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German Pages 358 Year 2015
Schriften zum Gesundheitsrecht Band 33
Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung Eine Perspektive zur Ausgestaltung des krankenversicherungsrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebots?
Von Laura Münkler
Duncker & Humblot · Berlin
LAURA MÜNKLER
Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
Schriften zum Gesundheitsrecht Band 33 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.
Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung Eine Perspektive zur Ausgestaltung des krankenversicherungsrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebots?
Von Laura Münkler
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahr 2014 als Dissertation angenommen.
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© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buch.bücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-14471-6 (Print) ISBN 978-3-428-54471-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84471-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung konnten Rechtsprechung und Schrifttum bis Ende Juni 2014 berücksichtigt werden. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater und akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Jens Kersten, dessen Vertrauen, Rückhalt und Unterstützung von sehr großer Bedeutung für mich waren und sind. Die Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl hat mein juristisches Denken enorm bereichert. Ihm und dem an seinem Lehrstuhl stetig herrschenden wissenschaftlichen Austausch verdanke ich die Fertigstellung der Arbeit in der vorliegenden Form und vieles mehr. Herzlich danken möchte ich daneben Herrn Prof. Dr. Ulrich Becker, nicht nur für die Übernahme des Zweitgutachtens, sondern auch für seine wertvollen Anmerkungen und Ratschläge. Hervorgehobener Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Volker Neumann, der mein Interesse für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung geweckt und mich ausschlaggebend in der Themenwahl bestärkt hat. Der Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl habe ich wertvolle Einblicke in die hier behandelte Materie zu verdanken. Danken möchte ich des Weiteren meinen Kollegen, deren Enthusiasmus für wissenschaftliche Diskussionen mich zunächst gefordert und dann sehr schnell angesteckt hat. Hervorzuheben ist in dieser Hinsicht insbesondere Herr Dr. Albert Ingold, dessen Interesse und Diskussionsbereitschaft erst an Detailfragen des Krankenversicherungsrechts Halt macht. Meinen Eltern danke ich dafür, mir in allem ein Vorbild zu sein. Meinem Bruder habe ich zu danken, weil er mit mir die mathematischen Fragen, die dieser Arbeit gedanklich zugrunde liegen, diskutiert hat, wenngleich diese Diskussion zeitweilig wohl eher einer Erklärung nahe kam. Den größten Dank aber schulde ich meinem Ehemann. Er hat mir Einsichten in die hier behandelte Problematik aus ärztlicher Sicht eröffnet, sich darüber hinaus sämtliche juristischen Probleme angehört, der Arbeit einige Kommata geschenkt und ein nicht endendes Verständnis für mich aufgebracht. Ohne die Unterstützung all dieser Personen wäre die Arbeit nicht in dieser Weise entstanden. München, im Juni 2014
Laura Münkler
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A. Die Diskussion um Kosten-Nutzen-Bewertungen im System der GKV . . . . . . . . . 15 B. Thesen zur derzeitigen Verwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen . . . . . . . . . 25 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 § 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 35b SGB V) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 A. Zugangs- und Preisregulierung für Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Grundsätze des Leistungsgefüges im Arzneimittelbereich . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Steuerungsmaßnahmen des Gesetzgebers zur Kostendämpfung im Arzneimittelbereich (Preisregulierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung . . . . . . . . . . . . 48 I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Konzeptionelle Änderung der Kosten-Nutzen-Bewertung . . . . . . . . . . . . . 50 2. Erweiterung des Anwendungsbereiches auf therapeutische Solisten . . . . 52 3. Die Wirkungsbereiche des § 35b SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Prozedurale Aspekte der Kosten-Nutzen-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Struktur des IQWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Auftragsrecht für Kosten-Nutzen-Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Unabhängiges Auftragsrecht des GBA und BMG . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Bindung des GBA an einen Antrag gemäß § 130b Abs. 8 SGB V . . . . 65 3. Verfahren der Kosten-Nutzen-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Materielle Kriterien der Kosten-Nutzen-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Bewertung der Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme 73 2. Methodik zur Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses . . . . . . . . . . . 77 a) Bestimmung einer Effizienzgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Ausgaben-Einfluss-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Perspektive der Kostenberücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Doppelung der Kosten-Nutzen-Bewertung durch die Beteiligung von sowohl IQWiG als auch GBA? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
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Inhaltsverzeichnis 4. Indikationsbezogene oder indikationsübergreifende Kosten-Nutzen-Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 C. Rechtsfolgen der Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 I. Einfluss der Kosten-Nutzen-Bewertungen auf die Rabattverhandlungen . . . 108 1. Bindung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen an Kosten-Nutzen-Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Bindung der Schiedsstelle an Kosten-Nutzen-Bewertungen . . . . . . . . . . . 113 II. Einfluss der Kosten-Nutzen-Bewertungen auf Leistungsbeschränkungen . . 118 1. Kosten-Nutzen-Bewertungen als Grundlage von Leistungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Erweiterung von Leistungsbeschränkungen durch § 35b SGB V . . . . . . . 122 III. Umsetzung der Kosten-Nutzen-Bewertungen in Therapiehinweisen . . . . . . 126 1. Abgrenzbarkeit von Leistungsbeschränkungen und Therapiehinweisen . . 128 2. Beschränkung der Therapiehinweise auf Arzneimittel mit vergleichbarem Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 D. Veränderungen des Wirkungsbereichs von Wirtschaftlichkeitserwägungen (Zwischenergebnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot als Anwendungsfeld von Kosten-Nutzen-Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 A. Wirtschaftlichkeit als Grundprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . 136 I. Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsprinzips durch den GBA . . . . . . . . . 141 II. Praktische Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 106 SGB V) . . . . . . 144 B. Rechtsprechungsanalyse zum Anwendungsbereich von Wirtschaftlichkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I. Beginn der Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II. Gesamtbilanz von Kosten und Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III. Beschränkung der Wirtschaftlichkeitserwägungen auf unwesentliche Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 IV. Systemrelevante Grenzen von Wirtschaftlichkeitserwägungen . . . . . . . . . . . 154 V. Zu berücksichtigende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 VI. Relevanz der Nutzenvorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 VII. Abkehr von Kosten-Nutzen-Bewertungen in jüngeren Entscheidungen? . . . 159 VIII. Angemessene Relation zwischen Kosten und Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 IX. Kritik/Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang (Minimal- oder Maximalprinzip) . . . . . . 166 I. Nutzenvorrang aufgrund der Reihenfolge der Voraussetzungsnennung . . . . 167 II. Stand der medizinischen Erkenntnis als Begründung des Nutzenvorrangs . . 169
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III. „Ausreichende“ Leistungen nur bei optimalem Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 IV. Zwischenergebnis nach systematischer und Wortlautauslegung . . . . . . . . . . 174 V. Nutzenvorrang aufgrund methodischen „Bewertungsversagens“ . . . . . . . . . 175 VI. Priorität des Nutzens aufgrund der Zwecksetzung der GKV . . . . . . . . . . . . . 177 VII. Nutzenvorrang aufgrund der Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch den GBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 VIII. Verfassungsrechtlich geschuldeter absoluter Nutzenvorrang . . . . . . . . . . . . . 180 IX. Zwischenergebnis: § 12 Abs. 1 SGB V als Verhältnismäßigkeitsgedanke . . 181 D. Kosten-Nutzen-Bewertungen als Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots . . . . . 189 I. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Erfassung des Nutzenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Übertragung des Nutzenverständnisses aus dem AMG . . . . . . . . . . . . 195 b) Nutzendefinition anhand der Vorgaben des SGB V . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Zusatznutzen und therapeutische Verbesserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens . . . . . . . . . . . . . . 204 I. Konkretisierung der „Vergleichbarkeit“ anhand Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . 207 II. Einfluss des ärztlichen Haftungsrechts auf das Vergleichbarkeitskriterium . 209 III. Vergleichbarkeit bei Unerheblichkeit im Sinne des Krankheitsbegriffs . . . . 213 IV. Anlehnung an die Vorgaben der Festbetragsbildung (§ 35 SGB V) . . . . . . . 216 V. Wesentlichkeitstheorie als Beschränkung der Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . 218 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 VII. Keine Erweiterung des Vergleichbarkeitskriteriums durch § 35b SGB V . . . 224 F. „Juristische“ und „ökonomische“ Kosten-Nutzen-Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . 225 I. Arten der Kosten-Nutzen-Bewertungen im SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Exkurs: Kosten-Nutzen-Bewertungen in anderen Rechtsgebieten . . . . . . . . . 229 1. Haushaltsrechtliche Kosten-Nutzen-Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Kosten-Nutzen-Bewertungen im Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 III. Relevanz von Kosten-Nutzen-Bewertungen im SGB V und Perspektiven . . 234 § 4 Verfassungsrechtliche Grenzen des Einflusses von Kosten-Nutzen-Bewertungen 237 A. Ausweitung der Leistungspflicht der GKV durch den „Nikolaus-Beschluss“ . . . . 242 B. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des BVerfG vom 6. 12. 2005 . . . . . . . . . . 247 C. Umsetzung dieser Rechtsprechungslinie durch die Sozialgerichte . . . . . . . . . . . . . 249 I. Konkretisierung der zeitlichen und sachlichen Voraussetzungen . . . . . . . . . 250 II. Wahrscheinlichkeitsgrad des Nutzens und Nutzen-Risiko-Analyse . . . . . . . 252 III. Wirtschaftlichkeitserwägungen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen . . . . 253
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Inhaltsverzeichnis D. Anwendbarkeit der Grundsätze des „Nikolaus-Beschlusses“ auf Arzneimittel . . . 254 I. Abschied von der Vorgreiflichkeit des AMG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 II. Gleichbehandlung von Arzneimitteln und anderen medizinischen Methoden 262 E. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in § 2 Abs. 1a SGB V . . . . . . . . 263 F. Auswirkungen der Rechtsprechung auf die Durchführbarkeit von Kosten-NutzenBewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 I. Einschränkung von Kosten-Nutzen-Vergleichen de lege lata . . . . . . . . . . . . 264 II. Grenzen für Kosten-Nutzen-Bewertungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . 265 1. Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip als Grenze für KostenNutzen-Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Schutzpflicht/Leistungspflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . 270 a) Aufgabe der Unterscheidung zwischen Schutzpflicht- und Leistungsdogmatik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Untermaßgebot im Rahmen sozialer Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Mindeststandard als Grenze von Kosten-Nutzen-Erwägungen . . . . . . . . . 281 4. Der Erstinterpret der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 III. Zwischen individueller Bedürftigkeit und finanzieller Verantwortung (Zwischenergebnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung – Zur Übertragbarkeit von Kosten-Nutzen-Bewertungen an das IQWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 I. IQWiG – Staatliches Institut oder rein Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 II. Ausübung von Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Befugnisverteilung zwischen GBA und IQWiG („dezisionistisches Modell“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 a) Konsultationspflicht als legitimationsauslösendes Moment . . . . . . . . . 303 b) Veröffentlichung als Auslöser der Legitimationsbedürftigkeit . . . . . . . 305 2. Faktische Bindungswirkung („pragmatisches Modell“) . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Einordnung der Tätigkeit des IQWiG als Sachverständigenbewertung. 309 b) Faktische Bindungswirkung angesichts der Begründungs- bzw. Berücksichtigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 c) Gestaltung der Empfehlungen des IQWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 d) Prüfungskompetenz aufgrund früherer eigener Aufgabenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 e) Korrespondenz faktischer Einflussnahme – Verfahren zwischen GBA und IQWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 f) Faktische Bindung – Bewertungsausfall oder Legitimationsbedürfnis . 316 B. Legitime Ausgestaltung der Sachverständigenbeteiligung des IQWiG . . . . . . . . . 319 I. Trägerstruktur zwischen GBA und IQWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
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II. Betroffenenbeteiligung und Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 III. Das IQWiG als sachverständiger Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 § 6 Kosten-Nutzen-Bewertungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung – Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Abkürzungsverzeichnis Im Übrigen richten sich die Abkürzungen grundsätzlich nach Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 7. Auflage, Berlin 2013. Darüber hinaus und davon in Einzelfällen abweichend finden folgende Abkürzungen Verwendung: AMNOG
Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung AM-RL Arzneimittelrichtlinie BT-Drs. Drucksachen des Deutschen Bundestages DÄ Deutsches Ärzteblatt (Zeitschrift) DOK Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift) DRG Diagnosis related Groups, Diagnosebezogene Fallgruppen GBA Gemeinsamer Bundesausschuss GesW Das Gesundheitswesen (Zeitschrift) GKV gesetzliche Krankenversicherung Halbs. Halbsatz IQWiG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit QALY quality adjusted life year, qualitätskorrigiertes Lebensjahr PKV Private Krankenversicherung RahmenV Rahmenvereinbarung nach § 130b Abs. 9 SGB V RVO Reichsversicherungsordnung SpiBu Spitzenverband Bund der Krankenkassen Stiftungssatzung Satzung der Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen VerfO-GBA Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses WzS Wege zur Sozialversicherung (Zeitschrift)
§ 1 Einleitung Mit der Regelung des § 35b SGB V wurde erstmals in der Geschichte der GKV ausdrücklich das Element der Kosten-Nutzen-Bewertung1 eingeführt. Dies hat die bereits zuvor teilweise hitzig geführte Debatte über ethische, gesundheitsökonomische und rechtliche Fragen von Kosten-Nutzen-Bewertungen weiter angefacht. Kosten-Nutzen-Bewertungen hängen mit der Frage der Zulässigkeit und Umsetzung von Rationierung zusammen, sie beeinflussen die Verteilungsgerechtigkeit in der GKV und betreffen über diese hinausgehend letztlich auch die generelle Verteilung von Staatsausgaben. Die mit Kosten-Nutzen-Bewertungen aufgeworfene Frage, wie viel ein medizinischer Zusatznutzen kosten darf, ist bereits als nicht wissenschaftliche, sondern normative Frage des politischen Wollens und moralischen Sollens bezeichnet worden.2 Dieser Aussage ist in vielen Punkten zuzustimmen: Doch was bedeutet sie konkret für den Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen in der GKV? In dieser Arbeit wird die Frage nach dem Wert eines medizinischen Zusatznutzens nicht mit politischen oder philosophischen Ausführungen3 zur absoluten und relativen Knappheit der Mittel in der medizinischen Versorgung sowie der Verteilungsgerechtigkeit angegangen oder gar zu beantworten versucht.4 Vielmehr wird 1 Eine synonyme Verwendung der Begriffe Kosten-Nutzen-Bewertung und Kosten-NutzenAnalyse erfolgt vorliegend nicht. Aufgrund der gesundheitsökonomischen Prägung des Begriffes Kosten-Nutzen-Analyse liegt diesem eine bestimmte Art der Evaluation des KostenNutzen-Verhältnisses zugrunde, die von anderen Bewertungsformen des Kosten-Nutzen-Verhältnisses abzugrenzen ist. In der Literatur ist dennoch der synonyme Gebrauch häufig anzutreffen. Dies erklärt sich aus der historischen Verwendung des Begriffes für sämtliche Formen ökonomischer Evaluation, vgl. hierzu Schöffski, Grundformen gesundheitsökonomischer Evaluationen, in: ders./v.d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 81 f. Zu Unterschieden selbst im Rahmen des Begriffs Kosten-Nutzen-Analyse siehe etwa auch Sen, The Discipline of Cost-Benefit Analysis, Journal of Legal Studies Vol. 29 (2000), S. 931 ff. (932 ff.). 2 Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, DVBl 2010, S. 1069 ff. (1072). 3 Dass diese überhaupt weiterführen, wird teilweise sogar bezweifelt, siehe Landwehr, Substanzielle und prozedurale Gerechtigkeit in der Verteilung von Gesundheitsgütern, PVS 2011, S. 29 ff. (34 ff.). 4 Zur Abgrenzung und den Unterschieden zwischen relativer und absoluter Knappheit im Gesundheitswesen anhand des Begriffs der Rationierung, Arnold, Strategien zum Umgang mit Knappheit im Gesundheitswesen, NZS 1996, S. 193 ff. und ders., Rationierung und zukünftige Reallokationen im Gesundheitswesen, S. 11 ff.; zur Herleitung des Knappheitsbegriffes und des „Systems der Bedürfnisse“ siehe Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), S. 152 ff. (154 f.). Teilweise wird die hier als relative
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§ 1 Einleitung
innerhalb des bereits bestehenden rechtlichen Rahmens die Anwendung von KostenNutzen-Erwägungen konkretisiert und anhand dessen werden die denkbaren zukünftigen Anwendungsbereiche wie auch deren Grenzen herausgearbeitet. Hierbei wird insbesondere der materielle Kern von Kosten-Nutzen-Bewertungen in den Blick genommen. Die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit und damit die Finanzierbarkeit der GKV ist bisher meist prozedural betrachtet worden. Dies ist insbesondere auf die normative Ungewissheit des Staatsziels Sozialstaat, die notwendig herzustellende Balance zwischen Eingriffsabwehr- und Leistungsrechten im weiteren Sinne5 sowie die besondere Problematik, Gesundheitsgüter und -chancen zu bewerten, zurückzuführen. Vor allem in der Besetzung des GBA und der ihm übertragenen Konkretisierungsbefugnis für das Wirtschaftlichkeitsgebot spiegelt sich der Aspekt der Prozeduralisierung von Verteilungsfragen wider. Die Fokussierung auf die Prozeduralität hat ihre Berechtigung, materielle Aspekte sind indes ebenfalls zu berücksichtigen. Mittels einer Analyse der Methodik von Kosten-Nutzen-Bewertungen und der Bestimmung der abzuwägenden Faktoren wird herausgearbeitet, inwieweit auch materielle Kriterien Vorgaben hierfür enthalten. Der Arbeit liegt eine systemimmanente Betrachtungsweise der GKV zugrunde. Es wird daher weniger die Frage nach der Optimierung der „Public Health“6 als Kollektivgut aufgeworfen,7 als vielmehr der Umfang der Sicherung der „Private Health“ durch die GKV untersucht. Vollständig trennen lassen sich diese beiden Aspekte allerdings nicht.
Knappheit bezeichnete Ressourcenendlichkeit auch „soziale Knappheit“ genannt, vgl. Gawel, Ökonomische Effizienzforderungen und ihre juristische Rezeption, in: ders. (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 9 ff. (12 f.). 5 Unter Leistungsrechten im weiteren Sinne wird das Recht des Bürgers gegen den Staat auf Handlungen des Staates und damit der status positivus verstanden, vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 87 ff., 114 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 238 f. und 395 ff.; Jarass, Bausteine einer Grundrechtsdogmatik, AöR 120 (1995), S. 345 ff. (354 ff.). 6 Ob die „Public Health“ bzw. „Volksgesundheit“ von der GKV überhaupt geschützt werden kann, ist darüber hinaus auch umstritten. Dies annehmend BVerfGE 7, 377 (414); 13, 97 (107); 25, 236 (247). Inzwischen ist der früher häufig verwendete Begriff der „Volksgesundheit“ in der Rechtsprechung meist durch die Formulierung „Gesundheit der Bevölkerung“ ersetzt worden. Teilweise wird die „Volksgesundheit“ bzw. „Public Health“ als Schutzgut der GKV generell abgelehnt. Dies wird damit begründet, dass die Rechtsordnung auf den Schutz von Individuen und nicht Kollektiven angelegt sei. Ein originärer Schutz eines „Volkskörpers“ könne angesichts des „normativen Individualismus“ der Rechtsordnung nicht angenommen werden, so Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, DVBl 2010, S. 1069 ff. (1074). 7 Hierzu etwa Huster, Gesundheitsgerechtigkeit: Public Health im Sozialstaat, JZ 2008, S. 859 ff. und ders., Posteriorisierung der Gesundheitspolitik? Opportunitätskosten in der Rechtsdogmatik des Sozialstaats, in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), Organisation und Verfahren im sozialen Rechtsstaat, FS Schnapp, S. 463 ff. (464 f.).
A. Kosten-Nutzen-Bewertungen im System der GKV
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A. Die Diskussion um Kosten-Nutzen-Bewertungen im System der GKV Die Kosten-Nutzen-Bewertung ist in den letzten Jahren im Rahmen der Diskussion um Leistungseinschränkungen (Rationierung), Verteilungsgerechtigkeit, Ethik und deren rechtliche Umsetzbarkeit zu einem der wichtigsten, flexibelsten und griffigsten Instrumente avanciert. Vielfach gilt sie als künftiges Kriterium für die Leistungserbringung der GKV, mit welchem sämtliche ethischen, moralischen und Gerechtigkeitskriterien rechtlich umgesetzt werden könnten.8 Der Vorteil dieser Herangehensweise an die Leistungsbestimmung der GKV bzw. Begrenzung besteht darin, dass sie das zugrunde liegende Dilemma zwischen unbegrenzten Bedürfnissen und begrenzten Mitteln offen adressiert.9 Damit wird die bisher stärker prozedural über die paritätische Besetzung des GBA10 gelöste Problematik der Konstitutiona-
8 Zu diesen Kriterien siehe insbesondere Zentrale Ethikkommission, Priorisierung medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), S. 11 ff.; eine Kosten-Nutzen-Bewertung für die Verteilung von Gesundheitsgütern fordert Eichhorn, Gerechte Rationierung durch Einführung einer Prioritätensetzung im deutschen Gesundheitswesen, S. 154; Wasem, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen, GesW S. 41 ff. (41); ähnlich auch Deter, Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln als Rechtsproblem, MedR 2010, S. 249 ff. (249). Die Präferenzen hinsichtlich denkbarer Verteilungskriterien untersucht Winkelhage, Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung, S. 11 ff., aus empirischer Sicht; sie fasst den bisherigen Forschungsstand diesbzgl. folgendermaßen zusammen: Hinsichtlich der Berücksichtigung der Kosten als Verteilungsentscheidung weist sie u. a. auf die Meinungsdivergenz zwischen Experten- und Allgemeinbefragungen hin (S. 27). Dabei ist allerdings zum einen zu berücksichtigen, dass dies u. a. auf ein unterschiedliches Verständnis der Bedeutung des Kostenkriteriums zurückzuführen sein könnte, zum anderen, dass die Befragungen hinsichtlich einer rein nutzenmaximierenden Kostenberücksichtigung vorgenommen wurden. 9 Vgl. Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70, S. 152 ff. (154 f.); kritisch zur freien Aushandlung der im GBA repräsentierten Interessen auch Wille, Der sozialrechtliche Rahmen ärztlicher Therapiefreiheit, GesR 2006, S. 1 ff. (10). 10 Die Bildung des GBA wird in § 91 und § 140 f Abs. 2 SGB V geregelt. Zur Funktionsweise unter dem Gesichtspunkt der Legitimation durch paritätische Besetzung siehe Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 191 ff.; Roters, Die gebotene Kontrolldichte bei der gerichtlichen Prüfung der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, S. 92 ff.; Kingreen, Legitimation und Partizipation im Gesundheitswesen, NZS 2007, S. 113 ff. (114 f.); Hess, Die Rolle des Rechts bei der Wissensgewinnung und Entscheidungsfindung im GKV-System, GesR 2011, S. 588 ff. (591 ff.); Engelmann, Untergesetzliche Normsetzung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch Verträge und Richtlinien (Teil 2), NZS 2000, S. 76 ff. (80), sämtliche m.w.N. Fischer, Der Gemeinsame Bundesausschuss als „zentrale korporative Superorganisation“, MedR 2006, S. 509 ff. (509 f.), hingegen fordert, die Entscheidungsfindung stärker von materiellen Kriterien zu lösen und über eine Erweiterung der Mitwirkung noch stärker prozedural Verteilungsgerechtigkeit zu sichern. Zur Umsetzung der materiellen Interessendivergenzen durch die paritätische Besetzung siehe auch BSGE 78, 70 (81 f.).
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lisierung von Verteilungsgerechtigkeit hin zu materiellen Gerechtigkeitskriterien geöffnet.11 Darüber hinaus verfolgt die Kosten-Nutzen-Bewertung einen überindividuellen Ansatz und verringert aufgrund ihrer übergreifenden, abstrakten ex ante Betrachtung, für welche jedermann möglicher Bezugspunkt ist, das Risiko einer Ungleichbehandlung der durch die Bewertung letztlich betroffenen Gruppen.12 Dieser abstrakte Betrachtungsansatz scheint gleichzeitig jedoch zumindest teilweise in Widerspruch zu dem mit ihm verfolgten Ziel der größtmöglichen Umsetzung von Verteilungsgerechtigkeit in Bezug auf den dahinterstehenden individuell geprägten Grundrechtsschutz zu stehen.13 In anderen Bereichen haben sich Kosten-Nutzen-Bewertungen bereits als Kriterium für die Verteilung von Ausgaben, selbst der Staatsausgaben, durchgesetzt. Das hinter Kosten-Nutzen-Bewertungen stehende Wirtschaftlichkeitsgebot ist als Rechtsprinzip grundsätzlich anerkannt.14 Trotz der bestehenden Forderung, dem Wirtschaftlichkeitsprinzip selbst Verfassungsrang zuzusprechen, weil nur unter seiner Geltung der aus der Mittelbeschaffung durch Abgabenerhebung folgende Eingriff rechtfertigbar sei, ist seine Anwendung im Rahmen der Gesundheitsversorgung umkämpft. Dies hat auch die mehrfache Betonung der grundsätzlichen Zulässigkeit der Messung von Leistungen der GKV am Wirtschaftlichkeitsgebot durch das BVerfG nicht geändert.15 Die meist kritische Haltung gegenüber dem Einfluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen bei der Bemessung von Gesundheitsleistungen lässt sich zum einen auf die Funktion vieler Grundrechte zurückführen, ökonomische Präferenzen in ihre Schranken zu verweisen.16 Zum anderen hängt sie damit zusammen, dass Gesundheit als transzendentales, intangibles und inkommensurables Gut aufgefasst wird. Rechtlich hat sich dieser Aspekt, wie die 11 Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70, S. 152 ff. (175). 12 Ebsen, Verfassungsrechtliche Implikationen der Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen, NDV 1997, S. 71 ff. (79). Der Gedanke, dass abstrakte ex ante Betrachtungen aus Gerechtigkeitsaspekten als positiv anzusehen sind, führt unter anderem zurück auf Rawls „Schleier des Nichtwissens“, vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 159 ff. 13 Andeutungsweise zu diesem Widerspruch Francke, Die regulatorischen Strukturen der Arzneimittelversorgung nach dem SGB V, MedR 2006, S. 683 ff. (691) und Becker, Das Recht auf Gesundheitsleistungen, in: Manssen/Jachmann/Gröpl (Hrsg.), FS Steiner, S. 50 ff. (69), der den Konflikt von abstrakten Kosten-Nutzen-Bewertungen und Einzelfallgerechtigkeit zu lösen gedenkt, indem eine Abweichung im Einzelfall ermöglicht wird. 14 Zum grundsätzlichen Einfluss von Wirtschaftlichkeitsprinzipien auf staatliche Entscheidungen siehe u. a. Peters, Die Ausfüllung von Spielräumen der Verwaltung durch Wirtschaftlichkeitserwägungen, DÖV 2001, S. 749 ff.; v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 67 ff. 15 Eine ausdrückliche Anerkennung der grundsätzlichen Anwendung von Wirtschaftlichkeitskriterien im Rahmen der Leistungserbringung der GKV findet sich in der Rechtsprechung des BVerfG, so bspw. BVerfG, NJW 1997, 3085; BVerfGE 106, 275 (300); 115, 25 (30 ff.). 16 Zur Präferenzsicherung durch Grundrechte Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 355 ff.
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Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG zeigt, jedoch nur bedingt niedergeschlagen.17 Die Anwendung von Wirtschaftlichkeitserwägungen kann durch Grundrechte sowohl hergeleitet als auch eingeschränkt werden. Versteht man Kosten-Nutzen-Bewertungen als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips, könnten diese einen grundsätzlichen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen in der GKV kumulierten Interessen herbeiführen.18 Gleichzeitig beinhaltet diese Herleitung aber auch Vorgaben für den Ausgleich zwischen dem notwendigen Leistungsumfang der GKV einerseits und den wirtschaftlichen Grenzen aufgrund der zwangsweisen Beitragserhebung andererseits, die es zu beachten gilt. Im Ergebnis ist weniger die Geltung des Wirtschaftlichkeitsprinzips problematisch als vielmehr dessen Konkretisierung und Anwendung im Rahmen der GKV. Fachgesetze können wirtschaftliche Erwägungen präzisieren, hervorheben oder zurückdrängen. Für welche Art der Regelung der Gesetzgeber sich im SGB V bereits entschieden hat und entscheiden wird, ist angesichts des besonderen verfassungsrechtlichen Einflusses auf den Gesundheitsschutz und der notwendigen Auslegung des einfachen Gesetzesrechts vor allem eine rechtliche Frage. § 35b SGB V implementiert in das Recht der GKV Ansätze der angewandten Wohlfahrtsökonomie19,20 wie sie bisher für staatliche Entscheidungsfindungen nicht verwendet worden sind – jedenfalls nicht in diesem Grad der Anlehnung an wie auch Umsetzung von wirtschaftlicher Methodik und damit ökonomischer Rationalität.21 Die in der Rechtswissenschaft aufgrund der teilweise vertretenen Unvereinbarkeit von Wirtschafts- und Rechtswissenschaften umstrittene Frage der Ökonomisierung
17 Auf die Außerachtlassung des Gesetzesvorbehaltes ebenso hinweisend Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, S. 436. 18 Zur Nähe der Kosten-Nutzen-Analyse zum Verhältnismäßigkeitsprinzip, aber der fehlenden Deckungsgleichheit siehe von Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 36 ff. und 52 ff.; Messerschmidt, Ökonomische Effizienz und juristische Verhältnismäßigkeit, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 215 ff. (216 und 225 ff.); Salmen, Wirtschaftlichkeitsprinzip in der kommunalen Finanz- und Haushaltsplanung, S. 40 ff. (54); Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 739 ff. und S. 834 f., wobei dieser von einer Identität des Übermaßverbotes, der Verhältnismäßigkeit und der Regeln der Ökonomie ausgeht. 19 Unter Wohlfahrtsökonomie wird die staatliche Intervention im Falle von Marktversagen verstanden, die trotz aller Ökonomisierung am Gemeinwohl orientiert ist, vgl. Löffler, Die Ökonomisierung des Staates – Versuch einer Begriffsklärung, in: Harms/Reichard (Hrsg.), Die Ökonomisierung des öffentlichen Sektors, S. 19 ff. (20). 20 Martini, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – eine bittere Pille oder süßes Gift für das Gesundheitswesen?, WiVerw 2009, S. 195 ff. (198). 21 Die etwa bei der Bemessung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Stands der Technik im Immissionsschutzrecht zu berücksichtigenden Kosten-Nutzen-Erwägungen zwischen Aufwand und Nutzen der Vermeidungs- bzw. Verminderungsmaßnahmen sind – im Gegensatz zu den durch das IQWiG erfolgenden Kosten-Nutzen-Bewertungen – eher eine Umsetzung des grundsätzlichen Abwägungsmodells als das Ergebnis einer ökonomischen Analyse. Vgl. hierzu auch § 3 F. II. 2.
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des Rechts22 scheint mit § 35b SGB V gesetzlich angeordnet zu sein. Trotz dieser Implementierung eines wirtschaftswissenschaftlich geprägten Ansatzes und der damit erfolgten gesetzgeberischen Entscheidung, ökonomische Methoden zur Lösung eines Interessenkonfliktes zwischen kollidierenden Rechtsgütern zu berücksichtigen, sind seine Vorgaben rechtlich einzufassen. Den über den spezifisch ökonomischen Ansatz hinausgehenden Anforderungen des einfachen Gesetzesrechts sowie den zum Ausgleich zu bringenden Verfassungsgütern ist im Rahmen der methodischen Herangehensweise der Kosten-Nutzen-Bewertung Rechnung zu tragen.23 Die anhand der Begriffe Rationierung und Priorisierung diskutierten Fragen über die Art und Weise, wie Leistungsbeschränkungen24 in der GKV vorgenommen werden können, lassen sich hierbei vielfach auf die konkrete Frage des Leistungsausschlusses aufgrund eines ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses übertragen. Inwieweit die Vorgaben des § 35b SGB V auch für das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V gelten, bedarf einer näheren Prüfung. § 35b SGB V könnte zu einer Veränderung des Verständnisses des Wirtschaftlichkeitsgebots geführt haben. Im Hinblick auf die Problematik der Ausgestaltung des Leistungskataloges der GKV, der Legitimität von Leistungsausschlüssen und den teilweise bestehenden Divergenzen zur tatsächlichen Leistungserbringung könnten Kosten-Nutzen-Bewertungen eine Verbesserung bewirken. Bei einer Ausweitung ihres Anwendungsbereiches könnten sie zu einer Abkehr von der sogenannten impliziten Rationierung führen.25 Von impliziter Rationierung26 wird gesprochen, wenn der behandelnde 22
Siehe zur Kritik an der Übertragung wirtschaftswissenschaftlicher Methoden in die Rechtswissenschaft etwa Fezer, Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts, JZ 1986, S. 817 ff. (822 ff.) sowie ders., Nochmals: Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts, JZ 1988, S. 223 ff.; Ott, Die ökonomische Analyse des Rechts – Irrweg oder Chance rechtswissenschaftlicher Erkenntnis?, JZ 1988, S. 213 ff. 23 So auch Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (379, 391 ff.); ähnlich Taupitz, Ressourcenknappheit in der Medizin – Hilfestellung durch das GG?, in: Walter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 113 ff. (116). 24 Leistungsbeschränkung wird als Oberbegriff für Leistungsausschlüsse und Leistungseinschränkungen verwendet. 25 Vgl. Wasem, Kosten-Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen, GesW 2009, S. 41 ff. (41); Nettesheim, Rationierung im Gesundheitswesen – verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, VerwArch 93 (2002), S. 315 ff. (349); Winkelhage, Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung, S. 7. Anderer Auffassung, zumindest im Falle der Beschränkung impliziter Rationierung aufgrund der Vereinbarkeit von Gesamtbudget und Gesamtbedarf, Isensee, Verwaltung des Mangels im Gesundheitswesen – verfassungsrechtliche Maßstäbe der Kontingentierung, in: Söllner/Gitter/Waltermann/Giesen/Ricken (Hrsg.), GS Heinze, S. 417 ff. (426 f.), der indirekte Rationierung – welche mit der hier verwendeten Bezeichnung der impliziten Rationierung in der Verwendung übereinstimmt – als indirekte, sanfte Rationierung im Gegensatz zur direkten, schroffen Rationierung bezeichnet. 26 Der Begriff der Rationierung mit seinen vielen gebildeten Unterkategorien wird in der Literatur unterschiedlich verwendet. Zu den Begriffen explizite und implizite, direkte und indirekte, weiche und harte, verdeckte und offene Rationierung vgl. Brech, Triage und Recht, S. 84 ff. Der für den rechtlichen Umgang sinnvolle Vorschlag von Kingreen, Knappheit und
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Arzt, ohne hierfür ausdrückliche Vorgaben durch eine staatliche Stelle zu haben, bei kostspieligen Behandlungsmethoden oder knappen Budgets Verteilungsentscheidungen trifft.27 Dass die bestehenden Wirtschaftlichkeitssicherungsmechanismen der GKV eine implizite Rationierung hervorrufen, kann nicht ausgeschlossen werden. Viele der bisher im Wesentlichen auf Rationalisierung ausgelegten Bemühungen der Gesundheitspolitik, die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen zu dämpfen, wie etwa die Budgetdeckelung im ambulanten Bereich,28 DRGs (diagnosebezogene Fallpauschalen) bei den Krankenhäusern29 sowie die Richtgrößen in der Arzneimittelversorgung, stehen unter dem konstanten Verdacht, de facto wie Leistungsausschlüsse und damit Rationierung zu wirken.30 Sämtliche dieser Maßnahmen berechtigen grundsätzlich nicht dazu, Leistungen zu verweigern oder Zuzahlungen zu verlangen, um eine kostendeckende Vergütung im Einzelfall erreichen zu können oder im Rahmen der Budgets einen Regress wegen deren Überschreitung zu vermeiden.31 Dennoch scheinen sie, anstatt rein rationalisierende Effekte zu erVerteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), S. 152 ff. (159 f.), Rationierung kontextbezogen auf das System der GKV anzuwenden und daher lediglich solche Leistungseinschränkungen als Rationierung zu betrachten, welche Leistungen betreffen, die nach den Grundsatzregelungen der §§ 27 Abs. 1, 2 Abs. 1, Abs. 2 und § 12 Abs. 1 SGB V grundsätzlich von der Leistungspflicht der GKV erfasst seien, konkretisiert zwar die Verwendung, führt jedoch bei einem weiteren Verständnis des § 12 Abs. 1 SGB V dazu, dass die relevanten Verteilungsentscheidungen von dem Begriff „Rationierung“ nicht mehr erfasst werden. Im Folgenden wird Rationierung daher als die Vorenthaltung von solchen Leistungen verstanden, welche gegenüber dem von der GKV gewährten Standard einen Zusatznutzen beinhalten, unabhängig davon, ob dieser Zusatznutzen im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V als vergleichbar und damit relevant anzusehen ist und ob dieser zusätzliche Nutzen hinsichtlich der Hauptindikation oder einer Nebenwirkung auftritt. 27 Zu deren Vorkommen und Anwendung Huster/Strech/Marckmann/Freyer/Börchers/ Neumann/Wasem/Held, Implizite Rationierung als Rechtsproblem, MedR 2007, 703 ff.; Arnold, Zum Umgang mit Knappheit in der medizinischen Versorgung, S. 65 ff.; zum Vorteil offener Leistungseinschränkung anhand geregelter Kriterien Huster, in: Butzer/Kaltenborn/ Meyer (Hrsg.), Organisation und Verfahren im sozialen Rechtsstaat, FS Schnapp, S. 463 ff. (465). 28 Vgl. hierzu etwa Kruse/Hänlein, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 113 ff. 29 Hierzu Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, S. 34 ff. 30 Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 143 f.; Huster/Strech/Marckmann/Freyer/Börchers/Neumann/Wasem/ Held, Implizite Rationierung als Rechtsproblem, MedR 2007, 703 ff (703); Fastabend, Der Begriff der notwendigen Krankenbehandlung im SGB V, NZS 2002, S. 299 ff. (304); Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), S. 152 ff. (160); hinsichtlich konkreter Beispiele von Verteilungsentscheidungen durch Gesundheitspersonal, vgl. Brech, Triage und Recht, S. 79 ff.; Nettesheim, Rationierung in der Gesundheitsversorgung – verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, VerwArch 93 (2002), S. 315 ff. (339). Neuerdings wird über diese Problematik auch wieder journalistisch berichtet, siehe hierzu etwa Lunemann/van Elten, Die heimliche Rationierung ist das Leid des Landarztes, FAZ vom 03. 04. 2013. 31 BSGE 88, 20 (29 f.); BSG, MedR 2002, 47 ff. (48 f.).; BSG, MedR 2002, 42 ff. (43 ff.); Francke/Schnitzler, Die Behandlungspflicht des Vertragsarztes bei begrenzten Finanzmitteln, SGb 2002, S. 84 ff. (88).
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zeugen, faktisch ebenso Leistungseinschränkungen hervorzurufen, selbst wenn diese gesetzlich so nicht intendiert sein mögen.32 Dies hat aber zur Folge, dass weder der Gesetzgeber noch die GKV mittels ihrer Selbstverwaltung die Entscheidung über Leistungsausschlüsse treffen, sondern diese in weitem Umfang letztlich den einzelnen Ärzten obliegt.33 Der „Schwarze Peter“, Leistungsbeschränkungen vorzunehmen, ist durch die Vorgabe begrenzter Budgets in fast sämtlichen Leistungsbereichen der GKV den Ärzten zugeschoben worden. Ärzte können sich zu weitergehenden Wirtschaftlichkeitsentscheidungen gezwungen sehen, als Leistungen durch Gesetz vom Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen sind und es dem GBA zusteht, Leistungen auszuschließen.34 Die Steuerung der Kostenpolitik der GKV über finanzielle Anreize oder Nachteile für die Leistungserbringer birgt daher die Gefahr impliziter Rationierung35 wie auch mangelnder Verteilungsgerechtigkeit, da keine konkreten Vorgaben hinsichtlich der Verteilungskriterien bestehen.36 Aus Legitimitätsgründen wie auch sozialstaatlichen Gesichtspunkten erscheint eine Klärung der Verteilungsmaßstäbe von Leistungen der GKV daher notwendig.37 Die Entscheidung, welche Behandlung für den Patienten erforderlich ist, hat letztlich – schon allein durch das Stellen der medizinischen Diagnose und damit Indikation – zwar immer der Arzt zu treffen. Solche Entscheidungen über den Einzelfall können und werden auch bei einer verstärkten Leistungsvergabe anhand 32
Darüber hinaus wird die Entscheidung für die Budgetierung und die Deckelung der Gesamtvergütung teilweise bereits als Spezifikum der Entscheidung auf Makroebene über die Gesamtmenge der verfügbaren Leistungen betrachtet, welche auf Mikroebene durch die Leistungserbringer umgesetzt werden müsse, vgl. Ebsen, Verfassungsrechtliche Implikationen der Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen, NDV 1997, S. 71 ff. (72). 33 So Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 102; Fastabend, Der Begriff der notwendigen Krankenbehandlung im SGB V, NZS 2002, S. 299 ff. (302); Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, S. 31. 34 So auch Kingreen, Gesundheit oder Gesetzgeber?, in: ders./Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147 ff. (153) mit dem Beispiel des Kinderspiels „Reise nach Jerusalem“. 35 Teilweise wird diese Form der Rationierung auch als indirekte Rationierung bezeichnet, weil über eine Budgetierung oder vergleichbare Maßnahmen eine Knappheit erzeugt wird, die auf Mikroebene in eine Vorenthaltung von Leistungen umschlägt vgl. Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – zur normativen Funktion ihrer Bewertung, Stellungnahme, S. 22. 36 Vgl. Marckmann, Verteilungsgerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung, in: Düwell/ Steigleder (Hrsg.), Bioethik, S. 333 ff. (340 f.). 37 So auch die Forderung von Huster/Strech/Marckmann/Freyer/Börchers/Neumann/ Wasem/Held, Implizite Rationierung als Rechtsproblem, MedR 2007, 703 ff. (703); Simon, Krankenhausfinanzierung und Rationierung. Zum Zusammenhang von ökonomischen Anreizen und Rationierung medizinischer Leistungen im Krankenhaus, in: Feuerstein/Kuhlmann (Hrsg.) Rationierung im Gesundheitswesen, S. 81 ff. (85 f.); Fastabend, Der Begriff der notwendigen Krankenbehandlung, NZS 2002, S. 299 ff. (304); Huster, Soziale Gesundheitsgerechtigkeit, S. 30 ff.
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von Kosten-Nutzen-Bewertungen nicht ausbleiben, da sich die Gesundheit und der Nutzen von Behandlungen nie vollständig abstrakt beurteilen lassen werden.38 Grundsätzlich sind Kosten-Nutzen-Aspekte aber heranziehbar, um Vorgaben für die Standardtherapie zu machen und darüber hinaus die Grenzen und Maßstäbe für Einzelfallentscheidungen festzulegen.39 Der derzeitige Umfang des Einflusses von Kosten-Nutzen-Aspekten auf die Bestimmung des Leistungsumfanges der GKV ist weder tatsächlich noch rechtlich in Gänze geklärt. Dies gilt trotz der vielfältigen Rechtsprechung zu § 12 Abs. 1 SGB V, der die Geltung des Wirtschaftlichkeitsgebots für sämtliche Leistungen der GKV normiert. Das vielfach betonte Maximalprinzip40 der durch die GKV zu gewährenden Leistungen wird allgemein dahingehend verstanden, dass die GKV eine Vollversorgung garantiert. Diese beinhaltet eine Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt, fordert bei gleichwertigen Therapien aber nur die kostengünstigere.41 Zwar ist sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur damit ein grundsätzlicher Vorrang des Nutzens anerkannt, bei detaillierter Analyse ist jedoch eine Erosion dieses Nutzenvorrangs erkennbar. Der Rechtsprechung zufolge muss nicht jede nützliche Behandlungsmethode durch die GKV erbracht werden. Solange eine von ihrem Nutzen her vergleichbare Methode wirtschaftlicher ist, ist diese zu gewähren. Die Grenzen der Vergleichbarkeit erweisen sich hierbei jedoch als weitestgehend offen und laden mangels Bestimmtheit des Vergleichbarkeitskriteriums zu einer Ausweitung des Einflusses von Wirtschaftlichkeitserwägungen in Anbetracht drohender Kostensteigerungen förmlich ein.42 Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund der steigenden Gesundheitskosten nicht überraschend und spätestens durch den mittels § 71 SGB V selbst auferlegten Zwang zur Beitragssatzstabilität begründbar.43 Es bedarf jedoch ihrer dogmatischen Aufarbeitung, um willkürliche 38 So auch Schlegel, Gerichtliche Kontrolle von Kriterien und Verfahren, MedR 2008, S. 30 ff. (30); Taupitz, Ökonomische Organisation im Gesundheitswesen als Gebot der Rechtsordnung, in: Kick/Taupitz (Hrsg.), Gesundheitswesen zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit, S. 21 ff. (31); Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, Stellungnahme, S. 31. 39 Ebenso Fastabend, Der Begriff der notwendigen Krankenbehandlung im SGB V, NZS 2002, S. 299 ff. (304); Bieback, Effizienzanforderungen an das sozialstaatliche Leistungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, S. 127 ff. (151). 40 Der Begriff Maximalprinzip wird hier bzgl. des Gesamtumfangs der Leistungen der GKV verwendet ohne damit auf Fragen der Wirtschaftlichkeit zu rekurrieren. Das Maximalprinzip an Leistungen korrespondiert aber insoweit mit dem Verständnis der Wirtschaftlichkeit als Minimalprinzip und führt nicht zu einem Widerspruch mit der späteren Betrachtungsweise. 41 Roters, Der (Zusatz-)Nutzen-Begriff im SGB V, NZS 2010, S. 612 ff. (617). 42 Zur Dehnbarkeit des Begriffes „vergleichbar“ auch Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), S. 152 ff. (169). 43 Der Grundsatz der Beitragsstabilität wird allerdings gesetzlich dahingehend beschränkt, die notwendige medizinische Versorgung, die es gerade zu konkretisieren gilt, nicht zu tangieren. Zu der sich in der Norm widerspiegelnden geringen Bereitschaft, dem System der GKV mehr Geld zuzuführen, vgl. Fastabend/Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Kran-
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Einzelfallentscheidungen bei der Leistungserbringung zu verhindern und den Eigenantrieb der funktionalen Selbstverwaltung in diesem Bereich zu steuern.44 Weiterhin ist der bisher fast unbezweifelt gebliebene absolute Vorrang des Nutzens dogmatisch weniger zwingend, als dies in der Literatur und Rechtsprechung bis dato dargestellt wird.45 Der derzeit konstatierte strukturelle Widerspruch zwischen unbegrenztem materiell-rechtlichem Anspruch und begrenzten Ressourcen46 kann – bei einer Herleitung des Wirtschaftlichkeitsgebots im weiteren Sinne aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und entsprechender Auslegung des § 12 Abs. 1 SGB V – aufgebrochen werden. Ein „Versagen“ des Verhältnismäßigkeitsprinzips als juristische Methodik der Abwägung kollidierender Güter wird häufig aber angenommen, wenn eine Bewertbarkeit der Interessenlage methodisch am Fehlen der Vergleichsfähigkeit und damit der objektiv-rechtlich geprägten Bewertungsmöglichkeit scheitert.47 Hieraus erklärt sich auch dogmatisch die Beschränkung des grundsätzlich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichteten Ausgleiches zwischen Kosten und Nutzen einer medizinischen Methode auf den Bereich therapeutisch ähnlicher Wirkung. Dies gilt jedoch nur, solange nicht der Gesetzgeber, der eine durch vornehmlich subjektive Wertung geprägte Entscheidung als einzig unmittelbarer Repräsentant der Gesellschaft zu treffen legitimiert ist, selbst die Bewertungsentscheidung bei fehlender Gleichwertigkeit des Nutzens und damit hohem Wertungselement im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraumes trifft.48 Eine derartige, auf subjektive Elekenversicherung, S. 39. Grundsätzlich zur Bedeutung und Relevanz des § 71 SGB V siehe Freudenberg, Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 54 ff. 44 Ebenso Rixen, Das Verhältnis von IQWiG und G-BA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (24) mit der Forderung nach einer rechtlichen Rahmenordnung für eine gesundheitswissenschaftliche Fachlichkeit. 45 Andeutungsweise hierzu bereits Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), S. 152 ff. (169) und Spellbrink, Der Wirtschaftlichkeitsbegriff, ArztuR 1995, S. 17 ff. (18 f.). 46 Kopetzki, Patientenrechte zwischen normativem Anspruch und ökonomischen Zwängen, in: Kopetzki/Zahrl, Behandlungsanspruch und Wirtschaftlichkeitsgebot, S. 10, wobei sich diese Statuierung nicht auf das deutsche, sondern das österreichische Recht bezieht, welches jedoch im Hinblick auf die Normierung der Anspruchsvoraussetzungen dem deutschen SGB V gleicht; ebenso Penner, Leistungserbringerwettbewerb in einer sozialen Krankenversicherung, S. 20 ff. 47 Zur Unbestimmbarkeit der Bedarfsgerechtigkeit medizinischer Versorgung vgl. Arnold, Strategien zum Umgang mit Knappheit im Gesundheitswesen, NZS 1996, S. 193 ff. (197). Im Hinblick auf die besondere Problematik des „Abwägungsgewichts“ von Art. 2 Abs. 1 GG vgl. Schmidt, Die Freiheit vor dem Gesetz, AöR 91 (1966), S. 42 ff. (47 ff. und 51); Huster, Rechte und Ziele, S. 102 f. 48 Kritisch hierzu Ladeur, Kritik der Abwägung in der Grundrechtsdogmatik, S. 14, der fordert, dass auch der Gesetzgeber bei objektiv nicht bewertbaren Entscheidungen einen methodisch sauberen Ansatz wählen, ein „Minimum an Sorgfalt“ walten lassen müsse, um derartig komplexe Abwägungen vorzunehmen. Dies führt zu der Frage nach den Anforderungen an ein „inneres Gesetzgebungsverfahren“, welche sich in der Diskussion spätestens seit der Ent-
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mente abstellende Entscheidung, die einer Überprüfung kaum zugänglich ist, kann zwar ohne dezidiertere Vorgaben nicht durch die Exekutive getroffen werden, wohl aber durch den Gesetzgeber. Die Kosten-Nutzen-Bewertung kann einen Ansatz bilden, den Bereich mangelnder Bewertbarkeit zu verringern sowie die Entscheidungsmaßstäbe zu objektivieren und zu rationalisieren.49 Der aufgrund der „Prinzipienhaftigkeit“50 verfassungsrechtlicher Vorgaben stark dezisionistisch geprägte Ausgleich zwischen Nutzen- und Kostenerwägungen ist an seinen Grenzen verfassungsrechtlich determiniert. Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip sowie Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG fordern einen Mindestumfang an Leistungen der GKV. Aus Art. 2 Abs. 1 GG ergeben sich Grenzen im Hinblick auf die rechtfertigbare Beitragspflicht. Hieraus lässt sich der leistungsrechtliche Höchstumfang der GKV ableiten. Während im Rahmen des Mindeststandards Kostenerwägungen nicht zum Ausschluss von Leistungen führen können, wird der Höchststandard gerade von diesen bestimmt. Hierüber hinausgehend, finden sich jedoch kaum Maßstäbe für den Ausgleich von Kosten und Nutzen zueinander. Eine Objektivierung des dezisionistischen, subjektiv geprägten Ansatzes der Bewertung von verfassungsrechtlichen Wertverhältnissen bringt die KostenNutzen-Bewertung insoweit mit sich, als sie mittels Vergleichs der konkreten Alternativen vorgeht. Hiermit werden subjektive Wertungen, welche sich bei der Vornahme einer abstrakten Interessenbewertung verstärken, sowohl durch eine Erhöhung der Komparatoren als auch durch Konkretisierung reduziert.51 scheidung des BVerfG zu den Regelsätzen (BVerfGE 125, 175 (225 ff.)) aktualisiert hat. Diese Forderung verkennt jedoch die spezifische Funktion der Legislative als Repräsentant der Gesellschaft, einem nicht rational funktionierenden Gebilde, dessen Willen durch den Gesetzgeber umgesetzt werden soll, und ihr Verhältnis zur Judikative. Der Aussagegehalt der Grundrechte wird mit der Forderung überfordert, wirtschaftsökonomische Bewertungsmodelle anzuwenden, ihren Gehalt zu prozeduralisieren, um als Überprüfungsmaßstab des Gesetzgebers fungieren zu können. Die Fragestellung, auf welche Art und Weise die Legislative eine Abwägung vorzunehmen hätte, ist jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit und wird nur hinsichtlich eines Nebenaspektes berührt. 49 Fehling, Kosten-Nutzen-Analysen als Maßstab für Verwaltungsentscheidungen, VerwArch 95 (2004), S. 443 ff. (470), der jedoch gleichzeitig vor der Scheinrationalität der KostenNutzen-Analyse als Zwickmühle zwischen Unter- und Überkomplexität warnt; Morlok, Vom Reiz und vom Nutzen, von den Schwierigkeiten und den Gefahren der Ökonomischen Theorie für das Öffentliche Recht, in: Engel/ders. (Hrsg.), Öffentliches Recht als Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 1 ff. (27); Meßerschmidt, Ökonomische Effizienz und juristische Verhältnismäßigkeit, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 215 ff. (219); Führ, Ökonomische Effizienz und juristische Rationalität, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 157 ff. (205); Sunstein, Cognition And Cost-Benefit Analysis, Journal of Legal Studies Vol. 29 (2000), S. 1059 ff. (1065). 50 Vgl. Ebsen, Verfassungsrechtliche Implikationen der Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen, NDV 1997, S. 71 ff. (77) ausdrücklich in Bezug auf die Ressourcenknappheit und Vorgaben des Grundgesetzes diesbzgl., weshalb der Begriff „Prinzipienhaftigkeit“ hieraus rezipiert wird. 51 Vgl. zur Objektivierung subjektiver Wertentscheidungen mittels Konkretisierung Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 147; Gentz, Zur Verhältnismäßigkeit von Grund-
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§ 1 Einleitung
Durch die Anwendung der Kosten-Nutzen-Bewertung als Form der ökonomischen Bewertung im Rahmen der als zu dezisionistisch kritisierten Verhältnismäßigkeit kommt es zu einer Kombination von als sich widersprechend angesehenen Bewertungsmethoden.52 Mittels kumulierter Anwendung einer eher ökonomisch geprägten Betrachtung durch das IQWiG einerseits und stärker juristischer Methodik, insbesondere von Verhältnismäßigkeitsüberlegungen im Hinblick auf die Auswirkungen der nach ökonomischer Analyse zu treffenden Entscheidungen durch den GBA andererseits, kann indes von beiden wissenschaftlichen Ansätzen profitiert werden. Partiell werden sogar die Nachteile der jeweils anderen Methoden kompensiert. Die parallele Anwendung von besonderem wirtschaftlichem Sachverstand wie auch von politischen, juristischen und weiteren Erwägungen wirkt daher synergetisch und verhilft zu einer umfassend sachverständig informierten Entscheidung.53 Der grundsätzliche Ansatz der Kosten-Nutzen-Bewertung, eine Verteilungsentscheidung aufgrund begrenzter Ressourcen zu treffen, kann auf unterschiedlichen Allokationsebenen genutzt werden. Juristisch muss man sich hinsichtlich der Anwendung aber vor Augen führen, dass es im Rahmen der GKV nicht darum geht, eine Verteilungsentscheidung einer natürlich absolut begrenzten Ressource anhand bestimmter Verteilungskriterien zu treffen.54 Vielmehr handelt es sich meist um eine Verknappungsentscheidung auf der Ebene der Ressourcengenerierung,55 um eine Allokation56, die allein auf der Kenntnis der Endlichkeit der Resrechtseingriffen, NJW 1968, S. 1600 ff. (1601 ff.); ebenfalls in diese Richtung gehend FischerLescano, Kritik der praktischen Konkordanz, KJ 2008, S. 166 ff. (173), der fordert, im Rahmen der Auflösung von Kollisionslagen die Betrachtung weg von globalen Werte- und Prinzipiengemeinschaften hin zu den gesellschaftlichen Realwidersprüchen zu richten, um nicht aufgrund von Partiallogik die eigentliche Konfliktsituation aus dem Auge zu verlieren. Auf die Rationalisierbarkeit von Werturteilen nach der Erkenntnistheorie hinweisend Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, § 43 Rn. 28. 52 Zum derartig gesehenen Widerspruch zwischen praktischer Konkordanz und ökonomischer Analyse vgl. Fischer-Lescano, Kritik der praktischen Konkordanz, KJ 2008, S. 166 ff. 53 Fehling, Verwaltung, S. 152. 54 Hieran hat auch die gesetzliche Regelung des Beitragssatzes durch das GKV-FinG nichts geändert, da über die Möglichkeit der Erhebung von Zusatzbeiträgen der Gesetzgeber die Relativität der gesetzlichen Ressourcenbegrenzung aufrechterhalten hat. Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung, bei unvermeidbaren, über die Einnahmeentwicklungen hinausgehenden Ausgaben seien diese mittels Zusatzbeiträgen der Versicherten zu finanzieren, siehe BT-Drs. 17/3360, S. 3. 55 Die Einschränkung, dass nur meist keine absolute Begrenzung vorliegt, ist im Hinblick auf die Organallokation erfolgt. 56 Allokation wird vorliegend nicht synonym zum Begriff der Verteilungsentscheidung verwendet, sondern beinhaltet über die Verteilung hinausgehend die Frage der Ressourcengenerierung. Die Allokation stellt letztlich zwar auch eine Verteilungsentscheidung dar, sie ist jedoch auf Makroebene angesiedelt und enthält eine über Verteilungsentscheidung hinausgehende weitere Wertung dahingehend, wie viele Ressourcen in einen bestimmten Bereich investiert werden sollen. Insoweit erfolgt eine gewisse Anlehnung an die Verwendung des Allokationsbegriffes bei Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 61 f., der Allokation jedoch vielfach ebenfalls synonym zu Verteilung verwendet. Dies stellt insgesamt die in
B. Thesen zur derzeitigen Verwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen
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source Geld beruht.57 Dies führt dazu, dass nicht aus der absoluten Beschränkung der Ressource Wertvorgaben für die Kosten-Nutzen-Bewertung hergeleitet werden können. Im Folgenden soll beantwortet werden, wie sich die nach § 35b SGB V durchzuführenden Kosten-Nutzen-Bewertungen in die bereits grundsätzlich mit § 12 Abs. 1 SGB V existierende Forderung nach einer wirtschaftlichen Leistungserbringung durch die GKVeinordnen, ob sie tatsächlich die vielfach beschworene Umkehr dahin bewirken, Wirtschaftlichkeitserwägungen in weiterem Umfang zu berücksichtigen oder ob lediglich das bisher im Einzelfall zu überprüfende Kriterium der Wirtschaftlichkeit der Leistung in eine grundsätzlich durchzuführende, methodische Überprüfung der bisher im Bereich der innovativen Arzneimittel erbrachten Leistungen überführt wird.58 Über das in § 12 Abs. 1 SGB V grundlegend normierte Wirtschaftlichkeitsgebot und die in diesem Zusammenhang verwendeten Kosten-Nutzen-Vergleiche hinaus wird der Grundgedanke der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung im Arzneimittelbereich mit § 35b SGB V jedenfalls weiter ausgeformt. Diese Weiterentwicklung könnte einen Hinweis darauf bieten, wie sich der scheinbar grenzenlose Rechtsanspruch der Versicherten auf medizinische Leistungen im Spannungsfeld zu den begrenzten Mitteln des Gesundheitswesens verhält – denn Kosten-Nutzen-Bewertungen ist die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Ausgleiches von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ausdrücklich immanent.
B. Thesen zur derzeitigen Verwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen Aufgrund des Zusammenspiels von § 35b SGB V mit § 130b SGB V dient die Kosten-Nutzen-Bewertung im Arzneimittelbereich derzeit vor allem der Festsetzung eines „gerechten“ Preises. Die in § 12 Abs. 1 SGB V durchgeführten Kosten-NutzenVergleiche sind hingegen nicht für die Preisbildung entscheidend, sondern bestimmen den Umfang des Leistungskataloges der GKV. Über § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V ist die Verwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen aber auch in Zusammenhang mit der Literatur häufiger anzutreffende Verwendungsweise dar. So bspw. auch Gawel, Ökonomische Effizienzforderungen und ihre juristische Rezeption, in: ders. (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 9 ff. (32), der allerdings im Verlauf seines Textes (S. 33) die Allokation begrifflich der überindividuellen Wohlfahrt und die Verteilung der individuellen Gerechtigkeit zuordnet. 57 Vgl. Marckmann, Verteilungsgerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung, in: Düwell/ Steigleder (Hrsg.), Bioethik, S. 333 ff. (335). 58 Letzteres, die Einführung eines abstrakt-generellen Bewertungsverfahrens für die eigentliche Neuerung haltend, Becker, Die Steuerungsinstrumente in der Arzneimittelversorgung der GKV, S. 177.
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§ 1 Einleitung
den Richtlinien und Therapiehinweisen des GBA nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, Abs. 2 SGB Vund damit zur Konkretisierung des Leistungskataloges denkbar. Der konkrete Umfang der Verwendbarkeit derartiger Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen der Leistungskonkretisierung durch den GBA ist, trotz der Regelung des § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V,59 bisher ungeklärt. Aus einer Analyse der Rechtsprechung, des konkreten Normengefüges und der verfassungsrechtlichen Vorgaben kann das Verhältnis zwischen einer Einschränkungsmöglichkeit des Leistungskataloges der GKV und einer Preisbestimmung für innovative Arzneimittel mittels Verhandlungen bzw. Schiedsstellenentscheidungen hergeleitet werden. Da eine Ausweitung des Einflusses von Kosten-Nutzen-Vergleichen auf den Leistungskatalog der GKV wahrscheinlich erscheint,60 wird weiterhin untersucht, inwieweit Kosten-Nutzen-Bewertungen über den derzeitigen tatsächlichen Anwendungsbereich hinausgehend verwendet werden können bzw. welche verfassungsrechtlichen Grenzen diesbezüglich bestehen.61 Dieser weitergehenden Betrachtung bedarf es im Hinblick auf die Schnelllebigkeit sozialgesetzlicher Normsetzung – insbesondere, um über die Nachverfolgung und Einordnung der gesetzgeberischen Tätigkeit hinaus eine grundsätzliche Stukturgebung vorzuzeichnen und zu erwartende künftige Entwicklungen in diese systematisch einzuordnen.62 Die mit § 35b SGB V eingeführte Kosten-Nutzen-Bewertung ändert das Verständnis der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung in der GKV nicht grundlegend, sondern weitet es in zwei unterschiedliche Richtungen aus.63 Zum einen wirft § 35b SGB V die Frage des Inhalts des Leistungskataloges im Bereich der Arzneimittel anhand der Überprüfung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses neu auf. Möglicherweise erweitert er sogar den Anwendungsbereich von Wirtschaftlichkeitserwägungen bei der Bestimmung der Ansprüche der Versicherten, der im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V seit langem restriktiv gehandhabt wird. Zum anderen fügt § 35b SGB V der Wirtschaftlichkeitskomponente des SGB V vor allem einen weiteren Blickwinkel hinzu. 59 § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V regelt die grundsätzliche Subsidiarität von Leistungsausschlüssen und -einschränkungen gegenüber der Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit durch Festbeträge (§ 35 SGB V) und kooperativ ausgehandelten Erstattungsbeträgen (§ 130b SGB V). 60 Zur Wahrscheinlichkeit der Ausdehnung von Kosten-Nutzen-Bewertungen auch Huster, Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (235); ders., Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (458) und Gassner, Legitimationsprobleme der Kosten-NutzenBewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (451). 61 Zur Notwendigkeit einer „vorausschauenden“ Debatte über „gerechte“ Verteilungskriterien Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – zur normativen Funktion ihrer Bewertung, Stellungnahme, S. 18. 62 Vgl. zur Begründung dieser besonderen Notwendigkeit im Sozialrecht Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 1 ff. 63 Teilweise wird insoweit eine Erweiterung des „klassischen“ Wirtschaftlichkeitsverständnisses gesehen, so Becker, Steuerungsinstrumente des GBA im Rahmen der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 218 ff. (218).
B. Thesen zur derzeitigen Verwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen
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In seinem Hauptanwendungsbereich betrifft § 35b SGB V nicht etwa die Frage, welche Leistungen ein Versicherter im Krankheitsfall beanspruchen kann, sondern vielmehr die Problematik, wie von der GKV die gegenüber den Versicherten zu erbringenden Leistungen preislich bestimmt werden. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip des § 12 Abs. 1 SGB V hingegen regelt aufgrund seiner systematischen Stellung im Bereich der Leistungsumfangsbestimmung für die Versicherten einen anderen Gesichtspunkt.64 Insoweit ist eine Neuerung durch § 35b iVm § 130b SGB V festzustellen. Sie greift jedoch in einem anderen Bereich als dem der befürchteten Rationierung. Das Wirtschaftlichkeitskriterium ist nicht mehr allein in Bezug auf eine Leistungsbeschränkung bzw. Bestimmung der beanspruchbaren Leistung, die inhaltliche Wirtschaftlichkeitssicherung, anwendbar, sondern es wird ebenso dazu verwandt, den zu entrichtenden Preis für eine zu erbringende Leistung festzusetzen. Damit ist das Versorgungssystem der GKV durch die Einführung der Kosten-NutzenBewertung nicht in seiner Grundstruktur in Frage gestellt worden.65 Es hält, trotz Anwendung von als Rationierungskriterien beschworenen Methoden, an seinem Ansatz fest, prinzipiell alle notwendigen Leistungen bereitzustellen. Dennoch sind Leistungsbeschränkungen, wenn auch subsidiär gegenüber anderen Formen der Wirtschaftlichkeitssicherung, weiterhin auf der Grundlage von KostenNutzen-Erwägungen denkbar. Dies gilt jedoch nur für ein beschränktes Anwendungsgebiet. Im Folgenden wird dargelegt, dass im Bereich von Arzneimitteln, die einen noch vergleichbaren Nutzen zu anderen medizinischen Methoden im selben Indikationsgebiet hervorrufen, die nach § 35b SGB V erfolgten Kosten-NutzenBewertungen auch zu einem Ausschluss des Arzneimittels aus dem Leistungskatalog der GKV im Falle der generellen Unwirtschaftlichkeit oder aber zu einer Beschränkung des Einsatzbereiches gemäß § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V führen können – dies allerdings nur, wenn nicht, wie § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V fordert, die Wirtschaftlichkeit über einen Festbetrag nach § 35 SGB V oder einen Erstattungsbetrag nach § 130b SGB V sichergestellt werden kann. Sollte hingegen der Zusatznutzen nicht mehr vergleichbar mit dem Nutzen einer anderen medizinischen Methode eines Indikationsgebiets sein, ist aufgrund der Bestimmungen des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V iVm § 12 Abs. 1 SGB V eine Beschränkung nicht möglich. In diesem Bereich greift § 130b SGB V. Die Wirtschaftlichkeit wird bei fehlender Vergleichbarkeit des Nutzens durch die Festlegung eines Erstattungsbetrages, sei es kooperativ oder hoheitlich, umgesetzt. Potentiell kann diese Bestimmung des Erstattungsbetrages ebenfalls anhand einer gemäß § 130b Abs. 8 SGB V beantragbaren Kosten-Nutzen-Bewertung erfolgen. 64 Vgl. auch Becker, Steuerungsinstrumente des GBA im Rahmen der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 218 ff. (218) und ders., Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 99. 65 Hierzu Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), S. 152 ff. (156), welcher bei einer Abkehr von der Bereitstellung sämtlicher notwendiger Leistungen durch die GKV deren Struktur für problematisch zu rechtfertigen hält.
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§ 1 Einleitung
Wie das Abgrenzungskriterium der „Vergleichbarkeit“ dieser beiden Wirkungsbereiche von Wirtschaftlichkeitserwägungen bzgl. der Kosten-Nutzen-Bewertungen konkret wirkt, ist daher für den Einfluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf das System der GKV entscheidend. Anhand der hierzu ergangenen Rechtsprechung und einer Analyse der Herleitung des Vergleichbarkeitskriteriums wird dessen Wirkungsbereich untersucht. Es wird hierbei versucht, den Begriff der „Vergleichbarkeit“ mittels einer sozialrechtlichen- sowie verfassungsrechtlichen Betrachtung einzugrenzen. Das Maximalversorgungsprinzip in der GKV bleibt mit einigen kleinen Einschränkungen trotz Erhöhung des Kostendrucks und der Einführung einer ausdrücklichen Kosten-Nutzen-Bewertung im Grundsatz erhalten. Einschränkungslos gilt allerdings – angesichts der Möglichkeit des Leistungsausschlusses bei noch vergleichbarem Nutzen – auch das Maximalversorgungsprinzip nicht (mehr). Der Gesetzgeber hat sich aber zunächst dafür entschieden, Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte bei der Preisbildung von innovativen Arzneimitteln zu berücksichtigen und nicht bei der Bestimmung des Leistungskataloges der GKV, sofern durch sie ein merklicher Zusatznutzen bewirkt wird. Die Änderung des SGB V durch das AMNOG hat die für kurze Zeit bestehende Möglichkeit, wegen eines ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch Höchstbeträge bei Arzneimitteln mittelbare Leistungseinschränkungen hervorzurufen, ohne dass eine vergleichbar nützliche Therapiealternative besteht, wieder abgeschafft. Die teilweise angenommene Befugnis, dass auf der Grundlage von § 35b SGB V offene Rationierungsentscheidungen getroffen werden könnten,66 besteht daher, jedenfalls über das nach § 12 Abs. 1 SGB V hinausgehende Maß, nicht mehr. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber entschieden, die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung durch eine Beschränkung der freien Preisbildung der Pharmaunternehmen sicherzustellen. Angesichts des diskutierten Verhältnisses zwischen Rationalisierung und Rationierung wie auch in Anbetracht der Folgen von Leistungsbeschränkungen im Verhältnis zur Aufgabe der freien Preisgestaltung der pharmazeutischen Unternehmen erscheint es richtig, Kosten-Nutzen-Bewertungen zunächst verstärkt in diesem Bereich einzusetzen.67 Ihre Einführung eröffnet jedoch auch die Perspektive, dass der Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen bei der Leistungsumfangsbestimmung erweiterbar ist. Über diese im ersten Zugriff vor allem materiell-rechtlich geprägte Fragestellung der Verwendbarkeit von Kosten-Nutzen-Bewertungen hinausgehend, ist es durch die Übertragung der Kosten-Nutzen-Bewertung als Vorbereitung einer Entscheidung des 66 Zur Rationierungsmöglichkeit aufgrund des § 35b SGB V Francke/Hart, Bewertungskriterien und -methoden nach dem SGB V, MedR 2010, S. 2 ff. (23 f.). 67 Zumal im Bereich der Preisbildung durch Pharmaunternehmen hohe Einsparungspotentiale bestehen. Sehr kritisch zur wirtschaftlichen Situation der Pharmaunternehmen und Struktur des Pharmamarktes Glaeske, Die Preispolitik der Hersteller – Totengräber unseres Systems, in: Böckmann, Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb, S. 141 ff.
C. Gang der Untersuchung
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GBA an das IQWiG zu Zweifeln an dessen demokratischer Legitimation gekommen. Das Gefüge zwischen staatlicher Entscheidung und privater Vorbereitungstätigkeit als Kooperationsspektrum ist schon zuvor in die Kritik der Verantwortungsdiversifizierung geraten.68 Die Kritik knüpft insbesondere an der demokratischen Legitimationsbedürftigkeit derartiger „Mitentscheidungsformen“ an. Dies wirft die Frage nach der Stellung des IQWiG als Sachverständigenrat bzw. Mitentscheidungsgremium aufgrund der Vornahme von Wertungsentscheidungen auf. Diese demokratietheoretische Problematik der Sachverständigenbeteiligung stellt sich hinsichtlich von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Besonderen. Aufgrund der Durchführung einer ökonomischen Analyse bedarf es der Hinzuziehung unparteilicher Sachverständiger, gleichzeitig geht die Beteiligung aber aufgrund des hohen Wertungsgehaltes dieser Tätigkeit über die sonstige sachverständige Zuarbeit hinaus. Aus diesem Grund wirft sowohl die demokratische Legitimationsbedürftigkeit als auch die Art und Weise, wie nicht wertungsfreie Sachverständigenbeurteilungen im Falle von Kosten-Nutzen-Bewertungen einbezogen werden können, besondere verfassungsrechtliche wie auch organisationsrechtliche Fragen auf.
C. Gang der Untersuchung Ansatzpunkt der Betrachtung des Anwendungsbereichs von Kosten-NutzenBewertungen als Maßstab für die Bestimmung des Leistungsumfangs der GKV ist die in § 35b SGB V eingeführte Kosten-Nutzen-Bewertung. Anhand dieser gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Kosten-Nutzen-Bewertung, welche auf den Leistungsumfang der GKV jedenfalls seit den durch das AMNOG erfolgten Änderungen nur noch peripheren Einfluss hat und die stattdessen als Grundlage der kooperativen bzw. – im Falle mangelnder Einigung – hoheitlichen Preisbestimmung von Arzneimitteln dient, erfolgt paradigmatisch eine Analyse, inwieweit der in diesem Rahmen gewählte methodische Ansatz der ökonomischen Bewertung die zu berücksichtigenden juristischen Kriterien umzusetzen vermag und welche Gesichtspunkte hierbei zu beachten sind. Vor diesem Hintergrund werden die in die Bewertung einfließenden Faktoren bestimmt sowie die im Rahmen des § 35b SGB V erfolgte Verzahnung von Experten- und Betroffenenbewertung genauer analysiert. Die Zuständigkeitsverzahnung von IQWiG und GBA im Rahmen der Kosten-Nutzen-Bewertung wird hierbei insbesondere auch unter dem Blickwinkel der Kombination wirtschaftswissenschaftlicher und juristischer Methodik, d. h. von interdisziplinäreren Bewertungsansätzen, betrachtet. Zur Bestimmung der Einwirkungsmöglichkeit der Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V auf die Leistungserbringung der GKV werden die unterschiedlichen im Arzneimittelbereich 68 Siehe hierzu etwa Burgi, Privat vorbereitete Verwaltungsentscheidungen und staatliche Strukturschaffungspflicht, Die Verwaltung 2000, S. 183 ff.; Brohm, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 1. Aufl., § 36 Rn. 30 ff.
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§ 1 Einleitung
gesetzlich vorgesehenen Instrumentarien der Wirtschaftlichkeitssicherung auf ihre Anwendungsbereiche und Wirkungsweise hin untersucht und voneinander abgegrenzt (§ 2). Da die Auswirkungen von Kosten-Nutzen-Bewertung auf den Leistungsumfang der GKV von dem in § 12 Abs. 1 SGB V geregelten, der Leistungserbringung der GKV grundsätzlich zugrunde liegenden Wirtschaftlichkeitsgebot, abhängig sind, wird anschließend § 12 Abs. 1 SGB V auf die Möglichkeit der Anwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen und auf eventuelle Vorgaben zu diesen hin untersucht. Der von Literatur und Rechtsprechung teilweise proklamierte „absolute Vorrang“ des Nutzens wird hierbei näher beleuchtet und seine Herleitbarkeit aus dem SGB V und dem Verfassungsrecht geprüft. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt diesbezüglich auf der Bestimmung des unter anderem aus der Rechtsprechungsanalyse gewonnenen „Vergleichbarkeitskriteriums“. Dieses wird aus unterschiedlichen Begründungssträngen als Grenze für die Anwendung von Kosten-Nutzen-Erwägungen bei der Leistungsgewährung der GKV von der Rechtsprechung und Literatur hergeleitet. Mittlerweile spiegelt sich dies auch im Rahmen der Leistungsumfangsbestimmung durch den GBA, in der Regelung des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V, gesetzlich wider. Mit der Bestimmung, bei welchen Nutzenunterschieden noch eine Vergleichbarkeit bzw. Gleichwertigkeit des Nutzens anzunehmen ist, wird der Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Erwägungen und ihr Einfluss auf den Leistungsumfang der GKV konkretisiert. Zwar ist insoweit eine Berücksichtigung von Kosten-Nutzen-Aspekten auch im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB Vund seiner Konkretisierung durch die Richtlinien des GBA festzustellen, diese greifen grundsätzlich jedoch in einem anderen Bereich als die mit § 35b SGB V eingeführte Kosten-Nutzen-Bewertung. Ob es insofern einer § 35b SGB V vergleichbaren ökonomischen Kosten-Nutzen-Bewertung auch im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V bedarf oder ob ein an juristischen Kriterien ausgerichteter Kosten-Nutzen-Vergleich ausreicht, wird anhand der Divergenzen dieser Bewertungen herausgearbeitet. Aus der Zusammenschau von § 35b und § 12 Abs. 1 SGB V zeigt sich, dass ein weiteres Problem der Bewertung darin besteht, zu bestimmen, welcher Nutzen und welche Kosten überhaupt im Rahmen der Bewertung zu berücksichtigen sind. Die Begriffe Kosten und Nutzen werden daher anhand der im SGB V hierzu bestehenden Vorgaben sowie der ihnen verfassungsrechtlich zugrunde liegenden Wertungen präzisiert. Weiterhin wird rechtsgebietsvergleichend betrachtet, wie insbesondere im Bereich des Umweltrechts mit der Ökonomisierung von Verteilungsentscheidungen umgegangen wird und welche parallelen Fragestellungen sowie Lösungsansätze sich hierbei in Bezug auf die Kosten-Nutzen-Bewertung ergeben. Angesichts des derzeitigen Anwendungsbereiches von Kosten-Nutzen-Bewertungen und der Vorgaben des SGB V rund um die Wirtschaftlichkeitssicherung ist eine „Allokation von unten nach oben“ festzustellen. Der regulierte Bedarf stellt demnach die Hauptbezugsgröße dar. Diese Art der Allokation ist zwar mit den
C. Gang der Untersuchung
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Vorgaben der Beitragssatzstabilität, Budgets, Richtgrößen etc. aufgrund fehlender absoluter Begrenzung vereinbar. Da letztere eine influenzierende Wirkung gegenüber den Leistungserbringern entfalten, führt dies aber zu derartigen Interdependenzen zwischen den Allokationsebenen, dass implizite Rationierungen hervorgerufen werden können. Um verdeckte Leistungsbeschränkungen zu vermeiden, die weder in legitimatorischer Hinsicht noch inhaltlich in Bezug auf die Verteilungsgerechtigkeit gerechtfertigt sind, bedarf es eines einheitlichen Allokationsansatzes. Hierfür können Kosten-Nutzen-Bewertungen weiterführend eingesetzt werden (§ 3). Angesichts der Tendenz und der bestehenden Möglichkeit, den Wirkungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen auszuweiten, schließen sich Überlegungen zu den verfassungsrechtlichen Grenzen ihres Anwendungsbereichs an. Diesbezüglich wird insbesondere die mit dem sogenannten „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG angestoßene Rechtsprechungslinie zur Leistungsgewährung der GKV bei lebensbedrohlichen Krankheiten untersucht. Diese kann aufgrund der in diesem Bereich aus Verfassungsgründen notwendigen Erweiterung des Leistungsumfanges der GKV Aufschluss darüber geben, wie weitreichend die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich des Leistungsumfanges der GKV sind. Vielfach wird der in dieser Entscheidung gewählte dogmatische Ansatz als Grenze für Rationierungsbestrebungen des Gesetzgebers betrachtet. Die von der Literatur mit dieser Entscheidung in Verbindung gebrachte Erweiterung der Schutzpflichtdogmatik wird auf ihre Tragfähigkeit und ihren Aussagegehalt im Hinblick auf eine Erweiterung des Einflusses von Kosten-Nutzen-Bewertungen hin analysiert (§ 4). Die angesichts der Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch ein privatrechtlich organisiertes, gesetzlich hierzu berufenes Sachverständigengremium – das IQWiG – hervorgerufene Frage nach der Legitimität von „Expertokratie“ und der Notwendigkeit von demokratischer Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligungen bei der Vorbereitung staatlicher Entscheidungen bildet den Abschluss der Untersuchung. Die Einbeziehung von sachverständig durchgeführten Kosten-Nutzen-Bewertungen in die Ausgestaltung des Leistungskatalogs der GKV könnte Experten einen hohen faktischen Einfluss auf hoheitliche Entscheidungen einräumen. Ob dieser mit der Struktur demokratischer Legitimation vereinbar ist, erscheint problematisch. Anhand der Frage nach der Legitimationsnotwendigkeit institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung an exekutiven Entscheidungen erfolgt daher eine Betrachtung der legitimen Ausgestaltung der notwendigerweise wissenschaftlich freien, sachverständigen Tätigkeit des IQWiG. Die Problematik wird insbesondere anhand des Aspekts, ab welchem Grad des Einflusses eine eigene Ausübung öffentlicher Gewalt durch Private anzunehmen ist, und der Figur der „faktischen“ Bindungswirkung als Form der Entscheidungsgewalt entwickelt (§ 5).
