Nicht zuletzt spielt hierbei der erweiterte Kunstbegriff eine wesentliche Rolle, der künstlerische Praxen in ein Näheverhältnis mit aktivistischen Praxen ebenso wie mit theoretischen Fragestellungen bringt. Bereits im Frühling 2010 stieß ich auf die zu jenem Zeitpunkt laufende Ausstellung „Partizipation. Kunst der Gemeinschaft“6 im Salzburger Kunstverein. Ziel der Ausstellung war die Präsentation partizipatorischer Ansätze und Praktiken der internationalen Gegenwartskunst sowie eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff „Partizipation“ im Rahmen zeitgenössischer Kunstpraxen. Aus meiner Sicht bzw. für meinen Interessensfokus fehlte ein stärkerer Bezug zur Salzburger Szene bildender KünstlerInnen. Von den künstlerischen Beiträgen der Ausstellung forderten lediglich die Projekte von Severin Weiser sowie von Irene und Christine Hohenbüchler die BesucherInnen zur Interaktion im Ausstellungssetting auf. In Gesprächen und Projektdokumentationen stieß ich hingegen auf verschiedene partizipative Kunstprojekte, die in Salzburg während der letzten rund zehn Jahre stattgefunden hatten, doch schien zum Zeitpunkt meiner Forschungsphase nicht viel in dieser Richtung zu passieren bzw. nicht in der Form, die ich mir vorstellte.7 Es wurde zunehmend klar, dass ich mich nicht nur mit partizipativer Kunst im urbanen Kontext beschäftigen würde. Und ich verstand, dass der Begriff „partizipative Kunst“ und die Praxen, die ich damit zu benennen versuchte, nur ein möglicher Zugang (unter mehreren) zu meinem Interessensfokus im Forschungsfeld der Stadt darstellte.
1.2 S UCHBEWEGUNGEN IN S ALZBURG So verfolgte ich unterschiedliche Fährten, von denen ich mir versprach, mehr über den Zusammenhang von Kreativität und Teilhabe in der Stadt zu erfahren.
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Folgende künstlerische Positionen waren in der Ausstellung vertreten: Ruth Kaaserer, Jeremy Dellers, Irena Boteas, Tellervo Kalleinen und Oliver Kochta-Kalleinen, Oliver Hangl, Sharon Hayes, Johanna Billing, Irene und Christine Hohenbüchler, Severin Weiser, Ruti Sela und Maayan Amir (vgl. Salzburger Kunstverein, http://www. salzburger-kunstverein.at/at/ausstellungen/2010/2010-04-22/participation [12.4.2013]).
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Eine Ausnahme bildete das Projekt „grandhotel itzling“ von ohnetitel in deren Reihe „Vorstadt vor Ort“ – das einzige partizipative Kunstprojekt in meinem Sample an Fallbeispielen, das ich in einer teilnehmenden Beobachtung begleiten konnte.
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Ich führte Gespräche mit AkteurInnen der freien Szene über das künstlerische und kulturelle Leben in der Stadt, um mehr über das Selbstverständnis der freien Szene und ihr Verhältnis zur Hochkultur sowie zur Gegenkultur zu erfahren. In den Gesprächen versuchte ich, den AkteurInnen mein Forschungsinteresse zu vermitteln – dabei konkretisierte sich diese, Schritt für Schritt – und ließ mir jeweils weitere GesprächspartnerInnen empfehlen.8 Ich fragte nach Referenzpunkten in der künstlerischen, kulturellen Szene in Salzburg, der Rolle der ARGEkultur (von der ich bereits gehört und gelesen hatte) sowie danach, ob es Vernetzungsversuche zwischen künstlerischer, kultureller und aktivistischer Szene gebe oder gegeben habe. In zahlreichen informellen Gesprächen sowie bei Ausstellungseröffnungen oder anderen Gelegenheiten erhielt ich weitere Einsichten in die Struktur der Salzburger Kulturlandschaft. Dabei sollte auch meine ehrenamtliche Mitarbeit im Salzburger Landeskulturbeirat ab 2012 für meinen Gesamtblick auf das kulturelle Feld der Stadt Salzburg hilfreich sein. Eine zweite Suchbewegung galt selbstorganisierten Räumen zwischen Kunst, Kulturarbeit und Aktivismus – d.h. entsprechend meiner theoretischen Bezugspunkte Kreativität zwischen Politik und Poesie – als Boden für gegenhegemoniale Praxen. In einer dritten Suchbewegung befasste ich mich mit der Stadtentwicklung „von unten“ (selbstorganisiert) und „von oben“ (Stadtplanung) und möglichen Aspekten von Kreativität und Teilhabe darin. Den Feldzugang über die Stadtteilebene suchte ich im Stadtteilradio des freien Salzburger Radios „Radiofabrik“9: Ich erhielt von einer Bekannten die Kontakte zu zwei Stadtteil-Radiomacherinnen, die zudem beide beruflich in der Stadtteilkulturarbeit tätig waren. Über diesen Zugang stieß ich auf das Stadtentwicklungsprojekt Stadtwerk Lehen, in dessen Kontext sich als vierte Suchbewegung das kreativwirtschaftliche Feld herausstellen sollte. Die unterschiedlichen Suchbewegungen galten also: (1) partizipativen Kunstprojek-
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Für meinen Feldzugang stellte sich meine Doktorats-Kollegin und Salzburger Künstlerin Sonja Prlić als bereitwillige Tippgeberin und Mitdenkerin heraus – sie war immer wieder mit Hinweisen und Vorschlägen zur Hand. In einem ersten Gespräch im November 2010 mit ihr und Karl Zechenter, beide Gründungsmitglieder der KünstlerInnengruppe goldextra, sowie dem derzeitigen Leiter der ARGEkultur Markus Grüner-Musil, erhielt ich erste Einblicke in das Selbstverständnis der freien Szene in Salzburg und die nähere Geschichte.
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Die Wahl dieses Zugangs resultierte aus meinem Erfahrungswissen mit anderen freien Medien bspw. dem „Radio Helsinki“ – freies Radio Steiermark bzw. mit deren AkteurInnen, die z.T. einen informierten Blick aus gegen- oder alternativkultureller Sicht über ihre Stadt geben können.
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ten, (2) Gegenkultur/alternativem Kulturschaffen, (3) Stadtentwicklung, (4) Kreativwirtschaft. Die Suchbewegungen sollten im Laufe der Feldforschung wieder kondensiert werden, wie dies in der Entwicklung der Fragestellung über den Forschungsprozess hinweg deutlich wird.
2. Fragestellung und Methode
2.1 S UCHBEWEGUNGEN ZUR F RAGESTELLUNG Meine Fragestellung sollte sich einerseits über die Suchbewegungen im Feld sowie andererseits über die Literaturrecherche, in abwechselnden Zyklen der Feldforschung und der Theoriearbeit, konkretisieren. Für kulturanthropologische Studien ist es charakteristisch, dass während der gesamten Forschung – von der Konzeption, über die Materialerhebung bis hin zur Datenauswertung und analyse –, „die forschungsleitende Fragestellung immer wieder abhängig von neu hinzugewonnen Erkenntnissen justiert und angepasst [wird]“ (Bischoff/Oehme-Jüngling 2014: 35). Mein Ausgangspunkt, Kreativität zwischen Politik und Poesie fassen und konzeptualisieren zu wollen, sollte im Laufe des Forschungsprozesses als roter Faden an die Oberfläche treten. Während der Forschungsphase diente mir mein spontan formulierter Begriff „kreative Teilhabe“ als Wegweiser. Rückblickend wurde mir klar, dass ich mit diesem unbewusst auf John Holloways (2004) Begriff „kreative Macht“ rekurrierte, also das Ansinnen, Kreativität als sozialen Prozess – also das Imaginieren und Umsetzen sozialer Beziehungen – im Sinne des Ethnologen und Anarchisten David Graeber (2008) zu fassen. Diesem Verständnis von Kreativität ging ich also in konkreten Praxen von AkteurInnen in der Stadt Salzburg an den Schnittstellen des kulturellen und des politischen Feldes nach. Ausgehend von der Frage, wo sich AkteurInnen und Praxen im physischen Raum in der Stadt befinden, interessierte ich mich für die konkreten sozialen Beziehungen und deren Sinngebung. Da ich die gesamte Stadt als Bezugsrahmen der jeweiligen Praxen verstand, ging es auch darum, diese in einen lokalen historischen Kontext zu stellen, um so einen narrativen Faden zu spannen, der im begrifflichen Horizont „Topografie(n) des Möglichen
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(in) einer Stadt“ Form annahm.1 Verdichtet lautet die Forschungsfrage in Bezug auf das Forschungsfeld Salzburg: Welche ist die lokale Collage von Räumen und Situationen (ihrer Materialität, Sozialität und Imagination) zwischen den Polen Kunst und Politik, die die dominante Narration Salzburgs als Ort der Hochkultur, Tradition und des Tourismus in Frage stellt? Vor diesem Hintergrund ergaben sich für die weitere Ausarbeitung folgende Unterfragen: • Welche AkteurInnen sind im Produktionsprozess solcher Situationen und
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Räume involviert/engagiert? Über welche Ressourcen verfügen sie? Wo situieren sie sich im gesellschaftspolitischen Gefüge? Welche Gestaltungsmittel und -möglichkeiten stehen ihnen zur Verfügung bzw. mit welchen strukturellen Hindernissen sind die AkteurInnen jeweils konfrontiert? Welche Strategien entwickeln sie? Welche Bedeutung kommt der Gestaltung, Instandsetzung und Nutzbarmachung im Prozess der physischen Raumaneignung zu? Was macht die Poesie bzw. den spezifischen Sinnzusammenhang der jeweiligen Initiative aus? Was hält die Beteiligten und Interessierten zusammen? Wie werden der physische und soziale Raum symbolisch „neu“ perspektiviert bzw. aufgeladen? Welche Elemente sagen etwas über Beharrungskräfte (als Ausdruck von Machtmechanismen) und Kräfte der Veränderung des physischen, sozialen und symbolischen Raums aus? Wie lassen sich die Selbsterzählungen in eine lokale Topografie des Möglichen einordnen? Welche Öffentlichkeiten werden hierbei hergestellt?
Im Vergleich zur Befassung mit Möglichkeitsräumen durch Kunstinterventionen (Raunig 1999) in meiner Diplomarbeit sollte nun nicht mehr alleine der soziale Raum im Mittelpunkt der Forschung stehen, sondern die Überlagerung von physischem und sozialem Raum sowie der Imagination (als symbolischem Raum) der Initiativen in Relation zum Stadtganzen betrachtet werden, um zur Sichtbarmachung von „Topografien des Möglichen (in) der Stadt“ zu gelangen.
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2.2 M ETHODISCHE Ü BERLEGUNGEN 2.2.1 Collage und dichte Beschreibung „Was sucht der Anthropologe, die Anthropologin in der Stadt? Sich selbst! Nun, das mag vereinfacht klingen und sein. Aber, was ich damit vor allem zum Ausdruck bringen möchte, ist der selektive Blick auf den potentiellen Wahrnehmungsraum Stadt, der bei den forschenden Anthropologen, weil sie eben immer auf der Suche nach sich selbst sind, von differenten eigenen Erfahrungen und Ängsten und Hoffnungen ausgeht.“ (Greverus 2009b: 232)
In Anlehnung an Ina-Maria Greverus’ Prinzip Collage verstehe ich Collage sowohl als kulturelles Prinzip als auch als methodisches Prinzip (vgl. Greverus 1995). Der potenzielle Wahrnehmungsraum – hier die Stadt – wird durch das „Auge des Ethnographen“ (L’oeil de l’ethnographe) gefiltert, wie es der surrealistische Schriftsteller und Ethnologe Michel Leiris (1930) formulierte: „Was von ethnographischen Erfahrungen zu vermitteln ist, ist eine Struktur: Erkenntnis aus Anschauung heraus.“ (Leiris [1930] 1978, zit.n. Greverus 2009: 232) Es sind Collageteilchen, die die AnthropologInnen mit ihrer sinnlichen und kognitiven Wahrnehmung als Aufnahmegerät aufzeichnen, filtern, verdichten und neu zusammensetzen. Die Ebene der Narration aus dem Feld wird in der Erzählung über das Feld durch die AnthropologInnen interpretiert und fortgesetzt. Greverus schreibt dazu: „[…] dieser Verarbeitung folgt schließlich der Text der Anthropologin, der geschriebene oder vorgetragene oder multimedial dargestellte, als ein offener und abgeschlossener, der einen weitgehenden Dialog mit den Anderen anstrebt.“ (Greverus 2005: 382) Das Bauen an einem theoretischen Gerüst hat für mich ganz selbstverständlich etwas mit dem Erforschen der Praxis zu tun. Die Bedeutung liegt in der Praxis selbst, doch erst im Erzählen darüber (in der sich entfaltenden Narration und den sichtbar werdenden Zusammenhängen) – und Theorie und Analyse sind nichts anderes als reflektierende Formen des Erzählens – wird die Sinngebung konstituiert und als Teil eines größeren Ganzen tradierbar. Die AkteurInnen selbst liefern die beste Erklärung und Narration ihrer selbst. Und genauso kann ich mit meinem Blick und meinem spezifischen Hintergrund diese Narration(en) erweitern und aus meiner Perspektive miteinander in Bezug setzen. 2 Susan
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Nicht zuletzt ist die Entwicklung von Theorie aus der Praxis heraus bspw. als „Theorie der Praxis“ oder „Theorie des Handelns“ bei Pierre Bourdieu (1998b) zu finden
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Chase verweist auf die Dringlichkeit kollektiver Geschichten und die Wechselbeziehungen zwischen „narrative inquiry, personal change and social change“ wie auch über den Aspekt des „storytellings“ im wissenschaftlichen Schreiben (vgl. Chase 2011: 427ff.). In diesem Sinne verstehe ich wissenschaftliches Schreiben selbst als eine Form des Geschichte(n)-Erzählens und als Teil einer breiteren politischen Praxis. Vor diesem Hintergrund kann Greverus’ Collage-Ansatz als Teil eines Forschungszugangs verstanden werden für den Joe Kincheloe den Begriff „bricolage“ prägte (vgl. Kincheloe 2001; Kincheloe/McLaren/Steinberg 2011). Kincheloe versteht bricolage als eine Denkfigur für interdisziplinäre Methoden- und Theoriearbeit sowie für „Kritikalität“.3 Gemeinsam mit Peter McLaren und Shirley R. Steinberg hat Kincheloe das bricolage-Konzept weiter präzisiert und als theoretisches sowie methodisches Werkzeug für kritische qualitative Sozialforschung perspektivierten. Dabei verstehen sie Forschung als „transformative endeavour unembarassed by the lable ‚political‘ and unafraid to consummate a relationship with emancipatory consciousness.“ (Kincheloe/McLaren/Steinberg 2011: 164) 2.2.2 Dichte Beschreibung In Anlehnung an Clifford Geertz (1987) versteht sich vorliegende Arbeit als „dichte Beschreibung“. Für Geertz bedeutet Ethnographie das Interpretieren und Herausarbeiten von übereinander gelagerten und ineinander verwobenen Bedeutungsstrukturen, welches in einer dichten Beschreibung mündet (vgl. Geertz 1987: 9, 15). Kultur versteht er dabei als öffentlich, da die Bedeutungskonstruktion selbst ein öffentlicher, also kollektiver Prozess ist (vgl. ebd.: 18). Aufgabe der Ethnologie/Kulturanthropologie ist es, den Rahmen der Bedeutungskonstruktion nachvollziehbar zu machen. Ethnologie/Kulturanthropologie ist: „der Versuch, den Bogen eines sozialen Diskurses nachzuzeichnen, ihn in einer nachvollziehbaren Form festzuhalten. […] Der Angelpunkt des semiotischen Ansatzes liegt, […] darin, daß er uns einen Zugang zur Gedankenwelt der von uns untersuchten Subjekte erschließt, so daß wir – in einem weiteren Sinn des Wortes – ein Gespräch mit ihnen führen können.“ (Ebd.: 28, 35)
und die Grounded Theory (Glaser/Strauss [1967] 1998) macht dies zu ihrem Programm. 3
Zu „Kritikalität“ siehe (Rogoff 2003).
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Hinsichtlich der Ethnographie als dichter Beschreibung hält Geertz fest: „Das Wichtigste an den Ergebnissen des Ethnologen ist ihre komplexe Besonderheit, ihre Umständlichkeit. Es ist diese Art Material – in ausgiebiger, meist (wenn auch nicht ausschließlich) qualitativer, größtenteils teilnehmender und geradezu leidenschaftlich akribischer Feldforschung beigebracht […] das nicht nur realistisch und konkret über […] Begriffe, sondern – wichtiger noch – schöpferisch und einfallsreich mit ihnen denken will.“ (Ebd.: 33f.; H.i.O.)
Die dichte Beschreibung der beforschten Praxen der AkteurInnen in vorliegender Arbeit soll Aufschluss geben über die unterschiedlichen Ebenen der Materialität, Sozialität und des Imaginären der Topografie(n) des Möglichen zwischen Kunst und Politik (in) der Stadt Salzburg. 2.2.3 Feldforschung Die Feldforschung umfasste: teilnehmende Beobachtung; offene, leitfadenorientierte Interviews; offene, leitfadenorientierte ExpertInneninterviews (Themenfelder: Kulturpolitik und -verwaltung; Stadtplanung; Salzburgs freie Szene); Gedächtnisprotokolle der geführten Gespräche sowie Feldtagebuchaufzeichnungen4; die dichte Beschreibung kultureller und politischer Initiativen. Die Feldforschung wurde durch Recherchearbeit und Quellenstudium (Webseiten der Initiativen, Flyer und andere Informationsmaterialien der Initiativen, Zeitungsberichte) ergänzt. Der Zeitraum der Feldforschung erstreckte sich von 2011 bis 2012; ergänzende Interviews fanden 2013 statt. Teilnehmende Beobachtung erfolgte insbesondere bei Veranstaltungen der im Fokus stehenden Initiativen und Handlungsfelder in der Stadt sowie in einzelnen Fällen projektbezogen (siehe Details dazu in den ausgearbeiteten Fallbeispielen). 2.2.3.1 Auswahl der Initiativen und InterviewpartnerInnen In der Auswahl der zu erforschenden kulturellen und politischen Initiativen ging es mir weniger um die Feldzugehörigkeit als um die Perspektivierung (den Diskurs und die Selbsterzählung) der jeweiligen Initiativen und ihrer AkteurInnen. Ich suchte häretische Positionen im kulturellen und politischen Feld in der Stadt
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Der Forschungsprozess wurde begleitend dokumentiert – als Basis für die Reflexion über die Stadt Salzburg, das Kennenlernen des Feldes und die Zusammenhänge des alternativkulturellen Feldes.
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Salzburg, das heißt, ich suchte AkteurInnen, welche eine Strategie der Häresie, der Infragestellung entgegen der Strategie der Erhaltung und des Bewahrens des Bestehenden wählen. Diese häretischen Positionen machte ich am Angebot der Initiativen zu (neuen) partizipativen Strukturen der Teilhabe und der diskursiven Perspektivierung der Initiativen fest. Die Art und Weise bzw. die Beschaffenheit der Strukturierung und Perspektivierung bildet das häretische Moment und war für die Aufnahme ins Sample ausschlaggebend. Die Kontakte zu den AkteurInnen im Feld ergaben sich nach dem Schneeballprinzip, d.h. entsprechend der Weiterreichung von einem Interviewpartner/einer Interviewpartnerin zum/zur nächsten, den sozialen Netzwerkbeziehungen im Feld folgend. Im Laufe der Feldforschung sollte ich Interviews mit Mitwirkenden von rund elf Initiativen aus dem politischen, künstlerischen, kulturellen und kreativwirtschaftlichen Bereich machen. Die Auswahl der Fallbeispiele für das letztendliche Sample in vorliegender Arbeit erfolgte nach kontrastierenden Gesichtspunkten entlang dem Spannungsbogen zwischen den beiden Polen der Kunst und der Politik. In das finale Sample wurden sechs Initiativen aufgenommen: „grandhotel itzling“, „artforum“, „Initiative für eine offene Werkstatt“, „Initiative Craftivism“, „SUB“, „Besetzung der alten Arge“. 5 Im alternativkulturellen Feld sowie in der freien Szene Salzburgs gibt es viele weitere, hier nicht genannte Initiativen. Meine Auswahl entwickelte sich aus der konzeptuellen und interpretativen Zuordnung in Tätigkeitsfelder/Formen des Tätigseins und Formen der Raumaneignung, die sich im Laufe der Analyse und Reflexion als mögliche Kategorien herauskristallisierten. 2.2.3.2 Interviews Ich führte leitfadengestützte qualitative Interviews mit InitiatorInnen und Mitwirkenden der Initiativen sowie ExpertInneninterviews sowohl mit VertreterInnen der Stadtverwaltung und Politik als auch mit AkteurInnen der freien Szene. Die ExpertInneninterviews dienten dem Sammeln von Kontextinformationen zu den Rahmenbedingungen des kulturellen Feldes sowie der Stadtentwicklung in Salzburg. Die Interviews mit den AkteurInnen der im Fokus stehenden Initiativen orientierten sich an einem Leitfaden zu folgenden Themenbereichen: (1)
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Interviews wurden weiters geführt mit Mitwirkenden von: Kulturverein denkmal, Jugendkulturzentrum MARK, Initiative blattform, Kulturverein periscope, Coworkingspace, Citylabor Salzburg. Zum Bereich der Stadtentwicklung betreffend das Stadtentwicklungsprojekt Stadtwerk Lehen wurden zudem Interviews geführt mit: wohnbund:consult, Fotohof, Stadtgalerie, Bauträger Prisma, BewohnerInnen.
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Selbstrepräsentation: Entstehungsgeschichte, Selbstverständnis, Ziele, Inhalte, Zielgruppe, Öffentlichkeit; (2) Selbstorganisation: Organisationsweise, rechtliche Struktur, Tätigkeiten, Problemfelder; (3) Raum und Standort, Raumsuche, Raumnutzung, Stadtteil/Nachbarschaft; (4) Bezugsrahmen Stadt: Verhältnis zur Stadt Salzburg und zu den Handlungsfeldern, Bezugspunkte, Netzwerke, Stadterleben; (5) projektspezifische Fragen zu Einzelprojekten von Initiativen. Die Interviews wurden zum Zweck der Analyse transkribiert und die InterviewpartnerInnen zum Teil anonymisiert, wenn sie den Schutz der Anonymität wünschten. Die Mehrzahl der InterviewpartnerInnen wird namentlich genannt, da die mit ihren Initiativen öffentlich agierenden AkteurInnen damit einverstanden waren.6 2.2.3.3 Analyse In der Analyse des empirischen Materials orientierte ich mich am grundlegenden Ansatz des methodischen Verstehens (vgl. Bourdieu 1997d: 779ff.). Der Ansatz des methodischen Verstehens versucht, „eine Beziehung des aktiven und methodischen Zuhörens zu schaffen.“ (Ebd.: 782) Die Analyse der Interviews erfolgte auf Basis der Transkripte und des Zugangs hermeneutischer Interpretation. Sie orientiert sich sowohl an manifesten Bedeutungen (z.B. Entstehungsgeschichte der Initiativen) als auch an latenten Sinnstrukturen (z.B. Art und Weise der Erzählung der Entstehungsgeschichte). Die Fallbeispiele werden entlang den drei Analyseachsen physischer, sozialer und symbolischer Raum aufgerollt. Weiters sollen durch komparative Analyse der Fallbeispiele die spezifischen Eigenheiten der jeweiligen Tätigkeitsformen und der Raumproduktion bzw. -aneignung herausgearbeitet werden. In der komparativen Analyse ist das Erkenntnisziel des Vergleichs, „das Gemeinsame im Besonderen und das Besondere im Gemeinsamen zu entdecken.“ (Greverus 2005: 382) 2.2.3.4 Analyseebenen: physischer, sozialer und symbolischer Raum Die drei Ebenen der Raumproduktion im urbanen Lebensumfeld, die sich für meine Analyse als wesentlich herausgestellt haben, sind erstens die kollektive
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Zu den zitierten Interviewpassagen ist allgemein vorauszuschicken: Auslassungen sind mit drei in eckige Klammern gesetzten Punkten gekennzeichnet; Anmerkungen durch die Autorin finden sich ebenfalls in eckigen Klammern; Begriffe in Großbuchstaben weisen auf die besondere Betonung durch den/die SprecherIn hin; sprachlich wurden die Interviewpassagen im Sinne einer besseren Lesbarkeit leicht überarbeitet, starke Dialektismen wurden angepasst.
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Aneignung von physischem Raum, zweitens die Gestaltung von sozialen Beziehungen (sozialer Raum) und drittens die imaginäre Perspektivierung des kollektiven Handelns (symbolischer Raum). In den einzelnen Fallbeispielen wird zunächst die Suche und Aneignung von physischem Raum beschrieben und analysiert, dabei werden die jeweiligen Charakteristika herausgearbeitet. Die Suche und Aneignung von physischem Raum steht insofern an erster Stelle, da sich immer die Frage stellt, wo einer bestimmten Tätigkeit nachgegangen wird. Der Ort und Raum ist ein Möglichkeitsvektor, denn die Verfügungsmacht über physischen Raum stellt eine Ressource dar. Die zweite Analyseachse gilt der Suche und Aneignung von sozialem Raum. Hier werden die AkteurInnen und ihre sozialen Beziehungen im Kontext der Initiative, also die Beschaffenheit des spezifischen sozialen Raums, analysiert. Die dritte Analyseachse fokussiert die symbolische Perspektivierung und Imagination des kollektiven Handelns (symbolischer Raum). Der physische Raum ist der von der Initiative bewohnte und gestaltete materielle Raum – dabei spielen Beschaffenheit und Gestaltung sowie Verfügbarkeit/Zugänglichkeit des Raums und seine Verortung in der Stadt eine Rolle. Mit sozialem Raum meine ich die Gestaltung der sozialen Beziehungen, die sich insbesondere in den Organisationsformen (z.B. hierarchisch, partizipatorisch, basisdemokratisch) manifestieren. Mein Verständnis vom symbolischen Raum ist ein Teilaspekt dessen, was den sozialen Raum ausmacht, nämlich die individuelle und kollektive symbolische/inhaltliche/imaginäre/politische Perspektivierung – also die auf ein gesellschaftliches Handeln ausgerichtete Sinngebung und Bedeutungskonstruktion, die die AkteurInnen ihrem Handeln und Sein in Bezug auf gesellschaftliche Zusammenhänge geben. Diese drei analytischen Raumebenen überlagern sich in der Praxis, doch erscheint es mir hilfreich, sie in der Analyse zu differenzieren, um den Collage- bzw. Assemblage-Charakter der Produktion von Lebensraum sichtbar zu machen. Die Kategorien sozialer, symbolischer und physischer Raum entwickle ich in Anlehnung an Lefebvre ([1974] 1991) und Bourdieu (1991). Lefebvres Ziel, eine unitäre Theorie der Stadtplanung zu formulieren (in gewisser Weise in Anlehnung an den „unitären Urbanismus“ der Situationisten), macht verständlich, warum er die Kategorie des sozialen Raums als integral beschreibt; in ihr finden sich sowohl die Materialität, die Sozialität als auch das Imaginäre wieder. Ebenso ist die Ebene der imaginären Perspektivierung bzw. die Bedeutungsebene des sozialen Handelns bei Bourdieu bereits in sein Konzept des sozialen Raums integriert und wird insbesondere unter dem Aspekt der jedem Feld spezifischen Machtverhältnisse aufgrund der im Spiel befindlichen Kapitalsorten und weniger als Potenzialität betrachtet. Für meine Analyse auf Mikroebene und ausgehend
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von der Idee der Collage/Assemblage ist es wiederum von Interesse, die unterschiedlichen Ebenen analytisch separat zu fassen, um die Überlagerung von der physischen/materiellen, sozialen/relationalen und symbolischen/imaginativen Dimension des sozialen Handelns und Zusammenlebens sichtbar und deutlich zu machen. Es sind die AkteurInnen, die durch ihr Handeln und Denken die Materialität, die Sozialität sowie das Imaginäre eines Ortes verändern. Daher gilt es, sowohl die jeweils geschaffene Initiative (Mikrokosmos) als auch die Produktion und das Eingreifen in die lokalen Topografie(n) des Möglichen (in) der Stadt als Gesamtes (Makrokosmos) unter diesen drei Aspekten zu betrachten. In der Analyse der Initiativen kommen Bourdieus (1997b) Theorie der Ortseffekte und der Kapitalsorten ins Spiel. Der soziale Raum (bzw. seine Beschaffenheit) auf Mikroebene wird deutlich über die zum Einsatz kommenden Kapitalsorten (ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital), seine Situierung im physischen Raum des Stadtganzen gibt Aufschluss über die Ortseffekte in der Stadt. Um die Position und Rolle der Initiative (Mikrokosmen) im Rahmen der lokalen Topografie(n) des Möglichen erkennen und verstehen zu können, kommt der dritten Ebene, jener der imaginären Perspektivierung, eine wesentliche Bedeutung zu. Physischer Raum – materielle Ressourcen und Formen der Raumaneignung Die physische Raumaneignung stellt mit Lefebvre eine Beziehung zum Möglichen und Imaginären, zur Utopie, her und ist damit Ausdruck und Artefakt einer Topografie des Möglichen (in) einer Stadt. Allen portraitierten Initiativen geht es darum, Raum zur Verfügung zu haben, um ihre Wünsche zu materialisieren. Der physische Raum ist somit die Körperlichkeit der Initiativen, u.a. zum Zweck der Selbstrepräsentation, wobei der Anspruch auf Raum und Freiraum die Forderung nach Sichtbarkeit beinhaltet, um im Sinne Rancières (2008) überhaupt erst wahrgenommen werden zu können. Sozialer Raum – Kreativität als soziale Kraft und Formen des Tätigseins Der soziale Raum wird unter dem Aspekt der Kreativität als sozialer Prozess betrachtet. In Anlehnung an Holloway (2004) und Graeber (2008) bezieht sich Kreativität als sozialer Prozess auf die Fähigkeit, eine andere Welt imaginieren zu können und ihre Umsetzung zu verfolgen – also die Imagination und Umsetzung anderer sozialer Beziehungen. Demnach findet die Materialisierung des Wunsches in der Herstellung von sozialem Raum statt. Dies ist nur in Zusammenhang mit Autonomie (vgl. Castoriadis 1991; Graeber 2008), im Sinne sozialer Selbstorganisation als Selbstverwaltung, möglich. In Anlehnung an Holloway (2004) muss diese Kreativität/Imagination als sozialer Prozess in Tätigkeitsfor-
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men abseits bzw. jenseits der Lohnarbeit gesucht werden. Dabei stellt sich die Frage, welche Formen von Tätigkeiten welche Formen von Teilhabe implizieren sowie unter welchen Rahmenbedingungen sich Kreativität als sozialer Prozess manifestieren und in welchen Tätigkeitsformen dies umgesetzt werden kann. Wie lassen sich die Tätigkeiten charakterisieren? Und welche Formen von Teilhabe werden durch die unterschiedlichen Tätigkeitsformen hergestellt? Wo liegen ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten? Symbolischer Raum – Selbsterzählungen und die Narration einer Stadt Der symbolische Raum ist die Ebene der Bedeutungskonstruktion und Sinngebung der Initiativen. Die Herstellung nicht-kommerzieller Situationen und Räume der Teilhabe an den Schnittstellen des kulturellen und politischen Feldes bedarf insbesondere der Kommunikation. Denn das Verhandeln der Bedingungen von Teilhabe erfolgt diskursiv – eine Gemeinsamkeit kultureller und politischer Tätigkeit. Laut Rancière (2008) sind es bestimmte Tätigkeiten, die festlegen, wer in einer Gesellschaft gehört und gesehen wird, wenn er/sie seine/ihre Stimme erhebt. Bezugnehmend sowohl auf Rancière (2009) als auch auf Grant Kester (2004) wird die Bedeutung der Sprache, der Kommunikation sowie insbesondere der Möglichkeit des Sich-selbst-Erzählens im Prozess der Sichtbarmachung als Bedingung von Teilhabe hervorgehoben. Insofern ist die Selbsterzählung der AkteurInnen zentral, die sich in den geführten Interviews entlang der Analyseachsen des sozialen, symbolischen und physischen Raums entfalten. Die Selbsterzählung und Narration kann dabei in Richtung Mythenbildung eines kollektiven Imaginären weisen. Das Imaginäre betritt man wie einen Raum oder eine andere Welt und daher bezeichne ich diese Ebene als „symbolischen Raum“. Aufgrund des prozesshaften Charakters des Erzählens, der Selbstdarstellung und Narration erscheint es zentral, die Erzählenden/Sprechenden und ihre Funktion im städtischen Leben ins Zentrum der Betrachtungen zu stellen. Die Dimension kollektiver Narration, also des Geschichte(n)-Erzählens, erhält in vorliegender Arbeit insbesondere im Aufgreifen des Fadens der Narration einer alternativkulturellen Bewegung – ihren Anfängen in den 1970er-Jahren und ihren Kontinuitäten sowie Brüchen in Bezug auf die Vision und Umsetzung von „Kultur von allen und für alle“ bis heute – in der Stadt Salzburg Bedeutung. Mir geht es darum, ausgehend von den Anfängen der alternativkulturellen Bewegung in Salzburg in den 1970er und 80er Jahren nach Anknüpfungspunkten in der Gegenwart – zwischen Kunst und Politik – zu suchen und dabei das Zeitigen politischer Effekte im sozialen Raum der Stadt nachzuzeichnen sowie gegenwärtige AkteurInnen in situativen und sozialen Kontexten in ihren spezifischen Potenzialen darzustellen.
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Das Produzieren und Reproduzieren von widerständigem Potenzial und lokalem kollektiven symbolischen Kapital wird in der Erzählung/Narration und der damit verbundenen Herstellung einer Verbindungslinie der lokalen Geschichte und der gegenwärtigen Topografie des Möglichen (in) der Stadt sichtbar. Die Sichtbarmachung der lokalen AkteurInnen und deren Praxen dient der diskursiven und imaginativen Kartierung einer lokalen Topografie des Möglichen an der Schnittstelle zwischen kulturellem und politischen Feld (in) der Stadt Salzburg.
II. Theoretische Bezugspunkte
1. Kreativität und Teilhabe
1.1 D ER S CHREI – RATIONALE UND SINNLICHE W EGE DER E RKENNTNIS ZUSAMMENFÜHREN „Im akademischen Diskurs gibt es keinen Platz für den Schrei. Und mehr noch: das akademische Studium vermittelt uns eine Sprache und eine Form zu denken, die es uns schwer macht, unseren Schrei auszudrücken. [...] So verwandelt sich der Schrei vom Subjekt unserer Fragen über die Gesellschaft zu einem Untersuchungsobjekt. Warum schreien wir? Oder besser, da wir jetzt ja Sozialwissenschaftler sind, warum schreien sie? [...] Der Schrei wird nicht vollständig negiert, aber er wird als unzulässig ausgegeben. Indem er ‚uns‘ entrissen und auf ‚sie‘ projiziert wird, wird der Schrei aus der wissenschaftlichen Methodik ausgeschlossen. Wenn wir Sozialwissenschaftler werden, lernen wir, dass Verstehen heißt, objektiv zu sein und unsere eigenen Gefühle beiseite zu legen. Nicht so sehr, was wir lernen, als vielmehr, wie wir lernen, scheint unseren Schrei zu ersticken. Es ist eine ganze Denkstruktur, die uns entwaffnet. [...] Deshalb ist es notwendig zu tun, was in der Wissenschaft als Tabu angesehen wird: wie ein Kind zu schreien, den Schrei aller struktureller Erklärungen zu entheben, [...]. Nennt uns kindisch oder pubertär, wenn ihr wollt, aber dies ist unser Ausgangspunkt: wir schreien.“ (Holloway 2004: 12f., H.i.O.) 1
1
Mit „wir“ meint Holloway ein antagonistisches Wir, das all jene als Gemeinschaft imaginiert, die durch das bestehende System unterdrückt und ausgebeutet werden. Er schreibt dem Schrei ein multiples kollektives Subjekt zu, ohne eine genauere Definition dieses Wir vorzunehmen (vgl. Holloway 2004: 14). Da sich Holloway dem Definieren und Klassifizieren als Machtmomenten widersetzen will, bleibt das „wir“ notwendigerweise offen. Es schafft die Möglichkeit, sich beim Lesen als Teil eines imaginierten Kollektivs zu verstehen.
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Diesen Schrei als Ausgangspunkt sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung anzusehen, wurde insbesondere durch die feministische, queere sowie postkoloniale Theorienbildung sowie durch die Cultural Studies mit den drei zentralen Analysefokussen „Class“, „Race“, „Gender“ vorangetrieben. Wie der Ethnologe Rolf Lindner festhält, waren mit den Cultural Studies zum ersten Mal „persönliche Erfahrungen nicht nur legitim, sondern [hatten] sogar Gewicht im akademischen Feld.“ (Lindner 2000: 87) Die Genese dieser Ansätze ist eng verknüpft mit den politischen Befreiungskämpfen der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen – der feministischen Bewegung, der Dekolonialisierung sowie dem Kampf um Gleichberechtigung jenseits der Heteronormativität. Wenn der Kampf um Gleichberechtigung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe stark genug wird, erreicht er (bzw. seine ProtagonistInnen) auch das Feld der legitimen Wissensproduktion, also die Universität, die Wissenschaft und reklamiert Raum, Zeit und Ressourcen – d.h. Teilhabe. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass von den Rändern des wissenschaftlichen Betriebs ins Zentrum gestrebt wird, um die Institution von innen zu verändern. Wie auch bell hooks2 in „From Margin to Center“ (1988) festhält, muss es immer wieder darum gehen, kulturelle Erneuerung von den Rändern in die Mitte zu tragen. 1.1.1 Ästhetische Anthropologie – ein Standort zwischen Kunst und Wissenschaft Eine am Rande stehende Disziplin ist u.a. die Ethnologie/Kulturanthropologie – nicht zuletzt, da sie die Frage wissenschaftlicher Objektivität radikal umkehrt in eine Frage wissenschaftlicher Subjektivität. Mit der Zentralität der Feldforschung und dem Wechsel zwischen Nähe und Distanz, in der Interaktion zwischen ForscherIn und Forschungssubjekt insbesondere in der teilnehmenden Beobachtung, bewegte sich die Ethnologie/Kulturanthropologie von Beginn an an den Rändern des positivistisch dominierten Wissenschaftsbetriebs und Wissenschaftsverständnisses. Die Infragestellung des Objektivitätsglaubens wurde zu einem wesentlichen Aspekt der Weiterentwicklung des Faches. Die Selbstreflexion der Forscherin/des Forschers nimmt im Feldforschungsprozess einen zentralen Platz ein, wobei hier insbesondere die Annäherung zwischen Eigenem und Fremden, zwischen dem Ich und dem Anderen, die Methoden- und Theorienbil-
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bell hooks ist das bewusst kleingeschriebene Pseudonym der afroamerikanischen Philosophin Gloria Watkins.
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dung vorantrieb. Identität als Sich-Erkennen, Erkannt- und Anerkanntwerden „entwickelt sich aus diesem Prozess, der zwischen dem Ich und dem Anderen stattfindet.“ (Greverus 2005: 3) Die Kulturanthropologin Ina-Maria Greverus schreibt darüber: „Irgendwann wurde das anthropologisch legitimierte Einordnungs-Wissen der Aufklärung über den Anderen fragwürdig. Das geschah auch mit dem parteilichen Wissen einer für den Anderen engagierten Anthropologie.“ (Ebd.: 7) Die „Repräsentationskrise“ (vgl. Berg/Fuchs 1993) in den 1970er und 80er Jahren, die Othering-Debatte und Dekonstruktion des Anderen, die Textualisierungsdebatte (vgl. Clifford/Marcus 1986) und die Frage nach neuen Wegen der Repräsentation veränderten das Fach maßgeblich. Auf den „reflexive turn“ der „Writing Culture“-Debatte, folgte weiter ein „performative turn“, indem Überlegungen der Erkenntnisgenerierung und Repräsentation weiter vorangetrieben wurden. Ina-Maria Greverus prägte in diesem Zusammenhang den Begriff „Performing Culture“. Sie versuchte damit aus der Writing-Culture-Debatte heraus, den Fokus wieder verstärkt auf den Feldforschungsprozess selbst zu lenken. Sie versteht „Performing Culture“ als: „[…] ein Prinzip der dialogischen Gestaltung von Wirklichkeit, an der der feldforschende Wissenschaftler beteiligt ist. Die Performance ist die Inszenierung einer Interaktions- und Kommunikationssituation, in der ein kultureller Text hergestellt wird. Dieser Text ist neu, ist, wenn er glückt, für die Gesprächspartner eine selbst- und fremdreflexive Erfahrung, die Zwischenräume erschließt, in denen Inter- und vielleicht sogar Transkulturalität aufscheint“ (Greverus 2005: 103).
In der letzten Dekade kann wiederum von einem „aesthetic“ und „poetic turn“ in der Anthropologie gesprochen werden (vgl. Greverus/Ritschel 2009: 4). Für die anthropologische Forschung hat Ina-Maria Greverus mit dem „Prinzip Collage“ sowie ihren Überlegungen zu einer „Ästhetischen Anthropologie“ Ansatzpunkte für eine „eingreifende Kulturanthropologie“3 gelegt (vgl. Huber 2008: 29).
3
Ich verwende den Begriff „eingreifende Kulturanthropologie“ in Anlehnung an den von Egon Leitner (2000) für Pierre Bourdieus Schaffen geprägten Begriff der „Eingreifenden Wissenschaft“. Eine eingreifende Kulturanthropologie in Anlehnung an Bourdieus eingreifende Wissenschaft zielt auf eine Veränderung der Machtverhältnisse und Ressourcenverteilung des Status quo in Richtung Gleichberechtigung (vgl. Huber 2008). Gerlinde Malli sieht Bourdieus eingreifende Wissenschaft nicht zuletzt in seinen Überlegungen einer neuen Arbeitsteilung zwischen politischen AktivistInnen
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Durch ihre Interpretationen und die „Vermittlung von kulturellen Weltbildern“ greifen die AnthropologInnen in gesellschaftliche Prozesse ein (vgl. Greverus 2005: 4). Eine „ästhetische Anthropologie“, die sich zwischen Kunst und Wissenschaft bewegt bzw. diese zusammenführt, würde eine anthropologische Poesie der Repräsentation mit eigenen ästhetischen Berührungsmomenten ausbilden (vgl. ebd.: 6).4 Das Näheverhältnis von Anthropologie und Kunst begründet sich nicht zuletzt in der Reflexion über die Frage der Repräsentation des Eigenen und des Fremden sowie eines ergebnisoffenen, experimentellen Erkenntnisprozesses. Ein beliebtes Beispiel für die Annäherung zwischen Kunst und Anthropologie ist Michel Leiris, der die ethnographischen Daten für seine „poetische, surreale Collage des Wunderbaren“ (Greverus 1990: 4) nutzte. So, wie in der Anthropologie von einem „aesthetic“ und „poetic turn“ gesprochen wird, ist in der Kunst spätestens seit Hal Fosters Artikel „The Artist as Ethnographer“ (1995) die Rede von einem „ethnographic turn“ (vgl. Greverus 2009a: 4).5 In dem 2009 erschienenen und von Ina-Maria Greverus mitherausgegebenen Band „Aesthetics and Anthropology“ geht es um die Annäherungen zwischen Kunst und Anthropologie, um Begegnungen zwischen Ästhetik und anthropologischer Forschung (vgl. Greverus 2009a: 5). Dabei definiert Greverus Ästhetik als Berührt-Sein (aesthetics as being touched) und Poesie als die Schaffung von
und WissenschaftlerInnen (vgl. Malli 2013: 93; siehe dazu auch Bourdieu 1998a; 2001). Weiters haben Beate Binder et al. (2013) unter dem Titel „Eingreifen, Kritisieren, Verändern!? Interventionen ethnografisch und gendertheoretisch“ aktuelle Positionen einer eingreifenden Kulturanthropologie versammelt. 4
Nicht nur eine ästhetische Anthropologie reklamiert für sich, zwischen Kunst und Wissenschaft zu stehen; hier gibt es viele Überschneidungen und Verschränkungen. Um nur ein Beispiel zu nennen, kann Walter Benjamins Passagenwerk selbst als Collage betrachtet werden, die in einem flanierenden Modus zu lesen ist, was dem Inhalt des Werkes über den Flaneur entspricht.
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Zu den Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Ethnographie siehe den Sammelband „Kunst und Ethnographie: zum Verhältnis von visueller Kultur und ethnographischem Arbeiten“, hrgs. von Beate Binder et al. (2008) und darin insbesondere den Beitrag „Andere Bilder. Im Dienste ethnografischer Repräsentationskritik“ von Judith Laister. Auch die Publikation „Zwischen Poesie und Wissenschaft“ (Münzel/Schmidt/Thote 2000), fragt nach dem Verhältnis von Kunst und Anthropologie bzw., ob die Erfahrung in der Fremde „nur wissenschaftlich darzustellen“ oder „nur poetisch auszudrücken“ sei – dabei beschäftigen sich die AutorInnen mit literarischen Stilen sowie kunstschaffenden und musikalischen Aspekten (vgl. Greverus 2005: 42).
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etwas Neuem (poetics as the creation of something new) (ebd.: 6f.). In diesem Zusammenhang habe, laut Greverus, der Begriff der Imagination in etlichen Diskursen in die Anthropologie Eingang gefunden. Am häufigsten zitiert werde das Konzept von Benedict Andersons „Imagined Communities“ (1983), wobei sich dieses mit dem Phänomen des Nationalismus beschäftigt (vgl. Greverus 2009a: 79). Greverus verweist weiters auf Paul Willis’ 2000 erschienene Publikation „The Ethnographic Imagination“.6 In diesem Kontext sind nicht zuletzt Arjun Appadurais Überlegungen zur Imagination als sozialer Prozess von zentraler Bedeutung. In dem Aufsatz „Ethnoscapes“ in seinem Buch „Modernity at Large“ (1996) spricht er von einer neuen Qualität sozialer Imagination im Zeitalter der Globalisierung. Denn gegenwärtig sei die „Produktion von Imagination“ nicht mehr „auf die traditionellen Bereiche expressiver Kultur, wie Kunst, Theater, Ritual, Mythologie usw. beschränkt, sondern Bestandteil alltäglicher Lebensvollzüge geworden.“ (Binder 2008: 10) „More persons in more parts of the world consider a wider set of possible lives than they ever did before. […] In general, imagination and fantasy were antidotes to the finitude of social experience. In the past two decades, as the deterritorialization of persons, images, and ideas has taken on new force, this weight has imperceptibly shifted. More persons throughout the world see their lives through the prisms of the possible lives offered by mass media in all their forms. That is fantasy is now a social practice, it enters, in a host of ways, into the fabrication of social lives for many people in many societies.“ (Appadurai 1996: 53f.)
Beate Binder baut auf Appadurais Überlegungen auf und fragt nach dem Beitrag, den die ethnografische und künstlerische Praxis jeweils an der Arbeit der Imagination leistet. Binder versteht Kunst und Ethnographie dabei als Räume der Auseinandersetzung um Bilder des Eigenen und Fremden: „Künstler/innen und Ethnograf/innen bewegen sich im selben Terrain, wobei die Überschneidungen und Gemeinsamkeiten in dem Maß zugenommen haben, in dem beide mit kulturellen Differenzen und Identitäten befasst sind.“ (Binder 2008: 10f.) Ein paar Jahre zuvor moniert Greverus jedenfalls noch, dass der imaginative Prozess bzw. ein Bewusstsein darüber bisher in der anthropologischen Forschungsarbeit zu kurz gekommen sei (vgl. Greverus 2005: 111f.). Greverus hält fest: „Und ich glaube auch für den Anthropolgen immer noch an die Berechtigung eines utopischen Denkens zu Möglichkeitsorten, bei dem die alten und die
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Unter dem gleichen Titel war bereits 1990 ein Buch von Paul Atkinson erschienen.
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neuen Menschheitsutopien nicht nur Wissensgegenstand, sondern auch Anstoß zum Nachdenken, Suchen und Aufzeigen gegen das ‚schlecht Vorhandene‘ sind.“ (Ebd.: 347) Für ihr Verständnis einer ästhetischen Anthropologie sei das „utopische Denken“ zentral. Dieses lebe „[...] von der auf ein Mögliches bezogenen Konstruktion von Wirklichkeit, die [die] bestehende (schlechte) Realität ablösen soll. Sie ist Vorwegnahme, ‚Traum nach Vorwärts‘, wie es Bloch nannte. [...] Der andere Ort ist ein Ort des Möglichen, der Begegnung mit dem Möglichen.“ (Ebd.: 444) Diese Vorwegnahme des Möglichen geschieht laut Greverus insbesondere in der Kunst oder eben auch in einer ästhetischen Anthropologie zwischen Kunst und Wissenschaft. Eine ästhetische Anthropologie bedarf, Greverus zufolge, einer dialogischen Poesie sowie Imagination und reflexiver Urteilskraft: „Es ist ein anthropologischer Weg in den Zwischenräumen der Begegnungen von Kunst, Wissenschaft und eigenem und fremdem Alltag, der als dritter Weg sich aus der reisenden Suche nach Identität und Erfahrung speist.“ (Ebd.: 6) Dabei ginge es einerseits um eine vergleichende Anthropologie ästhetischer Prozesse, andererseits um die „anthropologische Suche nach eigenen ästhetischen Vermittlungsmöglichkeiten einer Wissenschaft.“ (Ebd.: 43) Zur Diskussion steht das Verhältnis von Anthropologie und Kunst „in ihrer Vermittlung von ‚Welt‘ als Imagination und Erfahrung zwischen ästhetischem und rationalen Wissen.“ (Ebd.: 41) In diesem Zusammenhang spricht Greverus von poetischer Erkenntnis (vgl. ebd.: 50) und fragt danach, ob es für „die anthropologische Wissenschaft eine poetische, eine verwandelnde Erkenntnis, die als ‚Er-Findung‘ aus dem Dialog mit den Menschen und Dingen erwächst“ (ebd.: 60) gibt. Poetische Erkenntnis und Vermittlung versteht sie dabei im ursprünglichen Wortsinn von Poesie als Schöpfung.7 In diesem Sinne spricht sich Greverus für ästhetisches Wildern über die Fachgrenzen hinaus aus – Wildern8 und Imagination bilden gewissermaßen ein Me-
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Weiter geht es Greverus um die Frage nach dem ästhetischen Standort des/der Anthropolgen/in (vgl. Greverus 2005: 61ff.): einem Aspekt, den ich selbst weniger relevant für meinen Zugang und mein Verständnis von Poesie erachte. Ich verstehe das poetische Denken als Antrieb einer ästhetischen Anthropologie, als die Suche nach dem Noch-Nicht.
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In Analogie zum „wilden Denken“ wird in anthropologischen Kreisen gerne vom „Wildern“ über die (disziplinären) Fachgrenzen hinaus gesprochen. Über das Wildern als anthropologisch-forschenden Zugang siehe auch Rolf Lindner in „Die Stunde der Cultural Studies“ (2000): In Anlehnung an Stuart Hall spricht Lindner von der „Strategie der Streifzüge in andere disziplinäre Terrains“ (Lindner 2000: 83), die für das
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thodenset, um die herrschende Ordnung in Frage zu stellen: „Aesthetic poaching is the crossing of boundaries, in that sense. It is the breaching of boundaries and the crossing of walls drawn by a ruling order. [...] Poaching and imagination continually disturb the order of things.“ (Greverus 2009a: 81) Die anthropologische Verfasstheit der subjektiven Perspektive erhält mit John Holloways Definition des Schreis als Ausgangspunkt von Forschung eine politische Perspektivierung. John Holloways Auffassung vom Schrei kann mit Ina-Maria Greverus auch als das adoleszente Potenzial verstanden werden. 9 Aus anthropologischer Sicht geht es um den Wunsch nach Veränderung bestehender Ordnungen, den Wunsch nach Selbstverwirklichung, und um das Suchen und mögliche Finden einer besseren, vollkommeneren Welt. Diese Suche äußert sich u.a. an der Schnittstelle der Generationen: die Jugend birgt das Potenzial der Veränderung, der Infragestellung der bestehenden Ordnung in sich. Tradition (kulturelle Reproduktion) und Innovation (kulturelle Transformation) stehen sich hier gegenüber. Für den „Schrei“ bei Holloway sowie für das „Prinzip Collage“ und „das adoleszente Potenzial“ bei Greverus gilt es hervorzuheben, dass diese auf zwei Ebenen reflektiert werden: Erstens auf der Ebene des methodischen bzw. theoretischen Zugangs, sowie zweitens auf der Ebene der zu erforschenden kulturellen Praxis – also einerseits als Betrachtungsweise und andererseits als das zu Betrachtende. Beide Ebenen werden reflektiert: Meine Betrachtungsweise selbst ist eine poetische und collagierende bzw., mit Holloway gesprochen, eine vom Schrei ausgehende Fragestellung. Das zu Betrachtende ist das poetische Denken (und Handeln) von AkteurInnen im Stadtraum als das Denken von Möglichkeiten und als collagierendes Denken und Handeln. In meiner theoretischen Arbeit entwickle ich eine systematisch-spielerische Betrachtung von Kreativität, auch dessen, was heute großteils nicht als Kreativität gefasst wird (der sozial und politisch transformative Prozess des Wünschens und der Aneignung als Umsetzung von Imaginationen einer anderen Welt). Damit platziere ich meine Arbeit inmitten der Kämpfe um Definitionsmacht dar-
transdisziplinäre Selbstverständnis der Cultural Studies charakteristisch ist. Diese Strategie der Streifzüge „ignoriert bewusst formale Trennungen zwischen den Disziplinen und lässt sich gerade nicht auf bestimmte Theorien, bestimmte Methoden und bestimmte Themen festlegen.“ (Lindner 2000: 84; H.i.O.) In diesem Zugang ist die Kulturanthropologie den Cultural Studies verwandt. 9
Greverus greift hier auf Mario Erdheims psychoanalytische Überlegungen zur Funktion der Adoleszenz in der Kultur zurück (vgl. Erdheim 1991).
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über, was Kreativität heute ist. Es geht darum, was heute zum Bereich des Schöpferischen gezählt wird und was nicht, mit dem Fokus auf utopisches (gesellschaftsveränderndes) Denken und Handeln. Diese Position bedeutet eine politische Perspektivierung der eigenen Forschung, die Parteilichkeit und Subjektivität einem immer noch dominanten, doch relativierten Glauben an wissenschaftliche Objektivität entgegensetzt. Da die Sozial- und Kulturwissenschaften jedoch im gesamtwissenschaftlichen Kontext eher eine Randposition einnehmen, bleibt es zentral, diesen Standpunkt als legitimen Standpunkt und Neuausrichtung von Wissenschaft zu unterstreichen. In der Diskussion um Wege der Erkenntnisgenerierung und gesellschaftliche Transformation als „Aneignung des Wunsches“ sowie Darstellungen zwischen Kunst und Wissenschaft wird zumeist explizit oder implizit Bezug auf Claude Lévi-Strauss’ Analysen zum Verhältnis von „wildem/mythischem Denken“ und „gezähmtem/rationalem Denken“ genommen. In der Folge möchte ich mich auf Claude Lévi-Strauss’ „wildes Denken“ beziehen, um einen poetischen Standpunkt von Wissenschaft zu formulieren. 1.1.1.1 Vom mythischen zum poetischen Denken In seinem 1962 erschienenen Buch „Das wilde Denken“ (La pensée sauvage) stellt Lévi-Strauss das mythische Denken und das rationale Denken als zwei gleichwertige Weisen der Erkenntnisgenerierung dar. Lévi-Strauss ist bemüht, beide Denkweisen als wissenschaftliche Erkenntniswege zu verstehen, wobei der eine Weg vom Konkreten, der andere vom Abstrakten ausgeht: „Man kann sich der physischen Welt von zwei entgegengesetzten Standpunkten aus nähern: von einem äußerst konkreten oder einem äußerst abstrakten aus; entweder unter dem Aspekt der sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten oder unter dem der formalen Eigenschaften.“ (Lévi-Strauss [1962] 1973: 310) Diese beiden Wege haben zu zwei unterschiedlichen Arten des Wissens geführt: „[…] zu dem Wissen, dem eine Theorie des sinnlich Wahrnehmbaren die Grundlage geliefert hat und das weiterhin unsere wesentlichen Bedürfnisse befriedigt mittels der Künste der Zivilisation: Landwirtschaft, Viehzucht, Töpferei, Weberei, Aufbewahrung und Zubereitung von Nahrungsmitteln usw. [...] und zu dem Wissen, das sich von vornherein auf die Ebene des Intelligiblen stellt und dem die heutige Wissenschaft entsprungen ist.“ (Ebd.: 310)
Beide Denkweisen bzw. Formen der Erkenntnisgenerierung können „nebeneinander existieren und einander durchdringen.“ (Ebd.: 253) Sie sind auf zwei unterschiedlichen strategischen Ebenen angesiedelt, wobei die eine der „Sphäre der
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Wahrnehmung und der Einbildungskraft angepaßt, die andere von ihr losgelöst wäre.“ (Ebd.: 27) Laut Lévi-Strauss nimmt der Mensch primär eine „Systematisierung auf der Ebene der sinnlich wahrnehmbaren Gegebenheiten“ vor. Doch habe die Wissenschaft dieser Ebene lange Zeit „den Rücken zugekehrt“ und würde „sie erst langsam wieder in ihr Gesichtsfeld“ (ebd.: 23) zurückholen.10 Als AkteurIn des mythischen Denkens bezeichnet Lévi-Strauss die Figur des Bastlers, die er dem rationalen Denken und der Figur des Gelehrten gegenüberstellt.11 Lévi-Strauss bezeichnet das mythische Denken als „intellektuelle Bastelei“ (ebd.: 35) und vergleicht die „Bilder des Mythos“ mit den „Materialien des Bastlers“ (vgl. ebd.: 49). Sowohl die Bilder des Mythos als auch die Materialien des Bastlers lassen sich mittels zweier Kriterien definieren: „[…] sie haben gedient, als Wörter einer geformten Rede, die von der „mythischen Reflexion ‚demontiert‘ wird, so wie ein Bastler einen alten Wecker demontiert; und sie können noch dienen, zum gleichen Gebrauch oder zu einem anderen Gebrauch, sofern man sie ihrer ersten Funktion entkleidet.“ (Ebd.: 49) Zwischen dem Bastler und dem Gelehrten bzw. zwischen mythischem/wildem und rationalem/gezähmtem Denken würde sich die Kunst und der/die KünstlerIn befinden – die, die Eigenschaften von beiden Denkarten und Seinsweisen vereinen würden. Laut Lévi-Strauss fügt sich der Künstler „auf halbem Wege zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und mythischem oder magischem Denken“ ein, „[...] mit handwerklichen Mitteln fertigt er einen materiellen Gegenstand, der gleichzeitig Gegenstand der Erkenntnis ist.“ (Ebd.: 36)12 Laut Levi-Strauss arbeitet der Gelehrte mit Hilfe von Begriffen und der Bastler mit Hilfe von Zeichen13 – als Unterschied nennt er hierbei, dass „der Begriff in
10 Wie dies z.B. rezenterweise durch Jaques Rancières Theorie über „die Aufteilung des Sinnlichen“ und deren breite Rezeption in Kunst- und Gesellschaftstheorie der Fall ist. 11 Das Verb „bricoler“ in seinem ursprünglichen Sinn lässt sich „auf Billard und Ballspielen, auf Jagd und Reiten anwenden, aber immer, um eine nicht vorgezeichnete Bewegung zu betonen: die des Balles, der zurückspringt, des Hundes, der Umwege macht, des Pferdes, das von der geraden Bahn abweicht, um einem Hindernis aus dem Weg zu gehen.“ (Lévi-Strauss [1962] 1973: 29) 12 Lévi-Strauss versteht den Künstler als Produzenten gegenständlicher Kunst; bei einer Übertragung auf heutige soziale und relationale Kunstpraxen wäre dies zu berücksichtigen. 13 Zur Differenzierung von Begriff und Zeichen sei auf die Semiologie verwiesen. In der Terminologie von Saussure sind Signifikat und Signifikant die zwei Bestandteile des Zeichens. Dabei bildet die Ebene des Signifikanten die Ausdrucksebene – das Signifi-
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Bezug auf die Wirklichkeit vollständig transparent sein will, während das Zeichen zuläßt und sogar fordert, daß die Wirklichkeit in einem bestimmten Maße durch den Menschen geprägt ist.“ (Lévi-Strauss [1962] 1973: 33) Dabei schafft der Gelehrte „Ereignisse (die Welt ändern) mittels Strukturen, der andere Strukturen mittels Ereignissen.“ (Ebd.: 36) Bei Lévi-Strauss ist die dichterische Sprache, also die Poesie, zwischen mythischem und rationalem Denken angesiedelt und dem Bereich der Kunst zuzurechnen. Die Poesie stellt eine Verbindung zwischen dem Bastlertum und dem Gelehrtentum her, zwischen mythischem/wildem Denken und domestiziertem/rationalem (vernunftgeleitetem) Denken. Als Ethnologin ziele ich auf den Aspekt des Imaginären, des Geschichte(n)-Erzählens als sinnstiftenden Aspekt. Mich interessiert das „wilde Denken“14 im Sinne der Wichtigkeit von Mythen für ein kollektives Imaginäres. Auf halbem Weg zwischen dem wilden/mythischen Denken und dem domestizierten/rationalen Denken möchte ich das „poetische Denken“ situieren. Ausgehend von Greverus’ Konzept der Collage und einer ästhetischen Anthropologie, in der Poesie bzw. poetische Erkenntniswege gesucht und beschritten werden, möchte ich den Ort des Imaginären etwas näher definieren. In Abgrenzung oder Ergänzung zu Greverus, die von „poetischer Erkenntnis“ und „utopischem Denken“ spricht, spreche ich vom „poetischen Denken“ – denn die Erkenntnis ist das Ergebnis und das Denken (und Handeln) der Weg dorthin. Ich schreibe das poetische Denken allerdings nicht dem Poeten/der Poetin als Künstler/in zu, sondern verstehe poetisches Denken als sinnstiftendes, wunscherfülltes und auf Handeln ausgerichtetes Denken, als Potenzial oder Fähigkeit jedes Menschen. Im Gegensatz zum Begriff „Kunst“ ist der Begriff „Poesie“ weniger festgeschrieben – er bezeichnet kein konkretes gesellschaftliches Feld, sondern vielmehr einen Zustand. Poesie ist insofern ein offenerer Begriff, von dem aus die Verbindung zu „Kreativität als soziale Kraft“ und als Fähigkeit/Potenzial aller Menschen mir naheliegender erscheint.
kante (das Bedeutende) ist ein Vermittler. Die Ebene der Signifikate bildet die Inhaltsebene (vgl. Barthes [1964] 1983: 34ff.). Das Signifikat (das Bedeutete) ist kein Ding, sondern die psychische Darstellung eines Dings. Saussure nannte es daher „Begriff“ (concept) (vgl. ebd.: 37). Die Bedeutung (signification) des Zeichens ist wiederum „der Akt, der Signifikant und Signifikat miteinander vereint“ (ebd.: 41). 14 Die Konnotationen des „wilden Denkens“ beziehen sich für mich auf grenzüberschreitendes, nicht-diszipliniertes Hinwegsetzen über Formalitäten und Vorgaben.
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Das Poetische ist nicht Kunst in einem bestimmten Sinn, sondern eine schöpferische Einstellung.15 Der Begriff „Poesie“ geht auf griech. poíēsis „das Machen, das Verfertigen“ sowie auf das Verb poieīn „machen, verfertigen; schöpferisch tätig sein“ zurück; Poet/Dichter steht demnach für den „schöpferischen Menschen“ (vgl. Duden 2001: 616). Das poetische Denken gibt der Gegenwart durch die Antizipation und Aktualisierung des Wunsches/der Utopie/des NochNicht eine besondere Qualität. Poetisches Denken verstehe ich sowohl als anthropologisch-forschenden Zugang als auch als anthropologische Konstante und in der anthropologischen/kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung unterbelichteten Aspekt. Mir geht es um das poetische Moment der Imagination und Perspektivierung sowohl der Forschung selbst als auch in der Hinwendung zum Erforschten – also um Poesie oder auch um ein poetisches Denken als ein am Möglichen und Potenziellen orientierter Weltzugang. Ernst Blochs Begriff des „Noch-Nicht“, ebenso wie Greverus’ Begriff der „Möglichkeitsorte“ oder „Orte des Möglichen“, weisen in diese Richtung – diese Begriffe, wie auch jener der „Collage“, implizieren meines Erachtens ein poetisches Denken in jenem Sinn, dass diese Begriffe auch als Zeichen oder Bilder neue Perspektiven und ein Imaginäres eröffnen. Dabei sitzt das poetische Denken zwischen Wunsch und Praxis. Die Verbindung zwischen dem poetischen Denken des Noch-Nicht, des Imaginären und dem gelebten sozialen Raum besteht genau darin, das poetische Denken als soziale Kraft zu verstehen. Dabei geht es um die Fähigkeit, Phantasie und Imagination zu entwickeln. Die Begriffe „Phantasie“ (griech. phantasía für „Erscheinung, geistiges Bild; Vorstellung, Einbildung“) und „Imagination“ (von lat. imago für „Bild, […] Abbild, Trugbild, Vorstellung“) bezeichnen das Gleiche, doch sind die Konnotationen ein wenig unterschiedlich und beide von Interesse (vgl. Duden 2001: 204; 359). Die Phantasie kann als Teil der sinnlichen Wahrnehmung und nicht der rationalen Erkenntnis verstanden werden. Der lateinische Begriff imago bedeutet Bild, insofern verweist der Begriff Imagination auf das bildhafte Vorstellen bzw. die Einbildungskraft und das innere Voraussehen einer anderen Welt. Das Imaginäre (frz. imaginaire) ist wie eine andere Welt, ein Raum, den man betritt und in dem allerhand unerhört Unerhofftes möglich ist. Die Imagination ist die Fähigkeit zur Erschaffung des Imaginären als eine andere Welt. Das Imaginä-
15 So übt bspw. Friedrich Nietzsche Kritik an einem Kunstbegriff, der sich ausschließlich auf das Schaffen von Werken bezieht. Nietzsche sieht als Aufgabe der Kunst, das „Bedeutende“ durchscheinen zu lassen, die „Kunst der Kunstwerke“ sei dabei nur ein Anhängsel (vgl. Nietzsche 1980: 453).
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re/Utopische/Noch-Nicht ist auch ein wesentlicher Aspekt der „Topografie des Möglichen“ (Rancière 2009), um die es in dieser Arbeit in Bezug auf den Lebensraum Stadt gehen wird. Den Begriff „Topografie des Möglichen“ nennt Jaques Rancière als Denkfigur für das transformative gesellschaftliche Potenzial in Zusammenhang mit dem individuellen politischen Subjektivierungsprozess: „[...] Darin besteht der politische Subjektivierungsprozess: in der Aktion nicht gezählter Fähigkeiten, die die Einheit des Gegebenen und die Offensichtlichkeit des Sichtbaren spalten, um eine neue Topografie des Möglichen zu zeichnen. Die kollektive Intelligenz der Emanzipation ist nicht das Verständnis eines umfassenden Unterwerfungsprozesses. Sie ist die Kollektivierung der in diese Szenen des Dissenses investierten Fähigkeiten.“ (Ebd.: 61; H.d.A.)
Dabei ist das Imaginäre, das poetische Denken, ein Teil dessen, was die AkteurInnen in den empirischen Fallbeispielen der vorliegenden Arbeit antreibt und als Gruppe/Gemeinschaft zusammenbringt und zusammenhält. In den empirischen Fallbeispielen geht es um das poetische Denken als kreative Kraft, bezogen auf den Lebensraum Stadt, und die Herstellung alternativer sozialer Räume. Die Beschaffenheit dieser sozialen Räume und ihrer symbolischen und physischen Dimension ist als „Neu-Aufteilung des Sinnlichen in der Stadt“ interpretierbar und gibt über die Beschaffenheit einer lokalen Topografie des Möglichen Auskunft. 1.1.1.2 Collage und De-Collage – Adoleszentes Potenzial und transformierte Alltäglichkeit In Zusammenhang mit Greverus’ Überlegungen zu einer ästhetischen Anthropologie steht ihr in Anlehnung an Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ formuliertes „Kulturprinzip Collage“. Als frühe Vertreterin der Kulturanthropologie im deutschsprachigen Raum greift Greverus den Begriff Collage seit den 1970er Jahren auf und entwickelte ihr „Prinzip Collage“ über die Jahre sowohl als kulturelles Prinzip als auch als methodischen Ansatz.16 Ina-Maria Greverus hat den Begriff der künstlerischen Collage-Technik auf kulturelles Schaffen übertragen und zu einem Leitbegriff ihrer Forschungsarbeit gemacht (vgl. Greverus 1995: 22ff.). Die künstlerische Collage-Technik war im Umfeld der surrealistischen Bewegung, in Anknüpfung an Sigmund Freud und
16 Den Collage-Begriff verwendete Greverus erstmals 1977 in Zusammenhang mit der Wiedergewinnung von Festen als Überhöhung und Durchdringung des Alltags.
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in Reaktion auf die „Vorherrschaft der Ratio“, auf der Suche nach erweiterten Erfahrungsmöglichkeiten, in denen das Bewusste und das Unbewusste sich überschneiden, entstanden.17 In diesem Kontext entwickelten die Surrealisten das „Collage-Prinzip des kreativen Widerspruchs“: die Koppelung von Nichtzusammengehörigem, um beim Betrachter bewusst Desorientierung und Irritation zu provozieren (vgl. Huber 2008: 30). In ihrem Verständnis von Collage greift Greverus auf den surrealistischen Künstler Max Ernst zurück, der Collage wie folgt beschreibt: „Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“ (Ernst 1986: 24, zit.n. Greverus 2009b: 234)
Mit dem Funken Poesie meint Greverus schöpferisches Gestalten – Collage wird dabei nicht nur als ein Gestaltungsprinzip, sondern ebenso als ein Wahrnehmungsprinzip verstanden: Es ist „jener Horizont Collage, der in ein zukünftiges Mögliches verweist, ist die Imagination des ‚Funkens Poesie‘ durch die Zusammenführung einander fremder Elemente.“ (Ebd.: 234) Dabei meint Collage nicht eine postmoderne Beliebigkeit, doch steht sie wie diese „dem linearen und ‚gezähmten Denken‘ einer am zivilisatorisch-technischen Fortschritt orientierten Monokultur mit Durchlaufcharakter entgegen.“ (Ebd.: 235) Ihr Prinzip Collage – als kulturelles Prinzip und methodischer Ansatz – definiert Greverus über drei Phasen: den Aufbruch, die De-Collage und die Juxtaposition. Der Aufbruch ist durch das adoleszente Potenzial sowie die Sehnsucht nach Neuem charakterisiert. Diese Sehnsucht nach Neuem durch das adoleszente Potenzial führt zur De-Collage des Bestehenden, also zum Hinterfragen und der Dekonstruktion verfestigter kultureller Muster. Als dritter Schritt folgt die Juxtaposition18, die Gegenüberstellung anderer Möglichkeiten und die Herstellung eines kulturell Neuen (vgl. Huber 2008: 31f.). Für Greverus ist Kultur „immer ein Prozess des Um- und Neugestalten[s], der Veränderung eigener Gehalte und der Übernahme fremder Ideen, Erfahrungen und Objekte, ist letztendlich immer Col-
17 Zu den künstlerischen Methoden der „Collage“ und „Assemblage“ siehe (Waldmann 1993). 18 Den Begriff der Juxtaposition – ursprünglich Stilmittel der künstlerischen Collage – entlehnt Greverus für die „Möglichkeiten der anthropologischen Darstellung.“ (Greverus 2005: 86)
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lage aus Altem und Neuem, Eigenem und Fremdem. Als gekonnte Collage fordert sie eine bessere Welt für ihre Gestalter.“ (Greverus, 1995: 23) Als „gekonnte Collage“ ist demnach ein sinnstiftender Alltag zu verstehen, ein Leben, in dem sich das Individuum als handlungsfähig und gestaltungsmächtig erlebt. Dabei ist der Collage-Begriff als prozesshaft zu verstehen, es geht nicht darum, eine abgeschlossene Collage zu produzieren, sondern das Collagehafte steht für einen permanenten Prozess kultureller Erneuerung. Das Collagehafte steht dabei sinnbildlich für das Selbstgemachte und das Eigensinnige – dieses darf und soll sichtbar sein, entgegen einer Homogenisierung und Sinnentleerung durch Kommerzialisierung sowie als Rückbesinnung auf die eigene Handlungsmacht entgegen der Undurchsichtigkeit von Machtstrukturen im zeitgenössischen globalen Kapitalismus. Bei der Kombination und Rekombination von Eigenem und Fremdem, Altem und Neuem geht es also darum, einen Möglichkeitssinn für individuelle und kollektive Prozesse der Gestaltung unserer Lebenswelten und insbesondere der Aneignung und Perspektivierung unserer Wünsche und Träume zu erkennen und zu entwickeln. Greverus greift die Kategorie der Adoleszenz auf, um sie als gesellschaftserneuernde Kraft zu definieren. Sie meint, Adoleszenz müsse sich als Haltung gewissermaßen auf die gesamte Gesellschaft ausdehnen, um die geltende Ordnung nachhaltig zu transformieren. In Anlehnung an Henri Lefebvre (1972a) geht es Greverus um die Wiedergewinnung eines kulturellen Lebensstils, in dem das Alltägliche zum sinnstiftenden „Werk“ wird. Für Lefebvre liegt der Schlüssel in der Aneignung des Wunsches: „Die Aneignung des Wunsches durch das menschliche Sein schwebt auf halbem Wege zwischen der praktischen Aktion und dem Imaginären.“ (Lefebvre 1972a: 121) Lefebvre meint, Menschen könnten gar nicht anders, als sich ihr Lebensumfeld zu eigen zu machen, und sie täten dies, indem sie eine Beziehung zum Möglichen und Imaginären aufbauten: „‚Das menschliche Wesen‘ (wir sagen nicht ‚der Mensch‘) kann nur als Dichter leben. Schenkt oder bietet man ihm nicht die Möglichkeit, dichterisch zu wohnen oder eine Poesie zu erfinden, so wird er sie auf seine Weise fabrizieren. Auch der banalste Alltag trägt in sich eine Spur von Größe und spontaner Poesie [...] einer Poesie, mit der das menschliche Wesen sich umgibt, um nicht aufzuhören, Dichter zu sein“ (Lefebvre 1972b: 90f.).
In Bezug auf den Möglichkeitssinn kommt Lefebvre zufolge insbesondere den Jugendlichen eine spezifische Rolle zu: „Kindheit, Heranwachsen und Jugend, so arm an Wirklichkeit, ungeschickt, anmaßend, ja sogar stupide [...], besitzen so unvergleichlich viel mehr von jenem größten und trügerischsten aller Reichtümer: der Möglichkeit.“ (Ebd.: 92) In Anlehnung an Lefebvre und Greverus geht
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es mir darum, Jugend/Adoleszenz als Potenzial gesellschaftlicher Transformation zu verstehen, nicht als vermarktbares Versprechen ewiger Jugend, wie dies heute im Jugendkult und Jugend-Diktat der Fall ist. Mir geht es darum, Jugend/Adoleszenz genauso wie Kreativität anders zu betrachten und beide als soziale Dynamiken/Kräfte zu restituieren. Hierzu beziehe ich mich im Wesentlichen auf David Graebers Verständnis von „Kreativität als sozialer Prozess“ sowie auf John Holloways Ansatz von Kreativität als „kreative Macht“ im Gegensatz zur „instrumentellen Macht“. 1.1.2 Kreativität als soziale Kraft – poetisches Handeln als das Umsetzen von Wünschen Das poetische Denken als soziale Kraft zu verstehen, bedeutet ein Stück weit, das Umsetzen von Wünschen als poetisches bzw. „magisches“ Handeln aufzufassen, da es ein Handeln-als-ob ist, das den Wunsch in die Realität hereinholt. Denn würde man nicht an das glauben, was man tut, würde man es gar nicht erst tun. Insofern steht der Begriff „magisches Handeln“ nicht für eine Rückverzauberung der Welt, sondern zielt auf Phantasie/Imagination/Wunsch/Hoffnung als Antriebskraft zum Handeln und insofern auf Kreativität als sozialer Prozess – Magie und Poesie entfalten sich im Spannungsbogen zwischen dem Wunsch und der Aneignung des Wunsches, wie dies Lefebvre formulierte. Bei der Aneignung des Wunsches springt der Funke Poesie über, wie dies Greverus in Anlehnung an die Surrealisten bezeichnete. Poetisches Denken und Handeln verstehe ich also als Kreativität und als sozialen Prozess. Dabei beziehe ich mich auf den USamerikanischen Ethnologen und Anarchisten David Graeber (2008). 1.1.2.1 Kreativität als sozialer Prozess (David Graeber) In marxistischer Tradition geht David Graeber davon aus, dass Kreativität und Imagination das Wesen dessen ausmachen, was es heißt, Mensch zu sein. Kreative Imagination ist dabei die Voraussetzung für die Fähigkeit zu gesellschaftlich transformierendem Handeln (Graeber 2008: 50). In seinem Artikel „Fetischismus als soziale Kreativität. Oder: Fetische sind Götter im Prozess ihrer Herstellung“ (2008) spannt Graeber einen Bogen von Castoriadis’ (1991) Theorie der Autonomie über Marcel Mauss’ ([1925] 1990) anthropologische Studien über die Gabe bis hin zu Graebers eigenen Forschungen zu Tauschökonomie und Fetischkultur. Seine Ausführungen fassen genau das, was ich mit dem magischen Handeln bezeichnen möchte, und erquickenderweise stellt Graeber eine Analogie zwischen der als „magisch“ verstandenen Funktionsweise von religiösen Fetischen und der unbewusst und insofern magisch wirkenden Übereinkunft von
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Gesellschaftsverträgen her. Graeber zieht Schlüsse über die Kraft der Imagination für das soziale Zusammenleben, sei diese nun, wie bei den von ihm erforschten Kulturen auf die Erschaffung von „Göttern“, also auf symbolische Figuren, die das soziale Zusammenleben regeln, gerichtet oder auf andere Formen des Gesellschaftsvertrags. Graeber geht von der Annahme aus, dass Menschen permanent neue soziale und kulturelle Formen erschaffen, doch werden ihre Ziele dabei durch die sozialen Institutionen, die sie schaffen, geformt. Aufbauend auf Alain Caillés (2000) Überlegungen zu alternativen Gesellschaftsmodellen, in Anlehnung an Marcel Mauss, nimmt auch Graeber nicht die Marktbeziehungen, sondern die Tauschökonomie als Ausgangspunkt und wesentlichen Aspekt der Schaffung sozialer Beziehungen (vgl. Graeber 2008: 49f.). Als zweiten Impuls bezieht sich Graeber auf Marx’ Annahme, „dass sowohl die menschliche Fähigkeit zur Kreativität als auch die Fähigkeit zur Kritik letzlich auf dieselbe Quelle zurückgehen, die man als unsere Fähigkeit zur reflexiven Imagination bezeichnen könnte.“ (Ebd.: 50) Darauf aufbauend fragt Graeber, was genau die „Rolle von (kollektiver und individueller) Kreativität, von Imagination, in radikalem sozialem Wandel“ (ebd.: 51) ist. Er hält es für wichtig, künftig Prozesse sozialer Kreativität als Kernstück einer Gesellschaftstheorie zu setzen (vgl. ebd.: 67). Bezugnehmend auf Cornelius Castoriadis, den Graeber als Begründer der Autonomietradition bezeichnet, fragt er weiter nach der Rolle der Imagination im Kontext revolutionären Handelns. Zentral setzt Castoriadis hierfür das autonome Handeln. Als „autonom“ bezeichnet er „diejenigen Institutionen, deren Regeln von ihren Mitgliedern selbst bewusst geschaffen und immer wieder neu infrage gestellt wurden.“ (Ebd.: 51) Laut Graeber geht es bei all diesen Autoren um die Frage des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, wobei der Ausgangspunkt die Fähigkeit der Menschen ist, neue Institutionen und soziale Verhältnisse, neue Formen sozialer Beziehungen zu schaffen (vgl. ebd.: 52). Einen Beitrag zur Erforschung dieser Frage von Seiten der Anthropologie sieht Graeber in den Themen der klassischen Anthropologie (Potlatch, Geistertänze, Magie, totemisische Rituale etc.), da diese genau jene Frage nach neuen sozialen Verhältnissen und Formen stellten. In seinen weiteren Ausführungen befasst er sich mit dem Begriff des Fetischismus 19 und seiner Funktion in den Handelsbeziehungen des frühen Kolonialismus. Graebers Interesse am Feti-
19 Auch Bourdieu verweist auf die Verbindung von Politik, Magie und Fetischismus: „Die Logik der Politik ist die der Magie oder, wenn man das vorzieht, die des Fetischismus.“ (Bourdieu 1997a: 85)
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schismus entstand aus einer vergleichenden Studie über Perlenketten sowie andere „Handelswährungen“ (vgl. Graeber 1995, 2001), darin befasste er sich u.a. mit den „Kula“-Muscheln der Trobriander, den „Wampums“ der Irokesen, dem Kupfer der Kwakiutl und bezog sich dabei auf William Pietz’ Studien zum Fetischismus (vgl. u.a. Pietz 1985). Verträge zwischen Europäern und Afrikanern wurden durch das „Fetisch-Machen“ oder „Fetisch-Trinken“ besiegelt, erst diese Rituale ermöglichten den Handel (vgl. Graeber 2008: 52ff.). Graeber geht es um das Herausarbeiten der verschiedenen Arten von Gesellschaftsverträgen und der Funktion von Imagination darin. Der improvisierte Charakter der Rituale war dabei der „Ort der sozialen Kreativität“ (vgl. ebd.: 62). Zum Verhältnis von sozialer Kreativität und gesellschaftlicher Transformation hält Graeber fest: „Jeder Akt sozialer Kreativität ist in gewisser Weise revolutionär, beispiellos: von der Entstehung einer Freundschaft bis zur Vergesellschaftung eines Banksystems. Keiner ist es vollständig. Es ist immer eine Frage von Abstufungen.“ (Ebd.: 64) Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen stellt Graeber eine Analogie zwischen Macht und Magie her: Das Paradoxon der Macht besteht darin, dass sie nur dann besteht, wenn andere Menschen denken, dass sie besteht – dieses Paradoxon liegt auch der Magie zugrunde. Dies würde nicht nur das Paradoxon der Macht, sondern auch das „Paradoxon der Kreativität“ umfassen. Auch die Kreativität könne nie wirklich frei sein, sondern würde sich immer im Verhältnis zu einer Umgebung oder einem Kollektiv verhalten: „Selbst in der freiesten Gesellschaft würden wir uns vermutlich durch die Verpflichtungen anderen gegenüber festgelegt fühlen [...] würden wir weiterhin Regeln erschaffen und zulassen, dass sie Macht über uns ausüben.“ (Ebd.: 65) Daran schließt er die Frage, ob ein nicht-fetischisiertes Bewusstsein überhaupt möglich und gewollt sei. Denn gefährlich würde es nur dann werden, „wenn aus Fetischismus Theologie wird, die absolute Sicherheit, dass die Götter wirklich sind.“ (Ebd.) In den Studien Pietz’ konnten Götter „erschaffen, weggeworfen oder ausgeblendet werden, da die sozialen Arrangements selbst nie als unveränderlich angesehen wurden“ (ebd.: 66). In Analogie dazu meint Graeber, die Menschen würden in einer Welt andauernder sozialer Kreativität in einem unaufhörlichen Prozess der Imagination neuer sozialer Arrangements begriffen sein und ständig versuchen, diese wirklich werden zu lassen. 1.1.2.2 „Kreative Macht“ (John Holloway) Ähnlich zu Graebers Verständnis von „Kreativität als sozialer Prozess“ ist John Holloways ebenfalls marxistisch fundierter Begriff der „kreativen Macht“ gela-
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gert.20 In seinem 2002 in deutscher Übersetzung erschienenen Buch „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“ legt Holloway eine Theorie alltäglichen rebellischen Handelns21 vor, das sich auf Poesie und Würde, in Anlehnung an den zapatistischen Diskurs22, gründet und im Sinne der Strömung des „Open Marxism“ verortet ist (vgl. Kastner 2007: 29). John Holloways Überlegungen zielen auf „die Veränderung des gewöhnlichen, alltäglichen Lebens“, wobei er Revolution stärker als stetige Rebellion denn als singuläres Ereignis fasst: Revolution/Rebellion müsse „aus dem gewöhnlichen, alltäglichen Leben heraus entstehen.“ (Holloway 2004: 243) Insofern sei es wichtig, davon auszugehen, dass „ein Revolutionär zu sein, [...] eine sehr gewöhnliche, sehr normale Sache [sei]“, und „wir alle seien Revolutionäre [...], wenngleich auch in einer sehr widersprüchlichen, fetischisierten, unterdrückten Weise [...].“ (Ebd.) Laut Holloway hat/haben die „Poesie (und sicherlich auch andere künstlerische Ausdrucksweisen) [...] eine zentrale Rolle in den antikapitalistischen Kämpfen eingenommen. Poesie nicht als schöne Worte, sondern als Kampf gegen die prosaische Logik der Welt, Poesie als der Ruf einer Welt, die noch nicht existiert.“ (Holloway 2006: 66) In der politischen und diskursiven Praxis der Zapatistas spielen Bildsprache und Mythenbildung sowie Poesie eine große Rolle. Auch die poetisch gehaltene Sprache der Communiqués verweist auf eine
20 Er nennt diese auch „praktische Kreativität“, „kreative Praxis“, „Menschlichkeit“ (Holloway 2004: 209). 21 Diese Veränderung des alltäglichen Lebens wird bspw. durch selbstorganisierte Initiativen initiiert, da sie für die involvierten AkteurInnen einen alltagsverändernden und meist konstitutiven Faktor ihres Alltags darstellen. 22 Die zapatistische Guerilla EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional), kurz als Zapatistas bezeichnet, ist eine seit Anfang der 1990er Jahre existierende Guerilla im Süden Mexikos. Sie hat ihren Namen von Emilio Zapata, einem der Helden der Mexikanischen Revolution (1910-1920), entlehnt und begann ihren Aufstand gegen die rassistische Diskriminierung der indigenen Bevölkerung sowie gegen die Auswirkungen des Neoliberalismus am 1. Januar 1994 in Chiapas, der ärmsten und südlichsten Region Mexikos (vgl. Kastner 2007: 26). Zur Bedeutung der Zapatistas für die globalisierungskritische Bewegung meint Jens Kastner, die „Intergalaktischen Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschlichkeit/Menschheit“ im chiapanekischen Urwald (1996) sowie in Spanien (1997) „können getrost als Geburtsstunde der globalisierungskritischen Bewegungen verstanden werden.“ (Ebd.)
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Strategie der Mythenbildung, die Poesie und Politik, Wunsch und Wirklichkeit zu verbinden vermag.23 Slogans wie „die Welt verändern, ohne die Macht zu ergreifen“ oder „Fragend schreiten wir voran“ fanden Eingang in die Theoriendiskussionen und gelebte Kultur der globalisierungskritischen Bewegung (vgl. dazu u.a. Holloway 2004) und weisen auf jenes Moment des Noch-Nicht (Bloch 1977) hin, welches auch im Kontext des Wiedererstarkens anarchistischer Theorie und Praxis zu sehen ist und für ein neues politisches Selbstverständnis in Teilen der außerparlamentarischen Linken steht (vgl. u.a. Day 2005). Zentral im zapatistischen Diskurs figuriert der Begriff „Würde“, den Holloway aufgreift. Dabei wird Würde als gesellschaftliche und politische Kategorie verstanden, nicht als Privatangelegenheit. Jens Kastner meint, dass sich „Würde als Kampf gegen die Fetischisierung sozialer Beziehungen“ (Kastner 2007: 49) erst verstehen lässt, wenn man das Gegenstück dessen, was Marx Entfremdung nannte, ins Blickfeld rückt: nämlich das Tun abseits und jenseits von Lohnarbeit. Im Kampf um Würde geht es zentral um Sichtbarkeit – also darum, gesehen und gehört zu werden, wahrgenommen zu werden auf der gesellschaftlichen Bühne. Dieser Kampf um Sichtbarkeit wird von den Zapatistas durch das Tragen von Sturmhauben auf poetische Weise thematisiert und visualisiert: „wir verbergen unsere Gesichter, damit wir gesehen werden können, unser Kampf ist der Kampf der Gesichtslosen.“ (Holloway 2004: 179) Die Worte, die die Handlung begleiten, geben ihr eine andere Kontur als jene der Guerilleros als gefährliche Gangster – die Worte berühren genau jene Frage der Würde und verändern dadurch die Wahrnehmung der Handlung.24
23 Nicht zuletzt durch die poetische Sprache ihrer Communiqués sowie ihre innovativen Protest- und Organisationsformen erlangte die zapatistische Bewegung internationale Aufmerksamkeit und wurde zu einem Referenzpunkt der in den Folgejahren erstarkenden globalisierungskritischen Bewegung. 24 Diese Praxis des Maskierens (als symbolischer Akt der Sichtbarmachung) wurde in Protestbewegungen in Europa sowie weltweit übernommen – man denke bspw. an die Guy-Fawkes-Maske (ein Zitat aus dem Film „V wie Vendetta“ 2006, der eine Verfilmung des gleichnamigen Comics von Alan Moore und David Lloyd ist), die in der Anonymous-Bewegung aufgegriffen wurde, oder die weißen Masken der „Génération Précaire“ in Frankreich, mit welchen die AktivistInnen auf ihre prekären und unsichtbar gemachten Arbeits- und Lebensbedingungen aufmerksam machen wollen und kollektiv in Erscheinung treten.
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Ausgehend vom Schrei stellt Holloway das Tun als Tätigsein jenseits und abseits der Lohnarbeit in den Mittelpunkt bzw. als Dreh- und Angelpunkt für gesellschaftliche Transformation. Tun ist für Holloway die gesellschaftlich transformierende Kraft, er bezeichnet sie auch als „kreative Macht“. Diese wird im Kapitalismus in Form der Lohnarbeit diszipliniert und durch die „instrumentelle Macht“ ausgebeutet. Da unsere Fähigkeit, etwas zu tun, immer auf dem Tun anderer aufbaut, ist kreative Macht niemals individuell, sondern immer gesellschaftlich (vgl. ebd.: 41). Dennoch wird durch den Antagonismus von Kapital und Arbeit das Tun zerstückelt und sein pluralistischer, kollektiver, gemeinschaftlicher Charakter unkenntlich gemacht (vgl. ebd.: 39). Dieser Ausbeutung durch Mehrwertproduktion liegt laut Holloway ein vorhergehender Kampf zur „Verwandlung von Kreativität in Arbeit“ zugrunde. Dieser vorhergehende Kampf impliziert die „Definition bestimmter Tätigkeiten als wertproduzierend“ und anderer als nicht-wertproduzierend und somit zweitrangig (vgl. ebd.: 171). In der kapitalistischen Gesellschaft verlieren wir damit die Kontrolle über unsere kreative Aktivität: „Diese Negation der menschlichen Kreativität geschieht durch die Unterordnung der menschlichen Aktivität unter das Diktat des Marktes. [...] der Antagonismus zwischen der Kreativität und ihrer Negation kann als Konflikt zwischen Arbeit und Kapital bezeichnet werden.“ (Ebd.: 168f.)
Die Strategie des Trennens und Zerteilens wird von Holloway als dem Kapitalismus inhärente Strategie der Machtausübung bezeichnet. In der Verfestigung der „instrumentellen Macht“ ist laut Holloway u.a. die Unterteilung in Ökonomie und Politik als zwei unterschiedliche Felder von Relevanz, „[…] weil durch die Trennung zwischen dem Ökonomischen und dem Politischen die Macht scheinbar in dem Bereich des Politischen ausgeübt wird und das Ökonomische damit als unhinterfragbare ‚natürliche‘ Sphäre erscheint. In Wirklichkeit wohnt jedoch die Ausübung von Macht (die Verwandlung von kreativer Macht in instrumentelle Macht) bereits der Trennung des Getanen vom Tun, und damit der Erschaffung des Politischen und des Ökonomischen als getrennter Formen gesellschaftlicher Verhältnisse, inne.“ (Ebd.: 46)25
25 Zur Erschaffung des Politischen und Ökonomischen siehe (Castoriadis 1990: 26f.).
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Laut Holloway sind gemeinschaftliche Organisationsformen für eine Emanzipation kreativer Macht wesentlich (vgl. ebd.: 242) – er bezeichnet diese als Risse in Raum und Zeit (vgl. Holloway 2006: 91). Diese Risse in Raum und Zeit bzw. die Herstellung von Gegenräumen bzw. anderen Räumen der Gemeinschaft jenseits des ökonomischen Wertes sowie das Leben einer anderen Zeitlichkeit, die sich nicht dem Diktat kapitalistischer Produktion unterwirft, sind für ihn Ansatzpunkte der Emanzipation kreativer Macht. Ähnlich dem Bild einer Collage/Bricolage und der Topografie des Möglichen, spricht Holloway vom Knüpfen und Wiederverknüpfen sowie dem „flickenartigen Zusammenfügen eines Gewebes der Gesellschaftlichkeit des Tuns“ und der „Schaffung gesellschaftlicher Ausdrucksformen des Tuns auf einer anderen Grundlage als der des Werts.“ (Holloway 2004: 243) Andere Räume und andere Zeitlichkeiten sind also Konstanten für eine veränderte Alltäglichkeit. Holloway beschreibt die Zeitlichkeit des Kapitalismus als „homogene Zeit“, als „lineare Bewegung zwischen Vergangenheit und Zukunft“, die „radikale Alternativen für die Zukunft als Fiktion“ abtut, denn: „Alles was außerhalb der Gleise der Ticktack-Zeit liegt oder liegen könnte, wird unterdrückt. Vergangene Kämpfe, die auf etwas radikal von der Gegenwart Verschiedenes abzielen, geraten in Vergessenheit. [...] Gedächtnis, und mit ihm die Hoffnung, werden der unerbitterlichen Bewegung der Uhr, die sich nirgendwohin bewegt, untergeordnet.“ (Ebd.: 75)
Holloway sieht in der homogenen Zeitlichkeit des Kapitalismus einen wesentlichen Unterdrückungsmechanismus und plädiert für das Erleben/Leben einer anderen Zeitlichkeit: „Wir sind alle gefangen in linearer, homogener Zeit, Zeit, die unsere Kreativität bestreitet, unsere Möglichkeit, es anders zu machen.“ (Holloway 2006: 86) Deshalb moniert er: Die Revolution beginnt hier und jetzt als Rebellion und Herstellung von Nischen und Räumen als Rissen im System, denn: „Unsere Würde ist Tun, unsere Fähigkeit, zu tun und es anders zu tun.“ (Ebd.) Die Risse nach Holloway lassen sich in räumliche Begriffe, in Begriffe einer Aktivität, sowie in Begriffe der Zeit fassen. In Begriffen der Zeit ist es für Holloway das Hauptziel, „[…] mit der Homogenität der kapitalistischen Zeit zu brechen, mit der Uhr-Zeit zu brechen, mit der Dauerhaftigkeit, der Idee, dass das Morgen die unvermeidliche Fortsetzung des Heute ist. Wir fangen also an, diese andere Welt, die wir schaffen wollen, nicht in Begriffen der Dauerhaftigkeit zu konzipieren (eine Revolution, die für immer halten wird), sondern in Begriffen der Intensität, der Intensität jedes gelebten Moments.“ (Ebd.: 110)
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Welche Zeitlichkeit wäre dann jene der Revolution/Rebellion, also jene einer transformierten Alltäglichkeit? Holloway spricht von zwei Zeiten der Revolution/Rebellion. Die erste Zeitlichkeit der Revolution/Rebellion, jene des „Ya basta! Es reicht!“, beschreibt er als eine „Zeit der Ungeduld, der Intensität und der Revolution hier-und-jetzt. [...] Es ist auch die Zeit der Unschuld, des einfachen und unkomplizierten NEIN.“ (Holloway 2006: 70, H.i.O.) Diese kann als jene Zeit verstanden werden, in der Öffentlichkeit hergestellt wird, nach Außen gegangen wird. Die zweite Zeitlichkeit dient der „beharrlichen Erschaffung anderer Arten, unsere Aktivitäten und unser Tun zu organisieren.“ Holloway nennt diese auch die „Zeit der Erfahrung“. „Dies ist die Zeitlichkeit, in der wir unsere eigene Macht ausbilden können, unsere ‚Macht zu‘ [power-to], unsere Macht, Dinge anders zu tun.“ (Ebd.: 71f.) Diese zweite Zeitlichkeit kann als jene Zeit verstanden werden, die gebraucht wird, um sich selbst zu organisieren, es ist eine Zeit des Nach-innen-gekehrt-Seins.26 Im Rahmen dieser Arbeit interessiert mich (in Analogie zum mythischen Denken) die mythische Zeit (Zeitlichkeit) als Zeit des Geschichte(n)-Erzählens, als Zeit der Selbstvergewisserung durch Erinnerung und Projektion in eine mögliche Zukunft. Geschichtenerzählen zählt sowohl zum mythischen Denken als auch zum poetischen Denken, insbesondere im Hinblick auf die sinnstiftende Selbsterzählung. Es könnte eine Frage des Bastelns sein und eine des „wilden Denkens“, des „nicht-domestizierten Denkens“ (Lévi-Strauss), in dem eine neue Mythologie geschaffen wird, die Poesie des Noch-Nicht der stetigen Wandlung sozialer Beziehungen, des sozialen Raums in Richtung Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Da es keine Regeln für das Voranschreiten gibt, außer vielleicht den zapatistischen Slogan „Fragend schreiten wir voran“, ist es eine Frage des „Experimentierens und Erfindens“ (ebd.: 72). Die Selbstorganisation in kulturellen und politischen Initiativen könnte dabei als Teil der Erschaffung einer anderen Welt verstanden werden. Die jeweiligen AkteurInnen verleihen ihren Wünschen und Träumen Ausdruck, setzen sie um und schaffen damit Räume
26 In seinem Buch „Die zwei Zeiten der Revolution“ (2006) hat Holloway seine von den Zapatistas inspirierte Theorie als „urbanen Zapatismus“ formuliert und auf die Stadt als Handlungsraum sozialer Bewegungen übertragen. Gerade dieses Verständnis von Zeitlichkeit wird in meiner Arbeit aufgegriffen, um das Tätigsein in kulturellen und politischen Initiativen jenseits und abseits der Erwerbsarbeit zu bezeichnen, bzw., um das Handlungsfeld kultureller Initiativen und das Herstellen von Situationen und Räumen der Teilhabe an der Schnittstelle des kulturellen und politischen Feldes in der Stadt zu beschreiben.
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und Zeitlichkeiten, in denen sich „kreative Macht“ produzieren und reproduzieren kann.27 Im Sinne der Cultural Studies wird der Akt der Ausdrucksfindung und der Selbstrepräsentation als Teil eines Prozesses der Ermächtigung verstanden, der einer Verschränkung von „Selbstinnovation und Selbstmodernisierung“ (Warneken 2006: 129)28 unter neoliberalen Vorzeichen tendenziell entgegenwirkt bzw. eine andere Zielrichtung, nämlich jene der Emanzipation und nicht der Vermarktung, verfolgt. Die Zapatistas sprechen von drei Achsen des Kampfes um Emanzipation/Befreiung: „Feuer (fuego), Wort (palabra) und Organisation (organización)“ (Holloway 2006: 102): fuego bezeichnet den physischen/körperlichen Kampf , palabra den Kampf mit Worten/Poesie/Imaginärem und entspricht dem Diskursiven, sowie dem Erzählen der eigenen Geschichte; organización bezeichnet den Kampf durch die Erschaffung/Herstellung anderer sozialer Beziehungen (die auf der gegenseitigen Anerkennung von Würde aufbauen). In Analogie zu diesen drei Achsen entwickle ich in der vorliegenden Arbeit die drei Analyseebenen des physischen, sozialen und symbolischen Raums – mit speziellem Fokus auf die symbolische Ebene der Narration und Selbsterzählung. Die Bedingungen für Teilhabe werden auf diesen drei Ebenen festgelegt, also müsste auch die Veränderung der Bedingungen an diesen drei Ebenen ansetzen.
1.2 Ö KONOMISIERUNG
VON K REATIVITÄT IM ZEITGENÖSSISCHEN K APITALISMUS
Insbesondere aufgrund der Zentralität des Kreativitätsbegriffs und des kulturellen Feldes (Kunst- und Kulturfeldes) im zeitgenössischen Kapitalismus und in der Konstruktion der politisch-ökonomischen Legitimierungsdiskurse erscheint eine Rückbesinnung auf einen Kreativitätsbegriff als sozialer Prozess und soziale
27 Zur Kreativität als kollektives Handeln siehe auch Hans Joas’ „Kreativität des Handelns“ (1992). Laut Joas leisten kollektive Handlungsprozesse und soziale Bewegungen einen wesentlichen Beitrag zur Konstituierung und zum Wandel sozialer Ordnungen und sind dabei auch „selbst als Formen sozialer Ordnung im Prozeß der Selbsterzeugung“ (Joas 1992: 291) zu verstehen (vgl. Joas 1992: 290-306). 28 Bernd-Jürgen Warneken hält fest, dass „Kreativismus und Neoliberalismus“ über die Aspekte „Selbstinnovation und Selbstmodernisierung“ zusammenhängen und in Ambivalenzen von Zwang und Freiheit, bspw. des Selbstmanagements, sichtbar werden (Warneken 2006: 129).
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Kraft umso wichtiger. Insofern lege ich den Fokus auf die demokratiepolitische Relevanz, nicht auf die ökonomische. Im Rahmen der aktuellen Kreativitätsdiskurse gilt mein Interesse Ansätzen, die über die Selbstdisziplinierung des postfordistischen Subjekts hinausweisen und Möglichkeiten neuer selbstbestimmter und handlungsmächtiger Positionen sichtbar und denkbar machen, sowie an Ansätze anzuschließen, die kulturelles Schaffen als Moment der Befreiung in einem alltäglichen, individuellen wie auch politischen und potenziell kollektiven Sinn verstehen. Im Folgenden wird auf kritische Diskussionen des Kreativitätsbegriffs und seiner Instrumentalisierung eingegangen. Der „kreative Imperativ“ (von Osten/Spillmann 2002) beschreibt, wie die heutigen Anforderungen an das arbeitende Subjekt aussehen: Der Imperativ „Sei kreativ!“ stellt ein Charakteristikum der zeitgenössischen Ökonomie und des Stellenwerts der Kreativität innerhalb der gesellschaftlichen Verwertungszusammenhänge dar. Die ambivalenten Effekte des kreativen Imperativs erstrecken sich von Selbstverwirklichung bis Überforderung gleichermaßen; auch die Einund Ausschlusskriterien (Geschlecht, Ethnizität, kulturelles Kapital) bleiben dabei weitgehend erhalten (vgl. McRobbie 2001). Ulrich Bröckling (2007) prägte dafür den Begriff des „unternehmerischen Selbst“. Der kreative Imperativ ist Ausdruck zeitgenössischer gouvernementaler Strukturen 29 und wurde in zahlreichen Publikationen zu Genealogien des Dispositivs der Kreativität erörtert – siehe u.a. Fabian Heubel (2002), der sich unter Bezugnahme auf Michel Foucault mit dem heutigen Kreativitätskult als neuer Normierung befasst. Gerald Raunig und Ulf Wuggenig liefern in ihrer „Kritik der Kreativität“ (2007) eine kritische Betrachtung zum Hype rund um Kreativität und Kreativwirtschaft sowie zum „neuen Geist des Kapitalismus“ (Boltanski/Chiapello ([1999] 2003) (vgl. Althans et al. 2008: 7f.). Wie wird allerdings in diesen Diskursen das kreative Potenzial gefasst? Nicht Kreativität als soziale Kraft, sondern als vermarktbare kulturelle Produktion steht hier im Mittelpunkt der Betrachtungen. So erfolgt heute von neuem eine Engführung des Kreativitätsbegriffs unter anderen Vorzeichen. Denn wurde im Zuge der Erweiterung des Kulturbegriffs in Folge der 68er-Bewegung die Alltagskultur als gleichwertige kulturelle Produktion im Vergleich zu Hochkultur
29 Der von Michel Foucault geprägte Begriff der Gouvernementalität steht für Regierungsformen, die die Kontrolle in die Subjekte hineinverlegen und weitgehend durch Selbstdisziplinierung funktionieren. Erstmals verwendete Foucault den Begriff Gouvernementalität in einer Vorlesung am Collège de France im Studienjahr 1977-1978 (vgl. Foucault 2004; Bröckling/Krasmann/Lemke 2000).
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erachtet – und damit die vormalige Engführung auf Hochkuktur geöffnet, geht es heute um die Engführung in Richtung Vermarktbarkeit. Insofern müsste es auf theoretischer Ebene darum gehen, sowohl diese Engführung offenzulegen als auch kulturelle Produktion selbst als Werkzeug gegen die kapitalistische Verwertung zu verstehen und zu nutzen.30 1.2.1 Die Vormachtstellung der Kreativwirtschaft und das Herstellen von Öffentlichkeit Wie dies bereits Theodor Adorno und Max Horkheimer in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ ([1944] 1981) feststellten, führen die strukturellen Bedingungen der Kulturindustrie zu Subjektivierungsweisen, die das Individuum der Totalität des Kapitalismus unterwerfen – denn die Kulturindustrie erzeugt Wünsche (z.B. Mythos des Erfolgs), die niemals erfüllt werden. Insofern stellt die Kulturindustrie laut Adorno/Horkheimer ein Instrument des Massenbetrugs dar (vgl. Raunig 2007: 67-78). Gerald Raunig hinterfragt Adornos/Horkheimers Analysen und ihre Brauchbarkeit für die heutige Zeit: Dabei interessiert ihn die Begriffsverschiebung von „Kulturindustrie“ zu „Creative und Cultural Industries“ und die diesen Begriff umgebenden „universellen Heilsversprechen“, die nicht nur von PolitikerInnen, sondern von vielen AkteurInnen des Feldes selbst produziert werden. Raunig, der sich u.a. auf den postoperaistischen Philosophen Paolo Virno 31 bezieht, meint, dass es heute vielmehr um einen „massenhaften Selbstbetrug“ als einem Aspekt der Selbstprekarisierung gehe, die allerdings neben der Ausbeutung der Kreativität auch die Möglichkeit des Widerstandes beinhalte.32 Paolo Virno (2005) beschreibt die Kulturindustrie als prävalentes ökonomisches Feld des zeitgenössischen Kapitalismus und somit auch als jenes Feld, das
30 Zur Bedeutung „kultureller Produktion“ als Werkzeug zur Selbstermächtigung siehe (Gaztambide-Fernandez 2014). 31 Für eine Einführung zum Postoperaismus siehe (Birkner/Foltin 2006). 32 Raunig bezieht sich dabei auf Isabell Loreys (2007) Ausführungen über biopolitische Gouvernementalität und Selbstprekarisierung (selbstbestimmte Prekarisierung). Laut Lorey wurden insbesondere Praktiken und Diskurse der sozialen Bewegungen Teil der Transformation hin zu einer neoliberalen Ausformung der Gouvernementalität. Selbstprekarisierung bedeutet hier zur Ausbeutung jedes Aspekts des Lebens, und damit auch der Kreativität selbst, ja zu sagen. Raunig nennt dies das Paradox der Kreativität als Selbst-Regierung.
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versucht, das Individuum maximal unter Kontrolle zu bringen. In einer zunehmend wissensbasierten Gesellschaft werden Kreativität und Intellekt zum Rohstoff der Ökonomie. Als Aushängeschild der Kreativwirtschaft, welche als wirtschaftlicher Wachstumssektor prognostiziert wird, fungieren die KünstlerInnen, die zu Role-Models der neuen ArbeiterInnen stilisiert werden – flexibel, kreativ, eigenverantwortlich – unerwähnt bleiben hingegen die zunehmende Prekarisierung und die Mechanismen der Selbstausbeutung. Laut Virno wird heute die vormals den AkteurInnen des Kunstfeldes zugeschriebene Eigenschaft der Virtuosität, die eine Tätigkeit bezeichnet, welche erstens ihren Zweck in sich selbst findet, ohne sich in einem Werk zu vergegenständlichen, sowie zweitens eines Publikums bzw. der Anwesenheit anderer bedarf, zur grundlegenden und notwendigen Eigenschaft einer wachsenden Zahl von WissensarbeiterInnen. In einer „Epoche, in der die gesamte Erwerbsarbeit etwas vom ‚ausführenden Künstler‘ hat“ (Virno 2005: 94), wird die „Virtuosität“ durch die Kulturindustrie zur Massenarbeit. Laut Virno ist jede Virtuosität wesentlich politisch, da sie der Form nach dem politischen Handeln gleicht. Somit steht der Unterjochung der Kreativität als absoluter Unterwerfung/Ausbeutung in Form der Ich-AG das Potenzial der prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen zur politischen Selbstorganisation gegenüber. Die zentralen Elemente der postfordistischen Ökonomie, Sprache/Kommunikation und Darstellung/Repräsentation, haben zwei Seinsweisen: jene der „servilen Virtuosität“ im Dienste kapitalistischer Reproduktion und jene der „nichtservilen Virtuosität“, die zur Herstellung politischer Öffentlichkeit genutzt werden kann. Laut Virno muss das Denk- und Sprachvermögen sich der Produktion von Kommunikation (im Dienste kapitalistischer Mehrwertschöpfung) widersetzen bzw. diese im Gegenteil in den Dienst einer politischen Aktion stellen, um durch Kommunikation anstelle von ökonomischem Mehrwert politische Öffentlichkeit herzustellen. Das Vermögen zu denken und zu sprechen definiert Virno als „Massenintellektualität“ bzw. kann von einer solchen gesprochen werden, da dieses Vermögen im Zentrum der postfordistischen Ökonomie und Ausbeutung steht. Da der Intellekt nun dezidiertes „Objekt“ der Ausbeutung ist, kann Wiederstand nur in einer grundlegenden Verweigerung der Kooperation zur „Kommunikation unter Ausbeutungskuratel“ bestehen.33
33 Als mögliche Widerstandstrategien, die die gesellschaftlichen Spielregeln grundlegend in Frage stellen bzw. dazu beitragen, aus ihnen auszubrechen, nennt Virno die Schlüsselbegriffe „zivilen Ungehorsam“ und „Exodus“ (vgl. Virno 2005: 98f.). Chantal Mouffe vertritt hier eine gegensätzliche Position: Sie spricht sich gegen den Exo-
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Wenn Kreativität als Strategie des Handelns in öffentlichen Räumen sowie als Strategie, um öffentliche Räume herzustellen, verstanden wird, dann sind die AkteurInnen gewissermaßen virtuose ProtagonistInnen. Virno stellt fest, dass heute Öffentlichkeit keine politische Gemeinschaft hervorbringt. Die Umkehrung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse kann aus seiner Sicht also nur über die Schaffung einer „nicht-staatlichen Öffentlichkeit“ vollzogen werden (vgl. Virno 2005: 95). In Anlehnung an Paolo Virno kann Henri Lefebvres „transformierte Alltäglichkeit“ (Lefebvre 1972a) als Form des Exodus, der Flucht, des Ausbruchs gedacht werden. Transformierte Alltäglichkeit wird hierbei als Ausbruch aus dem Kreislauf „Arbeiten – Konsumieren – Arbeiten“ durch Selbstorganisation und Partizipation verstanden, welche im Sinne von Kulturarbeit und kultureller Produktion Handlungsspielräume ausweitet. Selbstorganisation kann als Kreativität bzw. kreativer Akt schlechthin aufgefasst werden.34 Denn es geht einerseits um die Kreation von zuvor nicht da gewesenen Räumen, Situationen und Zusammenhängen im Mikrokosmos des Alltags der beteiligten AkteurInnen sowie gleichzeitig um die Herstellung von Öffentlichkeitbzw. um das Eingreifen in den öffentlichen Diskurs. Das Herstellen von alternativen Räumen selbstorganisierter kultureller Teilhabe kann mit Oskar Negt und Alexander Kluge auch als „proletarische Öffentlichkeit“ verstanden werden, die für die Selbstorganisation der Menschen, im Gegensatz zur „bürgerlichen Öffentlichkeit“, steht: „Proletarische Öffentlichkeit ist der Name für einen gesellschaftlichen kollektiven Produktionsprozeß, dessen Gegenstand zusammenhängende menschliche Sinnlichkeit ist.“ (Kluge/Negt: 385, zit.n. Sturm 2002: 634) Diese „proletarische Öffentlichkeit“ müsste sich laut Kluge/Negt also dadurch auszeichnen, sinnliche statt lediglich diskursive Angebote der Kritik zu liefern. Gegen die Produktion bürgerlicher Scheinöffent-
dus als Strategie aus und plädiert für eine „Auseinandersetzung mit“ anstelle eines Abwendens von bestehenden Institutionen und Machtstrukturen (Mouffe 2014: 18). Auch sie erachtet das Imaginäre und die Konstruktion von Identität als zentralen Kampfplatz des postfordistischen Kapitalismus, wobei ihr Ansatz aufbauend auf eine Vielzahl gegenhegemonialer Schritte und Strategien auf eine Umgestaltung und Transformation der bestehenden gesellschaftlichen Institutionen zielt (vgl. ebd.). 34 Ich beziehe mich auf den Begriff Selbstorganisation in einem sozialen Sinne und in linkspolitischer Tradition, der Teil meines Verständnisses von Kreativität als sozialer Prozess ist (vgl. z.B. Fuchs 2001, darin insbesondere das Kapitel „Demokratie und Selbstorganisation“, S. 173-212).
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lichkeit würden nur sinnlich erfahrbare Gegenprodukte einer proletarischen Öffentlichkeit helfen (vgl. Sturm 2002: 633ff.). Denn, wie dies Jürgen Habermas ausführte, öffentliche Meinung entsteht nicht automatisch durch Meinungsfreiheit, sondern es bedarf bestimmter Strukturen und Vorbedingungen, damit der Möglichkeitsraum als Diskursraum genutzt werden kann (Habermas [1962] 1990). Es geht also immer auch um die Herstellung der Bedingungen für Öffentlichkeit(en) und Gegenöffentlichkeit(en) und damit um die Herstellung der Bedingungen für Teilhabe.35 Als ein sinnlich erfahrbares „Gegenprodukt“ können hierbei physische und soziale Räume, als Orte und Räume der Selbstorganisation und der Selbstrepräsentation, verstanden werden, die in ihrer Beschaffenheit Gegenöffentlichkeit auch auf einer sinnlichen Ebene mitproduzieren. 1.2.2 Gouvernementalität und der neue Geist des Kapitalismus Gerade in den gesellschaftskritischen Analysen, aufbauend auf Michel Foucaults Theorie der Gouvernementalität, die in den Kulturwissenschaften in den letzten 15-20 Jahren breit rezipiert wurde und mittlerweile zum fixen Bestandteil kritischer Gesellschaftsanalyse zählt, geht es um das Ausloten der Spielräume für emanzipatorisches Handeln unter den strukturellen Bedingungen des zeitgenössischen Kapitalismus. Die Ansätze und Handlungsspielräume für Emanzipation sind dabei in den Mikropolitiken des alltäglichen Handelns verortet. Im Übergang von der einstigen „Disziplinargesellschaft“ zur heutigen „Kontrollgesellschaft“ hat sich die gesellschaftliche Kontrolle maßgeblich nach innen, in die Subjekte selbst hineinverlagert.36 Besonders eindringlich sichtbar ist dies in der Umstrukturierung des Arbeitsmarktes – in der Verlagerung des Risikos für beruflichen Erfolg oder berufliches Scheitern vom Arbeitgeber weg hin zum selbständig beschäftigten oder freiberuflich Arbeitenden. Statt Repression zielt die Regierungstechnik auf nach innen verlagerte Selbstdisziplinierung und Selbstbeherrschung. Das Individuum wird gewissermaßen dazu gezwungen, sich durch „machtvolle Selbstverhältnisse derart mitzuproduzieren, dass es seine Arbeitskraft gut verkaufen kann, um leben, immer besser leben zu können.“ (Lorey 2007: 125)
35 Vgl. auch Nancy Frasers Kritik an Habermas’ universalistischer Konzeption von Öffentlichkeit; sie schlägt vor, prinzipiell von einer Vielzahl von Öffentlichkeiten auszugehen (vgl. Fraser [1990] 2007). 36 Siehe zu dieser Entwicklung (Deleuze 1990).
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Die Transformation des Kapitalismus ist aus Sicht poststrukturalistischer Thesen (u.a. Boltanski/Chiapello [1999] 2003) und postoperaistischer Thesen (u.a. Virno 2005) eine Folge der gesellschaftlichen Kämpfe um Gleichberechtigung und Freiheit (Arbeitsrecht, Bürgerrechte, Recht auf Bildung etc.), die in der Industriegesellschaft Europas insbesondere im Mai 1968 kulminierten. In ihrem Buch „Der neue Geist des Kapitalismus“ stellen Luc Boltanski und Ève Chiapello zwei Linien von Gesellschaftskritik – die „Sozialkritik“ und die „Künstlerkritik“ – gegenüber: Die zentrale Differenz der beiden Ansätze liege in der Ausrichtung, der ersteren auf ein Kollektiv und eine zu konstituierende Gemeinschaft nach Solidarprinzip und der zweiteren auf das Individuum und die Maximierung individueller Freiheit. Ihrer Einschätzung nach seien diese beiden Kritikstränge in der 1968erBewegung erstmals zusammen aufgetreten, zeitigten in Folge jedoch unterschiedliche Erfolge: Ihrer Analyse folgend wurde die Künstlerkritik vom Kapitalismus weitgehend integriert/inkorporiert – was bspw. in einer pervertierten Form von Freiheit als zunehmend prekäre und flexible Arbeitsverhältnisse Form annahm –, während die Sozialkritik durch einen zunehmenden Abbau von sozialen Sicherheiten auf der Strecke blieb.37 Diese Entwicklungen haben einerseits zu einer größeren Freiheit hinsichtlich gesellschaftlicher Normen und Lebensstile geführt, andererseits beschränkt sich die Freiheit hinsichtlich Berufswahl und professioneller Selbstentfaltung oft auf die abstrakte Möglichkeit der freien Wahl, da die Freiheit in einem hohen Maße an die Verfügungsmacht über ökonomisches Kapital gekoppelt ist. Boltanskis und Chiapellos Ansatz vermag zwar den Blick auf die Vereinnahmung/Inkorporierung widerständiger Forderungen durch den Kapitalismus zu schärfen, jedoch verstellt er gleichzeitig den Blick auf emanzipatorische/befreiende Handlungsmöglichkeiten und Theorieentwicklung. Problematisch an Boltanskis und Chiapellos Theorie erachte ich, dass sie die beiden Kritiken jeweil unterschiedlichen AkteurInnengruppen zuordnen: Auch wenn sie Überschneidungen nicht ausschließen, würde die Künstlerkritik dennoch gewissermaßen von KünstlerInnen/Intellektuellen und die Sozialkritik von den ArbeiterInnen vertreten. Wenn die Begriffe Künstlerkritik und Sozialkritik hingegen als Beschreibung der Zerteilung von Gesellschaftskritik durch die neoliberale
37 In diesem Sinne müsste auch der Begriff „Flexibilität“ zurückgewonnen werden, da diese als Gesellschaftskritik und Forderung formuliert keinesfalls den Zwang zur Flexibilität, sondern die Freiheit zu einer selbstgewählten Flexibilität meinte, wie diese bspw. durch ein Grundeinkommen gesichert werden könnte.
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Ideologie verstanden werden, finde ich die Unterscheidung auf diskursiver Ebene brauchbar. Jedoch erscheint es mir als Trugschluss oder auch Fallstrick, die Wirklichkeit (und nicht den Diskurs über dieselbe) als solchermaßen unterteilt zu verstehen. Die Differenzierung in Künstlerkritik und Sozialkritik ist problematisch, da diese begriffliche Trennung die gedankliche Trennung (der Gesellschaftskritik als Ganzes) durch die kapitalistische Ideologie reproduziert, und damit die zugrundeliegenden Macht- und Unterdrückungsmechanismen (bzw. den Blick darauf) verdeckt, anstatt sie aufzudecken. Problematisch ist auch, dass der Begriff „Künstlerkritik“ ein Subjekt, den Künstler, auf den Plan ruft, hingegen der Begriff „Sozialkritik“ diffus und ohne Subjekt/Akteur bleibt. Boltanskis/Chiapellos Unterteilung in Künstlerkritik und Sozialkritik übersieht dabei, dass die Forderung nach einer umfassenden Umstrukturierung des Alltags immer Teil gesellschaftlicher Kämpfe von unten war – nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sondern das Streben nach Selbstentfaltung, Bildung oder Kulturgenuss, also individuelle Freiheit, waren stets Teil des Aufbegehrens. 38 Jene von postmodernen Theoretikern proklamierte Beliebigkeit im heutigen Zeitalter ist also eine zwiespältige Errungenschaft. Vieles, das vormals gesellschaftlich sanktioniert wurde, ist heute möglich – jedoch wird mit dem Blick auf die Beliebigkeit gerne die damit einhergehende Verschleierung struktureller Grundlagen von Ungleichheit übersehen. Kreative SelbstunternehmerInnen können dabei als Sinnbild des zeitgenössischen Kapitalismus verstanden werden. Ebenso bekannt und mit zahlreichen Studien belegt ist das Faktum, dass die Form des Selbstunternehmertums stark
38 Jaques Rancière bezeichnet dies sogar als das „Herz der Arbeiteremanzipation“: Die Arbeiterbewegung sei „soziale Emanzipation“ und zugleich „ästhetische Emanzipation“ gewesen: „[Sie war] ein Bruch mit den Weisen zu fühlen, zu sehen und zu sagen, die jene Arbeiteridentität in der alten hierarchischen Ordnung kennzeichneten. Diese Zusammengehörigkeit von Sozialem und Ästhetischem, von der Entdeckung der Individualität für alle und dem Projekt einer freien Gemeinschaftlichkeit war das Herz der Arbeiteremanzipation.“ (Rancière 2009: 47) Als zeitgenössiches Beispiel entgegen der Trennung von „Künstlerkritik“ und „Sozialkritik“ führt Maurizio Lazzarato den Zuammenschluss von KulturarbeiterInnen und TechnikerInnen in der Bewegung der „Coordination des Intermittents et Précaires“ („Koordination der Intermittents und Prekären“) 2004 in Frankreich an und meint, dass diese Bewegung der praktische Beweis gegen Boltanskis und Chiapellos Theorie sei. In seinem Artikel „Die Missgeschicke der „Künstlerkritik“ und der kulturellen Beschäftigung“ liefert er eine detaillierte Kritik an Boltanskis und Chiapellos Theorie (vgl. Lazzarato 2007).
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mit Selbstausbeutung verknüpft ist. Die Ausweitung prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen in Zusammenhang mit der Dominanz der immateriellen Produktion im zeitgenössischen kapitalistischen Produktionsprozess spielt eine wesentliche Rolle im Kontext zeitgenössischer Unterdrückungsmechanismen. Dennoch scheint das Credo an die Selbstentfaltung und -verwirklichung dadurch keineswegs an Attraktivität einzubüßen. 1.2.3 KünstlerInnen als Role Models vs. emanzipatorische Handlungsspielräume Isabelle Lorey (2007) sieht insbesondere das KünstlerInnensubjekt, als Prototyp der KulturproduzentInnen, im zeitgenössischen Kapitalismus als Projektionsfläche von Wünschen, Hoffnungen und Ängsten über Erfolg und Misserfolg in der Vermarktung des eigenen Selbst. Laut Lorey wird die „massenhafte Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen [...] mit der Verheißung, die eigene Kreativität zu verantworten, sich nach den eigenen Regeln selbst zu gestalten, für all diejenigen, die herausfallen aus dem Normalarbeitsverhältnis, als zu begehrende, vermeintlich normale Existenzweise erzwungen.“ (Lorey 2007: 123) Kreativität ist hierbei immer an die Mehrwertschöpfung gekoppelt, also an die Existenzsicherung. Als Machtverhältnis ist diese Anrufung zur Selbstgestaltung kaum wahrnehmbar, da sie als „freie Entscheidung“ aufgefasst wird und das Begehren nach Selbstverwirklichung mitproduziert. Der Begriff der „Eigenverantwortung“ funktioniert laut Lorey nur über die historische Linie liberaler Technik der Selbstregierung: „sich zu regieren, sich zu beherrschen, zu disziplinieren und zu regulieren bedeutet zugleich, sich zu gestalten, zu ermächtigen und in diesem Sinn frei zu sein.“ (Ebd.: 127) Nur in dieser Ambivalenz kann die Regierbarkeit souveräner Subjekte stattfinden. Techniken des Selbst-Regierens bestehen aus der Gleichzeitigkeit von Unterwerfung und Ermächtigung, Zwang und Freiheit. Im Neoliberalismus verschiebt sich die Funktion der Prekarisierten in die gesellschaftliche Mitte und wird normalisiert. Loreys Ausführungen ähneln damit jenen von Bernd Jürgen Warneken (2006), der ebenfalls konstatiert, dass es heute keine „Unterschicht“ als solche mehr gebe. Durch die allgemeine Prekarisierung und durch den Shift vom Normalarbeitsverhältnis hin zu prekären Beschäftigungsverhältnissen wird auf kultureller Ebene in gewisser Weise eine Proletarisierung einer Vielzahl von AkteurInnen bewirkt – die ökonomische Unsicherheit nähert demnach die AkteurInnen unterschiedlicher sozialer Milieus (mit unterschiedlichem kulturellen Distinktionskapital) einander an.