§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 35b SGB V) Im Jahr 2007 hat der Gesetzgeber auf die anhaltende Diskussion über Möglichkeiten der Kostensenkung bzw. Eindämmung der Kostenspirale im Bereich der Arzneimittelkosten, in deren Mittelpunkt die Forderung stand, dass Kosten-NutzenRelationen stärker beachtet werden müssten, reagiert und mit der Regelung des § 35b SGB V1 erstmals ausdrücklich eine Kosten-Nutzen-Bewertung in das System der GKV eingeführt. Mittels dieser soll im Bereich innovativer Arzneimittel die „Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme“2 sichergestellt und die durch den demographischen Wandel und den medizinischen Fortschritt hervorgerufenen Kostensteigerungen eingedämmt werden.3 Das Arzneimittelrecht ist hierbei aufgrund der auf dem deutschen Arzneimittelmarkt bestehenden freien Preisbildung durch die Arzneimittelhersteller als eines der Felder ausgemacht worden, in dem das Kostenwachstum angesichts der zunehmenden Bevölkerungsalterung, der steigenden Morbidität und vor allem der hohen Innovationsdynamik als überproportional eingestuft wurde.4 Dieser Schritt zur verstärkten Berücksichtigung von KostenNutzen-Aspekten war aus Sicht des Gesetzgebers trotz bereits eingeführter, nicht unerheblicher Kostendämpfungsmaßnahmen5 notwendig, um die Beitragsstabilität abzusichern.6 Durch die Anwendung eines Kosten-Nutzen-Vergleichs im Rahmen der Gewährung von Arzneimitteln durch die GKV sollen die zur Verfügung stehenden Finanzen effektiver eingesetzt werden. Als Anwendungsgebiet der Kosten-Nutzen1 § 35b SGB V wurde durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26. 03. 2007 eingeführt und durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) vom 22. 10. 2010, das zum 01. 01. 2011 in Kraft trat, neu gefasst. 2 § 35b Abs. 1 S. 3 SGB V. 3 BT-Drs. 16/3100, S. 1 und 88 f. 4 Deter, Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln als Rechtsproblem, MedR 2010, S. 249 ff. (249); Glaeske, Effizienzoptimierung in der Arzneimittelversorgung – Für mehr Rationalität und Wirtschaftlichkeit in der Therapie mit Medikamenten –, in: Ulrich/Ried (Hrsg.), Effizienz, Qualität und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen, S. 553 ff. (557 ff.). 5 Eine Aufzählung dieser im Arzneimittelbereich findet sich etwa bei Hess, Regelungsrahmen des SGB V für die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, MedR 2010, S. 232 ff. (232) wie auch bei Oberender/Hebborn/Zerth, Wachstumsmarkt Gesundheit, S. 65 ff. Grundsätzlich hierzu auch bereits Becker, Gesetzliche Krankenversicherung zwischen Markt und Regulierung, JZ 1997, S. 534 ff. 6 BT-Drs. 16/3100, S. 88.
§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
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Bewertung wurden deshalb Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen und neuartiger Wirkungsweise oder therapeutischer Verbesserung gewählt. Diese stellen eines der kostenintensivsten Felder der GKV dar, in welchem im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen der Kostenanstieg nicht fällt oder stagniert, sondern nach wie vor steigt.7 Ziel der Kosten-Nutzen-Bewertung ist es vor allem, die in der GKV für ein neues Arzneimittel mit einem belegten Zusatznutzen anfallenden Kosten auf ein dem zusätzlichen Nutzen kostenmäßig entsprechendes Maß zu reduzieren.8 § 35b SGB V soll somit in dem vom Gesetzgeber als besonders kostenintensiv eingeschätzten Bereich der patentgeschützten, hochpreisigen Spezialpräparate zu einer Kostendämpfung führen.9 Die Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V fügt sich deshalb in das vom Gesetzgeber geschaffene System der Leistungsgewährung von Arzneimitteln in einem Bereich ein, in welchem nicht bereits durch Festbetragsfestsetzungen nach § 35 SGB V10 die Kosten der GKV in der Arzneimittelversorgung reduziert werden konnten.11 Hierbei handelt es sich gemäß § 35 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 SGB V um Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist, oder solche, die eine relevante therapeutische Verbesserung bewirken.12 Derartige Arzneimittel sind gemäß § 35 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 SGB Veiner Festbetragsbildung im Rahmen der nach § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und Nr. 3 SGB V zu bildenden Festbetragsgruppen nicht zugänglich. Eine Ausnahme hinsichtlich der damit im Umkehrschluss herzuleitenden grundsätzlichen 7
Kingreen, Zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2011, S. 441 ff. (442). 8 Hess, Regelungsrahmen des SGB V für die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, MedR 2010, S. 232 ff. (232). 9 So Kingreen, Zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2011, S. 441 ff (442). 10 Festbeträge werden gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 1-3 SGB V für Arzneimittel festgesetzt, die aus denselben bzw. pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen bestehen oder aber therapeutisch vergleichbare Wirkungen erzielen. Bei einem Festbetrag handelt es sich um einen einheitlichen Erstattungsbetrag, der formal die Preisfestsetzung der Hersteller unberührt lässt und lediglich den Betrag, welchen die GKV übernimmt, auf eine bestimmte Höhe festsetzt, jenseits dem die Versicherten (bei einem höheren Preis des Arzneimittels) selbst die zusätzlichen Kosten aufbringen müssen. Die Festsetzung der Höhe des Festbetrages soll sich, den Vorgaben des § 35 Abs. 5 S. 3 SGB V entsprechend, im Rahmen des unteren Drittels des Kostenintervalls der zu einem Erstattungsbetrag zusammengefassten Medikamente, orientiert an einer Standardpackung, halten. Siehe hinsichtlich des internationalen Umgangs mit KostenNutzen-Bewertungen auch Busse, Internationale Erfahrungen mit Kosten-Nutzen-Bewertungen: Eine Übersicht, GesW 2009, S. 26 ff. 11 Reese, Rechtsfragen der Kosten-Nutzen-Bewertung und Festsetzungen von Erstattungshöchstbeträgen (Teil 1), PharmR 2008, S. 483 ff. (483). 12 Der Streit um die Notwendigkeit der kumulativen oder alternativen Anwendung der Erfordernisse „Neuartigkeit“ der Wirkungsweise und „therapeutische Verbesserung“, welcher aufgrund des eindeutigen Wortlauts und der Entstehungsgeschichte vom BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 261 (275) mit kumulativer Erfüllungsnotwendigkeit beantwortet wurde, hat sich mit der Gesetzesänderung zum 01. 05. 2006 und der Ersetzung des „und“ durch „oder“ inzwischen erledigt.
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Anwendbarkeit des § 35b SGB V auf Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen besteht nur für solche Arzneimittel, die in ihrer therapeutischen Wirkung, selbst im Rahmen der Nebenwirkungen, mit mindestens zwei weiteren patentgeschützten Arzneimittel gleichzusetzen sind (sogenannte Parallelinnovationen). Für diese ist die Festbetragsfähigkeit in § 35 Abs. 1a SGB V als Ausnahme zur grundsätzlichen Festbetragsfreiheit patentgeschützter, neuartiger Arzneimittel gesetzlich angeordnet.13 Diese innovativen Arzneimittel stellen mit etwa 26 % der Kosten der in der GKV verordneten Arzneimittel einen Hauptfaktor des Kostenwachstums der Gesundheitsausgaben dar. Dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass die Arzneimittelausgaben selbst rund 17 % der Gesamtausgaben der GKV für Gesundheitsleistungen und somit im Jahr 2009 gemeinsam mit den Zuzahlungen der Versicherten 32 Milliarden Euro betragen haben, obwohl der Verordnungsanteil von innovativen Arzneimitteln lediglich bei 2,5 % lag.14 Nach dem in § 35b Abs. 1 S. 4 Halbs. 4 SGB V formulierten Ziel soll mittels der Kosten-Nutzen-Bewertung sichergestellt werden, dass eine Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft nur noch erfolgt, wenn das Verhältnis zum Nutzen angemessen ist und eine Kostenübernahme deshalb oder aufgrund der Erfüllung weiterer Anforderungen für sie als zumutbar erscheint.15 Auch im Bereich der innovativen Arzneimittel sollen Leistungen der GKV daher nunmehr auf ihr KostenNutzen-Verhältnis untersucht und ihre Erbringung durch die GKV nicht mehr vollständig unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen erfolgen. Betrachtet man diesen Anwendungsbereich von § 35b SGB V, wird deutlich, dass hier ein Kosten-Nutzen-Vergleich durchgeführt werden soll, obwohl in den meisten Fällen keine anderen „vergleichbaren“ medizinischen Methoden zur Behandlung einer Erkrankung bereitstehen dürften.16 Dies stellt, da die Parameter für die Bestimmung der Angemessenheit bzw. Zumutbarkeit des Preises für einen konkreten Nutzengrad gesetzlich nur beschränkt vorgegeben worden sind, eines der im Folgenden näher zu untersuchenden Hauptprobleme des § 35b SGB V wie auch des methodischen Ansatzes des IQWiG dar.17
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Siehe zur kontroversen Diskussion um die Kriterien „Neuartigkeit des Wirkstoffes“ und „therapeutische Verbesserung“ Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 35 SGB V Rn. 12 ff. 14 Zahlen nach BT-Drs. 17/2413, S. 1 und S. 15. 15 Wie das Verhältnis der Forderungen der Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme zueinander zu verstehen ist, wird unter Abschnitt B III. 1. dieses Kapitels untersucht. 16 So andeutungsweise auch Koch/Sawicki, Die Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen, MedR 2010, S. 240 ff. (242). 17 Das IQWiG selbst geht davon aus, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen nur dann sinnvoll sind, wenn ein Medikament besser als das bereits von der GKV gewährte ist. Bei einer ähnlich guten Wirksamkeit bedürfte es hingegen einer Kosten-Nutzen-Bewertung an sich nicht. IQWiG,
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Zum Teil ist § 35b SGB V deshalb sogar als Paradigmenwechsel bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit18 oder aber als Ermächtigungsnorm für explizite Rationierung bezeichnet worden.19 Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Ansatz, Kosten und Nutzen zu bewerten und zueinander zu gewichten sowie hierüber den Preis für den Zusatznutzen zu bestimmen, mag dies richtig sein. Die hauptsächlich vorgesehene Rechtsfolge der Kosten-Nutzen-Bewertung, die Durchführung von Preisverhandlungen mit den Pharmaunternehmen auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Beurteilung, führt bei genauerer Betrachtung jedoch nur im Arzneimittelbereich – aufgrund der besonderen Situation der Preisregulierung20 – zu Neuerungen.21 Eine Leistungseinschränkung für die Versicherten hat dies hingegen – jedenfalls unmittelbar – nicht zur Folge. Auf andere Bereiche ist die gewählte Systematik der Sicherung der Wirtschaftlichkeit über eine Preisregulierung schwerlich übertragbar, sodass sich die Frage nach einer Ausweitung von Leistungsbeschränkungen anhand von Kosten-NutzenBewertungen weiter halten wird. Aus diesem Grund ist der im Rahmen des § 35b SGB V gewählte methodische Ansatz, der über § 92 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 SGB V bereits erste Einwirkungen auf den Leistungskatalog haben kann,22 daraufhin zu untersuchen, ob er sich grundsätzlich hierfür eignet. Dies wird zunächst unabhängig von der Frage, wer zur Umsetzung dieser Bewertungen in weiten Bereichen befugt ist, erörtert, bevor im weiteren Argumentationsverlauf auch legitimationsrechtliche Aspekte in die Betrachtung einbezogen werden. Die methodischen Grundlagen der Kosten-Nutzen-Bewertung bilden gemäß § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V die evidenzbasierte Medizin und Gesundheitsökonomie,23 wobei hinsichtlich ihrer konkreten methodischen Ausgestaltung auf den internaKosten und Nutzen in der Medizin, Die Analyse von „Effizienzgrenzen“, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten, Stand 19. 10. 2009, S. 6. 18 So etwa Becker, Steuerungsinstrumente des GBA im Rahmen der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 218 ff. (218), der jedenfalls von einem weitergehenden Wirtschaftlichkeitsverständnis aufgrund des § 35b SGB V ausgeht. 19 Francke/Hart, Bewertungskriterien und -methoden nach dem SGB V, MedR 2008, S. 2 ff. (23). So auch Ammann, Medizinethik und medizinische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 295, der zwar nicht den Begriff Rationierung verwendet, allerdings davon ausgeht, dass die vom IQWiG durchgeführten Kosten-Nutzen-Bewertungen de facto darüber entscheiden, „ob der Untersuchungsgegenstand Teil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung wird (oder bleibt) oder eben nicht.“ 20 Hierzu siehe § 2 A. 21 Vgl. v. d. Schulenburg, Entscheidungsunterstützung durch gesundheitsökonomische Evaluation in Deutschland aus Perspektive der Wissenschaft, Bundesgesundheitsbl. 2012, S. 660 ff. (661). 22 Deren Umfang wird im Weiteren konkret untersucht, siehe hierzu in diesem Abschnitt II. 4. b) und c). 23 § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V, wobei Maßstab für die Nutzenbewertung die evidenzbasierte Medizin ist, während die Gesundheitsökonomie die wissenschaftliche Grundlage für Kostenbewertungen im Vergleich zu dem hervorgerufenen Nutzen bildet.
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tionalen Standard verwiesen wird. Mit der ausdrücklichen Einführung einer KostenNutzen-Bewertung und dem erfolgten Verweis auf die Gesundheitsökonomie ist von Seiten des Gesetzgebers die Entscheidung getroffen worden, einen Ansatz der ökonomischen Wohlfahrtstheorie24 zur Abwägung kollidierender Rechtsgüter in das Recht der GKV zu implementieren. Mit dieser ökonomischen Betrachtung soll das – aufgrund der monopolartigen Stellung der GKV sowie der nicht Nachfrageverhalten sondern angebotsinduzierten Steuerung25 des Leistungsumfanges – hervorgerufene Marktversagen kompensiert werden. Insoweit erfolgt durch die Kosten-NutzenBewertung eine Anlehnung an das – an sich anti-interventionistisch gedachte – Coase-Theorem. Dieses sucht, Effizienz unter Ausschluss von Transaktionskosten und bei Unterstellung vollständiger Konkurrenz in Form einer Marktsimulation herbeizuführen.26 Die mit der Kosten-Nutzen-Bewertung einhergehende Hoffnung, „paretianisch optimale Allokationseffizienz“27 zur „Verteilung“ des begrenzten Gutes Gesundheit herzustellen, ist jedoch nur teilweise einlösbar. Einer direkten Übertragung des wohlfahrtsökonomischen Ansatzes auf das System der GKV stehen indes, jedenfalls im Falle ihrer Verwendung zur Bestimmung des Leistungsumfangs, sowohl der aus dem Sozialstaatsprinzip erwachsende Solidaritätsgedanke der GKV als auch die grundrechtliche Einkleidung der Leistungsumfangsbestimmung der GKV entgegen.28 Die konkrete Durchführung der Kosten-Nutzen-Bewertung im Arzneimittelbereich ist auch noch mehrere Jahre nach ihrer Einführung umstritten. Sie hat eine Flut 24
Die Analyse des Kosten-Nutzen-Verhältnisses stellt ein auf der Wohlfahrtstheorie beruhendes, vor allem in öffentlichen Haushaltswirtschaften angewendetes Verfahren zur vergleichenden Bewertung von Objekten oder Handlungsalternativen dar, vgl. Gablers Wirtschaftslexikon, S. 1846. Teilweise wird unter Kosten-Nutzen-Bewertung auch „ein Verfahren, bei dem sämtliche Vor- und Nachteile einer Verwaltungsmaßnahme weitestmöglich quantifiziert sowie in Geldwerten ausgedrückt (monetär bewertet) und so besser vergleichbar gemacht werden“ verstanden, so Fehling, Kosten-Nutzen-Analysen als Maßstab für Verwaltungsentscheidungen, VerwArch 95 (2004), S. 443 ff. (444). Aufgrund mangelnder objektiver Quantifizierbarkeit – monetärer Bewertbarkeit – des Gutes Gesundheit wird die Kosten-NutzenBewertung hier stärker als Gegenüberstellung mittels Vergleich der Handlungsalternativen verstanden, sodass die Wertentscheidung zwischen diesen nicht zuvor im Rahmen der monetären Bewertung getroffen wird, sondern offen zu legen ist. 25 Von einer angebotsinduzierten Nachfrage spricht man, da das Angebot die Nachfrage in der GKV hervorruft und die Leistungserbringer aufgrund ihrer Vergütung anhand der Leistungsnachfrage ein eigenes Interesse im Rahmen ihrer Feststellung der Nachfrage (Krankheit) verfolgen, siehe Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 69; Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 108 f. 26 Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 59 ff.; Ott/Schäfer, Die ökonomische Analyse des Rechts – Irrweg oder Chance wissenschaftlicher Rechtserkenntnis?, JZ 1988, S. 213 ff. (216). 27 Fezer, Kritik der ökonomischen Analyse des Rechts, JZ 1986, S. 817 ff. (820), wobei die Kosten-Nutzen-Bewertung von ihrem Ansatz her allerdings eher dem Kaldor-Hicks-Prinzip folgt, siehe hierzu § 2 B. III. 28 Siehe zur verfassungsrechtlichen Grundlegung des Wirtschaftlichkeitsprinzips und der Kosten-Nutzen-Bewertung § 3 C. VIII., IX. und D.
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von Veröffentlichungen zu unterschiedlichen Problemen dieser, sowohl im Hinblick auf das Verfahren als auch der materiell-rechtlichen Art und Weise der Durchführung wie auch Anwendung, ausgelöst.29 Zum einen aufgrund fehlender valider Daten für die Nutzenbewertung nach den Methoden der evidenzbasierten Medizin, zum anderen aufgrund der umstrittenen Methodik der ökonomischen Bewertung, ist eine Kosten-Nutzen-Bewertung bisher, trotz des Vergehens mehrerer Jahre seit ihrer Einführung, kaum durchgeführt worden.30 Um den Wirkungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen in der GKV zu bestimmen, ist zunächst zu untersuchen, wie sich die gemäß § 35b SGB V anzustellende Kosten-Nutzen-Bewertung in das Gefüge der Leistungserbringung der GKV einfügt und wie ihre konkrete Ausgestaltung durch und in der Gestalt des IQWiG formell und materiell erfolgt ist. Relevant ist hierbei auch, inwieweit die durch das IQWiG durchgeführten Kosten-Nutzen-Bewertungen vom GBA direkt umgesetzt werden können bzw. welche weiteren rechtlichen Parameter von ihm anzulegen sind. Im Anschluss hieran ist angesichts der Einführung dieses speziellen Bewertungsansatzes und seines bereits bestehenden Einflusses auf den Leistungskatalog der GKV zu überdenken, inwieweit derartige Aspekte bei der Bestimmung des Leistungsumfanges im Rahmen der §§ 12 Abs. 1 und 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6, Abs. 2 SGB V berücksichtigt werden können.31 Trotz der festzustellenden Anlehnung sowohl im Hinblick auf die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung als auch hinsichtlich der diese durchführenden Organisation an die in England/Wales und Australien durchgeführten Kosten-Nutzen-Bewertungen,32 ist vor dem Hintergrund der Ausgestaltung des deutschen Gesund-
29 Siehe hierzu bspw. die auf die Veröffentlichung der Methodenpapiere des IQWiG folgende Diskussion zur Anwendung des § 35b SGB V bei Koch/Sawicki, Die Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen von medizinischen Verfahren, MedR 2010, S. 240 ff.; Deter, Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln als Rechtsproblem, MedR 2010, S. 249 ff.; Hess, Kosten-Nutzen-Bewertung im deutschen Gesundheitswesen, Ein Kommentar aus Sicht der Selbstverwaltung, Gesundheitswesen 2009 S. 54 ff. 30 Hinsichtlich medizinischer Methoden zur Behandlung depressiver Erkrankungen wird eine Kosten-Nutzen-Analyse derzeit vom IQWiG vorgenommen, vgl. IQWiG, Kosten-NutzenBewertung von Vanlafaxin, Duloxetin, Bupropion und Mirtazapin im Vergleich zu weiteren verordnungsfähigen medikamentösen Behandlungen, Vorbericht G09 – 01, Version 1.0, Stand vom 09. 11. 2012. 31 Zum Einfluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf den Leistungskatalog der GKV siehe § 3. 32 In Australien werden Kosten-Nutzen-Bewertungen durch die PBAC (Pharmaceutical Benefit Committee) vorwiegend im Bereich von Arzneimitteln durchgeführt und von der PBPA (Pharmaceutical Benefit Pricing Authority) im Rahmen von Preisverhandlungen mit den Arzneimittelherstellern berücksichtigt. In England und Wales führt das NICE, ein unabhängiges Institut, welches in das NHS (National Health System) eingebunden ist, Kosten-Nutzen-Bewertungen zwar für das gesamte medizinische Spektrum durch, zahlenmäßiges Hauptanwendungsgebiet mit etwa 2/3 der Bewertungen sind hier jedoch ebenfalls Arzneimittel. Vgl. hierzu Kulp/v. d. Schulenburg, Insti-
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heitssystems eine kritische Analyse der Übertragbarkeit dieser im Ausland bereits erprobten Ansätze in das deutsche Sozialrecht notwendig. Eine unmittelbare Übertragung des institutionellen Settings, des Verfahrens sowie der Ergebnisse von Kosten-Nutzen-Bewertungen aus anderen Rechtssystemen kann jedenfalls nicht erfolgen.
A. Zugangs- und Preisregulierung für Arzneimittel Zum Verständnis der durch die Einführung der Kosten-Nutzen-Bewertung für die Leistungserbringung der GKV im Bereich der Arzneimittelversorgung bewirkten Neuerungen und ihrer Besonderheiten gegenüber anderen Formen der Leistungserbringung der GKV, wird das Leistungsgefüge des SGB V in Bezug hierauf zunächst kurz zusammenfassend erläutert. Dabei werden einige grundlegende Fragen berührt, die im weiteren Verlauf der Arbeit noch tiefergehend rechtlich erörtert werden. Die für die Gesamtsystematik der Wirtschaftlichkeitssicherung der GKV relevanten Fragen werden insbesondere in § 3 näher behandelt.
I. Grundsätze des Leistungsgefüges im Arzneimittelbereich Aufgrund der Geltung des § 35b SGB V im Bereich der Arzneimittelversorgung ist der Anwendungsrahmen der Kosten-Nutzen-Bewertung wie auch ihre Funktion vor dem Hintergrund der Ausgestaltung des Leistungskatalogs der GKV in diesem Bereich zu betrachten. Insbesondere hinsichtlich der Überprüfung der nach § 12 Abs. 1 SGB V grundsätzlich geforderten Wirtschaftlichkeit der Leistungen der GKV sind hier, aufgrund der Art und Weise der Zugangs- und Preisregulierung, einige Defizite festzustellen. Als eine der Hauptfunktionen des § 35b SGB V wird daher – neben dem über § 12 Abs. 1 SGB V hinausgehenden Anwendungsbereich – die Sicherstellung der ohnehin bereits geforderten Wirtschaftlichkeit angesehen.33 Allerdings werde durch die Möglichkeit, das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu überprüfen,34 stärker die praktische
tutionen der Vierten Hürde, in: Schöffski/v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 434 ff. 33 So Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 177. 34 Insbesondere die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V führt aufgrund der Ermittlung des Bestehens eines Zusatznutzens bzw. der Feststellung des Fehlens eines solchen und der hierfür zu entrichtenden Kosten bereits zur Ermöglichung der praktischen Umsetzung der Vorgaben des § 12 Abs. 1 SGB V durch den GBA, hierzu sogleich näher.
A. Zugangs- und Preisregulierung für Arzneimittel
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Umsetzung als der rechtliche Anwendungsbereich erweitert.35 Dem ist mit Blick auf die Struktur der Leistungsbestimmung im Arzneimittelbereich allerdings – insbesondere in Anbetracht des Anwendungsbereichs von § 35a SGB V – nur teilweise zuzustimmen. Die Leistungsgewährung von Arzneimitteln in der GKV weicht von der Leistungsgewährung anderer medizinischer Methoden ab. Neben der gesonderten Regelung des Anspruches der Versicherten auf die Versorgung mit Arzneimitteln in § 31 SGB V hängt dies insbesondere damit zusammen, dass der Arzneimittelgewährung durch die GKV eine Arzneimittelzulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) vorgelagert ist.36 Mit dieser wird bei Arzneimitteln eine Entscheidung über die Gewährung einer medizinischen Leistung grundsätzlich außerhalb des SGB V liegend getroffen, sodass sie dem Einflussbereich der GKV weitestgehend entzogen ist.37 Eine sozialversicherungsrechtliche Qualitätssicherung und Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung fand im Bereich der Arzneimittel bis vor einigen Jahren nicht statt.38 Praktisch sämtliche zugelassenen, verschreibungspflichtigen Medikamente waren daher zu Lasten der GKV verordnungsfähig.39 Die fehlende Überprüfung der Qualität und Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels im Rahmen des SGB V ist vielfach als das Fehlen einer „vierten Hürde“ bezeichnet worden. Im Gegensatz zum Arzneimittelrecht wird insbesondere bei Untersuchungsund Behandlungsmethoden eine Überprüfung der in § 12 Abs. 1 SGB V für die Leistungserbringung geforderten Kriterien vorgenommen, bevor sie als Leistung der GKV zugelassen werden.40 Gemäß § 135 Abs. 1 SGB V kann die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode erst nach Ergehen einer positiven Empfehlung des GBA im Hinblick auf den diagnostischen und therapeutischen Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit auf Kosten der GKVerbracht werden. 35 Vgl. Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 177, hierzu dürfte jedoch nach der hier im Ergebnis vertretenen Auffassung an sich die nach § 35a SGB V durchzuführende Nutzenbewertung bereits ausreichen. 36 Zum Ablauf und den konkreten Voraussetzungen der Arzneimittelzulassung nach dem AMG siehe Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 51 ff. 37 Vgl. hierzu Francke, Die regulatorischen Strukturen der Arzneimittelversorgung nach dem SGB V, MedR 2006, S. 683 ff. (683 f.). 38 Im Rahmen der Arzneimittelzulassung nach § 21 iVm § 25 Abs. 1, Abs. 2 AMG wird bei Fertigarzneimitteln „lediglich“ überprüft, ob das Arzneimittel nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ausreichend geprüft worden ist, eine angemessene pharmazeutische Qualität aufweist, die therapeutische Wirksamkeit in ausreichendem Maße nachgewiesen und das Nutzen-Risiko-Verhältnis günstig ist. Insoweit erfolgt insbesondere eine Risikoprüfung, die Sicherstellung der Verkehrsfähigkeit, sowie die Feststellung der grundsätzlichen Wirksamkeit, nicht jedoch eine Bewertung, ob gegenüber bereits von der GKV erbrachten Leistungen ein hinausgehender Nutzen gegeben oder das Arzneimittel wirtschaftlich ist. 39 Kingreen, Zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2011, S. 441 ff. (442). 40 Kingreen, Zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2011, S. 441 ff. (441).
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Vor der Anwendung eines Arzneimittels im Rahmen der GKV wird dieses gemäß § 25 Abs. 1 und Abs. 2 AMG von der zuständigen Bundesoberbehörde in einem in drei Schritte unterteilten Zulassungsverfahren auf seine therapeutische Wirksamkeit, medizinische Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität untersucht.41 Die Entscheidung der Bundesoberbehörde über die Zulassung hat nach der derzeitigen Rechtsprechung des BSG für die GKV je nach Ausgang verschiedene Konsequenzen: Eine negative Entscheidung über die arzneimittelrechtliche Zulassung zieht einen Ausschluss des Leistungsanspruchs der Versicherten gegen die GKVauf dieses Arzneimittel nach sich (negative Vorgreiflichkeit).42 Eine positive Entscheidung hingegen fingiert sozusagen das Vorliegen der Mindeststandards, die an die Leistungen der GKV insbesondere gemäß §§ 2 Abs. 1 iVm 12 Abs. 1 SGB V43 gestellt werden (positive Vorgreiflichkeit). Eine weitere, etwa dem § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V bei Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vergleichbare Prüfung wird durch die Selbstverwaltung der GKV vor der Gewährung des Arzneimittels nicht mehr durchgeführt. Erst nachträglich ist ein Ausschluss bzw. eine Einschränkung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels in der Leistungserbringung der GKV durch eine Entscheidung des GBA nach § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6 iVm Abs. 2 SGB V möglich. Dieser meist einige Jahre nach erfolgtem Eingang in die Versorgung der Krankenversicherung liegende Ausschluss kann neben der Überprüfung des Nutzens auch auf Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten beruhen.44 Während im Bereich der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden für die Überprüfung der Kriterien des § 12 Abs. 1 SGB V mit § 135 SGB V ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt statuiert wird,45 gilt – mit der Ausnahme, dass nach § 25 AMG eine Prüfung der grundsätzlichen Wirksamkeit des Arzneimittels erfolgt – für Arzneimittel eine Art „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“. Bezugspunkt des Verbotsvorbehalts ist vornehmlich die Wirtschaftlichkeit des Arzneimittels. Eine Divergenz besteht insoweit insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts der Prüfung der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne. Als rechtlicher Grund für diese unterschiedliche Regelung lässt sich allein die vorgelagerte „Sicherheitsüberprüfung“ der Arzneimittel nach § 25 AMG anführen. Diese beseitigt jedoch nicht die Defizite im Hinblick auf die mangelnde ökonomische Prüfung. Die im Bereich der Arzneimittel nachgelagerte Prüfung der Kriterien des § 12 Abs. 1 SGB V, die Kontrolle des insbesondere in ökonomischer Hinsicht relevanten Verbotsvorbehalts, findet durch den GBA statt. Hierbei verfügt der GBA über un41 Zur Grundstruktur der Arzneimittelversorgung in der GKV siehe insbesondere Francke, Die regulatorischen Strukturen der Arzneimittelversorgung nach dem SGB V, MedR 2006, S. 683 ff. 42 BSGE 95, 132 (134 f.). 43 BSGE 89, 184 (185). 44 BSGE 96, 261 (269 f.) sowie die anschließende Klarstellung durch den Gesetzgeber in BT-Drs. 16/691, S. 17. 45 Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 135 Rn. 27. Dasselbe gilt gemäß § 138 SGB V für von der GKV nach § 32 SGB V zu gewährende Heilmittel.
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terschiedliche Möglichkeiten, die Forderung der Wirtschaftlichkeit des Leistungskataloges der GKV umzusetzen. Gemäß § 35 SGB V iVm § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V können Festbeträge für näher bestimmte Arzneimittel festgesetzt werden. Darüber hinaus bestehen Ausschluss- bzw. Einschränkungsmöglichkeiten des GBA (§ 92 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 6, Abs. 2 S. 9 SGB V), die dazu führen, dass ein Arzneimittel grundsätzlich oder innerhalb eines bestimmten Anwendungsbereiches bzw. für eine konkrete Patientengruppe nicht zur Anwendung gelangt. Weiterhin kann der GBA nach § 92 Abs. 2 S. 1 bis 8 SGB V auch Therapiehinweise für die Einzelfallanwendung erlassen,46 sollte es aufgrund eines nicht nur geringen Zusatznutzens in bestimmten Anwendungsbereichen nicht zu einem grundsätzlichen Ausschluss des Arzneimittels kommen.47 Auf diese Weise können Zusatznutzen, die zwar im Regelfall nicht als relevant anzusehen sind, aber im Einzelfall, etwa bei einem geringen Anteil von Patienten, einen relevanten Nutzen hervorrufen, berücksichtigt werden. Während mit den Therapiehinweisen das „Wie“ der Arzneimittelleistungen der GKV durch den GBA geregelt wird, betreffen Ausschluss und Verordnungseinschränkung das „Ob“ der Leistung.48 Die Therapiehinweise nehmen auf die Frage der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise eines Arztes nach § 106 SGB V49 Einfluss und steuern hierüber, ohne einen direkten Leistungsausschluss zu beinhalten, die Abgabe der Arzneimittel an die Versicherten.50 Mit diesen Möglichkeiten des GBA ist sowohl eine Qualitätssicherung als auch eine Wirtschaftlichkeitskontrolle in der Arzneimittelversorgung gewährleistet. Sie erfolgt jedoch nach wie vor erst nachgelagert und somit nach teils jahrelanger Tragung zusätzlicher Kosten durch die GKV, die später von dem GBA für unangemessen erachtet werden. Dies scheint dem in § 12 Abs. 1 SGB V statuierten Grundprinzip zu widersprechen, welches für sämtliche Leistungen der GKV zu jedem Zeitpunkt fordert, dass sie unter anderem wirtschaftlich sein müssen. Bei fehlender Wirtschaftlichkeit ist nach § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht nur kein Anspruch der Versicherten gegeben, die Leistung ist von den Leistungserbringern auch 46 Grundlegend zu Therapiehinweisen als Steuerungsinstrument und ihrem Anwendungsbereich Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 71 f.; Wolff, Die Steuerung der Arzneimittelverordnung des Vertragsarztes durch Therapiehinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 44 ff. Zum Einfluss von Therapiehinweisen auf die Leistungserbringung in der GKV und der Verwendbarkeit von Kosten-Nutzen-Bewertungen in diesem Rahmen siehe in diesem Kapitel C. III. 47 Zum Anwendungsbereich von Therapiehinweisen im Gegensatz zu Leistungsausschlüssen bzw. -einschränkungen siehe Abschnitt C. III. dieses Kapitels. 48 Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 35. 49 Gemäß § 106 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit des Verordnungsverhaltens von Vertragsärzten überprüft. Hierbei spielen insbesondere die nach § 84 SGB V gebildeten Richtgrößenvolumina eine Rolle. Es können gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 2 SGB V jedoch auch stichprobenartige Kontrollen durchgeführt werden. Im Rahmen dieser Kontrollen wird gemäß § 106 Abs. 2a Nr. 4 SGB V auch die Angemessenheit der durch die Behandlung verursachten Kosten kontrolliert. 50 Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 307 ff. (309).
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nicht zu bewirken und von der Krankenkasse nicht zu bewilligen. Die Konzeption der Arzneimittelversorgung durch die GKV stimmt mit diesem Grundprinzip jedenfalls in zeitlicher Hinsicht nicht überein. Arzneimittel werden bereits nach erfolgter Prüfung von Sicherheit und Wirksamkeit in den Leistungskatalog aufgenommen, ohne dass ihr Nutzen und ihre Wirtschaftlichkeit kontrolliert worden wäre. § 35b SGB V sowie vornehmlich die in § 35a SGB V eingeführte frühe Nutzenbewertung sollen dazu führen, dass diese Divergenz zwischen der grundsätzlichen Forderung nach der Wirtschaftlichkeit der Leistungen der GKV und der tatsächlichen Leistungserbringung im Bereich der Arzneimittelversorgung reduziert wird.51 Die grundsätzliche Forderung des § 12 Abs. 1 SGB V wird damit im Arzneimittelbereich mittlerweile verstärkt umgesetzt.52 Dies erfolgt vor allem über die in § 35a SGB V geregelte, sogenannte frühe Nutzenbewertung. § 35a SGB V sieht für sämtliche Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen vor,53 dass sie im Anschluss an ihre Zulassung und ihr Inverkehrbringen einer Nutzenbewertung im Hinblick auf das Bestehen einer zweckmäßigen Vergleichstherapie zu unterziehen sind. Mittels § 35a SGB V soll vor allem das Bestehen eines medizinischen Zusatznutzens und dessen Ausmaß gegenüber Vergleichstherapien ermittelt werden.54 Auf dieser Grundlage kann bereits in weitem Umfang über die weitere Art und Weise der Gewährung der Therapie im Rahmen der GKV entscheiden werden. Neben der Ausrichtung auf die Ermittlung des Bestehens eines Zusatznutzens bzw. einer therapeutischen Verbesserung werden im Rahmen dieser frühen Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 1 S. 3 Nr. 5 SGB V auch bereits die Therapiekosten für die GKV ermittelt.55 Sollte sich im Rahmen dieser Bewertung ergeben, dass das neue, pharmakologisch-therapeutisch mit anderen Fertigarzneimitteln vergleichbare Arzneimittel keine therapeutische Verbesserung bewirkt, wird es gemäß § 35a Abs. 4 iVm § 35 Abs. 1 SGB V einer Festbetragsgruppe zugeordnet. Insoweit stellt § 35a Abs. 5 SGB V eine Ausnahme zur Regelung des § 35 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 SGB V dar, der Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen oder solche, deren Wirkungsweise neuartig ist, grundsätzlich als nicht festbetragsfähig einordnet. Indirekt wird insoweit mittels der sogenannten frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V die Festbetragsfähigkeit auf patentgeschützte Arzneimittel und solche mit neuartiger Wirkungsweise erweitert, wenn sich eine therapeutische Verbesserung durch diese im Rahmen der frühen Nutzenbewertung nicht feststellen lässt. Aufgrund des Verweises von § 35a Abs. 4 S. 1 auf § 35a Abs. 1 S. 4 SGB V gilt diese Erweiterung der Festbetragsfähigkeit von Arzneimitteln mit patentgeschützten Wirkstoffen oder 51 Burgardt, Verfahren der frühen Nutzenbewertung, in: Voit (Hrsg.), Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes – Veränderungen und Perspektiven, S. 9 ff. (19 ff.). 52 BT-Drs. 16/3100, S. 103. 53 Eine Neuartigkeit der Wirkstoffe und damit fehlende Festbetragsfähigkeit ist gemäß § 35 Abs. 1 S. 4 SGB V anzunehmen, solange der erste in einer Festbetragsgruppe in Verkehr gebrachte Wirkstoff dieser Art noch unter Patentschutz steht. 54 § 35a Abs. 1 S. 2 SGB V. 55 Vgl. § 35a Abs. 1 S. 3 Nr. 5 SGB V.
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neuartiger Wirkungsweise aber nur bei Bestehen einer pharmakologisch-therapeutischen Vergleichbarkeit56 mit bereits in Festbeträge eingeordneten Arzneimitteln. In einem Teilbereich der innovativen Arzneimittel – in sämtlichen Fällen in denen keine therapeutische Verbesserung bewirkt wird – lässt sich also bereits mittels der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V eine Kostenreduzierung durch die Einordnung in eine Festbetragsgruppe erreichen. Hierdurch wird bereits – jedenfalls numerisch betrachtet – für einen Großteil der innovativen Arzneimittel die Wirtschaftlichkeit sichergestellt. Insoweit werden von § 35a Abs. 4 iVm § 35 Abs. 1 SGB V diejenigen Arzneimittel erfasst, die der Befugnis des GBA nach § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, Abs. 2 SGB V, Arzneimittel wegen Unwirtschaftlichkeit aus dem Leistungskatalog der GKV auszuschließen, unterfallen würden.57 Hinsichtlich sämtlicher nicht einer Festbetragsgruppe zuordenbaren Arzneimitteln werden gemäß § 130b Abs. 1 S. 1 SGB V zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (= SpiBu) und dem pharmazeutischen Unternehmen Verhandlungen über die Höhe des durch die GKV zu leistenden Erstattungsbetrages geführt.58 Da die in § 35b SGB V geregelten Kosten-Nutzen-Bewertungen gemäß § 130b Abs. 8 iVm § 35b Abs. 1 S. 2 SGB V insbesondere für die Rabattverhandlungen erstellt werden, ergibt sich aus dem dargestellten Zusammenspiel von § 35, § 35a und § 130b SGB V ihr Anwendungsbereich. Im Ergebnis hat daher im Rahmen der Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V meist die Bewertung eines relevanten Zusatznutzens zu erfolgen.59 Bei einem noch als vergleichbar bzw. gleichwertig angesehenen Nutzen60 mit anderen Festbetragsarzneimitteln erfolgt eine Einordnung in eine Festbetragsgruppe gemäß § 35a Abs. 4 iVm § 35 Abs. 1 SGB V. Eine Ausnahme hiervon stellt lediglich die Möglichkeit des § 35a Abs. 5a SGB V dar, nach welchem ein Pharmaunternehmen eine Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V beantragen kann, obwohl das Bestehen eines Zusatznutzens bzw. einer therapeutischen Verbesserung durch den GBA 56 Gemäß § 22 VerfO-GBA in der Fassung vom 18. Dezember 2008, zuletzt geändert am 19. Januar 2012, versteht der GBA unter pharmakologisch-therapeutischer Vergleichbarkeit, dass neben einem vergleichbaren Wirkungsmechanismus eine Zulassung der Arzneimittel zumindest in einem gemeinsamen Anwendungsgebiet besteht. 57 Dieser Anwendungsbereich wird detailliert noch unter § 2 C. II. und § 3 herausgearbeitet. 58 Die Rabattierung des Preises wird bei Abgabe durch das pharmazeutische Unternehmen über den Großhandel an die Apotheken und damit an die Krankenkassen gewährt, vgl. § 130b Abs. 1 S. 3 – 5 SGB V. 59 Vgl. IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten, Version 1.0 v. 12. 10. 2009, S. 14; anders Reese, Zum „off-label-use“ von Arzneimitteln, in: Reese/Hufnagel/Lensing-Kramer (Hrsg.), FS Doepner, S. 305 ff. (311), der allerdings vom Sinn und Zweck des § 35b SGB V her im Rahmen der Rechtslage vor Erlass des AMNOG argumentiert. 60 Wann eine therapeutische Verbesserung anzunehmen ist, regelt § 35 Abs. 1b S. 1 SGB V, der bei einem therapierelevanten höheren Nutzen und deshalb regelmäßiger Anwendung der Therapie zumindest im Hinblick auf eine relevante Patientengruppe eine solche annimmt. Siehe hierzu auch § 3 D. II. 2.
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
abgelehnt wurde. Aufgrund der Kostentragung durch das Unternehmen und der unbeschadeten Festsetzung eines Festbetrages dürfte dies jedoch praktisch – allein schon aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen – einen seltenen Anwendungsfall darstellen.61 Aus diesem Grund ist die Verstärkung der Umsetzung des § 12 Abs. 1 SGB Veher darauf zurückzuführen, dass aufgrund der nach § 35a SGB V durchzuführenden sogenannten „frühen“ Nutzenbewertung nunmehr valide Daten zum tatsächlich generierten zusätzlichen Nutzen eines Arzneimittels gegenüber Therapiealternativen vorliegen. Angesichts der ebenfalls erfolgenden Kostenermittlung kann auf der Grundlage des § 35a SGB V eine Wirtschaftlichkeitsüberprüfung durch den GBA durchgeführt werden. Dass mit § 35b SGB V ein in besonderem Maße gesundheitsökonomisch orientiertes Verfahren zur Bewertung des Verhältnisses zwischen Nutzengewinn und Kostenverursachung eingeführt wurde, ist somit nicht der Hauptfaktor der verstärkten Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Bereich der innovativen Arzneimittel. Diese Art der Wirtschaftlichkeitssicherung wird bereits durch § 35a SGB Verreicht. Der derzeit geringere Einfluss von § 35b SGB V ist letztlich daher auch darauf zurückzuführen, dass sich sein Anwendungsbereich von dem des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 iVm § 12 SGB V unterscheidet. Diese Divergenz wird im Weiteren noch näher herausgearbeitet werden. Eine „vierte Hürde“62 im eigentlichen Sinne, wie sie mit § 135 SGB V für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vorgesehen ist, stellt die Ausweitung der Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeitskontrolle über die Möglichkeit der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V und Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V indes nicht dar.63 Nach wie vor ergeht ein Ausschluss aus Wirtschaftlichkeitsgründen erst, nachdem das Arzneimittel bereits einige Zeit auf Kosten der GKV erbracht wurde.
61 So auch v. d. Schulenburg, Entscheidungsunterstützung durch gesundheitsökonomische Evaluation in Deutschland aus Perspektive der Wissenschaft, Bundesgesundheitsbl. 2012, S. 660 ff. (664). 62 Die Bezeichnung der „Vierten Hürde“ leitet sich aus einer Zählung der Kriterien für die Zulassung eines Arzneimittels zusammen mit den Voraussetzungen der Erstattungsfähigkeit im Rahmen der GKVab, vgl. Kulp/v. d. Schulenburg, Institutionen der Vierten Hürde, in: Schöffski/ v. d. Schulenburg, Gesundheitsökonomischer Evaluationen, S. 429 ff. (429). 63 So auch Hauck, Ausschluss, Therapiehinweis und Kostenregelungen, GesR 2011, S. 69 ff. (70). Axer hingegen versteht die „vierte Hürde“ stärker von der Funktion her und hält daher ein Verfahren zur Beschränkung und Modifikation des Marktzuganges durchaus für eine „vierte Hürde“, Axer, Arzneimittel als spezifische Regulierungsform, in: Wallrabenstein (Hrsg.), Braucht das Gesundheitswesen ein eigenes Regulierungsrecht, S. 83 ff. (92). So im Ergebnis auch Martini, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – eine bittere Pille oder süßes Gift für das Gesundheitswesen?, WiVerw 2009, S. 195 ff. (201).
A. Zugangs- und Preisregulierung für Arzneimittel
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II. Steuerungsmaßnahmen des Gesetzgebers zur Kostendämpfung im Arzneimittelbereich (Preisregulierung) Betrachtet man die Systematik des Arzneimittelversorgungsrechts, sind mehrere Ebenen hinsichtlich der speziellen Regelungen der wirtschaftlichen Versorgung durch die GKV zu unterscheiden.64 Nach und nach hat der Gesetzgeber immer wieder an unterschiedlichen Stellen mittels verschiedenster Regulierungsansätze und Anreizsetzungen versucht, den Ausgabenanstieg in der GKV in den Griff zu bekommen. Hierfür wurde an unterschiedlichen systematischen Punkten der Gewährung von Arzneimitteln durch die GKV angesetzt.65 Der grundsätzliche Anspruch der Versicherten auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln nach § 31 Abs. 1 SGB V wird im Hinblick auf Wirtschaftlichkeitsüberlegungen sowohl direkt formell-gesetzlich als auch auf der Grundlage von § 92 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V durch die Richtlinien des GBA beschnitten. In §§ 31 Abs. 1 und 34 Abs. 1 SGB V finden sich Ausschlüsse für bestimmte Arzneimittelgruppen, die aufgrund fehlender Apotheken- und Verschreibungspflichtigkeit als nicht wesentlich eingestuft werden. Sie betreffen nur geringfügige Beschwerden und werden teilweise auch als „Lifestyle-Arzneimittel“ bezeichnet. Derartige Ausschlüsse lassen sich auf den Gedanken der Eigenverantwortlichkeit zurückführen, der in § 2 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 SGB V zu einem Grundprinzip und gleichzeitig zur Leistungsgrenze der GKV erklärt wird. Diese Ausschlüsse wirken jedoch lediglich punktuell und beeinflussen nicht die Zugangsund Preisregulierung für Arzneimittel in der GKV. Hinsichtlich der Preisregulierung der von der GKV gewährten Arzneimittel sind vielmehr die §§ 129 ff. SGB V ausschlaggebend.66 Mit §§ 130a, 130b und 131 SGB V bestehen Regelungen, die Einfluss auf den Abgabepreis eines Arzneimittels
64 So unterscheidet bspw. Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 136 f. zwischen imperativer und influenzierender Steuerung. Inwieweit eine Systematik der Wirtschaftlichkeitssteuerung im Arzneimittelrecht besteht und wie § 35b SGB V sich in diese einfügt, ist jedoch lediglich am Rande Gegenstand dieser Arbeit, sodass eine Vertiefung der Steuerungsmaßnahmen nach kooperativen und imperativen Ansätzen nicht erfolgt, zumal häufig im Hintergrund der Kooperation die Drohung imperativer Steuerung steht. 65 Zur „Unstetigkeit und Sprunghaftigkeit“ des Gesetzgebers in der Umsetzung der Wirtschaftlichkeit im Arzneimittelbereich, Axer, Arzneimittelregulierung als spezifische Regulierungsform, in: Wallrabenstein (Hrsg.), Braucht das Gesundheitswesen ein eigenes Regulierungsrecht?, S. 83 ff. (85). 66 Auf § 78 AMG sowie die auf seiner Grundlage erlassene Arzneimittelpreisverordnung wird im Folgenden nicht eingegangen, da beide einen einheitlichen Apothekenabgabepreis gewährleisten, auf die hier fragliche Wirtschaftlichkeitssicherung jedoch nicht von Einfluss sind.
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
über die Apotheken an die GKV nehmen.67 § 130a SGB V bestimmt unterschiedliche Abschläge auf den Abgabepreis je nach Art des Arzneimittels68 und § 130a Abs. 8 SGB V sieht die Möglichkeit vor, Rabattverträge abzuschließen. Abgeschlossen wurden Rabattverträge jedoch fast nur im Bereich von Arzneimitteln mit nicht patentgeschützten Wirkstoffen.69 Um diese Lücke zu schließen, fordert § 130b SGB V nunmehr auch Vereinbarungen zwischen dem SpiBu und den pharmazeutischen Unternehmen über den Erstattungsbetrag innovativer Arzneimittel.70 Bei letzteren wird der Erstattungsbetrag nicht nur für die GKV, sondern auch für die PKV vereinbart. Dies ergibt sich zum einen aus § 78 Abs. 3a AMG, zum anderen zeigt sich dies an der in § 130b Abs. 1 S. 1 SGB V geregelten Abstimmung mit dem Verband der privaten Krankenversicherung und der grundsätzlichen Festsetzung eines Erstattungsbetrages als Rabatt auf den Abgabepreis. In diese Regelungssystematik fügt sich § 35b SGB V ein. Kosten-Nutzen-Bewertungen können die Grundlage derartiger Vereinbarungen oder eines hierzu nach § 130b Abs. 4 SGB V ergehenden Schiedsspruches bilden. Weitere Bestimmungen, die §§ 129 bis 130 SGB V, regeln die vertragsärztliche Verordnung eines Arzneimittels und die anschließende Abgabe dieser verordneten Arzneimittel von Apothekern an die Patienten. Hier ist insbesondere vorgesehen, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein teureres Arzneimittels durch eine wirkstoffgleiche, günstigere Alternative ersetzt werden kann.71 Dies geschieht wiederum gemäß § 130 Abs. 1 SGB V zu einem für die Krankenkassen reduzierten Preis. Darüber hinaus werden nach § 84 SGB V Arzneimittelvereinbarungen über das Ausgabenvolumen für Arzneimittel durch die vertragsärztliche Verordnung getrof67 Zum Preisbildungssystem und Ablauf der Erstattung zwischen Apotheken und pharmazeutischen Unternehmen siehe Luthe, Der Pharmarabatt nach § 130a SGB V, SGb 2011, S. 316 ff. (317). 68 Für den Festbeträgen unterfallende Arzneimittel greifen die in § 130a SGB V geregelten Abschläge gemäß § 139a Abs. 3 SGB V nicht. Ansonsten bestimmt § 130a Abs. 1 SGB V eine Art „Grundrabatt“ von 6 % für sämtliche zu Lasten der GKV abgegebenen Arzneimittel. Für verschreibungspflichtige Arzneimittel wird dieser von den pharmazeutischen Unternehmen über die Apotheken zu gewährende Abschlag hinsichtlich seiner Höhe erweitert und zeitlich gestaffelt. 69 Schweitzer/Becker, Preisregulierung und Wettbewerb in der Arzneimittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung (Teil 1), WRP 2012, S. 382 ff. (383). Zum Anwendungsbereich und der Schaffung weiterer Anreize für den Abschluss von Rabattvereinbarungen nach § 130a Abs. 8 SGB V siehe Dieners, Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V – Inhalt und Grenzen, in: Waltersleben/Hoffmann/Klapszus/Posterner (Hrsg.), Iuri Pharmaceutico, S. 31 ff. (61 ff.). 70 Parallel zu diesen Regelungen zum Abschluss von Rabattverträgen bzw. gesetzlicher Anordnung von Rabatten sieht § 78 Abs. 3 S. 1 AMG ein Rabattverbot der Pharmaunternehmen ggü. dem Großhandel und den Apotheken vor. 71 Diese Regelung trifft § 129 Abs. 1 SGB V, wobei die Ersetzung durch die Apotheker nur vorgenommen werden darf, wenn der Arzt von seinem Recht, ein konkretes Arzneimittel zu verordnen keinen Gebrauch gemacht oder eine Ersetzung nicht ausgeschlossen hat.
A. Zugangs- und Preisregulierung für Arzneimittel
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fen. Auf deren Grundlage werden wiederum fallbezogene Richtgrößen für die unterschiedlichen Arztgruppen gebildet.72 Das Ausgabenvolumen wie auch die Richtgrößen sollen eine an dem tatsächlichen Versorgungsbedarf ausgerichtete Ausgabensteuerung und -planung ermöglichen.73 Nach § 106 Abs. 5a SGB V sind die gemäß § 84 Abs. 6 SGB V gebildeten Richtgrößen außerdem in die Wirtschaftlichkeitsprüfung der ärztlichen Verordnungsweise ausdrücklich einbezogen. Hieraus ergibt sich eine gewisse Steuerungswirkung. Die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung wird über eine Anpassung der Verordnungsweise der Ärzte versucht sicherzustellen. Die beiden zuletzt genannten Maßnahmen stellen allerdings aufgrund ihrer Erstellung anhand der tatsächlichen Ausgaben und ihrer der tatsächlichen Entwicklung folgenden Fortschreibung74 keine Ausgabenbeschränkung im eigentlichen Sinne dar.75 Dies gilt unabhängig davon, dass die Richtgrößen teilweise praktisch so wirken mögen. Sinn und Zweck der Richtgrößen ist, die tatsächlichen Ausgaben der einzelnen Arztgruppen im Durchschnitt widerzuspiegeln. Die Richtgrößen dienen damit der Feststellung bzw. Prognose des Ausgabenvolumens der GKV für Arzneimittel in den kommenden Jahren und nicht der Leistungseinschränkung.76 Festzuhalten ist, dass trotz der vielgestaltigen Regelungen zum Abgabepreis von Arzneimitteln in Deutschland der Arzneimittelpreis nach der Arzneimittelpreisverordnung, anders als in einigen anderen Ländern der Europäischen Union, grundsätzlich – auch weiterhin – vom Hersteller bestimmt wird.77 Mit Ausnahme der Festbeträge,78 den inzwischen abgeschafften Höchstbeträgen79 und den Rabattver72 Siehe hierzu im Detail Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 84 Rn. 2 ff. 73 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 84 Rn. 2. 74 Diese Art der Fortschreibung zeigt sich in § 84 Abs. 2 SGB V. 75 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 84 SGB V Rn. 6 ff.; Clemens, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 36 Rn. 120 zur Berechnung der Richtgrößen. 76 Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 138. 77 Francke, Die regulatorischen Strukturen der Arzneimittelversorgung nach dem SGB V, MedR 2006, S. 683 ff. (683); Hauck, Ausschluss, Therapiehinweis und Kostenregelungen, GesR 2011, S. 69 ff. (72); Schweitzer/Becker, Preisregulierung und Wettbewerb in der Arzneimittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung (Teil 1), WRP 2012, S. 382 ff. (383 f.). 78 Durch die Einführung einer frühen Nutzenbewertung neuartiger Arzneimitteln nach § 35a SGB V sollte u. a. der Zeitraum, in welchem eine Einordnung in eine Festbetragsgruppe noch nicht erfolgen konnte und das pharmazeutische Unternehmen daher den Preis frei bestimmen konnte, obwohl letztlich kein Zusatznutzen durch das Arzneimittel hervorgerufen wurde, verkürzt werden, vgl. Ehlers/Wenke, Erstattungsfähigkeit neuartiger Arzneimitteltherapien, Bundesgesundheitsbl. 2011, S. 849 ff. (852). 79 Welche – ähnlich den Festbeträgen, jedoch nur für ein konkretes Arzneimittel – den durch die GKV höchstens zu leistenden Erstattungsbetrag festlegten und die Versicherten hinsichtlich der darüber hinausgehenden Kosten auf die eigene Aufbringung verwiesen.
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
trägen80 greifen die bisherigen Kostenbegrenzungsmechanismen des SGB V die freie Preisbildung durch die Arzneimittelhersteller grundsätzlich nur mittelbar an und verfügen Abschläge zu den vorher durch die Pharmaindustrie festgelegten Preisen.81 Hieran rüttelt der Regelungsansatz von § 35b iVm § 130b SGB V. Die Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses setzt den Kostenvorgaben der Pharmaunternehmen Grenzen. Wegen der Einpassung der Kosten-Nutzen-Bewertung in die Systematik des § 130b SGB V und aufgrund der bestehenden Unklarheiten hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit im Rahmen des § 92 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V, fehlender evidenzbasierter Daten und Methodenstreitigkeiten greift § 35b SGB V derzeit jedoch kaum durch.82 Bei tatsächlich drohendem Ausschluss eines Arzneimittels aufgrund eines schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnisses aus dem Leistungsspektrum der GKV könnte die Preisgestaltung und damit die Gewinnmarge der Pharmaunternehmen indes nachhaltig beeinflusst werden. Eine Ausweitung des Einflusses von KostenNutzen-Bewertungen würde die Leistungsbemessung der GKV reformieren.
B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung § 35b SGB V regelt die Art und Weise der Durchführung einer Kosten-NutzenBewertung. Der direkte Anwendungsbereich der Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V ist aber auf Arzneimittel und dort auf einen stark beschränkten Bereich reduziert, in welchem der medizinische Fortschritt und die damit verbundenen Kostensteigerungen besonders deutlich waren. Da eine Erweiterung des Anwendungsbereichs jedoch nicht ausgeschlossen ist, kann § 35b SGB V als eine Art Erprobung einer wirtschaftswissenschaftlichen Kosten-Nutzen-Bewertung für die Leistungsbemessung der GKV und ihrer Kostenbegrenzung betrachtet werden. Es wird daher insbesondere die organisationsrechtliche Ausgestaltung wie auch die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung paradigmatisch untersucht, um die Möglichkeit der Ausweitung dieses Ansatzes zu klären. 80 Wobei mit Rabattverträgen hier sowohl die nach § 130a Abs. 8 als auch die nach § 130b SGB V geschlossenen bzw. inhaltlich festgesetzten Verträge gemeint sind. 81 Hinsichtlich dieser Abschläge wurde bereits die Vermutung geäußert, dass inzwischen eine Einpreisung dieser Abschläge in die Arzneimittelpreise durch die Pharmaunternehmen erfolgt ist, sodass diese hinsichtlich der Frage der Wirtschaftlichkeit weitgehend wirkungslos sind. Vgl. hierzu etwa Luthe, Der Pharmarabatt nach § 130a SGB V (Teil I), SGb 2011, S. 316 ff. Gegen diese Einpreisung ist zwar mit § 130a Abs. 3a SGB V eine Gegenmaßnahme ergriffen worden, für sogenannte innovative Arzneimittel greifen die hier getroffenen Vorkehrungen gegen eine Einpreisung des Rabattes jedoch nicht. 82 Ebenso die Erklärung von Kingreen, Zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2011, S. 441 ff. (445), welcher daneben noch die Frühbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V für relevanter hält.
B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung
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Trotz der gegenüber § 12 Abs. 1 SGB V durch die Festlegung einiger Maßstäbe und Kriterien dezidierten Regelung der Kosten-Nutzen-Bewertung83 bedurfte es mehrerer Methodenpapiere,84 bis das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) die konkrete Art und Weise der Durchführung dieser Kosten-Nutzen-Bewertung mittels einer bestimmten Methode beschlossen hatte.85 Umstritten ist die Art und Weise der Durchführung jedoch noch immer,86 auch wenn sich mit dem AMNOG die Auswirkungen der Kosten-Nutzen-Bewertung und damit die Fragestellungen in der Praxis verändert haben. Im Hinblick auf drohende faktische Leistungsausschlüsse aufgrund eines ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses hat sich die Thematik jedoch derzeit deutlich entschärft. Im Folgenden wird zunächst der konkrete Anwendungsbereich der KostenNutzen-Bewertung bestimmt und skizziert, welche Änderungen diesbezüglich bereits erfolgt sind. Weiterhin wird der prozedurale Ablauf analysiert. Hierbei wird insbesondere die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung auf ihre Vereinbarkeit mit den rechtlichen Vorgaben untersucht. Außerdem werden die derzeitigen Verwendungsmöglichkeiten und Auswirkungen der nach § 35b SGB V erfolgenden KostenNutzen-Bewertungen, welche den gesetzlichen Grundlagen nicht klar zu entnehmen sind, unter dem Aspekt der Rechtsfolgen von Kosten-Nutzen-Bewertungen vertieft diskutiert. 83 Zum Detaillierungsgrad der Vorgaben des § 35b SGB Vebenso Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (451). Trotz dieser über § 12 Abs. 1 SGB V hinausgehenden Vorgaben für die Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung wird vielfach, allerdings noch im Hinblick auf die Höchstbetragsfestsetzungen, davon ausgegangen, dass § 35b SGB V mangels hinreichender Bestimmtheit verfassungswidrig wäre. Hierzu insbesondere Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (446 ff.); etwas polemisch ebenso Waltersleben, IQWiG – und was noch?, PharmR 2008, 46 ff., der die Regelungen mangels Bestimmtheit für verfassungswidrig hält. Aufgrund der noch darzustellenden derzeitigen geringen unmittelbaren Rechtsfolgen der Kosten-Nutzen-Bewertung, die über die Wirkung des § 12 Abs. 1 SGB V nicht hinausgehen, ist dem jedoch nicht zuzustimmen. Es besteht insoweit ein Zusammenhang zwischen Wesentlichkeitsprinzip, Bestimmtheitsgrundsatz und Umfang der Grundrechtsbeeinträchtigung, vgl. etwa BVerfGE 34, 165 (192 f.); 49, 89 (127, 129); 57, 295 (327); 83, 130 (142). 84 Das IQWiG hat unter Unterstützung einer Gruppe internationaler Gesundheitsökonomen eine wissenschaftliche Methodik zur Bewertung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen entwickelt. Diese hat es in einem Methodenpapier niedergelegt, welches auf der Grundlage von mehreren Stellungnahmeverfahren mehrfach überarbeitet wurde. Gemäß § 35b Abs. 1 S. 7 SGB V hat das IQWiG die jeweiligen Methoden und Kriterien der Kosten-Nutzen-Bewertung im Internet zu veröffentlichen. 85 Siehe zur Entwicklung der Methodenpapiere insbesondere die Würdigung der Stellungnahmen zum „Entwurf einer Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung Version 2.0“ des IQWiG. 86 Vgl. Deter, Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln als Rechtsproblem, MedR 2010, S. 249 ff. (250).
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
I. Anwendungsbereich Bereits die Bestimmung des Anwendungsbereiches der nach § 35b SGB V zu erstellenden Kosten-Nutzen-Bewertung wirft Fragen auf. Die durch das AMNOG herbeigeführten Änderungen haben diesbezüglich zu keiner Verbesserung der Rechtslage geführt. Die Intention und Umsetzung einiger gesetzlicher Aussagen zur Kosten-Nutzen-Bewertung ist unklar. Dies ist letztlich zu einem nicht geringen Teil auf den bisher fehlenden ganzheitlichen und umfassenden Ansatz zur Neuordnung des Regulierungsinstrumentariums des Arzneimittelmarktes wie auch der Bestimmung des Leistungsumfangs der GKV zurückzuführen. Die durch den Kostendruck und das ausgeprägte politische Interesse an der Thematik hervorgerufene hohe gesetzgeberische Regelungsfrequenz verbessert diese Problematik ebenfalls nicht.87 Zur Bestimmung des Anwendungsbereiches von Kosten-Nutzen-Bewertungen ist daher als Erstes zu klären, welche Konzeption ihnen bei ihrer Einführung zugrunde lag und welche Änderungen hieran erfolgt sind, um anschließend die Bereiche identifizieren zu können, die von Kosten-Nutzen-Bewertungen nunmehr erfasst werden. 1. Konzeptionelle Änderung der Kosten-Nutzen-Bewertung Die Kosten-Nutzen-Bewertung bzw. ihre Ergebnisse kamen bis zum 01. 01. 2011 im Rahmen der Höchstbetragsfestsetzung durch den SpiBu nach § 31 Abs. 2a SGB V und gemäß § 10d Abs. 4 S. 3 Nr. 1 des 4. Kapitels der VerfO-GBA a.F.88 bei der Regelung der Verordnungsbedingungen eines Arzneimittels in der ArzneimittelRichtlinie zur Anwendung. In diesem Anwendungsbereich wurde die von der GKV zu leistende Erstattung auf einen Höchstbetrag reduziert, welcher auf der Grundlage der Kosten-Nutzen-Bewertung festgelegt wurde. Bei der Festlegung eines Höchstbetrages hätte die GKV die Kosten des Arzneimittels unabhängig vom tatsächlichen Preis nur in der Höhe des festgelegten Betrages übernommen. Für den darüber hinausgehenden Betrag hätten die Versicherten selbst aufkommen müssen. Die Festsetzung von Höchstbeträgen hätte daher zur Folge haben können, dass bei mangelnder Angleichung der Arzneimittelpreise durch die Pharmaunternehmen an den Höchstbetrag die jeweiligen Arzneimittel von einigen Versicherten nicht mehr finanzierbar gewesen wären.89 Hierdurch wären faktisch Leistungen aufgrund eines ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses für Versicherte mit geringerem Einkom-
87 Axer, Arzneimittelregulierung als spezifische Regulierungsform, in: Wallrabenstein (Hrsg.), Braucht das Gesundheitswesen ein eigenes Regulierungsrecht?, S. 83 ff. (85). 88 A. F. bezieht sich auf die Verfahrensordnung des GBA in der Fassung vom 18. Dezember 2008, welche bis zum 09. April 2011 galt. 89 Koch/Sawicki, Die Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen, MedR 2010, S. 240 ff. (242).
B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung
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men ausgeschlossen worden, obwohl sie einen relevanten Zusatznutzen gegenüber den von der GKV voll zu erstattenden medizinischen Methoden beinhaltet hätten.90 Die in § 35b SGB V geregelte Kosten-Nutzen-Bewertung ist demzufolge bereits bei ihrer Einführung hauptsächlich darauf ausgerichtet gewesen, den von der GKV zu tragenden Preis für einen relevanten Zusatznutzen zu bestimmen. Mittelbar konnte sie jedoch auch Leistungseinschränkungen gegenüber den Versicherten zur Folge haben. Zeitweise fungierte die Kosten-Nutzen-Bewertung somit auch als Kriterium mittelbarer Rationierung. Mit der Abschaffung der Höchstbeträge durch die Streichung des § 31 Abs. 2a SGB V entfiel der Anwendungsbereich der Kosten-Nutzen Bewertung nicht vollständig, sondern er verlagerte sich auf die nach § 130b SGB V zu führenden Rabattverhandlungen.91 Die Rabattverhandlungen führen jedoch nicht zu einer Einschränkung der Leistungen der GKV für die Versicherten, vielmehr wird gemeinsam mit dem Pharmaunternehmen der Preis vereinbart, zu welchem dieses sein Arzneimittel an die gesetzliche und private Krankenversicherung abzugeben hat. Das Prozedere zur Bestimmung des Erstattungsbetrages ist mit der Möglichkeit des § 130b Abs. 8 iVm § 35b SGB V so gewählt worden, dass unter anderem mittels einer Kosten-Nutzen-Bewertung der Erstattungsbetrag bestimmt werden kann. Hiermit wird versucht, die Wirtschaftlichkeit der GKV nicht durch eine inhaltliche Bestimmung des Leistungskataloges anhand von Kosten-Nutzen-Bewertungen zu gewährleisten, sondern die Wirtschaftlichkeit der Leistungsgewährung im hochpreisigen Arzneimittelbereich durch eine Reduktion der Arzneimittelkosten sicherzustellen. Eine weitere Änderung der Kosten-Nutzen-Bewertung, die das AMNOG mit sich gebracht hat, ist, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen vor dem 01. 01. 2011 nicht nur auf Antrag erfolgten. Ihre Durchführung war im Rahmen von Höchstbetragsfestsetzungen antragsunabhängig vorgesehen. Nach diesem Regelungsansatz wären somit deutlich mehr Kosten-Nutzen-Bewertungen zu erstellen gewesen, als dies aufgrund der Beschränkung durch die nunmehr grundsätzlich bestehende Antragsabhängigkeit im Rahmen der Rabattverhandlungen der Fall ist. Gegenwärtig ist allerdings noch nicht absehbar, inwieweit insbesondere der SpiBu eine Einigung verweigern und nach Ergehen eines in diesem Fall gemäß § 130b Abs. 4 SGB V
90 Huster, Kosten-Nutzen-Bewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (236). A.A. wohl Orlowski, Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung bei der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 245 ff. (245), der meint, dass aufgrund des in § 31 Abs. 2a S. 7 Alt. 2 SGB V geregelten Ausschlusses der Festsetzung von Höchstbeträgen, wenn eine zweckmäßige Therapiealternative nicht besteht, keine Rationierungen hierdurch hätten hervorgerufen werden können. Dies ist aufgrund der Wortwahl „zweckmäßige Therapiealternative“ im Vergleich zu den sonst insbesondere in Bezug auf § 12 Abs. 1 SGB V verwendeten Umschreibungen einer vergleichbar wirksamen Therapie (etwa in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V) jedoch zweifelhaft. 91 Vgl. BT-Drs. 17/2413, S. 20.
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
vorgesehenen Schiedsspruches von seiner Möglichkeit Gebrauch machen wird, eine Kosten-Nutzen-Bewertung zu beantragen. Die Kosten-Nutzen-Bewertung diente bei ihrer Einführung somit zwar auch als Entscheidungsgrundlage für die Festlegung von Erstattungsgrenzen, sie führte jedoch in den meisten Fällen nicht unmittelbar zu einer Veränderung des Abgabepreises dieser Arzneimittel, sondern dazu, dass aufgrund der gekappten Erstattung durch die GKV die Versicherten Zuzahlungen zum Erhalt des Arzneimittels leisten mussten.92 Mit der erfolgten Einbeziehung der Kosten-Nutzen-Bewertung in die gemäß § 130b SGB V zu führenden Rabattverhandlungen hat die Kosten-NutzenBewertung inzwischen unmittelbar Einfluss auf den Abgabepreis des Arzneimittels. Damit beeinträchtigt sie inzwischen stärker die Interessen der pharmazeutischen Unternehmen als die der Versicherten. Trotz dieser Feststellung bleiben die gegenläufigen Versicherteninteressen an einer möglichst umfassenden Behandlung von Krankheiten sowie geringen Beiträgen die maßgeblichen Kriterien der Bewertung. Ungeachtet dieser Verlagerung verbleibt der Fokus der Betrachtung daher der des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bezogen auf die Versicherteninteressen. 2. Erweiterung des Anwendungsbereiches auf therapeutische Solisten Durch die Aufhebung des § 31a Abs. 2a SGB V hat sich der Anwendungsbereich der vom IQWiG durchführbaren Kosten-Nutzen-Bewertungen mittelbar jedoch auch erweitert. Nach dem Entfallen der ausdrücklichen Beschränkung des § 31a Abs. 2a S. 7 2. Alt. SGB V, welcher sogenannte „therapeutische Solisten“93 von einer Höchstbetragsfestsetzung und im Ergebnis damit auch von einer Kosten-NutzenBewertung ausschloss, könnten diese nunmehr vom Anwendungsbereich der Kosten-Nutzen-Bewertungen erfasst werden. Gegen diese Annahme scheint zunächst zwar zu sprechen, dass in der Auftragserteilung des GBA gemäß § 35b Abs. 1 S. 2 1. Alt. SGB V zweckmäßige Vergleichstherapien zu nennen sind, im Vergleich zu denen die Kosten-NutzenBewertung durchzuführen ist.94 Weder § 35a noch § 130b Abs. 1 und Abs. 8 SGB V schließen jedoch nicht aus, dass auch für therapeutische Solisten mangels Einigung
92
(242).
Koch/Sawicki, Die Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen, MedR 2010, S. 240 ff.
93 Bei „therapeutischen Solisten“ handelt es sich um Arzneimittel, die einen derartig hohen Zusatznutzen hervorrufen, dass sie als alternativlos anzusehen sind. 94 So im Ergebnis Reese, Rechtsfragen der Kosten-Nutzen-Bewertung und Festsetzung von Erstattungshöchstbeträgen (Teil 2), PharmR 2008, S. 525 ff. ( 527 f.), der die Regelung des § 31 Abs. 2a S. 7 2. Alt. SGB V für rein deklaratorisch hielt, da ein Vergleich mit einer Nichtbehandlung keine Kosten-Nutzen-Bewertung darstelle und somit Kosten-Nutzen-Bewertungen für qualitativ unterschiedliche Therapien nicht durchgeführt werden könnten.
B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung
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des SpiBu95 mit dem Pharmaunternehmen und Unzufriedenheit mit dem Schiedsspruch ein Antrag auf Erstellung einer Kosten-Nutzen-Bewertung gestellt wird. Gemäß § 35a Abs. 1 S. 2 SGB V ist für neu in Verkehr gebrachte Arzneimittel oder bei der Zulassung neuer Anwendungsgebiete grundsätzlich eine Nutzenbewertung durchzuführen, sodass auch therapeutische Solisten einer Nutzenbewertung unterzogen werden können. § 35a Abs. 1 S. 2 SGB V impliziert zwar ebenfalls, dass hierfür zweckmäßige Vergleichstherapien vorliegen, aufgrund der Formulierung, dass insbesondere ein Nutzenvergleich anhand dieser zu erfolgen hat, ist dies jedoch nicht zwingend. Es kann daher nicht – lediglich weil tatsächlich keine Therapien bestehen, deren Nutzen vergleichbar mit dem zu bewertenden Arzneimittel ist – auf eine rechtliche Reduktion des Anwendungsbereichs geschlossen werden. Da für sämtliche nicht einer Festbetragsgruppe zuordenbare Arzneimittel gemäß § 130b Abs. 1 S. 1 SGB V Rabattverhandlungen geführt werden, fallen therapeutische Solisten grundsätzlich unter den Anwendungsbereich von § 130b SGB V. Es besteht daher die Möglichkeit, dass auch für diese ein Antrag nach § 130b Abs. 8 S. 1 SGB V auf Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung gestellt wird. Eine mittelbare Beschränkung des § 35b Abs. 1 S. 2 1. Alt. SGB V aufgrund der Notwendigkeit des Bestehens einer Vergleichstherapie und damit der Ausschluss therapeutischer Solisten aus dem Anwendungsbereich der Kosten-Nutzen-Bewertung ist ebenso wenig anzunehmen. Die in der Auftragserteilung durch den GBA festzulegenden Kriterien können nicht den Anwendungsbereich der Kosten-NutzenBewertung definieren. Dies führt allerdings scheinbar zu einem Widerspruch in der Systematik zwischen § 35b Abs. 1 S. 2 1. Alt. SGB V und § 130b Abs. 1 und Abs. 8 SGB V. § 35b Abs. 1 S. 2 1. Alt. SGB V ist hinsichtlich der Angabe der Vergleichstherapien nicht als Solloder Kann-Vorschrift ausgestaltet, vielmehr ist eine zweckmäßige Vergleichstherapie in der Auftragserteilung durch den GBA festzulegen. Eine Vergleichstherapie besteht jedoch nicht hinsichtlich sämtlicher von § 130b SGB V erfassten Arzneimittel. Der Gesetzgeber ging bei der Anpassung des § 35b SGB V wohl davon aus, dass eine vergleichbare Therapie für Arzneimittel, die einer Kosten-Nutzen-Bewertung unterzogen werden, immer existiert. Praktisch wird man zu dieser sich aufgrund des uneindeutigen Gesetzeswortlauts stellenden Problematik zwar möglicherweise nicht kommen. Rechtlich betrachtet ist die fehlende eindeutige Entscheidung für oder gegen eine Kosten-Nutzen-Bewertung von therapeutischen Solisten jedoch bedenklich. Rechtlich betrachtet kann dieser Konflikt zwischen § 130b Abs. 1 und Abs. 8 SGB V und § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V nur wie folgt aufgelöst werden: Der GBA muss
95 Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, der von den Krankenkassen gebildet wird (§ 217a SGB V). Im Falle seiner gesetzlich angeordneten Zuständigkeit vertritt er die Krankenkassen bei dem Abschluss von Verträgen und sonstigen Entscheidungen, vgl. § 217 f Abs. 1 iVm § 217e Abs. 2 SGB V.
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bei der Angabe von Vergleichstherapien indikationsübergreifend96 vorgehen und etwa Therapien zum Vergleich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses angeben, die zur Behandlung ähnlich schwerer Erkrankungen eingesetzt werden. Eine Vergleichbarkeit des Kosten-Nutzen-Verhältnisses lässt sich in diesem Bereich nur über eine Anknüpfung an einen ähnlichen Schweregrad erreichen. Dies geht zwar über das ursprüngliche Verständnis des Begriffes Vergleichstherapie, wie es im Gesetzesentwurf geäußert wurde, hinaus.97 Unter einer Vergleichstherapie wurde grundsätzlich nur eine Therapie derselben Indikation verstanden. Aus der Wortlautgrenze ergibt sich ein solches Verständnis jedoch nicht zwingend, sodass angesichts der Systematik zwischen § 130b Abs. 1, Abs. 8 SGB Vund § 35b Abs. 1 S. 1 SGB Veine weite Auslegung des Begriffes „Vergleichstherapie“ möglich und notwendig ist. Der vom IQWiG gewählte Bewertungsansatz – seine Methodik der indikationsspezifischen Effizienzgrenzen98 – führt im Hinblick auf derartige therapeutische Solisten allerdings nicht weiter. Indikationsspezifische Effizienzgrenzen, die durch den Vergleich der medizinischen Methoden innerhalb einer Indikation gebildet werden, können bei dem Fehlen einer anderen Behandlungsmethode für die Indikation rechnerisch nicht „sauber“ gebildet werden. Nur bei mehreren existierenden Behandlungsmethoden pro Indikation sind derartige Effizienzgrenzen überhaupt ermittelbar. Schon bei größeren Nutzenunterschieden wird man über eine Effizienzgrenze, welche sich proportional zum Anstieg der Kosten im Vergleich zum Nutzen verhält, keine wissenschaftlich fundierte, eindeutige Bewertung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen erzeugen können, weil das Verhältnis von Kosten und Nutzen zueinander nur im Vergleich zu anderen Methoden eine inhaltliche Bewertung beinhaltet. Wenn keine andere Behandlungsmethode für eine Indikation existiert, was für therapeutische Solisten gerade typisch ist, kann kein Effizienzverlauf zwischen verschiedenen Therapiealternativen ermittelt werden. Im Falle therapeutischer Solisten kann daher nicht über eine Effizienzgrenze auf ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis geschlossen werden. Aber auch dieser Aspekt führt nicht dazu, dass therapeutische Solisten keiner Kosten-Nutzen-Bewertung zu unterziehen wären. Hinsichtlich der Methodenwahl des IQWiG ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 35b Abs. 1 S. 5 SGB Vauftragsbezogen über die Methoden zur Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu entscheiden ist. Das hat zur Folge, dass, sollte es zur Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses eines therapeutischen Solisten kommen, ein anderer Bewertungsmaßstab vom IQWiG gefunden werden müsste. 96 Indikationsübergreifend bedeutet, dass medizinische Methoden, die zur Behandlung unterschiedlicher Erkrankungen eingesetzt werden, miteinander verglichen werden. 97 BT-Drs. 17/2413, S. 21. 98 Eine genauere Darstellung des Ansatzes erfolgt unter B. III. 2. a) dieses Kapitels. Indikationsbezogene Effizienzgrenzen werden anhand der in einer Indikation angewandten medizinischen Methoden gebildet und die Effizienz, das Verhältnis des durch sie erreichten Nutzens mit den hervorgerufenen Kosten, der unterschiedlichen Ansätze miteinander verglichen.
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Weder die bisherige Methodenwahl des IQWiG noch die Problematik der Konkretisierbarkeit des Auftrages durch den GBA können deshalb die Verpflichtung zur Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung ausschließen, wenn ein Antrag gemäß § 130b Abs. 8 S. 1 SGB V gestellt wurde. Wissenschaftliche Aussagen kann eine Kosten-Nutzen-Bewertung bei therapeutischen Solisten jedoch nur unter Zuhilfenahme indikationsübergreifender Bewertungen generieren, welche dann eine Grundlage für die Festsetzung des Preises zwischen den Parteien bilden können. Ohne das Heranziehen indikationsübergreifender Bewertungen, sollte man auf die Abgabepreise in den anderen europäischen Ländern ebenso nicht abstellen können, würde man im Bereich therapeutischer Solisten sonst auf die Preisbestimmung durch die Pharmaunternehmer zurückfallen. Das erklärte gesetzgeberische Ziel, die Pharmaindustrie zu Sprunginnovationen zu ermutigen und bei bloßen Schrittinnovationen, insbesondere sogenannten „MeToo-Präparaten“,99 die Preise zu drücken,100 ist demzufolge dem grundsätzlichen Ziel weitgehender Wirtschaftlichkeitssicherung gewichen.101 Sowohl der Anwendungsbereich des § 35b SGB V als auch die Einbeziehung therapeutischer Solisten in das Anwendungsfeld von Rabattverhandlungen gemäß § 130b SGB V zeigen, dass nicht nur für unerhebliche Nutzenverbesserungen, sondern gerade im Hinblick auf relevante therapeutische Verbesserungen Wirtschaftlichkeitserwägungen – jedenfalls im Rahmen der Preisbestimmung – eine Rolle spielen sollen. 3. Die Wirkungsbereiche des § 35b SGB V Der Anwendungsbereich der Kosten-Nutzen-Bewertung gemäß § 35b SGB V bzw. ihre denkbaren Auswirkungen decken somit drei unterschiedliche Teilbereiche ab: Erstens wird die Kosten-Nutzen-Bewertung zum einen im Zusammenhang mit den nach § 130b SGB V zu führenden sogenannten Rabattverhandlungen angewendet, welche mit dem AMNOG den Anwendungsbereich der früheren Höchst-
99 Bei „Me-Too-Präparaten“ handelt es sich um „neue“ Arzneimittel, die von den Pharmaunternehmern bei anstehendem Ablauf des Patentschutzes für einen Wirkstoff entwickelt werden und die so geringe Unterschiede zu der vorherigen Wirkstoffkombination aufweisen, dass sie gerade noch erneut patentierbar sind, vom Nutzen betrachtet jedoch keine entscheidenden Verbesserungen hervorrufen. Vgl. hierzu Glaeske, Die Preispolitik der Hersteller, in: Böckmann (Hrsg.), Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb, S. 141 ff. (142). 100 Huster, Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (237). 101 Eine Sicherung der Wirtschaftlichkeit kann insbesondere bei „Me-Too-Präparaten“, bei denen eine Vergleichbarkeit des Nutzens besteht, bereits über die nach § 35a SGB V durchzuführende frühe Nutzenbewertung und § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6, Abs. 2 SGB V erfolgen.
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betragsfestsetzung vollständig ersetzt haben.102 Zum anderen kann eine KostenNutzen-Bewertung nach § 35b SGB V aufgesattelt auf die nach § 35a SGB V durchgeführte Nutzenbewertung erfolgen. Hierzu kann es bei der Feststellung des Bestehens keiner therapeutischen Verbesserung nach § 35a Abs. 4 SGB V oder keines Zusatznutzens nach § 35a Abs. 3 SGB V kommen, wenn ein Pharmaunternehmen dies verlangt und die Kosten hierfür übernimmt (§ 35a Abs. 5a SGB V).103 Zweitens kann der GBA nach wie vor auf der Grundlage von Kosten-NutzenBewertungen – wenn auch nur in beschränktem Umfang – den Einsatz von Arzneimitteln auf Kosten der GKVausschließen bzw. einschränken. Gemäß § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V iVm § 92 Abs. 2 SGB V können dem ausdrücklichen Wortlaut zufolge weiterhin Therapiehinweise zur Steuerung der Wirtschaftlichkeit der Verwendung erlassen werden.104 Da jedenfalls ersterer Aspekt – die Möglichkeit der Leistungsbeschränkung auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen – nicht unumstritten ist, wird im Folgenden vertieft dargelegt werden, inwieweit der GBA KostenNutzen-Bewertungen im Rahmen seiner Befugnisse zu nutzen berechtigt ist.105 Die Formulierung des § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V ist hinsichtlich der Möglichkeit, Leistungsbeschränkungen vornehmen zu können, nicht eindeutig. Die Feststellung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ist selbst Teil der nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V ergehenden Richtlinie. In dem Beschluss dürfen hierüber hinaus ausdrücklich Therapiehinweise enthalten sein.106 Zu Leistungsbeschränkungen äußert sich § 35b SGB V hingegen nicht direkt. Das Verhältnis der unterschiedlichen Maßnahmen zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit im Arzneimittelbereich zueinander – den Rabattverhandlungen, Leistungsausschlüssen bzw. -einschränkungen, Therapiehinweisen und Festbeträgen – ist bisher nicht abschließend geklärt. Die Änderungen des AMNOG werfen in diesem Bereich weitere, bisher nicht problematisierte Fragen auf. Eine Abschichtung der unterschiedlichen Mechanismen der Wirtschaftlichkeitssicherung, insbesondere ihre gegenseitige Ergänzungsfunktion, ist im Rahmen der Klärung möglicher Rechtsfolgen von Kosten-Nutzen-Bewertungen deshalb notwendig, um ihren Einfluss auf die GKV bestimmen zu können. 102
Die zur Kosten-Nutzen-Analyse erfolgten Veröffentlichungen betreffen größtenteils noch den bis zum 01. 01. 2011 geltenden Anwendungsbereich der Höchstbetragsfestsetzungen. Zu diesem Anwendungsbereich insbesondere Reese, Rechtsfragen der Kosten-Nutzen-Bewertung und Festsetzung von Erstattungshöchstbeträgen, PharmR 2008, S. 483 ff. 103 Hierbei ist allerdings umstritten, ob im Rahmen der nachgeschalteten Kosten-NutzenBewertung die bereits im Rahmen von § 35a SGB V erfolgte Nutzenbewertung wieder verwendet werden kann, sodass lediglich die Kosten zu ermitteln und in Relation zu setzen sind, vgl. hierzu Reese, Rechtsfragen der Kosten-Nutzen-Bewertung (Teil 2), PharmR 2008, S. 525 ff. (525). 104 Dieser Bereich, der Einfluss von Bewertungen des IQWiG auf durch den GBA erfolgende Leistungsbeschränkungen, stellt insoweit das Einfallstor für die Frage nach der Rationierung von Leistungen der GKV dar und ist als solches in seinem Gewicht auch bereits erkannt worden, vgl. Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 50. 105 Siehe hierzu C. II. und III. dieses Kapitels. 106 Hierzu siehe konkret C. III. dieses Kapitels.
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Drittens werden – unabhängig von den zuvor genannten Möglichkeiten – weitere Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen des § 35c Abs. 2 S. 1 SGB V durchgeführt. Dieser regelt die Anwendung von Arzneimitteln außerhalb ihrer zugelassenen Indikation im Rahmen von klinischen Studien. Mangels Verweises von § 35c Abs. 2 SGB V auf § 35b SGB V kommen die dort geregelten ausdrücklichen Vorgaben für eine Kosten-Nutzen-Bewertung bei § 35c SGB V jedoch nicht – jedenfalls nicht direkt – zur Anwendung. § 35c Abs. 2 S. 1 SGB V fordert vielmehr selbst das Bestehen eines angemessenes Verhältnisses zwischen Mehrkosten und Zusatznutzen. Angesichts des speziellen Anwendungsbereiches von § 35c Abs. 2 S. 1 SGB V, der keine grundsätzlichen Aussagen zur Leistungsgewährung der GKV im Hinblick auf Kosten-Nutzen-Bewertungen trifft, wird diese Norm im Folgenden nicht weiter untersucht werden. Im Grundsatz werden Kosten-Nutzen-Bewertungen nach § 35b SGB V demzufolge bezüglich Arzneimitteln durchgeführt, die nicht einer Festbetragsgruppe nach § 35 SGB V zugeordnet werden können. Dies gilt insbesondere für patentgeschützte107 Arzneimittel, für welche noch keine Generika existieren und die daher zu besonders hohen Preisen von den Pharmaunternehmen abgegeben werden. Dieses Anwendungsfeld ist sowohl im Hinblick auf die Zeitspanne als auch die Anzahl der Arzneimittel, die dem Patentschutz unterfallen, nicht zu unterschätzen.108 In eben diesem Bereich sollen zwischen den Pharmaunternehmen und dem SpiBu Erstattungsbeträge ausgehandelt werden. Aus § 35 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 SGB V folgt daher im Umkehrschluss, dass von § 35b SGB V potentiell folgende Arzneimittel erfasst werden: erstens Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist, es sei denn, in diesem Bereich sind mindestens 3 patentgeschützte Arzneimittel der gleichen Wirkungsweise vorhanden (vgl. § 35 Abs. 1a S. 1 SGB V), und zweitens Arzneimittel, die eine therapeutische Verbesserung gegenüber anderen Arzneimitteln hervorrufen. Somit werden auch Arzneimittel, die keinen Zusatznutzen bewirken, in die Rabattverhandlungen einbezogen. Dies folgt aus der Beschränkung der Einordnenbarkeit von neuartigen Arzneimitteln in Festbetragsgruppen. Sowohl § 35a Abs. 4 S. 1 iVm Abs. 1 S. 4 als auch § 130b Abs. 3 SGB V zeigen im Umkehrschluss ebenfalls, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen auch bei Arzneimitteln vorgenommen werden, die pharmakologisch-therapeutisch mit anderen Festbetragsarzneimitteln vergleichbar sind. Der Hauptanwendungsbereich der Kosten-Nutzen-Bewertung betrifft jedoch Arzneimittel, die relevante Nutzenunterschiede hervorrufen. § 35b SGB V erfasst demzufolge sowohl Arzneimittel mit nur minimalen Nutzenunterschieden gegenüber Alternativmethoden als auch Arzneimittel, die einen Zusatznutzen hervorrufen.
107 Die Patentlaufzeit beträgt in Deutschland grundsätzlich 20 Jahre (§ 16 Abs. 1 PatG). Darüber hinaus besteht eine Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 3 iVm Art 13 Abs. 1 und Abs. 2 VO(EG) 469/2009 um bis zu weitere 5 Jahre. 108 Schwabe/Fricke, Neue Arzneimittel 2011, in: Schwabe/Paffrath (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2012, S. 43 ff.
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Um abschätzen zu können, ob Kosten-Nutzen-Bewertungen zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit der GKV auch juristisch geeignet sind, ist im Weiteren der hauptsächlich für Erstattungsbetragsfestsetzungen verwendete Ansatz des § 35b SGB V zu analysieren. Von Relevanz sind hierbei sowohl die materiellen Vorgaben, der methodische Bewertungsansatz des IQWiG als auch der prozedurale Ablauf zwischen GBA und IQWiG. Hierauf aufbauend wird der bestehende und denkbare Einfluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen in der GKV de lege lata konkretisiert und hierüber hinausgehend die Möglichkeit einer Ausweitung de lege ferenda skizziert.
II. Prozedurale Aspekte der Kosten-Nutzen-Bewertung Zuständig für die Durchführung der Kosten-Nutzen-Bewertung ist nach § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V das IQWiG, das auf Auftrag des GBA hin tätig wird. 1. Struktur des IQWiG Das IQWiG ist eine Institution der im Juni 2004 gemäß § 139a Abs. 1 SGB V vom GBA gegründeten privaten Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit.109 Es ist vergleichbaren Institutionen in Australien, Kanada und Großbritannien nachgebildet,110 unterscheidet sich von diesen aber in nicht nur unerheblichem Umfang, sodass ein rechts- und institutionenvergleichendes Verständnis nur sehr eingeschränkt weiterführt. Das IQWiG ist gemäß § 139a Abs. 1 SGB V ein fachlich unabhängiges, rechtsfähiges, wissenschaftliches Institut. Damit ist ihm der zur Sachverständigenarbeit notwendige Freiraum eingeräumt und eine eindeutige Abgrenzung zum GBA trotz seiner Trägerschaft vorgenommen worden. Das IQWiG ist vorwiegend für die Nutzenbewertung von Arzneimitteln errichtet worden. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz und der Einführung der Kosten-Nutzen-Bewertung im Jahr 2007 wurde sein Zuständigkeitsbereich aber auch auf dieses Gebiet ausgeweitet.111 Für die Funktionsweise von Kosten-Nutzen-Bewertungen spielt die Zwischenschaltung einer privaten Stiftung bei der Gründung des IQWiG eine geringe Rolle. Daher verbleibt es diesbezüglich bei einigen Hinweisen auf die Struktur und die gestufte Trägerschaft des GBA gegenüber dem IQWiG.112 Für das Verständnis der 109 Zur Errichtung und Struktur des IQWiG siehe Sawicki, Aufgaben und Arbeit des IQWiG, MedR 2005, S. 389 ff. 110 Zum Rechtsverhältnis zwischen dem GBA und dem IQWiG sowie der „Gründungsgeschichte“ siehe Rixen, Verhältnis von IQWiG und G-BA, MedR 2008, S. 24 ff. (26). 111 Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie: Rechtliche Fragen zum Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, S. 3. 112 Vgl. zur gestuften Trägerschaft des GBA gegenüber dem IQWiG weiterführend Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 20 f.
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Arbeitsweise des Instituts bei Kosten-Nutzen-Bewertungen kommt es speziell auf die organisatorische Strukturierung der Sachverständigentätigkeit an. Von Bedeutung ist dieser Aspekt weiterhin auch im Hinblick auf die sich im Weiteren stellende Frage der Legitimationsbedürftigkeit und demokratischen Legitimation des IQWiG.113 Aus § 4 der Satzung des IQWiG iVm § 139a Abs. 2 SGB V ergibt sich, dass die Stiftung drei unterschiedliche Organe besitzt: den Stiftungsrat, den Vorstand und den GBA, wobei letzterer lediglich für die Änderung der Satzung und die Aufhebung der Stiftung zuständig ist. Der Stiftungsrat besteht aus zwölf Mitgliedern. Diese setzen sich je zur Hälfte aus Vertretern der Krankenkassen und der Leistungserbringer zusammen und werden von deren Organisationen selbst bestimmt.114 Der Vorstand ist nach § 6 der Satzung das Exekutivorgan der Stiftung. Er ist gemäß § 6 Abs. 1 der Satzung mit fünf stimmberechtigten Mitgliedern besetzt, wobei vier dieser Mitglieder vom Stiftungsrat und eines vom Bundesministerium für Gesundheit benannt werden. Der Vorstand führt die Aufsicht über das IQWiG, welche jedoch auf die Überwachung der ordnungsgemäßen Geschäftsführung beschränkt ist, sodass die Stiftung auf die inhaltliche Tätigkeit des IQWiG keinen Einfluss hat.115 Das IQWiG selbst ist eine Einrichtung der Stiftung, die gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 der Satzung unter einer unabhängigen wissenschaftlichen Leitung steht. Die Institutsleitung wird auf Vorschlag des Stiftungsrates bestellt, sein Stellvertreter vom Vorstand der Stiftung bestimmt (§ 7 Abs. 2 der Satzung). Als beratende Gremien verfügt das Institut zum einen über ein Kuratorium, welches aus 30 Mitgliedern der verschiedenen Betroffenengruppen (Krankenversicherung, Leistungserbringer und Versicherten) gebildet wird,116 und zum anderen über einen wissenschaftlichen Beirat. Dieser ist mit 6 bis 12 Wissenschaftlern besetzt, die im Einvernehmen mit der Institutsleitung vom Vorstand bestimmt und für vier Jahre mit einmaliger Wiederberufungsmöglichkeit bestellt werden.117 Das Kuratorium und der wissenschaftliche Beirat haben ausschließlich beratende Funktion. Sie können Stellungnahmen abgeben, sind jedoch bei der Beschlussfassung des Instituts nicht stimmberechtigt.118 113
Hierzu siehe § 5. Zur konkreten Zusammensetzung der Stiftung und des IQWiG siehe Gassner, Legitimationsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (445) und Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie: Rechtliche Fragen zum IQWiG, S. 3 ff. 115 § 6 Abs. 2 der Satzung des IQWiG. 116 § 8 Abs. 1 der Satzung des IQWiG. 117 § 9 Abs. 1 und Abs. 2 der Satzung des IQWiG, wobei aufgrund der Formulierung „in der Regel ist nur eine einmalige Wiederberufung zulässig“ in Ausnahmen auch eine über die einmalige Wiederberufung hinausgehende Wiederberufung zulässig ist. Der Vorstand kann, wenn ein Einvernehmen nicht zustande kommt, mit der Mehrheit seiner Stimmen das Mitglied allein bestimmen (§ 9 Abs. 1 S. 2 der Satzung des IQWiG). 118 Dies ergibt sich aus § 9 Abs. 4 der Satzung des IQWiG hinsichtlich des wissenschaftlichen Beirates und § 8 Abs. 3, Abs. 4 der Satzung des IQWiG bzgl. des Kuratoriums. 114
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Sowohl die Stiftung als auch das Institut verfügen demnach über Organe, welche ähnlich dem GBA paritätisch mit von möglicherweise durch die Kosten-NutzenBewertung Betroffenen besetzt sind. Die Stiftung nimmt sowohl mittels der Bestimmung der Institutsleitung als auch ihrer Aufsicht Einfluss auf das IQWiG. Die aufgrund der Sachverständigentätigkeit notwendige Unabhängigkeit des IQWiG ist jedoch sehr weitgehend. Wirkliche Einflussmöglichkeiten sind insbesondere angesichts der Reduktion der Aufsicht auf die ordnungsgemäße Geschäftsführung kaum gegeben. 2. Auftragsrecht für Kosten-Nutzen-Bewertungen Der prozedurale Ablauf der durch das IQWiG durchzuführenden Kosten-NutzenBewertung ist in mehreren Normen geregelt. § 35b SGB V bildet diesbezüglich die Grundlage und bestimmt das Grundgerüst des Verfahrensgangs. Diese Regelung wird durch §§ 139a und 139b SGB V ergänzt, die grundsätzliche Aussagen zum IQWiG, seinen Aufgaben und dem von ihm einzuhaltenden Verfahren treffen. Hinsichtlich des Auftragsrechts zur Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V erscheinen insbesondere zwei Punkte problematisch: Zum einen ist fraglich, ob der GBA und das BMG ein eigenes Antragsrecht zur Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG, unabhängig von einem Antrag nach § 130b Abs. 8 SGB V, besitzen. § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V spricht hiergegen. § 139b Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V scheinen dies jedoch zu implizieren. Ohne ein solches Antragsrecht wären Kosten-Nutzen-Bewertungen außerhalb des Anwendungsbereiches von § 130b Abs. 8 SGB V und damit dem seltenen Fall einer Antragsstellung ausgeschlossen. Die Regelung des § 35b SGB V hätte in diesem Fall praktisch kaum Auswirkungen. Zum anderen ist die Bindungswirkung des GBA an einen nach § 130b Abs. 8 SGB V gestellten Antrag unklar, da hiervon auch therapeutische Solisten erfasst werden können. Der GBA kann bei therapeutischen Solisten seiner nach § 35b Abs. 2 SGB V bestehenden Verpflichtung, Vergleichsparameter in der Beauftragung des IQWiG festzulegen, nur nachkommen, indem er indikationsübergreifende Vergleiche fordert. Dies widerspricht jedoch dem methodischen Ansatz des IQWiG. Der prozedurale Ablauf der Kosten-Nutzen-Bewertung ist diesbezüglich daher näher zu betrachten. a) Unabhängiges Auftragsrecht des GBA und BMG Das IQWiG kann durch den GBA gemäß § 35b Abs. 1 S. 1 SGB Vaufgrund eines Antrags einer an den Rabattverhandlungen beteiligten Partei (§ 130b Abs. 8 S. 1 SGB V) beauftragt werden, eine Kosten-Nutzen-Bewertung durchzuführen. Ob darüber hinausgehend der GBA oder das BMG das IQWiG mit der Durchführung von
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Kosten-Nutzen-Bewertungen beauftragen darf, ist sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch der Gesetzessystematik nicht eindeutig.119 Hauck nimmt beispielsweise an, dass es nur noch auf Antrag einer an den Rabattverhandlungen beteiligten Partei zu einer Kosten-Nutzen-Bewertung käme, von Amts wegen eine solche aber nicht mehr durchführbar sei.120 Dem ist entgegengehalten worden, dass der GBA ein selbstständiges Auftragsrecht benötige, um der Ausführung der ihm zugewiesenen Zuständigkeit und in § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, Abs. 2 SGB V geregelten Befugnis zum Richtlinien- und Therapiehinweiserlass sinnvoll nachkommen zu können.121 Huster geht aus diesem Grund von dem Fortbestehen eines eigenen Antragsrechts aus.122 Generell besteht nach § 139b Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 iVm § 139a Abs. 3 SGB V die Möglichkeit des GBA und des BMG, das IQWiG mit der Bearbeitung von Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit von Leistungen der GKV zu beauftragen.123 In den Nummern 1 bis 6 des § 139a Abs. 3 SGB V erfolgt eine Aufzählung der Gebiete, auf denen das IQWiG hierbei insbesondere tätig werden kann. Hierunter fällt gemäß § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V auch die Durchführung einer Bewertung des Nutzens und der Kosten von Arzneimitteln. Ob diese Bewertung eine eigenständige Bedeutung gegenüber der Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V hat, ist dem Gesetzeswortlaut nicht eindeutig zu entnehmen. Die Regelung des § 35a Abs. 5a S. 1 SGB V deutet dies an.124 Sie erwähnt eine Bewertung nach § 35b SGB V oder § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V und geht mithin von einem Unterschied zwischen der Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V und der Bewertung des Nutzens und der Kosten nach § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V aus. Dennoch könnte es sich bei der in § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V genannten Bewertung zumindest unter anderem auch um die in § 35b SGB V näher geregelte Kosten-
119 So auch Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (235); gegen eine Beauftragungsmöglichkeit ohne Eröffnung des direkten Anwendungsbereich des § 35b SGB V – allerdings noch im Hinblick auf die nach alter Rechtslage dort geregelte Nutzenbewertung aus § 139 Abs. 3 Nr. 5 SGB V – siehe Kügel, Beteiligung und Rechtsschutz der Arzneimittelhersteller bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch das IQWiG (Teil 1), NZS 2006, S. 232 ff. (234). 120 Hauck, Ausschluss, Therapiehinweis und Kostenregelung, GesR 2011, S. 69 ff. (75). 121 Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (235). 122 Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (235). 123 Zur Auslegung der Aufgaben von besonderer Bedeutung Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar SGB V, § 139a SGB V Rn. 9. 124 § 35a Abs. 5a S. 1 SGB V lautet: „Stellt der Gemeinsame Bundesausschuss in seinem Beschluss nach Absatz 3 keinen Zusatznutzen oder nach Absatz 4 keine therapeutische Verbesserung fest, hat er auf Verlangen des pharmazeutischen Unternehmers eine Bewertung nach § 35b oder nach § 139a Absatz 3 Nummer 5 in Auftrag zu geben, wenn der pharmazeutische Unternehmer die Kosten hierfür trägt.“
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Nutzen-Bewertung handeln.125 Die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V, in welcher die zuvor vorgesehene Nutzenbewertung um eine Bewertung der Kosten erweitert wurde, ist insofern ebenso nicht eindeutig. In ihr wird lediglich von einer Ergänzung der Nutzenbewertung um eine Kostenbewertung gesprochen.126 Dies stellt nicht klar, ob Kosten und Nutzen hierbei miteinander zu vergleichen sind und wie dies erfolgen soll. Allerdings erfolgte die Aufnahme der Kostenbewertung in § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V parallel zur Ausweitung der Aufgabe des IQWiG, über Nutzenbewertungen hinausgehend auch Kosten-NutzenBewertungen vorzunehmen.127 Dies spricht dafür, dass von § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V auch die Kosten-Nutzen-Bewertungen nach § 35b SGB V erfasst werden. Es wäre indes auch denkbar, dass hiermit allein auf § 35a SGB V und die dort vorgesehene Kostenermittlung rekurriert wird. Selbst wenn anzunehmen sein sollte, dass es sich bei der in § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V genannten Aufgabe des IQWiG tatsächlich unter anderem um die in § 35b SGB V konkretisierte Kosten-Nutzen-Bewertung handelt,128 könnte ein von § 130b Abs. 8 SGB Vunabhängiges Antragsrecht des GBA und BMG zur Durchführung von Kosten-Nutzen-Bewertungen dennoch ausgeschlossen sein. Hierfür spricht, dass § 35b SGB V eine Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG nur in Zusammenhang mit einem Antrag nach § 130b Abs. 8 SGB V vorsieht. Sollte § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V als speziell zu dem grundsätzlichen Verweis auf die Tätigkeitsbereiche des IQWiG und den diesbezüglichen Antragsmöglichkeiten des GBA und BMG anzusehen sein, wäre ein über seinen Anwendungsbereich hinausgehendes Antragsrecht ausgeschlossen. Dieses Verständnis scheint allerdings jedenfalls dem ursprünglichen Gesetzeszweck zu widersprechen, auch dem GBA auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen Leistungsausschlüsse und Therapiehinweise zu ermöglichen.129 Denkbar erscheint ebenso, dass der GBA und das BMG befugt sein sollen, das IQWiG über den direkten Anwendungsbereich des § 35b SGB V iVm § 130b SGB V hinausgehend mit Kosten-Nutzen-Bewertungen zu beauftragen und deren Ergeb-
125 So, ohne diese Frage überhaupt weiter zu problematisieren, Engelmann, in: ders./ Schlegel (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 139a Rn. 27; ebenso Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 139a SGB V Rn. 13; Axer, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 35b Rn. 1. Dies implizit ebenfalls annehmend Wallrabenstein, in: Becker/ Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 139a Rn. 12 f. 126 BT-Drs. 16/3100, S. 151. 127 Vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 103. 128 So, allerdings ohne diese Frage überhaupt zu problematisieren, Huster, Kosten-NutzenBewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (235); ebenso Engelmann, in: ders./Schlegel (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 139a Rn. 27. 129 BT-Drs. 16/3100, S. 103.
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nisse anschließend für etwaige Gesetzgebungsvorhaben oder Richtlinien bzw. Therapiehinweise nach § 92 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V zu nutzen.130 Die VerfO-GBA hilft – zumal sie angesichts der Normenhierarchie ohnehin nur als Hinweis dafür herangezogen werden kann, wie der GBA das systematische Gefüge zwischen § 35b SGB V und § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V versteht – bei der Bestimmung des Verhältnisses der Normen zueinander ebenso wenig weiter. Die in §§ 15 ff. des 1. Kapitels der VerfO-GBA enthaltenen grundsätzlichen Regelungen zur Beauftragung des IQWiG verweisen lediglich auf das Recht des GBA, das IQWiG zu beauftragen.131 Hierbei wird der Inhalt des Auftrags, seine Materie, jedoch nicht näher bestimmt, sondern lediglich auf die in § 139a Abs. 3 SGB V genannten Aufgaben verwiesen.132 Auch §§ 4 und 8 des 4. Kapitels der VerfO-GBA führen nicht weiter, da diese lediglich von einer nach § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V erfolgenden Nutzenbewertung ausgehen. Die Gesetzesbegründung des AMNOG, durch welches das Auftragsrecht verändert wurde, legt jedoch nahe, dass eine Beauftragung des IQWiG durch den GBA zur Kosten-Nutzen-Bewertung auch weiterhin gemäß § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V möglich sein soll. Im Hinblick auf die nach § 130b iVm § 35b SGB V erfolgende Vergütungsvereinbarung sei eine Antragsbefugnis – so die Gesetzesbegründung – nicht mehr erforderlich, weshalb keine gesonderte Regelung hierzu in § 35b SGB V aufgenommen wurde.133 Ein Ausschluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen für andere Zwecke wurde hiermit jedoch nicht intendiert. Diese Begründung zeigt, dass zwar sowohl der GBA als auch das BMG gemäß § 139b Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V befugt sein sollen, das IQWiG zu einer Bewertung der Nutzen und Kosten eines Arzneimittels zu beauftragen. Die in § 35b SGB V geregelten Grundsätze können diesbezüglich jedoch nicht direkt herangezogen werden, weil der Anwendungsbereich des § 35b SGB V nicht eröffnet ist. Für diese Bewertung gilt dem Gesetzeswortlaut zufolge somit nicht zwingend die anhand der Vorgaben des § 35b SGB V vom IQWiG entwickelte Methodik. Um hiervon inhaltlich abzuweichen, müssten die Vorgaben des SGB V indes auch andere Bewertungsmethoden zulassen. Zwar legt die Formulierung des § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V mit seiner getrennten Nennung der Nutzen- und Kostenbewertung sowie die Differenzierung in § 35a Abs. 5a SGB V zwischen Bewertungen nach § 35b und § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V eher nahe anzunehmen, dass keine Kosten-Nutzen-Bewertungen in Auftrag gegeben 130 So, allerdings ohne zu begründen, warum es sich hierbei um eine andere Bewertung als nach § 35a oder § 35b SGB V handelt, Scriba, Die Arzneimittelbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, S. 47 ff. 131 § 17 Abs. 1 S. 2 1. Kapitel der VerfO-GBA, in der Fassung vom 18. Dezember 2008, zuletzt geändert am 20. März 2014, in Kraft getreten am 8. Mai 2014. 132 § 19 Abs. 1 1. Kapitel der VerfO-GBA, in der Fassung vom 18. Dezember 2008, zuletzt geändert am 20. März 2014, in Kraft getreten am 8. Mai 2014. 133 BT-Drs. 17/2413, S. 23 f.
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werden können. § 139a Abs. 3 SGB V ist hinsichtlich der Aufgaben des IQWiG jedoch weder abschließend formuliert, noch wird deutlich, wie eine Kostenbewertung nach § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V sonst erfolgen soll. Ohne einen Vergleich der Kosten mit dem Nutzen vorzunehmen, kann allenfalls eine Erfassung, nicht aber eine Bewertung der Kosten erfolgen. Aufgabe des IQWiG ist aber gerade eine Bewertung der Kosten und nicht eine bloße Feststellung dieser. Ein Kostenvergleich mittels einer Gegenüberstellung der festgestellten Kostenhöhe stellt keine Bewertung dar, weshalb § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V nicht allein auf die Kostenermittlung, die im Rahmen von § 35a SGB V vorzunehmen ist, Bezug nehmen kann. Es bedarf aus diesem Grund irgendeines wertenden Elements hinsichtlich der Kosten. Diesbezüglich liegt es nahe, auf die Vorgaben des § 35b SGB V zurückzugreifen, der als einzige Regelung des SGB V Aussagen dazu enthält, wie die Kosten einer medizinischen Methode in Bezug auf den hierdurch erreichbaren Nutzen zu bewerten sind. § 35b SGB V ist insoweit als grundsätzliche Regelung für Kosten-Nutzen-Bewertungen zu verstehen. Die gesetzlichen Regelungen der Kosten-Nutzen-Bewertung sind angesichts dessen, dass der GBA sie einerseits im Rahmen von Leistungsbeschränkungen oder Therapiehinweisen verwerten können soll, andererseits aber kein eindeutiges, korrespondierendes Auftragsrecht des GBA für eine nach § 35b SGB V durchzuführende Prüfung besteht, sowie in Anbetracht der teilweise widersprüchlichen Gesetzesbegründungen verbesserungsbedürftig.134 Im Ergebnis ist jedoch davon auszugehen, dass sich aus § 139b Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V sowohl ein Auftragsrecht des GBA als auch des BMG für die Anfertigung von Kosten-Nutzen-Bewertungen ergibt.135 Die hiernach beantragten Kosten-NutzenBewertungen sind in identischer Weise durchzuführen, wie sie im direkten Anwendungsbereich des § 35b SGB V vorgenommen werden. In § 35b SGB V hat der Gesetzgeber sich generell zu der von ihm gewünschten Methodik, Kosten-NutzenBewertungen zu erstellen, geäußert. § 130a Abs. 3 SGB V umschreibt die Aufgabe des IQWiG, die staatlichen Organe in ihrer Tätigkeit fachlich zu unterstützen. Sollten diese hierfür Kosten-Nutzen-Bewertungen benötigen, ist kein Grund dafür ersichtlich, warum das IQWiG hiermit nicht beauftragt werden können sollte. Auswirkungen auf den Anwendungsbereich – verstanden im Sinne der Umsetzung der Kosten-Nutzen-Bewertungen durch die Entscheidungsträger – hat dieses Antragsrecht nämlich nicht. Die Anerkennung eines Auftragsrechts verbreitert lediglich die Wissensbasis, führt jedoch nicht zu Einschränkungen von Rechten der Versicherten. Mangels weiterer Konkretisierung und in Anbetracht des bestehenden Zusammenhangs zwischen § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V und § 35b SGB V ist die Bewertung von Kosten und Nutzen durch das IQWiG anhand der nach § 35b SGB V entwickelten Maßstäbe durchzuführen. Die in § 35b SGB V geregelten Grundsätze sind ohnehin 134
So auch das Ergebnis von Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (235, 239 f.). 135 Ebenso Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (444).
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eher auf Leistungsbeschränkungen als auf die Bestimmung eines „gerechten“ Preises im Rahmen von Rabattverhandlungen mit pharmazeutischen Unternehmen zugeschnitten. Sie eignen sich daher dazu, beispielsweise als Grundlage für den Erlass von Therapiehinweisen herangezogen zu werden. Diese Möglichkeit, Kosten-Nutzen-Bewertungen einzuholen, geht zwar über den in § 35b Abs. 1 S. 1 iVm § 130b Abs. 8 SGB V geregelten Anwendungsbereich hinaus, sie erweitert jedoch nicht die Befugnis des GBA, Leistungsbeschränkungen vorzunehmen, sondern stellen sie auf eine verbesserte wissenschaftliche Basis. Die Einholung zusätzlicher Informationen für die Ausübung einer bestehenden Befugnis bedarf nicht zwingend einer konkreteren Regelung als sie mit § 139b Abs. 3 Nr. 5 SGB V vorliegt. Widersprüchliche Regelungsansätze und Gesetzesbegründungen führen aber zu Komplikationen im Rahmen der Befugnisausübung. b) Bindung des GBA an einen Antrag gemäß § 130b Abs. 8 SGB V § 130b Abs. 8 SGB V sieht vor, dass eine Partei, im Falle der Unzufriedenheit mit dem nach § 130b Abs. 4 SGB V durch die Schiedsstelle festgesetzten Vertragsinhalt, beim GBA die Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V beantragen kann. Gemäß § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V beauftragt der GBA das IQWiG mit der Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung, wenn ein Antrag nach § 130b Abs. 8 SGB V gestellt wurde. Mangels weiterer Regelung ist die Zwischenschaltung des GBA zwischen den Antrag des SpiBu oder des pharmazeutischen Unternehmens lediglich zur Konkretisierung des an das IQWiG weiterzuleitenden Auftrages gedacht. Eine Filterfunktion kommt dieser Zwischenschaltung nicht zu, sodass keine Ablehnungsmöglichkeit des GBA besteht. Die VerfO-GBA regelt die Weitergabe von nach § 130b Abs. 8 SGB V gestellten Anträgen nicht. §§ 17 und 18 des 1. Kapitels VerfO-GBA, die ein Ablehnungsrecht des GBA hinsichtlich eines Antrages implizieren, beziehen sich lediglich auf nach § 139b Abs. 1 S. 2 SGB V, nicht aber auf gemäß § 130b Abs. 8 SGB V gestellte Anträge. Aufgrund des Wortlauts von § 130b Abs. 8 iVm § 35b Abs. 1 SGB V und deren Intention, für die erneuten Verhandlungen sowie für einen eventuell erneut durch die Schiedsstelle festzulegenden Erstattungsbetrag eine fundierte wissenschaftliche Basis zu schaffen, ist anzunehmen, dass eine Entscheidungsbefugnis des GBA nur hinsichtlich der Ausgestaltung des an das IQWiG weiterzuleitenden Auftrages besteht. Daher ist davon auszugehen, dass eine Ablehnungsmöglichkeit nicht besteht. Wenn ein Antrag nach § 130b Abs. 8 SGB V gestellt wird, muss der GBA diesen somit zwingend an das IQWiG mit den von ihm vorgenommenen Konkretisierungen weiterleiten. Dies gilt selbst dann, wenn er nicht sämtliche der nach § 35b Abs. 1 S. 2 SGB V für die Auftragserteilung festzulegenden Parameter angeben kann.
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3. Verfahren der Kosten-Nutzen-Bewertung Das IQWiG hat auf die Beauftragung durch den GBA hin den Nutzen des Arzneimittels festzustellen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu anderen Arzneimitteln zu bewerten. Nach § 35b Abs. 1 S. 2 SGB V hat der GBA in seinem Auftrag festzulegen, für welche Vergleichstherapien und Patientengruppen eine Bewertung erfolgen soll und welche Parameter hierbei, insbesondere hinsichtlich des Zeitraums, der Art der Nutzen und Kosten sowie des Gesamtnutzens zu berücksichtigen sind. Damit trifft der GBA eine wichtige Vorentscheidung für die Kosten-Nutzen-Bewertung.136 Zeitraum sowie Art der Nutzen und Kosten bestimmen das Ergebnis der Prüfung wesentlich mit.137 § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V zufolge soll das IQWiG nach der Beauftragung durch den GBA und der Vorgabe der Kriterien für die konkrete Kosten-Nutzen-Bewertung auftragsbezogen über die Methoden und Kriterien zur Erarbeitung der Bewertung entscheiden. Das Verfahren und die Gewichtung der materiellen Kriterien kann nach dem Gesetzeswortlaut daher zwischen verschiedenen Aufträgen divergieren. Der Ansatz des IQWiG, zuvor allgemein für sämtliche Kosten-Nutzen-Bewertungen die Methodik abschließend festzulegen, scheint insoweit dem Wortlaut des § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V zu widersprechen. Andererseits ist der Bewertungsmaßstab aber ebenso wenig für jede Kosten-Nutzen-Bewertung ohne rechtfertigenden Grund abänderbar. Denn dies könnte eine willkürliche Ungleichbehandlung verschiedener pharmazeutischer Unternehmen zur Folge haben und würde dann gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.138 Aus diesem Grund ist der Ansatz des IQWiG, seine grundsätzliche Vorgehensweise vor Durchführung der ersten Kosten-Nutzen-Bewertung festzulegen, trotz des Wortlautes von § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V rechtlich korrekt. Bei Vorliegen eines sachlichen Grundes ist jedoch der Wortlaut des § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V zu erinnern und vom IQWiG gegebenenfalls ein anderer Bewertungsansatz für die Bestimmung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu verwenden. Dieser wäre nach § 35b Abs. 1 S. 9 SGB V erneut im Internet zu veröffentlichen und es müsste wiederum den in § 35 Abs. 2 und § 139a Abs. 5 SGB V Genannten die Möglichkeit der Stellungnahme hierzu eingeräumt werden. Gemäß § 35b Abs. 1 S. 6 SGB V wird das Verfahren der Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG um eine Beteiligung von Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis, der Arzneimittelhersteller und der Berufsvertretung der Apotheker ergänzt. Die Transparenz des Verfahrens vor dem IQWiG wird durch die Veröffentlichungspflicht gemäß § 35b Abs. 1 S. 7 SGB V gewährleistet. Diese hinsichtlich des konkreten Ablaufes der Beteiligung Dritter und Veröffentlichungspflichten eher vage gehaltenen Regelungen werden 136
Vgl. Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 83 f. Gassner, Legitimationsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (448). 138 Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (455), allerdings ohne Art. 3 Abs. 1 GG konkret zu nennen. 137
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sowohl durch §§ 139a, 139b SGB V als auch durch die Verfahrensordnung des GBA konkretisiert. Auch in diesen wird dem IQWiG jedoch ein erheblicher Umsetzungsspielraum belassen.139 § 139a Abs. 5 SGB V bestimmt insoweit, dass die Beteiligung der Sachverständigen, wie auch der Arzneimittelhersteller und Patientenvertreterorganisationen in allen wichtigen Abschnitten des Bewertungsverfahrens zu erfolgen hat. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wobei die Stellungnahmen in die Entscheidung einbezogen werden müssen. Diese Beteiligungsmöglichkeiten werden durch die VerfO-GBA sowie das Methodenpapier des IQWiG konkretisiert. Dies gilt für die Stellungnahmemöglichkeit der Arzneimittelhersteller und der im Fachgebiet Sachverständigen nach § 139a Abs. 5 SGB V insbesondere hinsichtlich der Formulierung, dass in wichtigen Abschnitten Stellung genommen werden kann. Dies präzisiert das Methodenpapier des IQWiG bezogen auf die einzelnen Verfahrensschritte der Bewertung. Sowohl hinsichtlich des Berichtsplanes als auch des Vorberichtes ist inzwischen eine Stellungnahmemöglichkeit vorgesehen.140 Nach § 139a Abs. 4 S. 2 SGB V sind die Arbeitszwischenstände regelmäßig zu veröffentlichen, wenn sie die spätere Grundlage für die Entscheidung über das Kosten-Nutzen-Verhältnis werden sollen. Diese Veröffentlichungspflicht stellt die Stellungnahmemöglichkeit Dritter sicher und führt zu einer hohen Verfahrenstransparenz der Bewertungsentscheidung des IQWiG. Das sachverständige IQWiG hat in seinem Verfahren der Kosten-Nutzen-Bewertung über die genannten Beteiligungsformen hinausgehend weitere Sachverständigengutachten gemäß § 139b Abs. 3 SGB V einzuholen. Eine Beteiligung von Sachverständigen ist daher sowohl auf Betroffenenebene als auch auf abstrakter Beurteilungsebene vorgesehen. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass das Institut einerseits sämtliche wissenschaftliche Forschung berücksichtigt und eine wissenschaftliche Expertise abgibt, anstatt eine bloße Verhandlungsposition wiederzugeben. Andererseits werden den betroffenen Arzneimittelherstellern weitgehende Beteiligungsrechte eingeräumt, um möglichst frühzeitig ihre Rechte zu sichern und weitere Informationsquellen einzubeziehen.141 Das Verfahren ist demzufolge so ausgestaltet, dass der wertungsbelastete Bereich des IQWiG durch die im Auftrag des GBA enthaltenen Vorgaben reduziert ist. Die Veröffentlichungspflichten stellen unter anderem die eingeräumte Partizipations139
Zur Anwendbarkeit der Verfahrensanforderungen des Verwaltungsverfahrens aus dem SGB X auf die Entscheidungsfindung des IQWiG, Kingreen/Henck, Prozedurale Anforderungen an die Arzneimittelbewertung durch das IQWiG und den GBA, PharmR 2007, S. 353 ff. (359 ff.). 140 In der Version des Methodenpapiers 1.0 zur Nutzenbewertung vom 01. 03. 2005 war eine Stellungnahme zum Berichtsplan noch nicht vorgesehen, siehe auch Dietz/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie: Rechtliche Fragen zum IQWiG, S. 33. 141 Zu letzterem und der Notwendigkeit der Beteiligungsrechte zur Sicherung des Grundrechtsschutzes durch Verfahren, Kingreen/Henck, Prozedurale Anforderungen an die Arzneimittelbewertung durch das IQWiG und den GBA, PharmR 2007, S. 353 ff. (356 ff.).
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möglichkeit der Betroffenen in verschiedenen Zwischenstadien der Bewertung durch das IQWiG sicher. Die eigene Expertise des IQWiG wird durch die Einbeziehung weiterer externer Sachverständigengutachten erweitert.
III. Materielle Kriterien der Kosten-Nutzen-Bewertung Verglichen mit den formellen Vorgaben zur Durchführung der Kosten-NutzenBewertung sind die gesetzlich bindend festgelegten materiellen Kriterien spärlich. Die Bewertung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen soll gemäß § 35b Abs. 1 S. 3 Halbs. 1 SGB V durch einen Vergleich mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsformen erfolgen. Wie das Festhalten an einem Vergleich zwischen zwei unterschiedlichen medizinischen Methoden sowohl in § 35b Abs. 1 S. 2 und S. 3 Halbs. 1 SGB V zeigt, ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass § 35b SGB V mit seiner Kosten-Nutzen-Bewertung insbesondere in einem Bereich zur Anwendung kommt, in dem weitere Arzneimittel und Behandlungsformen existieren, die einem derartigen Vergleich zugänglich sind. Hierfür bedarf es eines Mindestmaßes an Übereinstimmungen zwischen den medizinischen Methoden bzw. Leistungen. Welcher Natur diese Übereinstimmungen sind sowie welchen Bereich sie betreffen, ergibt sich aus der Vorgabe des Vergleiches jedoch nicht. Über die Notwendigkeit des Vergleiches hinausgehende, inhaltlich bindende Vorgaben dazu, wie sich die Kosten zu dem Nutzen eines Arzneimittels zu verhalten haben, um als angemessen zu gelten, enthält § 35b SGB V nicht. Der Vergleich ist demzufolge das Hauptkriterium für die Bewertung des Verhältnisses der Kosten zu dem durch das Arzneimittel hervorgerufenen Nutzen. Diese besondere Bedeutung des Vergleichs zeigt sich im Wortlaut des § 35b SGB V gleich an mehreren Stellen. Durch seine zweifache Nennung hebt § 35b SGB V den Vergleich als Methode der Bewertung besonders hervor. Eine Festlegung, welche medizinischen Methoden anhand welcher Komparatoren verglichen werden sollen, beinhaltet § 35b SGB V indes nur partiell. Über den Vergleich als Bewertungsmethode hinaus enthält § 35b SGB V keine engen Vorgaben, wie eine Bewertung der (Zusatz-)Kosten zum (Zusatz-)Nutzen zu erfolgen hat. Lediglich für Teilbereiche wird bestimmt, welche Arten von Nutzen und Kosten im Rahmen der Bewertung zu berücksichtigen sind.142 Im Hinblick auf den Patientennutzen soll nach § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V insbesondere die Verbesserung des Gesundheitszustandes, die Verkürzung der Krankheitsdauer, eine Verlängerung der Lebensdauer, Verringerung der Nebenwirkungen sowie Verbesserung der Lebensqualität in der Bewertung berücksichtigt werden. Aufgrund der Betonung, dass insbesondere diese Parameter Berücksichtigung finden 142 Vgl. Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 324 ff. (327).
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sollen, ist eine abschließende Aufzählung der den Nutzen beeinflussenden Kriterien nicht vorgenommen worden. Es sind daher weitere Faktoren berücksichtigungsfähig.143 Hierbei ist aber zu beachten, dass nach der Formulierung des § 35b Abs. 1 S. 2 SGB V der GBA dem IQWiG gegenüber in der Auftragserteilung bestimmte Vorgaben macht. Von diesen ist das IQWiG nicht befugt, abzuweichen. Die Öffnung des § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V gegenüber weiteren zu berücksichtigenden Faktoren bei der Kosten-Nutzen-Bewertung richtet sich – liest man ihn systematisch zusammen mit § 35b Abs. 1 S. 2 SGB V – daher vor allem an den GBA.144 Dieser kann in seinem Auftrag weitere zu berücksichtigende Parameter festlegen. § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V adressiert demzufolge nicht allein das IQWiG.145 Die nach § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V zu berücksichtigenden Kriterien stellen jedoch, selbst bei fehlender Erwähnung dieser im Auftrag des GBA, die bindenden Mindestkriterien zur Bewertung des Nutzens dar. Das IQWiG ist somit laut § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V zwar befugt den Bewertungsauftrag hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren (Kriterien) auszuweiten. Dies darf jedoch nicht zu einer erheblichen Veränderung der Aufgabenstellung des GBA führen. In der Gesamtschau zeigen § 35b Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB V, dass der GBA die für die Bewertungsentscheidung relevanten Kriterien vorgeben soll, da dieser letztlich auch über das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung entscheidet und zur Umsetzung der Kosten-Nutzen-Bewertungen berufen ist. Dem IQWiG wird nach § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V ausdrücklich eingeräumt, sowohl über die Methoden als auch die Kriterien für die Erarbeitung von KostenNutzen-Bewertungen zu bestimmen. Dieser Spielraum ist jedoch durch die vom GBA im Rahmen der konkreten Auftragserteilung zu stellenden Vorgaben wie auch die Maßgaben des § 35b Abs. 1 SGB V beschränkt. Angesichts der Stellung des IQWiG als sachverständiges Gremium, das dem GBA zuarbeitet, ist diese Aufteilung der Zuständigkeitsbereiche notwendig, da die Bestimmung der zu berücksichtigenden Kriterien erhebliche Auswirkungen auf das Ergebnis der Bewertung hat. Im Gegensatz zu ihrer Ermittlung stellt die Bestimmung der einzubeziehenden Kriterien aber keine Frage des Bewertungsvorganges oder der Art und Weise der Bestimmung von Kosten und Nutzen aus sachverständiger Perspektive dar.146 Das IQWiG ist daher hierzu nicht berufen. Es soll stattdessen auf der Grundlage der anerkannten internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und Gesundheitsökonomie eine Methodik entwickeln, die dazu geeignet ist, die Angemessenheit und Zumutbarkeit
143 Vgl. Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (452 ff.). 144 Näher hierzu auch unter § 2 B. III. 3. 145 Anders Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (452) und Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie: Rechtliche Fragen zum IQWiG, S. 12. 146 Siehe zu den Folgen dieser Vorgaben für die demokratische Legitimationsnotwendigkeit § 5 A. II. 2. e).
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der Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft zu bewerten (§ 35b Abs. 1 S. 4 und 5 SGB V). Letzteres stellt gleichzeitig die wohl relevanteste und umstrittenste Vorgabe für die Methodenwahl des IQWiG dar. Der Verweis des § 35b Abs. 1 S. 5 SGB Vauf die in den jeweiligen Fachkreisen anerkannten internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und Gesundheitsökonomie in Bezug auf die Wahl der Methodik zur Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ist hinsichtlich seiner Auswirkungen problematisch. Zwar sind derartige Verweise auf außerhalb des Rechts liegende Maßstäbe durch den Gesetzgeber durchaus nicht unüblich. Das zeigt insbesondere das Umweltrecht mit seinem Verweis auf den Stand der Technik.147 Die Implementierung eines internationalen Standards, der sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher Gesundheitssysteme und ihrer speziellen Vorgaben entwickelt hat, in das System der GKV ist aber problematisch.148 Die Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems, die Beitragsfinanzierung, der Sozialausgleich und sein Ansatz, eine vollständige Absicherung gegen Krankheiten zu bieten, beinhalten im Hinblick auf Kosten-NutzenBewertungen besondere Anforderungen.149 Andere gesetzliche Regelungen des SGB V stellen weitere Maßgaben für derartige Bewertungen auf, von denen auf der Grundlage eines unklaren internationalen Standards nicht einfach abgewichen werden kann.150 Als Beispiel für die Problematik der Umsetzung dieser Vorgaben lässt sich insbesondere die Diskussion um die QALYs151 angeführen. Von einigen Gesundheitsökonomen wird der methodische Ansatz der QALYs als internationaler Standard bei der Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen angesehen. QALYs werden häufig 147 Ein derartiger Verweis findet sich im Umweltrecht etwa in §§ 3 Abs. 6, 5 Abs. 1 Nr. 2, 6 Abs. 3 Nr. 2, 12 Abs. 1a, 22 Abs. 1, 48 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 1a BImSchG, in §§ 3 Abs. 28, 9 Abs. 2 Nr. 3, 16 KrWG sowie in §§ 3 Nr. 11, 16 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 60 Abs. 1 WHG. 148 So im Ergebnis auch das IQWiG, weshalb es einen spezifisch deutschen Standard zur Bewertung entwickelt hat, siehe Koch/Sawicki, Die Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen von medizinischen Verfahren, MedR 2010, S. 240 ff. 149 Vgl. Koch/Sawicki, Die Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen von medizinischen Verfahren, MedR 2010, S. 240 ff. (241 ff.). 150 Im Gegensatz zu einer nicht unerheblichen Anzahl von Gesundheitsökonomen ist das IQWiG der Auffassung, dass ein internationaler Standard für die vergleichende ökonomische Evaluation von Kosten und Nutzen nicht vorhanden sei. Die Gesundheitsökonomie habe sich in den letzten Jahren aufgrund der Kritik am QALY-Konzept von ihm abgewandt, vgl. IQWiG, Methodik der Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, Version 1.1. vom 9. 10. 2008, S. 11 und 13 ff. 151 Das Konzept der QALYs versucht mit einer Komplexitätsreduktion eine Bewertung anhand der Messung zweier Dimensionen, der Restlebenserwartung als quantitativer Komponente und der Lebensqualität als qualitativer Komponente, zusammenzufassen und auf diese Weise den Kosten gegenüberzustellen, vgl. Schöffski/Greiner, Das QALY-Konzept als prominentester Vertreter der Kosten-Nutzwert-Analyse, in: Schöffski/v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 95 ff. (96 f.).
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zum Kosten-Nutzen-Vergleich eingesetzt, beinhalten aber weitgehend nicht überprüfbare Wertungsentscheidungen. Ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit ist insbesondere in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG problematisch.152 Dem Wortlaut des § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V, der lediglich eine Anlehnung an den internationalen Standard bei der Methodenwahl fordert, ist aber nur eine begrenzte Bindung an eben jenen internationalen Standard zu entnehmen.153 Sollten QALYs verfassungsrechtlichen Wertungen oder aber sonstigen Vorgaben des SGB V widersprechen, wären sie daher ins SGB V nicht implementierbar. Der Transfer des internationalen Standards hat aus diesem Grund angepasst an das System der GKV und die Vorgaben des Grundgesetzes zu erfolgen. In Bezug hierauf ist allerdings anzumerken, dass hinsichtlich der Ermittlung eines angemessenen Preises für Nutzenvorteile die nationalen Vorgaben deutlich weiter sind als im Rahmen von Leistungsbeschränkungen. Die Implementierung eines internationalen Bewertungsansatzes wäre, würden die Kosten-Nutzen-Bewertungen nur zur Preisbestimmung im Rahmen von § 130b SGB V eingesetzt werden, daher deutlich einfacher. Es könnte eine sehr viel stärkere Anlehnung an den internationalen Standard erfolgen, als dies bisher der Fall ist.154 Die Notwendigkeit eines individuell deutschen Bewertungsansatzes ergibt sich deshalb sehr viel stärker daraus, dass die Kosten-Nutzen-Bewertungen auch zur Ausgestaltung des Leistungskataloges eingesetzt werden können.155 Die vom IQWiG entwickelte Methode ist bereits von ihrem Ansatz her eher auf Leistungsbeschränkungen ausgerichtet.156 Dies liegt daran, dass die Kosten-Nutzen-Bewertungen zum Zeitpunkt der Entwicklung der Methodik zur Festsetzung von Höchstbeträgen157 152 Ein solcher Verstoß der QALYs gegen Art. 3 Abs. 1 GG wird unter anderem deshalb angenommen, weil diese zu einer Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen führen würde (etwa behinderter und älterer Menschen, aber teilweise auch Kindern). Außerdem würde die Komplexität der Entscheidung derart reduziert werden, dass relevante Gesichtspunkte außer Betracht blieben, vgl. Schöffski/Greiner, Das Qualy-Konzept zur Verknüpfung von Lebensqualitätseffekten mit ökonomischen Daten, in: Schöffski/v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 367 ff. (383 ff.); Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, DVBl 2010, S. 1069 ff. (1075). 153 Vgl. Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (452). 154 Zu den Erfahrungen mit Kosten-Nutzen-Bewertungen im internationalen Kontext siehe Busse, Internationale Erfahrungen bei der Kosten-Nutzen-Bewertung, Gesundheitswesen 2009, S. 26 ff. Eine stärkere Berücksichtigung des internationalen Standards fordernd beispielsweise Wasem, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen, GesW 2009, S. 41 ff. (42 ff.). 155 Hierzu näher unter C. II. und III. in diesem Kapitel. 156 Zur Reflexion des IQWiG hinsichtlich seines methodischen Ansatzes auf die Institutstätigkeit als Vorstufe der Normsetzung des GBA auch Maassen/Uwer, Verfahrensrechtliche Fragen zum Methodenpapier des IQWiG vom 1. März 2005, MedR 2006, S. 32 ff. (33). 157 Höchstbeträge dienten zwar auch der Preisbestimmung, sie begrenzten jedoch nur die von der GKV zu tragenden Kosten, bestimmten aber nicht den von den Versicherten zu entrichtenden Preis. Daher wohnte den Kosten-Nutzen-Bewertungen in diesem Kontext der Aspekt
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verwendet wurden. Angesichts der nach derzeitiger Rechtlage bestehenden Möglichkeit, auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen Therapiehinweise zu erlassen (§ 35b Abs. 3 S. 4 Halbs. 2 SGB V), ist diese Ausrichtung durch die Änderungen des AMNOG – auch wenn die Relevanz hiervon deutlich abgenommen hat – nicht vollständig obsolet geworden. Da der gewählte methodische Ansatz weder § 130b SGB V widerspricht noch den gesetzlichen Vorgaben des § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V und § 139a Abs. 4 SGB V zuwiderläuft, ist er trotz des veränderten Anwendungsbereiches von Kosten-Nutzen-Bewertungen weiterhin verwendbar. Es muss somit kein anderer Bewertungsmaßstab gewählt werden. Das Modell der Effizienzgrenzen taugt allerdings nur bedingt dazu, gleichzeitig sowohl die Möglichkeit von Leistungsbeschränkungen als auch die Angemessenheit des Preises für den Zusatznutzen zu beurteilen. Im Rahmen von Preisfestsetzungen können weitere Faktoren berücksichtigt werden als bei Leistungsbeschränkungen. Das Defizit beispielsweise hinsichtlich der Berücksichtigung indikationsübergreifender Vergleiche kann im Rahmen der Rabattverhandlungen jedoch durch eigenes Vorbringen der Pharmaunternehmen kompensiert werden. Ebenso könnte der GBA in seinem Auftrag zusätzlich indikationsübergreifende Vergleiche fordern, sollten diese benötigt werden. Die stärkere Ausrichtung der Kosten-Nutzen-Bewertung am Gedanken der möglichen Leistungsbeschränkung als an der Preisbestimmung bewegt sich deshalb hinsichtlich der Einhaltung des internationalen Standards noch im Rahmen des Ausgestaltungsspielraums, der dem IQWiG bei der Methodenwahl eingeräumt ist. Weil über den Verweis des § 35b Abs. 3 S. 4 auf § 92 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 6, Abs. 2 SGB V gleichzeitig die Möglichkeit besteht, die Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG für Leistungsausschlüsse, -einschränkungen sowie Therapiehinweise zu verwenden, ist die gewählte Methode sogar sinnvoll. Der sonst in vielerlei Hinsicht kritisierte Ansatz der indikationsspezifischen Effizienzgrenzen ist jedenfalls insoweit zu begrüßen, als er im Hinblick auf die grundsätzlich indikationsspezifische Betrachtungsweise, wenn auch möglicherweise nicht vollständig dem internationalen, so aber doch jedenfalls dem deutschen Standard in Bezug auf Leistungsbeschränkungen entspricht.158 Da sämtliche der in § 35b SGB V genannten Kriterien letztlich keine Konkretisierung des Ausgleichsmaßstabs, also der Bewertung von Kosten und Nutzen zueinander, beinhalten – abgesehen von der Vorgabe des Vergleichs –159 ist das IQWiG auf den ersten Blick in seiner Methodenwahl und Bestimmung der Kriterien relativ frei. Das Ergebnis derartiger Bewertungen ist jedoch in erheblichem Umfang davon der Leistungsbeschränkung stärker inne, als dies nunmehr im Rahmen der Rabattverhandlungen der Fall ist. Vgl. hierzu auch § 2 B. I. 1. 158 Vgl. Marckmann, Nutzenmaximierung mit gerechtigkeitsethischen Einschränkungen: Perspektive einer ethisch vertretbaren Kosten-Nutzen-Bewertung, GesW 2009, S. 2 ff. (2); auf die Vorteile des Ansatzes ebenso hinweisend Huster, Kosten-Nutzen-Bewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (238). 159 Zur Leerformel der in § 35b SGB V geregelten Kriterien auch Huster, Kosten-NutzenBewertungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (237).
B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung
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abhängig, welche Daten erhoben werden und wie die Methodik zur Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ausgestaltet ist.160 Der gewählte methodische Ansatz muss außerdem sämtliche relevanten rechtlichen Vorgaben des SGB V wie auch der Verfassung einhalten, damit die Bewertungen des IQWiG für den GBA sinnvoll verwendbar sind.161 Dies hat Auswirkungen sowohl auf die Methodenwahl und Vorgehensweise des IQWiG als auch auf die notwendige Art und Weise des Umgangs mit seinen Analysen durch den GBA. Bei der Bewertung sind daher über die direkten Vorgaben des § 35b SGB V hinausgehend weitere Maßstäbe zu berücksichtigen, die im Folgenden näher herausgearbeitet werden.162 Um zu beurteilen, inwieweit das IQWiG mit seiner Effizienzgrenze und der Ausgaben-Einfluss-Analyse eine Methodik gefunden hat, die der von § 35b SGB V geforderten Interdisziplinarität und Expertenbeurteilung gerecht wird, bedarf es einer konkreteren Betrachtung des Bewertungsansatzes wie auch der rechtlichen Vorgaben. Neben der Erstellung einer Effizienzgrenze und einer Ausgaben-EinflussAnalyse ist in der Literatur insbesondere auch die Frage diskutiert worden, welche Perspektive bei der Berücksichtigung der Kosten und Nutzen einzunehmen ist: eine rein GKV-bezogene, sozialversicherungsbezogene oder gesellschaftsbezogene Perspektive. Weiterhin ist umstritten, ob die Beurteilung der Angemessenheit der Kostenübernahme nach § 35b SGB V indikationsbezogen oder aber indikationsübergreifend erfolgen soll. Diese Aspekte werden im Folgenden vertieft. Gleichzeitig wird hiermit die Verzahnung der Beurteilung der Angemessenheit des KostenNutzen-Verhältnisses durch das IQWiG und den GBA über das Ineinandergreifen der methodischen Vorgaben herausgearbeitet. Hierauf wird im Hinblick auf die Frage der Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG in § 5 zurückgegriffen.
1. Bewertung der Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme Eine ausdrückliche gesetzliche Maßgabe zur Bewertung des Kosten-NutzenVerhältnisses findet sich zwar in der Forderung, die Angemessenheit und Zumut160 Greiner, Die Berechnung von Kosten und Nutzen im Gesundheitswesen, in: Schöffski/ v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 49 ff. (49, 62 f.). 161 Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (452). 162 Zur Notwendigkeit der Herleitung von Kriterien für eine Kosten-Nutzen-Bewertung im Gesundheitsrecht aus der Verfassung Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (393 ff.), der im Ergebnis jedoch Kosten-Nutzen-Bewertungen de facto auf die Gewinnspanne der Arzneimittelhersteller reduziert und vorschlägt, nach der Schwere kategorisiert, prozentuale Innovationszuschläge zu gewähren. Dies würde jedoch voraussetzen, dass die Produktionskosten offengelegt und überprüft werden müssten. Anhand einer Bewertung des Nutzens je Krankheitskategorie würden dann Gewinnmargen ausgeschüttet werden. Diese Methode kann bei der Preisbestimmung zwar durchaus verwendet werden, hilft jedoch im Falle der Frage, ob eine Leistung auf Kosten der GKV überhaupt erbracht werden soll, nicht weiter.
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barkeit der Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft angemessen zu berücksichtigen. Allerdings scheint § 35b Abs. 1 S. 4 Halbs. 4 SGB V insoweit lediglich die im Verhältnismäßigkeitsprinzip geforderten Kriterien einfachgesetzlich zu wiederholen – und zwar sogar doppelt bis dreifach163.164 Die an dieser Formulierung geäußerte Kritik der Doppelung der Angemessenheitsforderung ist aber nur teilweise stichhaltig.165 Zwar mag es sprachlich nicht geschickt sein, denselben Begriff in einem Satz doppelt zu verwenden. Die Doppelung erzeugt jedoch keine, wie vorgeworfen wurde,166 Redundanz. Vielmehr bezieht sich die Forderung der Angemessenheit im ersten Fall auf die Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft und im zweiten Fall auf den Grad der Berücksichtigung im Rahmen der Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Problematischer hingegen ist, welche Bewertungskategorie durch den Begriff der „Zumutbarkeit“ neben der Forderung der „Angemessenheit“ der Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft zusätzlich eingeführt werden soll. Diesbezüglich könnte eine Redundanz vorliegen. Um zu klären, ob hierdurch lediglich ein und dieselbe Forderung besonders hervorgehoben wird oder unterschiedliche Vorgaben gemacht werden, ist der Begriff der Zumutbarkeit genauer zu analysieren. Grundsätzlich wird die Zumutbarkeit so verstanden, dass sie im Gegensatz zur Angemessenheit stärker auf eine individuelle, einzelfallbezogene Betrachtung fokussiert.167 Nach einer weiteren Ansicht unterscheiden sich Angemessenheit und Zumutbarkeit neben der individuellen Betrachtung auch dahingehend, dass im Rahmen der Angemessenheit eine Zweck-Mittel-Relation in den Blick genommen wird, während die Zumutbarkeit einen darüber hinausgehenden eigenständigen Bewertungsmaßstab beinhaltet.168
163 Die Begriffe „Angemessenheit“, „Zumutbarkeit“ und „angemessen“ werden allesamt meist mit Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit verknüpft. 164 Zur Zumutbarkeit als eigenständigem Verfassungsmaßstab siehe Ossenbühl, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, in: Rüthers/Stern (Hrsg.), Freiheit und Verantwortung im Verfassungsstaat, S. 315 ff. (320), dem hier jedoch nicht gefolgt werden soll. Vielmehr wird die Forderung nach der Zumutbarkeit als Wiederholung des aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entstammenden Angemessenheitskriteriums bezogen auf den Einzelfall verstanden, was jedoch hinsichtlich der Forderung, eine Betrachtung auf die Versichertengemeinschaft bezogen vorzunehmen, als widersprüchlich erscheint. 165 Die Doppelung etwa kritisierend Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (237). 166 Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (240). 167 Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers, S. 40, der über die begriffliche Herleitung der Zumutbarkeit den besonderen Personenbezug herleitet. 168 Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers, S. 56 ff., der unter Zumutbarkeit das Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichen Pflichten und der Person des Pflichtigen versteht.
B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung
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Reflektiert man den Bewertungsansatz des IQWiG vor dem Hintergrund der skizzierten, denkbaren Verständnisvarianten der Begriffe Zumutbarkeit und Angemessenheit, ist festzustellen, dass die Methodik dem vom Ansatz her entspricht. Das IQWiG hat die möglicherweise herzuleitende Forderung, die Kosten für die Versichertengemeinschaft anhand zweier unterschiedlicher Betrachtungsansätze zu beurteilen, durch seine Methodenwahl jedenfalls umgesetzt. Zum einen erstellt das IQWiG eine Effizienzentwicklungslinie anhand der innerhalb einer Indikation vorhandenen medizinischen Methoden.169 Zum anderen führt es eine AusgabenEinfluss-Analyse durch. Mit dieser werden die Auswirkungen der Leistungsaufnahme auf die Gesamtausgaben des Gesundheitswesens abgeschätzt.170 Es bestehen somit zwei verschiedene Perspektiven mittels derer das Kosten-Nutzen-Verhältnis beurteilt werden kann.171 Diese beiden Bewertungsmethoden könnten den Forderungen der Angemessenheit und Zumutbarkeit zuzuordnen sein: Versteht man die Zumutbarkeit als rein individuelle Betrachtung, kann eine Subsumtion des methodischen Ansatzes unter den Begriff „Zumutbarkeit“ allerdings nicht erfolgen. Keiner der beiden Ansätze bezieht sich stärker auf ein einzelnes Individuum oder einen Einzelfall als der andere. Aufgrund des Bezugs der Zumutbarkeitsbeurteilung zur Versichertengemeinschaft ist eine individualbezogene Beurteilung ausgeschlossen. Begreift man die „Zumutbarkeit“ hingegen als eigenen, gegenüber der Verhältnismäßigkeit gesonderten Wertungsmaßstab, erscheint die Ausgaben-EinflussAnalyse als mögliche ökonomische Umsetzung. Die Ausgaben-Einfluss-Analyse führt einen weiteren Entscheidungsmaßstab für die Kostenübernahme ein, der über die Betrachtung des direkten Verhältnisses von Kosten und Nutzen zueinander hinausgeht. Die Ausgaben-Einfluss-Analyse nimmt als weiteren Wertungsmaßstab den Einfluss der Leistungsaufnahme des Arzneimittels auf die Gesamtausgaben der GKV auf. Im Gegensatz zur Effizienzgrenze betrachtet sie nicht die singulär hervorgerufenen Kosten, sondern die Kostenakkumulation. Die Bewertung der Zumutbarkeit der Kostenübernahme durch die Solidargemeinschaft kann damit anhand eines weiteren Gesichtspunkts erfolgen. Es erscheint deshalb möglich, dass, obwohl nach der Effizienzgrenze ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis vorliegt, die Zumutbarkeit der Kostenübernahme für einzelne medizinische Methoden und Leistungen aufgrund ihres Einflusses auf die Gesamtausgaben der GKV abzulehnen
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Detaillierte Ausführung zu deren Erstellung finden sich unter § 2 B. III. 2. a). IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 31 ff. und IQWiG, Würdigung der Stellungsnahmen zum „Entwurf einer Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung Version 2.0“, S. 42 ff. 171 Eine detailliertere Darstellung und Analyse der methodischen Umsetzung der Vorgaben des § 35b SGB V durch das IQWiG folgt sogleich unter § 2 B. III. 2. 170
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ist.172 Die Ausgaben-Einfluss-Analyse beinhaltet damit ein einzelfallbezogenes Element. Ein Personenbezug wird indes allenfalls zur fraglichen Gruppe, zur Versichertengemeinschaft, hergestellt.173 Demnach kann die Aufgaben-Einfluss-Analyse als selbstständige Umsetzung des Zumutbarkeitskriteriums angesehen werden. Das IQWiG könnte bei seiner Methodenwahl also versucht haben, sowohl das Kriterium der Angemessenheit als auch das der Zumutbarkeit der Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft zu berücksichtigen. Gleichzeitig scheint dieses Verständnis, zwischen Angemessenheit und Zumutbarkeit zu differenzieren, aber stark auf die Vereinbarkeit von Wortlaut und Methodenansatz des IQWiG hin konstruiert zu sein. Aufgrund der Wortlautanlehnung vermag diese Argumentation zwar sowohl die Anwendung der Effizienzgrenze als auch der Ausgaben-Einfluss-Analyse als Methoden zur Bewertung des KostenNutzen-Verhältnisses zu rechtfertigen.174 Der Gesetzgeber hat aber, wie seine Gesetzesbegründung zeigt, die Begriffe „Angemessenheit“ und „Zumutbarkeit“ wohl eher als stehende Wendung bzw. Phrase verwendet, ohne selbst hierdurch unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe intendiert zu haben.175 Zwingend vorgegeben ist die Methodik des IQWiG durch die Begriffe „Zumutbarkeit“ und „Angemessenheit“ deshalb nicht. Der methodische Ansatz des IQWiG, neben dem Vergleich von Kosten und Nutzen mittels der Effizienzgrenze einen weiteren Maßstab zu generieren, der für die Entscheidung über die Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft von Relevanz sein kann,176 ist jedoch sinnvoll. Hiermit werden dem GBA weitere Informationen geliefert, die im Hinblick auf die Entscheidung über die Kostenübernahme für ein Arzneimittel von Relevanz sein können. Schließlich hat die Kostenübernahme Einfluss auf die Ausgaben der gesamten GKV. Angesichts der Finanzierung der GKV über Beiträge der Versicherten 172 So im Übrigen auch die Begründung des IQWiG zu seinem Methodenansatz, IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0 vom 12. 10. 2009, S. 44. 173 Dies widerspricht jedoch der Unzumutbarkeit als subjektbezogenem Wertungsmaßstab vom Ansatz her, fasst man wie Lücke die Zumutbarkeit als Individualisierungsgebot auf, vgl. Lücke, Die (Un-)Zumutbarkeit als allgemeine Grenze öffentlich-rechtlicher Pflichten des Bürgers, S. 40 ff. Individuelle Interessen sind im Rahmen einer gruppenbezogenen Betrachtung gerade nicht berücksichtigbar. 174 So wohl auch Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (390), der allerdings kritisiert, dass das IQWiG mit der Budget-Impact-Analyse keine Bewertungsentscheidung treffe, sondern diese „an die Politik zurück“ verweise. Eine eindeutige Zuordnung, dass über die Budget-ImpactAnalyse die Zumutbarkeit beurteilt wird, lässt sich den Ausführungen nicht zwingend entnehmen. 175 BT-Drs. 16/3100, S. 103. 176 Dass die Aufnahme einer neuen medizinischen Methode in den Leistungsumfang der Krankenversicherung Auswirkungen auf die Gesamtaufgaben haben kann, zeigt insbesondere das zum Morbus-Pompe ergangene Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts, MedR 2012, S. 324 ff.
B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung
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sind diese Informationen für die Rechtfertigung des damit einhergehenden Eingriffes in Art. 2 Abs. 1 GG von Interesse.177 Die zusätzliche Erstellung einer AusgabenEinfluss-Analyse verstößt daher nicht gegen die Vorgaben des § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V. Zwingend ergibt sie sich aus dem Wortlaut allerdings ebenso wenig. 2. Methodik zur Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses Die Methodik des IQWiG, das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu bewerten, ist in der Fachwissenschaft bereits im Rahmen der Entwicklung des Bewertungsansatzes anhand der hierzu veröffentlichten Methodenpapiere intensiv diskutiert worden.178 Dass eine Überprüfung zu erfolgen hat, ob sich der gewählte Ansatz auch dazu eignet, die juristischen Anforderungen an den Ausgleich zwischen den Parametern des Schutzes von Leben und Gesundheit und des Eingriffs durch Erhebung von Pflichtbeiträgen für die GKV zu erfüllen, ist hingegen vergleichsweise selten angesprochen worden.179 Die Wahl der Methode erscheint aufgrund des Verweises auf den internationalen Standard der Gesundheitsökonomie zwar als vorherbestimmt,180 wegen des Einflusses der Kosten-Nutzen-Bewertungen auf konkrete Entscheidungen über die Leistungen der GKV ist jedoch auch der Verweis auf die internationalen Standards rechtlich determiniert. Die Bewertung des Verhältnisses kann nicht beliebig erfolgen.181 Der Verweis auf internationale Standards führt sowohl hinsichtlich der Nutzen- als auch der Kostenbewertung zu einigen juristischen Problemen, da ihre Implementationsfähigkeit weder im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den sonstigen Vorgaben des SGB V noch in Bezug auf die aus verfassungsrechtlicher Sicht an sie zu stellenden Anforderungen zuvor eingehend untersucht wurde. 177 Vgl. Koch/Sawicki, Die Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnisses von medizinischen Verfahren, MedR 2010, S. 240 ff. (244). 178 So insbesondere in den Stellungnahmen der Fachwissenschaft zu den Methodenpapieren des IQWiG, vgl. die Dokumentationen der Stellungnahmen zur Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, Version 1.0 und 2.0 vom 30. 09. 2008 und 12. 10. 2009 sowie die Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirates des IQWiG für die Version 2.0 der „Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung“, abrufbar unter: https://www.iqwig.de/de/methoden/methodenpa piere/kosten_nutzen_bewertung.3022.html. Zusammenfassend hierzu siehe auch v. d. Schulenburg, Entscheidungsunterstützung durch gesundheitsökonomische Evaluation in Deutschland aus Perspektive der Wissenschaft, Bundesgesundheitsbl. 2012, S. 660 ff. 179 Hierauf ebenso hinweisend Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (452). 180 So Orlowski, Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung. MedR 2010, S. 245 ff. (247). 181 Ebenso Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (379) und Huster, Die Methodik der KostenNutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (452 f.).
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Schwierigkeiten ergeben sich aber insbesondere auch deshalb, weil das IQWiG – anders als einige andere Stimmen in der Fachwissenschaft – zu dem Ergebnis gelangt ist, dass für die deutsche Situation, auf welche sich der internationale Standard bei einer Anwendung im Rahmen des deutschen Gesundheitssystems beziehen müsse, keine Standardmethode existiere.182 Hieran kann man zweifeln – bei einem Vergleich der Methodik des IQWiG mit anderen internationalen Kosten-Nutzen-Bewertungen wird jedoch deutlich, dass sämtliche Abweichungen des IQWiG von diesen etwaigen internationalen Standards mit dem besonderen Referenzszenario der GKV zu erklären sind. Eine unbegründete Abweichung von der gesetzlichen Vorgabe, die internationalen Standards gemäß § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V zu beachten, ist nicht erfolgt.183 Ob die Notwendigkeit der Implementierung des internationalen Standards ein Abweichen von ihm tatsächlich zu rechtfertigen vermag, ist bislang nicht weiter thematisiert worden. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass laut der Formulierung des § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V das IQWiG seinen methodischen Bewertungsansatz lediglich auf der Grundlage des internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie zu bestimmen hat. Für ein Abweichen von dem Standard genügt, dass hierfür systemisch hervorgerufene Gründe bestehen. Mit der Formulierung auf der Grundlage wird gerade keine „sklavische“ Bindung des IQWiG an den internationalen Standard hervorgerufen. Vielmehr ist eine Orientierung an ihm gefordert – hierbei bedarf es jedoch der Überprüfung seiner Implementationsfähigkeit ins deutsche Gesundheitssystem. Das Methodenpapier des IQWiG beinhaltet zwei unterschiedliche Elemente, die eine Bewertung bzw. einen Vergleich des Verhältnisses von Kosten und Nutzen ermöglichen sollen: die sogenannte Effizienzgrenze und die Ausgaben-EinflussAnalyse184. Bei beiden Ansätzen wählt das IQWiG zur Beurteilung der entstehenden Kosten die Versichertenperspektive, sodass allein die in der GKVanfallenden Kosten sowie die Zuzahlungen der Versicherten in die Kosten-Nutzen-Bewertung einbezogen werden. Außerhalb der GKV hervorgerufene Wirkungen, wie etwa zusätzliche Kosten der Pflegeversicherung, werden hingegen nicht berücksichtigt. Darauf, dass sich dieser methodische Bewertungsansatz auf andere medizinische Methoden beliebig ausweiten lässt, hat das IQWiG in seinem Methodenpapier selbst 182 So ausdrücklich Koch/Sawicki, Die Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen von medizinischen Verfahren, MedR 2010, S. 240 ff. (242); IQWiG, Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, Version 1.1. vom 9. 10. 2008, S. 13 ff.; im Ergebnis ebenso Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (391 ff.). 183 So die Erklärung des methodischen Ansatzes im Verhältnis zum internationalen Umgang mit Kosten-Nutzen-Bewertungen durch das Ressort Gesundheitsökonomie des IQWiG, Schwalm/Danner/Seidl/Volz/Dintsios/Gerber, Wo steht die Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG, Bundesgesundheitsbl. 2010, S. 615 ff. (617). 184 Welche häufig auch als Budget-Einfluss-Analyse bezeichnet wird.