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Den Diskurs einer allgemeinen Prekarisierung und „Ökonomisierung des Lebens“ kritisiert Lorey wiederum als totalisierende Implosionsthese, die einem kollektiven Opferstatus das Wort redet und eine Perspektive auf Subjektivierungsweisen, Handlungsfähigkeit und Gegenverhalten verstelle. Denn laut Lorey ist das Leben in seiner Produktivität und Gestaltbarkeit immer der Effekt von Machtverhältnissen, die ihren Ausdruck in einer Ambivalenz zwischen Begehren und Anpassung finden. Sie meint, die „erzwungene und gleichzeitig selbst gewählte Finanzierung des eigenen kreativen Schaffens [durch weniger kreative und prekäre Beschäftigungen] stützt und reproduziert genau die Verhältnisse immer wieder, unter denen man leidet und deren Teil man zugleich sein will.“ (Lorey 2007: 130) Insbesondere die Subjektivierung prekarisierter KulturproduzentInnen findet laut Lorey in einem Widerspruch statt: in der Gleichzeitigkeit von Prekarisierung und der Kontinuität der Souveränität. Laut Lorey, „[wird] mithilfe einer souverän-prekären Subjektivierung die Imagination aufrechterhalten, sich noch immer in einer devianten, nicht normalisierten Positionierung zu bewegen. Dabei werden fortwährend Macht- und Herrschaftsverhältnisse unsichtbar und Normalisierungsmechanismen als selbstverständliche und autonome Entscheidungen des Subjekts naturalisiert.“ (Ebd.: 131)39
Vor diesem Hintergrund geht es mir darum den Fokus weg von den sogenannten „Kreativen“ und „KünstlerInnen“ zu verschieben, hin zur kulturellen Selbstorganisation als Tätigkeit abseits der existenzsichernden Lohnarbeit.40
1.3 K UNST
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Da dem Kreativitätsbegriff und dem künstlerischen und kulturellen Feld auf symbolischer Ebene in der Konstruktion der zeitgenössischen politischökonomischen Legitimierungsdiskurse eine so zentrale Rolle zukommt, erachte
39 Das neue Kriterium für gesellschaftlichen Ausschluss scheint laut Lorey „in diesen neoliberalen Diskursen und Praktiken allein die Frage danach zu sein, wie optimal die eigene Subjektivierung auf Kreativität und Eigenverantwortlichkeit und damit auf neoliberale Regierbarkeit ausgerichtet ist.“ (Lorey 2007: 132) 40 Weiterführend zur Thematik des Kreativen als „Sozialfigur der Spätmoderne“ siehe (Reckwitz 2016b).
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ich es für wichtig, genau in diesem Feld den Fokus auf die demokratiepolitische Relevanz vor der ökonomischen Relevanz zu setzen und an theoretische Ansätze anzuschließen, die die gesellschaftlichen Machtverhältnisse weniger als Zwänge denn als veränderbares, menschengemachtes Beziehungsgeflecht verstehen. Vor diesem Hintergrund greife ich die Frage von David Graeber nochmals auf: „Was genau ist nun also die Rolle von (kollektiver und individueller) Kreativität, von Imagination, in radikalem sozialem Wandel?“ (Graeber 2008: 51) Dieser Frage gehe ich an den Rändern des kulturellen Feldes bzw. an den Überschneidungen des kulturellen Feldes hin zum politischen Feld im Lebensraum Stadt nach – dort, wo AkteurInnen im kulturellen Feld einer Stadt an den Bedingungen für Teilhabe arbeiten und diese mit ihrem Tun bzw. durch die Herstellung von Situationen und Räumen verändern können. Ausgehend von Rancières Überlegungen zur Funktion von Kunst und Politik, die er in seiner Theorie der „Aufteilung des Sinnlichen“ fasst, interessiere ich mich für Praxen an den Rändern und in Überschneidung der beiden Felder, da diese Praxen das Symbolischen einer Gesellschaft verhandeln, also an der imaginären Perspektivierung des Gemeinsamen arbeiten. Hier wird die Frage verhandelt: Welche Gesellschaft wollen wir? Und wie kommen wir dorthin? Die Position an den Rändern dieser Felder (in der Stadt) ist von Interesse, da sie nicht den kulturellen Mainstream bilden, sondern sich in einer häretischen Position zu diesem befinden, d.h. in einer Position der Infragestellung der dominanten Erzählung (der Stadt). Wie hängt die Auffassung von Kreativität als soziale Kraft und gesellschaftliches Gestaltungsprinzip zusammen mit Jacques Rancières Überlegungen zu Kunst und Politik, die er als jene gesellschaftlichen Felder bestimmt, in denen die Bedingungen für Teilhabe an der Gesellschaft festgelegt und verändert werden? Welchen Platz nimmt Kreativität als soziale Kraft bzw. Prozesse sozialer Kreativität in Rancières „Aufteilung des Sinnlichen“ ein? Darüber hinaus stellt sich die Frage: Welche Rolle spielen Pierre Bourdieus Überlegungen zum Kunstfeld und Feld der Politik als Felder symbolischer Macht? Imagination tritt hier in beiden Aspekten auf, jenem der Kräfte des Beharrens und jenem der Kräfte der Veränderung. Imagination trägt sowohl die sozial verändernde Kraft in sich als auch die manipulative Kraft der Verführung und Verkennung der Machtausübung durch symbolische Macht sowie der Reproduktion der sozialen Verhältnisse. Die Zusammenschau beider Ansätze, Bourdieus Überlegungen zum Kunstfeld (Bourdieu 2001a; 2003a) und seinen Überschneidungen zum Feld der Politik (Bourdieu 2001b) sowie Rancières Überlegungen zur gesellschaftlichen Funktion von Kunst und Politik, soll mir dazu dienen, das Kreative in politischen Praxen sowie das Politische in kreativen Praxen der Herstellung von par-
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tizipativen Strukturen (der Teilhabe) auszuloten. Dies wird an den Rändern bzw. Schnittstellen des Kunst-/Kulturfeldes und des politischen Feldes anhand der empirischen Fallbeispiele durchgeführt und ausgearbeitet. 1.3.1 Felder der symbolischen Macht und die Strategie der Häresie (Pierre Bourdieu) Bourdieu definiert das kulturelle Feld und das Feld der Politik als jeweils ausdifferenzierte gesellschaftliche Felder mit ihren eigenen Funktionsmechanismen und Spielregeln. Beiden Feldern gemeinsam ist, dass sie jeweils durch den Machtkampf der herrschaftsteilenden Fraktionen gekennzeichnet sind – nämlich den EignerInnen von ökonomischem Kapital und den EignerInnen von kulturellem Kapital. Beiden Feldern gemein ist ihre Eigenschaft als Felder der symbolischen Macht. Die symbolische Macht nährt sich insbesondere daraus, in ihrer Wahrheit als Macht, als Gewalt, als Willkür verkannt zu sein. Die Wirksamkeit der symbolischen Macht entfaltet sich laut Bourdieu „auf der Ebene von Sinn und Erkennen“ (Bourdieu 1997a: 82). Dabei ist die Rolle der Sprache, und damit auch des Erzählens und der Narration wesentlich, denn die Legitimation der symbolischen Macht ereignet sich im Akt des Anerkennens einer gemeinsamen Sprache und Bedeutung des Gesagten. Bourdieu hält fest: „In der Politik ist nichts realistischer als der Streit um Worte. Ein Wort an die Stelle eines anderen zu setzen heißt, die Sicht der sozialen Welt zu verändern und dadurch zu deren Veränderung beizutragen.“ (Ebd.: 84) Wird sprachlich in die symbolische Ordnung eingegriffen, besteht auch die Möglichkeit, „objektive Macht- und Kräfteordnung zu verändern.“ (Schwingel 1998: 115) Die symbolische Macht ist also gleichzeitig jenes wirklichkeitsgenerierende Moment utopischen Denkens. Das Eingreifen in die symbolische Ordnung kann diese in Frage stellen und das Entwickeln eines Möglichkeitssinns bedeuten. Die Sprache ist dabei konstitutiv für den Erhalt oder die Infragestellung gegebener Ordnungen, Machtverhältnisse und Möglichkeiten ihrer Bestätigung oder Transformation. So ist der Diskurs und das Aushandeln eines Konsenses darüber, was Kunst und was Politik ist, in beiden Feldern konstitutiv für das Bestehen der Felder selbst. Bourdieu bezeichnet künstlerische Produktion als einen Teil des kulturellen Feldes, dabei ist das künstlerische Feld von drei Polen begrenzt: dem Markt, der Kunst um der Kunst willen und der Überlappungen zum politischen Feld (vgl. Kastner 2009: 21). Mit jenem Pol der Überlappung zum politischen Feld, dem auch mein Interesse gilt, befasste sich Jens Kastner eingehend in seinem 2009 erschienenen Buch „Die ästhetische Disposition. Eine Einführung in die Kunsttheorie Pierre
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Bourdieus“. Kastner geht es um eine bewusste Gewichtung hinsichtlich der Zurückweisung der kommerziellen Durchdringung des künstlerischen Feldes sowie darum, die seiner Meinung nach bislang unterschätzte sozialtheoretische Bedeutung von Bourdieus Studien über das kulturelle Feld hervorzuheben (vgl. ebd.: 22, 24). Dabei stellt Kastner den Aspekt der Ermöglichung in den Vordergrund: Bourdieu nennt den Rahmen, in dem künstlerische Produktion stattfindet, „Raum der Möglichkeiten“ (vgl. Bourdieu 2003b; Kastner 2009: 63) – dieser Raum der Möglichkeiten sei eine der wichtigsten Eigenschaften der kulturellen Produktionsfelder und ermöglicht „eine relative Autonomie gegenüber Determinierungen durch das ökonomische und soziale Umfeld.“ (Kastner 2009: 63) Dieser Raum des Möglichen bestehe „aus der Geschichte des Feldes, aus dem angehäuften Erbe der kollektiven Arbeit darin“ und definiert die Grenzen des Denkbaren und des Undenkbaren (vgl. ebd.: 63f.). Der Raum der Möglichkeiten kann als Raum von Handlungsoptionen und Raum der Ermöglichung verstanden und mit einer Infragestellung der Feldgrenzen in Zusammenhang gebracht werden (vgl. ebd.: 157, 160). Das Infragestellen und Überschreiten der Feldgrenzen zwischen Kunst und Politik bzw. die Annäherung zwischen künstlerischen und politischen Praxen sei dabei laut Bourdieu primär von einem „strukturell bedingten Graben zwischen politischem und künstlerischem Feld“ geprägt sowie von einem Widerspruch zwischen „ästhetischem Raffinement und politischer Progressivität.“ (Bourdieu 2001a: 399) Dieser Graben könne nur durch eine kritische Reflexion der eigenen Sprechposition aufgedeckt werden, um sukzessive auch strukturelle Änderungen verfolgen zu können. Laut Kastner vermisst Bourdieu an der künstlerischen Kritik und jener der Intellektuellen die „Selbstreflektion der eigenen SprecherInnenposition und des eigenen Status.“ Denn ein wirklich kritisches Denken müsse laut Bourdieu mit „der Kritik der ökonomischen und sozialen Grundlagen kritischen Denkens beginnen.“ (Bourdieu/Haake 1995: 79, zit.n. Kastner 2009: 179) 1.3.1.1 Strategie der Häresie In Bourdieus Modell des sozialen Raums teilen sich zwei herrschaftsrepräsentierende Fraktionen das Feld der Macht: „die Besitzklasse“, welche die Verfügungsgewalt über das ökonomische Kapital besitzt, und die Intellektuellen, welche kulturelles Kapital akkumulieren. Dabei stellen die Kulturkapitalbesitzer/innen die beherrschte Fraktion innerhalb der herrschenden Klasse dar, denn sie verfügen über kulturelle Machtmittel und Kompetenzen, doch ihre ökonomi-
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sche Verfügungsmacht ist geringer als jene der Besitzklasse.41 Die „beherrschten Herrschenden“, zu denen die AkteurInnen im Kunst- und Kulturfeld zählen, verfolgen laut Bourdieu tendenziell eine Strategie der Häresie, der Infragestellung der bestehenden Ordnung – die herrschende Position verfolgt hingegen Erhaltungsstrategien (vgl. Schwingel 1998: 93). Häresie ist die Position der Infragestellung der bestehenden Machtverhältnisse, es ist die Position, von der aus eine Veränderung des Status quo angestrebt wird und die bestehende Machtaufteilung in Frage gestellt wird. Insofern hat jedes Feld seine eigenen HäretikerInnen, HerrscherInnen und Machtkämpfe. Kastner hält fest: „Durch diese Beziehungen des Kampfes tritt ein Feld auch in die Zeit ein, d.h. es bleibt nicht statisch auf einem einmal erkämpften Stand, sondern bewegt sich fortwährend. Der Kampf ist also das zentrale Organisations- und Bewegungsprinzip jedes Feldes, auch des künstlerischen. [...] Auf dem Spiel steht also immer auch das Monopol auf und über die Prinzipien kultureller Legitimität.“ (Kastner 2009: 61)
Um sowohl die emanzipatorischen als auch die normalisierenden Effekte des Kunst- und Kulturfeldes zu betrachten, eignet sich laut Ruth Sonderegger (2008) eine Kombination der Ansätze von Bourdieu und Rancière. Die Philosophin Ruth Sonderegger hält über Bourdieu und Rancière fest, dass beide an der Frage interessiert sind, „was Kunst zur Einteilung des Sozialraums als eines praktischsinnlich-körperlichen beiträgt […] mit dem einzigen Unterschied, dass der eine den Schwerpunkt auf die emanzipatorischen Effekte legt und der andere auf die normalisierenden.“ (Sonderegger 2008: o.S.)42 Das Verbindende zwischen Ran-
41 Als Beherrschte des Feldes der Macht befinden sich „die Intellektuellen“ in einer Homologie der Position mit den „schlechthin Beherrschten“ – der Arbeiterklasse sowie gesellschaftlich marginalisierten Gruppen (vgl. Schwingel 1998: 121). 42 Aus ihrer Sicht sind „Rancières archivische Belege für die Selbstemanzipation literaturbegeisterter Schreiner, Bodenleger und Schlosser“ ebenso überzeugend „wie Bourdieus Nachweis, dass der von unterschiedlichen Institutionen getragene Diskurs über die Interesselosigkeit der Kunst ab 1750 alles andere als interesselos war, sondern auch ein strategisches Mittel zur Etablierung und Festschreibung von Klassengrenzen entlang einer neuen Sorte von Kapital: nämlich dem kulturellen.“ (Sonderegger 2008: o.S.) Doch auch Bourdieu geht gerade anhand der Analyse der normalisierenden, also festschreibenden Machtmechanismen darum, die Möglichkeiten und Handlungsspielräume der Befreiung und Emanzipation bzw. des Widerstands gegen die (im Moment)
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cière und Bourdieu ist jedenfalls, dass sie sich beide mit den Feldern der Kunst und Politik und ihren Transformationspotenzialen auseinandersetzen. 43 1.3.2 Die (Neu-)Aufteilung des Sinnlichen (Jacques Rancière) In Jacques Rancières Theorie der „Aufteilung des Sinnlichen“ [Le partage du sensible] (2008) geht es um die Bestimmung der Bedingungen, die die Teilhabe an einer Gemeinschaft festlegen. Rancières Überlegungen folgend sind die Funktionen von Politik und Kunst hinsichtlich der Aufteilung und Neuordnung gemeinschaftlichen Handelns bis zu einem gewissen Grad auswechselbar.44 Mit der Aufteilung des Sinnlichen bezeichnet Rancière einerseits die Strukturen und Spielregeln in einer Gesellschaft sowie andererseits die Gewohnheiten und Erfahrungen jedes Einzelnen, gelernt zu haben, wer wo wie im gesellschaftlichen Bezugsrahmen seine/ihre Stimme erheben darf und gehört wird bzw. eine Handlung setzen kann, die gesehen wird. In Rancières Theorie sind dabei Kunst und Politik keine voneinander getrennten Wirklichkeiten, sondern zwei Formen der Aufteilung des Sinnlichen. Die Frage „Was ist möglich und wie?“ wird laut Rancière gleichermaßen in Kunst und Politik gestellt: „Kunst und Politik hängen miteinander als Formen des Dissenses zusammen, als Operationen der Neugestaltung der gemeinsamen Erfahrung des Sinnlichen. Es gibt eine Ästhetik der Politik in dem Sinn, als Akte politischer Subjektivierung das neu bestimmen, was sichtbar ist, was man sagen kann und welche Subjekte dazu fähig sind. Es gibt eine Politik der Ästhetik, in dem Sinn, dass neue Formen der Zirkulation von Wörtern, der Ausstellung des Sichtbaren und der Erzeugung von Affekten neue Fähigkeiten bestimmen, die mit der alten Konfiguration des Möglichen brechen.“ (Rancière 2008: 78)
Rancière versteht Politik als Dissens, der immer dann entsteht, wenn unterschiedliche Ordnungen der „Aufteilung des Sinnlichen“ aufeinandertreffen und eine neue „Aufteilung des Sichtbaren und des Sagbaren – des sinnlich Wahr-
hegemonialen Kräfte überhaupt erst auffindbar zu machen. Insofern hat Bourdieu beides im Blick, die Dualität normalisierender und emanzipativer Effekte. 43 Zum Verhältnis der theoretischen Ansätze Bourdieus und Rancières siehe den von Ruth Sonderegger und Jens Kastner (2014) herausgegebenen Band „Pierre Bourdieu und Jacques Rancière. Emanzipatorische Praxis denken“. 44 Die Ausführungen zu Rancières „Aufteilung des Sinnlichen“ übernehme ich großteils dem von mir bereits publizierten Artikel (vgl. Huber 2012).
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nehmbaren – innerhalb der Gesellschaft“ von bestimmten AkteurInnen angestrebt wird (vgl. ebd.: 9f.).45 Laut Rancière geht es darum, Dissens als eine Ordnung des Sinnlichen zu verstehen, die als allgemeine gesellschaftliche Haltung auf emanzipatorische Transformation zielt. Dieser Dissens bedeutet, dass „jede Situation […] in ihrem Inneren gespalten werden [kann] und unter einer anderen Wahrnehmungs- und Bedeutungsanordnung neu gestaltet werden [kann].“ Damit stellt der Dissens all das „in Frage, was wahrgenommen wird, denkbar und machbar ist, wie die Aufteilung derer, die fähig sind zu erkennen, zu denken und die Koordinaten der gemeinsamen Welt zu verändern.“ (Rancière 2009: 61) Neben dem Dissens ist die Gleichheit eine Grundbedingung Rancières Politikbegriffs. Er versteht Gleichheit dabei nicht als zu erreichendes Ziel, sondern als „gegebene Voraussetzung für politische – oder intellektuelle – Emanzipation.“ Sie müsse stets aufs Neue artikuliert werden und sei demnach kein grundlegendes Prinzip. Gleichheit ist laut Rancière „nicht genuin politisch, doch sie ruft Politik hervor und stellt die gängige Aufteilung des Sinnlichen, die Hierarchien der sozialen Ordnung, die Zuordnung der Plätze, Räume und Lebensrhythmen [und der damit verbundenen Sprechpositionen und hörbaren Positionen im sozialen Raum] in Frage.“ (Muhle 2008: 13) Er definiert Kunst und Politik gewissermaßen als Werkzeuge zur Veränderung des Status Quo einer Gemeinschaft: „Doch wo sich der Schein in Wirklichkeit auflöst, verschwinden auch Kunst und Politik. Denn beide sind an den Schein gebunden, an dessen Macht, das ‚Gegebene‘ der Wirklichkeit und sogar den Bezug zwischen Schein und Wirklichkeit neu zu konfigurieren.“ (Rancière 2008: 88) So ist Kunst für Rancière „[…] weder politisch aufgrund der Botschaften, die sie überbringt, noch aufgrund der Art und Weise, wie sie soziale Strukturen, politische Konflikte oder soziale, ethnische oder sexuelle Identitäten darstellt.“ (Ebd.: 77). Sondern: „Kunst ist in erster Linie dadurch politisch, dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft, durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins, des Innen- oder Außen-,
45 In Rancières Konzeption von Politik spielt der Begriff der Gleichheit eine wesentliche Rolle, wobei er diese nicht als zu erreichendes Ziel versteht, sondern als „gegebene Voraussetzung für politische – oder intellektuelle – Emanzipation.“ Sie müsse stets aufs Neue artikuliert werden und sei demnach kein grundlegendes Prinzip. Gleichheit ist laut Rancière „nicht genuin politisch, doch sie ruft Politik hervor und stellt die gängige Aufteilung des Sinnlichen, die Hierarchien der sozialen Ordnung, die Zuordnung der Plätze, Räume und Lebensrhythmen [und der damit verbundenen Sprechpositionen und hörbaren Positionen im sozialen Raum] in Frage.“ (Muhle 2008: 13)
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Gegenüber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden. Kunst ist dadurch politisch, dass sie [...] eine spezifische Form der Erfahrung festleg[t], die mit anderen Formen der Erfahrung übereinstimmt oder mit ihnen bricht.“ (Ebd.: 77)
In einer Zeit, in der zahlreiche künstlerische Praktiken im Bereich des politischen Eingreifens in den sozialen Raum operieren, agiert Rancières Theorie an dieser Schnittstelle von Kunst und Politik. Seine Theorie fungiert als (Orts-) Bestimmung darüber, „wie ein Gemeinsames sich der Teilhabe öffnet, und wie die einen und die anderen daran teilhaben.“ (Ebd.: 26) Dabei weist die Existenz eines Gemeinsamen gleichzeitig auf seine Unterteilung hin: „Eine Aufteilung des Sinnlichen legt sowohl ein Gemeinsames, das geteilt wird, fest als auch Teile, die exklusiv bleiben.“ (Ebd.: 25) Laut Rancière macht die „Aufteilung des sinnlich Wahrnehmbaren“ sichtbar „wer, je nach dem, was er tut, und je nach Zeit und Raum, indem er etwas tut, am Gemeinsamen teilhaben kann. Eine bestimmte Betätigung legt somit fest, wer fähig oder unfähig zum Gemeinsamen ist.“ (Ebd.: 27) Rancière postuliert: „Es gibt überall Ausgangspunkte, Kreuzungen und Knoten, die uns etwas Neues zu lernen erlauben, wenn wir erstens die radikale Distanz, zweitens die Verteilung der Rollen und drittens die Grenzen zwischen den Gebieten ablehnen.“ (Rancière 2009: 28) In seinem Plädoyer für hemmungsloses Überschreiten hierarchisierender Grenzen setzt er als Ausgangspunkt die Infragestellung und Auflösung der Gegenüberstellungen „Sehen/Wissen; Erscheinung/Wirklichkeit; Aktivität/Passivität“, da diese „keine logischen Gegensätze“ seien, sondern eine spezifische „Aufteilung des Sinnlichen“, „eine apriorische Verteilung von Positionen und von Fähigkeiten und Unfähigkeiten, die an diese Positionen geknüpft sind“ (ebd.: 22f., H.i.O.), definieren. Rancière zeichnet hierbei das Bild einer emanzipierten Gesellschaft, die aus einer Gemeinschaft von ErzählerInnen und ÜbersetzerInnen besteht – eine Gesellschaft, in welcher der/die ZuschauerIn zur „aktiven InterpretIn“ wird bzw. jedem Gesellschaftsmitglied der Raum und die Möglichkeiten, sich selbst zu übersetzen, zugestanden wird: „Es bedarf der Zuschauer, die die Rolle aktiver Interpreten spielen, die ihre eigene Übersetzung ausarbeiten, um sich die „Geschichte“ anzueignen und daraus ihre eigene Geschichte zu machen. Eine emanzipierte Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft von Erzählern und von Übersetzern.“ (Ebd.: 33) Laut Rancière ist jede/r zugleich ZuschauerIn/BesucherIn des eigenen Milieus, des eigenen Handlungsfeldes – die Kompetenz der Reflexion und politischen Perspektivierung des eigenen Handelns liegt bei den AkteurInnen selbst. Die als besonders legitim erachteten Positionen des Erzählens im sozialen Raum (KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen etc.) sind demnach kondensierte Positionen, wo-
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bei, mit Rancière gesprochen, die Emanzipation der ZuschauerInnen da beginnt, wo sie „ihr eigenes Gedicht zusammenstellen.“ (Ebd.: 24) Stellt man die Frage nach einer Gemeinschaft von ErzählerInnen und ÜbersetzerInnen sowohl hinsichtlich der Kunst als auch hinsichtlich der Politik, scheint das Um und Auf im Erproben von Formen der Selbstorganisation zu liegen, die als Grundbedingung ihres Handelns Gleichheit voraussetzen und sich nicht aufgrund der Position im sozialen Raum in ihrem Handeln einschränken lassen, sondern mit den gesellschaftlichen Grenzen produktiv umgehen. Wenn wir also im Sinne Rancières einer neuen Aufteilung des Sinnlichen auf der Spur sind, lohnt es sich, konkreten Praktiken der Selbstorganisation in der Stadt nachzugehen (vgl. Huber 2012). Die Möglichkeit, sich selbst zu übersetzen, heißt auch, die Fähigkeit/Möglichkeit, das eigene Tun politisch/diskursiv zu perspektivieren. Ich betrachte in den empirischen Fallbeispielen der vorliegenden Arbeit, Positionen des Erzählens im sozialen Raum der Stadt. Der soziale Raum der Stadt impliziert die symbolische und physische Dimension. Das kulturelle Feld ist bereits ein gesellschaftlich legitimiertes Feld des Erzählens – auf Seiten der (potenziellen) AkteurInnen bedarf es der Verfügungsmacht und Akkumulation von kulturellem Kapital, um dieses Feld als Handlungsfeld zu erkennen und wahrzunehmen. Insbesondere an den Rändern dieses Feldes (Teils in Überschneidung zum politischen Feld) wird an Neu-Aufteilungen des Sinnlichen, also einer Infragestellung der herrschenden Ordnung und Machtpositionen gearbeitet/gebastelt. 1.3.2.1 Das „ästhetische Regime der Künste“ und die „post-studio Praxen“ In Bezug auf die historische Ausdiffernzierung des strukturellen Ortes der Kunst unterscheidet Rancière drei Regime der Künste, die jeweils eine andere Wahrnehmung von Kunst bestimmten: das ethische Regime der Bilder, das repräsentative Regime der Künste und das ästhetische Regime der Künste (vgl. Muhle 2008: 11). In Abgrenzung zum „ethischen Regime der Bilder“, das Kunst unter das Problem der Bilder subsumiert und dem „poetischen oder repräsentativen Regime der Künste“, das Kunst innerhalb des Begriffspaares poiesis/mimesis ansiedelt, formuliert Rancière das „ästhetische Regime der Künste“, charakterisiert durch die sinnliche Seinsweise von Kunstwerken bzw. „durch ihre Zugehörigkeit zu einem spezifischen Regime des Sinnlichen identifiziert.“ (Rancière 2008: 39) Im ästhetischen Regime der Künste, das sich laut Rancière am Übergang des 18. zum 19. Jahrhundert herausgebildet hat und das bis heute andauert, geht es zunehmend um eine Auflösung der Grenzen zwischen Kunst und Leben. Rancière hält fest:
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„Das ästhetische Regime der Künste bestätigt die absolute Besonderheit der Kunst und zerstört zugleich jedes pragmatische Kriterium dieser Besonderheit. Es begründet die Autonomie der Kunst und zugleich die Identität ihrer Formen mit jenen, durch die sich das Leben selbst ausbildet.“ (Ebd.: 40)46
Das ästhetische Regime der Künste realisiert sich in einer „Verwischung der Grenzen zwischen der Ratio der Fakten und der Ratio der Fiktionen.“ (Ebd.: 58) Laut Rancière sei diese Vermischung charakteristisch für das ästhetische Regime der Kunst, jedoch ortet er ein Problem im Verhältnis zwischen Realität und Fiktion: „Das Problem ist nicht, dass sich die Kunst in den Gegenständen und Arbeitsformen der Welt verliert, sondern, dass der Sinn für die Fiktion verloren geht […].“ (Rancière 2008: 91)47 Denn laut Rancière gehören im ästhetischen Regime der Künste „Geschichte schreiben und Geschichten schreiben [...] zu demselben Wahrheitsregime.“ (Ebd.: 61, H.i.O.) Er meint, das Reale müsse zur Dichtung werden, damit es gedacht werden könne. Rancière führt aus: „Politik, Kunst, Wissen – sie alle konstruieren ‚Fiktionen‘, das heißt materielle Neuanordnungen von Zeichen und Bildern, und stiften Beziehungen zwischen dem, was man sagt, zwischen dem, was man tut und tun kann.“ (Ebd.: 62) Was die Kunst (insbesondere die Formen engagierter Kunst) heute erzeugt, lautet für Rancière wie folgt: „Die Arbeit der Kunst hat in ihren neuen Formen die alte Erzeugung von anzuschauenden Gegenständen abgelöst. Sie erzeugt nunmehr direkt ‚Verhältnisse zur Welt‘, also aktive Formen der Gemeinschaft. [...] Der Innenraum des Museums und das Außen des Gesellschaftslebens erscheinen also als zwei gleichwertige Orte der Produktion von Relationen.“ (Ebd.: 85)48
46 Bei Rancière wird Ästhetik „weder als individuelle Wahrnehmungsfähigkeit noch als erkenntnistheoretische Grenze oder als Kunsttheorie verstanden, sondern verweist immer schon auf die Frage des Teilhabens und Teilnehmens an einer kollektiven Praxis, die für Rancière in der sozialen und politischen Konstitution der sinnlichen Wahrnehmung entschieden wird.“ (Muhle 2008: 10f.) 47 Die „Ratio der Fakten“ und die „Ratio der Fiktionen“ ähnelt stark dem Gegensatzpaar „rationales/lineares Denken“ und „mythisches/wildes Denken“ von Lévi-Strauss. 48 Unter anderem betont Rancière, dass „dieses Hin und Her zwischen dem Hinausgehen der Kunst in die Wirklichkeit der Gesellschaftsbeziehungen und der Ausstellung, die als einzige deren symbolische Wirksamkeit sicherstellt, auch ein Paradox darstellt.“ (Rancière 2008: 86)
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Das Verhandeln der Grenzen zwischen Kunst und Leben, Kunst und Politik erfolgt insbesondere in jenen „post-studio Kunstpraxen“, die vermehrt seit den 1990er Jahren unter Begriffen wie „socially engaged art, community-based art, experimental communities, dialogical art, littoral art, interventionist art, participatory art, collaborative art, contextual art and (most recently) social practice“ gefasst werden (Bishop 2012: 1). Miwon Kwon hält in diesem Kontext mit Bezug auf eingreifende Kunstpraxen fest, dass es eine Verschiebung von ortsspezifischer Kunst zu themenspezifischer Kunst gegeben hat, was mit einer Verschiebung vom physischen Raum auf den sozialen Raum gleichzusetzen ist (vgl. Kwon 2002: 112). In diesen „post-studio Kunstpraxen“ hat sich nicht zuletzt die Rolle der KünstlerInnen verändert. Der Fokus liegt nunmehr auf der Produktion von Situationen und sozialen Räumen, wie dies Claire Bishop festhält: „The artist is conceived less as an individual producer of discrete objects than as a collaborator and producer of situations; the work of art as a finite, portable, commodifiable product is reconceived as an ongoing or long-term project with an unclear beginning and end; while the audience, previously conceived as a ,viewer‘ or ,beholder‘, is now repositioned as a co-producer or participant. [...] they all aim to place pressure on conventional modes of artistic production and consumption under capitalism. As such, this discussion is framed within a tradition of Marxist and post-Marxist writing on art as a de-alienating endeavour that should not be subject to the division of labour and professional specialisation.“ (Bishop 2012: 2f., H.i.O.)49
Da es in diesen Kunstpraxen um das Gestalten des sozialen Raums geht und nicht mehr um das Gestalten bspw. einer Leinwand, erhält die zwischenmenschliche Interaktion notwendigerweise einen zentralen Stellenwert.50 Da dies nicht nur in künstlerischen Praxen der Fall ist, sondern allgemein in Situationen der Herstellung und Gestaltung sozialer Räume, interessiert mich, welche diesbezüglichen kunsttheoretischen Überlegungen allgemein gesellschaftstheoretisch übertragbar sind. Grant Kester (2004) prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der „dialogical aesthetics“, der nach dem Begriff der „relational aesthetics“
49 Bishop hält fest, dass den heutigen sozial engagierten Kunstpraxen häufig der oppositionelle Charakter fehlt und nicht mehr wie in den 1960er und 70er Jahren radikale Gesellschaftskritik geübt wird, wie dies in den Praxen des „radical theatre“, der „community arts“ und „critical pedagogy“ der Fall gewesen war und die „in opposition to dominant modes of social control” (Bishop/Roche 2006: o.S.) entstanden waren. 50 Siehe hierzu u.a. (Doherty 2004).
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(Bourriaud 1998) einen spezifischen Fokus auf die Kommunikation bzw. das Dialogische in zeitgenössischen partizipativen Kunstpraxen setzt. 1.3.3 Dialogical Aesthetics – Kunst als Prozess und das Dialogische (Grant Kester) Sprache ist in Kunst und Politik zentral, denn das Verhandeln der Bedingungen für Teilhabe erfolgt diskursiv. Insofern beschreiben die „dialogical aesthetics“ auch genau das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Politik, das bei Rancière als das Aushandeln der sichtbaren und unsichtbaren Sprechpositionen und damit des Herstellens der Bedingungen von Teilhabe in Kunst und Politik figuriert. In seinem Buch „Conversation Pieces. Community and Communication in Modern Art“ startet Kester (2004) den Versuch, einen Rahmen für eine Definition von „dialogical aesthetics“ abzustecken. Er interessiert sich dabei für Kunstformen und Projekte, die in sozialpolitische Felder eingreifen und somit auch meiner Interessenslage entsprechen.51 Dabei versucht er, das ihnen Gemeinsame herauszuarbeiten und eine Zuordenbarkeit und Verhandelbarkeit derselben im Kunstkontext zu ermöglichen. Kester fragt danach, welche Formen des Wissens ästhetische Erfahrungen produzieren können: „What unites this disparate network of artists and art collectives is a series of provocative assumptions about the relationship between art and the broader social and political world and about the kinds of knowledge that aesthetic experience is capable of producing.“ (Kester 2004: 9) In seinem Buch untersucht er unterschiedliche Kunstprojekte, die neue Modelle der Kommunikation und des Dialogs zu erproben und entwickeln versuchen. Was Kester mit „dialogical aesthetics“ zu beschreiben versucht, „is less a formal art ,movement‘, than it is an inclination that has developed in the projects of a number of artists and groups over the past thirty years.“ (Ebd.) Er hält fest, dass diese kollaborativen und beratenden (collaborative and consultant) Ansätze, tief verwurzelt in der Geschichte von Kunst und Kulturaktivismus, auch die jüngere Generation von KünstlerInnen und Kollektiven beeinflusst hat.52 Kester
51 Er beschäftigt sich hierbei mit „collaborative art practice, informed by conceptual art but located in cultural contexts associated with activism and policy formation.“ (Kester 2004: 14) 52 Als Beispiele nennt er: Ala Plastica in Buenos Aires, Superflex in Dänemark, Maurice O’Conell in Irland, MuF in London, Huit Facettes in Senegal, Ne Pas Plier in Paris, Ultra Red in Los Angeles, und Temporary Services in Chicago. 2004 schreibt Kester
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stellt seine Theorie der „dialogical aesthetics“ in den Kontext von AvantgardePraxen.53 Die Verbindung zur Avantgardekunst sieht er im Fokus darauf, Dinge zu verändern und Konventionen aufzubrechen und gleichzeitig den Kommunikationsprozess zentral zu setzen: „While it is common for a work of art to provoke dialogue among viewers, this typically occurs in response to a finished object. In these projects, on the other hand, conversation becomes an integral part of the work itself. It is reframed as an active, generative process that can help us speak and imagine beyond the limits of fixed identities, official discourse, and the perceived inevitability of partisan political conflict.“ (Kester 2004: 8)
Mit dem Begriff „dialogical aesthetics“ fasst Kester dabei das zentrale und gemeinsame Moment dieser Kunstpraxen, situative Kommunikationsmöglichkeiten zu produzieren. Weshalb mir der Begriff „dialogical aesthetics“ so relevant erscheint, liegt daran, dass er im Gegensatz zum Begriff „Community Art“ 54 einen Prozess bezeichnet.55 „Dialogical aesthetics“ beschreibt gewissermaßen ein Arbeitsprinzip und scheint dadurch stärker ein operationaler Begriff als ein be-
noch, dass diese Kunstpraxen, obwohl sie sich zumeist selbst im globalen Kontext verorten, bisher kaum im internationalen Kunstfeld Beachtung fanden. Das hat sich in den letzten Jahren stark verändert und man kann eher im Gegenteil überspitzt davon sprechen, dass nun überall von politisch engagierter Kunst die Rede ist – siehe z.B. die 6. Berlin Biennale 2010, die unter dem Titel „Was draußen wartet“ stattfand und sich in unterschiedlicher Weise mit dem Thema der sozialen Wirklichkeit jenseits des Galerieraums (und insbesondere mit dem Thema sozialen Protests) auseinandersetzte. 53 Dabei fokussiert er auf drei Shifts in der Konzeptkunst und Minimal Art der 1960er und 70er Jahre: „the gradual movement away from object-based practices; the interest in making a given work dependent on direct physical or perceptual interaction with the viewer [...] and a related shift toward a durational, rather than instantaneous concept of aesthetic experience.“ (Kester 2004: 14) 54 In einem eigenen Kapitel (4) zeichnet Kester die Entwicklung der Community-based art und „new genre public art“ in den 1990ern und ihre komplexe Beziehung zu den Debatten über „race, class, poverty, and privilege“ nach, insbesondere da sie, wie er meint, von neo-konservativen Ideologien infiltriert wurden. 55 Der Begriff „Community“ ist im Sinne Holloways ein identitärer Begriff, er beschreibt einen Zustand. Der Begriff „Dialog“ hingegen beschreibt einen Prozess, also eine Tätigkeit und keinen Zustand und erscheint insofern weniger leicht instrumentalisierbar, da der Prozess selbt permanente Transformation bedeutet.
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schreibender zu sein. Dadurch bleibt auch die Aneignung des Begriffs relativ frei. Genauso wie die Arbeitsweise selbst bleibt auch die Zuschreibung verhandelbar. Kester zieht eine Analogie zwischen „Community“ und „Communicability“ und entwickelt daraus seinen Ansatzpunkt des Dialogischen, wobei der Fokus nicht auf dem Resultat einer möglichen Gemeinschaft, sondern auf dem Prozess der Kommunikation liegt. Das Konzept einer dialogischen Kunstpraxis leitet Kester vom russischen Literaturkritiker und Philosophen Mikhail Bakhtin her, „who argued that the work of art can be viewed as a kind of conversation – a locus of differing meanings, interpretations, and points of view.“ (Ebd.: 9f.) Laut Kester ist den dialogischen Praxen gemeinsam, dass sie einen provisorischen diskursiven Rahmen brauchen und herstellen müssen, in dem die unterschiedlichen (Diskussions-)TeilnehmerInnen ihre Überlegungen, Beobachtungen, Reaktionen etc. teilen können (vgl. ebd.: 11). In diesem Kontext brauche es ebenfalls eine Neudefinition der Zeitlichkeit des ästhetischen Erlebnisses als „durational rather than immediate.“ (Kester 2004: 12) Kester formuliert ein neues ästhetisches und theoretisches Paradigma des Kunstwerks als Prozess – als Ort des diskursiven Austausches und Verhandelns. In diesem Zusammenhang erscheint ihm eine Reformulierung dessen, was Diskurs heißt, wichtig. Kester meint weiter, dass wir alle allzu gut wissen, wie Kommunikation misslingen kann, und wir dringend Modelle dafür bräuchten, wie Kommunikation gelingen kann. Mit seiner Inwertsetzung des Hörens und Zuhörens entgegen dem Sprechen unterstreicht Kester einen Zugang zu gesellschaftlicher Veränderung, der im Kontext feministischer Theorie und Praxis schon lange zum Standard gehört. 56 Dieser Zugang ist Grundlage einer anderen Konzeption von politischer Aktion und Konstitution von Kollektivität, in der das gemeinsame Suchen, Fragen und Erforschen zentrale Wichtigkeit erhält.
56 Das Hören und Zuhören dem Akt des Sprechens in der Wichtigkeit gleichzusetzen, wurde in links-autonomen Kreisen nicht zuletzt durch das Motto der Zapatistas „Fragend schreiten wir voran“ populär und zu einem Referenzpunkt im Diskurs und in der Praxis zeitgenössischer sozialer Bewegungen und aktivistischer Netzwerke.
2. Collage City und die Orientierung am Möglichen
Mit dem Hype rund um „Creative Cities“, „Creative Hubs“, Creative Class“ usw. stellt sich für mich die Frage, was es mit der Kreativität und der Stadt auf sich hat und was denn tatsächlich eine kreative Stadt sein kann. Was macht die Kreativität einer Stadt aus? Und wer bestimmt, was kreativ ist? Laut der Ethnologin Anja Schwanhäußer entsteht in Städten eine „je spezifische Form von Kreativität, die Ausdruck und Teil des Habitus der Stadt ist“ (Althans et al. 2008: 123). Wenn man die Kreativität einer Stadt erklären wolle, sei es wichtig, nicht nur über Städte, sondern über ihre jeweiligen Szenen zu diskutieren: Individuen, Kulturen und Szenen und ihre spezifischen Weltsichten, ihre Ideale, Sorgen und Sehnsüchte sowie ihre Visionen gelte es zu erforschen. Ein grundlegendes Problem hinsichtlich der Verortung von Kreativität in der Stadt sieht Schwanhäußer darin, dass „der urbane Raum immer mehr von den standardisierten Unterhaltungsangeboten eines Massenmarktes dominiert wird“, jedoch ebenso die Kreativszene sich in Richtung eines Massenmarktes bewege und man insofern sogar von einem Massenmarkt vermeintlicher Kreativität sprechen könne, der ebenso normiert wie die klassische Erwerbsarbeit sei. In dieser Perspektive wären dann die „Kreativen“ das Problem und nicht die Lösung (vgl. ebd.).1 1
Die „Kreativen“ können nur bedingt als Problem gesehen werden, wie dies Schwanhäußer provokant formuliert – vielmehr sind das Problem die Bedingungen, die zu dieser Form von „Kreativen“ (SelbstunternehmerInnen) führen, denn sie sind lediglich Ausdruck der dahinter liegenden strukturellen Mechanismen der heutigen Vermarktung und Ökonomisierung kulturellen Schaffens. Die daran anschließende Frage wäre, welche Bedingungen es für andere Formen bzw. für ein anderes (nicht-kommerzielles) Verständnis von Kreativität braucht – für Kreativität als sozialen Prozess, damit die BewohnerInnen einer Stadt und einer Gesellschaft die Fähigkeit ein kollektives Ima-
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Die politische Perspektivierung ist der Knack- und Angelpunkt, es geht um die Frage wie sehr spezifische kulturelle Praktiken und Produktionen kommerziell vermarktbar und vereinnahmbar sind bzw. sich einspeisen lassen in eine ökonomische Mehrwertschöpfung oder eben nicht. Mein Fokus liegt bewusst auf nichtkommerziellen Initiativen. Wenn die Ökonomisierung von Kreativität bereits als zentrales Problem erkannt wird, ist es höchste Zeit, sich auf einen anders verstandenen Kreativitätsbegriff zu besinnen: Wie ich meine, wäre das ein Kreativitätsbegriff im Sinne der alltäglichen Bricolage sozialer Beziehungen und Bedeutungskonstruktionen. Michel de Certeau geht so weit und behauptet, dass die BewohnerInnen einer Stadt erst in ihrer ,,unauffälligen Kreativität“ (de Certeau 1988: 186) den Stadtraum herstellen (siehe dazu auch Rolshoven 2000: 119). Hierbei verstehe ich Kreativität als kulturelle und soziale Transformationskraft im Lebensraum Stadt, welche sich am Möglichen orientiert und noch nicht Dagewesenes initiiert. Auf die Spur und Suche nach Evidenzen einer solcherart verstandenen Kreativität möchte ich mich machen. Anstelle der „Creative City“ greife ich den von Colin Rowe und Fred Koetter ([1975] 2005) geprägten Begriff der prozessual verstandenen „Collage City“ auf und damit rücke ich Kreativität als die Orientierung am Möglichen und somit an der Utopie und nicht an der bestmöglichen Vermarktung in den Blickpunkt. Wenn auch Rowe und Koetter einem Verständnis von poetischer Utopie den Vorzug vor der Zielrichtung politischer Utopie gaben, meine ich, dass das Poetische und das Politische erst gemeinsam dem Begriff Utopie gerecht werden. Wie kann bzw. können nun das Mögliche, das Bloch’sche Noch-Nicht oder das Zuwenig-Vorhandene, also die Potenziale einer Stadt, ihre unterbelichteten und unsichtbaren Seiten und AkteurInnen erforscht werden? Am Möglichkeitssinn einer Stadt interessiert, betrachte ich zunächst das Vorhandene, das Sichtbare und Unübersehbare dieser Stadt, um ihre Disposition, ihren Habitus2 zu verstehen. Um dann das Andere dieser Stadt zu erkennen, wer-
ginäres bzw. einen kollektiven „utopischen Horizont“ (Greverus 2009: 234) zu schaffen und dieses leben können. 2
Bei Bourdieu bezeichnet Habitus die Gesamtheit der erlernten Verhaltensnormen, Sprache etc., die sich durch die Sozialisation eines Individuums und seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu, einer Kultur und einem Geschlecht auch in den Körper einschreiben. Körperlichkeit (also das Physische und das sinnlich Wahrnehmbare) ist im Habitus-Konzept eine zentrale Kategorie (vgl. Schwingel 1995: 59ff.).
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de ich die Ränder aufsuchen, um so Positionen zu finden, die das Bestehende in Frage stellen und utopische Horizonte aufzeigen. Wenn wir also den Habitus einer Stadt betrachten oder auch verstehen wollen, brauchen wir auch die häretischen Positionen und Gegenerzählungen, die die dominante Seinsweise in Frage stellen. In dieser Weise tritt der „Möglichkeitssinn“ einer Stadt bzw. ihre „Topografie des Möglichen“ hervor. Ich betrachte das kulturelle Feld, welches mit Pierre Bourdieu als Machtfeld zu verstehen ist, da seine AkteurInnen als EignerInnen von kulturellem Kapital zwar, im Vergleich zur „Besitzklasse“, keine ökonomische Macht haben, sich jedoch mittels symbolischen Kapitals potenziell Gehör/Sichtbarkeit verschaffen können. Es ist also die relative Machtposition des kulturellen Feldes und seiner AkteurInnen, die mich insofern interessiert, als ihre AkteurInnen bisweilen gezielt Öffentlichkeit herstellen und der Horizont des Möglichen dabei in greifbare Nähe rückt. Die AkteurInnen des kulturellen Feldes sowie jene an der Schnittstelle zwischen kulturellem Feld und politischem Feld beanspruchen bewusst Öffentlichkeit bzw. wollen gehört und gesehen werden und verstehen dies als impliziten Teil ihrer Arbeit. Öffentlichkeit herzustellen ist ein genuin politischer Akt. Hier geht es immer um das Verhandeln der Bedingungen für Teilhabe, um das, was Rancière die Aufteilung des sinnlich Wahrnehmbaren nennt, darum, gehört und gesehen zu werden, gespürt zu werden, gedacht/imaginiert zu werden – denn was nicht das Imaginäre eines Kollektivs/einer Gesellschaft/einer Stadt bevölkert, existiert nicht, ist inexistent für diese Gesellschaft/dieses Kollektiv. Die Stadt spielt heute in der Verquickung von Kreativität und Ökonomie als physischer Ort der Produktion von Wissensökonomie und Kulturwirtschaft eine wesentliche Rolle. Welche Rolle aber spielt das kulturelle Feld einer Stadt als physischer Ort der Produktion von individueller und kollektiver Identität und Wunschproduktion sowie als öffentlicher Raum der Ausverhandlung verschiedener Identitäten, also als Arena für Dissens? Im vorliegenden Forschungsvorhaben interessiert die Stadt also weniger in ihrer wirtschaftspolitischen als vielmehr in ihrer demokratiepolitischen Dimension – als kollektiv gelebter und erlebter Raum, im Sinne Lefebvres, als sozialer Raum potenzieller Teilhabe an einer Gemeinschaft und der Rolle des kulturellen Feldes hierfür. Doch wie wurde und wird Stadt erforscht? Welche Perspektiven werden auf dieses sozialräumliche Gebilde geworfen? Und welcher theoretisch-methodische Zugang bietet sich
Zur Übertragung des Konzepts auf die Stadt siehe Kapitel „Habitus und Eigenlogik der Stadt“ (S. 105-107).
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an, um den Aspekt der Kreativität als Möglichkeitssinn (in) einer Stadt kulturwissenschaftlich zu fassen?
2.1 D IE S TADT ALS F ORSCHUNGSGEGENSTAND IN E THNOLOGIE UND S OZIOLOGIE War zu Beginn der Stadtforschung eine zentrale Frage, ob die Stadt selbst oder nur Lebensweisen in der Stadt Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung sein können, sollten die Forschungstopoi zunehmend folgende Fragestellungen umfassen: das städtische Leben im Vergleich zum Leben auf dem Land, die innerstädtischen Lebensweisen, die Frage, was Stadtentwicklung für die Entwicklung des Klassenverhältnisses (vgl. Häußermann/Siebel 1978) und für Gemeinschaftsbildung bedeute, sowie die Stadt als Ganzes in Relation zu spezifischen Lebensweisen mit dem Fokus auf den Besonderheiten von Urbanität (vgl. Löw 2008a: 28). In seinem 1980 erschienenen Buch „Exploring the city“ unterschied Ulf Hannerz zwischen „anthropology of the city“, in der die gesamte Stadt als Studienobjekt (focus) beforscht wird, und „anthropology in the city“, in der die Stadt als Ort (locus) anzusehen ist, an dem ethnologischen Fragestellungen nachgegangen wird. Vorliegendes Forschungsvorhaben situiert sich zwischen den Forschungstopoi „anthropology in the city“, der Erforschung innerstädtischer Lebensweisen, und „anthropology of the city“, der Erforschung der Stadt als Ganzes und der unterschiedlichen Verfasstheit von Urbanität. Denn wenn man die Praxen von AkteurInnen im Lebensraum Stadt verstehen möchte, braucht es sowohl den Blick auf die Handlungsweisen der AkteurInnen als auch den Blick auf das Stadt-Ganze, also die spezifische Urbanität der jeweiligen Stadt. Der kulturanthropologischen Stadtforschung geht es darum, „Urbanität vor dem Hintergrund des Lokalen, vor der historischen und sozialen Dimension als Verhaltensdispositiv zu reflektieren.“ (Kokot/Hengartner/Wildner 2000b: 3) Urbanität kann dabei als Kategorie verstanden werden, die von Wahrnehmung und Erfahrung in städtischen Räumen geformt wird. Sie wirkt sich andererseits wiederum auf die Wahrnehmungen, Bewertungen, Handlungen und soziale Organisation aus und steht damit in enger Beziehung zu Stadt als physischem Gebilde (vgl. ebd.: 8f.). Es sind sowohl die räumliche Disposition einer Stadt als auch die kollektiven Erinnerungen und Utopien, also ihre symbolische Disposition, die den Habitus einer Stadt und ihre Urbanität mitbestimmen. Wenn man das „Gedächtnis einer Stadt“ (van der Ree 2000) erforschen will, kommt man nicht umhin, die Erinnerungen der Städter an das städtische Leben selbst mitzudenken. Van der Ree er-
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achtet es für wichtig, sich dabei am „sozialen, prozesshaften Charakter des Erinnerns zu orientieren und damit nicht so sehr die Erinnerung selbst als vielmehr den „Erinnerer“ und seine Funktion im städtischen Leben ins Zentrum der Untersuchung zu stellen.“ (van der Ree 2000: 185) Auch die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann vertritt die Ansicht, dass Stadt einen konzentrierten Raum darstellt, in dem Geschichte „als Resultat wiederholter Umformungen, Überschreibungen, [und] Sedimentierungen [geschichtet ist].“ Und „obwohl im Stadtraum alles gleichzeitig anwesend ist, heißt das jedoch keineswegs, dass jeweils alle Schichten auch gleichzeitig wahrgenommen werden und im Bewusstsein präsent sind.“ (Assmann 2007: 111f., zit.n. Moser/Egger 2013: 178) Ebenso grundlegend wie sich mit der Geschichte und Gewordenheit einer Stadt zu befassen, erscheint es mir, sich mit den Idealen, Träumen und Utopien der StadtbewohnerInnen zu befassen, will man etwas über den Möglichkeitssinn einer Stadt erfahren. Hierbei geht es um das Spannungsfeld von symbolischer Disposition und symbolischer Perspektivierung. In der symbolischen Ortsbezogenheit der StadtbewohnerInnen kommt die fortwährende Bedeutung des Lokalen und der räumlichen Vernetzungen sowie der Fortbestand der Relevanz alltäglicher Lebensformen zum Tragen und konterkariert damit die These der Auflösung räumlicher, zeitlicher und sozialer Strukturen in der postmodernen Gesellschaft. Bezugnehmend auf Ulf Hannerz kann davon ausgegangen werden, dass das Lokale als „‚totale‘ sinnliche Erfahrung“ (Hannerz 1980: 71) seine Bedeutung beibehält (vgl. Kokot/Hengartner/ Wildner 2000b: 13). Die soziale Disposition bzw. Zusammensetzung sowie die symbolische Disposition und Perspektivierung sind dabei maßgeblich für den Umgang mit der räumlichen (physischen) Disposition einer Stadt. Im lokalen physischen Raum – als „‚totale‘ sinnliche Erfahrung“ – werden die Beschaffenheit des sozialen Raums sowie seiner imaginären/symbolischen Dimension körperlich spürbar. Zusammenfassend können für die urbane Anthropologie drei wesentliche Perspektiven der Forschung definiert werden: Ein erster Bereich gilt der Erforschung von Themen in der Stadt (anthropology in the city), die vor allem mit Teilnehmender Beobachtung, formellen und informellen Gesprächen und Interviews arbeitet, sowie mit der Sammlung von Lebensgeschichten und persönlichen Dokumenten, statistischen Daten und Materialien verschiedener relevanter Institutionen (vgl. Moser/Egger 2013: 179).3 Der zweite Zugang legt den Fokus
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Als Beispiele solcher Forschungen in der Tradition und Weiterentwicklung der Chicagoer Schule sind im deutschsprachigen Raum u.a. Gisela Welz’ „StreetLife“ (1991),
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auf das Urbane (anthropology of the city) und die Spezifik städtischen Lebens. Sowohl Georg Simmels Aufsatz „Die Großstädte und das Geistesleben“ (1903) als auch Louis Wirths „Urbanism as a Way of Life“ (1938) gaben wichtige Impulse dazu. Zu diesem Bereich zählen auch Arbeiten die sich mit unterschiedlichen Stadtformen auseinandersetzen, wie dies Max Weber zu Beginn der 1920er-Jahre in seiner „Typologie der Städte“ (vgl. Weber 1980) versuchte oder Hannerz, der die drei Stadttypen „courttown“ (Fürstenstadt), „commercetown“ (Handelsstadt) und „coketown“ (Industriestadt) unterscheidet (vgl. Hannerz 1980: 234, zit.n. Moser/Egger 2013: 182). Zu diesem Bereich sind weiters Studien zu den „world cities“ (vgl. u.a. Sassen 1996; Korff 1995; Hannerz 1993) und „mega cities“ (vgl. u.a. Bronger 2004; Kraas/Nitschke 2006) 4 zu zählen sowie Edward Sojas Konzept der „Postmetropolis“ (2000) (vgl. Moser/Egger 2013: 182).5 Der dritte, von Johannes Moser und Simone Egger definierte Zugang interessiert sich für die spezifische Urbanität einer Stadt. Hierzu zählen die Überlegungen zum Habitus einer Stadt von Marty Lee (1997) und Rolf Lindner (2003) sowie die Theorie der Eigenlogik von Städten von Helmut Berking und Martina Löw (2008). Studien mit diesem Zugang zielen auf eine Gesamtschau einer bestimmten Stadt und ihre Komplexität, „indem sie historische Entwicklungen, ökonomische Strukturen, soziale Verhältnisse, Repräsentationen und Imaginationen, soziale und kulturelle Praxen, räumliche Dimensionen, bauliche Gegebenheiten et cetera untersuchen.“ (Moser/Egger 2013: 185)6 Die Besonder-
Barbara Langs Arbeit über den „Mythos Kreuzberg“ (1998) oder Anja Schwanhäußers „Kosmonauten des Underground“ (2010) zu nennen. 4
Einen Überblick zum Forschungsfeld der „world cities“ und „mega cities“ bietet Soja (2000).
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Auch Setha Lows (1996) Typologisierung von Städten ist hier zu nennen Sie unterscheidet entlang vier Hauptbereichen Metaphern von Stadt: erstens, ausgehend von „social relations“ die „ethnic city“, „devided city“, „gendered city“ und „contested city“; sowie zweitens zum Bereich „economics“ die „deindustrialized city“, „global city“ und „informational city“; drittens für den Bereich „urban planning and architecture“ die „ modernist city“, „postmodern city“ und „fortress city“, sowie für den fünften Bereich „religion and culture“ die „sacred city“ und „traditional city“.
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Studien aus diesem Bereich sind bspw. der Sammelband „Dresden. Ethnografische Erkundungen einer Residenzstadt“ (Lindner/Moser 2006) sowie „Der Geschmack von Wien“ (Musner 2009). Als Vorläufer dieser Richtung der Stadtforschung kann u.a. Gerald Suttles (1984) mit seinen Überlegungen zur kumulativen Textur lokaler urbaner Kultur genannt werden.
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heit einer urbanen Anthropologie kann mit Moser/Egger in der methodischen Verknüpfung von Ethnographie, Kulturanalyse und Stadtforschung gesehen werden. Wobei der Lebensstil einer Stadt in der Analyse ihrer „räumlichen, zeitlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen“ (Moser/Egger 2013: 178) sichtbar wird.7 2.1.1 Die Verbindung zwischen Lokalität und Globalisierung: Transnationale Urbanität Für eine kritische zeitgenössische Stadtforschung ist für jeden der genannten Zugänge von zentraler Bedeutung die lokalen Phänomene in einer Stadt sowie die Stadt als Ganzes im Kontext globaler bzw. transnationaler Entwicklungen und Bezüge zu betrachten. Seit den frühen 1990er-Jahren wird das Phänomen der Transnationalisierungsprozesse auf urbaner Ebene vielfach erforscht und diskutiert (siehe u.a. Hannerz 1996, Khagram/Levitt 2008, Krätke 1997, Sassen 2007, Smith/Eade 2008). Die Verknüpfung globaler und lokaler Prozesse ist dabei jener Ausgangspunkt, der die durchwegs unterschiedlichen Diskurse miteinander verbindet und im Begriff „Glokalisierung“ kondensiert ist. Dabei werden Globalisierungsprozesse als vielfältige Zusammenhänge globaler und lokaler Bedingungen analysiert (vgl. Wildner 2012: 215f.).8 Wie dies Kathrin Wildner festhält sind transnationale Prozesse „von Prozessen der Ent-Nationalisierung, der De-Territorialisierung und Re-Territorialisierung wirtschaftlicher, sozialer, politischer und kultureller Beziehungen gekennzeichnet.“ (Ebd.: 216) In diesem Kontext spricht Wildner von zwei Bewegungen: den Prozessen der Transnationalisierung „von oben“ und „von unten“. Mit „Transnationalisierung von oben“ beschreibt Ludger Pries (2008) ökonomische Globalisierungsprozesse, die auf institutioneller Ebene vorangetrieben werden. Jene Prozesse, die von lokalen Alltagspraktiken und sozialen Strategien ausgehen, werden als Transnationalisierung „von unten“ beschrieben (vgl. Smith/ Guarnizo 1998). Hierzu zählen u.a. informelle Ökonomien, Grassroots-Organisationen und soziale Bewegungen, die lokal verortet, jedoch gleichfalls grenzüberschreitend vernetzt sind (vgl. Wildner 2012: 220).9 Mit Wildner ist Stadt als
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Zur Urbananthropologie im deutschsprachigen Raum siehe u.a. Schwanhäußer (2010).
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Siehe dazu vertiefende z.B. (Featherstone 1995; Robertson 1998).
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Einen wichtigen Bereich bilden hierbei Studien zu transnationalen Alltagspraxen von MigrantInnen und der Analyse der jeweils zugrundeliegenden politisch-ökonomischen und sozialen Prozesse (vgl. Wildner 2012: 220).
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„Produkt und Produzent von Prozessen der Verräumlichung sozialer Verhältnisse“ zu verstehen: „Diese Prozesse sind nie nur lokale Ereignisse, sondern basieren immer auf Verknüpfungen, innerhalb einer Stadt, zwischen Städten und Regionen, sowie auf transnationalen Beziehungen. […] Städte sind Knotenpunkte der Verräumlichung transnationaler Prozesse, bilden Drehkreuze oder hubs und können als paradigmatische oder konstitutive Orte der Transnationalisierung interpretiert werden.“ (Wildner 2012: 226)
Raum im Kontext der Transnationalisierung betrachtet wird vor allem als sozialer Prozess aufgefasst. In Städten „verdichten sich globale Bedingungen, die auf lokaler Ebene ‚übersetzt‘ werden und sich im physischen und sozialen Raum manifestieren.“ (Ebd.: 218) Städte sind als Wirtschaftsräume, als Zentren des Handels, der Produktion und Konsumtion (vgl. Sassen 1996) aber auch als Räume der Wissensproduktion und der Formierung von Lebensstilen und Identitäten zu sehen. Städte können insofern als „grounding sites of meaning making“ (Smith 2001, zit.n. Wildner 2012: 218) verstanden werden. Transnationalisierung und Transnationalität spielen im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit in Bezug auf die Wanderung/Migration und transnationale Verfasstheit von Diskursen eine Rolle, sowie in Bezug auf transnationale Netzwerke, Szenen und Bezugsrahmen betreffend AkteurInnen der lokalen alternativkulturellen und links-aktivistischen Szene, des Kunstfeldes und der DIYKultur. Im Fokus der Forschung stehen die lokalen Ausbildungen (Übersetzungen und Umsetzungen) dieser transnationalen Diskurs- und Handlungsfelder im Kontext der Stadt Salzburg. 2.1.2 Raumproduktion und Spatial Turn Die Wichtigkeit von Raum als konstitutives Element für Kultur und Gesellschaft wurde durch den „Spatial Turn“ in den Sozial- und Kulturwissenschaften seit den 1980/90er Jahren re-aktualisiert.10 Der Spatial Turn steht für die Herausbildung eines kritischen Raumverständnisses, das vor allem durch die postkoloniale Theorienbildung vorangetrieben wurde, die für eine „neue kritische Geopolitik“ steht und u.a. „auf eine räumliche Restrukturierung der Weltgesellschaft zielt.“ (Bachmann-Medick 2006: 290) Laut Doris Bachmann-Medick verdrängte bereits
10 Zum Spatial Turn siehe für einen Überblick z.B. (Lossau 2012) sowie zur Vertiefung z.B. (Döring/Thielemann 2008; Warf/Arias 2009).
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das Entwicklungs- und Fortschrittsparadigma der Aufklärung des 18. Jahrhunderts die Raumperspektive zugunsten der Zeitperspektive. Diese Tendenz verstärkte sich weiter durch den Kolonialismus, dessen konstitutives Element der Raumeroberung erst im Zuge der postkolonialen Theorienbildung thematisiert und aufgearbeitet wurde.11 Zu einer breiteren Reorientierung an der Raumperspektive kam es jedoch erst in Folge geopolitischer Entwicklungen wie dem Zerfall der Sowjetunion und die folgenden räumlich-politischen Neuordnungen wie auch durch die zunehmende Zentralität von Globalisierung in Hinblick auf gesellschaftlichen Wandel (vgl. Bachmann-Medick 2006: 284-328). In diesem Kontext verweist der Begriff „raumzeitlicher Schrumpfungsprozess“ (Harvey 1989) auf den radikalen Wandel der räumlichen Bedingungen des täglichen Lebens. Soziale Beziehungen überschreiten den ortsgebundenen Interaktionszusammenhang und werden wie dies Anthony Giddens (1995) festhält „in potentiell unbegrenzten Raum-ZeitSpannen restrukturiert. Gleichzeitig verschränke sich das Lokale mit dem Globalen in der Art und Weise, dass es zu neuen Formen der (Wieder-)Verankerung und einer neuen Betonung des Lokalen komme.“ (Lossau 2012: 184). Auf einer semantischen Ebene sind in der Spatial-Turn-Debatte symbolische und geografische Raumbegriffe zu unterscheiden: Die symbolische Semantik ist insbesondere in „poststrukturalistischen, differenz- und machttheoretisch orientierten Strömungen“ (ebd.: 187) zu finden. „Raum“ wird hier als Chiffre für unterschiedliche Standpunkte herangezogen, „von denen aus Bedeutung in kontextspezifischer Art und Weise produziert wird.“ (Ebd.)12 Dieser Raum-Begriff verweist auf die Relationalität von (Subjekt-)Positionen, „von denen aus die gesellschaftliche Wirklichkeit produziert und reproduziert, wahrgenommen und angeeignet wird.“ (Ebd.) Diesem Ansatz folgend können Raumordnungen keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen, da sie immer ausgehend von spezifischen Perspektiven und Positionen formuliert werden (vgl. ebd.). Der geografische Raumbegriff verweist wiederum auf ein gegenständliches Verständnis von Raum. Neben Arbeiten im Kontext des Globalisierungsdiskurses und räumlichen Struktu-
11 Auch die „nationalsozialistische Ideologisierung und Funktionalisierung des Raumkonzepts für Propagandazwecke“ nennt Bachmann-Medick (2006: 286) als Mitgrund einer fortbestehenden Verdrängung der Raumperspektive in den Kulturwissenschaften, insbesondere in Deutschland. 12 Hierzu siehe weiterführend z.B. (Bhabha 1994; Gregory 1994).
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rierungen der Weltgesellschaft sind hierzu auch Diskursstränge zu zählen, die sich mit konkreten alltäglichen Raumerfahrungen befassen (vgl. ebd.: 187f.).13 Als wichtige Vordenker der modernen Raumsoziologie im deutschsprachigen Raum gelten Georg Simmel mit seinem Text „Die Großstädte und das Geistesleben“ (1903), in dem der sich mit der Individualität des Großstädters im Gegensatz zum Kleinstädter befasste14 sowie Walter Benjamin mit seinen Thesen zur großstädtischen Figur des Flaneurs (vgl. Benjamin 1982; siehe dazu Bachmann-Medick 2006: 286). Auf internationaler Ebene sind insbesondere Henri Lefebvre und im Anschluss an diesen David Harvey als Wegbereiter einer kritischen Raumforschung zu nennen: Von ihnen wurde Raum als zentrales Element im Kontext der Stadtentwicklung und in Bezug auf die Entwicklung des Klassenverhältnisses gedeutet (vgl. Lossau 2012: 192). Henri Lefebvres 1974 erschienenes Werk „La production de l’éspace“ (The Production of Space) das den Blick auf den Raum als sozial konstruierte Entität lenkte bildete dafür einen Grundstein. 2.1.3 Lefebvres Theorie der Raumproduktion Die Produktion und Reproduktion von räumlichen Verhältnissen spielen sowohl auf globaler als auch auf lokaler Ebene eine zentrale Rolle. Als Pionier der modernen Raumsoziologie beschreibt Henri Lefebvre den Raum als Ergebnis gesellschaftlichen Handelns, als Einheit zwischen physischem Raum, sozialem Handeln und Mentalräumen (vgl. El Khafif 2009: 33), die er im Zusammenwirken als Produktion von Raum versteht. Diese Einheit nennt Lefebvre „Social Space“ (sozialen Raum); er untergliedert ihn in drei analytische Momente: „spacial practice“, „representations of space“ und „spaces of representation“ (Lefebvre [1974] 1991: 245).15 Das erste Moment, die „spacial practice“, kann als Produktion und Reproduktion von Raum, „basierend auf einer nicht-reflexiven Alltäglichkeit“ (Löw/Steets/Stoetzer 2007: 53), des köperlichen Empfindens und Bewegens im physischen Raum verstanden werden.
13 Siehe dazu vertiefend z.B. (Bourdieu 1976; de Certeau 1988). 14 In diesem Kontext formulierte Simmel seine These, dass die ständige Reizüberflutung zu jenem Geisteszustand führt, den er als „Blasiertheit“ des Großstädters bezeichnet. 15 Monika Streule bezeichnet die drei Raumdimensionen als „wahrgenommenen Raum“ (Räumliche Praxis), „konzipierten Raum“ (Repräsentationen des Raums) und „erlebten Raum“ (Räume der Repräsentation; diese reichen von Traditionen bis zu Träumen) (vgl. Streule 2013: o.S.). Ausführlich zu Lefebvre siehe z.B. (Schmid 2005).
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„Spatial practice, which embraces production and reproduction, and the particular locations and spatial sets characteristic of each social formation. Spatial practice ensures continuity and some degree of cohesion. In terms of social space, and of each member of a given society’s relationship to that space, this cohesion implies a guaranteed level of competence and a specific level of performance.“ (Levebvre [1974] 1991: 33, H.i.O.)
Das zweite Moment, die „representations of space“, bezeichnet, wie Raum kognitiv bspw. durch Mathematik, Philosophie oder (Stadt-)Planung entwickelt wird – dies kann als „erdachter Raum“ gefasst werden. Bei Lefebvre sind die raumproduzierenden Akteursgruppen hierbei im Feld der Macht angesiedelt. Er beschreibt dieses Moment des sozialen Raums auch als den „dominanten Raum“: „Representations of space: conceptualized space, the space of scientists, planners, urbanists, technocratic subdividers and social engineers, as of a certain type of artists with a scientific bent – all of whome identify what is lived and what is perceived with what is conceived. [...] This is the dominant space in any society (or mode of production).“ (Ebd.: 38f., H.i.O.)
Das dritte Moment sind die „representational spaces/spaces of representation“; diese sind als „Räume des Ausdrucks“, als „gelebter Raum“ (Löw/Steets/ Stoetzer 2007: 53) zu verstehen, der durch Symbole und Vorstellungen von Raum aufgeladen ist. Dieses Moment der Raumproduktion trifft auf alle StadtbewohnerInnen zu und wird von Lefebvre als tendeziell passives Erleben und Wahrnehmen des sozialen Raums definiert. Es ist jedoch auch jenes Moment der Raumproduktion, welches durch das Imaginäre jedes/jeder einzelnen Stadtbewohners/in neu perspektiviert werden kann und welches es im Sinne einer „transformierten Alltäglichkeit“ (Lefebvre 1972a) zu verändern gilt. „Representational spaces: spaces as directly lived through its associated images and symbols, and hence the space of ,inhabitants‘ and ,users‘, but also of some artists and perhaps of those, such as a few writers and philosophers, who describe and aspire to do no more than describe. This is the dominated – and hence passively experienced – space which the imagination seeks to change and appropriate.“ (Lefebvre [1974] 1991: 39, H.i.O.)
Für Lefebvre verbindet die Kategorie des sozialen Raums die Realität einer Stadt mit ihrer Idealität: „It [social space] combines the city’s reality with its ideality. Embracing the practical, the symbolic and the imaginary.“ (Ebd.: 74) Dem „sozialen Raum“ („social space“), der durch den Gebrauchswert des urbanen Raums in der alltäglichen Nutzung bestimmt wird, stellt Lefebvre den „abstrakten
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Raum“ („abstract space“) gegenüber, der für die profitorientierte Raumnutzung und den öknomischen Tauschwert desselben steht. Als dritte und intervenierende Kategorie spricht Lefebvre vom „differentiellen Raum“ („differential space“), diesen versteht er als potenziellen Raum der Gegenmacht und Gegenöffentlichkeit, der erst durch eine Aneignung bzw. Produktion durch die StadtbewohnerInnen entstehen kann (vgl. Lewitzky 2005: 58ff.). Die sinnliche Wahrnehmung des Raums und ihre Erforschung stellen laut Lefebvre eine zentrale Ebene dafür dar, den „abstrakten Raum“ – den er als dominante Raumauffassung begreift – zu sprengen und die Produktion „anderer“ Räume zu ermöglichen: „The more carefully one examines space, considering it not only with the eyes, not only with the intellect, but also with all the senses, with the total body, the more clearly one becomes aware of the conflicts at work within it, conflicts which foster the explosion of abstract space and the production of a space that is other.“ (Lefebvre [1974] 1991: 391, H.i.O.)
Lefebvres Verdienst war es, den urbanen Raum als sozial, mental und physisch produzierte Einheit zu denken und mit seiner analytischen Triade „perceived – conceived – lived“ (ebd.: 39) neu zu perspektivieren. Dabei gibt er zu bedenken, dass die Analyseachsen immer in Verbindung mit der körperlichen Erfahrung (als „bodily lived experience“) von Stadt zu verstehen sind: „The perceivedconceived-lived triad (in spatial terms: spatial practice, representations of spaces, representational spaces) loses all forces if it is treated as an abstract ,model‘.“ (Ebd.: 40) Es geht um die Verbindungen, Überlagerungen und Wechselwirkungen zwischen der Beschaffenheit und Gestaltung von sozialen Beziehungen, ihren imaginären/symbolischen Perspektivierungen (Bedeutungszuschreibungen/Sinngebung) und dem physischen Raum. Lefebvre sucht nach einem Code, der es erlaubt, den Raum nicht nur zu lesen, sondern auch zu produzieren/herzustellen (vgl. ebd.: 7). Er möchte eine „unitäre Theorie“ bilden, die jene bis dahin getrennten Aspekte des Physischen, Mentalen und Sozialen zusammenführt (vgl. ebd.: 11, 21).16 Es gehe darum, diese verschiedenen Ebenen für
16 Mit seiner „unitären“ Theorie die physischen, sozialen und mentalen Raum in Beziehung zueinander setzt, ist er vom „unitären Urbanismus“ der Situationisten inspiriert; siehe dazu das Kapitel „Unitärer Urbanismus – die Situationisten und die Stadt“ (S. 121-124). „Unitär“ bezeichnet dabei etwas Prozessuales und verweist auf den Wunsch einer Betrachtung von Stadt in ihrer Komplexität, nicht jedoch auf ein Festfügen als unauflösliche Einheit.
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die Raumplanung zusammenzudenken – auf der Ebene des alltäglichen Lebens und Wohnens die Architektur, auf der Ebene des urbanen Lebensraums die Stadtplanung und für größere Zusammenhänge, regional, national, global, die Ökonomie – und damit die Gemachtheit und dadurch auch die Veränderlichkeit zu betonen (vgl. ebd.: 12). Dennoch gebe es zwischen sozialem und mentalem Raum Überschneidungen; dabei versteht Lefebvre den mentalen Raum als topologischen Raum von Gedanken und Äußerungen („(topological) space of thoughts and utterances“) (Lefebvre [1974] 1991: 28). Lefebvre meint hierzu: „Social space will be revealed in its particularity to the extent that it ceases to be indistinguishable from mental space (as defined by the philosophers and mathematicians) on the one hand, and physical space (as definded by practico-sensory activity and the perception of ,nature‘) on the other.“ (Ebd.: 27)
Der soziale Raum weist laut Lefebvre jene Orte zu und eignet sie an, die für die Produktion und Reproduktion der sozialen Beziehungen notwendig sind. Im modernen Neokapitalismus umfasse dies die biologische Reproduktion, die Reproduktion der Arbeitskraft (die Arbeiterklasse) und die Reproduktion der sozialen Beziehungen (vgl. ebd.: 32). Jede Gesellschaft habe spezifische Produktionsbedingungen, deren Teil auch eine spezifische Raumproduktion betrifft. Wenn nun andere gesellschaftliche Beziehungen entworfen werden sollen, brauchen diese auch ihre spezifische Raumproduktion. 2.1.3.1 „Third Space“ als neuer Weg des räumlichen Denkens Mit seiner Theorie der Raumproduktion setzte Lefebvre einen Fokus auf das Recht auf Differenz, entgegen der Homogenisierung durch raumbezogene Machtausübung. Edward Soja bezeichnete diese Neudimsionierung räumlichen Denkens durch Lefebvre als „Thirdspace of political choice“: „[Lefebvre] opened up a new domain, a space of collective resistance, a Thirdspace of political choice that is also a meeting place for all peripherized or marginalized subjects wherever they may be located.“ (Soja 2009: 51, H.i.O.). Laut Soja ermöglichte Lefebvres Ansatz eine Kritik und einen Ausweg aus dem bis dahin gängigen dualistischen Raummodell von „Firstspace-Secondspace“: Dabei stand „Firstspace“ für den physikalischen Raum und „Secondspace“ für den symbolischen Raum. Lefebvre führte eine dritte Kategorie ein, jene des „sozialen Raums“ (vgl. ebd.: 52). Soja verweist auf die Öffnung des Denkens, die diese Perspektive einbringt:
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Ausgehend von Lefebvres Theorie der Raumproduktion entwickelte Edward Soja sein Konzept des „Third Space“. Denn Lefebvres Zugang theoretisiert, laut Soja, Differenz und „Otherness“ in explizit räumlichen Begrifflichkeiten. Es geht dabei um das Recht darauf „anders zu sein“, entgegen der Tendenz zur Homogenisierung im kapitalistischen Kontext von Raumproduktion (vgl. Soja 2009: 51). Lefebvre insistierte darauf, dass jede Weise des Denkens über Raum und jeder Bereich des Räumlichen im menschlichen Leben – physikalisch, mental, sozial – als zugleich real und imaginiert, konkret und abstrakt, materiell und metaphorisch zu verstehen sei (vgl. ebd.: 53). In diesem Sinn inspirierte Lefebvres Konzept von Raum, das Konzept des „Dritten Raums“: „Thirdspace is a meeting point, a hybrid place, where one can move beyond the existing borders. […] A Third space consciousness is the precondition to building a community of resistance to all forms of hegemonic power.“ (Ebd.: 55f.) Laut Soja ermöglicht Thirdspace-Denken eine neue Sicht auf die Produktion von Wissen, zwischen dem was ist und dem was sein könnte. „Critical Thirdingas-Othering“ bedeutet bei Soja ein kritisches Denken mit räumlicher Logik (vgl. ebd.: 56). Ähnliche Intentionen wurden auch von Michel Foucault, Homi K. Bhabha, bell hooks und Cornel West verfolgt. hooks und West haben bspw. „Marginalität“ als Raum radikaler Offenheit konzipiert, von dem aus Gemeinschaften des Widerstands entgegen jedwede Kategorien der Unterdrückung geschaffen werden können. Dabei zielen sie alle auf eine neue Politik kultureller Differenz (vgl. ebd.: 56f.).17 2.1.3.2 Die Stadt als sozialer Raum Bei Lefebvre steht der urbane Raum, also die ganze Stadt, im Blickfeld bzw. ist Bezugspunkt seiner Raumtheorie; sein Begriff des „sozialen Raums“ bezieht sich auf die Produktion des urbanen Lebensumfeldes. Er hält fest, dass es eine Theorie bräuchte, die die räumliche Manifestierung der sozialen Widersprüche einer Gesellschaft zu fassen vermag:
17 Zum Spatial Turn im Kontext der „new cultural politics of difference“ siehe (Soja/Hopper 1993: 189 ff.)
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„A theory is therefore called for, one which would transcend represantational space on the one hand and representations of space on the other, and which would be able properly to articulate contradictions and in the first place the contradiction between these two aspects of representation). Socio-political contradictions are realized spatially. The contradictions of space thus make the contradictions of social relations operative. In other words, spatial contradictions ,express‘ conflicts between socio-political interests and forces; it is only in space that such conflicts come effectively into play, and in so doing they become contradictions of space.“ (Lefebvre [1974] 1991: 365)
Eine solche Theorie entwarf Pierre Bourdieu unter dem Überbegriff der „Ortseffekte“. Aufbauend auf sein Konzept der Kapitalsorten (ökonomisches, soziales, kulturelles, symbolisches Kapital), ihrer Akkumulation und Vergegenständlichung im urbanen Raum definiert Bourdieu drei Kategorien von Raum: den physischen, sozialen und angeeigneten physischen Raum. 18 2.1.4 Bourdieus Theorie der Ortseffekte: physischer, sozialer und angeeigneter Raum Pierre Bourdieu stellt eine ähnliche Unterteilung wie Lefebvre an, er unterscheidet den physischen, sozialen und angeeigneten physischen Raum. Für Bourdieu besteht der soziale Raum aus einem Ensemble aus Subräumen, deren Strukturen auf die ungleiche Verteilung von ökonomischem, sozialem und kulturellem/symbolischem Kapital zurückzuführen sind (vgl. Bourdieu 1991: 28): „Die Fähigkeit, den Raum zu beherrschen, hauptsächlich basierend auf der materiellen oder symbolischen Aneignung der seltenen (öffentlichen oder privaten) Güter, die sich in ihm verteilt finden, hängt vom Kapitalbesitz ab.“ (Bourdieu 1997b: 164) Die Kämpfe um die Verteilung der Kapitalien im sozialen Raum sind sichtbar und sinnlich erfahrbar materialisiert im physischen Raum. Durch ihre materielle Bedingtheit haben physische Räume wiederum eine stärkere Beharrungstendenz als soziale Räume.
18 Bourdieu versteht „sozialen Raum“, im Unterschied zu Lefebvre, als abstrakte soziologische Kategorie der Gesamtheit der gesellschaftlichen Beziehungen. Bourdieus Konzeptualisierung des sozialen Raums geht von den AkteurInnen und ihrer Verfügungsmacht über die unterschiedlichen Kapitalsorten aus und umfasst die Konstituierung von sozialen Feldern als Ergebnis von Machtkämpfen der unterschiedlichen Akteursgruppen.
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Ausgangspunkt für Bourdieus Raumtheorie waren seine frühen ethnologischen Studien über das kabylische Haus, als Ort der Gegensätze, die symbolisch aufgeladen sind und durch mythische Vorstellungen immer wieder reproduziert werden. Die Anordnung der Menschen und ihre Zuständigkeiten für bestimmte räumliche Bereiche spiegelten die Gegensätze wider. Jedes Mitglied dieser Gesellschaft erfuhr in seiner Sozialisation diese räumlichen Ordnungen als natürliche und (in Verbindung mit den Mythen und deren symbolischer Bedeutung) als notwendige Ordnung. Ausgehend von diesen Analysen schlussfolgert Bourdieu, dass die Raumordnungen sich als Verhaltensregeln einprägen und so den Habitus und die Reproduktion dieser Strukturen strukturieren (vgl. ebd.: 48-65). Bourdieu beschreibt das Symbolische als konstitutiven Faktor/Effekt im sozialen und physischen Raum.19 Für die Analyse der Ortseffekte der modernen Gesellschaften übernimmt Bourdieu das Denken in Differenzen, die Beachtung der Übereinstimmung zwischen physischem und sozialem Raum sowie die Theorie der Materialisierung der sozialen Hierarchien und Machtverhältnisse in räumlichen Strukturen. Demnach stellt der eingenommene physische Raum einen Indikator für die Stellung eines Akteurs im sozialen Raum dar. Im angeeigneten bzw. zugewiesenen Raum bestätigt sich Macht, und zwar in ihrer subtilsten Form, der symbolischen Gewalt als nicht-wahrgenommene Gewalt (vgl. Bourdieu 1991). Die symbolische Gewalt als nicht-wahrgenommene Gewalt schreibt sich in den physischen Raum und Körper ein. Als Ortseffekte bezeichnet Bourdieu die Wechselwirkungen zwischen „physischem Raum“ (materieller, gebauter Raum, der Mensch als Köper) und „sozialem Raum“ (soziale Hierarchien, Felder und Kapitalsorten). Die Ordnung im physischen Raum spiegelt im Wesentlichen die Ordnung im sozialen Raum wider. Es ist der „Habitus“, der sozusagen das „Habitat“ macht (vgl. ebd.: 32). Die sozialen Distinktionen lassen sich also im physischen Raum beobachten.20
19 Bourdieu definiert dazu keinen eigenständigen Raum-Begriff – wobei es aus meiner Sicht naheliegend wäre gleichfalls von einem „symbolischem Raum“ zu sprechen. Einen solchen Raumbegriff entwickle ich in dieser Arbeit, siehe insbesondere Kapitel „Fragestellung und Methode“ (S. 35-39) sowie die Analyse der Fallbeispiele. 20 Bourdieu bezeichnet die soziale Distinktion im physischen Raum als „Lokalisationsprofite“. Er differenziert diese in eine Situationsrendite (Nähe erstrebenswerter Güter, kurze Wege/Zeitersparnis), eine Okkupations- und Raumbelegungsrendite (es werden physische Räume besonderen Charakters und bestimmter Ausmaße belegt; z.B. großes Anwesen fern von Fabriken, lauten Straßen) und eine Rang- und Positionsrendite
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Bourdieu sieht eine Wechselbeziehung zwischen der Logik des Ortes und der Reproduktion sozialer Ungleichheiten (vgl. Löw 2008a: 80). Die „Ortseffekte“ betreffen auch jene Deutungsmuster, Praktiken und Machtfigurationen, die an bestimmten Orten höhere Plausibilität aufweisen als an anderen Orten. In ihrer Theorie der Eigenlogik der Städte greift Martina Löw die Überlegungen Bourdieus zu den Ortseffekten auf und denkt diese weiter (vgl. Löw 2008a; Berking/Löw 2008). Löws Ansatz ist für meine Überlegungen der Topografie des Möglichen insofern interessant, als er auf eine Offenlegung der Strukturlogik und Disposition der jeweiligen Stadt zielt, um aufbauend darauf neue Handlungsoptionen aufzuzeigen. Es gilt erstens die dominante Disposition der sozialen und kulturellen Beharrungskräfte und Reproduktion in einer Stadt zu skizzieren, um in Relation dazu die andere Seite der Stadt, jene der Positionen der Infragestellung des Bestehenden und des Möglichkeitssinns zu skizzieren: durch das Erfassen/Collagieren/Kartieren der jeweiligen Topografie(n) des Möglichen. 2.1.5 Habitus und Eigenlogik der Stadt Laut Martina Löw gibt es in jeder Stadt einen tradierten und tradierbaren relationalen Sinnzusammenhang, der das Handeln der Individuen und Gruppen beeinflusst und der als Eigenlogik bzw. als Habitus einer Stadt bezeichnet werden kann (vgl. Löw 2008a: 66). Löw greift auf das durch Pierre Bourdieu geprägte Habitus-Konzept zurück, welches bereits von Martyn Lee (1997) sowie Rolf Lindner und Johannes Moser (vgl. Lindner 2003; Lindner/Moser 2006) auf die Stadt übertragen wurde, grenzt sich davon jedoch auch ab. Laut Löw (2008a) sei eine Übertragung des Habitus-Begriffs auf den städtischen Kontext eine Gleichsetzung von Körper und Stadt, was wiederum mit Franz Bockrath (2008) zu einem „vereinfachenden Anthropomorphismus“ führen kann (vgl. Frank 2012:
(„gute Adresse“, Nachbarn mit ebenfalls hohen Kapitalien) (vgl. Bourdieu 1991). Soziale Segregation äußert sich dabei im „Club-Effekt“ (wertet auf) sowie im „GhettoEffekt“ (wertet ab): Ein stigmatisierter Stadtteil bspw. degradiert symbolisch jede/n einzelne/n der BewohnerInnen, die wiederum den Stadtteil degradieren, weil sie die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine angesehene Position im Sozialraum nicht erfüllen (vgl. Bourdieu 1997b: 166). Bourdieu stellt hier die Annahme in Frage, dass die soziale Annäherung, die „Kohabitation“ von im sozialen Raum fern stehenden AkteurInnen an sich schon soziale Annäherung und Desegregation bewirken könne (vgl. Bourdieu 1991: 32).
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292).21 Doch sind sich die Theorie der Eigenlogik von Städten sowie des Habitus einer Stadt durchwegs ähnlich, da beide darauf zielen gewachsene Bedeutungsstrukturen in einem jeweiligen Stadtkontext herauszuarbeiten. In diesem Sinne bieten beide Ansätze eine gebündelte Perspektive von „anthropology of the city“ und „anthropology in the city“, insofern sie es vermögen, Detailstudien innerhalb einer Stadt mit der gesamten Funktionsweise der Stadt als spezifischem sozialem Organismus zu verknüpfen. Eigenlogik bezeichnet dabei die verborgenen Strukturen einer Stadt als vor Ort eingespielte, zumeist stillschweigend wirksame Prozesse der Sinnkonstruktion. Es sind „lokalspezifische Strukturierungen, die den Charakter der Städte, ihre Atmosphären, aber auch ihre Handlungs- und Problemlösungskapazitäten bestimmen und damit Lebenswege von Menschen vorstrukturieren.“ (Löw 2008a: 64) Laut Löw wirkt sich die Eigenlogik einer Stadt auf die Erfahrungsmuster ihrer BewohnerInnen aus (vgl. ebd.: 80). Diese These ist nicht neu, doch wurde sie zuvor nie systematisch weiterverfolgt. Dabei wird angenommen, dass die BewohnerInnen einer Stadt, quer zu den Milieus einer Stadt, gemeinsame Praxisformen ausprägen (vgl. ebd.: 82). Ortsspezifische routinierte und habitualisierte Praxen entstehen im Rückgriff auf historische Ereignisse, materielle Substanz, technologische Produkte, kulturelle Praktiken sowie ökonomische oder politische Figurationen (vgl. ebd.: 77). Laut Löw bezeichnet die Eigenlogik der Stadt „ein Ensemble zusammenhängender Wissensbestände und Ausdrucksformen, wodurch sich Städte zu spezifischen Sinnprovinzen verdichten.“ (Ebd.: 78)22 Zentrale Fragen sind in diesem Zusammenhang: Wie strukturiert der Ort das Handeln und wie das Handeln den Ort? Welches Wissen über lokale Potenziale existiert? Welche Erzählungen kursieren über welche Städte? Ziel von Löws Theorie ist es, durch die „Offenlegung der Strukturlogik einer Stadt“ auch den Blick für die Potenziale der jeweiligen Stadt „zu stärken und neue Handlungsoptionen aufzuzeigen.“ (Ebd.: 139) Dazu schlägt sie vor, die Stadt wieder stärker über den Raum zu bestimmen, wobei dieser nicht territorial, sondern relational gedacht wird (vgl. ebd.: 49). In Städten würde, laut Löw, das Denken in Diffe-
21 Einen Überblick zum Ansatz der Eigenlogik der Städte bietet (Frank 2012). 22 Zur Bestimmung der Eigenlogik orientiert sich Löw an den Kategorien „Dichte“ und „Sinnprovinz“. Eine Stadt wird als eigene Sinnprovinz denkbar, deren Logik sich qualitativ über Verdichtung sowie Heterogenität bestimmt (vgl. Löw 2008a: 70). Dabei bezieht sich Löw auf die von Louis Wirth (1938) formulierten Kriterien für Urbanität „size“, „density“ und „heterogeneity“.
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renzen gefördert, da räumliches Denken Gefüge nicht zeitlich nacheinander, sondern in ihrer Gleichzeitigkeit, nebeneinander denkt. Der Ansatz der Eigenlogik von Städten will die kreative Kraft zur Strukturierung von Praxis in den Blick rücken und gleichzeitig „die dauerhaften Dispositionen hervor[heben], die an die Sozialität und Materialität von Städten gebunden sind.“ (Ebd.: 79) Somit thematisiert der Ansatz sowohl die Beharrungskräfte als auch die Potenziale für Transformation. Raum relational zu denken, wie dies Löw vorschlägt, impliziert das Berücksichtigen der Wechselwirkungen zwischen sozialem und physischem Raum sowie der Ebene der Bedeutungskonstruktion. Trotz dieses Selbstverständnisses wurde der Eigenlogik-Ansatz von Seiten der kritischen Stadtforschung grundlegend hinterfragt: Die zentrale Kritik bezieht sich auf den Vorwurf des Determinismus in Bezug auf die Vorstellung einer „dauerhaften Disposition“ von Städten (vgl. Kemper/Vogelpohl 2011a, b, 2013; Wietschorke 2012; Laister/Lipphardt 2015). 2.1.5.1 Kritik am Ansatz der Eigenlogik von Städten Die Eigenlogik-Perspektive wende sich, laut Jan Kemper und Anne Vogelphol, von einer kritischen Stadtforschung ab, da sie den Themenkomplex Stadt nicht im Kontext politisch-ökonomischer und allgemeiner soziokultureller Entwicklungen analysiere (vgl. Kemper/Vogelpohl 2013: 8). Als problematisch wird u.a. erachtet, dass der Eigenlogik-Ansatz durchwegs Parallelen zu den Interessen des Stadtmarketings aufweise, da es in der internationalen Städtekonkurrenz gerade um die Vermarktung von (angeblichen) „kulturelle[n] Eigenart[en]“ (Löw 2010: 606, zit.n. Kemper/Vogelpohl 2013: 9) von Städten gehe. Die Kritik von Kemper und Vogelpohl richtet sich zudem gegen die „konzeptionelle Herangehensweise an den Forschungsgegenstand Stadt“, nämlich die Frage „Was ist Stadt?“ sowie die „Betonung von Unterschieden zwischen Städten“ und „Ausführungen über gefühlte und erlebte Räume“ (Kemper/Vogelpohl 2013: 9). Der EigenlogikAnsatz blende dabei die sozialen Ungleichheiten und Differenzen im Sinne sozialer und politischer Kräfteverhältnisse aus (vgl. ebd.: 12). Kemper und Vogelpohl stellen dem eigenlogischen Ansatz drei aus ihrer Sicht notwendigen Schritte für eine kritische Stadtforschung gegenüber: „Für eine kritische Stadtforschung schlagen wir vor, (a) ‚Stadt‘ nicht als dauerhaft definiert und nicht als erklärend für sozialräumliche Verhältnisse zu begreifen, (b) auch Städte als Räume zu konzipieren, die sich im gegenseitigen Wechselverhältnis mit Gesellschaft konstituieren, (c) mit einem Konzept von Differenz, das Unterschiede sozial erklärt, zu arbeiten, wenn Städte als einzigartig erlebte Orte analysiert werden sollen.“ (Ebd.: 7)
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Vor dem Hintergrund dieser Kritikpunkte verstehe ich den Ansatz der Eigenlogik von Städten sowie jenen des Habitus einer Stadt dennoch als hilfreiche Konzepte, um die herrschende Logik und die hegemonialen Bedeutungsproduktionen (in) einer Stadt zu fassen, und als Folie zu nutzen, um Gegennarrative (in) einer Stadt im Kontext der jeweiligen Kräfteverhältnisse zu situieren und sichtbar zu machen. Insofern geht es mir um die Transformationspotenziale im Lebensraum Stadt bzw. um den spezifischen Möglichkeitssinn einer jeweiligen Stadt – dabei verstehe ich den Möglichkeitssinn als gewachsenes und veränderbares Ensemble denkbarer und undenkbarer Handlungsstrategien an je spezifischen Orten. Während die Begriffe „Eigenlogik“ und „Habitus einer Stadt“ den Aspekt des sozialen Raums unterstreichen, hebt der Begriff „Topografie(n) des Möglichen (in) der Stadt“ metaphorisch den (physischen und) symbolischen Raum hervor. Somit verweisen Eigenlogik und Habitus einer Stadt auf die relationale Topografie des Möglichen der Stadt. Einen wesentlichen Teil trägt hierzu das Imaginäre bei. 2.1.6 Community, Identität und symbolische Ortsbezogenheit Dass Orte und Räume konstitutiv für individuelle und kollektive Identitätsbildung sind, ist weithin unangefochten. Die Raumkomponente erscheint dabei als zentral für die Herstellung von Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Seit den Anfängen der Stadtforschung der Chicagoer Schule, die als Wiege der Community Studies gilt, wird das Thema der Gemeinschafts- und Identitätsbildung in der Stadt erforscht. Die Chicagoer Schule rund um Robert Ezra Park untersuchte bereits seit den 1920ern die sozialen Milieus in der Stadt und deren räumliche Segregation. Die „alte“ Chicagoer Schule vertrat die Meinung, dass Community sich nur im Stadtviertel und durch eine dort ansässige homogene Bevölkerung entwickeln könne, dass also der Stadtteil, die räumliche Nähe und Raumkomponente essentielle Faktoren für kollektive Identitätsbildung seien. Seit den 1960ern wurde das geschlossene Territorium zwar weiterhin als Konstante für die CommunityDefinition angesehen, doch die heterogene Bevölkerungszusammensetzung mitberücksichtigt. Eine neue Generation von StadtforscherInnen suchte in der Folge nach ergänzenden Erklärungsmodellen, wobei sie die „Notwendigkeit kollektiver Identitätsarbeit für Stadtbewohner“ anerkannten, jedoch bezweifelten, dass „dies nur in dem urban village ähnlichen Kontexten“ (Welz 1991: 33f.) möglich sei. Festzuhalten ist, dass jede Stadt ihre spezifische historische Genese hat und neben den geografischen Faktoren insbesondere die ökonomischen, sozialen und kulturellen Aspekte unterschiedliche Stadtentwicklungen befördern und insofern
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auch theoretische Erklärungsansätze immer in ihrer Situiertheit zu betrachten sind.23 Im Modell der „social construction of community“ wurde in weiterer Folge der soziokulturelle Hintergrund für die Konstitution von Guppenidentitäten als wichtiger denn die räumliche Koexistenz erachtet. Dennoch wurde dabei angenommen, dass innerhalb der Grenzen eines gemeinsamen Raumes auch sozial und ethnisch gemischte Bevölkerungsgruppen fähig seien, sich den Stadtteil als Identifikations- und Handlungsraum kollektiv anzueignen und ihn folglich als Gemeinschaft sozial zu konstruieren (vgl. ebd.: 34). Anstelle von soziokultureller Herkunft ist heute, laut Gisela Welz, die freiwillige, zielgerichtete Partizipation an neuen Formen der lokalen Öffentlichkeit ausschlaggebend für die Herstellung von Gemeinschaft/Community im Stadtteil.24 Die These der „aspatial community“, also der raumungebundenen Gemeinschaft, vertritt die Ansicht, dass Menschen „verstreut über viele Teile der Stadt leben, aber durch einen gemeinsamen (sub-)kulturellen Zusammenhang – sei er ethnisch, sozioökonomisch, beruflich, religiös oder anderswie begründet – verbunden sind.“ (Welz 1991: 37) Welz plädiert für eine kritische Zusammenschau beider Ansätze: Es gehe darum, sowohl die Allgemeingültigkeit der sozialen Konstruktion von Gemeinschaft, im Modell der „social construction of community“, einzuschränken als auch die räumliche Dimension für Netzwerkansätze einer raumungebundenen Gemeinschaft, im Modell der „aspatial community“, mitzudenken. So kommt man zu einem „Verständnis der Stadt als Konfiguration sozial interpretierter Räume und räumlich definierter Gruppen.“ (Ebd.: 39) Welz verweist diesbezüglich auf Forschungserkenntnisse der Umweltpsychologie und des symbolischen Interaktionismus, die beweisen, dass die symbolische Ortsbe-
23 Nicht jede Theorie lässt sich auf jede Stadt in jeder Zeit übertragen, sondern Theorien haben bis zu einem gewissen Grad ihre je spezifische Anwendbarkeit. 24 Voraussetzung dafür ist laut Welz, dass eine fast zwingende Notwendigkeit besteht, sich miteinander arrangieren zu müssen. Diese Notwendigkeit sei dann gegeben, wenn sich der Stadtteil und seine BewohnerInnen im Verhältnis zur gesamten Stadt in einer prekären wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation befinden. Laut Welz kommt es allerdings nie automatisch dazu, dass eine Bewohnerschaft aufgrund ihrer prekären Situation einen gemeinsamen Handlungs- und Identifikationsraum herzustellen im Stande ist. Als mögliche Hemmer nennt sie das Fehlen von Institutionen lokaler Öffentlichkeit, die Konkurrenzsituation zwischen BewohnerInnen (z.B. Antagonismus zw. ArbeiterInnen und SozialhilfeempfängerInnen) sowie die bauliche und soziale Fragmentierung des Stadtteils (vgl. Welz 1991: 35f.).
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zogenheit, die auch als „place-identity“ bezeichnet wird, eine nicht zu vernachlässigende Komponente städtischen Lebens darstellt (vgl. ebd.: 38). Laut Welz bedarf kollektive Identitätsarbeit auch oder gerade dann, wenn die im Netzwerk (oder in der Szene) beteiligten AkteurInnen verstreut über die Stadt leben, „eines spezifischen Ortes oder einer räumlichen Verankerung.“ (Ebd.) Dieser Ort kann den Gruppenmitgliedern als Treffpunkt sowie als Kristallisationspunkt des sozialen Netzes dienen. Auch David Harvey meint: „The elaboration of place-bound identities has become more rather than less important in a world of diminishing spatial barriers to exchange, movement and communication.“ (Harvey 1993, zit.n. Kwon 2002: 156) Für die kollektive Identitätsbildung ist gleichfalls der imaginäre, utopische Horizont (vgl. Greverus 2009: 234) wesentlich. Insbesondere unter den Begriffen „place-making“ und „politics of place“ werden Fragen der ortsbezogenen Identitätsbildung in der zeitgenössischen Stadtforschung näher verhandelt. 2.1.6.1 „Place-making“ und „politics of place“ Die Frage des „place-making“ ist eine zutiefst politische, denn die Produktion von Raum ist immer auch mit der Reproduktion oder Veränderung von Gesellschaft verbunden (vgl. Pred 1984: 289). Allan Pred hält fest: „Place […] always involves an appropriation and transformation of space and nature that is inseperable from the reproduction and transformation of society in time and space.“ (Ebd.: 279) Aufbauend auf diese Definition von Ort entwickelt er eine Theorie von „place“ als historisch kontingentem Prozess, die sowohl die individuellen Praxen, als auch die strukturellen Bedingungen und ihre gegenseitige Bedingtheit berücksichtigt (vgl. ebd.: 280). Die jeweils vorherrschenden Bedingungen einer bestimmten Raum-Zeit-Formation begrenzen und/oder ermöglichen welche Formen von Wissen an einem bestimmten Ort vorhanden sind und welche Handlungsmöglichkeiten daraus entstehen (vgl. ebd.: 285). In seiner Konzeption von „place-making“ geht es Pred um die Entstehungsbedingungen sowie die Bedingungen für die Reproduktion oder die Transformation von Machtverhältnissen (vgl. ebd.: 289ff.). Die Machtverhältnisse sind nach Pred “the invisible structural cement holding individual, society, and nature in the time-space specific practices by which places continuously become.“ (Ebd.: 289) Pred stellt die Frage nach Reproduktion bzw. Transformation von Orten in Verbindung mit einer Analyse der sozialen Bedingungen und Machtkonfigurationen des jeweiligen Ortes. Auch Kemper/Vogelpohl halten fest, dass gerade entlang von „Streitfragen Orte beschreibbar und ihre Bedeutung für Veränderungen greifbar“ (Kemper/Vogelpohl 2013: 22) gemacht werden können. Dieser Zugang unterscheidet
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sich ganz zentral von jenem der Eigenlogik. Denn jene Forschungen, die die „politics of place“ zentral setzen, gehen davon aus, dass „Orte als dynamische, umkämpfte und veränderbare Prozesse begriffen werden [müssen]“ (ebd.) und erst daraus lokale Besonderheiten erklärbar werden.25 Sie halten diesbezüglich fest, dass sich vorallem in Konflikten zeigt, „wie latentes Wissen über Orte aktiviert und politisiert wird – wie das lokale Umfeld wahrgenommen, wie dieses Wissen artikuliert und vernetzt und eine temporäre Übereinstimmung verschiedener Ortsverständnisse produziert werden.“ (Ebd.) Auch Joseph Pierce, Deborah Martin und James Murphy (2011) halten fest, dass die lokalen und je spezifischen „politics of place making“ Aufschluss darüber geben wie Gemeinschaften bspw. die sozial-räumliche Reorganisierung des urbanen Raums (im Kontext von Gentrifizierung) konzeptualisieren und darauf aufbauend ihre Handlungsstrategien entwickeln (vgl. Pierce/Martin/Murphy 2011: 55). Die Bedingungen für die stetig sich weiterentwickelnden Bedeutungen von „place“ und „place-making“ erklären Pierce/Martin/Murphy anhand des Zusammenwirkens von „place, politics and networks“. Bezugnehmend auf Doreen Massey (2005) sehen sie die sich verändernden Bedeutungen als Resultat der Wechselbeziehungen zwischen sozialen, politischen und ökonomischen Interaktionen zwischen Menschen, Institutionen und Gesellschaftssystem (vgl. Pierce/Martin/Murphy 2011: 59). Daher schlagen sie vor von „relational placemaking“ zu sprechen, um den Netzwerkcharakter von place-making in Bezug auf politische Prozesse des „place-framing“ zu unterstreichen (vgl. ebd.: 54). In dieser Perspektive werden spezifische Orte erst durch die affektive Erfahrung von Verortung (locatedness) im interaktiven sozialen und politischen Prozess hergestellt (vgl. ebd.: 55).26 2.1.6.2 Kreativität und „place-making“ Welche Rolle spielen nun Kreativität und Kunst im Kontext des „place makings“? Und was ist das Besondere, das künstlerische Praxen im Vergleich zu aktivistischen Praxen und Alltagspraxen in Prozesse der Raumaneignung und des place-making einbringen können? Wie können diese unterschiedlichen Strategien verschränkt werden und mit welchen Zielen? In den letzten Jahren werden diese Fragen verstärkt im Kontext transdisziplinärer Projekte der Stadtforschung sowie im Kontext partizipativer Kunstprojekte
25 Siehe weiterführend zu „politics of location“ z.B. (Agnew 1987; Keith/Pile 1993; Wissen/Röttger/Heeg 2008). 26 Siehe weiterführend (Martin 2003; Merrifield 1993).
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und partizipativer Ansätze der Stadtplanung verhandelt. So wird mit dem Begriff „GeoHumanities“ in der gleichnamigen Publikation (vgl. Dear et al. 2011) bspw. das intersektionale Forschungsfeld an der Schnittstelle von Geografie, Geistesund Kulturwissenschaften, Kunst und Aktivismus bezeichnet. In diesem Kontext unterscheidet Michael Dear zwischen „creativity in place“, die sich darauf bezieht inwiefern ein bestimmter Ort bzw. eine raum-zeitliche Formation für das Entstehen kreativer Prozesse förderlich ist, sowie „creativity of place“, welche sich darauf bezieht, in welcher Weise der Raum selbst als Ergebnis kreativer Praxen zu verstehen ist (vgl. Dear 2011: 9). Laut Laister/Lipphardt nehmen KünstlerInnen oft eine aktive Rolle in Prozessen des bürgerschaftlichen Engagements im urbanen Kontext ein: „[…] be it as spokespersons or by creative interventions, and thus provide their communicative potentiality – connecting people and making messages visible and distributable.“ (Laister/Liphardt 2015: 7) Auch Kunstinstitutionen eröffnen zuweilen Möglichkeiten der Partizipation die über den konkreten Kunstraum hinausweisen und somit in Praktiken des place-makings mitwirken: Sie stellen bspw. ihre Räumlichkeiten oder Infrastruktur für organisatorische Treffen zivilgesellschaftlicher und aktivistischer Gruppen zur Verfügung, machen thematische Ausstellungen oder künstlerische Projekte und bringen bestimmte Themen und Statements mit ihrer Stimme als Institution in die Öffentlichkeit (vgl. ebd.: 8) Laut Laister/Lipphardt ist die Beteiligung von AkteurInnen aus dem Kunstfeld an Prozessen des urbanen place-makings sowohl als soziales Phänomen als auch im Kontext theoretischer Debatten seit den 1980er Jahren Thema. Sie nennen als Refernzpunkte bspw. Rosalyn Deutsches (1984) Überlegungen aus der kunsthistorischen Perspektive zur Thematik der „Fine Art of Gentrification“ sowie die künstlerische Publikation von Martha Rosler (1991) zu ihrem Projekt „If You Lived Here: The City in Art, Theory and Social Activism“. In den bis heute sich vervielfältigenden künstlerischen Praxen und theoretischen Überlegungen treten KünstlerInnen entweder als „ungeladene“ oder aber – oftmals im Kontext neoliberaler Governance-Strategien – als „strategisch eingeladene“ „urban placemakers“ in Erscheinung (vgl. Laister/Liphardt 2015: 8)27 Es zeigt sich also, dass im Feld des urban place makings unterschiedliche AkteurInnen aufeinandertreffen und die Ausverhandlung von Interessen und Kräfteverhältnissen im gemeinsamen Aktionsraum Stadt sowohl in alltäglichen, als auch in aktivistischen und künstlerischen Praxen an der Schnittstelle zu staat-
27 Einen Überblick zum Feld der bildenden Kunst geben dazu z.B. (Deutsche 1996; Babias/Könnike 1998; Römer 2002; Grothe 2005; Laister/Markovec/Lederer 2014).
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lich-regulativen Praxen und Marktinteressen stattfindet.28 Dabei können künstlerische und kreative Strategien sowohl für ein Mehr an demokratischer Teilhabe eingesetzt werden als auch im Kontext der Ökonomisierung/Vermarktung von Stadt instrumentalisiert werden. Künstlerische Zugänge sind mittlerweile auch im Kontext transdisziplinärer Stadtforschungsansätze verstärkt präsent. So argumentiert Monika Streule bspw. für eine transdisziplinäre Stadtforschung, die Zugänge aus der künstlerischen sowie der wissenschaftlichen Befassung mit dem urbanen Raum zusammendenkt. Bezugnehmend auf Lefebvres Überlegungen zur künstlerisch-ästhetischen Auseinandersetzung mit Raum, argumentiert sie, dass Kunst nicht als „Extra“ zu verstehen sei, sondern dass man in einer zeitgenössischen Stadtforschung nicht darauf verzichten könne. Aus ihrer Sicht würde die „wissenschaftliche Raumanalyse durch den Einbezug anderer [künstlerischer] Herangehensweisen und Perspektiven an Präzision gewinnen.“ (Streule 2014: o.S.) In Bezug auf die künstlerische Perspektive hält sie fest: „Dabei bringen gerade künstlerische Blicke bislang verborgene oder ausgeschlossene Aspekte in die Betrachtung städtischer Phänomene mit ein. Das bedeutet aber nicht, dass Kunst in der transdisziplinären Forschungspraxis einfach für die Erfassung des Intuitiven, Sinnlichen, Spirituellen zuständig ist, sowenig wie die Wissenschaft allein für das Analytische, das Strukturierende, Rationalisierende verantwortlich sein soll. In einer kritischen transdisziplinären Forschungspraxis wird versucht, gegen dieses dichotome Wissenschaftsverständnis zu arbeiten. Die verschiedenen Forschungspraxen sind dabei nicht nur komplementär, sondern sie durchdringen sich gegenseitig. Dasselbe urbane Phänomen wird von verschiedenen Praxen aus gesehen und analysiert, indem man sich aus anderen Feldern neue methodische und theoretische Zugänge aneignet.“ (Ebd.)
Zur transdisziplinären Erforschung von Stadt an der Schnittstelle von Kunst und Ethnographie ist auch das Kapitel „Stadt als Feld künstlerischer Interventionen“ in der Publikation „Kunst und Ethnographie“ zu nennen (vgl. Binder/NeulandKitzerow/Noack 2008: 15f.). Den Ausgangspunkt bilden verschiedene Fragestellungen und Perspektiven auf Städte als Feld künstlerischer Interventionen. Das
28 Laister/Lipphardt unterscheiden zwischen den drei Dimensionen von Stadt als „habitat“, „polis“ und „sphere of governance“ (vgl. Laister Lipphardt 2015: 7).
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verbindende Element ist „die Frage nach Transfer und Zusammenspiel künstlerischer und ethnographischer Modi der Wissensgenerierung.“ (Binder 2008: 15) 29
2.2 D IE S TADT ALS UMKÄMPFTER R AUM – SICH S TADTRAUM ANEIGNEN 2.2.1 Collage City – die Stadt als urbane Collage Wenn man die Stadt wie Ina-Maria Greverus als Collage versteht, ist sie wie jede kulturelle Collage ein ständiger Prozess von De-Collage und Collage, wobei der ersehnte Funke Poesie meist nur gelegentlich aufscheint (vgl. Greverus 2009b: 236). Die Urbanität einer jeden Stadt kann dabei als Weg in Richtung einer „gekonnten Collage“ und Utopie, aber noch nicht Wunscherfüllung selbst, verstanden werden. Ziel der Stadt als gekonnte Collage ist laut Greverus, „Kommunität“ als „‚Gewissen, Methode und Geisteshaltung‘ einer ganzen Stadt“ zu realisieren (ebd.: 237). Auf dem Weg zur Collage City als gekonnter Collage müsse das „gezähmte Denken“ des Fachspezialisten überwunden werden (vgl. ebd.: 235). Der Begriff „Collage City“ wurde zuvor von Colin Rowe und Fred Koetter ([1975] 2005) geprägt: In ihrem gleichnamigen 1975 erschienen Text greifen sie das Prinzip „Bricolage“ von Claude Lévi-Strauss für den Bereich Architektur und Stadtplanung auf.30 Über das funktionalistische Denken der damaligen Stadtplanung hinausgehend wird hier die Stadt der Postmoderne mit der CollageTechnik assoziiert. Dabei scheint der Begriff „Collage“ auf das Prozessuale im Gegensatz zum Dauerhaften zu setzen, also eine Akzentsetzung in Richtung He-
29 Zur Schnittstelle Kunst, Stadt, Partizipation und Ethnographie ist weiters das von Judith Laister und Anna Liphardt gehostete Panel „pARTiCITYpate“ auf der 13. EASAKonferenz „Collaboration, Intimacy and Revolution: Innovation and Continuity in an Interconnected World“ 2014 in Tallin zu nennen, welches das Spannungsfeld multipler AkteurInnen zwischen Kunst, Aktivismus und Stadtplanung zum Thema hatte. Die Ausgabe des Anthropological Journal of European Cultures, Vol. 24(2), 2015, hat einen Schwerpunkt zum Thema mit Beiträgen des Konferenz-Panels. Weiters von Interesse in diesem Kontext sind Überlegungen zu Kunst und urban Commons, siehe dazu z.B. (Baldauf et al. 2016). 30 Der Aufsatz „Collage City“ wurde bereits im Dezember 1973 verfasst und 1975 publiziert.
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terogenität sowohl im sozialen als auch im physischen Raum darzustellen. In der Vision einer gesellschaftlichen und urbanen Utopie sehen die Autoren die Rolle des Architekten als zentral an, da dieser dem Handwerk des Materialisierens und Gestaltens von Wünschen und Hoffnungen in der gebauten Welt nachgeht. Sie definieren die Arbeit des Architekten als eine dem Bricoleur ähnliche Tätigkeit bzw. situieren sie diese zwischen dem ExpertInnentum und der Tätigkeit des Bricoleurs, entsprechend Claude Lévi-Strauss’ Überlegungen zum Künstler im „Wilden Denken“ (vgl. Lévi-Strauss [1962] 1973). Laut Rowe/Koetter sind Architektur und Urbanismus Felder, die sich zwischen dem „domestizierten“ Expertentum und dem „wilden Denken“ des Bricoleurs/Bastlers bewegen (vgl. Rowe/Koetter [1975] 2005: 388). Sie plädieren für ein Verständnis von Stadtplanung als Bricolage, denn die Zukunft hänge von nicht-perfekten Handlungen im Hier und Jetzt ab, und so sollten auch die Stadtplanung und Architektur verstanden werden.31 Sie sprechen sich für die Übertragung der künstlerischen Collage-Technik auf das Feld der Stadtplanung und des urbanen Lebens aus. Dabei heben sie den ironischen Charakter der CollageTechnik hervor und wollen einer utopischen Politik eine utopische Poesie entgegensetzen, die spielerisch und in Bewegung bleibt und nicht festschreibt. Die Collage-Technik sehen Rowe/Koetter als Möglichkeit für „utopische Poesie“ („utopian poetics“) ohne sich den aus ihrer Sicht bestehenden Totalitätsansprüchen „utopischer Politik“ („utopian politics“) aussetzen zu müssen: „[…] because collage is a method deriving its virtue from its irony, because it seems to be a technique for using things and simultaneously disbelieving in them, it is also a strategy which can allow Utopia to be dealt with as image, to be dealt with in fragments without our having to accept it in toto, which is further to suggest that collage could even be a strategy which, by supporting the Utopian illusion of changelessness and finality, might even fuel a reality of change, motion, action and history.“ (Rowe/Koetter [1975] 2005: 395, H.i.O.)
31 Wenn das Collagehafte als das nach und nach Gewachsene verstanden wird, dann kann dieser Charakter in den klassischen Städten eher gefunden werden, als dies in von Grund auf neu geplanten Städten der Fall ist. Das Aufgreifen des Collagegedankens ist dabei nicht als rückwärtsgewandte Romantisierung der über Jahrhunderte gewachsenen Städte zu verstehen, sondern als Kritik am Bestehenden (an der modernen Stadtplanung) und als der Zukunft zugewandte Utopie.
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Rowe/Koetter wenden sich gegen reduktionistische Utopie-Modelle. Sie kritisieren den Anfang der 1970er Jahre vorherrschenden Zugang, Gebäude als „prophetische“ Gebilde anzusehen. Dabei stellen sie dem Ansatz, Gebäude als „theater of prophecy“ zu betrachten, jenen Ansatz gegenüber, der Gebäude als „theater of memory“ versteht. Diese für die moderne Architektur wichtige Differenzierung schlagen sie vor, um ein neues Verständnis von Architektur und Stadtplanung zu ermöglichen (vgl. ebd.: 380). Gleichzeitig stehen die beiden Perspektiven für zwei Konzepte von Utopie: Utopie als kontemplativer Gegenstand und Utopie als Werkzeug für sozialen Wandel. Rowe/Koetter kritisieren in weiterer Folge das damals präsente Utopie-Paradigma als Totalitätsanspruch der Schaffung einer idealen Welt. Sie meinen, dass in allen Utopie-Projektionen etwas von „totaler Politik“ enthalten sei und dass „Utopie“ niemals mehrere Alternativen anbiete, sondern eine ideale Gesellschaft erschaffen wolle. Dieser Aspekt einer idealen Gesellschaft habe auch für die Arbeit der ArchitektInnen immer eine Rolle gespielt, insofern diese gute, bessere oder ideale Gesellschaft in den Gebäuden (also im gebauten Raum) sichtbar werden sollte (vgl. ebd.: 383). Mit Verweis auf Karl Poppers Anti-Utopismus legen Rowe/Koetter jedoch nahe, dass es statt der Suche nach einer einzigen, großen und allumfassenden Lösung zielführender sei, in Architektur und Stadtplanung die Zusammenschau unterschiedlicher Ansätze zu kombinieren. Als Bild für diesen Zugang wählen sie die „Villa Adriana“ des alten Roms, die, wie sie meinen, der heutigen Idee einer Collage entspricht, nämlich der Kombination verschiedenartiger Baustile und symbolischer Referenzpunkte. In der Zwischenkriegszeit galt der/die Architekt/in als Schlüsselfigur für gesellschaftliche Veränderung. Dabei wurde die Stadt als Ergebnis bzw. Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse aufgefasst. In diesem Kontext ist das utopistische totale Design von Städten zu sehen, welches laut Rowe/Koetter in den 1970er Jahren noch immer das Substrat von stadtplanerischer Theorie und Praxis darstellte (vgl. Rowe/Koetter [1975] 2005: 386). Die Autoren setzen diesem in ihren Augen hermetischen und veralteten Diskurs und eine Auffassung der ArchitektInnen als BastlerInnen und von Architektur als Bricolage/Bastelei entgegen. Lévi-Strauss’ Beschreibung des Bastlers würde ihrer Ansicht nach viel eher auf die Praxis der ArchitektInnen zutreffen (vgl. ebd.: 387f.). Weiter stellen sie eine Analogie zwischen „scientific city planning“ und „scientific politics“ her, doch ebenso wie Politik sei auch Stadtplanung von nicht-perfekten Handlungen im Hier und Jetzt geprägt. In der Gegenüberstellung von „progessivist total design“ und „culturalist bricolage“ fragen sie, ob es nur diese beiden Alternativen gibt. Totales Design würde auch totale Kontrolle bedeuten, was sie ablehnen. Bricolage müsste als Alternative berücksichtigt werden. In diesem Sinne wollen
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sie Bricolage als Erkenntniszugang neben Wissenschaft, wie dies Lévi-Strauss vorschlägt, reetablieren und in ihrem dialektischen Verhältnis für die Stadtplanung als Zugang nutzen. Demokratie verstehen sie als die Kollision unterschiedlicher Meinungen (also als Dissens). Insofern fragen sie, warum nicht auch für die Stadtplanung eine Theorie entworfen werden sollte, die mit gegensätzlichen, aber sich ergänzenden Aspekten arbeitet. In ihrem Ansatz einer „Collage City“ geht es ihnen auch um eine „Rückeroberung von Zeitlichkeit“ (vgl. ebd.: 389f.) und um eine Kritik am Fortschrittsparadigma sowie der linearen Zeitlichkeit. Denn durch eine CollagePerspektive wird es möglich, unterschiedliche Sequenzen bzw. Sequenz und Chronologie experimentell zu betrachten (vgl. ebd.: 391f.). Ausgehend von LéviStrauss’ Aussage, dass die Mode der „Collagen“ in den modernen Gesellschaften aufkam als das Handwerk zu sterben begann und Bricolage damit in den Bereich der Kontemplation zurückgedrängt wurde, wollen Rowe/Koetter Bricolage bzw. Collage als Technik und Geisteszustand restituieren und damit die modernen Gesellschaften und insbesondere die Stadtplanung erneuern. Der Collage-Ansatz würde es zudem erlauben, nicht nur eine, sondern unterschiedliche Visionen zu verfolgen und deren Verschränkungen sowie unterschiedliche Perspektivierungen zu berücksichtigen. Damit würde der CollageAnsatz es ermöglichen, „utopian poetics“ zu genießen, ohne den aus Sicht der Autoren bestehenden Totalitätsansprüchen der „utopian politics“ ausgesetzt zu sein. Sie verstehen Collage als Strategie, um mit Utopie als Bild/ Metapher umzugehen, bzw. für ein neues/anderes Verständnis von Utopie und der Möglichkeit, mit Fragmenten (von Utopie) zu arbeiten, um dadurch eine Gegenwart voller Veränderung, Bewegung und Aktion sowie letztlich Geschichte zu ermöglichen (vgl. Rowe/Koetter [1975] 2005: 395). Auch Lucien Kroll ([1994] 2005) fragt Anfang der 1990er Jahre, bezugnehmend auf das „wilde Denken“ von Lévi-Strauss, danach, wie man die Urbanistik de-rationalisieren könne – denn man müsse sehr an sich arbeiten, um wieder spontan zu werden, „organisierend jenseits unserer totalitären Planungsapparate.“ (Ebd.: 447) Im Hinblick auf das häufig stark technokratische Arbeiten in Architektur und Stadtplanung hebt Kroll hervor, dass es „vor allem die soziale Ökologie [sei], die das Stadtgewebe erhält.“ (Ebd.: 448) Er plädiert für einen Zugang, der mehr „lebendige Unordnung“ (ebd.: 447) gewährt: „Das Konglome-
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rierte, das empathisch Städtische, das Gegensätzliche sind die Embleme eines sozialen Mosaiks“ (ebd.: 451) welches die Stadt konstituiert.32 2.2.2 Die Lesart des Möglichen (Henri Lefebvre) Laut Lefebvre gibt es unterschiedliche Arten, eine Stadt zu lesen: Neben einer „morphologischen“ Lesart (der GeografInnen und UrbanistInnen) und einer „technologischen“ Lesart (des Verwalters, des Politikers, „der nach Mitteln zur Intervention sucht“) nennt er eine „Lesart, die sich am Möglichen (und Unmöglichen) orientiert.“ (Lefebvre 1972b: 124) Dabei kommt das Thema „Aneignung“ zum Tragen, denn für Lefebvre wird durch Raum-Aneignung eine Beziehung zum Möglichen und Imaginären aufgebaut. Die Raumaneignung gilt ihm als Schlüssel für gesellschaftliche Transformation. Lefebvre hält fest: „The transformation of society presupposes a collective ownership and management of space founded on the permanent participation of the ‚interested parties‘, with their multiple, varied and even contradictory interests.“ (Lefebvre 1974: 422) Da der Raum selbst zur Ware geworden sei, müsse Widerstand hier ansetzen. Der Kampf um die Selbstverwaltung der Stadt habe den Kampf um die Selbstverwaltung der Fabrik abgelöst. Die Stadt wird hierbei als soziale Fabrik bzw. als Fabrik physischer, sozialer und symbolischer Räume und Produktionsort in der postfordistischen Ökonomie verstanden.33 Henri Lefebvre schreibt in „Die Revolution der Städte“ (1972b), dass die Produktion des Raums an sich nichts Neues sei, neu sei jedoch die globale und totale Dimension dieses Prozesses: „Herrschende Gruppen haben schon immer den einen oder anderen Sonderraum produziert [...]. Neu ist die globale und totale Produktion des sozialen Raums. [...] die [kapitalistische] Eroberung des Raums war eine neue Eingebung; banal ausgedrückt sind darunter
32 Unordnung kann als Ausdruck von Komplexität verstanden werden und das Leben selbst ist wiederum komplex. So schließt sich der Kreis, wenn Kroll fordert, das Städtische als „lebendige Unordnung“, also in seiner Komplexität zu denken. 33 Im Kontext des Postfordismus wird seit den 1970er Jahren nicht mehr die industrielle Fabrik, sondern die Stadt als „soziale Fabrik“, als jener gesellschaftliche Ort bezeichnet, an dem ökonomischer Mehrwert produziert wird und die sozialen Kämpfe stattfinden. Die operaistischen und postoperaistischen Analysen der Verwandlung des „operaio massa“ (Massenarbeiters) zum „operaio sociale“ (sozialen Arbeiters) bereiten den Weg für die weitere Analogie der Stadt als „sozialer Fabrik“ (vgl. Negri 2007).
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Bodenspekulation, Hoch- und Tiefbau (innerhalb und außerhalb der Städte), Kauf und Verkauf des Raums zu verstehen: und zwar auf Weltebene.“ (Ebd.: 165)
Der Raum selbst sei zur Ware geworden, denn der gesamte Raum gehöre nun „in den Bereich der Produktion, ist Produkt durch Kauf, Verkauf, Austausch der Teile des Raums.“ (Ebd.: 164f.)34 Hieran schließt sich die Frage an, wo in der Produktion und Kommodifizierung des Raums Platz für Öffentlichkeit, also für politische Artikulation, ist. Henri Lefebvre sieht die Straße als Verortung der Öffentlichkeit. Die Straße sei Unordnung und widersetze sich somit der Kontrolle/Disziplin.35 Lefebvre beschreibt ihre Funktion wie folgt: „[Die Straße] dient der Information, ist Symbol und ist zum Spiel notwendig. Auf der Straße spielt man, lernt man. [...] Auf der Straße und durch sie manifestiert sich eine Gruppe (die Stadt selber), bringt sich zum Ausdruck, macht sich die Örtlichkeit zu eigen, setzt eine Raum-Zeit-Beziehung in die Wirklichkeit um.“ (Lefebvre 1972b: 25)
Dabei spannt Lefebvre einen Bogen von der Selbstbestimmung in der Industrie zur Selbstbestimmung im Städtischen: „Die Probleme der urbanen Selbstbestimmung sind ähnlich denen, die bei der Selbstbestimmung der Industrie auftreten, ja, sie sind sogar größer.“ (Ebd.: 160) Doch sieht Lefebvre eine spezifische Chance für die verstädterte Gesellschaft, die sich im Gegensatz zur Industriegesellschaft am Möglichen orientiert:
34 Diese Einschätzung Lefebvres fand bspw. eine deutliche Bestätigung im Platzen der US-Immobilienblase 2007 und in der folgenden Finanzkrise. 35 In Anbetracht der Entwicklungen in Richtung einer massiven Überwachung des öffentlichen Raums in den vergangenen Jahrzehnten erscheinen Lefebvres Überlegungen aus den 1970er Jahren auf den ersten Blick überholt. Doch sind parallel zu den oder auch bewusst als Reaktion auf die Kontrollmechanismen (bspw. exzessive Videoüberwachung im öffentlichen Raum) ebenso neue Formen der temporären Raumaneignung entstanden, wie bspw. die „Reclaim the Streets“-Partys und -Bewegung sowie die „Temporären Autonomen Zonen“, die als Theorie und Praxis den von Hakim Bey 2003 geprägten Begriff aufgreifen. In Zusammenhang mit den neuen Medien entwickelte sich bspw. die Strategie der Flashmobs. Auch die kreative Aneignung, als Gestaltung des öffentlichen Raums, durch Strategien wie „Guerilla Knitting“ oder „Guerilla Gardening“ prägt ein neues Verhältnis von Stadt und Spiel, das durchaus im Sinne Lefebvres gesehen werden kann.
120 | K REATIVITÄT UND T EILHABE IN DER STADT „Wenn es stimmt, dass in der industriellen Epoche das ‚Wirklichkeitsprinzip‘ das ‚Lustprinzip‘ völlig ausschaltete, dann ist offenbar in der verstädterten Gesellschaft der Augenblick gekommen, wo das Lustprinzip Rache nehmen kann.“ (Ebd.: 93)36
Mit Verweis auf das „Lustprinzip“ kehrt Lefebvre hier einen Aspekt der postfordistischen Ökonomie und postfordistischen Stadt hervor, den Guy Debord (1967) als „Gesellschaft des Spektakels“ bezeichnete: die Zentralität der Kulturindustrie als gesellschaftliches Paradigma der Unterhaltung sowie als vorherrschenden ökonomischen Sektor. Hedonismus und die Ökonomie der Symbole (vgl. Zukin 1998) stellen gewissermaßen zwei Seiten der postfordistischen Gesellschaft dar.37 Der Möglichkeitssinn ist in der postfordistischen Gesellschaft also sowohl an den Raum als auch an das Kulturfeld, die kulturelle Produktion, gekoppelt. Aufgabe der KünstlerInnen ist es nach Lefebvre, „das Imaginäre hinter der räumlichen Praxis des Alltags freizusetzen und so utopische oder zumindest alternative Räume jenseits einer kapitalistischen Raumlogik überhaupt vorstellbar zu machen.“ (Steets 2008: 72) Was wäre nun das Positive am Rachefeldzug des Lustprinzips? Ein mögliches Szenario schuf die „Situationistische Internationale“ (S.I.) mit ihrer Theorie und Praxis des „unitären Urbanismus“. Ihre teils surrealistisch inspirierten Methoden der Stadtforschung wurden mittlerweile sowohl im Diskurs der Stadtforschung/ und -planung als auch im Kunstdiskurs breit aufgenommen. 38 Diese breite Rezeption betrachtet Jaques Rancière durchaus kritisch. Laut Rancière deuten die Diskurse über die Krise der Kunst darauf hin, „dass auf dem Feld des Ästhetischen heute ein Kampf ausgetragen wird, der gestern noch den Verspre-
36 Hierzu gilt es, die Präzisierung vorzunehmen, dass Lefebvres Verknüpfung von „Verstädterung“ und „Lustprinzip“ im Sinne einer Vormachtstellung der Kulturindustrie in bestimmten Städten stärker zutrifft als in anderen. Der Urbanisierungsprozess selbst ist in unterschiedlichsten Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen seit dem Mittelalter im Gange, doch die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklungsstadien im globalen Kontext lässt auch die Möglichkeit der Rachenahme des Lustprinzips in bestimmten glokalen Kontexten plausibler erscheinen als in anderen. 37 Auch der italienische Philosoph Paolo Virno (2005) sieht in der Verfasstheit der postfordistischen Ökonomie – durch die Zentralität der geistigen und kreativen Arbeit – sowohl das Potenzial der Befreiung als auch der totalen Unterwerfung. 38 Siehe z.B. die Zeitschrift für Stadtforschung „dérive“, die ihren Titel in Anlehnung an eine situationistische Methode wählte.
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chungen der Emanzipation und den Illusionen und Enttäuschungen der Geschichte galt.“ (Rancière 2008a: 22) Hierfür symptomatisch sieht er die Entwicklung des situationistischen Diskurses, „der aus einer avantgardistischen künstlerischen Bewegung der Nachkriegszeit hervorgegangen war, in den sechziger Jahren zur radikalen Kritik der Politik wurde und heute von der Gewöhnlichkeit jenes Diskurses aufgesogen wird, der die bestehende Ordnung ‚kritisch‘ verdoppelt.“ (Ebd.) Doch was bleibt von der situationistischen Theorie des unitären Urbanismus, trotz eventueller „kritischer Verdoppelung“, als Handlungs- und Denkansatz für gesellschaftliche Transformation und eine Topografie des Möglichen (in) der Stadt von Interesse? 2.2.3 Unitärer Urbanismus – die Situationisten und die Stadt Den Stellenwert der situationistischen Theorien für die Stadtforschung und entwicklung hat Tom McDonough in seinem Buch „The Situationists and the City“ (2009) eingehend herausgearbeitet.39 Die situationistische Theorie des „unitären Urbanismus“ ist eine Theorieentwicklung zwischen Kunst, Wissenschaft und politischem Aktivismus, die eine ganzheitliche Perspektive auf die Stadt als Raum des alltäglichen Lebens einzunehmen versucht. Dabei wird eine Verschiebung in der Wahrnehmung und Perspektivierung von Urbanismus angestrebt: Urbanismus wird nicht als ein Expertenfeld von UrbanistInnen und StadtplanerInnen verstanden, sondern als ein gemeinschaftlicher Raum, den es gemeinschaftlich zu gestalten gilt. Im Zuge der Kritik am funktionalistischen Stadtbild und an der Stadtplanung als abgehobenem Feld waren es jene Ansätze, die den Alltag und die BewohnerInnen (und NutzerInnen) der Stadt ins Zentrum rückten, die wichtige Impulse für das heutige Verständnis von Stadt- und Raumplanung gaben. In Anlehnung an die Überschreitung und Auflösung der Grenze von Kunst und Leben in der Stadt durch die S.I. geht es mir darum, Kreativität als sozial gestaltende Kraft im Lebensraum Stadt zu verstehen. Der unitäre Urbanismus dient mir dabei als Bezugspunkt, insbesondere in seiner Eigenschaft eines grenzüberschreitenden Denkens, das Teilhabe und Aneignung sowie einen veränderten urbanen Alltag zum Ziel hat. Laut Tom McDonough (2009) hatte sich die Situationistische Internationale der Kritikerrolle verschrieben und entwickelte in der ersten Hälfte der 1960er Jahre eine der überzeugendsten Analysen linker Provenienz der zeitgenössischen
39 Im Buch sind Originaltexte der Situationistischen Internationale publiziert, die von einer umfangreichen Einleitung durch McDonough kontextualisiert werden.
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Stadtplanung (vgl. ebd.: 22). Kritikpunkt der S.I. an der damaligen Stadtplanung war, dass diese in der Form riesiger Wohnblockanlagen nichts weniger als die Verdinglichung der hierarchischen Organisation des fortgeschrittenen Kapitalismus darstellen würde. In der Zeitschrift „Internationale Situationniste“ ist 1961 zu lesen: „Until it merges with a general revolutionary praxis, urbanism is necessarily the first enemy of all possibilities for urban life in our time. It is one of those fragments of social power that claim to represent a coherent totality, and which tend to impose themselves as a total explanation and organization, while doing nothing except masking the real social totality that has produced them and which they preserve.“ (o.V. 1961, zit.n. McDonough 2009: 149f.)
McDonough schreibt dazu: „This impoverished urban form was for them as distant from the traditional city – the space of heterogeneity, of encounter, of freedom, in a word – as it was from the rural landscape of the past.“ (McDonough 2009: 24) Laut McDonough hat die situationistische Kritik an der „Konsumentengesellschaft“ und der „Gesellschaft des Spektakels“ auch heute noch Aktualität. Zwar habe sich seit den 1960er Jahren einiges verändert, doch seien die konkreten kollektiven Räume, die die S.I. in ihren Texten evozierte, noch immer nicht Realität geworden (vgl. ebd.: 30). Den Situationisten ging es im unitären Urbanismus sowohl um Neuentwürfe des gebauten Raums als auch um eine neue Interpretation des sozialen Raums in der Stadt. Die Überlappungen und Wechselwirkungen zwischen sozialem und physischem Raum waren der Ausgangspunkt, das Zentrum der Überlegungen. Die S.I. entwarf und erprobte ein Set an Methoden, um den Stadtraum zu erforschen und zugleich neu zu erleben und umzucodieren. Zu diesen zählten Dérive (Umherschweifen)40, Détournement (Zweckentfremdung)41 sowie Psychogeogra-
40 „Dérive“, das ziellose und forschende Umherschweifen in beweglichen Szenerien, sollte laut der S.I. zukünftig eine „alle Lebensbereiche erfassende Bedeutung bekommen“ (Ohrt [1990] 1997: 75). Ein Dérive-Experiment konnte bspw. darin bestehen, „ein bekanntes Viertel nach den Stationen zu durchqueren, die weißen Rum ausschenken, um aus dieser Perspektive die Straßen zu peilen und das Verhalten der Ortsansässigen zu bestimmen, das konnte die Parole des Tages sein.“ (Ebd.) 41 „Détournement“ wird zumeist mit Umleitung, Zweckentfremdung bzw. Entwendung übersetzt, wobei das Ziel oder die Zielrichtung im Moment, in der Aktion des „Dé-
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fie (Kartierung)42. Diese Techniken bzw. Methoden führte die S.I. in der Theorie des unitären Urbanismus zusammen: „Das Ziel der S.I. war es, durch die permanente Konstruktion von Situationen eine neue urbane Realität zu schaffen, die sich signifikant vom kapitalistisch durchdrungenen Urbanismus unterschied.“ (Steets 2008: 227; H.d.A.) Es geht dabei um die Veränderung des sozialen Raums einer Stadt durch die Herstellung von unüblichen, neuen (nichtfunktionalen) Situationen. Das Konzept „sozialer Raum“ („social space“) stellt eine zentrale Kategorie der Situationisten dar und repräsentiert einen Raum für sozialen Austausch und Begegnung; insofern unterscheidet sich das Konzept der S.I. von Pierre Bourdieus soziologischer Kategorie des sozialen Raums .43 Nicht, wie sonst in der Architektur üblich, das Haus, sondern die Situation sowie die Herstellung der Situation werden als Kernelement und als kleinste Einheit des Urbanismus verstanden – die kleinste Einheit liegt also im sozialen Raum. Nicht der gebaute, physische Raum, sondern die Herstellung von sozialem Raum ist der Ausgangspunkt. Die Konstruktion von Situationen versteht Debord als zentrale Methode des unitären Urbanismus, in der Kunst, Architektur, Theorie und Alltag zusammenkommen: „The most reduced element of unitary urbanism is not the house but the architectural complex, which is the union of all the factors conditioning an environment, or a sequence of environments colliding at the scale of the constructed situation.“ (Debord 2009: 95; H.d.A.) Das Zusammenführen von Kunst und Leben bezeichnet die S.I. als „integrale Kunst“. Diese könne sich nur auf der Ebene des Urbanismus materialisieren und würde dabei keiner bisher geltenden Definition von Ästhetik entsprechen. Die Zusammenführung von Kunst und Leben im Stadtraum bedürfe also auch eines neuen Verständnisses von Ästhetik (vgl. ebd.: 94). In diesem Kontext versteht Debord die Aktivitäten der S.I. als experimentelle Forschung: „We are merely proposing experimental research, which will collectively lead in a few directions that we are
tournement“ vielleicht gar nicht klar ist, sondern sich erst im Verlauf des Aneignungsprozesses herausstellen kann. 42 Als „Psychogeografie“ bezeichnet die S.I. die aus ihren Stadtexplorationen entstehenden Kartierungen (vgl. McDonough 2009: 109), in denen die subjektive Wahrnehmung und das psychische Erleben des Stadtraums Ausgangspunkt der räumlichen Darstellung sind. 43 Constant stellt sich diesen konkreten „social space“ als gigantische Hallen (eventuell für Massenveranstaltungen und Megaevents) vor, die miteinander verbunden sind und durch verschiebbare Wände maximale Flexibilität in der Nutzung erlauben (vgl. Constant 2009b: 121).
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in the process of defining, and in others which have yet to be defined.“ (Ebd.: 98)44 2.2.3.1 Die transformative Rolle der Kunst im unitären Urbanismus Die „Situationistische Internationale“ zielte auf eine Integration der Kunst in die alltägliche Lebenspraxis und damit auf eine Neupositionierung des Künstlers/der Künstlerin in der Gesellschaft ab. Diese Verwirklichung der Kunst durch eine permanente Revolutionierung des Alltagslebens sollte über die Konstruktion von „Situationen“ (konkrete, ortsspezifische, kulturelle Rauminterventionen) erfolgen (vgl. Steets 2008: 226). Silke Steets hält diesbezüglich fest: „Zentrales Anliegen der S.I. war es, als KünstlerInnen nicht Kunst zu produzieren, sondern Gesellschaft zu verändern.“ (Ebd.: 225) Damit griff die S.I. die Ideen der historischen Avantgarden auf, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Abgehobenheit und Isolation der Kunst im Verhältnis zur Gesellschaft kritisierten (vgl. ebd.).45 Potenziale für eine neue Beziehung von Kunst und Leben sahen die Situationisten auch in den veränderten Produktionsbedingungen. Die Automatisierung der Industrie würde zu einem Mehr an freier Zeit führen, die für kreatives Schaffen zur Verfügung stünde, proklamiert Constant in prophetisch anmutendem Duktus: „Obviously it will be a creative activity that replaces work. The fulfillment of life lies in creativity.“ (Constant 2009b: 119)46
44 Interessant scheint hierbei zu erwähnen, dass Theodor Adorno hingegen sehr misstrauisch in Bezug auf die Zusammenführung von Kunst und Leben war, denn er sah vor allem die Gefahr der ökonomischen Vereinnahmung gegeben, wie er bereits 1970 in seinem Werk „Ästhetische Theorie“ ausführte (vgl. Adorno [1970] 1973: 340). 45 Siehe weiterführend (Bürger 1993). 46 Das Ziel einer Zusammenführung von Kunst und Leben waren veränderte soziale Beziehungen und keine Ästhetisierung des Alltags, wie sie bspw. am Ende des 19. Jahrhunderts von William Morris und John Ruskin in der Begründung des „Arts and Crafts Movement“ vertreten wurde. Das „Arts and Crafts Movement“ wandte sich kritisch gegen die industrielle Massenproduktion und die darin vollzogene Trennung von Design und Herstellung und zielte auf eine Annäherung von Handwerk und Kunst und insofern auf eine Grenzauflösung zwischen Kunst und Leben ab (vgl. Anscombe/Gere 1978). Das in der Punk-Kultur ab den 1970er Jahren wieder aufflammende Do-ityourself-Ethos ist dabei weniger an Tradition orientiert als an Subversion und Recycling der Güter der Konsumgesellschaft. Heute ist DIY gewissermaßen im Mainstream angekommen: Einerseits im Sinne einer Ästhetisierung von Alltag als auch Kommer-
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Die Herstellung neuer Situationen ist dabei die Methode, um Kunst und Leben zusammenzuführen (vgl. ebd.: 115ff.). Diese neuen Situationen könnten demnach als Kerne oder Zellen für die Konstruktion neuer Umgebungen fungieren. Für einen neuen Urbanismus sei die Integration von Lebensstil und Umgebung relevant – also die Berücksichtigung der Gestaltung von sozialem Raum. Um eine vollständige Integration der Kunst ins Leben zu erreichen, müssten, laut Constant, erst die sozialen Strukturen verändert werden: „A complete change of social structure and of artistic creativity must come before integration […].“ (Constant 2009a: 110)47 Die Situationisten forderten von KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen aktives Eingreifen für gesellschaftliche Transformation: „The coordination of artistic means of denunciation and scientific means of denunciation must lead to a complete denunciation of existing conditioning.“ (Kotányi/Vaneigem [1961] 2009: 148) Demnach kann die S.I. als Vertreterin einer eingreifenden Kunst verstanden werden, der es ähnlich der eingreifenden Wissenschaft um die Offenlegung der Machtmechanismen (vgl. Bourdieu 1997a) ging. Die situationistische Kritik richtete sich gegen die Stadt als Machtzentrum und Knotenpunkt der kapitalistischen Ökonomie, deren Machtausübung in stadtplanerischen Ordnungsvorstellungen und infrastrukturellen Anordnungen spürbar war. Kämpfe um „Territorien und Räume in der Stadt“ waren demnach vor allem „Kämpfe um soziale Möglichkeiten individueller Raumaneignung.“ An diese Tradition der urbanen Raumaneignung knüpften die HausbesetzerInnenszenen und Stadtteilbewegungen der 1970er und 80er Jahre an. Wobei es hier um den Gebrauchswert der Stadt ging – um „die Behauptung kollektiver Autonomie und um die Stärkung der lokalen Selbstverwaltung.“ (Bittner 2008: 113)
zialisierung in der Kreativwirtschaft; andererseits entwickeln sich subversive Strategien des DIY, im politischen und sozialen Sinne des Bauens an einer anderen Welt weiter – bspw. in der Craftivism-Bewegung (vgl. bspw. Miller/Vandome/McBrewster 2010). 47 Bezüglich der Gefahr der Ökonomisierung des individuellen Lebens trifft ein weiterer Situationist, Raoul Vaneigem, bereits 1961 erschreckend treffend den Ton des heutigen Zeitgeists: „Industrializing private life: ,make your life a business‘, such will be the new slogan. To propose to people that they organize their vital milieus like little factories to be managed, like miniature enterprises with their substitute machinery, their prestige production, their fixed capital such as walls and furniture – isn’t it the best way to make perfectly comprehensible the concerns of those gentlemen who own a factory, a big and real one that must also produce?“ (Vaneigem [1961] 2009: 159)
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2.2.3.2 Direkter Urbanismus Im Rahmen dieser Arbeit geht es mir um die Theorie und Praxis der Herstellung spezifischer sozialer Räume (sowie ihrer physischen Platznahme in der Stadt und symbolischen Perspektivierung), also um die Herstellung von Situationen und Räumen bzw. von Situationen (sozialer Raum) in Räumen (physischer Raum). Als zentral für die Herstellung von Situationen und Räumen erweisen sich die Kommunikation, der Dialog/Austausch sowie die Interaktion zur Generierung symbolischer Ortsbezogenheit und kollektiver Identität in der Stadt. Daher interessiere ich mich für Weiterentwicklungen und Neuinterpretationen des situationistischen Denkens. Als einen aktuellen Ansatz, der auf das situationistische Denken aufbaut, möchte ich hier den „direkten Urbanismus“ aufgreifen. Das Architektenteam Barbara Holub und Paul Rajakovics, das unter dem Namen „transparadiso“ firmiert, hat 2013 mit seinem Zugang eines „direkten Urbanismus“ den situationistischen Ansatz aktualisiert, doch verorten sich die beiden Architekten mit ihrer Theorie und Praxis zugleich zwischen der Herstellung von Situationen und jener von Strukturen. In ihrer Definition eines „direkten Urbanismus“ beziehen sie sich sowohl auf den unitären Urbanismus der S.I. und die Herstellung von Situationen als dessen Herzstück als auch auf Lefebvres Theorie, dass Raum erst durch die handelnden AkteurInnen entsteht: „Direkter Urbanismus schafft Situationen, die Raum für Aneignung geben und durch andere fortgeführt werden können. Ob dabei von einem städtebaulichen, sozialen, künstlerischen, architektonischen Kontext ausgegangen wird, ist erst einmal nebensächlich. Direkter Urbanismus erzeugt einen Handlungsraum. Im Prozess des Handelns kann sich die Zielsetzung verändern bzw. sich der Kontext der jeweiligen Disziplin, so wie er von außen wahrgenommen wird, verschieben.“ (Holub/Rajakovics 2013: 165)
Holubs/Rajakovics’ Ansatz verbindet das „direkte Handeln mit künstlerischkritischen Praktiken“ mit der „Verantwortung für komplexe längerfristige Planungs- und Architekturaufgaben und deren oft konfliktreiche Interessen.“ (Ebd.)48 Ihr Begriff des „direkten Urbanismus“ reiht sich ein in eine Reihe ähnli-
48 Sie halten fest, dass diese experimentellen Praktiken meist eher als Vorstufe zum eigentlichen stadtplanerischen Handeln und Schaffen von ArchitektInnen erachtet werden. Andere ArchitektInnen situieren sich wiederum ganz im künstlerischen und interventionistischen Bereich und lehnen strukturelle Planungsarbeiten und Bauvorhaben ganz ab. Holub/Rajakovics positionieren sich dazwischen.
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cher Begriffe wie „instant urbanism“, „situativer Urbanismus“ und „ambulanter Urbanismus“, allerdings grenzt er sich von diesen auch ab: „Instant urbanism“ legt den Fokus auf das temporäre und ephemere Eingreifen und der „ambulante Urbanismus“ setzt auf die „Reparatur ‚urbaner Notfälle‘“, wohingegen der „direkte Urbanismus“ längerfristige Aufgaben und Eingriffe mit Beharrlichkeit verfolgt (vgl. ebd.). Holub/Rajakovics verstehen „Intervention“ als einen „direkten Eingriff in den sozialen-politischen Raum“. Ziel des direkten Urbanismus ist es dabei die „Fähigkeit zu wünschen (als komplexe Aufgabe jenseits konsumorientierter Interessen)“ und „den Wunsch, als Promoter versteckter Sehnsüchte, vergessener Utopien und kollektiver Vorstellungsebenen“ (ebd.: 166) zu aktualisieren.49 Dabei solle die künstlerische Expertise auch jenseits temporärer Community-Projekte „zur Entwicklung langfristiger Strategien in Kooperation mit der Stadt“ (ebd.) beitragen. Sie bringen Planung und Interaktion unter einen Begriff zusammen und betrachten taktisches Handeln (Intervention) und strategisches Handeln (Planung) nicht als Widersprüche, sondern als sich ergänzende Momente in der Gestaltung der Stadt als Lebensraum. Sie beziehen sich dabei auf das Konzept und die Tradition der „direkten Aktion“ („direct action“), die im anarchistischen Methoden-Spektrum wurzelt (vgl. ebd.: 165). Der gemeinsame Nenner der meisten „urbanen Interventionen“50 mit partizipativem Ansatz ist die Herstellung oder Erschaffung von sozialem Raum (vgl. Holub/Rajakovics 2013: 165). In ihrem Konzept des direkten Urbanismus gilt es, Kommunikations-Situationen herzustellen, in denen Raum für Meinungsvielfalt und Dissens entsteht. Sie verweisen dabei auch auf Grant Kesters (2011) Überlegungen zu kollaborativen Kunstpraxen in „The One and the Many. Contemporaray Art in a Global Context“. Er spricht vom Potenzial ästhetischer Erfahrung, unsere Wahrnehmung von Differenzen zu schulen und Räume zu öffnen, die neue Formen des Wissens ermöglichen und gedankliche, soziale und politische Konventionen, also den Status Quo, herausfordern (vgl. Holub/Rajakovisc 2013: 166). Kester prägte zudem den Begriff der „dialogical aesthetics“ (vgl. Kester 2004), womit er den Fokus zeitgenössischer partizipativer Kunstpraxen auf die Herstellung kommunikativer Situationen/Räume begrifflich neu fasste und damit
49 In diesem Kontext nehmen Holub/Rajakovics Bezug auf das Konzept der Wunschmaschine von Gilles Deleuze und Felix Guattari ([1974] 1977). 50 Als „urbane Intervention“ bezeichnen Holub/Rajakovics „temporäre Handlungen im öffentlichen Raum, die von „urban gardening“ bis zu theatralen Performances, partizipatorischen Nachbarschaftsprojekten oder Kunstprojekten im öffentlich-urbanen Raum reichen [...].“ (Holub/Rajakovics 2013: 165f.)
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die Gestaltung des sozialen Raums, der maßgeblich durch die zwischenmenschliche Kommunikation konstituiert wird, ins Zentrum der Aufmerksamkeit, in der Betrachtung dieser Kunstpraxen, rückte.51 Die Kategorie des sozialen Raums, die für mich von zentraler Bedeutung ist, ist in diesen urbanistischen Ansätzen ebenfalls von Relevanz. Die Kontextualisierung meiner Forschung durch urbanistische Denkansätze ist für mich insofern von Interesse, als die Grenzen fließend sind und es mehr um die konkrete Fokussetzung auf Prozesse geht als um die Zugehörigkeit zu einem bestimmten disziplinären Feld. Die Erforschung des sozialen Gewebes einer Stadt sowie der Mikro-Sozialität spezifischer Initiativen und Situationen eröffnet in ihrer Gesamtschau einen Blick auf das, was als Topografie des Möglichen (in) einer Stadt gelesen werden kann. 2.2.4 Das Imaginäre der Stadt und urbane Assemblagen Die von den Situationisten entwickelte Theorie und Praxis eröffnete einen neuen Blick auf die Stadt, der das individuelle/subjektive Erfahren und Wahrnehmen einer Stadt zum Ausgangspunkt urbaner Erkundungen machte und in ihrer Methode der „Psychogeografie“ auch eine begriffliche Entsprechung fand. Dennoch blieb der Aspekt des Imaginären in der Stadtforschung für lange Zeit unterbelichtet. Wie Rolf Lindner (2006: 211; 2008) feststellt, wurde die kulturelle Repräsentation von Stadt zwar von Richard Wohl und Anselm Strauss bereits 1958 in ihrem Essay „Symbolic Representation and the Urban Milieu“ thematisiert, doch geriet diese Perspektive dann wieder in Vergessenheit. Wohl und Strauss waren unter den Ersten, die die Bedeutung der Stadt aus Sicht ihrer BewohnerInnen betrachteten. Das kollektive Imaginäre besteht demnach aus den unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen. Laut Lindner ist eine Stadt ein historisch gesättigter, kulturell codierter Raum mit einer Fülle von Bedeutungen und Imaginationen: „It is these meanings and mental images which determine what is ‚thinkable‘ and ‚unthinkable‘, ‚appropriate‘ and ‚inappropriate‘, ‚possible‘ and ‚impossible‘. […] A culturally coded space is not only a defined space, but also a defining one, determining the possilities and limits of what happens within or what can be projected into it.“ (Lindner 2006: 210)
51 Siehe dazu mehr im Kapitel „Dialogical Aesthetics – Kunst als Prozess und das Dialogische“ (S. 85-87).
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Das Imaginäre einer Stadt bzw. die multiple Zusammensetzung desselben wird nicht zuletzt im Konzept der Assemblage als neuer Zugang und Betrachtung des Städtischen fassbar. Die Assemblageforschung im städtischen Kontext liest sich gewissermaßen als Fortsetzung oder Neuauflage der Idee einer „Collage City“ (Rowe/Koetter [1975] 2005) und hat zu einer Erneuerung der kritischen Stadtforschung geführt (vgl. Färber 2014). „The notion of urban assemblages in the plural form offers a powerful foundation to grasp the city anew, as an object which is relentlessly being assembled at concrete sites of urban practice or, to put it differently, as a multiplicity of processes of becoming, affixing sociotechnical networks, hybrid collectives and alternative topologies.“ (Farías 2011: 2)
Die Assemblageforschung geht nicht von der Stadt als Entität aus, sondern sieht in ihr eine sich ständig neu zusammensetzende und durch ihre AkteurInnen geformte Assemblage aus Objekten, Beziehungen und Bedeutungen. Assemblage bedeutet in diesem Zusammenhang eine „soziomaterielle Konfiguration“ (Färber 2014: 97) und macht eine zweifache Perspektive möglich, „on the material, actual and assembled, but also on the emergent, the processual and the multiple.“ (Farías 2011: 14f.) Das Assemblagekonzept fragt, welche Formen des Sozialen entstehen und welche Transformationspotenziale durch die jeweiligen Assemblagen artikuliert werden (vgl. Färber 2014: 98). Die Sichtweise von Stadt als Collage und/oder Assemblage ermöglicht also, die Sozialität, die Materialität und das Imaginäre von urbanen Mikrokosmen prozessual und in Relation/Wechselwirkung mit der Stadt als Ganzes und dem gesamtgesellschaftlichen Makrokosmos zu verstehen. Stadt wird dabei nicht als statische Einheit aufgefasst, sondern als dynamische, prozessuale Zusammensetzung von kollektiven Mikrokosmen und den in ihnen handelnden AkteurInnen perspektiviert. 2.2.4.1 Assemblage als Forschungszugang und Forschungsgegenstand Der Begriff „Assemblage“ geht auf eine Übersetzung des Französischen „agencement“ zurück, mit welchem Deleuze und Guattari (1987) die beiden Begriffe „arrangement“ und „agency“ zu verbinden suchten (vgl. Farías 2011: 370).52 Im Kontext der Stadtforschung sowie der kritischen Geographie wurde
52 Manuel DeLanda bietet in seinem Buch „Assemblage Theory“ (2016) eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Assemblage-Konzept von Deleuze und Guattari und
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das poststrukturalistische Konzept der Assemblage aufgegriffen und weitergedacht. Dabei wird Assemblage zumeist sowohl als Forschungszugang als auch Forschungsgegenstand verstanden. Laut George Marcus und Ekran Saka ist der von Deleuze und Guattari geprägte Assemblage-Begriff in der Lage, zwei Varianten modernistischer Theorie zu verbinden: das spielerische und kritische Ästhetische und das Formale und Technische beides wird im Assemblage-Konzept zusammengedacht (vgl. Marcus/Saka 2006: 103f.). Die Konjunktur des Assemblage-Konzepts stehe dabei in Zusammenhang mit einer Entwicklung in den Sozial- und Kulturwissenschaften, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten in der Erforschung sozialer Prozesse und kultureller Bedeutungen verstärkt dem Ephemeren und Heterogenen zuwende, ohne jedoch Fragen der Struktur und Systematik der sozialen Welt ganz außer Acht zu lassen. Marcus/Saka führen das zum einen auf die Verbreitung poststrukturalistischer Denkansätze zurück sowie zum anderen auf die Beobachtungen des sozialen Lebens selbst, welches zunehmend durch Verflechtungen zwischen lokaler und globaler Ebene gekennzeichnet ist. So spiegeln „Assemblage“ wie auch „Collage“, laut Marcus/Saka, das Bedürfnis nach Konzepten, die in der Lage sind das zu fassen was erst im Entstehen ist, was nicht dauerhaft, sondern immer in Bewegung ist: „The time-space in which assemblage is imagined is inherently unstable and infused with movement and change.“ (Ebd.: 102) Sie verweisen zudem darauf, dass das Assemblage-Konzept oft als Denkfolie bzw. Matrix herangezogen wird, um unterschiedliche Aspekte einer Forschung oder unterschiedliche Forschungen in einen spezifischen Zusammenhang zu bringen. Aihwa Ong und Stephen Collier (2004) nutzen in ihrer Publikation „Global Assemblages“ das Konzept in diesem Sinne und schreiben dazu programmatisch: „An Assemblage is the product of multiple determinations that are not reducible to a single logic. The temporality of an assemblage is emergent. It does not always involve new forms, but forms that are shifting, in formation or at stake. As a composit concept, the term ,global assemblage‘ suggests inherent tensions: global implies broadly encompassing, seamless, and mobile; assemblage implies heterogeneous, contingent, unstable, partial, and situated.“ (Ong/Collier 2004: 12)
Die Bezugnahme auf Assemblage bedeutet insofern auch immer ein Statement zu setzen, in Bezug auf das eigene Verständnis über die Produktion von Bedeutung und Deutung sozialer Zusammenhänge. So funktioniert das Assemblageführt deren teilweise disperaten und auch widersprüchlichen Überlegungen in einer eigenen Konzeption von Assemblage zusammen.
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Konzept, laut J-D. Dewsbury, nicht als statischer Begriff, sondern „as a process of putting together, of arranging and organising the compound of analytical encounters and relations.“ (Dewsbury 2011: 150) 2.2.4.2 Die Stadt als urbane Assemblage Maßgeblich in der Diskussion um ein Konzept urbaner Assemblage beteiligt ist Colin McFarlane, der 2011a mit seinem Artikel „The City as Assemblage“ den Startschuss für eine intensive (innerfachliche) Diskussion gab. 53 Das Konzept wurde in Folge in der Fach-Zeitschrift „City“ über vier Ausgaben von unterschiedlichen ProponentInnen diskutiert.54 Mit seinem Konzept der Stadt als Assemblage geht es McFarlane darum, auf einer Metaebene darüber nachzudenken wie Urbanität konzeptuell (neu) gefasst werden kann: „The concept of assemblage is particularly useful for grasping the spatially processual, relational and generative nature of the city, where ,generative‘ refers both to the momentum of historical processes and political economies and to the eventful, disruptive, atmospheric, and random juxtapositions that characterise urban space.“ (McFarlane 2011a: 650f.).
McFarlanes Lesart urbaner Assemblagen geht von drei Startpunkten aus: Erstens Assemblage als ein Zugang, der hervorhebt, dass urbane Prozesse mehr sind als lediglich Beziehungen zwischen Räumen und AkteurInnen: „Assemblage thinking emphasises the depth and potentiality of sites and actors in terms of their histories, the labour required to produce them, and their inevitable capacity to exceed the sum of their connections.“ (Ebd.: 654) Zweitens versteht er Assemblage als eine Konzeption des Urbanismus, die nicht lediglich eine räumliche Kategorie oder das Ergebnis einer raum-zeitlichen Formation ist, sondern Assemblage bedeutet den Prozess der Herstellung selbst. Und drittens verweist er darauf, dass das Konzept der urbanen Assemblage selbst eingebettet ist in ungleiche Machtverhältnisse und dass unterschiedliche AkteurInnen unterschiedliche Ressourcen habe, um sich an der Herstellung urbaner Assemblagen zu beteiligen (vgl. McFarlane 2011a: 655). McFarlane versteht dabei Assemblage als grundlegend politisches Konzept: „I am also thinking of assemblage as broadly political (ie as
53 Erstmals publiziert im Januar 2011. 54 Siehe dazu insbesondere die Ausgaben CITY, Vol. 15, Nr.3-4 (Juni-August 2011), 5 (Oktober 2011) und 6 (Dezember 2011). Ein eigener Zweig der Assemblageforschung bezieht sich maßgeblich auf die von Bruno Latour (2007) geprägte Akteurs-NetzwerkTheorie; siehe dazu (Färber 2014; Bender/Farías 2010).
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a way of thinking about not just how cities are) but how cities might be otherwise […].“ (Ebd.: 653) Aus McFarlanes Sicht ist das Assemblage-Konzept alleine jedoch nicht ausreichend, um als potenziell verändernd zu wirken. Er schlägt daher vor das Assemblage-Konzept in Zusammenhang mit dem Ziel der Herstellung von „radical urban commons“ weiterzuentwickeln (vgl. McFarlane 2011b: 738). Auch Russel/Pusey/Chatteron (2011) befassen sich mit der Herstellung von „knowledge commons“ im Kontext kollektiver kapitalismuskritischer Praxen. Sie beziehen sich dabei auf Michael Hardt und Antonio Negri, die über die Stadt als physischer Ort der politischen Organisierung schreiben: „the city is to the multitude what the factory was to the industrial working class.“ (Hardt/Negri 2009: 250; zit.n. Russel/Pusey/Chatteron: 581) So stehen sich, laut Russel/Pusey/Chatteron, die neoliberale Aufladung von Stadt als ökonomischem Raum und das Potenzial von Stadt als politischer Raum gegenüber: „Hence, the city is both the ultimate nodal point in the organization and governance of neoliberal capital, but so too is it the ultimate site for resistance and struggle, and articulating and circulating alternatives through the productive capacities of the multitude. This takes numerous forms—attempts to create alternative commons in terms of open source web applications and site, patents and knowledge banks, repertoires of social movement organizing that increase our ability to be ,in common‘ be they more temporary forms such as flash mobs and direct action, or organizing autonomous spaces, squats and occupations.“ (Ebd.)
2.3 S TADTENTWICKLUNG
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Was passierte nun seit der situationistischen Kritik am Urbanismus bis heute? Wie wird Stadt heute geplant, gebaut und angeeignet? Und welche Rolle spielen darin Kunst, Kultur und Kreativität? Zugänge von Stadt und Raum im Kontext der internatationalen Städtekonkurrenz mit dem Vehikel der Kreativität und der Formel der „kreativen Stadt“ stehen Zugängen von Stadt als Ort sozialer Kreativität und Ort der Formierung alternativer Formen der Vergemeinschaftung und des Widerstands gegen die Neolieberalisierung des gesamten Lebens gegenüber. Die Forderung der S.I., Kunst, Alltag und Urbanismus zusammenzubringen (um die Welt zu verändern), hat sich mittlerweile mit anderen Vorzeichen realisiert. So wird vielerorts auf das Potenzial von Kunst und Kreativwirtschaft in der Stadtentwicklung gesetzt, wobei Kunst und KünstlerInnen hier meist strategisch zur „Aufwertung“ von Stadtteilen eingesetzt werden sowie zur „Aktivierung“
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und „Beteiligung“ der StadtteilbewohnerInnen. Dabei geht der einst widerspenstige Charakter zuweilen verloren, wird ins System inkorporiert und statt zur Transformation zur Reproduktion der bestehenden Verhältnisse genutzt. Vorausschauend benannte Lefebvre die Stadt und den urbanen Raum als zentralen Ort, an dem Kapital und Arbeit aufeinandertreffen. Der alltägliche Lebensraum Stadt und nicht mehr die Fabrik wurde zum Kristallisationspunkt der Konfrontation von Kapital und Arbeit. Die kapitalistische Produktion ließ sich nicht mehr auf die Fabrik als zentralen Ort der Produktion von ökonomischem Mehrwert beschränken, sondern weitete sich durch die neuen Produktionsweisen im Dienstleistungsbereich und in der Kulturindustrie tendenziell auf das gesamte Leben aus. 2.3.1 Vom funktionalistischen Stadtbild zur sozialen Fabrik In den 1960er Jahren orientierte sich die Stadtplanung am funktionalen Stadtbild, das dem urbanistischen Modell der CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) folgend die Stadt auch räumlich in unterschiedliche Funktionsbereiche gliederte. Die räumliche Trennung spiegelte dabei das fordistische Gesellschaftsbild und die Rationalisierung der Lebensbereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit wider (vgl. Peer 2012). Bereits in den 1960er Jahren formierte sich aus unterschiedlichen Richtungen Kritik am funktionalistischen Stadtplanungskonzept – sowohl aus dem künstlerischen Feld sowie von kritischen ArchitektInnen als auch von Jugendbewegungen (vgl. Nußbaumer/ Schwarz 2012b: 18). ArchitektInnen brachten ihre Kritik und Visionen in diversen BürgerInneninitiativen ein, die sich in den 1970er Jahren vermehrt bildeten. Seit den 1980er Jahren haben sich die Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung wesentlich verändert. Dabei gelten als Ursachen insbesondere „der Umbruch der Ökonomie und des Arbeitsmarktes, der soziodemografische Wandel und der Wandel der Lebensstile, die Krise der öffentlichen Finanzen und auch die Liberalisierung und Deregulierung staatlicher und kommunaler Eingriffe in den Wohnungsmarkt.“ (Peer 2012: 33) Der Übergang von der fordistischen zur postforditischen Wirtschaftsordnung mit dem Niedergang der klassischen Industriezweige und einem Wachstum im Bereich des Dienstleistungssektors sowie insbesondere der Kulturwirtschaft und Wissensökonomie findet seine materialisierte Entsprechung im internationalen Wettstreit der Städte um InvestorInnen (vgl. Siebel 1994). In diesem Kontext ist eine beschleunigte Stadterneuerung in den Innenstadtvierteln sämtlicher europäischer Großstädte zu beobachten, die auf Profit im Immobiliensektor abzielt (vgl. Mayer 2012: 49). Diese Verschiebung im Produktionssektor spiegelt sich im
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heutigen westlichen Diskurs über Städte deutlich wider: So ist kaum mehr die Rede von Industriestädten, hingegen umso mehr von Kultur- und Wissensstädten. Die Stadtplanung hat sich vom funktionalistischen Ansatz in den 1960er Jahren maßgeblich weiterentwickelt, hin zu einem heute weitgehend kooperativen Ansatz, der jedoch zuweilen stark neoliberal geprägt ist und unter Begriffen wie „die unternehmerische Stadt“ kritisch beforscht wird (vgl. u.a. Holm 2013). Warum die Stadt bzw. die Auseinandersetzung um Raum zunehmend zum Austragungsort sozialer Konflikte geworden ist, hängt laut David Harvey (1985) wesentlich mit der wachsenden Rolle des Immobiliensektors in der kapitalistischen Wertschöpfungskette zusammen. Die Zentralität immaterieller Produktion im zeitgenössischen Kapitalismus findet ihren materiellen Niederschlag im Immobiliensektor. Der Handel mit Symbolen und Lebensstilen findet seine Entsprechung damit auch im physischen Raum, als naturalisierte symbolische Macht. Die Stadt als soziale Fabrik wirft Mehrwert durch Symbolproduktion ab ebenso wie durch die Distinktionsrendite im physischen Raum. Doch gerade in der Wissensgesellschaft scheint der lokale Ort eine wichtige Rolle zu spielen – laut Oliver Frey ist dies insbesondere „für die räumliche Gebundenheit der sozialen Strukturen“ (Frey 2009: 117) der Fall. Gleichzeitig bilden die Orte und Räume eine wesentliche Kategorie sozialer Ungleichheit, denn sie sind in der Wissensgesellschaft stärker denn je Symbol- und Imageträger. Wie von Ivonne Doderer erläutert, werden die europäischen Städte „dem Diktat der Investoren und Shareholder und damit einer Modernisierungsrhetorik unterworfen, die Stadt selbst endgültig zu einer Ware macht“. Durch „Urban Branding“ wird eine Narration von Stadt kreiert, die insbesondere für AkteurInnen aus Wirtschaft und Tourismus überzeugend ist: „Die Realität der Stadt, ihre Komplexität und Widersprüchlichkeit wird auf eine textuell und visuell designte Repräsentation heruntergebrochen, die eine um alle Widersprüche geglättete Gesamterzählung ergibt.“ (Doderer 2008: 101) Zu diesen urbanen Strategien, die lebensstilgerechte Narrationen für die Mittelschicht generieren zählt Doderer die „Disneyfizierung“ urbaner Räume, sowie die „pacification by cappucino“, wie dies die amerikanische Soziologin Sharon Zukin einmal ausdrückte, oder auch die „pacification by security“ und „pacification by high art and culture“, wie Doderer ergänzt. Gerade anhand der Bedeutungsverschiebung von Kunst und Kultur für das Leben in der Stadt kann die gesamtgesellschaftliche Tendenz einer Ökonomisierung und Entpolitisierung des Alltagslebens abgelesen werden, wenn sich Kunst und Kultur insbesondere in einer Ästhetisierung der Alltagswelt (vgl. Welsch 1996) und der Vermarktung des kulturellen Stadtimages in der internationalen
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Städtekonkurrenz abzeichnen. Dennoch finden sich ebenso in Theorie und Praxis Aufbruchslinien einer anders verstandenen Kreativität als sozial gestaltende Kraft, die an der Topografie des Möglichen einer Stadt werkt und den Gebrauchswert der Stadt zentral setzt. Doderer schlägt vor durch die Gewährleistung der Zugänglichkeit öffentlicher Räume für alle Bevölkerungsgruppen den Gebrauchswert stärken. Dabei meint urbaner Gebrauchswert nach Doderer in Anlehnung an Guy Debord „,eine Summe von Möglichkeiten‘ entstehen und offen zu lassen.“ (Doderer 2008: 103)55 Genau um dieses Spannungsfeld der zeitgenössischen kapitalistischen Ökonomie geht es beim Phänomen der Gentrifizierung, das sich seit den 1960er Jahren zunehmend ausbreitet und kontrovers diskutiert und erforscht wird. Als allgemeine Verfasstheit postfordistischer Städte umfasst die Ökonomie der Symbole die Verteilung und Ansiedlung der unterschiedlichen AkteurInnen im Stadtraum und die darauf aufbauende ökonomische Wertschöpfung im Immobiliensektor sowie den ihr gegenüberstehenden Kampf um ein leistbares Leben, Wohnen sowie kulturelle Freiräume in der Stadt (vgl. Harvey 2001). Der Zusammenhang zwischen Kreativwirtschaft und dem Phänomen der Gentrifizierung ist hier von zentraler Bedeutung und verweist auf die ökonomische Matrix, die den heutigen urbanen Gesellschaften zugrunde liegt. Gentrifizierung zeigt verdichtet die Machtverhältnisse heutiger Stadtgesellschaften auf: Die Materialisierung der „Ökonomie der Symbole“ (Zukin 1998) im Stadtraum bedeutet die „Aufladung räumlicher (An-)Ordnungen mit kulturellen Werten [...] mit dem Ziel der ökonomischen Wertsteigerung.“ (Löw/Steets/Stoetzer 2007: 128ff.) Die vor diesem Hintergrund intensivierte Konkurrenz zwischen Städten wird in der internationalen Stadtforschung „zumeist als Basis einer neoliberalen Transformation der Städte interpretiert, die häufig über Politiken der kreativen
55 Dies steht im Gegensatz zu Regina Bittners Annahme, der Gebrauchswert einer Stadt sei im Sinne Boltanskis und Chiappelos Sozialkritik ins Hintertreffen geraten und die „Stadt als Möglichkeitsraum“ im Sinne deren Künstlerkritik vom Kapitalismus integriert worden: „Das Reden über Städte als bewegliche Gebilde, der Schwerpunkt auf spezifischen kreativen bzw. Wissensmilieus in der Forschung und die Selbstbeschreibung als dynamische Standorte im Stadtmarketing scheinen mittlerweile die Künstlerkritik der Situationisten erfolgreich integriert zu haben.“ (Bittner 2008: 114) Bittners Beobachtung auf diskursiver Ebene mag zutreffend sein, gleichzeitig erachte ich es jedoch als problematisch, die Begrifflichkeiten Boltanskis/Chiappelos auf die Praxis anzuwenden. Die situationistische Kritik als „Künstlerkritik“ zu bezeichnen, erscheint mir als verfehlt, denn diese verstand sich als umfassende Gesellschaftskritik.
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Stadt durchgesetzt wird.“ (Kemper/Vogelpohl 2013: 8)56 In diesem Kontext strebt die „analytische Verknüpfung von Städtekonkurrenz, kreativer Stadt und Neoliberalisierung […] an, die Durchsetzung unternehmerischer Stadtpolitiken mit ihren Folgen, den sozialen und räumlichen Prozessen der Polarisierung, gesellschaftstheoretisch zusammenzuführen.“ (Ebd.) 2.3.1.1 Die Kreative Stadt und die kreativen Milieus Laut Janet Merkel (2012) können jene Ansätze, die an den kulturellen und kreativen Potenzialen von Städten interessiert sind und sich mit dem Begriff der „Kreativen Stadt“ zusammenfassen lassen, „als Gegendiskurs zu dem seit den 1960er Jahren etablierten sozialwissenschaftlichen Krisendiskurs gelesen werden, der vornehmlich über die ‚Krise der Stadt‘ auf gesamtgesellschaftliche Problem- und Konfliktlagen aufmerksam machte.“ (Merkel 2012: 690) Dabei liege der Fokus nun nicht mehr auf der Krise, sondern vielmehr auf der „Revitalisierung“, „Reurbanisierung“ oder „Renaissance“ von Innenstädten (vgl. ebd.). Für Merkel steht der Begriff „kreative Stadt“ nicht für „ein einzelnes Konzept oder einen einheitlichen Forschungsansatz“, sondern „für ein Bündel an verschiedenen Perspektiven auf die kreativen Potenziale von und in Städten.“ (Ebd.) Sie versteht „kreative Stadt“ mit Foucault gelesen als einen wirkmächtigen Diskurs, „der Realität erzeugt und strukturiert.“ Dieser Diskurs produziert eine Vorstellung von „Stadtentwicklung durch Kreativität“, die von StadtpolitikerInnen konstant reproduziert wird (vgl. ebd.). Dabei reicht die Beschäftigung mit dem Thema von der Prognoseerstellung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit im Feld der Kreativindustrie (vgl. Florida 2002, 2004), der Frage der Steuerung kreativwirtschaftlicher Prozesse und der Frage ihrer raumrelevanten Ressourcen in Metropolregionen (vgl. Lange/Kalandides/Stöber/Wellmann 2009) bis hin zur kritischen Untersuchung des Phänomens der Gentrifizierung (vgl. Lees/Slater/Wyly 2010). Andrej Holm spricht in diesem Kontext auch von einer „Floridarisierung der Stadtpolitik“, in Anlehnung an den kanadischen Regionalökonom Richard Florida, dessen Thesen über das Kreativkapital und die Ansiedlung der „kreativen Klasse“ als weicher Standortfaktor in Politik und neoliberaler Stadtplanung weltweit Eingang fand und dabei als freundliches Gesicht der „unternehmerischen Stadt“ fungieren (vgl. Holm 2013). In Floridas „The Rise of the Creative Class“ (2002) und „The City and the Creative Class“ (2004) geht es um den Einfluss der sogenannten
56 Siehe dazu weiterführend z.B. (Häußermann/Läpple/Siebel 2008: 246ff.; Scott 2008; Peck 2005).
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„kreativen Klasse“ und ihres Lebensstils auf ökonomische Standortförderung und Standortbildung. Seinen Überlegungen zufolge wählen die hochqualifizierten „Kreativen“ ihren Wohnort entsprechend dem 3-T-Modell, d.h. sie machen ihren Wohnort vom Vorhandensein von „Technologie“, „Talent“ und „Toleranz“ abhängig. Dies führe häufig zu einer Konzentration der „Kreativen“ in bestimmten Regionen oder Stadträumen und bewirke in Wechselwirkung die Ansiedlung von Unternehmen. Es ist ein Diskurs, der zunächst positiv erscheint – gibt er doch vor, dazu beitragen zu wollen, die heutigen Städte als Orte der Kreativität und Toleranz zu festigen. Während Floridas Thesen weltweit ein starkes Echo im Bereich der Stadtplanung fanden wurden seine Thesen im akademischen Feld u.a. stark hinterfragt. Kritiker werfen Florida vor, ein „urban creativity script“ (Peck 2008: 765) entwickelt zu haben, welches die neoliberale Umstrukturierung von Städten stützt (vgl. Merkel 2012: 691). Jamie Peck zitiert diesbezüglich Florida: „According to this increasingly pervasive urban-development script, the dawn of a ,new kind of capitalism based on human creativity‘ calls for funky forms of supply-side intervention, since cities now find themselves in a high-stakes ,war for talent‘, one that can only be won by developing the kind of ,people climates‘ valued by creatives urban environments that are open, diverse, dynamic and cool (Florida, 2003: 27).“ (Peck 2008: 740; H.d.A.)
Den Topos der kreativen Stadt hat jedoch nicht Florida erfunden, sondern bereits 20 Jahre zuvor prägte der britische Städteberater Charles Landry das Konzept der „Creative City“, in dem wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte eines Stadtraums in der Planung attraktiver und erfolgreicher Wirtschaftsstandorte berücksichtigt werden sollten (vgl. Landry 2000). Landrys Überlegungen sind im Rahmen der europäischen „Cultural Planning“-Debatte der 1980er Jahre zu situieren, in welcher die Verknüpfung von Kulturpolitik und Stadtplanung als Ansatzpunkt für die Revitalisierung städtischer Gebiete ins Blickfeld gerückt wurde (vgl. Merkel 2012: 691; sowie Evans 2001). Mit Andreas Reckwitz kann Landrys Creative City als ein „diskursives Leitbild der Planung“ (Reckwitz 2009: 8) verstanden werden, das einem Top-down-Prinzip politischer Steuerung folgt und in diesem Kontext neue Methoden der strategischen Stadtplanung anstrebt (vgl. Merkel 2012: 691). Die Kehrseite dabei wird jedoch außer Acht gelassen oder teils sogar positiv bewertet, nämlich jenes Phänomen, das bereits seit den 1960er Jahren unter dem Begriff „Gentrifizierung“ bekannt ist und seit den 1970er Jahren intensiv beforscht wird. Laut Peck sind die Strategien der „kreativen Stadt“ auf die Neoliberalisierung des urbanen Lebensraums abgestimmt:
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Im Kontext der Diskurse zur „Kreativen Stadt“ werden vor allem zwei Formen von Kreativität hervorgehoben, die für die städtische Entwicklung als relevant erachtet werden. Das sind die „ästhetisch-kulturelle“ und die „ökonomische“ Kreativität (vgl. Merkel 2012: 692). Merkel moniert an diesem sehr verengten Blick auf Kreativität in Städten, dass dabei Formen „sozialer Kreativität“ außer Acht gelassen würden, die im Bereich neuer Vergemeinschaftungsformen und politischer Partizipationsweisen zu finden sind. So bleiben Ansätze wie etwa die „Do it yourself-Culture-Bewegung“ (Spencer 2008), der „Situative Urbanismus“ (Archplus 2007) oder ökologisch nachhaltige Lebensweisen in Städten ( wie z.B. die „Urban Gardening“-Bewegung, vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2007) unberücksichtigt. Und insbesondere „abweichende Formen der Kreativität, etwa im Bereich sozialer Protestbewegungen, wie sie im Rahmen der WTO-Treffen in Seattle 1999 oder London 2009 auftraten, werden abgelehnt und passen nicht in die sozialen Normen einer Kreativen Stadt (vgl. Chatterton 2000).“ (Merkel 2012: 692) Nicht nur das „widerständige und kritische Potenzial der Kunst und Kultur“ wird in diesem Diskurs unsichtbar gehalten, auch die „dark side“ der Kultur- und Kreativwirtschaft – die prekären Beschäftigungsverhältnisse der Kreativen (vgl. Scott 2007) – wird ausgeblendet (vgl. Merkel 2012: 693). 2.3.2 Kultur als strategischer Standortfaktor 2.3.2.1 Gentrifizierung – Kritik des urbanen Kolonialismus Gentrifizierung bezeichnet als Phänomen die Verdrängung einkommensschwacher BewohnerInnen eines Stadtteils durch Mittelschichtsangehörige sowie eine sukzessive Umgestaltung des Stadtteils und die sukzessive Verdrängung der ursprünglichen BewohnerInnen durch Mieterpreissteigerung (vgl. Smith/Williams [1986] 2010: 9): „Gentrification is not, as one might be encouraged to think from reading recent scholarship, the saviour of our cities. The term was coined with critical intent to describe the disturbing effects of the middle classes arriving in working-class neighbourhoods and was researched in that critical spirit for many years. It has since been appropriated by those in-
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tent on finding and recommending quick-fix ‚solutions‘ to complex urban problems, and in extreme cases depoliticized and called something else. [...] The eviction of critical perspectives is very serious for those whose lives are affected by reinvestment designed for the middle-class colonization of urban neighbourhoods. Qualitative evidence establishes beyond dispute that gentrification initiates a disruption of community and a crisis of affordable housing for working-class people [...].“ (Slater [2006] 2010: 585)
Mit ihrem Buch „The Gentrification Reader“ (2010)57 wollen die HerausgeberInnen Loretta Lees, Tom Slater und Elvin Wyly einem schleichenden Ausschluss kritischer Perspektiven in der Beforschung von Gentrifizierungsprozessen entgegenwirken. Dieser Ausschluss kritischer Perspektiven zeigt sich insbesondere in einer Vernachlässigung bzw. einem Ausblenden der Perspektive der durch Gentrifizierung Vertriebenen. Unmissverständlich meint Tom Slater: „Progress begins when gentrification is accepted as a problem and not as a solution to urban poverty and blight.“ (Slater [2006] 2010: 585) Die Kritik an einer einseitig affirmativen Darstellung von Gentrifizierungsprozessen richtet sich dabei insbesondere gegen Positionen, die die gentrifizierenden AkteurInnen als neue „Kreative“ glorifizieren und dabei außer Acht lassen, wer die vertriebenen AkteurInnen sind und wohin diese absiedeln müssen.58 Das Argument der sozialen Durchmischung als Allheilmittel gegen den Verfall von Stadtteilen anzupreisen, würde dabei genau den neoliberalen Interessen in die Hände spielen. Tom Slater legt mit Verweis auf Nicholas Blomley den doppelten Boden und die soziale Einseitigkeit der Argumentation offen: „The problem with ‚social mix‘ however is that it promises equality in the face of hierarchy. [...] If social mix is good, argue local activists, then why not make it possible for the poor to live in rich neighbourhoods?“ (Blomley 2004, zit.n. Slater 2010: 583) Aufgrund der konstitutiven Prozesse der Raumeroberung bezeichnet Neil Smith (1996) Gentrifizierung als „Kolonialismus auf Stadtteilebene“ und 2002
57 Der Reader versammelt zentrale Texte der letzten 50 Jahre zum Forschungsfeld Gentrifizierung. 58 Als gentrifizierende AkteurInnen beschrieb David Ley 1994 die „cultural new class“, die er anders als Richard Floridas „creative class“ als dem links-politischen Spektrum zugehörig definiert bzw. ihren symbolischen Einfluss hervorhebt, der Potenzial für Widerstandsstrategien birgt: „The cultural new class is relatively small, but, employed in such fields as the arts, media and teaching, their business is the circulation of information, making members of this cohort influential beyond its number.“ (Ley [1994] 2010: 144)
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spricht er gar vom ideologischen Siegeszug der neoliberalen Vision von Stadt und einer „globalen urbanen Strategie“ (vgl. Clark ([2005] 2010: 26f.). Jedoch gibt es auch Möglichkeiten und Strategien, um Gentrifizierungsprozessen entgegenzuwirken Levy/Comey/Padilla ([2006] 2010) nennen diesbezüglich drei strategische Ansatzpunkte: „affordable housing production, affordable housing retention, and asset building“ (ebd.: 591). Dabei würden Stadtregierungen in der Eindämmung von Gentrifizierungsprozessen eine ganz wesentliche Rolle spielen: „Local government plays a key role in creating regulatory supports and removing barriers to housing development, providing project financing or technical support, and sending a message that affordable housing is an important component of the broader community. Attentive management of regulation and city programs can help create opportunities to affect neighborhood revitalization/gentrification and displacement, or hinder them. If a city does not proactively support the provision of affordable housing and become involved in efforts to manage gentrification forces, it will be that much more difficult for community organizations and developers to do so.“ (Ebd.: 593)
Hieran knüpft die Frage des Zugangs zur Ressource Raum (physischer Raum) in einer Stadt an. Diane Levy, Jennifer Comey und Sandra Padilla halten fest, dass es sowohl von Seiten der kommunalen Politik eine klare Haltung und Förderung von kostengünstigem Wohnraum brauche als auch selbstorganisierte Basisinitiativen, die im Stadtteil genau dies einfordern. Nur so könne Gentrifizierungsprozessen ein gewisser Einhalt geboten werden. Insgesamt wird jedoch festgehalten, dass unter kapitalistischen Bedingungen Gentrifizierung nicht abgeschafft werden kann, da sie einen integralen Bestandteil des Systems darstellt (vgl. ebd.: 593). 2.3.2.2 Die Perspektive der Urban Political Economy: Kultur als Distinktionsmittel Eine Analyse städtischer Verhältnisse mit kritischem Blick auf Prozesse der Gentrifizierung bietet die Urban Political Economy (vgl. Löw/Steets/Stoetzer 2007: 128-138). Die von einer marxistischen Argumentation inspirierte Theorie versteht sich als „Soziologie der städtischen Eigentumsverhältnisse, die im Besonderen die Rolle der gestaltenden Immobilienwirtschaft, der sogenannten ,place entrepreneurs‘,“ reflektiert (Steets 2008: 29). Dabei geht die Urban Political Economy von zwei sich gegenüberstehenden städtischen Akteursgruppen aus:
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„[...] die erste Gruppe (Immobilienhändler, Projektentwickler, Unternehmer, Lokalpolitiker und ihre weiblichen Pendants) verfolgt das Ziel, den Tauschwert des städtischen Bodens zu erhalten bzw. zu vermehren. Sie hat Gewinnerwartungen an die Entwicklung städtischer Bodenwerte. Die zweite Gruppe (Bewohnerinnen, unmittelbare Nutzer städtischer Teilräume) sind an der Zweckmäßigkeit, Ortsbezogenheit und lokalen Lebensqualität und deren Erhaltung bzw. Verbesserung interessiert. Für sie steht also der Gebrauchswert des städtischen Bodens im Vordergrund.“ (Steets 2008: 29)
Beide Gruppen beeinflussen durch ihre gegensätzlichen Vorstellungen von Gewinn- und Nutzenerwartung die Entwicklung eines Ortes und damit die Stadtentwicklung. Im Ansatz der Urban Political Economy wird der Stadtkultur die Funktion des „Tausch- und Gebrauchswertes des Bodens“ attestiert, indem sie Objekte der Immobilienwirtschaft aufwertet oder theoretisch auch abwertet bzw. als kulturelles Angebot die Lebensqualität vor Ort beeinflusst. Kulturelle Freiräume erhöhen demnach die Lebensqualität und können sich auch ökonomisch wertsteigernd auf die umliegenden Immobilien auswirken. In einem angesagten Stadtteil können die Mieten tendenziell steigen. In diesem Kontext hält Steets (2008) fest, dass in der neoliberalen Stadt Kultur zum „strategischen Faktor einer gestaltenden Immobilienwirtschaft“ wird, denn durch die Errichtung kultureller Standorte wird Einfluss auf die Raumnutzung lokaler AkteurInnen genommen. Dabei wird Kultur letztlich zum „Spielball der Wachstumskoalition“ – denn Förderungen kultureller Standorte hängen vielfach davon ab, ob die formulierten Ziele kultureller Einrichtungen den Marktinteressen/Profitinteressen entsprechen. Nicht zuletzt wird, wie Steets festhält, (Sub-)kultur zum Element der Repräsentation von Urbanität, indem sie als Atmosphären- und Imageressource für eine Marke fungiert. Über die lebensstilgerechte Gestaltung von Orten werden Menschen subtil ein- bzw. ausgegrenzt, so kann Kultur auch bewusst zur Distinktion eingesetzt werden, um „Schwellen der Einbindung und Ausgrenzung“ (ebd.: 29) zu erzeugen.59 Dabei wird deutlich, wie die zeitgenössischen Kreativitätsmythen (vgl. Neumann 1986) in Strategien neoliberaler Stadtplanung eingehen und die soziale Umstrukturierung als Folge von Stadtteilsanierungen und den dahinterstehenden ökonomischen Interessen Ausgrenzungsmechanismen reproduziert: Die Kreativitätsmythen werden damit auf rudimentärer Ebene konterkariert.
59 Diese Marketingstrategie ist auch unter der Bezeichnung „Corporate Situationism“ (Tom Holert 2002) bekannt (vgl. Steets 2007: 29).
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2.3.3 Zwischen Partizipation und Widerstandsstrategien Die Diskurse rund um die „kreative Stadt“ sind u.a. verknüpft mit Fragen der Partizipation und Mit-Gestaltung der Stadt: Wer bringt sich wie in die Herstellung und Gestaltung kultureller Freiräume (auf Stadtteilebene) ein? Wer partizipiert an Stadtplanungsprozessen? Und wieviel bzw. welche Kreativität ist hierbei erwünscht (vgl. Merkel 2012: 692f.)? 2.3.3.1 Partizipation und Stadt Die Forderung nach partizipativen Praxen und kollektiver Gestaltung des physischen und sozialen Raums in den 1960er und 70er Jahren wurde sowohl in der alternativkulturellen Bewegung (vgl. Nußbaumer/Schwarz 2012a) als auch im Kunstfeld (vgl. Bishop 2012; Hildebrandt 2012)60 und in der Architektur (vgl. Miessen 2012) formuliert. In der Folge wurden in der Stadtplanung sowie in der Architektur insbesondere partizipative Methoden in der Erarbeitung von Planungs- und Bauprojekten mit dem Ziel der Einbindung künftiger NutzerInnen oder BewohnerInnen erprobt. Sie gehören mittlerweile zum Standard zeitgenössischer Planungspraxen (vgl. Miessen 2012). Die dabei fast zum Dogma avancierte Partizipation (vgl. Selle 2011) entspricht nicht immer der ursprünglichen Idee von und Forderung nach Partizipation als Emanzipation und dem Ziel der Selbstverwaltung anstelle staatlicher Bürokratie (vgl. Lefebvre 1972a). Das zeigt sich in der wachsenden Kritik der letzten Jahre: Vermehrt kam es in den Feldern, in denen die partizipative Entwicklung stark vorangetrieben wurde, zu einer kritischen Auseinandersetzung und Infragestellung des Begriffs „Partizipation“ und der teils zum Mainstream avancierten und abgeflachten Partizipationspraxen, denen oft der ursprünglich gesellschaftskritische Impetus verloren ging. Um der Verflachung des Partizipationsdiskurses etwas entgegenzusetzen schlägt Miessen aus seiner Perspektive als Architekt und in Bezug auf partizipative Raumplanung einen Dissens-orientierten Zugang vor: „Im Gegensatz zur Konsenspolitik sollte eine kritische Raumpraxis vorschlagen, eine mikro-politische Beteiligung an der Raumproduktion zu fördern […].“ (Miessen 2012: 22) Er entwirft den kritischen Raumpraktiker als „ungeladenen Außenseiter“, der durch seine
60 Zur Geschichte partizipativer Kunst (vgl. Bishop 2012). Siehe dazu auch in vorliegender Arbeit das Kapitel „Kreativität und Teilhabe“ (S. 82-87) sowie das Kapitel „Kunst und Leben – Kunst und Stadt“ (S. 169ff).
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Positionierung Konflikte bis zu einem gewissen Grad provoziert und fördert.61 Dabei würden KünstlerInnen und „kritische PraktikerInnen“ die, „am Begriff des demokratischen Prozesses und der Entscheidungsfindung arbeiten, […] immer außerhalb des Repräsentationssystems [agieren]; das heißt nicht innerhalb der repräsentativen Demokratie, sondern in Arten und Weisen der direkten Demokratie und von Prozessen, die von unten nach oben verlaufen.“ (Miessen 2012: 42)
Judith Laister und Anna Lipphardt (2015) sprechen angesichts der zahlreichen Diskurse und Praxen rund um Partizipation im urbanen Kontext von der „city of participation“ (ebd.: 6 ff.). Wichtig ist ihnen dabei festzuhalten, dass „[…] citizens not only reproduce but also partake actively in the negotiation and the development of their urban surroundings on different levels.“ (Ebd.: 6) Sie weisen darauf hin, dass in unterschiedlichen Städten Partizipation unterschiedlich gelebt wird, was sie auf die jeweils vor Ort agierenden politischen AkteurInnen und Projekte sowie auf die lokalen politischen Traditionen und die Kultur(en) des BürgerInnenengagements zurückführen: „These political cultures of participation differ from one country to another (see Barnes et al. 1979; Merkel 2015; Pickel and Pickel 2000), between different cities (Berking and Löw 2008) within one country, and often even between different neighbourhoods of a city.“ (Laister/Lipphardt 2005: 6)
2.3.3.2 Widerstandsstrategien und Freiräume Die heute in vielen Städten weltweit bestehenden „Recht auf Stadt“-Initiativen62 greifen die bereits in den 1960er und 70er Jahren aufbrechenden Konfliktlinien auf und verbinden den Kampf um leistbaren Wohnraum mit der Forderung nach
61 Zur Rolle von Konflikt und Dissens für das demokratische Politikverständnis geben die poststrukturalistischen Ansätze zu den Politiken der Gemeinschaft Aufschluss, siehe dazu insbesondere das Kapitel „Dekonstruktivistische Positionen zu Gemeinschaft“ in: Gertenbach et al. (2010: 153-173). Siehe in diesem Kontext auch die Auswirkungen der gouvernementalen Regierungsmethoden auf das Leben in der Stadt – diese analysiert Boris Michel (2005) in seinem Buch „Stadt und Gouvernementalität“. Sein Fokus liegt vor allem auf dem „Spatial Turn der sozialen Kontrolle“, dem autonomen Subjekt als selbstverantwortlichem Akteur und Unternehmer als Ich-AG sowie den kommunitären Erfindungen der homogenen Gemeinschaft, insbesondere in den Gated Communities (vgl. Michel 2009: 17f.).
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kulturellen Freiräumen. Sie stellen Forderungen nach Raum zum Leben (Wohnen) sowie Raum zum Mitgestalten und Selbstverwalten (Freiraum). Im Sinne Lefebvres stehen die Aneignung von Raum sowie die darauf gerichteten Forderungen für das Hereinholen des Wunsches in die Realität es geht um das Recht auf den Zugang zur Ressource Raum als Teil des Gemeinwesens. Diese Kombination von Forderungen ist wesentlich, insofern sie dem trennenden und vereinzelnden Strategiemoment neoliberaler Ideologie eine gemeinsame Perspektive entgegensetzt: Die Stadt als Raum wird aus neoliberaler Sicht geteilt, aufgeteilt, zerteilt und die in ihr lebenden AkteurInnen werden vereinzelt. Das Kollektive, Gemeinschaftliche der Stadt als geteilter (im Sinne von „partage“) Lebensraum bleibt dabei auf der Strecke. In der alternativkulturellen Bewegung des Post-1968 waren Wohnprojekte, die kulturelle Freiräume integrierten (oder umgekehrt) wesentlicher Bestandteil der gelebten Gesellschaftskritik und gesellschaftlichen Utopie. Zentraler Slogan im deutschsprachigen Raum wurde in den 1970er Jahren der Ausspruch „Kultur für alle“, der auf Hilmar Hoffmann (1979) zurückgeht und in der politischen Praxis der sozialen Bewegungen weitergedacht wurde. Die Forderung veränderte sich hin zu einem „Kultur von allen für alle“, um „der Kritik am elitären Kulturbegriff Ausdruck zu verleihen.“ (Benzer 2016) Die Frage nach „Kultur für alle“ aktualisiert sich heute u.a. in der Commons-Debatte (vgl. Helfrich 2012; Helfrich/Bollier 2015). In diesem Kontext können „urban Commons“ als Verräumlichung der Forderung nach „Kultur für alle und von allen“ verstanden werden. Im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit geht es, im konkreten Forschungsfeld der Stadt Salzburg, um die Skizzierung von zwei Strängen, in denen sich „Kultur für alle“ im Kontext Stadt seit den 1970er Jahren bis heute verfolgen lässt: Erstens, die alternativkulturelle Bewegung und ihre Forderung nach kulturellem Freiraum sowie zweitens, die sozial intervenierenden Kunstpraxen im Kontext Stadt.
62 Mit ihrem Slogan „Recht auf Stadt“ beziehen sich die Initiativen auf Lefebvres programmatischen Text „Le droit à la ville“ (1968). Zu Lefebvres Ansatz und der Frage was dieser für emanzipatorische Politiken im Stadtkontext heutzutage leisten kann siehe (Mullis 2014).
III. Stadt Salzburg
1. Die Stadt Salzburg und das kulturelle Feld 1
„Salzburg: Ich weiß, dass Salzburg auch anders ist, doch ist das (kollektiv) produzierte Bild der Schmuckschatulle aus Zuckerguss, Sisi, Mozart und Sound of Music extrem wirkmächtig sowie die Festspielstadt. Dem entsprechen auf struktureller Ebene Geldflüsse, insofern TouristInnen sowie insbesondere das Festspielpublikum finanzkräftig sein müssen. Es ist also nicht nur das Bild, sondern es sind auch strukturelle Merkmale, die Bedingungen der Stadt, die sie zu dem machen, was sie ist und wie sie sich anfühlt bzw. (von mir) wahrgenommen wird.“ (Feldtagebuch, 14.6.2012)
Was ist das spezifische Lokalkolorit Salzburgs im Vergleich zu anderen Städten in Hinblick auf das kulturelle Feld? Die Theorie des Habitus und der Eigenlogik von Städten (vgl. Löw 2008a) fungiert als Rahmung für das Herausarbeiten der lokalspezifischen Rahmenbedingungen. International bekannt ist Salzburg insbesondere für das materielle kulturelle Erbe (die Altstadt und Landschaft) und das immaterielle kulturelle Erbe, vor allem die klassische Musik und die Volkskultur. Zu den Flaggschiffen zählen: die Salzburger Festspiele, das kulturelle Erbe Mozarts, Sound of Music, der Christkindlmarkt und der Rupertus-Kirtag (zum Festtag des Schutzheiligen der Stadt Salzburg). Salzburg positioniert sich in der internationalen Städtekonkurrenz durch die Kommerzialisierung und Vermarktung der gebauten, konservierten
1
Die empirische Forschung zur vorliegenden Arbeit (Buchteile III und IV) wurde 2013 abgeschlossen; im empirischen Teil dieser Arbeit wurden im Zuge der Überarbeitung Ergänzungen zum aktuellen Stand diverser Entwicklungen zumeist in Fußnoten hinzugefügt.
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und musealisierten Stadt und des symbolischen (hochkulturellen und volkskulturellen) Kapitals.2 Der 1996 der Salzburger Altstadt verliehene Status als UNESCOWeltkulturerbe ist insbesondere als marketingtechnisches Label zu verstehen, denn die Konservierung der Altstadt wurde bereits in einem der europaweit frühesten Altstadterhaltungsgesetze 1967 festgeschrieben.3 In diesem Kontext ist auch die 1985 beschlossene Grünlanddeklaration zu nennen, die bestimmte Landstriche und Grünflächen in der Stadt unter Schutz stellt (vgl. Fraueneder 2008a: 28). In Salzburg spielen das kulturelle Erbe und das Bewahren desselben eine zentrale Rolle in Kulturpolitik und Wirtschaft: das Bewahren, Archivieren, Musealisieren wird von unterschiedlichen AkteurInnen in den von mir geführten Interviews sowie in anderen empirischen Studien (vgl. z.B. Marchner 2011) als für Salzburg charakteristische Praxis beschrieben. Die naheliegende Begründung scheint in seiner Bedeutung als ökonomischer Standortfaktor zu liegen. Die Rolle des Kulturfeldes und der Kulturindustrie in der postfordistischen Stadt nimmt in Salzburg also insbesondere die Gestalt der Vermarktung des kulturellen Erbes an.
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Ausgehend von der Definition der Internationalen Statistikkonferenz von 1887 zählt Salzburg in seiner heutigen Größe – mit einer EinwohnerInnenzahl von
2
Diesbezüglich gibt es eine Ähnlichkeit und vielleicht auch Rivalität mit Wien. Alexander Mandl, Sprecher von PRISMA, einem der Bauträger im Salzburger Stadtwerkeareal, meint hinsichtlich eines Vergleichs zwischen Salzburg und Wien: „Ein Aspekt, den wir immer wieder beobachtet haben, ist, damit Neues entstehen kann, muss auch entsprechender Raum zur Verfügung stehen. Mir hat einmal ein Salzburger Kreativer gesagt, dass über die Salzburger Altstadt eine Mozartkugel gestülpt ist. Eine ähnliche Situation haben wir in Wien mit dem ersten Bezirk, was auch Architekten sagen: Es kann nichts Neues entstehen, weil man alles Alte bewahren muss… Das hat eine gewisse Richtigkeit.“ (Interview mit Alexander Mandl am 25.7.2011, S. 6)
3
1980 wurde das Altstadterhaltungsgesetz zudem erneuert und die bis dahin lediglich für die Fassaden der Häuser geltenden Bestimmungen wurden auch auf das Innere der Gebäude ausgeweitet.
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152.367 (1. Januar 2017) und einer Fläche von 65,64 km² – zur Kategorie der Großstädte.4 Angesichts des weltweiten urbanen Wachstums von Metropolen mag es heute als befremdlich erscheinen, eine Stadt der Größe Salzburgs als Großstadt zu bezeichnen. Daher wird mittlerweile in der Stadtforschung im deutschsprachigen Raum vielfach ein Referenzrahmen aus der Raumforschung übernommen, der die Kategorie der Mittelstadt bereiter anlegt, nämlich anstelle der 20.000 bis 100.000 wird hier bei 50.000 bis 250.000 EinwohnerInnen vom Stadttyp Mittelstadt gesprochen. Demnach zählt Salzburg eher zum Typus der Mittelstadt, denn zum Typus der Großstadt (vgl. Schmidt-Lauber 2010b: 18).5 Als ehemaliges Erzbistum ist Salzburg heute noch stark von der Kirche geprägt; dies äußert sich nicht zuletzt in den Besitzverhältnissen in der Stadt. 6 Im Jahre 798 wurde Salzburg Erzbistum und die Herrschaft des Bischofs über die Stadt sollte lange eine bürgerliche Selbstverwaltung verhindern. Erst 1803 kam es zur Säkularisierung des geistlichen Fürstentums und 1848/49 brachte die bürgerliche Revolution den Anfang kommunaler Selbstverwaltung. Kultur als Standortfaktor sollte sich bereits früh einbürgern: Rund 50 Jahre nach Mozarts Tod (1791) erreichte der Mozartkult mit der Errichtung des Mozart-Denkmals (1842) einen ersten Höhepunkt. 1877 hatte ein Musikfest in Salzburg großen Anklang gefunden und bereits während des Ersten Weltkrieges wurde die Salzburger Festspielgemeinde gegründet, die in Salzburg vor allem Mozarts Musik pflegen wollte (vgl. Dopsch-Hoffmann 1996: 473f.). Hugo von Hoffmannsthals Festspielidee rekurrierte von Beginn an auf den Mythos der „schönen Stadt“ und entdeckte diese als Bühne, indem die JedermannInszenierung am Domplatz zum Herzstück der Festspiele wurde (vgl. Hoffmann 2008: 15). Der Slogan „Salzburg – Die Bühne der Welt“, der heute in der Tou-
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Einer Begriffsbestimmung der Internationalen Statistikkonferenz von 1887 zufolge sind „Großstädte“ alle Städte mit mindestens 100.000 EinwohnerInnen. Weitere damals getroffene Definitionen sind: „[…] die ‚Landstadt‘ mit weniger als 5.000 Einwohnern, die ‚Kleinstadt‘ mit unter 20.000 Einwohnern sowie die ‚Mittelstadt‘ mit unter 100.000 Einwohnern. Städte mit mehr als 1.000.000 Einwohnern werden auch als ‚Millionenstädte‘ oder ‚Metropolen‘ und noch größere Agglomerationen manchmal als ‚Megastädte‘ bezeichnet.“ (Großstadt – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/ wiki/Gro%C3%9Fstadt#cite_note-1 [23.8.2017]).
5
Zum interdisziplinären Forschungsfeld der Mittelstadt siehe (Schmidt-Lauber 2010a).
6
So ist die Kirche Eigentümerin zahlreicher Liegenschaften und allgemein im öffentlichen Leben der Stadt präsent.
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rismuswerbung für Salzburg eingesetzt wird, lässt sich auf Hoffmannsthals Vision der „Stadt als Bühne“ zurückführen (vgl. ebd.: 16). Die als Symbol des Friedens konzipierten Festspiele fanden 1920 unter der künstlerischen Leitung von Max Reinhardt statt und hatten insbesondere aufgrund wirtschaftspolitischer Überlegungen breite Unterstützung auf politischer Ebene. Dies belegen die bald darauf angestellten Berechnungen zur Umwegsrentabilität (vgl. Drechsler 1995: 28). Seit dem Beginn der Festspiele stand der wirtschaftliche Faktor im Zentrum des politischen Interesses, denn ihre Gründung sollte einen wichtigen Impuls für den Fremdenverkehr darstellen.7 In Salzburg erfolgte der Modernisierungsprozess nicht über die Industrialisierung, sondern über den Fremdenverkehr. Bereits in der ersten Republik waren die Kulturlandschaft, das Kulturerbe und die Festspiele Angelpunkt des Salzburg-Images (vgl. Dopsch/Hoffmann 1996: 522-526). Dem Topos „heile Welt“ ist auch der Film „The Sound of Music“ (1965)8 zuzurechnen. Der Kult rund um den Film und die Geschichte der jüdischen Familie Trapp, die 1938 vor dem Anschluss an Hitlerdeutschland flüchtete, in die USA auswanderte und durch den Chorgesang von Heimatliedern bekannt wurde, scheint bis heute ungebrochen. 9 Diese auf Tradition und Kommerz basierende Dominanz im kulturellen Selbstverständnis der Stadt Salzburg geht einher mit einer im Verhältnis geringen Offenheit für nicht-kommerzielle Kunstarbeit und -produktion sowie für alternativkulturelle bis politische Kulturarbeit und Kunst.
7
Auch heute spricht dafür nicht zuletzt die Selbst- und Fremdwahrnehmung Salzburgs zur Festspielzeit, das während dieses „Ausnahmezustands“ gerne als „Weltstadt“ bezeichnet wird, wobei sich diese Wahrnehmung auf die Altstadt und insbesondere den Festspielbezirk rund um das Festspielhaus bezieht, jedoch nicht auf Salzburg in seiner Gesamtheit (vgl. Fraueneder 2008a: 28).
8
Der auf Grundlage eines Musicals entstandene US-amerikanische Spielfilm „The Sound of Music“ (1965) von Regisseur Robert Wise gilt als einer der weltweit meistgesehenen Filme und prägt vor allem in den USA das Österreich-Image bis zum heutigen Tag (vgl. Kammerhofer-Aggermann/Keul 2000).
9
Die Idee eines „The-Sound-of-Music“-Museums wird von Stadt und Land Salzburg seit etlichen Jahren diskutiert und verweist auf die kommerziellen Hoffnungen, die in ein solches Projekt gesetzt werden. Das Museum soll seinen Platz im ehemaligen Barockmuseum am Mirabellplatz finden und bis 2019 realisiert werden (vgl. „Sound of Music-Museum bis spätestens 2019“, http://salzburg.orf.at/news/stories/2697542/ [21. 8.2017]).
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Die kulturpolitische Öffnung in Richtung Alternativkultur in den 1970er und 1980er Jahren wurde insofern geschmälert, als sich die Salzburger Kulturpolitik dazu entschied, einen Ansatz der Dezentralisierung von Kulturstätten zu verfolgen und eine physisch-räumliche Clusterbildung der alternativkulturellen Szene zu vermeiden (was nicht zuletzt in den gescheiterten Verhandlungen der ArgeRainberg um das Brauerei-Areal am Rainberg deutlich werden sollte).10 Zu einer breiteren Verständigung zwischen Kulturpolitik, Verwaltung und Kulturschaffenden über die Salzburger kulturpolitische Programmatik sollte es erst im Rahmen des partizipatorischen Prozesses der Erarbeitung eines Kulturleitbildes und Kulturentwicklungsplans der Stadt Salzburg (2000-2001) kommen.11 Hier ging es um eine breite Involvierung Kulturschaffender auch aus der freien Szene und der Alternativkultur. Insgesamt waren rund 300 Personen an der Erarbeitung des Leitbildes beteiligt. 12
1.2 D IE K ULTURSTADT S ALZBURG
HEUTE
1.2.1 Kulturleitbild der Stadt Salzburg In der Präambel des Kulturleitbildes von 2001 ist zu lesen: „Salzburg ist Kulturstadt – sowohl im Selbstverständnis von Politik, Wirtschaft und Bevölkerung als auch in der Wahrnehmung von außen. Die Marke ,Kulturstadt Salzburg‘ ist maßgeblich von Mozart und den Salzburger Festspielen geprägt und ein wesentlicher Faktor sowohl für die Wirtschaft als auch für den Tourismus. [...] Kulturpolitik kommt in Salzburg daher ein über den Kulturbereich hinausreichender Stellenwert zu: Sie verlangt ein klares Bekenntnis zu Kunst und Kultur als öffentliche Aufgabe.“ (Stadt Salzburg 2001: 8)
Die Bestandsaufnahme im Rahmen des Kulturleitbildes 2001 bescheinigt Salzburg eine „enorme Angebotsdichte im Kunst- und Kulturbereich“ sowie eine
10 Siehe dazu das Kapitel „Die Arge-Rainberg-Bewegung“ (S. 185-199). 11 Kulturleitbilder hatte die Stadt bereits seit Mitte der 80er Jahre entwickelt, jedoch nicht auf partizipatorischer Basis. 12 Ziel des moderierten Prozesses war ein „Bottom-up-Prozess“ zur „Formulierung von Leitbild und kulturpolitischen Maßnahmen mit Prioritätenliste und Zeitplan“ (Stadt Salzburg 2001: 37).
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„Vielschichtigkeit der Bevölkerung“. Beide Elemente würden die Einzigartigkeit Salzburgs ausmachen und zugleich die Kulturpolitik vor klassische Zielkonflikte und Herausforderungen, wie bspw. zwischen der Erhaltung und der Belebung der Altstadt, stellen (vgl. ebd.: 43). Salzburg wird als eine „Stadt der Kulturinteressierten“ bezeichnet. Im Freizeitverhalten der SalzburgerInnen haben kulturelle Aktivitäten im gesamtösterreichischen Vergleich (Wien ausgenommen) einen hohen Stellenwert: Die SalzburgerInnen würden vergleichsweise öfter ins Theater gehen sowie häufiger Konzerte, Ausstellungen und Museen besuchen. „Etwa ein Drittel (31 %) der Befragten ist hinsichtlich seiner Freizeitaktivitäten als ‚kulturinteressiert‘ zu bezeichnen. Ein weiteres Drittel (34 %) konzentriert sich auf den Sport und die größte Gruppe (42 %) verbringt den Großteil der Freizeit mit Tätigkeiten im Hause (Do-it-yourself, Hobbies etc.).“ (Stadt Salzburg 2001: 52; vgl. Brandner 1994)13
Das Image als Kulturstadt wird allerdings als einseitig bewertet und als „stark touristisch“ und „bürgerlich-konservativ“ beschrieben: „Salzburg wird nicht mit Innovationen in Verbindung gebracht – weder von Kunst- und Kulturschaffenden noch von der Bevölkerung. Demgegenüber werden im Bereich der zeitgenössischen Kunst und Kultur, der Kulturvermittlung und basiskultureller Angebote Defizite geortet. [...] Von Kritikern wird das ‚Salzburger Klima‘ mit ‚Dominanz des Kulturerbes‘, ‚Starrheit‘ und ‚Geschlossenheit, als ‚Skepsis gegenüber zeitgenössischer Kunst und Kultur beschrieben. Neue Ideen und Initiativen seien nicht erwünscht.“ (Stadt Salzburg 2001: 43)
Im Kulturleitbild wird jedoch festgestellt, dass „die kulturelle Topografie der Stadt Salzburg [...] – zunehmend – von fließende[n] Übergängen und Brückenbildungen“ (ebd.: 44) zwischen den vormals der Hochkultur, Volkskultur oder Alternativkultur zugeordneten Bereichen geprägt sei. Die nachfolgende Gliederung im Kulturleitbild in unterschiedliche Bereiche nimmt bewusst eine Differenzierung entlang anderer Kriterien vor – dabei werden folgende Bereiche unterschieden: Kunst- und Kultureinrichtungen; Volkskultur- und Traditionspflege14; kulturelles Erbe und Museumslandschaft; Aus- und Weiterbildung, kultu-
13 Zur Salzburger Milieu-Landschaft (vgl. Wally/Hofer 2011). 14 Zum Gewicht der Volkskultur ist zu lesen: „Volkskultur- und Traditionspflege haben in Salzburg einen traditionell großen Stellenwert. Dazu zählen ein reichhaltiges Vereinswesen, eine Vielzahl an Einrichtungen, Orten und Angeboten von ehrenamtlichen
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relle Aktivierung; akademische Bildung; Unternehmen im Bereich Veranstaltungen, Kulturvermittlung und Kulturtourismus (vgl. Stadt Salzburg 2001: 44f.). Sowohl die demokratiepolitische Rolle als auch die wirtschaftspolitische Dimension von Kunst und Kultur werden betont: „Kulturpolitik ist Demokratie- und Gesellschaftspolitik, ermöglicht kulturelle und soziale Teilhabe und Integration, gibt Orientierung, schafft Identität und setzt Impulse für gesellschaftliche Entwicklungen, Gestaltung und Veränderung.“ Sowie weiter: „Kulturpolitik ist Wirtschafts- und Standortpolitik, stimuliert die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes, sichert bzw. schafft direkt und indirekt Arbeitsplätze und sorgt für hohe Umwegsrentabilität.“ (Stadt Salzburg 2001: 8) Da Kunst und Kultur in der Stadt Salzburg „in hohem Maße vom kulturellen Erbe [...] und tourismusrelevanter kultureller Repräsentation geprägt“ seien, müsse Kulturpolitik vor diesem gewachsenen Hintergrund „innovative Impulse und Schwerpunkte setzen, damit die Kulturstadt Salzburg aktuellen und zukünftigen Anforderungen gerecht wird.“ (Ebd.) Per Gemeinderatsbeschluss wurden Schwerpunkte für die künftige Kulturförderung festgelegt. Dabei werde die Forcierung von zeitgenössischer Kunst- und Kulturproduktion sowie -vermittlung betont, um künftig ein Gegengewicht zur „Dominanz von Traditionsvermittlung und touristischer kultureller Repräsentation“ (ebd.: 9) herzustellen. U.a. wird die Förderung von „jugend- und nachwuchsorientierten Angeboten im Bereich [...] der kreativen Produktion, der Erwachsenenbildung, Stadtteilarbeit sowie von ehrenamtlicher Tätigkeit“ (ebd.) betont. Zudem gelte es, „offene Räume für Kunst und Kultur“ zu gewährleisten, denn „künstlerische und kulturelle Produktion braucht zentrale und dezentrale Orte wie Produktionswerkstätten, Ateliers in Stadtteilen oder offene Theaterräume“. Dafür solle ein Konzept offener Räume inklusive Bedarfserhebung den „KünstlerInnen und der Bevölkerung bestehende Räumlichkeiten und Orte leichter zugänglich“ (ebd.: 19) machen.15 Trotz der ambitionierten Zielsetzungen im Kulturleitbild scheint es weiterhin Schwierigkeiten in der Raumnutzung für nicht etablierte Initiativen und AkteurInnen zu geben. Die 2007 durchgeführte Evaluierung der im Leitbild angestrebten Veränderungen zeigte weiteren Handlungsbedarf auf: Neben den Stärken des
Aktivitäten wie zum Beispiel in lokalen Brauchtumsvereinigungen bis hin zu größeren Einrichtungen von kommerzieller und touristischer Bedeutung (Salzburger Heimatwerk, Adventsingen).“ (Stadt Salzburg 2001: 44) 15 In diesem Zusammenhang wird als Beispiel auch die Realisierung von „Kreativwerkstätten“ genannt, die allen Interessierten zur Verfügung stehen würden (Stadt Salzburg 2001: 19).
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Kulturleitbilds, zu denen u.a. die kulturpolitische Diskussion gezählt wurde, die durch den Leitbildprozess gefördert wurde, sowie die Formulierung eines Grundkonsenses, der „als Berufungsbasis für alle Vertreter der Kultur, Kulturverwaltung und Kulturpolitik dient“ (Luger/Hagelmüller 2007: 41), werden als Schwächen u.a. die fehlende Öffentlichkeitsarbeit im Kontext des Leitbildes, also ein Mangel an Transparenz, das „Fehlen von konkreten Aktionsprogrammen, Zeit- und Finanzierungsplänen“ sowie eine fehlende Nachhaltigkeit in der Maßnahmenumsetzung benannt (vgl. ebd.). Ebenfalls 2007 wurde das Salzburger Raumentwicklungskonzept (REK) herausgegeben. Bezugnehmend auf das Kulturleitbild und den Kulturentwicklungsplan wird dort im Abschnitt „Kultur und Bildung“ betont, dass es eine „Kulturstätte für innovative Kunst“ gewissermaßen als künstlerisches Forschungslabor geben sollte.16 Hervorgehoben werden auch die Notwendigkeit der Förderung der Stadtteilkultur sowie die Förderung von Initiativen, die den Stadtteil als Bezugsrahmen ihrer Arbeit verstehen. Als Beispiel wird hier namentlich der Verein „artforum Lehen“17 genannt, das Anlass gebe über eine Kulturstätte im Stadtteil Lehen nachzudenken (vgl. Stadtgemeinde Salzburg 2007: 359). Als Akzente hinsichtlich Kulturarbeit im Stadtteil werden im REK weiter „Kreativwerkstätten mit einfacher Zugangsmöglichkeit, kulturübergreifende Veranstaltungen und Stadtteilfeste als wesentliche Bestandteile der Stadtteilkultur“ genannt (vgl. ebd.). Für die Umsetzung dieser Punkte müsse eine Infrastruktur bereitgestellt werden. Zusätzlich müsste „nicht organisierten kleinkulturellen Aktivitäten“ durch die „einfache Bereitstellung von Räumen“ Rechnung getragen werden (vgl. ebd.). Dabei wird das Bedürfnis nach niedrigschwelligen Zugängen zur Ressource Raum unterstrichen: „Die freie Kulturszene braucht zweifelsohne Raum und Entfaltungsmöglichkeiten. [...] Oft reicht schon eine alte Fabrikshalle, die zwischenzeitlich für unkonventionelle Initiativen genutzt werden kann, um dieses Anliegen zu erfüllen.“ (Ebd.) Mit Verweis auf das Sozialleitbild (2005), in dem „stadtteilorientierte Gemeinwesenarbeit“, „Umsetzung des Nahraumprinzips“ und „Bürgernähe“ als Ziele genannt wurden, wird auch im REK 2007 ein Commitment in Richtung „Gemeinwesenarbeit und Stadtteilmanagement“ sowie „Partizipation und Betei-
16 Weiter werden ein Haus für Architektur sowie eine Stadtgalerie „mit repräsentativen Räumlichkeiten“, wie dies mittlerweile im Stadtwerk Lehen umgesetzt wurde, angesprochen. 17 Zur Initiative „artforum“ und den Stadtteil Lehen siehe das Fallbeispiel dazu in dieser Arbeit (S. 271-293).
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ligungsverfahren“ in der Stadtentwicklung betont. In diesem Kontext werden die „BewohnerInnenservice“-Stellen (BWS) als Schnittstelle zwischen Entscheidungs-, Verwaltungs- und unmittelbarer Handlungsebene (BewohnerInnen) im Stadtteil genannt. Unterstrichen wird, dass es zudem etliche andere Vereine gebe, die auf Stadtteilebene aktive Gemeinwesenarbeit sowie Kulturarbeit leisten.18 Als Ziel wird die flächendeckende Etablierung von Strukturen auf Stadtteilebene genannt, die „BürgerInnenengagement ernst nehmen“. Dazu brauche es neue Strukturen in Richtung Stadtteilmanagment (Stadtgemeinde Salzburg 2007: 353) programmatisch lautet es dazu im REK 2007: „Partizipationsprozesse und Beteiligungsformen, die diese Bezeichnung auch verdienen, erschöpfen sich nicht in Informationsveranstaltungen und Befragungen, sondern ermöglichen, dass die Belange der Betroffenen berücksichtigt und in die Entscheidungen einbezogen werden. [...] Es gilt, partizipationsfähige Planungsfelder zu definieren, die eine Mitgestaltung nicht nur ermöglichen, sondern sogar bedingen.“ (Ebd.: 354)
Auch Ingrid Tröger-Gordon, Leiterin des Kulturamtes der Stadt Salzburg, hält Kunst- und Kulturarbeit auf Stadtteilebene für wichtig: „[Mit] Kultureinrichtungen in den Stadtteilen sollen Begegnungsstätten geschaffen werden, die zur Identitätsfindung beitragen, die zur Identifikation beitragen, die der Salzburger Bevölkerung auch zeigen, was es alles an kreativem Potenzial gibt.“ (Interview mit Ingrid Tröger-Gordon am 2.9.2011, S. 6f.)
Der im REK betonte Aspekt der BürgerInnenbeteiligung bzw. der Partizipation der handelnden AkteurInnen wurde dennoch in der Neuauflage des Kulturleitbildes 2011-2012 in den Hintergrund gerückt. Das Kulturleitbild sollte 2011 bis 2012 von der Kulturabteilung erneuert werden. Die Überarbeitung des Leitbildes zielte „darauf ab, obsolet Gewordenes aus dem Leitbild zu nehmen“ sowie „eine Neugewichtung und Ergänzung von Schwerpunkten und Maßnahmen für die
18 Das Land Salzburg fördere zudem die Gründung von Stadtteilvereinen: 2006 bestanden Stadtteilvereine in Liefering, Leopoldskron-Moos, Gnigl, Parsch und Itzling. Vereinsnetzwerke mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendarbeit (Verein Spektrum) und Wirtschaftsinitiativen wie in Maxglan, in der Linzer Gasse, in der Altstadt sowie ebenfalls in Lehen.
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nächsten zehn Jahre zu vereinbaren“.19 Jedoch stand dieses Mal nicht ein möglichst breiter Kommunikationsprozess mit möglichst vielen AkteurInnen des Kulturfeldes im Zentrum, sondern thematische Gespräche mit einzelnen VertreterInnen der Kulturszene. Ingrid Tröger-Gordon hält zur Neuauflage des Kulturleitbildes fest: „Ich sehe das Kulturleitbild als theoretischen Rahmen, der für uns gilt. Doch das, was jetzt in der Zukunft kommen muss, ist aus meiner Sicht nicht so sehr der Rahmen für unser Handeln, sondern die inhaltlichen Schwerpunkte. [...] Die Weiterentwicklung muss in inhaltlichen Modulen bestehen.“ (Interview mit Ingrid Tröger-Gordon am 2.9.2011, S. 4)
Die Kulturabteilung wurde dabei von einer Steuerungsgruppe mit VertreterInnen aus dem Kulturressort und der Informationsabteilung der Stadt sowie einem externen Berater der Universität Salzburg, Kurt Luger, begleitet. Die Möglichkeit zur Partizipation wurde indes, vergleichsweise sehr rudimentär, durch schriftliche Mitteilungen an die Kulturabteilung (entsprechend einem vorgefertigten Leitfaden) angeboten.20 Dieser Zugang bietet im Vergleich zum ersten Prozess allerdings wenig Transparenz.21
19 Vgl. Stadt Salzburg – Aktualisierung Kulturleitbild Stadt Salzburg (31.5.2012), http://www.stadt-salzburg.at/internet/service/aktuell/aussendungen/2012/aktualisierung_kulturleitbild_der_stadt_362966.htm (10.6.2014). 20 Vgl.
Stadt
Salzburg,
http://www.stadt-salzburg.at/internet/websites/kultur/kultur/
kulturservice_foerderung/kulturleitbild_aktua_370239/kulturleitbild_salzburg_neu_ 376835.htm (10.6.2014). 21 Von 2012 bis 2014 wurde an einer Aktualisierung und Neuauflage des Kulturleitbildes gearbeitet. Das neue Kulturleitbild wurde im Oktober 2014 vom Salzburger Gemeinderat beschlossen und steht als Download zur Verfügung: https://www.stadtsalzburg.at/pdf/kulturleitbild_stadt_salzburg_2015.pdf Eine detaillierte Analyse konnte in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht berücksichtigt werden, da das „Kulturleitbild/Kulturentwicklungsplan II“ erst nach Beendigung der Feldforschung vorlag. Zudem wurde vom Land Salzburg auf Vorschlag des Landeskulturbeirats ebenfalls die Durchführung eines partizipativen Prozesses für einen Kulturentwicklungsplan auf Landesebene initiiert. Der Prozess wird vom „Linzer Institut für qualitative Analysen – LIquA“ moderiert und angeleitet (April 2016 bis Dezember 2017); ein erster Entwurf des Leitbildes wird im Herbst 2017 präsentiert (vgl. http://www.kep-landsalzburg.at/ [21.8.2017]).
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In der Neuauflage des Kulturleitbildes wird das Thema des niedrigschwelligen Raumzugangs laut Tröger-Gordon berücksichtigt. Gleichzeitig scheint die Notwendigkeit und Problematik niedrigschwelligen Raumzugangs aus institutioneller Perspektive nicht immer nachvollziehbar zu sein: „Es ist IMMER zu wenig Raum für alle. Es gibt zu wenig Proberäume, es gibt zu wenig Ausstellungsraum, es ist immer zu wenig … Ich bin der Meinung, dass wir für so eine kleine Stadt eine sehr hohe Infrastruktur haben, sehr viele Möglichkeiten. [...] Letztlich bin ich auch der Meinung, dass diese Orte von den Künstlern selbst erobert werden müssen und dass wir die Ermöglicher sind. Wenn eine Initiative für sich etwas entdeckt und belebt, dann ist es unsere Aufgabe, [...] dort wo etwas entsteht, Hilfe zu leisten.“ (Interview mit Ingrid Tröger-Gordon am 2.9.2011, S. 8)
Die 2013 gesetzte Initiative eines „Leerstandmelders Salzburg“22 setzt indes einen deutlichen Akzent, zumindest in Richtung der Thematisierung des Raummangels und einer möglichen Perspektive durch Zwischennutzung. Die Salzburger Initiative setzt sich aus einer Arbeitsgruppe aus dem Dachverband der Salzburger Kulturstätten, dem Fachbeirat für bildende Kunst des Landeskulturbeirates sowie der Kulturabteilung der Stadt Salzburg zusammen. Das Interesse der Kulturabteilung, das Thema Leerstandsnutzung zu verfolgen, geht insbesondere auf die Ergebnisse des BürgerInnenbeteiligungsforums SchallmoosWest 23 sowie
22 Die mittlerweile in vielen Städten Deutschlands und auch bereits in Wien bestehende Online-Plattform (www.leerstandmelder.de) wurde im Zuge der Vernetzung der künstlerischen und aktivistischen Szene entgegen den Gentrifizierungsprozessen in Hamburg entwickelt. Die Online-Plattform ermöglicht, basierend auf Google Maps, das Eintragen von im Stadtraum gesichteten Leerständen, um so eine visuelle Kartierung des ungenutzten Raums in der Stadt sichtbar zu machen. Der erste Leerstandsmelder Österreichs wurde von der IG Kultur in Wien initiiert. Begleitend wurde eine dreiteilige Studie „Perspektive Leerstand“ über die Situation in Wien herausgegeben (IG Kultur Wien 2011, 2012; MA 18 – Stadtentwicklung und Stadtplanung Wien 2013). 23 Im März 2012 initiierte die Salzburger Stadtplanung die „Ideenwerkstatt SchallmoosWest“ als Format zur BürgerInnenbeteiligung am Entwicklungsprozess des Stadtteils. Nach Fertigstellung des neuen Bahnhofs wird für das angrenzende Gebiet „Schallmoos West“ ein Aufschwung erwartet. Ausgehend von der historisch gewachsenen sehr heterogenen Bebauung – bspw. sind Einfamilienhäuser neben Gewerbeflächen zu finden – sollten neue Visionen für den Stadtteil entwickelt werden (vgl. Stadt
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auf den Prozess des neuen Kulturleitbildes24 der Stadt zurück; in beiden Fällen wurde das Thema Zwischennutzung für künstlerische und soziokulturelle Projekte thematisiert. Mit der Einführung der Online-Plattform „Leerstandsmelder“ möchte die Kulturabteilung einen Akzent in Richtung Leerstandsnutzung setzen.25 1.2.2 Stadtentwicklung, Kunst, Kultur, Kreativwirtschaft und Partizipation: Das Stadtwerk Lehen als Kreativzentrum Die Bedeutung von Kulturpolitik und Kulturarbeit für die alltägliche soziale Textur einer Stadt wird insbesondere auf Stadtteilebene sichtbar. Salzburgs Stadtplanungs-Stadtrat Johann Padutsch ist der Ansicht, dass Kunst und Kultur ein Grundbedürfnis aller Menschen sei, vor allem für jene, die in benachteiligten Stadtteilen wohnen: „Für die Stadtentwicklung ist Kunst und Kultur natürlich immer so etwas wie ein Katalysator, weil Kunst und Kultur sich zwar aus dem Alltag, aus dem Gewöhnlichen abheben, aber trotzdem fast wie ein Grundnahrungsmittel für die Seele gelten – gerade auch in benachteiligten Stadtteilen oder in Stadtteilen mit benachteiligten Strukturen, mit Menschen, die vielleicht ansonsten gar nicht einmal in die Altstadt oder ins Zentrum fahren, um sich Kunst und Kultur sozusagen zu geben, aber die dann, wie zufällig vor Ort, direkt damit konfrontiert werden und für die das auch etwas bewegt.“ (Interview mit Johann Padutsch am 25.7.2011, S. 5)
Salzburg – Projektdokumentation, http://www.stadt-salzburg.at/internet/wirtschaft_ umwelt/stadtplanung/ideenwerkstatt_schal_352355/projektdokumentation_352339.htm (15.7.2012). 24 Vgl. Kulturleitbild Salzburg Neu, http://www.stadt-salzburg.at/internet/websites/ kultur/kultur/kulturservice_foerderung/kulturleitbild_aktua_370239/kulturleitbild_ salzburg_neu_376835.htm (5.8.2013). 25 Seit Abschluss der vorliegenden Forschungsarbeit 2014 hat sich einiges getan: 2015 wurde „SUPER – Initiative zur Nutzung von Leerständen als Handlungsräume für Kultur und Wissen“ gegründet, die von Stadt und Land Salzburg unterstützt wird und eng mit diesen zusammenarbeitet. Super vermittelt Leerstände für künstlerische und soziokulturelle Projekte (vgl. www.super-initiative.at [21.8.2017]). So wurde von SUPER bspw. eine ehemalige Trachtenfabrik im Stadtteil Schallmoos, für sechs durch das Land Salzburg geförderten KünstlerInnen-Ateliers, vermittelt (vgl. Ruep 2017: 9).
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Hinsichtlich der kulturellen Basisversorgung schwebt Padutsch die flächendeckende Schaffung von Stadtteilbüros vor:26 „Mein Gedanke war immer, dass wir tatsächliche Stadtteilbüros schaffen, diese können ruhig weiterhin Bewohnerservicestellen heißen, aber dann eben für Liefering eines und für Lehen eines und dann auch eine budgetäre oder personelle Ausstattung schaffen, die zum Beispiel solche Schwerpunktsetzungen [wie] Ausländerthema, Integrationsthema sowohl präventiv als auch reaktiv […] relativ rasch bearbeiten kann, das war der Grundgedanke. Und auch das erreichen wir zumindest ein wenig, denn mittlerweile ist es auch für den Bürgermeister – und der hat nun einmal die Hand auf dem Geld – relativ klar, dass es da [im Stadtwerk Lehen] auch in Zukunft so etwas wie eine Anlaufstelle, eine Bewohnerservicestelle geben wird.“ (Interview mit Johann Padutsch am 25.7.2011, S. 10)
Die strategische Platzierung von Kunst- und Kultureinrichtungen zur Belebung auf Stadtteilebene in Kombination mit partizipativen Strukturen von kommunaler Seite wurde in Salzburg im Rahmen der stadtplanerischen Entwicklung des ehemaligen Stadtwerkeareals zentral gesetzt. Mit dem Stadtentwicklungsprojekt „Stadtwerk Lehen“ auf dem ehemaligen Areal der Salzburger Stadtwerke entsteht ein neuer Stadtteil (Spatenstich 2009).27 Das Besondere an diesem Bauprojekt im Salzburger Kontext ist die Integration von Wohnbau, Gewerbeteilen und Freiraum mit dem Ziel, eine möglichst urbane Atmosphäre zu schaffen sowie die BürgerInnenbeteiligung zu Beginn des Planungsprozesses28 zu fördern und die Begleitung durch ein Quartiersmanagement als Anlaufstelle für BürgerInnen während der Bauphase und schließlich im bewohnten Quartier zu etablieren.29
26 Neben Lehen nennt Padutsch Elisabethvorstadt, Itzling und Schallmoos als Stadtteile, die in künftigen Entwicklungsszenarien eine wichtige Rolle spielen würden. 27 Das Areal umfasst eine Größe von 4,27 ha und ist in Wohnbau und Gewerbeteil untergliedert. Knapp 300 Wohnungen sowie ein StudentInnenheim wurden von 2009 bis 2011 gebaut. 1.600 m² „urbane Sockelzone“ mit teils kultureller Nutzung sind vorgesehen sowie neben dem „Gewerbe- und Competence-Park“ ein Kindergarten und die Umnutzung der Frey-Villa (vgl. Das Projekt – Stadtwerk Lehen, http://www. stadtwerklehen.at/?page_id=7 [5.4.2012]). 28 Der Masterplan wurde 2004 von Max Rider und Slowfuture in einem moderierten Verfahren erarbeitet. 29 Für den Aufbau und die Leitung des Quartiersmanagements wurde „wohnbund:consult – Büro für Stadt.Raum.Entwicklung“ beauftragt.
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Auch das bis dahin im Salzburger innerstädtischen Diskurs kaum präsente Label „Kreativwirtschaft“ wurde in diesem Kontext verstärkt genutzt und sollte ein Gefühl von Urbanität prägen sowie als Kontrapunkt zum touristischen Zentrum der Salzburger Altstadt fungieren. Kreativwirtschaft soll im Stadtwerk Lehen insbesondere durch das im ehemaligen Stadtwerkehochhaus angesiedelte „Designforum“ sichtbar werden das als Präsentationsraum dienen und Sichtbarkeit für die kreativwirtschaftliche Szene Salzburgs schaffen soll. In der Imagepolitik Salzburgs scheinen Kunst und Kultur so stark als Identifikationskategorie zu fungieren, dass sich das Label Kreativwirtschaft bislang nicht durchsetzen konnte (vgl. Marchner 2011: 6). Doch ist seit einigen Jahren der Versuch der Herausbildung einer sichtbaren kreativwirtschaftlichen Szene bzw. der Wunsch und Versuch von AkteurInnen, sich das Label anzueignen und als solches sichtbar zu machen, zu beobachten. Die Schwierigkeit, das Label „Kreativwirtschaft“ einzuführen, verweist umso mehr auf die eklatante lokale Dominanz eines Kulturverständnisses als „kulturellem Erbe“, insofern es ebenso auf ein wirtschaftliches Interesse und eine ökonomische Positionierung des Feldes bzw. der AkteurInnen zielt. Hierbei werden der Kampf um symbolischen Raum und die Selbstdefinition (auf diskursiver Ebene in der Stadt) deutlich. Dass im Vergleich dazu nicht kommerzielle und gesellschaftskritische Kunst- und Kulturarbeit umso größere Schwierigkeiten in einer gesamtstädtischen Platznahme haben müssen, liegt dabei auf der Hand. Tätigkeiten ohne kommerzielles Interesse erreichen vergleichsweise nur geringe Sichtbarkeit und spielen eine untergeordnete Rolle im Selbstverständnis, in der Selbstdefinition und Selbstrepräsentation der Stadt. Der diskursive Ansatz des Quartiersmanagements im Stadtwerk Lehen, Kunst als möglichen neuen Imagefaktor für den Stadtteil Lehen zu positionieren, wird bspw. im Video „Wird Lehen das neue SOHO?“ zum Ausdruck gebracht, das auf der Website des Quartiersmanagements die mit dem Bauprojekt verbundenen Wünsche und Hoffnungen diverser AkteurInnen (von BauträgerInnen bis hin zu potenziellen NutzerInnen) sichtbar macht. 30
30 Das Video „Wird Lehen das neue SOHO?“ besteht aus einer Interviewserie mit als „Stadtwerker“ bezeichneten BesucherInnen einer Kunstintervention am Areal (Interviews mit Planungsstadtrat Johann Padutsch, mit VertreterInnen der Baufirmen und Interessierten aus Jugend- und Kulturarbeit sowie einigen KünstlerInnen; vgl. Stadtwerker – Stadtwerk Lehen, http://www.stadtwerklehen.at/?page_id=455 [30.11. 2012]).
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Vom Quartiersmanagement initiiert oder mitgetragen waren im Bereich der Kulturarbeit (bis 2012) zwei Stadtteilbücher (unter Beteiligung der BewohnerInnen), die Initiative eines Stadtteiltheaters, Ausstellungen, Stadtteilfeste und weitere Aktivitäten. Zwei große Salzburger Kunstinstitutionen sollen im neuen Stadtwerk einziehen: zum einen die Galerie Fotohof, die international renommierte Arbeit im Bereich Fotografie leistet, und zum anderen die neue Galerie der Stadt Salzburg.31 Ursprünglich war auch ein Atelierhaus geplant, um neben den Ausstellungsorten (als Orte der Repräsentation) auch Räume für künstlerische und kulturelle Produktion zu ermöglichen. Jedoch erwiesen sich die Mietpreise letztendlich als unerschwinglich für Kulturschaffende. Am Beispiel des Stadtwerks Lehen lassen sich auf diskursiver Ebene verschiedene Projektionen, Wünsche und städtische Utopien ablesen. So galt es während des Entwicklungsprozesses als Vorzeigeprojekt partizipatorischer und progressiver Stadtplanungsideen, erhielt jedoch insbesondere durch die zeitgleiche Sanierung einer nahe gelegenen Siedlung und die damit verbundene teilweise „Zwangsumsiedlung“ von BewohnerInnen ins neu gebaute Stadtwerk Lehen an innerstädtischer Brisanz.32 Hinzu kam die teilweise Diskrepanz zwischen Planung und Umsetzung der Bauvorhaben. Die zu dichte Bebauung und der Mangel an Grünflächen wurden kritisiert, insgesamt wurde bemängelt, dass das Ergebnis zum Teil nicht den ambitionierten Planungsvorhaben entsprach. Da jedoch die unterschiedlichen Bauabschnitte erst nach und nach fertiggestellt werden, kann ein Gesamteindruck bzw. eine Gesamtbewertung von Planungserfolg oder -misserfolg erst nach Fertigstellung sowie im Laufe der kommenden Jahre hinsichtlich der Weiterentwicklung des gesamten Quartiers bewertet werden. Dies betrifft ebenfalls den Versuch, durch BürgerInnenbeteiligung im Entwicklungsprozess sowie durch Etablierung eines Stadtteilbüros (in Form eines Quartiersmanagements) zur Förderung von Basiskulturarbeit und zur Entstehung nachhaltiger sozialer Beziehungen im Stadtteil beizutragen.
31 Bis zu diesem Zeitpunkt besaß die Stadt keinen repräsentativen Galerieraum, sondern über die Stadt verteilt mehrere, kleinere Ausstellungsräume. 32 Das Vorzeigeprojekt wurde plötzlich zum Synonym der Zwangsumsiedlung durch den unfreiwilligen Einzug eines Teils der neuen BewohnerInnen. Dies führte de facto zu einer Beeinträchtigung des ursprünglichen Belegungskonzeptes bei der Wohnungsvergabe im Stadtwerk Lehen.
2. Zeitliche und räumliche Einbettung: Alternativkultur, Kunst und Stadt
Bevor wir uns konkreten kulturellen Initiativen im empirischen Feld der Stadt Salzburg widmen, möchte ich eine kurze historische Einbettung von Raumaneignungspraxen im Feld der „Alternativkultur“ (alternativkulturelle bis politische Selbstorganisation), sowie zum Themenfeld „Kunst und Stadt“ (künstlerische Selbstorganisation und partizipative Kunst) geben.
2.1 ALTERNATIVKULTURELLER AUFBRUCH Die Alternativkultur dient mir als Bezugspunkt für die Frage, wo abseits von Erwerbsarbeit und Konsum, Gemeinschaft und Teilhabe hergestellt werden können: Das Jahr 1968 avanciert im Rückblick zum symbolischen Datum für einen gesamtgesellschaftlichen Aufbruch und bezeichnet zugleich die Geburtsstunde der Alternativkultur, da die Erprobung alternativer Lebensstile sowie neuer Arbeits- und Wohnformen weitreichende Folgen in der gesamtgesellschaftlichen Umstrukturierung haben sollte. Ausgehend von den Studentenrevolten von 1968 und den 70er Jahren sowie ihrer gesellschaftspolitischen Kritik am elitären und bürgerlichen Lebensstil entstand die alternativkulturelle Bewegung, die in ihrem kulturpolitischen Selbstverständnis den Do-it-yourself-Gedanken als zentral betrachtete. Es ging darum, neue Lebensentwürfe als umfassende Antwort auf das bürgerliche Leben (der Elterngeneration) zu erproben und jede/n Einzelne/n als kulturelle/r Produzent/in und AkteurIn gesellschaftlicher Veränderung und Emanzipation zu verstehen. Die Kritik am bürgerlichen Leben basiert großteils auf politisch-theoretischen Überlegungen aus sozialistischer bis anarchistischer Gesellschaftskritik (vgl. Graeber 2008, Castoriadis 1991) und suchte, in ihrer umfassenden Gesellschaftskritik, gleichermaßen Anknüpfungspunkte zu den ArbeiterInnen (als revolutionärem Subjekt etc.) sowie zum künstlerischen Feld und
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der dortigen Forderung nach einer Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben. Dabei hatte Kulturarbeit in den neuen sozialen Bewegungen in Europa jeweils entsprechend nationalen Traditionen verschiedenen Stellenwert. Während in den 1960er und 70er-Jahren die Zielrichtung des Protests der revolutionären Systemveränderung galt, richtete die Jugendbewegung der 1980er Jahre ihre Ziele verstärkt auf Autonomie und Selbstbestimmung (vgl. Friedrichs/Balz 2012: 16). Laut Jan-Henrik Friedrichs und Hanno Balz lässt sich daher „das politische Paradigma vieler Bewegungsrichtungen der frühen 1980er Jahre […] am Deutlichsten am Wandel der Präfixe von ‚Gegen‘ zu ‚Alternativ‘ illustrieren.“ (Ebd.: 17). Für die Entstehung „alternativer Milieus“1 sowie für den inneren Zusammenhalt der alternativkulturellen Bewegung war seit den späten 1970er Jahren die Ausrichtung an einer „individualistisch gefärbten Agenda.“ In dieser wurden „die eigenen Alltagspraxen zu einem Teil des politischen Programms […] und eigene (Frei-)Räume und Subkulturen [erhielten] einen höheren Stellenwert […] als eine breite Mobilisierung, die sich dem klassischen Modell der Aufklärung verpflichtet fühlte.“ (Ebd.: 18) Diese Hinwendung zu konkreten alltäglichen Aspekten des Politischen führte auch „zu einer zunehmenden Beschäftigung mit der Stadt als dem Ort, an dem sich die gesellschaftlichen Widersprüche manifestierten und angreifbar“ werden. Die Stadt war nun nicht mehr „nur Bühne, sondern auch Objekt des Protests.“ Sichtbar wurde dies in einer für die neuen „autonomen“ Bewegungen charakteristische Aktionsform: „die Besetzung leerstehenden Wohnraums.“ (Ebd.: 22f.) Friedrichs/Balz werfen in diesem Kontext die Frage auf inwieweit „Raum“ in den 1980er Jahren als wesentliche Bezugsgröße der alternativkulturellen Bewegung verstanden werden kann, im Gegensatz zu den sozialen Kategorien wie „Klasse“ oder „Gesellschaft“ als wesentliche Merkmale der 1968-Bewegung (vgl. ebd.: 24). Die alternativkulturelle Bewegung hatte von Beginn an eine enge Beziehung zur Stadt. Die Aneignung von kostengünstigem bzw. kostenlosem Raum sollte einen zentralen Stellenwert in der Erprobung alternativkultureller Lebensentwürfe haben und stellte damit die verräumlichte Dimension des sozialen und kulturellen Protests dar. Es ging um die Forderung nach Freiraum für kulturelle Selbstverwirklichung und um öffentlichen Raum als Allgemeingut, als Allmende. Vor dem Hintergrund des zu jener Zeit vorherrschenden funktionalen Stadtbildes können die durch die Protestbewegungen eingeleiteten Prozesse einer selbstorganisierten Wiederaneignung urbaner Räume durch die StadtbewohnerInnen als „Wiederkehr der Stadt“ bezeichnet werden (vgl. Mattl 2012: 22).
1
Weiterführend zur Entstehung alternativer Milieus siehe (Reichhardt/Siegfried 2010).
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Siegfried Mattl spricht in diesem Zusammenhang von einem „Widerstand der Orte“, der zum „Widerstand der Rituale“ (Dick Hebdige) hinzukommt. Die besetzten Räume/Orte wurden zu den Angelpunkten der sozialen Bewegungen und Enklaven realer Utopien (vgl. Mattl 2012: 27f.). In den Jugendprotest- und Hausbesetzungsbewegungen ging es um neue Lebensstile und Lebensentwürfe, die sich einer überkommenen Disziplin und geordneten Lebensperspektiven der wohlfahrtsstaatlichen Verwaltung widersetzten (vgl. ebd.: 27). Die Protestbewegung manifestierte sich in der Aneignung bzw. Besetzung physischer Räume. In diesem Kontext gewann der Begriff „Freiraum“ zentrale Bedeutung und Symbolkraft. Er ist heute weiterhin ein Schlüsselbegriff der alternativkulturellen Szene bzw. alternativ- und gegenkultureller Initiativen. Der Begriff selbst impliziert bzw. evoziert durch seine Geschichte die Forderung nach Raum und ist eng verknüpft mit der Geschichte der Jugend- und Hausbesetzungsbewegung zur Etablierung alternativer Kultur- und Wohnräume als Teil alternativer Lebensstile in den 1970er und 80er Jahren. 2.1.1 Freiraum: autonome und soziale Zentren Die Begriffe „autonomes Zentrum“ und „soziales Zentrum“, die sich um den Freiraumgedanken in einer links-aktivistischen Tradition gruppieren, sind auch in ihrer historischen Dimension im Kontext der sozialen Bewegungen der 1960er bis 1980er Jahre zu verorten. Der Begriff „soziales Zentrum“ stellt eine Übersetzung der im Englischen (Social Centers) und Italienischen (Centri Sociali) gebräuchlichen Begriffe dar, wobei im deutschsprachigen Raum stärker der Begriff „autonomes Zentrum“ gebräuchlich ist. Das in England gebräuchliche „Social Center“ sowie das in Italien gebräuchliche „Centro Sociale“ haben ihre Wurzeln in den jeweiligen ArbeiterInnenbewegungen des 20. Jahrhunderts. Die Begriffe implizieren ein umfassendes Verständnis des Sozialen, das das Kulturelle und die Kulturarbeit miteinschließt. Kulturarbeit war in der ArbeiterInnenbewegung genauso wie in den neuen sozialen Bewegungen zentraler Bestandteil der Utopie einer anderen Welt und der Vorwegnahme einer post-kapitalistischen Gesellschaft. Zentral in all diesen Konzepten ist die Selbstverwaltung und Selbstorganisation im Sinne von „Autonomie“. In London, Amsterdam, Zürich und anderen europäischen Städten bildeten sich Mitte bis Ende der 1970er Jahre aktive alternative Szenen, „die durch Formen der Selbstverwaltung, der Gegenkultur, des Widerstandes gegen die Umstrukturierung der Städte usw. Freiräume mit einem ganzen Universum von – wenn auch nicht unbedingt systemüberwindenden – Symbolen und Praktiken der
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Selbstbestimmung erkämpfte […].“ (De Sario 2012: 81) In Italien wurde die Etablierung der „Centri Sociali“ zu einem zentralen Bestandteil der gegenkulturellen Jugendbewegungen der ausgehenden 1970er Jahre sowie der 80er Jahre – und bezeichnet selbstverwaltete Häuser, die man sich meist im Zuge einer Hausbesetzung angeeignet hat und die soziale, kulturelle und linkspolitische Initiativen unter ihrem Dach versammeln. Im Kontext der selbstverwalteten Centri Sociali kam es zu „einer umfangreichen kulturellen Eigenproduktion, vor allem in der Verlags- und Musikszene.“ (De Sario 2012: 79) Laut Friedrichs und Balz erlaubten die Centri Sociali „als gegenhegemoniales Projekt […] das Experimentieren mit neuen Formen der Bildung, der (sub)kulturellen Produktion und nicht zuletzt des politischen Aktivismus.“ (vgl. Friedrichs/Balzo: 25) Die Centri Sociali entwickelten sich zu Orten der selbstorganisierten Kulturproduktion. Seit Anfang der 1990er Jahre verloren sie allerdings an Bedeutung, nicht zuletzt aufgrund einer zunehmenden Vereinnahmung der Alternativkultur durch den Markt (vgl. ebd.: 26). Hervorzuheben ist mit Hanno Balz, dass die Mischung aus kultureller und politischer Arbeit die in den Centri Sociali stattfand, als Vorläufer „zur Legitimierung von Formen nicht-institutioneller Politik, der Politisierung des Gemeineigentums und von neuen Formen des sozialen Zusammenlebens“ im Kontext der globalisierungskritischen Bewegung zu sehen ist (vgl. De Sario 2012: 88).2 Der im angloamerikanischen Raum gebräuchliche Begriff „Social Center“ geht ebenfalls auf linke bis anarchistische Ansätze zurück. Eine stärkere Vernetzung und Profilierung der Social Centers in England ist auch in Abgrenzung zu den in den letzten Jahren entstehenden „Community Centers“ zu beobachten. 2008 wurde bspw. das „UK Social Centre Network“ gegründet, das sich selbst in einer linkspolitischen Tradition situiert und als Teil einer autonomen Bewegung versteht (vgl. Chatterton/Hodkinson 2006). Andre Pusey (2010) versteht die Praxis der Social Centres auch als Gegenpol zu Prozessen der Gentrifizierung: „In response to these developments, social centres represent an attempt to open up pockets of space that are dedicated to people rather than profit. These are spaces where people can experiment, relax, and become involved in a plethora of activities based on cooperative principles at a grassroots level.“ (Pusey 2010: 177)
Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff „autonomes/selbstverwaltetes (Kultur-)Zentrum“ die übliche Bezeichnung bzw. waren dies die Begriffe, die
2
Weiterführend zu den Centri Sociali siehe (Moroni et al. 1996).