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ausdrücklich hingewiesen. Die immer wieder proklamierte „Kostenexplosion“ des Gesundheitswesens,185 welche auf den demographischen Wandel und insbesondere den technischen Fortschritt zurückgeführt wird,186 lässt eine Erweiterung des Einflusses von Kosten-Nutzen-Aspekten auf die Bestimmung des Leistungsumfanges der GKV aber als nicht unwahrscheinlich erscheinen. Die Untersuchung des Bewertungsansatzes wird aus diesem Grund unabhängig von bereichsspezifischen Besonderheiten der Arzneimittel durchgeführt. a) Bestimmung einer Effizienzgrenze Bei der Bestimmung der Effizienzgrenze vergleicht das IQWiG den Nutzen und die Kosten der bisherigen in der Indikation vorhandenen medizinischen Methoden. Dabei generiert es insbesondere anhand des in der Indikation vor Aufnahme des neuen Arzneimittels günstigsten Kosten-Nutzen-Verhältnisses eine horizontal zur Nutzen-Achse verlaufende Effizienzgrenze.187 Konkret werden zur Bildung der Effizienzgrenze in einem den Nutzen und die Kosten abbildenden zweidimensionalen Koordinatensystem die jeweils zu vergleichenden Therapien eingetragen. Der Graph, die sogenannte Effizienzgrenze, wird durch Verbindung, beginnend mit der Situation „keine Therapie“, mit der jeweils im Koordinatensystem nächst höher eingeordneten Therapie entwickelt.188 Hierdurch wird die Entwicklung der Effizienz des Kosten-Nutzen-Verhältnisses zwischen den unterschiedlichen medizinischen Methoden nachvollzogen. Mittels Fortführung dieser Entwicklungskurve lässt sich nach Ansicht des IQWiG auf das von den Versicherten tragbare Kosten-Nutzen-Verhältnis als notwendige Effizienz eines
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Gegen die es zwar auch Gegenstimmen gibt, siehe etwa Bingler/Bosbach, Der Mythos der Kostenexplosion im Gesundheitswesen, SozSich 2007, S. 299 ff. (303), die jedoch immer wieder anhand der steigenden Ausgaben versucht wird zu belegen, siehe bspw. Cassel, Wege zur nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 7 und Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 19 ff., der die unterschiedlichen Prognosen zum Kostenwachstum vergleicht. 186 Wobei der demographische Wandel ein Problem der Einnahmen- und Ausgabenseite darstellt, während der technische Fortschritt allein auf Ausgabenseite wirkt, den demographischen Wandel aber mitbedingt. Der demographische Wandel, die Alterung der Gesellschaft, bewirkt aufgrund der Beitragsbemessung und -generierung der GKV sowie aufgrund des gewählten Umlageverfahrens, dass angesichts des zunehmenden Anteils von Rentnern in der GKV und den von diesen zu erhebenden geringeren Beiträgen die Einnahmen sinken, während sich die Ausgaben erhöhen. Dies gilt unabhängig davon, ob man der Versteilerungsthese folgt oder nicht. Siehe hierzu Kopetsch, Zur Rationierung medizinischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, S. 33 ff. 187 IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 33 ff. 188 Koch/Sawicki, Die Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen von medizinischen Verfahren, MedR 2010, S. 240 ff. (244) mit graphischer Darstellung.
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Arzneimittels schließen.189 Das angemessene Kosten-Nutzen-Verhältnis wird somit aus einer „historischen“190 Betrachtung heraus extrapoliert.191 Hiermit wird graphisch unter Zuhilfenahme einer konkreten Linie ein Effizienzverlauf dargestellt. Deutlich unterlegene medizinische Methoden, die unter dieser Effizienzgrenze liegen, werden als ineffizient bewertet. Das IQWiG schlägt in der Begründung seines Bewertungsansatzes aber keinen konkreten Wert als preislichen Höchstwert für einen bestimmten Zusatznutzen vor, sondern es gibt Effizienzbereiche an, in welchen das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht eindeutig ineffizient ist.192 Die Effizienzgrenze stellt den Bereich dar, für welchen das derart ermittelte Verhältnis von Kosten zu Nutzen für die fragliche Krankheit bisher akzeptiert wurde.193 Bei einer Verschlechterung der Effizienz geht das IQWiG grundsätzlich jedoch von einer Unangemessenheit des Preises aus. Dies entspricht seinem Ansatz, dass der im Indikationsgebiet bisher erreichte Effizienzgrad jedenfalls gehalten werden soll.194 Das IQWiG verweigert sich insoweit de facto einer eigenen Wertungsentscheidung. Anstatt selbst einen Maßstab für die Angemessenheit des Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen festzulegen, ermittelt es historisierend den Verlauf einer unterstellten gesellschaftlichen Akzeptanz des Kosten-Nutzen-Verhältnisses und führt diesen linear fort. Aus dem Blickwinkel betrachtet, dass das IQWiG ein wissenschaftliches, sachverständiges, aber nicht zur Entscheidungsfindung legitimiertes Institut ist, ist diese Methodenwahl konsequent. Dieser Ansatz stellt eine Bewertungsoption dar, die es zulässt, eine wissenschaftliche Betrachtung des KostenNutzen-Verhältnisses vorzunehmen, ohne selbst eine konkrete, nicht ausreichend objektivierbare Wertungsentscheidung zu treffen. Das IQWiG versucht auf diese Weise, der Kosten-Nutzen-Analysen vorgeworfenen „Objektivitäts-Suggestion“195 zu entkommen.
189 IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 31 f. 190 „Historisch“ im engeren Sinne ist diese Betrachtungsweise nicht zwingend, weil ein Nutzenanstieg nicht zwangsläufig chronologisch erfolgt. In den meisten Fällen dürften jedoch die hinzukommenden, neuen Therapien einen höheren Nutzen als die zuvor erbrachten aufweisen. Dieser Ansatz liegt jedenfalls der Kosten-Nutzen-Bewertung zugrunde, sodass aus diesem Grund hier von einer historischen Betrachtung gesprochen wird. 191 Ähnlich Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (389). 192 IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 34 f. 193 Martini, Kosten-Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln – eine bittere Pille oder süßes Gift für das Gesundheitswesen, WiVerw 2009, S. 195 ff. (210). 194 IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 43. 195 Ekardt, Ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse versus öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeit und Abwägung: Ergänzung oder Ausschlussverhältnis?, JöR 61 (2013), S. 89 ff. (91). Ebenfalls auf die Problematik, dass Kosten-Nutzen-Analysen suggerieren würden, ab-
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Die Einordnung von Kosten und Nutzen in ein Koordinatensystem und die Erstellung einer Effizienzgrenze, so wie das IQWiG dies vornimmt, würde hinsichtlich der Bewertung der hinter den Kosten und Nutzen stehenden Werte und Güter eine über die Ordinalskalierung hinausgehende Kardinalskalierung erfordern.196 Während im Rahmen einer Ordinalskalierung eine Bewertung des Verhältnisses lediglich als vor-, nach- oder gleichrangig erfolgt, ist es bei einer Kardinalskalierung erforderlich, das Verhältnis der auszugleichenden Werte zueinander im Hinblick auf ihren Verwirklichungsgrad zu bestimmen.197 Das IQWiG nimmt, indem es bestimmt, ob ein neues Arzneimittel einen höheren oder niedrigeren Nutzen hat und wie sich die durch das neue Arzneimittel hervorgerufenen Kosten im Vergleich zu bereits erbrachten Leistungen der GKV verhalten, lediglich eine Ordinalskalierung vor. Eine Kardinalskalierung, die Beurteilung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen zueinander als angemessen, erfolgt hingegen lediglich „historisch“ betrachtet. Eine über diese Betrachtung hinausgehende Wertungsentscheidung wird nicht getroffen.198 Vor dem Hintergrund der ökonomischen Analyse formuliert bedeutet dies, dass rechtlich eine Umsetzung des Pareto-Prinzips im Hinblick auf die Frage des Vorziehens einer Leistung vor der anderen durch das IQWiG erfolgt. Die Bewertung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen zueinander ist aber eher mit dem Ansatz des Kaldor-Hicks-Kriteriums vergleichbar.199 Bei diesem ist zu beurteilen, ob die Verbesserung des einen Wertes die Verschlechterung des anderen zu kompensieren vermag. Genau diese Beurteilung, die durch Kosten-Nutzen-Bewertungen üblicherweise gerade umgesetzt werden soll, ist jedoch mangels konkreter Wertzuor-
schließend sämtliche relevanten Folgen einzubeziehen, hinweisend Sen, The Discipline of Cost-Benefit Analysis, Journal of Legal Studies Vol. 29 (2000), S. 931 ff. (939 ff.). 196 Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (381). 197 Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 132 ff. (135 f.); Gäfgen, Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, S. 144 ff. 198 Anders Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (388 f.), der meint, dass der Ansatz grundsätzlich auf dem Glauben an die kardinale Messbarkeit des intangiblen Nutzens und damit des Wertes der Gesundheit beruhe und die Effizienzgrenze zu einer Kardinalskalierung führe. Eine Kardinalskalierung setzt jedoch voraus, dass ein Werturteil über den Stellenwert des Nutzens getroffen wird. Diesem Werturteil verschließt sich der Ansatz der Effizienzgrenze jedoch gerade, indem sie auf dem bisher akzeptierten Kosten-Nutzen-Verhältnis aufsetzt und dieses fortführt. Somit wird gerade keine Bewertung und damit Kardinalskalierung des Verhältnisses, mit Ausnahme der Eintragung in ein Koordinatensystem, getroffen. Die über die Spieltheorie denkbare kardinale Nutzenmessung in Form der Ermittlung der Zahlungsbereitschaft („willingness to pay“) wird im Rahmen der Effizienzgrenze nicht angewandt, sondern die Zahlungsbereitschaft für das bestehende Effizienzverhältnis vorausgesetzt. 199 Zum Zusammenhang zwischen Kosten-Nutzen-Bewertungen und dem Kaldor-HicksKriterium als Ausweitung des Pareto-Effizienz-Kriteriums zur Kollektiventscheidungsregel siehe Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, S. 192 ff., der das Kaldor-Hicks-Kriterium als „geistige Mutter“ der Kosten-Nutzen-Analyse bezeichnet.
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denbarkeit rechtlich problematisch.200 Das IQWiG führt aus diesem Grund letztere Bewertung, die Beurteilung des Verhältnisses des Nutzengewinns zum Kostenanstieg vergleichbar dem Kaldor-Hicks-Kriterium, lediglich auf der bisherigen Angebotsstruktur der GKV aufsetzend durch. Dies erfolgt mittels der Fortschreibung des Effizienzverlaufs. Eine hierüber hinausgehende Bewertung nimmt das IQWiG nicht vor. Dem Vorwurf, dass die eigentliche Bewertung von Kosten-Nutzen-Verhältnissen eine Frage darstelle, die nicht wissenschaftlich, sondern nur politisch beantwortet werden könne,201 versucht das IQWiG, dem die Grundlegung dieser Wertungsentscheidung als wissenschaftlich beurteilendem Gremium überantwortet wurde, mittels Anwendung einer historisch-empirischen Betrachtung zu entgehen. Gleichzeitig stellt es dem GBA oder sonstigen die Kosten-Nutzen-Bewertungen verwertenden Entscheidungsträgern202 dennoch ausreichend wissenschaftlich fundierte Aussagen zur Verfügung, damit diese ihre Entscheidung treffen können. Der Bewertungsansatz des IQWiG wird vielfach dahingehend kritisiert, dass bei einer wissenschaftlichen Umsetzung der Bewertungsentscheidung nicht auf das bestehende Preisniveau rekurriert werden könne, da dieses die tatsächliche Zahlungsbereitschaft nicht wiedergebe, sondern auf den bisherigen Preisbestimmungen der Pharmaunternehmen beruhe. Diese Kritik verfängt jedoch nicht. Denn der damit zwangsläufig einhergehende Vorschlag, dass es wissenschaftlich vorzugswürdig und gesundheitsökonomisch näher liegend sei, die Zahlungsbereitschaft zu ermitteln und auf diese abzustellen,203 geht fehl. Die Ungeeignetheit der Ermittlung der Zahlungsbereitschaft im Bereich der medizinischen Versorgung ist dem Ansatz der GKV selbst bereits immanent. Das Bestehen der GKV ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass gerade keine ausreichende Zahlungsbereitschaft der Bürger für die medizinische Versorgung besteht, wenn sie das gewünschte Versorgungsniveau ex
200 Siehe zur konkreten Bedeutung der pareto-optimalen Betrachtung und Ausrichtung des Kaldor-Hicks-Kriteriums bei einer Vielzahl von zu vergleichenden Zielen Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 48 ff; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit, S. 42 ff.; Hansjürgens, Mehr Effizienz im Umweltrecht durch Kosten-Nutzen-Analysen?, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 63 ff. (70). Kritisch zur Pareto-Optimalität, nicht nur in Bezug auf die Umsetzbarkeit, sondern auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Auswirkungen Clérico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, S. 113. 201 Arbeitsgruppe Methoden der gesundheitsökonomischen Evaluation (AG MEG) in der Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, Stellungnahme (DGSMP), in: IQWiG, Anhang: Dokumentation der Stellungnahmen zur „Methodik für die Bewertung des Verhältnisses zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung Version 1.0“, S. 155 ff. 202 Sowohl der Gesetzgeber als auch das Bundesministerium für Gesundheit können auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen jederzeit tätig werden. 203 Wasem, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, Eine unvermeidbare Abwägung, DÄ 2008, A-438 ff. (A-439 f.); Kellner, Die Einführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 189 ff. (192).
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ante beurteilen sollen.204 Dass im Nachhinein, bei Leiden an einer Krankheit, wiederum alles zur Genesung getan werden soll, hilft über diese Feststellung nicht hinweg. Dieses Argument gegen die Zugrundelegung einer Marktsimulation ist bereits im Hinblick auf die Ermittlung des Existenzminimums herangezogen worden.205 Es greift jedoch von seinem Argumentationsansatz her ebenso hinsichtlich der Forderung, auf dieser Grundlage eine Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses vorzunehmen. Weiterhin zeigt gerade auch die teilweise Rückführung des Marktversagens im Bereich der Gesundheitsleistungen auf die hier bestehende eingeschränkte Konsumentensouveränität206, dass der Ansatz, den Nutzen mittels Ermittlung der Zahlungsbereitschaft zu bestimmen, in diesem Bereich ungeeignet ist. Nutzen und Zahlungsbereitschaft sind im Rahmen der Gesundheitsleistungen nicht zwingend gleichzusetzen.207 Hinzu kommt, dass die Funktion des Gesetzgebers zur Repräsentation und Umsetzung des Volkswillens hinsichtlich solcher Wertungsfragen mit derartigen parallel geführten, stichprobenartigen Befragungen einer repräsentativen Gruppe durch nicht-staatliche Institutionen,208 die nicht eine derart umfassende Beteiligung wie die Wahl zu gewährleisten vermögen, umgangen würde. Die Wertigkeit des bei Befragungen anzugebenden Geldbetrages wird sich auch aufgrund der in der GKV divergierenden Zahlungsfähigkeit der Versicherten unterscheiden.209 Schon aus diesem Grund würden, wenn überhaupt, nur die Durchführung umfangreicher repräsentativer Befragungen zur Bemessung des angemessenen Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen der kumulativ finanzierten Leistungen taugen. Dies wiederum erscheint schon in der praktischen Umsetzung schwierig. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass die kumulative Finanzierung von Leistungen die Entscheidung über die Angemessenheit des Preises beeinflusst. Eine Bewertung der Angemessenheit des Kosten-Nutzen-Verhältnisses anhand der mittels Marktsimulationen ermittelten Zahlungsbereitschaft ist daher aus vielfältigen Gründen abzulehnen. 204
Schulin, in: Schulin, HS-KV, § 6 Rn. 43; vgl. auch BVerfGE 102, 68 (89 ff.). So Neumann, Das medizinische Existenzminimum zwischen Sozialhilfe und Krankenversicherung, RsDE 68 (2008), S. 1 ff. (8). 206 Marckmann, Verteilungsgerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung, in: Düwell/ Steigleder (Hrsg.), Bioethik, S. 333 ff. (337). 207 Zur auch in anderen Bereichen häufig fehlenden Identität von Nutzen und Zahlungsbereitschaft Hansjürgens, Mehr Effizienz im Umweltrecht durch Kosten-Nutzen-Analyse?, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 63 ff. (70). 208 Zur Ermittlung der Zahlungsbereitschaft siehe Schöffski, Nutzentheoretische Lebensqualitätsmessung, in: Schöffski/v. d. Schulenburg, Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 321 ff. (370 ff.). 209 Auf die Problematik der Abhängigkeit der Zahlungsbereitschaft von der Zahlungsfähigkeit bei der Ökonomisierung des Nutzens, welche zu einer Verzerrung des Nettonutzens führen kann, ebenso hinweisend Hansjürgens, Effizienz im Umweltrecht durch Kosten-NutzenAnalysen?, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 63 ff. (70). 205
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Auch einer anderweitigen Ermittlung der Zahlungsbereitschaft – etwa anhand von sogenannten wage-risk-Studien oder averting-behavior-Studien – ist entgegenzuhalten, dass sie zum einen nicht sämtliche zu bewertenden Bereiche abdecken können und zum anderen, dass sie eine Beziehung zu außerhalb der GKV getroffenen Entscheidungen herstellen, die konkret in Bezug auf den Gesundheitsschutz möglicherweise anders gefällt würden.210 Aus diesem Grund würde eine derartige Ermittlung der Zahlungsbereitschaft keine weiteren wissenschaftlichen Informationen bereitstellen,211 die für die auf Rechtsfolgenebene zu treffende Entscheidung von Relevanz wären. An die in der PKV bestehende Zahlungsbereitschaft kann ebenfalls nicht angeknüpft und hierüber auf den Willen der in der GKV Versicherten rückgeschlossen werden. Zwar bestünde hiermit ein unmittelbarer Bezug zur Zahlungsbereitschaft für Gesundheitsleistungen, jedoch kann ein Unterschied in Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft der Versicherten der GKV und PKV, wie bereits die Mitgliedschaftsstrukturen zeigen, nicht ausgeschlossen werden. Ein Gleichlauf dieser ist daher abzulehnen. An das bisherige Leistungsgefüge der GKV und damit den bestehenden Leistungskatalog und seine Preisgestaltung anzuknüpfen, ist demnach nur dadurch vermeidbar, dass stattdessen andere mindestens ebenso wertungsbehaftete Betrachtungen vorgenommen werden. Das Vorgehen über Effizienzgrenzen und die Art und Weise ihrer Erstellung widerspricht aus diesen Gründen nicht den Vorgaben des § 35b SGB V. Der GBA muss jedoch im Rahmen der Umsetzung weitere Gesichtspunkte, wie etwa die Schwere der Erkrankung, berücksichtigen. b) Ausgaben-Einfluss-Analyse Mittels einer Ausgaben-Einfluss-Analyse (Budget-Impact-Analysis) werden die direkten finanziellen Konsequenzen der Erstattung einer Gesundheitstechnologie im Gesundheitssystem bemessen.212 Im Rahmen dieses Ansatzes werden die im Hinblick auf die Behandlung eines Einzelfalles gewonnen Daten auf die hierdurch insgesamt verursachten Kosten in Bezug auf die Gesamtzahl der von dieser Krankheit betroffenen Versicherten hochgerechnet. Hiermit sollen die bei Aufnahme
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Wage-risk Studien betrachten, bei welcher Lohndifferenz die Bereitschaft zum Eingehen eines höheren Risikos steigt. Mit Averting-behavior-Studien hingegen wird ermittelt, welche zusätzlichen Kosten zu tragen man bereit ist, um negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand zu vermeiden bzw. zu reduzieren, vgl. Schöffski, Nutzentheoretische Lebensqualitätsmessung, in: ders./v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 370 ff. (372 ff.). 211 So auch Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (454). 212 Trueman/Drummond/Hutton, Developing guidance for budget impact analysis, PharmacoEconomics 2001 (19), S. 609 ff. (611 f.).
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der medizinischen Methode in das Leistungsspektrum der GKV für diese entstehenden Gesamtkosten abgeschätzt werden.213 Hierbei erfolgt jedoch nicht lediglich eine Hochrechnung anhand der bisher Betroffenen und bei Aufnahme daher grundsätzlich anspruchsberechtigten Versicherten.214 Vielmehr wird darüber hinaus der potentielle Anteil der das Medikament konkret erhaltenden Patienten215 ebenso wie der Einfluss auf den Behandlungsmix in der Indikation abgeschätzt.216 Das Bewertungsmodell der Ausgaben-Einfluss-Analyse ist aufgrund der Art und Weise seiner Erstellung allerdings von erheblichen Unsicherheiten geprägt. Es beruht auf nicht validierbaren Prognosen, beispielsweise wie hoch der Durchsetzungsanteil des Medikaments innerhalb der Indikation sein wird. Als Referenzszenario wird ein Vergleich der bisherigen in der Indikation verfügbaren Gesundheitstechnologien mit dem prognostizierten neuen Behandlungsmix verwendet.217 Der Vergleich wird anhand der perspektivischen Populationsentwicklung der Indikation innerhalb desselben Zeithorizonts vorgenommen. Aufgrund der hohen aus der Prognose herrührenden tatsächlichen Unsicherheiten wird hierfür ein eher kurzer Zeitraum gewählt.218 Allerdings schränkt dies die Prognosesicherheit aufgrund der möglichen zeitlichen Abfolge der Behandlungsansätze wieder unter einem anderen Gesichtspunkt ein. Rückfälle und zeitlich verzögert eintretende Nutzen werden bei einem kurzen Zeithorizont nicht vollumfänglich berücksichtigt. Die Ausgaben-Einfluss-Analyse wird vom IQWiG gesondert als weiterer Bewertungsansatz neben der Effizienzgrenze erstellt. Zu einer Kombination der beiden Ansätze kommt es durch das IQWiG selbst nicht. Die Bedeutung der Ergebnisse der indikationsbezogenen Effizienzgrenze und der Ausgaben-Einfluss-Analyse zueinander werden daher vom IQWiG nicht bewertet.219
213
IQWiG, Die Analyse von „Effizienzgrenzen“: Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, S. 13. 214 Ein Off-Label-Use wird in die Berechnung nicht mit einbezogen, vgl. IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 46. 215 Diese können mit den grundsätzlich anspruchsberechtigten, da an einer bestimmten Krankheit erkrankten Versicherten aufgrund der Nebenwirkungsprofile und möglicher Multimorbidität divergieren, vgl. Trueman/Drummond/Hutton, Developing guidance for budget impact analysis, PharmacoEconomics 2001 (19), S. 609 ff. (610 ff.). 216 IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 44 f. 217 IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 46 f. 218 IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 46 f. 219 IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 45.
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Die mögliche Relevanz einer Abschätzung des Kostenzuwachses für die Aufnahme einer medizinischen Methode als Leistung der Krankenversicherung zeigt sich beispielhaft an einem zum „Morbus-Pompe“ gefällten Urteil des Schweizer Bundesgerichts. Diese Entscheidung hat aufgrund ihres Argumentationsansatzes insbesondere im Hinblick auf derartige Ausgaben-Einfluss-Gesichtspunkte international Beachtung gefunden. Das Schweizer Bundesgericht lehnte die Aufnahme einer medizinischen Methode in den Leistungskatalog der Krankenversicherung deshalb ab, weil bei einer Anwendung dieser Methode nicht nur im Einzelfall, sondern für alle vergleichbaren Beschwerden – also bei Anstellung einer Gesamtbetrachtung – die Leistungsfähigkeit der Krankenversicherung überschritten würde.220 Die Geeignetheit dieses Kriteriums derartige Folgen hervorzurufen, ist in der Aufnahme dieses Urteils jedoch vielfach angezweifelt worden.221 Argumentiert wird insbesondere damit, dass nicht relevant wäre, wie hoch die Gesamtkosten der Behandlung einer Erkrankung seien. Es käme bei Anstellung einer Gesamtbetrachtung nicht nur auf die durch eine Erkrankung hervorgerufenen Behandlungskosten an, vielmehr müssten auch an anderer Stelle bestehende Einsparungsmöglichkeiten berücksichtigt werden.222 Dem ist vom Grundsatz her zuzustimmen. Der Einsatz einer nützlicheren medizinischen Methode in einer hohen Anzahl von Fällen erhöht außerdem auch den Umfang des zusätzlichen Nutzens insgesamt. Vom Schweizer Bundesgericht wurde die Argumentation allerdings eher als logischer Kniff, denn als rechtlich zwingender Grundsatz angewandt. Das Gericht stellte mit Blick auf die Besonderheiten der Konstellation darauf ab, dass die Kostentragung durch die Krankenversicherung evident unzumutbar wäre. Zur Begründung dieser Evidenz verwies es darauf, dass die Kosten allein für die Gewährung dieser einen Methode das Gesamtvolumen der Krankenversicherung überschreiten würde. Dies zeige, dass die Kosten hierfür eindeutig zu hoch wären.223 Demnach ist der Ansatz der Ausgaben-Einfluss-Analyse als Kriterium für die Leistungsbemessung der GKV heranziehbar, sie beinhaltet jedoch lediglich eine Art Evidenzprüfung in Form einer Folgenabschätzung. Aus diesem Grund bedarf die Ausgaben-Einfluss-Analyse der Ergänzung um andere Bewertungsmaßstäbe.224 Der Ansatz des IQWiG entspricht diesem Ergebnis, da neben der Ausgaben-EinflussAnalyse eine Effizienzgrenze erstellt wird. Allein eine Ausgaben-Einfluss-Analyse 220
Schweizerisches Bundesgericht, MedR 2012, 324 ff. (330). Vgl. Huster, Das „Morbus-Pompe“-Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (MedR 2012, 324) – eine Diskussion aus rechtlicher, sozialmedizinischer und medizinethischer Sicht, MedR 2012, S. 289 ff. 222 So bspw. Huster, Das „Morbus-Pompe“-Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (MedR 2012, 324) – eine Diskussion aus rechtlicher, sozialmedizinischer und medizinethischer Sicht, MedR 2012, S. 289 ff. (290). 223 Die weiteren argumentativen Ansatzpunkte des Schweizerischen Bundesgerichts, welche durchaus nicht allesamt unzweifelhaft sind, bleiben hier außer Betracht, da sie im Hinblick auf die Ausgaben-Einfluss-Bewertung keine weiteren Hinweise bieten. 224 Trueman/Drummond/Hutton, Developing guidance for budget impact analysis, PharmacoEconomics 2001 (19), S. 609 ff. (609 f.). 221
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führt bei der Beurteilung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses nicht weiter. Evidente Missverhältnisse lassen sich mit diesem methodischen Ansatz jedoch darlegen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Ausgaben-Einfluss-Analyse insbesondere auch für die nach § 130b SGB V durchzuführenden Rabattverhandlungen relevante Informationen bereitstellt. Für ein pharmazeutisches Unternehmen, welches bei der Beurteilung seiner Gewinnmarge weniger auf die im Einzelfall zu erzielenden Preise als vielmehr auf seine Gesamteinnahmen abstellt, ist es bei der Preisbildung unter anderem von Belang, wie hoch die Abnahme des Arzneimittels durch die GKV prognostisch ist. Aus diesem Grund ist die Ausgaben-Einfluss-Analyse in diesem Bereich weiterführend. Die Ausgaben-Einfluss-Analyse vermag demzufolge zwar nicht das einzige Kriterium zur Bewertung der Angemessenheit bzw. Zumutbarkeit des KostenNutzen-Verhältnisses sein. Als Evidenzmaßstab und Verhandlungsgrundlage kann sie jedoch sinnvoll herangezogen werden. c) Perspektive der Kostenberücksichtigung Das IQWiG nimmt seinem methodischen Ansatz zufolge im Hinblick auf die Frage, welche Kosten bei der Bewertung zu berücksichtigen sind, eine Versichertenperspektive ein. Demzufolge werden in den Bewertungen sowohl die direkt bei der GKV anfallenden Kosten als auch die Eigenleistungen der Versicherten berücksichtigt.225 Indirekte Kosten werden hingegen in die Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG nicht einbezogen. Bei indirekten Kosten handelt es sich um Kosten, die außerhalb der GKVanfallen – etwa in anderen sozialen Sicherungssystemen – sowie beispielsweise um Produktivitätsausfallskosten.226 Die Beschränkung des Blickwinkels auf die direkten Kosten der GKV ist vielfach damit kritisiert worden, dass die Bewertung auf diese Weise auf dem Auge der tatsächlichen finanziellen Belastung blind sei.227 Sonstige Produktivitätsverluste würden die GKV-Versicherten als Steuerzahler genauso treffen. Dies gelte ebenso für die anfallenden Leistungen anderer Sozialversicherungen. In diesen wären die GKVVersicherten ebenfalls versichert und hätten entsprechende Beitragszahlungen zu leisten.228 Außerdem würde in nationalen sowie internationalen „Guidelines“ 225
IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 21 f. 226 Wasem, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen, GesW 2009, S. 41 ff. (44 f.). 227 So etwa der Vorwurf von Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (449); Wasem, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen, GesW 2009, S. 41 ff. (44 f.); v.d. Schulenburg, Entscheidungsunterstützung durch gesundheitsökonomische Evaluationen in Deutschland aus Perspektive der Wissenschaft, Bundesgesundheitsbl. 2012, S. 660 ff. (665 f.). 228 Vgl. hierzu Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (456 f.).
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überwiegend empfohlen, sämtliche Kosten und Nutzen in die Bewertung einzubeziehen.229 Aus diesem Grund würde allein die gesellschaftliche Perspektive der Forderung des § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V, die international anerkannten Standards der Gesundheitsökonomie zu beachten, entsprechen.230 Die Wahl der Versichertenperspektive erklärt sich jedoch aus der Struktur der Kosten-Nutzen-Bewertung. Vor dem Hintergrund des zu rechtfertigenden Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG durch die Beitragserhebung für eine Pflichtversicherung kommt es auf anderweitig anfallende Kosten nicht an.231 Neben dem Wortlaut des § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V, nach welchem im Rahmen der Kostenbewertung die Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft zu berücksichtigen ist, und der Gesetzesbegründung legen daher auch verfassungsrechtliche Maßstäbe die Versichertenperspektive nahe. Das Wortlautargument, hinsichtlich der Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kosten würde auf die „Versichertengemeinschaft“ abgestellt, lässt sich auch nicht mit dem Gegenargument entkräften, dass der Begriff „Versichertengemeinschaft“ im weiteren Sinne sämtliche Sozialversicherungssysteme erfasse. Die Versichertengemeinschaft der Pflege- und Rentenversicherung ist in diesem jedenfalls nicht inbegriffen.232 Der Begriff „Versichertengemeinschaft“ wird im Singular verwendet. Eine singuläre Sozialversicherungsgemeinschaft besteht aufgrund der bloßen Teilidentität der Mitglieder aber nicht. Auch die Gesetzesbegründung stellt ausdrücklich auf die „zusätzliche Kostenbelastung für die GKV“ ab, die dem Zusatznutzen gegenübergestellt werden soll.233 Dem steht auch nicht der an anderer Stelle verwendete Plural der „Berücksichtigung der Belange der Kostenträger“234 argumentativ entgegen. Unter Kostenträgern sind hier nicht die Träger der verschiedenen Sozialversicherungssysteme zu verstehen, sondern es sind die verschiedenen Krankenkassen als Kostenträger gemeint. Die Wahl der Versichertenperspektive lässt sich auch damit erklären, dass bei Anlegen
229 Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (449). 230 Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (449). 231 Siehe hierzu auch § 3 C. VIII., IX. und D. I. Obwohl die Kosten-Nutzen-Bewertung im Rahmen des § 35b iVm § 130b SGB V zur Preisbestimmung eingesetzt wird, erfolgt aufgrund des dahinterstehenden Beweggrundes, den Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG zu rechtfertigen, ein Ausgleich in derselben Form wie wenn eine Leistungsbeschränkung gegenüber den Versicherten vorgenommen würde. 232 Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (457). 233 BT-Drs. 16/3100, S. 101, wobei diese Begründung allerdings hinsichtlich der Höchstbetragsfestsetzung verwendet wurde, welche inzwischen abgeschafft ist. 234 BT-Drs. 16/3100, S. 103.
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einer anderen Kostenperspektive möglicherweise eine andere Gruppe als die der GKV-Versicherten bevorzugt würde.235 Dogmatisch wird die Methodenwahl zum anderen dadurch klarer, dass sich der Blickwinkel aus der Rechtfertigungsbedürftigkeit des Eingriffes ergibt,236 welcher eben die Versichertenperspektive als Perspektive der Beitragszahler zugrunde liegt. Beitragserhebungen rechtfertigen sich insbesondere daraus, dass die Beiträge dazu verwendet werden, die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Gegenleistung zu schaffen.237 Bei der Bemessung der Gegenleistung kommt es daher darauf an, ob durch sie Vorteile der Beitragszahler hervorgerufen werden und welcher Art diese sind. Lediglich das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung innerhalb des Systems ist, bei Fehlen anderweitiger gesetzlicher Maßgaben, relevant. In anderen Systemen mittelbar hervorgerufene Nachteile mindern den Versichertenvorteil in Bezug auf die Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG nicht in relevanter Weise. Der eingriffsbezogenen Betrachtungsweise ist damit zu entnehmen, dass nur die direkten Kosten innerhalb der Bewertungsentscheidungen zu berücksichtigen sind und ausgewiesen werden müssen. Aus diesem Grund sind lediglich die direkten Kosten der GKV maßgeblich, andere Kosten bleiben demgegenüber unberücksichtigt. Nur direkte Kosten bewirken Beitragserhöhungen in der GKV. Allein sie betreffen die Verwendung der Beiträge. Eine darüber hinausgehende Ausweisung von Kosten kann zur Information etwa des BMG und des Gesetzgebers aufgenommen werden, sie dürfen jedoch keinen Einfluss auf die Entscheidung des GBA über Leistungsbeschränkungen haben.238 Die paritätische Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge (§ 249 Abs. 1 SGB V) führt ebenso nicht dazu, dass Produktivitätsausfallskosten zu berücksichtigen wären. Dies hängt damit zusammen, dass sich die Arbeitgeber„beiträge“239 nicht über die Leistungen der GKV in Form der Gegenleistungen im Sinne eines Äquivalents für erbrachte Beitragszahlungen rechtfertigen.240 In die Kosten-Nutzen235 Das Argument der Teilidentität genügt jedoch gerade nicht, vgl. zu diesem Kriterium Wasem, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen, GesW 2009, S. 41 ff. (44). Ein Eingriff mittels Beitragserhebung, der zum Zweck des Gesundheitsschutzes bei einer abgrenzbaren Gruppe erfolgt, kann nur durch mögliche direkte Nutzen (Gegenleistungen) kompensiert werden, nicht aber mit den Vorteilen Dritter. 236 So auch Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (458). 237 BVerfGE 42, 223 (228). 238 Eine Ausnahme hiervon besteht bei gesetzgeberischer Tätigkeit, da dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Hierfür ist die derzeitige Kosten-Nutzen-Bewertung aber nicht im eigentlichen Sinne konzipiert. 239 Um Beiträge dürfte es sich mangels gegenüberstehender Leistungsansprüche bereits nicht handeln, vgl. Sodan, Der „Beitrag“ des Arbeitsgebers zur Sozialversicherung für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, NZS 1999, S. 105 ff. (111). 240 Schnapp, Die rechtliche Legitimation des Arbeitgeberanteils in der gesetzlichen Krankenversicherung, SGb 2005, S. 1 ff. (5 ff.); Schlegel, Die Indienstnahme des Arbeitgebers in der Sozialversicherung, in: Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 265 ff. (266 f.);
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Bewertung haben die Interessen der Arbeitgeber nicht einzufließen. Rechtfertigender Grund für die Arbeitgeberbeiträge ist stattdessen die besondere Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers erzeugt.241 Insofern stellt sich die Regelung der Arbeitgeberbeiträge als gesetzliche Regelung des Arbeitsverhältnisses dar, welche eine zusätzliche Leistung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer fordert.242 Der Arbeitgeberanteil ist daher als „modifiziertes Arbeitsentgelt“ anzusehen, sodass es sich im Ergebnis um eine einheitliche Leistung des Versicherten handelt.243 Produktivitätsausfallskosten bedürfen daher trotz der paritätischen Finanzierung keiner gesonderten Berücksichtigung im Rahmen der Kostenerfassung.
Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung, S. 154 f.; in Bezug auf die Rentenversicherungsbeiträge im Umkehrschluss so auch BVerfGE 69, 272 (302), da dieses die Arbeitgeberbeiträge den eigentumsrelevanten Eigenleistungen des Arbeitnehmers zurechnet. Held, Verfassungsmäßigkeit der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen, S. 116 ff. lehnt hingegen eine Rechtfertigung aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ab und konstruiert die Rechtfertigung des Eingriffes in Art. 2 Abs. 1 GG der Arbeitgeber stattdessen über sein generelles Interesse an der Genesung des Arbeitnehmers in Form der Wiederherstellung der Arbeitskraft (S. 182). Diese Auffassung würde allerdings dazu führen, dass im Rahmen von Kosten-Nutzen-Bewertungen, denkt man diese als Umsetzung der Verhältnismäßigkeit i. e.S., der Angemessenheit, auch Produktionsausfallskosten zu berücksichtigen wären, da mittels dieser das Interesse der Arbeitgeber an einer zügigen Genesung abgebildet würde. Dem ist entgegenzuhalten, dass die von den Arbeitgebern für die Arbeitnehmer zu leistenden Beiträge fremdnützig sind und gerade nicht ihrem eigenen Interesse dienen, sodass die Interessen der Arbeitgeber im Rahmen der Bewertung von Gesundheitsleistungen nicht zu berücksichtigen sind. 241 Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 91 und 94; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 19, m.w.N. in Fn. 6; Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung, S. 154; zweifelnd mangels korrespondierenden Anspruchs des Arbeitnehmers hinsichtlich der Fürsorgepflicht Schnapp, Die rechtliche Legitimation des Arbeitgeberanteils in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 1 ff. (5 ff.), der stattdessen die Rechtfertigung des Arbeitgeberanteils in dem allgemeinen Interesse an einem funktionierenden System der GKV sieht. Aufgrund des Abstellens auf das allgemeine Funktionsinteresse und die Rechtfertigung hierüber führt aber auch diese Ansicht nicht dazu, dass eine gesonderte Rechtfertigung über die Berücksichtigung der Arbeitgeberbelange im Rahmen des Kosten-Nutzen-Vergleiches zu leisten wäre. Kritisch an dieser Konstruktion ist zudem zu bemerken, dass trotz der positiv hervorzuhebenden Rückführung auf die grundrechtliche Dogmatik der letztlich den Eingriff rechtfertigende Belang mit dem Interesse am Erhalt der GKVals zu wenig ausgeformt erscheint und hinsichtlich der Rechtfertigungsstruktur keinen Vorrang gegenüber einer gesetzlich statuierten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aufweist. 242 Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 138, bezeichnet insoweit die Grundannahme, der Arbeitgeber trage einen Teil der Beitragslast als „sozialpolitische Illusion“. 243 Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung, S. 155. Dieses Ergebnis wird nicht allein aus einer ökonomischen Betrachtung, wie sie teilweise angestellt wird, sondern aus dem besonderen, im Arbeitsverhältnis verankerten Solidaritätsgedanken gewonnen, der dazu führt, dass der Arbeitgeberanteil dem Interesse des Arbeitnehmers als Versicherten dienen soll. Zur Kritik an einer rein ökonomischen Betrachtung des Arbeitgeberanteils als letztlich Versichertenbeitrag Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 586 ff.
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Die Kritik an der Wahl der Versichertenperspektive, welche darauf verweist, dass im Rahmen der internationalen Standards eine gesamtgesellschaftliche Perspektive angelegt würde, ist sowohl mit dem Wortlaut des § 35b SGB V als auch einem teleologischen Argument entkräftbar. Zum einen hat das IQWiG seine Methodenwahl nach dem Gesetzeswortlaut lediglich auf der Grundlage der internationalen Standards zu entwickeln, sodass diese keine Bindungswirkung hervorrufen. Zum anderen handelt es sich bei der Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Perspektive in international angewendeten Kosten-Nutzen-Bewertungen auch um ein spezifisches Phänomen, das auf die unterschiedliche Art und Weise der Finanzierung der Gesundheitssicherungssysteme zurückzuführen ist.244 Bei einer steuerlich finanzierten Krankenversicherung wäre eine andere Perspektive im Rahmen der Kostenberücksichtigung anzulegen. Aus der unterschiedlichen Finanzierung der Krankenversicherungen anderer Länder heraus erklären sich daher zumindest teilweise die Unterschiede bei der Kostenberücksichtigung. Darüber hinaus wäre aber auch bei Annahme einer Kollision zwischen den Maßgaben, einerseits dem internationalen Standard der Gesundheitsökonomie zu entsprechen und andererseits die Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme für die Versichertengemeinschaft zu bewerten, die Versichertengemeinschaft als Ausgangspunkt der Kostenbetrachtung zu wählen. Die ausdrückliche Vorgabe des Gesetzgebers in § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V führt dazu, dass im Hinblick auf die Kostenperspektive eine gegenüber dem internationalen Standard speziellere Regelung getroffen wurde. Entsprechende anderweitige Vorgaben des internationalen Standards würden daher verdrängt.245 Der Argumentationsansatz der eingriffsbezogenen Betrachtung wirft allerdings die Frage auf, ob im Rahmen der Kosten die von den Versicherten zu leistenden Zuzahlungen überhaupt berücksichtigbar sind. Diese stellen schließlich keine unmittelbaren Kosten der GKV dar und werden von der Beitragspflicht nicht erfasst. Somit erfolgt diesbezüglich kein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG. Bei einer Ausklammerung der von den Versicherten für den Erhalt des Arzneimittels zu leistenden Zuzahlungen aus der Kostenbetrachtung käme es jedoch zu dem Problem, dass die faktische Notwendigkeit der Versicherten weitere Ausgaben zu tätigen, um die medizinische Behandlung zu erhalten, unberücksichtigt bliebe. Da es nach dem Wortlaut des § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V im Hinblick auf die Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme auf die Versichertengemeinschaft ankommt und nicht ausdrücklich die Krankenkassen als Ausgabenträger genannt werden, sind weitere in unmittelbarem Zusammenhang mit den Beitragsleistungen für den Erhalt der Leistung durch die Versicherten zu leistenden Zahlungen in die Kostenbewertung einzubeziehen. Dies gilt selbst dann, wenn diese der eingriffsbezogenen Betrach244 Zum Beispiel ist der National Health Service in Großbritannien steuerfinanziert, sodass hier schon aus diesem Grund eine gesamtgesellschaftliche Perspektive bei der Durchführung von Kosten-Nutzen-Bewertungen anzulegen ist. 245 Orlowski, Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung, MedR 2010, S. 245 ff. (248).
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tungsweise nicht mehr unterfallen. Dem kann zwar entgegengehalten werden, dass eine Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft gerade nicht erfolge, da die Kosten nicht von der Gemeinschaft, sondern dem betroffenen Versicherten zu tragen seien. Diese Argumentation trägt dem Wortlaut der Norm Rechnung. Sie übersieht jedoch den darin ebenfalls enthaltenen Individualbezug. Die von den Versicherten zu leistenden Zuzahlungen stehen in einem ausreichend unmittelbaren Zusammenhang zum Erhalt der krankenversicherungsrechtlichen Leistungen. Die zwangsweise für den Erhalt hinzukommenden Zuzahlungen sind berücksichtigungsfähig, da sie Teil des beitragszentrierten Finanzierungskonzepts der GKV sind. 3. Doppelung der Kosten-Nutzen-Bewertung durch die Beteiligung von sowohl IQWiG als auch GBA? Aufgrund der Beteiligung von sowohl IQWiG als auch GBA an der KostenNutzen-Bewertung scheint es zu einer Doppelung dieser zu kommen. Sinnvoll ist dies jedoch nur, wenn das IQWiG und der GBA unterschiedliche Kriterien im Rahmen ihrer Bewertung zu beachten haben. Während das IQWiG eine stärker gesundheitsökonomisch geprägte Bewertung abgibt, hat der GBA über die vom IQWiG bereits zu berücksichtigenden juristischen Maßgaben hinausgehende, vor allem verfassungsrechtlich vorgegebene juristische Wertungen einzubeziehen. Das IQWiG hat bei seiner Methodenwahl die an ihn gestellten Anforderungen, insbesondere die der Gesundheitsökonomie, ausreichend beachtet. Spätestens der GBA muss jedoch weitere rechtliche Kriterien bei seiner Umsetzung der KostenNutzen-Bewertungen berücksichtigen. Die Wahl der Bewertungsmethode des IQWiG hängt nur zum Teil von den weiteren im Rahmen der Umsetzung zu berücksichtigenden rechtlichen Vorgaben ab. Eine bloße Vollziehung der KostenNutzen-Bewertung des IQWiG ist im Hinblick auf die Wahl seines Methodenansatzes weder gesetzlich intendiert noch möglich.246 Vielmehr hat der GBA eigene Wertungen vorzunehmen. Die Bewertung des IQWiG darf aber dennoch nicht so ausgestaltet sein, dass eine Umsetzung ausgeschlossen ist. Demzufolge muss die Bewertung durch das IQWiG in einer Weise vorgenommen werden, die es dem GBA ermöglicht, im Rahmen der Umsetzung zusätzlich hinzukommende juristische Wertungen zu berücksichtigen, gleichzeitig aber an der Effizienzgrenze und Ausgaben-Einfluss-Analyse des IQWiG anzuknüpfen. Dies ist der Fall, wenn auf das Bewertungsergebnis „aufgesetzt“ werden kann, um weitere Wertungen einfließen zu lassen. Meist dürfte demnach erst die Betrachtung der Folgen dazu führen, dass die Bewertung des Kosten-NutzenVerhältnisses anzupassen ist. Der methodische Ansatz darf demzufolge rechtlichen 246 Ebenso Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (239).
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Vorgaben nicht derart entgegenstehen, dass seine Aussagen nicht verwertbar sind. Gleichzeitig muss er weiteren Wertungen zugänglich sein. Anders als die Bestimmung des medizinischen Standards, welcher naturwissenschaftlich begründet ist, arbeitet die Gesundheitsökonomie mit Wertungen und Modellierungen, die nicht auf zwingenden naturwissenschaftlichen Regeln beruhen, sondern dem Einfluss rechtlicher Wertungen zugänglich sind.247 Daher ist in Bezug hierauf zu erörtern, ob bei der Methodenwahl des IQWiG weitere rechtliche Vorgaben berücksichtigt werden müssen. Dies ist allerdings nur der Fall, wenn die rechtlichen Vorgaben unmittelbar den methodischen Bewertungsansatz betreffen oder aber die Umsetzbarkeit im Falle der Nichtberücksichtigung tangiert wäre. Sämtliche hierüber hinausgehende rechtliche Vorgaben hat der GBA im Rahmen der Umsetzung zu beachten. § 11 Abs. 2 und Abs. 3 des 4. Kapitels der VerfO-GBA a.F.248 und – wenn auch vom Wortlaut nicht in gleichem Maße deutlich – § 14 iVm § 10 des 4. Kapitels der VerfO-GBA249 regeln, dass unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu bewerten ist, ob ein Arzneimittel aufgrund eines ungünstigen KostenNutzen-Verhältnisses von der Versorgung ausgeschlossen werden kann bzw. Therapiehinweise erlassen werden können. Dies zeigt implizit, dass der GBA – nach eigener Ansicht – auf der wissenschaftlichen Beurteilung des IQWiG aufbauend noch eigene Bewertungen vorzunehmen hat. Sonst bedürfte es bei einem ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis keiner weiteren Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mehr. Die Vornahme einer eigenen Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch den GBA ist insbesondere deshalb notwendig, weil der Ansatz der indikationsbezogenen Effizienzgrenzen des IQWiG zwar hinsichtlich der mathematischen/gesundheitsökonomischen Prägung sinnvoll erscheint, jedoch nicht sämtliche juristische Wertungen vollends umzusetzen vermag.250 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, dem jedenfalls eine Entscheidung über die Beschränkung des Einsatzes medizini-
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Becker, Steuerungsinstrumente des GBA im Rahmen der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 218 ff. (225). 248 VerfO-GBA in der Fassung vom 18. Dezember 2008, zuletzt geändert am 20. Januar 2011. 249 VerfO-GBA in der Fassung vom 18. Dezember 2008, zuletzt geändert am 20. März 2014. 250 Wobei auch die Umsetzung gesundheitsökonomischer Standards deutlich kritisiert wird, vgl. Wasem, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, DÄBl. 2008, S. A438 ff.; ders., Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen, GesW 2009, S. 41 ff. (43 f.); Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (452 ff.); Kingreen/Henck, Prozedurale Anforderungen an die Arzneimittelbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und den Gemeinsamen Bundesausschuss, PharmR 2007, S. 353 ff. (355 ff.).
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scher Methoden in der GKV genügen muss bzw. auf ihm sogar beruht,251 lässt sich mathematisch nicht vollständig erfassen. Die Problematik der fehlenden Beachtung der Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG, auf welche bereits mehrfach hingewiesen wurde,252 ist auf der Rechtsfolgenebene und damit bei der Umsetzung durch den GBA ausreichend berücksichtigbar. Dieser mag hinsichtlich der faktischen Auswirkungen zwar gegebenenfalls noch weitere Daten benötigen, als ihm direkt vom IQWiG im Rahmen der Kosten-Nutzen-Bewertung zur Verfügung gestellt werden. Es bedarf jedoch keiner grundsätzlich anderen Methodenwahl zur Verwertbarkeit der Bewertungsergebnisse des IQWiG im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG. Auf die vom IQWiG zu wählende Methodik der Kosten-NutzenBewertung hat Art. 3 Abs. 1 GG daher keine direkten Auswirkungen. Anders als die Einwirkung der Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, welche, um eine sinnvolle Entlastung des GBA darzustellen, die Berücksichtigung bestimmter Kriterien bereits in der Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG erfordern, führt Art. 3 Abs. 1 GG erst auf der allein durch den GBA zu beurteilenden Rechtsfolgenebene zur Analysenotwendigkeit faktischer Benachteiligungen von verschieden bzw. gleich zu behandelnden Gruppen. Die Kosten-Nutzen-Bewertung stellt als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips hauptsächlich auf eine Zweck-Mittel-Relation ab, wie sie grundsätzlich auch aus der Ökonomie bekannt ist. Mit ihr werden jedoch Ziele abgewogen, die sich einer absoluten Quantifizierung entziehen. Der moralische und rechtliche Konflikt zwischen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG ist im Rahmen einer rein ökonomischen Bewertung nicht vollständig erfassbar. Dies gilt selbst dann, wenn sämtliche Folgen in der Quantifizierung des Nutzens berücksichtigt würden.253 Rein wirtschaftlichkeitsstrebend gelenktes, rationales Handeln des Staates beseitigt die dem Verhältnismäßigkeitsprinzip innewohnende Beachtung der individuellen Folgen und steht insoweit dem Rechtsstaatsgedanken entgegen.254 Es ist aus diesem Grund nicht möglich, das Verhältnismäßigkeitsprinzip in Form einer rein ökonomischen Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses vollständig rechnerisch abzubilden.255 Darüber hinaus ergibt sich selbst bei dem Verständnis des Grundgesetzes als Werteordnung kein Wertverständnis im Sinne der Vorgabe einer Verwirklichungs251
Siehe hierzu vertiefend § 3 C. und D. Hierzu Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (452 ff.). 253 So im Ergebnis auch Ekardt/Hyla/Meyer-Mews, Knappheit, Rationierung und Verteilungsgerechtigkeit beim Existenzminimum, NJ 2012, S. 25 ff. (28), zuvor im Text allerdings noch mit einer anderen Tendenz (S. 26). 254 Wellhöfer, Das Übermaßverbot im Verwaltungsrecht, S. 26. 255 Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 158 f. Zur Problematik der Rationalisierung von Abwägungen mittels ökonomischer Modelle aufgrund der Notwendigkeit der Gewichtung der auszugleichenden Prinzipien siehe auch Jansen, Die Struktur der Gerechtigkeit, S. 113 f. 252
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intensität, die eine eindeutige mathematische Bewertbarkeit herbeiführen könnte.256 Stattdessen wird auf ein Wertverständnis zur Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses einer medizinischen Methode mathematisch aufgesattelt, welches nicht überprüft ist. Die Zuordnung eines mathematischen Wertes bei der Erstellung und Einordnung in ein Koordinatensystem stellt eine Wertung dar, die logisch angesichts der Fortführung des Zuordnungsmaßstabes zur Gegenüberstellbarkeit führt. Sie erklärt jedoch nicht, warum eine derartige Wertzuordnung erfolgt ist und wie sich hinsichtlich der Bewertung der Wert 1 zum Wert 2 verhält.257 Verhältnisse zwischen zwei zu beurteilenden Sachverhalten lassen sich daher von ihrer Größenordnung und damit ihrem Verhältnis zueinander mathematisch erfassen. Welche Bedeutung die zugeordneten Größenordnungen zueinander haben, ist jedoch weder mit Hilfe der Mathematik noch der Gesundheitsökonomie abschließend klärbar. Das Verhältnis des Nutzens sowie der Kosten unterschiedlicher medizinischer Methoden kann hiermit zueinander in ein Größenverhältnis gesetzt werden. Das Verhältnis von Kosten und Nutzen zueinander lässt sich hierdurch jedoch nicht eindeutig bestimmen. Über die Problematik, auf welche Art und Weise die Zuordnung eines Wertes im Rahmen der Bewertung des Nutzens erfolgt,258 hinausgehend wird durch die bloße Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen das Verhältnis der Werte zueinander, mit Ausnahme der historisierend angestellten Bewertung, nicht weiter geklärt. Mittels rein komparativer Kriterien lässt sich die Angemessenheit des Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen indes nicht in jeder Konstellation feststellen.259 Die Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses einmal durch das IQWiG auf der Grundlage des § 35b Abs. 1 SGB V und dann ein weiteres Mal durch den GBA260 stellt sich daher nicht als überflüssige Doppelung dar.261 Vielmehr bedarf es gerade 256
Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 136 f. und 151. Hierauf im Hinblick auf eine Kardinalskalierung mittels Erfüllungsgraden und Gewichten durch Zahlenwerte ebenso hinweisend Sieckmann, Zur Begründung von Abwägungsurteilen, Rechtstheorie 26 (1995), S. 45 ff. (52). 258 Auf die Problematik der Ungenauigkeit der Wertzuordnung hinweisend bereits Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 166. 259 „[…] komparative Bewertungen können ein Ergebnis als optimal auszeichnen, nämlich dann, wenn in allen Alternativen sowohl Erfüllungsgrad wie Gewicht des einen Prinzips höher sind als das des andern Prinzips.“, so Sieckmann, Zur Begründung von Abwägungsurteilen, Rechtstheorie 26 (1995), S. 45 ff. (54). Hinsichtlich des Verhältnisses von Kosten und Nutzen gilt dies bei hoher Beeinträchtigung des Belangs von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG im Grundsatz sicherlich, in vielen anderen Fällen reicht allein eine komparative Gegenüberstellung jedoch zur Bewertung der Angemessenheit des Verhältnisses nicht aus. 260 Aus § 10d iVm § 11, 4. Kapitel VerfO-GBA (a.F.), in der Fassung vom 18. Dezember 2008, zuletzt geändert am 20. Januar 2011, ergab sich die Notwendigkeit der doppelten Bewertung noch ausdrücklich. Die aktuelle Fassung der VerfO-GBA, zuletzt geändert am 20. März 2014, enthält derartige Vorgaben für die Kosten-Nutzen-Bewertung hingegen nicht mehr. 261 A.A. Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (240). 257
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dieser Doppelung zur Umsetzung einer interdisziplinär angelegten Bewertung. Die eigene Bewertungsentscheidung des GBA ist der entscheidende juristische Anknüpfungspunkt, an welchem beispielsweise die problematischen Fragen der Zulässigkeit von Leistungsbeschränkungen entstehen.262 Dieses Zusammenspiel von IQWiG und GBA, die hierdurch anscheinend hervorgerufenen interaktiven Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten von Sachverstand,263 ist bisher nicht hinreichend betrachtet worden. Mit Hilfe der doppelten Prüfung – einmal gesundheitsökonomisch durch das IQWiG und hierauf aufbauend ein weiteres Mal durch den GBA – sind die Nachteile beider Methoden, die teilweise fehlende Berücksichtigung juristischer Bewertungsmaßstäbe im Rahmen der ökonomischen Betrachtung und der vielfach als mangelhaft angesehene Rationalitätsmaßstab der juristischen Bewertung, zumindest teilweise kompensierbar. Die Forderung, dass bereits das IQWiG rechtliche Kriterien zu berücksichtigen und daher eine andere, stärker rechtlich inspirierte Methodik anzuwenden habe, widerspricht außerdem der gesetzlichen Systematik und dem Wortlaut des § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V. Dieser fordert gerade eine Anlehnung der Bewertung des IQWiG an die Methoden der Gesundheitsökonomie.264 Die erfolgte Aufteilung der Zuständigkeitsbereiche zwischen IQWiG und GBA, wie der Gesetzgeber sie eingeführt und der GBA sie in seiner Verfahrensordnung übernommen hat, begründet sich hiermit.265 Gleichzeitig müssen die Bewertungen des IQWiG für den GBA aber auch von Nutzen sein. Deshalb dürfen juristische Kriterien selbst in der Bewertung des IQWiG nicht vollständig ausgeblendet werden. Es kann keine reine Orientierung an ökonomischen Methoden erfolgen. § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V fordert dementsprechend auch ausdrücklich eine Bewertung der Angemessenheit und Zumutbarkeit der Kostenübernahme der Versichertengemeinschaft durch das IQWiG. Diese Bewertung der „Angemessenheit“ und „Zumutbarkeit“ ist dem Wortlaut nach nicht der wirtschaftlichen Bewertung nachgelagert oder zusätzlich zu dieser anzustellen, 262
So wohl, wenn auch nicht ausdrücklich, Hess, Regelungsrahmen des SGB V für die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, MedR 2010, S. 232 ff. (234). 263 Rixen, Verhältnis von IQWiG und G-BA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (28); auf die unterschiedlichen Formen von Rationalität in Bezug auf Kosten-NutzenBewertungen und demokratisch legitimierte Entscheidungen ebenfalls hinweisend Sunstein, Cognition and Cost-Benefit-Analysis, Journal of Legal Studies, Vol. 29 (2000), S. 1059 ff. (1077 ff.). 264 So auch Lübbe, „Aus ökonomischer Sicht…“, Was ist der normative Anspruch gesundheitsökonomischer Evaluationen, RMM 2009, S. 451 ff. (455), allerdings nicht im Hinblick auf den Einfluss rechtlicher, sondern vielmehr ethischer sowie philosophischer Wertungen. 265 Anders hingegen Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (392 ff.), der eine eigene „rechtliche Preistheorie“ entwickelt.
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sondern hat in deren Rahmen zu erfolgen. Die gewählten Begriffe „angemessen“ und „zumutbar“ zeigen, dass hierbei keine rein ökonomischen Erwägungen anzustellen, sondern auch genuin juristische Kriterien zu berücksichtigen sind.266 Aus diesem Grund hat das IQWiG neben seinem gesundheitsökonomischen Ansatz einige juristische Vorgaben zu beachten, zumal deren Nichtbeachtung dazu führen würde, dass die Wechselbeziehung zwischen IQWiG und GBA nicht in der angedachten Weise umsetzbar wäre. Die besondere gesundheitsökonomische Prägung ist aber beizubehalten. Die indikationsspezifischen Effizienzgrenzen sind juristisch bisher insbesondere unter dem Aspekt kritisiert worden, dass sie ein unausgewiesenes Werturteil beinhalten würden, da sie auf dem bisher bestehenden, jedoch unkontrollierten KostenNutzen-Verhältnis von Leistungen in der jeweiligen Indikation aufbauten.267 Es sei gleichheitsrechtlich nicht gerechtfertigt auf dem bestehenden System aufzusetzen, weil dies dazu führen würde, dass bei teuren Therapien die prozentual gerechtfertigten Zusatzkosten für denselben prozentualen Zusatznutzen höher liegen könnten als bei anderen Arzneimitteln.268 Ungerechtigkeit würde hierdurch sozusagen fortgeschrieben. Dieser Gesichtspunkt ist vor allem im Hinblick auf die Rabattverhandlungen mit den Pharmaunternehmern bzw. die Preisfestsetzungen ihnen gegenüber relevant. Die Forderung, Verhandlungen über den Erstattungsbetrag eines Arzneimittels zu führen, ohne das bestehende Angebot in der Indikation und dessen Preissegment verstärkt zu berücksichtigen, ist aus gerechtigkeitsethischen Gesichtspunkten nachvollziehbar. Die Kritik verkennt jedoch, dass mit § 130b iVm § 35b SGB V nicht die gesamte Preisbildung von Arzneimitteln verändert wird, sondern lediglich im Einzelfall ein angemessener Preis festgesetzt werden soll. Dieser hat sich vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG insbesondere auch nach den für sonstige Arzneimittel der Indikation von der GKV zu erstattenden Beträgen zu richten. Betrachtet man hingegen verstärkt die Möglichkeit der Leistungsbeschränkung bzw. der Ausgestaltung des Leistungskatalogs auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen, erscheint vor allem problematisch, dass ein prozentualer Zusatznutzen nicht zwingend dieselben prozentualen Zusatzkosten rechtfertigt. Dies kann man als gleichheitsrechtliches Problem verstehen. Da auch bei diesem Blickwinkel letztlich aber Fragen der Verhältnismäßigkeit den Hauptgesichtspunkt
266 Lübbe, „Aus ökonomischer Sicht…“, Was ist der normative Anspruch gesundheitsökonomischer Evaluationen, RMM 2009, S. 451 ff. (455). 267 Vgl. hierzu insbesondere Huster, Kosten-Nutzen-Bewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (238 f.); Huster, Die Methodik der Kosten-NutzenBewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (453 ff.). 268 Huster, Kosten-Nutzen-Bewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (239).
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darstellen,269 wird in dieser Arbeit nicht verstärkt auf den Aspekt des Art. 3 Abs. 1 GG abgestellt. Im Hinblick auf die Problematik, das Verhältnis von Zusatznutzen und Zusatzkosten zueinander zu bestimmen, ist mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit eine Gewichtung des Schweregrades der Erkrankung notwendig. Effizienzgrenzen können bei der Bewertung der Angemessenheit des KostenNutzen-Verhältnisses nicht mathematisch derart bestimmt werden, dass für eine Verbesserung des Nutzens um 10 % lediglich eine Kostenerhöhung um 10 % gerechtfertigt ist.270 Welches Verhältnis als angemessen zu betrachten ist, hängt vielmehr davon ab, welche konkreten Nutzenverbesserungen diese zehnprozentige Steigerung des Nutzengrades bedingen. Bei schwereren Erkrankungen lassen sich, sucht man einen Ausgleich von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG mittels des Verhältnismäßigkeitsprinzips durchzuführen, sehr viel höhere Zusatzkosten für geringere prozentuale Zusatznutzen rechtfertigen, als dies bei weniger schweren Erkrankungen der Fall sein mag.271 Dies berücksichtigt das bestehende Preisniveau aber nicht zwingend. Wie hoch der Zusatznutzen sein muss, um die entsprechenden Zusatzkosten zu rechtfertigen, kann weiterhin ebenfalls von dem bereits erreichten Gesamtnutzen abhängen.272 Eine Verbesserung des Nutzens im Rahmen „niedrigerer“ Prozentsätze, beispielsweise von 20 % auf 30 %, kann im Rahmen von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als höherwertig anzusehen sein, als dies bei einer Verbesserung von 90 % auf 100 % der Fall ist.273 Minimale Verbesserungen können im Bereich schwerwiegender Erkrankungen daher sehr viel höher zu gewichten sein und mithin höhere Zusatzkosten rechtfertigen, als dies bei weniger schweren Erkrankungen der Fall ist. Erste Nutzenverbesserungen rufen einen kostenmäßig höher zu gewichtenden Unterschied hervor, als dies Verbesserungen bei bereits fast erreichter Genesung können. Prozentuale Vergleiche des Nutzen- und Kostenanstieges, wie sie anhand der Effizienzgrenze erfolgen, vermögen derartige Überlegungen nicht vollständig sachgerecht abzubilden, wenn es darum geht, ob Leistungen einem Versicherten gewährt werden sollen. Ein proportionales Verhältnis zwischen Zusatznutzen und Zusatzkosten, wie es die vom IQWiG angewendeten Effizienzgrenzen unterstellen, gibt das Verhältnismäßig269 Im Falle einer Ungleichbehandlung ist danach zu fragen, ob diese gerechtfertigt ist. Sollte die Entscheidung im Hinblick auf den Ausgleich der Versicherteninteressen angemessen sein, rechtfertigt dies gleichzeitig eine Ungleichbehandlung der Pharmaunternehmen. 270 Zur Implikation dieses Verhältnisses durch das Effizienzgrenzen-Modell Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (389 f.). 271 So auch Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (454) und Martini, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – eine bittere Pille oder süßes Gift für das Gesundheitswesen?, WiVerw 2009, S. 195 ff. (214). 272 Huster, Das „Morbus-Pompe“-Urteil, MedR 2012, S. 289 ff. (290). 273 Angelehnt an Huster, Das „Morbus-Pompe“-Urteil, MedR 2012, S. 289 ff. (290), der hinsichtlich der Verbesserung der Gehfähigkeit von 0 auf 30 Meter anstatt von 970 auf 1000 Meter selbiges annimmt.
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keitsprinzip beim Ausgleich der Interessen von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG nicht her. In das Modell der Effizienzgrenzen und die Bestimmung des Schwellenwertes ist neben einer bloßen Beobachtung der Marktentwicklung und Fortführung dieser anhand eines proportional/linear ausgerichteten Kosten-NutzenAnstiegs daher auch eine Art Schweregradwert/Schweregradwichtung einzuführen, um jedenfalls diesen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herrührenden Aspekt berücksichtigen zu können.274 Im Rahmen erster Nutzenverbesserungen kann außerdem eine geringere Steigerung der Effizienz zu entsprechenden Kosten beispielsweise noch als angemessen angesehen werden, während dies bei einer in der Indikation bereits erreichten hohen therapeutischen Verbesserung nicht mehr der Fall ist. Dieser Aspekt kann durch den Steigungswinkel der Effizienzgrenze nachvollzogen werden. Auch die Preisbestimmung gegenüber den Pharmaunternehmern ist bei einer Entscheidung der Schiedsstelle gemäß § 130b Abs. 4 SGB V nur dann gerechtfertigt, wenn sie dieses Verhältnis zwischen nicht prozentualem, sondern konkretem Zusatznutzen und den hierfür zu entrichtenden Zusatzkosten im Blick behält.275 Dies lässt sich zum einen damit begründen, dass mit der Kosten-Nutzen-Bewertung immanent die Rechtfertigbarkeit eines möglichen Eingriffes in die Rechte der pharmazeutischen Unternehmen vorweggenommen mitüberprüft wird. Die aus dem Ausgleich der Versicherteninteressen aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG herrührenden juristischen Maßstäbe sind daher auch in diesem Kontext relevant. Zum anderen führt die Berücksichtigung des Schweregrades der Erkrankung und in welchem Bereich die Nutzenverbesserung anfällt auch dazu, dass die aufgrund von Art. 3 Abs. 1 GG notwendige Differenzierung eingehalten sowie eine ausreichende Anreizstruktur geschaffen wird, im Bereich besonders schwerer Erkrankungen die Forschung voranzutreiben. 4. Indikationsbezogene oder indikationsübergreifende Kosten-Nutzen-Bewertungen Einer der Hauptkritikpunkte an dem Ansatz des IQWiG bezieht sich weiterhin darauf, dass lediglich eine indikationsbezogene und keine indikationsübergreifende Kosten-Nutzen-Bewertung vorgenommen und hiermit relevante Gesichtspunkte außer Acht gelassen würden. Das Ziel des effizienten Einsatzes der Ressourcen würde bei einer rein indikationsbezogenen Betrachtung sogar verfehlt. Durch diesen Ansatz könne nicht vermieden werden, in einem System mit begrenzten Ressourcen Geld in Bereiche zu investieren, in denen unter Umständen weniger Nutzen gestiftet 274 Vgl. Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (396), der sein Ergebnis jedoch rechtlich nicht konkret herleitet und stärker auf ausreichende Gewinnanreize für schwerwiegende Erkrankungen abstellt. 275 Dies ergibt sich daraus, dass durch die Schiedsstellenentscheidung in Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen wird und dies einer Rechtfertigung bedarf. Siehe hierzu ausführlich unter § 2 C. I. 2.
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werden kann, als dies bei einer alternativen Verwendung der Fall wäre.276 Außerdem läge hierin auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da die indikationsbezogene Betrachtung nicht die Verwendung vergleichbarer Kriterien in unterschiedlichen Indikationsgebieten sicherstelle.277 Gegen eine indikationsübergreifende Bewertung wird gleichzeitig jedoch ebenfalls Art. 3 Abs. 1 GG als Argument angeführt. Bei einem indikationsübergreifenden Bewertungsansatz würde Ungleiches mit dem Ziel der Gleichbehandlung miteinander verglichen.278 Inwieweit die Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch das IQWiG notwendigerweise in Form einer indikationsbezogenen oder indikationsübergreifenden Betrachtung zu erfolgen hat, ist daher nicht als geklärt anzusehen. Der Verweis auf Art. 3 Abs. 1 GG als Argument sowohl für als auch gegen eine indikationsübergreifende Betrachtung zeigt bereits, dass es hauptsächlich darauf ankommen dürfte, wie bei einer indikationsbezogenen oder indikationsübergreifenden Bewertung genau verfahren wird. Um diese Problematik rechtlich korrekt zu erfassen, ist zunächst der Unterschied zwischen indikationsbezogenen und indikationsübergreifenden Kosten-NutzenBewertungen konkret zu benennen: Bei einer indikationsbezogenen Bewertung wird ein neues Arzneimittel lediglich mit den bereits von der GKV gewährten medizinischen Methoden innerhalb derselben Indikation verglichen. Demgegenüber erfolgt bei einer indikationsübergreifenden Bewertung eine zweistufige Betrachtung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Zunächst wird indikationsbezogen bewertet und anschließend krankheitsunabhängig.279 Die Frage, ob indikationsübergreifende Bewertungen vorgenommen werden dürfen, spitzt sich folglich darauf zu, ob zusätzlich zu einer indikationsbezogenen Betrachtung auch ein indikationsübergreifender Vergleich angestellt werden darf. Dem Wortlaut des § 35b Abs. 1 SGB V ist weder eine Festlegung auf eine indikationsbezogene noch indikationsübergreifende Bewertung unmittelbar zu ent276 Vgl. Deter, Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln als Rechtsproblem, MedR 2010, S. 249 ff. (253), der insoweit die anhand der Methodik des IQWiG erfolgte Kritik prägnant darstellt. 277 Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (455). Zur praktischen Gefahr der Anlegung unterschiedlicher Wertungskriterien in verschiedenen Indikationen, allerdings ohne Art. 3 Abs. 1 GG konkret zu nennen, auch Wasem, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen, GesW 2009, S. 41 ff. (44). 278 Deter, Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln als Rechtsproblem, MedR 2010, S. 249 ff. (255); sofern Art. 3 Abs. 1 GG auf die Gleichbehandlung mit anderen Rechtsordnungen bezogen wird, ist die Argumentation jedenfalls fehlerhaft, als insofern erstens ein Personenbezug nicht besteht und zum anderen das gesetzliche Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG auf das Regelungsgebiet beschränkt ist. 279 Deter, Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln als Rechtsproblem, MedR 2010, S. 249 ff. (251); Hessel, Implikationen indikationsübergreifender Vergleiche im Rahmen der gesundheitsökonomischen Bewertung von Gesundheitsleistungen, GesW 2009, S. 520 ff. (521).
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nehmen. Insbesondere gibt die Forderung der Durchführung eines Vergleiches nicht vor, welche Methoden miteinander verglichen werden sollen. Die Verwendung des Begriffes „therapeutischer Zusatznutzen“ im Rahmen der in der Kosten-NutzenBewertung nach § 35b Abs. 1 S. 2 SGB V zu beachtenden Kriterien führt ebenso nicht zwingend zu einer Beschränkung auf eine indikationsbezogene Bewertung. Allerdings kann ein „Zusatznutzen“ nur im Rahmen der Indikation festgestellt werden, nicht aber indikationsübergreifend.280 Dies legt zum einen die Begründung des Fraktionsentwurfs zum AMNOG nahe, welche von der Feststellung eines Zusatznutzens gegenüber derjenigen Behandlung, die im Rahmen derselben Indikation als zweckmäßig und wirtschaftlich angesehen ist, ausgeht.281 Zum anderen ergibt sich dies aber auch aus der Wortwahl „Zusatznutzen“ selbst. Eine auch indikationsübergreifende Bewertung lässt die Nutzenverbesserung im Rahmen der jeweiligen Indikation aber nicht unberücksichtigt. Die indikationsübergreifende Bewertung erfolgt lediglich zusätzlich zum zunächst indikationsbezogenen Vergleich. Die gemäß § 35b Abs. 1 S. 2 SGB V notwendige Berücksichtigung des Zusatznutzens im Rahmen der Bewertung der Kosten und Nutzen schließt daher die Beachtung weitergehender indikationsübergreifender Aspekte nicht aus. Eine rein indikationsbezogene Betrachtung wird durch die Notwendigkeit der Berücksichtigung des hervorgerufenen Zusatznutzens somit nicht gefordert. Der Forderung des § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V, dass sich der methodische Ansatz des IQWiG nach dem internationalen Standard der Gesundheitsökonomie zu richten hat, ist weder direkt noch indirekt die Festlegung auf einen indikationsbezogenen oder indikationsübergreifenden Vergleich zu entnehmen. Dies folgt jedoch nicht aus dem teilweise hierfür angeführten Argument, aus der Verwendung des Begriffes „internationale Standards“ – also der Nutzung des Plurals – könne geschlussfolgert werden, dass der Gesetzgeber selbst nicht vom Bestehen eines einheitlichen Standards ausgehe, weshalb das IQWiG bei seiner Methodenwahl auch nicht gebunden sei.282 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Notwendigkeit der Verwendung des Plurals ergibt sich schlicht daraus, dass zum einen auf den Standard der evidenzbasierten Medizin und zum anderen auf den Standard der Gesundheitsökonomie verwiesen wird. Dennoch führt § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V nicht dazu, dass ein indikationsübergreifender Vergleich durchgeführt werden muss. Unabhängig davon, dass bereits umstritten ist, ob der internationale Standard überhaupt eine indikationsübergrei-
280 Roters, Der (Zusatz-)Nutzen-Begriff im SGB V, NZS 2010, S. 612 ff. (614 f.); Schickert, Arzneimittelschnellbewertung und ihre Folgen nach dem Regierungsentwurf zum AMNOG, PharmR 2010, S. 452 ff. (455 f.). 281 BT-Drs. 17/2413, S. 21. 282 So aber Orlowski, Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung, MedR 2010, S. 245 ff. (248).
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fende oder indikationsbezogene Bewertung beinhaltet,283 ruft der Verweis auf den internationalen Standard jedenfalls keine derartige Bindung hervor, durch welche die zu wählende Methodik des IQWiG verbindlich vorgegeben worden wäre. Das IQWiG geht – auf der Grundlage eingehender Erörterungen dieser Frage mit externen Gutachtern – davon aus, dass diesbezüglich international kein einheitlicher Bewertungsansatz existiert.284 Wenn es in Bezug hierauf keinen internationalen Standard für die Bewertung von Kosten und Nutzen geben sollte, dann ist weder eine indikationsbezogene noch eine indikationsübergreifende Betrachtung durch § 35b Abs. 1 S. 5 SGB V gesetzlich vorgeschrieben worden.285 Der Verweis auf den internationalen Standard würde demnach weder in die eine noch in die andere Richtung weisen. Ob ein solcher internationaler Standard existiert, kann an dieser Stelle indes offen bleiben,286 denn selbst im Falle seines Bestehens wäre dem IQWiG ein Spielraum hinsichtlich seiner Übernahme überlassen.287 Die fehlende absolute Budgetierung der Gesundheitsausgaben im deutschen Gesundheitssystem führt ohnehin dazu, dass, im Gegensatz zu anderen eine Kosten-Nutzen-Bewertung verwendenden Ländern, indikationsübergreifende Betrachtungen keine bindenden Allokationsentscheidungen begründen. Im Falle einer absoluten Budgetierung geht es um die Frage, in welchem Bereich das Geld am sinnvollsten verwendet werden kann. Hier konkurrieren unterschiedliche Verwendungsalternativen direkt miteinander und schließen einander aus. Im Rahmen des deutschen Gesundheitssystems soll mit Kosten-Nutzen-Bewertungen hingegen beantwortet werden, wieviel Geld für eine bestimmte 283 Zur Notwendigkeit des indikationsbezogenen Vergleichs aufgrund des Standards der evidenzbasierten Medizin und Gesundheitsökonomie Deter, Die Kosten-Nutzen-Bewertung als Rechtsproblem, MedR 2010, S. 249 ff. (250); gegenteilig hierzu etwa Wasem, Kosten-NutzenBewertung von Arzneimitteln – an internationalen Standards messen, GesW 2009, S. 41 ff. (43). 284 IQWiG, Würdigung der Stellungnahmen zum „Entwurf einer Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen im System der gesetzlichen Krankenversicherung 2.0“, Version 1.0. vom 12. 10. 2009, S. 46 f.; noch deutlicher dazu, dass zwar meist eine Bewertung indikationsübergreifend erfolgt, hierfür jedoch noch keine allgemein akzeptierte Bewertungsmethode gefunden wurde, IQWiG, Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der gesetzlichen Krankenversicherung, Version 1.1. vom 09. 10. 2008, S. vi f.; Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 35b SGB V Rn. 9. 285 Orlowski, Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung, MedR 2010, S. 245 ff. (248). 286 Neben der Problematik der Bestimmung, ab wann das Überwiegen des Einsatzes einer Methode als „Standard“ gelten soll, scheinen auch Unterschiede hinsichtlich der überwiegenden Verwendung indikationsbezogener bzw. indikationsübergreifender Aspekte hinsichtlich der beiden Bereiche, an denen sich das IQWiG orientieren soll, zu bestehen. Während die evidenzbasierte Medizin eher indikationsbezogen vorgeht, werden in der Gesundheitsökonomie häufig auch indikationsübergreifende Aspekte herangezogen. 287 § 35b Abs. 1 SGB V spricht nur von der Erstellung der Bewertungsmethodik auf der Grundlage des internationalen Standards, sodass sich das IQWiG mit diesem auseinandersetzen muss, ein Befolgen dieses Standards jedoch nicht zwingend ist.
B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung
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Leistung aufzuwenden sowie ob eine bestimmte Behandlung angesichts der Kosten überhaupt zu gewähren ist. Diese Gesichtspunkte sind zwar sehr ähnlich gelagert, mangels absoluter Budgetierung ist die Konkurrenz unterschiedlicher Methoden zueinander jedoch nicht in gleichem Maße direkt. Zugespitzt ausgedrückt, ist bei einer absoluten Budgetierung zwischen der Gewährung zweier unterschiedlicher Behandlungsmethoden zu wählen, während hingegen bei ihrem Fehlen darüber zu entscheiden ist, ob mehr Geld investiert werden soll. Indikationsübergreifende Aspekte wirken in diesem System daher anders als bei einer absoluten Budgetierung. Sie haben in Deutschland deshalb nicht dieselben Auswirkungen,288 wie dies in anderen Ländern der Fall sein mag. Ob eine indikationsbezogene oder indikationsübergreifende Kosten-NutzenBewertung durchzuführen ist, hängt, mangels eindeutiger gesetzlicher Vorgaben, letztlich nicht maßgeblich von der Entscheidung des IQWiG, sondern von den vom GBA gemäß § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V gewählten Parametern ab. Der Auftrag des IQWiG ist auf einen Vergleich mit von dem GBA festzulegenden anderen medizinischen Methoden ausgerichtet. Der GBA entscheidet demnach darüber, ob der Vergleich mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsmethoden indikationsspezifisch oder indikationsübergreifend zu führen ist. Sollte der GBA eine indikationsübergreifenden Kosten-Nutzen-Bewertung vorgeben, indem er in seinem Auftrag Arzneimittel und Behandlungsmethoden aus unterschiedlichen Indikationen zum Vergleich mit dem neuen Arzneimittel benennt, hätte das IQWiG allerdings seinen methodischen Ansatz zu überarbeiten. Angesichts der Zuständigkeit des GBA, über die spätere weitere Verwendung der Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Bewertung zu entscheiden, ist es sowohl aus praktischen als auch aus rechtlichen Gesichtspunkten richtig, ihm zu überlassen, ob eine indikationsbezogene oder indikationsübergreifende Bewertung erfolgen soll. Die Wahl des GBA hängt zum einen davon ab, ob die Kosten-Nutzen-Bewertung zur Bestimmung des Preises im Rahmen von Rabattverhandlungen nach § 130b SGB V verwendet oder ob auf ihrer Grundlage von der Befugnis den Leistungskatalog gemäß § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V auszugestalten, Gebrauch gemacht werden soll. Zum anderen kann eine indikationsübergreifende Betrachtung notwendig werden, wenn im Rahmen der Indikation keine oder zu wenige bzw. in ihrer Wirkung zu unterschiedliche medizinische Therapieansätze bestehen. In diesen Fällen ist eine weitergehende Betrachtung sinnvoll, um über eine ausreichende Datengrundlage zu verfügen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass aus der Wahl verschiedener Perspektiven nicht eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG folgen darf. Angesichts der Auswirkungen, die die Wahl einer indikationsbezogenen oder indikationsübergreifenden Betrachtung auf das Ergebnis 288
Anderer Ansicht der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V., der auch bei indikationsspezifischen Bewertungen von indikationsübergreifenden Implikationen ausgeht, siehe IQWiG, Dokumentation der Stellungnahmen zur „Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der gesetzlichen Krankenversicherung Version 1.0“, S. 80.