Z EITLICHE UND RÄUMLICHE E INBETTUNG
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sich in den 1970er und 80er Jahren in Zusammenhang mit der Hausbesetzungsbewegung etablierten. Heute scheint sich auch der Begriff „soziales Zentrum“ im deutschen Sprachgebrauch stärker zu verbreiten. 3 Autonome Zentren sind selbstverwaltete, kulturelle und soziopolitische Institutionen und unterscheiden sich damit von staatlichen und städtischen Einrichtungen und deren Finanzierung. Ihre Entstehung ist vor allem ab den 80er Jahren und in Zusammenhang mit der Hausbesetzungsbewegung zu sehen. Überregionale Bekanntheit haben bspw. die Köpi und der Mehringhof in Berlin sowie die Rote Flora in Hamburg.4 „Die Unterschiede in der Trägerschaft sind jedoch groß, sie reichen von Autonomen Zentren in besetzten Häusern bis zu städtisch mitfinanzierten Autonomen Jugendzentren. Ein autonomes Zentrum wird nicht hierarchisch geleitet, sondern basisdemokratisch und kollektiv organisiert. […] In Autonomen Zentren finden Veranstaltungen wie Konzerte und Vorträge statt, die meist aus dem politisch links gerichteten Spektrum stammen. […] Häufig befinden sich in Autonomen Zentren Infoläden der linksalternativen und antifaschistischen politischen Szene.“5
Karsten Dustin Hoffmann unterscheidet zwei Arten Autonomer Zentren: Jene die ausschließlich als Versammlungs- und Veranstaltungszentren dienen (z.B. die Rote Flora), sowie jene die auch als Wohnstätten dienen (z.B. die Köpi137) (vgl. Hoffmann 2012: o.S.). „Alles beginnt mit einem ‚Freiraum‘, in dem alternative Konzepte erdacht, geplant und gelebt werden. Der nächste Schritt der Freiraumstrategie ist nicht, dieses Zentrum als Basis für einen revolutionären Umsturz zu nutzen. Der nächste Schritt ist die Erweiterung des ersten und die Gründung des nächsten Freiraums (und so weiter) – bis die Freiräume so groß sind, das sie zusammenwachsen können und irgendwann die ganze Welt ein Freiraum ist.“ (Ebd.)
3
Siehe dazu das Fallbeispiel „SUB“ in dieser Arbeit (S. 238-264).
4
Vgl. Autonomes Zentrum – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Autonomes_ Zentrum (5.9.2013).
5
Ebd.
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2.1.2 Die Hausbesetzungsbewegung in Europa seit den 1970er Jahren Die Hausbesetzungsbewegung nahm in Europa ihre Anfänge Mitte der 1960er Jahre in Amsterdam, wo Studierende vom Abriss bedrohte Häuser besetzten, um auf die bestehende Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Wohnungsnot herrschte auch in anderen europäischen Ländern und die städtebauliche Politik nach dem Leitbild der funktionalen Stadt sah den großflächigen Abriss alter Bausubstanz vor, um diese durch moderne Wohnblöcke zu ersetzen. Dagegen formierte sich Widerstand. Es kam zu einer Welle von Hausbesetzungen in ganz Europa.6 Die besetzten Häuser dienten neben der unmittelbaren Beschaffung von Wohnraum vor allem als Orte zur Realisierung alternativer Lebensentwürfe und der Organisierung der außerparlamentarischen Linken – also der Schaffung von sozialem Raum. Die Jugendrevolten Anfang der 80er Jahre brachten dann einen neuen Schwung in die Hausbesetzungsbewegung. Aufgrund der unverhältnismäßigen Repression gegen die Züricher Jugendbewegung formierte sich europaweit Solidarität und der Kampf um alternativkulturellen Freiraum wurde verstärkt als internationale Bewegung erlebt.7 In Berlin explodierte Anfang der 80er Jahre die „Instandsetzungsbewegung“ – 160 Häuser wurden von rund 5.000 BesetzerInnen besetzt und mit Renovierungsarbeiten wurde begonnen. Auch hier gab es massive Polizeirepression, die in der Folge dazu führte, dass etliche Hausprojekte Legalisierungsmodelle (sei es über Prekariatsverträge oder andere alternative Mietverträge) anstrebten (vgl. Mayer 2012: 46). Die Meriten der Hausbesetzungsbewegungen sind zum einen die Bewahrung zum Teil historischer Bausubstanz, zum anderen wurden Innenstadtviertel baulich wieder Instand gesetzt (vgl. ebd.: 48). Diesen Prozessen folgten jedoch in den 1990er Jahren wiederum Gentrifizierungsprozesse (vgl. Lees/Slater/Wyly 2010), die teilweise – nur unter anderen Vorzeichen – zur Verdrängung ansässiger BewohnerInnen führten. Seit den 1990er Jahren haben StadtpolitikerInnen das Potenzial subkultureller Milieus für
6
In Deutschland kam es ab Anfang der 70er Jahre, zuerst in Frankfurt und Hamburg, dann in weiteren Städten, zu Besetzungen. In London wurde das Squatting Ende der 60er bzw. Anfang der 70er zu einer Massenbewegung. Und in Kopenhagen kam es 1971 zur Gründung der legendären alternativen Wohnsiedlung „Freistaat Christiania“ (vgl. Mayer 2012: 44f.).
7
Zur Züricher Jugendrevolte und Hausbesetzungsbewegung siehe (Miklós Rózsa 2012).
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die Aufwertung von zuvor verfallenden Stadtteilen erkannt. Eine Förderung derselben wird zum Teil bewusst als Standortfaktor im Rahmen der internationalen Städtekonkurrenz genutzt. Gegenkulturelle Milieus werden dabei als Teil lokaler Kulturszenen verstanden und gerne in die neoliberale Stadtpolitik als konsumierbarer revolutionärer Chic integriert. Jedoch funktioniert die Vermarktung von Kreativität und Unangepasstheit nur, solange sie auf die Ebene des Lebensstils beschränkt bleibt. Sich der Vermarktung zu widersetzen hieße, Kapitalismuskritik zu üben und antikapitalistische Subsistenz-Modelle aufzubauen. Die Sozialtheoretiker Matteo Pasquinelli (2006) und David Harvey (2001) sehen mögliche Widerstandsstrategien gegen die Vermarktung des kollektiven symbolischen Kapitals von Städten in einer Neukodierung desselben. Pasquinelli und Harvey fragen danach, wie symbolisches Kapital des Widerstands, das nicht als weiteres Distinktionsmerkmal in die Vermarktung der Marke „Stadt“ eingeht, kollektiv hergestellt und reproduziert werden kann.
2.2 K UNST
UND
L EBEN – K UNST
UND
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Den zweiten diskursiven Strang der Forderung einer „Kultur für und von allen“ ist in der Entwicklung künstlerischer Praxen der Intervention und Partizipation (in der Stadt) zu verfolgen. Die Entwicklungen im Kunstfeld sind für die Fragestellung vorliegender Arbeit in zweifacher Weise von Bedeutung, zum einen auf einer allgemeinen Ebene der gesellschaftlichen Gestaltung des Symbolischen und Imaginären: Durch Grenzüberschreitungen werden im Kunstfeld Weichen für Veränderungen im gesamtgesellschaftlichen Kontext gestellt – da das Kunstfeld als symbolisches Machtfeld eine gesamtgesellschaftliche Strahlkraft hat und damit am Symbolischen und Imaginären einer Gesellschaft arbeitet. Zum anderen bestehen seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts fortwährende Bestrebungen im Kunstfeld, aus dem rein symbolischen Raum auszubrechen und in Interaktion mit dem tatsächlichen Leben, mit dem Alltag zu treten. 2.2.1 Vom Objekt zur Intervention in der Stadt Die Hinterfragung der Grenzen zwischen Kunst und Leben hat in der Geschichte der zeitgenössischen Kunst einen wichtigen Platz erkämpft. Die Schaffung von Situationen wurde zu einer zentralen Strategie in der künstlerischen Hinterfragung und Nivellierung der Grenzen zwischen Kunst und Leben. Dies äußerte sich seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts in den Bewegungen beginnend mit dem Futurismus, Dadaismus und Surrealismus, sowie dem russischen Konstruk-
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tivismus – sie alle setzten die künstlerische Praxis in Verbindung mit gesellschaftspolitischen Zielen (vgl. Butin 2014a: 198). Seit den 1960er und 70er Jahren gewann die „Arbeit an der Gemeinschaft“ (Kravagna 1998) in zahlreichen künstlerischen Praxen an Bedeutung. Während vorerst die Infragestellung der Produktionsbedingungen von Kunst und des Kunstfeldes selbst im Zentrum der Reflexion stand, verlagerte sich das Handlungs- und Reflexionsfeld von KünstlerInnen spätestens ab den 1990er und 2000er Jahren aus dem Ausstellungraum hinaus in die Stadt und in Alltagskontexte (vgl. O’Neill 2010). Parallel vollzog sich eine Verschiebung von der vormaligen Objekt-Subjekt-Beziehung (zw. Werk und BetrachterIn) hin zu einer Subjekt-Subjekt-Beziehung (zw. KünstlerIn und Co-ProduzentIn) (vgl. O’Neill 2010: 2) und zu partizipativen und interventionistischen künstlerischen Praxen (vgl. Zinggl 2001). Im Kontext dieser Entwicklungen wurde die Stadt zu einem zentralen Gegenstand und Handlungsraum künstlerisch-politischer Arbeiten (Butin 2014b: 208). In diesem Kontext wurde mit „site specific art“ (Kwon 2002) zu Beginn die Zusammengehörigkeit des Kunstwerks und des Ortes bezeichnet, wobei das Kunstwerk nicht vom Ort getrennt werden durfte (vgl. Felshin 1995: 20). In der Weiterentwicklung der „New Genre Public Art“ (Lacy 1995) wurde der Begriff des Ortes zunehmend ersetzt oder umgedeutet auf den Aspekt der Gemeinschaft (vgl. Felshin 1995: 21). Insgesamt reichten die Ziele künstlerisch-politischer Praxen in den 1990er Jahren „von symbolischen, modellhaften oder diskursiven Produktionen bis zu Formen konkreter sozialer oder politischer Interventionen.“ (Butin 2014b: 210) Darauf aufbauend haben sich in der zeitgenössischen Kunst vielfältige partizipative und interventionistische Strategien entwickelt (siehe z.B. Bishop 2012; Feldhoff 2014; Milevska 2015, 2016). Unter Bezeichnungen wie „Relational Aesthetics“ (Bourriaud 1998) „New Situationism“ (Doherty 2004), „Socially engaged Art“ (Bishop 2006), „Dialogical Aesthetics“ (Kester 2004), „Activist Art“ (Felshin 1995) greifen künstlerische Praxen seit den 1990er Jahren den Faden kritischer künstlerischer Praxen der 1960er und 70er wieder auf und die gesellschaftliche Rolle von Kunst wird insbesondere in Bezug auf Formen der Partizipation und Intervention debattiert. Die künstlerische Arbeit mit dem physischen und sozialen Lebensraum verändert zugleich auch die gesellschaftliche Rolle der KünstlerInnen – von einer vormals vorrangig abbildenden (also deskriptiven und
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interpretativen) Arbeit zu einer gesellschaftlich gestaltenden und eingreifenden Tätigkeit – und nähert sich damit der Figur der politischen AktivistInnen an. 8 Eine Spielvariante von Kunst und Leben war und ist das Handlungsfeld Kunst und Stadt. Die Situationisten hatten einen speziellen Fokus auf die Stadt als künstlerisches Handlungsfeld und Mikrokosmos gesellschaftlicher Zusammenhänge gelegt – ein Feld, in dem Kunst und Leben, Kunst und Politik als zusammengehörige Aspekte des alltäglichen Lebens begriffen und erforscht werden können. Die situationistische Kritik richtete sich dabei gleichzeitig gegen die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche in der Konsumgesellschaft und in der Gesellschaft des Spektakels. Nach einem Hoch von ortsspezifischer Kunst setzte sich der Trend fort in Richtung themenspezifischer sozial intervenierender Kunst (vgl. Kwon 2002). 2.2.2 Ortsspezifische Kunst In der Entwicklung ortsspezifischer Kunst unterscheidet Miwon Kwon die drei Paradigmen (1) „Kunst im öffentlichen Raum“, (2) „Kunst als öffentlicher Raum“ und (3) „Kunst im öffentlichen Interesse“ (vgl. Kwon 2002; Lewitzky 2005). Paula Hildebrandt erweitert diese um ein viertes Paradigma, das sie in Anlehnung an Paul O’Neill (2010) als „Kunst öffentlicher Partizipation“ bezeichnet. Die vier Paradigmen werden nicht als lineare Entwicklung verstanden, sondern sollen verschiedene Strömungen im Themenfeld urbaner Kunst strukturieren und zusammenfassen (vgl. Hildebrandt 2012: 724). Die Bezeichnung „Kunst im öffentlichen Raum“ umfasste insbesondere skulpturale Praxen der Objektkunst und wird den vielfältigen zeitgenössischen künstlerischen Praxen in der Stadt „schon lange nicht mehr gerecht“ (ebd.). Mittlerweile werden insbesondere das interventionistische Potenzial sowie die transitorischen Formen zeitgenössischer Kunstpraxen berücksichtigt. Während im Konzept der „site-specifity“ (Ortsspezifik oder Ortsbezogenheit) der öffentliche Raum „wieder für die Menschen zu einem Ort selbstbestimmten Handelns und Kommunizierens“ (ebd.: 725) werden sollte, geht es in der Weiterentwicklung zunehmend um die „Herstellung alternativer Öffentlichkeiten“ und damit um „Kunst als öffentlicher Raum“. Kunst fand nicht mehr lediglich im öffentlichen Raum statt, sondern sie wurde „ihrem Wesen nach öffentlich“ (ebd.). Unter dem
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Die zum Teil radikalen Infragestellungen mit dem Ziel der Überwindung der Grenze zwischen Kunst und Leben werden jedoch konterkariert durch die Ausdifferenzierung sowie die immer wachsende Kommerzialisierung des Kunstfeldes.
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Begriff „Kunst im öffentlichen Interesse“ sind insbesondere jene künstlerischen Praxen zu verstehen die der „New Genre Public Art“ (NGPA) (Lacy 1995) zugerechnet werden. Im Kontext der NGPA ging es meist explizit um soziale Fragen sowie um eine Rückbesinnung auf eine gesellschaftspolitische Verantwortung von Kunst (vgl. Hildebrandt 2012: 762). Laut Hildebrandt bezieht sich das Attribut „öffentlich“ heute nicht mehr lediglich auf nicht-institutionelle Standorte der Kunstproduktion, sondern insbesondere auf die soziale Dimension von Raum und die Ermöglichung einer „kollektive[n] Erfahrung“ (vgl. ebd.: 727; Sheik 2005). Anknüpfend an Paul O’Neill (2010) lassen sich die gegenwärtigen künstlerischen Praxen im urbanen Kontext insbesondere in Bezug auf „das Moment der Partizipation als situative, mittelfristige und kollektive Erfahrung von öffentlicher Zeit“ begreifen und mit dem Begriff der „Kunst öffentlicher Partizipation“ fassen (vgl. Hildebrandt 2012: 734). Diese Kunstpraxen im urbanen Kontext – die von performativer Kunst über bildende Kunst bis hin zu genreübergreifenden partizipativen Kunstprojekten reichen – fordern das kulturelle Selbstverständnis einer Stadt und ihrer BewohnerInnen heraus. Sie können somit direkte Auslöser für kontroversielle Diskurse über Selbst- und Fremddefinition sowie über die Offenheit eines Kollektivs bzw. einer Stadt sein und in der Folge zu einer kulturellen Infragestellung und Erneuerung kollektiver Identitäten und einer Stadt(teil)identität beitragen. Für Hildebrandt liegt das Potenzial urbaner Kunst, die „als Denkanstoß, Irritation oder symbolische Intervention“ verstanden wird, insbesondere in „der Anstiftung und Anregung zur Umdeutung, Aneignung und Transformation städtischer Räume.“ Damit trägt urbane Kunst zur „kontinuierlichen Neuerfindung (un-)möglicher Gemeinschaften [bei].“ (Ebd.: 736f.) 2.2.3 Aneignung von (Kunst-)Raum: Leerstandsnutzung als Strategie der Raumaneignung Ein (konkretes) Phänomen im Kontext Kunst und Stadt ist jenes der Leerstandsnutzung, das unmittelbar mit den Prozessen der Gentrifizierung in Verbindung steht. Wie dies Anna Hirschmann festhält sind Leerstände keine Zufälle, sondern im weiteren Zusammenhang der strukturellen Zusammenhänge der Raumproduktion zu betrachten: „Deutlich daran wird, dass Leerstand ein Zeichen ist, welches Ausschlüsse markiert. Leerstand bedeutet, dass anderswo Menschen Raum fehlt. Gäbe es einfachen Zugang zu Leerstand, würde er auch genutzt werden. Doch dafür müssten sich Eigentums- und Herr-
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schaftslogiken ändern und die sozialräumlich-konkreten Ausschlussregime abgeschafft werden.“ (Hirschmann o.J.: 148)
Im Kontext von Kunst und Stadt ist die Nutzung und Aneignung von Leerständen einerseits hinsichtlich der Frage kostengünstiger Raumnutzung virulent, als Teil künstlerischer Produktionspraxis, sowie anderseits als Gegenstand künstlerischer Interventionen mit Verweischarakter auf das allgemeine Thema der Raumnutzung. Es gibt zahlreiche künstlerische Projekte, die Leerstand zum Thema haben sowie andererseits sind Leerstände oftmals ein Desiderat von KünstlerInnen, um kostengünstigen Arbeitsraum zu finden. Die Aneignung leerstehender Räume und Gebäude ist eine in vielen Städten weltweit gängige Praxis von KünstlerInnen und „Kreativen“ sowie anderen urbanen AkteurInnen (z.B. HausbesetzerInnen, Raumsuchende), die ihren Bedürfnissen nach Raum (Arbeitsraum, Experimentierraum, Wohnraum etc.) Ausdruck verleihen oder sich in ortsspezifischen Vorhaben mit der Umgebung auseinandersetzen. Seit dem Hype der Kreativwirtschaft werden dabei in zahlreichen Städten Leerstände zuweilen zu günstigen Preisen auf begrenzte Zeit vermehrt AkteurInnen der Kreativwirtschaft zur Verfügung gestellt. 9 Die Förderung der Entstehung von „Creative Hubs“ verweist bereits auf die Rolle der Kreativwirtschaft für die Stadtplanung, die sich insgesamt vermehrt der Gestaltung des sozialen Raums als Teil der Planung und Gestaltung des physischen Raums einer Stadt öffnet. Raum als Ressource zur Entfaltung von Kreativität als sozialem Prozess wird dabei im städtischen Raum zuweilen von der Stadtpolitik und verwaltung vernachlässigt. Problematisch erscheint der Trend, in vielen Städten
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Im Kontext der Förderung der Kreativwirtschaft als Strategie in der Stadtplanung wird teilweise das Thema „Zwischennutzung“ mitverhandelt. Siehe z.B. im österreichischen Kontext die Wiener Initiative „Departure – die Kreativagentur der Stadt Wien“ (vgl. Departure – Home, http://www.departure.at [4.6.2012]). Nicht zuletzt die begriffliche Differenzierung zwischen „Leerstandsnutzung“ und „Zwischennutzung“ zeigt, dass das Thema der Raumnutzung in Städten ein Feld darstellt, in dem unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen (von NutzerInnen über Stadtverwaltung und -politik bis hin zur Wirtschaft und den PrivateigentümerInnen). Zielt das hinter dem Begriff „Zwischennutzung“ stehende Konzept auf eine temporäre Nutzung und Aufwertung eines Ortes ab, um ihn dann einer (meist kommerziellen) Hauptnutzung zuzuführen, stellt der Begriff „Leerstandsnutzung“ den Aspekt der Raumnutzung in den Vordergrund (vgl. dazu u.a. IG Kultur Wien – Studie: Perspektive Leerstand, http:// www.igkulturwien.net/index.php?id=236 (4.5.2014); Haydn/Temel 2006).
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die Leerstandsnutzung an ökonomische Verwertung zu koppeln, wodurch nichtkommerzielle Raumnutzungen Gefahr laufen, in den Hintergrund gedrängt zu werden. Das Loblied auf die Kreativwirtschaft beinhaltet die Gefahr, die Legitimität nicht-kommerziellen künstlerischen und kulturellen Schaffens zu untergraben. Um sich mit den Möglichkeiten einer anderen Raumproduktion beschäftigen zu können brauche es laut Hirschmann auch „andere Begriffe von Architektur und Gestaltung.“ (Hirschmann o.J.: 148) Eine solche Möglichkeit sieht Raphael Kiczka darin Leerstand zu Commons [zu] machen“ – er spricht von der Notwendigkeit eines Bruchs mit bisherigen Leerstandspolitiken. Aus seiner Sicht ginge es darum die Forderung nach Leerstandsnutzung „mit Visionen und Perspektiven einer emanzipatorischen Stadtgestaltung zu verbinden.“ (Kiczka o.J.: 116).
3. Aufbruch und alternativkulturelle Öffnung in Salzburg nach 1968
Ganz im Sinne von Ina-Maria Greverus’ Prinzip der Collage, das mit dem Aufbruch beginnt, um verfestigte kulturelle Muster aufzubrechen (und eine neue Zusammensetzung und Collagierung von Altem und Neuem, Eigenem und Fremden, in Richtung einer „gekonnten Collage“ zu ermöglichen), stand Salzburg vor rund 35 Jahren vor einem Wendepunkt seiner Topografie des Möglichen. Man könnte mit Jacques Rancière auch sagen, dass sich die „Aufteilung des Sinnlichen“ der Stadt verändern sollte. Der Begriff kulturelle Teilhabe sollte im Spirit post-68 auch hierzulande neu perspektiviert werden. Nicht mehr lediglich Volkskultur und Hochkultur waren ab dann auf der Landkarte des Möglichen dieser Stadt zu finden. Damals begann die Salzburger alternativkulturelle Szene Form anzunehmen und die Ereignisse der folgenden Jahre sollten die Narration der Stadt nachhaltig verändern.1 1
In diesem Kapitel dienen mir als Quellen insbesondere: die informationsreiche Diplomarbeit von Wolfgang Drechsler (1995), der die Arge-Rainberg-Bewegung in den Kontext von Bewegungen der Jugend-Gegenkultur stellt. Des Weiteren ist Gerald Wolfgang Gröchenig zu nennen, der in seiner Dissertation (1987) aus medienwissenschaftlicher Perspektive u.a. die Entstehungsgeschichte und Organisation des Filmkulturzentrums „Das Kino“ und des Vereins „Gegenlicht“ betrachtet. Weiters erschien 2011 der Dokumentarfilm „up to nothing – Aufruhr im Mozartdorf“, der die Entwicklung der Arge-Rainberg-Bewegung anhand von Videomaterial und Interviews mit den ehemaligen AktivistInnen in ihren heutigen Umfeldern nachzeichnet und der im Kontext des 30-jährigen Jubiläums der ARGEkultur (von Markus Grüner-Musil, Herman Peseckas und Piet Six) produziert wurde. Herman Peseckas dokumentierte schon damals als Mitglied der Medieninitiative „Gegenlicht“ die Aktivitäten der ArgeRainberg-Bewegung; besondere Beachtung erhielten dabei die Videos „Wenn der
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3.1 P HYSISCHE R AUMNAHME : J ULI 1976 – DIE B ESETZUNG DES P ETERSBRUNNHOFS Die Besetzung des Petersbrunnhofs durch rund 70 Jugendliche und junge Erwachsene im Juli 1976 versetzte Salzburg einen Kulturschock. Selbst wenn die BesetzerInnen im weitesten Sinne „harmlos“ ihrer Forderung nach einem „selbstverwalteten Kommunikationszentrum“ Ausdruck verliehen, schaffte die physische Raumnahme plötzlich Fakten: Es gab in Salzburg junge Menschen, die etwas anderes wollten als Brot und Spiele. Ihre Sehnsucht galt einem „offenen Haus“ – einem selbstverwalteten Jugend- und Kommunikationszentrum. Der Besetzung vorausgegangen waren von Juni 1975 bis April 1976 ergebnislose Gespräche der „Initiative Selbstverwaltetes Jugendzentrum Salzburg“ mit verantwortlichen PolitikerInnen (vgl. Dokumentation Offenes Haus 1976, S. 12; zit.n. Drechsler 1995: 32).2 Die Forderung nach der öffentlichen Subventionierung eines „autonomen selbstverwalteten“ Hauses wundert nicht, führt man sich vor Augen, dass die Festspiele zu jenem Zeitpunkt mit rund 60 Millionen Schil-
Berg ruft“ sowie „Glanzlose Stadt“, beide von 1984, die sowohl als alternative Medienberichterstattung als auch zum Zweck der Selbstrepräsentation und Selbstvergewisserung der Bewegung gedreht wurden und sich dabei als Teil der Bewegung verstanden. Piet Six ist ebenfalls der GründerInnengeneration der Arge-Rainberg zuzurechnen. Markus Grüner-Musil, heutiger Leiter der Arge, zählt zur Nachwuchsgeneration. Eine weitere Studie, die 1997 im Auftrag des Kulturgelände Nonntals von Birgit Feusthuber und Ulrike Gschwandtner unter dem Titel „…unser Leben als Kultur begreifen…“ durchgeführt wurde und dem besseren Verständnis der eigenen Geschichte der Institutionalisierung dienen sollte, konnte in dieser Arbeit leider nicht berücksichtigt werden (vgl. Gschwandtner/Feusthuber 1997). Diese Studien stammen von AutorInnen, die großteils selbst in der Bewegung und in der damaligen oder heutigen alternativkulturellen Szene aktiv sind, was auf das spezifische Interesse der Selbsthistorisierung und Erzählung von Gegengeschichte(n) hinweist. Ich war beglückt, Fundstücke eines anderen Salzburgs zu finden, an die meine gegenwärtige Forschung anschließen konnte. Das empfundene Glück ist dabei nicht nur jenes einer fündig werdenden Forscherin, sondern ebenso das Glück, einen unverhofften Spiegel zu finden, etwas verstaubt vielleicht oder verborgen, aber vorhanden und bereit, ein SichErkennen zu ermöglichen. 2
Vgl. auch den Eintrag „Offenes Haus in Selbstverwaltung“ in der Rubrik Selbstdarstellungen sowie den Eintrag „Petersbrunnhof“ in der Rubrik Stadt-Lexikon im Stadtbuch Nr. 1 (ZEITUNG 1980: 62, 80).
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ling aus Steuermitteln subventioniert wurden und es keinerlei Alternativen zu hochkulturellen und traditionellen Kulturangeboten gab. Das „offene Haus“ sollte die Möglichkeit bieten, demokratische Selbstverwaltung zu erproben und eine Kultur „von unten“ zu leben (Dokumentation Offenes Haus 1976, S. 6; zit.n. Drechsler 1995: 33). Die Neuvermessung der Topografie des Möglichen in der Stadt hatte bereits einige Jahre zuvor begonnen. Für gewöhnlich braucht es eine Weile, bis das, was sich im Untergrund zusammensetzt und Form annimmt, an der Oberfläche sichtbar wird bzw. Sichtbarkeit reklamiert. Zu dieser Neuvermessung zählt zweifelsohne das „Schwein von Salzburg“, das hier Erwähnung finden sollte: Das „Schwein von Salzburg“ trat bereits 1970 in Erscheinung und möglicherweise nahm mit ihm alles seinen Anfang (vgl. Oktopuß 1982). Das „Schwein von Salzburg“ kann als Vorahnung eines „bunten“, vielfältigen und links-kritischen Salzburgs, wie es in den Folgejahren immer wieder aufblitzen sollte und bei der legendären „bunten Demo“ im Sommer 1984 auch begrifflich als solches gefasst wurde, verstanden werden und ist im Kontext der antimilitaristischen Demonstrationen und der StudentInnenbewegung zu sehen. Wie jedes Jahr bis dahin fand im Mai 1970 eine große Heeresschau zur Feier des damals 15-jährigen Staatsvertrages statt. Jedoch sollte sie in diesem Jahr von einigen Studierenden empfindlich gestört werden: Der Hauptakteur der Aktion war ein kleines Schwein. Am Tag der Militärparade wurde das Tier rundum mit Schmierseife eingeseift, in einer Tragtasche unbemerkt in die erste Reihe der ZuschauerInnen geschmuggelt und durch umkippen der Tasche seinem Schicksal in Freiheit überlassen: Wie erhofft brachte das Schwein gehörige Unordnung in die Parade und die Verfolgungsjagd durch die Soldaten gestaltete sich ob der Schmierseife als schwieriges Unterfangen (vgl. Oktopuß 1982: 19). Dem „alternativen, pazifistischen Schwein“ war ein ungeahnter publizistischer Erfolg beschieden – es wurde in so gut wie allen Salzburger Zeitungen erwähnt. Nach dem publizistischen Erfolg erlitt das Schwein jedoch ein trauriges Schicksal: Da sich nach wochenlangen Inseraten keine BesitzerInnen meldeten, wurde es dem Landeshauptmann überantwortet. Dieser ließ das Schwein „bei einem Empfang von den Abgeordneten zum Salzburger Landtag verzehren“ (ebd.: 20). Auf symbolischer Ebene entbehrt diese Handlung nicht einer zynischen Ader der politischen Elite, die sich stellvertretend für die VerursacherInnen am Ferkel rächt. Antimilitaristische Aktionen und Demonstrationen, in deren Kontext auch das
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„Schwein von Salzburg“ zu verorten ist, sollten in den Folgejahren wichtiger Bestandteil der Studierendenbewegung werden.3 Die ab 1970 stattfindenden StudentInnenproteste brachten in Salzburg eine merkliche kulturelle Aufbruchsstimmung – doch war die Salzburger Studierendenbewegung, im Vergleich zu anderen europäischen Städten, weder radikal im Auftreten noch militant in der Auseinandersetzung (Drechsler 1995: 30). 4 In diesem Kontext nahm die Auseinandersetzung mit alternativkulturellem Freiraum als Gegenpol zur Hochkultur und bourgeoisen Kultur in Salzburg Mitte der 1970er-Jahre ihren sichtbaren Anfang. Zur Besetzung des Petersbrunnhofs kam es also auch unter dem Eindruck der Arena-Besetzung5, die einen Monat zuvor im Juni 1976 in Wien stattgefunden hatte. Die Besetzung des Petersbrunnhofs markierte einen ersten Versuch der Sichtbarmachung der Salzburger alternativ-
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Von überregionaler Bedeutung war die Demonstration im Mai 1972 gegen den Besuch des amerikanischen Präsidenten Nixon, der durch eine Sitzblockade von StudentInnen am Salzburger Flughafen empfangen werden sollte, allerdings wurde die Blockade noch vor der Ankunft Nixons von der Polizei gewaltsam geräumt (vgl. Foltin 2004: 291).
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Festzuhalten ist dabei, dass in der relativ jungen Universität Salzburg, die ihren Lehrbetrieb im Herbst 1963 startete, erst mit dem Anstieg der HörerInnenzahlen eine Basis für eine StudentInnenbewegung wuchs. In den ersten Jahren war zu den ÖH-Wahlen keine linke Gruppierung angetreten – konservative und rechte Gruppen dominierten die Studierendenpolitik. Das änderte sich 1969, als der „Verband Sozialistischer Studenten Österreichs“ (VSSTÖ) erstmals in Salzburg antrat und die Salzburger Uni zu einer Hochburg desselben avancierte (vgl. Posch/Rastinger/Sturm 1998: 49). Die ab ca. 1970 in Salzburg entstehenden StudentInnenproteste waren getragen von VSSTÖ, MSB („Marxistischer Studentenbund“), KSV („Kommunistischer Studentenverband“), AKIM („Arbeitskreis internationaler Marxismus“)/GRM („Gruppe revolutionärer Marxisten“) sowie von syndikalistischen Gruppen wie der „Institutskonferenz“ und verschiedenen Basisgruppen und von katholischen Organisationen wie der KHJ/KHG (Katholische Hochschuljugend/Hochschulgemeinde) und dem „Salzburger Studentenzentrum“ (vgl. Hiebl 1991: 17; Posch/Rastinger/Sturm 1998: 49).
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Die mehrmonatige Besetzung (Juni bis Oktober 1976) des Auslandschlachthofs St. Marx, bekannt als Arena-Besetzung, läutete im internationalen Vergleich mit etwas Verzögerung die Raumnahme der Alternativkultur in Österreich ein. In den Jahren nach der Besetzung entstanden in Wien viele kulturelle Initiativen, die in der ArenaBewegung wurzelten – so z.B. die „neue“ Arena, die Stadtzeitung Falter oder das WUK (vgl. Weidinger 2012: 100).
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kulturellen Szene durch Raumaneignung. Allerdings kollidierte die Besetzung des Petersbrunnhofs in Salzburg mit den Interessen der bereits 1971 gegründeten Kulturinitiative „Szene der Jugend“. Letzterer war der Petersbrunnhof bereits als Spielort zugesichert worden. Die Forderung der BesetzerInnen nach einem ganzjährigen Kultur- und Jugendzentrum in Selbstverwaltung verfolgte einen anderen kulturpolitischen Ansatz als die „Szene der Jugend“. Die Szene der Jugend war in der Aufbruchsstimmung der späten 60er Jahre, jedoch unabhängig bzw. nicht als Teil der Salzburger StudentInnenbewegung, entstanden (vgl. Hiebl 1991: 104). Durch ihren Initiator, den damals 20-jährigen und späteren ÖVP-Gemeinderat Alfred Winter6, war sie stärker im konservativen denn im linksalternativen Umfeld verankert. Die Szene der Jugend war aus dem bereits 1966 gegründeten „Club 2000“ hervorgegangen, in dem sich vor allem MaturantInnen und Lehrlinge trafen. Neben Clubabenden mit Diskussionen zu aktuellen Themen, von der AntiBabypille bis zu Umweltthemen, veranstaltete die Initiative regelmäßig unter dem Titel „MAGRA“ (Malerei und Grafik) Kulturereignisse am Salzachufer, wo sich MalerInnen, LiteratInnen und MusikerInnen präsentierten (vgl. Kapeller 2011; Hiebl 1991: 102ff.). Zur Motivation der Gründung des Club 2000 sowie in der Folge der Szene der Jugend meint Alfred Winter: „Wir haben damals empfunden, dass im Sommer einfach nichts los war.“ (Kapeller 2011) Zu jener Zeit war noch das Festspielschutzgesetz aktiv, das erst Anfang der 1970er Jahre – nicht zuletzt durch die Lobbyarbeit der Szene der Jugend – abgeschafft wurde und bis dahin das kulturelle Monopol der Festspiele während des Sommers sicherte. Es war darin ein „Verbot anderer kultureller Veranstaltungen im Sommer verankert. Begründet wurde es damit, daß dies der Attraktivität der Festspiele schaden könnte und somit die wichtigste Einnahmequelle für Salzburg gefährdet sei.“ (Posch/Rastinger/Sturm 1998: 51) Mit den Festspielen selbst kam die Szene der Jugend immer wieder übers Kreuz, bspw. als man sich auf Flugblättern als „Festival der schmalen Brieftaschen“ bezeichnete (vgl. Kapeller 2011). Winter sah sich dabei nie als Gegner der Festspiele, sondern als Chancengeber für
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Alfred Winter leitete die Szene der Jugend von 1971 bis 1981. Sein Nachfolger Michael Stolhofer sollte das Festival die kommenden 30 Jahre leiten. Unter Stolhofer wurde die „Szene der Jugend“ zur „Sommerszene“ bzw. „Szene Salzburg“ umbenannt. Seit Juni 2012 ist Angela Glechner Leiterin der „SZENE Salzburg“ (vgl. Michael Stolhofer – Salzburgwiki, http://www.salzburg.com/wiki/index.php/Michael_ Stolhofer [12.9.2013]).
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künstlerischen Nachwuchs und insofern als Alternative zur etablierten Kulturszene (vgl. Kapeller 2011).7 Die Besetzung des Petersbrunnhofs endete jedenfalls durch die gewaltsame Räumung des Gebäudes durch die Polizei. Der Journalist Heinrich Breidenbach erinnert sich, dass die Besetzung ein regelrechter Kulturschock für die Stadt gewesen sei. Über die jugendlichen BesetzerInnen und den massiven Polizeiangriff berichtet er: „Das waren harmlose Leute, die haben sich da hineingesetzt und haben wahrscheinlich gar nicht gewusst, welchen Kulturschock sie auslösen. […] ich habe da nur erlebt, wie der Staatsapparat reagiert hat, relativ großes Polizeiaufgebot, Staatspolizei, die alle Leute durchfotografiert. […] und da hat sich schon auch dieses Salzburg gezeigt, von damals.“ (Film „up to nothing“ 2011, Interview mit Heinrich Breidenbach)
Die Frustration und Resignation über die gescheiterte Besetzung führte zur baldigen Auflösung der Bewegung für ein „offenes Haus“. Doch folgte ihr die Formierung etlicher alternativkultureller und politischer Initiativen, die den Boden für die Anfang der 1980er Jahre entstehende Arge-Rainberg-Bewegung bereiteten. Hervorzuheben sind dabei zwei Medieninitiativen, die durch die Herstellung von Gegenöffentlichkeit das Handlungsfeld im symbolischen Raum ausweiteten und Gegenmacht herstellten. Ein unmittelbar aus der Besetzung hervorgegangenes publizistisches Projekt war die „Zeitung – Versuch einer Salzburger Gegenöffentlichkeit“ (vgl. Drechsler 1995: 34f.). Außerdem ist hier die Medieninitiative „Gegenlicht“ zu nennen, die audiovisuell arbeitete. So wurde vorerst anstelle des physischen Raums der diskursive Raum erobert.
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In den 80er Jahren etablierte sich die Szene der Jugend zunehmend. Mit dem ab 1983 immer deutlicheren Schwerpunkt auf das Tanztheater wurde das Festival in Österreich zu einem Vorreiter der Entwicklung in dieser Sparte (vgl. Posch/Rastinger/Sturm 1998: 52). 1986 wurde das ehemalige Stadtkino am Anton-Neumayr-Platz zum neuen Standort. Das künftige „republic“ war geboren, das nicht nur während des Festivals, sondern ab 1993 ganzjährig eine kulturelle Spielstätte werden sollte (vgl. REPUBLIC: STATEMENT, http://www.republic.at/index.php?id=38 [24.8.2013]).
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3.2 D ISKURSIVE R AUMNAHME : Z EITUNG , S TADTBÜCHER UND „G EGENLICHT “ Die mangelnde Berichterstattung über die Besetzung des Petersbrunnhofs war mit ein Grund für die Gründung des Zeitungsprojektes, das der Herausgeber Wolfgang Willwerding als eine Zeitung „von allen“ und „für alle“ verstand (vgl. Film „up to nothing“, 2011, Interview mit Wolfgang Willwerding). Die Zeitung war inhaltlich das Sprachrohr alternativer und gegenkultureller Bewegungen mit starkem Bezug zur Szene in der BRD. Gleichzeitig wurde in einem Veranstaltungskalender über lokale Aktivitäten informiert und berichtet (vgl. Drechsler 1995: 95f.).8 Das Zeitungsprojekt sollte ein knappes Jahrzehnt bestehen und trug, insbesondere mit den Stadtbüchern 1980 und 1982, zur Konstituierung der alternativkulturellen Bewegung dieser Jahre in Salzburg bei. 9 Die beiden Stadtbücher waren als Bestandsaufnahme der alternativkulturellen und politischen Initiativen in der Stadt gedacht.10 Das erste „Salzburger Stadtbuch“ legte auf rund 100 Seiten eine kritische Bestandsaufnahme der Lebensbedingungen in den Bereichen Wohnen, Arbeit und Kultur in der Stadt Salzburg sowie eine Sammlung von Selbstdarstellungen von rund 46 kulturellen, sozialen und politischen Initiativen vor, „die die Utopie eines ‚selbstbestimmten Lebens‘ mit kleinen konkreten Schritten verwirklichen“ wollten (ebd.: 96). Der Anspruch einer jährlichen Ausgabe des Stadtbuches konnte zwar nicht umgesetzt werden, doch gab es 1982 eine zweite Ausgabe, in der sämtliche Teile wie die Bestandsaufnahme, die Selbstdarstellungen der Initiativen und ein „Stadt-Lexikon“ ihren Umfang sogar mehr als verdoppelten (vgl. ebd.: 96f.). Christian Mayer, ein damaliger Aktivist, hält fest: „Durch die Tatsache des Stadtbuches ist einmal diese Szene, die ja nachher dann auch die Szene der Arge
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Im dritten Jahr ihres Bestehens entschlossen sich die HerausgeberInnen aufgrund organisatorischer und rechtlicher Überlegungen schweren Herzens zur Vereinsgründung. Dieser Schritt der Institutionalisierung entsprach nicht ihrem basisdemokratischen Selbstverständnis (vgl. Blaukopf et al. 1983: 75).
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Ende der 80er Jahre sollte neben ausbleibenden Subventionen auch die einsetzende politische Krise der Alternativbewegung zum Ende des Projektes führen (vgl. Drechsler 1995: 98).
10 Den Stadtbüchern vorausgegangen war im Jänner 1979 „ein ‚roter Faden gegen den grauen Alltag in dieser Stadt‘ mit einer Auflistung diverser politischer Organisationen, sozialer Initiativen, Beratungsstellen, Lokalen, Veranstaltungsräumlichkeiten und Rechthilfetips.“ (Drechsler 1995: 96)
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Rainberg war, zumindest einmal in Druckform gemeinsam aufgetreten“ (Film „up to nothing“, 2011, Interview mit Christian Mayer). Die Stadtbücher zeigen deutlich, dass es nach der gescheiterten Besetzung des Petersbrunnhofs unter der scheinbar ruhigen Oberfläche eine lebendige alternativkulturelle Szene gab. Unsichtbar war diese allerdings gerade aufgrund der fehlenden öffentlichen Versammlungsorte oder Vereinslokale. In den 1970er Jahren und Anfang der 1980er Jahre traf sich die alternativkulturelle studentische Szene insbesondere in einigen Wohngemeinschaften, diese waren der „Nährboden“ für politisches und kulturelles Engagement (vgl. Film „up to nothing“ 2011, Interview mit Gerhild Trübswasser). Auch die KHG (Katholische Hochschulgemeinde) war ein Treffpunkt und Ort des gesellschaftskritischen Diskurses, das Filmkulturzentrum „Das Kino“ sollte ab seiner Gründung 1978 ebenso zu einem ersten wichtigen alternativkulturellen Treffpunkt in der Stadt werden.11 Ende der 70er Jahre begannen sich zudem Publizistik-StudentInnen, ausgehend von einem Seminar über „bürgernahe Medien“, kulturell selbst zu organisieren und 1980 kam es zur Gründung der Medieninitiative „Gegenlicht“. Das erste größere Projekt von Gegenlicht war eine lokale Wochenschau in Zusammenarbeit mit dem Filmkulturzentrum „Das Kino“ (Drechsler 1995: 99). 12 Mit dem Einzug in leerstehende Räumlichkeiten der Stadtwerke 1982 sollte sich das Gegenlicht bald zum ersten autonomen Kulturzentrum in der Stadt entwickeln und u.a. der Arge-Rainberg-Bewegung als physische Basis dienen. Die Räumlichkeiten wurden von der Stadt Salzburg „prekaristisch“ zur Verfügung gestellt, sodass der Verein nur für die Betriebskosten aufkommen musste. Neben der Mediengruppe gab es Platz für einen Beislbetrieb sowie Veranstaltungen verschiedenster Initiativen; dabei reichte die Palette von Theater über Konzerte und Lesungen bis hin zu Kabarett und politischen Diskussionen (vgl.
11 Das „Salzburger Filmkulturzentrum – DAS KINO“ ging aus einer studentischen Initiative hervor und wurde am 6. Juli 1978 in den Räumlichkeiten des ehemaligen „LifkaKinos“ am Giselakai 11 eröffnet. Das Kino verstand sich von Anfang an „als Kulturzentrum, als ein offener Ort, wo sich Menschen treffen können, wo Projekte entstehen und Initiativen Platz finden.“ (DAS KINO – Salzburger Filmkulturzentrum, http://www.daskino.at/daskino/profil [7.8.2013]). 12 Aus heutiger Sicht kann die „Wochenschau“ als alternatives Medium, als Vorläufer des Community-TV-Senders FS1 oder auch des freien Salzburger Radios „Radiofabrik“ gesehen werden.
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Drechsler 1995: 100).13 Bis zum Jahr 1986 wurde das Gegenlicht – mit einem Jahr Pause wegen Umbauarbeiten14 – zum Treffpunkt der alternativkulturellen Szene. Die Realisierung des „Kulturgeländes Nonntal“ sollte in der Folge allerdings zu einem Rückgang an BesucherInnen im Gegenlicht führen, da sich die soziokulturell interessierten und engagierten Menschen vermehrt im neuen Kulturgelände trafen.15 Die bis dahin öffentlich wenig sichtbare alternativkulturelle Szene organisierte sich nun in für die Öffentlichkeit sichtbarer Form, mit dem Ziel, ein alternatives Kulturzentrum in den leerstehenden Gebäuden am Gelände der ehemaligen Sternbrauerei zu gründen.16 Angedacht war, auf dem Gelände alle interes-
13 Das Vereinslokal umfasste „ein Vereinsbeisl mit Saal (ca. 130 m²), Büro (20 m²), Vorführraum (50 m²), Tonstudio (30 m²) und eine Dunkelkammer (15 m²)“ (vgl. Gröchening 1987: 171). 14 Da das gesamte Gebäude umgebaut werden sollte (wozu es im Endeffekt nie kam), standen Wohnungen leer, in die Obdachlose einquartiert wurden. Das soziale Konfliktpotenzial der neuen Konstellation führte zu ungeahnten Schwierigkeiten und Folgen. Durch den regelmäßigen Besuch der Obdachlosen sowie wiederholte Exzesse der teils schweren AlkoholikerInnen blieben andere Gäste des Gegenlichts aus. Diese Situation führte zu einer weitgehenden Überforderung der Beteiligten, die weder die erforderlichen sozialarbeiterischen Kompetenzen noch einen diesbezüglichen öffentlichen Auftrag (oder ein entsprechendes Selbstverständnis) hatten. 15 Ende der 80er Jahre wurde der Beislbetrieb eingestellt und in der Folge auch der Verein Gegenlicht aufgelöst (vgl. Drechsler 1995: 101f.). Festzuhalten ist, dass das Gegenlicht insbesondere in den Anfangsjahren eine zentrale Rolle für die Konstituierung der Salzburger alternativkulturellen Szene hatte. Ehemalige Mitglieder des Gegenlichts waren in der Folge MitbegründerInnen des bis heute aktiven Vereins für DokumentarfilmerInnen, des „Studio West“. 16 Das Brauerei-Areal umfasste rund 24.000 m² Grundfläche und 30.000 m² räumliche Nutzfläche sowie zehn fertig beziehbare Wohnungen, eine Gastwirtschaft und drei große Hallen für insgesamt 1.000 BesucherInnen. Des Weiteren standen zahlreiche büroähnliche Räumlichkeiten zur Verfügung (vgl. Drechsler 1995: 51). Das Areal, das seit dem 19. Jahrhundert im Eigentum der Sternbrauerei und zuletzt im Besitz der Brau Union war, sollte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachliegen und mehrmals die EigentümerInnen wechseln. Bezeichnenderweise wurden mittlerweile auf dem Areal Luxuswohnungen mit einer Fläche von bis zu 300 m² und einem Quadratmeterpreis von 3.500 bis 9.000 Euro gebaut (vgl. Sternbrauerei – Salzburgwiki, http://www.salzburg.com/wiki/index.php/Sternbrauerei [12.9.2013]).
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sierten zivilgesellschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Initiativen zu versammeln: „Platz auf dem Gelände hätten Kulturschaffende von der Elisabethbühne bis zum Autorenverband, weiters Musikproberäume und Ateliers, außerdem Jugend- und Alternativgruppen von der Aktion Umwelt bis zur Jugendberatungsstelle, soziale Institutionen von der Bewährungshilfe bis zum Seniorentreffpunkt, Stadtteilbüro sowie Gaststätten und Betriebe von Gastwirtschaft und Frauencafé bis Jugendherberge, Bergbauern-Bio-Laden und Handwerks-Shop.“ (SN, 30.5.1981, zit.n. Drechsler 1995: 51)
Paul Donner, ein ehemaliger Aktivist, meint, es sei nicht nur um die kulturelle Dimension, sondern auch um die soziale Dimension gegangen bzw. um eine „umfassende Antwort auf das bürgerliche Leben“ (Film „up to nothing“, 2011, Interview mit Paul Donner). Die Forderung nach Freiraum und einem physischen Ort in der Stadt versammelte AktivistInnen unterschiedlicher Hintergründe: „Obwohl nur die wenigsten ihren Schwerpunkt eindimensional auf den Kampf für ein Kulturgelände konzentrierten, bestand über die Notwendigkeit eines autonomen Raumes ein übereinstimmender Konsens.“ (Drechsler 1995: 110) Ein Großteil der künftigen Arge-Rainberg-AktivistInnen war zum Studieren nach Salzburg gezogen. Als wesentlicher Grund, nach Salzburg zu kommen, galt hierbei die Existenz einer Universität mit einem breiten Angebot im Bereich der Geisteswissenschaften.17 Dies garantierte – laut Drechsler – „einen stetigen Zustrom an auswärtigen, gesellschaftlich kritisch und in Folge in der Gegenkultur engagierten Menschen“ (ebd.: 105), die ihre Erfahrungen aus den gegenkulturellen Milieus ihrer Herkunftsstädte mitbrachten. Salzburg wurde gerade von den zugezogenen Studierenden mit ihrem Blick von außen als konservativ und kulturpolitisch eng wahrgenommen.18 Laut Drechsler liegt die Ursache dafür im allgemeinen, politischen „Salzburger Klima“, welches er als konfliktscheu und durch fehlenden politischen Diskurs charakterisiert (vgl. ebd.: 106). Für ihn habe
17 Insbesondere das Institut für Psychologie genoss im deutschsprachigen Raum einen guten Ruf, da hier Psychoanalyse und kritische Gesellschaftstheorie zusammengeführt wurden – besondere Bekanntheit im kritischen studentischen Umfeld erlangte Professor Igor A. Caruso. 18 Im Film „up to nothing“ (2011) meint die ehemalige Arge-Rainberg-Aktivistin Silvia Kronberger gar, sie habe nach ihrem Umzug von Linz nach Salzburg einen regelrechten Kulturschock erlebt.
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dieses Salzburger Klima Tradition bzw. konstatiert er bis dahin ein Fehlen jeglicher radikaldemokratischer Tradition in der Stadt (vgl. Drechsler 1995: 27). Die Arge-Rainberg-Bewegung stellt das Herz der alternativkulturellen Mythenbildung Salzburgs dar. Die Bewegung verfolgte über mehrere Jahre (19811984) beharrlich ihr Ziel eines autonomen Kulturzentrums. Ab 1981 wurde mit der Stadt verhandelt, bis 1984 ein Strategiewechsel stattfand, der zum Zugeständnis der politischen EntscheidungsträgerInnen führte. Die ehemaligen HTLWerkstätten sollten den AktivistInnen als autonomes Kulturzentrum zur Verfügung gestellt werden. 1987 eröffnete das „Kulturgelände Arge Nonntal“. Den auch heute noch wirksamen Symbolcharakter der Arge hebt Georg Wimmer in einem Artikel im Kunstfehler19 im Jahr 2006 hervor: „Sie [die Arge] steht für kulturellen Freiraum und Gesellschaftskritik. Sie ist der Beweis dafür, dass Veränderung möglich ist, obwohl oder auch gerade weil sie heute eine etablierte Kulturstätte ist, die ihre Anfänge in der linken und aktionistischen Salzburger Jugendbewegung nahm.“ (Wimmer 2006: 10)
3.3 D IE ARGE -R AINBERG -B EWEGUNG Der Startschuss der Arge-Rainberg-Bewegung wurde bei den ersten Salzburger Jugend- und Kulturgesprächen unter dem Titel „Züri brennt – Salzburg pennt!“ im „Das Kino“ im April 1981 gesetzt. Die Jugend- und Kulturgespräche fungierten in den folgenden Jahren als Rahmen für die Aushandlung der Interessen zwischen Stadt und jungen KulturaktivistInnen. Der zum Auftakt der Veranstaltung gezeigte Film „Züri brennt!“ berichtete von den Jugendrevolten, die beginnend mit Mai 1980 Zürich einen „heißen Sommer“ bescherten und Vorzeichen der folgenden Jahre sein sollten.20 So wurden die Begehren der jungen Salzburger Bewegung von Beginn an in einen internationalen Kontext gestellt. Die gegenkulturelle Szene Salzburgs entwickelte einen starken Bezug zur Züricher Szene, nicht zuletzt, da die Parallelen der beiden Städte frappant waren: Sie lassen sich einerseits mit einer um ihre Bedürfnisse betrogenen Jugend, andererseits mit einer finanzstarken Elite charakterisieren (vgl. Zeitung, Mai 1981, S. 6, zit.n. Drechsler 1995: 37). Laut Drechsler verwundert es kaum, „dass sich
19 Die Zeitschrift „Kunstfehler“ wurde bis 2007 als Printmagazin von der ARGEkultur herausgegeben. 20 Zur Züricher gegenkulturellen Jugendszene siehe (Miklós Rózsa 2012).
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die Züricher Jugendbewegung an der Renovierung des Opernhauses entzündet, oder die Salzburger Festspiele als Aufhänger für die einheimische subkulturelle Szene dient.“ (Drechsler 1995: 43) Drechsler hält hierbei fest, dass „das Aktionsfeld oppositionellen Verhaltens in Salzburg“ seit jeher im Bereich der Kultur angesiedelt ist: „Widerstand gegen die Auswüchse einer kapitalistischen Gesellschaft hatte hier immer schon eine Adresse: die Hochkultur.“ (Ebd.) Das erste Salzburger Jugend- und Kulturgespräch war von der „ARGE Jugend“ (Arbeitsgemeinschaft unabhängige Jugendinitiativen) initiiert worden.21 Rund 600 TeilnehmerInnen waren gekommen und nach der Filmvorführung wurde eine von 30 Gruppen und 200 Privatpersonen unterschriebene Resolution für ein „Kulturgelände am Rainberg“ verlesen. „Die unterzeichneten Gruppen kamen am 7. April [1981] zu einem Gespräch über ihre Probleme und Bedürfnisse in der Stadt Salzburg zusammen. Es wurde dabei einhellig festgestellt, dass ein akuter Mangel besteht an geeigneten Räumlichkeiten für Aktivitäten verschiedener Initiativen, für nicht kommerzielle Kommunikationsmöglichkeiten und für sinnvolle Freizeitgestaltung. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines zentral gelegenen Kultur- und Kommunikationszentrums in ausreichender Größe, als ausreichend erscheint uns
das
ehemalige
Gelände
der
Sternbrauerei
am
Rainberg.“
(Gegenlicht-
Videowochenschau „Rainberg“, Salzburg 1982; zit.n. Drechsler, 1995: 49)
Gefordert wurden der Ankauf des Geländes Sternbrauerei am Rainberg durch die Stadt Salzburg, die Übergabe an einen Trägerverein, der Liegenschaft und Betrieb in Selbstverwaltung führt und für die Betriebskosten und Folgekosten aufkommt, die Mitfinanzierung der Folgekosten durch die Stadt sowie die dringliche Behandlung der Frage im Gemeinderat. Das Gelände am Rainberg war das letzte dieser Art im Stadtzentrum und es drohte bereits der Aufkauf durch eine Hotelkette (vgl. ebd.). Von Seiten der Politik wurde in der Folge die „Strategie des Verzögerns – bitte zuerst ein Konzept erstellen und dann wiederkommen“
21 Der Impuls zur Gründung der Arge Jugend war vom ab 1980 zuständigen Jugendstadtrat, Gerhard Buchleitner (SPÖ), ausgegangen: Buchleitner verfolgte ein Reformkonzept mit dem Ziel der Errichtung dezentraler Jugendzentren in allen Stadtteilen (vgl. Drechsler 1995: 48). In diesem Zusammenhang wird im Stadtbuch Nr. 2 (1982) „die Parole der Dezentralität“ kritisch betrachtet – sie wird als Politik der Zerstückelung der Bewegung und Verzögerung der Verhandlungen interpretiert (vgl. wowi 1982: 56f.).
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angewendet (vgl. Drechsler 1995: 49).22 Hinzu gesellte sich ein weitgehendes Unverständnis der zuständigen PolitikerInnen. Dies zeigt folgende Aussage des damaligen Bürgermeisters Reschen über die „Salzburger Alternativler“, deren Relevanz mit dem Verweis auf ihren Minderheitencharakter heruntergespielt werden sollte: „Das ist zwar ein Teil der Bevölkerung, mit dem man sich auseinandersetzen muß, nur darf dieser Teil nicht glauben, dass er für die Jugend vollkommen repräsentativ ist. … Die Salzburger Kulturvereinigung hat 1.030 jugendliche Abonnenten und das ist auch wieder nur ein kleiner Teil.“ (Kurier, 23.8.1981, zit.n. Drechsler 1995: 112f.)
Die Verzögerungstaktik der Politik sollte ganze drei Jahre andauern. Zu Beginn schien der Prozess intensiv voranzugehen, wurde dann aber sukzessive verschleppt und die Fronten klarer sowie der Protest radikaler. Als Ergebnis des 2. Jugend- und Kulturgesprächs im Juli 1981 konnte ein erster Erfolg verbucht werden: die Zusicherung von Räumlichkeiten für die Medieninitiative „Gegenlicht“. Ein Teil des Gegenlicht-Lokals wurde bald zum Büro der Arge-RainbergBewegung und erleichterte die organisatorische Arbeit entscheidend (vgl. Drechsler 1995: 55). Im selben Sommer konstituierte sich der Verein „Arbeitsgemeinschaft Kulturgelände“ und zur Festspieleröffnung organisierten die AktivistInnen eine erste Demonstration für ein Kulturgelände am Rainberg. Von 1981 bis 1984 entwickelten sich die jährlich stattfindenden Demonstrationen zu einer Art Protestritual. Als Bühne des Protests wurden die Festspiele bzw. deren Eröffnungen gewählt, um den „Lebensnerv“ der Stadt Salzburg zu treffen (vgl. ebd.: 74). In diesem Sinne programmatisch lautete das Motto des ersten ArgeRainberg-Festes im Dezember 1981: „8 Stunden Kultur von unten“. Im Kongresshaus veranstaltet sollte es der Öffentlichkeit eine Idee davon geben, was im angestrebten Kulturzentrum Platz haben sollte (vgl. ebd.: 56).23
22 Unter den Besuchern des Abends befand sich auch Politprominenz: Bürgermeister Josef Reschen (SPÖ), die beiden Vizebürgermeister Gerhardt Bacher (ÖVP) und Waldemar Steiner (FPÖ) sowie die Stadträte Gerhard Buchleitner (SPÖ) und Fritz Rücker (ÖVP), außerdem war Gemeinderat Herbert Fux (Bürgerliste) zugegen (vgl. Drechsler 1995: 48). 23 Bis dahin wurde die Hochkultur zu Lasten einer kulturpolitischen Öffnung Richtung Alternativkultur favorisiert. Dies zeigte sich erneut im Frühling 1982, als die Salzburger Landesregierung beschloss, das neben der Brau-AG liegende Betriebsareal der Firma Ford-Schmidt anzukaufen, um dort Proberäume für das Mozarteum-Orchester
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Im Juni 1982 fand das 3. Jugend- und Kulturgespräch statt, zu dem SpitzenpolitikerInnen aus Stadt und Land in den Petersbrunnhof eingeladen wurden. Eine Entscheidung über den Ankauf des Geländes wurde seitens der Politik allerdings weiter verschoben – sodass die Rainberg-AktivistInnen bei der Festspieleröffnung durch einen spontanen „Chor der Hochkultur-Gefangenen“ ihrer Frustration Ausdruck verliehen. Der brutale Polizeieinsatz wurde daraufhin in der in- und ausländischen Presse kritisiert (vgl. Drechsler 1995: 59). Im Jahr 1983 führte die Gründung der BürgerInneninitiative „Bewohnbares Riedenburg“, die sich gegen das Rainbergprojekt stark machte, zu einer zunehmenden lokalpolitischen Brisanz des Themas. Die in der Folge von der ÖVP eingeleitete BürgerInnenbefragung 1984 führte zu einem Ergebnis von 93:7 gegen das Rainbergprojekt, woraufhin die Politik eine Finanzierung des Rainbergprojektes definitiv ablehnte (vgl. ebd.: 61ff.). Nach drei Jahren des Verhandelns mit der Stadt fühlten sich die RainbergAktivistInnen einigermaßen veräppelt. Erst dann führte die Situation zu einer Strategieänderung, die sich in der legendären „Bunten Demo“24 im Juni 1984 mit kreativen öffentlichen Aktionsformen manifestierte (vgl. Drechsler 1995: 64). Die „Bunte Demo“ mit rund 300 TeilnehmerInnen zog vom ersten symbolischen Ort des Kampfes um Freiraum, dem Petersbrunnhof, zum Kapitelplatz im symbolischen Zentrum der Macht in der Altstadt und wurde von einem „Bischof“ 25 angeführt, der am Kapitelplatz vor der versammelten Protestgemeinde programmatische Fürbitten vorbrachte, die die nationalen und internationalen Referenzpunkte der Bewegung erkennen ließen: „Ihr Vertriebenen von der Gassergasse! Bittet für uns! Ihr Aktivlinge im WuK! Bittet für uns!
sowie eine Zentralgarage für die Bediensteten der Landesregierung einzurichten (vgl. Drechsler 1995: 57). Der Ankauf des Rainberggeländes wurde hingegen weiter hinausgezögert – eine symbolische Ohrfeige für die Arge-Rainberg-AktivistInnen. Die AktivistInnen monierten zudem die Diskrepanz im Quadratmeterpreis: Jener des FordSchmidt-Geländes lag mit 4.100 Schilling pro Quadratmeter bei weitem höher als jener des Sternbrauerei-Areals mit 2.300 Schilling (vgl. Drechsler 1995: 57ff.). 24 Insgesamt kam es zu mehreren Aktionen in den Sommermonaten, sodass Drechsler von einem „bunten Sommer 1984“ spricht (vgl. Drechsler 1995: 87ff.). 25 Diesem Auftritt folgte eine Anklage des Redners wegen vermeintlicher Religionsverspottung – doch wurde der Aktivist letztlich freigesprochen (vgl. Drechsler 1995: 84ff.).
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Ihr Narren vom Posthof! Bittet für uns! Ihr Jugendlichen in Zürich! Bittet für uns! Ihr Hausbesetzer in Berlin! Bittet für uns! Ihr Freaks in Amsterdam! Bittet für uns! Ihr Schwulen in San Francisco! Bittet für uns! Ihr Dichter in Nicaragua! Bittet für uns! Alle Leute auf der ganzen Welt, die sich nicht mehr auf den Kopf scheißen lassen wollen! Bittet für uns!“ (Gegenlicht-Video „Wenn der Berg ruft“, 1984, zit.n. Posch/Rastinger/ Sturm 1998: 64)
Wie die klassischen Demonstrationen mit Transparenten und Sprechchören hatten die Verhandlungen keine Ergebnisse gezeitigt – also setzte die Bunte Demo auf dezentrale Kundgebungen und kreative Aktionen. Die bis dahin geltenden Spielregeln wurden von Seiten der KulturaktivistInnen verändert: „Mit der bunten Demo wurde ein Schub weg vom vorwiegend inhaltlichen Protest hin zum Karikieren der bestehenden Situation vollzogen. Damit wurde die Auseinandersetzung auf eine andere Ebene gehoben, auf der sie einen völligen neuen Charakter erhielt.“ (Drechsler 1995: 80) Trotz Auseinandersetzungen mit der Polizei gingen die Rainberg-AktivistInnen mit mehr als 200 neuen Vereinsmitgliedern gestärkt aus dem Aktionstag hervor. Bald darauf präsentierte Bürgermeister Reschen und Landeshauptmannstellvertreter Buchleitner das Kulturstättenprogramm 26. Die finanzielle Zusicherung für bereits bestehende Initiativen wies auf ein gewisses Einlenken der Politik hin. Bei der Festspieleröffnung 1984 erfolgte dann die legendäre Befriedungsmaßnahme von Bürgermeister Reschen. Dieser steckte einem Arge-RainbergAktivisten einen handgeschriebenen Zettel zu: „Binnen zwei Wochen könnt ihr haben, was ihr wollt“. Allerdings bezog sich letzteres nicht auf das BrauereiAreal, sondern auf die im Nonntal ab 1985 frei werdenden HTL-Werkstätten
26 „Der Kulturstättenplan umfasste im Alternativbereich u.a. folgende Projekte: Verein Gegenlicht, Filmkulturzentrum Das Kino, HTL-Werkstätten Mühlbacherhofweg, Frauenkommunikationszentrum, Wintergarten, Elisabethbühne, Das Kleine Theater, Kulturzentrum Domgaragen.“ (vgl. dazu: INFO-Z, Wochenspiegel der Landeshauptstadt Salzburg, Nr. 48/24.11.1984, zit.n. Drechsler 1995: 65) Der Salzburger Kulturstättenplan ist in Verbindung mit der Initiative eines Kulturstättenplans des Bundes zu sehen, in welchem festgelegt wurde, dass die Landesregierungen bei der Erstellung regionaler Kulturstättenpläne finanzielle Unterstützung erhielten (vgl. Blaukopf et al. 1983: 32).
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(vgl. ebd.: 65). Das Angebot der HTL-Werkstätten spaltete in der Folge die Bewegung. Bis heute gehen die Meinungen über die damalige Entscheidung, das Angebot anzunehmen und die Bewegung zugunsten der Umsetzung eines Teilprojektes zu beenden, auseinander (vgl. Film „up to nothing“, 2011). Die Fläche der HTL-Werkstätten stellte mit 1.220 m² Nutzfläche und 2.650 m² Grundfläche (vgl. Höllbacher 1998: 11) weniger als ein Drittel des 24.000 m² großen Rainberg-Geländes dar. Dennoch sollte im Herbst 1984 die Generalversammlung der Arge Rainberg den Beschluss fassen, das Angebot anzunehmen (vgl. Gschwandtner 2005: 15). Im November 1985 starteten die Umbauarbeiten in den HTL-Werkstätten, an denen die Rainberg-AktivistInnen direkt beteiligt waren. Zwei Jahre später, Ende Mai 1987, wurde das „Kulturgelände Nonntal“ in einer viertägigen Eröffnungsfeier „mit rund 50 Benützergruppen, einem eigenen Beisl und einer Krabbelstube, mit einer Dunkelkammer und Büros, mit Proben-, Seminar- und Veranstaltungsräumen eröffnet“ und als das „größte autonome Kulturzentrum außerhalb Wiens“ (Kunstfehler, Nr. 60, S. 5, zit.n. Posch/Rastinger/Sturm 1998: 67) bezeichnet. Auch wenn das „Kulturgelände Arge Nonntal“ eine Kleinstversion der Utopie am Rainberg darstellte, sollte diese zusammen mit den anderen in den Folgejahren entstehenden Kulturhäusern Salzburgs kulturelle Landschaft entscheidend verändern.27 Die Etablierung und Institutionalisierung der in den 70er und 80er Jahren entstandenen Initiativen führte zu der heute vielfältigen kulturellen freien Szene Salzburgs. Der Einfluss der Arge-Rainberg-Bewegung auf das kulturelle Klima in der Stadt Salzburg kann daher nicht hoch genug bewertet werden. Es vollzog sich eine erste alternativkulturelle Öffnung. Die „Topografie des Möglichen“ der Stadt hatte sich verändert – plötzlich war es möglich, zuvor Undenkbares in dieser Stadt zu denken, zuvor Unsichtbares in dieser Stadt zu sehen.
27 Zu den in jener Zeit wurzelnden und heute etablierten Häusern zählen: das Toihaus (*1987), das Jazzit (*1981 als „Jazz im Theater“), „das kleine theater“ (*1984), das Rockhouse (*1993), das Literaturhaus (*1994). Auch das Schauspielhaus, das aus der ehemaligen Elisabethbühne (*1967) hervorging, ist heute noch ein wichtiger, mittlerweile stark institutionalisierter Akteur der freien Szene Salzburgs. Ebenso ist das Filmkulturzentrum Das Kino (*1978) bis heute ein wichtiger Ort gesellschaftskritischer Kulturarbeit.
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3.3.1 Vom Imaginären zur Verwirklichung: Symbolischer Ort und physischer Treffpunkt der Alternativkultur Die Forderung nach kulturellem Freiraum hatte sich in der Arge-RainbergBewegung (1981-1984) kondensiert und letztlich im Kulturgelände Arge Nonntal materialisiert. Das nach mehrjährigen Verhandlungen erkämpfte Kulturgelände Nonntal verstand sich in seinen Anfängen als „größtes autonomes Kulturzentrum Westösterreichs“ und gilt bis heute als zentrale Institution der Salzburger Alternativkultur. 1984 wurden die alten HTL-Werkstätten der Arge Rainberg zugesprochen. 1985 begannen die Umbau- und Adaptierungsarbeiten, an welchen die RainbergAktivistInnen beteiligt waren. Die heute renommierte Choreographin Editta Braun erinnert sich an die Anfangszeit der Umbauarbeiten für das Kulturgelände Nonntal: „Der gemeinsame Umbau des Kulturgeländes war eine sehr schöne Zeit. Es gab abends immer lange Feste und es wurde viel diskutiert. Diese Diskussionskultur gab es dann im fertigen Haus nicht mehr.“ (Kunstfehler, Sommer 2005, S. 18). Ihre Aussage macht die Wechselbeziehung zwischen physischem und sozialem Raum sowie dem gemeinsamen Tun bzw. der gemeinsamen Tätigkeit explizit. Im gemeinsamen Tun entsteht ein spezifischer sozialer Raum. Bereits durch die Beteiligung an den Umbauarbeiten entstand eine Aneignung der Räumlichkeiten, die 20 Jahre lang die Heimat der Alternativkultur darstellen sollten. Für die Wahrnehmung als symbolischer Ort der Alternativkultur spielten nicht zuletzt die Architektur und Bausubstanz – also der physische Raum – der ehemaligen HTL-Werkstätten eine wesentliche Rolle: Als wenig auffälliger, nicht repräsentativer und bereits etwas abgewohnter Flachbau bot das Gebäude ein Ambiente, das zur alternativkulturellen Aneignung einlud. Der zur Beginn der Nutzung renovierte Bau wies dennoch bald wieder Mängel auf. 1997 prüfte „das städtische Kontrollamt den baulichen Zustand des Kulturgeländes Nonntals und kam dabei zu einem vernichtenden Ergebnis“: Der allgemein schlechte Bauzustand, der aufgrund mangelnder Investitionen seit der Eröffnung des Kulturgeländes entstanden war, würde nunmehr eine umfassende Sanierung des Gebäudes erfordern (vgl. Neidhart 1999: o.S.). Neben den baulichen Mängeln wurde auch der wachsende Raumbedarf immer offenkundiger – nicht zuletzt manifest und sichtbar durch die Aufstellung von Containern vor dem Kulturgelände für
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die Initiativen Radiofabrik (ab Mitte der 90er Jahre) und Subnet (ab 1999). 28 Nach langen Verhandlungen beschloss der Salzburger Gemeinderat im Dezember 2003 die Finanzierung eines Neubaus, der zwei Jahre später am 6. Oktober 2005 eröffnet werden konnte. Die Zusage über einen Neubau stellte also einen Etappensieg in der Behauptung und Platznahme der Alternativkultur und freien Szene dar. Doch gleichzeitig sollte der Umzug in den Neubau eine Zäsur im Selbstverständnis und in der Selbstrepräsentation darstellen bzw. zu einer Klärung des Profils und einem Abschluss der generationellen Ablöse führen. Der Generationenwechsel von der linksalternativen GründerInnengeneration hin zu einer jüngeren, zwar gesellschaftskritischen, jedoch stärker künstlerisch denn aktivistisch verorteten Generation sollte sich mit dem Ortswechsel auch in materialisierter Form vollziehen. Drechsler hält kritisch fest, dass bereits der Übergang der Bewegung in ein institutionelles Setting auch Einbußen im Bereich der Autonomie bedeutete. Die Eingliederung in den Subventionsreigen führte zu neuen Abhängigkeitsverhältnissen, die wiederum einen sukzessiven Rückzug aus dem öffentlichen Diskurs bewirkten: „Letztendlich hat die gegenkulturelle Szene das Bild Salzburgs nachhaltig verändert, nicht ohne dabei sich selbst zu verändern. Demnach wurde das zentrale Prinzip der Autonomie zusehends von den (berechtigten) Forderungen an den Staat überlagert, was zur Folge hatte, dass die teilweise Verwirklichung des Kulturstättenplanes auf Perspektive zu einem nicht gewollten Abhängigkeitsverhältnis führte. Dies und der neokonservative Wertewandel leiteten schließlich den schleichenden Rückzug aus dem öffentlichen Diskurs ein.“ (Drechsler 1995: 113)
Im Prozess der Etablierung sowie der Institutionalisierung von Initiativen wird der Platz der Alternativkultur dabei sukzessive wieder frei und bleibt immer wieder von neuem einer nachwachsenden Generation vorbehalten. So auch in diesem Kontext: Als mit dem Umzug der Arge in den Neubau 2005 das alte Gebäude und der symbolische Ort der Alternativkultur in der Stadt leer zurückblieb, dauerte es nicht lange, bis es zu einer Neu-Besetzung kam. Sowohl im symbolischen als auch im physischen Raum fand mit der Besetzung der „alten
28 In Hinblick auf eine Erweiterung des Raumangebots wurde 1998 an der TU Graz ein Wettbewerb für einen Neubau für das Kulturgelände ausgeschrieben (vgl. Höllbacher 1998: 11).
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Arge“29 im Februar 2006 eine Raumaneignung durch eine neue Generation alternativkultureller AkteurInnen statt. Diese davor weitgehend unsichtbare junge alternativkulturelle Szene rückte durch die Besetzung – zumindest für ihre dreimonatige Dauer – ins Licht der Öffentlichkeit. Im Kontext der „Topografie des Möglichen“ bedeutet die Besetzung 2006 ein Wiederbeleben des alternativkulturellen Mythos in der Stadt. Die Fackel wurde offensichtlich weitergereicht, der Funken ist sichtbar auf eine neue Generation übergesprungen. Hier kann von einem zweiten Aufbruch gesprochen werden, der wiederum im Kontext internationaler sozialer Bewegungen zu betrachten ist und sich in der Verbindung der Forderungen nach kulturellem und politischem Freiraum sowie nach Selbstorganisation und auch in der autonomen Raumaneignung äußerte. 3.3.2 Das Ende einer Ära und Neuaufbruch Der Umzug aus der alten Arge und der Abriss des Gebäudes stellen ein sehr stark emotional aufgeladenes Thema in der freien Szene Salzburgs und insbesondere in der GründerInnengeneration dar. In den verschiedenen Aussagen, Gesprächen wie auch in den Dokumentarfilmen wird deutlich, welches Gewicht die Identifizierung mit diesem geschichtsträchtigen Ort der alternativkulturellen Bewegung für die sich zugehörig fühlenden AkteurInnen hat. So war die alte Arge, solange sie den ursprünglich angeeigneten Raum der ehemaligen HTL-Werkstätten bewohnte, der symbolische Ort der Alternativkultur in Salzburg. Insbesondere das Beisl der alten Arge fungierte als Treffpunkt alternativkultureller AkteurInnen. Noch zwei Mal sollte die alte Arge nach der offiziellen Schließung als sozialer und symbolischer Raum erblühen: einmal als offizieller Veranstaltungsort für das dritte „Austrian Social Forum“ im Oktober 2005 (vgl. o.V. 2005: 4) sowie ein allerletztes Mal durch die oben erwähnte dreimonatige Besetzung des Gebäudes durch eine junge alternativkulturelle Szene. Der Abriss des Gebäudes der alten Arge versinnbildlichte auch das Ende einer Ära – nämlich jener des Traums eines autonomen Kulturzentrums der Generation der Arge-Rainberg-AktivistInnen. Der Abriss der physischen Hülle machte das Ende des ehemaligen Traums auf symbolischer Ebene unwiderruflich klar
29 Ich habe die durch die AkteurInnen verwendeten Bezeichnungen „alte Arge“ und „neue Arge“ übernommen: „Alte Arge“ bezeichnet den ersten Standort in den HTLWerkstätten und mit „neue Arge“ wird der Standort des Kulturvereins ab 2006 in dem eigens gebauten Neubau bezeichnet.
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– denn der soziale Raum hatte sich schon längst von der ehemaligen Basisbewegung in eine Institution verwandelt – und stellt somit eine Zäsur in der Entwicklung der Alternativkultur der Stadt dar. Die AkteurInnen, die vor über 30 Jahren mit ihren Träumen, Hoffnungen und Widersprüchen angetreten waren, das Unmögliche zu fordern, um das Mögliche zu erreichen, hatten sich schon längst in neuen Realitäten und Welten niedergelassen. Das Haus selbst war mittlerweile bereits von einer neuen Generation übernommen worden.30 3.3.2.1 Der Umzug – Neugestaltung des physischen, sozialen und symbolischen Raums Am Umzug wird deutlich, wie sich physischer, sozialer und symbolischer Raum wechselseitig beeinflussen und konstituieren. Karl Zechenter, in dessen Leitungsperiode (1999-2005) großteils die Verhandlungen über den Neubau gefallen waren, sah im Umzug auch eine räumliche Entsprechung zu den inhaltlichen Neuerungen und Erweiterungen, die während seiner Leitungszeit erfolgt waren. Im Frühling 2005 schreibt er im Kunstfehler vor dem bevorstehenden Umzug: „Mit dem neuen Haus der ARGEkultur verbinde ich und viele mit mir – das ARGE-Team, KünstlerInnen und Kulturinteressierte – die Vision, ein Produktionshaus für die Freie Szene – für Musik, Performance und Medienkultur – zu schaffen. In den letzten fünf Jahren konnte ich mit einem Team engagierter MitarbeiterInnen die inhaltliche Veränderung und Erneuerung der ARGEkultur initiieren und gestalten: Die ARGEkultur hat sich vielen neuen Strömungen geöffnet, junge KünstlerInnen und neue Veranstaltungsformen konnten wir österreichweit als erste präsentieren (Medien- und PerformancekünstlerInnen, Freestyle-Battles) […].“ (Zechenter 2005: 25)
Die Kunstfehler-Ausgabe im Sommer 2005 stand mit dem Titel der Ausgabe „Das war die alte Arge – Kulturgelände im Nonntal 1986-2005“ ganz im Zeichen des Umzugs. Im Editorial freut sich Georg Wimmer, „dass Salzburg endlich ein zeitgemäßes Haus für lustvoll subversive und unangepasste Kultur bekommt.“ (Wimmer 2005: o. S.) So wurde der Umzug bewusst für eine Neuorientierung genutzt, wie dies auch aus dem Titel einer Podiumsdiskussion im Zuge
30 Der Generationenwechsel auf Leitungsebene vollzog sich 1999 mit der Wahl des damals 27-jährigen Karl Zechenters zum künstlerischen Leiter, der Wilfried Steiner (Leiter von 1989-1999) ablöste – spätestens ab dann sollte sich die GründerInnengeneration sukzessive zurückziehen. 2005 wurden Markus Grüner und Marcus Hank zum künstlerischen Leitungsduo gewählt (vgl. o.V. 2008a: o.S.).
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der Abschiedsfeierlichkeiten aus dem alten Kulturzentrum deutlich wird. Er lautete: „Was nehmen wir mit und was lassen wir im alten Kulturgelände zurück?“31 Mit dem Ortswechsel kam es auch zur Namensänderung von “Kulturgelände Nonntal“ zu „ARGEkultur“.32 Die eigene Geschichte und Entwicklung von der Arge Rainberg zur Arge Nonntal und nunmehr zur ARGEkultur wurde sowohl in Diskussionsveranstaltungen als auch in Interviews und Artikeln in der hauseigenen Zeitschrift „Kunstfehler“ zum Thema gemacht und rekapituliert. Silvia Kronberger, Gründungsmitglied der Arge Kulturgelände Nonntal, meint im Interview mit dem Kunstfehler im Sommer 2005: „Im Nachhinein muss man sagen, dass wir vor 20 Jahren von Kunst nicht viel verstanden haben – eher von Politik. Eigentlich hat uns vor allem das geeint, was hier in Salzburg nicht läuft, und dabei haben wir uns das Wissen über Kunst und Kultur angeeignet.“ Georg Daxner, ebenfalls Gründungsmitglied der Arge und seit 2001 Initiator und Leiter des Winterfests33, betont die damalige gesellschaftspolitische Relevanz der Kulturarbeit: „Was uns bewegt hat, war tatsächlich mehr die Kulturarbeit. Heute sehe ich, dass wir damals mit Kulturarbeit Politik gemacht haben.“ (o.V. 2006: 10) Dennoch ging der Umzug mit gemischten Gefühlen vonstatten. 3.3.2.2 Die „neue Arge“ 2011: 30-jähriges Jubiläum sowie sechs Jahre im Neubau „Vom Flair des Aufmüpfigen, ja Anrüchigen – das sich nach Außen hin im so gar nicht gepflegten Gastgarten des legendären Beisels manifestiert hat – ist im Jubiläumsjahr 2011 nichts mehr übrig. […] Die ARGEkultur selber ist […] schon vor Jahren als etablierter Verwalter des Widerständigen in ein modernes, sauber gestyltes, funktionelles Gebäude auf einer ganz neuen Straße neuen Ufern entgegen gezogen. Nicht weit weg, trotzdem in eine andere Welt.“ (Klabacher 2011)
Diese Zeilen schreibt Heidemarie Klabacher (2011) in einem „Sentimentale[n] Geburtstagsnachruf“ zum 30-jährigen Jubiläum der Arge im DrehPunktKultur.
31 Diese Frage wurde am 15.6.2005 einer Runde von KünstlerInnen und KulturveranstalterInnen aus ganz Österreich gestellt. Das offizielle Abschlussfest fand am 17.6.2005 statt (vgl. o.V. 2005a: 33). 32 Vgl. ARGEkultur Salzburg „Die Geschichte der ARGEkultur“, http://www. argekultur.at/wir/ (24.9.2013). 33 Das Winterfest wurde 2001 gegründet und gilt als größtes Festival für zeitgenössischen „Circus“ in Österreich (vgl. „Das Winterfest“, http://www.winterfest.at/dasfestival/das-winterfest/ [21.10.2013]).
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Der Neubau entzweit die Gemüter. Die einen, die die neuen Räumlichkeiten als Erfolg und Neubeginn erleben, und die anderen, die sich durch den Neubau ausgegrenzt oder bloß abgewiesen fühlen. Dabei verläuft die Trennungslinie nicht unbedingt entlang der Generationen – wenn auch die Trauer über den Verlust der alten Arge besonders in der GründerInnengeneration schwerer wiegt. Doch auch junge Kulturschaffende trauern der alten Arge als einem wichtigen symbolischen Ort der Alternativkultur in der Stadt Salzburg nach. Der Neubau, in den die Arge umzog, ist gewiss funktional, neu und frisch, allerdings entbehrt der neu gebaute physische Raum auch der Geschichte der GründerInnengeneration – der Umzug stellte gleichsam eine Häutung dar. Zudem ist der Neubau ein repräsentativer Bau, der im Vergleich zu den beschaulichen, ehemaligen HTL-Werkstätten die subkulturelle Konnotation einbüßt.34 Die Arge hatte sich von einer alternativkulturellen Basisbewegung mittlerweile zu einer Institution entwickelt. 35 Doch im alten Gebäude lebte der Mythos
34 Die neue Adresse der ARGEkultur sollte auf symbolischer Ebene jedoch einen klaren linksaktivistischen Bezug beinhalten: Der traurige Anlass der Neubenennung der neuen Verbindungsstraße zwischen Akademiestraße und Josef-Preis-Allee 2008 war zugleich Ausdruck einer symbolischen Anerkennung: Die Straße wurde nach Ulrike Gschwandtner benannt, die ein Jahr zuvor unerwartet während einer Bergexpedition in Pakistan 42-jährig verstarb. Sie war langjähriges Mitglied des Vereinsvorstands der ARGEkultur sowie als Sozialwissenschaftlerin und zivilgesellschaftliche Aktivistin eine wichtige Repräsentantin der linksalternativen Zivilgesellschaft Salzburgs. Mit der Namensgebung der Straße sollten die „herausragenden Leistungen von Ulrike Gschwandtner in den Bereichen Wissenschaft, Kultur und Sport“ gewürdigt werden und „gleichzeitig eine Beziehung zu den wichtigsten AnrainerInnen, der Universität, der ARGEkultur als auch dem Sportzentrum Mitte“ (o.V. 2008b: o.S.) hergestellt werden. Straßennamen sind dabei als Symbolträger der Narration einer Stadt zu sehen. 35 Die heutige ARGEkultur kann als Mehrspartenhaus mit teils anspruchsvollem Nischenprogramm, teils Mainstream-Angeboten beschrieben werden. Sie versteht sich selbst weiterhin als eine kritische Stimme in der Salzburger Kulturlandschaft. Im Haus untergebrachte MieterInnen und MitnutzerInnen sind des Weiteren zehn Initiativen: Amnesty International ̶ Gruppe 112 Salzburg, ARGE Beisl, ARGE Wehrdienstverweigerung und Zivildienstberatung, Krabbelstube ̶ Verein zur Kinderbetreuung durch Eltern und BetreuerInnen, Radiofabrik Freier Rundfunk Salzburg, Städtepartnerschaft Salzburg–Leon, Städtepartnerschaft Salzburg–Singida, Subnet – Plattform für Medienkunst und experimentelle Technologien, Südwind – Verein für entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, tanz_house Plattform Salzburger Choreogra-
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der GründerInnengeneration weiter; insbesondere im Arge-Beisl gab es noch die symbolische Nähe zu den Idealen und Träumen der GründerInnengeneration. In unterschiedlichen Gesprächen mit Angehörigen der Arge-Rainberg-Generation wurde mir wiederholt vom alten Gebäude und von der Trauer über den Verlust dieses Ortes erzählt. Diese Skepsis gegenüber dem Neubau brachte ein Salzburger Kulturschaffender der Arge-Rainberg-Generation auf den Punkt, als er meinte, es sei besondere Vorsicht geboten, wenn die Politik einer Szene oder Bewegung ein Haus und ganz besonders einen Neubau hinstellen würde, denn dann sei es aus mit der Lebendigkeit. Hierbei monierte mein Gesprächspartner auch die Problematik der sukzessiven Institutionalisierung, der die Lebendigkeit einer sich laufend konstituierenden sozialen Bewegung konträr gegenübersteht (vgl. Gedächtnisprotokoll: periscope-bikekitchen am 21.4.2013). Im Gespräch mit einer regelmäßigen Besucherin des ehemaligen Arge-Beisls meint diese über den Neubau, dass es frappant sei, dass es nun sozusagen eine Chefetage gäbe. Sie bezog sich darauf, dass das Leitungsbüro nunmehr im ersten Stock liege und sieht in der physischen Anordnung einen räumlichen Ausdruck der neuen sozialen Hierarchien.36 Nicht nur für AkteurInnen der GründerInnengeneration, sondern ebenso für junge, sich dem alternativkulturellen Milieu zurechnende AkteurInnen war der Umzug der Arge in den Neubau und der Abriss der ehemaligen HTLWerkstätten ein von Entfremdungsgefühlen geprägter Moment. Auch die heutige junge Generation hatte (entsprechend ihren politischen und kulturellen Referenzpunkten) zur alten Arge einen anderen Bezug als zur neuen Arge.37 So habe
fInnen (vgl. ARGEkultur Salzburg, http://www.argekultur.at/wir/hausnetzwerk.aspx. [4.7.2014]). Doch verstehen sich diese nicht als inhaltlich zusammengehörig (vgl. Gedächtnisprotokoll: Gespräch mit Markus Grüner-Musil am 8.12.2010). Seitdem der Kunstfehler vor ein paar Jahren – aufgrund von Kürzungen im Bereich der Medienförderung – eingestellt wurde, fiel zudem die Möglichkeit der Prägung eines gemeinsamen Diskurses weg. 36 Dagegen schwärmte sie vom alten Gebäude und der vormals basisdemokratischen Struktur, in der jede/r mitbestimmen konnte, wobei sie auch einräumt, dass dies teils langwierig und mühsam gewesen sei (vgl. Gedächtnisprotokoll: grandhotelBesucherInnengesprächeam am 31.3.2011). 37 Ich selbst hatte die alte Arge nie erlebt, doch hatte ich von der Arge Nonntal gehört und gelesen, bevor ich nach Salzburg zog. Als ich dann nach Salzburg umzog, erwartete ich mir ein autonomes Kulturzentrum, das die Arge wohl schon lange nicht mehr war. Meine Erwartung war die eines selbstverwalteten, basisdemokratisch geführten
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die Atmosphäre des Neubaus vieles der alten Arge zunichtegemacht laut Manuel Riemelmoser würde die Atmosphäre von Neubauten ein (subkulturelles) Aneignen der Räumlichkeiten erschweren: „Es ist die reine Atmosphäre im Haus, damit fängt es an. […] In einem Neubau passieren andere Sachen, wie in einem Haus, das nicht abgelebt, sondern bereits lebendig geworden ist, das bereits belebt ist. Und das sieht man auch am neuen Unipark, das sieht man […] an allen reinen Neubauten, noch dazu, wenn sie so grausige Betonbauten sind, die haben eine Aura des Unangreifbaren und zwar nicht im göttlichen und positiven Sinn, sondern im abstoßenden, blockierenden Sinn: der Beton, der blockiert.“ (Interview mit Manuel Riemelmoser am 22.8.2013, S. 34)
Die Schilderungen von Manuel Riemelmoser im Interview verweisen auf die sinnliche Wirkung von Ortseffekten (vgl. Bourdieu 1997b) und gehen förmlich unter die Haut: Die Sterilität der Betonbauten zwingt ihn fast zu „Häutungen“, die er vehement ablehnt. Die Aneignung des Raumes durch die NutzerInnen scheint in einem Neubau ungleich schwieriger zu sein. Hierzu Manuel Riemelmoser: „Und das ist umso schwieriger, je glatt polierter er [der Neubau] am Anfang ist. Weil um ihn anzugreifen, um [sich] ihn anzueignen, um ihn lebendig zu machen, um ihn zu besetzen, braucht’s eine Reibefläche und die ist bei solchen glattpolierten Sachen nicht da. Und allein das war an der neuen Arge nicht gut, dass es so ein fix und fertig hingestelltes Ding ist.“ (Interview mit Manuel Riemelmoser am 22.8.2013, S. 35)
Ein Neubau sei Ausdruck einer aufgezwungenen Materialität, an deren Entstehung nicht mitgewirkt wurde. Handelt es sich um ein bereits bewohntes Gebäude mit seiner akkumulierten Geschichte, stellt sich die Symbolik des Raumes ganz anders dar als die eines Neubaus. Der physische Ort ist Erinnerungsort, in dessen
Hauses, das einen Szenetreffpunkt darstellt bzw. aus einer Szene gewachsen ist, mit einer aktiven, sich beteiligenden Basis und einem linkspolitischen Selbstverständnis. Ähnliche Hoffnungen hegte ich beim Künstlerhaus: Doch diese Euphorie wich nach dem ersten Besuch des Künstlerhauses einem Gefühl der Leere. Es fühlte sich weder belebt noch niederschwellig im Sinne einer Basisinitiative an. Diese eigenen Erwartungen und Empfindungen gilt es selbstreflexiv zu analysieren: Sie spiegeln meine eigene Suche nach Ankerpunkten in einer neuen Stadt und mein eigenes Zugehörigkeitsgefühl zu einer links-alternativen Szene in meiner Heimatstadt Graz.
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Materialität sich die kollektive Identität einschreibt, da die Inbesitznahme des physischen Ortes erst seine Aneignung bedeutet. Für die damaligen AktivistInnen kommt der Abriss einer Amputation gleich. Die „alte Arge“ beherbergte rund 20 Jahre an Erinnerungen und Bezugspunkten in individuellen Biographien Kulturschaffender und ihrer BesucherInnen. Ihr linkspolitischer Ursprung sowie der sich darum bildende Gründungsmythos der Arge-Rainberg-Bewegung waren dabei konstitutiv.38
38 Interessant ist das durchaus salzburgspezifische Attribut „alt“ und „neu“, das sowohl bei der Arge als auch beim MARK zum Tragen kommt – „alte Arge/neue Arge“ sowie „altes MARK/neues MARK“. Es verweist auf die räumlichen Verpflanzungen der Kulturvereine, die jeweils auch mit einer symbolischen Neubewertung der Orte einhergingen und jeweils über die räumliche Kulturpolitik und die sie begleitenden Ortseffekte Auskunft geben.
IV. Fallbeispiele: Tätigsein und Raumaneignung
1. Politisch-soziales Tätigsein und autonome Raumaneignung
Folgende Ausführungen erscheinen mir wesentlich, um den Standort begreifbar zu machen, von dem aus der Blick auf die Stadt Salzburg gerichtet wird. Die lokale Besetzung der alten Arge im Jahr 2006 war kein Zufall, ebenso wie die Konstituierung einer jungen alternativkulturellen Szene. Um sie zu verstehen, müssen wir den Blick auf globale Zusammenhänge erweitern. Sie stand im Kontext der seit Anfang der 2000er wiedererstarkenden Hausbesetzungsbewegungen in vielen europäischen Ländern sowie der um die Jahrtausendwende entstandenen transnationalen globalisierungskritischen Bewegung. Als Geburtsstunde der globalisierungskritischen Bewegung werden zumeist folgende Ereignisse genannt: der zapatistische Aufstand in Mexiko (1994), die in Folge organisierten „Intergalaktischen Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschlichkeit/Menschheit“ (1996/1997) oder auch die Proteste gegen den Gipfel der World Trade Organization (WTO) in Seattle im November 1999 (vgl. Kastner 2007: 26). Die zapatistische Guerilla EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional)1 begann ihren Aufstand gegen die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung sowie gegen die Auswirkungen des Neoliberalismus, am 1. Januar 1994 in Chiapas, der ärmsten und südlichsten Region Mexikos (vgl. ebd.). Nicht zuletzt durch die poetische Sprache ihrer Kommuniqués sowie ihre innovative Praxis erlangten sie internationale Aufmerksamkeit und wurden zu einem Referenzpunkt der in den Folgejahren erstarkenden globalisierungskriti-
1
Die Zapatistas, eine seit Anfang der 1990er Jahre existierende Guerilla im Süden Mexikos, haben ihren Namen von Emilio Zapata (1879-1919), einem der Helden der Mexikanischen Revolution (1910-1920), entlehnt.
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schen Bewegung.2 Poesie sollte ab dann einen fixen Platz im Imaginären der Protestbewegung haben. Bei den Protesten in Seattle wurde von den AktivistInnen beschlossen, künftig die wichtigsten Treffen der globalen Wirtschaftsinstitutionen durch Demonstrationen, kritische Informationsarbeit und alternative Medienberichterstattung zu begleiten.3 Den Protesten in Seattle waren bereits ein erster globaler Aktionstag und die Gründung des Netzwerkes PGA (Peoples Global Action) anlässlich der WTO-Konferenz in Genf 1998 (vgl. u.a. Foltin 2004: 307) vorausgegangen sowie im Juni 1999 die in Köln organisierten Proteste mit rund 40.000 TeilnehmerInnen gegen den dort stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel. Doch erst mit den Protesten in Seattle begann die massenmediale Berichterstattung über die Protestbewegung.4 In den Folgejahren sollte zudem der Sozialforenprozess Form annehmen und zum zentralen Forum der globalisierungskritischen Bewegung werden. Die Idee des Weltsozialforums entstand Anfang des Jahres 2000 während der Proteste gegen die Politik des IWF (Internationaler Währungsfond) und der Weltbank in Washington. Aufhänger der Idee des Weltsozialforums war das Davoser World Economic Forum (WEF)5: Dem dort präsentierten ideologischen Mainstream-
2
Vgl. Holloway über die Zapatistas, im Kapitel „,Kreative Macht‘ (John Holloway)“ (S. 60-65).
3
Vgl. Attac-Bern, http://www.attac-bern.ch/index.php?id=386 (14.9.2013).
4
Die Mainstream-Medien richteten den Fokus zumeist auf Ausschreitungen und den Versuch einer Kriminalisierung der Bewegung. Nicht zuletzt deshalb formierte sich im Zuge der Proteste eine neue Medienkultur: In Seattle wurde das IndymediaNetzwerk gegründet und ab diesem Zeitpunkt sollten alle in den nächsten Jahren folgenden Großdemonstrationen und Proteste bei den diversen Wirtschafts-Gipfeltreffen von vor Ort aufgebauten „Independent Media Centers“ (IMC) dokumentiert werden (vgl. Wimmer 2002c: 14).
5
Das World Economic Forum/Weltwirtschaftsforum (WEF/WWF) wurde 1971 gegründet, damals mit dem Namen „European Management Forum“. 1987 kam es zur Namensänderung – damit wollte sich das Forum stärker als „Plattform für die Lösung internationaler Konflikte“ positionieren. Die Mitglieder des WEF sind die 1000 größten globalen Unternehmen mit einem durchschnittlichen Umsatz von fünf Milliarden US-Dollar (vgl. World Economic Forum – Our Members, http://www.weforum.org/ members [17.9.2013]). Das Forum versteht sich als Plattform zur Verbesserung der Welt unter neoliberalen Vorzeichen. Die zentrale Veranstaltung des Forums ist das Jahrestreffen, das jährlich im Januar oder Februar in Davos (Schweiz) stattfindet und die globalen Wirtschaftseliten mit PolitikerInnen und WirtschaftswissenschaftlerInnen
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Denken einer neoliberalen Globalisierung wollte die Protestbewegung mit Gegenentwürfen einer anderen Globalisierung begegnen. Entsprechend sollte der Slogan der Sozialforenbewegung lauten: „Eine andere Welt ist möglich!“. Das erste Weltsozialforum (WSF) sollte 2001 in Porto Alegre, Brasilien, stattfinden. 6 Insbesondere bis Mitte der 2000er Jahre war die Sozialforenbewegung sehr aktiv, seit Ende der 2000er Jahre ist ein Abflauen zu verzeichnen.7 All diese globalen politischen Ereignisse prägten in jener Zeit ganz wesentlich ein Gefühl von Aufbruch und Dringlichkeit in linksalternativen Kreisen. In den folgenden Jahren stand der zunehmenden Repression ein weiterer Aufschwung der globalisierungskritischen Bewegung bzw. Impulse durch die politischen Umbrüche in Lateinamerika 8 gegenüber. Diese Ereignisse prägten ein politisches Gefühl des Aufbruchs in der transnationalen globalisierungskritischen Bewegung und gleichfalls in der außerparlamentarischen Linken in Österreich. Hinsichtlich der Organisierung der österreichischen Zivilgesellschaft ist hinzukommend das symbolträchtige Jahr 2000 zu nennen, welches im Zeichen des Widerstands gegen die ÖVP-FPÖ-Regierungsbildung, gefolgt von den Protesten gegen die Sparmaßnahmen des schwarz-blauen Regierungsprogramms, stand.
sowie JournalistInnen zusammenbringt (vgl. Weltwirtschaftsforum – Wikipedia. http://de.wikipedia.org/wiki/Weltwirtschaftsforum [14.9.2013]). 6
Der Veranstaltungsort Porto Alegre wurde zum einen symbolisch als ein Standort in der sogenannten „Dritten Welt“ und zum anderen aufgrund der innovativen Regierungsform des „partizipativen Budgets“ als konkretes Beispiel einer alternativen Ökonomie gewählt (vgl. Attac-Bern – Weltsozialforum, http://www.attac-bern.ch/index. php?id=386, sowie zum partizipativen Budget z.B.: Partizipation – Partizipatives Budget, http://www.partizipation.at/part_budget_en.html, Bürgerhaushalt – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgerhaushalt [15.9.2013]).
7
Von 2001 bis 2003 sowie 2005 fand das Weltsozialforum in Porto Alegre statt, 2004 in Mumbai (Indien). Während es 2006 gleichzeitig in Bamako (Mali/Afrika), Karatschi (Pakistan/Asien) und Caracas (Venezuela/Lateinamerika) stattfand, gab es 2007 wieder ein zentrales Weltsozialforum in Nairobi (Kenia). 2008 fand das Forum in Form eines globalen Aktionstages statt, 2009 wurde es in Belém (Brasilien) organisiert, 2011 in Dakar (Senegal) und 2013 in Tunis (Tunesien) (vgl. Weltsozialforum – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Weltsozialforum [14.9.2013]).
8
Vom zapatistischen Aufstand in Mexiko 1994, über die „Bolivarische Revolution“ in Venezuela 1998, die landesweite Protestwelle in Argentinien 2001, das weitere Erstarken der Linken durch die Wahl Lula da Silvas in Brasilien 2003 bis hin zur Wahl Evo Morales zum ersten Indigéna-Staatsoberhaupt in Bolivien 2005.
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Insbesondere im Februar fanden Demonstrationen in allen Bundesländern statt, die am 19.2.2000 mit der Großdemonstration in Wien mit rund 200.000 bis 300.000 DemonstrantInnen kulminierten. Wegen der Einführung der Studiengebühren kam es ebenfalls im Herbst zu massiven Studierendenprotesten. Im November 2000 wurde Attac Österreich gegründet und im Dezember 2000 kam es zum Aktionstag „Checkpoint Austria“ gegen das „Budget der Grausamkeit“ (vgl. Foltin 2004: 309). Rückblickend war es ein Jahr der verstärkten Netzwerkbildung in der österreichischen Zivilgesellschaft. Ein Jahr später, im Juli 2001, wurde Salzburg Schauplatz des World Economic Forum (WEF) und der internationalen Proteste gegen selbiges. Mit diesem Ereignis trat die globale Protestbewegung ganz lokal in Salzburg als Diskurs- und Handlungsfeld zu Tage. Zwei Jahre nach dem Erwachen der globalisierungskritischen Bewegung in Seattle wurde das Jahr 2001 zu einem symbolisch dichten sowohl euphorischen als auch erschütternden Jahr. Einerseits gab es das erste im Januar 2001 von der globalisierungskritischen Bewegung organisierte Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre (Brasilien), andererseits wurde die Euphorie durch den ersten Toten der sich konstituierenden globalen Protestbewegung, Carlo Giuliani, erschüttert, der bei den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua am 20.7.2001 von einem Polizisten erschossen wurde (vgl. ebd.: 310). Zwischen diesen beiden Ereignissen tagte das WEF-Osteuropatreffen vom 1. bis 3. Juli 2001 in Salzburg. Nach den Protesten in Seattle, Nizza, Prag, Davos und zuletzt Göteburg 9, während derer es zum Teil zu heftigen Konfrontationen zwischen DemonstrantInnen und der Polizei gekommen war, setzte von Seiten der Politik und Medien ein Trend der Kriminalisierung der Protestbewegung ein. 10 In Folge kam es zu einer
9
In Göteburg war es zu Straßenschlachten zwischen einigen DemonstrantInnen und der Polizei gekommen, die erstmals Schusswaffen gegen GlobalisierungkritikerInnen einsetzte und einige Demonstranten anschoss (vgl. o.V. 2001a).
10 Während des WEFs sowie anderen vergleichbaren Gipfeltreffen wird das Recht auf Versammlungsfreiheit häufig drastisch eingeschränkt; die TeilnehmerInnen von Protestveranstaltungen werden überwacht und kriminalisiert. So kam es in den vergangenen Jahren in Davos nicht nur zum Großaufgebot von Polizei, sondern sogar zum Einsatz der Schweizer Armee: 2005 standen rund 5500 Soldaten im Einsatz (vgl. Weltwirtschaftsforum – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Weltwirtschaftsforum [14.9.2013]).
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regelrechten Aufrüstung gegen die globalisierungskritischen DemonstrantInnen.11 Auch in Salzburg sollten Vorkehrungen gegen die erwarteten „Chaoten“ getroffen werden: Die erwarteten Gegenproteste wurden zum Anlass eines polizeilichen Großeinsatzes mit mehr als 5000 Beamten, der als „größter Polizeieinsatz der 2. Republik“ (o.V. 2001b) bezeichnet wurde. Schon Tage vor dem Gipfel wurde das Schengenabkommen über die Reisefreiheit an den Grenzen zwischen Deutschland, Österreich und Italien aufgehoben, um GlobalisierungskritikerInnen gezielt zu durchsuchen und ihnen teilweise die Einreise zu verweigern (vgl. Grolig 2001: o.S.). In Salzburg Stadt wurden rund um den Tagungsort, das Kongresshaus, drei „Überwachungszonen“ eingerichtet, die die Bewegungsfreiheit der DemonstrantInnen einschränken sollten (vgl. o.V. 2001c). Doch besonderes Aufsehen erregte letztlich nur die Großdemonstration am 1. Juli 2001. Die Demonstration war nicht genehmigt worden, sondern lediglich eine Standkundgebung am Bahnhofsvorplatz. Dieser Einschränkung der Meinungs- und Bewegungsfreiheit widersetzten sich die GlobalisierungskritikerInnen im Sinne des zivilen Ungehorsams. Rund 1500 DemonstrantInnen starteten vom Bahnhofsvorplatz in Richtung Salzburger Innenstadt. Doch bereits nach einer halben Stunde kam es an der Wolf-Dietrich-Straße zur Einkesselung mehrerer hundert DemonstrantInnen durch die Polizei (vgl. o.V. 2003a). Der sogenannte „Salz-
11 Die disproportionale Aufrüstung der Staatsmächte und ihrer Exekutive sowie die Materialisierung ihrer strukturellen Macht und Gewalt gegen einen Teil der Weltbevölkerung – jenen der SystemkritikerInnen des Neoliberalismus – ist nicht zu verleugnen. Parallel zur erwachenden globalisierungskritischen Bewegung sollten sich ebenfalls die Repressionsstrategien gegen selbige neu aufstellen. Diese staatliche Aufrüstung gegen globalisierungskritische AktivistInnen ist Ausdruck einer durchwegs totalitären Entwicklung in den europäischen Demokratien bzw. einer besorgniserregenden Zunahme an Überwachung und Zensur. Mit dem Einsatz von Anti-Terroreinheiten scheinen die politischen Verantwortlichen entweder ihre Fehleinschätzung der Bewegung zu bezeugen oder aber eine ihren Einstellungen entsprechende Form der Gewaltanwendung vorzuführen. Weltweit setzte bereits hier eine Dynamik ein, die sich infolge der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September desselben Jahres noch weiter verschärfen sollte. Von da an sollte der „Krieg gegen den Terror“ umfassende Eingriffe in die Bürgerrechte legitimieren. Die Ausweitung von Überwachung, durch die Einführung des elektronischen Fingerabdrucks, der Vorratsdatenspeicherung oder der Ausweitung der Handyüberwachung schien bald an die Tagesordnung westlicher Demokratien gerückt zu sein (vgl. Rieger 2011).
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burger Kessel“12 sollte aufgrund des unverhältnismäßigen Einschreitens der Polizei, in Folge gewissermaßen als Mythos der Salzburger Proteste, in der Bewegung tradiert werden. Seitens der Polizei gab es keine Begründung für den Kessel.13 Die DemonstrantInnen wurden mehrere Stunden festgehalten und aufgefordert, den Kessel einzeln zu verlassen – dabei wurden jeweils die Personalien aufgenommen. U.a. schlug die Polizei auf die eingekesselten DemonstrantInnen ein und verhaftete mehrere von ihnen (vgl. o.V. 2002a). Ein halbes Jahr nach den Protesten gegen das WEF in Salzburg wurde von der Polizei gegen 79 DemonstrantInnen Anklage erhoben. Es sollte ihnen u.a. „Landfriedensbruch, schwere Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen“ und mit „drakonischen Strafen gedroht“ (o.V. 2002b) werden. Dies wurde vielfach als eine Drohgebärde hinsichtlich des im September 2002 erneut in Salzburg geplanten WEF-Gipfels aufgefasst (vgl. Wimmer 2002a: 13). Im Herbst 2002 tagte das WEF vom 15. bis 17. September erneut in Salzburg.14 In diesem Jahr sollte die Großdemonstration genehmigt werden, sie wurde von AktivistInnen des Salzburger Sozialforums angemeldet, die auch die Koordination und Organisation des Gegengipfels „Global Village Projekt“15 über-
12 „Als ‚Kessel‘ wird die Umrundung einer Demonstration durch Polizeikräfte, im Zusammenhang mit einer rapiden Einschränkung der Bewegungsfreiheit bezeichnet.“ (o.V. 2003b) 13 Wie sich die Einkesselung einer friedlichen Demonstration erklären lässt, versucht Doc Holliday in einem Artikel im „Kunstfehler“ darzulegen und verweist auf die medial geschürte öffentliche Erwartungshaltung gewaltbereiter DemonstrantInnen sowie den politischen Legitimierungsnotstand für den Polizeieinsatz und dessen Kosten bei möglichem Ausbleiben von Ausschreitungen: „Den Polizeikessel im Andräviertel hatten die Verantwortlichen bitter nötig. Zu groß wäre die Blamage und Erklärungsbedarf gewesen, wenn sich der ganze Aufwand (Kosten des Polizeieinsatzes: 80 Millionen Schilling) [...] als völlig unnötig herausgestellt hätte.“ (Holliday 2001: 6) 14 Das Jahr 2002 hatte ebenfalls mit zahlreichen Protesten der GlobalisierungskritikerInnen bei Gipfeltreffen begonnen: Anfang Februar 2002 kam es in New York zu Demonstrationen gegen das WEF, wohin selbiges „aus Solidarität mit der vom Terror betroffenen Stadt einmalig verlegt wurde“; das WEF tagte zudem in Davos. Auch in München sollte es Demonstrationen gegen die NATO-Konferenz geben. Ebenfalls Anfang Februar 2002 fand das zweite Weltsozialforum erneut in Porto Alegre statt. 15 Der Gegengipfel beinhaltete ein „Global Village Festival“ im Volksgarten sowie Kunst- und Kulturinterventionen im öffentlichen Raum, einen alternativen Gipfel mit
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nahmen. Georg Wimmer wandte sich in einem Artikel im Vorfeld des WEF 2002 und Bezug nehmend auf die torpedierte Demonstration im Jahr zuvor an die Politik: „Wer sich den WEF nach Salzburg wünscht, müsste eigentlich dafür sorgen, dass bürgerliche Grundrechte deshalb nicht eine Woche außer Kraft gesetzt werden.“ (Wimmer 2002b: 8) Die Großdemonstration am 16.9.2002 verlief vergleichsweise ruhig – als „Stadtspaziergang“ führte sie an Firmen und Institutionen vorbei, die Teil des WEF sind. Es beteiligten sich laut Indymedia-Bericht rund 600 DemonstrantInnen, die von mehreren hundert Polizisten begleitet wurden.16 Die Zusammentreffen internationaler globalisierungskritischer AktivistInnen in Salzburg 2001 und 2002, sollten sich auch auf die lokalen Netzwerke auswirken und die Vernetzung in der Salzburger Zivilgesellschaft stärken. 17 In diesem Kontext des Aufbruchs der außerparlamentarischen Linken gründete sich 2002 der Infoladen Salzburg. Dieser sollte in den Folgejahren wichtiger Referenzpunkt junger linker Selbstorganisation in der Stadt werden und spielte bis hin zur Besetzung der alten Arge 2006 eine konstante Rolle in der jungen alternativkulturellen Szene Salzburgs. Ebenfalls in den Jahren nach den WEF-Protesten entstanden die Initiativen: RAUM, Mono Poly und Poetro. In diesen Initiativen sammelten junge sowie jugendliche AkteurInnen Erfahrungen mit politischer und kultureller Selbstorganisation, die sich in der Besetzung der alten Arge 2006 kondensierten und die Utopie einer „anderen Welt“ in Salzburg sichtbar machten. Ähnlich der alternativkulturellen Bewegung Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre wurde diese erst öffentlich sichtbar und wahrgenommen, als sie im physischen Raum durch kollektive Raumaneignung Sichtbarkeit beanspruchte. Die genannten Initiativen werden im ersten Fallbeispiel der „Besetzung der alten Arge“ (2006) vorgestellt, um den sozialen und symbolischen Raum der Besetzung besser zu verstehen und sich dann der Besetzung selbst unter den Aspekten des „politisch-sozialen Tätigseins“ und der „autono-
Vorträgen und Workshops, die Großdemonstration, ein Streitgespräch mit dem WEF etc. (vgl. o.V. 2002c; Wimmer 2002d). 16 Dennoch kam es zu Störungen von Seiten der Polizei: „Die Polizei verhindert, dass die Demonstration auf der vorgesehenen und bewilligten Route, am Geschäftssitz von PriceWaterhousCooper vorbei ziehen kann. Es kommt zu 7 Verhaftungen.“ (o.V. 2003a) 17 In dieser Kontinuität ist auch die Entscheidung zu sehen, das erste österreichische Sozialforum (ASF – Austrian Social Forum) 2003 in Hallein zu veranstalten (vgl. Foltin 2004: 311).
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men Raumaneignung“ zu widmen. Das zweite Fallbeispiel „SUB“ hat seine Wurzeln ebenso in der sich in jenen Jahren konstituierenden alternativkulturellen Szene.
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1.1 K ONSTITUIERUNG EINER JUNGEN ALTERNATIV - KULTURELLEN S ZENE UND DIE „B ESETZUNG DER ALTEN ARGE “ Als Quellen zur Ausarbeitung dieses Kapitels diente neben den Interviews mit an den Initiativen RAUM, Mono Poly und Poetro sowie an der Besetzung der alten Arge beteiligten AkteurInnen insbesondere der Dokumentarfilm „[frei]raum. Ein dokumentarfilm über salzburgs jugendkultur“ (2008), der von zwei AkteurInnen aus dem Umfeld des Jugendtreffpunktes RAUM über die Salzburger „FreiraumSzene“ realisiert wurde.1 Interviewpartner der jeweiligen Initiativen:2 Franz W. (anonymisiert) ist Mitte 20, wuchs in Salzburg auf, besuchte die HTL und studierte in Folge in Wien. Zum Zeitpunkt des Interviews arbeitet er als Jugendbetreuer. Als Jugendlicher war er in der linksalternativen Szene Salzburgs aktiv. Den 2002 gegründeten Infoladen beschreibt Franz W. als wesentlich für seine politische Sozialisation – hier lernte er basisdemokratische Selbstorganisa-
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Der Dokumentarfilm [frei]raum (2008) wurde im Umfeld des selbstorganisierten Jugendtreffpunkts RAUM initiiert und gibt Einblicke in die jugendkulturelle Szene zwischen 2006-2008. Er porträtiert in erster Linie den Jugendtreffpunkt RAUM und seine AkteurInnen. Ebenfalls dokumentiert sind die Besetzung der alten Arge sowie der Vernetzungsprozess „K. – Initiative für junge Kultur“ und der „Tag der jungen Kultur“ im Jahr 2008. Vorgestellt werden des Weiteren der Infoladen, das Kunstkollektiv Poetro, das Jugendkulturzentrum Mark und der Kulturverein denkmal. Der Film führt eindringlich vor Augen, mit welchen Hindernissen AkteurInnen der autonomen Kulturarbeit in Salzburg konfrontiert sind. Die beiden Filmemacher reflektieren und resümieren am Ende der Dokumentation über ihre Motivation und den Prozess der Filmproduktion und geben dabei Aufschluss über das feine Spannen von Vernetzungsfäden im sozialen Raum der Stadt. Der Dokumentarfilm ist für die Filmemacher selbst Teil der Erfahrung von Selbstorganisation der damaligen jungen alternativkulturellen Szene. Sie erlebten die Arbeit am Film gleichzeitig als Vernetzungsarbeit, die letztlich einen weiteren Beitrag zur Konstituierung und zum Selbstverständnis der alternativen Jugendszene darstellte.
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Aufgrund der z.T. bestehenden Überschneidungen des Engagements der AkteurInnen in den unterschiedlichen Initiativen werden hier zu Beginn alle Interviewpartner vorgestellt. Die Interviewpartner Marco S. und Franz W. wurden auf Wunsch anonymisiert.
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tion kennen und sollte 2004 mit einigen Freunden die Zeitschrift „Mono Poly“ gründen und auch an der Besetzung der alten Arge 2006 beteiligt sein. Nach seinem Weggang aus Salzburg, um in Wien zu studieren, hatte er kaum Kontakt zur Salzburger Szene. Ich führte zwei Gespräche mit Franz W., am 13.6.2013 und 21.6.2013; sie wurden in Gedächtnisprotokollen dokumentiert. Marco S. (anonymisiert) ist Mitte 20, wuchs in Salzburg auf, besuchte das Gymnasium und macht zur Zeit des Interviews eine landwirtschaftliche Ausbildung. Als Dreizehnjähriger stieß er auf das Protestcamp gegen das damals in Salzburg stattfindende World Economic Forum und begann, sich für linksalternative politische Arbeit zu interessieren. Er war Mitinitiator der Zeitschrift Mono Poly sowie des selbstorganisierten Jugendtreffpunkts RAUM (2004/2005). 2010 zählt er zu den InitiatorInnen des Kulturvereins SUB, der sich als linksautonomes, soziales Zentrum versteht. Mit Marco S. fanden zwei Interviews, am 31.10.2012 und 16.11.2012, statt. Manuel Riemelmoser3 ist Ende 20, besuchte das Gymnasium und studierte zum Zeitpunkt des Interviews Geschichte und Germanistik an der Universität Salzburg. Von 2007 bis 2009 studierte er in Graz. Erste Erfahrungen kultureller Selbstorganisation (Veranstaltung von Lesungen, Konzerten, Festen, Diskussionen etc.) machte Manuel R. im Freundeskreis sowie im Jugendzentrum Stutz, dem heutigen YoCo. Aus diesem aktiven Freundeskreis entstand das Kunstkollektiv Poetro, das 2004 mit Lesungen und Auftritten begann. Mitglieder von Poetro beteiligten sich u.a. an der Besetzung der alten Arge. Mittlerweile ist Manuel R. Mitglied eines neuen Kunstkollektivs, des „Bureau du Grand Mot“ (Büro des großen Wortes). In seiner Sozialisation lag der Fokus primär auf der künstlerischen Selbstorganisation; die politische kam verstärkt durch die Erfahrung der Besetzung der alten Arge hinzu. 1.1.1 Der Infoladen Salzburg Infoläden bezeichnen im deutschsprachigen Raum für gewöhnlich Orte linksalternativer bis linksradikaler Selbstorganisation. Anfang der 1980er Jahre entstanden diese insbesondere in urbanen Zentren westlicher Industrieländer als Teil der autonomen Bewegung. Wie der Name „Infoladen“ bereits sagt, geht es
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Das Interview mit Manuel Riemelmoser fand am 22.8.2013 statt. Nach Rücksprache wurde der Interviewpartner nicht anonymisiert.
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um selbstbestimmte Informationspolitik abseits kapitalistischer Verwertungslogik. Damals, wie zum Teil auch heute, waren Infoläden in autonomen Kulturzentren oder besetzten Häusern integriert, stellten eine lokale Anlaufstelle und einen sozialen Treffpunkt für AktivistInnen dar, und fungierten als Orte der Vernetzung.4 Mein Interesse galt und gilt dem Infoladen Salzburg als Format linker Selbstorganisation. Ich besuchte den Infoladen, um die Anfrage für ein Interview persönlich zu stellen. An jenem Nachmittag traf ich auf eine InfoladenAktivistin, die offen reagierte, doch darum bat, mein Forschungsvorhaben per EMail genauer zu schildern, sodass im Plenum darüber gesprochen werden könne. Ein Interview wurde letztendlich vom Kollektiv abgelehnt, da meine Fragen nach Struktur und Organisation als problematisch erachtetet wurden.5 Dies zeigt eine gewisse Skepsis gegenüber meiner Person bzw. meinem wissenschaftlichen Vorhaben. Eine Skepsis, die im Widerspruch zur prinzipiellen Offenheit der auf der Homepage an alle Interessierten adressierten Einladung steht: „Ihr müsst keine linksradikalen Expert_innen sein, um hier willkommen zu sein. Wir freuen uns über alle Leute, die sich ernsthaft eine befreite Gesellschaft wünschen und wirklich etwas ändern wollen. Dann seid ihr bei uns richtig.“6 Aus meinen bisherigen Erfahrungen mit linksautonomen Gruppen erachtete ich es als wenig zielführend mich weiter um ein Interview zu bemühen und beschloss mich das öffentlich zugängliche Informationsmaterial zu beziehen und den Infoladen in dieser Form zur Kontextualisierung anderer lokaler Initiativen in die Arbeit aufzunehmen. Der Infoladen wurde 2002 nach den Protesten rund um das in Salzburg stattfindende World Economic Forum gegründet. Im Dokumentarfilm [frei]raum schildert ein Infoladen-Aktivist den damaligen Raummangel für die Aktivitäten der autonomen linken Bewegung in Salzburg wie folgt:
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Vgl. Infoladen – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Infoladen (1.9.2013) sowie Infoladen LC 36: „Was sind Infoläden?“, http://www.infoladen.de/selbst/s1.htm (18.7.2014).
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Die Kommunikation nach außen würde ohnehin über das Propagandamaterial des Infoladens erfolgen ̶ über Flyer und andere Medien im öffentlichen Raum (vgl. EMailverkehr mit Infoladen, vom 2./4./7.9.2012). Meine Informationen über den Infoladen Salzburg stammen also aus dem Material der Website, der [frei]raum-Doku, aus Zeitungsartikeln sowie Erzählungen über den Infoladen in Gesprächen mit AkteurInnen der alternativkulturellen Szene Salzburgs.
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Vgl. Infoladen Salzburg, http://infoladensalzburg.wordpress.com/about/ (6.8.2013).
214 | K REATIVITÄT UND T EILHABE IN DER STADT „Und der Infoladen ist in erster Linie ein Raum, der, ich würde einmal sagen, ein Nährboden sein soll. Ja und grundsätzlich ist der Infoladen auch einfach die Möglichkeit für Leute, die Veranstaltungen machen wollen, Diskussionen, Vorträge, Kinoabende, Plenas und … ist als solches eigentlich derzeit wichtig, weil’s eben mit dem Verschwinden von diversen anderen Freiräumen – es hat sowieso noch nie so gut ausgeschaut in Salzburg, was das angeht.“ ([frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Infoladen-Aktivist)
Ebenfalls schildern drei AktivistInnen des Infoladens im Interview mit der Zeitschrift Kunstfehler die für Salzburg damals spezifische Situation: „wir waren deprimiert, dass es überall so was gibt, nur in Salzburg nicht“. Sie wollten „das Potenzial der Proteste des WEF nutzen, und abseits vom Social Forum ,eigenständig weitermachen‘ […] einen Ort schaffen, an dem man linke Bücher ausleihen und linke Zeitschriften lesen kann. Materialien, die man in keiner Buchhandlung findet, und die man sonst nur in Graz oder Wien bekommen würde.“ (Prlic 2005: 19) Die ersten Aktivitäten des Infoladens konzentrierten sich auf das Einrichten einer Bibliothek, die anfangs aus privaten Buchbeständen aufgebaut wurde, die wöchentliche Volxküche7 sonntags sowie die Einrichtung des Bar-Kellers als Veranstaltungsraum. Der Infoladen befindet sich in der Lasserstraße, an der Grenze der Stadtteile Andrä und Schallmoos. Reguläre Öffnungszeiten sind von Dienstag bis Donnerstag 18-21 Uhr. Jeden ersten Samstag im Monat ab 20 Uhr hat das Keller-Beisl des Infoladens ebenfalls geöffnet. Der Infoladen wurde ein wichtiger Ort der Gegenkultur und der politischen Sozialisation zukünftiger Freiraum-AktivistInnen, ein Referenzpunkt, um die lokalen links-autonomen politischen Netzwerke und basisdemokratische Selbstorganisation kennenzulernen. Im lokalen Gefüge einer Stadt stellen Infoläden nicht nur Netzwerkknotenpunkte einer subkulturellen Szene dar, sondern die AkteurInnen sind durch ihr politisches Selbstverständnis wache BeobachterInnen lo-
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Mit dem Begriff „Volxküche“ wird eine Praxis des kollektiven Kochens bezeichnet, bei der zum Selbstkostenpreis, oder auch darunter, meist vegetarische oder vegane Mahlzeiten zubereitet und ausgegeben werden. Volxküchen gibt es in unterschiedlichen Formen und sie sind Teil linksalternativer Alltagspraxen (vgl. u.a. Volxküche – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Volxk%C3%BCche [7.8.2012]). Häufig werden Volxküchen mit der Praxis des „Dumpster diving“ bzw. dem „Containern/Mülltauchen“ verbunden, was als Praxis einer konsumkritischen Bewegung verstanden wird, durch die weggeworfene, nicht verdorbene Lebensmittel aus Mülltonnen insbesondere von Supermärkten geborgen werden (vgl. Containern – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Containern [2.9.2013]).
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kalpolitischer Geschehnisse. Die Selbstdefinition des Salzburger Infoladens auf der Website lautet in linksradikaler Rhetorik: „Wir befinden uns in radikaler Opposition zum herrschenden, allumfassenden patriarchalkapitalistischen Wirtschaftssystem und sehen uns eingereiht in eine weltweite Front im Kampf um, grob gesagt, Befreiung und ein herrschaftsfreies Leben.Unsere Aktivitäten liegen vor allem im Sammeln, Austauschen, Anbieten und Diskutieren von Informationen über Klassenkämpfe, Feminismus, Gender, Antifaschismus, Repression, Knast und Gefangene, Globalisierung, Migration, Internationalismus, Antinationalismus, (Sub-)Kultur, den Kampf gegen Antisemitismus, uvm. Die Aktivitäten umfassen zudem die Organisation von und Teilnahme an Aktionen, Veranstaltungen und Demonstrationen zu unterschiedlichen Themen mit denen Öffentlichkeit geschaffen werden soll.“ 8
Im Infoladen stehen die Bibliothek, ein Archiv zu sozialen Bewegungen in Österreich und angrenzenden Regionen seit den 1980er-Jahren sowie ein Sortiment aktueller linkstheoretischer und -aktivistischer Zeitschriften (z.B.: malmoe, Lotta, analyse&kritik, Grundrisse, antifaschistisches Infoblatt etc.) zur Verfügung. Neben Buchpräsentationen, Vorträgen und Aktionen im öffentlichen Raum organisierte der Infoladen bisher Ausstellungen, u.a. über die Proteste gegen den WEF-Gipfel 2001 in Salzburg. Auch die „Belebung und Aneignung des öffentlichen Raumes von unten“ zählt zum Repertoire des Infoladens, wie dies in den von 2005 bis 2007 organisierten „Reclaim the Park“-Festen am 1. Mai im Lehener Park zum Ausdruck kam. Der Infoladen schafft einen physischen, sozialen und symbolischen Mikrokosmos und greift gleichzeitig diskursiv sowie aktivistisch ins Stadtgeschehen ein. 1.1.2 Der RAUM Der RAUM wurde im Zeitraum 2004/2005 gegründet und bis 2008 von unterschiedlichen Gruppen genutzt und betrieben. 2008 wurde das Gebäude, in dem sich der RAUM befand, im Zuge des Bauprojekts „Sportzentrum Mitte“ im Nonntal abgerissen. Ausschlaggebend für die Gründung des RAUMs war der Wunsch nach einem sozialen Treffpunkt außerhalb der Privatwohnungen (insbesondere im Winter) – daraus entstand im Freundeskreis von Marco S. die Idee, einen gemeinsamen Raum zu betreiben. Die InitiatorInnen des RAUMs waren damals in der Gymnasialoberstufe und der Freundeskreis besuchte regelmäßig
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Vgl. Infoladen Salzburg, http://infoladensalzburg.wordpress.com/about/ (6.8.2013).