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
der Kosten-Nutzen-Bewertung hat, ist es aus rechtlichen Gründen – insbesondere im Hinblick auf die demokratische Legitimation – notwendig, diese Entscheidung dem GBA als staatlichem, entscheidungsbefugtem und demokratisch legitimiertem289 Organ zu überlassen.290 Aus einer teleologischen und systematischen Auslegung des § 35 b SGB V in Bezug auf die Frage, ob eine indikationsbezogene oder indikationsübergreifende Kosten-Nutzen-Bewertung durchzuführen ist, folgt ebenso kein eindeutiges Ergebnis. Insbesondere die Aufteilung der Befugnisse zwischen GBA und IQWiG im Rahmen der Kosten-Nutzen-Bewertung führt nicht zur Annahme, dass nach dem Sinn und Zweck der Regelung nur eine indikationsbezogene Bewertung erfolgen könne.291 Hinsichtlich des Telos des § 35b SGB V kommt es, wie dargelegt wurde, insbesondere auf den Verwendungsbereich der Kosten-Nutzen-Bewertungen an. Während in Rabattverhandlungen nach § 130b SGB V durchaus indikationsübergreifende Aspekte eine Rolle spielen können, gilt dies bei der Bestimmung des Leistungsumfangs mangels vorgegebener Budgetobergrenzen und eindeutiger Wertungsvorgaben gerade nicht. Die Kompetenzaufteilung zwischen GBA und IQWiG beinhaltet daher keine Festlegung auf einen bestimmten Betrachtungsansatz. Vielmehr hat der GBA das Recht, in seinem Auftrag an das IQWiG die Perspektive zu bestimmen. Auch aus der Systematik der Wirtschaftlichkeitssicherung des SGB V lässt sich eine Festlegung auf einen indikationsbezogenen Ansatz nicht entnehmen. Bei der Festsetzung von Festbeträgen wie auch im Rahmen von Therapiehinweisen erfolgt der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zufolge zwar ein Vergleich nur innerhalb eines Indikationsgebiet oder einer Stoffgruppe,292 auf die im Rahmen des § 35b SGB Verfolgende Kosten-Nutzen-Bewertung ist dies jedoch nicht übertragbar. Zum einen ist im Gegensatz zu Festbeträgen, Leistungsbeschränkungen sowie Therapiehinweisen im Rahmen des § 35b SGB V nicht gesetzlich festgesetzt worden, dass die Betrachtung indikationsbezogenen zu erfolgen hat. Zum anderen wirken diese Maßnahmen auch anders als die Kosten-Nutzen-Bewertungen in ihrem hauptsächlichen Anwendungsbereich, den Rabattverhandlungen. Während Festbeträge und Therapiehinweise auf die Leistungserbringung der GKV gegenüber den Versicherten 289 Das Bestehen seiner demokratischen Legitimation ist allerdings nicht unumstritten, vgl. hierzu etwa Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 149 ff.; Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 Abs. 1. S. 1 SGB V, S. 127 ff.; Schnapp, Untergesetzliche Rechtsquellen im Vertragsarztrecht am Beispiel der Richtlinien, in: Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 ff. (501 ff.), sämtliche mit weiteren Nachweisen. Dem soll im Folgenden jedoch nicht weiter nachgegangen werden, da dies den Fokus der Arbeit verschieben würde. 290 Vgl. Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 83 f. 291 So aber Deter, Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln als Rechtsproblem, MedR 2010, S. 249 ff. (255), allerdings in Bezug auf die Höchstbetragsfestsetzungen und unter Verweis auf die Möglichkeit der Priorisierung aufgrund dieser. 292 BSGE 96, 261 (270, 278 ff.).
B. Prozedurale und materielle Fragen der Kosten-Nutzen-Bewertung
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Einfluss nehmen, werden die Kosten-Nutzen-Bewertungen grundsätzlich zu kooperativen Preisverhandlungen bzw. hoheitlichen Preisfestsetzungen gegenüber den pharmazeutischen Unternehmen verwendet. Ein systematischer Schluss auf eine indikationsbezogene Kosten-Nutzen-Bewertung ist daher nicht zwingend. Sollten punktuelle Betrachtungen der Wirtschaftlichkeit zu Zufallsergebnissen führen, was bei einer mangelnden Datengrundlage der Fall sein kann, bedarf es einer Erweiterung des Blickwinkels bis hin zur Beachtung der Auswirkungen auf das Gesamtsystem.293 Auch aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt weder die Vorgabe einer indikationsbezogenen noch indikationsübergreifenden Bewertung. Die in der Literatur im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG bereits hervorgehobenen Punkte, dass zwar Ungleiches nicht gleichbehandelt werden dürfe, die gewählten Kriterien aber dennoch sicherstellen müssten, dass die pharmazeutischen Unternehmen bei der Bewertung prinzipiell gleich behandelt würden, machen jedoch Vorgaben für die Auswahl der Komparatoren durch den GBA. Dies führt dazu, dass, um Ungleichbehandlungen auszuschließen, die Bewertung grundsätzlich in derselben Art und Weise durchzuführen ist. Dies lässt sich, wie bereits zuvor dargelegt wurde, mittels eines einheitlichen Bewertungsansatzes sicherstellen. Über Art. 3 Abs. 1 GG wird eine Bindung an den einmal gewählten Bewertungsansatz – indikationsbezogen oder indikationsübergreifend – hervorgerufen. Diese Bindung greift lediglich dann nicht, wenn derartige Unterschiede zu anderen medizinischen Methoden bestehen, dass dies wiederum zu einer ungerechtfertigten Gleichbehandlung von Ungleichem führen würde. Die Problematik des Art. 3 Abs. 1 GG ist daher nicht auf der Ebene der Methodenwahl zu lösen. Vielmehr ist angepasst an die jeweilige Situation der Bewertung zu entscheiden, welche Komparatoren mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang zu bringen sind. Die Bindung, welche die einmal erfolgte Methodenwahl prinzipiell bewirkt, ist aus diesem Grund davon abhängig, inwieweit die Marktsituation der speziellen Indikation mit den vorherigen Referenzszenarien übereinstimmt. In Bezug auf den Vorwurf des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG bei einer indikationsübergreifenden Bewertung – weil Ungleiches gleich behandelt würde – ist darauf hinzuweisen, dass dies davon abhängt, welche Indikationen miteinander verglichen werden. So liegt beispielsweise keine nicht zu rechtfertigende Gleichbehandlung von Ungleichem vor, wenn bei der Beurteilung der Angemessenheit der aufzuwendenden Ressourcen, also der Höhe des Preises der medizinischen Methode, miteinbezogen wird, wie viel hierfür im Rahmen einer dem Schweregrad nach vergleichbaren Krankheit aufgewendet wird. Der GBA hat bei der Auswahl der Komparatoren daher darauf zu achten, dass diese dem Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG entsprechen. Zu einem grundsätzlichen Ausschluss von indikationsübergreifenden Betrachtungen führt Art. 3 Abs. 1 GG aber nicht. Demnach kann der GBA unter Beachtung der dargelegten Maßgaben darüber entscheiden, ob er einen indikationsbezogenen Vergleich präferiert oder das KostenNutzen-Verhältnis in anderen Indikationen in die Bewertung miteinbeziehen möchte. 293
BSGE 55, 188 (193 f.).
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
Weder indikationsbezogene noch indikationsübergreifende Bewertungen verstoßen grundsätzlich gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Vielmehr ist Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen des Umgangs mit Kosten-Nutzen-Bewertungen zu beachten. Bei indikationsübergreifenden Betrachtungen müssen allerdings medizinische Methoden ausgewählt werden, die gewisse Übereinstimmungen mit dem zu vergleichenden Arzneimittel aufweisen, beispielsweise einen ähnlichen Schweregrad der Erkrankung. Dies ergibt sich neben Art. 3 Abs. 1 GG schon daraus, dass nur in diesem Fall überhaupt ein Maßstab besteht, anhand dessen eine weiterführende Bewertung erfolgen kann.
C. Rechtsfolgen der Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG Die nach § 35b Abs. 1 SGB V durch das IQWiG erfolgende Kosten-NutzenBewertung hat selbst keine unmittelbaren Rechtsfolgen.294 Gemäß § 35b Abs. 3 S. 1 SGB V beschließt der GBA und nicht das IQWiG über die Kosten-Nutzen-Bewertung. Wie sich aus § 139b Abs. 4 S. 1 SGB V ergibt, haben die vom IQWiG durchgeführten Kosten-Nutzen-Bewertungen für den GBA Empfehlungscharakter, wobei § 139b Abs. 4 S. 2 SGB V festlegt, dass der GBA die Empfehlungen des IQWiG im Rahmen seiner Entscheidungen berücksichtigen muss. Mittelbar haben die gemäß § 35b SGB V erfolgten Kosten-Nutzen-Bewertungen hingegen verschiedene denkbare Auswirkungen. Die Ergebnisse einer KostenNutzen-Bewertung können in unterschiedlichen Bereichen verwendet werden. Diese sind in § 35b SGB V bereits angelegt und nehmen Einfluss auf die Art und Weise der Durchführung der Kosten-Nutzen-Bewertung. Über die Kenntnis dieser grundsätzlichen Verwendungsbereiche hinausgehend sind die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten indes zu konkretisieren und ihr Verhältnis zueinander zu bestimmen, um den derzeitigen Einflusses von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf die GKV erfassen zu können. Laut § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V wird eine Kosten-Nutzen-Bewertung aufgrund eines Antrags nach § 130b Abs. 8 SGB V durchgeführt. Ihre Ergebnisse werden somit im Rahmen der Rabattverhandlungen verwendet. Diesbezüglich ist insbesondere ihr Einflussfaktor auf die Rabattverhandlungen zu untersuchen. Darüber hinaus kann der GBA auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen – wie § 35b Abs. 3 S. 2 SGB V mittelbar vorsieht und sich aus der grundsätzlichen Kompetenz des GBA ergibt – aber auch gemäß § 92 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V tätig werden. Wie weit die Befugnis des GBA geht, im Rahmen von Leistungsbeschränkungen und Therapiehinweisen die Ergebnisse der Kosten-NutzenBewertungen nach § 35b SGB V umzusetzen, ist in der Literatur umstritten und bedarf einer näheren Untersuchung. In der Hauptzahl der Fälle scheint es keiner 294
Vgl. auch Wallrabenstein, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 139a Rn. 10.
C. Rechtsfolgen der Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG
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derart umfangreichen Kosten-Nutzen-Bewertungen in Form ökonomischer Analysen zu bedürfen, um von den in § 92 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V eingeräumten Befugnissen Gebrauch machen zu können. Eine eher einfache Gegenüberstellung von dem über das bereits erreichte Niveau hinausgehenden Nutzen zu den hierfür aufzuwendenden Zusatzkosten genügt als Entscheidungsgrundlage, sollte der GBA nur bei geringen Nutzenunterschieden tätig werden dürfen.295 Die Verwendung der Begriffe Kosten-Nutzen-Bewertung bzw. Kosten-Nutzen-Vergleiche oder KostenNutzen-Analysen sowohl im Rahmen des § 35b SGB V als auch im Anwendungsbereich von § 12 Abs. 1 iVm § 92 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V wird deshalb teilweise als irreführend angehen.296 Hiermit würde suggeriert, dass der GBA weitgehende ökonomische Erwägungen im Rahmen der Ausgestaltung des Leistungskataloges anstellen dürfe, obwohl seine begrenzten Befugnisse ihm derartige Wertungen nicht ermöglichen würden. Die Möglichkeit des GBA, Leistungen auszuschließen oder einzuschränken, wird, unabhängig von dem konkret eingeräumten Umfang, jedenfalls gemäß § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V beschränkt. Dieser ordnet an, dass die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit vorrangig über § 35 SGB V und § 130b SGB V zu erfolgen hat. Für Therapiehinweise gilt die Subsidiaritätsklausel des § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V hingegen nicht, da sie ausdrücklich auf Leistungsausschlüsse und -einschränkungen beschränkt ist. Wie die Forderung nach einem getrennten Beschluss des GBA von Leistungsbeschränkungen und Therapiehinweisen gemäß § 92 Abs. 2 S. 10 SGB V zeigt, dürfen Therapiehinweise gerade keine ausschließende oder einschränkende Wirkung erzeugen. Über ihren Einfluss auf Therapiehinweise könnten Kosen-Nutzen-Bewertungen indes einen stärkeren Einfluss auf das Verordnungsverhalten der Ärzte entfalten. In Anbetracht des vielfältigen Regelungsinstrumentariums zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung in der GKV bedarf es, um eine konsequente und stringente Anwendung trotz der laufenden Neuerungen zu gewährleisten, einer Systematisierung dieser Instrumente in Bezug auf die Verwendungsfelder von Kosten-Nutzen-Bewertungen.297 Eine solche Systematisierung wird anhand der möglichen Rechtsfolgen der Kosten-Nutzen-Bewertungen vorgenommen, da die Anwendungsbereiche der Wirtschaftlichkeitssicherungsinstrumentarien Aussagen über den Wirkungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen in der GKV beinhalten.
295
Hierzu vertiefend § 3. Wolff spricht insoweit von einer Kosten-Nutzen-Bewertung und einer „kleinen KostenNutzen-Abwägung“, Wolff, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung des Vertragsarztes durch Therapiehinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 194. 297 Eine derartige Systematisierung des Verhältnisses der Instrumentarien zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung erfolgt aufgrund der Themenbegrenzung auf den Einfluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen nur bezogen auf diesen Blickwinkel, sodass nicht sämtliche Aspekte hier erfasst werden können. 296
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
Der direkte Einfluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf die Konturierung des Leistungskatalogs der GKV wird hierbei in § 3 weiter vertieft, da er davon abhängt, welche Bedeutung Wirtschaftlichkeitserwägungen bei der Allokation von Gesundheitsgütern gemäß § 12 Abs. 1 SGB V erlangen dürfen. Diese Frage ist, neben den Besonderheiten der Regulierung der Arzneimittelkosten mittels zwangsweisen Rabattverhandlungen gemäß § 130b SGB V, von besonderer Relevanz. § 35b SGB V hat auf diesen Bereich jedoch keinen direkten Einfluss.
I. Einfluss der Kosten-Nutzen-Bewertungen auf die Rabattverhandlungen Unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt sie beantragt worden sind, haben Kosten-Nutzen-Bewertungen Einfluss auf die Rabattverhandlungen nach § 130b SGB V. Wenn eine Kosten-Nutzen-Bewertung beantragt wurde, bildet sie die Verhandlungsgrundlage für den Erstattungsbetrag.298 Nach § 35a Abs. 5a iVm § 35b Abs. 1 SGB V durchgeführte Kosten-NutzenBewertungen können sowohl in den Rabattverhandlungen nach § 130b Abs. 1 bis Abs. 3 SGB V als auch – im Falle mangelnder Einigungsbereitschaft – im Rahmen der Festsetzung des Abgabepreises durch die Schiedsstelle nach § 130b Abs. 4 SGB V eine Rolle spielen.299 Sollte eine Kosten-Nutzen-Bewertung durch das Pharmaunternehmen noch nicht eingeholt worden sein, kann dies auch nach dem Schiedsstellenspruch noch auf Antrag des Unternehmens oder des SpiBu gemäß § 130b Abs. 8 iVm § 35b SGB Verfolgen. Die nachträglich erfolgte Kosten-NutzenBewertung führt nach § 130b Abs. 8 S. 2 SGB V zwar nicht zur unmittelbaren Ungültigkeit des Schiedsspruches, es kann auf der Grundlage der Bewertung jedoch 298
Vergaberechtliche Aspekte kommen im Rahmen von § 130b SGB V nicht zum Tragen, da es sich nicht um ein freiwilliges Ausschreibungsverfahren handelt, sondern das Verfahren nach § 130b SGB V neben Elementen des Verhandlungscharakters ebenso von dem Element der einseitig hoheitlichen Entscheidung geprägt wird, vgl. Mandl, Rabattverträge über patentgeschütze Arzneimittel, S. 231 ff. Sich aus der zum Teil vertretenen grundsätzlichen Anwendbarkeit des Kartellrechts ergebende Probleme (hierauf hinweisend Mandl, Rabattverträge über patentgeschütze Arzneimittel, S. 240) werden an dieser Stelle, aufgrund der alleinigen Betrachtung des Einflusses von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf § 130b SGB V, ebenso ausgeklammert. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die an § 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 2 und 3 GWB aufgehängte Problematik des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung im Rahmen von § 130b SGB V angesichts der Verhandlungsposition der GKV bei der Bestimmung des Erstattungsbetrages für ein Arzneimittel, bei einer Zugrundelegung des Ergebnisses einer KostenNutzen-Bewertung, jedenfalls über das mangelnde Vorliegen des Missbrauchs bzw. als sachgemäße Kompensation des „Als-Ob-Wettbewerbspreises“ zu lösen sein dürfte. Darüber hinaus erscheint die Anwendbarkeit des GWB angesichts der Regelung des § 69 SGB V nicht unumstritten; diese ablehnend etwa Engelmann, Keine Geltung des Kartellvergaberechts für Selektivverträge der Krankenkassen mit Leistungserbringern, SGb 2008, 133 ff. 299 Vgl. Scriba, Die Arzneimittelbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, S. 46 f.
C. Rechtsfolgen der Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG
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vorzeitig300 erneut in die Rabattverhandlungen wiedereingetreten werden. Unabhängig vom Beantragungszeitpunkt hat die Kosten-Nutzen-Bewertung sowohl auf das Verhandlungsverhalten des SpiBu als auch die Entscheidung der Schiedsstelle Einfluss. Insbesondere erheblich erscheinen die Fragen, inwieweit erstens eine erfolgte Kosten-Nutzen-Bewertung den SpiBu bei den Verhandlungen bindet sowie inwieweit zweitens – sollte in diesen keine Einigung getroffen werden können – die Schiedsstelle an das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung gebunden ist und drittens, zu welchen Preisfestsetzungen diese zulasten der Pharmaunternehmen berechtigen. Diesbezüglich ist auch relevant, ob die Möglichkeit eines sogenannten „Opt-out“ für das pharmazeutische Unternehmen besteht oder es mangels „Opt-outRechts“ faktisch zu einem Kontrahierungszwang kommt. 1. Bindung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen an Kosten-Nutzen-Bewertungen Eine Bindung des SpiBu an das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung im Rahmen der Rabattverhandlungen erscheint naheliegend, weil dieses im Grunde genommen das Ergebnis der Abwägung der Versicherteninteressen wiedergibt, welchen der SpiBu verpflichtet ist.301 Ebenso könnte eine Bindungswirkung aufgrund der gemäß § 35b Abs. 3 S. 4 Halbs. 1 SGB V erfolgenden Feststellung der Kosten-Nutzen-Bewertung durch den GBA im Rahmen der Arzneimittelrichtlinie anzunehmen sein. Dies lässt sich aus der nach § 91 Abs. 6 SGB V angeordneten Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber unter anderem dem SpiBu und aus der gesetzlichen Inkorporation dieser nach § 92 Abs. 8 SGB V in die Bundesmantelverträge und über diese gemäß § 82 Abs. 1 S. 2 SGB V in die Gesamtverträge herleiten. Hinsichtlich der vor den Neuerungen des AMNOG durch den SpiBu festzusetzenden Höchstbeträgen wurde in Bezug auf die Bindungswirkung der KostenNutzen-Bewertungen vertreten, dass diese mangels gesetzlicher Regelung zwar keine rechtliche Bindung entfalten würden, vieles jedoch dafür spreche, eine „Tatbestandswirkung“ gegenüber dem SpiBu anzunehmen.302 Begründet wurde dies mit einem Erst-Recht-Schluss. Bei einer „Tatbestandswirkung“ sogar gegenüber dem GBA, müsse auch der SpiBu von dieser erfasst werden. Der Gestaltungsspielraum des SpiBu im Rahmen der Rabattverhandlungen könnte durch Kosten-Nutzen-Be300
§ 130b Abs. 7 SGB V regelt im Übrigen eine Kündigungsfrist von einem Jahr. Eine solche grundsätzliche Verpflichtung ergibt sich aus § 217a iVm § 217f Abs. 1, Abs. 2 SGB V. Hiernach ist der SpiBu bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben den Interessen der Krankenkassen verpflichtet, welche wiederum den Versicherteninteressen Rechnung zu tragen haben. 302 Reese, Rechtsfragen der Kosten-Nutzen-Bewertung und Festsetzung von Erstattungshöchstbeträgen (Teil 2), PharmR 2008, S. 525 ff. (526). 301
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
wertungen, da sie die Feststellung beinhalten, welcher Betrag als angemessen und zumutbar gegenüber der Versichertengemeinschaft anzusehen ist, somit eingeschränkt werden. Betrachtet man die Gründe für die Neuregelung des Wirkungsbereiches der Kosten-Nutzen-Bewertung und die Ausgestaltung als Verhandlungsverfahren nach § 130b Abs. 1 und Abs. 2 SGB V jedoch genauer, spricht einiges dagegen, eine Bindungswirkung der Kosten-Nutzen-Bewertung anzunehmen. Zwar wird in den meisten Fällen die Erstellung einer Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 130b Abs. 8 SGB V erst beantragt werden, wenn es zu keiner Einigung der Parteien gekommen ist. Grundsätzlich ist jedoch eine Bindung einer Partei an außerhalb der Verhandlungen gefundene Ergebnisse kontraproduktiv, sofern die Preise trotz Vorhandenseins einer wissenschaftlichen Grundlage verhandelt anstatt festgesetzt werden sollen. Dass auch nach einer Kosten-Nutzen-Bewertung noch eine Verhandlung über den Erstattungsbetrag anstatt einer Festsetzung erfolgen soll, zeigt sowohl der Verweis des § 130b Abs. 8 S. 4 SGB V auf die Absätze 1 bis 7 als auch der Wortlaut des § 130b Abs. 8 S. 3 SGB V, wonach der Erstattungsbetrag nach Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung neu zu vereinbaren ist.303 Gegen eine vollständige Ablehnung der Beeinflussung der Verhandlungen durch Kosten-Nutzen-Bewertungen spricht hingegen wiederum, dass, sollte nicht eine gewisse Bindung an ihre Ergebnisse bestehen, der gemäß § 130b Abs. 8 SGB V stellbare Antrag wie auch die Durchführung der Kosten-Nutzen-Bewertung ad absurdum geführt würden. Gerade wenn die Verhandlungen versagen bzw. die Festsetzung der Schiedsstelle nach Ansicht jedenfalls einer Partei nicht zu einem angemessenem Ergebnis führt, soll die Kosten-Nutzen-Bewertung zum Tragen kommen können und somit das Heranziehen objektiver Kriterien weiterhelfen. Die Kosten-Nutzen-Bewertung ist deshalb im Falle des Scheiterns der Verhandlungen als wissenschaftliches Kriterium der Schlichtung gedacht. Sie soll die Parteien dahingehend beeinflussen, auf ihrer Basis eine Entscheidung zu treffen. Dies aber hat zur Folge, dass dem SpiBu nur ein geringer Abweichungsspielraum vom Ergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung verbleibt, der ausschließlich das nach § 130b Abs. 1 iVm Abs. 8 S. 3 und S. 4 SGB V intendierte Verhandlungspotential sichert. Dieses Ergebnis der systematischen und telelogischen Auslegung von § 130b iVm § 35b SGB V entspricht auch der Begründung des Fraktionsentwurfes zum AMNOG, nach welcher die Feststellung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch den GBA die Grundlage der Vereinbarung darstellen soll.304 Die Bindungswirkung der
303
A.A. Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 297, der davon ausgeht, dass die Kosten-Nutzen-Bewertung das Verfahren abschließe und daher das IQWiG als letztlich verbindliche Evaluationsinstanz ansieht. 304 Vgl. BT-Drs. 17/2413, S. 31.
C. Rechtsfolgen der Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG
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Kosten-Nutzen-Bewertung hängt über diesen allgemeinen, systemgedanklichen Grundsatz hinausgehend aber auch von ihrem Ergebnis ab:305 Wenn in der Kosten-Nutzen-Bewertung festgestellt wird, dass das Arzneimittel kosteneffektiv ist, kann der SpiBu theoretisch versuchen, eine Einigung auf einen noch geringeren Preis zu erzielen. Insofern bestehen keine verfassungsrechtlichen Bindungen, da das Pharmaunternehmen bei einer Einigung keinen Eingriff in Grundrechte gelten machen kann. Sollte hingegen der geforderte Preis für das Arzneimittel nicht als kosteneffektiv angesehen werden, hat der SpiBu gemäß § 12 Abs. 1 SGB V die Wirtschaftlichkeit sicherzustellen: Das Arzneimittel darf nicht teurer als vergleichbar nützliche Methoden dieser Indikation sein.306 Dies sieht auch § 130b Abs. 3 S. 1 SGB V ausdrücklich vor, nach dessen Regelung der Erstattungsbetrag nicht höher als die Jahrestherapiekosten der Vergleichstherapie sein darf. Insoweit erfolgt bei der Ablehnung eines Zusatznutzens eine Anlehnung an die Höhe der Festbetragsfestsetzung.307 Bei Fehlen einer vergleichbar nützlichen Methode hat der SpiBu wegen § 130b Abs. 1 S. 7 iVm § 35b SGB V einen der Kosteneffektivität nahe kommenden Preis auszuhandeln. Diese Vorgabe folgt zwar nicht direkt aus § 12 Abs. 1 SGB V, da dieser lediglich eine Regelung der Wirtschaftlichkeit hinsichtlich des Inhalts des Leistungskataloges beinhaltet, nicht jedoch auf die Preisgestaltung einer Leistung Einfluss nimmt. Auch § 130b Abs. 1 S. 8 SGB V fordert seinem Wortlaut nach lediglich, dass die Vereinbarung unter anderem auch Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit der Verordnung beinhalten soll. In der Begründung des Gesetzesentwurfes klingt jedoch angesichts des Verweises auf die nach § 35a und § 35b SGB V getroffenen Feststellungen an, dass zu diesen kein Widerspruch eintreten soll.308 Angesichts der „Opt-out-Möglichkeit“ des Pharmaunternehmens309 und da in diesem Fall ein Arzneimittel der Krankenversorgung in Deutschland entzogen würde, das einen Zusatznutzen hervorruft, fällt das Verhandlungspotential des SpiBu jedoch eher gering aus. Dass Arzneimittel der Gewährung durch die GKVentzogen werden, bezweckt § 130b SGB V gerade nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG müssten derartige Arzneimittel außerdem sogar aus dem Ausland importiert und die Kosten 305
Zur Abhängigkeit der Rechtsfolgen und Bindung der Kosten-Nutzen-Bewertung von ihrem Ergebnis bereits Reese, Rechtsfragen der Kosten-Nutzen-Bewertung und Festsetzung von Erstattungshöchstbeträgen, PharmR 2008, 525 ff. (528). 306 Vgl. Burghardt, Verfahren der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V, in: Voit (Hrsg.), Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes – Veränderungen und Perspektiven, S. 9 ff. (72 ff.). 307 Vgl. Schickert, Arzneimittelschnellbewertung und ihre Folgen nach dem Regierungsentwurf zum AMNOG, PharmR 2010, S. 452 ff. (459); Anders, Die Vereinbarung des Erstattungsbetrages nach § 130b SGB V, PharmR 2012, S. 81 ff. (84). 308 BT-Drs. 17/2413, S. 31. 309 § 4 Abs. 6 der auf der Grundlage von § 130b Abs. 9 SGB V getroffenen Rahmenvereinbarung sieht die Möglichkeit des „Opt-outs“ vor.
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
übernommen werden. Das Pharmaunternehmen in den Verhandlungen faktisch zu einem „Opt-out“ zu drängen, wäre aus diesem Grund kontraproduktiv. Eine enge Bindung an die Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Bewertung ist in diesem Bereich daher nicht anzunehmen. Eine Bindungswirkung gegenüber dem SpiBu aufgrund der Inkorporation der Feststellung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses in die Richtlinien des GBA ist weder nach § 91 Abs. 6 SGB V noch über § 92 Abs. 8 iVm § 82 Abs. 1 S. 2 SGB V anzunehmen. Insoweit hat eine Reduktion der Verbindlichkeitsanordnung – sollte diese überhaupt greifen und nicht vielmehr nur die äußere Verbindlichkeit betreffen –310 zu erfolgen, da sie insoweit dem Zweck des spezielleren § 130b SGB V widerspricht.311 Einer Reduktion des Anwendungsbereiches bedarf es, weil sich auch aus der in § 35b Abs. 3 S. 1 und S. 3 SGB V geregelten Tenorierung des Beschlusses des GBA, nach welcher insbesondere der Zusatznutzen und die Therapiekosten festgestellt werden, nicht zwingend ein Ausschluss der Bindungswirkung ergibt. Zwar spricht die bloße Feststellung von Zusatznutzen und Therapiekosten gegen eine derartige Auswirkung, der Inhalt der Richtlinie geht jedoch über diese bloße Feststellung von Kosten und Nutzen hinaus. Der Beschluss beinhaltet gemäß § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V auch die Beurteilung des Verhältnisses von Kosten zu Nutzen als angemessen und zumutbar, sodass eine inhaltliche Bindung des SpiBu nicht schon deshalb ausgeschlossen ist. Aus diesen Gründen ist bei Zusatznutzen generierenden Arzneimitteln wenn auch keine Bindung, so doch zumindest eine Orientierungspflicht des SpiBu an den Ergebnissen der Kosten-Nutzen-Bewertung anzunehmen.312 Aufgrund der Bestimmung keines festen Betrages, sondern eher eines Bereichs, in welchem die Kosten als angemessen anzusehen sind, verbleibt dem SpiBu genügend Spielraum für die von ihm zu führenden Verhandlungen.313 310
In diese Richtung die Verbindlichkeitsanordnung interpretierend Reese/Stallberg, in Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 251. Diese Aufspaltung der Verbindlichkeitsanordnung in einen äußerlichen und innerlichen Aspekt erscheint jedenfalls in Ansehung der fehlenden Bindungswirkung von Therapiehinweisen als sinnvoll. Insofern könnte man ebenfalls der Ansicht sein, dass es der Feststellung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses an einer inneren Verbindlichkeit fehle. Dies wiederum reibt sich an dem Verhältnis von GBA und SpiBu zueinander sowie der bereits erfolgten Beurteilung der Angemessenheit des Verhältnisses durch diesen, sodass hier von einem Zusammenfallen der Frage nach innerer und äußerer Verbindlichkeit auszugehen ist. Eine Durchbrechung der Verbindlichkeit von Richtlinien wird in anderen Fallgestaltungen ebenso angenommen und an dieser Stelle ebenfalls an der äußeren Verbindlichkeit angesetzt, vgl. Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 92 SGB V Rn. 8 ff. 311 Anders von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK SGB V, § 130b Rn. 39, der einen bindenden Verwaltungsakt aufgrund des Beschlusses des GBA annimmt. 312 Vergleichbar insoweit auch die Auffassung von Joussen, in: Kreikebohm/Spellbrink/ Waltermann (Hrsg.), Kommentar zum Sozialrecht, § 35b SGB V Rn. 5. 313 Die nach § 130b Abs. 9 SGB V geschlossene Rahmenvereinbarung für die nach § 130b SGB V zu führenden Verhandlungen beinhaltet keine Aussagen über die Bindungswirkung
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2. Bindung der Schiedsstelle an Kosten-Nutzen-Bewertungen Die Bindungswirkung der Kosten-Nutzen-Bewertung gegenüber der Schiedsstelle könnte hingegen aufgrund der im Gegensatz zu den erfolgenden Verhandlungen einseitigen Festsetzung des Erstattungsbetrages und damit des Eingriffes in Art. 12 Abs. 1 GG anders zu beurteilen sein. Vorgaben enthält § 130b Abs. 4 SGB V im Hinblick auf die Bestimmung der Höhe des Erstattungsbetrages durch die Schiedsstelle nur insoweit, als nach dessen Satz 2 die Höhe des tatsächlichen Abgabepreises in anderen europäischen Ländern zu berücksichtigen ist.314 Darüber hinaus sind keine ausdrücklichen Vorgaben für die Entscheidung der Schiedsstelle ersichtlich. § 130b Abs. 8 S. 3 SGB V impliziert zwar, dass das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung auch Einfluss auf die Entscheidung der Schiedsstelle haben soll, in welchem Umfang eine Bindung an diese besteht, wird jedoch nicht vorgegeben. Die Schiedsstelle ist gemäß § 130b Abs. 5 S. 1 SGB V mit Vertretern des SpiBu, der Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmen sowie drei unparteiischen Mitgliedern besetzt. Dies soll dazu führen, dass auch hier die Bestimmung des Erstattungsbetrages stärker durch Verhandlungen geprägt ist, als dass eine einseitige Bestimmung auf der Grundlage von wissenschaftlichen Untersuchungen und Bewertungen erfolgt.315 Die vorrangige Beteiligung von Vertretern der Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmen anstatt Vertretern des jeweils konkret betroffenen Unternehmens selbst wie auch die Einbeziehung von drei unparteiischen Mitgliedern verändert die Verhandlungspositionen gegenüber der nach § 130b Abs. 1 SGB V bestehenden Verhandlungssituation. Die konkreten Betroffeneninteressen werden hiermit auf die grundsätzlichen Positionen zurückgeführt. Dies scheint gegen eine Bindungswirkung der Kosten-Nutzen-Bewertung gegenüber einer erfolgten Kosten-Nutzen-Bewertung, sondern nennt als zu berücksichtigende Kriterien für die Vereinbarung in § 6 vielmehr die in der Nutzenbewertung getroffenen Feststellungen, das Dossier des pharmazeutischen Unternehmens, den Abgabepreis in anderen europäischen Ländern sowie die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel. 314 Zur Bildung der Erstattungshöhe in anderen Ländern siehe Schickert, Arzneimittelschnellbewertung und ihre Folgen nach dem Regierungsentwurf zum AMNOG, PharmR 2010, S. 452 ff. (461 f.), der aufgrund der Art und Weise ihrer Bildung darauf hinweist, dass die Orientierung der Schiedsstelle allein hieran mangels Reflektion des therapeutischen Nutzens problematisch wäre. 315 Zur Entscheidungsfindung von Schiedsstellen im Wege der Abstimmung Düring, Das Schiedswesen in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 118 f.; Felix, Schiedsstellen im Sozialrecht – geeignete Instrumente der Streitschlichtung?, in: Detterbeck/Rozek/Coelln (Hrsg.), Recht als Medium der Staatlichkeit, FS Bethge, S. 320 ff. (320), ordnet das Phänomen der Schiedsstellen daher dem kooperativen Sozialstaat zu. Der von ihr gesehene Konflikt zwischen Verhandlungsprinzip und staatlicher Steuerung bezieht sich auf die besondere Ausgestaltung der Unverbindlichkeit der von ihr untersuchten Schiedsstellenentscheidungen. Ebenso hierzu Becker, Das Schiedsstellen-Verfahren im Sozialrecht, SGb 2003, S. 664 ff. (666 f.) und Shirvani, Die Schiedsstelle im Krankenhausfinanzierungsrecht als changierende Einrichtung, NZS 2012, S. 81 ff. (85).
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der Schiedsstelle zu sprechen. Über die Besetzung hinausgehende Maßgaben hat der Gesetzgeber vermieden. Aus verfassungsrechtlichen Gründen könnten sich aber materielle Kriterien für die Festsetzung des Erstattungsbetrages ergeben. Das Ergebnis, dass die Schiedsstelle lediglich die Höhe des Abgabepreises in anderen europäischen Ländern zu berücksichtigen hat, im Übrigen jedoch keine weiteren Vorgaben bestehen, würde auch den nach § 130b Abs. 4 S. 5 iVm § 54 Abs. 1 SGG grundsätzlich einholbaren Rechtsschutz im Hinblick auf die inhaltliche Kontrolle des Schiedsspruches mangels rechtlicher Angriffspunkte de facto unmöglich machen. Die in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmen könnte, sollte die Festsetzung eines Erstattungsbetrages durch die Schiedsstelle einen Eingriff in den Schutzbereich darstellen, mittelbar zu einer gewissen Bindung an die Kosten-Nutzen-Bewertungen führen. Ob bei einer Verwendung der Kosten-Nutzen-Bewertung als Grundlage für Leistungsbeschränkungen, der Festbetragsentscheidung des BVerfG folgend, kein Eingriff in Rechte der Pharmaunternehmen anzunehmen ist, sodass Art. 12 Abs. 1 GG insoweit keinen Einfluss auf die Anwendung und Umsetzung der Kosten-Nutzen-Bewertung hat,316 kann an dieser Stelle offen bleiben. Im Hinblick auf die Bindungswirkung der Kosten-Nutzen-Bewertungen gegenüber dem SpiBu und der gemäß § 130b Abs. 4 SGB V entscheidungsbefugten Schiedsstelle kommt es auf die Beantwortung dieser Frage nicht an. Die Ablehnung der Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 12 Abs. 1 GG und deshalb eines Eingriffes durch Festbeträge ist darauf zurückzuführen, dass mit den Regelungen eine Begrenzung des Leistungsanspruches der Versicherten erfolgt, nicht aber die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Hersteller berührt wird.317 Art. 12 Abs. 1 GG erfasst zwar grundsätzlich auch die Teilhabe am Wettbewerb und damit das Recht der am Markt Tätigen, Art, Qualität und Preis der angebotenen Leistungen selbst festzulegen. Die Regelungen über die Festbetragsfestsetzungen, die die Kostenübernahme gegenüber den Versicherten regeln, betreffen das Marktverhalten der pharmazeutischen Unternehmen jedoch nicht unmittelbar. Sie regeln vielmehr das Verhalten und die Ansprüche der Versicherten und Ärzte, sodass die Festbeträge daher an deren Grundrechten zu messen sind.318 Die Auswirkungen auf die Tätigkeit der pharmazeutischen Unternehmen stellen sich insoweit lediglich als ein Reflex der Regelung des Festbetrags dar.319 Dies ist zwar in der Rechtsprechung320 und Literatur321 auch bereits anders beurteilt und 316
Vgl. BVerfGE 106, 275 (299). So im Hinblick auf die Höchstbeträge Orlowski, Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung bei der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 245 ff. (246). 318 BVerfGE 106, 275 (299). 319 BVerfGE 106, 275 (299). 320 BSG, Vorlagebeschluss vom 14. 06. 1995, – 3 RK 20/94 –, juris Rn. 61 ff.; BSG, Urteil vom 24. 11. 2004, – B 3 KR 10/04 R –, juris Rn. 16 ff. sowie in ständiger Rechtsprechung bspw. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. 06. 2012, – L 1 KR 296/09 KL –, juris Rn. 80, die 317
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Art. 12 Abs. 1 GG als berührt angesehen worden, es bedarf angesichts der hier anders gelagerten Fragestellung jedoch keiner Vertiefung dieser Problematik.322 Unabhängig von der Frage, ob Leistungseinschränkungen der GKV an dem Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG der pharmazeutischen Unternehmen zu messen sind, ist dies im Rahmen der Anwendung der Kosten-Nutzen-Bewertung als Grundlage für die Festsetzung des Erstattungsbetrages durch die Schiedsstelle jedenfalls anders zu beurteilen. Das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG erfasst unter anderem die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder es mit denen, die an diesen Leistungen interessiert sind, auszuhandeln.323 Vergütungsregelungen sowie hierauf gründende Entscheidungen, die auf den Umfang der Einnahmen von nicht unerheblichem Einfluss sind, greifen daher in die Freiheit der Berufsausübung324 ein und sind aus diesem Grund am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.325 Der sachliche Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist bei einseitigen Preisfestsetzungen für eine berufliche Leistung somit betroffen.326 Dies bedeutet für die nach § 130b SGB V zu führenden Rabattverhandlungen, dass zwar bei einer einverständlichen Vereinbarung des Erstattungsbetrages nach § 130b Abs. 1 bis Abs. 3 SGB V kein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG anzunehmen ist. Die nach § 130b Abs. 4 SGB V ergehende Entscheidung der Schiedsstelle, in welcher einseitig und ohne Einverständnis des konkret betroffenen pharmazeutischen insoweit darauf abstellen, dass zwar nicht die Möglichkeit der Festbetragsfestsetzung als solche, jedoch ihre Ausführung im Einzelfall Art. 12 Abs. 1 GG beeinträchtigen könne. 321 Vgl. Sodan in seinem Referat auf der Tagung „Die Rechtsstellung der Leistungserbringer im Sozialrecht“, zitiert nach Brockmann/Goertz, Die Rechtsstellung der Leistungserbringer im Sozialrecht (Bericht), NZS 2005, S. 583 ff. (584); ebenso wohl, wenn auch nicht ausdrücklich, Hufen, Grundrechte der Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, in: Sodan (Hrsg.), Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und Grundrechte der Leistungserbringer, S. 27 ff. (33 f.). Dies wird damit begründet, dass es sich bei der Festbetragsregelung um eine Maßnahme mit preisregulierender Wirkung im Sinne eines dirigistischen Eingriffs in den Marktablauf handele. Dem ist angesichts der hohen Anforderungen, die an das Bestehen eines mittelbaren Eingriffs zu stellen sind, jedoch nicht zu folgen, so auch Schelp, Zur Verfassungsmäßigkeit der Festbetragsregelungen für Arzneimittel (§ 35 SGB V), NZS 1997, S. 155 ff. (156). 322 Ob bei Leistungsbeschränkungen oder aber Therapiehinweisen andere Maßstäbe im Hinblick auf die Annahme eines mittelbaren Eingriffes anzulegen sind und eine berufsregelnde Tendenz daher anzunehmen ist – so BSGE 96, 261 (265 f.) –, erscheint allerdings fraglich. Alleine deshalb zwischen Festbeträgen und Therapiehinweisen zu differenzieren, weil die Verordnung anders als bei Festbeträgen grundsätzlich eingeschränkt würde, erscheint nicht vollkommen überzeugend. Aufgrund der Forderung der therapeutischen Vergleichbarkeit ergibt sich nämlich kein anderer Wirkungsbereich. 323 BVerfGE 88, 145 (159); BVerfGE 101, 331 (347); BVerfG, Beschluss vom 25. 10. 2004, – 1 BvR 1437/02 –, NJW 2005, S. 1036 ff. (1036 f.). 324 BVerfGE 47, 285 (321). 325 BVerfGE 54, 251 (271); 68, 193 (216 ff.); 83, 1 (13); 88, 145 (159); 114, 196 (242 ff.). 326 Vgl. Laffert, Sozialgerichtliche Kontrolle von Schiedsstellenentscheidungen, S. 165 f.
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Unternehmens327 eine Festsetzung des Arzneimittelpreises für die GKV und gemäß § 78 Abs. 3a AMG auch für die PKV erfolgt, beinhaltet hingegen einen Grundrechtseingriff und löst daher ein Rechtfertigungsbedürfnis aus.328 Anders als Festbetragsfestsetzungen stellt die Bestimmung des Erstattungsbetrages eine Beeinträchtigung im Sinne der klassischen Abwehr- bzw. Freiheitsfunktion dar. Im Gegensatz zu sonstigen Regelungen der Wirtschaftlichkeit im Rahmen der GKV betrifft sie nicht die bloße Teilhabe am öffentlichen Leistungssystem,329 sondern berührt Art. 12 Abs. 1 GG unmittelbar. Es kommt nicht lediglich zu einer Vereitelung von Chancen der pharmazeutischen Unternehmen, da nicht die Kostenübernahme des Arzneimittels durch die GKV betroffen ist. Vielmehr wird in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Preisbestimmungsfreiheit unmittelbar eingegriffen. Die Festsetzung des Erstattungsbetrages durch die Schiedsstelle führt dazu, dass das pharmazeutische Unternehmen nicht mehr selbst über den Abgabepreis seines Arzneimittels bestimmen kann und insoweit in seinem Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG eingeschränkt wird. Hieran ändert auch die in der nach § 130b Abs. 9 SGB V geschlossenen Rahmenvereinbarung vorgesehene „Opt-out-Regelung“330, welche dem pharmazeutischen Unternehmen die Möglichkeit des Verhandlungsabbruchs einräumt, nichts, da es in diesem Fall gezwungen ist, das Arzneimittel in Deutschland vollständig aus dem Verkehr zu nehmen.331 Dass die Entscheidung von einer Schiedsstelle getroffen wird, ändert ebenfalls nichts an dieser Annahme. Obwohl Schiedsstellen als eine Form der kooperativen Selbstverwaltung verstanden werden, stellen sie gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmen ein hoheitlich auftretendes Gremium dar.332 Unabhängig von den kooperativen Elementen besteht daher ein grundrechtliches Rechtfertigungsbe-
327 Eine Konstruktion der Vertretung des konkreten Unternehmens in der Schiedsstelle durch die Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmen und die Annahme eines Verzichts auf den Grundrechtsschutz aufgrund dessen ist nicht möglich. Die Einwilligungsdogmatik im Rahmen des Verzichts auf Grundrechtsschutz schließt über Mehrheitsentscheidung generierte Vertretungsverhältnisse aus ihrem Anwendungsbereich aus. 328 Eine freiwillige Unterwerfung unter ein vertragliches Schlichtungsverfahren liegt bei der Entscheidung der Schiedsstelle gerade nicht vor, vielmehr entscheidet diese in Form eines Verwaltungsaktes, vgl. BVerwGE 108, 47 (50 ff.); ebenso zur möglichen Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG durch einen Schiedsstellenentscheid BSGE 85, 278 (286). 329 Zum Verhältnis von Teilhabe- und Eingriffsdogmatik bezogen auf die GKV siehe etwa Hufen, Grundrechtsschutz der Leistungserbringer und privaten Versicherer in Zeiten der Gesundheitsreform, NJW 2004, S. 14 f. (15); Becker, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Vertragsärzte am Beispiel der zulassungsbezogenen Altersgrenzen, NZS 1999, S. 521 ff. (524 f.). 330 Diese findet sich in § 4 Abs. 6 der Rahmenvereinbarung. 331 Von dieser Möglichkeit wurde bisher mindestens in einem Fall Gebrauch gemacht, vgl. Huster/Kalenborn, Transparenz und Selbstverwaltung, NZS 2012, S. 881 ff. (884). 332 Zum Mischcharakter von Schiedsstellenentscheidungen als Fortsetzung kooperativen Handelns und gleichzeitig einseitig hoheitlicher Entscheidung vgl. Schütte, Streitschlichtung im kooperativen Sozialstaat, NDV 2005, S. 246 ff. (250).
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dürfnis der Entscheidung.333 Diesem Rechtfertigungsbedürfnis, das dadurch hervorgerufen wird, dass die Schiedsstelle als staatliches Organ334 einseitig den Arzneimittelpreis festsetzt, ist in der Entscheidung der Schiedsstelle Rechnung zu tragen. Dies hat dergestalt zu erfolgen, dass die Schiedsstelle das Kosten-NutzenVerhältnis zu beachten hat.335 Die Kosten-Nutzen-Bewertung bildet aufgrund des ihr zugrundeliegenden Interessenausgleichs der Versicherten und des sich hierüber manifestierenden Allgemeinwohlbelangs der Finanzierbarkeit der GKV die Basis der Preisfestsetzung. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist darüber hinaus nicht nur bei bereits erfolgter Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG und Festsetzung des Verhältnisses durch den GBA zu beachten. Bei Fehlen einer solchen Analyse als Entscheidungsgrundlage muss die Schiedsstelle die hierin erfolgenden Erwägungen im Grundsatz selbst anstellen, um zu einem verfassungsrechtlich vertretbaren Ergebnis bei der Festsetzung des Erstattungsbetrages zu gelangen. Der Einfluss von Art. 12 Abs. 1 GG führt daher letztlich dazu, dass die vom GBA festgestellten Ergebnisse der nach § 35b SGB V durchgeführten Kosten-NutzenBewertungen den grundlegenden Maßstab für die Entscheidung der Schiedsstelle bilden. Darüber hinaus sind aufgrund von Art. 12 Abs. 1 GG, im Vorfeld einer Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG, eigene Kosten-Nutzen-Überlegungen der Schiedsstelle erforderlich.336 Eine strikte Bindung an das vom GBA festgestellte Kosten-Nutzen-Verhältnis ist aber auch in diesem Rahmen nicht anzunehmen. Die Schiedsstelle würde bei erfolgter Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung ansonsten faktisch ihrer Funktion beraubt. Wenn eine de facto automatische Umsetzung intendiert gewesen wäre, hätte die Festlegung des Erstattungsbetrages direkt dem GBA im Rahmen der Feststellung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses übertragen werden können. Diesen Weg ist der Gesetzgeber aber nicht gegangen. Daraus lässt sich folgern, dass eine strikte Bindung der Schiedsstelle an Kosten-Nutzen-Bewertungen gerade nicht bezweckt ist. Weitere Gesichtspunkte können und sollen in der Entscheidung Be333 Die Ablehnung der Bindungswirkung des Parteiwillens für die Schiedsstelle zeigt jedenfalls, vgl. hierzu BSGE 20, 73 (76 f.), dass die Entscheidungsfindung zwar mit kooperativen Elementen zur breiteren Akzeptanz dieser angereichert, letztlich aber unabhängig von diesen ist. 334 Zur Einordnung von Schiedsstellen als Staatsorgane und Rechtsnatur ihrer Entscheidungen siehe Laffert, Sozialgerichtliche Kontrolle von Schiedsstellenentscheidungen, S. 27 ff.; Felix, Schiedsstellen im Sozialrecht – geeignete Instrumente der Streitschlichtung, in: Detterbeck/Rozek/Coelln (Hrsg.), Recht als Medium der Staatlichkeit, FS Bethge, S. 320 ff. (328 f.). 335 Diese Notwendigkeit der Abwägung der dahinterstehenden Interessen nimmt auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung über die Festsetzung des Pflegesatzes durch eine Schiedsstelle an, siehe BVerwGE 108, 47 (53 ff.). 336 Eine weitere Vertiefung der Problematik der von der Schiedsstelle zu beachtenden materiellen Kriterien kann an dieser Stelle nicht erfolgen, da hier lediglich die Einwirkungen der Kosten-Nutzen-Bewertung auf das Recht der GKV thematisiert werden sollen.
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rücksichtigung finden. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange diese die durch Art. 12 Abs. 1 GG hervorgerufene Rechtfertigungshürde erfüllen. Insbesondere weil in Kosten-Nutzen-Bewertungen einseitig die Interessen der Versicherten gegeneinander abgewogen, nicht aber die gemäß Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interessen der pharmazeutischen Unternehmen berücksichtigt werden, kann eine strikte Bindung der Schiedsstelle an die Kosten-Nutzen-Bewertung bei der Festsetzung des Erstattungsbetrages nicht angenommen werden. Die Einbeziehung etwa der Entwicklungskosten des Arzneimittels ebenso wie die Verordnungsmenge337 stellen daher beispielsweise weitere zu berücksichtigende Faktoren bei der Entscheidung der Schiedsstelle dar. Im Rahmen der Rabattverhandlungen haben Kosten-Nutzen-Bewertungen demzufolge einen unterschiedlichen Einflussgrad. Inwieweit eine Bindung an die Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Bewertung besteht, ist davon abhängig, ob eine Verhandlungslösung mit dem SpiBu gefunden wird oder die Schiedsstelle zu entscheiden hat. Eine strikte Bindungswirkung erzeugen Kosten-Nutzen-Bewertungen zwar in keinem Fall, sie lösen aber eine Orientierungs- bis Beachtungspflicht aus und haben daher einen nicht unerheblichen Einfluss auf den zu vereinbarenden bzw. festzusetzenden Erstattungsbetrag.
II. Einfluss der Kosten-Nutzen-Bewertungen auf Leistungsbeschränkungen Angesichts der prinzipiellen Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit im Rahmen vergleichbar wirkender Arzneimittel mittels der Festsetzung von Festbeträgen nach § 35 SGB V und Rabattverhandlungen nach § 130b SGB V scheint eine umfassende Umsetzung der Wirtschaftlichkeitsforderung bereits zu erfolgen, ohne dass Leistungsausschlüsse oder -einschränkungen vorgenommen werden müssen. Die im Rahmen der Wirtschaftlichkeitssicherung über Festbeträge aufgrund des Ausschlusses ihrer Anwendung im Bereich neuartiger Arzneimittel jahrelang bestehende Lücke wird durch § 130b SGB V geschlossen. Dieser sichert die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung auch im Bereich fehlender pharmakologisch-therapeutischer Vergleichbarkeit mit anderen medizinischen Methoden. Während die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit bei einem bestehenden Zusatznutzen insbesondere mittels kooperativen Interessenausgleichs erfolgt, wird gemäß § 130b Abs. 3 SGB V – bei fehlendem Zusatznutzen des neuartigen Arzneimittels – eine Anlehnung an die Höhe der Festbeträge angeordnet. Die in § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V geregelte Subsidiarität der Leistungsausschlüsse und -einschränkungen durch den GBA könnte im Falle der Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit bereits durch § 35 oder § 130b SGB V daher tendenziell umfassend wirken. Leistungsbeschränkungen dürfen auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen hiernach jedenfalls nur in Ausnahmefällen vorgenommen werden. 337
Die Einbeziehung der Verordnungsmenge sieht bereits § 4 Abs. 6 RahmenV vor.
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In einer Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V werden dem Bewertungsansatz der Effizienzgrenze zufolge aber sämtliche Methoden einer Indikation miteinander verglichen. Damit wird nicht nur hinsichtlich der Effizienz der neu zu bewertenden Methode, sondern auch im Hinblick auf sämtliche anderen in der fraglichen Indikation angewendeten medizinischen Methoden mittelbar eine Bewertung vorgenommen. Auf diesen aufbauend kann der GBA tätig werden. Die umfassende Effizienzanalyse einer Indikation kann neue Erkenntnisse in Bezug darauf bringen, inwieweit die bisherigen von der GKV finanzierten medizinischen Methoden als wirtschaftlich anzusehen sind. Die Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V dürfte, sofern sie überhaupt Einwirkungen auf den Leistungskatalog erzeugen kann, derzeit daher eher im Rahmen von Nebenfeststellungen Grundlage für Leistungsbeschränkungen sein. Die Frage, ob der GBA überhaupt Leistungsbeschränkungen auf der Grundlage von gemäß § 35b SGB V angefertigten Kosten-Nutzen-Bewertungen vornehmen darf, war bereits nach der Einführung und vor der Änderung der Regelungssystematik durch das AMNOG nicht unumstritten.338 Zwar hat der Gesetzgeber eine derartige Möglichkeit bei der Einführung vorausgesetzt,339 eine eindeutige, ausdrückliche Ermächtigung des GBA hierzu bestand und besteht jedoch aufgrund des unklaren Verweises in § 35b Abs. 3 S. 4 SGB Vauf § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V wie auch dessen einschränkenden Wortlauts nicht.340 Ob Kosten-Nutzen-Bewertungen mittelbar zu Leistungsbeschränkungen führen können, ist auch in der Literatur bisher nicht eindeutig geklärt worden.341 Im Folgenden wird daher analysiert, inwieweit Kosten-Nutzen-Bewertungen bereits im Rahmen der bestehenden Regelung des § 35b iVm § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 und Abs. 2 SGB V Einfluss auf den Leistungsumfang und die Leistungsausgestaltung der GKV haben können. Hierbei ist zwischen den verschiedenen Möglichkeiten des GBA, die Leistungen der GKV mittels Leistungsbeschränkungen oder aber Therapiehinweisen näher auszugestalten, zu differenzieren. Der Umfang, in dem Kosten-Nutzen-Bewertungen verwendet werden dürfen, könnte zwischen diesen beiden Möglichkeiten divergieren, da Therapiehinweise keine Bindung entfalten und damit stärkerer einzelfallbezogen wirken. Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst untersucht, ob der GBA nach der Wortlautänderung durch das AMNOG überhaupt noch befugt ist, auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen Entscheidungen gemäß § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, 338
Zur Diskussion hierüber siehe auch Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 186 f. 339 BT-Drs. 16/3100, S. 103. 340 Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (450); anderer Ansicht Francke/Hart, Bewertungskriterien und Methoden nach dem SGB V, MedR 2008, S. 2 ff. (23 ff.). 341 Der Deutsche Ethikrat (Hrsg.), Stellungnahme: Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, S. 51, weist auf dieses Problem hin, unterbreitet selbst jedoch keinen Lösungsvorschlag.
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S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V zu treffen. Anschließend wird erörtert, ob § 35b SGB V zu einer Veränderung des bisherigen Gefüges zwischen § 12 Abs. 1 SGB V und § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6, Abs. 2 SGB V geführt hat sowie inwieweit KostenNutzen-Bewertungen im Rahmen von Leistungsbeschränkungen und Therapiehinweisen Wirkung entfalten können. 1. Kosten-Nutzen-Bewertungen als Grundlage von Leistungsbeschränkungen Während in der bis zum 31. 12. 2010 geltenden Fassung des § 35b Abs. 2 S. 1 SGB V noch vorgesehen war, dass die Kosten-Nutzen-Bewertungen dem GBA zur Beschlussfassung nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V zugeleitet werden,342 regelt § 35b Abs. 3 S. 1 bis 4 SGB V nunmehr, dass der GBA auf der Grundlage der KostenNutzen-Bewertung des IQWiG über diese beschließt und hierin den Zusatznutzen sowie die Therapiekosten feststellt. Dieser Beschluss des GBA ist Teil der nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V zu erlassenden Richtlinien und kann Therapiehinweise gemäß § 92 Abs. 2 SGB V enthalten.343 Im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung des § 35b SGB V, in welcher – über einen Verweis auf die Richtliniensetzung des GBA hinausgehend – die KostenNutzen-Bewertung als Empfehlungsgrundlage für ein Tätigwerden nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V bezeichnet wurde (§ 35b Abs. 2 S. 1 SGB V a.F.), ordnet § 35b Abs. 3 S. 4 Halbs. 1 SGB V nunmehr nur noch an, dass der Beschluss über die Kosten-Nutzen-Bewertung im Rahmen der Richtlinie getroffen bzw. zu einem Teil von ihr wird. Lediglich für Therapiehinweise sieht § 35b Abs. 3 S. 4 Halbs. 2 SGB V ausdrücklich vor, dass diese zusätzlich zu dem vom GBA zu treffenden Beschluss über das Kosten-Nutzen-Verhältnis ergehen können. Diese Änderung des Wortlautes von § 35b SGB V legt nahe, dass die bis 2010 wohl bestehenden Möglichkeit des GBA, über die Festsetzung von Höchstbeträgen hinaus auch Leistungsbeschränkungen auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen vorzunehmen,344 nach der nunmehrigen Rechtslage nicht mehr besteht. Die durch das IQWiG erfolgten Kosten-Nutzen-Bewertungen würden demzufolge 342 § 35b Abs. 2 SGB V lautete in der vom 01. 04. 2007 bis 31. 12. 2010 geltenden Fassung: „Die Bewertungen nach Absatz 1 werden dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Empfehlung zur Beschlussfassung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 zugeleitet. Sie sind in geeigneten Abständen zu überprüfen und erforderlichenfalls anzupassen. Bei Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ist die Bewertung auf Antrag der Hersteller zu überprüfen.“ 343 Die geltende Fassung des § 35b Abs. 3 SGB V lautet: „Auf Grundlage der KostenNutzen-Bewertung nach Absatz 1 beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss über die Kosten-Nutzen-Bewertung und veröffentlicht den Beschluss im Internet. § 92 Absatz 3a gilt entsprechend. Mit dem Beschluss werden insbesondere der Zusatznutzen sowie die Therapiekosten bei Anwendung des jeweiligen Arzneimittels festgestellt. Der Beschluss ist Teil der Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6; der Beschluss kann auch Therapiehinweise nach § 92 Absatz 2 enthalten. § 94 Absatz 1 gilt nicht.“ 344 Allerdings war diese Befugnis des GBA auch im Rahmen der alten Rechtslage nicht unumstritten.
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nur noch in eine Feststellung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen durch den GBA münden, welche als Beschluss in Form einer Richtlinie bzw. in diese eingeordnet ergehen. Als Grundlage für Leistungsbeschränkungen würden sie hingegen nicht fungieren. Für dieses Verständnis spricht die Formulierung des § 35b Abs. 3 S. 3 SGB V, dass die Zusatznutzen und Therapiekosten mit dem Beschluss festgestellt werden. Die Formulierung des § 35b Abs. 3 S. 1 SGB V deutet ebenfalls in diese Richtung. Er regelt ausschließlich, dass der GBA über die nach § 35b Abs. 1 SGB V durchgeführte Kosten-Nutzen-Bewertung beschließt. Auf andere denkbare Folgen wird, mit Ausnahme der Therapiehinweise, nicht verwiesen. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Neuformulierung des § 35b SGB V die Möglichkeit des GBA, nach § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6 SGB V tätig zu werden, aus zwei Gründen aber auch nicht ausschließt: Zum einen führt die Verwendung des Wortes „feststellen“ in § 35b Abs. 3 S. 2 SGB V nicht dazu, dass keine im Hinblick auf den Leistungskatalog ausschließende oder einschränkende Wirkung erzeugt werden dürfte. Im Hinblick auf das Zusammenspiel von § 12 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 SGB V und § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6, Abs. 2 SGB V kann Leistungsbeschränkungen eine feststellende Wirkung nicht abgesprochen werden. Die Verwendung des Begriffes „feststellen“ bezieht sich außerdem ohnehin nur auf das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung und schließt eine Leistungsbeschränkung daher nicht aus. Zum anderen ist § 35b Abs. 3 S. 3 SGB V, wie die Verwendung von „insbesondere“ zeigt, nicht abschließend formuliert. § 35b Abs. 3 SGB V regelt die Verwendung der durch die Kosten-Nutzen-Bewertung gewonnenen Erkenntnisse im Hinblick auf sonstige Maßnahmen zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit deshalb nicht abschließend. Bei Bestehen anderweitiger Befugnisnormen kann auf diese zurückgegriffen werden. Im Falle der Ausübung dieser Befugnisse ist ein Verweis auf die aus der Kosten-Nutzen-Bewertung gewonnenen Erkenntnisse zur Darlegung des Bestehens ihrer Voraussetzungen möglich. Der Befürwortung von Leistungsbeschränkungen auf der Grundlage eines nach § 35b SGB V festgestellten ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch den GBA ist indes wiederum entgegenzuhalten, dass die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittel der Gesetzesbegründung des AMNOG zufolge durch die nach § 130b SGB V erfolgenden Vereinbarungen grundsätzlich gesichert wird.345 Über die Einzelfallanwendung hinausgehend bedürfte es daher keiner weiteren Maßnahmen zur Wirtschaftlichkeitssicherung.346 Auf die Möglichkeit des Erlasses von Therapiehinweisen sollte lediglich hingewiesen werden.347 Die Begründung der Änderung des § 35b SGB V spricht somit eher dagegen, Leistungsbeschränkungen auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen vornehmen zu können. Der Verweis auf die Einzelfallanwendung kann allerdings auf verschiedene Art und Weise gelesen werden. Einerseits könnte er darauf Bezug nehmen, dass im Ausnahmefall Leis345 346 347
BT-Drs. 17/2413, S. 24. BT-Drs. 17/2413, S. 24. BT-Drs. 17/2413, S. 24.
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tungsbeschränkungen möglich sein sollen, andererseits könnte er aber auch beinhalten, dass allein mittels Therapiehinweisen die Einzelfallanwendung durch den Arzt gesteuert werden kann. Trotz dieser Zielsetzung, welche sich auch in § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V widerspiegelt, führt § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V aus systematischen und teleologischen Gründen nicht zu einem vollständigen Ausschluss der grundsätzlich nach § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V bestehenden Befugnis des GBA, das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V im Hinblick auf Arzneimittel zu konkretisieren. § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V regelt zwar die Subsidiarität von Leistungsbeschränkungen gegenüber der Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit mittels Festbeträgen (§ 35 SGB V) und Rabattvereinbarungen (§ 130b SGB V) und sucht somit das Wirtschaftlichkeitsprinzip vorrangig über kooperative Preisverhandlungen und Festbeträge sicherzustellen. Es haben jedoch weder § 35 noch § 130b SGB V eine verdrängende Wirkung gegenüber § 92 SGB V. Beide Paragraphen stellen lediglich weitere Formen bzw. Ausgestaltungen der Sicherstellung der durch § 12 Abs. 1 SGB V grundsätzlich geforderten Wirtschaftlichkeit dar. Ihre Subsidiarität wird lediglich für den Fall gleicher Effektivität angeordnet. Andernfalls hätte § 92 Abs. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6 SGB V keinen Anwendungsbereich mehr, da § 35 SGB V und § 130b SGB V bereits sämtliche Fälle abdecken würden. Die Instrumentarien der Wirtschaftlichkeitssicherung staffeln sich deshalb danach, mit welcher Wahrscheinlichkeit für welchen Kreis von Personen ein relevanter Nutzen hervorgerufen wird. Der Neuregelung des § 35b SGB V selbst ist daher kein Ausschluss von Leistungsbeschränkungen auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen zu entnehmen. Ob § 35b SGB V zu einer Erweiterung des Kompetenzgefüges von § 12 Abs. 1 SGB V und § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V führt, konnte die Betrachtung der durch das AMNOG erfolgten Wortlautänderungen nicht klären, sodass es in Bezug hierauf einer vertiefenden Analyse der Regelungssystematik bedarf. 2. Erweiterung von Leistungsbeschränkungen durch § 35b SGB V Eine Ausweitung des Anwendungsbereiches von § 12 Abs. 1 SGB V und § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6, Abs. 2 SGB V durch § 35b SGB V ist demgegenüber aber ebenso wenig anzunehmen. Mit der Regelung des § 35b SGB V wurde nicht bezweckt, die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit durch eine Erweiterung der Möglichkeit, Leistungsbeschränkungen vorzunehmen, auszudehnen. Die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit soll im Grundsatz vielmehr über kooperative Preisverhandlungen zwischen dem SpiBu und dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmen erfolgen. Der Subsidiaritätsregelung des § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V und seiner expliziten Erstreckung auf § 130b SGB V ist nicht zu entnehmen, dass Leistungsbeschrän-
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kungen aufgrund eines schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnisses auch bei Arzneimitteln vorgenommen werden können, die einen Zusatznutzen bewirken. Derartiges mittels eines Umkehrschlusses aus der Subsidiaritätsregelung zu folgern wäre zwar – sollte § 130b SGB V nur Arzneimittel erfassen, die einen Zusatznutzen hervorrufen – nicht ausgeschlossen. Der Erwähnung von § 130b SGB V in § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V bedürfte es nicht, wenn der Anwendungsbereich von § 130b SGB V und die Richtlinienkompetenz gemäß § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V nicht zumindest Schnittstellen aufweisen würden. Der Anwendungsbereich des § 130b SGB V enthält, wie dessen Abs. 3 zeigt, aber auch Arzneimittel, die keinen Zusatznutzen aufweisen. § 130b SGB V betrifft daher ebenfalls Arzneimittel, die prinzipiell von der reduzierten Befugnis des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB Vumfasst werden. Die Subsidiaritätsregel des § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V zeigt im Umkehrschluss daher nicht, dass auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen i.S.d. § 35b SGB V Leistungsbeschränkungen in einem gegenüber § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V erweiterten Bereich erfolgen können. Gegen eine Ausweitung der Möglichkeit, Leistungsbeschränkungen vorzunehmen, ist außerdem anzuführen, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen im Grundsatz nur auf Antrag einer dritten Partei, dem SpiBu oder dem pharmazeutischen Unternehmen, erfolgen (§ 130b Abs. 8 SGB V). Auf ihrer Grundlage soll neu verhandelt werden bzw. der Schiedsstellenspruch über die Höhe der Erstattungsbeträge ergehen. In diese Systematik fügt sich ein Ausschluss des Arzneimittels durch den GBA nicht ein. Die Antragsgebundenheit der Kosten-Nutzen-Bewertung spricht deshalb eher dagegen, diese für Leistungsausschlüsse durch den GBA zu verwenden. Demgegenüber können Therapiehinweise, die regeln, unter welchen Umständen der Einsatz des innovativen Arzneimittels als wirtschaftlich anzusehen ist, auch noch sinnvoll neben einer Vereinbarung über den Erstattungsbetrag Anwendung finden. Insoweit erscheint die Gesetzessystematik des § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V, welcher die Verwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen von Therapiehinweisen speziell vorsieht, als in sich stimmig. Andererseits ist jedoch, wie bereits dargelegt wurde, auch der GBA über § 139b Abs. 1 S. 1 iVm § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V befugt, die Durchführung von Kosten-Nutzen-Bewertungen beim IQWiG zu beantragen.348 Dieses Argument gegen die Ausweitung von Leistungsbeschränkungen durch die Einführung von § 35b SGB V ist daher allein nicht zwingend. Der Parlamentsvorbehalt in Zusammensicht mit der Wesentlichkeitstheorie führt jedoch dazu, dass § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V nicht als eine Erweiterung der Befugnisse des GBA aus § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V angesehen werden kann. Aus dem Parlamentsvorbehalt folgt, dass Leistungsbegrenzungen gesetzlich explizit vorgesehen sein müssen.349 Die in § 35b SGB V eingeführte Kosten-Nutzen-Bewertung ist von ihrer primären Rechtsfolge jedoch nicht darauf ausgelegt, Leistungsbeschränkungen 348
Hierzu bereits § 2 B. II. 2. a). Kingreen, Gesundheit ohne Gesetzgeber?, in: ders./Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147 ff. (158 f.). 349
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zu bewirken. § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V kann auch so verstanden werden, dass lediglich die Form des Beschlusses über die Kosten-Nutzen-Bewertung durch den GBA – in Richtlinien – vorgegeben wird. Damit verweist die Regelung nicht zwangsläufig auf die Befugnisse nach § 92 Abs. 1, Abs. 2 SGB V oder weitet diese gar aus. Die Annahme der Erweiterung der Möglichkeit des GBA, aufgrund einer erfolgten Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V Leistungsausschlüsse vorzunehmen, würde sich weiterhin auch am ausdrücklichen Wortlaut des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V reiben. Nach diesem soll der GBA gerade nur im Falle von Arzneimitteln mit vergleichbarem diagnostischen und therapeutischen Nutzen befugt sein, die Verordnung zu beschränken. Dies entspricht auch der Auslegung des § 12 Abs. 1 SGB V durch die Rechtsprechung und damit jedenfalls dem bisherigen grundsätzlichen Anwendungsbereich von Wirtschaftlichkeitserwägungen bei der Leistungserbringung durch die GKV.350 In einer Stellungnahme lehnte der ehemalige GBA-Vorsitzende Hess aus diesem Grund den Ausschluss von Arzneimitteln wegen eines schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnisses mangels fehlender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage und Kompetenz des GBA, Rationierungsentscheidungen zu treffen, grundsätzlich ab.351 Eine Ausweitung der Möglichkeit des GBA, im Rahmen von § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB Vauch bei einem relevanten Zusatznutzen Kostenerwägungen für ausschlaggebend zu erachten und aus diesem Grund Leistungsbeschränkungen vorzunehmen, ist durch § 35b SGB V demnach nicht erfolgt. Kosten-Nutzen-Bewertungen können aber, insoweit als § 92 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 6 SGB V selbst eine Leistungsbeschränkung zulässt, zu einer praktischen Ausweitung des Einflusses von Wirtschaftlichkeitserwägungen führen.352 Dies ist allerdings lediglich darauf zurückzuführen, dass rechtlich bereits bestehende Möglichkeiten praktisch stärker ausgeschöpft werden, weil es mit der Kosten-NutzenBewertung zu einer umfassenden Wirtschaftlichkeitsprüfung innerhalb einer Indikation kommt. Demzufolge droht aufgrund der derzeitigen Regelung der KostenNutzen-Bewertung keine rechtliche Ausweitung des Umfangs von Leistungsausschlüssen bzw. -einschränkungen. Eine Beschränkung dieser Möglichkeiten ist jedoch ebenso wenig vorgenommen worden. Inwieweit sich in der praktischen Umsetzung tatsächlich Neuerungen ergeben, ist derzeit noch nicht abschätzbar. Für den bereits gemäß § 12 Abs. 1 iVm § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V eröffneten Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Erwägungen hält § 35b SGB V jedoch ein Denkmodell bereit, anhand dessen ein methodisches Konzept zur grundsätzlichen Durchführung von Kosten-Nutzen-Vergleichen auch bei einem noch vergleichbaren therapeutischen und diagnostischen Nutzen erarbeitet werden könnte.353 Hierdurch 350
Siehe hierzu § 3 B. und E. Vgl. Hess, Die Krankenversicherung 2008, S. 64 ff. (68). 352 So auch Huster/Penner, Die Legitimation des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung – eine juristische Analyse, GesW 2009, S. 46 ff. (47). 353 Bis zur Änderung des SGB V durch das AMNOG wurde die Kosten-Nutzen-Bewertung als fachliche Basis für Verordnungsausschlüsse und -einschränkungen jedenfalls in der Arz351
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ließe sich eine Vereinheitlichung des Vergleichs- und Bewertungsmodells von Kosten und Nutzen zueinander bewirken. In einer Kosten-Nutzen-Bewertung, die an sich konkret hinsichtlich eines Arzneimittels angefertigt wird, fallen aufgrund der Effizienzdarstellung anhand von Vergleichsparametern auch Daten zur Wirtschaftlichkeit anderer medizinischer Methoden an. Diese können, sozusagen als Nebenprodukt der Kosten-Nutzen-Bewertung, die Unwirtschaftlichkeit anderer Methoden offenbaren.354 Hinsichtlich dieser medizinischen Maßnahmen kann der GBA gemäß § 92 Abs. 1 SGB V tätig werden, wenn ihr Einsatz für sämtliche Patienten oder eine relevante Patientengruppe teurer ist und sie keinen relevanten zusätzlichen Nutzen erzeugen. Faktisch dürfte der Bereich, in dem Leistungsbeschränkungen auf der Grundlage von KostenNutzen-Bewertungen i.S.d. § 35b SGB V erfolgen, demzufolge meist Nebenergebnisse betreffen. Da der methodische Ansatz der Effizienzgrenzen dazu führt, dass fast sämtliche medizinischen Methoden einer Indikation bewertet werden, kann als Nebenergebnis der Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses eines Arzneimittels, das einen Zusatznutzen bewirkt, festgestellt werden, dass andere medizinische Methoden der Indikation unwirtschaftlich sind. Letztere medizinische Methoden werden von der Kompetenz des GBA, Leistungsbeschränkungen vorzunehmen, erfasst. Aufgrund des durch das AMNOG geregelten grundsätzlichen Anwendungsbereichs der Kosten-Nutzen-Bewertung i.S.d. § 35b SGB V – vornehmlich bei Zusatznutzen hervorrufenden Arzneimitteln – erscheinen Leistungseinschränkungen auf ihrer Basis hierüber hinaus nur in seltenen Fällen möglich. Dies stimmt mit der gesetzgeberischen Wertung und Aussage von § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V überein. Durch § 35b iVm § 130b SGB V sollte die Wirtschaftlichkeitssicherung der GKV nicht eingeschränkt, sondern ausgebaut werden. An dem Zusammenspiel von § 12 Abs. 1 und § 92 SGB V hat die Einführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung aus den dargelegten Gründen unmittelbar nichts geändert.355 Über das gemäß § 139b Abs. 1 iVm § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V dem GBA eingeräumte Antragsrecht auf die Durchführung von Bewertungen der Nutzen und Kosten eines Arzneimittels durch das IQWiG356 besteht die Möglichkeit, die nach § 92 SGB V zu treffenden Entscheidungen über die Beschränkung des Einsatzes eines Arzneimittels wegen Unwirtschaftlichkeit mittels einer detaillierteren Kontrolle durch das IQWiG auszu-
neimittel-Richtlinie angesehen, Kingreen/Henck, Prozedurale Anforderungen an die Arzneimittelbewertung durch das IQWiG und den GBA, PharmR 2007, S. 353 ff. (353). Ob es einer derartigen Kosten-Nutzen-Bewertung in diesem Rahmen bedarf, ist allerdings fraglich. 354 IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen, Version 1.0. von 12. 10. 2009, S. 42. 355 So im Ergebnis auch Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (450). 356 Wie ausgeführt wurde, handelt es sich hierbei nicht zwingend um eine dem § 35b SGB V gleichkommende Kosten-Nutzen-Bewertung.
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bauen.357 Hierbei ist jedoch der in § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V geregelte Vorrang sowohl der Festbeträge als auch der gemäß § 130b SGB V zu vereinbarenden Erstattungsbeträge zu beachten. Für den Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen der Ausgestaltung des Leistungskatalogs der GKV durch den GBA (§ 92 SGB V) sind die sich aus § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Grenzen für den Einfluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen daher nach wie vor entscheidend.358 Diese Grenze spiegelt sich im Hinblick auf Arzneimittel auch in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V wider. Dieser fordert, um eine Leistungsbeschränkung aus Wirtschaftlichkeitsgründen vornehmen zu können, dass eine wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen besteht, die auf Kosten der GKV erbracht wird. Um zu bestimmen, welcher Rahmen für Wirtschaftlichkeitserwägungen und damit Kosten-Nutzen-Bewertungen in diesem Bereich konkret besteht, bedarf es einer genaueren Analyse des § 12 Abs. 1 SGB V sowie seiner Konkretisierung durch den GBA (§ 3).
III. Umsetzung der Kosten-Nutzen-Bewertungen in Therapiehinweisen Hinsichtlich der Verwendung von Therapiehinweisen deutet § 35b Abs. 3 S. 4 Halbs. 2 SGB V ebenso wie die VerfO-GBA auf einen gegenüber Leistungsbeschränkungen erweiterten Wirkungsbereich der nach § 35b SGB Verfolgten KostenNutzen-Bewertungen hin. Die VerfO-GBA sieht – über den stark beschränkten Anwendungsbereich der Kosten-Nutzen-Bewertungen bei Leistungsausschlüssen nach § 92 Abs. 1 S. 1 3. Halbs SGB V hinaus – die auch in § 35b Abs. 3 S. 4 Halbs. 2 SGB V angedeutete Möglichkeit vor, die Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen von Therapiehinweisen zu verwenden. § 10 Abs. 2 des 4. Kapitels der VerfO-GBA359 regelt ausdrücklich, dass die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Bewertung beurteilt werden kann, wenn dieses einen therapeutischen Zusatznutzen bewirkt. Ebenso sieht § 11 Abs. 3 des 4. Kapitels der VerfO-GBA vor, dass, sollte keine Einschränkung oder ein Ausschluss aus dem Leistungskatalog der GKV wegen Unwirtschaftlichkeit erfolgen, Therapiehinweise auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen nach § 35b SGB V zur wirt357 So von der Tendenz ebenfalls Hauck, Ausschluss, Therapiehinweise und Kostenregelungen, GesR 2011, S. 69 ff. (71), der annimmt, dass die in den Verfahren nach § 35a und § 35b SGB V gewonnenen Erkenntnisse zum Beweis der Unzweckmäßigkeit oder Unwirtschaftlichkeit durch den GBA im Rahmen des § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V verwendet werden könnten. 358 Zu dem konkreten Anwendungsbereich siehe § 3. 359 VerfO-GBA in der Fassung vom 18. Dezember 2008, zuletzt geändert am 20. März 2014.
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schaftlichen Verordnungsweise der Arzneimittel erstellt werden können.360 Diese Regelungen spiegeln sich in § 17 Abs. 2 Nr. 2 AM-RL361 wider, der vorsieht, dass in den Therapiehinweisen die Arzneimittel insbesondere hinsichtlich des therapeutischen Nutzens im Verhältnis zum Apothekenabgabepreis und damit zur Wirtschaftlichkeit bewertet werden. Der GBA geht nach den von ihm geschaffenen Regelungen – in der VerfO-GBA und der AM-RL – somit davon aus, dass im Rahmen von Leistungsausschlüssen Kosten-Nutzen-Bewertungen nur sehr beschränkt Anwendungen finden können. Im Gegensatz hierzu hält er bei Therapiehinweisen einen weiteren Anwendungsrahmen für Kosten-Nutzen-Bewertungen für eröffnet. Ersteres entspricht dem hier gefundenen Ergebnis des Anwendungsbereichs von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen von Leistungsbeschränkungen. Gemäß § 12 Abs. 1 iVm § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V werden Leistungsbeschränkungen dahingehend eingeschränkt, dass diese nur erfolgen können, wenn eine andere medizinische Methode mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen hinsichtlich jeder relevanten Patientengruppe durch die GKV gewährt wird. Bei Therapiehinweisen sieht der GBA jedoch einen größeren Spielraum für die Verwendung von Kosten-NutzenBewertungen i.S.d. § 35b SGB Vals eröffnet an. Diese Ansicht wird zum einen durch § 92 Abs. 2 S. 1 SGB V gestützt, wonach die Bewertungen gemäß § 35a und § 35b SGB V in die Zusammenstellung der zweckmäßigen und wirtschaftlichen Arzneimittelauswahl einzufließen haben. Zum anderen verweist § 35b Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 SGB V auf die Möglichkeit, Therapiehinweise auf Grundlage der Kosten-NutzenBewertungen zu erlassen.362 Ob in Therapiehinweisen tatsächlich Kosten-Nutzen-Bewertungen in dem angedachten Umfang zur Strukturierung und Priorisierung der Leistungserbringung angewandt werden können und wie diese wirken, bedarf der Vertiefung. Zunächst ist das Verhältnis zwischen Leistungsausschlüssen und Therapiehinweisen und ihre Abgrenzbarkeit voneinander zu klären sowie die Wirkungsweise von Therapiehinweisen in den Blick zu nehmen.363 Der Wortlaut von § 92 Abs. 2 SGB V legt nämlich 360
§ 15 des 4. Kapitels der VerfO-GBA, welcher die möglichen Inhalte eines Therapiehinweises konkretisiert, enthält keine weiteren Ausführungen zur Verwendung von KostenNutzen-Bewertungen innerhalb dieser. 361 Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung in der Fassung vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009, zuletzt geändert am 22. Mai 2014, in Kraft getreten am 9. August 2014. 362 Zur Möglichkeit der Verwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen aufgrund der Regelung des § 35b Abs. 3 S. 3 SGB V in Therapiehinweisen auch Hauck, Ausschluss, Therapiehinweis und Kostenregelung, GesR 2011, S. 69 ff. (72). 363 Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V ist in Abs. 2 iVm Abs. 5b S. 1 ausdrücklich vorgesehen, dass die Einhaltung von Verordnungsausschlüssen und -einschränkungen in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V zu beachten sind. Vom direkten Wortlaut sind Therapiehinweise, die erst in § 92 Abs. 2 S. 7 – 12 SGB V geregelt werden, damit nicht erfasst. Eine Überprüfung dieser kann jedoch im Rahmen der Wirt-
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nahe, dass, ungeachtet des Verweises auf die Verwertbarkeit von nach § 35b SGB V angefertigten Kosten-Nutzen-Bewertungen, der Anwendungsbereich von Therapiehinweisen ebenso wie bei Leistungsbeschränkungen auf einen vergleichbaren therapeutischen oder diagnostischen Nutzen beschränkt ist. Dann wiederum stellt sich allerdings die Frage, wie sich der Verweis des § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V auf die Möglichkeit auswirkt, Therapiehinweise auf der Grundlage von Kosten-NutzenBewertungen zu erlassen. 1. Abgrenzbarkeit von Leistungsbeschränkungen und Therapiehinweisen Seit der Änderung durch das AMNOG fordert § 92 Abs. 2 S. 10 SGB V eine passgenaue Abgrenzung zwischen Therapiehinweisen und Verordnungsausschlüssen. In der Literatur wird diese notwendige Unterscheidung von Therapiehinweisen und Verordnungsausschlüssen skeptisch beurteilt. Anhand der Wirkung ließe sich diese jedenfalls nicht vornehmen, denn auch Therapiehinweise könnten zur Folge haben, dass eine Verordnung nicht erfolgen würde.364 Wenn die Wirkungen nicht voneinander abgegrenzt werden könnten, wären Unterschiede im Anwendungsbereich aber nur schwer annehmbar. Zuzugestehen ist, dass Therapiehinweise, obwohl sie grundsätzlich reinen Informationscharakter haben und keine unmittelbare rechtliche Steuerungswirkung entfalten, faktisch das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte in nicht unerheblichem Maße steuern.365 Das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte wird zwar nicht dadurch beeinflusst, dass die Nichtbeachtung der Therapiehinweise unmittelbar zu einem Regress gemäß § 106 SGB V führt. Die „Nichtbefolgung“ der Therapiehinweise trägt jedoch die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit in sich.366 Deshalb bedarf es zumindest einer Begründung, warum der Therapiehinweis nicht befolgt wurde. Auf denkbare bisher nicht valide überprüfte faktische Wirkungen aufgrund strikter Einhaltung der Therapiehinweisen durch die Vertragsärzte aus Angst vor Regressen, kann bei der Abgrenzung von Therapiehinweisen und Leistungsausschlüssen bzw. -einschränkungen jedoch nicht abgestellt werden. Für die Einordnung ist vielmehr die rechtliche Wirkung gegenüber den Vertragsärzten sowie Versicherten entscheidend.367 Im Falle von Leistungsbeschränkungen werden die Rechte der Versicherten unmittelbar abstrakt-generell eingeschränkt, bei einer Nichtgeschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB V, Abs. 2a Nr. 4 SGB V auch ohne ausdrückliche Nennung dieser in § 105 Abs. 5b SGB V mit erfolgen. 364 Vgl. Hauck, Ausschluss, Therapiehinweis und Kostenregelungen, GesR 2011, S. 69 ff. (72). 365 Wolff/Christopeit, Die Voraussetzungen für den Erlass selbstständiger Therapiehinweise in Arzneimittelrichtlinien gemäß § 92 Abs. 2 S. 7 SGB V, PharmR 2009, S. 596 ff. (598 f.). 366 Wolff/Christopeit, Die Voraussetzungen für den Erlass selbstständiger Therapiehinweise in Arzneimittelrichtlinien gemäß § 92 Abs. 2 S. 7 SGB V, PharmR 2009, S. 596 ff. (599). 367 Hauck, Ausschluss, Therapiehinweis und Kostenregelungen, GesR 2011, S. 69 ff. (72).
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währung aufgrund von Therapiehinweisen wird der Versicherte hingegen erst durch die ärztliche Einzelfallentscheidung beeinträchtigt. Den Vertragsärzten gegenüber wirken die Therapiehinweise lediglich entscheidungsleitend. Sie geben gegebenenfalls eine Rangfolge von Therapieversuchen vor bzw. spezifizieren hinsichtlich des konkreten Behandlungsfalles die vorzunehmende Abwägung in Bezug auf den Einsatz verschiedener denkbarer medizinischer Methoden. Therapiehinweise wirken für den Vertragsarzt jedoch nicht bindend. Hierdurch wird nicht nur die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Therapiefreiheit gewahrt. Aufgrund ihrer fehlenden Bindungswirkung wirken Therapiehinweise auch stärker einzelfallbezogen und sind mehr von der konkreten Umsetzung durch die Vertragsärzte geprägt, als dies bei Leistungsbeschränkungen der Fall ist.368 Die strikte Trennung des GBA von Leistungsbeschränkungen und Therapiehinweisen im Rahmen der AM-RL und ihrer Anlagen weist auf ihre Unterscheidbarkeit ebenfalls deutlich hin.369 Therapiehinweise wirken aus diesem Grund informatorisch auf das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte ein und bieten eine Hilfestellung für die Erfüllung der ärztlicherseits gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 SGB V bestehenden Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit der GKV.370 Verordnungsausschlüsse hingegen schränken unmittelbar die Rechte sämtlicher Versicherten wie auch der Vertragsärzte verbindlich ein. Während Leistungsbeschränkungen daher das „Ob“ der Leistung durch die GKV erfassen, betreffen Therapiehinweise das „Wie“ der Leistung.371 Aufgrund dieses Unterscheidungsmerkmals von Leistungsbeschränkungen und Therapiehinweisen ist eine Divergenz des Anwendungsbereichs von Kosten-Nutzen-Bewertungen in Rahmen dieser grundsätzlich denkbar. 368 Hieran ändert auch die in § 31 Abs. 1 S. 4 SGB V rechtlich eingeräumte Möglichkeit, im begründeten Einzelfall von Leistungsbeschränkungen abzuweichen, nichts. 369 Bereits in § 16 und § 17 der Arzneimittel-RL unterscheidet der GBA strikt zwischen Leistungsbeschränkungen und Therapiehinweisen, was sich auch in der Trennung der Anlagen widerspiegelt. Während in Anlage III die Leistungsbeschränkungen konkret vorgenommen werden, sind in Anlage IV die Therapiehinweise enthalten, die sich auch sprachlich deutlich von Verordnungseinschränkungen und -ausschlüssen abheben. Eine Ausnahme hiervon bildet die Formulierung des § 17 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 der Arzneimittel-RL, welcher besagt, dass mittels Therapiehinweisen auch Verordnungseinschränkungen erfolgen könnten. Dies widerspricht sowohl der Forderung des höherrangigen § 92 Abs. 2 S. 10 SGB Vals auch der übrigen Systematik der VerfO-GBAwie auch der ArzneimittelRL, sodass die Regelung des § 17 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 Arzneimittel-RL insoweit unbeachtlich ist. Im Einzelfall kann es aufgrund der Entscheidung des Arztes auf der Grundlage des Therapiehinweises jedoch zu einer Einschränkung der Leistungsgewährung durch die GKV dergestalt kommen, dass der Vertragsarzt eine medizinische Methode wegen ihrer Unwirtschaftlichkeit im konkreten Fall nicht anwendet. Vgl. im Hinblick auf die Wirkung von Therapiehinweisen auch die Auskunft des BMG auf eine schriftliche Anfrage in BT-Drs. 16/7999, S. 40. 370 Wolff, Die Ausgestaltung der Therapiehinweise durch § 17 der neuen Arzneimittelrichtlinie, NZS 2009, S. 474 ff. (475). 371 Vgl. zur Wirkung von Therapiehinweisen und Abgrenzung zu Verordnungsausschlüssen Hauck, Ausschluss, Therapiehinweis und Kostenregelungen, GesR 2011, S. 69 ff. (72).
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2. Beschränkung der Therapiehinweise auf Arzneimittel mit vergleichbarem Nutzen Der Wortlaut des § 92 Abs. 2 SGB V scheint einer gegenüber Leistungsbeschränkungen erweiterten Anwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen von Therapiehinweisen jedoch entgegenzustehen. § 92 Abs. 2 S. 3 SGB V könnte eine Reduktion der Hinweismöglichkeiten des GBA auf den Einsatz von Arzneimitteln mit pharmakologisch vergleichbaren Wirkstoffen oder therapeutisch vergleichbarer Wirkung herbeiführen. Bei Zusatznutzen begründenden Wirkungsunterschieden dürfte der GBA dann auch keine Therapiehinweise im Hinblick auf die hohen hierdurch hervorgerufenen Kosten und die deshalb nachrangige Behandlung mit diesem Arzneimittel erlassen. Die im Rahmen von § 35b SGB V angestellten Kosten-Nutzen-Bewertungen würden unter diesen Umständen in vielen Fällen auch im Rahmen von Therapiehinweisen nicht zur Anwendung gelangen. Auch die in § 92 Abs. 2 S. 7 SGB V vorgenommene Erweiterung der Möglichkeit des GBA, Therapiehinweise zu erlassen – außerhalb von Zusammenstellungen – hilft hierüber augenscheinlich nicht hinweg, denn § 92 Abs. 2 S. 7 Halbs. 2 SGB Verklärt die genannten einschränkenden Voraussetzungen von § 92 Abs. 2 S. 3 SGB V für entsprechend anwendbar. Obwohl hiermit insbesondere für den Bereich neuer und hochpreisiger Arzneimittel die Möglichkeit eingeräumt wird, Therapiehinweise zu erlassen und damit eine grundsätzliche Kongruenz zum Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen gemäß § 35b SGB V vorliegt,372 scheint dieser Verweis auf § 92 Abs. 2 S. 3 SGB V die Therapiehinweise auf Arzneimittel mit vergleichbarem Nutzen zu beschränken.373 Zweifel an dieser Beschränkung erwachsen jedoch nicht nur aus den hierdurch entstehenden Widersprüchen, die im Folgenden skizziert werden, sondern ebenso im Hinblick darauf, dass bei einer derartigen Auslegung der durch § 92 Abs. 2 S. 7 gegenüber § 92 Abs. 2 S. 1 bis 6 SGB V gewonnene Anwendungsbereich faktisch nivelliert würde.374 Die in § 92 Abs. 2 S. 3 SGB V genannte Fallgruppe der pharmakologisch vergleichbaren Wirkstoffe führt ebenso zu keiner tatsächlichen Erweiterung des Anwendungsbereichs. Wie die Fallgruppenbildung im Rahmen der Festbeträge nach § 35 Abs. 1 SGB V zeigt,375 lässt die Zusammensetzung aus pharmakologisch ver372 Zum Anwendungsbereich von Therapiehinweisen nach § 92 Abs. 2 S. 7 SGB V siehe Reese/Stallberg, in: Reese/Dieners (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 250. 373 Diesbezüglich ist zu bemerken, dass der in § 92 Abs. 2 S. 7 Halbs. 2 SGB V enthaltene Verweis aus mehreren Gründen als nicht mehr passend erscheint. Die Anordnung der entsprechenden Anwendbarkeit des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V impliziert, dass die Therapiehinweise eine einschränkende oder ausschließende Wirkung haben können, was jedoch dem Sinn und Zweck der Regelung des § 92 Abs. 1 S. 10 SGB V wiederum zu widersprechen scheint. 374 Vgl. Wolff, Die Ausgestaltung der Therapiehinweis durch § 17 der neuen Arzneimittelrichtlinie, NZS 2009, S. 474 ff. (476). 375 Das LSG Berlin-Brandenburg fordert insoweit ausdrücklich, dass die nach § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V zusammengefassten Arzneimittel hinsichtlich ihrer Wirkung im Wesentli-
C. Rechtsfolgen der Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG
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gleichbaren Wirkstoffen grundsätzlich auf eine ähnliche Wirkung schließen.376 Hierdurch werden praktisch keine in ihrer Wirkung stärker divergierenden Arzneimittel Therapiehinweisen zugänglich gemacht.377 Diese hinsichtlich der Therapiehinweise anscheinend bestehende Divergenz zwischen § 35b Abs. 3 S. 4 SGB Veinerseits sowie § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V und § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3, Abs. 2 S. 3 SGB V andererseits lässt sich auf unterschiedliche Weisen auflösen: Zum einen mit einer Reduktion des Anwendungsbereiches des § 35b SGB V im Rahmen der Therapiehinweise nach § 92 Abs. 2 SGB V,378 zum anderen ließe sich aber auch eine Spezialität des § 35b SGB V annehmen.379 Ebenso könnte der Verweis des § 92 Abs. 2 S. 7 SGB V auch einschränkend gelesen und allein darauf bezogen werden, dass durch die Therapiehinweise dem Vertragsarzt die Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit erleichtert werden soll. Weiterhin wäre eine erweiternde Auslegung des Vergleichbarkeitskriteriums im Hinblick auf Therapiehinweise rechtsdogmatisch denkbar. Dies gilt insbesondere, da die Wesentlichkeitstheorie aufgrund der bloß dienenden Funktion der Therapiehinweise im Rahmen der Einzelfallentscheidung des Vertragsarztes nicht zu einer Beschränkung des Beurteilungsbereichs des GBA aufgrund seines geringen demokratischen Legitimationsniveaus führt.380 Anders als bei Leistungsbeschränkungen bezieht sich die Vergleichbarkeit im Rahmen von Therapiehinweisen außerdem auf den Einzelfall. Deshalb kann eine vergleichbare Wirkung hier „früher“ – häufiger – angenommen werden als bei Leistungsbeschränkungen. Ausreichend ist in diesem Rahmen, dass eine Vergleichbarkeit des Nutzens beispielsweise vorliegt, weil der Eintritt von Nebenwirkungen im konkreten Fall als sehr unwahrscheinlich anzusehen ist. Die Vergleichbarkeit des Nutzens kann bei Therapiehinweisen vom Vertragsarzt spezifisch auf den Einzelfall bezogen beurteilt werden. Eine Befugnis des GBA, auch im Falle fehlender Vergleichbarkeit des Nutzens Therapiehinweise erlassen zu dürfen, lässt sich im Übrigen noch aus weiteren Gründen annehmen. § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V kann nämlich als Rechtsfolgen- anstatt als Rechtsgrundverweis auf die grundsätzliche Kompetenz des GBA, Therapiehinchen gegeneinander austauschbar sein müssen, da es sonst zu einer Einschränkung der Therapiemöglichkeiten käme, vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. 06. 2012, – L 1 KR 296/09 KL –, juris Rn. 147. 376 Wagner, in: Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 35 Rn. 8. 377 Zweifelnd im Hinblick auf den Anwendungsbereich von Therapiehinweisen aufgrund des Wortlauts von § 92 Abs. 2 SGB V Merten, Zum Richtlinienerlass durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, NZS 2007, S. 337 ff. (340), wobei das Ergebnis seiner Kritik am unklaren Wortlaut hinsichtlich des Anwendungsbereichs von Therapiehinweisen nicht ganz klar wird. 378 So auch Becker, Steuerungsinstrumente des GBA im Rahmen der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 218 ff. (223). 379 Diese Annahme ist allerdings angesichts der geringen Regelungsdichte des § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V problematisch. 380 Zur Einschränkung der Kompetenz des GBA im Rahmen von Leistungsbeschränkungen durch die Wesentlichkeitstheorie siehe § 3 E. V.
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
weise zu erlassen, verstanden werden. Diese Annahme hätte zur Folge, dass § 35b Abs. 3 S. 4 SGB V lediglich auf die Befugnis zum Erlass von Therapiehinweisen rekurrieren, die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 SGB V aber nicht zur Anwendung gelangen würden. Dass die Möglichkeit einer derartigen Einschränkung der Anwendung von teuren Arzneimitteln mit im Verhältnis zu den hohen Kosten nur mäßigem Zusatznutzen gewünscht ist, lässt sich der ausdrücklichen Gesetzesbegründung auch nach der Änderung durch das AMNOG entnehmen. Anscheinend geht der Gesetzgeber ohnehin davon aus, dass § 35b SGB V über die nach § 12 Abs. 1 SGB V geltenden Vorgaben nicht hinausgeht.381 Außerdem scheint der Gesetzgeber der Auffassung zu sein, dass im Rahmen von § 35b SGB V nur Kosten-Nutzen-Bewertungen angestellt würden, die automatisch auch in Therapiehinweisen umsetzbar wären. Aufgrund des dargestellten Anwendungsbereiches von § 35b SGB V ist dies jedoch nicht zwingend der Fall. Im Rahmen der nach § 35b SGB V erfolgenden Kosten-Nutzen-Bewertung wird auch die Angemessenheit der durch einen relevanten Zusatznutzen hervorgerufenen Kosten beurteilt. Es ist gerade keine Beschränkung auf einen vergleichbaren Nutzen im Hinblick auf die Kostenbewertung erfolgt. Aufgrund des Einzelfallbezuges von Therapiehinweisen und angesichts ihrer bloßen Hinweisfunktion gegenüber den Vertragsärzten ist anzunehmen, dass KostenNutzen-Bewertungen in weiterem Umfang als im Rahmen von Leistungsbeschränkungen durch den GBA vorgenommen werden können. Hierdurch kann eine auf Kostengründen beruhende Priorisierung von Therapieversuchen auch bei stärker divergierendem Nutzen einzelfallbezogen durch den Vertragsarzt vorgenommen werden. Denkbar ist dies beispielsweise, weil anhand des Nebenwirkungsprofils eine konkretere Beurteilung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses angesichts der Gesundheitslage des jeweiligen Patienten erfolgen kann. Die Regelungen der VerfO-GBA wie auch die Praxis des GBA entsprechen dem hier gefundenen Ergebnis. Dies zeigt sich etwa am Beispiel des Arzneimittels „Repaglinid“. Der vom GBA diesbezüglich erteilte Therapiehinweis enthält die Empfehlungen an die Vertragsärzte, eine individuelle Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses vorzunehmen.382 Im Fall von atypischen Neuroleptika wird der Therapiehinweis erteilt, die Indikation des Einsatzes dieses teureren Arzneimittels über die grundsätzliche Indikationsstellung hinaus auch anhand von Kostenerwägungen zu spezifizieren und damit zu priorisieren.383 Derartige Therapiehinweise zeigen, wie mit Hilfe von Einzelfallbetrachtungen eine Spezifikation des Einsatzes 381 Vgl. BT-Drs. 17/2413, S. 24, wo ausdrücklich davon ausgegangen wird, dass, selbst wenn auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Bewertung ein Rabattvertrag vereinbart wurde, im Einzelfall die Anforderungen des § 12 Abs. 1 SGB V eingehalten werden müssen. Nach Meinung des Gesetzgebers ist somit auch im Falle der Festsetzung des Preises auf der Basis von Kosten-Nutzen-Bewertungen der Einsatz eines Arzneimittels nicht in jedem Fall wirtschaftlich. 382 Vgl. Anlage IV zum Abschnitt H der Arzneimittel-Richtlinie, S. 137. 383 Vgl. Anlage IV zum Abschnitt H der Arzneimittel-Richtlinie, S. 21 f.
D. Veränderungen des Einflusses von Wirtschaftlichkeitserwägungen
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medizinischer Methoden auch anhand weitergehender Wirtschaftlichkeitsbeurteilungen erfolgen kann, ohne Leistungsbeschränkungen bei einen Zusatznutzen bewirkenden medizinischen Methoden vornehmen zu müssen.
D. Veränderungen des Wirkungsbereichs von Wirtschaftlichkeitserwägungen (Zwischenergebnis) Die Möglichkeit, Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen der nach § 130b SGB V zu führenden Rabattverhandlungen zu verwenden, eröffnet die Chance, weitere Leistungsausschlüsse aus der GKV zu vermeiden. Hiermit könnte für innovative Arzneimittel ein Weg gefunden worden sein, die Wirtschaftlichkeit auf andere Weise sicherzustellen als durch Leistungsbeschränkungen gegenüber den Versicherten. Insbesondere im Bereich von über minimale Nutzenunterschiede hinausgehenden Zusatznutzen stellt dies – jedenfalls zunächst einmal – einen Ausweg aus dem ethischen und moralischen Dilemma der Rationierung dar. Insoweit ist für die Kosten-Nutzen-Bewertung ein Anwendungsfeld gefunden worden, in welchem nicht zuvor durch den Gesetzgeber die relevanten Verteilungsentscheidungen getroffen werden mussten. Die hierfür mit § 130b SGB V gewählte Verhandlungslösung, welche bei mangelnder Einigung mit Kosten-Nutzen-Bewertungen nach § 35b SGB V auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt werden kann, setzt auf eine Kombination zwischen Wettbewerbserzeugung, Anreizfunktion und staatlicher Regulierung.384 Im Übrigen verändert die Einführung des § 35b SGB V den Einfluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen auf die GKV im Rahmen der § 12 Abs. 1 iVm § 92 SGB V jedoch nicht direkt.385 Die in diesem Bereich durchzuführenden KostenNutzen-Vergleiche sind durch § 35b SGB V jedenfalls nicht unmittelbar erweitert worden.386 Ob § 35b SGB V dazu taugt, die Wirtschaftlichkeit der Leistungen der GKV umfangreicher zu beurteilen, wird sich künftig erst noch zeigen müssen. Die Grenzen des Einflusses von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf den Leistungskatalog sind in der Rechtsprechung jedoch heute bereits angelegt. Aufgrund der zu beobachtenden Tendenz, sie auszuweiten, werden diese im Weiteren noch näher untersucht. Aufgrund der derzeitig begrenzten Auswirkungen der Kosten-Nutzen-Bewertungen für die Versicherten ist nicht anzunehmen, dass die Regelung des § 35b 384 So zwar nicht ausdrücklich, jedoch angelehnt an die Ausführungen zum Vertragswettbewerb und § 130b SGB V von Mandl, Rabattverträge über patentgeschütze Arzneimittel, S. 38 ff. und S. 231 f. 385 Anders Becker, Steuerungsinstrumente des GBA im Rahmen der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 218 ff. (218). 386 Siehe hierzu § 3 E. VII. und F.
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§ 2 Kosten-Nutzen-Bewertungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
SGB V zu unbestimmt wäre. Zwar sind die gesetzgeberischen Vorgaben für die Kosten-Nutzen-Bewertung hinsichtlich der relevanten Frage, wie die Bewertungsentscheidung zu treffen ist, nicht tiefgehend. Insbesondere geben sie mangels Bestehen eines eindeutigen internationalen, in das System der GKV implementierbaren Standards keinen Bewertungsmaßstab für das Verhältnis von Kosten zu Nutzen eindeutig vor. Dennoch sind weitergehende Regelungen solange nicht zwingend, wie auf der Grundlage der Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG nicht in weiterem Umfang in die Rechte der Versicherten eingegriffen werden darf, als dies über § 12 Abs. 1 iVm § 92 Abs. 1 SGB V bereits der Fall ist. Die Vorgaben des § 35b Abs. 1 S. 4 und 5 SGB V sind auch nicht aufgrund eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz in der Ausprägung der Rechtsklarheit und Widerspruchsfreiheit verfassungswidrig.387 Ein Widerspruch zwischen der gesetzlich geforderten Versichertenperspektive und der Vorgabe, die Methodik der Bewertung auf der Grundlage des internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und Gesundheitsökonomie zu entwickeln, ist nicht anzunehmen. Zwar neigt die internationale Gesundheitsökonomie der Wahl einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive zu, mangels strikter Bindung des IQWiG an den internationalen Standard und des Vorrangs der ausdrücklichen gesetzlichen Vorgaben, kommt es hierdurch jedoch zu keinem Widerspruch, der nicht durch Auslegung gelöst werden könnte. Mit Ausnahme des unklaren Antragsrechts des GBA genügt § 35b SGB V trotz der Erweiterung des Bereichs, in dem Kosten-Nutzen-Bewertungen vorgenommen werden können, den rechtlichen Anforderungen. Auch die erfolgte Umsetzung der Vorgaben des § 35b SGB V ist durch das IQWiG rechtskonform und zweckmäßig erfolgt. Lediglich im Rahmen der Effizienzgrenzen sollte eine Schweregradgewichtung vorgenommen und im Rahmen des Steigungswinkels der Effizienzgrenze berücksichtigt werden. Die Verzahnung der ökonomischen und rechtlichen Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch den GBA und das IQWiG könnte einen Weg zeigen, wie mit dem Einsatz interdisziplinärer Methoden aus organisationsrechtlicher Sicht umgegangen werden kann – auch wenn dies im weiteren noch zu vertiefende Fragen nach der Legitimationsnotwendigkeit des IQWiG aufwirft. An dem bisherigen Leistungsgefüge hat die mit § 35b SGB Veingeführte KostenNutzen-Bewertung nichts geändert. Dennoch ist mit ihrer Aufnahme die Tendenz erhöhter Kostenberücksichtigung zu beobachten. Die auf die Einführung folgende Expertendiskussion wie auch die Reduktion der Wirkung der Kosten-Nutzen-Bewertungen durch das AMNOG zeigt zugleich aber auch, dass ökonomische KostenNutzen-Bewertungen als Kriterium zur Konkretisierung des Leistungskataloges der GKV auf nicht geringen Widerstand stoßen
387 So aber Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (449).
§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot als Anwendungsfeld von Kosten-Nutzen-Bewertungen Kosten-Nutzen-Vergleiche sind im System der GKV, anders als man aufgrund der zahlreichen Veröffentlichungen hierzu vermuten könnte, jedoch keineswegs erstmalig mit der Einführung des § 35b SGB V angestellt worden. Vielmehr sind im Rahmen der Bestimmung des Leistungsumfangs der GKV – bei der Konkretisierung des Behandlungsanspruches gemäß § 27 Abs. 1 SGB V iVm § 2, § 12 Abs. 1 SGB V – bereits seit langem Kosten-Nutzen-Erwägungen berücksichtigt worden.1 Versteht man das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V als eine Abwägung und damit letztlich als Frage der Verhältnismäßigkeit,2 erscheint es sogar denkbar, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen grundsätzlich einen erheblichen Einfluss auf das System der GKV und die Leistungsansprüche der Versicherten haben. Der Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots hängt davon ab, ob dieses als Maximal- oder als Minimalprinzip zu verstehen ist. Hierfür ist wiederum entscheidend, ob dem SGB V ein absoluter oder relativer Nutzenvorrang zugrunde liegt. Weiterhin sind für den Umfang und die Art und Weise der Durchführung von Kosten-Nutzen-Bewertungen, die abzuwägenden Faktoren3 wie auch der die Abwägung vornehmende Akteur – insbesondere sein Legitimationsniveau – von besonderer Relevanz.4 Diesen Aspekten ist näher nachzugehen, um den Einflusses von Kosten-Nutzen-Erwägungen auf den Leistungsumfang der GKV zu bestimmen.
1 Das BVerfG weist selbst darauf hin, dass das Verständnis von u. a. § 12 Abs. 1 SGB V einem gewissen Wandel in der Auslegung unterworfen ist, vgl. BVerfGE 106, 275 (308). 2 Aus finanzverfassungsrechtlicher Sicht wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch häufig als Äquivalenzprinzip im weiteren Sinne bezeichnet. Zum Zusammenhang zwischen Äquivalenzprinzip und Verhältnismäßigkeit siehe etwa BVerfGE 83, 363 (392), BVerwGE 109, 97 (111) sowie Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 6 und 112 ff. 3 Vgl. Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 29. 4 Ähnlich Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 90 f.; Gawel, Ökonomische Effizienzforderungen und ihre juristische Rezeption, in: ders. (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 9 ff. (14); zum Zusammenhang zwischen dem Akteur der Abwägung und ihrer Ausgestaltung bzw. ihrem Umfang siehe auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 329 ff.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
A. Wirtschaftlichkeit als Grundprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung Der Grundsatz der Leistungsgewährung der GKV lautet, dass jeder Versicherte einen Anspruch auf Behandlung hat, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit5 zu erkennen, zu heilen, eine Verschlimmerung zu verhüten oder Beschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 SGB V). Dem ist jedoch kein allumfassender Anspruch auf sämtliche erbringbaren medizinischen Leistungen zu entnehmen. Konkretisiert wird der Leistungsanspruch gegen die GKV sowohl durch speziellere Regelungen zu den einzelnen Behandlungsarten als auch durch weitere allgemeine Vorgaben. Hervorzuheben sind hierbei als weitere Grundprinzipien der Leistungsgewährung insbesondere § 2 Abs. 1 SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V, die den allgemeinen Leistungsanspruch näher ausformen.6 Qualität und Wirksamkeit der Leistungen der GKV müssen gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts entsprechen. Der sozialversicherungsrechtliche Behandlungsanspruch schließt somit an den medizinischen Standard an.7 § 12 Abs. 1 SGB V begrenzt8 diesen Anspruch um das in ihm statuierte Wirtschaftlichkeitsgebot. Dieses fordert, dass die nach § 27 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V definierten Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Als Grundsatznorm des SGB V gilt § 12 Abs. 1 SGB V für sämtliche im Rahmen der GKV normierte Ansprüche, es sei denn, in diesen ist eine spezielle, anderweitige Regelung getroffen worden.9 Mit der grundsätzlichen Normierung des Wirtschaftlichkeitsgebots stellt § 12 Abs. 1 SGB V eines der Grundprinzipien im Rahmen der Versorgung 5 Krankheit wird hierbei in der Rechtsprechung und Literatur als ein regelwidriger Körperoder Geisteszustand, der Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit bzw. beides zur Folge hat, verstanden. Vgl. etwa BSGE 25, 37 (39); 26, 240 (242); 33, 202 (203); 35, 10 (12); 39, 167 (168); 59, 119 (121); 62, 83 (83 f.); 66, 248 (249); 72, 96 (98); ebenso bspw. Lang, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 27 Rn. 14. 6 Zum Erklärungswert von Prinzipien im Sozialrecht siehe Becker/Meeßen/Neueder/ Schlegelmilch/Schön/Vilaclara, Strukturen und Prinzipien der Leistungserbringung im Sozialrecht (1. Teil); VSSR 2011, S. 323 ff. (326 ff.). 7 Francke, Begrenzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung – Grund- und Wahlleistungen, Rationierung, Priorisierung, GesR 2003, S. 97 ff. (97). 8 Ob in § 12 Abs. 1 SGB V eine Ausgestaltung des Anspruches, eine Begrenzung oder aber beides zu sehen ist, kann an dieser Stelle, trotz der Wortwahl, offen bleiben, da aufgrund der gesetzlich erfolgten Anordnung der Wirtschaftlichkeit eine Klärung des Verhältnisses der Normen zueinander bzw. der Begriffe keine Auswirkungen hat. Die teilweise Einordnung des § 12 Abs. 1 SGB V als Einwendung und Einrede zeigt zwar den leistungseinschränkenden Charakter der Norm, führt jedoch hinsichtlich der Abgrenzung ebenso wenig weiter, vgl. hierzu die Kritik von Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 164 f. 9 Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 3.
A. Wirtschaftlichkeit als Grundprinzip der Krankenversicherung
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mit medizinischen Leistungen durch die GKV dar.10 Um den Umfang der Einwirkung von Wirtschaftlichkeitserwägungen auf den Leistungskatalog der GKV feststellen zu können, bedarf es der Bestimmung des Einflussgrades von Kostengesichtspunkten auf die Ausgestaltung des Leistungskataloges und damit der Klärung, welche Bedeutung die Wirtschaftlichkeitsforderung des § 12 Abs. 1 SGB V hat. Sowohl bei der amtlichen Überschrift „Wirtschaftlichkeitsgebot“, als auch bei den einzelnen Kriterien des § 12 Abs. 1 SGB V handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe.11 Sie sind demzufolge einer Auslegung zugänglich, mittels derer ihr Sinngehalt und damit der Anwendungsrahmen von Wirtschaftlichkeitserwägungen zu ermitteln ist.12 Schon die doppelte Verwendung des Begriffes „wirtschaftlich“ bzw. „Wirtschaftlichkeit“ in § 12 Abs. 1 SGB V – als Überschrift für sämtliche der in Abs. 1 der Norm enthaltenen Forderungen wie auch als eigenständige Voraussetzung – zeigt die unterschiedlichen Verständnismöglichkeiten und Anwendungsbereiche des Wirtschaftlichkeitsbegriffs.13 Die vielfache Nennung des Begriffs „wirtschaftlich“, teilweise gemeinsam mit weiteren, ähnlichen Begriffen hilft bei seiner Konkretisierung indes nicht weiter.14 Die häufige Verwendung schärft nicht etwa seine Bedeutung, sondern erfasst aufgrund des unterschiedlichen Verwendungskontextes – beispielsweise in § 4 Abs. 4 SGB V hinsichtlich der „Haushaltsführung“ der Krankenkassen – unterschiedliche Zielsetzungen und somit auch verschiedene Bedeutungen bzw. Inhalte. Ebenso erweist sich die wirtschaftswissenschaftliche Implikation des Wirtschaftlichkeitsbegriffs für die Konturierung des Anwendungsbereichs von KostenNutzen-Bewertungen nicht als weiterführend.15 Die Wirtschaftswissenschaft be10
Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 12 Rn. 1.; Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 2. 11 BSGE 11, 102 (117); 17, 79 (84 f.); 19, 123 (127 f.). 12 Zum Fehlen einer allgemein verbindlichen Definition des rechtlichen Wirtschaftlichkeitsbegriffs siehe auch Schmidt-Jortzig, Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit – Verfassungsrechtliche Determinanten, in: Butzer (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit durch Organisations- und Verfahrensrecht, S. 17 ff. (20); ebenso Pitschas, Die Modernisierung der sozialen Sicherung im Zeichen von Effektivität und Effizienz, Zum Grundsatz der Wirtschaftlichkeit im Sozialrecht, in: Butzer (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit durch Organisations- und Verfahrensrecht, S. 31 ff. (37 ff.). 13 Siehe hierzu auch Walther, Die Mehrdeutigkeit des Rechtsbegriffes „wirtschaftlich“, BayVBl 2004, S. 167 ff., der insbesondere die geschichtliche Entwicklung des Wirtschaftlichkeitsbegriffs nachvollzieht und aus dieser Betrachtung heraus die Mehrdeutigkeit feststellt. 14 Eine genaue Untersuchung findet sich bei Schewe, Die Beschwörung des „Wirtschaftlichen“ im neuen SGB V – ein Vergleich der 65 Nennungen des „Wirtschaftlichen“ und 35 ähnlicher Begriffe, SGb 1989, S. 410 ff. (416), der zum Ergebnis kommt, dass „wirtschaftlich“ in unterschiedlichen Färbungsnuancen verwendet wird. 15 Zur Herkunft des Wirtschaftlichkeitsbegriffes aus den Wirtschaftswissenschaften und seiner Input-Output-Abwägung in diesem Rahmen vgl. Becker/Meeßen/Neueder/Schlegelmilch/Schön/Vilaclara, Strukturen und Prinzipien der Leistungserbringung im Sozialrecht (2. Teil), VSSR 2012, S. 1 ff. (41).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
trachtet den Wirtschaftlichkeitsbegriff als Maximal- oder aber als Minimalprinzip.16 Die Frage, welcher dieser beiden Ansätze anzuwenden ist, beantwortet sie jedoch nicht.17 Für das Anwendungsfeld von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen der Leistungsbestimmung der GKV ist dies jedoch der entscheidende Aspekt. Während das Minimalprinzip die Erreichung eines bestimmten Ergebnisses mit den geringstmöglichen Mitteln fordert und somit das Ergebnis/Ziel fest vorgibt, verlangt das Maximalprinzip, mit den gegebenen Mitteln das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.18 Für die Anwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen kommt es somit gerade darauf an, ob das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V als Minimal- oder Maximalprinzip zu verstehen ist. Bei der Annahme, das Wirtschaftlichkeitsgebot beinhalte lediglich das Minimalprinzip, bedürfte es keiner Durchführung von Kosten-Nutzen-Bewertungen. Dem Nutzen würde ein absoluter Vorrang gegenüber den Kosten eingeräumt. In diesem Fall würde ein Kosten-Kosten-Vergleich zur Umsetzung des § 12 Abs. 1 SGB V genügen. Das Maximalprinzip hingegen fordert die Durchführung von Kosten-Nutzen-Bewertungen. Im Folgenden wird aus diesem Grund weder auf jede Verwendung des Begriffes „wirtschaftlich“ im Rahmen des SGB V eingegangen noch versucht, aus einem verstärkt wirtschaftlich geprägten Verständnis des Begriffs den Anwendungsbereich von § 12 Abs. 1 SGB V zu konturieren. Der Umfang des Einflusses von Wirtschaftlichkeitserwägungen auf den Leistungskatalog der GKV wird stattdessen insbesondere anhand der erfolgenden Konkretisierung durch den GBA, mittels einer Analyse der zu § 12 Abs. 1 SGB V ergangenen Rechtsprechung sowie einer systematischen und methodischen Betrachtung bestimmt. Hieraus wird unter anderem hergeleitet, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot zwar tendenziell dem Minimalprinzip gleicht, aber auch Aspekte des Maximalprinzips enthält. Gleichzeitig wird damit die Frage beantwortet, ob dem SGB V ein absoluter oder relativer Nutzenvorrang zugrunde liegt, wie „Relativität“ in diesem Rahmen zu verstehen ist und welche Auswirkungen dies auf den Umfang von Kosten-Nutzen-Bewertungen hat. Das heute in § 12 Abs. 1 SGB Venthaltene Wirtschaftlichkeitsgebot wurde durch das Reichsgesetzblatt I vom 26. 07. 1930 in § 182 Abs. 2 und § 368 Abs. 2 der 16 von Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 19 f.; Schmidt-Jortzig, Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit – Verfassungsrechtliche Determinanten, in: Butzer (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit durch Organisations- und Verfahrensrecht, S. 17 ff. (19); Gröpl, in: ders., BHO/ LHO, Staatliches Haushaltsrecht Kommentar, § 7 Rn. 6; teilweise wird das Wirtschaftlichkeitsverständnis noch um das „Produktivitätsprinzip“ ergänzt, welches jedoch lediglich die variable Verwendung von sowohl Minimal- als auch Maximalprinzip beinhaltet, vgl. Gawel, Ökonomische Effizienzforderungen und ihre juristische Rezeption, in: ders. (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 9 ff. (13). 17 Zur Problematik der Auslegung des juristischen Wirtschaftlichkeitsbegriffes nach dem wirtschaftswissenschaftlichen Verständnis aufgrund seiner Ambiguität ebenso Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 28 und 47. 18 Grupp, Die „Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ im Haushaltsrecht, JZ 1982, S. 231 ff. (233); von Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 20.; Kosiol, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, S. 20.
A. Wirtschaftlichkeit als Grundprinzip der Krankenversicherung
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Reichsversicherungsordnung19 und damit bereits rund 47 Jahre nach Entstehung der Krankenversicherung in die Krankenversorgung eingeführt.20 Grund der Einführung war die Wirtschaftskrise in den vorangegangenen Jahren und die durch sie bewirkten Einnahmeausfälle, die durch unterschiedliche Deckungsmaßnahmen des Reichshaushalts ausgeglichen werden sollten.21 § 12 Abs. 1 SGB V stellt die Neunormierung des den § 182 Abs. 2 und § 368 Abs. 2 RVO entstammenden Wirtschaftlichkeitsgebots dar. Mit der Neunormierung wurde eine Zusammenführung des Wortlautes der § 182 Abs. 2 und § 368 Abs. 2 RVO vollzogen, durch welche jedoch keine Änderung des Anwendungsbereichs erfolgen sollte.22 § 182 Abs. 2 RVO hatte noch gelautet, „die Krankenpflege muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“,
und § 368 Abs. 2 RVO regelte: „für die Beziehungen zwischen Krankenkassen und Ärzten gilt insbesondere das Folgende: 1. Der Arzt ist seiner Kasse gegenüber verpflichtet, den Kranken ausreichend und zweckmäßig zu behandeln. Er darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, hat eine Behandlung, die nicht oder nicht mehr notwendig ist, abzulehnen, die Heilmaßnahmen, insbesondere die Arznei, die Heil- und Stärkungsmittel, nach Art und Umfang wirtschaftlich zu verordnen und auch sonst bei Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen die Kasse vor Ausgaben so weit zu bewahren, als die Natur seiner Dienstleistung es zulässt. (…)“.
Mit § 12 Abs. 1 SGB V ist der Regelungsgehalt beider Normen zusammengeführt worden. Neben den bereits in § 182 Abs. 2 RVO genannten Kriterien und damit zusätzlich zur Forderung, das Maß des Notwendigen nicht zu überschreiten, wurde in § 12 Abs. 1 SGB V die Voraussetzung der Wirtschaftlichkeit der Leistung aufgenommen, wie sie § 368 Abs. 2 RVO bereits vorgesehen hatte. Sinn und Zweck des Wirtschaftlichkeitsgebots ist es, die Funktionsfähigkeit des Sozialstaates angesichts seiner begrenzten Ressourcen sicherzustellen sowie für Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen.23 Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht wird 19
RGBl. I 1930, S. 322 und 325. Die GKV geht auf das sogenannte Bismarck’sche Krankenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883 zurück und bildet den ältesten Zweig der Sozialversicherung vgl. hierzu Oberender/Hebborn/Zerth, Wachstumsmarkt Gesundheit, S. 23; Ritter, Sozialversicherung in Deutschland und England. Entstehung und Grundzüge im Vergleich, S. 28 ff. 21 RGBl. I 1930, S. 311. 22 BT-Drs. 11/2237, S. 163. 23 Becker/Meeßen/Neueder/Schlegelmilch/Schön/Vilaclara, Strukturen und Prinzipen der Leistungserbringung im Sozialrecht (Teil 2), VSSR 2012, S. 1 ff. (40); Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 61; zum Grundgedanken der Effizienz auch Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht – Perspektiven der verwaltungsrechtlichen Systembildung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, S. 245 ff. (249) und Hoffmann-Riem, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, in: ders./SchmidtAßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, S. 11 ff. (35). 20
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
das Wirtschaftlichkeitsprinzip des § 12 Abs. 1 SGB V als ein Korrektiv für die fehlende Steuerungsfunktion des Marktes im Bereich der GKV verstanden.24 Der Markt reguliert durch Angebot und Nachfrage den Preis und das Angebotsspektrum, die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Anbietern erzeugt eine wirtschaftliche Erbringung und ein entsprechendes Angebot. Aufgrund der fehlenden regulierenden Marktfunktion im Bereich der GKV, welche sich mit der historisch gewachsenen faktischen Monopolstellung der GKV auf Nachfrageseite (Monopson) und der Besonderheit des Gutes Gesundheit, welches eine angebotsinduzierte Nachfrage hervorruft,25 auf Angebotsseite erklären lässt, bedarf es zur Vermeidung von Allokationsungleichheiten aufgrund von Marktversagen bzw. fehlender Marktfunktion einer staatlichen Regulierung der wirtschaftlichen Leistungserbringung.26 Diese Regulierung der Leistungserbringung erfolgt über die unterschiedlichen Ausgestaltungen des in § 12 Abs. 1 SGB V geregelten Grundprinzips der wirtschaftlichen Leistungserbringung der GKV. Neben § 12 Abs. 1 SGB V bestehen noch weitere Bestimmungen zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit. Diese stellen vornehmlich Ausgestaltungen des Wirtschaftlichkeitsgebots in den einzelnen Leistungsbereichen dar.27 Hervorzuheben ist in Bezug hierauf zum einen die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch den GBA gemäß § 92 SGB V und zum anderen die im Leistungserbringungsrecht vorgesehene Überprüfung der wirtschaftlichen Verordnungsweise gemäß § 106 SGB V. Beide Normen werden aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit im Folgenden kurz näher dargestellt.
24
Schirmer, Rechtsgrundlagen der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Arzneimittelverordnung, BKK 1979, S. 33 ff. (35); Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 61. 25 Siehe hierzu unter anderem Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 108 ff.; Herder-Dorneich, Wachstum und Gleichgewicht im Gesundheitswesen, S. 169 ff.; Kersting, Egalitäre Grundversorgung und Rationierungsethik, in: Gutmann/Schmidt (Hrsg.), Rationierung und Allokation im Gesundheitswesen, S. 41 ff. (42 ff.). 26 Schuler-Harms, in: Wallrabenstein (Hrsg.), Braucht das Gesundheitswesen ein eigenes Regulierungsrecht?, S. 27 ff. (29). 27 Über die hier beispielhaft herausgegriffenen Regelungen, welche die grundlegenden Wirtschaftlichkeitsausprägungen im Hinblick auf zum einen den Leistungsanspruch der Versicherten und zum anderen die Überprüfung der Leistungserbringer darstellen, existieren noch weitere Vorschriften zur Wirtschaftlichkeitssicherung. Vgl. im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung von Krankenkassen etwa Felix, Die Krankenhausbehandlung im Spannungsfeld von Therapiefreiheit und Wirtschaftlichkeitsgebot, NZS 2012, S. 1 ff. m.w.N.
A. Wirtschaftlichkeit als Grundprinzip der Krankenversicherung
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I. Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsprinzips durch den GBA Die Selbstverwaltung der GKV legt seit jeher durch Richtlinien fest, welche medizinischen Methoden wirtschaftlich bzw. unwirtschaftlich sind. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip des § 182 Abs. 2 RVO und späteren § 12 Abs. 1 SGB V ist daher durch die Vorgänger des GBA und diesen selbst geprägt worden.28 Bereits knapp zwei Jahre nach der Einführung des Wirtschaftlichkeitsprinzips in die Krankenversicherung wurde mit dem damaligen § 368i RVO einem Vorläufer des heutigen Bundesausschusses eine diesbezügliche Normsetzungsbefugnis übertragen.29 Noch im Jahr 1932 machte der damalige Bundesausschuss für Ärzte und Krankenversicherungen (Reichsausschuss) erstmals Gebrauch von seiner Befugnis, Richtlinien über die wirtschaftliche Versorgung mit Arzneimitteln zu erlassen.30 In einer Richtlinie aus dem Jahr 1960 findet sich in Nummer 11 die Bestimmung, dass bei gleichartig wirkenden Arzneimitteln nur das Wirtschaftlichste verordnet werden soll.31 Bis heute konkretisiert der GBA in seinen Richtlinien den Versorgungsumfang der GKV.32 Diese Richtlinien setzen die Anforderungen des § 12 Abs. 1 SGB V bezogen auf die Rechte der Versicherten und der Leistungserbringer in Form abstrakt-genereller Regelungen33 um.34 Im Rahmen dieser Richtlinien präzisiert anschließend der behandelnde Arzt für den individuellen Einzelfall die zulasten der Krankenkasse einzusetzenden Diagnosemöglichkeiten wie auch die zu erbringende Therapie. Die Richtlinien des GBA eröffnen damit den Korridor möglicher Inhalte der Krankenbehandlung, die der Vertragsarzt anschließend konkret-individuell festlegt.35 28
Die Bedeutung der Richtlinien des GBA zeigt sich, neben der de facto seit Einführung des Wirtschaftlichkeitsprinzips erfolgenden Ausgestaltung durch ein Selbstverwaltungsorgan der Krankenversicherung, insbesondere auch daran, dass das BSG im Hinblick auf die Tätigkeit des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenversicherungen erklärte, dass Inhalt und Kontur des Wirtschaftlichkeitsprinzips durch die geschichtliche Entwicklung des Kassenarztrechts, insbesondere durch das Prüfungswesen und die Prüfungsinstanzen der Richtlinien, die für die Gewährung von Arznei- und Heilmitteln in der Kassenpraxis erlassen wurden, geprägt worden sei, vgl. BSGE 26, 16 (20). 29 Vgl. Hess/Venter, Das Gesetz über Kassenarztrecht, S. 35. 30 Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung 1932, IV, 373. 31 RL über die Verordnung von Arzneimitteln in der kassenärztlichen Versorgung, BAnz Nr. 251 vom 29. 10. 1960. 32 Zur Kritik an der sich hieraus ergebenden Stellung des GBA unter anderem Hauck, Der Gemeinsame Bundesausschuss – ein unbequemes Kind unserer Verfassungsordnung, NZS 2010, S. 600 ff. m.w.N. 33 Das BSG qualifiziert die Richtlinien des GBA, die gemäß § 91 Abs. 6 SGB V Außenwirkung besitzen, als Rechtsnormen sui generis, vgl. BSGE 81, 73 (80 ff.). 34 Hauck, Der Gemeinsame Bundesausschuss – ein unbequemes Kind unserer Verfassungsordnung, NZS 2010, S. 600 ff. (608); Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 188. 35 Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 177.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Aufgrund der von der Rechtsprechung seit 1996 angenommenen Bindungswirkung der Richtlinien gestaltet derzeit im Wesentlichen der GBA die Frage der notwendigen und wirtschaftlichen Krankenbehandlung aus.36 Die rechtlichen Grundlagen zur Konkretisierung des § 12 Abs. 1 SGB V durch den GBA findet sich in § 92 SGB V. Diese Regelung sieht ausdrücklich die Prüfung der Wirtschaftlichkeit einer medizinischen Methode vor. Bei einer nahezu identischen Wirksamkeit zweier medizinischer Methoden – insbesondere bei einer nur geringfügig besseren Wirksamkeit innerhalb unterschiedlicher Nebenwirkungs-Profile – nimmt der GBA eine Kosten-Nutzen-Abwägung vor. Diese führt bei einem schlechteren Kosten-NutzenVerhältnis einer medizinischen Methode gegenüber einer anderen dazu, dass der GBA mittels Leistungsbeschränkungen oder Therapieempfehlungen die Verordnung der medizinischen Methode auf Kosten der GKV entweder ausschließt, einschränkt oder aber jedenfalls die Abgabe durch die Vertragsärzte im Einzelfall steuert.37 Der GBA ist jedoch nur im Rahmen der ihm durch § 27 Abs. 1 iVm § 12 Abs. 1 SGB V gemachten Vorgaben zur Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots berechtigt. Deshalb nimmt das BSG an, dass die Richtlinien die zwingenden Vorgaben des Leistungsrechts zu beachten hätten. Die Richtlinien dürften nicht dazu führen, dass eine behandlungsfähige und behandlungsbedürftige Erkrankung aufgrund von Kostenerwägungen unbehandelt bliebe.38 Zwar hat der GBA aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 S. 1 SGB V) einen scheinbar weiten Auslegungsrahmen. Die Rechtsprechung hat hinsichtlich der Art und Weise der Konkretisierung jedoch detaillierte Vorgaben, unter anderem aus § 2 Abs. 1 und § 27 SGB V, hergeleitet. Wie die Ausgestaltung durch den GBA zu handhaben ist, ergibt sich insbesondere aus §§ 91 und 92 SGB V. Relevant für den Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Erwägungen ist hierbei vor allem die Regelung des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V, der bestimmt, dass ein Ausschluss von Arzneimitteln nur möglich ist, wenn eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist. Die Vorgaben des § 92 SGB V hat der GBA in seiner auf der Grundlage von § 91 Abs. 4 SGB V erlassenen Geschäfts- und Verfahrensordnung umgesetzt. An dieser lässt sich die erfolgende Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch den GBA ablesen. Die heutige Fassung der zuletzt am 20. März 2014 geänderten Verfahrensordnung regelt in ihrem 2. Kapitel die Bewertung medizinischer Methoden und in ihrem 4. Kapitel die Bewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. In § 10 Abs. 1 Nr. 5 und § 10 Abs. 2 Nr. 3 des 2. Kapitels der VerfO-GBA finden sich Angaben zu den für eine Einschätzung der Wirtschaftlichkeit nach § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V notwendigen Unterlagen. Die konkreten Anforderungen hinsichtlich 36 BSGE 73, 271 (278); 78, 70 (74 ff.). Änderung der Rechtsprechung des BSG gegenüber BSGE 35, 10 (14), in BSGE 52, 70 (74) und BSGE 73, 271 (287). 37 Vgl. BSGE 96, 261 (262). 38 BSGE 78, 70 (85 f.).
A. Wirtschaftlichkeit als Grundprinzip der Krankenversicherung
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dieser Unterlagen ergeben sich, je nach Anwendungsbereich der medizinischen Methode, aus Absatz 1 zur Früherkennung sowie aus Absatz 2 zu diagnostischen und therapeutischen Leistungen. Diese Unterlagen sollen nach den Untergliederungen des § 10 Abs. 1 Nr. 5 a) – f) und Abs. 2 Nr. 3. a) – d) des 2. Kapitels der VerfO-GBA insbesondere Angaben über die zusätzlichen Kosten pro Fall, Kosten-Nutzen-Abwägungen hinsichtlich einzelner Patienten und hinsichtlich der Gesamtheit der Versicherten, Folge-Kosten-Abschätzungen sowie Kosten-Nutzen-Abwägungen im Vergleich zu anderen Maßnahmen enthalten. Gemäß § 11 des 2. Kapitels der VerfOGBA wird vom GBA eine Evidenzklassifizierung der Studien zum Nutzen einer medizinischen Methode vorgenommen, welche in die Gesamtbewertung der Methode im Versorgungskontext gemäß § 13 des 2. Kapitels der VerfO-GBA Eingang findet.39 Hinsichtlich der Wirksamkeitsunterschiede und der damit möglichen Vergleichbarkeit von Kosten und Nutzen stellt der GBA demzufolge vor allem auf ihre klinische Relevanz ab.40 Die Rechtmäßigkeit der mit § 10 Abs. 1 Nr. 5 des 2. Kapitels der VerfO-GBA gewählten Untergliederung der Wirtschaftlichkeitsprüfung einer medizinischen Methode in eine individuell-patientenbezogene und eine generelle Kosten-Nutzen-Abwägung ist vom BSG ausdrücklich bestätigt worden.41 Die Kosten-Nutzen-Abwägung soll als zweiter Schritt der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch einen Vergleich zu anderen Methoden angewendet werden, die bereits in der vertragsärztlichen Versorgung zum Einsatz kommen.42 Das konkrete Verhältnis zwischen dem derart ermittelten Nutzen und den Kosten beantwortet die VerfO-GBA jedoch auch in ihren Regelungen zur Entscheidungsfindung, den §§ 12 ff. des 2. Kapitels der VerfO-GBA, nicht. Die Anforderungen werden, so wie sie auch in § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V geregelt sind, lediglich nebeneinander gestellt. Im 4. Kapitel der VerfO-GBA, welches unter anderem die Bewertung von Arzneimitteln regelt, finden sich hierüber hinausgehende Aussagen zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit durch den GBA. § 10 des 4. Kapitels der VerfO-GBA sieht in seinem Absatz 1 die Beschränkung von Wirtschaftlichkeitserwägungen auf Arzneimittel und Behandlungsformen mit vergleichbarem therapeutischem Nutzen vor. In § 10 Abs. 2 des 4. Kapitels der VerfO-GBA wird jedoch ausdrücklich von der Möglichkeit ausgegangen, zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines therapeutischen Zusatznutzens eine ergänzende Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses vornehmen zu können. Gemäß § 11 Abs. 3 des 4. Kapitels der VerfO-GBA dürfen diese erweiterten Kosten-Nutzen-Betrachtungen durch den GBA jedoch nur im
39
Siehe zur konkreten Vorgehensweise des GBA bei der Nutzenbewertung auch Hauck, Der Gemeinsame Bundesausschuss – ein unbequemes Kind unserer Rechtsordnung?, NZS 2010, S. 600 ff. (610). 40 BSGE 96, 261 (262). 41 BSGE 96, 261 (281). 42 BSGE 96, 261 (281).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Rahmen von Therapiehinweisen verwertet werden. Zu einer direkten Leistungsbeschränkung können sie hingegen nicht führen. Das konkret zu erreichende Verhältnis von Kosten und Nutzen wird durch die VerfO-GBA somit nicht vorgegeben. Die Regelung der notwendigen Unterlagen zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 Nr. 3 des 2. Kapitels der VerfO-GBA lässt aber den Schluss zu, dass nach Ansicht des GBA Kosten-Nutzen-Abwägungen sowohl in Bezug auf den individuellen Patienten als auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Gesamtheit der Versicherten im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V vorzunehmen sind. Bei medizinischen Methoden ist die Kosten-Nutzen-Abwägung dem Wortlaut des 2. Kapitels der VerfO-GBA zufolge nicht auf vergleichbar nützliche Methoden beschränkt. In § 10 Abs. 1 S. 1 des 4. Kapitels der VerfO-GBA wird – im Rahmen der Bewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten – im Gegensatz hierzu ein vergleichbarer Nutzen explizit als Voraussetzung für Leistungsbeschränkungen gefordert. Dies ist damit zu erklären, dass auch die Rechtsgrundlage für den Erlass von Richtlinien bei Arzneimitteln gemäß § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V einen Ausschluss bzw. eine Einschränkung der Verordnung ausdrücklich nur im Falle einer wirtschaftlicheren Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem Nutzen zulässt. Eine solche Beschränkung ergibt sich für andere medizinischen Methoden aus dem Wortlaut des § 92 SGB V jedenfalls nicht ausdrücklich. Dass Wirtschaftlichkeitserwägungen auch bei anderen medizinischen Methoden durch den GBA dennoch nicht hierüber hinausgehend angestellt werden können, wird im Folgenden herausgearbeitet werden.
II. Praktische Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 106 SGB V) § 106 SGB V sieht die Kontrolle der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots in Form einer Wirtschaftlichkeitsüberprüfung der ärztlichen Verordnungsweise anhand einheitlicher, arztgruppenspezifischer Richtgrößen – Budgets – vor.43 Dies stellt einen weiteren Schritt zur Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar. Da der GKV das Sachleistungsprinzip zugrunde liegt und meist ein vorgeschaltetes Genehmigungsverfahren bei der Krankenkasse fehlt, hängt die Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots maßgeblich von dem Verordnungsverhalten der Vertragsärzte ab. Dieses wird durch § 106 SGB V gemeinsam mit den Richtlinien des GBA beeinflusst. Bei § 106 SGB V handelt es sich sozusagen um die parallele Regelung des Wirtschaftlichkeitsprinzips im Leistungserbringungsrecht bzw. um seine Umsetzung
43 Zur Unterscheidung der Wirtschaftlichkeit als Handlungs- und Kontrollnorm siehe auch Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 32 f.
A. Wirtschaftlichkeit als Grundprinzip der Krankenversicherung
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im Rahmen der Vergütung der ärztlichen Leistungserbringer.44 § 106 SGB V ist im Wesentlichen inhaltsgleich zu § 12 Abs. 1 SGB V ausgestaltet, sodass die in diesem Rahmen ergangene Rechtsprechung auf die grundsätzlichen Aussagen des § 12 Abs. 1 SGB V übertragen werden kann.45 Die Prüfung der ärztlichen Tätigkeit nach § 106 SGB V setzt insoweit auf dem gemäß § 12 Abs. 1 SGB V beschränkten Anspruch auf.46 Der nach § 106 Abs. 2a SGB V definierte Prüfungsumfang umfasst daher die Vorgaben des § 12 Abs. 1 SGB V. In § 106 Abs. 2a Nr. 4 SGB V wird als Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsbeurteilung ausdrücklich die Angemessenheit der Kosten im Hinblick auf das Behandlungsziel genannt. Die im Leistungserbringungsrecht geregelte Wirtschaftlichkeitsprüfung ist aber unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Leistungserbringungsrechts zu beurteilen, da sie, zusätzlich zu den bereits in der Grundregel des § 12 Abs. 1 SGB V enthaltenen Spannungen zwischen Kosten und Nutzen, noch die weitergehende Problematik der Rechte der Leistungserbringer enthält.47 Durch die Ermöglichung einer pauschalierten Wirtschaftlichkeitsprüfung der Verordnungsweise eines Vertragsarztes anhand der in § 106 SGB V iVm § 84 Abs. 1 SGB V vorgesehenen Richtgrößen, welche die Ausgaben einer fachgruppenspezifischen Praxis pro Jahr abbilden, wird die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung sichergestellt, ohne in jedem Fall eine Einzelprüfung vornehmen zu müssen.48 Auf diese Art und Weise wird die aus Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG erwachsende Therapiefreiheit des Arztes im Einzelfall gesichert und mit dem aus § 12 Abs. 1 SGB V erwachsenden Wirtschaftlichkeitsprinzip zum Ausgleich gebracht.49 Die Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsprinzips wird im Hinblick auf den Ausgleich der Therapiefreiheit der Ärzte bei der Bestimmung des Leistungsumfanges der GKV im Folgenden nicht vertieft werden, da dies für die Frage des Interessenausgleichs mittels Kosten-Nutzen-Bewertungen nur am Rande von Bedeutung ist. Der Umsetzung der Wirtschaftlichkeit durch § 106 SGB V kann jedoch der Grundsatz entnommen werden, dass Einschränkungen des ärztlichen Spielraums, der Therapiefreiheit, aufgrund von Wirtschaftlichkeitserwägungen denkbar sind. Die Konkretisierung des § 12 Abs. 1 SGB V durch den GBA gemäß § 92 SGB V sowie die Überprüfung der durch die Leistungserbringer erfolgten Umsetzung dieser 44 Grundlegend zur Wirtschaftlichkeitsprüfung der vertragsärztlichen Versorgung Becker, Die Steuerung der Arzneimittelversorgung im Recht der GKV, S. 353 ff. 45 Ähnlich BSG, Urteil vom 09. 06. 1982, – 6 RKa 1/81 –, juris Rn. 15; BSG, Urteil vom 01. 03. 1979, – 6 RKa 4/78 –, juris Rn. 14 und auch BSG Urteil vom 20. 03. 1996, – 6 RKa 62/ 94 –, juris Rn. 24, BSGE 78, 70 (78 f.). BSG, Urteil vom 01. 03. 1979, – 6 RKa 4/78 –, juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 09. 06. 1982, – 6 RKa 1/81 –, juris Rn. 16. 46 Vgl. BSG, Urteil vom 16. 07. 2003, – B 6 KA 45/02 R –, juris Rn. 30. 47 Siehe etwa BSG, Urteil vom 01. 03. 1979, – 6 RKa 4/78 –, juris Rn. 17. 48 So die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines GSG, BT-Drs. 12/3608 S. 100; zur Pauschalierung BSG, Urteil vom 01. 03. 1979, – 6 RKa 4/78 –, juris Rn. 16 und BSG, Urteil vom 09. 06. 1982, – 6 RKa 1/81 –, juris Rn. 16. 49 Andeutungsweise ebenso BSGE 95, 199 (211).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Forderungen nach § 106 SGB V zeigt das Bestehen eines in sich geschlossenen, umfassenden Systems der Wirtschaftlichkeitssicherung in der GKV. Dieses wird daraufhin untersucht, inwieweit Kosten-Nutzen-Bewertungen nach den bestehenden rechtlichen Grundlagen bereits Auswirkungen auf den Leistungsumfang der GKV haben können und auf welche Weise derzeit die Umsetzung der Wirtschaftlichkeit erfolgt. Bei der Frage des Anwendungsbereiches und der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsprinzips geht es aufgrund der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit aus der Gegenüberstellung von Aufwand (Kosten) und Wirkung (Nutzen) letztlich um die Frage des Einflusses von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf den Leistungsumfang der GKV.50 Anhand der Herleitung des Wirtschaftlichkeitsprinzips, seiner systematischen Auslegung sowie seiner Umsetzung ist daher zu prüfen, inwieweit KostenNutzen-Bewertungen zur Konkretisierung des § 12 Abs. 1 SGB V und damit des Leistungsumfangs der GKV herangezogen werden können. Es bedarf aus diesem Grund einer genaueren Analyse, in welchem Umfang Wirtschaftlichkeitserwägungen einen Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung ausschließen, beschränken bzw. modifizieren können, um den Einfluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf den Leistungsumfang der GKV zu bestimmen.
B. Rechtsprechungsanalyse zum Anwendungsbereich von Wirtschaftlichkeitserwägungen Der bestehende Einfluss von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten kann anhand einer Analyse der Rechtsprechung zum Wirtschaftlichkeitsgebot der GKV betrachtet werden, um zu beurteilen, in welchem Umfang Kosten-Nutzen-Bewertungen bereits seit Jahren bei der Leistungsumfangsbestimmung der GKV eine Rolle spielen. Im Hinblick auf die gewählte methodische Herangehensweise sind hierbei allerdings einige Aspekte zu berücksichtigen: Bis zur Entscheidung des BSG im Jahr 1997 wurde die Feststellung der Wirtschaftlichkeit größtenteils im Einzelfall entschieden, sodass im Streitfall die Sozialgerichte die Wirtschaftlichkeit einer Versicherungsleistung festzustellen hatten.51 Aus den Jahren vor dieser Entscheidung stammen aus diesem Grund die für die 50 Bußmann-Weigl, Die Begriffe des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit, in: Reimer/ Schnitzler (Hrsg.), Gesundheitsrecht und Krankenversicherung, S. 47 ff. (49); ebenso im Hinblick auf „wirtschaftlich“ als Unterkriterium des Wirtschaftlichkeitsgebots des § 12 Abs. 1 SGB V Katzenmeier, Kostendruck und Standard medizinischer Versorgung, in: Greiner/Gross/ Nehm/Spickhoff (Hrsg.), Neminem laedere, S. 237 ff. (241), der meint, dass hiermit die günstigste Kosten-Nutzen-Relation gefordert würde, gleichzeitig allerdings davon ausgeht, dass diese Bewertung nur innerhalb des medizinischen Standards erfolgen dürfe. 51 Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 5; unter anderem bspw. BSGE 81, 54 (65 f.) und Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 63 f.
B. Rechtsprechungsanalyse
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Anwendung des Wirtschaftlichkeitsprinzips grundlegenden Entscheidungen. Zwar hatte bereits in den 1980er Jahren ein „Ausschuss für Untersuchungs- und Heilmethoden“ mittels Stellungnahmen nach § 23 Abs. 2 BMV-Ä regelmäßig die Prüfung der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit von neuen Heilmethoden übernommen, in dieser Zeit lehnte das BSG jedoch eine Bindungswirkung der Feststellungen des Ausschusses zur Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit noch ab. In Einzelfällen wurde daher, trotz der schon in dieser Zeit bestehenden Verlagerung der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf die Selbstverwaltung, eine volle gerichtliche Überprüfung durchgeführt.52 Aus dieser Zeit finden sich daher im Vergleich zu heute vermehrt Urteile des BSG, in welchen es – entgegengesetzt zur Auffassung des Ausschusses – annahm, dass die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer medizinischen Methode gegeben sei.53 Dies ist heute aufgrund der von den Gerichten angenommenen begrenzten Kontrolldichte jedenfalls seltener der Fall.54 Insbesondere im Rahmen von Entscheidungen zu Heilmethoden ohne gesicherte und allgemein anerkannte generelle Wirksamkeit und im Hinblick auf die Gewährung von Hilfsmitteln finden sich gerichtliche Ausführungen zum Wirtschaftlichkeitsprinzip.55 Hinsichtlich letzteren dürfte dies unter anderem auch auf die einfachere und bessere Möglichkeit, den Nutzen festzustellen, zurückzuführen sein. Wegen der nicht ausdrücklichen Nennung des Wirtschaftlichkeitsgebots in § 33 Abs. 1 SGB V gelangt § 12 Abs. 1 SGB V bei der Leistung von Hilfsmitteln durch die GKV zur Anwendung.56 Die diesbezüglich getroffenen Aussagen lassen sich daher verallgemeinern. Aufgrund der Beschränkung von Gerichtsentscheidungen zur Wirtschaftlichkeit auf konkrete Einzelfallgestaltungen, der beschränkten Bindungswirkung und Begrenzung des Prüfungsrahmens auf einzelne medizinische Methoden sowie der grundsätzlichen Konkretisierung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 SGB V durch den GBA, ist ein Rückschluss von den gerichtlichen Ausführungen auf einen diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Grundsatz57 weder in jedem Detail zwingend noch abschließend. Eine Linie, in welchem Rahmen KostenNutzen-Erwägungen angestellt werden, lässt sich hieraus jedoch ablesen.
52
BSG, Urteil vom 22. 07. 1981, – 3 RK 50/79 –, BSGE 52, 70 (73 f.). BSG, Urteil vom 22. 07. 1981, – 3 RK 50/79 –, BSGE 52, 70 (73 f.). 54 Zur Kontrolldichte und ihrer Entwicklung in der Rechtsprechung instruktiv Engelmann, Die Kontrolle medizinischer Standards durch die Sozialgerichtsbarkeit, MedR 2006, S. 245 ff. (250). 55 Auf diese verweist das BSG zur Beurteilung des Vorliegens von therapeutischen Vorteilen selbst und sieht somit eine Übertragbarkeit auch auf andere Bereiche der Leistungserbringung als gegeben an, BSG, Urteil vom 31. 05. 2006, – B 6 KA 13/05 R –, juris Rn. 74. 56 Vgl. etwa BSG, Urteil vom 21. 11. 1991, – 3 RK 43/89 –, juris Rn. 12. 57 Eine ausdrückliche Herleitung des Wirtschaftlichkeitsprinzips ist durch die Gerichte bisher nicht erfolgt, ebenso fehlt es an einer konkreten Bestimmung des Anwendungsrahmens von Wirtschaftlichkeitserwägungen. 53
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
I. Beginn der Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots Während in den 1960er und bis zum Ende der 1970er Jahre das Augenmerk des BSG im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung noch auf der Bedeutung der Begriffe „ausreichend“, „zweckmäßig“ und „das Maß des Notwendigen nicht überschreitend“ lag,58 wandte sich das Gericht ab dem Jahr 1979 vermehrt auch der Frage zu, ob Wirtschaftlichkeitserwägungen eine dem Nutzen untergeordnete Rolle zu spielen haben oder in gleicher Weise relevant sind. Von der Rechtsprechung ist bereits früh angenommen worden, dass hinsichtlich der in § 12 SGB V enthaltenen Kriterien eine Prüfungsreihenfolge einzuhalten sei.59 Hieraus wurde gleichzeitig eine abgestufte Relevanz der Kriterien hergeleitet. Trotz der gestuften Prüfungsfolge nimmt das BSG aber in einem Teilbereich der Bestimmung des Umfangs der Leistungserbringung an, dass eine Abwägung zwischen Kosten und Nutzen erfolgen könne. Die Annahme des BSG, dass Wirtschaftlichkeitsaspekte auf den Leistungsumfang der GKV von Einfluss sind, beginnt indes eher zaghaft. Eigentlich geht es ihm zu Beginn seiner Beschäftigung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot im engeren Sinne vielmehr um die stärkere Betonung der Versicherteninteressen gegenüber Wirtschaftlichkeitserwägungen als darum, letztere zur Geltung zu bringen. Konkret führt das BSG aus, dass im Rahmen des bei der Ausstattung eines Hilfsmittels und damit bei der konkreten Auswahl einer medizinischen Methode bestehenden Ermessens der Krankenkassen nicht nur deren wirtschaftliche und verwaltungsmäßige Interessen berücksichtigt werden dürften, sondern auch das Interesse des Versicherten in Rechnung zu stellen und mit dem Interesse der Krankenkasse abzuwägen sei.60 Diese Interessenabwägung stellte das BSG erstmals hinsichtlich zweier gleich nützlicher Ausstattungsarten eines Hilfsmittels an – im konkreten Fall der Gewährung von Akkuzellen oder Batterien zusätzlich zu einem Hörgerät. Diesen Ausführungen kann entnommen werden, dass der Ausgleich zwischen den unterschiedlichen in der GKV kumulierten Interessen in Form einer Abwägungsentscheidung erfolgt. Der angenommene Ermessensspielraum, in welchem diese Abwägung verortet wurde, war und ist hinsichtlich der Gewährung von medizinischen Leistungen durch die GKV jedoch nicht gesetzlich geregelt. Hergeleitet wurde er daraus, dass beide Methoden auf die gleiche Art und Weise den medizinischen Bedarf decken würden.61 Die Beschränkung des Anwendungsbereichs von Wirt-
58
So etwa BSG, Urteil vom 07. 12. 1966, – 6 RKa 6/64 –, BSGE 26, 16 (20). Bspw. nahm das BSG an, dass wirtschaftliche Erwägungen nur zum Tragen kommen könnten, wenn überhaupt eine Krankheit vorliegt und daher Leistungen der GKV in Frage stehen, vgl. BSG, Urteil vom 13. 02. 1975, – 3 RK 68/73 –, BSGE 39, 167 (169 f.). 60 BSG, Urteil vom 18. 05. 1978, – 3 RK 47/77 –, BSGE 46, 183 (185). 61 BSG, Urteil vom 18. 05. 1978, – 3 RK 47/77 –, BSGE 46, 183 (185). 59
B. Rechtsprechungsanalyse
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schaftlichkeitserwägungen auf gleich nützliche Methoden bzw. Mittel ist bei einer derartigen Herleitung verständlich.
II. Gesamtbilanz von Kosten und Nutzen In den Jahren 1979 und 1981 ging das BSG anlässlich einer Entscheidung zum Kostenausgleich zwischen einem Träger der Sozialhilfe und einer Krankenkasse über diesen zunächst gewählten Ansatz hinaus. Im Hinblick auf die Gewährung der „Hippotherapie“ urteilte es, dass es zur Feststellung der ausreichenden, zweckmäßigen, das Maß des Notwendigen nicht übersteigenden und nicht unwirtschaftlichen Methode auf einen Vergleich des Nutzens der Methoden ankäme und dass auf deren jeweilige Kosten im Rahmen einer Gesamtbilanz abzustellen sei. Im konkreten Fall forderte es, die geistigen und körperlichen Fortschritte durch die Therapie mit den hypothetischen Fortschritten durch eine andere Therapie zu vergleichen.62 Zu diesem Ergebnis kam das Gericht, da es einen untrennbaren inneren Zusammenhang zwischen der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit einer Leistung sowie deren Wirtschaftlichkeit annahm. Der Aspekt der Wirtschaftlichkeit wurde allerdings auf einen Teilaspekt der Prüfung reduziert.63 Geeignete Behandlungsmethoden, die mit aufwendigeren Mitteln als andere letztlich zum gleichen Erfolg führen, seien nicht nur unzweckmäßig sondern auch unwirtschaftlich.64 Eine Entbindung „von der Verpflichtung, Feststellungen über eine ausreichende und zweckmäßige Leistungsgewährung zu treffen“, erfolge durch die Forderung der Wirtschaftlichkeit jedoch nicht.65 Mit einem Urteil aus dem Jahr 1981 führte das BSG diesen Gedankengang weiter und erklärte, dass zwischen den Kosten und dem Heilerfolg eine Relation zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit herzustellen sei.66 Die Wirtschaftlichkeit eines Mittels sei jedenfalls dann nicht gegeben, wenn dieselbe Wirkung (gemeint ist hiermit der Nutzen der medizinischen Methode) mit weniger aufwendigen Mitteln für die Versichertengemeinschaft und damit für die GKV in vergleichbarer Zeit erreicht werden könne.67
62 BSG, Urteil vom 07. 11. 1979, – 9 RVi 2/78 –, juris Rn. 15; BSG, Urteil vom 22. 09. 1981, – 11 RK 10/79 –, BSGE 52, 134 (139). Der Vergleich mit hypothetischen Fortschritten bei Anwendung einer anderen medizinischen Methode ist darauf zurückzuführen, dass hier über die Kostenerstattung nach bereits erfolgter Anwendung der Hippotherapie entschieden wurde. 63 BSG, Urteil vom 07. 11. 1979, – 9 RVi 2/78 –, juris Rn. 15. 64 BSG, Urteil vom 07. 11. 1979, – 9 RVi 2/78 –, juris Rn. 15 unter jedoch leer gehendem Verweis auf BSGE 26, 16 (20). Hier wird indes auf eine Entscheidung des BSG vom 29. 5. 1963, – 6 RKa 24/59 –, BSGE 17, 79 weiter verwiesen, in der sich auf S. 84 erstmalig ein derartiger Ansatz erkennen lässt, ohne jedoch die hieraus 1981 gezogene weitergehende Konsequenz zu ziehen. 65 BSG, Urteil vom 07. 11. 1979, – 9 RVi 2/78 –, juris Rn. 15. 66 BSG, Urteil vom 22. 07. 1981, – 3 RK 50/79 –, BSGE 52, 70 (75). 67 BSG, Urteil vom 22. 07. 1981, – 3 RK 50/79 –, BSGE 52, 70 (75 f.).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Das BSG forderte jedoch, dass vor der Anstellung von Wirtschaftlichkeitserwägungen eine Feststellung darüber getroffen werden müsse, ob eine ausreichende und zweckmäßige Leistungsgewährung in diesem Bereich bestehe. Nur bei der Annahme dieser beiden Voraussetzungen hinsichtlich mehrerer medizinischer Methoden sei ein Preisvergleich angezeigt.68 Trotz dieser vom BSG eingeführten Überlegungen zur Angemessenheit des Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen einer medizinischen Methode im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsprinzips ist zu konstatieren, dass es diesen Vergleich nur in Bezug auf medizinische Methoden mit einer vergleichbaren Wirkung angestellt hat. Demnach kann zwar bei gewissen Vorzügen einer medizinischen Methode gegenüber einer anderen, weniger nützlichen Methode der letzteren infolge eines besseren Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Vorzug eingeräumt werden. Dies gilt jedoch nur, wenn beide medizinischen Methoden sich zuvor bereits als ausreichend, zweckmäßig und notwendig erwiesen haben und ihre Wirkung vergleichbar ist. In seinem einige Jahre später folgenden „Optacon-I“ Urteil stellte das BSG fest, dass ein Anspruch auf Gewährung eines Hilfsmittels zum Ersatz der Sehfunktion nicht anzunehmen sei, wenn ein anderes Hilfsmittel zur Verfügung stünde, welches das Informationsbedürfnis in annährend gleichem Umfang mit geringeren Kosten zu befriedigen vermöge.69 Hierbei wich das BSG von seiner zuvor vorgenommenen Trennung der einzelnen Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 SGB Vab und ordnete den Aspekt der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne der Prüfung der Notwendigkeit einer medizinischen Methode zu. Damit weichte es die einige Jahre zuvor angedeutete gestufte Prüfungsreihenfolge der Merkmale ausreichend, zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich weiter auf. Die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit, welche in § 12 Abs. 1 S. 2 SGB V getrennt aufgezählt werden, wurden auf eine gemeinsame Fragestellung reduziert.70 Mit diesen Ausführungen implizierte das BSG allerdings nicht, dass bei Annahme einer ausreichenden, zweckmäßigen und damit nach der Rechtsprechung grundsätzlich eigentlich notwendigen Leistung, eine medizinische Methode als nicht notwendig abgelehnt werden könne, weil sie zu hohe Kosten hervorrufe. Die aus den beiden dargestellten Entscheidungen herrührende Differenzierung zwischen ersetzenden und ergänzenden Hilfsmitteln zeigt mit am deutlichsten, wann das BSG Wirtschaftlichkeitserwägungen als relevantes, vergleichendes Kriterium zwischen zwei medizinischen Methoden zulässt. Wirtschaftlichkeitserwägungen sollen demnach zum Tragen kommen, wenn es sich um Hilfsmittel derselben
68
BSG, Urteil vom 07. 11. 1979, – 9 RVi 2/78 –, SGb 1980, S. 357 ff. (358). BSG, Beschluss vom 14. 01. 1987, – 8 RK 45/85 –, juris Rn. 14 und 16. 70 BSG, Urteil vom 20. 05. 1987, – 8 RK 45/85 –, juris Rn. 14. Das BSG führt hierbei aus, dass bei der Inhaltsbestimmung des Begriffes der Notwendigkeit eine Kostenobergrenze zu berücksichtigen sei. Diese Ausführungen werden neben § 182b RVO ausdrücklich auch auf § 182 Abs. 2 RVO, den Vorgänger des § 12 Abs. 1 SGB V, bezogen. 69
B. Rechtsprechungsanalyse
151
Gruppe, im konkreten Fall die der ersetzenden Hilfsmittel, handelt.71 Im Falle eines Hilfsmittels mit ersetzender Funktion im Vergleich zu einem Hilfsmittel mit ergänzender Funktion geht das Gericht von einer Unvergleichbarkeit des Nutzens aus. Dies ist selbst dann der Fall, wenn das zu vergleichende Hilfsmittel grundsätzlich die Fähigkeit desselben Organs ersetzt bzw. ergänzt.72 Die Anstellung von Wirtschaftlichkeitserwägungen ist bei einem Vergleich medizinischer Methoden aus unterschiedlichen Gruppen miteinander, von medizinischen Methoden mit einem deutlich divergierenden Wirkungsgrad, im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V demnach nicht möglich. Grundsätzlich muss nach Auffassung des BSG jedoch geprüft werden, ob auch mit einfacheren, auf dem Markt angebotenen Mitteln derselbe Effekt hätte erreicht werden können. Beispielsweise führte das BSG aus, dass zu prüfen wäre, ob eine „Klingelleuchte“, welche für Schwerhörige das akustische Türsignal in ein optisches Signal übersetzt, kostengünstiger durch eine einfachere Zusatzblitzlampe mit demselben Erfolg ersetzt werden könne.73 Wie weitreichend die Nutzenunterschiede für die Anstellung eines Vergleichs im Rahmen der Wirtschaftlichkeit noch sein dürfen, geht aus dieser Unterscheidung allerdings nicht eindeutig hervor.