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Fußballspiele beim SAK, dem Salzburger Athletiksport-Klub. Ein auf dem SAKGelände9 leerstehendes Gebäude erschien den Jugendlichen als passender Raum für ihre Initiative, welcher ihnen vom Verein auch zur Verfügung gestellt wurde. So konnten die Jugendlichen unter dem Schirm des SAK-Vereins, einen Freiraum nach ihren Vorstellungen gestalten und dabei Selbstorganisation erproben. Der Jugendtreff sollte den Namen „RAUM“ erhalten und fungierte gewissermaßen als kollektives „Wohnzimmer“. 10 Marco S. erinnert sich: „Da war das Hauptding, dass man einfach einen Platz, ein Wohnzimmer für alle, [hat].“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 13) Einen physischen und sozialen Raum selbst zu gestalten, erwies sich für die Beteiligten als selbstermächtigende und politisierende Erfahrung. Der RAUM fungierte als semi-öffentlicher sozialer Treffpunkt. Das politische Moment lag insbesondere in der Eigenermächtigung der Gestaltung eines sozialen Raums, dem Erproben einer semi-öffentlichen Organisierung und dem Erlebnis, dabei selbst handlungsmächtig zu sein. Der Kreis der NutzerInnen weitete sich relativ schnell vom ursprünglichen Freundeskreis hin zu einem größeren Kreis von Jugendlichen – vorwiegend SchülerInnen zwischen 15 und 20 Jahren – aus. Unterschiedliche Gruppen nutzten den RAUM als Treffpunkt: von den Fußballfans über die Mono-Poly-Redaktion bis hin zu SchülerInnen aus nahegelegenen Gymnasien. Die basisdemokratische Organisationsstruktur des RAUMs situiert das Projekt im linksalternativen Spektrum – auf struktureller Ebene waren politische und politisierende Überlegungen somit Teil des RAUM-Projektes. Im Dokumentarfilm [frei]raum erklärt einer der zentralen Akteure, Robin Tschötschel, dazu:
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Das im Nonntal liegende SAK-Gelände befand sich in unmittelbarer Nähe zur alten Arge.
10 Der Name RAUM verweist auf eine grundsätzliche Offenheit, die mit der Forderung nach Freiraum ihren politischen Ausdruck findet. Dabei reiht sich der Name RAUM in eine in Salzburg offenbar bestehende Vorliebe für Namensgebungen ein, denen eine gewisse Einfachheit und Poesie nicht abzusprechen ist: So finden sich in der kulturellen Namenslandschaft Salzburgs: das Filmkulturzentrum „Das Kino“ (*1978), das alternative Medienprojekt „Zeitung“ (1976-1986), die ÖH-Galerie „Das Zimmer“ sowie die ehemalige ÖH-Zeitschrift „Die Illustrierte“. Diese Vorliebe findet sich mittlerweile auch im Gastgewerbe wieder, bspw. mit „Das Wohnzimmer“ oder „Das Esszimmer“.
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„Wir haben Sachen festgelegt: Wir wollen basisdemokratisch organisiert sein, wir wollen im Konsens entscheiden. Also wir haben gesagt, wir treffen uns, wenn möglich, einmal monatlich [...], dass Sachen nicht einfach von irgendwelchen, von einem Vorstand entschieden werden, sondern, dass jeder an der Diskussion teilnehmen kann, der will. Also wirklich jeder, der sich irgendwie am Raum [H.d.A] beteiligt, darf auch an seiner Gestaltung und den Entscheidungen teilhaben oder soll teilhaben.“ ([frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Robin Tschötschel)
Politische Referenzpunkte und Positionen einiger der AkteurInnen der Kerngruppe werden in der Doku mit den Begriffen „antikapitalistisch“, „antihierarchisch“, „antikommerziell“ benannt, die sich vor allem in der Selbstverwaltung des sozialen Raums abzeichneten, nicht jedoch in einer politisch-aktivistischen Ausrichtung des Projektes. Im RAUM ging es also primär um soziale Aktivitäten (Feste, Kartenspiele, gemeinsames Kochen etc.). Dennoch zeigen sich Überschneidungen in Richtung politischer Basisarbeit spätestens dann, als der RAUM zum Treffpunkt für die Besetzungsvorbereitungen der alten Arge fungieren sollte. Der Anspruch, einen offenen Zugang zum Organisationsteam zu schaffen, blieb insofern unerfüllt, als sich die Kerngruppe von rund zehn Personen 11 letztlich zu einem relativ geschlossenen Kreis entwickelte. Im Dokumentarfilm wird dies teils kritisch hinterfragt Elias Wagner, ehemaliges Mitglied der Kerngruppe, meint diesbezüglich: „Der RAUM war ja grundsätzlich offen für jeden und es war immer erwünscht, dass Leute sich selbst einbringen und quasi zu der Gruppe dazustoßen … Und das Problem war aber, dass dadurch, dass der RAUM ja wie ein Wohnzimmer ist – er schaut aus wie ein Wohnzimmer und wird auch genauso benützt. Dadurch hat das Ganze ein bisschen so eine private Atmosphäre gekriegt und diese private Atmosphäre war sicher abschreckend. [...] Vielen Leuten ist es sicher so vorgekommen, als wäre das schwierig, sich selbst in die Gruppe zu integrieren, weil eben das so rübergekommen ist wie ein ziemlich privates Ding. Und ich glaube, dass das echt abschreckend ist, das war ein Problem, das vielleicht Vieles verhindert hat. Es hätte echt noch besser funktionieren können.“ ([frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Elias Wagner)
Die Problematik sozialer Ein- und Ausschlussmechanismen wird hier deutlich. Die Umsetzung eines offenen Zugangs bedarf einer bewussten Reflexion sowie
11 Die Kerngruppe umfasste rund zehn Personen: drei Mädels, sieben Burschen – wie dies aus den im Film dokumentierten Plenen hervorgeht.
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eines Entgegenwirkens von Ausschlussmechanismen. Umso intensiver waren die Erfahrungen der Mitglieder der Kerngruppe: Diese beziehen sich insbesondere auf das soziale Miteinander sowie die Erfahrung, gemeinsam mit anderen Konflikte zu schlichten, Selbstverantwortung und Selbstvertrauen zu gewinnen, kulturelle Events zu organisieren und einen sozialen Treffpunkt für eine Jugendszene zu betreiben. Elias Wagner erzählt: „Ich habe viel über das Zusammenleben von Menschen gelernt [...], weil ich einfach sehr viel mit Menschen zu tun gehabt habe dort. Und ich habe gelernt wie man mit Konflikten umgeht oder wie man Konflikte verhindern kann. Und was ganz wichtig ist: Ich habe gelernt, dass extrem viel möglich ist in einer Gruppe, wenn einmal ein paar Leute starten, selbst was anzufangen. Und dass du so leicht Leute mitreißen kannst, dass das Potenzial, selbst was zu schaffen, echt extrem hoch ist – in unserer frustrierten Gesellschaft. [grinst] Das habe ich auf jeden Fall gelernt.“ ([frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Elias Wagner)
Die Erfahrung von Selbstorganisation stärkt demnach den Möglichkeitssinn und das Bewusstsein über die eigene Handlungsfähigkeit. Das politische und politisierende Moment, einen Ort/Raum zu schaffen, der als sozialer Treffpunkt fungiert, kann hierbei als aktiver Part einer Freiraumbewegung verstanden werden. Die Frage, wo das politische Moment einer solchen Initiative liegt, ist vielschichtig, doch es ist auch klar, dass ohne eigenes politisches Selbstverständnis (politischen Diskurs, Reflexion und Einordnung der eigenen Praxis) diese von außen, insbesondere von Seiten der Politik, leichter instrumentalisierbar und als „Jugendkultur“ entpolitisiert werden kann.12 Einer Weiterentwicklung des RAUM-Projekts wurde durch den Abriss des Gebäudes im Sommer 2008 ein Ende gesetzt. Vor dem Abriss im Sommer 2008 veranstalteten die RAUM-AktivistInnen eine symbolische Besetzung sowie eine Demonstration für Freiraum. Ein RAUM-Aktivist erzählt im Interview mit den Salzburger Nachrichten: „Wir wollen nicht dieses Bauprojekt aufhalten. Es geht
12 Zur Schubladisierung und Entpolitisierung durch den Begriff „Jugendkultur“ differenziert Leonhard Plakolm zwischen den Begriffen „Jugendliche“ und „junge Erwachsene“ und hält fest, dass durch die Bezeichnung als Jugendliche und die Zuschreibung von Jugendkultur zuweilen eine Schubladisierung von autonomen kulturellen und politischen Projekten und Bewegungen stattfindet, die dieselben durch das Attribut „jugendlich“ zu entpolitisieren trachten. Beispielsweise werden „‚Krawallfälle‘ [...] gerne pauschal als ‚Jugendkultur‘ abgestempelt, weil sich damit die politischen Anliegen leichter ignorieren lassen.“ (Plakolm 2012: 65)
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nicht um dieses Haus, sondern um eine symbolische Besetzung. Wir fordern nicht die Errichtung eines weiteren Jugendzentrums, sondern Räume, die wir selbst verwalten und frei nutzen können.“ (Behr/Draxlbauer 2008) Der Abriss des RAUMs erfolgte zwei Jahre nach dem Abriss der alten Arge, in der die RAUM-AktivistInnen ebenfalls aktiv gewesen waren. Nichtsdestoweniger verweist die Zerstörung solcher Gebäude auf eine ganz konkrete Form symbolischer Gewalt. Dem materiellen Zugrunderichten von Orten mit individueller und kollektiver Geschichte kommt eine partielle Ausradierung individueller und kollektiver Identität hinzu. 1.1.3 Die Zeitschrift „Mono Poly – Einfach Viel“ „Diejenigen, die immer nur das Mögliche fordern, erreichen gar nichts. Diejenigen die aber das Unmögliche fordern, erreichen zumindest das Mögliche.“ (Mono Poly, Nr. 2, Januar 2005, S. 3) mit diesem Zitat des anarchistischen Theoretikers Michail Bakunin beginnt ein Artikel der Zeitschrift Mono Poly, der nach dem Verbleib der „bunten Jugend“ in Salzburg fragt. Das Zitat steht sinnbildlich für das Zeitungsprojekt, das ein autonomes Kulturzentrum forderte und eine temporäre Besetzung erreichte. Die Zeitschrift „Mono Poly ̶ Einfach Viel“ wurde von einer Gruppe Jugendlicher im Umfeld des RAUMs und des Infoladens gegründet und existierte rund eineinhalb Jahre. Sowohl Marco S. als auch Franz W. waren Mitinitiatoren.13 Im Dezember 2004 kam die erste Ausgabe heraus und bis Mai 2006 wurden acht Ausgaben publiziert. Franz W., der zum Zeitpunkt der Gründung rund 17 Jahre alt war, schildert die Gründung der Zeitschrift als Mittel zum Zweck: Für ihn sei von Beginn an das Ziel gewesen, Öffentlichkeit – insbesondere unter Jugendlichen – für das Thema Freiraum und ein selbstverwaltetes Kulturzentrum sowie die Nutzung leerstehender Gebäude in der Stadt Salzburg herzustellen. In der Zeitung Mono Poly sollten kritischer Diskurs ebenso wie künstlerischer Ausdruck Platz finden, wie die zuletzt geführten Rubriken „Artikel“, „Lyrik“, „Zeichnungen“ und „Sub Sound“ erkennen lassen. Neben den Artikeln, die sich mit politischen Ereignissen und Themen nationaler und internationaler Relevanz sowie der Präsentation diverser Subkulturen und Beiträgen zum Themenfeld liberalen Drogenkonsums befassten, gab es literarische sowie künstlerische Beiträge in der Zeitungsgestaltung. Musik spielte ebenfalls eine wichtige Rolle:
13 Die Redaktionsgruppe bestand aus rund zehn Jugendlichen, vier Mädels und sechs Burschen (vgl. Gedächtnisprotokoll: Gespräch mit Franz W. am 13.6.2013).
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Jede Ausgabe der Zeitschrift beinhaltete eine CD mit einer MusikZusammenstellung von FM4.14 Ein Terminkalender, in dem Veranstaltungen befreundeter Initiativen (Keller-Beisl Infoladen, Radio Termit), Jugendzentren (MARK, YoCo) und etablierter Veranstaltungsorte (wie Rockhouse, Jazzit, Literaturhaus, republic oder Arge) angekündigt wurden, war ebenfalls fixer Bestandteil der Zeitschrift.15 Auch Veranstaltungen in anderen Städten wurden angekündigt, was auf ein über die Stadt Salzburg hinausreichendes Netzwerk verweist. 16 Die Zielgruppe waren insbesondere Jugendliche, doch veränderte sich das Selbstverständnis der Redaktion im Laufe der eineinhalb Jahre von einer Zeitschrift von und für Jugendliche hin zu einer Zeitschrift für alle Interessierten. So ist ab der siebenten Ausgabe auf dem Cover zu lesen: „Eine unabhängige Zeitung aus Salzburg für frei denkende Menschen.“ Redaktions-Entscheidungen wurden in wöchentlichen Treffen basisdemokratisch getroffen. Die Zeitschrift wurde um zwei Euro verkauft, insbesondere durch Handverkauf der Redaktionsmitglieder sowie zeitweilig an einem Salzburger Kiosk und erreichte eine Auflage von 400-500 Stück. Nach den ersten drei Ausgaben wurde im März 2005 der Verein „Mono-Poly-Verein zur Vermeidung von Kultur-, Medien- und Informationsmonopolen“ gegründet. Durch eine Förderung im Rahmen des EUProgramms „Jugend in Aktion“ konnten die Jugendlichen ihr Projekt weiter professionalisieren.17 Die ideologisch linke Ausrichtung der Zeitschrift ist nicht zuletzt am Logo erkennbar, das mit einem fünfzackigen schwarz gerahmten Stern auf das anar-
14 Die Bands wurden zwecks Verwendung der Lieder angefragt und unter der Rubrik Sub Sound wurden die auf der CD versammelten Bands vorgestellt. 15 Gelegentlich wurden auch Veranstaltungen in diversen Lokalen und Clubs (Experiment, Evolution, Cave-Club) oder an der Universität (bspw. ein Vortrag über Chiapas, Nawi-Party), auf Demonstrationen (z.B. 1. Mai 2005, EU-Außenministertreffen in Salzburg im März 2006) angekündigt. 16 Bspw. im Warehouse (St. Pölten), Schl8hof (Wels), Posthof (Linz). 17 Die Zeitschrift erhielt ein Cover in Farbdruck und Glanzpapier. Es wurden Sticker und Buttons produziert, die auf die Website des Projekts aufmerksam machten. Die im ersten Jahr in Betrieb genommene Website beinhaltete ein Online-Archiv der MonoPolyAusgaben; sie ist jedoch mittlerweile nicht mehr abrufbar (vgl. Abschlussbericht des Projektes „Do it yourself – Mach dein Leben bunter“). Das EU-Förderprogramm „Jugend in Aktion“ sieht vor, Jugendliche in selbstorganisierten Projekten zu unterstützen bzw. „non-formales Lernen“ zu fördern (vgl. Jugend in Aktion, http://www. jugendinaktion.at/default.asp [17.9.2013]).
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chistische Symbol des schwarzen Sterns verweist. Der Leitartikel der ersten Ausgabe im Dezember 2004 mit dem Titel „Graue Stadt, Graue Menschen, Bunte Jugend“18 liest sich wie eine Standortbestimmung, in der Konservatismus, Tourismus und Kommerz kritisiert werden. Hingegen werden Raum für nichtkommerzielle Kultur, Vielfalt und Selbstentfaltung gefordert: „Eine tiefbürgerliche Stadt, grau in grau. [...] Eine konservierte, konservative Stadt in der immer alles gleich ausschaut. Tourist(inn)en die ihr Geld hier lassen, sich brav aufführen, alles nimmt seinen geregelten Lauf. Doch damit ist jetzt Schluss! Wir hauchen diesem toten Ort wieder Leben ein! [...] Wir wollen Feste machen, bei denen kein Eintritt zu zahlen ist. Feste, die deshalb gemacht werden, damit man Spaß hat und nicht um Geld zu verdienen. Doch es gibt keinen Raum für uns. [...] Die Politiker versprechen der Jugend mehr Raum zu geben, doch es geschieht nichts. [...] Wir brauchen jetzt einen Raum, nicht dann wenn wir alt sind. [...] Es gibt genügend Häuser, die seit Jahren leerstehen. [...] Wir wollen diese Grauzone sofort bunt einfärben.“ (Mono Poly, Nr. 1, Dezember 2004, S. 3)
Das Thema Freiraum zieht sich wie ein roter Faden durch die acht Ausgaben. Bezüge zur lokalen alternativkulturellen Geschichte werden hergestellt (Besetzung des Petersbrunnhof 1976, Gründung der Arge-Rainberg-Bewegung 1981, Gründung des Kulturgeländes Arge Nonntal) sowie für eine aktive Teilhabe durch Raumaneignung plädiert (vgl. Mono Poly, Nr. 4, Februar 2005, S. 8ff.). Das Bewusstsein für eine Verbindungslinie zur lokalen alternativkulturellen Geschichte und der Wunsch nach einer Tradierung/Weitererzählung dieser Geschichte sind damit deutlich und spürbar. In den Artikeln wird postuliert, man müsse in den Stadtraum eingreifen und sich bemerkbar machen. Diesen Anspruch setzte die Redaktion durch das Veranstalten von MonoPoly-Festen sowie die Initiierung von Diskussionen und Treffen zum Thema Freiraum, um die in der Beteiligung an der Besetzung der alten Arge kulminieren sollten. 19 Unter
18 Der Titel erscheint als bewusste Referenz auf den Titel der legendären „Bunten Demo“ der Arge-Rainberg-Bewegung zur Festspieleröffnung 1984. 19 Auch die Cover und Titel der ersten und zweiten Ausgabe sind kritische Statements zur Stadt Salzburg. Die erste Ausgabe, in schweinchenrosa gehalten mit dem Titel „Goldener Käfig im zynischen Schein“, zeigt eine Skizze der Festung, die wie unter Zuckerguss erscheint oder auch als Exkrementenhaufen gedeutet werden kann, sowie im Vordergrund eine Gruppe TouristInnen mit in Sprechblasen geschriebenen Freudeakklamationen in unterschiedlichen Sprachen. Die zweite Ausgabe in blassgrünem Cover-Papier mit dem Titel „Input: Juvavum* – Output: Konservenkoma“ zeigt wie-
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dem Titel „Salzburgs Jugend – kreativ & obdachlos“ wird zu einem informellen Treffen in der Arge Nonntal für Anfang Mai 2005 aufgerufen, um sich zum Thema „Wir brauchen (Frei)Raum“ auszutauschen und zu organisieren. Der Flyertext lautete: „Auf dem Treffen soll es zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Freiraumthematik kommen. Damit dass ganze auch was wird, ist deine Mithilfe gefragt. Viele Menschen sollen zu einem bunten Meinungsspektrum beitragen. Durch die Vernetzung die auf dem Treffen stattfindet, können die verschiedensten Gruppen entstehen (Theater, Aktion, Medien). Realisieren wir unsere Träume. [...] Wir haben Träume, wo sind die Räume?“ (Flyer „Salzburgs Jugend – kreativ & obdachlos“, abgedruckt im Mono Poly, Nr. 4, Februar 2005, S. 11).20
In Folge sollten mehrere Veranstaltungen zum Thema stattfinden: u.a. gab es im Stadtwerkehochhaus21, im Rahmen des ersten Mono-Poly-Festes im Juni 2005, eine Diskussionsrunde mit Salzburger den PolitikerInnen Daniela Schinagl
derum im Hintergrund eine Skizze der Festung sowie im Vordergrund eine übergroße nach vorne gebeugte Figur, die unschwer als Mozart zu erkennen ist, mit heruntergelassener Hose, zu dessen Hinterteil eine Treppe hinaufführt. Am oberen Ende der Treppe, gleichsam zum Eingang weisend, hält eine Figur ein Schild in die Höhe, auf dem der vermeintliche Eintrittspreis von 10 Euro steht. Eine lange Warteschlange steht die Treppe hinauf. Der Ausgang ist in invertierter Logik Mozarts Rachen, dem von der Massenbegehung offenbar übel wird und die BesucherInnen allesamt erbricht. *Iuvavum ist der römische Name keltischen Ursprungs für das heutige Salzburg (vgl. Dopsch/Hoffmann 1996: 40). 20 Zu diesem informellen Treffen waren vor allem Jugendliche gekommen sowie ein paar ehemalige AktivistInnen der ARGEkultur selbst, die sich aber im Hintergrund hielten und wohlwollend neugierig zuhörten, was die junge Generation vorhabe. Die Vernetzung war eine Vernetzung unter Jugendlichen und verbreitete sich kaum in Richtung anderer Gruppierungen/Interessensgruppen der Stadt (vgl. Gedächtnisprotokoll: Gespräch mit Franz W. am 21.6.2013). 21 Die Nutzung der Räumlichkeiten im Stadtwerkehochhaus hatte sich über die Mutter eines Redaktionsmitglieds von Mono Poly ergeben, die wiederum Mitglied im Verein artforum war, der zu jenem Zeitpunkt das Stadtwerkehochhaus in Zwischennutzung bewohnte. Im Artikel wird auch erwähnt, dass das artforum bald seine Bleibe verlieren würde, da das Stadtwerkehochhaus im Rahmen des Bauprojektes am Stadtwerkeareal saniert werde und die artforum-Mitglieder bald auf der Straße sitzen würden.
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(SPÖ), Mechthild Kirsch (FPÖ), Carl Bernhard (Bürgerliste) und Christoph Eschenbacher (KPÖ) zum Thema „Kulturraum in Salzburg“. Das Resümee der Redaktion war allerdings relativ nüchtern und die Sprache kämpferisch: „Zusammenfassend kam heraus, dass die Politik nicht fähig ist substantielle Änderungen vorzunehmen ohne Druck der Straße zu spüren. [...] Also sollten wir vielleicht nicht auf dieses kulturelle Zentrum warten, sondern es uns nehmen. Der Raum und die Menschen sind da. Die Genehmigung fehlt.“ (Mono Poly, Nr. 5, Juli 2005, S. 10)22 Anstatt auf plötzliche Entscheidungen von politischer Seite zu warten, schlugen sie vor, ad hoc den Raum zu nehmen und die Strategie der Worte durch eine der Taten zu ersetzen. Rund ein halbes Jahr später sollte es zur Besetzung des mittlerweile leerstehenden Gebäudes und langjährigen Sitzes der Arge Nonntal kommen. Die Mitglieder des Redaktionsteams waren maßgeblich an der Besetzung der alten Arge beteiligt und ihre energetischen Ressourcen für das Zeitungsprojekt dadurch geschmälert. Während der Besetzung erschien noch eine letzte Ausgabe der Zeitschrift Mono Poly, die den enthusiastischen Titel trug: „Die Revolution steht vor der Tür“ (Mono Poly, Nr. 8, März/April/Mai 2006). Nach dem abrupten Ende der Besetzung durch den Abriss des Gebäudes machte sich eine gewisse Frustration breit, die neben dem Wegzug einiger Redaktionsmitglieder zum Ende des Zeitungs-Projektes führen sollte. 1.1.4 Poetro – Literatur- und Kunstplattform Ungefähr im gleichen Zeitraum wie Mono Poly gründete sich das Poetro, das seine erste Lesung im Dezember 2004 veranstaltete. Über die Anfänge erzählt Christian Winkler, einer der InitiatorInnen der Plattform: „Angefangen hat es prinzipiell aus dem Wunsch, etwas zu bewegen und zu machen, was man künstlerisch ausdrücken kann; einfach Raum zu geben für verschiedenste Ausdrucksformen des Künstlerischen, halt mit dem Schwerpunkt Literatur.“ ([frei]raumDoku, 2008, Interview mit Christian Winkler) Die Profilierung als Literaturplattform wurde nicht von allen Beteiligten gleich bewertet. Dies deutet darauf hin, dass die Selbstdefinition stets an den Entwicklungsprozess der Initiative ge-
22 Das zweite Mono-Poly-Fest fand im Dezember 2005 im MARK.freizeit.kultur, zum damaligen Zeitpunkt noch am Standort in Aigen, statt. Das dritte Mono-Poly-Fest unter dem Motto „Arge bleibt besetzt“ sollte am 20. Mai 2006 in der besetzten Arge stattfinden, wozu es allerdings nicht mehr kam, da das Gebäude davor abgerissen wurde.
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knüpft und insofern ein stetiger Prozess war. Diesbezüglich meint bspw. Josef Hofer, ebenfalls Mitglied der Kerngruppe: „Es ist keine Literaturplattform, eigentlich ist es eine Kunstplattform von Anfang an eigentlich auch gewesen. Wir haben zwar angefangen mit Lesungen, wo Jugendliche einfach ihre Texte lesen, aber haben dann ganz schnell geschaut, dass wir andere Kunstformen reinbringen, wie Live-Musik, Musik in jeglicher Form, Visuals, also Video-Kunst, Ausstellungen und so weiter.“ ([frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Josef Hofer)
Zum vierköpfigen Kernteam gehörten: Josef Hofer, Catherine Therese Nicholls, Manuel Riemelmoser und Christian Winkler. Doch verstand sich Poetro darüber hinaus als Netzwerk und Plattform junger AutorInnen und KünstlerInnen anderer Sparten. Eine basisdemokratische Organisationsstruktur zählte zu ihrem Selbstverständnis.23 Hierzu meint Christian Winkler: „Wir sind keine geschlossene Plattform, sondern wir sind eine offene Plattform, wo jeder zu uns kommen kann, wo jeder mit uns ins Gespräch kommen kann, mit uns Reden kann und wir dann einfach zusammen Projekte auf die Beine stellen.“ ([frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Christian Winkler) Aus dem anfänglichen Experimentieren und Ausprobieren entwickelte sich aufgrund der positiven Resonanz ein gestärktes Selbstbewusstsein sowie ein damit verbundenes kulturpolitisches Selbstverständnis. Das programmatische Ziel auf dem Blog von Poetro lautet: „Die in Österreich generell als wenig zufriedenstellend einzustufende Situation von progressiver Kunst und Kultur kann nur verändert werden, wenn man die Dinge selbst in die Hand nimmt und nicht notwendigerweise auf die Hilfe von Dritten wartet.“ 24 Dieses politische Selbstverständnis wuchs erst nach und nach aus dem gesammelten Erfahrungswissen in (kultureller) Selbstorganisation. Catherine T. Nichols erzählt: „Also auch diese Salzburg-Kritik war eigentlich nicht von Anfang an da. Es war nicht so, wir machen das jetzt, weil Salzburg gibt uns keine Möglichkeit oder so und wir müssen da jetzt die große Revolution starten oder so, sondern es war einfach, ich weiß nicht, am Anfang so ein ‚g’miatliches‘ Ding und das ist eigentlich erst später gekommen, dass wir uns dann überlegt haben, ja eigentlich gibt’s das noch nicht und warum kommen so viele Leute und warum interessiert die das. Ja weil es das einfach nicht wirklich gibt. Und weil es
23 Über [neu] – Literaturplattform Poetro, http://poetro.myblog.de/poetro/page/ 540543/ Uber-neu- (23.9.2013). 24 Ebd.
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einfach diesen Raum nicht gibt.“ ([frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Catherine T. Nichols)
Die kulturelle Selbstorganisation begann im Rahmen des Jugendzentrums YoCo, in dem die erste Lesung im Dezember 2004 stattfand. Es folgten dort weitere Lesungen sowie ab Sommer 2005 fast monatliche Lesungen in anderen Lokalitäten.25 Es wurden auch immer wieder Lesungen als politische Solidaritätsarbeit veranstaltet. So fanden zwischen 2006 und 2008 Lesungen aus Solidarität mit dem zeitweilig „heimatlosen“ Jugendkulturzentrum MARK statt sowie Lesungen im Rahmen des Benefizfestivals „Bock Ma’s“, einer Initiative des Kulturverein Sozialforum Freiberg für das Flüchtlingsprojekt von Ute Bock. 26 Im vierten Jahr des Bestehens von Poetro wurde die erste Anthologie der jungen AutorInnen im Selbstverlag publiziert.27 Bis Dezember 2008 gibt es regelmäßige Einträge auf der Homepage, danach nur noch sporadisch zu Veranstaltungen vor allem in Graz und Wien. Poetro verstand sich, laut Selbsterzählung auf der Website, als Mitinitiator der Besetzung der alten Arge und beteiligte sich im Sommer nach dem Abriss des Gebäudes an einer „Wiederbelebung der Protestbewegung für mehr kulturellen Freiraum“ durch symbolische Besetzungen.28 Poetro war es dabei weniger wichtig, einen eigenen Raum zu haben – es ging vielmehr um die Verfügbarkeit von Präsentationsraum sowie die kollektive Formulierung kulturpolitischer Forderungen. 1.1.5 Die Besetzung: „Alte Arge – Neu Besetzt!“ Die Besetzung der alten Arge im Februar 2006 hat ihre lokale Genese und steht gleichzeitig im Kontext eines europaweiten Revivals von Hausbesetzungen in
25 Z.B.: bei den Mono-Poly-Festen im MARK und im Stadtwerkehaus im Cafe Vogl & Co, Jambo etc. Mit einer Lesung im Literaturhaus Salzburg im März 2006 erreichte Poetro Sichtbarkeit durch die etablierte und renommierte Kunstinstitution (vgl. Geschichte – Literaturplattform Poetro, http://poetro.myblog.de/poetro/page/31073465/ Geschichte [23.9.2013]). 26 Vgl. Bock Ma’s Benefizfestival 2010, http://bockmas.at sowie Ute Bock – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Ute_Bock (24.9.2013). 27 Literaturplattform poetro (Hg.) (2008): per vers. Anthologie junger AutorInnen, im Eigenverlag (Literaturplattform poetro – Verein zur Förderung junger Literatur). 28 Vgl. Geschichte – Literaturplattform Poetro, http://poetro.myblog.de/poetro/page/ 31073465/Geschichte (23.9.2013).
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den 2000er-Jahren.29 Ab Anfang der 2000er Jahre formierte sich eine neue BesetzerInnenszene in Österreich. In Wien wurden ab den 2000er Jahren durchschnittlich innerhalb von drei Jahren mehr Häuser besetzt als in den 70er- und 80er-Jahren zusammen (vgl. Nußbaumer/Schwarz 2012: 247). Auch in den Bundesländern kam es zu einer Besetzungswelle: Eine Reihe von Hausbesetzungen fand in Linz, Graz, Klagenfurt und sogar St. Veit, Feldkirch und Bludenz statt (vgl. Foltin 2011: 136 ff.). In Salzburg war der Höhepunkt in dieser Zeit ohne Zweifel die Besetzung des ehemaligen Kulturgeländes Arge Nonntal im Frühling 2006 – im Sommer nach der Räumung sollte es noch mehrere kleinere, zum Teil symbolische Besetzungen geben. Im Oktober 2007 kam es in Salzburg außerdem zu einer Solidaritätsaktion mit einer Hausbesetzung in Graz sowie im April 2008 zur Blockierung des Salzburger Gemeinderats für den Erhalt des Jugendkulturzentrums MARK (vgl. ebd.: 138). Rund 30 Jahre nach der Besetzung des Petersbrunnhofs kam es erneut zu einer symbolträchtigen Besetzung in Salzburg: Am 24.2.2006 machten sich rund 20 Jugendliche auf den Weg zum Mühlbachhofweg und besetzten das leerstehende Gebäude, in dem bis dahin die Arge Nonntal beheimatet gewesen war. Unter dem Motto „Alte Arge – Neu Besetzt!“ hielten die Jugendlichen das Gebäude rund drei Monate besetzt, bis zu seinem Abriss Mitte Mai 2006. Als einige Monate nach dem Umzug der Arge in den Neubau das Gerücht umging, das alte Gebäude würde demnächst abgerissen werden, war dies der Auslöser zu handeln. Das Ziel war, das leerstehende Gebäude für ein Wochenende zu besetzen und der „alten Arge“ eine Art Abschiedsparty zu widmen sowie auf die bestehende Jugendkulturszene aufmerksam zu machen. Nach erfolgreicher physischer Inbesitznahme wurde die Presse informiert und die geglückte Besetzung mit Lesungen, Jam-Sessions sowie einer Party mit lokalen DJs und MusikerInnen gefeiert. Die Stimmung war ausgelassen und die Freude über die Raumeroberung groß, sodass beschlossen wurde, doch länger zu bleiben: „Man
29 Auch international war das Thema insbesondere ab Mitte der 2000er Jahre wieder verstärkt medial präsent. Allerdings zumeist, als es um die Räumung besetzter Häuser ging. Besondere internationale Resonanz hatte dabei die Räumung des seit den 1980er Jahren bestehenden autonomen Zentrums „Ungdomshuset“ in Kopenhagen im März 2007. Infolge der breiten Solidaritätswelle sowie aufgrund der Bedrohung zahlreicher Freiräume europaweit wurden ein Jahr darauf, am 10. und 11. April 2008, internationale „Aktionstage für Besetzungen und autonome Räume“ ausgerufen (vgl. Foltin 2011: 136).
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wusste, dass heute etwas Besonderes geschehen ist, und dass sich in Salzburg endlich mal was bewegt.“ (Mono Poly, Nr. 8, März/April/Mai 2006, S. 9) Eine erste Pressekonferenz in den Tagen nach der Besetzung hatte regen Zuspruch. Und das Medienecho war durchwegs positiv, sodass die BesetzerInnen begannen, sich sicher zu fühlen und eine Räumung nicht unmittelbar zu befürchten. Die fast gänzlich ausgeräumte alte Arge galt es instand zu setzen – die Heizkörper waren abmontiert, ebenso der Großteil der Türen und das Mobiliar und auch das Wasser war bereits abgedreht. Die Räumlichkeiten wurden mit Sachspenden eingerichtet, es wurden Arbeitsgruppen gebildet, u.a. zu den Bereichen Programm, Infrastruktur und Öffentlichkeitsarbeit. Für Verpflegung sorgte eine Volxküche; das Programmangebot wurde über die Zeit der Besetzung immer breiter. Ein Flyer von Ende März 2006 kündigt das dichte Programm für die darauffolgende Woche an und umfasst folgende Aktivitäten: Von einer Schreibwerkstatt über eine Theatergruppe, Unterricht im chinesischen Kampfsport Ving-Tsun, eine Performance von Studierenden der Tanzakademie SEAD, JamSessions und „gemütliches Beisammensitzen“, Aktzeichnen, einen Erste-HilfeKurs, ein „Gauklertreffen“ mit Einführung ins Feuerspucken, einen LinuxEinsteiger-Workshop (bei Subnet in der neuen Arge), Musik („A journey from Progressive into psychedelic Trance“) bis hin zu einer Ankündigung des „Plenum[s] des Hauses“ mit der Aufforderung, vorbeizukommen und sich zu beteiligen.30 In den ersten Wochen übernachteten durchschnittlich rund 20 BesetzerInnen vor Ort. Die Räumlichkeiten wurden großteils kollektiv genutzt, doch gab es auch Räume, die von einzelnen Gruppen eingenommen wurden. 31 Im ehemaligen Veranstaltungssaal sollte bald in großen weißen Lettern der Schriftzug „Create – don’t destroy“ prangen (vgl. Suchanek 2006: 2f.). Dabei werden augenscheinlich Kreativität und Zerstörung gegenübergestellt. 1.1.5.1 Sozialer Raum: AkteurInnen und Organisationsstruktur Die Organisationsstruktur verstand sich als basisdemokratisch und konsensorientiert, um eine möglichst niederschwellige und breite Beteiligung zu ermöglichen (vgl. Mono Poly, Nr. 8, März/April/Mai 2006, S. 8-12.). Insbesondere zu Beginn
30 Vgl. Flyer (1) „Alte Arge – Neu Besetzt“, Programm 23.-29.3.2006. 31 Einen gemeinsamen Raum hatten die RAUM- und Mono-Poly-AktivistInnen, einen Raum hatten die Infoladen-AktivistInnen und einen Raum besetzten die obdachlosen Punks der Salzach. Die weiteren Räume standen als Veranstaltungsräume sowie als Küche, Schlafraum, Bibliothek und Infobeisl zur Verfügung.
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fanden täglich Plenen mit rund 40 bis 50 TeilnehmerInnen statt. Die AkteurInnen kamen aus den Umfeldern der zuvor beschriebenen selbstorganisierten Initiativen: RAUM, Mono Poly, Poetro und Infoladen Salzburg sowie aus einer Gruppe obdachloser Punks. Unterschiedlichste Einzelpersonen brachten sich ebenfalls in den Prozess „offenes Haus“ ein (vgl. Seiss 2011: 10). Die AkteurInnen setzten sich also aus politisch, kulturell und künstlerisch aktiven Leuten zusammen. Altersmäßig lag die Spanne von Jugendlichen bis jungen Erwachsenen bei ca. 15 bis 30 Jahren. Teils hatten die AkteurInnen über freundschaftliche Beziehungen bereits vor der Besetzung ein relativ gut funktionierendes Netzwerk. Durch ihre unterschiedlichen Tätigkeitsfelder waren die Interessenslagen und Ziele jedoch durchwegs verschieden und so gestaltete sich die Suche nach einem gemeinsamen Nenner immer wieder konfliktuell. Die heterogene Zusammensetzung der beteiligten Gruppen und Einzelpersonen brachte unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Besetzungsziele mit sich. So ging es der Kerngruppe um kulturellen Freiraum, den AktivistInnen vom Infoladen um politischen Freiraum und den obdachlosen Punks um Wohnraum (vgl. [frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Magdalena Maierhofer). Durch die spontane Entscheidung, die Besetzung fortzusetzen, fand sich die Großgruppe unerwartet in einem Prozess der Gruppenkonstituierung wieder. Es ging darum, die Differenzen nicht zu nivellieren, sondern nach einer Vereinbarkeit derselben unter dem Dach eines „offenen Hauses“ zu suchen. Als gemeinsamer Nenner fungierte der Wunsch nach Freiraum für die jeweiligen kulturellen und politischen Tätigkeiten und die Forderung nach Sichtbarkeit und öffentlicher Anerkennung des individuellen sowie kollektiven Wertes dieser Tätigkeiten. Manuel Riemelmoser beschreibt den Gruppen- und Bewusstseinsbildungsprozess im „offenen Haus“ als wesentlich politisierende Erfahrung: „Am Anfang, wie gesagt, am Anfang ist es vor allem um künstlerisch-kulturelle, kreative Freiräume [gegangen]. Dann dadurch, dass zum Beispiel die Sozialpolitik dazugekommen ist, dass andere Gruppen dazugekommen sind, die radikalere politische Ansätze verfolgt haben [...], ist das Ganze natürlich auch politisch substanzieller geworden, politisierter geworden, was ich eine gute Sache gefunden habe.“ (Interview mit Manuel Riemelmoser am 22.8.2013, S. 29)
1.1.5.2 Symbolischer Raum: Vision eines „offenen Hauses“ Ihre Vision eines „offenen Hauses“ charakterisieren zwei Besetzer in einem Artikel im Salzburger Fenster, insbesondere beschreiben sie die basisdemokratische Organisationsstruktur (vgl. Riemelmoser/Seiss 2006: 8):
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„Das Haus ist offen, Entscheidungen werden in für alle zugänglichen Plena getroffen. Wir machen uns für einen selbst verwalteten Freiraum stark und fordern Räumlichkeiten, um kreatives und soziales Denken und Handeln entstehen zu lassen. [...] Unser Ziel ist es, ein offenes Haus für alle Menschen, die Interesse am Projekt haben, zu bieten. Wer sich informieren, aktiv beteiligen oder nur schnuppern will, kann und soll jederzeit vorbeikommen [...]. Die Nutzung leerstehender Räume stellt in unseren Augen kein Verbrechen dar. Es wird im Gegenteil ein toter Ort belebt und für Interessierte nutzbar gemacht.“ (Riemelmoser/Seiss 2006: 8)
Im Artikel wird u.a. festgehalten, dass die Idee eines „offenen Hauses“ nicht mit den bereits etablierten Häusern – wie Rockhouse, Toihaus, ARGEkultur oder Literaturhaus – zu vergleichen und dieses Bedürfnis daher nicht abgedeckt sei. Die etablierten Häuser würden zwar ein „buntes Rahmenprogramm an Veranstaltungen“ bieten, doch seien die Eintritts- und Getränkepreise für junge Menschen kaum leistbar und der Aspekt der Selbstverwaltung sei für die Jugendlichen nicht gegeben. Für das „offene Haus“ sei das soziale Miteinander von wesentlicher Bedeutung – es werde als wichtiger Faktor politischer und kultureller Bildung verstanden: „Konkrete Projekte zur Herausbildung einer kulturell und sozial aktiven und orientierten Generation werden initiiert, Entscheidungen konsensdemokratisch getroffen. Platz hat jede/r, der/die sich am Projekt beteiligen will.“ Der Aspekt der Selbstverwaltung erscheint zentral. Mit dem zapatistischen Slogan „Fragend schreiten wir voran“ wird die Besetzung zudem in Bezug zur globalisierungskritischen Bewegung gesetzt. Der Slogan steht für ein ergebnisoffenes Verständnis kollektiver Praxis und ein linkspolitisches Selbstverständnis. Auch wenn die Meinungen der AktivistInnen hinsichtlich des Umgangs mit den PolitikerInnen auseinandergingen, setzten sich in der Repräsentation nach außen gewissermaßen die DiplomatInnen durch und strebten eine Kommunikation mit Politik und Öffentlichkeit an, in der Hoffnung, Gehör für die sich konkretisierende Idee eines offenen Hauses zu finden. PolitikerInnen der Grünen, der SPÖ sowie der ÖVP besuchten das besetzte Haus, um mit den AktivistInnen zu sprechen. Nicht zu Wort meldete sich hingegen Bürgermeister Schaden, an den die BesetzerInnen mehrmals ihren Appell richteten – in seiner Machtposition ignorierte er sie. Diesbezüglich betont Manuel Riemelmoser: „Beim Bürgermeister haben wir natürlich am intensivsten und am längsten angeklopft. [...] aber von ganz oben sind wir totgeschwiegen worden.“ (Interview mit Manuel Riemelmoser am 22.8.2013, S. 31) Auch Georg Wimmer kritisiert im Kunstfehler das Schweigen des Bürgermeisters:
230 | K REATIVITÄT UND T EILHABE IN DER STADT „Salzburgs Bürgermeister hat sich bisher weder in seiner Eigenschaft als Politiker noch als Eigentümervertreter [...] blicken lassen. Heinz Schaden ließ aber ausrichten, es sei ‚das gute Recht der Jugend, etwas Utopisches zu verlangen‘. Ein Spruch, der für die BesetzerInnen klingen muss wie blanker Hohn, denn was der eine als Utopie ansieht, das ist für die anderen schon täglich gelebte Realität.“ (Wimmer 2006: 10)
Seitens der Landespolitik wurde hingegen von den BesetzerInnen ein Konzept verlangt. Das Verlangen eines schriftlichen Konzepts kann unter die Strategie der Zeitverzögerung von Seiten der Stadtpolitik und -verwaltung subsumiert werden. Dabei werden Spielregeln gesetzt, die weder dem experimentellen Charakter der Raumeroberung und -aneignung durch Besetzung noch dieser Form des ergebnisoffenen Erfahrungszusammenhangs entsprechen. Die BesetzerInnen hatten alle Hände voll zu tun, das Haus und die kulturellen Veranstaltungen am Laufen zu halten, sodass Ressourcen für eine Konzeptausarbeitung nicht vorhanden zu sein schienen. Dennoch ist festzuhalten, dass die Besetzung rund drei Monate geduldet wurde. Die Duldung sowie die starke und positive Medienresonanz sind in Zusammenhang mit der hohen Symbolkraft des alten Arge-Gebäudes als Heimat der Alternativkultur und des lokalen Mythos der Arge-Rainberg-Bewegung zu sehen. Selbst der Politik musste klar gewesen sein, dass die jugendlichen BesetzerInnen starken Rückhalt in der „etablierten“ Alternativkultur der Stadt hatten und deren AkteurInnen sich vermutlich in den Jugendlichen selbst wiedererkannten. Ein offen repressives Vorgehen hätte zweifellos breiten Widerspruch in der freien Kulturszene Salzburgs hervorgerufen. So ließ die Politik die Zeit arbeiten: Die letzten Wochen vor dem Abriss waren von einer gewissen Erschöpfung der AktivistInnen geprägt, einerseits durch den internen durchaus schwierigen Konstituierungsprozess und andererseits durch die ergebnisarmen Verhandlungen mit der Politik. Manuel Riemelmoser schildert die fast schicksalshafte Entwicklung der letzten Zeit in der besetzten alten Arge: „Ich glaube, es war wieder so eine Zusammenballung von mehreren Faktoren: zum einen war irgendwann einfach die Energie weg. Zum einen war es natürlich frustrierend, weil so wenig konkrete Ergebnisse da waren, zum anderen war es immer wieder motivierend und erfrischend, weil intern so viel weitergegangen ist [...] Aber es war natürlich insgesamt auch sehr stark kräfteraubend und ... dann einfach auch nicht mehr so leicht zusammenzuhalten, von den Menschen her, vom Programm her, von der Energie her.“ (Interview mit Manuel Riemelmoser am 22.8.2013, S. 33)
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Der Abriss kam, ohne dass sich von Seiten der Stadtpolitik ein ernsthaftes Interesse an der entstandenen Bewegung gezeigt hätte bzw. Weichen für einen Fortbestand des Projektes „offenes Haus“ gestellt worden wären. Im Vergleich zur Arge-Rainberg-Bewegung wurde nicht die Verzögerungsstrategie von Seiten der Politik angewandt, sondern vielmehr die Strategie des Aussitzens und Ignorierens.32 Anfang Mai wurde der Strom abgedreht und somit ein Machtinstrument zur Beendigung der Besetzung eingesetzt. Nach der Stromabschaltung hatten die BesetzerInnen ihre Kulturarbeit einige Tage mit einem Aggregat fortgesetzt, doch letztendlich beschlossen sie, die Besetzung für beendet zu erklären, da eine Weiterarbeit unter diesen Bedingungen nicht zielführend erschien (vgl. o.V. 2006b). Mitte Mai kam es zum Abriss. „Am vergangenen Freitag rückte der Bagger an und verwandelte die alte ARGE Nonntal in einen Schutthaufen“ (o.V. 2006c: 2) schreibt das Magazin Salzburger Fenster.33 Ein von dieser Jugend gelebter Traum wurde nicht nur sinnbildlich zertrümmert. Diesbezüglich erzählt Manuel Riemelmoser: „Ich kann mich noch erinnern, dass dann noch einige Tage die immer stärker platt gemacht werdende Arge halt noch da war und man immer wieder so Rettungsaktionen gemacht hat, wo man noch dieses und jenes rausgeholt hat und sich um dieses und jenes gekümmert hat, aber wo im Grunde klar war: Jetzt ist es aus.“ (Interview mit Manuel Riemelmoser am 22.8.2013, S. 34)
Bei der nach dem Abriss des Gebäudes veranstalteten Gedenkfeier34 äußert sich Christian Winkler, Mitglied des KünstlerInnenkollektivs Poetro, kritisch über
32 Auch Wolfgang Drechsler moniert in seiner Studie über die Arge-RainbergBewegung die von den Salzburger Politikern bemühte „Strategie des Verzögerns – bitte zuerst ein Konzept erstellen und dann wiederkommen“ (vgl. Drechsler 1995: 49), die wohl nicht nur den Salzburger PolitikerInnen zu eigen ist, sondern Ausdruck der aufeinanderprallenden Logiken von Bürokratie/Verwaltung mit jener der spontanen Selbstorganisation und Selbstverwaltung ist. 33 Bereits Ende März 2006 erklärte der Geschäftsführer Markus Sturm von der gemeinnützigen Wohn- und Siedlungsgenossenschaft „Salzburg“, die das Gelände von der Stadt erworben hatte, um dort geförderte Mietwohnungen zu bauen, dass der Abriss sobald als möglich erfolgen würde. Dies würde nach Erhalt des notwendigen Gutachtens zur Abrissbewilligung der Fall sein (vgl. Suchanek 2006). 34 Die Symbolsprache des „Zu-Grabe-Tragens“ hat in unterschiedlichen aktivistischen Kontexten Tradition – so auch in der Hausbesetzungsbewegung: Auch für die Arena
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den „vernichtenden“ Umgang der Stadtpolitik mit dem jugendlichen Bestreben nach Freiraum: „[...] man hat sich gedacht, man reißt es ab und dann ist das Gebäude weg, die Problematik ist nicht mehr da, die Bewegung versickert. Und deswegen finde ich es unglaublich schön – wir sind zwar nicht zahlreich hier, aber wir sind hier, und das ist das Wichtigste, das, auf das es ankommt. Wir sind morgen beim Plenum und dann geht es weiter.“ ([frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Christian Winkler)
Nach dem Abriss wurde in mehreren Treffen der Beteiligten über eine Fortsetzung des Projektes „offenes Haus“ beratschlagt und die Erfahrungen der Besetzung reflektiert. Im Sommer fanden noch einige, teils symbolische Hausbesetzungen statt, doch verlief sich dann die Bewegung. Viele der an der Besetzung Beteiligten zogen in der Folgezeit aus Salzburg weg – die meisten zum Studieren nach Graz oder Wien (vgl. Gedächtnisprotokoll: Gespräch mit Franz W. am 21.6.2013). Dass die Umsetzung von Träumen ein sensibles Terrain darstellt zeigt u.a., dass nach der gescheiterten Besetzung die Vision eines „offenen Hauses“ zunächst nicht weiterverfolgt wurde. Die AktivistInnen waren erschöpft und bis zu einem gewissen Grad desillusioniert. 1.1.5.3 Kritische Selbstreflexionen über den sozialen Raum Als Gründe für das Scheitern der Besetzung sowie des Wunschziels eines „offenen Haus“ wurden neben der fehlenden Bereitschaft der Stadtpolitik auch interne Schwierigkeiten der Kommunikation, insbesondere hinsichtlich der Integration sozialer Drop-outs, genannt. Der Anspruch eines offenen Freiraums und der gesellschaftliche und politische Idealismus waren zum Teil schwierig umzusetzen. Die Meinungen gingen diesbezüglich durchaus auseinander. Michael Seiss, ein an der Besetzung beteiligter Aktivist, spricht im Dokumentarfilm [frei]raum u.a. den experimentellen Charakter des Projektes an, dessen absolute Offenheit zu ganz konkreten Schwierigkeiten führte: „Also ich bin der Meinung, dass es ein Experiment war, das auf diese Art und Weise langfristig nicht so weitergeführt werden hätte können. [...] Vor allem durch diese Offenheit allen Interessensgruppen gegenüber. Und das geht einfach nicht. Du kannst nicht jedem Menschen, der dann sozusagen einen Raum braucht, sei es zum Schlafen oder zum Kon-
in Wien wurde 1976 von den BesetzerInnen im Zuge des Abrisses ein symbolisches Begräbnis veranstaltet (vgl. Weidinger 2012: 100).
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zerte machen etc., sagen: ja hier, hallo, willkommen. Vor allem, wenn die Menschen nicht miteinander zu reden im Stande sind. Also es war gerade bei der Arge aus meiner Sicht das größte Problem, wirklich einen Raum für Obdachlose da zu versuchen miteinzuintegrieren, weil das einfach ein anderes Projekt und ein anderes Aufgabengebiet ist.“ ([frei]raum-Doku, 2008, Interview mit Michael Seiss)
Manuel Riemelmoser wiederum meint, dass das Anliegen nach Wohnraum nicht allein ein Thema der obdachlosen Punks gewesen sei, sondern es sehr wohl Überschneidungen mit Überlegungen der Kulturraum-AktivistInnen gab. Er räumt jedoch ein, dass es im konkreten Fall durchaus zu internen Schwierigkeiten und Überforderung geführt hatte. Der politische Idealismus lässt sich doch nicht so leicht in die gelebte Praxis umsetzen: „Aber wir haben uns damals vielleicht auch zu viel an die Fahnen geheftet, in unserem politischen jugendlichen Idealismus. Weil wir uns gedacht haben: Ok, wir treten für etwas ein, das falsch läuft in der Gesellschaft, nämlich, dass es da zu wenig Freiräume, offene Räume, Möglichkeiten für Kultur gibt. Und jetzt kommt sozusagen auf uns eine andere gesellschaftliche Schieflage auch noch dazu. Und wir als wirklich politisierte Menschen haben damals gesagt, wir können nicht die eine Problemlage ausschließen und sagen: Ihr geht woandershin! Sondern uns geht es darum, Problemlagen in der Gesellschaft zu orten und zu formulieren und sichtbar zu machen. Und damit haben wir uns halt schrecklich überladen, weil wir waren 17- bis 25-jährige Leute, die eh schon mit der Besetzung ins kalte Wasser gesprungen sind, mehr oder weniger [...].“ (Interview mit Manuel Riemelmoser am 22.8.2013, S. 23)
Eine ebenfalls an der Besetzung beteiligte Aktivistin, Magdalena Maierhofer, meint sehr nüchtern rückblickend, dass es vor allem um eine Signalwirkung für eine breitere Öffentlichkeit gegangen sei. Doch blieb es beim Signal, da kein politischer Wille vorhanden war, gemeinsam mit den Jugendlichen mögliche Zukunftsperspektiven zu entwickeln: „Es ist gar nicht so darum gegangen, das jetzt für immer und ewig für sich zu beanspruchen, weil das war klar, dass das nicht funktioniert; das war auch nicht das Ziel, sondern auch mal ein Zeichen zu setzen: Das steht leer; wir machen damit was. Und auch das Signal, auch über die Medien irgendwie in die Stadt zu bringen: Da fehlt der Jugend was und das könnte passieren. Und man sieht’s ja auch: Da waren Partys mit weiß nicht wie vielen hundert Leuten. [...] Dass das Bedürfnis der Leute da ist, hat man ja gesehen.“ ([frei]raumDoku, 2008, Interview mit Magdalena Maierhofer)
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1.1.6 Analyse: Raumaneignung als körperlicher Sprechakt Verbindungslinien zw. Vergangenheit und Gegenwart Die Initiativen, die in der Besetzung der alten Arge eine zentrale Rolle spielen sollten, erstreckten sich vom sozialen Jugendtreff über künstlerische Selbstorganisation und eine alternative Medieninitiative bis hin zur politischen Selbstorganisation. Für die Initiative RAUM wurde der physische Raum vom SAK-Verein zur Verfügung gestellt, der zugleich als kollektives Wohnzimmer fungierte. Der RAUM orientierte sich als Selbstorganisation an basisdemokratischen Organisationsstrukturen. Dieser soziale Raum wurde im Vorfeld der Arge-Besetzung verstärkt symbolisch aufgeladen bzw. erhielt der RAUM temporär eine stärker politische Perspektivierung. Mono Poly sollte in der Zeit seines Bestehens als Sprachrohr für Jugendliche fungieren und kann im Sinne von Holloways Schrei, als Ausgangspunkt von Veränderung verstanden werden. Das Thema „Freiraum“ sowie der Wunsch der Schaffung eines „selbstverwalteten Kulturzentrums“ weisen auf die politische Perspektivierung des Zeitungsprojektes hin, das Gegenöffentlichkeit als Handlungsbasis schaffen wollte. Poetro wollte Literatur und Kunst Raum geben. Die Selbstdefinition von Poetro als Literatur- und/oder Kunstplattform wurde dabei als Prozess verstanden, da sie sich im Laufe der Jahre und abhängig von den jeweiligen AkteurInnen immer etwas veränderte. Poetro positionierte sich sowohl im Kunstfeld als auch in der alternativkulturellen Szene, für die gesellschaftspolitisches Engagement ausschlaggebend ist dafür spricht bei Poetro bspw. die Vernetzung mit dem Sozialforum Freiberg für das Benefizfestival. Beim Infoladen dient der geschaffene physische Raum als ein sozialer und symbolischer Raum, als selbstorganisierter sozialer Treffpunkt für politischen Informationsaustausch der linken Szene. Zentral ist das politische Verständnis für basisdemokratische Inhalte und Praxen, die erprobt und umgesetzt werden. Diese Initiativen prägten den Gruppen- und Bewusstseinsbildungsprozess während der Besetzung maßgeblich mit. Die Raumaneignung durch die Besetzung erfolgte auf folgenden drei Ebenen: physischer Raum (Infrastruktur), sozialer Raum (Programm und interne Organisation) und symbolischer Raum (Öffentlichkeitsarbeit). Der erfolgreichen physischen Inbesitznahme folgte die symbolische Raumnahme: Die Presse wurde informiert und die Besetzung sogleich öffentlich gemacht. Es geht also nicht um eine heimliche Inbesitznahme, sondern um ein politisches Statement, um einen körperlichen Sprechakt. In der Aushandlung des Prozesses der Gestaltung des sozialen Raums wurde der Gruppen- und
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Bewusstseinsbildungsprozess im „offenen Haus“ – also die Konstituierung anderer sozialer Beziehungen – als wesentlich politisierende Erfahrung beschrieben. Kreativität als sozialer Prozess figuriert in der Besetzung als die Forderung nach selbstverwaltetem Freiraum, um kreatives und soziales Denken und Handeln entstehen lassen zu können. Die Vision des offenen Hauses umfasste Freiraum als sozialen Raum, Kreativität und Partizipation. Die politische Perspektivierung wird mit dem zapatistischen Slogan „Fragend schreiten wir voran“ akzentuiert und die Besetzung in Bezug zur globalisierungskritischen Bewegung und zur Utopie einer anderen Gesellschaft gesetzt. Rund 30 Jahre nach der Besetzung des Petersbrunnhofs 1976, erfolgte die Besetzung der alten Arge 2006 unter ähnlichen Vorzeichen: Jugendliche forderten ein autonomes Kulturzentrum, also Raum zur Selbstorganisation und Selbstverwaltung. Parallelen sowie eine direkte Bezugnahme zwischen der Besetzung des Petersbrunnhofs und der infolge entstehenden Arge-Rainberg-Bewegung sowie der Besetzung der alten Arge sind z.T. sowohl in den Vorstellungen und Praxen eines „offenen Hauses“ als auch bei der Gründung einer Zeitung als Sprachrohr zu finden. Nicht zuletzt liegt eine weitere Gemeinsamkeit im Scheitern der beiden Besetzungen. Auch 30 Jahre später scheint die Stadt Salzburg noch nicht reif zu sein für einen liberalen und progressiveren Umgang mit Hausbesetzungen. Dennoch konnte in den 80er Jahren die Arge Rainberg das Kulturgelände Nonntal erkämpfen. Die heutige Szene schien sich nach der gescheiterten Besetzung erst einmal zurückzuziehen. Dieser symbolische Ort der Alternativkultur wurde temporär zur Bühne einer jungen alternativkulturellen Szene, die sich trotz der Rückschläge durch den Abriss und der fehlenden Perspektive von Seiten der Politik in den Folgejahren weiterentwickeln sollte. Das Ende einer Ära bedeutet zugleich den Beginn einer neuen, was sich in den Entwicklungen nach der gescheiterten Besetzung zeigt. Einige der beteiligten Initiativen lösten sich auf, andere entwickelten sich weiter und neue entstanden. Verbindungslinien zwischen Vergangenheit und Gegenwart wurden dabei sichtbar und der narrative Faden weitergesponnen. Die Entwicklungen der 70er und 80er Jahre stellen den Referenzpunkt der lokalen alternativkulturellen Mythenbildung dar. Die Besetzung der alten Arge 2006 kann als symbolisches Geburtsdatum einer neuen jungen alternativkulturellen Generation in der Stadt gelesen werden. Der Ort der Alternativkultur in Salzburg wurde durch den Umzug frei und bald darauf neu besetzt. Sinnbildlich wurde nicht nur das Gebäude frei, sondern auch der symbolische Ort für Alternativkultur in der Stadt. Eine neue junge Generation, die noch keinen Raum/Ort in der Stadt hatte und somit keine Sichtbarkeit, besetzte den frei gewordenen Raum. Besetzungen sind dabei als alternative Raumpraxen zu verstehen. Sie sind ein performativer, körperlicher Sprechakt,
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der auf ein Bedürfnis und eine Situation hinweist und die politischen EntscheidungsträgerInnen durch Aktion zu einer Reaktion herausfordert. Die Machtpositionen werden zumindest für den Moment des Sprechaktes invertiert: Die bis dahin unsichtbaren AkteurInnen – in diesem Fall Jugendliche – verschaffen sich Gehör und Sichtbarkeit; sie nehmen sich den Raum, der ihnen bis dahin nicht zugesprochen wurde. Die Reaktion der Politik auf die Besetzung beschränkte sich auf einen Zustand der Duldung für rund drei Monate. In dieser Zeit wurde das Gebäude von den Jugendlichen bespielt und als Raum des Experimentierens und Lernens von kollektiver Selbstorganisation genutzt. Wesentlich dabei ist, dass in dieser Zeit die AkteurInnen der jungen alternativkulturellen Szene eine bedeutende Vernetzungsarbeit leisteten. Ebenso überraschend kam dann das Ende durch den Abriss und die abrupt reaktualisierten herrschenden Machtverhältnisse. Auch hier stellt das physische/sinnliche Erleben – in diesem Fall die physische Gewalt – die zentrale Erfahrung dar: Das Haus, in dem man lebt, wird zerstört und die eigene, relative Machtlosigkeit wird einem plötzlich bewusst.35 Die alte Arge (Abriss 2006) sowie der RAUM (Abriss 2008) fielen dem Bauvorhaben von Mietwohnungen sowie dem neuen Sportzentrum Mitte und dem Unipark Nonntal zum Opfer. Beide Abrisse zerstörten dabei sowohl das symbolische „Zuhause“ als auch reale Treffpunkte einer alternativkulturellen (Jugend-)Szene. Auf symbolischer Ebene versinnbildlichen diese zwei Abrisse, wie die Stadtverwaltung und ihre Entscheidungsträger jugendlichem Enthusiasmus begegnen. Anstatt den Raum für ein ergebnisoffenes Experimentieren zu ermöglichen, werden physisch wie symbolisch die Lernprozesse der Selbstermächtigung dem Erdboden gleichgemacht. Infolge dieser am eigenen Leib erfahrenen Umbrüche verließ ein Gutteil der in diesen Kontexten organisierten Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen Salzburg, um in anderen Städten zu studieren. Die Stadt verlor dabei junge Menschen, die sich aktiv ins kulturelle Stadtgeschehen einbringen und den gesellschaftspolitischen sowie kulturpolitischen Diskurs mitprägen wollten. Überspitzt könnte man sagen: Eine Generation fällt aus, weil sie wegzieht. Doch einige bleiben, neue kommen und manche kommen sogar nach Salzburg zurück. Einige der politisch, kulturell und künstlerisch aktiven jungen AkteurInnen verfolgten trotz widriger Rahmenbedingungen weiterhin ihre Projekte und Initiativen. In der jungen alternativkulturellen Szene
35 Insbesondere die symbolische Wirkung der belebten Räume und ihrer folgenden Zerstörung durch den Abriss, kommen im Bildmaterial des Dokumentarfilms „[frei]raum“ deutlich hervor.
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sowie im künstlerischen Feld sollten sich einige Projekte etablieren und als Ankerpunkte eines anderen Salzburgs fungieren. Dennoch erscheinen die auf die Besetzung der alten Arge folgenden Jahre wie eine Odyssee der Kämpfe um Raum. Nach dem Abriss der alten Arge fallen in die Folgezeit die temporäre, mehrmonatige baupolizeiliche Schließung des 2006 eröffneten Kulturvereins denkmal sowie der Abriss des RAUMs (2008) und die von 2007 bis 2010 währende Heimatlosigkeit des Jugendkulturzentrums MARK. Die sich hierbei physisch niederschlagende Machtausübung in der Zerstörung, Be- und Verhinderung räumlicher Nutzungen bzw. die erfahrene Ohnmacht gegenüber Politik, Verwaltung und Kapital/Privatinteressen destabilisierte die Handlungsbasis. Andererseits wurde dadurch der Widerspruchsgeist der jungen alternativkulturellen Szene Salzburgs genährt. Der im Herbst 2006 gegründete Kulturverein denkmal versteht sich selbst als neuer, junger Treffpunkt einer alternativkulturellen Szene. Insbesondere in der Anfangszeit, ein halbes Jahr nach dem Abriss der alten Arge, war der Bezug zum alten Arge-Beisl als Ort der Alternativkultur wichtiger Teil der eigenen Konstituierung als neuer Treffpunkt und symbolischer Ort der jungen alternativkulturellen Szene (vgl. Interview mit René Zechner am 24.9.2012). Ebenfalls 2006 entstanden im Feld der bildenden Kunst zwei junge Initiativen, „periscope“ und „White Club“, die Raum und Sichtbarkeit beanspruchten, wobei insbesondere die White-Club-Initiative die temporäre Besetzung von Räumen zum Aushängeschild ihrer damaligen künstlerischen Praxis machte. Ab 2007/2008 kam es zu einer erneuten Vernetzungsinitiative in der jungen Kulturszene: Der Verein „K.“ (K-Punkt) wollte mit den „Tagen der jungen Kultur“ Sichtbarkeit für die junge kulturelle Szene in Salzburg schaffen. Hierbei stand eine künstlerische Perspektivierung stärker im Mittelpunkt als eine gesellschaftspolitische Perspektivierung bzw. galt der Versuch einer künstlerisch orientierten Vernetzung. 36 Der politische Freiraum-Gedanke wurde erst 2010 wieder stärker belebt, als mit dem SUB ein neuer linksalternativer Treffpunkt gegründet wurde.
36 Vgl. „K. – eine gemeinsame Plattform für junge Kultur“, http://www.drehpunktkultur. at/index.php?option=com_content&view=article&id=483:verein-k&catid=68:jugend &Itemid=93 (6.8.2013).
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1.2 „SUB“ –
FÜR DAS RICHTIGE
L EBEN
IM FALSCHEN
…
Das SUB versteht sich als „soziales Zentrum“1, im Sinne eines selbstorganisierten politischen und kulturellen Raums, in einer linkspolitischen bis anarchistischen Tradition. Es wurde im Frühling 2010 als Verein gegründet und betreibt ein kleines Vereinslokal in der Müllner Hauptstraße im Stadtteil Mülln. Ziel ist es, Freiraum mit offenem Zugang und einen Ort der Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Neben dem Infoladen, der bereits seit 2002 besteht, ist das SUB ein weiterer Treffpunkt linkspolitischer Gegenkultur in der Stadt Salzburg. Ein erstes Interview fand mit zwei SUB-AktivistInnen am 31.10.2012 im Vereinslokal statt. Ein zweites Interview mit einem der beiden folgte zwei Wochen später, am 16.11.2012. Den AktivistInnen war es wichtig, anonym zu bleiben. Sie werden im Folgenden Marco S. und Nina B. genannt. Des Weiteren betonten sie ihre individuelle Meinung zu äußern und nicht für das SUB zu sprechen, da es so viele Meinungen wie Mitwirkende gebe. Die Anbahnung des Interviews begann rund ein Monat zuvor. Ich sah zwei Möglichkeiten, um in Kontakt zu treten: entweder das offene Plenum zu besuchen oder an die auf der Website des Vereins angegebene offizielle E-Mail-Adresse zu schreiben. Ich entschied mich für die E-Mail-Variante, um nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Rund zwei Wochen später erhielt ich eine Antwort in freundlichem und interessiertem Ton von Marco S., mit dem Vorschlag, ich sollte zur nächsten Veranstaltung kommen, um dann einen Termin für ein Interview zu vereinbaren. An jenem Abend traf ich zwar nicht Marco S., aber ich kam mit einem anderen Aktivisten ins Gespräch. Wir vereinbarten, dass ich nach dem nächsten Plenum eine definitive Rückmeldung erhalten würde (Gedächtnisprotokoll, 21.9.2012). Nach einer Rückfrage meinerseits nach weiteren zwei Wochen konnte letztendlich der Interviewtermin vereinbart werden. Hierbei wird deutlich, dass sich basisdemokratische Strukturen u.a. in einer gedehnten Zeitlichkeit ausdrücken.2
1
Der Begriff „Soziales Zentrum“ ist in der linkspolitischen Praxis zu verorten und ist insbesondere im angloamerikanischen Raum (Social Center) sowie in Italien (Centro Sociale) gebräuchlich; siehe dazu das Kapitel „Freiraum: autonome und soziale Zentren“ (S. 165-167).
2
Als Material dienen neben den Interviews einerseits Gedächtnisprotokolle und Feldtagebucheinträge (Besuch eines Vortrags über Anarchismus, Besuche des FreitagBeisls) sowie andererseits Flugblätter und Blog.
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Marco S., siehe Kurzporträt im Unterkaptiel „Konstituierung einer jungen alternativkulturellen Szene und die ‚Besetzung der Alten Arge‘“ (S. 212) da Marco S. ebenfalls Interviewpartner für die Initiativen RAUM sowie Mono Poly ist. Anhand Marco S.’ Geschichte wird sichtbar, welchen zentralen Stellenwert politische und kulturelle Selbstorganisation im Alltagsleben einnehmen können und wie das Imaginäre mit unterschiedlichen Versuchen in die Wirklichkeit geholt wird. Nina B. ist Anfang 20 und kam zum Studium der Geisteswissenschaften nach Salzburg. Sie stieß über Veranstaltungsbesuche auf das SUB und arbeitet zum Zeitpunkt des Interviews bereits seit einigen Monaten aktiv im Verein mit. Sie trägt ein klassisches Autonomen-Outfit: schwarze Jeans, schwarze Jacke, schwarze Boots und eine schwarze Wollmütze mit vielen Buttons. 1.2.1 Entstehungsgeschichte des SUBs 1.2.1.1 Standort und Vereinslokal Die Raumsuche für das SUB erstreckte sich über Jahre. Als das RAUM-Projekt noch existierte, begannen Marco S. und andere bereits nach passenden Räumlichkeiten für eine neue Initiative Ausschau zu halten, wobei die Suche nach besser geeigneten Räumlichkeiten auch heute noch andauert. Fündig wurde der Verein in der Müllner Hauptstraße. Relativ zentrumsnahe gelegen, befindet sich das SUB im Erdgeschoss einer Häuserreihe, direkt an der Felswand des Mönchsbergs, eines der Salzburger Stadtberge. Der Standort wird aufgrund seiner Zentralität und guten Erreichbarkeit als großer Vorteil erlebt. Marco S. betont zudem die relativ günstige Miete: „Vierhundert Euro ist ja eh schon paradiesisch in der Lage. [...] Es ist zentral vor allem. Und du zahlst schnell einmal das Doppelte für die gleiche Größe.“ (Interview mit Marco S. am 21.10.2012, S. 13) Der Stadtteil Mülln gilt als innenstadtnaher, belebter Stadtteil, obwohl die Müllner Hauptstraße an jener Stelle eine Reihe leerstehender ehemaliger Gassenlokale aufweist. Die leerstehende Erdgeschosszone dürfte nicht zuletzt mit dem hohen Verkehrsaufkommen sowie der schwierigen Bausubstanz an der Felswand zusammenhängen. Der als „Inneres Mülln“ bezeichnete Bereich des Stadtteils zählt zum historischen Ortskern von Mülln und ist Teil der mittelalterlichen Bebauung der Altstadt.3 Das SUB liegt dabei auf dem Weg zum „Augustinerbräu“, einer ehemaligen Klosterbrauerei und beliebtem touristischen Ziel sowie Treff-
3
Zur Geschichte des Stadtteils Mülln (vgl. Brettenthaler 1979).
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punkt einer durchmischten Salzburger BesucherInnenschaft. Direkt gegenüber dem Vereinslokal befinden sich der Bärenwirt, ein rustikales Gasthaus, wie auch die ehemalige Landespflegeanstalt, die 2013 vom Land Salzburg an die Erzdiözese Salzburg verkauft wurde und zuerst als Notschlafstelle und dann als Flüchtlingsunterkunft genutzt wurde. In der näheren Umgebung des SUBs befinden sich mehrere Gastronomiebetriebe und einige Geschäfte.4 Insgesamt hat das nahegelegene Landeskrankenhaus bestimmt Anteil an dem regen Geschäfts- und Gastronomieleben in diesem Stadtteil. Das Vereinslokal wurde im März 2010 angemietet und gemeinsam mit dem Vermieter renoviert: Das Lokal wurde neu ausgemalt, ein Fliesenboden verlegt und eine Toilette eingebaut. Im Juni 2010 konnte das SUB eröffnen. Das Lokal ist ca. 30 m² groß und ein typisches, ehemaliges Gassenlokal mit TorbogenEingangstür und Torbogenfenster sowie einem Innengewölbe, das dem Raum einen speziellen Charme gibt. In der Mitte des Raums befindet sich eine Säule, welche in die Raumaufteilung integriert wurde: Zur einen Seite befinden sich Bar und Kochecke, die ein geselliges Beisammensein versprechen, zur anderen Seite befindet sich der Aufenthaltsbereich, mit Couch- und Bücherecke an der Rückwand sowie ein großer runder Holztisch auf der Fensterseite hin zur Straße. Die Bar wurde von den AktivistInnen selbst aufgebaut, eine geschenkte Küche selbst eingebaut. Die Einrichtung (Sofa, Tische, Sessel, Geschirr etc.) stammt aus Sachspenden von Mitgliedern sowie deren Freundeskreise. Die beiden InterviewpartnerInnen nennen zwei wesentliche Nachteile des Raums: Erstens die geringe Fläche sowie zweitens – das eigentliche Hauptproblem – die Feuchtigkeit. Aufgrund der Lage am Fuße des Berges, bestehe eine Grundfeuchtigkeit, die immer wieder zu Schimmelbildung führe. Die Feuchtigkeit, die sich mit dem Geruch von Rauch und Bier vermengt, führt zu einem Grundgeruch, ähnlich jenem eines Pubs. Der Raum ist insgesamt eher dunkel und wirkt etwas abgewohnt. Die Raummiete zuzüglich der Betriebskosten wird aus den Mitgliedsbeiträgen, regelmäßigen Spenden sowie den freiwilligen Spenden bei Veranstaltungen gedeckt. Der Verein bezieht (zum Zeitpunkt der Feld-
4
Unweit befinden sich ein kleines italienisches Lokal, das Lokal „Müllner Stub’n“, ein Bioladen, eine Schneiderei, ein alternatives Geschäft und ein Tatoo-Studio. Am nördlichen Ende des Müllner Hügels sind weiters anzutreffen die Café-Bar „Das Wohnzimmer“ (bis 2013), weiters das höherpreisige Restaurant „Das Esszimmer“ sowie der Gasthof Krimpelstätter mit großem Gastgarten, ein Buchladen, ein Mini-Kreisler, eine Tabak-Trafik wie auch eine kleine Eckkneipe. Auch die erste Filiale des Salzburger Bio-Schnellimbisses „Bioburger“ befand sich bis 2013 in der Müllner Hauptstraße.
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forschung) keine öffentlichen Fördergelder. Zu Beginn blieben Bemühungen in diese Richtung erfolglos, mittlerweile hat sich das Selbstverständnis in Richtung autonome Finanzierung gefestigt.5 1.2.1.2 Turbulente Anfänge: von den Schwierigkeiten einen sozialen Freiraum zu schaffen Marco S. war von Beginn an, an der Raumsuche bis zur Vereinsgründung beteiligt. Für ihn war der Wunsch nach Freiraum über die vorangegangenen Jahre gewachsen und hatte sich durch die Erfahrungen der Selbstorganisation in den Initiativen RAUM und Mono Poly mittlerweile klarer konturiert: Neben der Funktion als sozialer Treffpunkt sollte der Raum für politische Tätigkeiten genutzt werden. Am Blog der Initiative wird das politische und autonome Selbstverständnis zuvorderst genannt: „Der Gedanke dahinter war, es uns und allen Interessierten zu ermöglichen, politisch autonom tätig zu werden. Zusätzlich sollte dieser Raum auch als sozialer Treffpunkt nutzbar sein und für Veranstaltungen unkompliziert zur Verfügung stehen.“6 Es stellte sich jedoch heraus, dass die Präsenz eines solchen Freiraums nicht nur auf Gegenliebe stößt und eine Umgebung unverhofft zu feindseligem und umkämpftem Terrain werden kann. Dies bekamen die jungen VereinsbetreiberInnen bald zu spüren. Der nichtkommerzielle, linke Freiraum wurde nur wenige Monate nach Bezug des Vereinslokals, im Juni 2010, wiederholt von Rechtsextremen, die in der Nähe ihr Stammbeisl zu haben schienen, angegriffen. Von September bis Dezember 2010 kam es zu sieben dokumentierten Angriffen auf das Vereinslokal. Jene Personen kamen in angetrunkenem Zustand ins SUB und bedrohten die Anwesenden sowohl verbal als auch körperlich. Der Konflikt spitzte sich über Monate zu: Als es Ende November zu einer Schlägerei kam, bei der es
5
Auf dem Blog ist zu den Anfängen zu lesen: „Zur Finanzierung dieses Vorhabens wurde verschiedenen öffentlichen Stellen, alle zuständig für die Förderung junger, sozialer oder kultureller Projekte, ein Konzept mit der Bitte um eine anfängliche Subvention vorgelegt. Das Resultat dieser intensiven Bemühungen sah überall ähnlich aus. Die Idee wurde allgemein positiv aufgenommen, aber tatsächlich unterstützen wollte uns niemand. Die einzige Ausnahme hierbei bildete das MARK.freizeit.kultur, mit dessen Hilfe wir eine erste Veranstaltung auf die Beine stellen konnten und somit zu unserem Startbudget kamen.“ (Sub Salzburg – SUB-Jahresrückblick (am 14. Januar 2011), http://subsalzburg.blogsport.eu/ [15.5.2013]).
6
Vgl. Sub Salzburg – SUB-Jahresrückblick (am 14. Januar 2011), http://subsalzburg. blogsport.eu/ [15.5.2013]).
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drei Verletzte unter den VereinsbesucherInnen gab, entschloss sich der Verein an die Öffentlichkeit zu gehen. In einer Presseaussendung mit dem Titel „Wir haben ein Problem“ machte der Verein die Übergriffe publik.7 Darin betonen die AktivistInnen den offenen Charakter des Vereinslokals, in welchem Respekt, Toleranz und Selbstverantwortung als Verhaltenskodex gelten. Weiters wird an das Verständnis und die Solidarität der unmittelbaren Nachbarschaft und der Stadt appelliert: „Durch dieses kleine soziale Zentrum gibt es seitdem [Juni 2010] in Salzburg einen Raum mehr, in dem Respekt und Toleranz das Fundament des Zusammenlebens bilden. Das SUB ist ein Ort, an dem Selbstverantwortung angesagt ist, und bietet als Beisl eine der wenigen Alternativen zu den konsumorientierten Lokalmeilen. Seit einigen Wochen haben wir es nun mit Problem-Nazis und ihrem gewaltbegeisterten Umfeld zu tun. [...] Wir wollen ein einladender Raum sein, keine vergitterte Festung. Daher wollen wir zu diesem Thema nicht länger schweigen und machen die Ereignisse hiermit öffentlich. Wir erwarten nach wie vor Übergriffe und rufen daher auf, uns auch durch Anwesenheit bei Veranstaltungen zu unterstützen. Das SUB wird weiterhin, so gut es geht, deeskalierend auftreten. Wir hoffen auf das Verständnis und die Solidarität von Menschen aus der Nachbarschaft, der Stadt und überhaupt überall.“8
Infolge berichteten Printmedien und Onlineforen.9 Durch die somit hergestellte Öffentlichkeit entstand ein Schutz, jedoch zugleich auch eine Verschärfung der Situation. Die Strategie der Medienöffentlichkeit ging nur bedingt auf. Nach zweimonatiger Pause kam es im Februar 2011 zu einem erneuten und heftigen Übergriff: Die versperrte Tür wurde eingetreten und drei zum Teil vermummte
7
Eine Chronologie der Ereignisse findet sich am Blog des SUBs (vgl. Sub Salzburg Wir haben ein Problem (am 2.12.2010), http://subsalzburg.blogsport.eu/2010/ 12/02/wir-haben-ein-problem/ [16.5.2013]).
8
Vgl. ebd.
9
Bspw. berichtet ORF online am 5.12.2010 unter dem Titel „Rechtsradikale attackieren Kulturverein“ von den Vorfällen. Im Artikel werden die SUB-BetreiberInnen als der linksalternativen Szene zugehörig beschrieben und die Angreifer als Rechtradikale bezeichnet, außerdem wird festgehalten, dass die Polizei bis zu jenem Zeitpunkt noch keine Ermittlungen vorgenommen habe (vgl. o.V. 2010).
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Angreifer stürmten ins SUB, rissen Poster von der Wand und versetzten einem alleine anwesenden Vereinsmitglied einen Schlag ins Gesicht.10 Doch es kam nicht wie erhofft zur Unterstützung und zum Schutz durch die Ordnungshüter. Die Polizei wurde in dieser Zeit weniger als „Freund und Helfer“ denn vielmehr als Kontrollmacht erlebt. Mit einem regelrechten Polizeiaufmarsch – drei Busse rückten an – wollten sich zehn bis fünfzehn PolizistInnen Zutritt zum Vereinslokal verschaffen. Ohne Durchsuchungsbefehl wurden sie jedoch nicht hereingelassen und zogen, nicht ohne zuvor einige Fotos von außen ins Vereinslokal hinein gemacht zu haben, wieder ab. Bald danach starteten die Gewerbetreibenden im Stadtteil eine mediale Stimmungsmache gegen das SUB. Auslöser dafür war vermutlich die in einem Interview von SUB-AktivistInnen namentliche Erwähnung des Lokals „Müllner Stub’n“ als mögliches Stammlokal des „Schlägertrupps“. In dem Artikel mit dem Titel „Das SUB macht Probleme“ in den „Stadt Nachrichten“ prangerten Gewerbetreibende an, dass es erst seit der Präsenz des Vereins zu derartigen Vorfällen im Stadtteil gekommen sei (vgl. o.V. 2011a). Dies würde laut Marco S. insofern stimmen, als dass es davor keine Aufregung über die sich in der Müllner Stub’n treffenden Rechtsradikalen gab. Es habe dazu keinen „Gegenpol“ gegeben und als Kunde seien die Rechtsradikalen offenbar „willkommen“ gewesen. Vor diesem Hintergrund betrachteten die VereinsbetreiberInnen die bald folgende Finanzprüfung des Vereins als Mittel der Repression. Dennoch wurde die Finanzprüfung positiv abgeschlossen und es gab diesbezüglich keine weiteren Probleme. Da die Polizei zwei Angreifer ausfindig gemacht hatte, kam es letztendlich zu einer Gerichtsverhandlung, die zu Gunsten der VereinsbetreiberInnen entschieden wurde. Es kam zum Schuldspruch der Sachbeschädigung und einer Sachschadensersatzzahlung (die neue Tür wurde in Raten bezahlt) sowie einer Entschuldigung der Täter beim angegriffenen Vereinsmitglied. Insofern bei der Gerichtsverhandlung nur zwei Angreifer vorgeführt wurden, scheinen Marco S.’ Zweifel an der Redlichkeit des Verfahrens berechtigt:
10 In einem Blogeintrag ist dazu zu lesen: „Die Schläger wurden aber schnell von ihrem vermeintlichen Anführer zurückgepfiffen. Dieser drohte dem Vereinsmitglied mit einem großangelegten Angriff, sollte noch einmal im Internet über die Neonaziübergriffe berichtet werden. Ein Augenzeuge berichtete von weiteren 15-20 Neonazis vor dem SUB, welche pyrotechnische Gegenstände unter Autos warfen und mit ‚Sieg Heil!‘ grüßten.“ (vgl. Sub Salzburg Erneuter Neonazi-Übergriff (am 20.2.2011), http:// subsalzburg.blogsport.eu [17.5.2013]).
244 | K REATIVITÄT UND T EILHABE IN DER STADT „Meine Vermutung ist eher, dass sie zwei junge vorgeschickt haben. [...] Die Jungen [...], die werden halt vorausgeschickt, das sind so die Opfer, falls es irgendwie Probleme mit der Polizei gibt. Die werden ausgeliefert und der Rest kriegt nichts ab. Also es ist auch nicht darauf eingegangen worden, dass da mehr Leute waren, das war vor Gericht völlig nebensächlich.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 8)
Konkrete Unterstützung gab es neben den Medienberichten insbesondere auf Netzwerkebene, wie dies am deutlichsten durch die Demonstration „Enough is enough – Demo gegen rechte Gewalt. Rechter Gewalt offensiv entgegentreten“ am 9. April 2011 sichtbar wurde. Im Aufruf zur Demonstration übt die „Autonome Antifa Salzburg“ Kritik an einem offensichtlichen Nicht-sehen-Wollen bzw. Negieren zuständiger Stellen und der politischen Öffentlichkeit hinsichtlich rechtsextremer Aktivitäten in Salzburg:11 „Als im Jänner 2011 Unbekannte drei zum Gedenken an von den Nazis im KZ ermordete jüdische Familie Neuwirth in der Arenbergstraße verlegte Stolpersteine12 ausgruben, stahlen und das entstandene Loch mit Beton ausgossen, meinte Burghard Vouk, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, dass neben ‚einer politischen Motivation‘ auch ein ‚reiner Messingdiebstahl denkbar wäre‘. Denn, eine besonders aktive rechtsradikale Szene gebe es in Salzburg derzeit jedenfalls nicht‘. [...] Diese Episode aus der jüngsten Salzburger Geschichte verdeutlicht vor allem eines: die anständige Mitte der Gesellschaft will die Probleme mit den extrem Rechten nicht sehen.“13
Die turbulenten Anfänge vom SUB verweisen von Beginn an auf Spannungsverhältnisse, die in anderen österreichischen Städten ebenfalls anzutreffen sind. So
11 Der gesamte Demoaufruf ist nachzulesen unter: Sub Salzburg – Enough is Enough! Demo gegen rechte Gewalt (am 15.3.2011), http://subsalzburg.blogsport.eu/2011/ 03/15/enough-is-enough-demo-gegen-rechte-gewalt/ (16.5.2013). 12 „Stolpersteine“ ist das in den 1990er-Jahren in Köln initiierte Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Die Stolpersteine fungieren als Gedenktafeln und erinnern an im Nationalsozialismus Verfolgte und Deportierte. Die Stolpersteine haben die Größe von Pflastersteinen und an der Oberseite eine beschriftete Messingplatte, sie werden in den Gehweg eingelassen. Mittlerweile finden sich rund 45.000 Steine in rund 18 europäischen Ländern (vgl. Stolpersteine – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/ Stolpersteine [17.7.2014]). 13 Vgl. Sub Salzburg – Enough is Enough! (am 15.3.2011), http://subsalzburg.blogsport. eu/2011/03/15/enough-is-enough-demo-gegen-rechte-gewalt/ (16.5.2013).
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konnte die überregional vernetzte linksalternative Szene mobilisiert werden: Zur Demonstration kamen AktivistInnen aus Wien, Graz und Linz. In einem Bericht über die Demonstration durch die „Rosa Antifa Wien“ ist von rund 450 TeilnehmerInnen die Rede.14 Vor dem Hintergrund der Übergriffe und Stimmungsmache gegen das SUB im ersten Jahr meint Marco S. schmunzelnd und weiterhin in einem deeskalierenden Tonfall: „Ich glaube, wir sind so ein bisschen die Verrückten einfach da in der Gegend. Also ... wir tun keinem was, das haben sie jetzt auch schon verstanden irgendwie, dass wir nicht wirklich böse sind, nur ein bisschen böse ausschauen, in ihren Augen [lachen] ... Ja, ‚die Verrückten, die gegen alles und jeden sind‘, das habe ich grad letztens wieder gehört ...“ (Interview mit Marco S. am 31.10.2012, S. 9)
Die durch das feindselige Umfeld bestehenden Anfangsschwierigkeiten scheinen so weit überwunden. Doch bleibt an der Bezeichnung „die Verrückten“ ersichtlich, dass das linksalternative Umfeld von der Umgebung als „anders“ und „fremd“ wahrgenommen wird. Marco S. äußert sich dazu diplomatisch und signalisiert eine prinzipielle Haltung des Vereins, die nicht auf Konflikt, sondern auf eine friedliche Koexistenz gerichtet ist. Doch was sagt dies über das gesellschaftspolitische Geflecht einer Stadt aus, wenn linker Aktivismus als „verrückt“, „eigenartig“, „fremdartig“ erachtet wird? Was bedeutet es, wenn vor allem der Radau und die gestörte Ruhe im Stadtteil wahrgenommen werden, nicht aber die zugrundeliegenden Probleme für den Tumult? Wie kann es sein, dass sich Rechtsextreme in der Stadt (und Gesellschaft) offenbar so sicher fühlen, dass sie tätliche Angriffe nicht scheuen? Sollten sich nicht hingegen AntifaschistInnen sicher fühlen und keine Angst vor rechten Übergriffen zu haben brauchen? Sollte ein Raum wie das SUB nicht anstatt mit Ausgrenzung mit Anerkennung in der Stadt und insbesondere durch die Behörden rechnen können?15 Die (fehlende) Offenheit der Stadt zeigt sich ebenfalls im Umgang der Behörden bzw. des Verwaltungsapparats mit den SUB-AktivistInnen. So schildert Marco S. die Kommunikation mit den Ämtern hinsichtlich der rechtlichen Rah-
14 Vgl. Demonstrationsbericht der „Rosa Antifa Wien“ (vgl. Rosa Antifa Wien 2011). 15 In Folge der Angriffe auf den linken Kulturverein erfuhr dieser in der Stadt zwar partiell Unterstützung und Solidarität und fand Gehör, jedoch konnte keine breite Öffentlichkeit hergestellt werden. Für notwendig, sich gegen rechtsextreme Aktionen zu Wort zu melden, erachtete es der Bürgermeister erst, als im Frühling 2014 das Euthanasie-Mahnmal im Kurgarten von Unbekannten zerstört wurde (vgl. o.V. 2014c).
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menbedingungen des Vereinslebens als schwierig: Die erhaltenen Informationen seien nicht klar gewesen und insgesamt entstand der Eindruck des Misstrauens gegenüber den jungen VereinsproponentInnen. Vor dem Hintergrund der rechten Übergriffe, der fehlenden Solidarität im Stadtteil sowie der skeptischen Haltung von Behörden und Verwaltung entsteht der Eindruck, dass für linksalternative, kulturelle und politische Selbstorganisation wenig Offenheit in der Stadt besteht und insofern der „Topografie des Möglichen“ Grenzen setzt. 1.2.2 Selbstrepräsentation und Selbstverständnis Über dem Eingang des Vereinslokals hängt ein schmiedeeisernes Schild mit dem ausgeschnittenen SUB-Logo – dem Schriftzug in Großbuchstaben – sowie einem fünfzackigen Stern. Abends, wenn geöffnet ist, wird der Schriftzug von der Rückseite durch eine rote Folie ausgeleuchtet. Im SUB ist der Name Programm und weist auf das Potenzial einer mehrdeutigen Wortbildung hin. Die ursprüngliche Idee war, dass es wechselnde Zusatzschilder zum Schild über dem Eingang geben könnte, wie bspw. „SUB-kino“ oder „SUB-optimal“ – was allerdings bisher nicht umgesetzt wurde. Dabei stellt der Name „SUB“ – im Sinne eines Präfixes – sogleich eine gedankliche Verbindung zu Subkultur/Gegenkultur/ Underground her, und das in mehreren Sprachen. 16 Gleichzeitig liegt der Idee ein spielerischer Zugang zugrunde, der eine Vielfalt an Interpretationen ermöglicht. Marco S. definiert SUB als „Salzburger-Unterholz-Bewegung“ und setzt sogleich mit einem Schmunzeln hinzu: „[…] aber es hat jeder so seine eigene Auslegung.“ (Interview mit Marco S. am 31.10.2012, S. 7) Sowohl der allgemeine Flyer als auch der Internetauftritt sind in den Farben Rot und Schwarz gehalten. Die gelegentlichen Flyer für Veranstaltungen sind simple Schwarz-Weiß-Kopien, die der Low-Budget-Produktion und Ästhetik autonomer, selbstverwalteter Zentren entsprechen. Insgesamt referenziert die ikonografische Selbstrepräsentation mit den Farben Schwarz und Rot auf anarchistische und sozialistische Farbcodes. Diese Symbolsprache verweist auf den ideologischen Bezugsrahmen der AkteurInnen. Zur symbolischen Repräsentation zählt auf inhaltlicher Ebene das klassische Repertoire des linkspolitischen Aktivismus: Antisexismus, Antirassismus sowie Antikapitalismus.
16 In meiner Heimatstadt Graz gibt es ebenfalls einen Verein mit dem Namen „SUB“: Dieser verortet sich ebenso im alternativ- bis gegen- bzw. subkulturellen Milieu und veranstaltet auf selbstorganisierter Basis hauptsächlich Konzerte.
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Das SUB hat den Anspruch, ein „offener Raum“ zu sein, was nicht zuletzt durch das Pronomen „Du“ ersichtlich wird das Offenheit und Niederschwelligkeit signalisiert und als Anrede für potenzielle Interessierte in Informationsmaterialien dient. Ganz in diesem Sinne lautet die Überschrift der Homepage „Wir schaffen Raum!“ und in einem Info-Flyer präsentiert sich das SUB als Raum, in dem jede/r mitwirken kann: „Bring dich ein, organisieren wir uns! [...] Das SUB soll für uns alle da sein und ist nicht zuletzt auch das, was du daraus machst. Wenn du die Räumlichkeiten nutzen willst, nimm mit uns per Email Kontakt auf oder schau einfach bei einem der offenen Plena vorbei: jeden zweiten Sonntag.“ (SUB-Flyer [1]).17
Aber was heißt „offener Raum“ in der Praxis? Wie werden die eigenen gesellschaftspolitischen Ideale gelebt und vermittelt? 1.2.2.1 Soziales Zentrum und Vielstimmigkeit Auffallend sind die wechselnden Bezeichnungen als „soziales Zentrum“, „selbstverwaltetes Sozial- und Kulturzentrum“ sowie „autonomes Kulturzentrum“ auf Blog, Flyer und im Interview. Sie können als Ausdruck der Entwicklung der Selbstdefinition und des Selbstverständnisses verstanden werden und legen ebenso Zeugnis darüber ab, dass es um ein fortwährendes Verhandeln über die Selbstdefinition geht. Gleichzeitig spiegeln die unterschiedlichen Begriffe verwandte Entwicklungen in unterschiedlichen nationalen Kontexten wider. Die Frage der (Selbst-)Repräsentation als Kollektiv ist von Vielstimmigkeit geprägt und ein fortwährender Prozess. Marco S. erzählt, dass unlängst eine Klausur zum Thema „Was ist das SUB eigentlich?“ ins Auge gefasst worden war. Aus seiner Sicht ist das SUB Teil einer anarchistischen Bewegung. Jedoch gäbe es auch Leute im SUB, die „sich nie und nimmer als Anarchisten bezeichnen würden“, und in der „Organisationscrew“ seien „bei weitem nicht alle politisch motiviert“ (Interview mit Marco S. am 31.10.2012, S. 16f.). Auch Nina B. hält dazu fest: „Ja, es gibt Leute, die meinen, dass am Freitag beim Beisl Politik nichts zu suchen hat, also, da gibt’s alles.“ (Interview mit Nina B. am 31.10.2012, S. 17)
17 Ebenfalls finden sich auf dem Flyer Vorschläge dazu, wie man das SUB unterstützen bzw. sich daran beteiligen kann: „Durch regelmäßige Besuche; teile Wissen und Fähigkeiten mit anderen; organisiere selbst Veranstaltungen; nicht zuletzt: Hin und wieder Beteiligung an Kosten, da wir das SUB selbst finanzieren.“ (SUB-Flyer [1])
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Von den Anfängen bis zum jetzigen Zeitpunkt habe das SUB, laut Marco S., ein stärkeres politisches Selbstverständnis entwickelt und würde sich mittlerweile als politischer Raum verstehen. Anzunehmen ist, dass diese Entwicklung hin zu einer stärkeren Gewichtung auf ein politisches Selbstverständnis unmittelbar mit den Erfahrungen rund um die Angriffe auf das Vereinslokal zusammenhängt. Durch die Fremdzuschreibung wurde die eigene Identitätsbildung zu einem politischen Selbstverständnis gestärkt. Vom breiter gefassten Freiraumgedanken konnte das Selbstverständnis als linkspolitischer/-aktivistischer Freiraum wachsen. Marco S. definiert das SUB als „soziales Zentrum“: „Social Center, so war das immer die Beschreibung in anderen Ländern [...] Man kann auch autonomes Kulturzentrum sagen, wahrscheinlich sagen andere Leute autonomes Kulturzentrum dazu ... Für mich ist es ein soziales Zentrum.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 11f.)
Als wesentliche Charakteristika eines sozialen Zentrums gelten laut Marco S. die basisdemokratische Organisationsstruktur sowie die Eigenschaft als Lernraum für andere soziale Praxen, für ein anderes soziales Miteinander und als Raum zur Selbstverwirklichung. Der Begriff „Basisdemokratie“ ist dem Theoriekomplex der direkten Demokratie zuzuordnen, in der im Gegensatz zum Konzept der repräsentativen Demokratie alle relevanten Entscheidungen von den Betroffenen selbst durch „unmittelbare Beteiligung“ getroffen werden. Das Konzept erhielt zunehmende Relevanz im Aufleben der Bürgerinitiativen sowie der Neuen Sozialen Bewegungen (vgl. Bendel 2010; Lösche 2010). Der Ansatz der Selbstrepräsentation ist dabei zentral. Die basisdemokratische Organisationsstruktur situiert das SUB im linkspolitischen Spektrum und zeigt sich im Recht jedes/r Einzelnen, im offenen Plenum mitzubestimmen. Die offenen Plenen finden zweiwöchentlich statt, wobei sich in einem Plenum durchschnittlich zehn bis fünfzehn Personen treffen. Offene Plenen sollen einen offenen Zugang ermöglichen sowie für Transparenz in der Entscheidungsfindung sorgen und interne Hierarchiebildung möglichst vermeiden. Im SUB können Interessierte ihre Ideen im Plenum vorstellen und es wird gemeinsam überlegt, ob, wie und wann ein Vorschlag ins Programm aufgenommen werden kann. Die Präsentation der Idee im Plenum soll dabei keine Hürde darstellen, sondern entspricht der Struktur kollektiver, basisdemokratischer Entscheidungsfindung. Die Grenzen des Erwünschten und Erlaubten werden dabei durch die Beteiligten selbst ständig verhandelt. Ein soziales Zentrum ist demnach ein Ort, an dem kollektive Identitäten in einem stetigen Prozess verhandelt werden. Dies erfordert einen Grundkonsens aller Beteiligten für das Erproben eines egalitären, sozialen Miteinanders. Heute
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umfasst das Selbstverständnis des SUBs unterschiedliche politische Ausprägungen des Freiraum-Gedankens, von alternativkulturell bis anarchistisch. 1.2.2.2 Bezugspunkt Anarchismus Marco S. beschreibt die Organisationsstruktur aus seiner Perspektive als anarchistisch fundiert. Auch wenn sich bei weitem nicht alle im SUB Aktiven als AnarchistInnen bezeichnen würden, besteht für Marco S. eine Gemeinsamkeit zwischen den im SUB Aktiven, die aus seiner Sicht als anarchistisch bezeichnet werden könne.18 Hierzu meint er: „Also ich glaube, es gibt viele Leute, die eigentlich von meinem Begriff her Anarchisten sind, aber sich nie so bezeichnen würden, oder so etwas total ablehnen würden – weil sie sich nicht damit beschäftigt haben oder weil sie es einfach anders definieren. Aber die Idee trifft auf alle Leute im SUB zu. Also es ist eine anarchistische Struktur, außer, dass man sagt, man ist ein Verein, aber das macht man nicht aus sich heraus, sondern das macht man für die offizielle Schiene, für das richtige Leben im falschen.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 21)
Die Widersprüche zwischen Wunsch und Wirklichkeit werden insbesondere auf struktureller Ebene sichtbar: Die Vereinsstruktur wird als notwendig erachtet, um den rechtlichen Rahmenbedingungen zu entsprechen, doch spielt sie im Alltag bzw. in der internen Organisationsstruktur eine untergeordnete Rolle. „Für das richtige Leben im Falschen“ – dieser in anarchistischen Kontexten gerne zitierte Satz verdeutlicht die Gleichzeitigkeit teils konträrer Wirklichkeiten. 19 Marco S. versteht Anarchismus als Teil seiner individuellen Selbstdefinition. Er kam vom Anarchopunk zum Interesse an anarchistischer Theorie. Die Verbindung der anarchistischen Theorie zur eigenen politischen Praxis im SUB sieht er im Freiheitsgedanken: „Also für mich ist Anarchismus jetzt kein System, das irgendwie funktioniert, sondern das ist eine Denkweise ... Es ist ein Prozess, ein ständiger. [...] Freiheit steht sehr im Mittel-
18 Zum Wiedererstarken anarchistischer Bezüge in der Theorienbildung und Praxis im Kontext der globalisierungskritischen Bewegung siehe (Day 2005). 19 Der Spruch „für das richtige Leben im falschen“ geht zurück auf ein Zitat Adornos. In seinem Werk „Minima Moralia“ schrieb Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ und verweist dabei auf den Widerspruch, sich in einer unwirtlichen Welt „häuslich einzurichten.“ (vgl. Seel 2001)
250 | K REATIVITÄT UND T EILHABE IN DER STADT punkt, also, dass man anderen Leuten Freiheiten gibt, bis zu einem gewissen Grad. Dass man schaut, dass man eine Gesellschaft so frei wie möglich organisieren kann und ... dass die Leute selbstständig sind und Selbstvertrauen haben, das ist ganz wichtig. Aber da gibt es in der anarchistischen Szene Todfeinde, also [...] DIE Anarchisten kann man eh schon wieder nicht sagen, das wäre schon wieder ein Widerspruch [lacht] ... Also jedem ist es frei, Anarchismus irgendwie so zu definieren.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 20)
Ein wichtiger Grundsatz im SUB besteht darin, dass jede/r für sich selbst als Individuum spricht. Es handelt sich um eine Haltung, die sich einer StellvertreterInnenpolitik verwehrt. Vielstimmigkeit und Differenz werden dabei als Grundlage der gemeinsamen Arbeit verstanden, weshalb keine Einstimmigkeit erzwungen wird. Es geht im Wesentlichen um die Frage, in welcher Art und Weise eine bestimmte Struktur mit Leben, mit alltäglichen Praxen gefüllt und dabei interpretiert wird. Der Referenzrahmen einer Initiative ergibt sich wiederum durch die dort aktiven AkteurInnen, ihre sozialen Netzwerke und Bezugspunkte. 1.2.3 Sozialen Raum gestalten Als Raum zur Selbstverwirklichung und des Tätigseins abseits der Erwerbsarbeit ist ein soziales Zentrum ein Ort, an dem man Menschen mit ähnlichen Interessen trifft und mit welchen man gemeinsam Ideen und Aktivitäten entwickeln kann. Der Aspekt des gemeinsamen Tätigseins, führt zugleich dazu, „zusammenzufinden“, also sich als zusammengehörig zu erleben und etwas zu teilen. Es geht somit um ein grundlegend anderes Verständnis von Selbstverwirklichung als jenes über Erwerbsarbeit. Das, was kollektiv produziert wird, sind Ereignisse politischer Bildungs- und Kulturarbeit sowie politische Aktionen im öffentlichen Raum. Ein wichtiger Teil des gesamten Unterfangens ist die Selbstorganisation als solche. Bezüglich der Selbstorganisation als zentraler Aspekt autonomer Bewegungen hält Leonhard Plakolm fest: „Den Autonomen ging und geht es immer um den Freiraum, in dem die Leute tun können, was sie wollen, und in dem sie sich organisieren, wie sie wollen. Die Organisationsform ist selbst Teil der Kultur. [...] Bei den autonomen Häusern ist die Gründungsstory elementar; meist geht sie auf eine Initiative oder Bewegung zurück. [...] Autonome oder selbstverwaltete Gruppen [...] vertreten sich selbst und ein mehr oder minder konkretes Programm. Sie lernen miteinander in Opposition zur Außenwelt, laufen aber Gefahr sich abzuschotten.“ (Plakolm 2012: 64)
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Der soziale Aspekt des Zusammenkommens ist dabei ebenso wichtig wie jener des Ausprobierens und Lernens – ein Lernraum, in dem es die eigenen Alltagspraxen durch Reflexion im sozialen Miteinander zu überdenken gilt. Zentral ist dabei der Versuch, nichthierarchische Strukturen zu schaffen. Marco S. stellt das Potenzial solcher Räume in den Kontext gesellschaftlicher Utopien mit prozesshaftem Charakter: „Das ist für mich etwas ganz Wichtiges, dass alle Leute, auch die, die mitmachen, das als Raum verstehen, wo man was lernt; also nicht so: Wir haben jetzt die Wahrheit gefressen und ihr habt’s es so zu machen, also ... Das ist auch, wo es immer wieder Reibungspunkte gibt, wo dann halt gesagt wird: Hey, ihr reflektiert das ja nicht gescheit, oder: Reflektiert euch doch selber ... Also, das muss schon ein ständiger Prozess sein.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 12f.)
Die Nennung von Reibungspunkten als Teil der sozialen Praxis sowie eines respektvollen Umgangs miteinander deuten ebenfalls auf eine Offenheit für Dissens hin. Es geht darum zu erkennen, in welchen Handlungsmustern man selbst sozialisiert wurde bzw. verhaftet ist und das eigene Handeln als Voraussetzung und Weg in Richtung einer „anderen Welt“ zu reflektieren. Reibungspunkte entstehen nicht zuletzt hinsichtlich der Umsetzung des Anspruchs auf einen offenen Zugang. Damit verbunden sind unterschiedliche Erwartungen unter den SUBAktivistInnen, genauer gesagt zwischen jenen, die erwarten, dass sich BesucherInnen adäquat (also angepasst) verhalten und jenen, wie Marco S., die meinen, dass jede/r einen anderen Standpunkt und Startpunkt habe und insofern Erwartungen an ein antisexistisches, antirassistisches und/oder kapitalismuskritisches Verhalten fehl am Platz seien. Dabei weisen solche Erwartungen auf unausgesprochene Normen hin: Man braucht ein bestimmtes Wissen (das „savoir dire“ und das „savoir faire“), um sich „angepasst“, also den im Raum bestehenden Normen entsprechend, verhalten zu können. Insofern bestehen trotz des Anspruchs auf einen offenen Zugang auch in einem linken Raum soziale Ein- und Ausschlussmechanismen. Es gebe zwar kein Rezept für alle Konflikt-Situationen, aber es würde viel Wert auf Kommunikation gelegt. Wichtig sei es, den SUB-AktivistInnen nach Möglichkeit zu erklären, warum ein bestimmtes Verhalten problematisch erscheint. Der imaginierte offene Zugang besteht insofern in einer Ambivalenz zwischen Ein- und Ausschlussmechanismen. Dieses Ausloten und Suchen nach einem „guten Umgang miteinander“ stellt einen zentralen Aspekt in der Gestaltung des sozialen Raumes und Mikrokosmos SUB dar. Marco S. betont:
252 | K REATIVITÄT UND T EILHABE IN DER STADT „Es muss auch immer in Diskussion bleiben, wie man damit umgeht, und es gibt jetzt auch kein klares Gesetz da herinnen einfach, die Grenzen von jedem sind anders gesteckt. Und eben genau diese Balance, dieses Gemeinsame, das ist ein großer Teil da herinnen, dass man das ein bisschen lernt, mit anderen zu leben einfach.“ (Interview mit Marco S. am 31.10.2012, S. 25)
1.2.3.1 Offener Zugang und Grenzen: AkteurInnen und Publikum Laut den beiden interviewten AktivistInnen würde es im SUB gewissenmaßen zwei Lager geben: das Lager der weniger politisch Beteiligten und das der politisch Beteiligten. Der gemeinsame Nenner beider Lager bzw. das Verbindende zwischen den beiden Polen sei der „Freiraumgedanke“ – der Wunsch nach einem selbstorganisierten, sozialen, kulturellen und politischen Treffpunkt ohne Konsumzwang. Die Selbstverständnisse der Beteiligten bewegen sich zwischen den Polen „Erprobung des sozialen Miteinanders“ und „politische Bildung und Aktion“. Beide Seiten scheinen offen genug dafür zu sein, das SUB über die Differenzen hinweg als gemeinsamen Aktionsraum zu verstehen und zu leben. Die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Selbstverständnissen wurden von den interviewten AktivistInnen als fließend beschrieben. Freiheit und Freiraum erscheinen hierbei als Topoi, die in einem ständigen Aushandlungsprozess das Gemeinsame bzw. die Verständigung über die Bedeutung der gemeinsamen Praxis und einen gemeinsamen Nenner darstellen. Diese Offenheit, unterschiedliche aktivistische Selbstverständnisse zu versammeln, ist ein wichtiges Charakteristikum des SUBs. Der Freiraumgedanke stellt die Klammer dar. Insofern haben beide Lager ein politisches Selbstverständnis – nur eben ein unterschiedliches. Die weniger politisch motivierten Beteiligten würden den Raum vor allem als sozialen Treffpunkt mitgestalten und sich nicht so sehr in die politischen Aktivitäten einbringen. Marco S. schildert: „Die sind einfach da. Das sind jetzt nicht die Leute, [die] sich dahinter hauen und eine Demo organisieren oder irgendwelche Propagandatexte schreiben, sondern die beteiligen sich einfach an dem Raum, an dem Geschehen für sich und für die Leute, die da sind. Aber da geht es jetzt nicht um einen Output, da geht’s jetzt um keine revolutionären Geschichteln, sondern da geht’s ... um die eigene Entwicklung und darum, einfach einen Platz zu haben, wo man sich wohl fühlt.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 13)
Das Gestalten sozialer Räume umfasst die zwei Aspekte des sozialen Austauschs sowie des politischen Austauschs. An der Gestaltung des sozialen Raums „SUB“ auf Mirkoebene beteiligen sich alle, die in der Kerngruppe aktiv sind. Die politisierten AkteurInnen haben darüber hinaus ein Interesse an einer Gestaltung des
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sozialen Raums auf Makroebene. Dies bedeutet, sich mit Diskurs und Aktion im politischen Feld einzubringen und daran teilzuhaben bzw. Gegenöffentlichkeit herzustellen. In Marco S.’ politischem Selbstverständnis verbinden sich letztlich beide Aspekte, da in seinem Verständnis von politischer Praxis der Alltagsbezug wesentlich ist. Das SUB stellt einen Raum dar, der Teil seines Alltagslebens ist und trägt so zu einer erhöhten Lebensqualität bei. Er erklärt: „Also mir war immer lieber, so kleine Sachen, alltägliche, zu organisieren, als dass ich jetzt fett irgendetwas in die Zeitung bringe oder, weiß nicht, eine RiesenPropagandaschiene fahre ... das ist zwar auch manchmal ganz spannend, aber für mich selber hat es keine Lebensqualität eigentlich. Also das hat keine unmittelbare Auswirkung auf meinen Alltag, die brauche ich schon auch, ich muss mich damit identifizieren.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 26).
„Solidarisches Arbeiten“ und der daraus resultierende „Social Profit“20 sind für Marco S. die Motivation für sein Engagement: „Ich stecke meine Energie gerne da rein und merke auch, dass ich Energie rauskriege, einfach Unterstützung von vielen Leuten in verschiedenen Situationen.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 27) Das durch das Engagement entstehende soziale Netzwerk eröffnet, im Sinne von Bourdieus sozialem Kapital, wiederum neue Möglichkeiten. Die Zielgruppe des SUBs sei zwischen 12 und 90 Jahre alt. Die Bandbreite der BesucherInnen umfasst nicht nur Jugendliche, die „abhängen wollen“ und für die das SUB die Funktion eines Jugendzentrums21 hat, sondern auch konkrete Anfragen von externen Personen, die den Raum für Treffen oder Veranstaltungen nutzen möchten.22 Das Gros der regelmäßigen BesucherInnen und Mitwirkenden ist jedoch zwischen Anfang 20 bis Ende 30 und bewegt sich in der alternativkulturellen sowie linkspolitischen Szene. Gelegentlich würden bei Veranstaltungen auch ältere BesucherInnen kommen. Allerdings löst sich die Kategorie Publikum in Szenetreffs bis zu einem gewissen Grad auf, da die Position der/s Mitwirkenden und der BesucherInnen jederzeit wechseln kann. Das
20 Der Begriff „Social Profit“ bezeichnet die Schaffung von sozialem Mehrwert im Gegensatz oder in Abgrenzung zur Schaffung von ökonomischem Mehrwert. 21 Nina B. betont, dass jede Altersgruppe willkommen sei, wobei Jugendliche unter 16 auch im SUB keinen Alkohol konsumieren dürften. 22 Wie bspw. die Bergbauernvereinigung „Via Campesina“, die im SUB eines ihrer österreichweiten Vernetzungstreffen abhielt.
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Stammpublikum ist die Szene selbst, die sich zwischen unterschiedlichen alternativkulturellen bis linkspolitischen Räumen (z.B. Infoladen, Jugendkulturverein MARK, Kulturverein denkmal) bewegt. Zur Erreichung der Zielgruppe steht an erster Stelle die Mundpropaganda – die Informationsweitergabe in der Szene selbst und über die sozialen Netzwerke – sowie die Informationsweitergabe über das Verteilen und Auflegen der Flyer. Neben der Mundpropaganda und den Flyern sind sowohl der Blog als auch die Facebook-Seite des Vereins wesentliche Kommunikationsorgane. Hier werden Veranstaltungsankündigungen, Aufrufe zu Demonstrationen und Kommentare zu aktuellen lokalen Geschehnissen publiziert.23 1.2.3.2 Programm und Angebot Das Programm im SUB kann unter linkspolitische Kultur- und Bildungsarbeit subsumiert werden und umfasst neben den Fixpunkten – „Kinoki“, „Donner + Kafé“ sowie „Beisl“ – insbesondere Vorträge, Buchpräsentationen und Workshops. Die Workshops reichen von kreativen aktivistischen Ausdrucksformen (z.B. Streetart Stencils) bis zu diskursorientierten Workshops zwischen Theorie und politischer Praxis (z.B. Thema „Definitionsmacht“). Das Programm wird ohne lange Vorausplanung Monat für Monat kollektiv zusammengestellt. Die bei den Veranstaltungen zumeist organisierte Volxküche funktioniert nach dem „Pay as You Like“-Prinzip.24 An zwei Tagen pro Woche hat das SUB fix geöffnet: donnerstags („Donner + Kafé“) und Freitagabend („Beisl“). Das Format „Donner + Kafé“ kann als aktivistisches Pendant zu den Theorieveranstaltungen (Bücherpräsentationen, Vorträge) verstanden werden: Hier ist Zeit und Raum gegeben, um insbesondere für Aktionen im öffentlichen Raum zu „basteln“ bzw. zu
23 Veranstaltungstermine werden online auch im Veranstaltungskalender der Website „ks – kritisches Salzburg“ angekündigt sowie offline im Veranstaltungskalender der lokalen linksautonomen Zeitschrift Termit. 24 „Pay as You Like“ oder „Pay What You Want“ (PWYW) entspricht der freiwilligen Spende, deutet jedoch durch die Übernahme des Begriffs aus dem Englischen auch auf einen spezifischen sprachlichen Habitus hin, der wiederum auf die subkulturellen Bezugspunkte im englischsprachigen Raum verweist. „Pay What You Want“ (PWYW) „ist ein Preismodell, bei dem der Preis allein durch den Käufer festgelegt wird. Der Verkäufer bietet Produkte ohne Preis an und der Käufer wird gebeten, einen für ihn angemessenen Preis zu zahlen.“ (Pay What You Want – Wikipedia, http://de. wikipedia.org/wiki/Pay_What_You_Want [10.7.2014])
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konzipieren, zu planen und vorzubereiten.25 Ebenfalls zum konstanten Programm zählen regelmäßig stattfindende „Kinoki“26 – das sind Filmabende, die von einer Kleingruppe organisatorisch betreut werden. Einmal im Monat findet das „sisterresist-Kinoki“ der feministischen Gruppe „sisterresist“27 statt. Beim SUB-Beisl am Freitagabend ist die Bar geöffnet, meist wird Musik aufgelegt. Das Beisl wird als sozialer Treffpunkt für die Szene rund um das SUB selbst genutzt, und ist für Interessierte sowie für Laufpublikum eine Möglichkeit, das SUB kennenzulernen. Nach dem Prinzip „Pay as You Like“ können Getränke konsumiert werden. Gelegentlich wird auch eine Bierbank auf den Gehsteig vor das SUB gestellt.28
25 Der ursprünglich als „Basteldonnerstag“ geplante Tag konnte meist nicht so viele Leute versammeln, als dies bei organisierten Workshops der Fall war. Als Grund dafür wird zum einen die zeitliche Nähe zum tags darauf stattfindenden Beisl genannt und vermutet, dass die meisten BesucherInnen sich auf den Freitag beschränken würden; zum anderen scheint die offene Einladung zum kreativen Schaffen weniger Resonanz zu erhalten als ein konkretes Workshop-Angebot. So erfreuten sich ein Workshop für Stencils (Schablonen, die in künstlerischen wie aktivistischen Umfeldern zum Aufsprühen von Botschaften im öffentlichen Raum genutzt werden) sowie ein als „weniger politisch“ bezeichneter Glitzer-Tattoo Workshop reger Teilnahme. 26 „Kinoki“ (von russ. „kino“ + „oko“ = Kinoauge; Singular: „kinok“) ist ursprünglich der Name einer Gruppe junger Dokumentaristen um den Filmemacher Dziga Vertov. Der Gruppe ging es darum, dem Kino als illusionistischem Mittel im Dienste der Entfremdung ein Kino der Realität entgegenzusetzen (vgl. Kinoki – Lexikon der Filmbegriffe,
http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2473
[18.7.2014]). Der Begriff „Kinoki“ hat sich in der linksalternativen kulturellen Praxis für das Zeigen gesellschaftskritischer Filme etabliert. 27 Sisterresist präsentiert sich auf dem eigenen Blog wie folgt: „Wir sind [...] eine feministische Frauen*gruppe in Salzburg. Wir organisieren uns kollektiv gegen den patriarchalen Wahnsinn. Wir gehen davon aus, dass die Kategorie Geschlecht konstruiert ist und nachteilige Folgen für all jene hat, die als Frauen* gelten. Wir benutzen den Begriff Frau* als politischen Begriff, weil es dadurch möglich ist, gegen Unterdrückung, Diskriminierung, Ausschluss und Unsichtbarmachung von Frauen* zu agieren.“ (sisterresist – wir sind Frauen, wir sind viele …, http://sisterresist. wordpress.com/ [5.9.2013]) 28 Im Zusammenhang mit Veranstaltungen besteht die Problematik der Lärmbelästigung für die unmittelbaren Nachbarn. Im Allgemeinen bestehe ein guter Kontakt zu den unmittelbaren Nachbarn im Haus. Doch habe es aus der Nachbarschaft schon des Öf-
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1.2.3.3 Aktionsfelder in der Stadt: Antisexismus, Antirassismus, Antikapitalismus Die Themenfelder der politischen Arbeit in Theorie und Praxis umfassen das klassische linksautonome Repertoire von Anti-Rassismus und Anti-Faschismus über Anti-Sexismus bis hin zu einem konsumkritischen/antikapitalistischen Selbstverständnis. Es geht einerseits um eine theoretische Auseinandersetzung mit Fragestellungen, andererseits um eigene politische Arbeit in diesen Bereichen. Dabei werden Vorfälle und Geschehnisse im lokalen Stadtleben beobachtet und thematisiert sowie zum Anlass für Aktionen genommen. Es geht darum, Themen ins öffentliche Bewusstsein zu holen, die in der lokalen Öffentlichkeit der Stadt unterrepräsentiert sind oder unberücksichtigt bleiben. Als Beispiel antifaschistischer Arbeit kann hier die Informationsarbeit über die rechtsradikale Odins-Bar dienen. Das ebenfalls im Stadtteil Mülln im Frühling 2012 als „Salzburger Sportbar“ eröffnete Lokal mit dem späteren Namen „Odins Bar“ war ein Treffpunkt der rechtsradikalen Szene, worauf nicht zuletzt das einschlägige Eröffnungsdatum am 20. April hinweist. Das SUB machte bereits frühzeitig in einer Presseaussendung auf den Umstand des RechtextremenTreffpunkts aufmerksam, jedoch ohne unmittelbare Reaktion. Erst im Oktober 2012 fand dort eine Polizeirazzia statt, bei der eine Hakenkreuzfahne sowie anderes einschlägig rechtsextremes Material sichergestellt wurde.29 Im Jahr 2014
teren Beschwerden wegen Lärmbelästigung gegeben. Marco S. meint, das würde er verstehen, da bereits der Straßenverkehr recht laut sei und in der Nacht der Wunsch nach ein wenig Ruhe verständlich sei. Daher würde beim Beisl freitagabends darauf geachtet, dass sich die BesucherInnen ab elf Uhr abends nicht mehr vor dem Vereinslokal aufhalten, sondern hineingehen (vgl. Interview mit Nina B. am 31.10.2012, S. 9). Deutlich wird hierbei die Strategie der Diplomatie, nicht die der Konfrontation. 29 Eine genaue Auflistung der Fakten ist auf der von den Grünen auf Bundesebene betriebenen Website „stoppt die rechten“ zu finden: Über die „Salzburger Sportbar“ wird berichtet: „Als Betreiber der Bar tritt ausgerechnet jener Andreas Z. auf, der vor zwei Jahren versuchte, ein Konzert der Nazi-Skin-Band ,Kategorie C‘ in Henndorf zu organisieren. […] Die Hausdurchsuchung in der Vorwoche wurde wegen des Verdachts der NS-Wiederbetätigung verfügt, nachdem angezeigt wurde, dass in der Bar eine Hakenkreuz-Fahne aufgehängt ist. Offensichtlich wurde bei der Hausdurchsuchung sehr viel Material beschlagnahmt – das Lokal selbst blieb allerdings weiter geöffnet.“ (Stoppt die Rechten Blog – Salzburg: Neonazi-Treff Bar (am 2.11.2012), http://www.stopptdierechten.at/2012/11/02/salzburg-neonazi-treff-bar/ [14.5.2013])
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kam es dann zur Anklage des Lokalbetreibers.30 Sichtbar wird an diesem Beispiel, dass das SUB zu den ersten kritischen Stimmen in der Causa zählte. Antisexistische Arbeit wird insbesondere von eigenständigen Gruppen wie „sisterresist“ verfolgt. Dazu sind u.a. Aktivitäten des „Pro Choice“-Netzwerks zu nennen, das sich gegen die in den vergangenen Jahren verstärkt organisierten AbtreibungsgegnerInnen formiert hat.31 In den Bereich der Kapitalismuskritik reiht sich die gesamte Praxis von Volxküche, Beisl ohne Konsumzwang, einem angedachten Kostnixladen, den Vorträgen und Aktivitäten zu Themenfeldern wie „Gentrifizierung“, „besetzte Fabriken“, „Anarchismus als Organisationsform“ u.v.m. bis zum Theorieangebot in der Bücher- und Zeitschriftenecke ein. 1.2.4 Verortung auf der symbolischen Landkarte der Stadt Das SUB versteht sich als Teil der „politischen Landschaft“ Salzburgs – zumindest aus Marco S.’ Sicht ist die eigene Verortung eine im politischen Feld und nicht im kulturellen Feld (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 22). 32 Innerhalb der Stadt Salzburg besteht ein loser Austausch zwischen SUB und anderen Vereinen des alternativ-kulturellen bis linkspolitischen Spektrums sowie im Netzwerk „kS – kritisches Salzburg“. Das Netzwerk bzw. die Website „kS – kritisches Salzburg“33 will einen Überblick über links-alternative bis autonome aktivistische Initiativen in der Stadt geben und ist ein Versuch, sich zu koordinieren und damit Ausdruck des Wunsches, Möglichkeiten der Teilhabe und des Zugangs zur linksalternativen Szene in Salzburg zu schaffen. Unter dem Menüpunkt „aktiv werden“ ist zu lesen: „Du willst dem politischen Geschehen nicht mehr nur zusehen? Selbst etwas verändern? Gemeinsam mit anderen diskutieren und den Parteien nicht freie Hand geben? Dann wer-
30 Im Januar 2014 kam es zur rechtskräftigen Anklage gegen den 33-jährigen ehemaligen Lokalbetreiber wegen Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz sowie wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt (vgl. o.V. 2014a). 31 Jeden ersten Samstag im Monat versammeln sich die AbtreibungsgegnerInnen vor dem Salzburger Landeskrankenhaus, gleichfalls versammeln sich dort als Gegenpol „Pro Choice“-AktivistInnen. 32 In anderen Fallbeispielen ist dagegen von der „kulturellen Landschaft“ die Rede. 33 Vgl. kS – kritisches Salzburg, http://www.kritisches-salzburg.net (7.5.2013).
258 | K REATIVITÄT UND T EILHABE IN DER STADT de politisch aktiv. Selbst in einer eher kleinen Stadt wie Salzburg gibt es dazu einige Möglichkeiten...“ 34
Zentraler Bestandteil der Website ist ein Veranstaltungskalender, in den die beteiligten Initiativen ihre Termine mit dem Ziel eintragen können, zeitgleiche Veranstaltungen zu vermeiden, einen Überblick für Interessierte zu ermöglichen und eine gewisse Sichtbarkeit der Szene herzustellen. Andere angeführte Initiativen sind: „Autonome Antifas Salzburg“, „Critical Mass Salzburg“, „Grüne & Alternative StudentInnen Salzburg“, „Infoladen Salzburg“, „Kinoki: Politisches Kost-Nix-Kino“, „Mexiko-Soliarbeit aus Salzburg“.35 Das Netzwerk „kritisches Salzburg“, wurde bereits vor einigen Jahren gegründet. Zum Zustandekommen des Netzwerks meint Marco: „Es war offensichtlich notwendig, ein bisschen zu koordinieren und ist noch immer notwendig, es sind noch immer viel zu Wenige auf ‚kritisches Salzburg‘ dabei.“ (Interview mit Marco S. am 31.10.2012, S. 11) Aus seiner Sicht sollten im Netzwerk noch weitere Initiativen vertreten sein. Er nennt spontan den „kurdischen Kulturverein“, die „Bleiberechtsgruppe“ sowie die „Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen“, die seiner Meinung nach Vorträge und Veranstaltungen auch im Onlinekalender eintragen könnten. 1.2.5 Zukunftsvision: Mehr Raum Die Zukunftsvisionen der beiden interviewten AktivistInnen sind zwischen Wunsch/Utopie und konkreten Möglichkeiten angesiedelt – man wartet nicht auf das große Ganze, auf die perfekte Möglichkeit, die eigenen Träume umzusetzen, sondern gestaltet da, wo man gerade ist.
34 Die Ziele der Webseite werden wie folgt benannt: (1) „Informationen wo und wie mensch in Salzburg politisch aktiv werden kann“; (2) „Möglichst alle politischen Termine in Salzburg zu veröffentlichen“; (3) „Diskussionen und Koordination zwischen Gruppierungen und Einzelpersonen zu erleichtern“ (Vision – kS – kritisches Salzburg, http://www.kritisches-salzburg.net/content/vision [7.5.2013]). 35 Neben diesen Initiativen scheint im Veranstaltungskalender u.a. der „Chor d’accord“ mit den Terminen der Chorproben auf. Der Chor stellt dabei vielleicht ähnlich der Critical Mass ein Format dar, das auch Leute aus einem breiteren alternativ-kulturellen Umfeld zu versammeln vermag, da insbesondere die Teilnahme an einem Chor primär eine kulturelle Aktivität darstellt (auch wenn politische Lieder eine gewisse Rolle spielen).
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1.2.5.1 Zukunftsperspektive: Erweiterung des SUBs Trotz des prinzipiellen Wunsches nach einem Raumwechsel hat Marco S. die Idee, direkt nebenan ein weiteres leerstehendes Lokal anzumieten und so den Straßenzug weiter zu beleben. Der neue Raum sollte „rauchfrei und partyfrei“ sein und das Bildungsangebot sollte im Vordergrund stehen. Mehr Raum würde eine solche Trennung für unterschiedliche Nutzungen ermöglichen. Zum Zeitpunkt des Interviews (November 2012) ist er mit dem Eigentümer im Gespräch.36 Das angrenzende leerstehende Gassenlokal ist etwas kleiner als das SUB, dadurch wäre es eher für kleine Gruppen und nicht für große Veranstaltungen geeignet (vgl. Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 4). Einen Namen für den neuen Raum gebe es bereits: „Müllner Neuner“ – der Name bezeichnet die neun Nutzungsideen für den neuen Raum. Den Wünschen einen Namen zu geben erscheint dabei als erster Schritt sie in die Realität zu holen. Die Benennung und Namensgebung kann insofern als „magischer“ Akt, „magisches Handeln“ verstanden werden der Wunsch nimmt dadurch bereits Form an und wird ein Stück weit Wirklichkeit. Marco S. hat beim Interview bereits konkrete Notizen dabei und eine Liste an Interessenten, die am Raum eventuell mitwirken könnten.37 Folgenden Nutzungsideen wurden angedacht: (1) ein Lernraum für SchülerInnen, StudentInnen, Lehrlinge und „andere Menschen, die etwas lernen wollen“, (2) eine kleine Bibliothek mit Ausleihmöglichkeit, wobei das Vor-Ort-Lesen „mit Kaffee und Kuchen“ vorgezogen wird, (3) zwei bis drei PCs oder Laptops mit Internetzugang, (4) eine gemütliche gemeinschaftliche Lern- und Lebensatmosphäre, (5) eine Kinderecke sowie eventuell Zeiten für Kinderbetreuung38, (6) eine Kostnixecke39
36 Im Juni 2013 gibt es noch keinen Mietvertrag und die geplanten Sanierungsarbeiten der neuen Arbeiten haben noch nicht stattgefunden. 37 Auch ich werde von Marco S. eingeladen mich bei Interesse mit Ideen für den Raum einzubringen. Ich freute mich über die Einladung, da sie für mich Ausdruck einer basisdemokratischen Einstellung ist – und es weniger um die Interviewsituation im Rahmen meiner Forschung als um ein gemeinsames Interesse an der Sache ging. Die Einladung zur direkten Mitarbeit bedeutet, auf einer gleichberechtigten Ebene angesprochen zu werden. Ähnlich war dies bei den Interviews zu den Initiativen „offene Werkstatt“, „Craftivism“, „blattform – eine stadt ein garten“ sowie dem Kulturverein „denkmal“. 38 Der Gedanke einer Kinderecke bedeutet für Marco S. gleichzeitig, den Raum „rauchfrei“ und „partyfrei“, also kindergerecht, zu gestalten.
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(„von Büchern über Musik, bis hin zu Kleidung – was man nicht mehr braucht, kann sich wer anderer nehmen“), (7) ein Raum für Seminare und Plenen unterschiedlicher Gruppen und NGOs, (8) ein Raum für diverse Kurse wie zum Beispiel Sprachkurse oder Nachhilfestunden, (9) ein Raum für Vorträge, Diskussionsveranstaltungen und Infoabende. Der Müllner Neuner soll durch die Zurverfügungstellung räumlicher und infrastruktureller Ressourcen zur freien Nutzung ein bildungspolitischer Freiraum werden. Vorab zu klären sei aber die Finanzierung, für die Marco S. zwei Wege sieht – entweder mit Hilfe von „Privatförderungen durch Spenden, TeilnehmerInnen, GönnerInnen“ oder durch „institutionelle Förderungen über Ö[sterreichische] H[ochschülerInnenschaft] oder Stadt, Land“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 7). Der „springende Punkt“ sei laut Marco S. die Kostenhöhe für die Arbeitsplatzbenützung. Er meint schmunzelnd: „Weil, wenn das teuer ist, dann kannst [du] dich eh überall einmieten.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 5) 1.2.5.2 Zukunftsperspektive: Der Traum vom idealen Raum Für die Zukunft wünschen sich beide InterviewpartnerInnen einen „anderen Raum“ an einem neuen Standort. Die Feuchtigkeit ist der Hauptgrund für den Wunsch (aller Beteiligten), möglichst andere Räumlichkeiten zu finden. Die Schwierigkeit, einen kostengünstigen Raum zu finden, der dennoch den Anforderungen der Zentrumsnähe und guten Erreichbarkeit entspricht, zeigt sich deutlich. Die AktivistInnen schätzen sich wegen der günstigen Bedingungen des jetzigen Raums glücklich, auch wenn er nicht so ganz ihren Vorstellungen entspricht bzw. konkrete Mängel aufweist. Auf meine Frage, was denn der ideale Raum wäre, betonen beide InterviewparnterInnen von Neuem, hier ihre individuellen Meinungen zu äußern und nicht für das SUB zu sprechen. Sie betonen also die Selbstrepräsentation: Mehr Platz steht bei Marco S. ganz oben auf der Wunschliste, denn dies würde unterschiedliche parallele Nutzungen ermöglichen. Derzeit finde alles auf sehr kleinem Raum statt, wobei die gleichzeitige Nutzung als „Beisl“ sowie die Grundfeuchtigkeit andere Nutzungen beeinträch-
39 Das Prinzip „Kostnix-Laden“ ist Teil konsumkritischer Alltagspraxen. Dabei bewegt sich die Praxis zwischen politischem Statement und alternativkulturellem Lebensstil. Kostnix-Läden sind oft in autonomen Kulturzentren angesiedelt. Sie stellen nicht primär ein Angebot für soziale Randgruppen dar, sondern verstehen die Recycling-Praxis als konsumkritische Alltagspraxis bzw. wollen diese als allgemeine Praxis und nicht als eine durch Not bestimmte Überlebensstrategie etablieren.
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tigen. Sein Traum wäre ein größerer und hellerer Raum sowie mehr Holz und ein Garten. Ihm schwebt u.a. vor, Projekte in Richtung „Urban gardening“ oder „Gemeinschaftsgarten“ umzusetzen (vgl. Interview mit Marco S. am 31.10.2012, S. 14). Die Idee des Gartens gefällt auch Nina B., denn dann könnte das Gemüse für die „Volxküche“ selbst angebaut werden. Dabei scheint „Selbstversorgung“ als Erweiterung von „Selbstorganisation“ und „Selbstverwaltung“ als gelebte Basisdemokratie am Horizont des Imaginären auf. Der Wunsch nach einer „funktionierenden Heizung“ erscheint vergleichsweise bescheiden und pragmatisch (vgl. Interview mit Nina B. am 21.10.2012, S. 14). Die Vision eines idealen Raums für ein selbstverwaltetes soziales Zentrum ist für Marco S. von seinen Erfahrungen und Eindrücken aus selbstorganisierten Projekten und Räumen in Griechenland/Athen geprägt, wo er 2011 vier Monate verbrachte: „Also das Schönste, was ich gesehen habe, war eine riesige Villa auf einem Hügel mit Palmen davor und extrem schön hergerichtet alles und Kinder und alte Leute und halt alle, aber es ist ein besetztes Haus. [...] Ein soziales Zentrum, also es wohnt niemand dort ... Aber das gehört einfach der Gemeinschaft jetzt dort ... also da gibt’s Treffen von jedem [Stadt-]Viertel und dieses Plenum hat das Haus besetzt.“ (Interview mit Marco S. am 31.10.2012, S. 15)40
Die in Griechenland während der Finanzkrise entstandenen basisdemokratischen Strukturen der Selbstorganisation auf Stadtteilebene sind für Marco S. Sinnbild einer gelebten Utopie. Eine breite Basis an StadtbewohnerInnen lebt dort eine basisdemokratische Selbstorganisation, in welcher Raumaneignung als wichtiger Teil figuriert – kollektives Leben braucht Raum. Das Faktum verweist allerdings auch auf eine breite linkspolitische Bewegung, wie es sie in Salzburg/Österreich derzeit nicht gibt und insofern auch die Basis für eine breiter gelebte Utopie fehlt. Der Traum vom idealen Raum inkludiert auch für Marco S. eine breitere gesellschaftliche Basis für die Umsetzung eines größeren sozialen Zentrums mit durchmischten NutzerInnen. Als wichtig erachtet er insbesondere die generationenübergreifende Zusammensetzung – von Kindern bis älteren Menschen – sowie den Aspekt des Raums, der nicht undergroundmäßig oder subkulturell wirkt, sondern gepflegt und damit niederschwellig, einladend für die Allgemeinheit. Das impliziert, dass ein Raum mehr bieten muss, als dies beim SUB derzeit der
40 Zu den während der Wirtschaftskrise in Griechenland entstandenen Strukturen der Selbstorganisation zählten u.a. die basisdemokratischen Stadtteilkomitees.
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Fall ist, um mehr Zulauf und eine durchmischtere soziale Zusammensetzung der BesucherInnen und NutzerInnen zu erreichen. Um mehr Zulauf zu erhalten, sei zudem mehr Werbung notwendig. Doch fehlt es, wie so oft in aktivistischen oder ehrenamtlichen Initiativen, an zeitlichen und energetischen Ressourcen, um neben dem Betreiben des SUBs auch das Bewerben mit stärkerem Einsatz zu bewerkstelligen. So gäbe es durchaus Verbesserungspotenziale in Bezug auf die Bekanntmachung der Initiative und ihre Inhalte. Marco S. erklärt dazu: „Mir würden hunderttausend Sachen einfallen, die man besser machen kann. Aber wenn einfach keine Energie grad da ist, von irgendwem oder so, dann steht das Ding halt auch. Also das ist schon auch immer so ein Auf- und Abprozess ... Und das zeigt halt einfach das, dass direkt die Leute, die drinnen arbeiten, die sind das SUB ... Also davon lebt das Ding – und sonst lebt es halt nicht.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 26f.)
Als Ziel für Salzburg wünscht sich Marco S. die Vermehrung selbstorganisierter Räume: „Was super wichtig wäre? Dass es mehr Leute werden, die sich selber organisieren, und dass lauter solche kleinen Räume entstehen, wie das SUB und solche Geschichten.“ (Interview mit Marco S. am 16.11.2012, S. 26) Mit John Holloway kann dabei von Rissen gesprochen werden, die das Gewebe der Macht an multiplen Stellen aufbrechen. 1.2.6 Analyse SUB: Der Traum vom Raum Der Freiraumgedanke ist als politisches Selbstverständnis ein zutiefst kommunitärer Gedanke, dem der Wunsch nach Teilhabe an einer emanzipierten Gesellschaft zugrunde liegt. Innerhalb des Gefüges der Stadt Salzburg stellt das SUB als linksalternative Initiative einen wichtigen Akteur in der Herstellung lokaler Gegenöffentlichkeit dar. Bezugnehmend auf internationale und globale Entwicklungen, Zusammenhänge und Diskurse, kommentieren die dort aktiven AkteurInnen kritisch das lokale politische Geschehen und greifen durch ihre Praxis (im öffentlichen Raum) ins Stadtgeschehen ein. Selbstorganisiert ist das SUB ein Ort der Vernetzung für kritische Reflexion, Theorie und Praxis. Dabei spielen der Freiraumgedanke und der Anspruch, offenen Zugang zum Raum zu gewährleisten, zentrale Rollen: Das Betreiben eines Raums ermöglicht das Zusammentreffen von Menschen sowie den Austausch von Informationen, und dient der sozialen und politischen Netzwerkbildung sowie dem Erproben alternativer Alltagspraxen. Wesentliches Merkmal des Sozialen Raums im SUB ist, dass es Raum zur Selbstverwirklichung gibt und dieser als Lernraum für ein anderes soziales Miteinander dient. Die Offenheit nach au-
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ßen gestaltet sich parallel zur Offenheit nach innen. Je nachdem, wer willkommen ist mitzumachen, ist auch als Gast bzw. BesucherIn willkommen – es ist ein stetiger Aushandlungsprozess zwischen den Polen Offenheit und Dogmatismus, je nach den sich einbringenden AkteurInnen. Das Experimentieren und Ausprobieren neuer/anderer sozialer Beziehungen impliziert das Ausprobieren einer „anderen Welt“, im Sinne einer politischen Utopie. Der Aspekt des gemeinsamen Tätigseins im SUB führt zugleich dazu „zusammenzufinden“, also sich als zusammengehörig zu erleben und etwas zu teilen – darin scheint das auf, was Rancière als „die Aufteilung des Sinnlichen“ bezeichnet, nämlich die Bedingungen, die in einem sozialen Raum festlegen, wer sprechen darf, wer gehört und gesehen wird. Dieses Aushandeln von etwas Gemeinsamem trifft wiederum auf Rancières Überlegungen der Herstellung der Bedingungen von Teilhabe zu. Freiheit und Freiraum erscheinen hierbei als Topoi, deren Bedeutung in der gemeinsamen Praxis stetig ausverhandelt wird und die als gemeinsamer Nenner aufscheinen. 1.2.6.1 Die Selbsterzählung: wiederkehrende Motive „Widerstand“ und „Raum-Suche“ Die Selbsterzählung, also die Narration, die von den handelnden AkteurInnen über sich selbst und ihr Tun geschaffen wird, ist wesentlich für ein Verstehen ihres jeweiligen (politischen, künstlerischen, kulturellen) Selbstverständnisses. Wie wird die eigene Geschichte erzählt? Welche Motive spielen dabei eine Rolle? In der Selbsterzählung des SUBs erwähnt Marco S. recht bald die Angriffe durch Rechtsextreme und die versuchte Hausdruchsuchung durch die Polizei sowie die in weiterer Folge stattfindende Finanzprüfung, die als ein weiterer Angriff erlebt wird. In der Narration erscheint also die Selbstverteidigung gegen Angriffe als zentral. So stellt sich die Selbsterzählung von Beginn an durchwegs als Erzählung des Widerstandes dar.41 Als zweites zentrales Motiv der Narration erscheint die „Raum-Suche“. Hierbei zeichnet sich die individuelle Geschichte von Marco S. ab: Seine Suche nach einem Raum für politische Selbstorganisation begann bereits vor zehn Jah-
41 „Selbstwahrnehmung“, „Selbstdarstellung“ und „Selbsterzählung“ sind dabei als fortlaufender Prozess in Abgrenzung zum Begriff der „Selbsthistorisierung“ zu verstehen, der auf begrifflicher Ebene etwas Abschließendes inkludiert. „Selbsthistorisierung“ trifft eher auf diejenigen Initiativen zu, die sich explizit mit Geschichte befassen, wie das bspw. beim Film „up to nothing“ (2011) in Bezug auf die Arge-RainbergBewegung der Fall ist.
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ren mit dem selbstorganisierten Jugendtreff RAUM, in dem er jedoch seinen politischen Anspruch noch nicht verwirklichen konnte bzw. sich dieser erst entwickeln sollte. Das SUB sollte schon mehr seinen Vorstellungen von einer inhaltlichen Profilierung und politischer Arbeit neben der Funktion eines selbstorganisierten sozialen Treffpunktes entsprechen. Doch sieht er in den derzeitigen räumlichen Verhältnissen (physischer Raum) seinen Träumen weiterhin Grenzen gesetzt. Daher geht die Suche weiter: „Wir suchen schon ewig. Es ist, wie gesagt, seit zehn Jahren: Suche. Du erreichst halt nie einen Optimalzustand.“ (Interview mit Marco S. am 31.10.2012, S. 13) Die Suche nach einem „Optimalzustand“ kann dabei zweifach verstanden werden: Einerseits gibt es Räume, die jedoch nicht zugänglich sind – aufgrund des fehlenden ökonomischen, sozialen und symbolischen Kapitals. Andererseits kann die Aussage über die Raum-Suche auch als Grundhaltung der Suche nach einem „besseren Leben“, als Teil einer anarchistischen Utopie verstanden oder gedeutet werden. Dabei ist die Idee eines Optimalzustandes die Utopie, die einen vorantreibt, die jedoch nicht erreicht werden muss/kann. Der Traum vom Raum ist beim SUB Teil einer größeren gesellschaftlichen Utopie. Der Raum ist ein Fragment einer größeren Collage-Utopie. Die Suche geht weiter, um den Traum immer konkreter umzusetzen. Die beiden Motive „Widerstand“ und „RaumSuche“ stehen jedenfalls für den Kampf um Existenzberechtigung. Dieser ist auch in den anderen Initiativen (Fallbeispielen), jeweils unter etwas anderen Vorzeichen, Thema.
2. Künstlerisch-imaginatives Tätigsein – partizipative Strukturen auf Stadtteilebene und Zwischennutzung
Als ich mich in Salzburg auf die Suche nach aktuellen partizipativen Kunstprojekten auf Stadtteilebene machte, stieß ich indes auf Projektdokumentationen zum Themenfeld „Kunst und Stadt“, die in den letzten rund 15 Jahren stattgefunden hatten. Diese versuchten auf unterschiedliche Weise Diskurse über das Leben in der Stadt sowie über künstlerische Interventionen im urbanen Raum Salzburgs zu fördern. Die Projekte umfassten dabei das Spannungsfeld von „Kunst im öffentlichen Raum“ bis zur „Kunst im öffentlichen Interesse“. 1 Ein Abriss zu diesen temporären Projekten schafft einen narrativen Kontext als Einleitung zu den beiden folgenden Fallbeispielen, die als künstlerische Initiativen jeweils unterschiedliche partizipative Strukturen auf Stadtteilebene durch temporäre Raumaneignung schaffen. „Kunst im öffentlichen Raum“ ist in Salzburg ein kontroversielles Thema. Ab 2002 ermöglichte die Salzburg Foundation für rund zehn Jahre die Errichtung unterschiedlicher Kunstwerke im öffentlichen Raum, die immer wieder zu Kontroversen führten.2 Auch das 2006 im Rahmen des Mozartjahres stattfindende Festival „kontracom“, das Kunst im öffentlichen Raum zum Thema machte, stieß insbesondere durch zwei Projekte auf heftige Ablehnung: ein auf den Ro-
1
Für eine differenzierte Betrachtung zu Kunst im urbanen Lebensraum siehe Lewitzky (2005) bzw. hier das Kapitel „Kunst und Leben – Kunst und Stadt“ (S. 169-174).
2
Besondere Aufregung verursachte der 2003 realisierte „Arc de Triomphe“der KünstlerInnengruppe Gelitin, der nach heftigen Debatten kurzerhand wieder abgebaut wurde (vgl. Amanshauser 2008).
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torblättern liegender Hubschrauber auf dem Residenzplatz von Paola Pivi 3 sowie das von Christoph Büchel initiierte Projekt „Salzburg bleib frei“, in dessen Rahmen der Künstler eine Unterschriftenliste für ein Bürgerbegehren gegen Kunst im öffentlichen Raum startete und dabei erfolgreich Unterstützungserklärungen sammelte (vgl. Fraueneder 2008: 30).4 Diese Kontroversen verweisen auf eine für Salzburg symptomatisch erscheinende geringe Offenheit für Experimentelles und insbesondere für Kritik am Bestehenden. Wie Büchels Projekt zeigt sind die Übergänge von „Kunst im öffenlichen Raum“ und „Kunst im öffentlichen Interesse“ fließend. Für den Bereich „Kunst im öffentlichen Interesse“, die sich stärker an der Stadt als sozialem Raum orientiert, und künstlerischen Praxen, die sich als darin eingreifende verstehen, sind mehrere Projekte der freien Kunstinstitutionen und der freien Szene zu nennen, in denen das Thema Raumnutzung und Verfügungsmacht über Raum relevant ist. Dem Projektcharakter geschuldet, blieb das Erschaffen partizipativer Räume dabei zeitlich beschränkt. Die im Folgen skizzierten partizipativen Kunstprojekte auf Stadtteilebene in Salzburg – mit einem Fokus auf die Nutzung von Leerständen stellen ein narratives Bezugsfeld für die eingreifenden Praxen der beiden Fallbeispiele „artforum“ und „grandhotel“ her: Bereits 1996 wurde von der KünstlerInnengruppe Wochenklausur auf Einladung des Salzburger Kunstvereins das Projekt „Verbesserung der Schubhaftbedingungen“5 realisiert, das als konkreter Eingriff in den sozialen Raum der Stadt Salzburg verstanden werden kann. Wochenklausur war zudem eine der ersten KünstlerInnengruppen in Österreich, die das gesellschaftliche Eingreifen als Kunst propagierte. Eines der ersten Projekte in Salzburg, das sich in größerem Umfang mit dem Thema Kunst und Stadt beschäftigte, war das zweijährige Projekt „Public Space/Öffentlicher Raum – Salzburg Lehen“ (1997/98). Weitere Projekte von Salzburgs freien Kunstinstitutionen zum The-
3
Ausführlich dazu inklusive Abdruck der originalen Zeitungsartikel siehe (Wagner 2008).
4
Ein von der Galerie 5020 und dem Museum der Moderne veranstaltetes Symposium mit dem Titel „Amadeus steht Kopf. Kunst und Öffentlichkeit“ (Juli 2006) wollte den kontroversiellen Debatten in den Massenmedien einen kritischen Diskurs gegenüberstellen. Vgl. die Publikation zum Symposium (Fraueneder/Stoss 2008).
5
In einem Zeitraum von acht Wochen realisierte Wochenklausur im Salzburger Polizeigefangenenhaus eine Beratungsstelle für Schubhäftlinge für soziale und rechtliche Fragen (vgl. Wochenklausur, http://www.wochenklausur.at/projekte/06p_kurz_dt.htm [11.4.2013]).
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menfeld Kunst und Stadt waren die internationalen Projekte „Trichtlinnburg“ unter Beteiligung des Salzburger Kunstvereins im Jahr 2005 sowie „Urban Potentials“ unter Beteiligung der Galerie 5020 im Jahr 2007. Im Projekt „Public Space/Öffentlicher Raum – Salzburg Lehen“ (1997/98) wirkten fünf Salzburger Kunstinstitutionen – Galerie Fotohof, Galerie 5020, Initiative Architektur, Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst und Salzburger Kunstverein – zusammen.6 Alle künstlerischen Projekte konzentrierten sich auf den Stadtteil Lehen und wurden nicht über die gesamte Stadt verstreut umgesetzt, um so einerseits verschiedene künstlerische Positionen in räumlicher Nähe zueinander zu präsentieren und die Zusammenschau zu erleichtern sowie andererseits eine gebündelte Interaktion vor Ort zu ermöglichen (vgl. Amanshauser 1998: 7). Insbesondere zwei Projekte beschäftigten sich mit der Raumaneignung leerstehender Geschäftslokale: zum einen das „Institut für soziale Wärme“ von Kai Kuss, dessen Ziel es war, Jugendlichen für den Projektzeitraum „eine Realisationsmöglichkeit für ihre kulturellen Aktivitäten [zu] bieten“ (Kuss 1998: 86) sowie zum anderen Andreas Siekmanns Projekt „4 Passagen für die Ignatz-Harrer-Straße“, das sich mit 15 leerstehenden Geschäftslokalen sowie den Diskursen rund um die Angst vor Abstieg und Stigmatisierung des Stadtteils beschäftigte (vgl. Siekmann 1998: 132-137). Sieben Jahre später regte die damalige Leiterin des Kunstvereins Hildegund Amanshauser das Projekt „Trichtlinnburg“ (2005) an, das erneut das Verhältnis von Kunst und Stadtraum zum Thema machte und in Maastricht, Tallinn, und Salzburg stattfinden sollte.7 Das Projekt thematisierte den in allen drei Städten bestehenden Massentourismus in Verbindung mit den historisch bedeutenden Innenstädten und der Frage nach der Erhaltung des kulturellen Erbes, dessen Kommerzialisierung und der Stadt als Lebensraum. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche Rolle zeitgenössische Kunst im Diskurs um Öffentlichkeit und den öffentlichen Raum zu spielen vermag (vgl. Amanshauser/Pedanik/Sachs 2005: 19). Der Schwerpunkt lag auf der bildenden Kunst, doch wurden Musik, Performance, Straßentheater, Urbanismus und Architektur miteinbezogen. Raumaneignung durch temporäre Leerstandsnutzung wurde in zwei der Salzburger Projekte aufgegriffen: „Wunschfreischaltung schlüsselfertig“ von transparadiso machte für den Projektzeitraum leerstehende Geschäftslokale in der Erdge-
6
Das Projekt wurde vom ERSTE-Salzburger-Sparkasse-Kulturfonds gefördert.
7
Der Projekttitel setzt sich aus den Schlusssilben der drei Städtenamen Maastricht, Tallinn und Salzburg zusammen. Vgl. die Publikation zum Projekt (Amanshauser/Pedanik/Sachs 2005).
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schoßzone der Salzburger Innenstadt zugänglich. Die Leerstände wurden in auffälliger Weise tapeziert und sichtbar gemacht sowie in einem eigenen Stadtplan markiert. Interessierte konnten sich den Schlüssel holen und die Lokalitäten besichtigen sowie für den Projektzeitraum bespielen (vgl. Hauffen 2005: 98). Mit der problematischen Immobiliensituation in der Salzburger Altstadt und der Verfügungsmacht über den physischen und symbolischen Raum befasste sich ein weiteres Projekt, das eine fiktive Filiale der Baumarktkette „bauMax-x“ in der Salzburger Altstadt eröffnete und dabei auf die Vermarktung von Kunst und Innenstadt aufmerksam machte sowie eine Do-it-yourself-Aufarbeitung der Heimatgeschichte anregen wollte (vgl. ebd.: 104f.). Im Jahr 2007 sollte dann das Projekt „Urban Potentials. Perspektiven europäischer Stadträume in gegenwärtiger Kunst“ dezidiert das Eingreifen in den Stadtraum durch künstlerische Interventionen fokussieren.8 Sowohl KünstlerInnen als auch TheoretikerInnen beschäftigten sich mit Entwürfen, Perspektiven und Visionen zur Entwicklung städtischer Gemeinwesen in Mitteleuropa. Dabei sollte es um Brachen im städtischen Raum gehen – wobei mit „Brachen“ neben ungenutzten Flächen und Gebäuden auch „ungenutzte menschliche und gemeinschaftliche Ressourcen“ gemeint waren.9 Der Großteil der Projekte diente nicht der Darstellung, sondern der „Herstellung von Situationen als spezifische öffentliche Räume“ sowie den immer wieder neuen Konfigurationen von Räumen der Auseinandersetzung und somit dem Eingreifen in den sozialen Raum der Stadt (vgl. Fraueneder 2008: 31). Im Rahmen von „Urban Potentials“ wurde u.a. das Projekt „Urban Professional Services – Fit für urbanes Leben“ realisiert, das ein leerstehendes Geschäftslokal im Stadtteil Itzling bespielte und rückblickend als Vorläufer oder Probedurchgang der Reihe „Vorstadt vor Ort“10 der Künstlergruppe ohnetitel gesehen werden kann.11 Der Aspekt der Narration von Stadt
8
An dem EU-geförderten Kooperationsprojekt waren neben der Galerie 5020 in Salzburg, vier weitere Kunstinstitutionen aus verschiedenen europäischen Städten beteiligt: „Studio junger bildender Künstler“ aus Budapest, „Kunsthaus Dresden“ aus Dresden, „TENT.“ aus Rotterdam und „Galerie Awangarda“ aus Wrocław.
9
Vgl. Urban Potentials, http://www.urbanpotentials.org/idee.htm (6.02.2013).
10 Zur Projektreihe „Vorstadt vor Ort“, siehe das Fallbeispiel „grandhotel itzling“ in dieser Arbeit (S. 294-336). 11 Das Projekt fand im August 2007 an zwei Nachmittagen statt und wurde von Dorit Ehlers, Erik Hable, Fritz Rücker und Roland Kretzl geleitet (vgl. Galerie 5020, http://www.galerie5020.at/programm/ausstellungen/2007/urban_potentials_0607/upss bg_more.htm [18.3.2011]).
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kam in dem Projekt von Maria Zoitl und Ralf Hoedt zum Tragen: Sie produzierten einen Stadtplan Salzburgs mit einem begleitenden Booklet, das individuelle Erzählungen und Orte von StadtbewohnerInnen Salzburgs versammelte (vgl. Zoitl/Hoedt 2008). Im Rahmen von Urban Potentials treten auch zwei junge künstlerische Initiativen in Erscheinung, die ein Jahr zuvor gegründet wurden: „periscope“ und „White Club“. Beide Initiativen sind als selbstorganisierte Strukturen junger professioneller KünstlerInnen zu betrachten. Im Rahmen von Urban Potentials veranstaltete periscope in Kooperation mit dem Künstler Erik Hable, unter dem Titel „Geschmacksverstärker. Sunday soup & talk“, sechs kulinarisch begleitete Gesprächsrunden zu Themen der bildenden Kunst (vgl. Hable/periscope2008: 236-239). White Club realisierte im Rahmen von Urban Potentials das Projekt „Wir gehen auf Reisen“: Dabei sollte es einerseits um die temporäre Adaptierung leerstehender Gewerbeflächen gehen und andererseits um den Austausch und Dialog mit anderen „Offspace-Organisationen“ in den Partnerstädten (vgl. White Club 2008: 241). Als Motivation, periscope zu starten, nennen die InitiatorInnen neben dem Wunsch, einen Ausstellungsraum selbstbestimmt zu gestalten, den Aspekt andere junge KünstlerInnen (durch die Möglichkeit des Ausstellens) zu fördern. Seit seiner Gründung 2006 ist periscope mittlerweile zu einem fixen Bestandteil der symbolischen Landkarte des Feldes bildender Kunst in Salzburg geworden. Die Initiative White Club realisierte von 2006 bis 2009 unterschiedliche künstlerische Projekte und bespielte vier Mal leerstehende Gebäude temporär mit Ausstellungen.12 Als selbstorganisierte Ausstellungsräume für junge KünstlerInnen trugen sowohl periscope als auch White Club (mit der temporären Bespielung von Leerständen) dazu bei, dass sich eine sichtbare Szene junger bildender Kunst unabhängig von den bestehenden Kunstinstitutionen der Stadt konstituieren konnte. Gerade in Bezug auf das Fallbeispiel „artforum“ erscheint mir ihre Erwähnung von Interesse. Denn während das artforum darauf zielte, Raum für „Kunst und Kultur von allen und für alle“ zu schaffen und Stadtteilkultur als Gegenpol zur Hochkultur zu fördern, ging es den jungen KünstlerInnen um eine Veränderungen ihres eigenen Feldes, jenem der bildenden Kunst. Dem Spannungsfeld
12 Vgl. Projektdokumentation auf der Website der Initiative (vgl. Untitled Document, http://www.whiteclub.at/review.htm [10.9.2012]). Durch den Wegzug der Mitglieder von White Club in unterschiedliche Städte löste sich die Initiative mittlerweile jedoch weitgehend auf.
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von selbstorganisierten Strukturen und partizipativen Strukturen der Kulturarbeit, bezugnehmend auf das Kunstfeld, wird in den folgenden beiden Fallbeispielen „artforum“ und „grandhotel itzling“ nachgegangen und dieses sichtbar gemacht.
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2.1 V OM „ ARTFORUM L EHEN “ „ ARTFORUM S ALZBURG “
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ZUM
In Gesprächen mit AkteurInnen der Szene bildender Kunst in Salzburg kam gelegentlich das „artforum“ zu Zeiten des Stadtwerkehochhauses zur Sprache: ein Hochhaus voller Ateliers, worüber ich mehr erfahren wollte. Das artforum interessiert mich als Versuch, niederschwelligen Raum für Kunstproduktion und Kulturvermittlung auf Stadtteilebene zu schaffen. U.a. zeigt das Fallbeispiel, was möglich ist, wenn Raum kostengünstig zur Verfügung gestellt wird, und wie ein lebendiges Projekt kultureller Basisversorgung und Selbstorganisation mehr oder minder zugrunde gehen kann, wenn von politischer Seite keine Perspektiven für die Zeit nach der Zwischennutzung entwickelt werden und wenn die innere Struktur und inhaltliche Perspektivierung eine aktivistische Mobilisierung weitgehend ausschließen. Die Zeit im Hochhaus scheint bisweilen von aktiv Involvierten idealisiert zu werden und es besteht ein gewisser Mythos rund um das Stadtwerkehochhaus. Welchem Traum oder Wunsch hängen die ErzählerInnen nach? Unabhängig davon, wie das Hochhaus tatsächlich war, werden in den Erzählungen Wunschbilder von Möglichkeitsräumen an den Mythos gekoppelt – diese abzubilden und nachzuvollziehen erscheint mir im Kontext vorliegender Arbeit sinnvoll.1 Vorweg möchte ich vorausschicken, dass die zentralen Akteure im Verein „artforum“ keineswegs einer alternativkulturellen Szene zuzurechnen waren, jedoch das Ansinnen der Schaffung von Raum für „Kunst und Kultur von allen“ sehr wohl eine Schnittmenge zur historisch verfolgten Linie in der Gegenwart darstellt. InterviewpartnerInnen Helgard Ahr ist zum Zeitpunkt des Interviews im Oktober 2011 kurz vor ihrem 70. Geburtstag. Ursprünglich kommt sie aus Vorarlberg, doch lebt sie seit rund
1
Als Quellenmaterial zur Ausarbeitung des Fallbeispiels dienten neben den Interviews mit Helgard Ahr (24.10.2011), Ernst Flatscher (18.1.2012), Anna T. (anonymisiert, 17.7.2012) und Anton F. (anonymisiert, 11.7.2012) Vereinsunterlagen und Zeitungsartikel aus dem Privatarchiv von Helgard Ahr, das private Fotoarchiv von Anton F., eigene Fotos des neuen Vereinslokals sowie Feldtagebucheinträge von Ausstellungsbesuchen. Zum Teil wurden mir die InterviewpartnerInnen von einem Bekannten vermittelt, zum Teil waren sie mir selbst aus der Szene bildender Kunst bekannt, zum Teil wurde ich weitergeleitet.
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40 Jahren in Salzburg. Beruflich war sie als Sekretärin in größeren Firmen tätig. Zum artforum war sie relativ bald nach der Vereinsgründung gestoßen, wurde Mitglied sowie in der Folge über einen längeren Zeitraum Schriftführerin des Vereins. Künstlerisch hat sie sich auf den Bereich Porzellanmalerei spezialisiert. Das Interview fand am 24.10.2011 statt. Ernst Flatscher ist zum Zeitpunkt des Interviews im Januar 2012 ca. Anfang 70. Er ist Geschäftsmann und ehemaliger ÖVP-Gemeinderat sowie Initiator und späterer Obmann des Vereins „artforum Salzburg“ sowie Mit-Initiator der Vereine „Lehener Sozialflohmarkt“ und „Salzburger Wärmestube“. Er war viele Jahre Geschäftsführer des Textilhauses Thalhammer in der Salzburger Innenstadt sowie Geschäftsführer unterschiedlicher Kaufhäuser in Österreich und Deutschland. Ernst Flatscher kann als liberaler und humanistischer konservativer Politiker der alten Schule bezeichnet werden, der durchaus in seiner Partei aneckte und der aufgrund seiner engagierten Position im politischen Stadtgefüge kulturelle und soziale Transformationen bewerkstelligen konnte. Er ist ein grandioser Erzähler und ich bemerkte, wie gerne ich mich von seiner jovialen Art einnehmen und von seiner Rede überzeugen ließ.2 Das Interview fand am 18.1.2012 im Vereinslokal des artforums statt. Anton F. (anonymisiert) ist ca. Ende 30 und in Salzburg aufgewachsen. Er studierte Bildnerische Erziehung und Werkerziehung an der Universität Mozarteum und ist heute sowohl künstlerisch als auch lehrend tätig. Rund eineinhalb Jahre war er Mitglied im Verein artforum und mietete gemeinsam mit einer Studienkollegin ein Atelier im Hochhaus. Das Interview fand am 11.7.2012 statt. Anna T. (anonymisiert) ist ca. 30 Jahre alt und in Salzburg aufgewachsen. Sie war rund ein Jahr Mitglied des artforums am neuen Standort (2010/2011). Ursprünglich hatte sie eine kaufmännische Lehre abgeschlossen und beschloss nach einigen Jahren in der Privatwirtschaft, im zweiten Bildungsweg Bildnerische Erziehung sowie Textiles Gestalten an der Universität Mozarteum zu studieren. Das Interview fand am 17.07.2012 statt.
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Umso wichtiger war es im Sinne einer quellenkritischen Perspektive weitere Perspektiven zum artforum zu sammeln, um die „überzeugende Rede“ relativieren zu können.
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2.1.1 Entstehungsgeschichte des artforums Das „artforum Lehen“, das mittlerweile in „artforum Salzburg“ umbenannt wurde, wurde vom ehemaligen ÖVP-Gemeinderat Ernst Flatscher 2003 ins Leben gerufen (vgl. o.V. o. J.a). Als Gemeinderat und gebürtiger Lehener wollte er das Image seines Herkunftsstadtteils verbessern – er sah politischen Handlungsbedarf in den Bereichen Kultur und Soziales. Der Stadtteil Lehen galt lange Zeit als Scherbenviertel. Über die Vorurteile sowie die politische Vernachlässigung des Stadtteils Lehen meint Ernst Flatscher: „Die Altstadt war etwas, was Geld eingebracht hat, was einigermaßen funktioniert hat, und diese beiden Stadtteile eben nicht. [...] Meine Politiker-Kolleginnen und -Kollegen, die sind mehr in der Altstadt gerne gewesen und bei den Festspieleröffnungen und bei den Ruperti-Kirtag-Eröffnungen und bei allen möglichen Veranstaltungen, wo man halt mit den Gläsern anstoßt und glaubt, man ist damit in der In-Gesellschaft. [...] [Aber] dieses Thema, in einem Stadtteil etwas anzupacken, wo keine Struktur da ist, ist ein Thema, was sehr viel bringen kann.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 6f.) 3
Lehen ist ein relativ dicht bebauter Stadtteil und entstand großteils erst nach dem zweiten Weltkrieg in der bis dahin bestehenden weitflächigen Au-Landschaft. Angesichts der dichten Bebauung durch Wohnblocks aus den 1960er und 70er Jahren entstanden drastische Unterschiede in der Wohnqualität. Der Stadtteil ist von einer städtebaulichen und architektonischen Vielfalt gekennzeichnet: Neben wenigen Miethäusern der Gründerzeit besteht der Stadtteil aus einem Mix/einer Bandbreite von Einfamilienhäusern, Wohnbauten der Zwischenkriegszeit und Wohnanlagen der Nachkriegsjahrzehnte (vgl. Mayer 1998: 59). Heute weist der Stadtteil einen hohen Anteil an BewohnerInnen mit Migrationshintergrund auf und zählt neben den Stadtteilen Itzling und Schallmoos zu den Fokusbereichen der Stadtentwicklung: Eine erste Aufwertung erfuhr der Stadtteil Lehen durch den Um- und Neubau am Areal des ehemaligen Fußballstadions, dort sollte die „Neue Mitte Lehen“ samt neuer Stadtbibliothek entstehen. Das aktuellste und bisher größte Entwicklungs- und Bauprojekt im Stadtteil ist die Neubebauung
3
Neben dem Stadtteil Lehen war ihm der ebenfalls strukturschwache Stadtteil Itzling ein Anliegen. Im Stadtteil Itzling war Ernst Flatscher Mitinitiator des Vereins der Kaufmannschaft (vgl. Interview mit Ernst Flatscher, S. 21). Er hält fest, dass er sich „die schwierigsten Bezirke vorgeknöpft [habe], weil Aufgaben, die schwierig sind, immer die schönsten [seien].“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 5)
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des ehemaligen rund vier Hektar großen Stadtwerke-Areals. Hier wird seit 2009 eine Kombination aus Wohnbau, Gewerbeflächen, Ausbildungsinstitutionen (wie u.a. die PMU – Paracelsus Medizinische Privatuniversität) sowie Kunstund Kultureinrichtungen realisiert.4 Ernst Flatscher meint, dass sich der Stadtteil Lehen in den letzten Jahren vom ehemaligen Scherbenviertel zu einem immer attraktiveren Viertel gemausert habe. Nachdem Ernst Flatscher im Stadtteil Lehen erfolgreich im sozialen Bereich Initiativen gesetzt hatte – sowohl zur Gründung des Ärztehaus Maidl als auch der Salzburger Wärmestube, einer Ausspeise für Obdach- und Mittellose, hatte er maßgeblich beigetragen –, wollte er im kulturellen Bereich etwas im Stadtteil bewegen. Das „artforum“ startete zu einem Zeitpunkt, als die kulturelle Landschaft des Stadtteils Lehen wenig ausgeprägt erschien. Neben dem Literaturhaus, das seit 1994 in Lehen besteht, und der Galerie Eboran, die seit ihrer Gründung 1984 mehrmals Räumlichkeiten im Stadtteil Lehen wechselte, gab es kaum weitere namhafte Kulturinitiativen. Kulturpolitischen Handlungsbedarf sah Flatscher insbesondere hinsichtlich der aus seiner Sicht bestehenden Vernachlässigung von Stadtteilkultur gegenüber der Hochkultur. Er meint: „Die Stadt ist toll, was Hochkultur betrifft, aber die Stadt ist nicht toll, was Stadtteilkultur betrifft, sicher nicht. Da fließen zu viel Gelder und Aufwendungen in den Bereich der Hochkultur, eindeutig.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 16) Über ein Zeitungsinserat wurde zu einem Treffen aller Kunst- und Kulturinteressierten aus dem Stadtteil Lehen aufgerufen. Es kamen rund 70 Interessierte in den Gasthof Wienerwald (den heutigen Lehener Wirt) und bald darauf wurde der Verein „artforum Lehen“ gegründet. Laut Statuten bezweckt der gemeinnützige Verein „die Förderung Salzburger Künstler vor allem auf dem Gebiet der bildenden Kunst, insbesondere der Malkunst.“ 5 Die infolge der Vereinsgründung gestartete Raumsuche für Ausstellungszwecke gestaltete sich, laut Flatschers Erzählung, relativ unproblematisch. Aufgrund von sozialen und politischen Beziehungen aus Privatwirtschaft und Politik hatte der Verein von Beginn an leichteren Zugang zu Räumen, als dies etwa eine von jungen, unbekannten Kulturschaffenden gestartete Initiative hätte. Es wurden einige Ausstellungen in leerstehen-
4
Siehe das Kapitel „Stadtentwicklung, Kunst, Kultur, Kreativwirtschaft“ (S. 158-162).
5
Als Mittel zur Erreichung des Vereinszwecks werden „Vorträge, Versammlungen, Diskussionsabende, gemeinsame künstlerische Veranstaltungen“ sowie die Herausgabe eines „Mitteilungsblattes“ genannt (vgl. Vereinsstatuten, Privatarchiv Helgard Ahr). In den ersten Jahren war der Künstler Helmut Rainer Vereinsobmann, später übernahm Ernst Flatscher diese Funktion.
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den Liegenschaften veranstaltet sowie die Suche nach einem Vereinslokal und fixen Ausstellungsräumlichkeiten gestartet. Ernst Flatscher wusste insbesondere in Bezug auf die Einladungspolitik, sein soziales und symbolisches Kapital einzusetzen: „Wenn man in der Privatwirtschaft Erfolg haben will, dann gibt es gewisse Wege, die beginnen mit Einsatzwillen, die beginnen mit Analysefähigkeit, die beginnen mit Menschenführung und Menschenkenntnis ... und die beginnen mit konzeptiven Arbeiten. [...] Die erste Ausstellung, genau nach einem Marketingkonzept; die Akquisition, dass man nach außen geht: Mit welchen Kriterien lädt man ein? In Lehen: die gesamten Wirtschaftler, freien Wirtschaftler, die Persönlichkeiten, die in bestimmten Vierteln in Lehen gewohnt haben.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 5,f.)
Die erste Mitglieder-Ausstellung des artforums fand im Erdgeschoß des ehemaligen Textilhauses und Modegeschäfts Fiedler im Februar 2003 statt. Sie war ein großer Erfolg mit mehreren hunderten BesucherInnen – sogar der ORF kam und berichtete. Als Eröffnungsredner wurde Bürgermeister Heinz Schaden (SPÖ) eingeladen – Flatscher hält diesbezüglich fest: „Ich [habe] ihn eingeladen, weil es ist sicher ein Zeichen, wenn ein Bürgermeister mal in den Stadtteil geht, der der Glasscherbenstadtteil ist. Der Veranstaltung wollte ich das richtige Gewicht geben.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 7) Nur einen Monat später, im März 2003, fand bereits die zweite Ausstellung des Vereins statt: diesmal im ehemaligen Möbelhaus Jakolitsch, in dem drei Etagen leer standen, die dem Verein vorübergehend auch als Vereinslokal zur Verfügung gestellt wurden.6 In weiterer Folge sollte der damalige Vorstandsdirektor der Salzburg AG und „Parteifreund“ wie Ernst Flatscher ihn nennt , Arno Gasteiger, den zu jenem Zeitpunkt leerstehenden Pavillon (die ehemalige Kantine der Salzburger Stadtwerke) dem artforum für eine Ausstellung zur Verfügung stellen. Nach einigen weiteren gut besuchten Ausstellungen im Pavillon bot die Salzburg AG für die Zeit bis zum Baubeginn am Stadtwerkeareal die Räumlichkeiten in einem der beiden leerstehenden Stadtwerkehochhäuser dem Verein zur Zwischennutzung an: Von 2003 bis 2005 sollte das Hochhaus durch den Verein als Kunst- und Kulturstätte genutzt werden.
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Vgl. Flyer (1) zur Ausstellungseröffnung am 17. März 2003.
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2.1.2 Die Zeit im Stadtwerkehochhaus: Mythos „Cult-Tower Lehen“ 7 Vorerst war der Mietvertrag auf ein Jahr begrenzt. Für die Zwischennutzung wurde ein günstiger Mietpreis (Zahlung der Betriebskosten) vereinbart so konnte der Verein kostengünstig die Räumlichkeiten an seine Mitglieder weitervermieten. Neben der Vereinbarung, nur Betriebskosten zu zahlen, finanzierte sich der Verein durch Mitgliederbeiträge, Spenden und durch das ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder. Der Verein wurde weiters auch durch lokale SponsorInnen unterstützt: „Einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung des Vereins leisten Sponsoren, vor allem Lehener Unternehmen wie Günther Uitz von der Druckerei Huttegger und Thomas Markl von Elektro Markl.“ (Suchanek 2004: 15) Zu Beginn wurde das Erdgeschoß als Ausstellungsfläche und für Büroräumlichkeiten sowie der achte und neunte Stock aufgrund der „tollen Aussicht“ für Ateliers genutzt. Zu diesem Zeitpunkt umfasste der Verein rund 70 Mitglieder. Ernst Flatscher erzählt: „Die ganzen Büroräume, die dort waren, sind auf einmal Ateliers geworden.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 8) Und in einem Artikel der Salzburger Nachrichten lautet es: „Wo einst Mitarbeiter der Stadtwerke ihre Arbeit taten, sind jetzt Künstler am Werk.“ (Egger 2003: 9) Die erste Ausstellung im Stadtwerkehochhaus im Oktober 2003 übertraf mit rund 1500 BesucherInnen alle Erwartungen. Zur Eröffnung sprachen mit Bürgermeister-Stv. Karl Gollegger (ÖVP) und Landeshauptmann Dr. Franz Schausberger (ÖVP) höchste Repräsentanten der Stadt- und Landespolitik (vgl. o.V. 2003c: 3). In Ernst Flatschers Erzählung spürt man seinen Stolz sowie seine fortdauernde Begeisterung: „Das hat pulsiert, das war einfach eine Thematik, die die Menschen fasziniert hat, dass sie von einem Atelier ins andere gehen können, dort mit den jeweiligen Künstlern reden konnten.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 9) Und in einem Artikel der Salzburger Nachrichten zeigt er sich hoffnungsfroh über die Zukunft: „Wir werden den Verein so stark machen, dass er bei allen städteplanerischen Überlegungen nicht mehr übergangen werden kann.“ (Egger 2003: 9) Wenige Monate später wurden weitere Stockwerke zur Nutzung freige-
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In der unter Mitwirkung der StadtteilbewohnerInnen entstandenen Publikation „vonLehen²“ schreibt Helgard Ahr über den „Cult-Tower“ (vgl. Ahr 2011).
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geben. Im Frühling 2004 kam es zur Gründung eines Musikvereins 8 sowie im Sommer 2004 zur Gründung des „Theatervereins artforum Lehen“. Mit Hilfe von SponsorInnen wurde in einem der Stockwerke eine Bühne eingerichtet. Durch den Kontakt Ernst Flatschers zu den Salzburger Festspielen konnte ein Teil der zu jenem Zeitpunkt gerade ausrangierten Bestuhlung des kleinen Festspielhauses übernommen werden: Der Verein erhielt diese geschenkt. Zu jenem Zeitpunkt zählte der Verein bereits 107 Mitglieder; rund 50 davon hatten Ateliers im Hochhaus und in einem Artikel der Salzburger Nachrichten ist zu lesen: „Das art forum Lehen will die Stadtpolitik dazu bewegen, das ehemalige Bürogebäude für dezentrale Kulturzwecke zu kaufen.“ (SN-stl 2004: 8) Die abenteuerliche Raumeroberung stockabwärts wurde fortgesetzt. Lediglich das erste Stockwerk blieb für die Hausmeisterin frei. Ende des Jahres 2004 erreichte der Mitgliederstand bereits 220 Mitglieder (vgl o.V. 2004: 6). Stolz resümiert Flatscher: „Das gesamte Haus mit Kultur ... vollgepflastert, viertausendfünfhundert Quadratmeter …“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 10) Zwei Vereinsmitglieder schildern in einem Zeitungsartikel die Einzigartigkeit und Wichtigkeit der gemeinnützigen Aspekte des Vereinslebens für den Stadtteil sowie die bis dahin erreichte Position des Vereins in der Kulturlandschaft der Stadt gewissermaßen als Pendant zu den Salzburger Festspielen auf Stadtteilebene: „Eine Gemeinschaft, wie sie hier entstanden ist, gibt es sonst nirgends. Wir sind untereinander vernetzt, wir tragen zur Belebung bei, damit Lehen nicht nur mit Beton und Ignatz-Harrer-Straße verbunden wird.“ Im Artikel heißt es weiter: „Die Feste und Vernissagen im Kunsthochhaus sind längst zum Treffpunkt für das Nicht-Festspiel-Salzburg geworden.“ (o.V. o.J.c: o.S.) Als eines der Ziele der Vereinstätigkeit wird in den Medien die Belebung des Stadtteils Lehen vermittelt. So schreibt das Salzburger Fenster: „Die Idee, den ‚vernachlässigten‘ Stadtteil mit einer Kulturinitiative zu beleben, fand rege Zustimmung.“ (Suchanek 2004: 15) Zu jenem Zeitpunkt zählt der Verein rund 84 Mitglieder, davon rund 40 % aus dem Stadtteil Lehen (vgl. o.V. o.J.b). Denn so-
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Im April 2004 wurde der neu gegründete Musikverein im Rahmen einer Ausstellungseröffnung präsentiert. Am Flyer ist zu lesen: „Lehen swingt, Lehen rockt, Lehen walzt – ein Musikverein entsteht im größten Salzburger Stadtteil.“ Zur Eröffnung sprachen Gemeinderat Ernst Flatscher (ÖVP) und Stadtrat Johann Padutsch (GRÜNE). Vgl. Flyer (3).
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bald das Raumangebot vorhanden war, wurde die Initiative auch über den Stadtteil hinaus zum Anziehungspunkt. Und in der Salzburger Volkszeitung 9 heißt es: „Das Art-forum-Lehen ist eine beeindruckende Initiative, die beweist, dass auch in unserer schnelllebigen Zeit und selbst in dicht besiedelten Stadtteilen wie Lehen Menschen für ein gemeinsames Interesse Zeit und den entsprechenden Rahmen finden können. [...] Das ArtForum-Lehen wurde ins Leben gerufen, um wenig bekannten Kunstschaffenden die Möglichkeit zu geben, ihre Werke ausstellen und so der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Willkommen ist jeder, der malen kann und an einem gemeinsamen Informationsaustausch sowie an gemeinsamen Ausstellungen interessiert ist.“ (o.V. 2003c: 3)
Die sozialen Netzwerke des ehemaligen Gemeinderats Flatscher sind gewiss nicht unwesentlich für die rege mediale Berichterstattung über das artforum. Auch die Anwesenheit von PolitikerInnen als EröffnungsrednerInnen für Vernissagen zog die Medien an und trug zur Sichtbarkeit des Vereins und seiner Ziele bei. Dennoch sollte die erfolgreiche Initiative bald mit Problemen konfrontiert werden: Im November 2004 titelte das Stadtblatt „Zitterpartie für Artforum Lehen“, doch wurde der Mietvertrag um ein Jahr bis 2005 verlängert und Flatscher erklärte weiterhin als Ziel: „Unsere Vision ist natürlich, dass wir auch nach dem Umbau und der Neugestaltung des ehemaligen Stadtwerke-Areals noch im ehemaligen Büroturm sind.“ (Sos 2004: 2) Doch im Sommer 2005 kam es letztlich zum „Rauswurf“ aus dem Stadtwerkehochhaus (vgl. o.V. 2006a:12). Nach der sehr erfolgreichen Zeit im Hochhaus stand der Verein nun vorerst auf der Straße. Ernst Flatscher schildert die Zeit des artforums im Hochhaus als Blütezeit, in der Interesse von politischer (und auch kirchlicher) Seite gegeben war und öffentliche Sichtbarkeit erreicht wurde.10 Nach der Blütezeit kam allerdings der Absturz. Ironischerweise scheitert die (kulturelle) Erfolgsstory artforum gewis-
9
Bis 2005 war die Salzburger Volkszeitung in Besitz der ÖVP und somit die letzte Tageszeitung in Parteibesitz (vgl. Salzburger Volkszeitung – Wikipedia, http://de. wikipedia.org/wiki/Salzburger_Volkszeitung [7.7.2014]).
10 Diesbezüglich erzählt Flatscher: „Dann ist der Unterrichtsminister einmal oder Kulturminister, der ist einmal nach Salzburg gekommen, dann haben sie ihn hergeführt – zu einer Eröffnung. Und der Erzbischof war da. Da sind sie alle gerannt gekommen. Also wie der Erfolg sichtbar war und wie man dieses enorme Echo auch von den Künstlern gesehen hat, da ist das dann halt wie immer, der Erfolg läuft einem nach.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 11)
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sermaßen am sozialen Engagement Ernst Flatschers – zumindest laut seiner Darstellung: Mit einer gewissen Bitterkeit erzählt Flatscher von seinem Austritt aus dem ÖVP-Gemeinderatsclub, den er in Zusammenhang mit der NichtVerlängerung des Mietvertrags für das artforum und infolge von unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich sozialer Belange in der Stadt Salzburg sieht: „Dann bin ich aus politischen Gründen aus dem Gemeinderatsclub der ÖVP ausgestiegen [...], weil ich der festen Auffassung war und heute auch noch bin, dass die ÖVP kein soziales Konzept, keine soziale Haltung gegenüber Armut und Obdachlosigkeit und Frauenschwierigkeiten in Salzburg hat. [...] Ich kann mich noch erinnern, da habe ich eine Abstimmung im Club der ÖVP provoziert [...]. Sieben Stimmen waren dagegen und vier Stimmen waren für ein soziales Konzept. Daraufhin bin ich ausgetreten. [...] Drei Monate später ist mir der Vertrag mit dem Stadtwerkhochhaus nicht mehr verlängert worden, sondern es ist abgelehnt worden, dass er verlängert wird, und wir haben dann das Haus räumen müssen ... und uns auf der Stelle eine neue Heimat suchen müssen.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 12)
Er habe soziale Themen in der ÖVP stärker positionieren wollen, doch fand sein Anliegen kein Echo bzw. wurden seine Vorstöße aus parteipolitischem Kalkül abgelehnt.11 Damit nahm Ernst Flatscher eine Außenseiterposition ein und machte sich in der Partei nicht nur Freunde. Es mag auch andere Faktoren gegeben haben, die als Gründe für eine Nicht-Verlängerung möglicherweise eine Rolle
11 Ernst Flatscher erzählt: „Da hat man mir gesagt, Ernst, Marketingmann, […] wenn wir heute im sozialen Bereich als ÖVP etwas bewegen, etwas Positives, dann wird das automatisch der SPÖ gutgeschrieben, in der Bevölkerungsmeinung. […] wir sind doch nicht so blöd und machen Aktivitäten in einem Feld, was dann unserem unmittelbaren Mitbewerber zugutekommt. Und dann habe ich gesagt, wenn ich heute rein von der Ratio und der Kälte denke, könnte das etwas an sich haben – ich glaube nicht daran. Weil ich glaube daran, wenn ich heute nachhaltig, nicht einen Monat oder zwei, […] sondern über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren, mich ECHT engagiere, ECHT etwas in Bewegung bringe, in der sozialen Thematik, wenn ich damit auch Personen, Gesichter verbinde, in einem Marketingkonzept – eine tolle Frau, die sich engagiert, ein toller Mann, der sich engagiert im sozialen Bereich –, dann können wir nachhaltig für uns in Anspruch nehmen, wir haben die Problemzonen der Stadt Salzburg aufgegriffen. Nein, das ist abgelehnt worden.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 12)
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spielten, die jedoch als klassische Argumentation bei fehlendem politischem Willen gelten können: bspw. die durch den Musikverein entstandene Lärmbelastung der AnrainerInnen, baupolizeiliche Bedenken im Falle der Theaterbühne oder die Sorge, dass der Verein sich permanent einquartieren wolle. Helgard Ahr meint rückblickend: „Wir haben uns nämlich so ausgeweitet, dass natürlich die Angst bestanden hat, dass wir in Zukunft drinnen bleiben und uns nicht mehr hinausbewegen. Das ist natürlich ein Problem und da hat es dann eben Strömungen gegeben, dass man uns loswird.“ (Interview mit Helgard Ahr am 24.10.2011, S. 5) Für diese Annahme spricht nicht zuletzt, dass das Hochhaus nach dem Auszug des artforums 2005 noch einige Jahre leer stand, bis die Bauarbeiten des Stadtwerks Lehen 2009 beginnen sollten.12 2.1.2.1 Analyse Hochhaus Das kostengünstige Raumangebot im Hochhaus zog eine Vielfalt an InteressentInnen an. Ernst Flatscher erinnert sich: „In der Zwischenzeit ist der Mitgliederstand explodiert und die wollten alle natürlich – das hat sich herumgesprochen – ein günstiges Atelier.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 8) Die Vergabe der Ateliers im Hochhaus erfolgte ohne bestimmte Kriterien, vielmehr galt es, einen „offenen Zugang“ für alle Interessierten zu schaffen. Es konnten sich sowohl HobbykünstlerInnen, AutodidaktInnen als auch professionelle KünstlerInnen einmieten. Auch die Universität Mozarteum, Abteilung Bildnerische Erziehung, nutzte aufgrund von Platzmangel an der Universität Räumlichkeiten im Hochhaus. Ernst Flatscher spricht allgemein von den Vereinsmitgliedern als „KünstlerInnen“. Auch wenn die Gründungsmitglieder des Vereins altersmäßig eher im Feld 50 plus lagen, waren die Vereinsmitglieder im Hochhaus durchaus altersmäßig wie auch ausbildungsmäßig durchmischt. Zudem betonen sowohl Ernst Flatscher als auch Helgard Ahr, dass es im artforum von Beginn an auch Mitglieder mit Migrationshintergrund gegeben habe.13 So lobenswert die Vielfalt an NutzerInnen des Hochhauses erscheinen mag, so führte sie nicht un-
12 In dieser Zeit quartierten sich angeblich immer wieder Obdachlose im leerstehenden Haus ein (vgl. Interview mit Helgard Ahr am 24.10.2011, S. 12). 13 Flatscher versteht dabei Kulturarbeit als Mittel zur Integration: „Kultur verbindet auch, integriert auch – das ist ganz ein wichtiger Faktor, wenn man es richtig anfängt […], da gibt es keinen Unterschied bei uns [im artforum], da kann der integrierte Künstler mit einer ausländischen Nationalität genauso mitbestimmen, genauso mitdiskutieren, genauso mitreden wie die Ur-Lehener […], also da ist die Gleichheit ein sehr wichtiger Faktor.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 20)
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bedingt zu einem Austausch unter diesen. Der damalige Kunststudent Anton F. erinnert sich, dass die Kunststudierenden eher unter sich blieben: „Das war schon so, dass natürlich da vielfältige Konstellationen an Ateliernutzern da waren, was man auch hat befruchtend sehen können, andererseits auch exotisch oder befremdend. [...] es waren eben alle möglichen Leute quer durch den Gemüsegarten dort, sozusagen. Es waren eben einige sozusagen aus dem künstlerischen Umfeld [...], dann waren viele, die so in ihrer Freizeit künstlerischen Neigungen nachgegangen sind.“ (Interview mit Anton F. (anonymisiert) am 11.7.2012, S. 3)
Aus dieser Passage geht klar eine gewisse Ambivalenz und Abgrenzung der Kunststudierenden zu den AutodidaktInnen hervor. Aus Sicht Helgard Ahrs hingegen verstand sich das artforum im Hochhaus als Ort der Begegnung: „Also wir haben auch einen Begegnungsraum gehabt, wo man sich einfach getroffen hat, zum Zeitunglesen, zum Tratschen ... Und es gab die Möglichkeit für Kaffee und Tee und Getränke ...“ (Interview mit Helgard Ahr am 24.10.2011, S. 8) Sie betont u.a. Kooperationen im Bildungs- und Sozialbereich.14 Hier wird sichtbar, wie unterschiedlich der soziale Raum von unterschiedlichen NutzerInnen wahrgenommen und auch genutzt wurde. Abgesehen vom großen Vorteil der günstigen Ateliermiete von rund 80 Euro im Monat kritisierte Anton F. fehlende Transparenz in der Organisationsstruktur sowie hinsichtlich des Konzeptes des Vereins: „[...] weil die Strukturen manchmal undurchsichtig waren oder wer jetzt Entscheidungsträger ist, wer Entscheidungsmacht hat, das war nicht durchsichtig für mich ...“ (Interview mit Anton F. (anonymisiert) am 11.7.2012, S. 6) Seiner Meinung nach sei vieles ambitioniert gewesen, doch wären bei einem möglichen Weiterbestehen strukturelle Änderungen notwendig gewesen: „[...] es hätte Entscheidungen gebraucht, [...] was die Intention ist oder was jetzt der Auftrag wäre, für die Nutzung sozusagen ... das wäre, glaube ich, nötig gewesen.“ (Interview mit Anton F. (anonymisiert) am 11.7.2012, S. 9) Anton F. geht von einem öffentlichen Auftrag an die Kulturarbeit aus, der offenbar im Verein nicht ausreichend oder nur unklar formuliert wurde.
14 Z.B. in der Zusammenarbeit einzelner Vereinsmitglieder mit der Kinderhilfsorganisation „Aktiva Austria“ oder einer Ausstellung von SchülerInnen der Hauptschule Lofer, deren Zeichnungen verkauft wurden, wobei der Erlös einer Ferienaktion für sozial benachteiligte Kinder zugutekam (vgl. Egger 2003: 9).
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Die Mischung aus „Top-down“ und „Bottom-up“ führte auch zu internen Spannungen: Anton F. irritierten bspw. die als teilweise rigide erlebten Vorgaben, wohingegen für andere diese Pflicht möglicherweise zum Gemeinschaftsgefühl beitrug. So wurde von den Vereinsmitgliedern bei den Tagen der offenen Tür „Anwesenheitspflicht“ verlangt. In den Atelierräumen präsentierten sie ihre Arbeiten und luden bei kleinen Buffets zum informellen Austausch. Auch die Aufforderung an die BesucherInnen, bei der Vernissage eine Visitenkarte abzugeben, gibt weiter Aufschluss über die soziale Zusammensetzung der tonangebenden Vereinsmitglieder, ihre Erwartungshaltung und ihr Selbstverständnis. Die Visitenkarte dient der Lobby- und Vernetzungsarbeit.15 In einer alternativkulturellen Kulturinitiative hingegen würde kaum um die „Visitenkarte“ der BesucherInnen gebeten werden, sondern vielmehr die Eintragung für einen Emailverteiler angeboten. Solche „feinen Unterschiede“ im Sinne Bourdieus führen entweder zum Gefühl der Zugehörigkeit oder gegenteilig zu einem Gefühl des Befremdens. Das artforum wurde von einem Gemeinderat initiiert und wurde damit zugleich für andere PolitikerInnen für Repräsentationszwecke nutzbar. Vergleichsweise wäre es bei einer Basisinitiative viel weniger der Fall, da sich diese nicht selten in Opposition zu den PolitikerInnen sieht bzw. eine Vereinnahmung für politische Repräsentationszwecke eher zu vermeiden versucht. 16 2.1.3 Zäsur: Auszug aus dem Hochhaus und Neuorientierung Nach dem Hoch kam das Tief. Mit dem Auszug aus dem Stadtwerkehochhaus fand das artforum in seiner bisherigen Form ein jähes Ende. Das Besondere bzw. Anziehende waren vor allem die kostengünstigen Ateliers in einem interessanten Gebäude gewesen. Nach dem Auszug reduzierte sich die Mitgliederzahl dras-
15 Auf einem Flyer war zu lesen: „Auf Ihren Besuch freut sich das Team von artforum Lehen […]. Bitte geben Sie eine Visitenkarte ab, Sie nehmen damit an der Verlosung eines Artefakts teil.“ (Flyer (2) zur Ausstellungseröffnung am 15. Oktober 2004) 16 Dies kam bspw. im Interview mit dem Künstler und zeitweiligen artforum-Mitglied Anton F. zur Sprache: „[ich] bin da eh kritisch eingestellt, wenn Politiker bei irgendwelchen kulturellen Ereignissen anwesend sein müssen oder anwesend sind, was für einen Zweck oder Sinn das hat.“ (Interview mit Anton F. am 11.7.2012, S. 9)
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tisch. Ernst Flatscher erzählt diesen Wendepunkt des Auszugs als „seine“ Geschichte und weniger als kollektive Geschichte:17 „Und dann ist der Rücksturz gekommen, der Verein hatte zu diesem Zeitpunkt zweihundertvierzig Mitglieder, mit den Musikern, mit den Fotografen [...] das Haus habe ich in einem Zeitraum von vier, nein, drei Wochen waren es präzise, leer gemacht. [...] und [es] ist in einer Begehung tipptopp der Salzburg AG übergeben worden. Ich habe mich noch bedankt für diese drei Jahre, die ich dort sein durfte, und bin gegangen.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 12)
Der Auszug musste innerhalb weniger Wochen bewerkstelligt werden. Alle Atelier-MieterInnen mussten ausziehen. In meiner Verwunderung über dieses abrupte Ende der scheinbar erfolgreichen Schaffung eines (Frei-)Raums für Kreativität und Teilhabe fragte ich Ernst Flatscher, ob sich bei den Mitgliedern kein Widerstand geregt und ob man nicht an eine Protestinitiative gedacht habe. Doch für Ernst Flatscher war es im Gegenteil wichtig gewesen, ohne Tumult das Feld zu räumen. Hierbei wird deutlich welche Handlungsstrategien als legitim erscheinen, je nachdem welchen sozialen Gruppen und politischen Traditionen sich AkteurInnen zugehörig fühlen: Für Flatscher sind Geradlinigkeit und Verantwortungsbewusstsein in Bezug auf die getroffene Vereinbarung ausschlaggebend: „Und ich habe ja seinerzeit dem Herrn Gasteiger [Vorstand Salzburg AG] versprochen, wenn er das Objekt braucht, dann werde ich auch rausgehen. Und wenn man etwas verspricht, auch wenn der andere Partner nicht mehr geradlinig ist, dann hat man das einzuhalten. Ich tue das also, und hab das eingehalten. [...] ich habe gewusst, dass ich das eingegangen bin, dass, wenn die Salzburg AG dieses Gelände für sich in Anspruch nimmt, dann gehe ich, mache keine Schwierigkeiten [...], na wenn wir da Proteste gemacht hätten, was glauben Sie, was da los gewesen wäre? Da sind dann zwei-, dreitausend Leute auf der Straße, das wäre gewesen. Aber das wollte ich nicht. ... Das war’s.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 16f.)
Seine Wortwahl und Sprache spiegeln auch sein Selbstverständnis wider, seinen Top-down-Zugang: Er ist der Initiator und spätere Obmann des Vereins und vor
17 Als Hinweis dafür zählt die Verwendung des Personalpronomens „ich“ in der Aussage von Ernst Flatscher, während Helgard Ahr ihre Aussagen in einem gemeinsamen „wir“ formuliert.
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allem als (ehemaliger) Gemeinderat eine öffentliche Person, er versteht seine Rolle als Führungsrolle und Autorität. Der Auszug aus dem Hochhaus bedeutete eine gravierende Zäsur im Vereinsleben. Laut Helgard Ahr verliefen sich viele der Kontakte zu den ausgetretenen Mitgliedern. Sie selbst habe nur mit einzelnen ehemaligen Mitgliedern weiterhin Kontakt. Manche von ihnen gründeten neue Gemeinschaftsateliers, doch fand kein so reger Austausch mehr statt wie in den Hochhauszeiten. Der Verlust des großzügigen und geräumigen physischen Raums bedeutete zugleich den Zerfall des im Laufe weniger Jahre aufgebauten sozialen Raums. Die Veränderung im physischen Raum führte zu einer grundlegenden Veränderung des sozialen Raums. Neue Räumlichkeiten fand Ernst Flatscher rund fünf Minuten zu Fuß vom ehemaligen Standort im Stadtwerkehochhaus entfernt, direkt neben dem von ihm initiierten Sozialflohmarkt18, an der stark befahrenen Ignatz-Harrer-Straße.19 Flatscher sah hier die Möglichkeit, seine unterschiedlichen Initiativen gewissermaßen unter einem Dach zu vereinen, bzw. sollten die Verwaltungseinheiten – die von Ernst Flatscher in Personalunion geleitet werden – in einem gemeinsamen Büro Platz finden. Dabei wird deutlich, dass das artforum für Flatscher Teil seines breiteren Engagements ist. Er hält die Fäden in der Hand, sowohl für die sozialen Initiativen Wärmestube und Sozialflohmarkt als auch für „seine“ kulturelle Initiative artforum.20
18 Im Sozialflohmarkt können sich sozial Bedürftige – Ernst Flatscher nennt sie etwas altertümlich „Armutsleute“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 18) – mit einem Berechtigungsschein kostenlos mit bspw. Winterkleidung oder Geschirr eindecken. Ansonsten wird zu moderaten Preisen allerhand verkauft, von Büchern bis hin zu Möbeln etc. – die Einnahmen kommen der Wärmestube für den Einkauf von Lebensmitteln zugute. Die Wärmestube besteht aus einer Küche und einem Aufenthaltsraum und befindet sich in den Räumlichkeiten der Christian-Doppler-Klinik. Das Angebot wird vor allem von Obdachlosen genutzt. 19 Die Besitzerin des an den Sozialflohmarkt angrenzenden Hauses hatte bereits einen Teil der Räumlichkeiten an einen Künstler vermietet und als dieser umzog, kam Ernst Flatscher mit ihr ins Gespräch. 20 Die starke Fokussierung auf seine Person wird auch in folgenden Ausführungen zur Konzeptentwicklung für den neuen Standort deutlich: „Und da haben wir hier, habe ich hier ein ganz anderes Konzept entworfen – [die] Räumlichkeiten sind klein, [sodass] Einzelausstellungen oder höchstens zwei Künstler ausstellen sollten in Kombi-
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Das neue Vereinslokal bot allerdings im Vergleich zum Hochhaus kaum Raum und somit wohl auch kaum Freiraum zur Aneignung und Entfaltung von kreativer Teilhabe der Mitglieder. Als Ausstellungsfläche werden der rund 20 m² große Hauptraum und zwei kleinere Räume genutzt sowie die Wände im Gang und im Raum des Musikvereins.21 Die Möglichkeit großer Gruppenausstellungen, wie sie im Hochhaus an den Tagen der offenen Tür stattfanden, wollte der Verein seinen Mitgliedern jedoch weiterhin bieten. Über das soziale Kapital, die jeweiligen Netzwerke und Kontakte der einzelnen Mitglieder, wurden Möglichkeiten für Ausstellungen erschlossen: So konnte bspw. über die Vereinsmitgliedschaft einer Mitarbeiterin in den Firmenräumlichkeiten des dänischen Pumpenherstellers Grundfos mit Standort in Grödig eine Dauerausstellung mit rund hundert Ausstellungsstücken in den Firmenräumlichkeiten mit einem Wechsel und Vernissagen im Zweijahresrhythmus realisiert werden. Weiters stellte Ernst Flatscher den Kontakt zum Kunstsammler und Inhaber des Autohauses Schmidt in der Alpenstraße her. Dieser startete neben seiner Oldtimersammlung im Firmengebäude die „Galerie der Begegnung“ (vgl. o.V. 2006a: 12), in welcher mehrere Ausstellungen mit Mitgliedern des artforums stattfanden. Als weiterer Ausstellungsort wird vom Verein die „Neue Mitte Lehen“ genutzt. Keinen Platz gab es nunmehr allerdings für Atelierräume, was als Erklärung für den Rückgang an Vereinsmitgliedern herangezogen wird, allerdings hat jedes Mitglied die Möglichkeit, im Vereinslokal Einzelausstellungen abzuhalten.22
nation mit hier in diesen Räumlichkeiten Vernissagen und die Großausstellungen disloziere ich, nach außen.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 13) 21 Der Musikverein, der mittlerweile von Ernst Flatschers Ehefrau geleitet wurde, fand ebenfalls im neuen Vereinslokal Platz. 22 Ernst Flatscher scheint im Interview bemüht, die Vorzüge der Selbstpräsentation und Möglichkeit für sozialen Austausch im Rahmen einer Vernissage im Vereinslokal hervorzustreichen. Die Einzelausstellungen im Vereinslokal geben aus seiner Sicht „den einzelnen Künstlern die Bühne zum Sich-selbst-Präsentieren“. Oftmals sei es ihre erste Ausstellung: „[…] da präsentieren sie sich einem Publikum ... und kriegen unmittelbare Resonanzen, können teilweise von einem Verkaufserfolg reden und teilweise nicht.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 14)
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2.1.3.1 Analyse neuer Standort Die neuen Räumlichkeiten werden von Vereinsmitgliedern z. T. jedoch als „suboptimal“ für Ausstellungen bezeichnet, da sie relativ klein, dunkel und auch als etwas „muffig“ beschrieben werden. Ein Garten, der für Skulpturenausstellungen genutzt wird, bietet hingegen ein freundliches Ambiente und schafft einen Ausgleich zum etwas bedrückenden Innenraum. Die angehende Kunststudentin Anna T. verzichtete bspw. auf die Möglichkeit einer Einzelausstellung: Die Räumlichkeiten seien wenig attraktiv und die räumliche Nähe zum Sozialflohmarkt bzw. den daraus resultierenden gelegentlichen Besuch der NutzerInnen des Sozialflohmarktes bei Vernissagen habe sie zuweilen als problematisch erlebt. Die Nähe von kultureller und sozialer Initiative, die von Ernst Flatscher als positiver Effekt des neuen Standortes erlebt wird und aus seiner Sicht zu einer vereinfachten Verwaltungsstruktur führt, wird von dem jungen Vereinsmitglied Anna T. kritisch betrachtet. Hier treffen unterschiedliche Vorstellungen, Interessen und Bedürfnisse aufeinander: einerseits jene von Ernst Flatscher, der sein soziales und kulturelles Engagement als zusammengehörig versteht, andererseits jene von Mitgliedern des artforums, die als KünstlerInnen wahrgenommen werden möchten und sich bei einer Vernissage eventuell ein anderes Publikum wünschen. Das Zusammenkommen zweier sonst meist getrennter Felder – Sozialarbeit und Kunstfeld – führt also zu Irritationen. Die Wege der AkteurInnen des Kunstfeldes und des Sozialfeldes kreuzen sich für gewöhnlich nicht, hier aber sehr wohl durch die räumliche Nähe und das Verbindungsglied Ernst Flatscher. Er versucht gewissermaßen, die Quadratur des Kreises zu erreichen. Seine Bemühung, einen Spagat zwischen professionellen KünstlerInnen und sozialen Randgruppen zu schaffen, erweist sich in der Praxis als mühsam, obgleich lobenswert. Der drastische Rückgang der Mitgliederzahl führte zu einer eindeutigen Verschiebung der Altersgruppe der Mitglieder. Diesbezüglich bedauert Anna T. während ihrer rund einjährigen Mitgliedschaft den Mangel an jungen Vereinsmitgliedern. Ebenfalls vermisste sie eine solidarische oder kollegiale Atmosphäre. Sie hatte sich erhofft, mit den anderen Vereinsmitgliedern in einen Austausch über das künstlerische Schaffen zu kommen oder gar ein Gemeinschaftswerk zu produzieren (vgl. Interview mit Anna T. am 17.7.2012, S. 16) – Dinge, die in den Erzählungen über das Hochhaus als zentrale Erzählmotive figurieren, am neuen Standort jedoch keine Entsprechung fanden.23 Der Schluss liegt nahe, dass
23 Laut Helgard Ahr gab es in den neuen Räumlichkeiten bisher nur selten Kurse, im Hochhaus hingegen sei dies häufig der Fall gewesen: „Wir haben es auch immer wie-
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der Mangel an räumlichen Ressourcen eine Entfaltung eines lebendigen sozialen Raums am neuen Standort verhinderte. Im artforum darf theoretisch jede/r Kunstschaffende Mitglied werden, von AutodidaktInnen bis hin zu Akademie-KünstlerInnen. Dennoch wird das symbolische Kapital einiger weniger Mitglieder als Aushängeschild für den Verein genutzt. Die gefühlte und beobachtete Bevorzugung bestimmter Mitglieder, die offenbar als „echte KünstlerInnen“ gelten, wird am neuen Standort vielleicht stärker wahrgenommen als im Hochhaus, da aufgrund des nunmehrigen Platzmangels die Aushandlung des sozialen Raums an Relevanz gewinnt. In diesem Zusammenhang scheint eine Diskrepanz zwischen Diskurs und Praxis zu bestehen. Einerseits ist das artforum randgruppenorentiert, ohne ein Randgruppenprojekt sein zu wollen; anderseits werden Differenzierungen zwischen „echten KünstlerInnen“ (bzw. besonders erfolgreichen KünstlerInnen) und „AutodidaktInnen“ oder weniger erfolgreichen KünstlerInnen gemacht. Sichtbar wird hierbei der dem Kunstfeld eigene Kampf um Definitionsmacht darüber, was Kunst ist. Anna T. hinterfragt kritisch, wer bestimmt, wer KünstlerIn ist, und wer bestimmt, wo Kunst anfängt und wo sie aufhört; während Helgard Ahr mit Selbstverständlichkeit von sich und anderen ohne Unterschied als KünstlerInnen spricht. Mit der einheitlichen Benennung als „KünstlerInnen“ werden Unterschiede auf sprachlicher Ebene allerdings nivelliert, die sehr wohl als Macht- und Ungleichheitsmechanismen wirken. Die feinen Unterscheide (Bourdieu [1979] 2003a) werden also in der Diskrepanz von Diskurs und Praxis sichtbar. Der Diskurs eines Raums für „Kunst und Kultur von und für alle“ auf Stadtteilebene spiegelt sich in der Praxis am neuen Standort nur bedingt wider. Eine andere Facette der Verfügungsmacht über symbolisches Kapital äußert sich im Zugang zu Raum – wie im Falle Ernst Flatschers deutlich wird: Als er in der ÖVP gewissermaßen zur persona non grata wird, versiegen (oder versagen) auch zum Teil die Quellen des symbolischen und sozialen Kapitals. Bisher arbeitete das artforum ohne öffentliche Förderungen, doch meint Ernst Flatscher, dass der Verein diese in Zukunft eventuell doch in Betracht ziehen würden. In diesem Kontext verweist er explizit auf das Tauschgeschäft und die Tauschökonomie der Kapitalsorten im Sinne Bourdieus sowie auf die damit verbundenen je spezifischen Abhängigkeiten:
der mal versucht, drüben im kleinen Haus so was zustande zu bringen, hat nicht geklappt. Im Hochhaus war es kein Problem mit dem eigenen Atelier, da haben teilweise unsere eigenen Künstler sozusagen, die kein Atelier gehabt haben, Unterricht gegeben.“ (Interview mit Helgard Ahr am 24.10.2011, S. 17)
288 | K REATIVITÄT UND T EILHABE IN DER STADT „Ich bin immer ein Gegner von Abhängigkeit. Man hat das gesehen, wenn man auf Grund von Verbindungen, die im politischen Bereich liegen, etwas erhält, dann ist das so lange gut, solange du denjenigen ebenfalls etwas bietest, was kongruent mit ihrem Denken läuft. [...] das ist eine Realität und mit dieser Realität muss man umgehen [...].“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 15)
Abhängigkeiten gibt es in beiden Fällen: Im Falle des Hochhauses ging es um die Tauschökonomie gegenseitiger Gefälligkeiten, die das institutionelle politische Feld prägen. Als Ernst Flatscher nach seinem Parteiaustritt bis zu einem gewissen Grad aus dieser Tauschökonomie herausfiel, wurden andere Strategien notwendig. 2.1.4 Analyse: „artforum Lehen“ vs. „artforum Salzburg“ Der Vergleich zwischen dem vormaligen Standort im Hochhaus und dem neuen Standort in der Vorstadtvilla lohnt sich aus verschiedenen Gründen. Er verweist auf die Wichtigkeit der Rahmenbedingungen für das Gelingen einer solchen Initiative. Die Interdependenzen und Wechselwirkungen zwischen physischem, sozialem und symbolischem Raum werden deutlich. Nicht zuletzt tritt der Zusammenhang zwischen der Verfügungsmacht über ökonomisches, soziales und symbolisches Kapital sowie der Verfügungsmacht über den physischen Raum deutlich hervor. 2.1.4.1 Die Schrumpfung des physischen Raums Das neunstöckige Hochhaus am ehemaligen Stadtwerkeareal war eine weithin bekannte und imponierende „landmark“, die eine urbane Atmosphäre ausstrahlte. Der Ort selbst wurde dabei als symbolisches Kapital gehandelt.24 Die drastische Reduzierung der zur Verfügung stehenden räumlichen Ressourcen durch den Standortwechsel bedeutete den konkreten Abstieg des artforums. Im Gegensatz dazu steht die Vorstadtvilla an der stark befahrenen Ignatz-Harrer-Straße, gegenüber einer großen Tankstelle. Ein Banner mit dem Schriftzug „artforum“ über dem Eingang sowie eine große Steinskulptur verweisen unmissverständlich auf den Kunstkontext des Ortes, doch wirken sie im Verhältnis zur vergleichsweise geringen Größe der Villa fast überdimensioniert. Die Atmosphäre, die allein durch die physisch-räumliche Beschaffenheit entsteht, ist im Gegensatz zum
24 Auf einem Flyer wird bspw. das Theater aufgrund seiner Lage im Hochhaus als das „höchste Theater Salzburgs“ gepriesen (vgl. Flyer (5), Privatarchiv Helgard Ahr).
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erhebenden Hochhaus eher bedrückend. Das Hochhaus bot durch die große Nutzungsfläche von rund 4500 m² Platz für zahlreiche Ateliers zu günstigen Mietkonditionen. Der Verein zahlte für die Zeit der vereinbarten Zwischennutzung lediglich die Betriebskosten und konnte so die Miete für die Ateliers attraktiv niedrig gestalten. Dies garantierte einen steten Zulauf an Vereinsmitgliedern und AteliernutzerInnen. Neben der Vereinbarung, nur die Betriebskosten zu zahlen, was de facto einer Förderung gleichkommt, finanzierte sich der Verein großteils über Mitgliedsbeiträge und Ateliermieten der zahlreichen Mitglieder sowie aus Erträgen von Veranstaltungen und Spenden. Am neuen Standort fallen höhere Kosten an, weil neben den Betriebskosten auch Miete zu zahlen ist, gleichzeitig sanken die Mitgliederzahlen und damit die Mitgliedsbeiträge – mit dem Ergebnis, dass höhere Kosten bei weniger Raum entstehen. Das hatte auch Auswirkungen auf die Ausstattung. Die Innenausstattung im Hochhaus war primär jene eines etwas abgewohnten, doch eleganten Bürogebäudes – mit Teppichböden ausgekleidet, mit Büroschränken und Deckenbeleuchtung. Die Aneignung für die Ateliers und Ausstellungen – durch aufgebaute Stellwände für die Hängung von Bildern bei den Ausstellungen sowie durch die für diesen Ort ungewöhnliche Einrichtung des Theaters – erzeugte ein gewisses Flair von Zufälligkeit und Improvisation. 25 Aufgrund dieses Collage-Charakters entstand Möglichkeitssinn und insofern Poesie. In der Villa hingegen erzeugt das Secondhand-Mobiliar, insbesondere zusammen mit der etwas muffigen Luft, eine eher bedrückende Atmosphäre. Die Nähe zum Sozialflohmarkt im angrenzenden Gebäude lässt vermuten, dass das Mobiliar direkt von nebenan stammt und schafft, ganz im Sinne von Bourdieus Theorie der Ortseffekte, ein symbolisches „down-grading“ des Kunstraums durch den Ghetto-Effekt. Symbolisches Kapital hängt nicht zuletzt mit der Atmosphäre zusammen, die in und durch einen Raum geschaffen wird. Die Beschaffenheit sowie die Gestaltung des physischen Raums gelten dabei als relevante Faktoren. 2.1.4.2 Sozialer Raum: vom „Club-“ zum „Ghetto-Effekt“ Das neunstöckige Hochhaus bot viel Platz für viele Menschen: Die Mitgliederzusammensetzung war heterogen, sowohl altersmäßig und hinsichtlich der künstlerischen Sparten durchmischt als auch hinsichtlich des künstlerischen Schaf-
25 Wichtige Quelle war hier das private Fotoarchiv von Anton F., um Vergleiche zwischen den nich mehr bestehenden alten Räumlichkeiten und den (selbst besichtigten) neuen ziehen zu können.
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fens, von Professionellen bis AutodidaktInnen. Nicht zuletzt brachte das Anmieten von Räumlichkeiten durch die Universität Mozarteum im Hochhaus, dem artforum symbolisches Kapital der Kunstinstitution sowie eine reale Heterogenität an NutzerInnen. Die Nutzung der Räumlichkeiten als Arbeits- und Produktionsstätten schaffte die Möglichkeit für sozialen Austausch sowie für eine Vielfalt an Aktivitäten, die nicht zuletzt durch eigenständiges Netzwerken und Selbstorganisation unter den Vereinsmitgliedern entstanden. So konnten im Hochhaus diverse Workshops von Vereinsmitgliedern organisiert und vor Ort abgehalten sowie Kooperationen mit Schulklassen etc. durchgeführt werden. Wurden also im Hochhaus viele Aktivitäten organisiert, fehlt in der Villa schlicht der Platz dazu. Es gab weder Platz für Ateliers noch für Gruppenausstellungen und auch nicht ausreichend Platz für Mitgliederversammlungen, sodass der soziale Raum sich nicht wie im Hochhaus entfalten konnte. Dabei stellen die Ausstellungseröffnungen nur temporäre Räume des sozialen Austauschs sowie der Repräsentation dar. Der temporäre soziale Raum hat hierbei eine andere Qualität als ein dauerhafter Treffpunkt, der Zusammenarbeit und ein gemeinsames Tätigsein ermöglicht. Mit dem Umzug ging die Mitgliederzahl zurück und somit die Heterogenität der Mitglieder ein Stück weit verloren: Altersmäßig war ein Rückgang an jungen Vereinsmitgliedern zu verzeichnen, wobei festzuhalten ist, dass von Beginn an die Vereinsmitglieder der Generation 50 plus stärker vertreten waren, was auch mit dem Alter und organisatorischen Selbstverständnis hinsichtlich des Topdown-Managements des Initiators stärker korreliert und möglicherweise jüngere Kulturschaffende weniger anzusprechen vermochte. Am neuen Standort tritt die soziale und integrative Zielrichtung des Vereins weit stärker in den Vordergrund. Zwar waren bereits im Hochhaus Mitglieder aus dem Malkreis der ChristianDoppler-Klinik Mitglieder im artforum, doch schien der Diskurs über die Integration weniger präsent als dies im heutigen artforum der Fall ist. Ernst Flatscher versucht durchwegs, sein soziales und kulturpolitisches Engagement zusammenzubringen. Im Interview betont er den integrativen Aspekt von Kunst und Kultur, insbesondere hinsichtlich der Integration von MigrantInnen sowie von psychisch kranken künstlerisch tätigen Menschen aus dem Malkreis der Christian-Doppler-Klink. Hier figuriert kulturelle Teilhabe im Sinne einer „Kunst und Kultur für alle“ als Mittel sozialer Integration. Die Bedeutung des sozialen Raums für Integration wird betont, obwohl der physische Raum kaum unterstützt. Die sozialen Outcasts, die Ernst Flatscher in den von ihm ins Leben gerufenen sozialen Initiativen „Wärmestube“ und „Sozialflohmarkt“ adressiert, kommen gelegentlich als BesucherInnen zu den Ausstellungseröffnungen. Diese Besuche führen nicht zuletzt zu Unfrieden unter den Vereinsmit-
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gliedern des artforums. Allgemeiner Konsens herrscht dahingehend, das soziale Engagement von Flatscher zu honorieren, jedoch wird die Vermischung der Agenden und insbesondere der sozialen Räume und AkteurInnen bisweilen kritisch betrachtet: Auch wenn die Nähe von sozialen und kulturellen Initiativen auf Verwaltungsebene kein Problem darstellt, ist dies sehr wohl in Bezug auf die Begegnung der AkteurInnen der Fall – auf physischer Ebene (bestehender Raummangel), sozialer Ebene (kein Ort der Begegnung) und symbolischer Ebene (Selbstrepräsentation ohne repräsentativen Rahmen). Es hängt also davon ab, welche AkteurInnen welche Räume frequentieren und darüber hinaus welches symbolische Kapital sie mitbringen. Denn dadurch werten sie den gesamten Kontext im Sinne von Bourdieus „Club-Effekt“ auf oder durch den „Ghetto-Effekt“ ab. Das artforum bewegt sich in einer Ambivalenz zwischen Club- und Ghetto-Effekt. Ein Club-Effekt konnte eindeutig in der Zeit im Hochhaus erzielt werden, insbesondere durch den zur Verfügung stehenden physischen Raum, der als Anziehungspunkt für vielfältige InteressentInnen diente. Am neuen Standort kann tendenziell von einem Ghetto-Effekt auf mehreren Ebenen gesprochen werden, der aufgrund des Verlusts von Raum, von Heterogenität der NutzerInnen und von Sozialprestige zustande kommt. Bot das Hochhaus geräumigen Platz mit dem primären Angebot als Produktionsstätte und funktionierte auch als repräsentativer Ausstellungsraum, so bietet die Villa keines von beiden: Es sind weder Räumlichkeiten als Produktionsstätte vorhanden, noch bieten die Räumlichkeiten den Platz oder das Flair für repräsentative Großausstellungen. In der Vorstadtvilla besteht weniger soziale Durchmischung und eindeutig weniger kulturelles und symbolisches Kapital, u.a. durch den Wegfall der KunststudentInnen (und ihres symbolischen Kapitals als Teil der Kunstuniversität Mozarteum) sowie insgesamt durch den Wegfall jüngerer Kulturschaffender. 2.1.4.3 Symbolisches Kapital und die Namens-Politiken Als Stadtteilinitiative gegründet erlangte das „artforum Lehen“ spätestens mit dem Einzug ins Hochhaus eine weit über den Stadtteil hinausgehende Reichweite und symbolisches Kapital, unterstützt durch die Präsenz von Politik- und Kirchenvertretern bei Ausstellungseröffnungen. Das Hochhaus stand gewissermaßen für „Kunst und Kultur für alle und von allen“ und für alle künstlerischen Sparten. Am neuen Standort kommen weiterhin KommunalpolitikerInnen zu den Eröffnungen, doch haben die Eröffnungen heute weniger repräsentativen Charakter als zu Zeiten des Hochhauses. Dies lässt sich anhand der medialen Berichterstattung verfolgen, die früher affirmativ und intensiv war, nach dem Auszug aus dem Hochhaus jedoch eindeutig zurückging. Zu jenem Zeitpunkt, als das
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artforum räumlich, sozial und symbolisch „schrumpfte“, also nach dem Auszug aus dem Hochhaus und dem Einzug in die vergleichsweise kleine Vorstadtvilla, kam es zur Namensänderung. Anhand der Namensänderung von „artforum Lehen“ im Hochhaus zu „artforum Salzburg in Lehen“ in der Villa lässt sich ein Paradoxon deutlich aufzeigen: Die Umbenennung (als wirklichkeitsgenerierender Akt des Sprechens) erscheint als Versuch, das im Hochhaus erworbene symbolische Kapital mitzunehmen und zu übertragen. Dass dies nur bedingt möglich war, zeigt die weitere Entwicklung des artforums am neuen Standort – denn Träger des symbolischen Kapitals war hauptsächlich der physische Raum und der in diesem ermöglichte soziale Raum. Das Manko an physischem Raum sowie an Reichweite (und Mitgliedern) sollte offenbar durch eine Intervention auf diskursiver Ebene, also in der Selbsterzählung und im symbolischen Raum des Vereins, ausgeglichen werden. Gleichzeitig erscheint es überraschend, dass diese symbolische Expansion auf Salzburg (durch die Umbenennung) zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die realen räumlichen Verhältnisse eher auf eine Stadtteilinitiative schließen ließen. Es scheint, als müsste der neue Name die auf räumlicher, sozialer und symbolischer Ebene stattgefundene Schrumpfung kompensieren. 26 Was blieb, ist der Mythos des „Cult-Towers“ aus der Zeit im Stadtwerkehochhaus: Es ist der Wunsch, einen ähnlichen Zustand wiederherzustellen. In das mittlerweile sanierte Hochhaus zog im Frühling 2013 das „Designforum Salzburg“ ein. Alleine schon der Name „Designforum“ anstelle des vormaligen „artforums“ verweist auf eine symbolische Neubesetzung: Design hat die Kunst gewissermaßen abgelöst. „Kunst und Kultur für alle“ scheint durch Kreativwirtschaft ersetzt worden zu sein, was sich in der physischen Raumnahme niederschlägt. Die Sicherstellung adäquater struktureller Rahmenbedingungen bzw. der Entwicklung einer Perspektive für das artforum für die Zeit nach der Zwischennutzung wurde von politischer Seite verabsäumt. Zwar war im Rahmen der Neuentwicklung des Stadtwerkeareals ebenfalls die Errichtung eines „Atelierhauses“ geplant, welches Produktionsraum für KünstlerInnen und Kulturschaffende hätte bieten sollen, doch erwiesen sich letztendlich die Mietpreise als zu hoch für potenzielle NutzerInnen. Vom ambitionierten stadtplanerischen Ziel,
26 Der sprachliche Habitus (Bezeichnungen) wurde beim Umzug vom Hochhaus z.T. mitgenommen und wirkt zuweilen etwas befremdlich im Kontext der neuen Räumlichkeiten: Z.B. wird hinsichtlich der Öffnungszeiten bei Ausstellungen im Vereinslokal von „Ateliertagen“ und „offenen Ateliers“ gesprochen, obwohl es im neuen Vereinslokal gar keine Ateliers gibt, sondern lediglich den Ausstellungsraum (vgl. Interview mit Helgard Ahr am 24.10.2011, S. 14).
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im Stadtwerkeareal eine Mischung von Präsentations- und Produktionsorten von Kunst und Kultur zu realisieren, ist bislang vor allem der repräsentative Teil umgesetzt worden: So zogen die Galerie Fotohof und die neue Stadtgalerie ins Stadtwerk Lehen ein. Basiskultur wird versucht durch das vor Ort befindliche Quartiersmanagement zu organisieren, doch sind dies gänzlich andere Rahmenbedingungen als jene der selbstorganisierten Raumaneignung im Kontext des „artforums“. Im Rückblick sinniert Ernst Flatscher darüber, was eventuell möglich gewesen wäre. Seine Visionen sind dabei klar mit den zwei ehemaligen Stadtwerkehochhäusern verknüpft: „Vielleicht hätte ich da viel früher schon ein bisschen höher pokern sollen, was diesen Komplex des Doppelturmes betraf, wie da die ersten Großveranstaltungen waren und wie da alle gekommen sind, darauf hinzuarbeiten strategisch, dass wenn das einmal verbaut wird, das Gelände, dass man das als Kunsthochhaus der Stadt Salzburg belässt. Aber da hätte ich vielleicht mehr, viel mehr Druck machen sollen und mehr in diese Richtung gehen.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 15)
Dennoch blickt Ernst Flatscher mit ungebrochenem Enthusiasmus in eine mögliche Zukunft: „Ich weiß haargenau, wenn ich heute ein ähnlich großes Gebäudekompendium wiederum erhalten würde, in welcher Formation auch immer, das wäre knallvoll, mit demselben Konzept, mit leichten Abwandlungen. Aber es ist halt noch nicht, werden wir sehen, ob das noch einmal wird.“ (Interview mit Ernst Flatscher am 18.1.2012, S. 17)
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2.2 „ GRANDHOTEL ITZLING “ ‒ EIN PARTIZIPATIVES K UNSTPROJEKT VON OHNETITEL Das Projekt „grandhotel itzling – broadway itzling“ (im Folgenden: grandhotel) des KünstlerInnenkollektivs ohnetitel erforschte ich während der Projekttage im März 2011 in teilnehmender Beobachtung.1 Die Feldforschung gestaltete sich vielseitig: Im Vorfeld half ich bei der Bewerbung des Projektes und begleitete es schließlich in teilnehmender Beobachtung über die rund einwöchige Laufzeit vor Ort. Eine Befragung von PassantInnen und Geschäftsleuten in der Itzlinger Hauptstraße wurde ebenfalls durchgeführt. Meine Erlebnisse und Eindrücke hielt ich in einem Feldtagebuch sowie fotografisch fest; Gedächtnisprotokolle der Gespräche wurden angefertigt. Um das Projekt besser in das Gesamtgefüge des Stadtteillebens und -erlebens einordnen zu können, wurden Stadtteilerkundungen durchgeführt. Rund eine Woche nach Projektende (am 7.4.2012) führte ich ein Interview mit Dorit Ehlers, einem Mitglied des KünstlerInnenkollektivs, um mehr zu den Hintergründen der gesamten Projektreihe „Vorstadt vor Ort“ zu erfahren. Interviewpartnerin Dorit Ehlers wurde 1971 in Hamburg geboren, ihre Ausbildung in Schauspiel und Tanz absolvierte sie an der Dimitri-Schule in Verscio in der Schweiz sowie im Professional Modern Dance Training Program/MoveOn in Wien. Von 2000 bis 2007 war sie Mitglied des Ensembles am Toihaus Theater in Salzburg sowie in Produktionsbegleitungen im Bereich Regie und Dramaturgie tätig. Neben Theaterengagements im In- und Ausland sowie Auftritten in Film und Fernsehen zählen Produktionsleitung und Projektentwicklung im Bereich Theater, Tanz und bildende Kunst zu ihren Arbeitsfeldern. Sie ist Gründungsmitglied des KünstlerInnenkollektivs ohnetitel.2 2.2.1 Die Reihe „Vorstadt vor Ort“ Das „grandhotel“ (2011) war das dritte Projekt in der Reihe „Vorstadt vor Ort“ – es folgte auf die Projekte „Warteraum für Winterreisende“ (2008) und „Postamt
1
Es ist das einzige partizipative Kunstprojekt auf Stadtteilebene, das ich in mein Sample an Fallbeispielen aufnahm, bzw. auch das einzige, auf das ich in meinem Forschungszeitraum (2011 bis 2012) stieß.
2
Vgl. ohnetitel, http://www.ohnetitel.at/ueberuns/dorit_ehlers.php (8.4.2013).
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Mitzi“ (2009). Alle drei Projekte konnten jeweils durch den Podium-Förderpreis3 realisiert werden und 2012 wurde ohnetitel für die Projektreihe mit dem Salzburger Landespreis für Kulturarbeit ausgezeichnet. 4 In der offiziellen Jurybegründung werden die vielschichtigen Auswirkungen auf den physischen, sozialen und symbolischen Raum des Itzlinger Stadtteils unterstrichen: „Mit ihren ästhetischen Interventionen eroberten sie sich urbane Räume, entrissen das Alltägliche ihrer Unsichtbarkeit, dokumentierten den Strukturwandel des Salzburger Stadtteils Itzling, gewannen eine generationenübergreifende Zielgruppe auch jenseits des klassischen Kunstpublikums und betrieben künstlerische Stadtteilforschung. Sie leisteten damit beispielgebend einen aktiven Beitrag zur Senkung der Schwelle zwischen qualitativer Kunst und sozialem Alltag. Die kulturpolitischen Forderungen nach Kunst als Lebensmittel, Senkung von Bildungshürden für Kunstgenuss und interdisziplinärem Kunstschaffen werden in ihren Projekten scheinbar ganz selbstverständlich erfüllt. […] Die Herstellung von spartenübergreifenden Produktionsnetzwerken sorgt hierbei auch für Durchlässigkeit und einen Austausch innerhalb der Salzburger Kulturlandschaft. Gesellschaftsanalyse, Gesellschaftskritik wie auch das ästhetisch Schöne kommen hierbei nicht zu kurz und hinterlassen Spuren im öffentlichen Raum.“5
3
„Podium“ wurde 2008 vom damaligen Landeskulturreferenten David Brenner initiiert, „um innovative kulturelle Ausdrucksformen einer neuen Generation ausfindig zu machen“. Mittlerweile gehört Podium zu jenen Kulturausschreibungen mit der größten Resonanz und den meisten Bewerbungen. Die offenen und breit gehaltenen Kriterien erfüllen insbesondere junge, innovative und spartenübergreifende Projektideen. Der Förderpreis ist mit 100.000 Euro je Ausschreibung dotiert und wird auf mehrere Gewinnerprojekte verteilt (vgl. Vorwort Podium13, http://www.podium13.at/info/ vorwort [28.2.2013]).
4
„Kriterien für den Erhalt des Salzburger Landespreises für Kulturarbeit sind die Bedeutung der Kulturvermittlungsarbeit für das kulturelle Leben in Salzburg, die über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren im Bundesland Salzburg erfolgreich durchgeführt worden ist und beispielgebend beziehungsweise wegweisend ist.“ (Land Salzburg – Landeskorrespndenz, http://service.salzburg.gv.at/lkorrj/Index?cmd=detail _ind&nachrid=49827 [15.3.2013]).
5
Land Salzburg – Landeskorrespondenz, http://service.salzburg.gv.at/lkorrj/Index?cmd =detail_ind&nachrid=49827 (15.3.2013).
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2.2.1.1 Von einer Beobachtung vor Ort zur Idee Die Idee der Bespielung des leerstehenden Geschäftslokals in der Itzlinger Hauptstraße Nr. 6 kam bei einem Gespräch unter Freunden zustande: Dorit Ehlers lebte zu jenem Zeitpunkt selbst in Itzling und war zu Besuch bei einem Freund, der in besagtem Haus im ersten Stock wohnte. Das Haus ist in Familienbesitz und das Erdgeschoß, ein ehemaliges Gassenlokal, stand bereits seit Jahren leer. Dorit Ehlers schildert, wie die beiden in einer „typische[n] KüchenPhilosophie-Runde“ auf den Gedanken kamen, in dem leerstehenden Geschäftslokal etwas zu machen. Aus der Beobachtung und mit dem künstlerischspielerischen, phantasievollen Blick entfaltete sich die Idee einer paradoxen Intervention: Die Überlegung war, „kuriose Geschäfte zu eröffnen, die aber einen nicht wirklichen Geschäftscharakter haben“ und so die Besonderheit vor Ort ironisierend zum Markenzeichen zu erheben, um auf eine Situation aufmerksam zu machen und Gelegenheit zu bieten, über die gegenwärtige Situation hinauszudenken.6 Bereits vor Beginn der Reihe „Vorstadt vor Ort“ realisierten einige der KünstlerInnen, die später das Kollektiv ohnetitel gründen sollten, gemeinsam mit anderen MitstreiterInnen ein erstes Projekt im Geschäftslokal. Im Rahmen des Projektes „Urban Potentials. Perspektiven europäischer Stadträume in gegenwärtiger Kunst“ zum Thema öffentlicher Raum wurde im Frühling 2007 das Projekt „Urban Professional Services – Fit für urbanes Leben“7 realisiert. Es wies inhaltlich bereits in die Richtung der in weiterer Folge entstehenden Projektreihe „Vorstadt vor Ort“.
6
Der künstlerische Blick scheint sich dabei ähnlich dem ethnographischen Blick auf das „Kuriose“, das Außergewöhnliche sowie das Ungewöhnliche im Alltäglichen zu richten. Die Freude an der Abweichung, das Interesse an der Entdeckung etwas nicht ganz „Normalem“ scheint dem künstlerischen und dem ethnografischen, forschenden Interesse gemeinsam zu sein. Der Blick für Potenziale sowie der Wunsch, Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Phänomen herzustellen, ist gleichzeitig Ausdruck eines spezifischen künstlerischen Selbstverständnisses, in dem sich der/die KünstlerIn als in den gesellschaftlichen Kontext eingreifend versteht.
7
Im fiktiven Fitnesscenter waren Fitnessgeräte aufgebaut, auf welchen die BesucherInnen eingeladen waren, das Großstadtleben zu üben. Das Projekt fand im August 2007 an zwei Nachmittagen statt und wurde von Dorit Ehlers, Erik Hable, Fritz Rücker und Roland Kretzl geleitet (vgl. Galerie 5020, http://www.galerie5020.at/programm/ ausstellungen/2007/urban_potentials_0607/upssbg_more.htm [18.3.2011]).
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Im Sommer desselben Jahres wurde der Verein ohnetitel gegründet. Die fünf VereinsproponentInnen (Thomas Beck, Dorit Ehlers, Sabine Jenichl, Gisela Ruby, Arthur Zgubic) hatten bereits zuvor im Salzburger Theater Toihaus zusammengearbeitet. Mit der Gründung von ohnetitel schaffte sich die Gruppe einen Rahmen für gemeinsame Projektvorhaben.8 Projekte im Itzlinger Geschäftslokal sollten von Beginn an fixer Bestandteil des Programms von ohnetitel werden. Der Gedanke einer Reihe beinhaltete den Wunsch nach Nachhaltigkeit und die Möglichkeit, von Projekt zu Projekt das Konzept weiterzuentwickeln und „nicht nur ein kurzer Aufmerksamkeitserreger“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 2) zu sein. An der Schnittstelle zwischen Alltag und Phantasie wird die Erschaffung einer Als-ob-Situation durch ein fiktives Geschäftslokal dazu genutzt, einen Möglichkeitsraum9 zu kreieren, in welchem Poesie ihren Platz hat. Dorit Ehlers hält fest: „Ein bisschen Poesie in den Alltag zu bringen, ist bei vielen unserer Projekte ein Thema … und nicht so, dass es nachher eigentlich NICHTS mit dem normalen Leben zu tun hat, sondern im Gegenteil: eigentlich, dass es im normalen Leben ein bisschen Platz schafft, dass man das überhaupt wieder mitnehmen kann ins normale Leben.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 2)
2.2.1.2 Das Kuriose zum Markenzeichen machen Bereits für das Projekt „Urban Professional Service – Fit für urbanes Leben“ wurde das Geschäftslokal entrümpelt und weiß ausgemalt. Das Weiß-Ausmalen kann dabei als eine Referenz aus dem Bereich der bildenden Kunst hinsichtlich
8
Bestehend aus Theaterschaffenden (SchauspielerInnen, TänzerInnen, MusikerInnen, LichtdesignerInnen, BühnenbildnerInnen) sowie einem erweiterten Kreis von Kulturschaffenden anderer Sparten (FilmemacherInnen, bildende KünstlerInnen, GraphikerInnen und WebdesignerInnen) versteht sich ohnetitel als Netzwerk und Label mit dem Ziel, „spannende Theaterprojekte an spannenden Orten mit spannenden Themen“ zu realisieren (ohnetitel, http://www.ohnetitel.at/ueberuns/profil.php [5.4.2013]).
9
Zu Theorien zu Möglichkeitsräumen durch Kunstinterventionen vgl. Gerald Raunigs Konzept der Grenzräume durch Kunstinterventionen (Raunig 1999); darauf aufbauend beschäftigte ich mich in meiner Diplomarbeit (Huber 2009) mit Pierre Bourdieus Konzept des sozialen Raums (Bourdieu 1991) und Möglichkeitsräumen durch Kunstinterventionen.
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des Ideals des Ausstellungsraumes als White Cube10 verstanden werden und dient als Aneignungsstrategie, um aus einem Alltagsraum einen Kunstraum zu machen bzw. um diesen Raum als Spielraum nutzbar zu machen und neu zu definieren. Im temporären Kunstraum konnte nichts gekauft werden, die KünstlerInnen luden vielmehr zur Unterhaltung und Interaktion ein. Die Situation eines Geschäftslokales, in dem man nichts kaufen kann, führte immer wieder zu Irritationen bei zufälligen BesucherInnen, die mit der Auskunft, dass es sich um ein Kunstprojekt handle, bisweilen nichts anzufangen wussten. Dorit Ehlers erzählt: „Also es ist dann in dem Moment, wo es ein künstlerisches Projekt ist und es nichts zu kaufen gibt, […] insofern schon ein Tick eine andere Welt.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 4) Die fiktiven Geschäftslokale sollten dazu dienen, die Phantasie der StadtteilbewohnerInnen zu beleben und die Neugierde nach Möglichkeiten zu wecken. Den KünstlerInnen bot sich gleichzeitig ein neues Praxisfeld, eine Spielwiese zum Experimentieren und Ausprobieren neuer künstlerischer Settings sowie der Kunstvermittlung außerhalb des institutionellen Rahmens.11 Der Gesamtprozess wird dabei als ein ergebnisoffener Prozess verstanden, bei dem man bis zum Schluss nicht weiß, was herauskommt. Dorit Ehlers erklärt: „Du kannst es vorbereiten und in dem Moment, wo es startet, kannst du erst sagen: Ah ja, … so funktioniert es.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 11) Ortsspezifität als Teil des Konzeptes spiegelt sowohl die inhaltliche Überlegung, einen Stadtteil im Umbruch zum Thema zu machen, als auch die Frage der Verfügbarkeit räumlicher Ressourcen für Kunstprojekte wider: Ausschlaggebend war für ohnetitel neben dem Interesse am Stadtteil gleichermaßen die Verfügbarkeit des leerstehenden Geschäftslokals, das sich in Familienbesitz eines Freundes der KünstlerInnengruppe befand. Die Projektereihe an ein und demselben Ort anzulegen, beinhaltete zudem die Überlegung, dass erst durch eine län-
10 Zum Ideal des künstlerischen Ausstellungsraums als White Cube siehe (O’Doherty 1996). 11 Für die unterschiedlichen Programmbausteine lädt das Kollektiv „ohnetitel“ KünstlerInnen aus seinem lokalen Netzwerk ein mitzuwirken. Dabei werden meist unterschiedliche künstlerische Sparten zusammengebracht: In den bisherigen Projekten waren u.a. LiteratInnen, bildende KünstlerInnen, SchauspielerInnen, MusikerInnen, DramaturgInnen und KostümschneiderInnen beteiligt. Neben den Schnittstellen zwischen verschiedenen Kunstbereichen versucht ohnetitel auch Schnittstellen zu Alltagswelten herzustellen. Nicht zuletzt sind die BesucherInnen Teil der kollektiven Produktion der Projekte, da diese ohne sie unvollendet bleiben.
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gere Präsenz vor Ort die StadtteilbewohnerInnen erreicht und sozial nachhaltige Beziehungen aufgebaut werden können. 2.2.1.3 Der Stadtteil Itzling – Vorstadt als künstlerisches Aktionsfeld Bereits durch den Titel der Reihe wird der Stadtteil Itzling vom KünstlerInnenkollektiv als „Vorstadt“ definiert. Itzling ist ein Stadtteil im Umbruch – Zeichen dafür sind bspw. im sozialen Raum (heterogene BewohnerInnenschaft, Armut) sowie im physischen Raum (Leerstände, Brachen) zu finden. Dies schlägt sich wiederum auf das Stadt(teil)erleben nieder und macht den Stadtteil offenbar zu einem interessanten künstlerischen Aktionsfeld (symbolischer Raum).12 Itzling stellt im Gefüge der Stadt Salzburg einen Randbezirk dar, der historisch aufbauend auf bäuerliche Strukturen und als vormals eigenständige Gemeinde durch seine Bahnhofsnähe zum Eisenbahnerviertel wurde (vgl. Weitgruber 2003). In der Nachkriegszeit entwickelte sich Itzling zu einem Stadtteil mit heterogener BewohnerInnenschaft und unterschiedlichen sozialen Milieus. Itzling weist gewissermaßen einen dörflich-urbanen Charakter auf. Der Stadtteil wurde erst 1935 in Salzburg eingemeindet, davor war er gemeinsam mit Gnigl eine eigenständige Gemeinde.13 Im Stadtteil sind sowohl Elemente des Dörflichen zu finden – wie beispielsweise die zentral gesetzte Kirche mit dem danebenliegenden Kirchenwirt oder die soziale Umgangsform des Sich-auf-derStraße-Grüßens, das eher eine Gepflogenheit aus dem ländlichen Raum darstellt – als auch urbane Elemente: Entlang der Salzach besteht bspw. eine eher bürgerliche bis kleinbürgerliche Wohnsituation mit Villen und Einfamilienhäusern, im Gegensatz dazu stellt wiederum die Goethesiedlung, die in den 1970er Jahren als damals größtes Bauprojekt realisiert wurde, eine der am dichtesten verbauten Wohnsiedlungen der Stadt dar, in der ein hoher Anteil an BewohnerInnen mit Migrationshintergrund besteht. Der Stadtteil ist sowohl baulich als auch sozial
12 Zumeist sind es diese Stadtteile, die einen gewissen Freiraum aufweisen, da sie weder physisch noch symbolisch prestigeträchtige Bausteine der Stadtidentität und Narration beheimaten und so noch nicht übercodiert sind. Die Aussage eines ohnetitel-Mitglieds, dass die Reihe Vorstadt vor Ort „kein Exportartikel“ sei, verweist dabei gewissermaßen auf beide Ebenen – auf den inhaltlichen Anspruch, an einem prekären Ort einzugreifen, sowie auf die Verfügbarkeit von Raum. Ortseffekte (vgl. Bourdieu 1997b) spielen in der Projektreihe also eine mehrfache Rolle. 13 Vgl. Itzling (Salzburg) – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Itzling_%28Salzburg %29#Geschichte (5.04.2013).
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heterogen strukturiert. Neubauten wie das Techno-Z oder die Erweiterung der HTL zielen auf eine Um- und Aufwertung des vormals als Glasscherbenviertel geltenden Stadtteils ab. 2.2.1.4 „Warteraum für Winterreisende“ – ein Adventkalender (2008) Im ersten Projekt „Warteraum für Winterreisende – ein Adventkalender“ (im Folgenden: Warteraum) wurde an 24 Tagen vor Weihnachten allabendlich rund eine Stunde Unterhaltung geboten. Künstlerische Miniaturaufführungen – von Koch-Performance über Lesung oder Theaterstücke – wurden über einen OnlineAdventkalender erst am Aufführungstag angekündigt, wodurch der Überraschungseffekt eines Adventkalenders erzielt wurde. Die Idee zum Warteraum entstand aus der Beobachtung vor Ort Dorit Ehlers erzählt: „Da haben wir einfach den Ort selber mal angeschaut und gesagt, das Naheliegende ist eigentlich, wenn es da die Bushaltestelle gibt, direkt an der Bushaltestelle einen Bushaltestellen-Warteraum einzurichten im Winter [...].“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 4) Das Geschäftslokal wurde zur überdachten Haltestelle und zum Warteraum, in dem sich die Reisenden die Wartezeit bis zur Ankunft des nächsten Busses vertreiben konnten. KünstlerInnen aus dem ohnetitel-Netzwerk der Salzburger freien Szene gestalteten künstlerische Performances von rund 10 Minuten, die jeweils im Loop aufgeführt wurden. Die zeitliche Taktung ermöglichte eine reibungslose Einpassung in den Rhythmus des Busfahrplans: Dies war gewissermaßen die technische Seite der Wunder, das Scharnier zum Alltag, das eine Anpassung und Annäherung von Fiktion und Realität ermöglichte. Aufbauend auf der Erfahrung mit dem Fitnesscenter, das nur einen Nachmittag lang geöffnet hatte, wollte ohnetitel den StadtteilbewohnerInnen mehr Zeit geben, aufmerksam und neugierig zu werden.14 Bei diesem ersten Projekt der Reihe setzte ohnetitel also vor allem auf die Neugierde potenzieller BesucherInnen, um die Schwelle zum temporären Kunstraum zu überschreiten. Das Erreichen neuer Publikumsschichten gestaltete sich trotz der niederschwelligen Ortswahl dennoch schwie-
14 In der Jurybegründung für die Auswahl des Projektes im Rahmen von Podium wurde u.a. das Anliegen, ein neues Kunstpublikum anzusprechen, hervorgehoben: „Das Projekt überzeugt im Sinne der Ausschreibung auch als überlegtes künstlerisches Stadtteilprojekt, das ungewöhnliche Räume bearbeitet und neue Publikumsschichten für Kultur interessiert.“ (Jurybegründung Podium, http://www.podium09.at/podium08/ adventkalender/ [8.02.2013]).
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rig. In ihrer Schilderung weist Dorit Ehlers darauf hin, dass nicht nur die Wahl des physischen Raums, sondern gleichermaßen die Gestaltung des sozialen Raums maßgebend ist, um das Publikum zu erreichen: „Die Hemmschwelle ist natürlich groß. [...] Es war immer gut besucht, aber die Leute sind natürlich eher von der Stadt heraus gekommen, muss man ganz ehrlich zugeben. Du bietest was an und du kannst jetzt auch nicht mehr tun, als das erstmal anzubieten und es möglichst zu verbreiten und weiterzuerzählen, in den Geschäften nebenan vielleicht auch Karten auszulegen und einfach mal so ein bisschen Werbung zu machen. Aber erstmal ist es der Versuch, wo man im Nachhinein sagt: Naja, die Quote, wie viele reinkommen, liegt wahrscheinlich unter 5 % aus dem Ort selbst.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 4)
Hatte sich jemand in den Warteraum hineingewagt, erwartete ihn/sie ein eher informelles Setting, in dem die BesucherInnen primär auf sich selbst gestellt waren. Gleichzeitig war der Warteraum Treffpunkt für die Kunstszene selbst. BesucherInnen, die sich der Szene nicht zugehörig fühlten, konnten leicht abgeschreckt werden, da solch ein Raum bisweilen wie ein Insider-Treffpunkt wirken mag. Vor diesem Hintergrund schildert Dorit Ehlers das Bemühen, Brücken zu bauen: „Wenn du da [im Warteraum] als jemand Fremdes reinkommst, sind wir natürlich sofort bemüht, [...] also da sind wir besonders bemüht, auf die zuzugehen und die anzusprechen. Aber es ist natürlich immer ein bisschen … es wirkt schnell wie eine Insidergesellschaft, weil die anderen sich untereinander kennen und gleich begrüßen und als Fremder merkst du erst einmal, dass du niemanden kennst.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 7)
Aufgrund des informellen, nicht-institutionellen Settings, in dem relativ unklar ist, was einen erwartet, sind formalisierte Interaktionsangebote besonders wichtig, um den BesucherInnen mögliche Ankerpunkte zu geben: Einen steten Ankerpunkt stellen die ohnetitel-Mitglieder selbst dar, die zumeist als fiktionale Charaktere dem Setting entsprechend auftreten, sowie das Barteam, das Getränke anbietet.
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2.2.1.5 Das „Postamt Mitzi“ – Postamt der Herzen (2009) Beim Projekt „Postamt Mitzi“ war die Schließungswelle österreichischer Postämter infolge der Privatisierung der österreichischen Post15 der direkte oder unmittelbare Anker- und Anknüpfungspunkt in der Realität, von dem aus in den fiktionalen Raum „Postamt Mitzi“ eingeladen wurde. Dorit Ehlers erzählt: „Und da ist halt das Postamt Mitzi entstanden, genau zu der Zeit, wo einfach immer die Schlagzeilen rumgingen, wo überall die Postämter schließen. Das war dann halt der Slogan: Überall schließen sie, aber wir eröffnen eines – natürlich ein ganz spezielles, ein Postamt für die Herzen. Das war dann natürlich auch die ‚Mitzi‘, wo jeder seine Tante Mitzi hat, also bei der man Sorgen loswerden kann und sich helfen lassen kann und keinen Stress hat.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 5)
Im Unterschied zu einem normalen Postamt wurde eine neue Dienstleistung erschaffen: An drei Schaltern mit den Überthemen „Glaube“, „Liebe“ und „Hoffnung“ konnten die BesucherInnen Hilfe beim Verfassen von Briefen in Anspruch nehmen oder sich auch selbst einen „Wunschbrief“ schreiben lassen. Die 12 abwechselnd tätigen SchalterbeamtInnen kamen aus unterschiedlichen Berufsfeldern: vom Literaturhausleiter über BuchhändlerInnen, PhilosophInnen und SchauspielerInnen. Briefe wurden innerhalb Salzburgs von den drei PostbotInnen „Briefober“, „Postpoetin“ und „Amor“ ausgetragen, die täglich während der Öffnungszeiten (16 bis 19 Uhr) im Dienst waren. Die Briefe wurden entweder an die Postadresse oder persönlich, teils an unüblichen Orten wie bspw. dem Kaffeehaus, zugestellt – die jeweiligen Zustellwünsche wurden im Postamt erfragt. Jeder der fünf Projekttage stand unter einem Motto: „Liebesbriefe, Trennungsschreiben, Romanzen“ (Tag 1); „Briefe an die Bürokratie, Bekenner- und Erpresserschreiben, Mahnungen 1, 2 und 3“ (Tag 2); „Absagen, Wünsche, Bewerbungsschreiben“ (Tag 3); „Gerüchte, Verleumdungen, Briefe ins Blaue und blaue Briefe“ (Tag 4); „Post Mortem: Der Schwarze Freitag. Nie geschriebene und endgültige Briefe, Briefe an sich selbst, Briefe an nicht existierende Personen“ (Tag 5). Die Spannbreite der Themenangebote spiegelte die Themenvielfalt des Briefeschreibens im Alltag wider – bis auf den letzten Tag, an dem die The-
15 Die Privatisierung der österreichischen Post infolge der EU-weiten Liberalisierung der vormals öffentlichen Dienstleistung Post Ende der 1990er führte zur Teilprivatisierung mit dem Ziel der vollständigen Liberalisierung der Österreichischen Post bis 2013. Im Zuge dessen kam es zu diversen Schließungswellen erst im ländlichen Raum sowie in Folge auch in den Städten. Siehe u.a. (Malli 2003).