III. Beschränkung der Wirtschaftlichkeitserwägungen auf unwesentliche Vorteile Mit dem Urteil „Optacon-II“ aus dem Jahr 1987 differenzierte das BSG seine Rechtsprechung zum Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V noch weiter aus. Es nahm ausdrücklich an, dass es dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspräche, wenn der Umfang und die Notwendigkeit eines teilweisen Ausgleichs der ausgefallenen Sehfunktion mit den hierdurch entstehenden Kosten in keinem angemessenen Verhältnis stünden.74 Daher sei eine Abwägung der Notwendigkeit bzw. Erforderlichkeit der medizinischen Maßnahme mit den Kosten vorzunehmen.75 Zwar werden bei einem wesentlichen Umfang der Verbesserung 71 BSG, Urteil vom 20. 05. 1987, – 8 RK 45/85 –, juris Rn. 14, ebenso BSG, Urteil vom 21. 11. 1991, – 3 RK 43/89 –, juris, Rn. 13. 72 Der Unterschied zwischen ersetzenden und ergänzenden Hilfsmitteln liegt in der Unmittelbarkeit bzw. Mittelbarkeit des Behinderungsausgleichs. Während ersetzende Hilfsmittel die Behinderung unmittelbar ausgleichen, die Körperfunktion zwar nicht wiederherstellen aber in der gleichen Art und Weise wirken, kompensieren ergänzende Hilfsmittel die Nachteile mittels anderer Funktionen als Folgenausgleich. Im Rahmen ersetzender Hilfsmittel sind nach der Rechtsprechung des BSG darüber hinaus Wirtschaftlichkeitserwägungen nur bei „tatsächlicher Gleichwertigkeit“ möglich, vgl. BSG, Urteil vom 25. 06. 2009, – B 3 KR 10/08 R –, juris Rn. 12, wobei in Rn. 14 diese Aussage jedoch weitestgehend relativiert wird. 73 BSG, Urteil vom 17. 09. 1986, – 3 RK 5/86 –, juris Rn. 16. 74 BSG, Urteil vom 16. 12. 1987, – 11a RK 1/86 –, juris Rn. 19. 75 BSG, Urteil vom 16. 12. 1987, – 11a RK 1/86 –, juris Rn. 19.
152
§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
auch höhere Kosten als gerechtfertigt angesehen,76 einen expliziten Vergleich mit einer anderen, ebenso ausreichenden und zweckmäßigen Methode nimmt das BSG diesbezüglich aber nicht vor. In weiteren, auf diese Entscheidung folgenden Urteilen setzte sich das BSG neben dem Nutzen immer wieder mit der Verhältnis- bzw. Unverhältnismäßigkeit von Nutzen und Aufwand auseinander und prüfte, ob der Nutzen einer Leistung in einem angemessenen Verhältnis zu dem hervorgerufenen Aufwand stünde.77 Das Ausmaß des Gebrauchsvorteils, also der konkrete Nutzen einer medizinischen Methode, müsse sowohl im Hinblick auf die Verbesserung des Zustandes als auch den Grad des zu vermeidenden Leidens in einer begründbaren Relation zu den hierdurch hervorgerufenen Kosten stehen.78 Aus diesem Grund müssten Feststellungen zum Umfang des Nutzens getroffen werden, um diesen anschließend mit den Kosten vergleichen zu können.79 Bei einem Nutzen in „annähernd gleichem Umfang“ hielt es das Gericht für erforderlich, bereits bei der Inhaltsbestimmung des Begriffes Notwendigkeit eine „Kostenobergrenze“ zu berücksichtigen.80 In weiteren Entscheidungen führte das BSG seine hiermit eingeschlagene Rechtsprechungslinie fort. So erklärte es etwa: „[…] dem SGB V kann nicht entnommen werden, daß der Versicherte unter gänzlicher Außerachtlassung des Verhältnisses von Nutzen und Kosten auch solche Hilfsmittel beanspruchen könne, die die Behinderung nur in geringfügigem Maße auszugleichen vermögen“81. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass das BSG Aspekte der Wirtschaftlichkeit – betrachtet man die verschiedenen Ebenen der Prüfungsstufen von § 12 Abs. 1 SGB V – jedenfalls im Falle der Geringfügigkeit des Nutzens bzw. seines Unterschiedes zu anderen medizinischen Methoden nicht nachrangig anwendet. Wirtschaftlichkeitserwägungen können im Falle geringfügiger Nutzenunterschiede somit den Ausschlag für die Entscheidung darüber geben, welche medizinische Methode zu gewähren ist. Im Falle eines nicht nur unwesentlichen Vorteils durch die medizinische Methode, brachte das BSG hingegen Wirtschaftlichkeitsaspekte wiederholt und ausdrücklich nicht zum Tragen.82 Dem kann entnommen werden, dass seit etwa dem Beginn der 1980er Jahre Wirtschaftlichkeitsaspekte bei geringen Nutzenunterschieden vom BSG grundsätzlich für beachtlich gehalten worden sind. Bei einem deutlichen 76
BSG, Urteil vom 16. 12. 1987, – 11a RK 1/86 –, juris Rn. 19. So etwa BSG, Urteil vom 12. 10. 1988, – 3/8 RK 36/87 –, juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 12. 10. 1988, – 3/8 RK 36/87 –, juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 17. 01. 1996, – 3 RK 16/95 –, juris Rn. 16, NZS 1996, S. 526 f. (527). 78 BSG, Urteil vom 12. 10. 1988, – 3/8 RK 36/87 –, juris Rn. 19. 79 BSG, Urteil vom 17. 01. 1996, – 3 RK 16/95 –, juris Rn. 16, NZS 1996, S. 526 f. (527). 80 BSG, Urteil vom 20. 05. 1987, – 8 RK 45/85 –, juris Rn. 14, wortgleich der in dieser Sache vorhergehende Beschluss des BSG vom 14. 01. 1987, juris Rn. 16. 81 BSG, Urteil vom 21. 11. 1991, – 3 RK 43/89 –, juris Rn. 15. 82 BSG, Urteil vom 16. 04. 1998, – B 3 KR 9/97 R –, juris Rn. 22. 77
B. Rechtsprechungsanalyse
153
Nutzenvorteil lehnte das BSG indes einen Ausschluss der besseren medizinischen Methode aufgrund von Wirtschaftlichkeitserwägungen ab. Diese Beschränkung der Anwendung von Wirtschaftlichkeitserwägungen bei funktionellen Verbesserungen bzw. einer Wesentlichkeit des Vorteils leitet das BSG unter anderem aus dem Krankheitsbegriff her,83 aus welchem sich ergebe, dass unerhebliche Störungen der natürlichen Körperfunktion keinen Anspruch auf Leistungen der GKV begründen würden.84 Das BSG wandte die von ihm im Hinblick auf § 12 Abs. 1 SGB V hergeleiteten Grundsätze vor allem im Rahmen von Hilfsmitteln an. In diesem Bezug führte es aus, dass ein Hilfsmittel insbesondere dann unwirtschaftlich sei, wenn eine Behinderung nur in unwesentlichem Umfang ausgeglichen werde oder wenn es an einer begründbaren Relation zwischen Kosten und Gebrauchsvorteil fehle.85 Das BSG hält daher Ansprüche auf teure Hilfsmittel für ausgeschlossen, sofern eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist.86 Eingeschlossen vom Versorgungsauftrag der GKV sei eine kostenaufwendigere Versorgung hingegen dann, wenn durch diese eine Verbesserung bedingt werde, die einen wesentlichen Vorteil gegenüber der kostengünstigeren Alternative biete.87 Der Mehraufwand müsse im Vergleich zu einer kostengünstigeren Versorgung durch hinreichend funktionelle Nutzungsvorteile gerechtfertigt sein.88 Eine Grenze des Anspruchs auf Krankenbehandlung aus dem SGB V besteht indes insbesondere dann, wenn eine geringfügige Verbesserung durch eine auf breitem Feld anwendbare Maßnahme völlig außer Verhältnis zur Belastung der Versichertengemeinschaft stünde.89 An dieser Stelle betont das BSG – neben der Relevanz des Grades der Nutzenverbesserung im Rahmen eines Kosten-NutzenVergleichs – die Notwendigkeit der Beachtung der Kostenakkumulation aufgrund der Häufigkeit der Verwendung der medizinischen Methode. Insoweit hält das BSG die vom IQWiG als Ausgaben-Einfluss-Analyse bezeichnete Betrachtung der Auswirkungen der Leistungsaufnahme auf die Gesamtausgaben der GKV für einen relevanten Faktor bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit.
83
BSG, Urteil vom 21. 11. 1991, – 3 RK 43/89 –, juris Rn. 15. Im Umkehrschluss so BSGE 35, 105 (106). 85 BSG, Urteil vom 23. August 1995, – 3 RK 7/95 –, juris Rn. 19 und 26; BSG Urteil vom 21. 11. 1991, – 3 RK 43/89 –, juris Rn. 15; BSG, Urteil vom 17. 01. 1996, – 3 RK 16/95 –, NZS 1996, S. 526 f. (527); BSG, Urteil vom 16. 04. 1998, – B 3 KR 9/97 R –, juris Rn. 22. 86 BSG, Urteil vom 16. 04. 1998, – B 3 KR 6/97 R –, juris Rn. 21; BSG, Urteil vom 06. 06. 2002, – B 3 KR 68/01 R –, juris Rn. 13. 87 BSG, Urteil vom 17. 12. 2009, – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170 (178). 88 BSG, Urteil vom 17. 12. 2009, – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170 (187 f.). 89 BSG, Urteil vom 16. 04. 1998, – B 3 KR 6/97 R –, juris Rn. 17. 84
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
IV. Systemrelevante Grenzen von Wirtschaftlichkeitserwägungen Eine weitere Grenze für Wirtschaftlichkeitserwägungen hat das BSG im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf das Gesamtsystem der GKV gezogen. Konkret entschieden hat es dies für einen Fall, in dem sich eine marktwirtschaftliche Konkurrenz preisgünstiger ausländischer Kliniken auf das Krankenversicherungssystem nicht nur kostendämpfend, sondern auch gefährdend hätte auswirken können.90 Die Leistungsfähigkeit inländischer, grenznaher Krankenhäuser wäre gefährdet, wenn alleine die niedrigeren Kosten es rechtfertigen würden, einen Versicherten im Ausland auf Kosten der GKV behandeln zu lassen. Dieser Ansicht nach kann ein zu starker Einfluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen bzw. ein nicht ausreichend vorausschauender Umgang mit diesen das System der GKV angesichts der Notwendigkeit, ausreichend Leistungspotential vorzuhalten, sogar gefährden. Ein umfassender Ausgleich hat nach Ansicht des BSG daher auch Aspekte zu berücksichtigen, die in sonstiger Weise für das System der GKV von Relevanz sind. Letztlich lassen sich aber auch diese Erwägungen auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und die daraus folgende Notwendigkeit, ausreichende Leistungen jederzeit gewähren zu können, zurückführen. Hierauf beruht die Notwendigkeit, eine medizinische Infrastruktur vorzuhalten. Inwieweit diese Gesichtspunkte in die Abwägung einzufließen haben, ist zu einem großen Teil davon abhängig, um welche konkrete medizinische Behandlung es geht und inwieweit hiervon die Notwendigkeit, diese vorzuhalten, überhaupt betroffen ist. Besondere Relevanz ist dem im Bereich der Krankenhausversorgung beizumessen. Ähnliche Erwägungen lassen sich ebenso bei medizinischen Großgeräten anstellen. Diesem speziellen Bereich wird in Anbetracht der allgemeinen Ausrichtung der Arbeit auf Kosten-Nutzen-Bewertungen in der GKV jedoch nicht weiter nachgegangen.
V. Zu berücksichtigende Faktoren Bei der Durchführung eines Kosten-Nutzen-Vergleichs im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V müssen nach Ansicht des BSG die Alternativen zu der zu beurteilenden medizinischen Behandlung berücksichtigt werden. Hierbei ist die Möglichkeit der späteren Kostenersparnis durch eine stärkere Verbesserung des Gesundheitszustandes infolge der Anwendung einer wirksameren Methode zu beachten, um eine aussagekräftige Entscheidung über das Kosten-Nutzen-Verhältnis treffen zu können.91 Art, Dauer und Nachhaltigkeit des Heilerfolges sind daher im Rahmen des Nutzens zu berücksichtigen. Das BSG legt in Bezug auf den Nutzen einer medizinischen Methode insoweit den Mindestumfang der im Rahmen einer Kosten-Nutzen90
BSG, Urteil vom 28. 06. 1983, – 8 RK 22/81 –, BSGE 55, 188 (194). BSG, Urteil vom 17. 01. 1996, – 3 RK 16/95 –, juris Rn. 16, andeutungsweise auch in BSGE 52, 70 (75 f.); 52, 134 (139). 91
B. Rechtsprechungsanalyse
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Bewertung zu ermittelnden Fakten dar, die auf das Bewertungsergebnis von Einfluss sein können. Darüber hinaus müssen nach Ansicht des BSG bei der Gewährung von Leistungen unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit auch die Auswirkungen auf das Gesamtsystem der GKV betrachtet werden, um nicht zu punktuellen Zufallsergebnissen zu gelangen.92 Den Blickwinkel der Kosten-Nutzen-Bewertung sieht das BSG demnach als auf die GKV bezogen. Innerhalb der GKV sind jedoch die Kosten sämtlicher Teilbereiche zu beachten. Reine Kostenverschiebungen, weil es sich letztlich dennoch um Kosten der GKV handelt, können keine Auswirkungen auf das Abwägungsergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung haben.
VI. Relevanz der Nutzenvorteile Hinsichtlich der Frage, welche Wirkungen einen deutlichen Nutzenvorteil ausmachen, ist der Rechtsprechung zufolge darauf abzustellen, dass gegenüber der kostengünstigeren Alternative im Falle von Hilfsmitteln wesentliche Gebrauchsvorteile vorliegen müssen. Die Funktionalität muss erhöht sein. Innovationen, die in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort steigern, können höhere Kosten hingegen nicht rechtfertigen.93 Gleiches gilt auch für ästhetische Vorteile, die grundsätzlich nicht der Zwecksetzung der GKV entsprechen.94 Ob ein Vorteil als wesentlich einzustufen ist, soll auch davon abhängen, in welchem Lebensbereich der funktionale Vorteil wirkt.95 Die Beschränkung der Einbeziehung von Nutzenvorteilen im Hinblick auf ihren Wirkungsbereich ist auf die „begrenzte“ Funktion bzw. Zwecksetzung der GKV – Krankenbehandlungen zu gewähren – zurückzuführen. Vorteile außerhalb dieses Zweckes sind nicht im Rahmen eines Kosten-NutzenVergleichs berücksichtigbar, da sie nicht dem die Beitragserhebung rechtfertigenden Grund der Krankenbehandlung dienen.96 Neben dem Gesichtspunkt der Berücksichtigbarkeit bestimmter Wirkungen als Nutzen stellt das BSG bei der Gewichtung des Nutzens gegenüber den Kosten ebenso auf ihr Wirkungsfeld ab. Bei der Bewertung des Nutzens ist nicht allein der Grad der Verbesserung relevant, sondern auch die Bedeutung des Bereiches, in dem die Verbesserungen, wenn auch geringe, erzielt werden, ist in die Beurteilung mitein92
BSG, Urteil vom 28. 06. 1983, – 8 RK 22/81 –, BSGE 55, 188 (194). BSG, Urteil vom 06. 06. 2002, – B 3 KR 68/01 R –, NZS 2003, S. 477 ff. (479); BSG, Urteil vom 16. 09. 2004, – B 3 KR 20/04 R –, BSGE 93, 183 (188 f.) und BSG, Urteil vom 17. 09. 2009, – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170 (178 f.). 94 BSG, Urteil vom 23. 07. 2002, – B 3 KR 66/01 R –, juris Rn. 20 zur Frage der Wirtschaftlichkeit einer Echthaarperücke aus europäischem Haar. 95 LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09. 03. 2011, – L 9 KR 302/07 –, juris Rn. 26. 96 Vgl. Fastabend, Der Begriff der notwendigen Krankenbehandlung im SGB V, NZS 2002, S. 299 ff. (300). 93
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
zubeziehen.97 Als Nutzen sind nach Auffassung des BSG nur für die GKV relevante Wirkungen zu berücksichtigen. Ästhetische Vorteile sowie die Steigerung der Bequemlichkeit können hingegen nicht einbezogen werden. Das Verhältnis zu den anfallenden Kosten ist daher nur im Hinblick auf die gesundheitsrelevanten Wirkungen der medizinischen Methode zu beurteilen. Im Rahmen der Bewertung des Nutzens gegenüber den Kosten ist außerdem nicht allein auf die prozentuale Verbesserung abzustellen, sondern vielmehr in der Gewichtung des Nutzens gegenüber den Kosten ebenfalls zu berücksichtigen, in welchem Bereich die prozentuale Verbesserung auftritt. Sämtliche dieser Merkmale scheinen zwar nur geringe Vorteile zu erfassen bzw. nur andere, grundsätzlich nicht von dem Leistungszweck der GKV umfasste Vorteile auszuschließen. Betrachtet man jedoch die konkreten Anwendungsfälle, zeigt sich, dass der Bereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen auch im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V nicht so marginal ist, wie es zunächst den Anschein haben mag: Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz urteilte etwa, dass es einem an Diabetes mellitus Typ I erkrankten Versicherten – es sei denn er erfüllt bestimmte medizinische Indikationen – zuzumuten sei, sich fünf Mal täglich Insulin zu spritzen. Die Gewährung einer um 3.000 E jährlich teureren Insulinpumpe sei nach dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Kosten und Nutzen aus § 12 Abs. 1 SGB V ausgeschlossen.98 Etwaige durch die Verwendung der Insulinpumpe bewirkte Verbesserungen der Möglichkeit, Sportaktivitäten nachzugehen, stellten kein Grundbedürfnis des täglichen Lebens dar. Deshalb können diese Verbesserungen in die Beurteilung der Frage, ob ein wesentlicher Vorteil vorliegt, nicht einfließen.99 Das Anwendungsfeld der Durchführung eines Kosten-Nutzen-Vergleichs wird, wenn bestimmte Kriterien die Beurteilung der Wesentlichkeit eines Vorteils nicht beeinflussen können, somit automatisch größer. Wann ein unwesentlicher Vorteil im Gegensatz zu einem wesentlichen Vorteil konkret anzunehmen ist, hat das BSG bisher allerdings nicht entschieden. Der tatsächliche Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Abwägungen im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V ist daher durch die Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Bis zu welchem Grad an Unterschieden der Nutzen einer Therapie mit einer anderen noch vergleichbar ist, ist demzufolge nicht trennscharf entschieden. In der Literatur wird bis dato davon ausgegangen, dass im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V ein kostenbezogener Ausschluss von Maßnahmen mit gewissem medizinischem Zusatznutzen auf Extremfälle beschränkt sei, also auf Fälle, in denen sehr geringe
97
Vgl. BSG, Urteil vom 03. 11. 1999, – B 3 KR 3/99 R –, juris Rn. 13 f., zur Frage der elementaren Bedeutung einer Verbesserung durch Mikroportanlagen bei Erwachsenen im Gegensatz zu Kindern. 98 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. 01. 2010, – L 5 KR 126/09 –, juris Rn. 13 f. 99 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. 01. 2010, – L 5 KR 126/09 –, juris Rn. 15.
B. Rechtsprechungsanalyse
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Zusatznutzen mit hohen finanziellen Mitteln erkauft werden müssten.100 Definiert man „Rationierung“, wie vielfach vorgeschlagen, so, dass jede Herausnahme von medizinisch notwendigen oder zumindest sinnvollen Leistungen aus dem Leistungskatalog der GKV hierunter fällt,101 stellt aber selbst das in § 12 SGB V geregelte Grundprinzip der GKV eine Form der Rationierung dar. § 12 Abs. 1 SGB V fordert zumindest bei geringen Nutzenunterschieden die Berücksichtigung von Kostenaspekten. Der Rechtsprechung können einige Grundsätze im Hinblick darauf entnommen werden, welche Nutzenunterschiede noch einen Vergleich bzw. keinen Vergleich mehr mit den hierfür zu erbringenden Kosten zulassen: Erstens ist grundsätzlich eine Vergleichbarkeit des Nutzens zweier unterschiedlicher Methoden nur dann anzunehmen, wenn beide auf dasselbe konkrete Behandlungsziel im Sinne von § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V gerichtet sind. Ein Vergleich ist daher nur zwischen Methoden möglich, die entweder der Heilung, Verhütung der Verschlimmerung oder Linderung der Krankheitsbeschwerden dienen.102 Eine kurative Methode kann demzufolge nicht mit einer palliativen Methode im Rahmen eines Kosten-Nutzen-Vergleichs nach § 12 Abs. 1 SGB V verglichen werden. Selbst wenn eine Linderung über viele Jahre kostengünstiger ist, kann ein Patient nicht aus Kostengründen auf diese verwiesen werden, wenn die Möglichkeit einer vollständigen Heilung besteht. Bei Existenz einer die Krankheit heilenden Methode oder wenn eine Verschlimmerung verhütet werden kann, darf nicht aus Kostengründen auf eine lediglich die bestehenden oder spätere Krankheitsbeschwerden lindernde Behandlung verwiesen werden. Zweitens stellt der Wirkungsbereich des Nutzens, wie bereits dargestellt wurde, einen weiteren Maßstab für die Frage der Vergleichbarkeit dar. Wie weit bei Vorliegen eines Nutzens im gleichen Wirkungsbereich der Umfang dieses Nutzens für einen Kosten-Nutzen-Vergleich auseinander liegen kann, ist höchstrichterlich bisher aber nicht beantwortet. Das LSG Baden-Württemberg nannte als bis zum jetzigen Zeitpunkt einziges höherinstanzielles Gericht konkrete Zahlen zur Frage der Unwesentlichkeit eines Vorteils und konkretisierte auf diese Weise den Anwendungsbereich von KostenNutzen-Vergleichen im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V. Konkret nahm das Gericht im Bereich der Hörgeräteversorgung an, dass bei einer Hörverbesserung von 5 bis
100 Vgl. Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, DVBl. 2010, S. 1069 ff. (1072). 101 So Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, DVBl. 2010, S. 1069 ff. (1070); ebenso Schöne-Seifert, Verantwortungsprobleme in der medizinischen Mikroallokation, in: Sass (Hrsg.), Ethik und öffentliches Gesundheitswesen, S. 135 ff. (147 f.); Kühn, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 3 f. 102 BSG, Urteil vom 07. 11. 2006, – B 1 KR 24/06 R –, NJW 2007, 1385 ff. (1390).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
10 % keine signifikante Verbesserung vorliege.103 Bei dieser Beurteilung stellte es jedoch nicht allein auf die Angaben des Sachverständigen zum prozentualen Umfang der Verbesserung des Hörvermögens ab, sondern beurteilte den Verbesserungsgrad ebenfalls anhand der Bewertung des Betroffenen. Darüber hinaus berücksichtigte es die konkreten Umstände des Einzelfalls sowie die Notwendigkeit einer Hörverbesserung im konkreten Lebensbereich bei der Beurteilung der Wesentlichkeit. Einen Hauptansatzpunkt für die Beurteilung der Wesentlichkeit stellt nach dieser Rechtsprechung aber auch die prozentual bemessene höhere Nützlichkeit des Hörgerätes dar. Das LSG Berlin-Brandenburg nahm indes bei einer Steigerung des Hörvermögens im Rahmen des Sprechverstehens mit Störgeräuschen durch ein teureres Hörgerät von 10 bis 20 % eine wesentliche Verbesserung an, sodass die zusätzlichen Kosten durch die GKV getragen werden mussten.104 Bei Hörverbesserungen scheint die Grenze der Vergleichbarkeit nach Ansicht der Gerichte damit bei einer prozentualen Differenz von 10 % zu liegen. Dass dies aufgrund von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bei anderen Erkrankungen/Beeinträchtigungen je nach Schweregrad aber eine geringere oder höhere Prozentzahl sein muss, ist, wenn auch durch die Gerichte bisher nicht entschieden, zu erwarten. Aufgrund der Dehnbarkeit der Begriffe „wesentlicher Vorteil“ bzw. „Vergleichbarkeit“ ist im Ergebnis die Durchführung einer Kosten-Nutzen-Bewertung von § 12 Abs. 1 SGB V weder ausgeschlossen, noch kann vollständig klar eruiert werden, wann von der Rechtsprechung eine solche Vergleichbarkeit angenommen wird.105 Hinsichtlich des zeitlichen Moments der Vergleichbarkeit existieren derzeit ebenfalls noch keine Entscheidungen. Aus diesem Grund ist nicht geklärt, inwieweit einzubeziehen ist, wie schnell der Nutzen bewirkt wird. Im Falle zweier unterschiedlicher medizinischer Methoden, die einen nach den oben genannten Kriterien vergleichbaren Nutzen hervorrufen, kann es sein, dass der Nutzen bei der einen medizinische Methode deutlich schneller – mehrere Wochen oder Monate vorher – eintritt als bei der anderen medizinischen Methode. Auch diesbezüglich ist indes die je-desto-Formel unter Ankoppelung an den Leidensdruck des Patienten anzuwenden. Bei hohem Leidensdruck ist demzufolge trotz höherer Kosten auf eine schneller wirkende Methode zurückzugreifen, bei geringem Leidensdruck können hingegen die Kosten den Ausschlag geben.106 103 LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. 10. 2009, – L 11 KR 1229/09 –, juris Rn. 39 und 40, NZS 2010, 559 ff. (560). 104 LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09. 03. 2011, – L 9 KR 302/07 –, juris Rn. 29. 105 Ähnlich Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), S. 152 ff. (169), zu der Möglichkeit des Leistungsausschlusses durch den GBA. 106 Zur Anwendbarkeit der je-desto-Formel aufgrund der „Prinzipienhaftigkeit“ des Ausgleichsmechanismus hinsichtlich der Zuteilung medizinischer Mindeststandards Ebsen, Verfassungsrechtliche Implikationen der Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen, NDV 1997, S. 71 ff. (77).
B. Rechtsprechungsanalyse
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Die miteinander in Ausgleich zu bringenden Kriterien sind schon allein hinsichtlich der Beurteilung der Frage der Vergleichbarkeit zweier medizinischer Methoden demnach vielfältig.
VII. Abkehr von Kosten-Nutzen-Bewertungen in jüngeren Entscheidungen? In den Jahren 2006 und 2009 ließ das BSG es offen, ob für die Verordnungsfähigkeit einer Leistung in der GKV neben der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zusätzlich ein Nachweis der Wirtschaftlichkeit im Sinne einer KostenNutzen-Bewertung zu fordern sei.107 Hierin ist jedoch keine Revision bzw. Rücknahme der zuvor geäußerten Ansicht zu sehen. In den Urteilen des BSG aus den Jahren 2006 und 2009 war nicht entscheidungsrelevant, ob auf nach dem Arzneimittelgesetz zugelassene Medikamente § 12 Abs. 1 SGB V noch zusätzlich anzuwenden ist.108 Das BSG nahm daher zu der von ihm grundsätzlich geklärten Frage, ob ein Vergleich der Kosten einer medizinischen Methode mit einem Nutzen im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V zum Leistungsausschluss einer wirksamen Methode führen kann, überhaupt nicht Stellung. Ebenso wenig impliziert die Verwendung des Begriffes „Kosten-Nutzen-Bewertung“ in den Entscheidungen indes, dass inzwischen ein weiterer Anwendungsrahmen von Wirtschaftlichkeitserwägungen angedacht würde. Die grundsätzliche Ansicht des BSG zur Anwendung von Kosten-Nutzen-Vergleichen im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V wird durch diese Entscheidungen daher nicht berührt.
VIII. Angemessene Relation zwischen Kosten und Nutzen Das BSG hält demzufolge grundsätzlich eine angemessene Relation zwischen Kosten und Nutzen für notwendig.109 Diese Relation begreift es als Ausfluss des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips, ohne näher zu konkretisieren, welche verfassungsrechtlichen Güter konkret zu einem Ausgleich zu bringen sind.110 Der Rechtsprechung ist der Grundsatz zu entnehmen, dass nicht jeder noch so geringe Nutzenvorteil bei hohen Kostendifferenzen wirtschaftlich ist, bei deutlichen Nutzenvorteilen aber durchaus höhere Kosten in Kauf genommen werden müssen.111 107
BSG, Urteil vom 06.05.09, – B 6 KA 3/08 R –, MedR 2010, S. 276 ff. (278); BSG, Urteil vom 31. 05. 2006, BSGE 96, 261 (275), diese Frage war angesichts der erfolgten Zulassung nach dem AMG sehr umstritten. 108 BSG, Urteil vom 06. 05. 2009, – B 6 KA 3/08 R –, MedR 2010, S. 276 ff. (278). 109 BSG, Urteil vom 16. 04. 1998, – B 3 KR 6/97 R –, juris Rn. 17 m.w.N. 110 BSG, Urteil vom 16. 12. 1987, – 11a RK 1/86 –, juris Rn. 19. 111 Vgl. BSG, Urteil vom 16. 09. 2004, – B 3 KR 20/04 R –, BSGE 93, 183 (188).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Wenn nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse mehrere gleich geeignete Behandlungsmethoden zur Verfügung stünden, dürfe eine Methode mit im Vergleich zu einer anderen Methode signifikant höheren Gesamtkosten weder beansprucht, noch bewirkt oder bewilligt werden.112 Bestünde im Einzelfall jedoch nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse nur eine Methode, so verdichte sich § 27 Abs. 1 SGB V zu einem Anspruch auf diese Behandlungsmaßnahme.113 Eine Einwirkung von Kostenaspekten bei Bestehen einer einzigen Behandlungsmethode schließt das BSG in seiner Rechtsprechung damit aus. Bei nur einer einzigen Methode, die eine reale Chance zur Erreichung des Behandlungszieles bietet,114 ergebe sich aus § 27 Abs. 1 SGB V ein Anspruch auf Heilbehandlung mit dieser Methode, unabhängig davon, ob eine lebensbedrohliche oder vergleichbar schwere Erkrankung vorliege.115 Dieses Ergebnis leitet das BSG nicht aus einer verfassungsrechtlichen Auslegung, sondern aus dem Grundgedanken des Leistungsrechts des SGB V her.116 Die Rechtsprechungsanalyse zeigt folglich, dass Kosten-Nutzen-Vergleiche zwar auch im Rahmen von § 12 Abs. 1 SGB V vorgenommen, diese jedoch als darauf beschränkt angesehen werden, dass der Nutzenunterschied zwischen den zu vergleichenden Methoden nicht allzu weit auseinander liegen darf.117 Das BSG geht ausdrücklich davon aus, dass Kosten-Nutzen-Vergleiche bei Bestehen eines besonders teuren, aber therapeutisch alternativlosen Arzneimittels mit zwar hohen Kosten, aber nur sehr begrenztem Nutzen von der Kompetenz des GBA nicht erfasst seien.118 Da der GBA das Wirtschaftlichkeitsgebot konkretisiert, sind nach Ansicht der Rechtsprechung auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 SGB V keine Kosten-NutzenBewertungen möglich, die über den Vergleich zweier notwendiger medizinischer Methoden hinausgehen. Der Rechtsprechung ist daher die Tendenz zu entnehmen, „kleine“ KostenNutzen-Bewertungen im Bereich geringer Zusatznutzen vorzunehmen. Bei alternativlosen medizinischen Ansätzen wurde eine derartige Abwägung demgegenüber abgelehnt. Die Alternativlosigkeit einer medizinischen Methode wird von der Rechtsprechung dann angenommen, wenn keine andere medizinische Methode existiert, die einen derartigen Nutzen hervorruft und deren Nutzen mit zumindest dem gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab nachgewiesen ist, wie der Nutzen der bereits anerkannten medizinischen Methode. Die Rechtsprechung stellt keine ab112
BSG, Urteil vom 20. 03. 1996, – 6 RKa 62/94 –, BSGE 78, 70 (85 f.). BSG, Urteil vom 20. 03. 1996, – 6 RKa 62/94 –, BSGE 78, 70 (85 f.). 114 Diese Voraussetzung ergibt sich aus § 2 Abs. 1 SGB V; auf § 2 Abs. 1a SGB V wird an späterer Stelle eingegangen und hier lediglich die Rechtsprechung des BSG referiert. 115 BSG, Urteil vom 20. 03. 1996, – 6 RKa 62/94 –, juris Rn. 54. 116 BSG, Urteil vom 20. 03. 1996, – 6 RKa 62/94 –, juris Rn. 54. 117 So im Ergebnis BSG, Urteil vom 17. 12. 2009, – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170 (178 f.) und andeutungsweise auch BSG; Urteil vom 31. 5. 2006, – B 6 KA 13/05 R –, BSGE 96, 261 (279). 118 BSG, Urteil vom 31. 05. 2006, – B 6 KA 13/05 R –, BSGE 96, 261 (270). 113
B. Rechtsprechungsanalyse
161
gestuften Anforderungen an den notwendigen Grad des Nutzennachweises – etwa auf der Grundlage der verschiedenen Evidenzmaßstäbe –119 auf, wenn die neue Methode im Gegensatz zur anerkannten einen deutlich geringeren Eingriff beinhaltet. Dies gilt selbst dann, wenn die zu gewährende medizinische Methode einen deutlich schwereren Eingriff notwendig macht, der zu schwereren Nebenwirkungen/ Komplikationen führen kann.120 Das hat zunächst einmal zur Folge, dass medizinische Methoden, deren Nutzenevidenz nicht mit dem höchsten Wahrscheinlichkeitsmaßstab nachgewiesen sind, nicht vergleichbar mit einer solchen medizinischen Methode sind, deren Evidenz derart nachgewiesen ist.121 Gleichzeitig kann dies aber auch dazu führen, dass die medizinische Methode mit anderen Methoden gerade doch noch vergleichbar ist. Dies gilt für den Fall, dass ein Zusatznutzen gegenüber dem bisher in einer Indikation erreichten Nutzen nicht mit entsprechender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann. Sollte ein höherer Nutzengrad der medizinischen Methode mangels Evidenz nicht nachgewiesen werden können, ist diese mit anderen noch vergleichbar und Kosten-Nutzen-Erwägungen können daher angestellt werden. Hieraus folgt eine gewisse Ambivalenz der Beurteilung der Maßstäbe des § 12 Abs. 1 SGB V. Natürlich lässt sich betonen, dass es hierbei um die Sicherstellung des Nutzenvorranges geht. Die Wirksamkeit müsse ausreichend sichergestellt sein, damit die medizinische Methode auf Kosten der GKV gewährt werden kann. Die Sicherheit des Patienten solle dadurch geschützt werden. Auffällig erscheint jedoch, dass hiermit gleichzeitig häufig teurere, innovative medizinische Methoden ausgeschlossen werden oder aber ein Kosten-Nutzen-Vergleich durchgeführt wird, obwohl dies bei strikter Befolgung der Beschränkung von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf vergleichbar nützliche Methoden nicht möglich wäre. Aufgrund des engen Verständnisses der Wirtschaftlichkeit käme die Rechtsprechung in einigen Fällen nicht dazu, Kostenerwägungen anzustellen, wenn nicht der Anwendungsbereich der Vergleichbarkeit des Nutzens stark von der Möglichkeit seines Nachweises abhängen würde. Es ist nicht zwingend, dass derartige Gesichtspunkte – ohne ausdrücklich den Einfluss von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten auf die GKV zu erhöhen – hiermit absichtlich doch berücksichtigt werden. Ein interessant zu beobachtender Zufall ist es aber dennoch. Ein vorläufiges Fazit im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Leistungen der GKV hat das BSG selbst gezogen: „Nicht jeder geringe Nutzungsvorteil ist bei hoher Kostendifferenz wirtschaftlich, bei deutlichen Nutzungsvorteilen müssten aber auch
119
BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 12/05 R –, juris Rn. 36. Zum Vergleich der Folgen einer Prostataektomie im Vergleich zur interstitiellen Brachytherapie siehe etwa Borchers, Permanent 125I-seed brachytherapy or radical prostatectomy, BJU International 94 (2004), S. 805 ff. 121 BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 12/05 R –, juris Rn. 29 ff. 120
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
entsprechend höhere Kosten in Kauf genommen werden“.122 Was dies konkret für die Abwägung von Nutzen und Kosten miteinander bedeutet, ist aber – wie meist – auslegungsfähig.
IX. Kritik/Zwischenergebnis Die Auffassung der Rechtsprechung hat in der Literatur – jedenfalls hinsichtlich ihres Ergebnisses – größtenteils Zuspruch gefunden. Die zum Anwendungsbereich des Wirtschaftlichkeitsgebots in der Literatur vertretenen Ansichten unterscheiden sich deshalb meist lediglich hinsichtlich kleinerer Details, abhängig davon, welcher „Rechtsprechungsphase“ gefolgt wird. Teile der Literatur haben aus den Vorgaben des § 12 Abs. 1 SGB Veine Art dreistufige bzw. vierstufige Prüfungsreihenfolge der Kriterien ausreichend, zweckmäßig, (notwendig) und wirtschaftlich entwickelt. Nach dieser Ansicht sind Wirtschaftlichkeitserwägungen erst im Rahmen der letzten Stufe und nur bei der Erfüllung der vorherigen Stufen durch mehrere medizinische Methoden einzubeziehen.123 Eine andere Ansicht fordert, eine Gesamtschau hinsichtlich sämtlicher Kriterien anzustellen, sodass im Rahmen der Frage der Angemessenheit der Leistung124 neben der Notwendigkeit auch wirtschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen können.125 Diese „Gesamtschau“ wird allerdings ebenso darauf beschränkt, dass die fraglichen Leistungen im Rahmen ihres Nutzens vergleichbar sein müssen, um einen Kosten-Nutzen-Vergleich durchführen zu können. Auch nach dieser Ansicht haben Wirtschaftlichkeitserwägungen daher keinen stärkeren Einfluss auf den Leistungsumfang der GKV. Nach der bisherigen126 allgemeinen Ansicht greift die in § 12 Abs. 1 SGB V erfolgte Beschränkung des Leistungsanspruches auf wirtschaftliche medizinische Methoden daher nur, wenn mehrere – an dieser Stelle unterscheiden sich allerdings 122
BSG, Urteil vom 31. 04. 2006, – B 6 KA 13/05 –, BSGE 96, 261 (282). Töns, Die Wirksamkeit des Arzneimittels, DOK 1980, S. 769 ff. (769); Günther, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der ärztlichen Verordnungsweise, S. 64; Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 64; dies., Kritische Überlegungen zum Wirtschaftlichkeitsbegriff im GRG, in v. Maydell (Hrsg.), Probleme sozialpolitischer Gesetzgebung, S. 117 ff. (126); Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 58; Steffen, Die Arzthaftung im Spannungsfeld zu den Anspruchsbegrenzungen des Sozialrechts für den Kassenpatienten, in: Brandner/Hagen/Stürner (Hrsg.), FS Geiß, S. 487 ff. (496); Neumann, Prioritätensetzung und Rationierung in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2005, S. 617 ff. (617); im Ergebnis so wohl BSGE 55, 188 (193); 78, 70 (85 f.). 124 Im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V ist Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne als angemessene Relation zwischen dem Nutzen und den hierfür erforderlichen Kosten zu verstehen, so ausdrücklich Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 185. 125 Vgl. Roters, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 40. 126 Dass es sich hierbei um eine „bisherige“ Ansicht handelt, wird in der Literatur an unterschiedlichen Stellen immer wieder betont, siehe etwa Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – zur normativen Funktion ihrer Bewertung, S. 29, ebenso BußmannWeigl, Die Begriffe des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit, in: Reimer/Schnitzler (Hrsg.), Gesundheitsrecht und Krankenversicherung, S. 47 ff. (53). 123
B. Rechtsprechungsanalyse
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bereits die Begrifflichkeiten – ähnlich „wirksame“, „gleich geeignete“ oder „vergleichbare“127 Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen.128 Sollten nicht mehrere in ihrer Wirksamkeit vergleichbare Behandlungsmethoden existieren, ist nach dieser Ansicht jegliche Behandlungsmethode – unabhängig davon, wie teuer und sinnvoll sie sein mag – von der GKV zu gewähren.129 Der nach medizinischen Kriterien zu bestimmende Bedarf stellt nach derzeitiger Anschauung daher die entscheidende Voraussetzung für die Leistungsgewährung der GKV dar.130 Die Kosten der Leistungsgewährung sind hingegen von untergeordneter Relevanz.131 Dem Wirtschaftlichkeitsgebot wird demzufolge tendenziell nur eine modale Funktion zugesprochen: Es soll der Erreichung der materiellen Ziele des Leistungsrechts und der allgemeinen Prinzipien der Leistungserbringung dienen.132 Bei Behandlungsmethoden, die in ihrer Wirkung „vergleichbar“ sind, wurden relativ bald nach der Einführung des Wirtschaftlichkeitsgebots aber Abwägungen zwischen den Nutzenvorteilen und den hierfür zusätzlich anfallenden Kosten angestellt. Diese Abwägung wird als Kosten-Nutzen-Vergleich bezeichnet. Aus gesundheitsökonomischer Sicht sind diese innerhalb von § 12 Abs. 1 SGB V durchgeführten Kosten-Nutzen-Vergleiche aufgrund ihres auf nahezu nutzengleiche medizinische Methoden beschränkten Anwendungsrahmens sowie angesichts der Art und Weise ihrer Durchführung allerdings eher als eine Form der Kosten-KostenAnalyse denn als ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse einzuordnen.133 Im Gegensatz zur Kosten-Nutzen-Analyse ist die Kosten-Kosten-Analyse darauf beschränkt, bei identisch vorteilhaften Maßnahmen einen reinen Kostenvergleich 127
Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), S. 152 ff. (168), wobei der Begriff „vergleichbar“ sich in der Rechtsprechung am häufigsten wiederfindet. 128 Vgl. Clemens, in: Schulin (Hrsg.), HS-KV, § 35 Rn. 17 f. m.w.N. 129 Vgl. Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 72 m.w.N. 130 Neumann, Prioritätensetzung und Rationierung in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2005, S. 617 ff. (617). 131 A.A. wohl Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 411, der davon ausgeht, dass es bei der Wirtschaftlichkeitsbewertung durch den GBA darum gehe, „das metaphysische Gut Gesundheit“ in eine ökonomische Rechengröße zu überführen, um die Nutzen einer medizinischen Maßnahme den verordnungshalber entstehenden Kosten gegenüberzustellen. „Nur bei einer positiven Bilanz wird eine Leistung Gegenstand zur verordnungsfähigen ärztlichen Behandlung i.S.d. § 28 SGB V.“ 132 Bieback, Effizienzanforderungen an das sozialstaatliche Leistungsrecht, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, S. 127 ff. (131). 133 Bei Kosten-Kosten-Analysen handelt es sich um separate Kosten-Ermittlungen von zwei oder mehreren Alternativen, bei welchen durch Gegenüberstellung der Kosten die kostengünstigere Alternative ermittelt wird, siehe Schöffski, Grundformen gesundheitsökonomischer Evaluationen, in: ders./v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 66 ff. (79).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
vorzunehmen.134 Eine Analyse des Verhältnisses von Kosten und Nutzen zueinander bedarf es bei einer Identität des Nutzens gerade nicht. Aus der Voraussetzung der bloßen Vergleichbarkeit und damit gerade fehlenden Identität des Nutzens für die im Rahmen von § 12 Abs. 1 SGB Vangestellten KostenNutzen-Vergleiche lässt sich jedoch schließen, dass die Kosten-Nutzen-Vergleiche doch über einen reinen Kostenvergleich hinausgehen. Sie tragen auch Züge einer Kosten-Nutzen-Bewertung in sich,135 sind aufgrund der Erfassung lediglich geringfügiger Nutzenunterschiede diesbezüglich jedoch nicht sonderlich weitgehend. Demzufolge versteht weder die Rechtsprechung noch die Literatur – trotz teilweise entgegenstehender Aussagen – das Wirtschaftlichkeitsgebot strikt als reines Minimalprinzip. Dieses ließe nur bei identischem Nutzen Kostenvergleiche zu. Die angestellten Kosten-Nutzen-Vergleiche bleiben aber aufgrund der Erfassung nur marginaler Nutzenunterschiede deutlich hinter der in § 35b SGB V geregelten Kosten-Nutzen-Bewertung zurück.136 Der Hauptunterschied zwischen den im Rahmen von § 12 Abs. 1 SGB V seit Jahren durchgeführten Kosten-Nutzen-Vergleichen und der in § 35b SGB V geregelten Kosten-Nutzen-Bewertung ist demnach, dass § 35b SGB V auch bei relevanten Vorteilen zur Anwendung gelangt. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass auf der Grundlage von § 35b SGB V nicht vornehmlich der Leistungskatalog inhaltlich konkretisiert wird, sondern Preisverhandlungen mit Pharmaunternehmen geführt werden. Darüber hinaus wird in § 12 Abs. 1 SGB V auch nicht auf gleichermaßen gesundheitsökonomisch geprägte Methoden zur Ermittlung und Bewertung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen zurückgegriffen, wie dies in § 35b SGB V der Fall ist. Im Rahmen der Leistungsumfangsbestimmung nach § 12 Abs. 1 SGB V spielen Kosten-Nutzen-Bewertungen derzeit aber insoweit eine Rolle, als für geringe Nutzenunterschiede zu bestimmen ist, welche Zusatzkosten hierfür noch aufzuwenden sind und ab welchem Betrag Kostengesichtspunkte überwiegen.137
134
Schöffski/Uber, Grundformen gesundheitsökonomischer Evaluationen, in: Schöffski/ v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 175 ff. (189). 135 Zur Unterscheidung der verschiedenen Kosten-Kosten, Kosten-Nutzen und KostenWirksamkeits-Analysen vgl. Schöffski, Grundformen gesundheitsökonomischer Evaluationen, in: ders./v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 76 ff. 136 A.A. Ekardt/Hyla/Meyer-Mews, Knappheit, Rationierung und Verteilungsentscheidungen beim Existenzminimum, NJ 2012, S. 25 ff. (26) und Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 411, die allerdings insoweit den derzeitig praktizierten Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 SGB V verkennen. 137 Zur Anwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne auch Bußmann-Weigl, Die Begriffe des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit, in: Reimer/Schnitzler (Hrsg.), Gesundheitsrecht und Krankenversicherung, S. 47 ff. (52), allerdings ohne die Beschränkung dieser und die Folgen für den Anwendungsrahmen der KostenNutzen-Bewertung in § 12 Abs. 1 SGB V herauszuarbeiten. Auf die weiterhin „anhaltende Brisanz“ der Zulässigkeit von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf Mikroallokationsebene hinweisend Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, S. 448.
B. Rechtsprechungsanalyse
165
Nach allgemeiner Ansicht fand im ethisch umstrittenen Bereich der Rationierung138 eine Kosten-Nutzen-Bewertung aufgrund der engen Interpretation des § 12 Abs. 1 SGB V nie statt.139 § 12 Abs. 1 SGB V stelle sich angesichts seiner Anwendung nur bei Erzielung der gleichen medizinischen Effekte mit weniger Mitteln als Form der Rationalisierung dar.140 Diese ist im Gegensatz zur Rationierung positiv konnotiert, da sie lediglich eine Einsparung von Überflüssigem bewirkt. Dennoch hält sich die Diskussion um wie auch die teilweise Forderung nach einer Ausweitung von Wirtschaftlichkeitserwägungen im Rahmen der Leistungsgewährung der GKV beständig. Dies hängt insbesondere mit der Kostenentwicklung der GKV zusammen.141 Die Einbeziehung von Wirtschaftlichkeitskriterien, hauptsächlich die der Kosten-Nutzen-Bewertung in Gestalt der Kosten-Nutzen-Analyse, wird im Rahmen der Krankenversorgung moralisch und rechtlich aber auch häufig stark kritisiert.142 Insbesondere der Sozialstaatsgedanke wie auch die Güter Leben und Gesundheit werden vielfach als ihrem Wesen nach unvereinbar mit einer ökonomischen Bewertung angesehen.143 Angesichts der Unbestimmtheit der Beschränkung des Anwendungsbereichs von Wirtschaftlichkeitserwägungen durch die Rechtsprechung auf „vergleichbare“ Leistungen und Methoden, bedarf die Herleitung dieser Auslegung des Wirtschaftlichkeitsgebots der Überprüfung – sowohl auf seine Tragfähigkeit hin, als auch auf Hinweise zur Auslegung des Begriffs „vergleichbare“ Leistung bzw. Methode. 138
Zur umstrittenen Begrifflichkeit der Rationierung bspw. Seewald, Rationierung/Rationalisierung – die Rechtsfragen, in: ders./Schoefer, Zum Wert unserer Gesundheit, S. 29 ff. (36); Brody, Solidarität und Verteilungsgerechtigkeit, in: Sass (Hrsg.), Ethik und öffentliches Gesundheitswesen, S. 53 f.; Kühn, Rationierung im Gesundheitswesen, S. 2 ff.; Neumann, Prioritätensetzung und Rationierung in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2005, S. 617 ff. (618). 139 Dietrich/Strutz, Ethische Fragen der Umsetzung von Kosten-Nutzen-Bewertung aus Sicht einer Krankenkasse, Gesundheitswesen 2009, S. 56 ff. (56). 140 Marckmann, Verteilungsgerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung, in: Düwell/ Steigleder (Hrsg.), Bioethik, S. 333 ff. (339). 141 Etwa Brody, Solidarität und Verteilungsgerechtigkeit, in: Sass (Hrsg.), Ethik und öffentliches Gesundheitswesen, S. 52; Uhlenbruck, Rechtliche Grenzen einer Rationierung in der Medizin, MedR 1995, S. 427 ff. (429, 435); Illhardt, Kosten-Nutzen-Analyse, in: Eser/ v. Lutterotti/Sporken (Hrsg.) Lexikon – Medizin, Ethik und Recht, S. 609 f.; Krämer, Medizin muss rationiert werden, MedR 1996, S. 1 ff. (4 f.); Gutmann/Schmidt (Hrsg.), Einleitung in: Rationierung und Allokation im Gesundheitswesen, S. 7 ff. (18 f.); Eichhorn, Gerechte Rationierung durch Einführung einer Prioritätensetzung im deutschen Gesundheitswesen, S. 154. 142 Vgl. v. d. Schulenburg/Schöffski, Kosten-Nutzen-Analysen, in: Nagel/Fuchs (Hrsg.) Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, S. 168 ff. (178), die meinen, dass die Entscheidung über das Verhältnis des Maßes des Nutzens und der Kosten letztlich auf politischer Ebene und nicht ökonomisch zu treffen sei; Feuerstein, Das Transplantationssystem, S. 243 f.; v. Manz, Lebensqualität und Bewertung menschlichen Lebens, in: Brudermüller (Hrsg.), Angewandte Ethik und Medizin, S. 65 ff. (75, 82 f.); Brech, Triage und Recht, S. 266; Francke, Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen bei medizinischen Leistungen in der GKV, in: Jahrbuch der Jur. Gesell. Bremen, S. 42 ff. (64). 143 Vgl. Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 36 ff.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang (Minimal- oder Maximalprinzip) Der im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V durchgeführte Kosten-Nutzen-Vergleich ist durch die Rechtsprechung auf das Bestehen zweier medizinischer Methoden bzw. Leistungen mit einem vergleichbaren Nutzen beschränkt worden. Trotz fehlender konkreter Begründung der Beschränkung durch die Gerichte ist diese von der Literatur nie ernsthaft in Zweifel gezogen worden.144 Zwar wird teilweise die Auffassung vertreten, dass die Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne als Unterkriterium des Wirtschaftlichkeitsgebots fordere, einen Vergleich zwischen Aufwand und Wirkung vorzunehmen. Dieser Vergleich wird jedoch auf den Fall beschränkt, dass mehrere „wirksame“ Mittel zur Verfügung stehen. Trotz der denkbaren Frage, ob ein Abstellen auf die Wirksamkeit den Anwendungsrahmen von Wirtschaftlichkeitserwägungen gegenüber dem von der Rechtsprechung angenommenen Bereich erweitert, ist jedenfalls nicht ausdrücklich Widerspruch gegen das Kriterium der „Vergleichbarkeit“ erhoben worden.145 Die Wirksamkeit einer medizinischen Methode kann in derselben Indikation allerdings möglicherweise angenommen werden, ohne dass eine Vergleichbarkeit des Nutzens vorliegt. Am Bild des strikten Nutzenvorranges wird aber, ohne es überhaupt weiter zu hinterfragen, festgehalten. Heinig ist sogar der Ansicht, dass das BVerfG den Vorrang des Nutzens über Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zum Leitbild der GKV erhoben habe, die eine Vollversorgung garantiere.146 Gamperl will der Systematik des SGB V entnehmen, dass die GKV auf eine Vollversorgung abziele.147 Kosten-Nutzen-Erwägungen könnten demnach – bis auf einen sehr begrenzten Bereich – nicht angestellt werden, um den Leistungskatalog der GKV inhaltlich auszugestalten. 144
Eine Ausnahme stellt insoweit Spellbrink, Der Wirtschaftlichkeitsbegriff, ArztuR 1995, S. 17 ff. (18) dar, der jedoch trotz Ablehnung des Nutzenvorrangs von der Anwendung des Minimalprinzips ausgeht und insoweit im Ergebnis, obwohl er diese Auslegung ausdrücklich ablehnt, mittelbar einen Nutzenvorrang doch annimmt. 145 Roters, Die gebotene Kontrolldichte für die Richtlinien des Bundesausschusses, S. 205, der allerdings ausdrücklich annimmt, dass eine Reduktion des Leistungsanspruches auf eine weniger wirksame Methode mit längerer Behandlungsdauer hierdurch bewirkt werden könne, ohne an dieser Stelle eine Beschränkung auf eine vergleichbare Wirksamkeit vorzunehmen bzw. das von ihm verwendete Wirksamkeitskriterium zu konkretisieren. Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 69 ff., die in ihrer Darstellung des Wirtschaftlichkeitsprinzips letztlich zu Widersprüchen kommt, da sie zunächst eine Gleichberechtigung der Kriterien des Wirtschaftlichkeitsgebots von § 12 Abs. 1 SGB V annimmt und eine günstige Relation zwischen Kosten und Nutzen fordert, im Anschluss jedoch einen absoluten Nutzenvorrang statuiert und damit § 12 Abs. 1 SGB V letztlich doch eine Priorität der Kriterien entnimmt (ausdrücklich so auf S. 71), den sie allein aus der Zwecksetzung der GKV (§ 1 SGB V) herleitet. 146 So Heinig, Hüter der Wohltaten?, NVwZ 2006, S. 771 ff. (772). 147 Gamperl, Die Absicherung gegen Krankheitskosten durch Sozialhilfe und Gesetzliche Krankenversicherung als Mittel zur Lebensstandardsicherung, S. 117.
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
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Eine Beschränkung der Wirtschaftlichkeitserwägungen und damit von KostenNutzen-Bewertungen auf in ihrem Nutzen vergleichbare medizinische Methoden und Leistungen – im Sinne von identisch wirkend – ist jedoch nur im Falle der Statuierung eines eindeutigen Vorrangs von Nutzengesichtspunkten im SGB V oder aus verfassungsrechtlichen Gründen anzunehmen. Sollte dies nicht der Fall sein, bestünde nur ein beschränkter, relativer Nutzenvorrang. Letzterer ergibt sich schon aus der grundsätzlichen Entscheidung für das System der GKV und damit für den Einsatz von Ressourcen zur Sicherstellung der Gesundheit. Inwieweit ein absoluter oder aber relativer Nutzenvorrang aus den Regelungen des SGB V oder aber aus Verfassungsprinzipien herzuleiten ist bzw. wie weit ein etwaiger relativer Nutzenvorrang konkret reicht, geht weder aus der Rechtsprechung direkt hervor noch wird dies in der Literatur eindeutig beantwortet. Dieser Aspekt ist jedoch relevant, um den Anwendungsrahmen von Wirtschaftlichkeitserwägungen bei der Ausgestaltung des Leistungsumfanges der GKV konturieren zu können. Hierbei ist zwar kein auf jede Fallvariante anwendbares, eindeutiges Ergebnis zu erwarten. Dafür bedarf es zu vieler unterschiedlicher Wertungen, die bereits bei geringen Unterschieden anders ausfallen können. Außerdem ist der Nutzen – trotz aller Evidenznachweise – eine Wahrscheinlichkeitsprognose, die von vielfältigen einzelfallabhängigen Faktoren beeinflusst wird. Es kann daher nicht punktuell jeder Aspekt abgedeckt werden. Dennoch lässt sich eine Präzisierung vornehmen. Dies erfolgt mittels eines zweischrittigen Vorgehens: Zunächst wird den Gründen für die Annahme des Nutzenvorrangs und seiner Wirkung (relativ oder absolut) nachgegangen. Hierauf aufbauend wird dieser Aspekt im Rahmen der Herausarbeitung des von der Rechtsprechung entwickelten und in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V als Voraussetzung normierten Kriteriums der Vergleichbarkeit des Nutzens konkretisiert.
I. Nutzenvorrang aufgrund der Reihenfolge der Voraussetzungsnennung Der Rechtsprechung ist an mehreren Stellen zu entnehmen, dass sie aufgrund der Reihenfolge, in der die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 SGB V genannt werden, von einem Nutzenvorrang ausgeht. Zwar wurden die in § 12 Abs. 1 SGB genannten Voraussetzungen, „ausreichend“, „zweckmäßig“, „notwendig“ und „wirtschaftlich“, phasenweise – vor allem in der Anfangsphase der Beschäftigung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot – von den Gerichten zusammenschauend geprüft und eine isolierte Betrachtung sogar ausgeschlossen. In diesem Kontext ging man in der Literatur noch davon aus, dass keinem der in dem damaligen § 182 Abs. 2 RVO genannten Kriterien durch den Gesetzgeber eine Priorität eingeräumt worden sei.148 148 Vgl. Tiemann/Tiemann, Kassenarztrecht im Wandel, S. 63 (bezogen auf die Vorläuferregelung des § 12 SGB V, § 182 Abs. 2 und § 368e RVO); so zunächst auch Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 64, die jedoch im Ergebnis aus einem komparativen Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitsverständnis sowie
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Die Kriterien wurden vielmehr als „Quadrat der Wirtschaftlichkeit“ bezeichnet.149 Vielfach wurde und wird jedoch eine Stufenfolge der Voraussetzungsprüfung vertreten, also eine Trennung der Kriterien voneinander gefordert. Aus dieser Prüfungsreihenfolge wird sodann teilweise hergeleitet, dass Wirtschaftlichkeitserwägungen nur in sehr begrenztem Umfang angestellt werden könnten. Der Gesetzeswortlaut räumt jedoch keinem der Kriterien eine Priorität ein.150 Das Kriterium „wirtschaftlich“ steht im Rahmen einer Aufzählung gleichberechtigt neben den Begriffen „ausreichend“, „zweckmäßig“ und „notwendig“. Aus der Nennung der Kriterien nacheinander, in einer Aufzählung von Voraussetzungen, kann nicht auf eine Begrenzung des Kosten-Nutzen-Vergleichs auf zwei gleich oder zumindest vergleichbar nützliche Methoden geschlossen werden. Eine Rangfolge ist durch die Nennung „wirtschaftlich“ nach „ausreichend“ und zweckmäßig“ nicht intendiert worden. Dies ergibt sich einerseits aus der darauf folgenden Nennung von nicht notwendigen Leistungen und andererseits aus der Gesetzestechnik, bei der Einführung von Rangfolgen diese sprachlich als gestaffelt zu erfüllende Kriterien auszugestalten.151 Auch die grammatikalische Regel, durch Aufzählungen keine Prioritäten vorzugeben, bestätigt dies. Die Verbindung der Voraussetzungen der Leistungserbringung in § 12 Abs. 1 SGB V152 durch das Wort und spricht ebenfalls dafür, dass die Kriterien kumulativ anzuwenden sind. Jedes einzelne Kriterium muss von einer medizinischen Methode erfüllt werden. Bei Nichterfüllung eines Kriteriums führt dies zwar dazu, dass, unabhängig von dem Vorliegen der anderen, eine Leistung nicht zu gewähren ist. Dies lässt jedoch keinen zwingenden Rückschluss auf das Verhältnis der Kriterien zueinander zu. Der Reihenfolge der Voraussetzungsnennung kann daher eine derartige Wertung nicht entnommen werden.
der Zielausrichtung der GKV einen absoluten Nutzenvorrang annimmt. Für zweckmäßig hält Neugebauer nur das zweckmäßigste Mittel. Dieses Verständnis entspricht jedoch nicht dem Wortsinn. Vielmehr stellt sich die Frage der Zweckmäßigkeit kongruent zur Frage der Geeignetheit eines Mittels zur Verbesserung des Gesundheitszustandes, wobei § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V Anforderungen an den Nachweis dieser Verbesserung stellt. 149 So Tiemann/Tiemann, Kassenarztrecht im Wandel, S. 63. 150 So auch Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 64. 151 Müller, Handbuch der Gesetzgebungstechnik, S. 120. 152 § 12 Abs. 1 SGB V lautet: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ Die Hervorhebung ist durch die Verfasserin erfolgt.
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
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II. Stand der medizinischen Erkenntnis als Begründung des Nutzenvorrangs Auch § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V führt nicht zum Bestehen eines absoluten Nutzenvorranges. Dieser fordert hinsichtlich der Qualität und Wirksamkeit der Leistungen der GKV zwar, dass sie dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen müssen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Die Forderung nach der Berücksichtigung des medizinischen Standards ist dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V zufolge aber auf die Qualität und Wirksamkeit der von der GKV zu garantierenden Leistungen beschränkt.153 § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V trifft daher keine positive Aussage über den Leistungsumfang als solchen, sondern beschränkt ihn auf Leistungen, die einem bestimmten Qualitäts- und Wirksamkeitsstandard genügen. Der in der Literatur geäußerten Ansicht, dass kein Widerspruch zwischen § 12 Abs. 1 SGB Vund § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V bestehe, sondern dass sich die Forderungen ergänzen würden, weil § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V den § 12 Abs. 1 SGB V hinsichtlich des Zweckmäßigkeitsbegriffes konkretisiere,154 ist im Grundsatz zuzustimmen. Hieraus kann jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass aus § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V ein absoluter Nutzenvorrang abzuleiten ist. Die dies befürwortende Ansicht legt der Interpretation von vornherein eine enge Auffassung des Unterkriteriums „wirtschaftlich“ von § 12 Abs. 1 SGB V zugrunde. Über § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V wird angesichts der Forderung nach der Sicherstellung des allgemeinen Standes der medizinischen Erkenntnisse durch die GKV sowie der Teilhabe am medizinischen Fortschritt mittelbar ein absoluter Nutzenvorrang hergeleitet, der vom Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V so nicht gefordert wird. Diese Auffassung wird insbesondere auf die Begründung zu § 12 SGB V gestützt, welche besage, dass § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V das Mindestmaß der Leistung definiere, weshalb das Wirtschaftlichkeitsgebot erst innerhalb dieses gezogenen Rahmens zur Anwendung gelange.155 Der Gesetzesbegründung kann jedoch lediglich entnommen werden, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf § 2 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 SGB V davon ausgegangen ist, dass diese eine Ergänzung zu § 12 Abs. 1 SGB V darstellen würden.156 Diesen 153
Ebenso Roters, Die gebotene Kontrolldichte, S. 210 f. Roters, Die gebotene Kontrolldichte, S. 205 und 211 f.; Bußmann-Weigl, Der Wirtschaftlichkeitsbegriff im SGB V, S. 142; Wagner, in: Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 6. 155 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, S. 325; Schneider, Rechtliche Grundlagen der Qualitätssicherung in der vertragsärztlichen Versorgung, NZS 1997, S. 267 ff. (269); Kluth, Ärztliche Berufsfreiheit unter Wirtschaftlichkeitsvorbehalt, MedR 2005, S. 65 ff. (67); Kreße, Ärztliche Behandlungsfehler durch wirtschaftlich motiviertes Unterlassen, MedR 2007, S. 393 ff. (397). Sämtliche unter Verweis auf die BT-Drs. 11/2237. 156 BT-Drs. 11/2237, S. 163 f., ebenso ist der heutige § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V auch nicht zuvor in § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V verortet gewesen. 154
170
§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Regelungen ist wiederum zu entnehmen, dass sowohl die Krankenkassen als auch die Leistungserbringer dazu verpflichtet sind, das Wirtschaftlichkeitsgebot zu achten. Zu § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V finden sich hingegen keine Ausführungen. Aus der Gesetzesbegründung folgt daher nicht, dass § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V die Regelung des § 12 Abs. 1 SGB V dergestalt modifiziert, dass ein absoluter Nutzenvorrang im Bereich des allgemeinen Stands der medizinischen Erkenntnis besteht. Selbst wenn man § 2 Abs. 1 S. 3 SGB Vaufgrund der Verwendung des Plurals bei „Leistungen“ derart deutet, dass sich der Leistungskatalog der GKV grundsätzlich an dem medizinischen Standard zu orientieren habe, führt dies nicht zwangsläufig dazu, dass sämtliche medizinische Methoden, die diesem entsprechen, uneingeschränkt in den Leistungskatalog der GKV zu übernehmen sind. Es entspricht zwar durchaus dem Telos des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V ein dem medizinischen Standard entsprechendes Leistungsniveau zu fordern. Aufgrund des Gleichrangs zu § 12 Abs. 1 SGB V bewirkt dies aber nicht, dass deshalb keine anderweitigen Voraussetzungen zu stellen sind. Singuläre bzw. partielle Leistungseinschränkungen haben nicht zur Folge, dass dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnis durch die GKV nicht mehr entsprochen würde. Ferner ist zu beachten, dass der Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht punktuell nur eine medizinische Methode erfasst, sondern eher einen Korridor von unterschiedlich nützlichen, aber allesamt wirksamen, medizinischen Leistungen beinhaltet.157 Der medizinische Standard erfordert einen wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis für eine ausreichende Zahl von Behandlungsfällen.158 Somit bedarf es also des Nachweises der Wirksamkeit der Methode und der Durchführung einer Nutzen-Risiko-Bewertung. Eine Vergleichbarkeit des Nutzens ist hingegen nicht zwingend notwendig. Bei einer Vielzahl von Methoden, die dem medizinischen Standard entsprechen, lässt sich § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V somit keine Aussage darüber entnehmen, welche dieser Methoden von der GKV zu erbringen ist.159 Aus diesen Gründen ist § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V vielmehr dahingehend zu verstehen, dass er nicht ausreichend erprobte Verfahren und Außenseitermethoden aus dem Leistungskatalog der GKV ausschließt.160 Hierfür spricht neben der Gesetzesbegründung auch die systematische Stellung des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V. Erst im Anschluss an den in § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V befindlichen Verweis auf den grundsätzlichen Leistungsumfang nach § 12 Abs. 1 SGB V stellt § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V 157 Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, Stellungnahme, S. 30. 158 BSGE 76, 194 (199); 81, 54 (66). 159 Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 77; Roters, Die gebotene Kontrolldichte, S. 210 f.; Katzenmeier, Kostendruck und Standard medizinischer Versorgung, in: Greiner/Gross/Nehm/Spickhoff (Hrsg.), Neminem laedere, S. 237 ff. (240). 160 BSG, Urteil vom 05. 07. 1995, – 1 RK 6/95 -, BSGE 76, 194 (198 f.); Scholz, in: Becker/ Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 2 Rn. 3. Diese Ansicht wird durch die Entscheidung des BVerfG, BVerfGE 115, 25 (45 ff.) und die Einfügung von § 2 Abs. 1a SGB V sowie dessen Gesetzesbegründung in BT-Drs. 17/6906, S. 52 f. bestätigt.
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
171
zusätzliche Kriterien auf. § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V modifiziert die in § 12 Abs. 1 SGB V genannten Voraussetzungen für die nach dem SGB V zu erbringenden Leistungen daher nicht derart, dass aus einer Reihe dem medizinischen Standard entsprechender Methoden nur die in noch vergleichbarer Weise nützlichste, aber kostengünstigste zu erbringen ist. Vielmehr ist eine Leistung von der GKV nur zu gewähren, wenn sie auch noch – zur Erfüllung weiterer Voraussetzungen hinzukommend – dem medizinischen Standard entspricht. Insofern kann im Ergebnis tatsächlich von einer Ergänzungsfunktion des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V gesprochen werden. Diese wirkt allerdings anders als teilweise vertreten. § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V fordert, dass eine ausreichende Erprobung und damit genügende Evidenz der Wirksamkeit der staatlicherseits erbrachten medizinischen Leistungen besteht.161 Leistungen, die nicht dem medizinischen Standard entsprechen, werden daher von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB Vausgeschlossen, sofern nicht die in § 2 Abs. 1a SGB V normierten Ausnahmen greifen.162 § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V stellt daher Mindestanforderungen an die Wirksamkeit einer Methode und deren Nachweis auf und sichert insoweit die Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bzw. gestaltet diese aus. Eine Konkretisierung des § 12 Abs. 1 SGB V durch § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V erfolgt dergestalt, dass § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V die Zweckmäßigkeit der Leistung konkretisiert und damit Vorgaben dazu macht, in welchen Fällen eine Leistung geeignet ist, von der GKV gewährt zu werden. Eine Aussage, wie sich die Kriterien des § 12 Abs. 1 SGB V zueinander verhalten – ob Wirtschaftlichkeitserwägungen dazu führen können, dass eine dem medizinischen Standard entsprechende Methode von der GKV nicht zu gewähren ist – kann dem indes nicht entnommen werden.
III. „Ausreichende“ Leistungen nur bei optimalem Nutzen Bereits zu Beginn der dargestellten Rechtsprechungslinie zur eingeschränkten Relevanz der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne findet sich ein weiterer Erklärungsansatz, warum Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten keine weitergehende Funktion einzuräumen ist. Das Kriterium „ausreichend“ führe dazu, dass dem Versicherten die für die Heilung notwendige Behandlung gewährt werden müsse.163 Hierdurch werde die Forderung nach der Einhaltung eines Mindeststandards der Leistungserbringung aufgestellt.164 Dies soll zur Folge haben, dass bei Bestehen nur 161
A.A. wohl Schneider, Rechtliche Grundlagen der Qualitätssicherung in der vertragsärztlichen Versorgung, NZS 1997, S. 267 ff. (267), der dem Begriff „Qualität“ die Forderung nach einem bestimmten Niveau entnimmt. 162 Auch § 2 Abs.1a SGB V führt nicht zu einem absoluten Nutzenvorrang in Bezug auf das Wirtschaftlichkeitsgebot. Hier wird lediglich eine Ausnahme vom Grundsatz des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V statuiert, beruhend auf einer im Weiteren noch zu erörternden Entscheidung des BVerfG. Siehe hierzu § 4. 163 BSG, Urteil vom 28. 06. 1984, – 8 RK 22/81 –, BSGE 55, 188 (193). 164 BSG, Urteil vom 28. 06. 1984, – 8 RK 22/81 –, BSGE 55, 188 (193).
172
§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
einer wirksamen Methode diese erbracht werden muss, bei mehreren Methoden mit einem vergleichbaren Nutzen aber eine Abwägung vorgenommen werden kann. An anderer Stelle erklärt das BSG allerdings wiederum, es obliege der GKV festzustellen, welche Behandlungen in Anbetracht der hervorgerufenen Kosten notwendig seien – schließlich habe diese die Kosten zu tragen.165 Ganz eindeutig ist daher auch die Rechtsprechungslinie im Hinblick auf die Auslegung des Kriteriums „ausreichend“ nicht. Betrachtet man „ausreichend“ als absolutes Kriterium anstatt als lediglich unbestimmte Untergrenze166 und statuiert hierüber einen absoluten Nutzenvorrang, lässt sich die Anwendung von Kosten-Nutzen-Vergleichen bei einem nur noch vergleichbaren Nutzen dogmatisch nur schwer erklären. Das Kriterium „ausreichend“ kann entweder derart verstanden werden, dass für jede Krankheit irgendein wirksames Mittel zur Verfügung stehen muss. In diesem Falle bedürfte es für den Einfluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 SGB V jedoch nicht zwingend einer Vergleichbarkeit des Nutzens. Das Kriterium der Vergleichbarkeit würde nicht zwangsläufig nur minimale Nutzenunterschiede, wie von den Gerichten angenommen wird, erfassen. Versteht man „ausreichend“ hingegen so, dass lediglich das wirksamste, beste Mittel hiervon erfasst wird, käme es auf das Kriterium „wirtschaftlich“ nur bei exakt gleichem Nutzen an. Dieser liegt schon faktisch so gut wie nie vor. Außerdem liefe das Wirtschaftlichkeitskriterium bei einer derartigen Auslegung leer. Daraus lässt sich schlussfolgern: Wenn alle Kriterien von § 12 Abs. 1 SGB V kumulativ erfüllbar sein sollen und das Kriterium „wirtschaftlich“ durch Vergleich zu ermitteln ist, kann „ausreichend“ nicht nur das Mittel mit dem besten Nutzen erfassen, sondern muss mehrere Behandlungsansätze einbeziehen. Die Ansicht, welche das Kriterium „ausreichend“ erst dann als erfüllt ansieht, wenn Art und Umfang der Leistung genügen würden, um die jeweils im Rahmen des § 27 Abs. 1 SGB Vangestrebte Zielsetzung zu erreichen,167 steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Das Kriterium „ausreichend“ muss nicht zu einem absoluten Nutzenvorrang führen. Die Forderung, eine Leistung sei nur ausreichend, wenn sie das angestrebte Ziel erreiche, ist angesichts des Versorgungsalltages nicht derart eng zu verstehen. Es ist nicht nur die medizinische Methode als ausreichend 165
BSG, Urteil vom 01. 06. 1977, – 3 RK 41/75 –, BSGE 44, 41 (44). Zum Kriterium „ausreichende“ Leistung als Untergrenze Welti, Der sozialrechtliche Rahmen ärztlicher Therapiefreiheit, GesR 2006, S. 1 ff. (8 f.). Teilweise wird das Kriterium „ausreichend“ auch als Obergrenze betrachtet, vgl. Katzenmeier, Kostendruck und Standard medizinischer Versorgung – Wirtschaftlichkeitspostulat versus Sorgfaltsgebot?, in: Greiner/ Gross/Nehm/Spickhoff (Hrsg.), Neminem laedere, S. 237 ff. (239). Letzteres Verständnis beruht auf einer weiten Auslegung von „ausreichend“ als Kriterium von Unter- wie auch Obergrenze. 167 Wagner, in: Krauskopf (Hrsg.), Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 12 SGB V Rn. 5; Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, S. 28. 166
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
173
anzusehen, die den höchsten Nutzen aufweist. Dies würde dazu führen, dass die weiteren Kriterien des Wirtschaftlichkeitsgebots neben der Forderung nach ausreichenden Leistungen keinen Anwendungsbereich mehr hätten. Dem ist schon deshalb nicht zu folgen, weil das Wirtschaftlichkeitsgebot im weiteren Sinne mehrere Forderungen enthält, denen bestmöglich entsprochen werden muss. Es liegt zwar nahe, dass das Kriterium „ausreichend“ einen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erwachsenden Mindeststandard beinhaltet. Doch auch dieser bedarf der Konkretisierung. Damit führt das Kriterium der ausreichenden Leistungen zwar zu einer Nutzenorientierung – einem relativen Nutzenvorrang –, einen absoluten Nutzenvorrang fordert es jedoch schon aufgrund seiner modalen Unbestimmtheit nicht. Das Kriterium „ausreichende“ Leistungen kann daher allenfalls in einem Kernbereich einen absoluten Nutzenvorrang hervorrufen. Dieser Kernbereich beinhaltet, dass die GKV bei einer Erkrankung und der Existenz nur einer einzigen medizinischen Methode, die dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, zur Behandlung eben diese gewähren muss. Bei mehreren wirksamen medizinischen Methoden beinhaltet „ausreichend“ jedoch keine eindeutige Aussage darüber, wie mit Nutzenunterschieden umzugehen ist. Die teilweise in der Literatur vertretene Auslegungsvariante, welche das Kriterium „ausreichend“ als die quantitative Eignung der erbrachten Leistungen versteht und hiermit einen Mindeststandard in quantitativer Hinsicht garantiert sieht,168 überzeugt demgegenüber ebenfalls nicht. Zwar wird auf diese Weise versucht, dem Kriterium „ausreichend“ gegenüber der „Zweckmäßigkeit“ eine eigenständige Bedeutung zuzuschreiben. Dies gelingt durch die künstliche Aufspaltung von Quantität und Qualität, die dem medizinischen Versorgungsalltag widerspricht, jedoch nicht. Ausreichend und auch zweckmäßig kann ein Mittel jeweils nur sein, wenn es auch in der korrekten Dosierung (Quantität) eingesetzt wird. Die hier vertretene Auffassung, dass „ausreichend“ einen Mindeststandard beinhaltet, entspricht auch der Gesamtkonzeption der § 12 Abs. 1, § 2 Abs. 1 S. 3 und Abs. 1a SGB V. Hieraus ergibt sich auch eine Beschränkung der Einwirkung von Wirtschaftlichkeitserwägungen – diese Beschränkung entspricht jedoch nicht zwingend dem von der Rechtsprechung statuierten Umfang. Das Kriterium „ausreichend“ führt nur in einem eng begrenzten Bereich zu einem absoluten Nutzenvorrang, der unter anderem durch § 2 Abs. 1a SGB V ausgeformt wird.169 Über § 2 Abs. 1a SGB V hinausgehend fordert das Kriterium „ausreichend“, dass, bei Bestehen nur einer Behandlungsmethode, diese zu gewähren ist. Eine Beschränkung von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf gleich wirkende Behandlungsmethoden ist der Voraussetzung, „ausreichende“ Leistungen zu gewähren, jedoch nicht zu entnehmen. 168 Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 67; Geers, Die gesundheitsökonomischen Grundsätze der Krankenpflege nach § 182 Abs. 2 RVO, SGb 1983, S. 55 ff. (56). 169 Zur Ausformung des von der GKV zu gewährenden Untermaßes durch § 2 Abs. 1a SGB V und die dem zugrundeliegende Rechtsprechung siehe § 4.