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men unrealistisch erscheinen. Für den Post-Shop wurden bildende KünstlerInnen eingeladen, kleine Artikel, wie Postkarten oder Marken, zu produzieren. Zu jeder vollen Stunde gab es, während das Schalterpersonal pausierte, eine künstlerische „Pauseneinlage“. Insgesamt waren ca. 30 bis 40 Mitwirkende am Projekt beteiligt. Eine alltägliche Situation, nämlich der Weg zum Postamt, wurde aufgegriffen und mit neuer Bedeutung poetisch ausgestattet. Gleichzeitig machte sich bei den KünstlerInnen Erstaunen darüber breit, dass die fiktionale Dienstleistung plötzlich realen Raum und eine Eigenberechtigung beanspruchte. Dorit Ehlers erzählt: „Und es hat auch definitiv etwas, wo man gemerkt hat, eigentlich ist das eine Marktlücke: Briefe schreiben helfen – es gibt einige, die das in Anspruch nehmen wollen würden und sonst auch niemanden hätten, es gibt keine Anlaufstelle für so was. … Und das war dann sehr interessant, weil du machst auf eine Art ein Kunstprojekt und auf der anderen Seite kriegst du die Bestätigung, es erfüllt wirklich ein Bedürfnis.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 6)
Die mit einem Augenzwinkern erdachte Dienstleistung wurde von einem Teil der BesucherInnen tatsächlich für ernsthafte Anliegen in Anspruch genommen. Ehlers schildert: „Zum Beispiel sitzt jemand vor dir und sagt: ‚Ich habe seit drei Monaten keinen Kontakt zu meinen Eltern, ich habe keine Ahnung, wie ich Kontakt aufnehmen möchte, und würde das eigentlich jetzt gerne mit einem Brief versuchen‘ oder ‚Ich habe Streit mit meinen Nachbarn in meinem Haus. Das funktioniert alles überhaupt nicht, das eskaliert – ich probiere jetzt mal den Weg‘.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 6)
Durch das Projekt wurde ein Bedürfnis entdeckt. Nach Ende des Projektes fällt das entdeckte, freigelegte Bedürfnis allerdings wieder auf sich selbst zurück, es sei denn, die Idee würde aufgegriffen und weiterentwickelt. Ob eine solche Dienstleistung auch unabhängig vom Kunstprojekt funktionieren würde und es eine Nachfrage danach gäbe, ist insofern unklar, als es für die InteressentInnen vielleicht gerade das Kunsthafte war, das es ihnen möglich machte, die Dienstleistung zu beanspruchen. Möglicherweise war nämlich bei allem Ernst bestimmter Anliegen gerade der spielerische Rahmen notwendig, um den Schritt zum Brief hin, zum Sich-Mitteilen überhaupt zu wagen. Bereits das Aufsuchen der Brief-SchreibexpertInnen im Postamt Mitzi stellte eine Veröffentlichung und eine Veräußerung des eigenen Anliegens oder Problems dar. Ein Teil der Besu-
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cherInnen nutzte die angebotene Dienstleistung also nicht als Spiel oder zur bloßen Unterhaltung, sondern als Handlungsmöglichkeit, um etwas in ihrem Leben zu verändern. Durch ihre Anwesenheit und Teilhabe im Postamt machten sie den fiktionalen Raum erst lebendig und funktionsfähig. Das fiktionale Setting des Postamtes für die Herzen wurde damit in einem besonderen Maße real. Im Projektsetting bestand ein Spannungsverhältnis dazwischen, Unterhaltung zu bieten und zugleich etwas im Leben eines anderen Menschen zu bewegen, zu berühren. Am letzten Projekttag wurden die Briefgeheimnisse gelüftet, sofern die BesucherInnen zustimmten. Das Lüften des Briefgeheimnisses erfolgte in einer künstlerischen Interpretation und Verfremdung: „Die Briefe wurden gesungen vorgetragen.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 15) Durch die künstlerische Interpretation und Aufführung wurden die Briefe einer Übersetzung unterzogen, die gleichzeitig eine Distanz zum ursprünglichen Inhalt schaffte: Damit wurde einerseits die Unterhaltung in den Vordergrund gestellt sowie andererseits auf behutsame Weise der private Inhalt verfremdet und dadurch auch geschützt. Die Briefe waren bis zu einem gewissen Grad Mittel zum Zweck, sie dienten als Scharniere zwischen Fiktion und Realität: Sie berührten einerseits das Alltagsleben der jeweiligen Menschen, indem sie auf besondere Weise geschrieben und im gesamten Stadtraum zugestellt wurden, und sie wurden andererseits durch das Lüften des Briefgeheimnisses in den Kunstraum rückgeführt. Das Projekt wuchs erst durch die individuellen Erfahrungen des Teilens von Anliegen, das Übersetzen in einen Brief, das Zustellen und den Erhalt des Briefes und schließlich durch seine erneute Übersetzung – im performativen Vortragen der Briefe am letzten Abend – als Ganzes zusammen. 2.2.2 Das „grandhotel itzling“ (2011) Für das Projekt „grandhotel itzling“ inszenierte ohnetitel in demselben leerstehenden Geschäftslokal ein fiktives Hotel, das als Bühne für den Austausch über (Lebens-)Geschichten aus dem Stadtteil fungierte. Im Projektzeitraum (24. bis 31. März 2011) lud das grandhotel nachmittags von 17 bis 20 Uhr zum Programm im Innenraum des leerstehenden Geschäftslokals sowie im Außenraum der Itzlinger Hauptstraße. Es gab geführte Rundgänge zu den bespielten Schaufenstern in der Itzlinger Hauptstraße, Stammtischrunden im fiktiven Hotelfoyer sowie eine Hotellounge als Treffpunkt und offener Gesprächsraum. Allabendlich wurde eine Gutenachtgeschichte zum Tagesausklang inszeniert. Insgesamt wa-
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ren am Projekt rund 40 bis 50 Mitwirkende beteiligt. 16 Nicht zuletzt wurde das Projekt erst durch die BesucherInnen ganz zum Leben erweckt. Im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Projekten entstand das grandhotel auf Anfrage von und in Kooperation mit dem Stadtteilverein der Itzlinger Kaufmannschaft17 – so stand die Interaktion mit den StadtteilbewohnerInnen von Anfang an stärker im Zentrum. Die Itzlinger Kaufmannschaft war mit dem Wunsch, die teils leeren Schaufenster zu beleben, an die KünstlerInnengruppe herangetreten. Durch die Kooperation erhofften sich die KünstlerInnen eine größere Reichweite des Projektes. Ansprechpartner und Kontaktperson der Kaufmannschaft war ein ca. Ende 60-jähriger Geschäftsinhaber, der im Stadtteil wohnt und sich aktiv in verschiedenen Vereinen im Stadtteil einbringt sowie als ehemaliger ÖVPGemeinderat gut vernetzt ist.18 Als aktiver Stadtteilbewohner fungierte er als Multiplikator und Verbindungsglied zu den GeschäftsinhaberInnen, zu Netzwerken im Stadtteil sowie insbesondere zu älteren StadtteilbewohnerInnen. Er galt gewissermaßen als Gate Opener. Über das Zustandekommen der Kooperation mit ohnetitel erzählt er Folgendes: „Aus Anlass des Projektes [...] haben wir einmal über meine Vision beziehungsweise die Vision von der Werbegemeinschaft der Kaufleute und Handwerker in Itzling gesprochen [...], dass es schön wäre, Künstler zu finden, die die Schaufenster gestalten und dann halt wieder hinausgehen, wenn das neu vermietet oder verkauft wird.“ (Interview mit Mitglied der Kaufmannschaft am 3.04.2011, S. 8)
Dabei werden die unterschiedlichen und doch kompatiblen Interessen deutlich. Hauptinteresse der Kaufmannschaft ist die Belebung der Schaufenster zur Inwertsetzung des Ortes für potenzielle kaufmännische Zwecke (neuer Mietvertrag oder Verkauf). Dieser Impuls der Kaufmannschaft, die Schaufenster zu beleben, wurde aufgegriffen und in den Kontext eines größeren künstlerischen Gesamt-
16 Dazu zählten neben dem fünfköpfigen ohnetitel-Team FilmemacherInnen, MusikerInnen, SchauspielerInnen, bildende KünstlerInnen, StadtteilbewohnerInnen, das BarTeam sowie weitere ExpertInnen aus dem ohnetitel-Netzwerk, die bspw. an Kostümgestaltung oder Raumgestaltung mitwirkten. 17 Die Itzlinger Kaufmannschaft ist ein Zusammenschluss Itzlinger Geschäftstreibender, der sich als Stadtteilverein versteht und sich für eine Belebung des Stadtteils einsetzt. 18 Die vorangegangenen „Vorstadt vor Ort“-Projekte hatte er bereits mitverfolgt, da sein Sohn, ein bildender Künstler und Teil des breiteren Netzwerkes von ohnetitel, in den Projekten involviert war.
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Konzeptes gestellt. Ausgangspunkt der Konzeptentwicklung war die Idee, Geschichten über die Straße als ehemals funktionierende Geschäftsstraße zu erzählen. Das Interesse an der Geschichte der Straße weitete sich bald aus, hin zu einem Interesse an der Geschichte des gesamten Stadtteils und seiner BewohnerInnen. Hierzu interviewte das ohnetitel-Team ältere StadtteilbewohnerInnen über ihre Erinnerungen sowie die Veränderungen im Stadtteil. Das Eingreifen in sowie das Gestalten des sozialen Raums begann also bereits in der Recherchephase, den Kontaktaufnahmen im Stadtteil sowie dem Sammeln des Basismaterials und nahm mit dem Konzipieren der unterschiedlichen Programmbausteine weiter Form an. 2.2.2.1 Programmbausteine Das „Erzählen“ über den Stadtteil sowie über individuelle Lebensgeschichten wurde zum inhaltlichen Leitmotiv des gesamten Projektes. Das Motiv des Geschichte(n)-Erzählens zog sich durch den Parcours/Rundgang mit den Audiotracks und Filmprojektionen und setzte sich sowohl in den Stammtischrunden als auch in den Gutenachtgeschichten fort. Auch im Programmbereich der freien Interaktion sollte es um die Möglichkeit informeller Gespräche (als eine weitere Form des Geschichtenerzählens) gehen. Das grandhotel war von den bisherigen Projekten jenes, bei dem am wenigsten Theater gespielt wurde, sondern vielmehr eine Bühne für die StadtteilbewohnerInnen hergestellt wurde. Erstmals war Kommunikation bzw. Austausch unter den BesucherInnen als Programmbestandteil bereits im Konzept vorgesehen.19 Das Erstellen und Gestalten des physischen, sozialen und symbolischen Raums als fiktionaler Raum fand beim grandhotel sowohl im Außenraum (auf der Straße) als auch im Innenraum (im leerstehenden Geschäftslokal) statt.
19 Hierbei stellte sich die Frage, wie viel Raum durch Programm vorstrukturiert und wie viel Raum für freie Interaktion vorgesehen werden sollte. Dorit Ehlers beschreibt dies als eine neue Erfahrung: „Beim Hotel [grandhotel] war schon das Gefühl: Was tun wir? Also einerseits schaffst du eine Lounge, wo du sagst, es soll der Ort sein, wo man plaudert und sich austauscht – und du kannst nicht permanent Unterhaltung bieten, sondern die Leute sollen ja reden. […] du entwickelst daraus dann Ideen, wenn du sagst, einerseits wollen wir dieses Mal gar nicht so viel zustopfen, denn der Raum muss da sein für Gespräche …“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 15f.)
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Auf der Straße: „broadway itzling“ Über dem Eingang des Geschäftslokals wurde entlang der Fassade ein großes Schild mit dem Schriftzug „Grand Hotel Itzling“ in schwarzen Kapitälchen auf weißem Hintergrund angebracht. Hier starteten geführte Rundgänge zu den 12 Schaufenstern teils leerstehender, teils aktiver Geschäftslokale, in denen von vier Salzburger FilmemacherInnen gestaltete Kurzfilme projiziert wurden. Die projizierten Filme sollten einerseits als bewegtes Medium eine Übersetzung des fehlenden Treibens auf der Straße darstellen, andererseits setzten sie sich auf inhaltlicher Ebene mit der Geschichte und möglichen Zukunft des Stadtteils auseinander. Die bespielten Schaufenster fügten sich konzeptuell als „Hotelzimmer“ in die Hotelidee ein. Die Bezeichnung als „broadway itzling“ sollte den Glanz der ehemals geschäftigen Einkaufsstraße heraufbeschwören. Allabendlich fanden im Rahmen des Programmpunkts „broadway Itzling“ im halbstündlichen Takt geführte Rundgänge zu den Schaufensterstationen statt. Die Rundgänge wurden von einem als Page kostümierten ohnetitel-Mitglied angeführt – ausgestattet mit einem Koffer und einer kleinen Tafel auf langem Stiel. 20 Die Gruppengröße war auf neun TeilnehmerInnen begrenzt. An der Rezeption wurden Zählkarten ausgegeben, die bereits durch ihre Beschaffenheit (hölzern, ca. 10 x 5 cm groß und mit aufgemalten Ziffern) auf die Besonderheit des Unterfangens hinwiesen. Die kuratorische Idee für den Rundgang bestand darin, eine „Art Lebenslauf“ des Stadtteils abzubilden und einen Gang durch seine Geschichte auf mehreren Ebenen erfahrbar zu machen. Subjektive Bilder und Erinnerungen wurden in einen Zusammenhang gebracht und teilweise disparat wirkende Teile fanden erst im Gesamtblick ihren Platz. Mit der Idee des Parcours wurde der Wunsch einer Wiederbelebung des Treibens in der Straße temporär performativ materialisiert: Die BesucherInnen mussten sich bewegen, um die Geschichte(n) zu erfahren und belebten durch ihre Präsenz die Straße.21
20 Auch ich führte als teilnehmende Beobachterin (nicht-kostümiert) zwei Mal Führungen durch. Ich hatte ohnetitel angeboten, während meiner teilnehmenden Beobachtung bei Bedarf auszuhelfen. Sie schlugen vor, dass ich teilweise Führungen übernehmen könnte, um so parallel mehrere Führungen anbieten zu können. 21 Das Aufsuchen des grandhotels durch StadtteilbewohnerInnen und durch andere BesucherInnen führte ebenfalls zu einer temporären Belebung des Ortes: Ein unübliches Aufkommen an der Bushaltestelle, abgestellte Fahrräder und Menschentrauben vor dem Eingang des grandhotels veränderten den Anblick des ansonsten im Dornröschenschlaf weilenden Geschäftslokals.
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Die drei sinnlichen Ebenen des Rundgangs „Hören“, „Sehen“ und „Gehen“ stellten Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart sowie potenzieller Zukunft her und erschlossen erst in ihrer Gesamtheit die Narration des Parcours. Hinzu gesellte sich eine vierte sinnliche Ebene: jene der „Imagination“: Erst durch sie werden Fiktion und Realität zu einem poetischen Ganzen zusammengeführt. Die visuelle Ebene der (Stumm-)Filme bot assoziative, subjektive Bilder und präsentierte weniger eine nacherzählbare Handlung. 22 Die Narration war in der Zusammenschau der Filme angedacht, sodass vom ersten bis zum letzten Film die Geschichte bzw. ein Lebenslauf des Stadtteils erzählt werde sollte. Als Basismaterial für die Filme dienten die persönlichen Geschichten von StadtteilbewohnerInnen. Aus den auf Tonband aufgezeichneten Interviews filterte ohnetitel jene Erzählungen heraus, die sich als „Geschichten anboten“. Den FilmemacherInnen wurden bei einem Treffen die gesammelten Geschichten in mündlicher Form weitererzählt, mit der Idee, auf diese Weise erneut subjektive Bilder über das Erzählte entstehen zu lassen.23 Ausschlaggebend für die Auswahl der letztendlich vier FilmemacherInnen Gunda Gruber, Erik Hable, Sigrid Langrehr und Fritz Rücker waren deren jeweils eigene Bildsprache und unterschiedliche Herangehensweise. Bereits durch die Form der wiederkehrenden Handschriften sollte, unabhängig von einer durchgängigen inhaltlichen Erzählung, ein Rhythmus und das Gefühl einer Kontinuität sowie einer Narration entstehen. Der Parcours hatte auch einen eigenen Soundtrack: Über Kopfhörer und MP3-Player konnten die TeilnehmerInnen eine Zusammenstellung aus Auszügen von Interviews sowie Musik und Geräusche aus dem Stadtteil hören. Somit schaffte die auditive Ebene durch die Kopfhörer eine Abkoppelung und Verstärkung des subjektiven Erlebens. Die haptische Ebene, die durch das „Ergehen“ des Parcours selbst angesprochen wurde, eröffnete ein kollektives Erleben in der Bewegung als Gruppe – durch den kostümierten und als fiktionalen Charakter erkenntlichen Hotelpagen, der die Gruppe anführte, wurde die Besonderheit und Nicht-Alltäglichkeit des Unterfangens akzentuiert. Beim „Ergehen“ des Stadtteils erfuhren die TeilnehmerInnen gleichzeitig etwas über die Vergangenheit
22 Dorit Ehlers hält fest, dass es ohnetitel um eine subjektive Weitergabe von Bildern (Geschichten, Erinnerungen) ging und das KünstlerInnenkollektiv keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Objektivität erhob, wie dies vielleicht bei einem „Museum“ oder einem „Archiv“ der Fall wäre. 23 Als weiteres Basismaterial wurden den FilmemacherInnen die bei den Interviews teilweise von den StadtteilbewohnerInnen erhaltenen Fotos zur Verfügung gestellt.
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und mögliche Zukunft, teils durch die Filme, teils durch die Audiospur, sowie über die Gegenwart, in der sie sich im physischen Raum fortbewegten. Innenraum – im Hotelfoyer Neben der Straße als Außenraum stellte der Innenraum des Geschäftslokales den zweiten fiktionalen Raum des Projektes dar. Der Innenraum schuf das Ambiente eines Hotelfoyers: In dem relativ kleinen, ca. 35 m² umfassenden Geschäftslokal wurden Teile eines möglichen Hotelmobiliars angedeutet, die gleichsam auf ein größeres imaginäres Hotel verwiesen. Der Raum und das Mobiliar zeigten jeweils nur einen Ausschnitt; das Gesamte des imaginären Hotelfoyers musste man sich vorstellen: Z.B. ragte ein Teil eines aufgemalten Teppichs in den Raum hinein; die Rezeption stellte nur einen Teil des gesamten, imaginierten Rezeptionstisches dar; die Stiege im hinteren Teil des Raums wurde mit drei großen, begehbaren Stufen angedeutet. Sowohl die bewusste Wahl der bruchstückhaften Gestaltung als auch diverse Dekorationsdetails (ein aus Papier gefertigter Luster, ein Aquarium aus Zuckerguss) wiesen auf den fiktionalen Charakter des Raums und des Settings bzw. auf eine Als-ob-Situation hin (vgl. Feldtagebuch, Erstbegehung, 20.3.2011). Im Hotelfoyer wurde das Leitmotiv des „Erzählens“ in drei Formaten fortgeführt: erstens in einem an der Rezeption aufliegenden „Gästebuch“, zweitens in den „Stammtischrunden“ und drittens in den allabendlichen „Gutenachtgeschichten“. Neben diesen Formaten gab es genügend (Frei-)Raum für Gespräche unter den BesucherInnen. Stammtischrunden – AkteurInnen Der erste Programmpunkt eines jeden Nachmittag war eine „Stammtischrunde“. Die jeweils eingeladenen StadtteilbewohnerInnen erzählten aus ihrem Leben und teilten ihre Erfahrungen aus dem Stadtteil. Die Dramaturgie der Stammtischrunden als Teil des Gesamtprojektes entlang dem Motiv „Lebensgeschichte des Stadtteils“ ergab sich gewissermaßen von selbst, wie Dorit Ehlers schildert. Der erste Teil der Woche war stärker der Vergangenheit gewidmet, der zweite Teil der Gegenwart und Zukunft: Es gab eine „Damenrunde“, eine Runde mit Mitgliedern des „Sonntagsstammtisches Kirchenwirt“, eine „Herrenrunde“, die „Junior-Runde ‚Keck‘“ und eine Runde mit Mitgliedern des „Stadtteilgartens ABZ“.24 Das Raumsetting – die Gestaltung des physischen Raums – war bei den
24 Ich beobachtete in den Stammtischrunden die unterschiedlichen Konstellationen der Stammtischgäste (Anzahl, Alter, Geschlechter), die jeweilige Aneignung des Raumsettings sowie wiederkehrende und wechselnde Gesprächsthemen und die Ge-
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Stammtischrunden zweiteilig, eine Raum- und Rollenaufteilung in Bühne und Publikum wurde angedeutet,25 doch war die Sitzordnung bisweilen flexibel. Die Stammtischrunden wurden vom ohnetitel-Mitglied Arthur Zgubic moderiert, der bemüht war, eine Balance zwischen Unterhaltung und informativem Gespräch zu schaffen. Die Anzahl der Stammtischgäste variierte von drei bis zu rund zehn. Im Schnitt kamen täglich 15 bis 20 BesucherInnen zu den Stammtischrunden. Der Einladung zur Damenrunde (25.3.2011) waren drei rund 80-jährige Frauen gefolgt.26 Die Frauen schienen sich nach anfänglichen Unsicherheiten auf das offene Gesprächsformat einzulassen und selbst zu erzählen sowie auf Fragen einzugehen: Ihre Erzählungen waren geprägt von Kindheitserinnerungen und persönlichen Erlebnissen in einem Itzling der Kriegszeit, Vor- und Nachkriegszeit. Der Moderator stellte insbesondere Fragen, die auf das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart im Stadtteil abzielten, und darauf, welche Veränderungen und Unterschiede es zwischen damals und heute gibt. Die Gesprächsdynamik wurde wesentlich von den Anwesenden mitgestaltet und insgesamt erwies sich die Gesprächsatmosphäre als sehr anregend und unterhaltsam. Zur zweiten Stammtischrunde (28.3.2011) erschienen Männer, die sich seit 20 Jahren jeden Sonntagvormittag im Kirchenwirt zum „Sonntagsstammtisch“ treffen. Dies brachte eine zusätzliche symbolische Verknüpfung aus dem Alltag des Stadtteils in den temporären Kunstraum. Ein realer Stammtisch war zu Gast bei den fiktiven Stammtischrunden im grandhotel. Mit acht bis zehn Personen stellten die Stammtischler vergleichsweise die größte Gruppe dar. Die Männer im Alter von ca. 50 bis 70 kamen zum Teil in Begleitung ihrer Partnerinnen. Die Raumaufteilung in Bühne und Publikum wurde nicht beachtet, weil mehr Stammtischler anwesend als Bühnenplätze (gepolsterte Stühle) vorhanden waren. Einige saßen auf Stühlen, andere auf den Publikumshockern und wiederum
sprächsdynamiken. Die von mir in Gedächtnisprotokollen notierten Gesprächsthemen stellen eine subjektive Wahrnehmung dar: Die Feldforscherin fungiert als subjektives Aufnahmegerät und ihre Wahrnehmungen und Deutungen spiegeln, bis zu einem gewissen Grad, auch ihre persönlichen Einstellungen wider. Gleich den anderen BesucherInnen entwirft auch sie im grandhotel ihre eigenen subjektiven Bilder und Geschichten, ihre innere Landkarte einer Topografie des Möglichen. 25 Links vom Eingang dienten die gepolsterten Stühle des fiktiven Hotelfoyers, die im Halbkreis aufgestellt waren und auf welchen die geladenen Gäste gebeten wurden, Platz zu nehmen, als Bühnensituation. Ihnen gegenüber waren kleine Hocker aufgestellt, auf denen die BesucherInnen Platz nehmen konnten. 26 Eine über 90-jährige ehemalige Hotelrezeptionistin hatte kurzfristig abgesagt.
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andere lehnten an der Wand. Zunächst wurde vom Sonntagsstammtisch sowie auch scherzend von den relativ rigiden Regeln desselben (z.B. sind nur Männer erlaubt) erzählt. Weiter wurden Wirtshäuser und das Vereinsleben im Stadtteil thematisiert sowie die Geschichte des Stadtteils im Kontext von Kriegs- und Nachkriegserfahrungen. Es ging gewissermaßen um das dörfliche Itzling in der Gegenwart. Itzling wurde dabei als geselliger und dörflicher Stadtteil charakterisiert. Mir schien bisweilen, dass die Moderation das Thema und Image der Geselligkeit forcierte, indem wiederholt nach der in Itzling vermeintlich vorhandenen Geselligkeit gefragt wurde sowie danach, wer ein „echter Itzlinger“ sei bzw. was einen solchen ausmache.27 Insgesamt wurde recht viel gescherzt und mir schien, die Männer versuchten, die Stammtisch-Laune im fiktiven grandhotel zu reproduzieren. Als jemand erwähnte, dass es eine eigene Stammtischhymne gebe, standen einige Männer spontan auf und sangen diese vor (vgl. Feldtagebuch, 28.3.2011). Die dritte Stammtischrunde, die „Herrenrunde“ (29.3.2011), war ähnlich der Damenrunde eine lose Zusammensetzung von Stadteilbewohnern im Alter zwischen 60 und 80 und umfasste zwei wichtige Figuren des „dörflichen“ Itzling – den Vorsitzenden der Kaufmannschaft und den Wirt des Gasthofs Kirchenwirt – sowie einen über 80-jährigen Itzlinger, der in seiner Jugend Mitglied der sozialistischen Jugendorganisation „Rote Falken“28 gewesen war.29 An jenem Tag waren rund 21 BesucherInnen anwesend und damit war es der Tag mit den meisten BesucherInnen bei einer Stammtischrunde. Die Medienintervention tags zuvor – ein ORF-Beitrag über das grandhotel in „Salzburg Heute“ 30 – hatte daran gewiss
27 Es ist eine Frage, die einerseits ein bisschen wie eine Klamauk-Frage klingt, um erstmal gute Stimmung zu machen, jedoch andererseits auch die Bestätigung von Stereotypen befördert. 28 Der Stammtischgast trug ein dunkelblaues Hemd, das, wie ich später erfuhr, auf die Uniform der „Roten Falken“ verwies. Teil der Uniform der Roten Falken waren das „Blauhemd“, das auf die traditionelle Arbeiterkleidung, und das „rote Halstuch“, das auf die rote Fahne der Arbeiterbewegung hinwies (vgl. Rote Falken – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Falken [7.3.2013]). 29 Die Herrenrunde war vom Wirt des Gasthofs Kirchenwirt organisiert worden. Er hatte mehrere Stadtteilbewohner eingeladen, von denen allerdings einige wieder absagten, sodass sie letztlich zu dritt waren. 30 Im TV-Beitrag wurde u.a. die ehemalige Besitzerin des Itzlinger Hofs, der sich gegenüber des grandhotels befindet, interviewt: Dieser ist ein Bezugspunkt im Stadtteil und aufgrund seines symbolischen Kapitals ein bekannter Ort in ganz Salzburg. Der
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ihren Anteil. Eines der Hauptthemen dieser Gesprächsrunde war der Widerstand gegen die Nationalsozialisten, da Itzling als Eisenbahnerviertel zahlreiche Widerstandskämpfer zählte.31 Itzling wurde gewissermaßen als widerständiger Stadtteil oder Stadtteil mit Widerstandsgeschichte skizziert und stilisiert.32 Neben der wiederkehrenden Frage des Moderators danach, was einen „Itzlinger“ ausmache, wurde auch das vormalige Image des Stadtteils als Glasscherbenviertel thematisiert. Überwiegend ging es um Vergleiche zwischen Vergangenheit und Gegenwart.33 Auch die Verbauung ursprünglicher Grünflächen wurde angesprochen und damit indirekt die zunehmende Verstädterung des Stadtteils angeprangert. Als ein Herr erwähnte, dass Itzling ursprünglich zur Gemeinde Gnigl gehörte, meinte der Moderator scherzend, dass ohnetitel im darauffolgenden Jahr ein Gemeindeamt eröffnen könnte – ein Vorschlag, der mit Applaus und Begeisterung von Publikum und Stammtischlern aufgenommen wurde und durchaus als Streben nach Autonomie und Selbstrepräsentation gelesen werden kann (vgl. Feldtagebuch: Herrenrunde, 29.3.2011). Nach drei Tagen der stärker historischen Befassung mit dem Stadtteil erreichte das grandhotel bei der vierten Stammtischrunde die Gegenwart. In der „Juniorenrunde“ (30.3.2011) waren Kinder des Jugendtreffs „Keck“ 34 zu Gast
Itzlinger Hof wird von Familie Schwabenitzky geführt und wurde bereits vor einigen Jahren vom Sohn, dem Regisseur Reinhard Schwabenitzky, und seiner Frau, der Schauspielerin Elfi Eschke, übernommen. Somit befindet sich das grandhotel in nächster Nachbarschaft zu einem ebenfalls mit Schauspiel konnotierten Ort. Für den inszenierten TV-Termin hatte ohnetitel also bewusst auf soziales und symbolisches Kapital – den Bekanntheitsgrad des Itzlinger Hofes – zurückgegriffen. 31 Durch seine Bahnhofsnähe war Itzling der am stärksten bombardierte Stadtteil Salzburgs. Eine Ironie des Schicksals ist, dass gerade in diesem stark bombardierten Stadtteil und ehemaligen Eisenbahnerviertel viele Widerstandskämpfer beheimatet waren. 32 Zur Rolle der Roten Falken sowie der Salzburger Eisenbahner im Widerstand siehe (Dopsch/Hoffmann 1996: 567). 33 Bspw. dass das Stadtteilleben einst geselliger war, sich die StadtteilbewohnerInnen nach Dienstende in den Innenhöfen oder auf der Straße trafen und man leichter untereinander ins Gespräch kam. Heute sei es hingegen nicht mehr so einfach Leute zusammenzubringen. 34 Mit Keck hatte ohnetitel bereits in anderen Projekten zusammengearbeitet und so konnte auf den bestehenden Kontakt zurückgegriffen werden. Keck ist als Teil des mobilen Angebots der Kinderfreunde Salzburg ein soziokulturelles Stadtteilprojekt, das seit rund 20 Jahren besteht und Kinder- und Jugendarbeit in den Stadtteilen Itzling
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und erzählten aus ihrer Itzlinger Welt. In Begleitung einer Jugendarbeiterin kamen sieben Kinder im Volksschulalter zur Stammtischrunde (bei dreien davon handelte es sich um englischsprachigen Besuch, der sich nicht ins Gespräch einbrachte). Ein Teil der Kinder hatte Migrationshintergrund und wohnte im verdichteten Wohnbau der Goethesiedlung. Die Keck-Betreuerin betonte, dass die Goethesiedlung – entgegen dem Vorurteil einer deprivierten Wohngegend – insbesondere durch die Umgebung mit Rodelhügel, Fußballwiese und Alterbach ein attraktives Wohnumfeld biete (vgl. Feldtagebuch, 30.3.2011). Arthur Zgubic und Dorit Ehlers versuchten, die Kinder aus der Reserve zu locken, und stellten ihnen abwechselnd Fragen. Nach anfänglichem Zögern erzählten die Kinder ein wenig darüber, was sie gerne machen, wie z.B. „am liebsten mit Freunden unterwegs“ zu sein. Auch wurden sie zu ihren Wünschen an Itzling befragt, worauf ein Mädchen bspw. meinte, sie hätte gerne mehr Farbe an den Häusern. Im Vergleich zu den anderen Stammtischrunden gab es weniger Austausch zwischen Bühne und Publikum und zeitweilig entstanden Gespräche unter den BesucherInnen im Raum.35 Die Distanz zwischen Bühne und Publikum wurde insofern verstärkt, als Kinder in der Bühnensituation waren, jedoch auf Publikumsseite so gut wie nur Erwachsene. Wahrscheinlich hätte es auf Publikumsseite ebenfalls Kinder gebraucht, um eine stärker gleichberechtigte Gesprächssituation zu schaffen. Allein durch ihre Präsenz brachten die Kinder jedoch Gegenwart und Zukunft des Stadtteils ins Hotelfoyer. Den Abschluss der Stammtischrunden bildete am 31.3.2011 eine Gruppe des Stadtteilgartens des ABZ (ArbeiterInnen-Begegnungs-Zentrum). Der Stadtteilgarten wurde im Sommer 2008 gestartet und versteht sich als Projekt zur Förderung des Austauschs und der Begegnung sowie insbesondere zur Förderung des interkulturellen Dialogs im Stadtteil.36 Der Stadtteilgarten folgt dem Trend des „urban gardenings“ und eines neuen Verständnisses von Urbanität, in dem die
und Elisabeth-Vorstadt leistet (vgl. Aktivitäten/Keck, http://sbg.kinderfreunde.at/ Bundeslaender/Salzburg/Unsere-Angebote/Mobile-Animation/Soziokulturelle-Stadtteilarbeit/KECK/Aktivitaeten, [21.03.2013]). 35 Das Raumsetting schaffte insofern eine zusätzliche Distanz zwischen den Kindern und den BesucherInnen, als an diesem Tag keine Hocker in der Raummitte standen und anfangs alle BesucherInnen am Rand postiert waren. Der Versuch Dorit Ehlers, BesucherInnen zu animieren, sich mit ihren Hockern ins Zentrum zu setzen, um die Distanz zu den Kindern zu reduzieren, war jedoch erfolglos. 36 Vgl.
Stadtteilgarten
(26.3.2013).
Izling,
http://stadtteilgartenitzling.wordpress.com/2008/08/
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Aneignung von öffentlichem Raum zur kollektiven Nutzung wieder an Bedeutung gewinnt. Die GärtnerInnen kamen zu fünft: die Ende 30-jährige Koordinatorin, Christine Brandstätter, ein ca. 40-jähriger, aus Italien stammender Stadtteilbewohner, ein ca. Mitte 50-jähriger, aus Ex-Jugoslawien stammender Stadtteilgärtner sowie ein ca. 50-jähriger Mann und eine ca. Mitte 60-jährige Frau ohne Migrationshintergrund.37 Die Stammtischrunde des Stadtteilgartens war von einer heiteren Stimmung geprägt, da es um ein unverfängliches Thema ging: den Garten. Zudem waren die GärtnerInnen gut gelaunt und die mitgebrachten Topfpflanzen – ein Orangenbäumchen sowie eine Thymian- und Rosmarinpflanze – veränderten unmittelbar die Atmosphäre: Der Raum fühlte sich plötzlich heimeliger und bewohnter an. Als Geschenk für das grandhotel hatten die GärtnerInnen ebenfalls eine Vergissmeinnichtpflanze mitgebracht. Auf symbolischer Ebene schaffte die abschließende Stammtischrunde wiederum eine Verbindung zwischen Innen und Außen und kann zudem als Metapher für das Wachsen und Gedeihen unterschiedlichster Lebensweisen im Stadtteil gelesen werden. Hotelbetrieb & Barmusik Zum Hotelbetrieb gehörte ebenfalls Musik. Es gab Darbietungen an Klavier, Geige und Cello und an einer improvisierten Bar wurden Getränke ausgeschenkt. Die MusikerInnen38, die u.a. in hochkulturellen Kontexten tätig sind, brachten hochqualitative Musik an einen eher unscheinbaren Ort. Eine Aufwertung des Ortes und Stadtteils erfolgte auch hierbei durch das mitgebrachte symbolische Kapital. Täglich nach der Stammtischrunde fungierte das Foyer unter dem Titel „Hotelbetrieb & Barmusik“ als informelles Setting für sozialen Austausch. An der Rezeption stand ein/e SchauspielerIn als „RezeptionistIn“ und Ansprechperson zur Verfügung und erzählte auf Wunsch Geschichten aus dem Gästebuch. Das Gästebuch – ein altertümlich wirkendes Buch aus Kunstleder, das am Rezeptionstisch auflag – diente im Unterschied zu einem herkömmlichen Gästebuch nicht zum Eintragen der Namen und Notizen von Hotelgästen, sondern es
37 Als die GärtnerInnen ankamen, waren erst zwei BesucherInnen da. Der Moderator meinte entschuldigend, dass die Itzlinger wohl schon etwas müde seien. Während der Gesprächsrunde füllte sich der Raum, sodass gegen Ende rund 10 BesucherInnen und das Hotelpersonal anwesend waren (vgl. Feldtagebuch: Stadtteilgarten, 31.3.2011). 38 Silvia Schweinberger (Geige), Peter Sigl (Cello), Michael Kaupp (Klavier), Yoko Yagahari (Klavier), Katrin Lehismets (Klavier). Sie sind u.a. im oenm (österreichisches ensemble für neue musik), im Mozarteumorchester Salzburg sowie im Kollektiv „Musiqua Antiqua Salzburg“ tätig.
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waren die Titel von Geschichten über das Leben und den Alltag im Stadtteil darin zu finden. Diese Geschichten sollten die „Hotelgäste“, die in den fiktiven „Hotelzimmern“ logierten, symbolisieren. Das Buch erfreute sich großer Beliebtheit, sodass zumeist eine ganze Menschentraube um den Rezeptionisten/die Rezeptionistin versammelt war. Der zur Verfügung gestellte Freiraum wurde unterschiedlich genutzt: Die BesucherInnen kamen untereinander oder mit ohnetitel-Mitgliedern ins Gespräch. StadtteilbewohnerInnen erzählten von ihrem Erleben des Stadtteils, kamen mit Fragen oder brachten Objekte mit: Ein älterer Herr brachte bspw. ein gerahmtes Foto einer historischen Ansicht des Stadtteils mit, eine ältere Dame ein Taschentuch mit dem aufgestickten Spruch „Lieber Gast, halte Rast“. Diese Objekte wurden kurzerhand an der Wand neben dem Rezeptionstisch angebracht und so entstand über die Projekttage hinweg eine kleine Ausstellung mitgebrachter Erinnerungsstücke. Gutenachtgeschichte für Abreisende Jeder Abend wurde mit einer „Gutenachtgeschichte für Abreisende“ beschlossen: Kunst- und Kulturschaffende waren eingeladen, eine rund 15-minütige Gutenachtgeschichte zu gestalten, in welcher das Hotel-Sujet im Mittelpunkt stand und eine symbolische Klammer bildete. Die Gutenachtgeschichten brachten unterschiedliche Formate auf die Bühne, vom Erzählen, Vorlesen und Vortragen bis hin zu kleinen Theaterstücken und einer Performance, und entführten in eine andere, fiktionale Welt. Der designierte Bühnenbereich war zumeist zwischen Rezeption und Raummitte angesiedelt und das Publikum scharte sich rundherum. Dabei entstand ein Gefühl der Nähe zum fiktionalen Raum, das – wie ein ohnetitel-Mitglied in einem Gespräch meinte – charakteristisch für das Theater im nicht-institutionellen Setting sei. Am Eröffnungsabend lud die erste Gutenachtgeschichte als Theaterperformance39 in das fiktive „Grand Hôtel“. Die vom Rundgang zurückkommenden BesucherInnen wurden mit einem Glas Sekt empfangen und so bereits als Hotelgäste in die Performance eingebunden. Die Heldin der Geschichte war eine Hotelbedienstete, die für einen Moment ihre Träume in den Raum holte: Sie verwandelte sich in ein „Cowgirl“ auf einer großen Farm, die Hotelchefin stand diesmal ihr zu Diensten und für den Augenblick des Traums wurde die Realität auf den Kopf gestellt. Dieser Einstieg entführte die BesucherInnen gleich am
39 Hotelchefin: Dorit Ehlers, Hotelpagin: Gisela Ruby, Hotelpage: Thomas Beck, Hotelbedienstete/Cowgirl: N.N.
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ersten Abend in die Welt des Möglichen und der Phantasie. Damit wurde auch die Losung für die kommenden Tage ausgegeben, die poetisch auf die Veränderbarkeit der sozialen/realen Welt verweist und den Möglichkeitssinn für das Alltagsleben vergegenwärtigt. So erzählte Christian Sattlecker über den Film „Grand Hotel“ (1932). Das Publikum konnte auswählen, über welche Charaktere er mehr erzählen sollte, und nach und nach ergab sich der Plot (Gutenachtgeschichte am 25.3.2011). Die KünstlerInnengruppe „goldextra“ und Lukas Norer befassten sich wiederum mit Übernachtungen von KünstlerInnen auf Reisen: Die auf Postkarten gedruckten und illustrierten Geschichten wurden vorgelesen und zur Ansicht durchgegeben (Gutenachtgeschichte am 29.3.2011). Die beiden Dramaturginnen Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka (OpernWerk) inszenierten ein Theaterstück mit dem Titel „Grand Hôtel de l’Europe Salzburg – Rettungsversuch nach Thomas Bernhard – Unsinn“.40 In Anlehnung an Thomas Bernhards „In der Höhe. Rettungsversuch, Unsinn“ (1989) sollte dabei die Geschichte des ehemaligen „Hôtel de l’Europe“41 am Salzburger Bahnhof erzählt werden (Gutenachtgeschichte am 30.3.2011). Die Schauspielerin Marion Hackl und der Philosoph Jens Badura brachten Schauspiel und Lecture Performance zusammen, in deren Zentrum der Koffer sinnbildlich für das Gepäck des Lebens stand (Gutenachtgeschichte am 31.3.2011). Die bildenden KünstlerInnen Eva Heitzinger und Severin Weise hatten kurzerhand beschlossen, ihre dreizehnjährige Tochter einzuladen, die für die Schule gerade ein Referat über die Geschichte Itzlings vorbereitet hatte und dieses nun im grandhotel ein zweites Mal präsentierte – dies war gewissermaßen der einzige „Ausreißer“ im Rahmen der Gutenachtgeschichten, der Alltag und nicht Fiktion auf die Bühne brachte (Gutenachtgeschichte am 28.3.2011). Insgesamt schien sich das Publikum bereitwillig verzaubern und in die fiktionalen Welten entführen zu lassen.
40 Mitwirkende SchauspielerInnen: Torsten Hermentin (Herr B.), Dorit Ehlers (Direktorin), Anna Katharina Böhme (Sängerin), Linus Eibensteiner (ihr Sohn), Gisela Ruby (Rezeptionistin), Thomas Beck (Boy). 41 1865 eröffnet war das Hôtel de l’Europe am Hauptbahnhof Salzburgs erstes Luxushotel. 1938 an die Deutsche Wehrmacht verkauft, wurde es 1944 bei einem Bombenangriff stark beschädigt. In den ersten Nachkriegsjahren wurde es als Flüchtlingslager genützt und 1949 gesprengt. Einige Jahre später wurde das heutige Hotel Europa erbaut (vgl. Hôtel de L’Europe (Salzburg) – Salzburgwiki, http://www.salzburg.com/ wiki/index.php/H%C3%B4tel_de_l%27Europe_%28Salzburg%29 [12.2.2013]).
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2.2.2.2 BesucherInnenstruktur Um Aufschluss über die BesucherInnenzusammensetzung und die Struktur des sozialen Raums im Projektkontext zu erhalten, führte ich Gespräche mit BesucherInnen und am Projekt beteiligten StadtteilbewohnerInnen.42 Meinen Beobachtungen zufolge gliederten sich die BesucherInnen grob in fünf Gruppen: Die erste und größte Gruppe stellt das Kunstpublikum und Stammpublikum aus dem persönlichen Netzwerk von ohnetitel (Beteiligte und BesucherInnen) dar. Die zweite Gruppe stellten die am Projekt beteiligten StadtteilbewohnerInnen und die BesucherInnen aus deren Umfeld dar. Die dritte Gruppe bestand aus jenen, die über Informationsmaterialien (Plakat oder Flyer) oder Medienberichte (Zeitung, Radio oder den TV-Beitrag)43 auf das Projekt aufmerksam geworden waren und entweder aus Neugierde am Kunstprojekt und/oder Neugierde am Thema Itzling (Stadtteilgeschichte sowie persönlicher Bezug) kamen. Die vierte Gruppe waren jene, die zufällig beim Vorbeigehen aufmerksam wurden. Als fünfte Gruppe sind Angehörige sozialer Randgruppen zu nennen, die gelegentlich hereinkamen, zufällig oder aufgrund von Informationsmaterialien. Anhand des Stammpublikums wird unter anderem sichtbar, zu welchen Generationen und Subszenen der Salzburger Kulturszene Vernetzungen bestehen.
42 Um das informelle Setting und die Atmosphäre des kleinen Raums des grandhotels nicht zu stören, entschied ich mich statt Tonbandaufzeichnungen für Gedächtnisprotokolle der Gespräche. Durch den teils beiläufigen Charakter der Gespräche mit den BesucherInnen war eine klare, sich wiederholende Leitfadenstruktur nicht gegeben. Mir ging es insbesondere darum, sich wechselseitig über die subjektiven Eindrücke auszutauschen und zu erfahren, was die BesucherInnen aus dem Erlebnis mitnahmen. Ich fragte danach, wie sie vom grandhotel erfahren hatten und wie ihnen insbesondere der Parcours gefallen hatte. Des Weiteren erkundigte ich mich über den individuellen Bezug zum Stadtteil Itzling. Auch versuchte ich in Erfahrung zu bringen, welche beruflichen Hintergründe die jeweiligen BesucherInnen hatten. Meine zweifache Position als Mitgestalterin und als Wissenschaftlerin trat wiederholt zu Tage: Gelegentlich wurde ich von BesucherInnen während oder nach den beiden von mir geführten Rundgängen als Mitwirkende angesprochen, teils aber als Wissenschaftlerin, vor allem von Bekannten der KünstlerInnen, die erfahren wollten, was ich genau erforschte. 43 Vgl. Gnaiger, Peter: „Entdecker aus Leidenschaft“. In: Salzburger Nachrichten, o.D. 2011, S. 16f.; Praher, Andreas: „Der verlorene Glanz von Itzling“, Stadtnachrichten vom 18.3.2011, S.22; o.V.: „Hotel mit Geschichte(n)“, In: Salzburger Fenster, o.D. 2011; o.V.: „Ein ganzes Stadtviertel ist Bühne“. In: Der Standard vom 27.3.2011; ein TV-Bericht des ORF in „Salzburg heute“ sowie Radioberichte.
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Die Altersstruktur der ohnetitel-Mitglieder (zum Projektzeitpunkt von Mitte 30 bis Ende 40) spiegelte sich auch im Stammpublikum wider. Insgesamt war das Publikum altersmäßig durchmischt. Der temporär geschaffene Raum war jedoch eindeutig kein Treffpunkt einer jungen Salzburger Kulturszene. ohnetitel ist in der freien Szene bereits eine etablierte Gruppe. Wenn man beachtet, welche AkteurInnen bisher an den Vorstadt-vor-Ort-Projekten beteiligt waren, zeigt sich, dass die zum Netzwerk zählenden Subszenen relativ breit gestreut sind. So war das grandhotel ein temporärer spartenübergreifender Treffpunkt der Salzburger freien Szene.44 Als „offene“ und für soziokulturellen Austausch konzipierte Räume, die auf Niederschwelligkeit basieren, werden nicht selten auch von RandgruppenAngehörigen aufgesucht.45 Diese Tatsache führt auf Seiten der OrganisatorInnen immer wieder zu einer zwiespältigen Situation: einerseits keinen sozialen Ausschluss betreiben zu wollen, andererseits nicht auf die Bedürfnisse sozial randständiger Personen vorbereitet zu sein und sich nicht dafür zuständig zu fühlen. Solche Gäste sind jedoch zumeist nicht wirklich erwünscht. Andererseits wäre es eventuell sinnvoll zu überlegen, wie man dies am besten berücksichtigen kann, um nicht in einer Double-bind-Situation verhaftet zu bleiben – selbst wenn ein Kunstprojekt als solches nicht zu einem Sozialprojekt mutieren will. Hinsichtlich des sozialen Raums des grandhotels erfuhr ich auch in den Gesprächen mit Geschäftsleuten und PassantInnen in der Itzlinger Hauptstraße mehr über die relative Exklusivität des temporären Kunstraums. Wenn jemand über das grandhotel Bescheid wusste, dann war es eher die Ausnahme. Es zeigt sich, dass trotz des Wunsches nach Niederschwelligkeit diese möglicherweise gerade aufgrund des temporären Charakters nur bedingt herzustellen ist. 46
44 Meine Nähe zum Feld der bildenden Kunst resultierte aus meiner vormaligen Beschäftigung bei der Sommerakademie für bildende Kunst Salzburg sowie aus meiner Mitarbeit im Kulturverein periscope. Immer wieder kamen BesucherInnen herein, die ich bereits aus dem Salzburger Kontext der bildenden Kunst kannte. 45 Einmal kam eine ärmlich wirkende Frau herein und fragte um eine Zigarette, ein andermal ein junger verwahrlost wirkender Mann, der kurz vor Sperrstunde neugierig fragte, was hier passiere. Auch im Gespräch mit einem ohnetitel-Mitglied kamen die sozialen Randgruppen zur Sprache: Ein Paar habe sich am Eingang erkundigt, was das grandhotel genau sei und ob es etwas gratis zu trinken gäbe, denn Geld hätten sie keines (vgl. Feldtagebuch, 31.3.2011). 46 An zwei Tagen machte ich vormittags Stadtteilerkundungen und befragte PassantInnen in der Itzlinger Hauptstraße. Die Befragung sollte dazu dienen, einen Eindruck zu
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2.2.3 Analyse: grandhotel Was passierte und vollzog sich im grandhotel als physischem, sozialem und symbolischem Raum innerhalb der Projektwoche? Wer war über die Woche hinweg in diesem Raum anwesend und veränderte ihn durch seine Präsenz und Beteiligung? Welche Geschichten und Wege kreuzten sich im physischen Raum des fiktiven Hotelfoyers? 2.2.3.1 Künstlerischer Zugang – Subjektivität statt Objektivität Als poetische Utopie vergegenwärtigt das grandhotel im temporär geschaffenen sozialen Raum die Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Stadtteils. Es ging um das Kommunizieren und den Austausch subjektiver Bilder und Geschichte(n) aus dem Stadtteil von und mit den StadtteilbewohnerInnen. ohnetitel erhob keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Objektivität, sondern arbeitete mit dem vor Ort Gefundenen und setzte dieses in Wert, machte es sichtbar und somit verhandelbar. Die Arbeit mit dem Vorgefundenen erinnert hierbei an Levi-Strauss’ Bricolage, in der die, bis zu einem gewissen Grad, zufällige Anordnung von vorgefundenem Material – in diesem Fall, von Geschichten aus dem und über den Stadtteil – unerwartete Sinnzusammenhänge erschließen kann. Mittels einer Kunstintervention wurde ein Raum geschaffen, in welchem die StadtteilbewohnerInnen die Möglichkeit hatten, sich einzubringen und temporär ihre Lebenssituation (Geschichte und Alltag im Stadtteil) zu repräsentieren und zu reflektieren. Es entstand dabei ein kollektiver Raum, indem mittels Fiktion und Inszenierung eine nicht-alltägliche Situation geschaffen wurde, die die Realität und Gegenwart verhandelbar machte. ohnetitel kuratierte dabei Schnittstellen zwischen fiktionalem und realem Raum. Das ergebnisoffene Kuratieren eines partizipativen Kunstprojektes birgt durch die Kooperationen und das Angewiesensein auf die lokalen AkteurInnen (StadtteilbewohnerInnen, StadtteilexpertInnen) auch Risiken. Das Gelingen des Projektes hängt nicht mehr alleine von den KünstlerInnen und der künstlerischen
erhalten, ob bzw. in welcher Weise das Projekt in der unmittelbaren Nähe wahrgenommen wurde. In den Geschäften traf ich zumeist auf MitarbeiterInnen und nur selten auf die GeschäftsinhaberInnen. Auch wenn die MitarbeiterInnen primär freundlich auf meine Frage reagierten, erhielt ich mehrmals als Antwort, dass der/die Gefragte nichts wüsste. Erst durch ein Erzählen meinerseits über das Projekt entwickelte sich das Gespräch. Und nicht selten stellte sich heraus, dass der/die Befragte doch ein wenig über das grandhotel oder auch über die vorangegangenen Projekte wusste.
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Performance ab, sondern von der Kooperationsbereitschaft und Kooperationskompetenz aller Beteiligten sowie unterschiedlichsten zwischenmenschlichen Faktoren. Es kommt zu einem „Croisement des Savoirs“47, zu einer Verschränkung von Wissensformen und Wissensinhalten – einerseits dem Erfahrungswissen der Beteiligten, andererseits dem erlernten fachspezifischen Wissen der KünstlerInnen, das zur Konkretisierung des Projektes führt. Dabei ist der Erkenntnisgewinn für alle Beteiligten von Bedeutung. 2.2.3.2 Schwelle vom realen in den fiktionalen Raum: Bruchlinien zwischen Alltags-Logik und Logik des Kunstprojektes Sowohl in der physisch-räumlichen Gestaltung als auch in der sozial-räumlichen Gestaltung kommen imaginative Aspekte bei der Schaffung einer „Als-obSituation“ zum Tragen. Durch das „Als-ob-Spiel“ und die Einladung in ein fiktionales Setting wird ermöglicht, sich auf spielerische und ernsthafte Weise zugleich mit dem Stadtteil und den Lebenswelten, Erfahrungen und Wünschen seiner BewohnerInnen zu befassen. Die geschaffene Bühne bietet die Möglichkeit für BewohnerInnen, das Wort zu ergreifen und sich selbst zu präsentieren, selbst aktiv zu sein. Das Übertreten der (symbolischen) Schwelle vom realen Raum (Alltag) in den fiktionalen Raum ereignet sich in der sozialen Interaktion: Die Schwelle zwischen Fiktion und Realität wird markiert, bleibt aber zugleich flexibel und verschiebbar. Die SchauspielerInnen traten in ihren fiktionalen Rollen – als Hotelchefin oder Page – auf, sahen sie jedoch, dass ihr Gegenüber dringend einen nicht-fiktionalen Ansprechpartner brauchte, schlüpften sie auch problemlos für einen Moment aus ihrer Rolle. Das Gesamt-Setting lässt sich also als Bewegung zwischen fiktionalem und realem Raum beschreiben und ermöglichte einen Fluss zwischen Realität und Fiktion. Der Raum wurde zum Spielraum, zu einer Spielfläche für alle Beteiligten erklärt. Die Logik des Kunstprojektes zwischen Fiktion und Realität wird jedoch bisweilen ähnlich einer fremden Sprache nicht verstanden, führt zu Missverständnissen oder ruft Skepsis hervor: Während der Gespräche und Beobachtungen begegnete ich unterschiedlichen Irritationen bei BesucherInnen und Interessierten, die u.a. auf Bruchlinien zwischen Alltagslogik und Logik des Kunstprojektes hinweisen. Diese Bruchlinien sehe ich als spannenden Ausdruck dessen,
47 Der Forschungsansatz des „Croisement des Savoirs“ wurde in einem Forschungsprojekt der „Quart Monde Université“ entwickelt und zielt auf die gleichwertige Zusammenarbeit mit den Forschungssubjekten im Forschungsprozess (vgl. Groupe de Recherche Quart Monde Université 1999).
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was Kunst bewirken kann. Bspw. fragte mich eine Ende 60-jährige Dame, mit der ich während einer Stadtteilerkundung ins Gespräch kam, verwundert, ob es denn erlaubt sei, etwas „Hotel“ zu nennen, wenn es gar kein Hotel sei.48 Die Alltagslogik prüft, im Unterschied zur Logik des Kunstprojektes, den unmittelbaren Gebrauchswert für das Alltagsleben. Die Logik des Kunstprojektes zielt weniger auf den Gebrauchswert für das Alltagsleben als vielmehr auf einen „Möglichkeitssinn“ für dessen Veränderung (in Form von Fiktion, Diskussion, Reflexion, Darstellung und Utopie) und hat im Fall des grandhotels und der Projektreihe beispielhaften Charakter. Auf den Gebrauchswert der Alltagslogik bezieht sich folgendes Beispiel: Eine ältere Dame, die bereits öfter zu Gast im grandhotel gewesen war, machte ich darauf aufmerksam, dass das grandhotel nur mehr zwei Tage Programm machen würde. Erstaunt fragte sie, warum es denn insgesamt nur für eine Woche sei, wenn es doch so gut laufen würde. Darüber hinaus meinte sie, dass einige ihrer Bekannten dort gewesen waren und gerne wieder am Frühabend hingehen würden, da es nett sei zum Plaudern und es sonst keine derartigen Treffpunkte gäbe (vgl. Feldtagebuch, 30.3.2011). Gerade ältere Beteiligte schienen mit der künstlerischen Situation des Spiels mit Fiktion und Realität bisweilen überfordert zu sein. Ihre Reaktion reichte von Verunsicherung bis hin zu Verwirrung. Unsicherheiten in Bezug auf den Hintergrund und Rahmen des Projektes wurden auch sichtbar: Dem Teilnehmer einer der Stammtischrunden, der das Projekt insgesamt sehr positiv fand, waren die Hintergründe des Projektes bis zum Schluss unklar geblieben. Eine Teilnehmerin der Damenrunde, die am Vorabend mit ihrem Ehemann bei der Eröffnung anwesend war, schien sich dennoch nicht ganz zurechtzufinden und fragte tags darauf vor Beginn der Stammtischrunde, was das denn nun genau sei. Die offenbare Verunsicherung einiger TeilnehmerInnen war wohl kaum gewollt. Vielmehr schien mir das ohnetitel-Team selbst überrascht über derartige Unsicherheiten und Missverständnisse und war jeweils bemüht, vorhandene Unklarheiten im Gespräch aufzuklären. Das Einbinden von AkteurInnen ohne Bezug zum bzw. wenig Erfahrung mit dem Kunstfeld stellt insofern einen sensiblen Bereich dar, als es eine Vermittlung zwischen Alltagslogik und Logik des
48 Die Unterschiedlichkeit der Alltagslogik und jener des Kunstprojektes wurde ebenfalls im „Postamt Mitzi“ sichtbar. Das Projekt-Setting als fiktives Postamt führte gelegentlich zu Missverständnissen, in denen der fiktionale Raum nicht als solcher erkannt wurde bzw. eine Irritation darüber bestand, ob man hier nun einen Brief aufgeben könne oder nicht.
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Kunstprojektes braucht, um Anknüpfungspunkte für die individuelle Sinnkonstruktion zu schaffen. Dass sowohl die Konstitution des sozialen als auch des symbolischen Raums (also der Bedeutung des Projektes) stetig im Verhandlungsprozess blieb, zeigten die unterschiedlichen Interpretationen, Interessen und Erwartungshaltungen, die im Projekt zusammentrafen: An das Publikum gerichtet meinte bspw. eine TeilnehmerIn der Damenrunde: „Jetzt reden nur wir, sagen sie doch auch etwas.“ Prompt bekam sie von einer Frau im Publikum die Replik, dass die Leute im Publikum ja nicht aus Itzling seien und daher die Damen erzählen sollten, dafür wäre sie ja hergekommen, um sich das anzuhören. Ein älterer Mann hingegen, der offenbar aus Itzling stammte, griff den Ball auf und erzählte seinerseits von Itzling (Feldtagebuch, Damenrunde, 25.3.2011). Ein anderer Stammtischgast verstand das grandhotel wiederum als Raum, in dem „Itzling den Itzlingern nahe gebracht“ würde. 2.2.3.3 Physischer und sozialer Raum: Programmbereiche Ziel von ohnetitel war es, über die gesamte Projektreihe ein neues Publikum auf Stadtteilebene (neben dem Stammpublikum aus dem Kunstfeld) zu erreichen und das Herstellen niederschwelliger Zugänge zu erproben. Die Gestaltung des physischen, sozialen und symbolischen Raums ist dabei wesentlich, um etwaige Schwellen abzubauen oder diesen vorzubeugen. Die vielschichtigen Überlagerungen von fiktionalem und realem Raum werden in der Analyse der Programmbausteine nachvollziehbar. Die Programmbausteine des grandhotels bewegten sich im Spannungsfeld zwischen Unterhaltung und Freiraum. Im Unterschied zu den vorangegangenen Projekten wurde im grandhotel die Unterhaltung nicht ausschließlich von KünstlerInnen dargeboten, sondern die StadtteilbewohnerInnen wirkten selbst an der Bespielung des Ortes als temporärer Kunstraum und Aufführungsort mit.49 Eine zweite Neuerung stellte das Einplanen von Raum und Zeit für informelle Kommunikation und Interaktion dar. Das Belassen von „Freiraum“ sei dabei mit dem Risiko „leeren Raums“ verbunden, es brauche dazu einen gewissen Mut
49 Die bei den Stammtischrunden entstandene Situtation der Auswechselbarkeit von Bühnen- und Publikumssituation durch die StadtteilbewohnerInnen war bei den anderen Programmbausteinen auf Seiten der KünstlerInnen und Kulturschaffenden gegeben, die ebenfalls sowohl in der Bühnenposition als auch in der Publikumsposition vertreten waren.
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zur Lücke.50 Diese Überlegungen führten zur bewussten Setzung eines klaren Programmbeginns mit einer „Zuhör-Situation“ und der moderierten InteraktionsSituation der Stammtischrunden. Sie signalisierten, dass das Hotelfoyer ein Raum sei, in dem man sich als StadtteilbewohnerIn einbringen konnte. Am Ende des Tages gab es wiederum eine klare Markierung des Programmendes mit einer „Zuschau-Situation“, den Gutenachtgeschichten. Somit wurde ein Rahmen gesetzt und dazwischen ein gewisser Freiraum belassen, mit Angeboten zur Unterhaltung, aber auch der Möglichkeit zur Interaktion. Die Gestaltung des physischen, sozialen und symbolischen Raums war im grandhotel insgesamt charakterisiert durch die Bewegung und die Schnittstellen zwischen fiktionalem und realem Raum. Die unterschiedlichen Programmbausteine hatten unterschiedliche Gewichtungen zwischen den Polen Fiktion und Realität. Parcours – Analyse Die Resonanz zum Parcours war durchwegs positiv. Ich selbst erlebte den Parcours zwei Mal als Teilnehmerin (sozusagen als Besucherin).51 Persönlich konnte ich den Parcours und seine Dramaturgie erst durch Gespräche und den Austausch darüber verstehen und nehme an, dass die Kommunikation über das Gesehene und Erlebte eine wichtige Funktion im Prozess des Verstehens des Parcours hat. Unabhängig davon bewegte das Gesehene und Erlebte mich auf einer Gefühlsebene. Meine Wahrnehmungen deckten sich zum Teil mit jenen anderer BesucherInnen, dass etwa ein sinnliches Erleben und nicht ein rationales Verstehen im Vordergrund stand: Unter anderem kam ich mit einer ca. 40-jährigen Frau ins Gespräch, die durch ihren Partner, der künstlerisch am Projekt mitwirkte, einen geschulten Blick haben mochte – sie hatte auch bereits das Postamt Mitzi miterlebt. Sie meinte, das Konzept des Rundgangs habe sich ihr erst nach und nach erschlossen, dass zum Beispiel die Filme von der Vergangenheit bis zur Jetzt-Zeit zusammenhängen würden und am Schluss eine mögliche Zukunft skizzieren würden (Feldtagebuch: BesucherInnengespräche, 29.3.2011). Doch es gab auch Rückmeldungen des Nicht-Verstehens: Eine rund 50-jährige Frau fragte mich bspw., was es mit dem Teigmännchen auf sich habe, das in einem der Filme vorkam – es habe ihr gut gefallen, doch habe sie den Sinn nicht verstanden (vgl. Feldtagebuch, 25.3.2011). Doch vielleicht ging es gerade darum, nur Ein-
50 Bspw. kam es im granhotel am vorletzten Tag nach der Stammtischrunde zu der eigenartigen Situation, dass plötzlich nur mehr „Personal“ im Hotelfoyer war. 51 Daher gehe ich in der teilnehmenden Beobachtung des Parcours primär von meiner Erfahrung aus und gehe ergänzend auf BesucherInnengespräche ein.
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drücke zu erzeugen und das Basteln von Zusammenhänge jeder/jedem Einzelnen zu überlassen? Zwei Mal führte ich selbst die Rundgänge52: Für mich selbst erhielt das Gesehene noch einmal eine andere Bedeutung, als ich bspw. sah, wie eine alte Dame bei einem der Filme mehr vor sich hin als zu jemand anderem sagte: „Ja, die Bomben“ – erst da bemerkte ich, dass durch einen Film plötzlich Erinnerungen lebendig werden konnten. Ich hatte am Vortag den gleichen Film beim Rundgang gesehen, aber er hatte mich nicht speziell berührt. Nun fragte ich mich, welche Erinnerungen die alte Dame haben mochte und suchte nach dem Rundgang das Gespräch mit ihr. Sie erzählte mir u.a. von einem Kriegsdenkmal in einer nahegelegenen Straße. Ein paar Tage darauf suchte ich das Denkmal auf – durch diese zwischenmenschliche Begegnung war Geschichte lebendig geworden (vgl. Feldtagebuch, 25.3.2011). Stammtischrunden Analyse Die Stammtischrunden waren am Pol „Realität“ zu verorten, dennoch schaffte das Raumsetting eine Bühnensituation und brachte somit Alltag auf die Bühne. Einerseits schuf die Inszenierung durch die gepolsterten Stühle eine Bühnensituation bzw. exponierte Position, andererseits schien die phasenweise Missachtung oder Aufhebung dieser räumlichen Ordnung kein Problem darzustellen, denn es wurde nie ordnend eingegriffen. So kam es zu einer Gleichzeitigkeit von Inszenierung und Bruch derselben. Insgesamt war das Setting experimentell und hatte Laborcharakter: Es gab eine Versuchsanordnung mit einem minimalen Rahmen (Bühnen-/Publikumssetting, Moderator). Der weitere Verlauf blieb offen und wurde von den Anwesenden bestimmt. Die Positionen zwischen Bühne und Publikum waren teilweise auswechselbar, da sowohl im Publikum als auch auf der Bühne StadtteilbewohnerInnen saßen. Sie sprachen und erzählten unabhängig von ihrer Position im Raumsetting von ihren Erfahrungen, Erlebnissen, Wünschen und Visionen im und über den Stadtteil. Die Dramaturgie der Stammtischrunden war ein Spannungsbogen von der Vergangenheit bis in die Gegenwart sowie andeutungsweise in eine mögliche Zukunft: Kinder und Stadtteilgarten standen gewissermaßen für das neue Itzling – multikulturell, mehrsprachig, und stärker urban geprägt, was die Realität von Vielfalt und Heterogenität des heutigen Stadtteils ein bisschen mehr ins grandhotel brachte. Doch war das Gewicht
52 Während der Führung konnte ich die TeilnehmerInnen beim Betrachten der Filme beobachten, ohne selbst durch die Bilder und den Ton der Audiotracks beschäftigt zu sein.
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der Vortage mit dem Fokus auf die Vergangenheit insgesamt prägend für das Projekt. Ähnlich dem angedeuteten Mobiliar im fiktiven Hotelfoyer, in dem die BesucherInnen eingeladen waren, sich das weitere Hotel auszumalen, waren auch die zu den Stammtischrunden eingeladenen StadtteilbewohnerInnen nur ein Ausschnitt der gesamten BewohnerInnenschaft. Die Zusammenstellung der Stammtischrunden spiegelte dabei die Anknüpfungspunkte des ohnetitelKollektivs im Stadtteil wieder. Auch der zeitlich begrenzte Rahmen setzte der Anzahl möglicher Stammtischrunden Grenzen.53 Gesprächsthemen und Tabuthemen Im öffentlichen Raum, den das fiktive Hotelfoyer herstellte, waren wiederkehrende Themen ebenso wie Tabuthemen zu erkennen. Beide sagen etwas über die Selbsterzählung und die kollektive Narration der Beteiligten sowie über die Machtmechanismen des Kunstraums aus. Unter den wiederkehrenden Themen und Erzählmotiven figurierten: Erstens die „vermisste und gelebte Geselligkeit/Gemeinschaftlichkeit“ – das Thema trat in unterschiedlichen Facetten auf, wobei vielen Beteiligten der Wunsch nach Begegnung im Stadtteil gemeinsam war. Das grandhotel stellte einen temporären Ort des sozialen Austausches dar. Genau dieses Moment wurde in vielen Gesprächen thematisiert und das gegenwärtige Manko eines solchen Ortes im Alltag der StadtteilbewohnerInnen manifest. Zweitens „der zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit“ – das Teilen von Oral History zwischen den eingeladenen Stammtischgästen und den BesucherInnen stand hier im Vordergrund. Drittens wurden „die Geschäftslokale in der Itzlinger Hauptstraße“ zum Thema gemacht, weil dies Ausgangspunkt der Projektidee war und auch das Interesse der Kaufmannschaft widerspiegelte. Das Thema wurde u.a. vom Moderator forciert. Die zukunftsorientierte Frage nach den Wünschen für Itzling, die ebenfalls Teil jeder Stammtischrunde war, brachte den Wunsch nach mehr sozialem Austausch im Stadtteil zur Sprache. Tabuthemen bzw. Themen, die nicht angesprochen wurden, stellen insofern eine eigene Aussage dar, als sie auf soziale Normen (oder angenommene Normen) eines sozialen Raums verweisen. Der neu gestaltete soziale Raum des
53 Wie dies Dorit Ehlers betont, hätte es noch viele andere mögliche Stammtischrunden gegeben: „Natürlich, Ideen gehen immer weiter, wen man noch hätte ansprechen können. […] Das ist genau wieder diese Geschichte, wo du am Anfang versuchst, so viele Türen wie möglich aufzumachen, und irgendwann musst du das wieder bündeln.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 19)
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grandhotel war ein öffentlicher Raum, in welchem die jeweils exponierten Meinungen auf ein Publikum, eine temporäre Öffentlichkeit, trafen. Auf der Bühne der Stammtischrunden wurde vor allem affirmativ über den Stadtteil gesprochen. Tabuthemen wurden hingegen insbesondere in der Befragung der PassantInnen und Geschäftsleute im Stadtteil deutlich: Im Gegensatz zu den Stammtischrunden kamen in Gesprächen abseits der Projektöffentlichkeit in der Tendenz ausländerfeindliche Äußerungen sowie Äußerungen über Itzling als sozial prekären Stadtteil zur Sprache.54 Bei der Runde des Sonntagsstammtischs kam es einmal zu einer diskriminierenden Äußerung: Einer der Stammtischgäste meinte über den Gasthof Kirchenwirt, dass dorthin kein „Gesindel“ käme und „alles anständige Leute“ seien. Wen genau der Sprecher mit „Gesindel“ meinte, blieb unklar, da auf seine Äußerung weder von Seiten der Moderation noch von Seiten anderer Stammtischler oder der BesucherInnen eingegangen wurde.55 Die diskriminierende Äußerung führte zu einem kurzen Schweigen und eine gewisse Betretenheit im Raum war spürbar. Mir schien, als würden sich die eingeladenen Stammtischgäste sowie das Publikum in der Öffentlichkeit des Raumes politisch korrekt präsentieren wollen. Auch zielte die Gesprächsführung des Moderators auf Austausch und nicht auf Konfrontation. Die Rolle der Moderation lässt sich als relative Machtposition definieren, die bis zu einem gewissen Grad steuert, worüber gesprochen wird bzw. gesprochen werden darf. Die Projektöffentlichkeit schuf eine gewisse soziale Kontrolle. Hierbei blitzte kurz auf, dass die Realitäten des Stadtteils im grandhotel durch einen Filter betrachtet wurden, der sich einerseits durch die ins Projekt eingebundenen StadtteilbewohnerInnen ergab, sowie andererseits durch die kuratorische Rahmung und inhaltliche Setzung bestimmter Themen (Geselligkeit, Geschichte/Krieg, Geschichte/Geschäfte).
54 Diesen Eindruck bestätigten auch Gespräche mit ohnetitel-Mitgliedern: Eine Kulturarbeiterin aus dem Netzwerk von ohnetitel, teilte mir in einem Gespräch kritisch mit, dass bei den Stammtischrunden insbesondere „die Herren“ (Anm.: der Herrenrunde und Sonntagstammtisches) einem weiß machen wollten, dass es eine „heile Itzlinger Welt“ gäbe, die es aus ihrer Sicht gar nicht gäbe, und dass einiges von Itzling in den Stammtischrunden ausgeblendet wurde wie bspw., dass es im Stadtteil ein Arbeitermilieu gäbe (vgl. Feldtagebuch: Gespräche mit Beteiligten, 30.3.2011). 55 Hinsichtlich der Migrationsthematik fiel mir während meiner Stadtteilerkundungen auf, dass es zahlreiche Plakatständer der FPÖ mit Hinweisen auf Bürgersprechstunden gab, jedoch kaum Plakatständer anderer Parteien zu sehen waren.
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Geschichte(n) erzählen Kollektive Narrationen Das Geschichtenerzählen verbindet den physischen, sozialen und symbolischen Raum und hatte im Projekt zudem zwei Färbungen: Im Rundgang und bei den Gutenachtgeschichten waren die Geschichten fiktional/poetisch/sinnlich. Bei den Stammtischrunden war das Geschichtenerzählen hingegen diskursiv und real. Das Geschichtenerzählen kommt einer Aneignung von Geschichte(n) gleich: Dieser Aspekt wurde insbesondere in der Produktion und Rezeption der Filme deutlich. Dabei kam es zu mehreren Etappen der Übersetzung und Aneignung der Geschichte(n) aus dem Stadtteil durch das Erzählen und Weitererzählen: Erstens seitens der ohnetitel-Mitglieder, dann durch die FilmemacherInnen sowie letztendlich durch die RezipientInnen. Diese Entscheidung, auf das Weitererzählen zu setzen, stellt zugleich ein Moment der künstlerischen Verfremdung sowie des alltäglichen Umgangs mit Geschichte(n) dar. In den Erzählungen der Stammtischgäste über die Geschichte des Stadtteils traten als zentrale Motive/Topoi hervor: einerseits Itzling als „geselliger Stadtteil“, andererseits als historisch „widerständiger Stadtteil“ und als vermeintliches ehemaliges „Glasscherbenviertel“. Die diversen Aussagen bestätigen dabei das Spannungsverhältnis zwischen „Dorf-Image“ (heile Welt) und „GlasscherbenImage“ (zerrüttete Welt). Die physischen Brachen der (un-)belebten Geschäftslokale werden zu Orten des Sichtbarmachens und Erzählens unsichtbarer Geschichten, und somit des Sichtbarmachens von Brachen im übertragenen Sinn. 2.2.3.4 Befragung von Geschäftsleuten und PassantInnen In den am Projekt beteiligten Geschäften – nicht alle Schaufenster waren leerstehend – traf ich zumeist auf freundliche, doch unwissende oder desinteressierte MitarbeiterInnen. Die in den Schaufenstern projizierten Filme hatte kaum jemand von den GeschäftsmitarbeiterInnen angesehen. Das (Un-)Wissen über das grandhotel zeigt, dass der Bezug zu einem Kunstprojekt nicht evident ist. Alltagslogik trifft dabei auf die Logik des Kunstprojektes und führt zuweilen zu unbeabsichtigten sozialen Ausschlussmechanismen. Andererseits wurde mehrmals als Grund genannt, dass der Film erst nach Ladenschluss projiziert würde. 56
56 So meinte ein ca. 50-jähriger Chef eines IT-Geschäfts, dass er den Film im Schaufenster bereits zwei Mal anschauen wollte, es aber immer zu hell gewesen war. Er wirkte gestresst und meinte denn auch, dass er und seine Mitarbeiter keine Zeit hätten, um ins grandhotel zu kommen. Er habe das Projekt allerdings seinen Schwiegereltern empfohlen, die in Itzling leben würden (vgl. Gedächtnisprotokoll: Befragung Geschäftsleute, 29.3.2011).
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Mich überraschte, dass nur ein paar hundert Meter vom grandhotel entfernt die befragten Mitarbeiterinnen eines Geschäftes gar nicht wussten, wo das Projekt stattfand, obwohl in ihrem Geschäft Flyer auflagen und sich das grandhotel in derselben Straße befand. Doch auch eine Geschäftsmitarbeiterin, die nur wenige Häuser vom grandhotel entfernt war, fragte nach, wo das grandhotel denn genau sei. Wenn also das grandhotel keinen Platz auf der inneren Landkarte der Befragten gefunden hat, kann der physische Ort offenbar mehr oder minder unbemerkt bleiben. Eine ca. 50-jährige Apothekerin stellte insofern eine Ausnahme in der Befragung dar, als sie meinte, sie habe über ihre KundInnen vom grandhotel erfahren. Die Apotheke sei in gewisser Weise eine Auskunftsstelle und es würde hier auch viel erzählt, insbesondere von den älteren KundInnen. Hierbei wird sichtbar, dass dort, wo sich die Projektzielgruppe (bzw. eine Teilzielgruppe) der älteren Itzlinger aufhält, die Informationen über das Projekt eher kursieren (vgl. Gedächtnisprotokoll: Befragung Geschäftsleute, 29.3.2011). Mundpropaganda scheint insbesondere auf Stadtteilebene die beste Form von Werbung bzw. Öffentlichkeitsarbeit zu sein. Die PassantInnen-Befragung führte ich an einem frühen Nachmittag vor den Öffnungszeiten des grandhotel in der Itzlinger Hauptstraße durch.57 Ich fragte einerseits nach dem grandhotel, andererseits nach ihrem Stadtteilerleben. Die PassantInnen reagierten zumeist freundlich. In Summe hatte ich mit unterschiedlichem Wissen und Interesse dem grandhotel gegenüber zu tun. 10 der 19 Befragten sagten, sie würden das grandhotel nicht kennen bzw. wüssten nichts darüber, die anderen neun hatten unterschiedlich viel Wissen und Interesse: Mehrmals hieß es: „Kunst ist nicht so meines“. Ein Jugendlicher hingegen meinte, er habe sich im Internet erkundigt und würde vielleicht noch vorbeischauen. Von den Befragten war keiner im grandhotel gewesen. Die älteren, etwa 80-jährigen von mir befragten PassantInnen schienen eher desinteressiert oder auch überfordert mit dem Format des grandhotels, das für sie möglicherweise schwer einzu-
57 Ich nahm an, dass meine Chance, auf Leute zu treffen, die das grandhotel wahrgenommen hatten, in unmittelbarer Nähe zum Geschäftslokal am größten sein würde. Auch während meiner Stadtteilerkundungen an zwei weiteren Tagen kam ich mit BewohnerInnen ins Gespräch. Insgesamt befragte ich 19 Personen, 7 Frauen und 12 Männer, von Jugendlichen bis zu SeniorInnen. Zwei der Befragten hatten Migrationshintergrund. Die Gespräche notierte ich in Form von Gedächtnisprotokollen im Feldtagebuch (vgl. Feldtagebuch: PassantInnenbefragung, 30.2.2011; Feldtagebuch: Gespräche während Stadtteilerkundung, 29.3.2011).
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ordnen war.58 Und einmal, als ich erklärte, es ginge um ein Kunstprojekt, setzte ein Paar gar fluchtartig zum Weitergehen an. Im Weggehen meinte der Mann, sie müssten arbeiten. Mir schien es wie eine Flucht nach vorne, vor dem „Ungetüm“ Kunstprojekt (vgl. Feldtagebuch: PassantInnenbefragung, 30.3.2011). 2.2.4 Gesamtanalyse der Reihe „Vorstadt vor Ort“: Schnittstellen zwischen Fiktion und Realität Die Logik der Kunstprojekte der Reihe Vorstadt vor Ort zielt auf die Schaffung von Möglichkeitssinn. Die fiktiven Geschäftslokale, in denen man nichts kaufen konnte, sollten dazu dienen, die Phantasie und den Sinn für Möglichkeiten der StadtteilbewohnerInnen zu beleben. Durch die künstlerischen Interventionen kann hierbei im Sinne der „dialogical aesthetics“ (vgl. Kester 2004) ein Dialog bzw. ein Prozess der Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensumfeld angestoßen werden und auf die Potenziale des Stadtteils als mitzubestimmender und mitzugestaltender Lebensraum hingewiesen werden. Möglichkeitssinn wird dabei durch das Konzipieren und Herstellen von Situationen zwischen Fiktion und Realität produziert. ohnetitel konzipiert Situationen, die an ein Detail in der Realität anknüpfen oder dieses zum Ausgangspunkt nehmen, um dann eine Fährte in einen fiktionalen Raum zu legen, in dem ein spielerisches Moment entsteht und die Realität eine neue Qualität erlangt ̶ sie wird verschiebbar und neu verhandelbar. Dabei schafft ohnetitel Situationen „zum Ausklinken“ und Situationen, die „Staunen“ hervorrufen, also Überraschungen erzeugen und etwas „Beglückendes“ bringen. Ziel ist es, die BesucherInnen oder zufälligen Gäste für eine Weile in eine andere Welt zu entführen und somit eine Möglichkeit zu bieten, sich für einen Moment aus dem Alltag auszuklinken.59
58 Andererseits waren insbesondere Leute dieser Generation als InterviewpartnerInnen und auch als Stammtischgäste ins Projekt eingebunden worden. Ich vermute, dass eine Teilnahme in diesem Alter, noch stärker als bei jüngeren, der direkten Einladung und Einbindung in den Projektkontext bedarf. 59 Dorit Ehlers erzählt: „Wir bereichern um irgendwas, worum ihr nicht gebeten habt, aber jetzt schaut mal, was das tut. Also die, die reingekommen sind [beim ersten Projekt Warteraum], waren ganz oft auch dann verwundert und ‚es gibt auch Tee‘, und ‚warum machen die Leute das?‘“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 4)
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2.2.4.1 Das Kuratieren von Schnittstellen, Schwellen und Scharnieren zwischen realem und fiktionalem Raum ohnetitel agiert in den Vorstadt-vor-Ort-Projekten rahmend in kuratorischer, Regie führender Rolle und entwickelt Settings als lebendige Orte zwischen Fiktion und Realität. Bei den unterschiedlichen Projekten wurde jeweils eine Hauptkunstsparte ins Zentrum gesetzt: beim Warteraum war es das Theaterspielen, beim Postamt die Kunst des Schreibens und beim grandhotel die Kunst des Erzählens. Die unterschiedlichen Schwerpunkte waren jeweils durch eine Inszenierung und einen als (Theater-)Spielraum definierten Raum gerahmt. Mit den temporären Geschäften und Momenten zum Ausklinken schuf ohnetitel Orte der Entschleunigung, in denen Raum zum Schauen und Kommunizieren vorhanden ist. An der Schwelle zwischen fiktionalem und realem Raum baut ohnetitel Scharniere. Diese verbinden den Alltag mit einer als Als-ob-Situation, die einen fiktionalen Raum entstehen lässt. Die Scharniere zum Alltag stellen eine Verbindung zur Alltagserfahrung und eine Gleichzeitigkeit von Fiktion und Realität her: Sie ermöglichen das Gefühl, hier und jetzt und gleichzeitig woanders zu sein. Diese Scharniere haben unterschiedliche Formen in den drei Projekten. Als Markierung dieser Schnittstelle im physischen Raum ist das je Projekt wechselnde Schild über dem Eingang des Geschäftslokals zentral. Es verrät den Namen des fiktiven Geschäfts und bleibt als Markierung eines fiktionalen Raums auch nach Ende der Projektlaufzeit hängen. Der physische Raum wird als poetisch und unwirklich markiert, die Informationen in den Schaufenstern geben Aufschluss über den größeren Sinnzusammenhang. Die Strategie von ohnetitel, Spuren zu hinterlassen, weist gleichzeitig darauf hin, dass selbst wenn das zum Kunstraum mutierte Geschäftslokal gewissermaßen temporär geschlossen ist, der Raum dennoch als Möglichkeitsraum markiert bleibt und Erinnerungen sowie Assoziationen hervorrufen kann.60
60 Insbesondere das Schild des Postamts in der Signalfarbe Gelb wurde mit der Alltagserfahrung des Postamts assoziiert und konnte als Referenz im visuellen Gedächtnis abgerufen werden. Dorit Ehlers reflektiert über die Begriffe, die Titelgebung und die Außenwirkung: „Postamt nimmst du, ordnest du schneller ein, Warteraum für Winterreisende sagt erstmal nix, ist wunderschön poetisch, aber sagt einem nix … da geht man schneller vorbei … Postamt ist vielleicht mit einem großen gelben Schild, tut gleich mehr, du ordnest es irgendwie ein … und was man ja auch jetzt gemerkt hat, dieses Jahr, dass viele Leute zwar dann nicht drinnen waren, aber zumindest wussten, dass es das [Postamt Mitzi] da gab. Also das Postamt Mitzi war vielen ein Begriff.“ (Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011, S. 7)
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Beim Warteraum für Winterreisende war es die Einladung in einen Raum, in dem die Zeit gewissermaßen stehen blieb: Man wurde gebeten, Platz zu nehmen, und wurde in eine andere Welt entführt. Die 10-Minuten-Taktung der Aufführungen, die eine Einbettung in den Alltag der Bushaltestellte darstellte, kann als Scharnier zwischen fiktionalem und realem Raum verstanden werden. Beim Postamt fungierten die Briefe – das Schreiben und Erhalten (die Zirkulation) der Briefe – als Verbindung zwischen Fiktion und Realität. Zudem stellt der Brief und das Briefeschreiben heute ein zunehmend veraltetes Medium dar. Ein Brief stellt heute etwas Besonderes und schon selbst fast etwas Kunsthaftes dar. Dadurch bot sich das Medium Brief besonders für die künstlerische Inszenierung einer nicht alltäglichen Situation an. Insbesondere der Moment des Erhalts eines unerwarteten Briefes an einem unerwarteten Ort, beispielsweise im Kaffeehaus, zauberte plötzlich einen Hauch von Magie in die Luft und machte das real Unmögliche möglich. Im grandhotel fungierte das Erzählen und Erfahren von Geschichten (bzw. die Narration der eigenen Geschichte) gewissermaßen als Scharnier, wobei hier die subjektive Erinnerung zum Teil die Fiktion ablöste, jedoch eine ähnliche Funktion erfüllte. Das Hier und Jetzt wurde mit der Vergangenheit in Verbindung gesetzt. Durch das Mitteilen individueller Geschichten und Erfahrungen entstand ein kollektiver Denk- und Gefühlsraum. Der Moment des Ausklinkens war insbesondere bei der Parcours-Teilnahme durch die Kopfhörer und den Soundtrack gegeben. Die TeilnehmerInnen wurden dabei in einen zugleich abgeschotteten und mit der Außenwelt kommunizierenden durchlässigen Raum zwischen Realität und Fiktion eingeladen bzw. entführt. In der Reihe Vorstadt vor Ort kommt es zu unterschiedlichen Raumverschränkungen: Der fiktionale Raum infiltriert gewissermaßen den physischen, sozialen und symbolischen Raum, indem er auf allen drei Ebenen Als-obSituationen schafft. Dabei wird der Warteraum erst zum Warteraum, wenn tatsächlich jemand der/die auf einen Bus wartet, sich hineinsetzt. Das Postamt wird erst zum Postamt, wenn jemand einen Brief schreiben lässt, und der Parcours des „broadway itzling“ entfaltet sich erst durch die Teilnahme der BesucherInnen an der Führung. Es sind also die Menschen, die durch ihr Tun die Verschränkungen zwischen realem und fiktionalem Raum erst möglich machen und erzeugen. Die Herstellung dieser Als-ob-Situationen erfordert also eine Neudimensionierung des physischen, des sozialen und des symbolischen Raums. 2.2.4.2 Reichweiten im physischen und sozialen Raum der Stadt Über die drei Projektjahre hinweg hat sich das Konzept von Vorstadt vor Ort mit jedem Jahr ein wenig erweitert. Das Geschäftslokal im Haus Nr. 6 wurde wie-
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derholt temporär zu einem Labor. ohnetitel experimentierte damit, wie sie im Stadtteil durch ihre Präsenz und Intervention Bewegung in den Alltag bringen und gleichzeitig ihren künstlerischen Handlungsspielraum erweitern könnten. Dabei hatte das Poetische, die Entführung in eine andere (fiktionale) Welt, ebenso Platz wie das Basteln an einer neuen (realen) Welt durch die Herstellung neuer Sprech- sowie Denkräume und sozialer Beziehungen. Nicht zuletzt entstand im physischen Raum des bespielten Gassenlokals ein temporärer kollektiver Handlungsraum. Durch das mehrmalige Bespielen des Ortes wurde Vertrauen im Stadtteil aufgebaut und von Mal zu Mal veränderte und entwickelte sich von Seiten der KünstlerInnen auch das Verständnis für den Ort. Ihr Eingreifen in den Mikrokosmos erhielt eine gewisse Nachhaltigkeit. Die Recherche vor Ort weitete sich von Projekt zu Projekt aus und bezog immer stärker die Gestaltung des sozialen Raums als partizipatives Setting mit ein: Beim Warteraum lag der Fokus in der Annäherung an den Stadtteil auf dem physischen Raum: erstens mit der Entscheidung der Bespielung des dort leerstehenden Geschäftslokals sowie zweitens mit dem Fokus auf der Bushaltestelle, die einen Warteraum erhielt. Beim Postamt lag der Fokus verstärkt auf dem sozialen Raum, also der Interaktion mit den BesucherInnen durch das Angebot einer Dienstleistung. Gleichzeitig breiteten sich die Tentakel des Projektes durch die Zustellung der Briefe über die ganze Stadt aus. Mit dem Postamt Mitzi entstand eine neue Inbezugsetzung des Stadtteils Itzling zur übrigen Stadt. Im grandhotel wiederum wurde insbesondere die Itzlinger Hauptstraße mitbespielt und durch den Parcours zum erweiterten Spielfeld zwischen Fiktion und Realität erklärt. Im grandhotel wurde sowohl der Innenraum (Geschäftslokal) als auch der Außenraum (die Straße) als realer und fiktionaler Raum transformiert. Der physische Raum wie auch der soziale Raum wurden konzeptuell gleichermaßen beachtet – einerseits durch das Thema der Stadtteilbelebung sowie andererseits durch die intensive Einbindung der StadtteilbewohnerInnen. Über die drei Jahre hinweg kann rückblickend festgehalten werden, dass die Annäherung zwischen KünstlerInnen und Stadtteil bzw. StadtteilbewohnerInnen Zeit brauchte, um gegenseitiges Vertrauen und Verstehen aufbauen zu können. Die Projektreihe funktionierte gewissermaßen als Versuchsanordnung, in der ohnetitel von Projekt zu Projekt Erfahrungen sammelte, wie sich das Ankommen und Angenommen-werden im Stadtteil für die KünstlerInnen gestaltet, was dazu notwendig ist und wie Brücken zwischen Kunst und Alltag außerhalb institutioneller Räume gebaut werden können.
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2.2.4.3 Intervention – Interaktion – Partizipation: Die Veränderung des Publikumsstatus Durch die Bespielung des Geschäftslokals wollten die KünstlerInnen Alltag und Kunst zusammenbringen sowie in einem hetrogenen Vorort-Stadtteil ein neues Publikum ansprechen. Das Stammpublikum von ohnetitel kommt aus der Salzburger Kunstszene. ohnetitel bedient ein experimentell interessiertes Kunstpublikum, das bereit ist, Orte aufzusuchen, die außerhalb des institutionellen Settings von Theaterhäusern liegen. Durch diese Ortswahl sucht ein Kunstpublikum die Vorstadt auf, in der es ein wenig wie ein UFO landet; außerdem wird eine Situation geschaffen, die einem potenziellen neuen Publikum vor Ort einen Zugang zu experimenteller Theaterarbeit eröffnet. In Itzling sind unterschiedliche soziale Milieus anzutreffen, die ein sehr heterogenes potentielles Publikum bilden. Der Wunsch, BewohnerInnen aus dem Stadtteil anzusprechen und Niederschwelligkeit zu gewährleisten, war von Beginn an eine Grundmotivation für die Reihe Vorstadt vor Ort. Um Niederschwelligkeit zu gewährleisten, braucht es die Berücksichtigung unterschiedlicher Bedingungen. Es gilt u.a., keinen Eintritt zu verlangen, eine „Wohlfühl-Atmosphäre“ (bspw. durch das Anbieten von Getränken) zu schaffen, die Anwesenheit ersichtlicher Ansprechpersonen (Mitglieder von ohnetitel) vor Ort sowie die Bereitstellung von Informationsmaterialien über das Projekt in möglichst allgemein verständlicher Sprache zu garantieren. Die soziale und kulturelle Heterogenität des Stadtteils lässt die Frage nach dem sozialen Miteinander im Stadtteil als besonders wichtig erscheinen. Die diversen Aussagen bestätigen dabei das Spannungsverhältnis zwischen „DorfImage“ (heile Welt) und „Glasscherben-Image“ (zerrüttete Welt) sowie die unterschiedlichen Interessen der am Projekt Beteiligten. Hinsichtlich des Themas Gemeinschaftlichkeit/Identität im Stadtteil bestehen widersprüchliche Aussagen und Beobachtungen: Einerseits wird eine fehlende Gemeinschaftlichkeit (insbesondere von der älteren Generation) und fehlende Belebtheit (insbesondere von der Kaufmannschaft und in der Itzlinger Hauptstraße) bemängelt; andererseits weisen die Beobachtungen des Sich-auf-der-Straße-Grüßens sehr wohl auf ein soziales Miteinander hin, das über die urbane Anonymität hinausgeht. Die (un-)belebten Geschäftslokale werden dabei zum Desiderat unterschiedlichen Begehrens: Die Kaufmannschaft hat Interesse an einer langfristigen Belebung hinsichtlich der Umsätze ihrer Mitglieder. Im Imaginären der BewohnerInnen steht eine belebte Geschäftsstraße gewissermaßen für Orte sozialer Interaktion. Die KünstlerInnen wollen die Wunschproduktion vor Ort anregen und selbst neue Erfahrungen sammeln. Ebenso war den KünstlerInnen bewusst, dass ihre Einladung in eine andere Welt neben dem physischen Überschreiten der Türschwelle des Geschäftslokals auch durch soziale und symbolische Schwellen
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erschwert würde und teilweise Schwellenangst bzw. Hemmschwellen erst abgebaut werden müssten. Die physische Schwelle ist im Falle des Hauses Nr. 6 relativ imposant durch eine Betonstiege markiert, die jedoch wiederum das Eintreten in eine „andere Welt“ zu akzentuieren vermag. Anders wäre hier ein ebenerdiger Eingang, der rein physisch bereits Niederschwelligkeit signalisieren würde. Eine symbolische Schwelle ergab sich bisweilen durch die Unterschiede zwischen Alltagslogik und Logik des Kunstprojektes, die sich in einem „Nicht-Verstehen“ manifestiert. Die soziale Schwelle wird wiederum durch Milieu- und SzeneZugehörigkeiten (Insidertreffpunkt der freien Szene bzw. des Kunstpublikums) konstituiert. Eine Antwort auf die Frage der Erreichbarkeit der StadtteilbewohnerInnen ergab sich für ohnetitel im Laufe der Projektreihe von selbst: Die Rolle der BesucherInnen wuchs mit jedem Projekt stärker in Richtung Partizipation/Teilhabe und Mitgestaltung. Die Möglichkeit der Partizipation musste also zunächst erkannt werden, um dann genutzt bzw. umgesetzt werden zu können. War beim ersten Projekt Warteraum für Winterreisende (2008) das Faktum, in einem leerstehenden Geschäftslokal in der Vorstadt ein Projekt umzusetzen, ein Schritt in Richtung niederschwellige Kunstvermittlung, so blieben die BesucherInnen selbst jedoch auf die Publikums- und Zuschauerrolle beschränkt. Beim zweiten Projekt Postamt Mitzi (2009) kam der Gedanke einer verstärkten Interaktion und Kommunikation mit den BesucherInnen/dem Publikum hinzu. Das Setting gab einen relativ klaren Rahmen für soziale Interaktion und Kommunikation vor und bot dadurch für neues Publikum mehr Anhaltspunkte und Möglichkeiten anzudocken, als dies im Warteraum der Fall war. Im Projekt grandhotel itzling wurden StadtteilbewohnerInnen direkt eingebunden und zugleich Brücken gebaut und Interessen verknüpft. Den Stadtteil selbst zum Thema zu machen, war wohl der Schlüssel dazu, StadtteilbewohnerInnen unabhängig von ihrer Sozialisation und ihrem Zugang zu Kunst für das Projekt zu interessieren. Vor diesem Hintergrund wurden die StadtteilbewohnerInnen zu Mitwirkenden auf unterschiedlichen Ebenen – von Projektanbahnung über InterviewpartnerInnen und geladene DiskussionsteilnehmerInnen bis hin zu den BesucherInnen. Durch experimentelle und temporäre fiktive-reale Situationen wurde dabei die soziale Kohäsion der BewohnerInnen eines Stadtteils gefördert. Über die drei Projekte hinweg kam es zu einer eindeutigen Veränderung des Publikumsstatus. In Anlehnung an Jacques Rancières (2009) Überlegungen zur Emanzipation des Zuschauers entwi-
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ckelte sich die Position des Publikums von jener der Zuschauerin/des Zuschauers zu jener der Protagonistin/des Protagonisten.61 2.2.4.4 Rahmenbedingungen für das Tätigsein Das fünfköpfige Kernteam von ohnetitel arbeitet für unterschiedliche Projekte zusammen, jedoch bestreitet jede/r Einzelne als neue/r Selbstständige/r seinen/ihren Lebensunterhalt. Große Projekte, an denen das gesamte ohnetitelTeam beteiligt ist, wie jene der Reihe Vorstadt vor Ort, finden wegen des großen Organisationsaufwandes und der prekären Arbeits- und Lebenssituation der KünstlerInnen maximal einmal pro Jahr statt. Experimentelles Theater wurde hier von der Förderschiene Podium zwar inhaltlich begrüßt und dreimal hintereinander aus demselben Fördertopf gefördert, doch ohne der realen Kostensituation zu entsprechen. Die Projekte der Reihe Vorstadt vor Ort waren von Beginn an nicht ausfinanziert. Die KünstlerInnen arbeiten in diesen Projekten zum Teil unentgeltlich beziehungsweise entspricht das anteilige Honorar – nach Abzug der sonstigen Produktionskosten – nicht dem Arbeitsaufwand der im Kernteam Beteiligten. Dorit Ehlers meint, die Selbstständigkeit wäre insofern praktisch, als so niemand auf die ohnetitel-Projekte angewiesen sei, andererseits sei es bei gemeinsamen Projekten gerade wegen der selbstständigen Projekte oft schwierig sich zeitlich zu koordinieren. Der Wunsch, sich die eigene künstlerische Selbstständigkeit zu bewahren, steht im Spannungsverhältnis von Zwang und freier Wahl und weist auf eine Double-bind-Situation hin: Zwang zur Selbstständigkeit wegen der schwierigen Existenzsicherung auch in der Gruppenkonstellation und die freie Wahl, nicht in einem institutionellen Kontext arbeiten zu wollen (oder gar keine Chance dazu zu haben). Dabei dient die Gruppenstruktur als Sicherheitsfaktor und schafft eine Inwertsetzung der unterschiedlichen Kompetenzen der Gruppenmitglieder sowie eine Erweiterung der Möglichkeiten durch das Teilen von Wissen und Ressourcen (vgl. dazu u.a. Henningham/Henningham 2009).
61 Mit Rancière beginnt Emanzipation dann, wenn die Zuschauerin/ der Zuschauer beginnt, ihr/sein eigenes Gedicht zu dichten (vgl. Theoriekapitel S.77).
3. Handwerklich-materielles Tätigsein und kooperative Raumaneignung
Ich verstehe Kreativität als soziale Kraft und dabei poetisches Denken und Handeln als die Fähigkeit zur Phantasie sowie zur Umsetzung von Wünschen. Diese Umsetzung von Wünschen als Dichtung des eigenen Lebens erfolgt nicht zuletzt in der Produktion von Objekten, also in der materiellen Kultur. Es geht um die Gestaltung von unmittelbarem physischem Raum, wie dies in diversen heute boomenden Do-it-yourself-Praxen der Fall ist. Der Slogan „Kunst und Kultur für alle“, der in der alternativkulturellen Bewegung der 1970er und 80er Jahre zentrale politische Forderung sowie Angelpunkt des Selbstverständnisses war, bedeutete von Beginn an, dass es um eine Auflösung des Verhältnisses zwischen Kultur-ProduzentInnen und Kultur-KonstumentInnen gehen sollte und jeder Mensch künstlerisches Schaffen, kreatives Tätigsein zu seinen Fähigkeiten zählen könne. Dabei stand der selbstermächtigende Aspekt im Vordergrund, sich als handlungsfähig und als GestalterIn der eigenen Lebenswelt zu erleben. Hinsichtlich der kulturellen Erneuerung einer Gesellschaft halten die Cultural Studies fest, dass subkulturelle Kreativität dort entsteht, wo Individuen ihrer von der Norm, also der dominanten gesellschaftlichen Erzählung, abweichenden Welterfahrung einen kollektiven Ausdruck geben (vgl. Hall/Jefferson 1998). Seit den 1970ern zeigen die Jugendstudien der Cultural Studies auf, dass Individuen und Gruppen auf kreative Weise versuchen ihre Präsenz, ihre Identität und ihre Bedeutung herzustellen (vgl. Warneken 2006: 184). Zentrales Anliegen war es dabei, die AkteurInnen unterprivilegierter Schichten als kreative Gestalter ihrer Lebenswelt sichtbar zu machen und dem Bild der rein konsumorientierten, passiven Massenkultur eine kreative Aneignung und selbstgewählte kulturelle Praxis und Handlungsfähigkeit nachzuweisen (vgl. ebd.). Laut Stuart Hall (2000) verstehen sich die Cultural Studies dabei explizit als politisches Theorienprojekt, das auf die Emanzipation unterprivilegierter Schichten zielt. Die kreative Selbstrepräsentation kann dabei als ein Teil einer größeren anzustrebenden Visi-
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on von Gleichberechtigung verstanden werden, da sich Gleichberechtigung und Teilhabe nicht in einer Ästhetisierung des individuellen oder auch des subkulturellen Alltags erschöpft, sondern in erster Linie ein Zeichen der Selbstbehauptung (auf symbolischer Ebene) ist. Subkultureller Selbstausdruck greift demnach in die Ökonomie der Symbole (Zukin 1998) ein und fordert eine gleichberechtigte Wertigkeit neben bzw. entgegen hochkulturellen oder elitären Kulturgütern und Symbolsprachen. Im Sinne der Cultural Studies wird der Akt der Ausdrucksfindung und der Selbstrepräsentation als Teil eines Prozesses der Ermächtigung verstanden, der einer Verschränkung von „Selbstinnovation und Selbstmodernisierung“ (Warneken 2006: 129)1 unter neoliberalen Vorzeichen tendenziell entgegenwirkt bzw. eine andere Zielrichtung, nämlich jene der Emanzipation und nicht der Vermarktung, verfolgt. Es gibt gewissermaßen zwei Entwicklungslinien, die sich aus der Forderung und dem Wunsch nach „Kunst und Kultur für alle“ herausbildeten: Jene der Vermarktung von individuellem kreativen Schaffen und jene der Selbstermächtigung und Politisierung durch individuelles (und kollektives) kreatives Schaffen. Wie dies von Osten und Spillmann (2002) festhielten, ist demnach Kreativität heute nicht mehr die Abweichung und das Außergewöhnliche dessen, was der Künstler als Genie vollbringt, sondern Kreativität ist heute zur neuen Norm geworden.2 Gerade in den zunehmenden „Do-it-yourself“-Praxen (DIY) und dem Wunsch des Selbermachens kann eine Entwicklung entgegen den Trend der Ökonomisierung geortet werden. Dieser Trend bewegt sich dabei zwischen „Kreativität als Notbehelf“ im Kontext des sinkenden Einkommensniveaus, der zunehmenden Prekarisierung und der daraus erwachsenden Notwendigkeit, sich nach Möglichkeiten budgetärer Entlastung umzusehen, sowie „Kreativität als Selbstausdruck“ und poetischer Aneignung von Lebenswelt. In diesem Sinne kann Do-it-Yourself als Bricolage/Bastelei, als poetisches Denken und Handeln verstanden werden. Diese „Kreativität als Selbstausdruck“ kann mit Paolo Virno zur „nicht-servilen Virtuosität“ (Virno 2005) werden, so sie politische Öffentlichkeit herstellt.
1
Bernd-Jürgen Warneken hält fest, dass „Kreativismus und Neoliberalismus“ über die Aspekte „Selbstinnovation und Selbstmodernisierung“ zusammenhängen und in Ambivalenzen von Zwang und Freiheit, bspw. des Selbstmanagements, sichtbar werden (vgl. Warneken 2006: 129).
2
Siehe zur Normalisierung der Kreativität auch (Reckwitz 2016c).
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In den letzten Jahren ist eine regelrechte Konjunktur des Do-it-Yourself und der Diskurse darüber zu beobachten. Klara Löffler warnt in diesem Kontext jedoch davor „mit dem Blick auf Konjunkturen“ das Phänomene des Selbermachens zu „enthistorisier[en] und entdifferenzier[en]“ und „Gleichzeitigkeiten, Vorgeschichten und Entwicklungen [auszublenden].“ (Löffler 2017: 309) Ob nun von einer Konjunktur oder von einem Rückgang gesprochen wird hänge laut Löffler maßgeblich davon ab, „welche Tätigkeiten unter Begriffen wie DIY, Hobby, Heimwerken oder Handarbeiten und welche Akteursgruppen unter Benennungen wie Craft Consumer, Prosumer oder Maker Movement subsumiert werden.“ (Ebd.: 310; H.i.O.) Wenn in den 2010er Jahren von einer Konjunktur des DIY die Rede ist, würde sich diese Feststellung zumeist auf „das Selbermachen als Ausdrucksform politischer oder/und künstlerischer Aktion […] [beziehen], auf Diskurse und Praktiken von sozialen Gruppen und Bewegungen, die sich gegen Konsumgewohnheiten und für nachhaltiges Wirtschaften und Agieren engagieren.“ (Ebd.) Laut Löffler führe gerade dieser Diskurs zu einem „Übergewicht in den Repräsentationen eines gegenkulturellen DIY“, doch würden jenseits davon vielfältige Praktiken des Selbermachens bestehen.3 So würden, laut Nikola Langreiter und Klara Löffler (2017b), die „Pendelbewegungen in den Praktiken des Selbermachens“ unterschiedliche Formen annehmen – „als Freizeitvergnügen, als Form der Selbstermächtigung, als Teilzeitarbeit in einer Nischenökonomie [oder] als professionalisierte Massenproduktion.“ (Ebd.: 12) Löffler zählt dazu alle „Praktiken des Reparierens, Erneuerns und Verschönerns im nichtprofessionellen Feld.“ (Löffler 2017: 311) Unter dem Begriff des Selbermachens fasst sie: „[…] regelmäßige und routinierte Tätigkeiten und Erledigungen ebenso wie eher spielerische und zufällige Formen, konsumkritische und ökologische Motivationen, wie sie seit den 1960er und 1970er Jahren (je nach Verortung und Zeitrechnung) mit dem Begriff DIY verbunden sind, ebenso wie Ambitionen und Anstrengungen dieses Tuns, die auf das nächste soziale Umfeld und die eigene Person ausgerichtet sind, auf Handarbeit und analoge sowie auf digitale und internetbasierte Felder und Techniken des Selbermachens.“ (Ebd.)
Sowohl in journalistischen als auch in wissenschaftlichen Erklärungsversuchen zum Phänomen des DIY stehe „die These der Kompensation im Vordergrund.“ Die Praktiken des DIY werden als „Gegenmodelle zu entfremdeten, beschleu-
3
Zu dieser Vielfalt an Praktiken des Selbermachens siehe (Langreiter/Löffler 2017).
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nigten und digitalisierten Arbeitswelten gedeutet.“ (Ebd.: 312) Was aus Löfflers Sicht derzeit zu wenig Berücksichtigung findet sind die „Mehrdeutigkeiten in Motiven und Interessenslagen“ sowie „zeitlich beziehungsweise lebensgeschichtlich variierendes Engagement in den Feldern des Selbermachens […].“ (Ebd.: 313) In diesem Kontext sieht Anne Honer ein wichtiges Merkmal des DIY darin, dieses als alltägliche Tätigkeit- und Ausdrucksform des Individuums zu fassen, Diese Tätigkeit- und Ausdrucksform ermöglicht dem Individuum „einerseits an der kollektiven Mentalität eines sozialen Groß-Aggregats (der mehr oder minder ‚globalen‘ Do-It-Yourself-Bewegung) [zu] partizipier[en]“ und „sich andererseits habituell gegen kollektive Lebensentwürfe anderer sozialer Formationen ab[zu]grenzen.“ (Honer 1991: 150, zit.n. Löffler 2017: 313) Im Diskurs um das Selbermachen haben sich laut Löffler insbesondere die positiven Zuschreibungen verdichtet: „Selbstgemachtes kann für gesunde Ernährung stehen, für nachhaltige Lebensführung, für soziales und politisches Bewusstsein, auf jeden Fall aber für Originalität und Kreativität.“ (Löffler 2017: 322) Dabei würde eine kritische Analyse des Phänomens im Kontext des kreativen Imperativs zumeist fehlen: Denn das „Basteln“ im DIY-Kontext könne ebenso als „ein wichtiger Schritt in der Einsozialisation in das ‚Kreativitätsdispositiv‘4“ (ebd.) verstanden werden. Dieses Kreativitäts-Paradigma äußert sich u.a. im heutige Hype rund um die Kreativwirtschaft und einer kommerzialisierten Ästhetisierung von Lebenswelt. Vor dem Hintergrund der Ästhetisierung des Alltags plädiert der Philosoph Wolfgang Welsch (1996) entgegen dem Trend der „Hyperästhetisierung“ für „ästhetische Brachflächen“. Weitergedacht würde das heißen, dass eine Gesellschaft bewusst nichtvordefinierte Freiräume für die eigenständige, eigenwillige und zufällige Erprobung sowie Entwicklung des individuellen und kollektiven kreativen Potenzials offen lässt bzw. zur Verfügung stellt. Brachen sind dabei aus meiner Sicht sowohl als konkrete physische Räume und Flächen zu verstehen als auch im Imaginären und damit in der Perspektivierung einer Gesellschaft zu finden. Entsprechend den Analyseachsen der Aneignung und Gestaltung von physischem, sozialem und symbolischem Raum im Kontext der Herstellung von sozialer und kultureller Teilhabe wird im Folgenden den spezifischen Bedingungen von DIY-Praxen anhand zweier Fallbeispiele nachgegangen. Das erste Fallbeispiel stellt die Suche und den Wunsch nach einem kollektiven Ort des kreativen Tätigseins in Form einer „offenen Werkstatt“ dar. Das zweite Fallbeispiel steht
4
Zum „Kreativitätsdispositiv“ siehe (Heubel 2002; Reckwitz 2016b).
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für die primär raumungebundene Vernetzung zum gemeinsamen handwerklichen Tätigsein und zur Bastlerei und der eventuellen politischen Perspektivierung als „Craftivism“. Die beiden Fallbeispiele sind, in Anlehnung an Löffler (2017), dem Bereich DIY als „Form der Selbstermächtigung“ sowie dem Bereich des „gegenkulturellen DIY“ zuzurechnen.
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3.1 „I NITIATIVE FÜR S ALZBURG “
EINE OFFENE
W ERKSTATT
Interviewpartnerin Monika Gumpelmair ist zum Zeitpunkt des Interviews 24 Jahre alt und ist Mitinitiatorin der „Initiative für eine offene Werkstatt Salzburg“. Sie kommt ursprünglich aus Oberösterreich und kam für ihre Ausbildung zur Ergotherapeutin nach Salzburg. Ich lernte Monika Gumpelmair am Rande einer öffentlichen Präsentation der Initiative im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg im Mai 2011 kennen. Das Interview fand am 23. Juni 2011 statt.1 3.1.1 Entstehungskontext der Initiative für eine offene Werkstatt Das Konzept „offene Werkstatt“ ist in den 1980er Jahren in Deutschland entstanden und umfasst Werkstätten für Handwerk, Kunst, Reparatur und Recycling. Zentral sind der Gedanke des niederschwelligen und kostengünstigen Zugangs zu Infrastruktur für kreative Tätigkeiten sowie die damit verbundene Schaffung eines Ortes sozialer Interaktion.2 Die Idee zur „Initiative für eine offene Werkstatt Salzburg“ entstand im Rahmen einer Arbeitsgruppe am „IFZ – Internationales Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen“. 3 Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit dem Thema Arbeitslosigkeit und Resilienz. Nach einer Exkursion ins Münchner „HEi – Haus der Eigenarbeit“, einer der ersten offenen Werkstätten Deutschlands, entstand die Idee, eine solche Initiative
1
Neben dem Interview mit Monika Gumpelmair dienen als Quellenmaterial: Feldtagebucheinträge (Besuch der Präsentation der Initiative im Bildungshaus St. Virgil, Mai 2011; Besuch des offenen Plenums und Besichtigung eines leerstehenden Hauses, 4. Juli 2014; Besuch des Münchner „Haus der Eigenarbeit“) sowie Selbstdarstellung der Initiative auf ihrer Website.
2
Vgl. Verbund offene Werkstätten, http://www.offene-werkstaetten.org/werkstaetten (21.01.2014).
3
Das IFZ wurde 1961 gegründet und ist eine Einrichtung der Erzdiözese Salzburg. Neben Forschungsseminaren, Vorträgen und der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen werden Arbeitsgruppen zu konkreten sozialen Problemstellungen gebildet. Durch ein breites Präsidium von WissenschaftlerInnen der Universität Salzburg wird der
interdisziplinäre
Charakter
gewährleistet
(vgl.
IFZ-Salzburg
Gründung,
http://www.ifz-salzburg.at/grundung-des-ifz-1961/; IFZ-Salzburg – Über uns, http:// www.ifz-salzburg.at/uber-das-ifz/taetigkeiten/ [9.1.2014]).
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für Salzburg zu starten. Monika Gumpelmair schrieb in weiterer Folge ihre Bakkalaureatsarbeit im Fach Ergotherapie über das Münchner Haus der Eigenarbeit als Beispiel der Resilienzförderung und engagierte sich federführend für den Start der Initiative in Salzburg. Es bildete sich eine Projektplattform aus drei Bildungsinstitutionen aus dem kirchlichen Umfeld – dem IFZ, dem Bildungshaus St. Virgil4 und dem ABZ5 – sowie der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen (JBZ)6. Die beteiligten Institutionen sollten der Initiative den Rü-
4
Das Bildungszentrum St. Virgil ist eine seit 1976 bestehende kirchliche Dienstleistungseinrichtung der Erzdiözese Salzburg und als Zentrum der Erwachsenenbildung und Veranstaltungsort für Seminare und Konferenzen ein wichtiger Akteur in der Salzburger Bildungsarbeit (vgl. Über uns – St. Virgil Salzburg, http://www.virgil.at/ de/ueber-uns/ [10.1.2014]).
5
Das von der katholischen Aktion 1989 gegründete vormalige „ABZ – ArbeiterInnenBegegnungsZentrum“, heute „ABZ – Haus der Möglichkeiten“, versteht sich als „Kommunikationszentrum für Menschen unterschiedlicher Milieus und Kulturen“ (vgl. ArbeiterInnen Begegnungszentrum Itzling, http://www.stadt-salzburg.at/internet/ websites/kultur/kultur/verschiedene_sparten/sparten_institutionen/multikulturelle_einr _341072/abz_arbeiterinnen_begegnungszentrum_itzl_341074.htm [10.1.2014]).
6
Die JBZ beherbergt wie der Name bereits sagt eine Bibliothek, deren Herzstück der Nachlass des Zukunftsforschers und Aktivisten Robert Jungk ist. Sie fungiert als Forschungszentrum für Zukunftsfragen und kritischen Diskurs und geht auf eine 1985 von Robert Jungk gegründete Stiftung zurück. Als gemeinnützige Einrichtung versteht sich die JBZ als „Informations- und Dialogzentrum für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung“. Neben der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift „Pro Zukunft“, führt die JBZ Studien meist zu lokalen Fragestellungen im globalen Kontext durch, initiiert und begleitet Projekte zu Fragen nachhaltiger Zukunftsgestaltung, moderiert Zukunftswerkstätten und prägt mit Veranstaltungen und Ausstellungen sowie mit den regelmäßig stattfindenden „Montagsrunden“, zu denen AktivistInnen, ForscherInnen etc. zu Impulsvorträgen mit anschließender Diskussion eingeladen werden, ein gesellschaftskritisches Diskursfeld in Salzburg entscheidend mit (vgl. Robert-JungkBibliothek für Zukunftsfragen, http://www.jungk-bibliothek.at/ [9.1.2014]).
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cken stärken und ihr größeres Gewicht verleihen.7 Nach außen vertreten wurde die Initiative von Monika Gumpelmair und Elisabeth Rumpl.8 Im Mai 2011 wurde die „Initiative für eine offene Werkstatt“ erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Präsentation fand im institutionellen Rahmen des Bildungshauses St. Virgil statt.9 Als Referentin war u.a. die Leiterin des Münchner Hauses der Eigenarbeit eingeladen. Nach dieser ersten öffentlichen Präsentation der Initiative meldeten sich viele Interessierte – erinnert sich Monika Gumpelmair: „Also, bis zur Info-Veranstaltung war es so, dass wir uns gemeldet haben und dass wir E-Mails geschrieben haben und angerufen haben, und nachher war es dann umgekehrt, dass sich immer Leute bei uns gemeldet haben, was einfach voll spannend war.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 6) Es folgten offene Netzwerktreffen, um Interessierte einzuladen sich einzubringen sowie verschiedene Treffen mit EntscheidungsträgerInnen, um die Umsetzbarkeit des Projektes auszuloten. 3.1.2 Ressource symbolischer Raum: Imagination und Vision In der Selbstdarstellung der Initiative auf ihrer Website wird die Idee der offenen Werkstatt wie folgt beschrieben: „Unsere Vision ist es, eine Möglichkeit zu schaffen, im öffentlichen Raum mit guten Ressourcen handwerklich tätig zu sein. Das Angebot umfasst drei Bereiche – Holz, Textiles & Fahrrad. Vom kreativen Austoben bis zur praktischen Reparatur soll darin alles möglich sein. ‚Offen‘ meint Werkstatt, die zu attraktiven Öffnungszeiten selbstständig genutzt werden kann. Individuelle fachliche Beratung wird von erfahrenen HandwerkerInnen zu definierten Zeiten angeboten. Durch deren Begleitung sind die NutzerInnen in ihrer Tätigkeit erfolgreich. [...] Sich in seinem Schaffen zu erleben, handwerkliche Kompetenzen (weiter) zu entwickeln, eigene Ideen zu verwirklichen macht selbstbewusst und widerstandsfähig. Im Gegensatz zur Hobbywerkstatt bieten unsere Werkstätten eine umfangrei-
7
Vgl. Offene Werkstatt, http://www.offene-werkstatt.at/index.php/was-bisher-geschah (29.11.2012).
8
Elisabeth Rumpl studierte Politikwissenschaften in Salzburg. Sie und Monika Gumpelmair sind gut befreundet und sahen in der Initiative eine Möglichkeit, gemeinsam aktiv zu sein.
9
Dieser Rahmen löste bei mir Irritation aus, da ich selbst die Idee der offenen Werkstatt als Basisinitiative verstand und einen informelleren Rahmen erwartet hatte (vgl. Feldtagebuch, 23. Juni 2011).
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che Ausstattung und Sachkompetenz. Sie ermöglichen selbstbestimmtes Arbeiten, Begegnung und Austausch. In Offenen Werkstätten wird geteilt, was fürs Selbermachen nötig ist: Wissen und Materialien, Werkzeuge, Maschinen und Räume.“ 10
Hinsichtlich des Aspekts der Teilhabe ist weiter zu lesen: „Offene Werkstätten sind Orte der Möglichkeiten für Viele, nicht des Geschäfts für Wenige. Sie bieten den nötigen Platz und eine produktive Infrastruktur für Eigeninitiative, Kreativität und Ideenvielfalt. Unser Projekt verfolgt keinerlei kommerzielle Interessen. Gemeinnützigkeit und Offenheit stehen im Vordergrund.“ 11
Ein zentraler Gedanke der Initiative ist es, die Menschen widerstandsfähig zu machen, indem ihnen ihre eigenen Handlungspotenziale bewusst gemacht werden und Möglichkeiten zum Tätigsein eröffnet werden. In einem von der JBZ entwickelten Konzept der „Orte der Möglichkeiten“ geht es um Orte, an denen Menschen erleben können, welche kreativen Fähigkeiten sie haben. Die Idee zur Initiative für eine offene Werkstatt wurde in Anlehnung daran als ein neuer „Ort der Möglichkeiten“ konzeptualisiert. Über die Robert-Jungk-Bibliothek und die gemeinsame Intention meint Monika Gumpelmair: „Und die [JBZ] hat festgestellt, dass die Menschen zunehmend einfach passiv werden und gar nicht mehr um ihre Möglichkeiten wissen, wie sie jetzt etwas verändern können oder auch die Umwelt mitgestalten können. Also man geht halt ins Geschäft, kauft Sachen ein und stellt sie daheim hin, das war’s. Man hat keinen Bezug zu den Produkten. Man geht nicht mehr wählen, weil man das Gefühl hat, es ändert sowieso nichts, aber auf die Idee, dass man selber eigentlich etwas machen könnte, auf die kommt keiner ... Und deshalb war die Idee, Orte zu schaffen, wo man wieder erleben kann, was für Fähigkeiten man hat, was man bewirken kann, wie man was mitgestalten kann.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 3)
Der gesellschaftspolitische Ansatz der offenen Werkstätten, der die Frage nach dem Tätigsein abseits der Erwerbsarbeit als sinnstiftende Lebensgestaltung ins Zentrum setzt, hat für Monika Gumpelmair eine spezifische Bedeutung aus der Perspektive der Ergotherapie: Diese verfolgt den Ansatz, Menschen trotz körper-
10 Initiative offene Werkstatt Salzburg – 2tes Treffen SUB Salzburg, http://subsalzburg. blogsport. eu/ 2011/06/ 27/2tes-treffen-initiative-offen... (4.7.2011). 11 Ebd.
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licher Beeinträchtigung, bspw. nach einem Unfall, in Richtung größtmöglicher Selbstständigkeit zu unterstützen. Monika Gumpelmair sieht den Anknüpfungspunkt darin, Menschen über Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit „widerstandsfähig zu machen“: „Auf einer gesellschaftspolitischen Ebene [geht es darum], sich Gedanken darüber zu machen, wie zum Beispiel Erwerbsarbeit, diese Tätigkeit ‚Arbeit‘, den Menschen beeinflusst. Und warum, wenn Menschen betätigungslos sind, wie eben in Zeiten der Arbeitslosigkeit, warum sich das so auswirkt oder was man da machen kann, um die Menschen widerstandsfähig zu machen oder zu stützen. Wenn eben diese Betätigung fehlt, welche Alternativen gibt es dazu? Und warum ist das überhaupt so? Warum ist Erwerbsarbeit so wichtig für den Menschen? Was macht diese Betätigung aus?“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 2f.)
In ihrer Selbsterzählung weist Monika Gumpelmaier auf ihr ehrenamtliches Engagement, also ihr Tätigsein jenseits der Lohnarbeit hin, das seit der Jugend zu ihrem politischen Selbstverständnis zählt: Sie engagierte sich in verschiedenen sozialen Kontexten, von der Betreuung in Ferienlagern über Besuchsdienste bis hin zur Betreuung einer HeimwerkerInnengruppe in einem Altersheim zum Zeitpunkt des Interviews. Das beglückende Gefühl ihrer bisherigen Erfahrungen, das ihre Motivation bestimmt, beschreibt Monika Gumpelmair wie folgt: „Das Gefühl ist so schön, wenn man das Gefühl hat, man kann etwas gestalten oder man kann aktiv sein und etwas beitragen und so … ja, das ist klass.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 11). Sich selbst bezeichnet sie als „Idealistin“ und erklärt mit Enthusiasmus ihr Engagement für die Initiative: „Das ist eine Möglichkeit für mich einmal etwas umzusetzen oder einmal ein Stück weit etwas zu gestalten, wo ich glaube … wo ich von mir überzeugt bin, dass das ein guter Beitrag ist. Ja, das ist meine hauptsächliche Motivation. [...] Was auch eine große Motivation ist für mich, ist, dass mir einerseits das Netzwerken viel Spaß macht und dass ich das Gefühl habe, dass ich total viel lerne dabei. Also das ist so ein praktisches Lernen, so Schritt für Schritt schauen, was tut man als nächstes, wie geht man das an […], das ist die Herausforderung, das gefällt mir.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 11)
Das Konzept der offenen Werkstätten hat zum Ziel, Eigenarbeit als andere Form des Tätigseins zu fördern und die dazu notwendigen Ressourcen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Durch Hilfestellung und Einführung in Maschinen und Techniken sollen Interessierte dazu befähigt werden, in weiterer Folge
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selbstständig die Infrastruktur nutzen zu können. Die angedachten drei Tätigkeitsbereiche der Initiative umfassen eine Fahrradwerkstatt, Holzwerkstatt und Textilwerkstatt. Die Entfaltung von eigenen Fähigkeiten bzw. Kompetenzen, in einer Peer-to-peer-Lernsituation statt einer Top-down-Lehrsituation, wird im Sinne des Do-It-Yourself als ermächtigende Ressource verstanden. 3.1.3 Ressource sozialer Raum: Ort der Begegnung Gleichzeitig soll die offene Werkstatt einen „Ort der Begegnung“ schaffen. Ein Wunsch, der in verschiedenen Interviews und informellen Gesprächen während der Feldforschung immer wieder zur Sprache kommt, nämlich im Wohnumfeld (also im Stadtteil) einen Ort zu haben, an dem man ohne Konsumzwang zusammenkommen kann.12 Monika Gumpelmair erklärt, dass die Begegnung und der soziale Austausch in der offenen Werkstatt über das handwerkliche Tätigsein initiiert wird: „Das Ziel ist es, einen öffentlichen Raum zu schaffen, wo es jetzt nicht darum geht, wer man ist und wo man herkommt, sondern wo es primär um eine gemeinsame Tätigkeit geht und wo man sich so begegnen kann. So wie es halt früher einen Marktplatz gegeben hat, wo man zusammenkommt und sich austauscht und sich über das Einkaufen irgendwie trifft, so soll die offene Werkstatt Begegnung ermöglichen, über das gemeinsame Werken und das Teilen von Raum und Maschinen. Unser Anspruch ist, dass Leute aus möglichst verschiedenen Gesellschaftsschichten dann auch kommen.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 5; H.d.A.)
Um dem Anspruch eines Ortes der Begegnung gerecht zu werden, möchte die Initiative ein möglichst vielfältiges Zielpublikum ansprechen. Alle organisatorischen Fragen werden daher unter dem Gesichtspunkt einer möglichst breiten Zugänglichkeit verhandelt: vom potentiellen Standort über die Raumatmosphäre, die Gestaltung von Flyern und anderen Kommunikationsmaterialien bis hin zur
12 So bspw. auch in der Ideenwerkstatt SchallmoosWest, die als BürgerInnenbeteiligungsforum vom Amt für Stadtplanung im Stadtteil Schallmoos im Frühling 2012 organisiert wurde und in der sich beteiligte SalzburgerInnen u.a. für ein Stadtteilcafé oder einen ähnlichen sozialen Treffpunkt ohne Konsumzwang stark machten (vgl. Stadt
Salzburg
–
Projektdokumentation,
http://www.stadt-salzburg.at/internet/
wirtschaft_umwelt/stadtplanung/ideenwerkstatt_schal_352355/projektdokumentation_ 352339.htm [15.7.2012]).
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Kostengestaltung für potentielle NutzerInnen gilt es Niedrigschwelligkeit und Vielfalt zu berücksichtigen. Im Hinblick auf finanzielle Niedrigschwelligkeit ist als alternative Form des Kostenausgleichs die Initiierung eines TalenteTauschkreises angedacht. Diesem Modell alternativer Ökonomie entsprechend, werden Leistungen nicht gegen Geld geboten, sondern in „Talente“ umgerechnet und mit Gegenleistungen getauscht. Jemand bietet bspw. drei Gitarrenstunden an, erhält dafür eine bestimmte Anzahl von Talenten, die wiederum gegen die Leistung eines anderen Mitglieds im Tauschkreis getauscht werden kann. 13 Soziale Integration soll durch finanzielle Niedrigschwelligkeit sowie integrative Angebote für spezifische Zielgruppen gewährleistet werden. Monika Gumpelmair nennt als Beispiele spezifischer Zielgruppen „Arbeitslose“ sowie „MigrantInnen“; sie meint: „[…] wir glauben, dass trotz der ganzen Vorsicht und trotz den ganzen Überlegungen das immer noch nicht so offen sein wird, dass jeder kommt. […] Die größte Barriere ist immer zum ersten Mal zu kommen und so was das erste Mal zu nutzen. Und wenn die Leute einmal da waren, dann glauben wir, dass sie auch wieder kommen.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 6)
Ein Aufenthaltsbereich oder auch ein kleiner Cafébereich ohne Konsumzwang sind Teil des Konzepts, um so einen gemütlichen Raum zur Begegnung zu schaffen. Diesbezüglich hebt Monika Gumpelmair die Qualität des nichtkommerziellen Raums hervor: „Es ist einfach ein öffentlicher Treffpunkt, anders als ein Café, weil man dort mehr Zeit verbringt und anders Zeit verbringt. Wir glauben, dass [es] gerade in der Stadt […] einfach kaum so[lcher Art] öffentliche Plätze [gibt], wo man sich treffen kann […]. Und ich glaube, dass das belebend wirkt.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 9)
3.1.4 Ressource physischer Raum: Standort und ökonomisches Kapital Um die oben genannten Ziele zu verwirklichen, braucht es jedoch einen physischen Raum und ökonomisches Kapital – beides sollte sich im Laufe der Ver-
13 Siehe dazu u.a. die Initiative „Talente Tauschkreis Salzburg“, http://tauschkreise.at (10.2.2014).
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handlungen mit politischen EntscheidungsträgerInnen als Problemfeld herausstellen. Die Raumsuche gestaltete sich nicht zuletzt deshalb schwierig, da die Art der geplanten Werkstätten die räumlichen Anforderungen bestimmen würde. In diesem Fall war es: die Erreichbarkeit mit dem Auto für Transportzwecke, die bauliche Substanz hinsichtlich ihrer Belastbarkeit und Statik (Bodenbelastung für schwere Maschinen) sowie keine unmittelbaren Nachbarn, die durch Maschinenlärm gestört werden könnten. Der Faktor einer gemütlichen Atmosphäre spiele ebenfalls eine wesentliche Rolle, so Monika Gumpelmair: „Und wir hätten gern von der Atmosphäre, vom Ambiente her etwas, was ein bisserl ein älteres Gebäude [ist], etwas das gemütlich wirkt. Handwerk hat einfach so ein bisschen einen alten Flair und ich finde das braucht es auch von der Räumlichkeit her, damit man sich da wohl fühlt.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 8) Für den Standort sei eine gewisse Zentralität von Vorteil, doch sei dies laut Monika Gumpelmair weniger wichtig als die übrigen Kriterien. Als konkreter möglicher Standort war unter anderem das zu jenem Zeitpunkt neu entstehende Stadtwerk Lehen angedacht. Es fand ein Round-Table mit EntscheidungsträgerInnen statt, um die Möglichkeiten des Standortes auszuloten. Letztendlich stellte sich der Standort jedoch als nicht adäquat heraus: die zentrale Lage hätte zwar Sichtbarkeit garantiert, doch die Frage der Lärmbelastung in Mitten eines Wohnquartiers war problematisch.14 Nicht zuletzt entsprach der Neubau nicht dem heimeligen Charakter, den sich die InitiatorInnen für ihr Projekt wünschten. Da auch die Finanzierungsfrage weiterhin ungeklärt blieb, wurde das Stadtwerk Lehen als möglicher Standort verworfen. Etwas desillusioniert erzählt Monika Gumpelmair: „Also, das wird es wahrscheinlich nicht werden, nach langen Verhandlungen. Das heißt wir stehen wieder am Anfang mit der Raumsuche.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 5f.) Für den Start sei eventuell auch eine Minimalvariante denkbar, meint Monika Gumpelmair – ohne Holzwerkstatt, da diese besondere räumliche Erfordernisse habe und teure Infrastruktur benötige sowie durch die potentielle Lärmbelästigung die Raumsuche zusätzlich erschweren würde. Die Minimalvariante könnte sogar als temporäre offene Werkstätte ohne einen fixen Raum starten, um die Idee stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen und so eine Basis und Argumentationsstütze für weitere Verhandlungen mit der öffentlichen Hand aufzubauen.
14 Auch die geplante autofreie Zone schien für An- und Ablieferung insbesondere in Hinblick auf eine Holzwerkstatt wenig vorteilhaft.
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3.1.5 Das Vorurteil der Konkurrenz und das Gespenst der Schwarzarbeit Insbesondere hinsichtlich der Fahrradwerkstatt kam wiederholt die Frage auf, ob diese nicht bis zu einem gewissen Grad eine Konkurrenz zu sozialintegrativen Initiativen (wie bspw. dem Jugendbeschäftigungsprojekt „Velorep Salzburg“) darstellen würde. Hierzu meint Monika Gumpelmair: „Ich glaube im Holz- und Textilbereich gibt es diese Konkurrenz nicht so sehr, weil das einfach mehr Hobbyleute sind oder Kreative, die das in irgendeiner Weise sowieso machen würden. Im Fahrradbereich sehe ich die Konkurrenz auf jeden Fall, wir wollen aber darauf achten, kein Platzhirsch zu sein, der da irgendwem die Leute wegnimmt, sondern … ich glaube es gibt einfach viele Fahrradfreaks, die voll gern etwas umbauen würden, etwas entwickeln wollen und so. Wir glauben, dass wir den Wert von Fahrradfahren einfach auch heben können und dadurch vielleicht noch ein größeres Publikum schaffen können.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 7)
Das Thema Konkurrenz wurde ebenfalls bei einem Treffen mit der Wirtschaftskammer virulent und sogar das Thema Schwarzarbeit kam zur Sprache. Die Befürchtung der Wirtschaftskammer bestand darin, dass Leute in der offenen Werkstatt allerhand produzieren und dann schwarz verkaufen könnten. Monika Gumpelmair hält dies für unwahrscheinlich, da die offene Werkstatt als öffentlicher Ort funktioniere. Darüber hinaus zeigen die Erfahrungen offener Werkstätten aus anderen Städten, dass kein Grund für solche Annahmen bestehe. Sie erzählt: „Das war eben die Befürchtung von der Wirtschaftskammer und auch von vielen anderen Betrieben, die dann gesagt haben: ‚Hey, da nehmen uns Leute die Kunden oder die Arbeit weg.‘ Und das ist dann ein offenes Angebot für Schwarzarbeiter, so ungefähr. [...] Wobei wir da jetzt keine Gefahr sehen. Das ist einfach ein ganz anderer Rahmen und wenn da jemand über die Maße hinaus produziert, also wenn einer drei Tische hintereinander macht oder so, dann fällt das natürlich auf. Es kann natürlich sein, dass jemand einmal sein Fahrrad repariert und es dann verkauft und das kann man nicht kontrollieren. Aber ich glaube, in Serie [zu produzieren], das tut sich keiner an, das ist ein öffentlicher Ort.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 8)
Sinn und Zweck dieser Initiative sei es im Gegenteil, einen nichtkommerziellen Ort zu schaffen. Der Ansatz der Eigenarbeit verstehe sich gerade als Gegenpol zu Erwerbsarbeit und Konsum. Doch verweisen die oben genannten Ängste und
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Vorurteile darauf, dass alternative kulturelle Praxen in Salzburg in einem Umfeld agieren, das ihnen primär skeptisch gegenübersteht bzw. ihr Anliegen nicht versteht. Es handelt sich um Interessenskonflikte, die von der Wirtschaftskammer ad absurdum geführt werden: als könnte eine soziale und kulturelle Initiative die befürchteten Schäden durch Konkurrenz/Schwarzarbeit in solch einem Ausmaß produzieren, dass der reguläre Sektor dadurch gefährdet würde. 3.1.6 „Ich nehme jetzt einmal an, es wird etwas …“ Vision und Zukunftsperspektiven Auf meine Frage, wie sie sich die offene Werkstatt in zehn Jahren vorstellen würde, reagiert Monika Gumpelmair fast mit Entsetzens ob der zum Zeitpunkt des Interviews vorherrschenden Unsicherheit der Umsetzung des Vorhabens. Doch dann kommt sie ins Schwärmen: „Um Gottes Willen! [sie lacht] Das ist voll schwer zu beantworten … weil ich eben gar nicht weiß, ob das etwas wird mit der offenen Werkstatt. Ich nehme jetzt einmal an, es wird etwas … und dann in zehn Jahren kann viel passieren … Ich hoffe, dass das Projekt dann etabliert ist, dass man es kennt, dass die meisten einfach schon einmal davon gehört haben und wissen was das ist, dass vielleicht eine Werkstatt dazugekommen ist, dass es nicht mehr drei sind, sondern vier, oder dass aus der Fahrradwerkstatt eine Schmiede geworden ist… so in diese Richtung.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 11)
Das Glauben und Beharren auf der Verwirklichung des Projekts sind wesentliche Elemente des Prinzips Hoffnung (vgl. Bloch 1977), die Lösungsansätze – wenn auch bisweilen nur gedanklich – ermöglichen. Wieder zurück auf dem Boden der Tatsachen würde also der nächste Schritt die Klärung der Finanzierungsmöglichkeiten sein. Monika Gumpelmair sieht diesbezüglich neben der zweifelhaften Förderung durch die öffentliche Hand auf lokaler oder Bundesebene zwei Lösungsansätze – erstens durch private Personen, zweitens durch die EUInstitutionen: „Also unsere nächsten Schritte werden sein, zwei Round Tables abzuhalten mit Leuten, von denen wir glauben, sie könnten an einer Finanzierung interessiert sein, und die an einen Tisch zu holen und zu schauen, ob jemand dabei ist, den das interessiert. Und wir versuchen gerade herauszufinden, wie man einen EU-Antrag schreibt und wie man das macht.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 10)
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In beiden Fällen müssen neue Wege beschritten und neue Kompetenzen erworben werden. Neben der ungeklärten Finanzierung und der Raumfrage wären weitere wichtige Schritte die Vereinsgründung und der Aufbau einer aktiven Interessensgruppe. Für die Funktionen im Vereinsvorstand hatten sich bereits Leute gefunden, doch wollten die Mitwirkenden die Konkretisierung der Finanzierungslage abwarten, da die Vereinsgründung aus ihrer Sicht erst dann Sinn machen würde. Für den Aufbau einer Interessensgruppe haben sich ebenfalls bereits Interessierte gemeldet – insbesondere Handwerksbetriebe (Schneider, Tischler, Textildrucker), die bereit wären, Workshops zu leiten, sowie allgemein an einer ehrenamtlichen Mitarbeit Interessierte. Monika Gumpelmair erzählt: „Wir haben natürlich Bedarf an einer breiteren Basis, also momentan sind wir aktiv ja zu zweit. Denn Leute, die im Vorstand dabei sein wollen, sind nicht unbedingt die aktiven, das sind ja zwei verschiedene Sachen. Und an aktiven Leuten kann man eigentlich nie genug haben. Also, je mehr, desto besser.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 10)
3.1.6.1 Was kam dann? Nach regen Bemühungen der InitiatorInnen, jedoch fehlender Aussicht auf finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand wurden die Vereinsgründung und weitere Bestrebungen erst einmal eingestellt. Auf der Website, die die Initiative ausführlich beschreibt, wurden zwischenzeitlich Informationen zu anderen laufenden Initiativen gepostet, wodurch ein Bogen zu Projekten mit ähnlichem ideellen Hintergrund gespannt wurde. Die Initiative für eine offene Werkstatt schlief ein und die Initiatorinnen Monika Gumpelmair und Elisabeth Rumpl engagierten sich stattdessen in einer gerade entstehenden Urban-GardeningInitiative mit dem Namen „blattform – eine stadt ein garten“.15 Dennoch gab es in der Folgezeit von anderen AkteurInnen organisierte temporäre Werkstätten, was darauf hinweist, dass es von unterschiedlicher Seite Interesse an Räumen zum handwerklichen Tätigsein gab: 2013 veranstalteten unterschiedliche Kunsträume DIY-Workshops (periscope, Galerie 5020, Museum der Moderne). Die Kostümschneiderin Hilde Böhm16 startete temporäre kreative Werkstätten mit der ähnlichen Vision einer permanenten kreativen Werkstatt für Textiles und
15 In dem Artikel „Gemeinsam die Stadt zum Blühen bringen“ befasse ich mich näher mit dieser Initiative, siehe (Huber 2013). 16 Die Initiatorin, eine kreative Endfünfzigerin, möchte Beruf und gesellschaftliches Engagement im Rahmen ihrer Projektidee zusammenbringen.
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eventuell auch für Holz sowie andere Bereiche. Doch auch ihre Initiative zog sich nach einem intensiven Jahr mit mehreren temporären Werkstätten und Versuchen einer Projektkonkretisierung und Finanzierung mangels Umsetzungsmöglichkeiten wieder zurück. 17 In eine ähnliche Richtung gehen auch die „Repair-Cafés“, die sowohl von einigen Bewohnerservicestellen der Stadt Salzburg als auch von der Grünen Bildungswerkstatt im Jahr 2013 organisiert wurden. 18 Insofern scheint von Seiten der Stadt sehr wohl Interesse und Offenheit für Förderung von DIY zu bestehen. Entsprechend dem Prinzip Hoffnung (vgl. Bloch 1977) mangelt es sicher nicht an Ideen, engagierten Menschen und Initiativen. Was jedoch ausbaufähig ist, ist die Unterstützung durch lokale EntscheidungsträgerInnen bzw. durch die öffentliche Hand für einen finanziell abgesicherten Rahmen der Vorhaben. 3.1.7 Analyse: Initiative für eine offene Werkstatt Was bringt eine offene Werkstatt der Stadt? Das Angebot einer offenen Werkstatt verspricht einem Stadtteil bzw. der Stadt als Lebensraum eine Alternative im individuellen Alltag, in der das aktive Tätigsein an die Stelle des passiven Konsums tritt. Zudem eröffnet sie einen öffentlichen kollektiv hergestellten Raum, der identitätsstiftend sein kann bzw. einen Bezugsrahmen für ein Gefühl der Zugehörigkeit jenseits der gewöhnlichen sozialen Strukturen schafft. Es entsteht ein sozialer Raum mit dem Ziel sozialer Integration und Selbstermächtigung durch das handwerkliche Tätigsein jenseits von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung. Die hier dargestellte Initiative der offenen Werkstatt steht für das Schaffen eines niederschwelligen Raums für handwerkliches Tätigsein, DIY und alltägliche Sinnstiftung sowie für einen Ort der Begegnung, des Austausches und der Gemeinschaftsbildung. Die im Rahmen der offenen Werkstatt angedachte
17 Im Rahmen der Überarbeitung vorliegender Forschungsarbeit sind seit dem Abschluss der Feldforschung folgende Weiterentwicklungen zu erwähnen: In den darauffolgenden Jahren verfolgte Hilde Böhm weiter ihre Idee und fand MitstreiterInnen für eine Interessensgruppe, die letztendlich den Verein „O.K. – Werkstatt“ gründeten. Das Projekt erhielt im Rahmen des „Zukunftslabor Salzburg 2016“ ( das Teil des Events „Salzburg 2016 200 Jahre Salzburg bei Österreich“ war ) eine Anschubfinanzierung und konnte Räumlichkeiten in der Glockengasse beziehen. Eine längerfristige Finanzierung des Projektes ist in Verhandlung. 18 Die Initiative der Repair Cafés wurde in den Folgejahren erfolgreich fortgesetzt.
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Tauschökonomie über einen Talente-Tauschkreis bedeutet eine konkrete Alternative zur auf Konsum orientierten kapitalistischen Ökonomie. Dabei geht es nicht zuletzt um die Inwertsetzung unterschiedlicher Wissensformen und inhalte. Die Suche und Herstellung eines konkreten physischen Raum blieb für die Initiative der offenen Werkstatt erfolglos und so blieb sie ersteinmal auf der immateriellen Ebene, also im symbolischen Raum der Imagination, verhaftet. Für die potentielle Umsetzung einer offenen Werkstatt stellten sich folgende Rahmenbedingungen als unerlässlich heraus: Es braucht einen Trägerverein, einen physischen Raum, eine sichere Finanzierung, eine aktive Interessensgruppe, Know-how im Handwerk, Know-how in Wort und Schrift sowie im Umgang mit dem städtischen Verwaltungsapparat ( für das Schreiben von Förderanträgen und das Verhandeln mit EntscheidungsträgerInnen). Doch einige dieser Rahmenbedingungen konnten im Kontext der Initiative für eine offene Werkstatt nicht sichergestellt werden. Dennoch meinte Monika Gumpelmair im Interview hoffnungsfroh: „Also ich glaube auch, dass die Zeit einfach passen muss, damit was entstehen kann.“ (Interview mit Monika Gumpelmair am 23. Juni 2011, S. 4) – Wann wird also in Salzburg die richtige Zeit dafür sein? Mit Blick auf die vier Jahre, die zwischen Abschluss der Feldforschung, 2013, und der Veröffentlichung vorliegenden Buches liegen, scheint sich das Blatt zum Positiven gewendet zu haben: Die seit 2016 bestehende „O.K. Werkstatt“ (siehe Fußnote 17 in diesem Kapitel) dürfte aus unterschiedlichen Gründen erfolgreicher gewesen sein als die ein paar Jahre zuvor gestartete „Initiative für eine offene Werkstatt“. Die Gründe dafür erscheinen vielfältig: Abgesehen davon, dass sich die Lebensphasen und entsprechenden Zeitökonomien (vgl. Löffler 2017: 313) der Initiatorin der „O.K. Werkstatt“ und der zwei Proponentinnen der „Initiative für eine offene Werkstatt“ maßgeblich unterscheiden, gelang es für die Idee der „O.K. Werkstatt“ eine aktive Interessensgruppe zu versammeln und damit die Basis für eine gemeinsame Initiative zu schaffen und zudem bot sich die Möglichkeit einer Anschubfinanzierung im Rahmen eines kulturellen Großevents. Nicht zu unterschätzen ist des Weiteren, dass die „O.K. Werkstatt“ auf die Vorarbeiten der ersteren Initiative aufbauen konnte und das Thema den politischen EntscheidungsträgerInnen nicht mehr neu war. Im Kontext transnationaler Diskurs- und Praxisfelder kann zudem davon ausgegangen werden, dass langsam aber sicher die Diskurse des DIY auch auf der Ebene politischer EntscheidungsträgerInnen sowie des Verwaltungsapparats/ Magistrats ankommen und von progressiven AkteurInnen in diesen Strukturen auf die politische Agenda gerückt werden.
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3.2 „C RAFTIVISM – FREI T RÄUME
SELBSTGEMACHTER
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S TAMMTISCH “/
Interviewpartnerin Haydeé Jiménez ist zum Zeitpunkt des Interviews Anfang 30. Sie stammt aus Tijuana/San-Diego, Mexiko, wo sie Politikwissenschaften studierte, und kam Mitte der 2000er Jahre für eine Projektmitarbeit nach Salzburg. Während ihrer Zeit in Salzburg war sie im kulturellen Feld aktiv, wurde Sendungsmacherin im freien Salzburger Radio Radiofabrik und initiierte u.a. das Musikfestival „Voixtronic“ mit. Als wir uns im August 2012 für das Interview treffen, ist sie bereits mit einem Bein in Berlin, hat dort eine Wohnung gefunden und will bald ihre Zelte in Salzburg abbauen, um definitiv in die Kreativmetropole zu ziehen. Haydeé Jiménez kannte ich von der Universität. Das Interview fand am 28.8.2012 statt und wurde auf Englisch geführt, da sie dies für komplexere Gespräche bevorzugte.1 3.2.1 Das Kunst- und Kulturfeld als politisches Handlungsfeld Im Interview erzählt Haydeé Jiménez von ihrer Annäherung an das Kunstfeld und kulturelle Feld, die durch ihr Interesse für elektronische Musik sowie ihre Recherchemitarbeit an einem Kunstprojekt zustande kam. Während ihres Studiums der Politikwissenschaft – sie interessierte sich insbesondere für Menschenrechte, Geisteswissenschaften, Sprachen sowie internationale Politik und die Vielfalt der Kulturen – wurde sie Projektmitarbeiterin im Kunstprojekt „transborder mobile archive“ das 2005 im Rahmen eines Festivals zu „site specific art“ in Tijuana/San Diego stattfand. Sie war für lokale Recherchearbeiten über Jugendkulturen und Migrationspolitiken zuständig und lernte dabei das Politische in der Kunst kennen. Sie erinnert sich: „What I realized then was that there was art talking about all these important issues that I was interested in.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 3) Zu jener Zeit hatte Haydeé Jiménez auch begonnen, selbst im Bereich elektronische Musik künstlerisch tätig zu sein, und für sie kamen dadurch neue Handlungsfelder und Denkräume zusammen.2
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Neben dem Interview dienen als Quellenmaterial: Webauftritt von freiTräume, Feldtagebucheinträge zu diversen Craftivism-Veranstaltungen sowie zu dem von Haydeé Jiménez initiierten Musikfestival „Voixtronic“.
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Sie erzählt: „I started connecting that thoughts of how electronic music in Tijuana influenced me because of this border culture. There is this genre called nortec, which
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In den Folgejahren entdeckte sie das kulturelle Feld für sich persönlich als breites Handlungsfeld. Dabei ist der Aspekt der politischen Bewusstseinsbildung für sie von großer Bedeutung: „I found culture as a ,Dach-Wort‘3 somehow for having the excuse to be interested in anything ... I am trying it out, basically ... but the whole political interests of being activist, thinking about things, philosophying about things ... that’s always present. So whatever I do in the cultural sense, that means maybe making a product or something, or a performance … then it has these influences of being consciously political or trying to be. [...] I opened up this window of opportunities for me to ... think about things in certain ways.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 22)
Nach Ende des Studiums in Mexiko wollte Haydeé Jiménez Europa kennenlernen. Die Möglichkeit dazu bot sich ihr im Rahmen einer Projektmitarbeit an der Universität Salzburg. Im Laufe der Projektmitarbeit, in der es um den Aufbau eines feministischen Zine4-Archivs und Netzwerks ging, entwickelte Haydeé Jiménez ihr eigenes Interesse an der Do-It-Yourself-Kultur sowie an Feminismus. Ihr Interesse an den Themenbereichen wuchs durch den Kontakt mit dem Recherchematerial: „That’s where I started getting interested in the DIY culture and also feminism, because I was exposed to the material. I was exposed to these zines and I was archiving and researching online for print zines from all over the world and seeing how many, who, where and why people are writing and publishing themselves.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 3)
takes northern Mexican music and puts it into electronic music. And they re-take the kind of music of the narco-traficant, the drug lord culture, the drug culture ... so it was a political statement and I started connecting things and thought: ah ok, this [arts and culture] is a broad world.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 3) 3
Codeswitching zwischen Englisch und Deutsch kam im Interview immer wieder vor, ich habe mich entschieden diese sprachliche Kreativität in der Transkription beizubehalten sofern die Verständlichkeit gegeben ist.
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„Zine“ ist die Abkürzung für „magazine“ und bezeichnet selbstgemachte Magazine, die im sub- und alternativkulturellen Kontext produziert werden und zumeist durch das Fotokopieren mit geringen Kosten vervielfältigt werden.
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3.2.2 freiTräume und die Initiative Craftivism-Stammtisch Im Rahmen eines Folgeprojektes zum Themenfeld DIY und Mädchenempowerment, an dem Haydeé Jiménez sich beteiligte, sollte das Kollektiv „freiTräume“ in Zusammenhang mit einer Bewerbung für das EU-Programm „Jugend in Aktion“5 gegründet werden. Haydeé Jiménez schätzt das Förderprogramm, das aus ihrer Sicht junge Menschen darin bestärkt, (kulturell) eigeninitiativ und aktiv zu werden. Im Rahmen des EU-Projektes wurden mit den Partnerinstitutionen unterschiedliche Workshops u.a. in den Bereichen Radio machen, Zines, Roboter bauen, DJing sowie Fotografie organisiert. Zielgruppe waren Mädchen und junge Frauen. Über die Projektmitarbeit weitete sich ihr soziales Netzwerk im kulturellen Feld Salzburgs aus. Diesbezüglich sagt sie: „This was a platform for me to get to know a lot of people; also, in the different fields.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 5) Nach der zweijährigen Projektlaufzeit wurde das Kollektiv freiTräume von den zwei vormaligen Projektmitarbeiterinnen Haydeé Jiménez und Sandra Prinz (sowie zu Beginn einer dritten Kollegin) auf eigene Faust weitergeführt. Das Frauenbüro der Stadt Salzburg bekundete Interesse an einer Weiterführung der Workshops im Bereich Mädchenarbeit und wollte dafür auch künftig punktuell Fördergelder bereitstellen. Das Label freiTräume wurde von Haydeé Jiménez und Sandra Prinz weiterhin genutzt, vor allem da sie als agierende Personen im lokalen Kulturfeld bereits unter diesem Namen bekannt waren. Inhaltlich wollten sie das Konzept jedoch ausweiten und nicht mehr ausschließlich Mädchenarbeit machen, sondern DIY-Workshops für ein breiteres Publikum anbieten. Die strukturellen Verhältnisse führten auch zu einer Anpassung des Formats. Die bescheidenen (workshopbezogenen) Fördergeldern sowie der Mangel an zeitlichen Ressourcen bewegte die beiden dazu, einen Weg zu suchen, der möglichst keine finanziellen Mittel erfordert und dennoch die Idee des DIY und den gemeinschaftlichen Gedanken weiterführt. Haydeé Jiménez erzählt: „It was like, let’s try to find a way where we don’t need money and we still continue our cool thing we started somehow. And we thought: well let’s do something like craftivism to unite people through this philosophy.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 15) Das Craftivism-Konzept erschien ihnen als passender Zu-
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Für eine Bewerbung im Programm „Jugend in Aktion“ braucht es vier jugendliche ProponentInnen, es ist dabei nicht unbedingt notwendig, einen Verein zu gründen. Siehe dazu auch Fußnote 17, S. 216.
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gang und es sollte zu einem neuen Referenzpunkt ihres Selbstverständnisses werden. 3.2.2.1 Craftivism als offenes Setting und Einladung zur Teilhabe Der Begriff „Craftivism“ wurde von Betsy Greer (2008) geprägt und versteht sich als aktivistische Strategie, die handwerkliches Schaffen mit antikapitalistischer und feministischer Kritik verbindet.6 Die Idee des Craftivism sollte als Ausgangspunkt dienen, um einen Begegnungs- und Diskursraum zu Handwerk/Bastelei und Aktivismus zu eröffnen. Haydeé Jiménez erzählt: „And we thought about how to make it work here, when there is no specific cause, the cause itself is craftivism: to be active. […] It’s a mode, it’s a way of doing things and a way of seeing things.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 7) Ein weitgehend offenes Setting sollte dabei als experimenteller Rahmen dienen. Haydeé Jiménez erklärt weiter: „It was meant to be a time in space, where that was the mood and the mode of interacting, doing, not just being, [but] being active, doing something.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 7) Das offene Format, lediglich einen Raum und einen Zeitrahmen zu definieren um zum handwerklichen Tun zusammenzukommen, erwies sich jedoch als zu offen. Das Ziel, ein breiteres Publikum anzusprechen, ging nicht auf, hingegen beschränkten sich die TeilnehmerInnen fast ausschließlich auf den unmittelbaren Bekanntenkreis der Initiatorinnen. Selbstkritisch meint sie: „I don’t think it was really well executed on our part, or it is just how it goes to learn from.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 7). Doch verweist dies gleichzeitig auf das Sammeln von Erfahrungswissen in Prozessen der Selbstorganisation. 3.2.3 Erwartungen, Entwicklungen, Enttäuschungen Die erste Idee bestand darin, sich zweiwöchentlich unter dem Titel „Craftivism – selbstgemachter Stammtisch“ zu treffen. Den TeilnehmerInnen sollte überlassen sein, Raum und Zeit so zu nützen, wie es ihnen beliebt, sich als Gruppe zu formieren und bestimmte Aktionen ins Auge fassen zu können. Haydeé Jiménez erklärt: „Everytime we opened the room I would take out all the material, tools, pencils, paint, and machine, sawing stuff, and whatever people wanted to use it was there to use. It was like an actual workshop as a workshop space, but not a guided workshop.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 10)
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Zum Thema Handarbeit und Aktivismus siehe auch (Critical Crafting Circle 2011; Miller et al. 2010).
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Im April 2011 sollte das erste Treffen stattfinden und zeitgleich wurde die Facebook-Gruppe „Craftivism“ gestartet. Während sich auf Facebook bald ein reger Austausch etablierte und die Gruppe virtuell stetig an Mitgliedern gewann, entwickelten sich die konkreten Treffen weit weniger intensiv. Die Gestaltung des konkreten sozialen Raums rund um das handwerkliche und potentiell aktivistische und politische Tun erwies sich als komplizierter als gedacht: Beim ersten Mal wussten die TeilnehmerInnen mit dem offenen Setting nicht viel anzufangen. Deshab versuchte Haydeé Jiménez das offene Setting stärker zu strukturieren: Für den zweiten Craftivism-Stammtisch lud sie jemanden aus ihrem Bekanntenkreis ein, sein Wissen über das Herstellen von Collage Pop-up Cards zu teilen. Doch schien auch dieser Ansatz nicht die erhoffte Resonanz zu bringen. In Folge begann Haydeé Jiménez sich selbst und das Vorhaben in Frage zu stellen: „Then I thought, what is this really for? Why are we here? [...] I began to get really questioning everything of how and why it should work in this way and if it does at all, what effects does it have or impact really.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 7) Das Craftivism-Setting verstand sie selbst vor allem als Möglichkeitsraum, sich in einer Gruppe in kultureller und künstlerischer wie auch handwerklicher Produktion auszuprobieren und gegebenenfalls aus den Zusammenkünften aktivistische Interventionen zu entwickeln. Ein Möglichkeitsraum, der bis zu einem gewissen Grad in der Form der Potenzialität verhaftet blieb, aber dennoch zum Knüpfen und Intensivieren sozialer Beziehungen und Netzwerke genutzt wurde. Haydeé Jiménez bezweifelt, dass das Konzept und der Begriff Craftivism bei den TeilnehmerInnen überhaupt auf Resonanz stieß: „The craftivism is like a concept that you carry with you [...] and the thing is, that craftivism really involves the word: being crafting with your hands. But for me, I don’t craft seriously with my [hands] ... I do cut and paste with sounds … people would not see that as craftivism maybe. But if I do cut and paste sound for a specific cause to make social interaction visible in a community, that’s very craftivist. But it’s words, you know, everywhere there is just words and ... they can get used in a way that works for a group of people but not for others and that’s I think what happened with craftivism meet-ups here.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 9)
Ihre Aussage wirft einerseits Fragen bezüglich der Vermittlung der eigentlichen Projektidee auf, andererseits verweist das (vermeintliche) Miss- oder Nichtverstehen auch auf unterschiedliche Interessenslagen der Beteiligten: Denn wo die eine politisches Potenzial sieht, sieht der andere eine willkommene Gelegenheit für sozialen Austausch. Zu den Craftivism-Treffen versammelte sich bald regel-
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mäßig die gleiche Gruppe aus dem Bekanntenkreis der Initiatorinnen. Der Wunsch nach einem offenen Raum mit fluktuierenden TeilnehmerInnen wurde hingegen nicht Realität. Als Sinnbild des Scheiterns bezeichnet Haydeé Jiménez die einmal mitgebrachte Button-Maschine, die ab jenem Zeitpunkt zum begehrtesten Objekt bei den Zusammenkünften wurde: „The button machine caused uncreative, very productive but uncreative ... chaos. People were producing massively buttons. A machine that produces objects, it’s for free and … it kind of destroyed the thing a little bit, I think. […] I guess people relate this actual finished physical product that you can do quickly and you can see a finished thing. That makes sense somehow to be there: I will leave with a product. I won’t leave with an abstract idea. […] The button machine made it obvious: people didn’t have ideas, ideas to share at that space – not that they don’t have ideas. Very active people were going there, people who are active culturally, socially, politically …but … .“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 9f.)
Die Button-Maschine machte deutlich, dass das offene Konzept nicht aufging. Den TeilnehmerInnen fehlte es gewissermaßen an Kreativität oder aber an einer handwerklichen Anleitung und an einer geteilten inhaltlichen/politischen Perspektivierung des Gruppenzusammenhangs. Im Vordergrund schien der soziale Austausch zu stehen. 3.2.4 Die Suche nach der richtigen Zielgruppe Die Möglichkeit, Räumlichkeiten im ABZ7 zu nutzen, sahen Haydeé Jiménez und ihre Mitstreiterin zu Beginn als Möglichkeit, ein neues Publikum zu erreichen. Als Einrichtung der katholischen Kirche leistet das ABZ Stadtteilkulturarbeit auf unterschiedlichen Ebenen. Ein Schwerpunkt liegt auf dem interkulturellen Dialog, wie bspw. im interkulturellen Stadtteilgarten oder den interkulturellen Frühstücken verwirklicht. Von Seiten des ABZ schien ein Interesse daran zu bestehen, durch die Craftivism-Stammtische ein neues Publikum für die eigenen Aktivitäten zu gewinnen. Haydeé Jiménez und ihre Mitstreiterin wollten insbesondere unterschiedliche Kulturen, aber auch unterschiedliche Altersgruppen ansprechen. Doch letztlich wurde kaum ein breiteres Publikum erreicht. Als Ursache sieht Haydée Jiménez rückblickend den Mangel an Öffentlichkeitsarbeit und
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Zum ABZ siehe auch im Fallbeispiel „Initiative offene Werkstatt“ (Fußnote 5, S. 336).
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Kommunikation. Auch bei Veranstaltungen des ABZ sowie in anderen soziokulturellen Einrichtungen und bei diversen Stadtteilfesten (z.B.: Stadtteilfest im Stadtwerk Lehen, Straßenfest des Vereins „fairkehr“ etc.) war der CraftivismStammtisch präsent. Doch wurde die Einladung zum handwerklichen Tun, zum „Basteln“ und zum Recycling von den jeweiligen KooperationspartnerInnen wie auch den BesucherInnen nicht als Aktivität für Erwachsene, sondern zumeist als Kinderprogramm bzw. Kinderbetreuung wahrgenommen. Haydeé Jiménez resümiert: „It ended up being a kids corner, which is ok, but the craftivism stops there, it becomes an activity corner. [...] So that is the whole conflict of what I’ve been doing, it’s people confusing this.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 11) Erneut machte sie die Erfahrung, in ihrem Zugang missverstanden zu werden. Aus diesen Erfahrungen des Missverstehens ihrer beabsichtigten Ziele heraus schlussfolgert sie, dass sowohl die diskursive als auch die räumliche Rahmung für ein potentielles Gelingen hinsichtlich der Rezeption und Partizipation von zentraler Bedeutung zu sein schienen. Meine Beobachtungen im Rahmen der Veranstaltung „fairkehrtes Fest“8 im Mai 2011, bei dem es ebenfalls eine Craftivism-Station gab, scheinen dies zu bestätigen: So blieben bei der Craftivism-Station insbesondere Kinder stehen und ein paar junge Leute, die, ihrem Auftreten und Outfit nach zu urteilen, selbst dem alternativ-kulturellen Milieu zugehörig waren und somit den Craftivism-BetreiberInnen ähnelten. Dabei wurden subtile Ein- und Ausschlussmechanismen auf unterschiedlichen Ebenen deutlich. Insbesondere bei BesucherInnen des Straßenfestes, die sich beim Anblick des informellen Settings, einer am Boden sitzenden von Bastelmaterial (bspw. leere Plastikflaschen zum Recycling) umgebenen Gruppe, fragen mochten, ob dies eine für sie sinnvolle oder attraktive Aktivität darstelle. Der scheinbar niederschwellige Zugang vermag jedenfalls eine Schwelle zu produzieren, da die sozialen Spielregeln nicht unbedingt ersichtlich sind. Als Einladung zum Mitmachen war ein mit bunter Kreide auf die Straße gezeichneter Pfeil aufgemalt, jedoch überließen die am Boden sitzenden CraftivistInnen es zumeist den
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Von 2010 bis 2014 fand jährlich das „fairkehrte“ Straßenfest statt, an dem für ein bis zwei Tage vielbefahrene Straßen in autofreie Spielwiesen verwandelt wurden. Initiiert und organisiert wurden die Straßenfeste vom 2007 gegründeten Verein „fairkehr“, der mit seinen Aktivitäten auf „verkehrspolitischen Bewusstseinsbildung“ zielt. Zum Rahmenprogramm der Feste zählten neben Konzerten, Film-Screenings diverse Stände an denen sich zivilgesellschaftliche Initiativen präsentierten und interaktive Stationen sowie die Beteiligung der lokalen Geschäftstreibenden.
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Interessierten, sie anzusprechen – insofern erfolgte kaum eine direkte Einladung oder Erklärung zu dem, was hier vor sich ging. Doch braucht es oftmals ein „Andie-Hand-Nehmen“, vielleicht sogar mehr bei Erwachsenen als bei Kindern. Es stellt sich die Frage, wie und wo Interessierte andocken können, wie eine Brücke zur Interaktion gebaut wird, um neues Publikum ansprechen zu können. Beim fairkehrten Fest 2012 wurde bereits ein etwas konkreteres Setting geschaffen und eine kollektive Aktivität vorgegeben: Ein großes Netz aus T-ShirtGarn sollte zusammen mit allen Interessierten fabriziert werden. Weit mehr Leute und unterschiedliche Altersgruppen beteiligten sich im Vergleich zum offenen Bastel-Setting des Vorjahres. Laut Haydeé Jiménez waren mehrere Faktoren für den Erfolg dieser Aktion ausschlaggebend: Die Aktion war räumlich nicht abgeschottet und im Gesamtrahmen des Straßenfestes gut sichtbar. Gleichzeitig wurde der Grund zur Beteiligung weder von ihrer Seite, noch von Seiten der TeilnehmerInnen klar definiert, hatte jedoch den inhaltlichen Rahmen des fairkehrten Fests. Die Positionierung im physischen Raum erschien sowohl für die Sichtbarkeit als auch für die Möglichkeit der Platznahme wesentlich. Die Verständigung über eine gemeinsame Bedeutung des Tuns wurde im Rahmen des Straßenfestes als zweitrangig wahrgenommen, zentral sei hingegen das gemeinsame Tun gewesen. Haydeé Jiménez meint rückblickend: „It was visible and it was big and it was in a large area where a lot of people, men, women, children, were around. [...] It worked out. But it was just for the sake of doing [something] together. [...] The whole sense of why someone is doing something or what meaning it creates was very vague somehow.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 12)
3.2.5 Zukunftsperspektive: Vernetzung „Someone should use the material …“ Zum Zeitpunkt des Interviews stand die Initiative an einem Wendepunkt, da beide Betreiberinnen aus Salzburg bereits weggezogen waren oder kurz davor standen. Doch schienen die Weichen für ein Weiterbestehen der Initiative und Verwaltung der vorhandenen Materialien (Nähmaschine, Buttonmaschine, diverse Materialien und Werkzeuge) gestellt. Einerseits bekundete das Frauenbüro der Stadt Salzburg Interesse, die Initiative weiter zu unterstützen; andererseits zeichnete sich eine Übergabe und Fortführung der Initiative durch eine befreundete Stadtteilkulturarbeiterin ab. Das Label freiTräume weiterzuführen sollte den Vorteil bringen, auf bereits bestehende Kontakte sowie eine Website zurückgreifen zu können und zukünftige Aktivitäten im DIY-Bereich in eine Kontinuität zu
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stellen. Ein kleiner Werbefilm über freiTäume war in Planung, um die Initiative weiter bekannt zu machen und potenzielle InteressentInnen und MitstreiterInnen zu begeistern. Das Repertoire von freiTräume hatte sich über die vergangenen Jahre stetig weiterentwickelt so wurden DIY-Workshops mit Jugendlichen, spezifische Mädchenworkshops sowie Workshops mit Menschen mit geistiger Behinderung zu Animationsfilmen, Zines und Upcycling durchgeführt. Doch hängt die Fortführung aufgrund der losen Struktur an den in der Initiative engagierten Einzelpersonen. Haydeé Jiménez hat für eine mögliche Weiterführung Ideen, die sie vor ihrem Wegzug noch auf Schiene bringen möchte. Das neue Format würde DIY-Workshops an verschiedenen Orten bzw. in Räumen unterschiedlicher Initiativen anbieten und diese mit einem gemeinsamen Veranstaltungskalender verbinden, um so zu einem Austausch und der Vernetzung von AkteurInnen und Orten beizutragen. Für rund eineinhalb Jahre versuchten sie und ihre Mitstreiterin, Craftivism-Stammtische im ABZ im Stadtteil Itzling abzuhalten. Die dezentrale Lage war aus ihrer Sicht mit ein Grund, warum ihre Initiative nicht Fuß fasste. Doch sprachen zu Beginn einige Überlegungen für die Raumnutzung: einerseits die kostenlose zur Verfügungstellung eines Raums, andererseits das neue potenzielle Publikum, das über das ABZ erreicht werden könnte. Doch war rückblickend festzustellen: „No one was going there because it was too far away.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 16) Für Salzburger Verhältnisse erscheint das ABZ relativ abseits gelegen, wobei es vom Stadtzentrum aus mit dem Fahrrad in rund 15-20 Minuten zu erreichen ist. Distanzen innerhalb einer Stadt werden offenbar in Relation zur Stadtgröße wahrgenommen – in einer kleinen Stadt erscheint ein Weg von einer halben Stunde als lange, wohingegen eine solche Strecke in einer großen Stadt als kurz wahrgenommen werden könnte. Als sich in Salzburg als Folge der Occupy-Bewegung auch lokal ein Netzwerk bildete und einige Vernetzungstreffen stattfanden, schöpfte Haydeé Jiménez Hoffnung und versuchte die Craftivism-Initiative mit dem Protestnetzwerk zusammenzubringen; doch sollte auch dieser Versuch scheitern. Einerseits wurde moniert, der Ort sei zu abseits gelegen, andererseits ist das ABZ eine Einrichtung der katholischen Kirche, was möglicherweise ebenfalls eine gewisse Distanzierung der sich im Occupy-Netzwerk engagierenden Leute bewirkte. Zu diesem Zeitpunkt realisierte Haydeé Jiménez, dass ein Ortswechsel möglicherweise notwendig sei, um AkteurInnen aus dem aktivistischen Umfeld anzusprechen. Sie erzählt:
364 | K REATIVITÄT UND T EILHABE IN DER STADT „That’s when I started realizing: I have to look for another space. [...] I have to take freiTräume where it needs to go ... not stay in this place, sunken somehow, waiting for the people. We have to bring it to places and that’s when I approached ,Stadtwerk Lehen‘ and periscope to see if the space was open for hosting, not random events but once here once there. [...] But mainly we have a lot of material too to store and to use. Someone should use the material. [...] there are all sorts of things, that need to be used. And they are there for people to get creative.“ (Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012, S. 16)
Ihre Hoffnung war, einen Raum zu finden, der sowohl inhaltlich anschlussfähig an die Craftivism-Idee erscheint als auch den physischen Raum für regelmäßige DIY-Workshops bzw. Craftivism-Treffen bereitstellt. Wichtig sei dabei auch die ganz pragmatische Anforderung, einen Lagerraums für das Material möglichst an einem zentralen Ort zu finden. Die Workshops und Events könnten durchaus wechselnd in den Räumlichkeiten unterschiedlicher Initiativen stattfinden. Bei Bedarf könne dabei auf das vorhandene Material zurückgegriffen werden. Die Idee der dezentralen DIY-Workshops hat weiters den Hintergrund, dass die Aktivitäten bisher auf ehrenamtlicher Basis stattgefunden haben und bei einer solchen Fortführung die Mitnutzung bereits bestehender Räume attraktiv erscheint; die permanente Betreuung eines Raums als DIY-Werkstätte erscheint hingegen eher unrealistisch. Dazu bräuchte es ähnlich dem Ziel der „Initiative für eine offene Werkstatt“ adäquate Rahmenbedingungen. Das Konzept der wechselnden Räume und Gastgeber würde zur Entlastung der einzelnen AkteurInnen und gleichzeitig zu einer Programmvielfalt beitragen. Wesentliche Aspekte ihrer Zukunftsvision liegen in der Realisierung und Vernetzung offener Räume für DIY. Es geht ihr darum, Menschen dazu zu bringen, Ideen zu entwickeln und an verschiedenen Orten in der Stadt umzusetzen. Die Vernetzung der teilnehmenden Initiativen könnte einen Schneeballeffekt erzeugen, sodass sich Netzwerk-Beziehungen intensivieren und zwischen den bestehenden Räumen, Initiativen und AkteurInnen mehr Austausch entsteht. 3.2.6 Analyse: Initiative Craftivism Nach den Erfahrungen aus dem größeren Projektzusammenhang des freiTräumeKollektiv erschien Haydée Jiménez und ihrer Mitstreiterin das CraftivismKonzept als Möglichkeit, ohne Förderungen auch inhaltlich etwas Neues auszuprobieren und eine breitere Zielgruppe anzusprechen. Insgesamt erwies sich der Zugang als sehr experimentell und die Selbstorganisation wurde dabei gewissermaßen ebenfalls als DIY-Experiment verstanden. Für die CraftivismStammtische konnte als Kooperationspartner das ABZ gewonnen werden, das
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Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Auf zweifacher Ebene werden hier die Wechselwirkungen des physischen, sozialen und symbolischen Raums sichtbar: Der Standort des ABZ in Itzling, einem im Norden gelegenen Randbezirk Salzburgs, erscheint vom Stadtzentrum aus etwas abgelegen. Außerdem ist das ABZ eine kirchliche Einrichtung und schafft damit eine spezifische symbolische Konnotation, die wiederum spezifische Ein- und Ausschlussmechanismen mit sich bringt. Die BetreiberInnen der Craftivism-Initiative erhofften sich, über das ABZ ein anderes, interkulturelles sowie sozial und altersmäßig durchmischtes Publikum zu erreichen und nicht wie bisher überwiegend Jugendliche und insbesondere Mädchen. Vom Standort im ABZ versprachen sie sich einen Zulauf von StadtteilbewohnerInnen mit Migrationshintergrund sowie allgemein älteren bzw. erwachsenen InteressentInnen. Jedoch hätte es dafür rückblickend spezifische Kommunikationsleistungen und Strategien der Einladungspolitik bedurft. Die Distanz vom Stadtzentrum, die kirchliche Konnotation des Ortes sowie möglicherweise die unklare Zieldefinition der Craftivism-Initiative erscheinen wiederum als plausible Gründe dafür, dass über den unmittelbaren Bekanntenkreis der InitiatorInnen hinausgehend aus dem breiteren alternativkuturellen Umfeld kaum jemand den Weg zu den Craftivism-Treffen fand. Neben der Nutzung des ABZ für die Craftivism-Stammtische wurden im Rahmen diverser Events im öffentlichen Raum Craftivism-Aktionen durchgeführt. Jene mit klarem konzeptuellen Rahmen und genügend physischem Raum im Rahmen des Gesamtevents schienen am besten zu funktionieren (wie bspw. das kollektive Fabrizieren eines großen Netzes im Rahmen des fairkehrten Fests 2012). Bei anderen Events im öffentlichen Raum mündete die CraftivismAktivität wiederholt im Bereich der Kinder-Aktivitäten. Zum einen fand von den OrganisatorInnenen eine räumliche Zuweisung zum Kinderbereich statt, zum anderen gingen Kinder auf das Craftivism-Angebot zu, Erwachsene hingegen schienen sich nicht angesprochen zu fühlen. Im Vergleich zu den Top-down-Lehrsituationen in Workshops mit Jugendlichen während des EU-freiTräume-Projektes und den Workshops im Auftrag des Frauenbüros wollten die InitiatorInnen der Craftivism-Stammtische eine Peer-topeer-Lernsituation schaffen. Der geschaffene soziale Raum sollte allein durch die Setzung einer bestimmten Zeit und durch das Zurverfügungstellen der Infrastruktur von Raum und Materialien (Nähmaschine, Button-Maschine, Bastelmaterialien und -utensilien) hergestellt werden. Allerdings schien das offene Setting und die Einladung zur Teilhabe durch das Basteln und handwerkliche Tätigsein als zu offen, um eine Aneignung durch ein breiteres Publikum zu ermöglichen. Hierbei wird sichtbar, dass implizites habitusbezogenes Wissen erforderlich ist, um überhaupt ein solches offenes Angebot deuten und wahrnehmen zu können.
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Die symbolische Perspektivierung, also das Ziel der Initiative, war/blieb unklar und die Idee, einen offenen Raum „für alle“ zu schaffen, scheiterte: Die Idee von Craftivism als Konzept, das handwerkliches Tun und politische Aktion verbindet, konnte nicht vermittelt werden. Der soziale Aspekt stand also im Vordergrund. Die TeilnehmerInnen waren in unterschiedlichen Kontexten politisch, kulturell und sozial aktiv, nutzten jedoch den Rahmen der CraftivismStammtische weder für eine politische noch poetische bzw. künstlerische kollektive Perspektivierung. Nach diesen ernüchternden Erfahrungen des sehr offen und experimentell gehaltenen Rahmens und der Schwierigkeit, einen passenden Ort zu finden, wurde ein neues Konzept sowie die Übergabe der Initiative bzw. der vorhandenen Ressourcen angedacht. Im neuen Konzept sollte durch einen gemeinsamen DIY-Veranstaltungskalender unterschiedlicher Salzburger Kulturinitiativen die Vernetzung in der alternativkulturellen Szene vorangetrieben werden. Als Ansatzpunkt dienen die Vernetzung der AkteurInnen und die Sichtbarmachung der unterschiedlichen Räume und Initiativen unter dem DIY-Aspekt. Die jeweiligen Termine würden von wechselnden gastgebenden Kulturinitiativen kuratiert. Der verbindende inhaltliche Rahmen des DIY müsste jeweils spezifisch interpretiert werden. Der rote Faden wäre die Herstellung von Peer-to-peer-Lernsituationen des DIY. Anhand der Aussagen von Haydeé Jiménez darüber, welche Initiativen für einen solchen gemeinsamen Veranstaltungskalender in Frage kämen, erfahren wir wiederum etwas über ihre Bezugspunkte im kulturellen Feld der Stadt und über eine spezifische „Topografie des Möglichen (in) Salzburg“. Als mögliche Kooperationspartner nennt sie die Kulturvereine „periscope“, „denkmal“, das Quartiersmanagement des „Stadtwerks Lehen“ sowie den Medienkunstverein „subnet“. Als weniger geeignet aus ihrer Sicht gelten aufgrund der dezentralen Lage und nach den bisherigen Erfahrungen das ABZ sowie das MARK. Auch die symbolischen Konnotationen beim ABZ als kirchlich und die inhaltliche Ausrichtung beim MARK als Jugendkulturverein erscheinen ihr als unpassend. Doch würde die neue Konzeptidee ohnehin nur funktionieren, wenn die angedachten Kulturinitiativen an einem gemeinsamen DIY-Veranstaltungskalender Interesse hätten. Die Initiative Craftivism steht für eine nomadische und kooperative Raumpraxis ohne fixen physischen Raum.9
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In der Zeit zwischen der Beendigung der Feldforschung und der Publikation vorliegendens Buches wurde der Faden wieder aufgegriffen: die Initiative „Crafterwork – der creative Feierabend“ lädt jedes zweite Monat an unterschiedlichen Orten (Kultur-
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3.3 S CHLUSSFOLGERUNGEN : D O - IT -Y OURSELF S ALZBURG
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IN
Im Salzburger Kontext gab es zu der Zeit als ich meine empirischen Erhebungen durchführte noch weitere Initiativen, die im Bereich des DIY sowie der MakerSzene zu verorten sind: Im Maker-Bereich der Schnittstelle digitale/analoge Medien ist zuvorderst das internationale Multimedia-Festival „Schmiede Hallein“ zu nennen, das seit 2003 jährlich stattfindet und sich selbst als „playground of ideas“ für kreativ Arbeitende versteht.10 Kleinere aktivistische Initiativen aus dem Bereich des Craftings bzw. Handwerken als Aktivismus waren im Feldforschungszeitraum bspw. Aktionen der Kollektive „reWOLLution“ sowie „geWOLLt“. Ersteres mag zwar in der Namensgebung rebellisch klingen, argumentierte jedoch in der Perspektivierung der eigenen Praxis eher ausgehend von ästhetischen und designorientierten Überlegungen. (vgl. Gedächtnisprotokoll „reWOLLution“/“geWOLLt“, Januar 2011). Ich suchte jedoch nach stärker politisch perspektivierten Praxen und stellte mir im Austausch mit einer Kollegin die Frage wie es dazu kommt, dass zwar Praktiken aus anderen Städten zitiert werden, jedoch ohne dass der (kritische) Diskurs mitgenommen wird bzw. wiederum ein eigener (in diesem Fall kreativwirtschaftlich orientierter) Diskurs produziert wird (vgl. Gedächtnisprotokoll, Gespräch Kollegin: Craftivism, Januar 2011). Welche Diskurse erscheinen in einer bestimmten Stadt anschlussfähiger als andere und welche Gründe gibt es dafür? Das Kollektiv „geWOLLt“ setzte wiederum verstärkt gemeinwesenorientierte Akzente bspw. im Rahmen von Aktionen in Kooperation mit BewohnerInnenservice-Stellen. Vor diesem Hintergrund fiel meine Wahl auf die „Initiative für eine offene Werkstatt“, da hier das Ansinnen jenes war einen Raum mit offenem Zugang für die Allgemeinheit zu etablieren, sowie die Initiative „Craftivism/freiTräume“, da die Initiatorinnen eine politische Perspektivierung anstrebten und das Craftivism-Konzept als solches im Salzburger Kontext etablieren wollten. Sowohl die „Initiative für eine offene Werkstatt“ als auch die Initiative „Craftivism – selbstgemachter Stammtisch“ teilen den Leitgedanken einer Tätigkeit jenseits der Erwerbsarbeit. Hierbei spielt Ehrenamtlichkeit bzw. gesell-
vereinen, aber auch Kleinunternehmen der kreativen Branche) zum gemeinsamen „craften“ und Austausch ein (vgl. http://www.crafterwork.at/; https://de-de.facebook. com/crafterwork/, [23.8.2017]). 10 Siehe www.http://schmiede.ca/
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schaftspolitisches Engagement eine wesentliche Rolle für die AkteurInnen. Er verweist auf den jeweiligen inneren Sinn von Tätigkeit, etwas für das Gemeinwohl zu leisten und leisten zu wollen bzw. politisch aktiv zu sein, ohne kommerzielle Interessen zu verfolgen: „Offene Werkstätten sind Orte der Möglichkeiten für Viele, nicht des Geschäfts für Wenige. [...] Unser Projekt verfolgt keinerlei kommerzielle Interessen. Gemeinnützigkeit und Offenheit stehen im Vordergrund.“11 In der offenen Werkstatt sollen handwerkliche Kompetenzen in den Bereichen Holz, Textiles und Fahrradreparatur entwickelt und verwirklicht werden. In der Initiative freiTräume/Craftivism werden unterschiedliche Materialien den InteressentInnen zum Basteln und handwerklichen Tun zur Verfügung gestellt. Für beide Initiativen stellt die soziale Komponente einen zentralen Aspekt ihres Selbstverständnisses dar. Der physische Raum soll als Raum für Begegnung, Austausch, Kommunikation und die Weitergabe von Erfahrungswissen und Know-how fungieren. Niederschwelligkeit und Gemütlichkeit sollen den Zugang „für alle“ erleichtern und somit eine größtmögliche Durchmischung von Menschen erreichen. In beiden Initiativen stellt das Vorhandensein konkreter innovativer und gemeinnütziger Ideen sowie der Ressourcen an Wissen, Kompetenzen und Fertigkeiten der involvierten AkteurInnen ein Potenzial für lokale gesellschaftliche Transformationsprozesse dar. Doch sind es zum einen die strukturellen Rahmenbedingungen, wie die Raumsuche und Finanzierungsmöglichkeiten im Fall der „Initiative für eine offene Werkstatt“, zum anderen die unzureichende Kommunikation und mangelnde Entwicklung einer gemeinsamen inhaltlichen Perspektivierung, wie im Falle der Initiative „Craftivism“, die zum Scheitern führen. In beiden Initiativen kommt der Begriff „Bricolage“ sowohl in seinem etymologischen Sinn als auch im konzeptuellen Sinn von Lévi-Strauss zu tragen. Wird Bricolage auf materieller Ebene nicht unterstützt oder gar verhindert, kann sie als lebendiger und gesellschaftlicher Transformationsprozess zwar als Projekt überlegt und entworfen, jedoch nicht verwirklicht werden. Nichtsdestoweniger bleibt der Idealismus der ProponentInnen beider Initiativen in der Hoffnung auf eine künftige Realisierung der Projektideen trotz Hindernissen als utopischer Horizont erhalten.
11 Ankündigung des zweiten offenen Treffens der Initiative (vgl. Initiative offene Werkstatt Salzburg – 2tes Treffen SUB Salzburg, http://subsalzburg.blogsport.eu/2011/06/ 27/2tes-treffen-initiative-offen... [4.7.2011]).
V. Conclusio: Topografie(n) des Möglichen
Conclusio: Topografie(n) des Möglichen
Die Betrachtung der Stadt Salzburg als Collage und Assemblage von Räumen und Situationen, AkteurInnen und Tätigkeiten eröffnet einen Blick auf den prozessualen Charakter der Topografie(n) des Möglichen. Dabei wird die kulturelle Textur der Stadt in ihren Rissen, Nähten und dem sich ständig erneuernden Flickwerk von Narrationen in und über die Stadt sichtbar. Um das Mögliche/die Potenzialität einer Stadt zu verstehen, ist es notwendig, vor dem historischen und gegenwärtigen Hintergrund herrschender struktureller Rahmenbedingungen die Träume und das Imaginäre ihrer BewohnerInnen in Betracht zu ziehen. Das Imaginäre steht dabei in einer poetischen Relation zur Realität, denn dort, wo Sinngebung entsteht, geht es auch darum, den Wunsch in die Realität zu holen (vgl. Lefebvre 1972a). Für die Kulturanthropologin Ina-Maria Greverus ist Poesie ein Leitbegriff ihrer Forschungsarbeit, nicht zuletzt in ihrem 2009 erschienenen Buch „Über die Poesie und Prosa der Räume“ verband sie ihre kulturanthropologische Sinnsuche mit dem Begriff der Poesie (vgl. Greverus 2009). Als DichterIn zu leben, heißt hier, kreativ das eigene Leben zu gestalten, es sich anzueignen und sich selbst als gestaltend und handlungsfähig zu erleben. Diese Art von Poesie bedeutet für mich Bricolage und Kreativität. Imagination und Kreativität wurden in der vorliegenden Arbeit als sozialer Prozess im Sinne Graebers (2008) und „kreativer Macht“ im Sinne Holloways (2004) verstanden. Es ging darum, die Herstellung sozialer Beziehungen in Relation zum Imaginären der AkteurInnen zu verstehen. Das Imaginäre der AkteurInnen gibt Aufschluss über die Perspektivierung ihres kollektiven Tätigseins. Dabei stand die Selbstorganisation kultureller und politischer Initiativen im Fokus, sowie die AkteurInnen, die ihre Wünsche, Vorstellungen und Träume durch ihre jeweiligen Praxen in die Realität umsetzen und Räume und Zeitlichkeiten schaffen, in denen „kreative Macht“ produziert und reproduziert werden kann. Die in der empirischen Analyse unterschiedenen Formen des Tätigseins wurden als Facetten von „Kreativität als sozialer Prozess“ im Sinne Graebers (2008) und
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„kreativer Macht“ im Sinne Holloways (2004) hergeleitet. Kreativität und Imagination wurden also nicht im gegenwärtig weit verbreiteten Sinne der Vermarktung einer Creative City, sondern als soziale Kraft aufgefasst und erforscht. In Bezug auf das Stadtleben und Stadterleben spielt also ganz im Sinne von Rowe und Koetter ([1975] 2005) die Utopie eine wichtige Rolle. Hier möchte ich nochmals Rowe und Koetters Gegenüberstellung von utopischer Poesie und utopischer Politik aufgreifen und meine empirischen Fallstudien zwischen diesen beiden Polen, zwischen Kunstfeld und politischem Feld, situieren.
1. N ARRATION – G ESCHICHTE ( N ) ERZÄHLEN Sowohl für „utopische Poesie“ als auch für „utopische Politik“ haben das Erzählen und die Erzählung/Narration wesentliche Bedeutung. Jacques Rancière (2009) spricht davon, dass erst durch Dichtung ein Sinnzusammenhang entsteht. Er meint, das Leben müsse zum Gedicht werden. Rancière zufolge sind wir alle zugleich AkteurInnen und ZuschauerInnen in einem bestimmten Milieu bzw. in der Gesellschaft als Ganzes; daraus erwächst unsere Fähigkeit zur Interpretation und Perspektivierung und somit zur Dichtung des eigenen Lebens als sinngebende Praxis. Dieser Aspekt der Poesie im Alltag oder einer Poesie des Alltags, ist nicht zuletzt eine politische Kategorie, der Wunsch und Ausdruck danach, dem Leben einen Sinn zu geben, den Dingen, den Objekten, der materiellen Welt eine Seele einzuhauchen, sie also mit Sinn und einer Bedeutung auszustatten. Mit Rancière werden in Kunst und Politik die Tätigkeiten festgelegt, die innerhalb einer Gesellschaft dazu führen, dass bestimmte AkteurInnen gesehen und gehört werden, wenn sie ihre Stimme erheben. In diesem Kontext findet sich das Erzählen von Geschichte und von Geschichten in der Form der Mythenbildung (Vergangenheit) und dem wunscherfüllten Handeln in Richtung Utopie (Zukunft) wieder. Insofern haben Mythos und Utopie eine wesentliche Bedeutung für das Imaginäre und die Potenzialität einer Stadt bzw. ihrer BewohnerInnen. In dieser Arbeit ging es darum, festzustellen, wie sich die Selbsterzählung(en) in Bezug auf den Stadtkontext darstellen und welche Rolle diese für die Topografie(n) des Möglichen (in) der Stadt spielen. Welche wiederkehrenden Motive gibt es in der Selbsterzählung und Narration der Initiativen? Und welche Rolle spielen diese im Sinne einer Mythenbildung? Die Selbsterzählung, utopische Perspektivierung und Mythenbildung konstituieren sich rund um kollektive Erfahrungen der Raumaneignung auf physischer, sozialer und symbolischer Ebene. Der Mythos wird von den jeweils aktiv Beteiligten tradiert. Sie erinnern sich an einen Ort des sozialen (und/oder politischen
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oder künstlerischen) Austausches sowie des gemeinsamen Tätigseins. Im Mythos wird die Utopie am Leben erhalten, tradiert sowie in eine mögliche Zukunft projiziert. So wird der Mythos der Arge-Rainbergbewegung, die ins Kulturzentrum Nonntal mündete, von der Alt-68er-Generation tradiert und auch von jungen, alternativkulturellen AkteurInnen in der Besetzung von 2006 aufgegriffen und für die Kontextualisierung der eigenen gegenwärtigen Praxen genutzt. Der Mythos der Kesselbildung bei den Anti-WEF-Protesten, der die Staatsgewalt in Form übermäßiger Polizeieinsätze sowie den Kampf um eine andere Welt zum Inhalt hat, lässt sich in den Erfahrungen und Imaginationen des Kulturvereins SUB weitererzählen. Der Mythos des „Cult-Towers/artforum-Hochhauses“ wiederum erzählt davon, was möglich ist, wenn Raum für generationenübergreifende Basiskulturarbeit zur Verfügung steht. Der suggerierte Mythos eines „broadway itzlings“ im Rahmen des Kunstprojektes „grandhotel“ möchte zur Interaktion und Wunschproduktion über die Lebensqualität im Stadtteil einladen. Der Spannungsbogen der lokalen Mythenbildung reicht hierbei von der utopischen Politik bis hin zur utopischen Poesie – all diese Mythenbildungen sind von AkteurInnen getragen und deren Wunsch, Kunst, Kultur und Politik von allen und für alle zu ermöglichen. Als wichtiger Teil der Imagination und Narration der AkteurInnen sind die Perspektivierung und In-Bezug-Setzung zu anderen Initiativen sowie zu Konzepten und Theorien, also zu Praxen und deren inhaltlicher Sinngebung, zu verstehen. Die meisten Initiativen/AkteurInnen beziehen sich auf Ereignisse und/oder Beispiele in anderen städtischen Kontexten: Sie wollen Konzepte und Praxen in Salzburg einführen, die sie in anderen Städten und Ländern erlebt oder erfahren haben – dabei scheint Transnationalität auf (vgl. Wildner 2012). Die BesetzerInnen der alten Arge nahmen Bezug auf die internationale Besetzungsbewegung sowie auf die lokale Geschichte des Kampfes um ein „offenes Haus“; ein SUBAktivist träumt von einer besetzten Villa wie in Athen; die Initiative für eine offene Werkstatt bezieht sich auf das HEI in München; die Initiatorinnen der Craftivism-Stammtische beziehen sich auf das Craftivism-Konzept und versuchen, die abstrakte Idee mit Leben zu füllen. Doch stellt sich mit der Narration auch die Frage danach, wer diese hört bzw. ob die Initiativen in der allgemeinen Öffentlichkeit der Stadt wahrgenommen werden. Anhand der Medienöffentlichkeit wird sichtbar, ob die Initiativen in der allgemeinen Öffentlichkeit bemerkt werden oder ob sie und das Tätigsein ihrer AkteurInnen unsichtbar unter der Oberfläche bleiben.
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2. T OPOGRAFIE ( N )
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HISTORISCH
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ging es primär um das Aufspüren von Ansätzen und Praxen eines häretischen kollektiven symbolischen Kapitals die eine Transformation der hegemonialen Erzählung in der Stadt Salzburg anstreben. Durch ihr Sein, ihre physische Präsenz in der Stadt sowie durch ihren Diskurs und ihre Praxen, tragen die alternativkulturellen Initiativen zur Produktion eines Imaginären und dadurch zur Symbolproduktion der Stadt bei. Wo wurden und werden also der dominanten Erzählung andere Erzählungen und Praxen der Kulturpolitik (von unten) entgegengesetzt? Seit den 1970er/80er Jahren hat sich in Salzburg, ausgehend von der alternativkulturellen Bewegung, eine freie Szene der künstlerischen Produktion und Kulturarbeit entwickelt. In der Stadt Salzburg nahm die Raumaneignung ihren sichtbaren Anfang mit der Besetzung des Petersbrunnhofs 1976 und der Forderung nach einem selbstverwalteten Kulturzentrum. Die Besetzung der alten Arge 2006 erneuerte 30 Jahre später die Forderung nach selbstverwaltetem kulturellen Freiraum durch eine neue Generation. In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Stadt der Alternativkultur geöffnet. Doch ist insbesondere in der Diskrepanz zwischen den Leitbildern von Kulturverwaltung und Stadtplanung und der kulturpolitischen und stadtplanerischen Praxis ersichtlich, dass das Wissen um die Schaffung adäquater Rahmenbedingungen vorhanden zu sein scheint, jedoch eine Umsetzung von politischer Seite bisweilen verzögert oder auch ignoriert wird. Damals wie heute besteht ein Mangel an Räumen für nicht-kommerziellen Austausch, für ein Tätigsein abseits der Erwerbsarbeit und vor allem für Selbstverwaltung. Dieser Mangel besteht trotz der von EntscheidungsträgerInnen definierten Leitlinien sowohl im Kulturleitbild (Stadt Salzburg 2001; Luger/Hagelmüller 2007; Stadt Salzburg 2014) als auch im REK (Stadtgemeinde Salzburg 2007), in welchen die Bereitstellung von Raum als wichtiges Ziel für die Förderung von Basiskulturarbeit sowie von experimenteller Kunst- und Kulturarbeit betont wurde.1 Von den AkteurInnen des alternativkulturellen Feldes werden Verwaltung und Politik zumeist als verkrustet und wenig offen wahrgenommen. Dabei werden einerseits die unterschiedlichen Auffassungen und Logiken, die auf struktu-
1
So wurde im REK festgehalten, dass es manchmal auch nur eine leere Fabrikhalle brauche, um Ideen und Selbstentfaltung entwickeln zu können. Explizit genannt im Kulturleitbild wird die Realisierung von „Kreativwerkstätten“, die allen Interessierten zur Verfügung stehen würden (vgl. Stadt Salzburg 2001:19).
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rellen Machtverhältnissen basieren, zwischen Verwaltungsapparat und Stadtpolitik sowie Selbstorganisation und Selbstverwaltung sichtbar. Andererseits ist dies auf eine konservative Geisteshaltung zurückzuführen, die sich in einer Tendenz zur Musealisierung im Kulturverständnis ausdrückt und wenig Raum für Experiment, Transformation bzw. Transgression vorsieht. Die Übermacht des Erbes kann problematisch werden, insofern sie das Potenzial für zukünftige Perspektiven und gesellschaftlichen Wandel verhindert oder gar verbaut. Doch wird die Fackel direkt oder indirekt weitergegeben und eine neue Generation fordert Raum zur Selbstverwaltung und erprobt Selbstorganisation. Hinsichtlich der Konstituierung junger alternativkultureller Initiativen in Salzburg in den 2000ern ist zu sagen, dass es im Sinne der unterschiedlichen „Zeiten der Revolution“ (vgl. Holloway 2006) erst die Phase der Selbstorganisation der einzelnen Initiativen und Subszenen gab und danach die Zeit der Vernetzung und Allianzenbildung kam. In der ersten Phase machten die jungen AkteurInnen die Erfahrung, als erstes ein bestimmtes Projekt umzusetzen, Neuland zu betreten und sich nicht auf bereits bestehende Initiativen beziehen zu können, sondern gewissermaßen neue Subfelder in der Stadt zu initiieren. Der/die Erste zu sein, bezieht sich dabei bis zu einem gewissen Grad auch auf die Zugehörigkeit zu einer Generation, denn der Zyklus von Initiierung bis Institutionalisierung ist ein sich wiederholender. Doch für jede Generation gilt es von neuem, ihr Terrain zu gestalten und anzueignen. Erst nach einer gewissen Etablierung werden Ressourcen frei, um Vernetzung und Allianzenbildung anzustreben. In Salzburg scheinen sich einige künstlerische und alternativkulturelle Subszenen zu überschneiden. Zum Teil sind die gleichen AkteurInnen in unterschiedlichen Szenen anzutreffen, eine Tatsache, die ich während der Feldforschung immer wieder erlebt habe. Dieses Faktum verweist auf die kleinteilige Struktur der Stadt, in der sich unterschiedliche Szenen eher treffen oder überschneiden und sich leichter ein gemeinsames sub- bzw. alternativkulturelles Feld bilden kann, als dies in größeren Städten der Fall sein mag. Zudem haben sich Konvergenzpunkte im alternativkulturellen Feld herausgebildet. Diese adressieren eine breitere Öffentlichkeit als die unmittelbaren einzelnen AkteurInnen und Initiativen. Dazu zählen klassischerweise alternative Medien, wie das freie Salzburger Radio „Radiofabrik“ (*1998) sowie der Community-TV-Sender „FS1“ (*2012), die für Selbstrepräsentation und die Schaffung von Gegenöffentlichkeit im zivilgesellschaftlichen bis gegenkulturellen Feld stehen. Ebenfalls genannt werden können die monatlich stattfindende „Critical Mass“ (*2008) als Praxis kollektiver urbaner Raumaneignung sowie das von 2010 bis 2014 jährlich stattfindende „fairkehrte Fest“. In diesen temporären sozialen Räumen, Vernetzungspunkten
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und alternativen Öffentlichkeiten treffen die alternativkulturellen AkteurInnen zusammen und potenzielle AkteurInnen können dazustoßen. Die Übersichtlichkeit der kleinteiligen Stadt ermöglicht es im Vergleich zu größeren Städten schneller, die handelnden AkteurInnen zu kennen, womit das Potenzial zur Vernetzung steigt. In großen Städten mag es eine größere Anzahl an Szenen und handelnden AkteurInnen geben, sodass der gesamte soziale Raum der Stadt weniger leicht zu überblicken ist. Durch die Übersichtlichkeit erhöht sich der Handlungsspielraum für mehr Austausch zwischen den unterschiedlichen Szenen. Doch wird dieses Potenzial nicht immer wahrgenommen und die unterschiedlichen Subszenen agieren bisweilen auch nebeneinander. Zum Zweck der Analyse wurden in dieser Arbeit drei Achsen aufgestellt: der physische, der soziale und der symbolische Raum, die jeweils im historischen sowie gegenwärtigen Kontext Salzburgs betrachtet, analysiert und gedeutet wurden. Die Zusammenschau der analysierten Fallbeispiele macht Gemeinsamkeiten und Unterschiede bzw. Wechselwirkungen und Interdependenzen zwischen den Initiativen deutlich. Diese beruhen nicht zuletzt auf den spezifischen Rahmenbedingungen und Machtverhältnissen der Stadt Salzburg, in welchen das ökonomische und politische Feld das zugrundeliegende dominante Verhältnis der Hochkultur sowie der Tradition gegenüber den alternativen kulturpolitischen Initiativen im kulturellen Feld prägen. Vor diesem Hintergrund werden die Pluralität der Praxisfelder, die auf unterschiedlichen Spielregeln basieren, sowie der Handlungsspielraum der jeweiligen AkteurInnen aufgrund ihrer sozialen, kulturellen und symbolischen Kapitalsorten mitbestimmt. Diese Faktoren nehmen Einfluss auf die Möglichkeiten und Strategien der Raumaneignung, die Raumbeschaffenheit, die sozialen, kulturellen und/oder gesellschaftspolitischen Tätigkeitsformen sowie die leitenden Wertorientierungen und deren Vorstellungskraft im symbolischen Raum der jeweiligen Initiativen. Im Sinne Pierre Bourdieus geht es dabei um die Frage der Reproduktion oder der Infragestellung der bestehenden Ordnung: „Mit der Durchsetzung einer symbolischen Macht konstituieren sich Sinn und Bedeutungsverhältnisse, welche die objektiven Kräfte- und Machtverhältnisse reproduzieren oder, im Falle symbolischer Subversion, transformieren.“ (Schwingel 1998: 115) Bezugnehmend auf Salzburg und in Anlehnung an Bourdieu findet sich das häretische Moment demnach in Aufbruchslinien, die sich gegen den Salzburg-Mythos als Mozart- und Festspiel- sowie „Sound of Music“Stadt positionieren. Der „Traum vom Raum“ kommt als wiederkehrendes Motiv in allen Fallbeispielen vor und spiegelt sich bisweilen sogar in der Namensgebung wider: Im Namen „freiTräume“ (als Kombination aus „Freiräume“ und „Träume“) wird der Traum vom Raum explizit. Der Traum vom Raum ist beim „SUB“ Teil einer
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größeren gesellschaftlichen Utopie, als Fragment einer größeren Collage-Utopie. Die Suche nach einem geeigneten Raum geht weiter, um den Traum immer konkreter umzusetzen. Im „artforum“ wird der verlorene Raum zum Mythos. In der Initiative für eine offene Werkstatt bleibt der Raum vorerst ein Traum. Im „grandhotel“ ist der Traum vom Raum fiktional umgesetzt und macht eine utopische Poesie greifbar.
3. P HYSISCHEN R AUM ANEIGNEN – F ORMEN DER R AUMANEIGNUNG Der Reichtum der Stadt Salzburg schlägt sich in hohen Mietpreisen nieder. Sowohl Wohnraum als auch Raum für nicht-kommerzielle kulturelle Nutzung ist teuer. Neben den hohen Mietpreisen wird zudem die von alternativkulturellen AkteurInnen häufig als konservativ erlebte Geisteshaltung von Behörden, Verwaltung, Politik und Eigentümern als Hindernis für die Initiativen dargestellt. Laut Bourdieu hängt die „Fähigkeit, den Raum zu beherrschen, hauptsächlich basierend auf der materiellen oder symbolischen Aneignung der seltenen (öffentlichen oder privaten) Güter, die sich in ihm verteilt finden“ (Bourdieu 1997b: 164), vom Kapitalbesitz ab. Der physische Raum stellt jedenfalls die Prämisse bzw. Basisvoraussetzung für die Gestaltung von sozialem Raum dar. In den beforschten Initiativen lassen sich drei Formen der Raumaneignung unterscheiden: Eine erste Strategie „autonomer Raumaneignung“ besteht im zivilen Ungehorsam durch Hausbesetzung, wie im Falle der „Besetzung der alten Arge“. Als politischer Akt bzw. als häretisches Moment setzen Hausbestzungen die Spielregeln bis zu einem gewissen Grad außer Kraft, denn es liegt in den Regeln des politischen Spiels, dass im Moment der Neuverhandlung die Magie symbolischer Anerkennung der Machtinstitutionen in Frage gestellt bzw. außer Kraft gesetzt wird. Die autonome Raumaneignung, durch Selbstfinanzierung im Falle des „SUB“, ermöglicht Unabhängigkeit, jedoch auch Einschränkungen aufgrund der meist begrenzten zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Als zweite Form der Raumaneignung figuriert die temporäre „Leerstandnutzung“ bzw. „Zwischennutzung“ im Falle des „artforums“ sowie des „grandhotels“. In beiden Fällen kam die Möglichkeit der Leerstandnutzung durch die Verfügungsmacht über soziales und symbolisches Kapital zustande: Im artforum war es das soziale, kulturelle und symbolische Kapital des Unternehmers und Politikers Ernst Flatscher, der den Deal der Zwischennutzung mit einem ehemaligen „Parteifreund“ und Chef der Salzburg AG ermöglichte. Im Falle des grandhotels war das zum Einsatz kommende soziale Kapital jenes der Freund-
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schaft sowie das symbolische Kapital des Kunstprojekts. Die Verfügungsmacht über soziales und symbolisches Kapital der AkteurInnen drückte sich nicht zuletzt in der Raumgröße der Leerstände aus. Im Falle des artforums wurde ein ganzes Hochhaus zugänglich gemacht, im Falle des grandhotels nur ein kleines Geschäftslokal. Als dritte Form der Raumaneignung ist die „kooperative Raumnutzung“ zu nennen. Die „kooperative Raumnutzung“ durch öffentliche Subventionierung, die im Falle der „Initiative für eine offene Werkstatt“ angestrebt wurde und potenziell Abhängigkeit von den Geldgebern bedeutet und insofern Kooperation erfordert hätte, kam jedoch letztlich gar nicht zustande. Als spezifische Form der kooperativen Raumnutzung stellt sich die „nomadische Raumpraxis“ im Falle der Initiative „Craftivism“ dar, die die öffentliche Finanzierung insofern umgeht, als durch Kooperationen mit bestehenden Initiativen deren Räumlichkeiten zur temporären Mitnutzung zugänglich gemacht werden. Hier wird der Mangel an ökonomischem Kapital wiederum durch soziales Kapital kompensiert. Die Aneignung des physischen Raums erfolgt in einem zweiten Schritt durch die Gestaltung desselben. Die Gestaltung stellt eine Beziehung zwischen den AkteurInnen und der Materialität des Raums her und gibt Aufschluss über die Lebensstile und Position der AkteurInnen im sozialen und symbolischen Gefüge der Stadt, wie dies von Bourdieu in seiner Analyse der Ortseffekte nachgewiesen wurde. Ein wiederkehrendes Motiv in der Beschreibung der eigenen Räume war die „Gemütlichkeit“, welche aus einem Zusammenwirken von physischem, sozialem und symbolischem Raum entsteht. Auch ein gewisser Collage-Charakter in Einrichtung und Raumgestaltung kann als charakteristisch für den „selbstgemachten“ Raum gelten. War bei der Besetzung der alten Arge die Instandsetzung des Gebäudes ein wichtiger Teil der Raumaneignung, so wurden im Hochhaus des artforums die ehemaligen Büroräume zu Ateliers umfunktioniert, so dass es zu einer Überlagerung und Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Formsprachen des Raums kam. Im SUB wurde die Bar selbst gebaut und die Einrichtung aus geschenkten Secondhand-Möbeln zusammengestellt. Im grandhotel wird der Collagecharakter der Einrichtung zum Indiz bzw. zur bewussten Markierung des fiktionalen Raums.
4. S OZIALEN R AUM HERSTELLEN – F ORMEN DES T ÄTIGSEINS Die Aneignung des physischen Raums gilt also als Bedingung bzw. als Voraussetzung für die Herstellung der sozialen Räume der Initiativen. Dabei wird sicht-
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bar, dass die Verfügungsmacht über ökonomisches, soziales und symbolisches Kapital ausschlaggebend dafür ist, welche Raumgröße und Nutzungsfläche den Initiativen zugänglich sind. „Der Umfang des Sozialkapitals, das der einzelne besitzt, hängt demnach sowohl von der Ausdehnung des Netzes von Beziehungen ab, die er tatsächlich mobilisieren kann, als auch von dem Umfang des (ökonomischen, kulturellen oder symbolischen) Kapitals, das diejenigen besitzen, mit denen er in Beziehung steht. […] Anders ausgedrückt, das Beziehungsnetz ist das Produkt individueller oder kollektiver Investitionsstrategien, die bewußt oder unbewußt auf die Schaffung und Erhaltung von Sozialbeziehungen gerichtet sind, die früher oder später einen unmittelbaren Nutzen versprechen.“ (Bourdieu 1997a: 64f.)
Eine weitere Facette der Ermöglichung von sozialem Raum durch die Verfügungsmacht über symbolisches Kapital wird in Ernst Flatschers Erzählung über den Kontakt mit den Behörden sichtbar: Als es darum geht, die persönliche Verantwortung für Sicherheitsrisiken im Hochhaus zu übernehmen, erscheint Ernst Flatscher als glaubwürdige Person. Ein ähnliches Szenario hätte bei einer selbstorganisierten Basis-Initiative wahrscheinlich eher zur prompten Schließung geführt. Als Unternehmer und Gemeinderat bringt Ernst Flatscher soziales und kulturelles Kapital mit, die zum symbolischen Kapital des artforums beigetragen haben. Im Vergleich dazu können die InitiatorInnen von Basisinitiativen im alternativkulturellen Bereich, wie beispielsweise dem SUB, nicht auf ein solches soziales und symbolisches Kapital zurückgreifen. Allerdings greifen die alternativkulturellen AkteurInnen auf ihre „subkulturellen“ Netzwerke zurück, die ebenfalls soziales und symbolisches Kapital darstellen und produzieren, jedoch weniger stark im Feld der Macht intervenieren können. Die spezifische Herstellung von sozialem Raum erfolgt im Spannungsfeld zwischen „utopischer Poesie“ und „utopischer Politik“, je nachdem, ob sich die AkteurInnen der Initiativen in der „kulturellen Landschaft“ oder „politischen Landschaft“ positionieren. Ein verbindendes Element der analysierten Fallbeispiele ist eine zugrundeliegende Vision von „Kunst und Kultur für alle und von allen“. Die Aufforderungen „Mach mit!“ und „Mach selbst etwas!“ sind durch das Prinzip der Selbstorganisation und der partizipativen Basis zur Schaffung von sozialem Raum vorhanden. Der Appell der Initiativen lautet insofern „Werde politisch aktiv!“ bzw. „Werde kulturell aktiv!“ und steht gleichsam für die kollektive Herstellung von öffentlichem Raum zum Tätigsein. Der jeweils spezifische soziale Raum wird durch das Tätigsein der Initiativen geformt. Das Tätigsein im Sinne Holloways (2004) zur Produktion und Reproduktion „kreativer Macht“ schafft Risse in Raum und Zeit: Die prävalenten Tätigkeitsformen der Initiativen
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wurden demnach als künstlerisch-imaginatives Tätigsein, politisch-soziales Tätigsein und handwerklich-materielles Tätigsein aufgefasst. Das „Basteln“ am sozialen Raum stellt eine politische Tätigkeit dar, die primär über Kommunikation, also das Sprechen, erfolgt; dabei besteht eine Annäherung zu den als „dialogical aesthetics“ (Kester 2004) verstandenen Kunstpraxen, in denen die Tätigkeit des Sprechens zentral ist. Alle Initiativen bewegen sich zwischen Poesie und Politik, also dem Spannungsbogen utopischer Poesie und utopischer Politik, doch weisen die unterschiedlichen Tätigkeitsformen jeweils prävalente Aspekte auf. Das künstlerisch-imaginative Tätigsein im Falle des grandhotels steht paradigmatisch für die Herstellung „utopischer Poesie“ durch das Spiel mit der Fiktion. Als dialogische Kunstpraxis steht die Kommunikation im Vordergrund, was diese der politischen Tätigkeit annähert, sich jedoch durch den fiktionalen Charakter davon unterscheidet.2 Die utopische Politik zielt dabei auf die Förderung des Möglichkeitssinns sowie auf soziale Integration durch Kulturarbeit. So ist im „grandhotel“ als dialogische Kunstpraxis die prävalente Tätigkeit das Sprechen/Hören/Sehen und Imaginieren – das gesamte Projekt wurde um das Geschichtenerzählen konzipiert. Durch Sprache/Kommunikation werden soziale Beziehungen erprobt. Im grandhotel erfolgt zudem eine fiktionale Rahmung des sozialen Raums, welche der Herstellung utopischer Poesie dient. Das politisch-soziale Tätigsein im Falle des SUBs steht paradigmatisch für die Herstellung „utopischer Politik“ durch das Umsetzen politischer Imagination und Überzeugung. Die utopische Politik zielt auf das Umsetzen des Möglichen ab. Selbst- und Mitbestimmung, Selbstverwaltung und Selbstrepräsentation im Rahmen des politischen Diskurses werden in Alltagspraxen umgesetzt. Es geht um einen politischen Diskurs. Dies trifft ebenfalls auf die Besetzung der alten Arge zu. Im „SUB“ ist die prävalente Tätigkeit das „Sprechen“ und die Erprobung sozialer Beziehungen als utopische Politik, mit dem Horizont der Möglichkeit einer „anderen Welt“. Es geht um das Ausprobieren von sozialen Beziehungen im basisdemokratischen Sinn. Bei der „Besetzung der alten Arge“ sind alle drei Tätigkeiten präsent, doch ist die dominante Tätigkeit ebenfalls das Sprechen
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Das Spiel mit der Fiktion und dem Imaginären hat indes in den neuen Protestbewegungen als kreative Protestformen Eingang gefunden. Ein Beispiel hierfür ist bspw. die Strategie der „Clown-Army“: Als Clowns verkleidete AktivistInnen stehen den PolizistInnen gegenüber und führen die Kategorie des Imaginären in diese Situation als deeskalierende Strategie ein – denn welcher Polizist schlägt schon einen Clown?
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und Erproben sowie Reflektieren sozialer Beziehungen als politische Perspektivierung. Das handwerklich-materielle Tätigsein liegt gewissermaßen zwischen utopischer Poesie und utopischer Politik. Es geht hier um die materielle Gestaltung von Artefakten für den Alltag, als Kunstwerk oder politische Botschaft. Dies trifft sowohl auf die Initiative für eine offene Werkstatt als auch auf die Initiative Craftivism sowie das artforum zu. Beim „artforum“ ist zwar das Kunstfeld der diskursive Referenzrahmen, doch ist hier das handwerklich-materielle Gestalten (auch im künstlerischen Schaffen) die prävalente Tätigkeit. In der „offenen Werkstatt“ wäre das handwerklich-materielle Tätigsein die prävalente Tätigkeit wie auch in der Initiative Craftivism. Letztere hebt wiederum den politischen Aspekt des Sprechens/der Kommunikation als mögliche politische Perspektivierung der gemeinsamen Praxis in den Vordergrund. Während das künstlerischimaginative Tätigsein vordergründig für die Arbeit am Symbolischen (symbolische Beziehungen) und das politisch-soziale Tätigsein für die Arbeit am Sozialen (soziale Beziehungen) steht, so steht das handwerklich-materielle Tätigsein für die Arbeit an und die Gestaltung der materiellen Welt. 3 In allen Initiativen geht es um ein „learning by doing“ in den spezifischen Tätigkeitsfeldern: Im artforum steht das künstlerisch-handwerkliche Lernen im Vordergrund, im grandhotel das Lernen über die Geschichte des Stadtteils und das Einüben eines Möglichkeitssinns für Gegenwart und Zukunft des Stadtteils; im SUB geht es um das politische Lernen durch Informationen, Austausch und Reflexion über soziale Beziehungen, ebenso in der Besetzung der alten Arge; in der offenen Werkstatt geht es um das praktische, handwerkliche Lernen und in der Initiative Craftivism geht es ebenfalls um das handwerkliche Lernen und eine potenziell politische Perspektivierung. Dennoch erscheint das alleinige Definieren eines Zeit-Raums zum handwerklichen Tätigsein, nicht ausreichend, um
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Die Kategorisierung in die drei Formen des Tätigseins als politisch-soziales, künstlerisch-imaginatives und handwerklich-materielles Tätigsein versucht die drei Dimensionen der Gestaltung von Raum als konkrete Praktiken zu fassen. Allerdings ist festzuhalten, dass in allen drei Bezugsfeldern der Fallbeispiele (Politik, Kunst, DIY) jeweils alle drei Formen des Tätigseins eine Rolle spielen. Es geht nicht darum, das imaginative Tätigsein auf das Kunstfeld festzuschreiben oder das Gestalten sozialer Beziehungen auf das politische Bezugsfeld zu beschränken, genausowenig wie das Gestalten der materiellen Welt nur im DIY-Kontext passiert. Sondern es geht darum diese drei Formen des Tätigseins als solche zu benennen und in den gewählten Fallbeispielen paradigmatisch zu analysieren.
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Interessierte zu versammeln – dies kam sowohl bei der Initiative Craftivism als auch hinsichtlich des „Bastel-Donnerstags“ im SUB zur Sprache. In beiden Fällen erscheinen konkrete Anlässe bzw. konkreter handwerklicher Input durch Workshops von Vorteil für das Gelingen des Vorhabens, kollektiv handwerklich tätig zu sein. Bei der offenen Einladung fehlten gewissermaßen die Perspektivierung, die Zielsetzung sowie die Bedeutung und der Sinn des Zusammenkommens, die jedoch erst die Möglichkeit zur Identifikation schaffen. Im Falle der „offenen Werkstatt“ wiederum, in der konzeptuell alles klar definiert wird, gelang es nicht, die EntscheidungsträgerInnen davon zu überzeugen. Allen Fallbeispielen gemeinsam ist, dass sie Orte und Räume ohne Konsumzwang schaffen und ein Tätigsein jenseits von Lohn-/Erwerbsarbeit und Existenzsicherung verfolgen. Als Raum zur Selbstverwirklichung und des Tätigseins abseits der Erwerbsarbeit ähnelt das Konzept des „sozialen Zentrums“ dem Konzept der „offenen Werkstatt“ und dem Ansatz der Eigenarbeit für ein Tätigsein jenseits der Erwerbsarbeit. Der in mehreren Fallbeispielen genannte Begriff „Ort der Begegnung“ verweist auf ein Bedürfnis nach Selbstorganisation und Partizipation, auf ein verwandtes Streben nach Teilhabe und Gemeinschaftszugehörigkeit. Der jeweils spezifische soziale Raum in den unterschiedlichen Fallbeispielen entsteht durch den zur Verfügung gestellten Rahmen, die dadurch entstehenden Möglichkeiten für spezifische Tätigkeiten sowie durch die Organisationsstruktur. Selbst wenn der Vergleich der Organisationsstruktur der Initiativen auf ein Potenzial für Teilhabe hindeutet, wird dieses von den InitiatorInnen mit unterschiedlichem Selbstverständnis aufgefasst und durch unterschiedliche Praxen geformt. Der Spannungsbogen reicht von einer hierarchischen Organisationsstruktur im „artforum“, über die Schaffung von Potenzialen für Teilhabe sowohl beim „grandhotel“, der „offenen Werkstatt“, als auch in der Initiative „Craftivism“, sowie einer basisdemokratischen Organisationsstruktur im „SUB“ und bei der „Besetzung der alten Arge“. Als Gemeinsamkeit besteht zwar der Anspruch der Initiativen, einen offenen Zugang zu schaffen, wobei sich die Offenheit an InteressentInnen des jeweiligen Tätigkeitfeldes (politisch, künstlerisch, handwerklich) oder der konkreten Inhalte (z.B. Stadtteil) richtet. Der Anspruch des offenen Zugangs wird in einigen Initiativen als sozial integrativer Ansatz verstanden. So wird im artforum der integrative Aspekt von Kultur für das Zusammenleben mit MigrantInnen hervorgehoben, aber auch für die Integration von psychisch Erkrankten. In der Initiative offene Werkstatt bestehen Überlegungen, durch spezifische Angebote Zugangshürden (bspw. für MigrantInnen und Arbeitslose) abzubauen. Der Anspruch ei-
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nes offenen Zugangs führt jedoch immer wieder dazu, dass soziale Randgruppen (z.B. Alkoholiker oder Obdachlose) den offenen Raum aufsuchen und beanspruchen. Die zumeist nicht vorhandene sozialarbeiterische Kompetenz sowie die meist genauso wenig vorhandene sozialarbeiterische Projektausrichtung führen immer wieder zu Patt-Situationen der ProjektbetreiberInnen bis hin zur Beeinträchtigung und Überforderung der Beteiligten (siehe Besetzung alte Arge, grandhotel, artforum). Neben der praktischen Überforderung der Initiativen führt die Präsenz von sozialen Randgruppen zudem zu einem Ghetto-Effekt durch das negative symbolische Kapital der AkteurInnen. In solchen Situationen werden Ein- und Ausschlussmechanismen sichtbar, die den Anspruch auf offenen Zugang in Frage stellen, der zum Teil auf eine subtile rhetorische „Einladungsfloskel“ reduziert ist und strukturelle Widersprüche verkennt. Für den entstehenden sozialen Raum spielt die Zeitlichkeit eine ausschlaggebende Rolle, insofern es sich um einen temporären Raum handelt oder im Gegensatz einen, der auf längerfristiges Bestehen abzielt. Temporäre Räume und Situationen werden insbesondere von der KünstlerInnengruppe ohnetitel in ihrer Reihe „Vorstadt vor Ort“ geschaffen sowie von der Initiative Craftivism mit den regelmäßig stattfindenden handwerklichen Stammtischen. Bei der Besetzung der alten Arge veränderte sich das Ziel von einer symbolischen temporären Besetzung für ein Wochenende hin zu einer dreimonatigen Besetzung und der Vision einer längerfristigen Umsetzung eines „offenen Hauses“, die jedoch nicht zustande kam. Die anderen Initiativen zielen alle auf eine längerfristige Raumnutzung ab, die als Teil einer transformierten Alltäglichkeit und veränderten Lebensqualität verstanden werden kann. Als Orte, die Teil des Alltagslebens der beteiligten AkteurInnen werden, tragen sie abseits der Verwertungslogik zu einer veränderten Lebensqualität bei.
5. S YMBOLISCHER R AUM – F ORMEN UND F UNKTIONEN DES I MAGINÄREN Neben dem physischen und sozialen Raum ist nun die Frage, welche Rolle das Imaginäre, also der symbolische Raum, für die Topografien des Möglichen (in) der Stadt spielt. Welche Form nimmt die Umsetzung der Imagination eines anderen Zusammenlebens im Stadtteil, in der Stadt, in der Gesellschaft bzw. in den unterschiedlichen Initiativen an? Mein Verständnis von Imagination als kreativer und sozialer Kraft für eine Transformation des Alltäglichen orientiert sich an Holloways (2004) und Graebers (2008) Ansätzen. Um der prozessualen Dynamik dieser sozialen Kraft
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Rechnung zu tragen, wurde auf die Gegenüberstellung von utopischer Poesie und utopischer Politik von Rowe/Koetter ([1975] 2005) zurückgegriffen. Kreativität als soziale Kraft bzw. kreative Kraft bewegen sich also zwischen den Polen der utopischen Poesie, die den Sinn für das Mögliche schärft, und der utopischen Politik, die das Mögliche umzusetzen trachtet. Imagination bedeutet allgemein das Schaffen eines Gedankens, es geht um das Mögliche. Poesie entsteht möglicherweise an der Schwelle zur Fiktion. Die Fiktion stellt wiederum eine Umsetzungsform des Möglichen dar und ist poetisch im Sinne des Hervorbringens. Im grandhotel geht es im Unterschied zu den anderen Fallbeispielen um die Herstellung von temporären sozialen Räumen als fiktionale Räume, der fiktionale Charakter entspringt dabei dem Genre des Theaterspiels, der das Künstlerische als poetisches Eingreifen in den Alltag perspektiviert. Fiktion wird zum Ausgangspunkt genommen, um im realen sozialen Raum eine Veränderung herbeizuführen. Das Einwirken auf den realen sozialen Raum behält eine spielerische Komponente, es ist temporär. Es handelt sich um ein nicht-alltägliches Setting, das eine spezifische Form der Niederschwelligkeit mit sich bringt, nämlich jene, ein Spiel zu sein, in welchem man etwas ausprobieren kann. Dabei fungiert der fiktionale Raum gewissermaßen als Möglichkeit bzw. als Ansatzpunkt der Aneignung von physischem, sozialem und symbolischem Raum. Der fiktionale soziale Raum erlaubt das Zustandekommen neuer sozialer Beziehungen. Die Nachhaltigkeit bleibt durch den temporären Charakter offen. Das Spiel mit der Fiktion kann als Anstoß in Richtung Imagination im Sinne von sozialer Kraft verstanden werden. Es geht dann um das Üben des Möglichkeitssinns. Im artforum nimmt das Imaginäre die Form eines Potpourris an, in dem alle möglichen künstlerischen und kulturellen Selbstverständnisse zusammenkommen. Der zentrale gemeinsame Traum und Mythos, jener des verfügbaren Raums zum künstlerischen, kulturellen und handwerklichen Tätigsein, entstand rund um bzw. erst durch den verfügbaren physischen Raum des ehemaligen Stadtwerkehochhauses. Das Imaginäre inkludiert im artforum in jedem Fall den Aspekt sozialer Integration. In der offenen Werkstatt weist das Imaginäre in Richtung Gemeingut/Commons von Raum sowie technischer Ressourcen und Wissen zum handwerklichen Tätigsein. Auch hier ist der Aspekt sozialer Integration vorhanden, jedoch steht die Umsetzung des Imaginären auf wackeligen Beinen. In der Initiative Craftivism bezieht sich das Imaginäre der InitiatorInnen auf ein Konzept, das jedoch von den Interessierten/TeilnehmerInnen nicht aufgegriffen wird und insofern keine kollektive Umsetzung findet. Im SUB nimmt die Imagination die Form utopischer Politik an, es geht also um eine politische Perspektivierung. Diese gilt es im realen sozialen Raum um-
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zusetzen. Die utopische Politik wird im Kleinen realisiert und öffnet einen Riss in Raum und Zeit, der in Richtung einer „anderen Welt“ weist. Das Imaginäre bezieht sich einerseits auf das Schaffen alternativer sozialer Beziehungen auf Grundlage von antikapitalistischen, antisexistischen und antirassistischen Grundsätzen sowie andererseits auf das Schaffen von Gegenöffentlichkeit und politischem Protest. Eine andere Welt ist auch das Leitmotiv der Besetzung der alten Arge, die ein „offenes Haus“ für politische, soziale und kulturelle Selbstorganisation imaginiert. Die Imagination bezieht sich einerseits auf den alternativkulturellen Mythos der alten Arge in der Stadt Salzburg, doch weist sie zugleich in eine eigene Zukunft, die im Slogan „Alte Arge – Neu Besetzt!“ zum Ausdruck kam.
6. ADOLESZENTES P OTENZIAL UND UTOPISCHES D ENKEN UND H ANDELN In Bezug auf utopisches Denken und Handeln ist es wichtig festzuhalten, dass das adoleszente Potenzial als Haltung (vgl. Greverus 1990) nicht nur die Jugend betrifft, sondern für eine ganze Gesellschaft als Antriebskraft verstanden werden kann. Dabei gilt es zu beachten, dass einige der Projekte (RAUM, Mono Poly, Poetro) von und für Jugendliche initiiert wurden, doch noch während ihres Bestehens durch das Heranwachsen der Jugendlichen zu jungen Erwachsenen und deren jeweils spezifische kulturelle und politische Weiterentwicklung bereits den Ausblick auf einen erweiterten Handlungsraum im kulturpolitischen Feld (also ein über jugendkulturelle Projekte/Initiativen hinausgehendes Selbstverständnis) inkludierten. Relevant erscheint, was die konkreten Erfahrungen für die beteiligten AkteurInnen bedeuteten. Es geht um die ermächtigenden Erfahrungen der zunächst jugendlichen AkteurInnen in ihrem Dasein und um das Potenzial ihrer Mitgestaltung ihrer jetzigen und zukünftigen Lebenswelten im demokratischen Sinn. Ob es nun um praktische Fertigkeiten wie in der offenen Werkstatt oder um politische Bildung durch Information, Austausch und Reflexion der eigenen sozialen Beziehungen wie im SUB geht – es ist der Aspekt des „learning by doing“, der dabei im Zentrum steht und als wertvolle Bedingung demokratischer Entwicklung zu erachten ist. Hierbei sollte ihrer Partizipation in sozialen, kulturellen und politischen Belangen mehr Anerkennung und Wertschätzung seitens der politischen EntscheidungsträgerInnen gegeben werden. Wenn das adoleszente Potenzial allerdings auf Mauern stößt und mit strukturellen Machtverhältnissen konfrontiert wird, wird es bisweilen geknickt, doch sucht es sich auch neue Wege. Die materielle
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Zerstörung des physischen Raums sowie der Platzverweis deuten zweifellos auf die symbolische Macht und Gewalt der politischen EntscheidungsträgerInnen hin, wodurch die verborgenen Mechanismen der Macht (vgl. Bourdieu 1997a) sichtbar werden. Die Jugendlichen von heute sind die Erwachsenen von morgen. Ihre Fähigkeit zum Möglichkeitssinn und ihre Erfahrungen, diesen in die Realität umzusetzen sowie dem „Traum vom Raum“ Gestalt zu verleihen, macht sie zu realistischen TräumerInnen einer anderen Welt. Daher gilt es, jugendlichen Enthusiasmus ernst zu nehmen und Möglichkeiten der Selbstverwaltung und Selbstorganisation zu gewährleisten, denn die Reglementierung, die sich auf die Jugend bezieht, durchzieht letztlich die gesamte Gesellschaft. Trauen wir der Jugend etwas mehr zu, dann trauen wir uns als Gesellschaft insgesamt mehr zu.
7. R AHMENBEDINGUNGEN
FÜR DAS
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Der Großteil des Tätigseins wird in den Initiativen ehrenamtlich geleistet. Selbst im Kunstprojekt grandhotel, welches als Teil der Profession der KünstlerInnen erfolgt, entsprechen die Fördergelder nicht der realen Kostensituation. Doch es fehlt offenbar noch an Bewusstsein in der Politik, um jene Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Wert experimenteller Arbeit für die lokale Kulturlandschaft sowie für das soziokulturelle Gefüge einer Stadt erkennen. Diesen Freiraum sollte sich jedoch eine Gesellschaft (und lokal gesehen eine Stadt), die sich als demokratisch versteht, leisten wollen. Dieser Raum für Neues und Innovation entsteht zumeist an den Rändern, also geht es auch darum, eine Offenheit zu kultivieren, in der unterschiedliche Formen von Kreativität als soziale Kraft verstanden überhaupt erst entstehen können. Durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für experimentelle Kunst- und Kulturarbeit würde die Stadt als Lebensraum an Qualität gewinnen und neue Perspektiven von Kommunität würden damit eröffnet. Dadurch oder darüber hinaus könnte das Prinzip Hoffnung im Sinne Ernst Blochs (1977) für viele Menschen an Bedeutung gewinnen und als lebendiges Prinzip ihre Alltagswirklichkeit begleiten. In einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive könnte bzw. müsste es darum gehen, die Ermöglichung von Freiraum zum Tätigsein sowie neue strukturelle Bedingungen zu schaffen, die bspw. durch ein Grundeinkommen Existenzsicherung gewährleisteh und dadurch eine Basis bzw. die Rahmenbedingungen für ein Tätigsein jenseits von Lohnarbeit schaffen. Nicht ein Sich-Einrichten zwischen Zwang und Freiheit, wie dies in den diversen Gouvernementalitätsstudien als ambivalenter, doch scheinbar unausweichlicher Weg des heutigen Zeitalters analysiert wird, sondern
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die Schaffung neuer solidarischer struktureller Rahmenbedingungen müsste das Ziel sein.4 Dies bedeutet eine soziale Absicherung für alle prekär Beschäftigten als Basis und Bekenntnis zum gesellschaftlichen Wert des Tätigseins jedes/jeder Einzelnen. Solch neue Modelle würden die Zerteilung in Lohnarbeit und Tätigsein grundlegend in Frage stellen und einen Weg bieten, Tätigsein in seiner materiellen, sozialen und imaginativen Dimension als schöpferischen Akt zu restituieren.5
8. TOPOGRAFIE (N) DES MÖGLICHEN IN S ALZBURG – EIN AUSBLICK Im Lokalaugenschein gewinnt die alternative kulturelle Szene neben Hochkultur und Volkskultur an symbolischer Stärke – es ist ein Wandel im Verhältnis zu verzeichnen. Neben den mittlerweile etablierten Institutionen der freien Szene wachsen junge alternativkulturelle Netzwerke nach und bilden einen lebendigen kulturellen Untergrund, der nicht immer an der Oberfläche sichtbar ist, da Salzburgs gläserne Decke6 das Auftauchen beharrlich erschwert. Doch scheint sich eine steigende Durchlässigkeit abzuzeichnen – nicht zuletzt aufgrund innovativer
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Wie dies die „intermittents du spectacle“ (Brunet 2003; Lazzarato 2007) bereits 2004 forderten und aufgrund einer weiteren Kürzungswelle in Frankreich im Juni 2014 erneut als Forderung und Weg aus der scheinbaren Sackgasse fortschreitender Prekarisierung formulieren.
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Eine ähnliche Unterteilung in drei Formen der „kulturellen Produktion“ hat Rubén Gaztambide-Fernandez vorgenommen: Er spricht, aufbauend auf den Zugang der Cultural Studies, von der „materiellen kulturellen Produktion“, der „relationalen kulturellen Produktion“ und der „symbolischen kulturellen Produktion“ (vgl. Vortrag von Rubén Gaztambide-Fernandez, „Creation/Participation. The Political Life of Cultural Production“, am 7.11.2016, Salzburg). Zu Gaztambide-Fernandez’ Verständnis kultureller Produktion siehe (Gaztambide-Fernandez 2014).
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Als „gläserne Decke“ werden vornehmlich jene strukturellen Mechanismen bezeichnet, die weiterhin zu einer Ungleichheit der Geschlechter führen, insbesondere in der Bezahlung und im Aufstieg in Führungspositionen, der immer noch mehrheitlich Männern vorbehalten scheint. In ähnlichem Sinn möchte ich die Bezeichnung auf die strukturellen Mechanismen hinsichtlich der Benachteiligung der Alternativkultur im Verhältnis zur Salzburger Triade Hochkultur – Tradition/Volkskultur – Tourismus übertragen.
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Ideen und Strategien aus dem „Untergrund“, der das Salzburger Kulturleben dynamisiert und durchwegs subversiv die Markenpolitik der Stadt unterläuft, wie bspw. das Musikfilmfestival „My Sound of Music“7, welches durch die Namensgebung kritisch das Salzburger Verhältnis von „Volkskultur“ und Alternativkultur in Frage stellt. Eine Verbindung zwischen physischen Brachen sowie sozialem und symbolischem Brachland wäre in einer Forcierung der Leerstandnutzung umsetzbar. Die Thematik kultureller Freiräume und Nutzung von Leerständen in der Stadt war bereits vor der Besetzung der alten Arge durch die Zeitschrift Mono Poly sowohl in Artikeln als auch in Diskussionsveranstaltungen verhandelt worden. Die Besetzung stellte eine konkrete und gleichzeitig symbolische temporäre Raumnahme einer jungen alterativkulturellen Generation dar. Die erfolgreiche mehrjährige Leerstandnutzung durch das artforum sowie die projektbezogene temporäre Leerstandnutzung von ohnetitel in ihren Projekten der Reihe „Vorstadt vor Ort“ machen unterschiedliche Visionen und Praxen sowie Möglichkeiten der Leerstandnutzung sichtbar. Der Wunsch nach und der Bedarf an niederschwelligem und kostengünstigem Raum zur künstlerischen und soziokulturellen Nutzung (für Kunst- und Kulturarbeit) ist nach wie vor präsent und zeigt sich u.a. in der 2013 gestarteten Initiative eines „Leerstandsmelders“8 für Salzburg. Dabei dient Kartierung als Methode und Strategie der Sichtbarmachung einer „Topografie des Möglichen“ (in) einer Stadt: Die Online-Plattform ermöglicht, basierend auf Google Maps, das Eintragen von im Stadtraum gesichteten Leerständen; durch eine aktive Basis an Interessierten und AktivistInnen kann so nach und nach eine Kartierung des ungenutzten Raums in der Stadt entstehen. Eine besondere Chance für die Stadt Salzburg läge darin, nach dem Vorbild anderer Städte die eventuelle Schaffung einer betreuten Börse für Leerstandnutzung anzustreben und diese auf nichtkommerzielle künstlerische und soziokulturelle Nutzungen zu fokussieren und nicht dem vielerorts bestehenden Trend zu folgen, die Leerstandnutzung an eine Marktorientierung zu koppeln und kreativwirtschaftliche Unternehmungen
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Das Musikfilmfestival „My Sound of Music“ fand erstmals im Herbst 2013 statt und bringt politisches Kino, Musik und Diskussionsveranstaltungen zusammen. Sowohl mit dem Titel des Festivals als auch den Inhalten wird in die Symbolproduktion der Stadt eingegriffen und Raum für eine andere kulturpolitische Wahrnehmung in der Stadt geschaffen.
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Siehe dazu ebenfalls das Kapitel „Stadt Salzburg“ (Fußnote 22, S. 157).
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zu favorisieren.9 Hier kommen unterschiedliche Interessen zusammen: Von sowohl künstlerischen als auch alternativkulturellen sowie migrantischen Kulturinitiativen und anderen soziokulturellen Projekten wurde nach der öffentlichen Präsentation der Initiative im Rahmen der Architekturtage 2014 bereits Interesse bekundet. In der Offenheit der Kulturverwaltung hinsichtlich einer gemeinsamen Initiative und dem gemeinsamen Engagement von Kulturschaffenden, ihrer Interessensvertretung sowie potenziell einem aktiven Basisnetzwerk liegt eine Chance, die niederschwellige Raumnutzung auch in der Salzburger Kulturpolitik zentral zu verankern. Es hängt von der weiteren Perspektivierung und Ausarbeitung einer Programmatik, aber auch von der Konstituierung einer vernetzten Basis und nicht zuletzt vom politischen Willen ab, was möglich sein wird. 10 Es bleibt zu hoffen, dass von Seiten der Politik die Chance als solche erkannt wird und die entsprechenden Weichen für strukturelle Veränderungen gestellt werden, bspw. durch die Finanzierung einer Koordinationsstelle für Leerstandnutzung. 11 Eine weitere Kartierung von Topografie(n) des Möglichen erfolgt durch die 2013 gestartete Initiative eines Kulturstadtplans der freien Szene Salzburgs. Das Projekt wurde von einer Gruppe alternativkultureller AkteurInnen initiiert und
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In Deutschland bestehen bereits in vielen Städten unterschiedliche Formen von Vermittlungsbörsen für Leerstände (vgl. dazu bspw. das Webportal „Netzwerk Zwischennutzung“, http://www.zwischennutzung.net/ [5.8.2013]).
10 Hinsichtlich der Veränderung der strukturellen Rahmenbedingungen zur Nutzbarmachung leerstehender Häuser kann z.B. das Konzept der „Wächterhäuser“ genannt werden: Das Konzept, wie es in Leipzig umgesetzt wird, ermöglicht es, Häuser, die über einen längeren Zeitraum leer stehen, temporär und für nicht-kommerzielle Zwecke gegen Bezahlung der Betriebskosten und Verpflichtung der Instandhaltung zu nutzen (vgl. Stadterneuerungsprojekte – Stadt Leipzig, http://www.leipzig.de/de/ buerger/stadtentw/projekte/erneuerung/hh/ [24.9.2013]). 11 In der Zeit zwischen der Beendigung der Feldforschung und der Publikation vorliegendens Buches kam es zu folgenden Entwicklungen: Mit der Gründung von „SUPER – Initiative zur Nutzung von Leerständen als Handlungsräume für Kultur und Wissen“ 2016 nimmt eine solche Koordinationsstelle mittlerweile Form an und Stadt und Land setzen mit ihrer Förderung derselben einen weiteren wichtigen Akzent in Richtung kooperativer Leerstandsnutzung. 2015 fand auch erstmals das „Interlab – Festival für transdisziplinäre Leerstandsnutzung“ statt, welches sich 2016 allerdings umbenannte in „Interlab – Festival für transdisziplinäre Kunst und Musik“ jedoch weiterhin die Thematik der Leerstandsnutzung aufgriff.
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will Sichtbarkeit insbesondere für junge künstlerische und kulturelle Initiativen herstellen, jedoch gleichermaßen das gesamte gewachsene Feld der Salzburger freien Szene abbilden. Ziel ist die Sichtbarmachung und stärkere Vernetzung der AkteurInnen.12 Der Kulturstadtplan visualisiert bereits bestehende Möglichkeiten in der Stadt; der Leerstandsmelder verweist durch die Sichtbarmachung der Brachen darauf, was hinsichtlich der physischen Raumnutzung in der Stadt potenziell möglich wäre. Beide Aspekte – das bereits in Umsetzung befindliche und das erst Imaginierte – sind in einer Topografie des Möglichen zusammenzudenken. 13 Insofern bleibt auch die vorliegende Arbeit approximativ und stellt eine Annäherung an das stetig in Bewegung befindliche Mögliche dar. Es mag daher als paradoxe Intervention erscheinen, wenn meine Annäherung an das Mögliche sich doch auf das Vorhandene, bereits Bestehende bezieht. Diese, meine Arbeit versteht sich als Beitrag zur Sichtbarmachung kultureller und gesellschaftspolitischer Initiativen, die durch ihr Tätigsein und ihre AkteurInnen den Wandel einer „Topografie des Möglichen in Salzburg“ in Raum und Zeit vorantreiben und mitgestalten wollen, sowie als Plädoyer an die politischen EntscheidungsträgerInnen, die strukturellen Rahmenbedingungen für die Realisierung der lokalen Potenziale zu ermöglichen.
12 Ergänzend zum Stadtplan war ein Handbuch angedacht, in dem die kartierten Initiativen mit strukturellen Eckdaten und einer Selbstdarstellung präsentiert werden. Ein solches Handbuch hätte durchwegs in der Tradition der Stadtbücher 1980 und 1982 gestanden. In der Überarbeitungsphase der vorliegenden Publikation lag bisher allerdings keine Finalisierung des Projektes „Kulturstadtplan“ vor. 13 So bietet neuerdings das Online-Projekt „Salzburger Atlas für nachhaltige Entwicklung S.A.N.E.“ der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen die Möglichkeit bestehende und fortlaufend neu entstehende „Projekte des gelingenden Wandels“ in Stadt und Land Salzburg auf einer gemeinsamen Webseite zu dokumentieren (vgl. https://salzburgnachhaltig.org/category/gemeinde/salzburg-stadt/ [23.8.2017]).
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Fallbeispiel: Besetzung der alten Arge Interview mit Manuel Riemelmoser am 22.8.2013. Interview mit René Zechner am 24.9.2012. Gedächtnisprotokoll: Gespräche mit Franz W. (anonym.) am 13. und 21.6.2013. E-Mail-Verkehr mit Infoladen vom 2./4./7.9.2012. Fallbeispiel: SUB Interview mit Marco S. und Nina B. (anonymisiert) am 31.10.2012. Interview mit Marco S. (anonymisiert) am 16.11.2012. Fallbeispiel: artforum Interviews mit Helgard Ahr am 24.10.2011. Interviews mit Ernst Flatscher am 18.1.2012. Interviews mit Anna T. (anonymisiert) am 17.7.2012. Interviews mit Anton F. (anonymisiert) am 11.7.2012. Fallbeispiel: grandhotel itzling Interview mit Dorit Ehlers am 7.4.2011. Interview mit Mitglied der Kaufmannschaft (anonymisiert) am 3.4.2011. Gedächtnisprotokoll: Befragung Geschäftsleute, 29.3.2011. Feldtagebuch: Erstbegehung, 20.3.2011. Feldtagebuch: Damenrunde, 25.3.2011. Feldtagebuch: Herrenrunde, 29.3.2011. Feldtagebuch: BesucherInnengespräche, 29.3.2011. Feldtagebuch: Gespräche während Stadtteilerkundung, 29.3.2011. Feldtagebuch: PassantInnenbefragung, 30.3.2011. Feldtagebuch: Gespräche mit Beteiligten, 30.3.2011. Feldtagebuch: Stadtteilgarten, 31.3.2011. Feldtagebuch: 25./28./30./31.3.2011. Fallbeispiel: Initiative für eine offene Werkstatt und Craftivism Interview mit Monika Gumpelmaier am 23.6.2011. Interview mit Haydeé Jiménez am 28.8.2012. Gedächtnisprotokoll „reWOLLution“/“geWOLLt“, Januar 2011. Gedächtnisprotokoll, Gespräch Kollegin: Craftivism, Januar 2011.
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Fallbeispiel: SUB Zeitungsartikel und Studien o.V. (2010): „Rechtsradikale attackieren Kulturverein“, in: oesterreich.orf.at vom 5.12.2010, http://sbgv1.orf.at/stories/484726 (17.5.2013). o.V. (2011a): „Mülln: ‚SUB macht Probleme‘“, in: Stadt Nachrichten vom 11.03.2011, http://search.salzburg.com/news/artikel.html?id=1864930 (20.9. 2013). o.V. (2014a): “Neonazi-Lieder in Odins Bar”, in: Salzburger Nachrichten vom 21.1.2014, http://search.salzburg.com/display/sn2223_22.01.2014_41-5065 6440 (17.7.2014). o.V. (2014c): „Euthanasie-Mahnmal in der Stadt Salzburg zerstört“, in: Salzburger Nachrichten vom 14.5.2014, http://www.salzburg.com/nachrichten/ salzburg/politik/sn/artikel/euthanasie-mahnmal-in-der-stadt-salzburgzerstoert-106598/ (17.7.2014). Rosa Antifa Wien (2011): Ein paar Eindrücke von der Enough is Enough Demo, http://raw.at/texte/2011/ein-paar-eindruecke-von-der-enough-is-enoughdemo-gegen-rechte-gewalt-in-salzburg/ (15.5.2013). Seel, Martin (2001): „Das Richtige im Falschen“, in: ZEIT ONLINE vom 31.12.2001, http://www.zeit.de/2001/19/200119_ka-philo-.xml (20.7.2014). Webseiten Kinoki – Lexikon der Filmbegriffe, http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php? action=lexikon&tag=det&id=2473 kS – kritisches Salzburg, http://www.kritisches-salzburg.net Pay What You Want – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Pay_What_ You_Want sisterresist – wir sind Frauen, wir sind viele …, http://sisterresist.wordpress.com/ Stolpersteine – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine Stoppt die Rechten Blog (2012): Salzburg: Neonazi-Treff Bar (vom 2.11.2012), http://www.stopptdierechten.at/2012/11/02/salzburg-neonazi-treff-bar/ Sub Salzburg Wir haben ein Problem (vom 2.12.2010), http://subsalzburg. blogsport.eu/2010/12/02/wir-haben-ein-problem/ Sub Salzburg SUB-Jahresrückblick (vom 14.1.2011), http://subsalzburg. blogsport.eu/ Sub Salzburg Erneuter Neonazi-Übergriff (vom 20.2.2011), http://subsalzburg. blogsport.eu
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Sos (2004): „Zitterpartie für Artforum Lehen“, in: Stadtblatt Nr. 47, November 2004, S. 2-3. Suchanek, P. (2004): „Aktives art forum“, in: Salzburger Fenster 03/2004, S 15 (Privatarchiv H. Ahr). Webseiten Salzburger Volkszeitung – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Salzburger_ Volkszeitung Andere Materialien Flyer (1) zur Ausstellungseröffnung am 17. März 2003, Privatarchiv H. Ahr. Flyer (2) zur Ausstellungseröffnung am 15. Oktober 2004, Privatarchiv H. Ahr. Flyer (3) „Kunst und Musik im Hochhaus“, Privatarchiv H. Ahr. Flyer (4) Privatarchiv H. Ahr. Vereinsstatuten, Privatarchiv H. Ahr. Privates Fotoarchiv Anton F. Fallbeispiel: grandhotel itzling Zeitungsartikel und Studien Gnaiger, Peter (2011): „Entdecker aus Leidenschaft“, in: Salzburger Nachrichten, o.D. 2011, S. 16-17 (Pressespielgel ohnetitel). o.V. (2011b): „Hotel mit Geschichte(n)“, in: Salzburger Fenster, o.D. 2011, o.S. o.V. (2011c): „Ein ganzes Stadtviertel ist Bühne“, in: Der Standard vom 27.3.2011, o.S. (Pressespiegel ohnetitel). Praher, Andreas (2011): „Der verlorene Glanz von Itzling“, in: Stadtnachrichten vom 18.3.2011, S. 22 (Pressespiegel ohnetitel). Webseiten Adventkalender: Podium 13, http://www.podium09.at/podium08/ adventkalender/ Aktivitäten Keck, http://sbg.kinderfreunde.at/Bundeslaender/Salzburg/UnsereAngebote/Mobile-Animation/SoziokulturelleStadtteilarbeit/KECK/Aktivitaeten
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Galerie 5020, http://www.galerie5020.at/programm/ausstellungen/2007/urban_ potentials_0607/upssbg_more.htm Hôtel de L’Europe (Salzburg) – Salzburgwiki, http://www.salzburg.com/wiki/ index.php/H%C3%B4tel_de_l%27Europe_%28Salzburg%29 Itzling – Salzburgwiki, http://www.salzburg.com/wiki/index.php/Itzling Itzling (Salzburg) – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/ Itzling_%28Salzburg%29#Geschichte Jurybegründung Podium, http://www.podium09.at/podium08/adventkalender/ Land Salzburg: Landeskorrespondenz, http://service.salzburg.gv.at/lkorrj/ Index?cmd=detail_ind&nachrid=49827 (15.3.2013). ohneTitel, http://www.ohnetitel.at/ueberuns/dorit_ehlers.php ohneTitel, http://www.ohnetitel.at/ueberuns/profil.php Rote Falken – Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Falken Stadtteilgarten Itzling, http://stadtteilgartenitzling.wordpress.com/2008/08/ Vorwort: Podium 13, http://www.podium13.at/info/vorwort Fallbeispiele: Initiative für eine offene Werkstatt und Craftivism Webseiten ArbeiterInnen Begegnungszentrum Itzling, http://www.stadt-salzburg.at/internet/ websites/kultur/kultur/verschiedene_sparten/sparten_institutionen/ multikulturelle_einr_341072/abz_arbeiterinnen_begegnungszentrum_itzl_ 341074.htm Crafterwork, http://www.crafterwork.at/ IFZ-Salzburg – Gründung, http://www.ifz-salzburg.at/grundung-des-ifz-1961/ IFZ-Salzburg – Über uns, http://www.ifz-salzburg.at/uber-das-ifz/taetigkeiten/ IFZ-Salzburg – Das neue ifz, http://www.ifz-salzburg.at/ifz-neuumstrukturierung-2009/ Initiative offene Werkstatt Salzburg – 2tes Treffen SUB Salzburg, http://subsalzburg.blogsport.eu/2011/06/27/2tes-treffen-initiative-offen... Offene Werkstatt, http://www.offene-werkstatt.at/index.php/was-bisher-geschah Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, http://www.jungk-bibliothek.at/ Schmiede, www.http://schmiede.ca/ Talente-Tauschkreis Salzburg, http://tauschkreise.at Über uns – St. Virgil Salzburg, http://www.virgil.at/de/ueber-uns/ Verbund offene Werkstätten, http://www.offene-werkstaetten.org/werkstaetten Webportal „Netzwerk Zwischennutzung“, http://www.zwischennutzung.net/
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Kapitel: Conclusio: Topografie(n) des Möglichen Webseiten Salzburger Atlas für nachhaltige Entwicklung S.A.N.E., https:// salzburgnachhaltig.org/category/gemeinde/salzburg-stadt/ Stadterneuerungsprojekte – Stadt Leipzig, http://www.leipzig.de/de/buerger/ stadtentw/projekte/erneuerung/hh/ Webportal „Netzwerk Zwischennutzung“, http://www.zwischennutzung.net/
Ethnologie und Kulturanthropologie Martina Kleinert
Weltumsegler Ethnographie eines mobilen Lebensstils zwischen Abenteuer, Ausstieg und Auswanderung 2015, 364 S., kart., zahlr. Abb. 29,99 E (DE), 978-3-8376-2882-1 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2882-5
Francis Müller
Mit Behinderung in Angola leben Eine ethnografische Spurensuche in einer von Tretminen verletzten Gesellschaft 2016, 152 S., kart., zahlr. Abb. 24,99 E (DE), 978-3-8376-3480-8
Dieter Haller
Tanger Der Hafen, die Geister, die Lust. Eine Ethnographie 2016, 356 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3338-2 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3338-6
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Ethnologie und Kulturanthropologie Marcus Andreas
Vom neuen guten Leben Ethnographie eines Ökodorfes 2015, 306 S., kart., zahlr. Abb. 27,99 E (DE), 978-3-8376-2828-9 E-Book PDF: 24,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2828-3
Jenny Schreiber
Politics, Piety, and Biomedicine The Malaysian Transplant Venture March 2017, 298 p., pb. 44,99 E (DE), 978-3-8376-3702-1 E-Book PDF: 44,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3702-5
Thomas Stodulka
Coming of Age on the Streets of Java Coping with Marginality, Stigma and Illness January 2017, 286 p., pb., numerous partly col. ill. 39,99 E (DE), 978-3-8376-3608-6 E-Book PDF: 39,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3608-0
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