174
§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
IV. Zwischenergebnis nach systematischer und Wortlautauslegung Weder aus dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 SGB V noch des § 2 Abs. 1 SGB V lässt sich ein absoluter Vorrang des Nutzens somit herleiten. Die insbesondere auf Töns zurückzuführende Betrachtung des heutigen § 12 Abs. 1 SGB V als Normierung des tragenden Grundsatzes jeglichen rationalen Handelns und die Auslegung anhand dieser Prämisse erscheint nicht als zwingend. Darüber hinaus ist sie den sich ändernden Rationalitätsvorstellungen anzupassen. Dass das Wirtschaftlichkeitsprinzip lediglich die ökonomische Grundanforderung an jedes Handeln beinhalten soll, ein möglich günstiges Verhältnis zwischen Kosten und Erfolg zu fordern,170 darüber hinaus aber keine Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte zulasse, die die Nutzenorientierung in Frage stellen, ist insbesondere angesichts des Hintergrunds der Einführung von § 182 Abs. 2 RVO – als Deckungsmaßnahme des Reichshaushalts in der Zeit der Wirtschaftskrise –171 fragwürdig.172 Darüber hinaus lässt sich dieser Argumentation auch nicht die Beschränkung der Beurteilung des Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen in Bezug auf eine feste Nutzenvorgabe entnehmen. Argumentativ wird darüber hinausgehend insbesondere aus der Unmöglichkeit der Bewertbarkeit des Nutzens durch einen Geldbetrag eine Beschränkung von Wirtschaftlichkeitserwägungen hergeleitet.173 Diesem Aspekt ist im Folgenden näher nachzugehen. Trotz der jahrelangen Praxis der Prioritätensetzung „Nutzen“ könnte die Einführung des § 35b SGB V die Betrachtung des Nutzenvorrangs, ungeachtet des dargestellten direkten Anwendungsbereichs der Kosten-Nutzen-Bewertung im Rahmen von Verhandlungen über Erstattungsbeträge, verändert haben. Die KostenNutzen-Bewertung nach § 35b SGB V führt zu einer Verstärkung des Wirtschaftlichkeitsbewusstseins. Sollte nämlich festgestellt werden, dass sehr hohe Zusatzausgaben durch die GKV getätigt werden, um einen eher mäßigen zusätzlichen Nutzen zu gewähren, könnte dies die Bereitschaft steigern, Wirtschaftlichkeitserwägungen eine erhöhte Bedeutung zuzumessen. Bei einer genaueren Betrachtung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen zueinander wird man angesichts der steigenden Relevanz der Ausgabenminderung der GKV zu der Frage zurückkehren, ob nicht bereits auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 SGB V auch über minimale 170 Töns, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit als Anspruchsbestimmungen im Leistungswesen der gesetzlichen Krankenversicherung, DOK 1977, S. 451 ff. (451). 171 RGBl. I 1930, S. 311. 172 Ebenso Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 58, der darauf hinweist, dass die erfolgte Auslegung des Wirtschaftlichkeitsgebots und finale Ausrichtung am Nutzen der Intention des historischen Gesetzgebers entgegenlaufe. 173 Töns, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit als Anspruchsbestimmungen im Leistungswesen der gesetzlichen Krankenversicherung, DOK 1977, S. 451 ff. (452).
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
175
Nutzenunterschiede hinausgehend Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte überwiegen können.
V. Nutzenvorrang aufgrund methodischen „Bewertungsversagens“ Wirtschaftlichkeit lässt sich nicht abstrakt, sondern nur durch einen Vergleich zwischen Aufwand und Nutzen bestimmen.174 Daher ist die Prüfung der Wirtschaftlichkeit mit der Durchführung eines Kosten-Nutzen-Vergleichs gleichzusetzen. Methodisch wird das Bestehen der Wirtschaftlichkeit durch einen KostenNutzen-Vergleich zwischen verschiedenen medizinischen Methoden festgestellt.175 Die Notwendigkeit, das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer medizinischen Methode mit einer anderen zu vergleichen, rührt daher, dass kein Maßstab dafür besteht, welcher „Preis“ für Gesundheitsleistungen angemessen ist.176 Um einen Vergleich durchführen zu können, ohne eine Wertung vornehmen zu müssen, welcher Preis für welchen Grad der Genesung oder Symptomlinderung angemessen ist, wurde der Einfluss der Kostenabwägung auf medizinische Methoden mit gleichem Nutzen beschränkt.177 Wie im Rahmen einer Gleichung braucht bei einem Vergleich zweier medizinischer Methoden mit gleichem Nutzen (N) das Verhältnis der Kosten (K1 und K2) zum Nutzen nicht bestimmt werden. Aus der Gleichung lässt sich der Nutzen sozusagen mathematisch herauskürzen. Dadurch wird ein alleiniger Kostenvergleich ermöglicht:178 K1 N K2 N
¼ K1 N ¼ K1 K2 N K2
174 Schmidt, Wirtschaftlichkeit in der öffentlichen Verwaltung, S. 16; Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Band 1, S. 29; Walther, Inhalt und Bedeutung der Grundsätze Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der öffentlichen Verwaltung, BayVBl 1990, S. 231 ff. (231); Van Langendonck, Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung, in: Butzer (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit durch Organisations- und Verfahrensrecht, S. 71 ff. (71 f.). 175 Dies ergibt sich jedenfalls aus der Art und Weise der Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch das BSG. 176 Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 70. 177 Töns, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit als Anspruchsbestimmungen im Leistungswesen der gesetzlichen Krankenversicherung, DOK 1977, S. 451 ff. (452). 178 Töns, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit als Anspruchsbestimmungen im Leistungswesen der gesetzlichen Krankenversicherung, DOK 1977, S. 451 ff. (452).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Nach Ansicht der Literatur wie auch der Rechtsprechung179 ergibt sich aus der Methodik der Bestimmung der Wirtschaftlichkeit – mittels eines Vergleichs des Kosten-Nutzen-Verhältnisses – eine Beschränkung des Anwendungsbereiches von Wirtschaftlichkeitserwägungen. Mangels Kenntnis, welcher Preis für die Gesundheit angemessen ist, können Kosten-Nutzen-Bewertungen nach diesem Zugriff nur zwischen gleich nützlichen Methoden durchgeführt werden. Bei einer derartigen Herleitung der Beschränkung des Einflusses von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten auf den Leistungskatalog der GKV ist die Annahme der Rechtsprechung, dass eine Vergleichbarkeit des Nutzens ausreiche, um einen Kosten-Nutzen-Vergleich anzustellen, allerdings nicht unproblematisch. Hieran zeigt sich vielmehr die Erosion dieser streng methodischen Herangehensweise. Bei der Möglichkeit von Leistungsausschlüssen im Falle der Vergleichbarkeit des Nutzens zweier medizinischer Methoden muss bei geringen Wirkungsunterschieden der angemessene Preis dieses Nutzenvorteils sowie der Grad der zu akzeptierenden Nutzenunterschiede bestimmt werden. Hierfür sind Kosten-Nutzen-Bewertungen auch im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V womöglich das probate Mittel. Ebenfalls ist nicht zwingend, dass die Methodik des Vergleiches auf vergleichbar nützliche Methoden beschränkt sein soll. Wertungen vorzunehmen, ist rechtlich nicht ausgeschlossen. Der Umfang, in dem Wertungen angestellt werden können, hängt aber vom Legitimationsniveau des Wertenden ab. Auch § 35b SGB V impliziert mit der nunmehr gesetzlich geforderten Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen in einem hierüber hinausgehenden Bereich möglich sind. Damit zeigt § 35b SGB V im Umkehrschluss, dass die Beschränkung der Wirtschaftlichkeitserwägungen in § 12 Abs. 1 SGB V jedenfalls aus methodischen Gesichtspunkten nicht zwingend sind. Die unter dem methodischen Gesichtspunkt angesprochene Problematik betrifft daher weniger die Möglichkeit des Vergleiches, als vielmehr die Frage nach der ausreichenden Legitimation für die in diesem Rahmen notwendig anzustellenden Bewertungen. Aus den derzeit vorgegebenen materiellen, objektiven Kriterien lässt sich kein eindeutiges Ergebnis des Verhältnisses von Kosten zu Nutzen herleiten. Aus diesem Grund bedarf es eines erhöhten Maßes an demokratischer Legitimation, um derartige Wertungen vorzunehmen – grundsätzlich ausgeschlossen sind sie jedoch nicht.
179 BSGE 55, 277 (279), wobei das BSG sich hierbei nicht auf § 12 SGB V bezieht und damit die Ausführungen zum Minimal- und Maximalprinzip aus dem Haushaltsrecht nicht auf die Leistungsgewährung direkt überträgt, sondern auf die Verwaltungsausgaben der GKV anwendet.
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
177
VI. Priorität des Nutzens aufgrund der Zwecksetzung der GKV Der Vorrang der Zweckmäßigkeit und damit des Nutzens wird in Literatur und Rechtsprechung darüber hinaus teilweise auch aus der Zielbestimmung der GKV abgeleitet.180 Gemäß § 1 S. 1 SGB V ist es die Aufgabe der Krankenversicherung, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Aus dieser Zielbestimmung soll folgen, dass der therapeutische Nutzen gegenüber Wirtschaftlichkeitserwägungen vorrangig ist und diese verdrängt, wenn keine andere medizinische Methode für die Behandlung der Krankheit zur Verfügung steht.181 Auf diesen Grundgedanken der GKV scheint auch das BSG zu rekurrieren, um die Beschränkung der Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte auf das Bestehen zweier vergleichbar nützlicher medizinischer Methoden herzuleiten.182 Ausdrücklich genannt wird § 1 S. 1 SGB V allerdings nicht, sondern vornehmlich § 27 Abs. 1 SGB V zur Begründung herangezogen. Der Bedeutung von § 1 und § 27 Abs. 1 SGB V für die Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne ist daher nachzugehen. An dieser Stelle werden diese Aspekte allerdings nur in Bezug darauf betrachtet, ob sie eine Aussage über das Bestehen eines absoluten oder relativen Nutzenvorrangs beinhalten.183 § 1 S. 1 SGB V beschreibt die Funktionsweise der Krankenversicherung unter Hervorhebung des Versicherungsgedankens mit dem Begriff der „Solidargemeinschaft“.184 Weiterhin bestimmt § 1 S. 1 SGB V die Aufgabe der GKV, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. § 1 S. 1 SGB V gibt jedoch nicht die für diesen Zweck durch die GKV zu erbringenden Leistungen vor. Von dem in § 1 S. 1 SGB V vorgesehenen Grundgedanken der Krankenversicherung würde im Falle einer Relativierung des Nutzen180 Erstmalig so Günther, Das Wirtschaftlichkeitsgebot, S. 63 zu § 368e RVO und Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 71 zu § 1 SGB V. 181 Teilweise wird aus diesen Bestimmungen aufgrund ihrer Zweckvorgabe hergeleitet, dass die Wirtschaftlichkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V nur das Minimalprinzip erfasse, siehe etwa Neumann/Faust/Werner, Wertimplikationen von Allokationsregeln, -verfahren, -entscheidungen im deutschen Gesundheitswesen, S. 104. Dem ist nicht zuzustimmen. Das BSG nimmt lediglich an, dass jedenfalls das Minimalprinzip vom Wirtschaftlichkeitsgebot gefordert würde, lässt aber offen, ob das Wirtschaftlichkeitsgebot darüber hinausgehend auch noch das Maximalprinzip erfasst, vgl. BSGE 55, 277 (279); 56, 197 (198 f.); 96, 261 (270). Das Minimalprinzip wird lediglich als „Kernbestandteil“ des Wirtschaftlichkeitsgebots im engeren Sinne bezeichnet, vgl. BSGE 96, 261 (270). Das bedeutet, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot einen über das Minimalprinzip hinausgehenden Aussagegehalt beinhalten kann. 182 BSGE 78, 70 (89 f.). 183 Zum Einfluss des § 27 Abs. 1 SGB V auf das Kriterium der Vergleichbarkeit und damit auf die Konturierung des relativen Nutzenvorranges siehe § 3 E. III. 184 Vgl. zum Grundgedanken der Risikoabsicherung gegen Krankheiten durch eine Versicherung Uhlenbruck, Rechtliche Grenzen einer Rationierung in der Medizin, MedR 1995, S. 427 ff. (429 f.).
178
§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
vorrangs nicht abgewichen. Die Krankenversicherung würde auch in diesem Fall weiterhin dem Erhalt, der Wiederherstellung und Verbesserung der Gesundheit dienen. § 2 SGB V, der ausdrücklich die für diese Zielsetzung zu erbringenden Leistungen regelt, verweist auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V, in welchem kein absoluter Vorrang des Nutzens vor Wirtschaftlichkeitserwägungen vorgesehen ist. Die allgemeine Akzeptanz des sehr weitreichenden Vorrangs des Nutzens bei der Bestimmung des Leistungsumfangs der GKV kann daher nicht einem aus § 1 S. 1 SGB V erwachsenden Grundgedanken geschuldet sein. Auch § 27 Abs. 1 SGB V, der den Anspruch der Versicherten auf die zur Erkennung, Heilung, Verhütung der Verschlimmerung und Linderung notwendigen Krankenbehandlungen regelt, begründet keinen absoluten Vorrang des Nutzens dergestalt, dass Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte grundsätzlich nur nachrangig zur Anwendung gelangen können. „Notwendig“ bezieht sich dem Wortlaut nach auf „Krankheit“ und fordert insoweit eine Behandlungsbedürftigkeit des Zustandes für das Bestehen eines Anspruches. Dies konkretisiert jedoch nicht die Zweck-MittelRelation des § 12 Abs. 1 SGB V. Die Ausgestaltung des Anspruchsumfangs bei einer Behandlungsbedürftigkeit leistet gerade § 12 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 SGB V. § 27 Abs. 1 SGB V ist daher zwar die Zielsetzung der Leistungen mit Erkennung, Heilung, Verhütung der Verschlimmerung und Linderung zu entnehmen, er vermag jedoch nicht den Umfang von Wirtschaftlichkeitserwägungen mitzubestimmen.185 Sowohl § 1 S. 1 SGB V als auch § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V kann demzufolge eine gewisse Ergebnistendenz und damit Neigung zum Minimalprinzip (d. h. zu einer starken Nutzenausrichtung) entnommen werden. Aufgrund des hierarchischen Gleichrangs gegenüber dem Wirtschaftlichkeitsprinzip und mangels eindeutiger Herleitbarkeit eines Rangverhältnisses führen sie jedoch nicht zu einer eindeutigen Festlegung auf das Minimalprinzip. Die Festlegung eines Zweckes bzw. Ziels führt nicht zwingend zu dem Schluss, dass eine Entscheidung für das Minimalprinzip getroffen worden wäre. Die Angabe eines Ziels ist sowohl für die Anwendung des Minimal- als auch Maximalprinzips notwendig. Eine Zweckerreichung um jeden Preis geht aus § 1 und § 27 Abs. 1 SGB V nicht hervor. Der Nutzen stellt das relevanteste Kriterium für die Leistungen der GKV dar. Er wird von der GKV ja auch gerade bezweckt. Absolut im Sinne einer bestmöglichen Verwirklichung ist diese Zielsetzung jedoch nicht. Hinsichtlich der Abwägung, welche Leistungen konkret zu 185
A.A. Neumann/Faust/Werner, Wertimplikationen von Allokationsregeln, -verfahren, -entscheidungen im deutschen Gesundheitswesen, S. 104, die insbesondere aus § 27 Abs. 1 SGB V herleiten, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot als Minimalprinzip zu verstehen sei. Zur Begründung wird auf BSGE 55, 277 (279); 56, 197 (198 f.) verwiesen. Beide Urteile enthalten zum einen jedoch keine derartige Aussage: „Der Inhalt des Gebotes der Wirtschaftlichkeit läßt sich umschreiben im Sinne des Maximalprinzips – d. h. mit gegebenen Mitteln den größtmöglichen Nutzen zu erreichen – oder im Sinne des Minimalprinzips – d. h. einen bestimmten Zweck mit den geringstmöglichen Mitteln zu erreichen –.“ Zum anderen weisen die Autoren auf S. 100 selbst daraufhin, dass die später zitierten Urteile gerade nicht auf § 12 Abs. 1 SGB V übertragbar wären.
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
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gewähren sind, enthält weder § 1 SGB V noch § 27 Abs. 1 SGB V eine gegenüber § 12 Abs. 1 SGB V weiterführende Aussage.
VII. Nutzenvorrang aufgrund der Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch den GBA Der von Günther in Zusammenhang mit der Herleitung eines Nutzenvorrangs zur Begründung vorgebrachte Verweis auf die Arzneimittelrichtlinie, welche in § 9 Abs. 2 AM-RL die wirtschaftliche Verordnungsweise auf die Prüfung zweier gleichwertiger Behandlungsmethoden beschränkt,186 ist ebenso nicht weiterführend. Die nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V vom GBA erlassenen Richtlinien, die der Konkretisierung des § 12 Abs. 1 SGB V dienen, können das Wirtschaftlichkeitsgebot zwar ausgestalten, sie schränken die Aussage des § 12 Abs. 1 SGB V jedoch nicht ein. Darüber hinaus sieht der Wortlaut des § 9 Abs. 2 AM-RL ohnehin lediglich die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots insbesondere bei gleichwertigen Behandlungsstrategien vor. Im Umkehrschluss werden damit weitergehende Wirtschaftlichkeitseinflüsse aber nicht ausgeschlossen. Die Beschränkung des Wirtschaftlichkeitsprinzips im engeren Sinne auf das Bestehen eines vergleichbaren Nutzens einer anderen medizinischen Methode ist jedoch im Rahmen des Erlasses von Richtlinien zum Ausschluss oder zur Einschränkung der Verordnungsweise von Arzneimitteln gesetzlich vorgesehen. In diesem Bereich regelt § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V ausdrücklich die Notwendigkeit des Vorliegens einer Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen als Voraussetzung für den Einfluss von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten. Insoweit scheinen die Voraussetzungen für den Ausschluss von Leistungen zwischen Arzneimitteln und sonstigen Behandlungsmethoden durch Richtlinien des GBA nach § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 und 2 SGB V, welche die Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht ausdrücklich darauf beschränken, dass eine andere medizinische Methode mit vergleichbarem Nutzen hierfür vorliegen muss, zu divergieren. Diese Wortlautunterschiede können nicht darauf zurückgeführt werden, dass bei neuen Behandlungs- und Untersuchungsmethoden gemäß § 135 SGB V eine vorgelagerte Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch den GBA stattfindet und in diesem Bereich daher präventiv eine Kontrolle der Wirtschaftlichkeit erfolgt. Auch im Rahmen des § 135 SGB V findet sich keine ausdrückliche Einschränkung der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf die Vergleichbarkeit des Nutzens mit anderen medizinischen Methoden. Die Forderung der Vergleichbarkeit des Nutzens mit einer weiteren medizinischen Methode zum Ausschluss bzw. zur Einschränkung der Erbringbarkeit durch den GBA ergibt sich jedoch aus anderen Gründen – insbesondere aus der Wesentlichkeitstheorie.187 Im Ergebnis bestehen keine Unterschiede zwi186 187
Günther, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der kassenärztlichen Verordnungsweise, S. 63. Hierzu konkret in diesem Abschnitt § 3 E. V.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
schen den verschiedenen medizinischen Diagnose- und Behandlungsarten hinsichtlich des Umfangs, in dem Wirtschaftlichkeitserwägungen Einfluss erlangen können. Entscheidend ist hierbei ohnehin, welche Nutzenunterschiede noch von dem Kriterium der Vergleichbarkeit des Nutzens erfasst werden. Erst hieraus erschließt sich, inwieweit die Konkretisierung durch den GBA dazu führt, dass Wirtschaftlichkeitserwägungen keinen verstärkten Einfluss erlangen können. Die Beschränkung der Befugnis des GBA wirkt dem Wortlaut nach jedenfalls nicht wie ein absoluter Nutzenvorrang. Die Frage der Vergleichbarkeit des Nutzens ist ein unbestimmter und daher auslegungsfähiger Rechtsbegriff, dessen Auslegung sich unter anderem an § 12 Abs. 1 SGB V, da er diesen konkretisiert, zu orientieren hat. Eine diesbezügliche Auslegung wird im Folgenden vorgenommen.188
VIII. Verfassungsrechtlich geschuldeter absoluter Nutzenvorrang Ein absoluter Nutzenvorrang könnte sich aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG herleiten. Den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip hat das BVerfG erstmals mit seinem Beschluss vom 06. 12. 2005 hervorgehoben.189 Aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip folgt nach Auffassung des BVerfG, dass die Versicherung – wenn sie als eine Pflichtversicherung für ein bestimmtes Risiko ausgestaltet ist – aufgrund der zwangsweisen Abführung von Beiträgen das von ihr versicherte Risiko so absichern muss, dass in jedem Fall Leistungen für die besonders relevanten Risiken bereitstehen. Art. 2 Abs. 1 GG fordert, dass der Leistungsumfang mit dem zu entrichtenden Beitrag in einem angemessenen Verhältnis stehen muss.190 Die Frage nach der Angemessenheit des Verhältnisses zwischen Beitrag und Leistungsumfang soll jedoch gerade durch das Wirtschaftlichkeitsgebot beantwortet werden. Allein aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip lässt sich, mit Ausnahme von lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen, daher ein genereller, absoluter Vorrang des Nutzens nicht herleiten. Ebenso wenig führt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu einem absoluten Nutzenvorrang. Zwar wird in vielen Bereichen, vor allem solchen, in denen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG besonders intensiv betroffen ist, dem Nutzen im Rahmen der Frage der verhältnismäßigen Beschränkung des Gesundheitsschutzes – und damit des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch Kostenerwägungen – im Ergebnis dem Nutzen der Vorrang einzuräumen sein. Allein weil durch die Leistungserbringung der GKV grundsätzlich Art. 2 Abs. 2 188 189 190
Vgl. hierzu § 3 E. BVerfG, Beschluss vom 06. 12. 2005, – 1 BvR 347/98 –, juris Rn. 49 ff. BVerfG, Beschluss vom 06. 12. 2005, – 1 BvR 347/98 –, juris Rn. 52.
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
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S. 1 GG tangiert ist, hat der Nutzen jedoch nicht in jedem Fall Vorrang gegenüber Wirtschaftlichkeitsaspekten. Eine absolute Ausrichtung der GKV auf Nutzengesichtspunkte ist demzufolge verfassungsrechtlich nicht gefordert.
IX. Zwischenergebnis: § 12 Abs. 1 SGB V als Verhältnismäßigkeitsgedanke Ein absoluter Nutzenvorrang, der Wirtschaftlichkeitserwägungen auf medizinische Methoden mit identischem Nutzen beschränken würde, konnte weder aus § 12 Abs. 1 SGB V noch der Systematik des SGB V oder aber dem Verfassungsrecht hergeleitet werden. Ein relativer Nutzenvorrang ist sowohl angesichts des Gewichts von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als auch aufgrund der Zwecksetzung der GKV jedoch anzunehmen. Doch was bedeutet das Vorliegen eines relativen Nutzenvorrangs für den Leistungsumfang der GKV? Sowohl angesichts der Ausführungen der Rechtsprechung als auch nach Andeutungen in der Literatur liegt es nahe, das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V als einen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entwachsenden Gedanken zu verstehen. Für das Wirtschaftlichkeitsprinzip wird dies in anderen Rechtsgebieten ebenso vertreten.191 Versteht man das Wirtschaftlichkeitsgebot192 im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips,193 ist letztlich eine 191
So etwa Wolff/Bachof, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 30 II b), S. 179, wobei in der aktuellen Auflage eine derartige Einordnung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht mehr eindeutig vorgenommen wird; Gröpl, in: ders. (Hrsg.), BHO/LHO-Kommentar, § 7 Rn. 12. 192 Mit Wirtschaftlichkeitsgebot oder -prinzip ist im Folgenden der gesamte Abs. 1 des § 12 SGB V gemeint, während die Forderung, „wirtschaftlich“ innerhalb des § 12 Abs. 1 SGB Vals Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne bezeichnet oder aber in Anführungszeichen ausgewiesen wird. 193 Dies wird teilweise auch von der Rechtsprechung ausdrücklich angenommen, vgl. BSG, Urteil vom 16. 12. 1987, – 11a RK 1/86 –, juris Rn. 19 und LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. 01. 2010, – L 5 KR 126/09 –, juris Rn. 13. Wörtlich führt das LSG Rheinland-Pfalz aus: „Dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit würde es widersprechen, wenn Umfang und Notwendigkeit des Ausgleiches und die entsprechenden Kosten in keinem angemessenen Verhältnis stünden.“ So auch etwa Salje, Wirtschaftlichkeitsgebot der Krankenversorgung und Arzneimittelpreiswettbewerb, NJW 1989, S. 751 ff. (752); § 12 Abs. 1 SGB V als Übermaßverbot einordnend Pitschas, Die Modernisierung der sozialen Sicherung im Zeichen von Effektivität und Effizienz, Zum Grundsatz der Wirtschaftlichkeit im Sozialrecht, in: Butzer (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit durch Organisations- und Verfahrensrecht, S. 31 ff. (37); Gröpl, in: ders. (Hrsg.), BHO/LHO-Kommentar, § 7 Rn. 12 in Bezug auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip als solches; Isensee, Verwaltung des Mangels im Gesundheitswesen – verfassungsrechtliche Maßstäbe der Kontingentierung, in: Söllner/Gitter/Waltermann/Giesen/Ricken (Hrsg.), GS Heinze, S. 417 ff. (421); Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 34 Rn. 1; andeutungsweise Scholz, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 12 Rn. 2, der jedoch lediglich den Ausgleich der verfassungsrechtlich geschützten Interessen im Rahmen des § 12 SGB V
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Abwägung zwischen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG der Versicherten vorzunehmen.194 Der durch die Beitragserhebung erfolgende Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG der gesetzlich Krankenversicherten195 bedarf der Rechtfertigung durch das hiermit angestrebte Ziel – die Gesundheitsversorgung der gesetzlich Krankenversicherten. Die Frage, wann eine Leistung der GKV ausreichend, zweckmäßig und notwendig ist, ist demnach an Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu bemessen.196 Das Kriterium
darstellt, aber weder die Verhältnismäßigkeit noch die praktische Konkordanz ausdrücklich erwähnt. Kritisch zum Verhältnis des Effizienz- und Verhältnismäßigkeitsprinzips Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, S. 207 ff. (insbesondere 211), wobei hier allerdings eine bestimmte Ausrichtung und Lesart des Wirtschaftlichkeitsgebotes (des Effizienzprinzips) als nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar angesehen wird. Er fordert deshalb eine genaue Verankerung und Prüfung der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 194 Vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 20. 03. 1996, – 6 RKa 62/94 –, BSGE 78, 70 (86, 88 f.), in welchem die grundrechtlich abgesicherten Interessen der vom Wirtschaftlichkeitsprinzip Betroffenen abgeschichtet werden. Hier wird die Berufsausübung der Leistungserbringer ebenso als relevant betrachtet. Dies rührt jedoch aus der Frage der Verbindlichkeit der Leistungsbestimmungen für den Vertragsarzt her, welche im Rahmen von § 3 A. II. bereits angesprochen wurde. 195 Zur Rechtfertigung des Eingriffes in Art. 2 Abs. 1 GG durch die Auferlegung von Zwangsbeiträgen siehe Vogel, Vorteil und Verantwortlichkeit, in: Faller/Kirchhof/Träger (Hrsg.), Verantwortlichkeit und Freiheit, S. 518 ff. (519, 523 und 525); Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, S. 301 ff.; Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 54 ff.; Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, S. 11 ff.; so auch Steiner, Das Bundesverfassungsgericht und die Gesundheit der Deutschen, in: Kingreen/Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129 ff. (140). Zum Schutz vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung durch Art. 2 Abs. 1 GG, allerdings im Hinblick auf Leistungsausschlüsse und nicht die Konturierung des Leistungsumfanges, BVerfGE 115, 25 (42). Anders als bei der Steuererhebung, bei welcher das Einnahmeziel als rechtfertigendes Element anzuwenden ist, da hier keine Relation zu den hiermit verfolgten Zielen besteht und insoweit grundgesetzlich auch eigene Regelungen vorgesehen sind, ist aufgrund der finanzverfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Gebühren und Beiträgen eine Korrelation zwischen Leistung und (möglicher) Gegenleistung anzunehmen. Vgl. zur Rechtfertigung der Steuern und dem Non-Affektationsprinzip v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 72 f.; zum Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistung in der Sozialversicherung aufgrund der einnahmeorientierten Ausgabenpolitik bzw. umgekehrt siehe auch Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 200. 196 An dieser Stelle kann zunächst offen bleiben, ob Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in eingriffs-, schutz- oder leistungsrechtlicher Sicht im engeren Sinne greift, hierzu siehe § 4 F. II. 2. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schützt jedenfalls das Interesse des Gesundheitsschutzes als objektivrechtlichen Gehalt, vgl. Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 190; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 Rn. 76 f.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 222 ff.; zum objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte als Optimierungsaufgabe des Gesetzgebers siehe etwa Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S. 76 ff. m.w.N. Angesichts der Zielsetzung der GKV und damit den Regelungen des SGB V ist Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG mit den hierfür aufzubringenden Mitteln abzuwägen. Zur Auslegung des geltenden
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
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„wirtschaftlich“ beurteilt sich wiederum anhand eines Ausgleichs der von Art. 2 Abs. 1 GG197 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Versicherteninteressen. § 12 Abs. 1 SGB V spiegelt diese Interessenkollision zwischen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in seinen Teilelementen ebenso wider.198 Der zu erreichende Nutzen und die hierfür zu verwendenden finanziellen Mittel sind im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebotes im engeren Sinne deshalb zueinander ins Verhältnis zu setzen.199 Die Sicherstellung der Verhältnismäßigkeit der Beitragserhebung erfolgt damit letztlich dadurch, dass jede einzelne von der GKV zu gewährende Leistung selbst verhältnismäßig im Hinblick auf das Verhältnis von Kosten und Nutzen sein muss. Die sonst vom BVerfG für die Beitragsrechtfertigung häufig verwendete Heranziehung des Äquivalenzprinzips,200 welches grundsätzlich ein angemessenes VerRechts der GKV anhand von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch BVerfG, Beschluss vom 05. 03. 1997, – 1 BvR 1071/95 –, NZS 1997, S. 225 ff. (226). 197 Auf Art. 14 GG ist bei der Auferlegung von Geldleistungspflichten, wie hier der Krankenversicherungsbeiträge, nicht abzustellen. Das Vermögen als solches wird von Art. 14 GG nicht geschützt, vgl. BVerfGE 4, 7 (17); 14, 221 (241); 70, 219 (230); 75, 108 (154); siehe hierzu auch Umbach/Clemens, Sozialrecht und Verfassungsrecht, VSSR 1992, S. 265 ff. (275 f.); ebenso Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, S. 337 ff., der allerdings aufgrund des geringen Gewichts von Art. 2 Abs. 1 GG eine dogmatische Neuorientierung im Rahmen des Art. 14 GG fordert. Zwar ist seiner dogmatischen Kritik hinsichtlich der angenommenen Geltung von Art. 14 GG bei einer Erdrosselungswirkung zuzustimmen, auf die dogmatischen Streitigkeiten des Vermögensschutzes im Rahmen von Art. 14 GG wird im Folgenden jedoch nicht weiter eingegangen, da diese für die sich hier stellende Frage nicht als ausschlaggebend anzusehen sind. Die Schranke des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG stellt im Hinblick auf die hier betrachtete Abwägung keine höheren Voraussetzungen auf als Art. 2 Abs. 1 GG. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist ebenso keine grundsätzlich höhere Gewichtung des dahinterstehenden Belangs durch eine Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 14 Abs. 1 GG anzunehmen. 198 Mit ähnlichem verfassungsrechtlichen Aufriss in der Kommentierung des Nichtannahmebeschlusses des BVerfG vom 05. 04. 1997, – 1 BvR 1068/96 –, Plagemann/Genzel, MedR 1997, S. 318 ff. (318); andeutungsweise zur grundrechtlichen Kollision auch Jung, Das Recht auf Gesundheit, S. 250; hinsichtlich der Rechtfertigung des Sozialversicherungsbeitrages auf die Gegenleistung als Rechtfertigung rekurrierend Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 138; Gethmann/Gerok/Helmchen/Henke/Mittelstraß/Schmidt-Aßmann/Stock/Taupitz/ Thiele, Gesundheit nach Maß?, S. 162 f. und S. 226 f. 199 Stern, Staatsrecht II, § 34, S. 436 f.; vgl. auch BVerfGE 97, 271 (286), in welchem das BVerfG hinsichtlich der Hinterbliebenenrente im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung die Notwendigkeit der Verhältnismäßigkeit zwischen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG aufgrund der Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht zu den beitragsfinanzierten Leistungen darlegt; ebenso zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Grenzen für Gebührenregelungen, welche auf Beiträge übertragbar sind, und zum Abwägungsfaktor des mit der Gebührenregelung verfolgten Zwecks, siehe BVerfGE 50, 217 (227). Im Hinblick auf die Beiträge zur GKV, vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 06. 05. 2005, – 1 BvR 347/98 –, BVerfGE 115, 25 (42 ff.). 200 Zu Feststellung des Abstellens des BVerfG auf das Äquivalenzprinzip Jaeger, Die Reformen in der gesetzlichen Sozialversicherung im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NZS 2003, S. 225 ff. (228).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
hältnis zwischen Beitrag und Leistung sowohl individuell als auch abstrakt fordert,201 greift im Rahmen der GKV nur eingeschränkt. Eine direkte Korrelation zwischen Beitrag und Leistung im Sinne einer Abhängigkeit der geleisteten Beiträge zu den individuell erhaltenen Leistungen besteht aufgrund des Solidarausgleiches gerade nicht.202 Die Verhältnismäßigkeit der Beitragserhebung ist jedoch gegeben, wenn jede im Einzelfall zu gewährende Leistung verhältnismäßig ist. Die an der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf sämtliche staatliche Ausgaben teilweise geäußerte Kritik greift nicht. Diese Ansicht kritisiert, dass allein über den Erhebungsakt Rechenschaft im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips abgelegt werden müsse, die Forderung der Verhältnismäßigkeit aber nicht auf jede einzelne Ausgabe durchschlage.203 Um insgesamt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen zu können, müssen aber sämtliche Ausgabenentscheidungen die konkrete Mittelaufbringung rechtfertigen.204 Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung allein anhand der allgemeinen Zwecksetzung des Erhebungsaktes würde die Prüfung leerlaufen lassen. Eine derartige abstrakte Einschätzung, ob der Beitragssatz grundsätzlich die vom Leistungskatalog erfassten Leistungen rechtfertigt, ist mangels Maßstabs nicht kontrollierbar. Stattdessen bedarf es der Prüfung der einzelnen Leistungen. Hier kann zwar keine Abwägung in Bezug auf einen ganz konkreten, einzelnen Eingriff erfolgen. Das in der Forderung der Wirtschaftlichkeit enthaltende Interesse ist jedoch auf die Beitragserhebung und damit auf Art. 2 Abs. 1 GG logisch zurückzuführen. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen von § 12 Abs. 1 SGB V kompensiert die fehlende Rechtfertigung der Beitragserhebung über den Äquivalenzgrundsatz. Die vom BVerfG geforderte finanzielle Stabilität der GKV ist im Hinblick auf deren Sicherung durch § 12 Abs. 1 SGB V daher als Verhältnismäßigkeitsfrage zu denken.205 201
Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 6, in dem hier von ihm dargestellten engeren Sinne des juristischen Sprachgebrauchs, der Äquivalenz bezogen auf die konkret-individuelle Gegenleistung; Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung, S. 100 ff. (113 f. und 145 ff.), der allerdings insgesamt, hergleitet im Hinblick auf die Rentenversicherung, davon ausgeht, dass Art. 3 Abs. 1 GG den einzig relevanten Verfassungsmaßstab zur Bemessung der Beitragshöhe darstelle. 202 Die fehlende Unmittelbarkeit des Zusammenhangs zwischen Beitrag und Leistungsspektrum feststellend Steiner, Das Bundesverfassungsgericht und die Gesundheit der Deutschen, in: Kingreen/Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129 ff. (134). 203 Schmidt-Jortzig, Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit – Verfassungsrechtliche Determinanten, in: Butzer (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit durch Organisations- und Verfahrensrecht, S. 17 ff. (22). 204 In diese Richtung auch Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, S. 265 ff. und 301 ff., zusammenfassend S. 324. Die an der Anwendung der Verhältnismäßigkeit von ihm gleichzeitig geäußerte Kritik betrifft lediglich den Umgang mit diesem Maßstab. 205 Die teilweise Forderung, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip als umfassendes Rechtsprinzip sowie aufgrund seiner Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip für leistende Staatstätigkeit grundsätzlich gelten müsse (vgl. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, S. 11 ff.) hat sich bisher nicht durchsetzen können. Aufgrund der bestehenden Leistungsfä-
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Dieser Ansatz, den Interessenausgleich des Wirtschaftlichkeitsgebots als Verhältnismäßigkeitsfrage zu verstehen, ist überdies begrifflich in § 12 Abs. 1 SGB V aufgrund der Kriterien „ausreichend“, „zweckmäßig“, „notwendig“ und „wirtschaftlich“ selbst angelegt.206 Der Begriff „ausreichend“ führt eine Untergrenze des Leistungsumfanges ein.207 Häufig wird „ausreichend“ in Zusammenschau mit dem Kriterium „zweckmäßig“ auch als gemeinsamer Maßstab der genügenden Menge bzw. Größe (Quantität) im Vergleich zur Qualität verstanden.208 Die Zweckmäßigkeit einer Leistung ist gegeben, wenn sie geeignet ist, durch die Aufwendung von Mitteln ein bestimmtes Ziel zu erreichen.209 Hiermit wird die Wirksamkeit des zur Behandlung eingesetzten Mittels gefordert.210 Dies spiegelt die Forderung der Geeignetheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wider. Die Notwendigkeit der Leistung ist anzunehmen, wenn es nicht mehrere Mittel gibt, die zweckmäßig und ausreichend sind. Abzulehnen ist die Notwendigkeit einer Leistung demzufolge, wenn der Einsatz eines bestimmten Mittels nicht zur Erreichung des Zweckes zwingend ist,211 also ein anderes Mittel den Erfolg gleichermaßen herbeiführen kann. Damit wohnt der Zweckmäßigkeit des § 12 Abs. 1 SGB V insbesondere der Vergleich der Zweckerreichung mit anderen Mitteln inne. Die Forderung der Notwendigkeit der Leistung umschreibt somit die in der Verhältnismäßigkeitsprüfung als Erforderlichkeit bezeichnete Mittelabwägung zur Zweckerreichung. higkeit des Staates allein aufgrund eines Eingriffs in die Freiheitsrechte der Bürger – über die Erhebung von Abgaben – spricht jedoch einiges für diese Ansicht. Angesichts der ausdrücklichen Forderung der Wirtschaftlichkeit in § 12 Abs. 1 SGB V und dem Verständnis der Wirtschaftlichkeit als Zweck-Mittel-Relation zwischen Kosten und Nutzen, bedarf es der Beantwortung der Frage, ob das Verhältnismäßigkeitsprinzip grundsätzlich für sämtliche staatliche Ausgabenentscheidungen gilt, hier jedoch nicht. 206 Diese Tendenz von der Formulierung her ebenso aufweisend BSG, Urteil vom 03. 07. 2012, – B 1 KR 22/11 R –, juris Rn. 13; hierauf hinweisend auch Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 57. 207 Roters, Die gebotene Kontrolldichte, S. 204; ders., in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 26; BSGE 55, 188 (193); Welti, Der sozialrechtliche Rahmen ärztlicher Therapiefreiheit, GesR 2006, S. 1 ff. (8). 208 Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 67; Geers, Die gesundheitsökonomischen Grundsätze der Krankenpflege nach § 182 Abs. 2 RVO, SGb 1983, S. 55 ff. (56), wobei diese Aufspaltung zwischen Quantität und Qualität jedoch als künstlich und insbesondere mit dem Bezug auf medizinische Behandlungsmethoden, die quantitativ häufig nicht teilbar sind, als nicht vereinbar erscheint. 209 Geers, Die gesundheitsökonomischen Grundsätze der Krankenpflege nach § 182 Abs. 2 RVO, SGb 1983, S. 55 ff. (56); BSG, Urteil vom 09. 02. 1989, – 3 RK 19/87 –, juris Rn. 15; Bußmann-Weigl, Die Begriffe des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit und die Gestaltung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Reimer/Schnitzler (Hrsg.), Gesundheitsrecht und Krankenversicherung, S. 47 ff. (49); Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, S. 28; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 183. 210 BSGE 52, 70 (75); 52, 134 (136 f.); 63, 102 (104 f.); 64, 255 (257 f.); 70, 24 (26 f.); ebenso Roters, Die gebotene Kontrolldichte für die Richtlinien des Bundesausschusses, S. 205. 211 Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 166.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
In der Literatur wird zwar teilweise auch angenommen, die Notwendigkeit entspräche dem Übermaßverbot, da eine Überforderung des Systems der GKV zu verhindern sei.212 § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V liest sich auf den ersten Blick auch so, als würde die Forderung, das Notwendige nicht zu überschreiten, eine Konkretisierung der Forderung der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne darstellen. Dem widerspricht jedoch die alternative Nennung von „notwendig“ und „unwirtschaftlich“ in § 12 Abs. 1 S. 2 SGB V. Die beiden Kriterien haben daher durchaus einen unterschiedlichen Aussagegehalt. Die Notwendigkeit entfaltet ihre Wirkung bei identisch nützlichen Methoden. Wenn ein wirklich gleich geeignetes Mittel auf mildere Art und Weise das Ziel eines umfassenden Gesundheitsschutzes zu erreichen vermag, ist es nicht notwendig, eine andere Behandlung zu gewähren. „Notwendig“ umschreibt deshalb lediglich die Prüfung der Erforderlichkeit. „Wirtschaftlich“ beinhaltet demgegenüber die Forderung, Zweck und Mittel zueinander ins Verhältnis zu setzen. Diese Art der Beurteilung ist auch der Angemessenheitsprüfung immanent. Die Frage der Notwendigkeit einer Leistung entspricht somit der Erforderlichkeit. Die Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne umschreibt hingegen den Aspekt der Angemessenheit, also der Abwägung zwischen Zweck und Mittel – zwischen Kosten und Nutzen. Bestätigt wird diese These – § 12 Abs. 1 SGB V als Verhältnismäßigkeitsgedanken zu verstehen – auch durch die gesetzliche Wortwahl im Rahmen der Umsetzung des § 12 Abs. 1 SGB V im Leistungserbringungsrecht. § 106 Abs. 2a Nr. 4 SGB V fordert ausdrücklich, dass die durch die Leistung verursachten Kosten im Hinblick auf das Behandlungsziel „angemessen“ sein müssen. Trotz der Kritik am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz führt dieses Verständnis des § 12 Abs. 1 SGB V weiter. Auf seiner Grundlage lässt sich sowohl die zu § 12 Abs. 1 SGB Vergangene Rechtsprechung erklären als auch der relative Vorrang des Nutzens rechtlich einordnen. Die Kosten-Nutzen-Abwägung gewinnt hiermit ein methodisches Fundament. Die Rückführung sämtlichen Prinzipiendenkens, jeglicher Interessenkollisionen, auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist vielfach damit kritisiert worden, dass hierdurch juristische Methodik in lediglich argumentative Abwägungskalküle politischer Natur verwandelt würden.213 Durch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf gegenläufige Interessen sei methodisch nichts gewonnen. Dem ist angesichts der konkreten Betrachtung, welche Verhältnisse zwischen Kosten und Nutzen sich in Anbetracht der bestehenden Alternativen rechtfertigen lassen,214 jedoch nicht beizupflichten. Insbesondere die Geeignetheit und Erfor212
Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 184 m.w.N. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 134 ff. und 192 ff., jeweils m.w.N.; Huster, Rechte und Ziele, S. 147; Ladeur, Kritik der Abwägung in der Grundrechtsdogmatik, S. 12 ff. 214 Zur spezifischen Bestimmung des Gewichts von Art. 2 Abs. 1 GG anhand der Sachbereiche und dem Rationalitätsgewinn durch Offenlegung dieser Abwägung etwa Grabitz, 213
C. Relativer oder absoluter Nutzenvorrang
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derlichkeit stellen selbst nach Ansicht der Abwägungskritiker maßstabsbildende Kriterien dar. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Grundrechtseingriffes können im Gegensatz zum stark von der Subjektivität des Akteurs geprägten Abwägungsvorgang ein dogmatisch eindeutiges Urteil begründen.215 Wie weit im Rahmen der Angemessenheit abgewogen werden kann, hängt angesichts der durch subjektive Wertungen geprägten Angemessenheitsprüfung von dem Legitimationsniveau des Entscheidungsträgers ab. Dies gilt unabhängig davon, wie weit man der Kritik an der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Detail folgt. Materielle Rationalität, das Bestehen objektiver, eindeutiger Kriterien, ist demnach durch prozedurale Rationalität, welche hier unter anderem auch als Ausdruck demokratischer Legitimation verstanden wird, zu ergänzen.216 Dieser Gedanke zeigt unter anderem, dass es darauf ankommt, in welchem Maße der Entscheidungsträger demokratisch legitimiert ist, um Kosten-Nutzen-Bewertungen vorzunehmen und umsetzen zu können. Die Rückführung des Wirtschaftlichkeitsgebots des § 12 Abs. 1 SGB V auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Zweck-Mittel-Relation, welche über die Begriffe Nutzen und Kosten als die konfligierenden Interessen abgebildet wird, führt dazu, dass die erfolgenden Kosten-Nutzen-Bewertungen als eine Umsetzung der Angemessenheit im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu verstehen sind. Kosten-Nutzen-Bewertungen sind in der Literatur schon früher als möglicher Konkretisierungsmaßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips angesehen worden.217 Andernteils wird aber auch angenommen, dass zwischen Kosten-Nutzen-Analysen Freiheit und Verfassungsrecht, S. 250 f.; ebenso Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, S. 308 ff. 215 Schlink, Freiheit durch Eingriffsabwehr – Rekonstruktion der klassischen Grundrechtsfunktion, EuGRZ 1984, S. 457 ff. (462). 216 Zur Ergänzung prozeduraler und materieller Rationalität siehe Winter, Über Nutzen und Kosten der Effizienzregel im öffentlichen Recht, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 97 ff. (105); ebenso Führ, Ökonomische Effizienz und juristische Rationalität, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 157 ff. (163; 171 ff.); ähnlich, wenn auch aus dem Blickwinkel des Kontrollumfangs des BVerfG, Hesse, Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Wahrnehmung grundrechtlicher Schutzpflichten des Gesetzgebers, in: Däubler-Gmelin/ Kinkel/Meyer/Simon (Hrsg.), Gegenrede, FS Mahrenholz, S. 541 ff. (559), mit dem Hinweis auf die objektive Grundrechtsfunktion als „Richtlinien- und Impulsgeber“ für den Gesetzgeber sowie der Notwendigkeit des Vertrauens auf den demokratischen Prozess. Letztlich stellt dies die Kehrseite der Kritik an der mangelnden Objektivität von Abwägungsentscheidungen dar, welche stärker subjektiv als objektiv anhand erkennbarer Kriterien erfolge. Hierzu siehe etwa Sieckmann, Zur Begründung von Abwägungsurteilen, Rechtstheorie 26 (1995), S. 45 ff. (68). 217 Fehling, Kosten-Nutzen-Analysen als Maßstab für Verwaltungsentscheidungen, VerwArch. 95 (2004), S. 443 ff. (455 und 470) m.w.N; Gawel, Ökonomische Effizienzforderungen und ihre juristische Rezeption, in: ders. (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 9 ff. (38), ausdrücklich lediglich im Hinblick auf die Effizienz, die er jedoch als Kosten-Nutzen-Verhältnis versteht. Ähnlich auch Meßerschmidt, Ökonomische Effizienz und juristische Verhältnismäßigkeit, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 215 ff. (219 f. und 225 ff., insbesondere im Rahmen der Angemessenheit S. 230); von Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 53 ff.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
und der Verhältnismäßigkeitsprüfung erhebliche Unterschiede bestehen würden.218 Diese grundsätzliche, rechtstheoretische Frage kann hier jedoch offen bleiben, denn aus der Herleitung folgt vor allem, dass die im Rahmen von § 12 Abs. 1 SGB V anzustellenden Kosten-Nutzen-Bewertungen den Maßgaben der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu entsprechen haben.219 Ob Kosten-Nutzen-Analysen in ihrer spezifisch ökonomischen Prägung grundsätzlich die Verhältnismäßigkeitsprüfung umsetzen, ist für die hier zu behandelnde Fragestellung irrelevant, solange sie angesichts der rechtlichen Vorgaben der Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechen müssen. Versteht man das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V auf diese Art und Weise, erklärt sich auch, warum in ihm, obwohl es grundsätzlich als Minimalprinzip verstanden wird, gleichzeitig auch Überlegungen des Maximalprinzips anklingen. Die einzelnen Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung spiegeln nämlich das wirtschaftswissenschaftliche Verständnis des Wirtschaftlichkeitsprinzips wider.220 Während das Minimalprinzip fest einen Zweck vorgibt und lediglich eine Überprüfung der Erreichbarkeit dieses Zwecks zulässt, damit also den Stufen der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips gleich kommt,221 zeichnet sich das Maximalprinzip dadurch aus, dass Zweck und Mittel gegeneinander beweglich verschoben werden können.222 Das Maximalprinzip steht insoweit dem Gedanken der Angemessenheit des Verhältnisses nahe. Das Wirtschaftlichkeitsgebot enthält angesichts des festgestellten relativen Nutzenvorranges demzufolge auch Züge des Maximalprinzips. Kosten und Nutzen müssen zwar vor allem anhand der anderen Behandlungsalternativen, partiell jedoch auch gegeneinander abgewogen werden. Wie weitgehend zwischen Kosten und Nutzen abgewogen werden kann, wird hiermit allerdings noch nicht beantwortet. Hierzu bedarf es zum einen einer näheren Bestimmung der zueinander ins Verhältnis zu setzenden Faktoren – die Begriffe Kosten und Nutzen sind daher zu definieren. Zum anderen ist näher zu untersuchen, wer das Wirtschaftlichkeitsgebot auf welche Art und Weise konkretisiert. Dies führt auf das von der Rechtsprechung geprägte und in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V geregelte Kriterium der Vergleichbarkeit zurück. 218
So etwa Ekardt, Ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse versus öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeit und Abwägung: Ergänzungs- oder Ausschlussverhältnis?, JöR 61 (2013), S. 89 ff., passim. 219 Im Übrigen wurde die Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen, deren besondere Bedeutung in der Quantifizierung des Nutzens liegt, mangels Quantifizierbarkeit von gesundheitsbezogenen Faktoren ohnehin bereits abgelehnt, vgl. § 2 B. III. 2. 220 Vgl. Meßerschmidt, Ökonomische Effizienz und juristische Verhältnismäßigkeit, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 215 ff. (226). 221 Führ, Ökonomisches Prinzip und juristische Rationalität, S. 32; Meßerschmidt, Ökonomische Effizienz und juristische Verhältnismäßigkeit, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 215 ff. (228). 222 Zur beweglichen Verschiebbarkeit im Rahmen der praktischen Konkordanz Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 28 (Rn. 72) und S. 142 ff. (Rn. 317 ff.); im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 58 f.
D. Umsetzung durch Kosten-Nutzen-Bewertungen
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D. Kosten-Nutzen-Bewertungen als Umsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots Angesichts der Umsetzung der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne durch einen Vergleich von Kosten und Nutzen sind die in die Begriffe Kosten und Nutzen einzubeziehenden Faktoren an die im Wirtschaftlichkeitsgebot enthaltenen Vorgaben gebunden. Diese Überlegung bildet den Hintergrund der Bestimmung der zum Ausgleich zu bringenden Faktoren. Nicht nur das Verhältnis von Kosten und Nutzen zueinander ist umstritten, auch die auf den ersten Blick einfach anmutenden Begriffe „Kosten“ und „Nutzen“ sind bisher nicht hinreichend erfasst worden. Hierdurch wurden Fragen hervorgerufen wie: Welche Kosten unter den Kostenbegriff zu fassen sind – nur die direkten oder auch die indirekten? Welcher hervorgerufene Nutzen ist innerhalb der GKV relevant? Ab wann liegt ein relevanter Zusatznutzen vor? Wie verhält sich dieser zum Begriff der therapeutischen Verbesserung? Es hat daher eine Präzision bzw. Definition dieser Begrifflichkeiten auf der Grundlage der Ausführungen zu § 12 Abs. 1 SGB V zu erfolgen. Die Bewertung von Kosten und Nutzen medizinischer Maßnahmen ist demnach nicht nur im Verhältnis zueinander diffizil, sondern schon ihre Ermittlung selbst ist äußerst komplex. Die Heterogenität der zu ihrer Ermittlung bzw. Bewertung verwendeten Verfahren zeigt dies deutlich.223 Neben dem Bewertungsproblem von Kosten und Nutzen zueinander, ist daher die Bestimmung der Faktoren, die unter die Begriffe Kosten und Nutzen zu fassen sind, von besonderer Relevanz. Welche Leistungen als wirtschaftlich anzusehen sind, hängt wesentlich von der Abwägung zwischen den Kosten und dem zu erreichenden Zweck, dem Nutzen, ab. Das Ergebnis der Abwägung wird aus diesem Grund davon mitbestimmt, welche Kriterien von den Begriffen Kosten und Nutzen erfasst werden.224 Nicht jeder als Verlust oder Zugewinn betrachtete Unterschied ist in die Abwägung im Rahmen der Kosten oder Nutzen einzustellen.225 Grenzen für die Einbeziehung von Faktoren 223 Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, S. 32. 224 Hierauf in Bezug auf die Effizienz als Lösung von Knappheitskonflikten im Umweltrecht hinweisend Gawel, Ökonomische Effizienzforderung und ihre juristische Rezeption, in: ders. (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 9 ff. (27); ebenso unter Hinweis auf die sehr unterschiedlichen Ergebnisse von Kosten-Nutzen-Vergleichen je nachdem, welche Kriterien unter Kosten und Nutzen gefasst werden, Kirsch, Die Cost-Benefit-Analyse: Ein Katalog von Fragen, in: Hansmeyer (Hrsg.), Das rationale Budget, S. 55 ff. (63). 225 So im Hinblick auf die Kosten Kirsch, Die Cost-Benefit-Analyse: Ein Katalog von Fragen, in: Hansmeyer (Hrsg.), Das rationale Budget, S. 68, der unter Kosten „das Ergebnis jeder Handlung, die irgend jemanden zwingt, auf die sonst mögliche Realisierung eines oder mehrerer seiner Ziele – für ihn fühlbar – ganz oder teilweise zu verzichten“ fasst. Nutzen definiert er als Gegenbegriff zu Kosten als das Ergebnis jeder Handlung, „die irgend jemand – für ihn fühlbar – näher an eines oder mehrere seiner Ziele bringt“.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
hinsichtlich des Nutzens stellen die der GKV gesetzten Ziele dar. Im Hinblick auf die Frage, ob bestimmte Kosten einzubeziehen sind, kommt es darauf an, bei wem diese entstehen. Die Faktoren „Kosten“ und „Nutzen“ bestimmen sich somit aus der gesetzgeberischen Zielsetzung des Systems der GKV sowie ihrer Finanzierungsstruktur. Zwischen dem Kosten- und dem Nutzenbegriff besteht insoweit eine Korrelation, als Kriterien, die nicht als Nutzen verstanden werden, möglicherweise als Kosten erfassbar sind und umgekehrt. Wenn ein Kriterium von einem der Begriffe erfasst wird, dann kann dieses Kriterium nicht im Rahmen des anderen Begriffs (nochmals) berücksichtigt werden. Aufgrund der Bewertung von Nutzen und Kosten zueinander bedarf es, um eine doppelte Verwendung von Gesichtspunkten sowohl als Nutzen- als auch Kostenfaktor zu verhindern, einer klaren Abgrenzung der Begriffe voneinander. Deshalb ist zu bestimmen, welche Kriterien im Rahmen des Nutzens und welche im Rahmen der Kosten zu erfassen sind.226 Der Ansicht, dass ein Faktor nur einmal auf Kosten- oder Nutzenseite berücksichtigbar ist, stehen jedoch einige Annahmen der Gesundheitsökonomie entgegen. So wird in der Gesundheitsökonomie zum Beispiel davon ausgegangen, dass als Nutzen neben monetären Einsparungen, in Form der durch die Behandlung ersparten weiteren Ressourcenaufwendungen, auch positive externe Effekte, wie etwa die Produktivität, berücksichtigt werden können.227 Dies aber führt dazu, dass derselbe Faktor, bei Fehlen einer Definition sowie Abgrenzung von Kosten und Nutzen, sowohl positiv als auch negativ bewertet einmal in die Nutzen- und ein weiteres Mal in die Kostenbemessung einfließen könnte. Eine doppelte Berücksichtigung hätte aber zur Folge, dass es bei der Bewertung dieser Komparatoren zueinander zu einer Verfälschung käme, da ein Gesichtspunkt zu stark gewichtet würde.228 Die Einbeziehung eines Faktors im Rahmen einer der Begrifflichkeiten bewirkt daher, dass er im Rahmen der anderen auszuschließen ist. Der Ausschluss der Berücksichtigungsfähigkeit eines Faktors bspw. im Rahmen des Begriffes „Kosten“ führt umgekehrt hingegen logisch nicht zwingend dazu, dass dieser Faktor im Rahmen des
226 Auf die Problematik der Doppelverwertung bei der Erfassung indirekter Kosten ebenso hinweisend Roters, Der (Zusatz-)Nutzen-Begriff im SGB V, NZS 2010, S. 612 ff. (617); ebenfalls eine klare Trennung zwischen medizinisch-therapeutischen Nutzen-Risiko-Bewertungen von ökonomischen Kosten-Überlegungen fordernd Hart, Rechtliche Grenzen der „Ökonomisierung“, MedR 1996, S. 60 ff. (70). 227 Bußmann-Weigl, Der Wirtschaftlichkeitsbegriff im SGB V, S. 67 f. 228 A.A. im Hinblick auf § 7 Abs. 1 BHO BVerwG, Urteil vom 03. 03. 2011, – 9 A 8/10 –, BVerwGE 139, 150 (178 f.), welches meint, dass es dem Grundsatz der Sparsamkeit entspreche, die Kosten nicht nur im Rahmen der Kosten-Nutzen-Analyse zu berücksichtigen, sondern darüber hinausgehend als weiteren, eigenständigen Belang in die Abwägung einzustellen, wobei diese Aussage jedoch eine etwas andere Ebene betrifft, da hier nicht Kosten gegenüber Nutzen abgegrenzt werden, sondern vielmehr fraglich ist, ob über die Kosten-Nutzen-Analyse hinausgehend dieselben Kostenaspekte in der die Kosten-Nutzen-Analyse einbeziehenden Abwägung nochmals berücksichtigbar sind.
D. Umsetzung durch Kosten-Nutzen-Bewertungen
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Nutzens nicht zum Tragen kommen kann. Aus diesem Grund sind die Begriffe „Kosten“ und „Nutzen“ näher zu bestimmen.
I. Kosten Unter Kosten sind sämtliche im System der GKV für eine Behandlung anfallenden Ausgaben zu verstehen, nicht jedoch in anderen Bereichen anfallende Ausgaben. Aus ökonomischer Sicht mag zwar eine vollständige Kostenerfassung unter Ausblendung ihres konkreten gruppenbezogenen Auftretens sinnvoll erscheinen.229 Dies widerspricht jedoch der Notwendigkeit der durch die Kosten-Nutzen-Bewertung erfolgenden Ausgestaltung der Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Rechtfertigung des Eingriffes in Art. 2 Abs. 1 GG.230 Das Verständnis des ökonomischen Ansatzes, welches Sozialkosten und Sozialnutzen umfassend – auch ihre GKV-externen Wirkungen – einbezieht, kann zwar ebenso von Relevanz sein,231 es bedarf jedoch ihrer gesonderten Ausweisung. Vorrangig hat – aufgrund ihrer systemischen Abgeschlossenheit im Hinblick auf die durch Zwangsmitgliedschaft erfolgte Gruppenbildung – eine Bewertung der innerhalb der GKV anfallenden Vorund Nachteile zu erfolgen. Hinsichtlich externer Wirkungen muss konkret ermittelt werden, ob sie eine rechtfertigende Wirkung im Hinblick auf den Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG erzeugen. Im Rahmen der Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit, die den Interessenkonflikt der Versicherten zwischen Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG lösen soll, können durchaus auch Fernwirkungen berücksichtigt werden. Dafür müssen diese aber für sämtliche Versicherten von Relevanz sein. Aus diesem Grund bedarf es ihrer gesonderten Bewertung und damit auch Ausweisung. Der Entscheidungsträger muss bewusst über ihre Einbeziehung und Gewichtung entscheiden. Nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende Fernwirkungen, die lediglich zufällig Teile der Versicherten positiv oder negativ treffen, sind hingegen nicht berücksichtigbar. Gesetzlich ist mit den im SGB V getroffenen Regelungen die Zwecksetzung der Beitragserhebung auf das Bewirken gesundheitsrelevanter Vorteile beschränkt worden. Fernwirkungen sind für die GKV daher, auch hinsichtlich der durch sie hervorgerufenen Kosten in anderen staatlichen Systemen, grundsätzlich irrelevant.232 Dieser Ansatz stimmt mit der Rechtsprechung sowohl im Hinblick auf 229
Gawel, Ökonomische Effizienzforderung und ihre juristische Rezeption, in: ders. (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 9 ff. (24). 230 So auch im Hinblick auf die Rechtfertigung des Solidarausgleichs, allerdings in Bezug auf Art. 14 Abs. 1 GG, Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 70. 231 Zur Forderung, sämtliche Sozialkosten und -nutzen in eine Kosten-Nutzen-Analyse einzubeziehen siehe Hansjürgens, Mehr Effizienz im Umweltrecht durch Kosten-NutzenAnalysen?, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 63 ff. (69). 232 Zur Perspektive der Kostenberücksichtigung siehe bereits die Argumentation in § 2 B. III. 2. c).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
die zu berücksichtigenden Parameter als auch die gezogenen „systemrelevanten“ Grenzen von Wirtschaftlichkeitserwägungen überein.233 Die von Zimmermann vorgeschlagene Anknüpfung an § 13 Abs. 2 SGB V zur Bestimmung des im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V relevanten Kostenbegriffes führt hingegen nicht weiter. Der in der nach § 12 Abs. 1 SGB V und § 35b SGB V anzustellenden Abwägung verwendete Kostenbegriff ist nicht zwingend kongruent mit den Kosten, die dem Versicherten zu erstatten sind, wenn dieser nicht von dem der GKV zugrunde liegenden Sachleistungsprinzip Gebrauch macht, sondern sozusagen in Vorkasse tritt.234 Diese Konstruktion impliziert, ohne dies rechtlich darzulegen, dass lediglich direkt bei der Krankenkasse anfallende Kosten einbezogen werden können. Dem ist zwar im Ergebnis zuzustimmen, nicht aber, was die methodische Herleitung angeht. Hiermit wird nämlich von § 13 Abs. 2 S. 9 SGB V auf eine ihm vorausliegende Entscheidung geschlossen. Nach § 13 Abs. 2 S. 1 SGB V werden Kosten nur erstattet, wenn der Versicherte einen Anspruch auf die Sach- oder Dienstleistung gehabt hätte. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist jedoch gerade unter anderem mittels einer Kosten-Nutzen-Abwägung zu entscheiden. Im Hinblick auf diese muss deshalb zunächst geklärt werden, welche hervorgerufenen Kosten einzubeziehen sind. Die Anlehnung an § 13 Abs. 2 SGB V trägt daher nicht. Aus dem Gedanken der Abgrenzung eines beitragsfinanzierten von einem steuerlich finanzierten Krankenversicherungssystem lässt sich demnach schlussfolgern, dass lediglich die direkt für die GKV wie auch die weiteren bei den Versicherten anfallenden Kosten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Leistung stehen, in die Abwägung einzubeziehen sind.
II. Nutzen Die Bestimmung des Nutzens einer medizinischen Methode hat Einfluss auf eine Vielzahl von Versorgungsentscheidungen. Deshalb überrascht es nicht, dass seine Definition umstritten ist bzw. fehlt.235 In ihm werden sowohl medizinische als auch rechtliche Aspekte vereint,236 die bei der Erfassung des Begriffes zu berücksichtigen sind. Die Feststellung, dass „Nutzen“ eine bewertende Aussage über vorhandenes Wissen darstellt, welche als positive Bilanz mittels vergleichender Abwägung zwischen Wirksamkeitswahrscheinlichkeit und Risiken im Hinblick auf das diagnostische oder therapeutische Ziel oder Teilziel der Behandlung von Patienten bzw. 233
Hierzu siehe § 2 B. III. 2. So aber der Ansatz von Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 189, der über § 13 Abs. 2 S. 9 SGB Vauf die Vergütung der Leistungserbringer hinsichtlich der Höhe der Erstattungskosten abstellt. 235 Roters, Der (Zusatz-)Nutzen-Begriff im SGB V, NZS 2010, S. 612 ff. (612); Francke/ Hart, Bewertungskriterien und -methoden nach dem SGB V, MedR 2008, S. 2 ff. (2, 13). 236 Francke/Hart, Bewertungskriterien und -methoden nach dem SGB V, MedR 2008, S. 2 ff. (11); Heinemann/Lang, Der Begriff des Nutzens in der Frühbewertung nach dem AMNOG, MedR 2011, S. 150 ff. (150). 234
D. Umsetzung durch Kosten-Nutzen-Bewertungen
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Patientengruppen gewonnen wird,237 beantwortet nicht sämtliche problematischen Fragen. Hierüber hinausgehend bedarf es der Klärung, welche durch eine medizinische Methode hervorgerufenen Wirkungen unter den Nutzenbegriff zu fassen sind. Praktisch relevant ist die Definition des Nutzens etwa im Rahmen der Fragestellung geworden, ob Insulinanaloga einen zusätzlichen Nutzen gegenüber Humaninsulinen aufweisen. Bei Insulinanaloga tritt die Wirkung schneller ein, sodass auf diese Weise der „Spritz-Ess-Abstand“ verkürzt werden kann.238 Hauptgesichtspunkt dieser Diskussion stellt dabei das Problem der Abgrenzung des Nutzens von der bloßen Verbesserung von für die GKV irrelevanter Annehmlichkeiten dar. Letztere können nicht rechtfertigen, dass erhebliche zusätzliche Kosten für die GKV entstehen. Diese Unterscheidung zwischen medizinischem Nutzen und der Erhöhung bloßer Annehmlichkeiten findet sich im Rahmen der Rechtsprechung zur Wirtschaftlichkeit von Hilfsmitteln in der Differenzierung zwischen der Erhöhung der Funktionalität gegenüber einer bloßen Erhöhung der Bequemlichkeit, des Komforts oder ästhetischer Gesichtspunkte wieder.239 Verkompliziert wird diese Abgrenzung insbesondere durch die Einbeziehung der Lebensqualität in den Nutzen, da die Lebensqualität über den medizinischen, klinisch messbaren Nutzen hinausgeht und auch derartige Annehmlichkeiten umfassen könnte.240 Neben dieser Fragestellung ist weiterhin relevant, ab welchem „Patienten-Outcome“ ein Nutzen anzunehmen ist. Dies ist sowohl hinsichtlich einer „Eingangsschwelle“ als auch im Vergleich zu anderen medizinischen Maßnahmen derselben Indikation, in diesem Fall als Zusatznutzen bzw. therapeutische Verbesserung, zu erörtern.241 Von der Definition des Nutzens zu trennen ist die Frage der an die Nachweiserbringung zu stellenden Anforderungen, welche sowohl zeitpunktabhängig sind als auch mit dem Schweregrad der Erkrankung korrelieren und daher fallbezogen beurteilt werden müssen.242 237 Francke/Hart, Bewertungskriterien und -methoden nach dem SGB V, MedR 2008, S. 2 ff. (14). 238 Roters, Der (Zusatz-)Nutzen-Begriff im SGB V, NZS 2010, S. 612 ff. (612 f.). 239 Vgl. etwa BSG, Urteil vom 06. 06. 2002, – B 3 KR 68/01 R –, juris Rn. 13 und 16; BSG, Urteil vom 16. 09. 2004, – B 3 KR 20/04 R –, BSGE 93, 183 (188) und BSG, Urteil vom 17. 09. 2009, – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170 (178 f.), wobei in diesem Rahmen allerdings aufgrund der Vorschrift des § 33 SGB V die Abgrenzung zu Gegenständen des täglichen Lebens gegenüber dem Nutzenbegriff besonders hervorgehoben wird. 240 Roters, Der (Zusatz-)Nutzen-Begriff im SGB V, NZS 2010, S. 612 ff. (613). 241 Teilweise wird diesbzgl. bestritten, dass eine pauschale Antwort darauf gegeben werden könne, wann ein Nutzen anzunehmen ist, vgl. Krüger-Brand, Nutzenbewertung ist machbar, DÄ 2012, S. A 406 ff. (A 407). 242 Auf Fragen der Beweislast und die notwendigen Unterlagen zur Darlegung des Nutzens sei an dieser Stelle daher lediglich hingewiesen. Viertiefend hierzu siehe etwa BSG, Urteil vom 03. 07. 2012, – B 1 KR 22/11 R –, juris Rn. 37.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Bei der Nutzenbewertung ist die Wirksamkeitswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen, da die unterschiedlichen Nachweisgrade des Nutzens wie auch die verschiedenen Nebenwirkungsprofile hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit divergieren. Es bedarf der Einbeziehung des in Gestalt der Wahrscheinlichkeitsannahmen hinsichtlich des Nutzeneintritts zum Ausdruck kommenden Informationsdefizits. Dies kann etwa mittels Verwendung eines Wahrscheinlichkeitskoeffizienten243 erfolgen. Bei fehlender Berücksichtigung der unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsgrade des Nutzeneintrittes sowie des unterschiedlich hohen Risikos von Nebenwirkungen im Rahmen der Bewertung verschiedener medizinischer Methoden zueinander, ist eine Überbewertung des Nutzenvorteils möglich, da gegebenenfalls die geringere Eintrittswahrscheinlichkeit nicht ausreichend berücksichtigt wird. Hierdurch könnte das Verhältnis von Kosten und Nutzen zueinander sowie gegenüber anderen medizinischen Methoden falsch beurteilt werden. Einschränkend ist diesem Gesichtspunkt allerdings hinzuzufügen, dass eine partielle Berücksichtigung dieses Aspekts bereits erfolgt, da grundsätzlich als Nutzen nur Faktoren gelten, die ohnehin mit einem bestimmten Evidenzgrad nachgewiesen wurden. Im Hinblick auf Nebenwirkungen gilt dies jedoch nicht im selben Umfang. Darüber hinaus erscheint, trotz der bereits erfolgenden Berücksichtigung der Evidenz des Nutzennachweises, die Einbeziehung eines Wahrscheinlichkeitskoeffizienten als sinnvoll, da dieser noch präziser die bestehenden Unterschiede in die Bewertung einzubeziehen vermag. 1. Erfassung des Nutzenbegriffs Der Nutzen einer medizinischen Methode hängt von unterschiedlichen Faktoren und deren Beurteilung sowie Gewichtung zueinander ab. Es handelt sich daher um einen mehrdimensionalen Begriff,244 der einer übergreifenden Definition kaum zugänglich ist und häufig im Einzelfall beurteilt werden muss. Der Begriff „Nutzen“ findet sich an den unterschiedlichsten Stellen des SGB V ebenso wie in weiteren Gesetzen. Bei der Verwendung derselben Begrifflichkeit innerhalb eines Gesetzes spricht die Vermutung dafür, dass der Nutzenbegriff des SGB V einheitlich in derselben Weise zu verstehen ist. Die gesetzlich und untergesetzlich gefundenen Definitionen des Nutzens sind daher auf ihre Verallgemeinerungsfähigkeit im Hinblick auf die im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V zu erfolgende Abwägung zu untersuchen.
243
Als Koeffizient bezeichnet man in der Mathematik eine Variable bzw. einen Faktor, der zu einem anderen Wert hinzugehörig ist. Vorliegend würde man bei der Verwendung eines Wahrscheinlichkeitskoeffizienten den Wert des Nutzens mit der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts multiplizieren, um auf diese Weise eine Berücksichtigung der verschiedenen Wirksamkeitswahrscheinlichkeiten zu erreichen. 244 Roters, Der (Zusatz-)Nutzen-Begriff im SGB V, NZS 2010, S. 612 ff. (613 f.).
D. Umsetzung durch Kosten-Nutzen-Bewertungen
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Der Begriff des Nutzens wird zwar auch außerhalb des SGB V, sogar im Rahmen von Kosten-Nutzen-Bewertungen, etwa in der BHO und dem BNatSchG, verwendet. Angesichts des hinter dem Nutzenbegriff im Rahmen von Kosten-Nutzen-Bewertungen im SGB V stehenden Grundrechts – Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – kann jedoch eine Übertragung des Nutzenbegriffs anderer Rechtsmaterien höchstens sehr eingeschränkt erfolgen. In Bezug auf die Definition des Nutzenbegriffes im Rahmen des SGB V führt eine derartige Betrachtung daher nicht weiter. Der ökonomische Nutzenbegriff, welcher als Nutzen alles zur Bedürfnisbefriedigung geeignete qualifiziert,245 ist nicht einschlägig. Die in der Ökonomie übliche Unterscheidung zwischen direktem, indirektem und intangiblem Nutzen ist hinsichtlich der Bemessung insbesondere darauf angelegt, den Nutzen über vermiedene Ressourcenverbräuche zu bestimmen. Dies hilft aufgrund des hier zu bemessenden intangiblen Nutzens, der psychischen und physischen Vorteile, jedoch nicht weiter.246 Für eine Monetarisierung intangibler Nutzen besteht kein überzeugender methodischer Ansatz. Eine Bewertung anhand der Betrachtung der „Präferenzen der Wirtschaftssubjekte“ scheidet aus, da diese weder objektivierbar noch messbar sind.247 a) Übertragung des Nutzenverständnisses aus dem AMG Für Arzneimittel hat sich hinsichtlich der Arzneimittelzulassung ein spezifischer Nutzenbegriff herausgebildet. Dieser stimmt jedoch nicht vollständig mit dem Nutzenbegriff des SGB V überein.248 Für die mangelnde Übertragbarkeit des Nutzenbegriffs aus dem Arzneimittelrecht auf das SGB V wird häufig die unterschiedliche Zielsetzung von SGB V und AMG angeführt.249 Während das AMG die Sicherheit von Arzneimitteln im Verkehr zu gewährleisten sucht, soll durch das SGB V die medizinische Versorgung qualitativ hochwertig, aber im Rahmen der Wirtschaftlichkeit gesichert werden.250
245
Mill, Grundsätze der politischen Ökonomie, S. 309 und 313. Dettling, Die Kosten-Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln im Schnittfeld von Ökonomie und Recht, VSSR 2008, S. 379 ff. (381); Greiner, Die Berechnung von Kosten und Nutzen, in: Schöffski/v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 49 ff (62 f.); Winter, Über Nutzen und Kosten der Effizienzregel im öffentlichen Recht, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 97 ff. (118 f.). 247 Siehe hierzu bereits die Ausführungen in § 2 B III. 2. und 3. 248 Vgl. Hart, Rechtliche Grenzen der „Ökonomisierung“, MedR 1996, S. 60 ff. (63). 249 Weitergehend wird ebenso darauf hingewiesen, dass die Ermittlung im Rahmen des AMG nur eine prognostische Aussage über die Wahrscheinlichkeit der Wirksamkeit eines Arzneimittelmodells beinhalte, jedoch keine Aussage zur therapeutischen Wirksamkeit in der Patientenanwendung treffe, vgl. Hart, Rechtliche Grenzen der „Ökonomisierung“, MedR 1996, S. 60 ff. (63). 250 Enderlein, Der Begriff „allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnis“ im SGB V, VSSR 1992, S. 123 ff. (125). 246
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Im Hinblick auf die Frage der Übertragbarkeit des im AMG verwendeten Nutzenbegriffs auf das SGB V erscheint der Hinweis auf die zwischen den Regelungsbereichen bestehenden Unterschiede jedoch nicht zwingend als aussagekräftig. Der Wirtschaftlichkeitsaspekt, der im SGB V hinzukommt, beeinflusst an sich nicht die Bestimmung des Nutzens. Ebenso ist die Frage, inwieweit es sich im Rahmen des AMG vielmehr um eine Nutzenprognose als um eine Bewertung im eigentlichen Sinne handelt, für die Definition der inhaltlich vom Nutzenbegriff erfassten Faktoren irrelevant. Zwar hängen hiervon die zum Nachweis notwendigen Unterlagen entscheidend ab,251 die Art und Weise des zu führenden Nachweises bestimmt aber nicht den Inhalt des Nutzenbegriffs. Es führen jedoch andere Gründe dazu, dass der Nutzenbegriff des AMG auf das SGB V nicht übertragen werden kann. Im Rahmen der Bewertung nach dem AMG wird unter Nutzen die positive therapeutische Wirkung verstanden.252 Es erfolgt daher weitestgehend eine Gleichsetzung von Wirksamkeit und Nutzen. Eine konkrete Bestimmung des Nutzens unter verschiedenen Gesichtspunkten muss angesichts des Zwecks der Bestimmung, zur Abwägung mit den Risiken, im AMG nicht zwangsläufig in gleicher Weise detailliert erfolgen wie im SGB V. Aus diesen Gründen kann eine vollständige Übertragung des Nutzenverständnisses nicht vorgenommen werden. Wirksamkeit und Nutzen sind im Rahmen der Regelungen des SGB V nicht gleichzusetzen.253 Während die Wirksamkeit lediglich die Eignung einer medizinischen Methode zur Behandlung einer bestimmten Krankheit beinhaltet,254 erfasst der Nutzenbegriff über die Wirksamkeit hinaus die Bewertung der Wirkungen einer medizinischen Methode gegenüber anderen medizinischen Methoden. Weiterhin sind bei der Abwägung zwischen Nutzen und Risiken im Rahmen sicherheitsrelevanter Aspekte auch andere Kriterien im Hinblick auf den Nutzen relevant als im Rahmen einer Nutzenbewertung aus therapeutischer Sicht. Insbesondere wird die Erhöhung der Lebensqualität im Rahmen des AMG aufgrund seiner sicherheitsrechtlichen Ausrichtung nicht einbezogen.255 Im SGB V ist ihre Berücksichtigung hingegen – jedenfalls im Rahmen des § 35b SGB V – gesetzlich angeordnet.
251 Kingreen, Zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2011, S. 441 ff. (445), im Hinblick auf die frühe Nutzenbewertung nach § 35a SGB V; hinsichtlich der Bewertung siehe auch Heinemann/Lang, Der Begriff des Nutzens in der Frühbewertung nach dem AMNOG, MedR 2011, S. 150 ff. (152). 252 § 4 Abs. 28 AMG. 253 Roters, Der (Zusatz-)Nutzen-Begriff im SGB V, NZS 2010, S. 612 ff. (612); a.A. Friedrich/Buyx/Schöne-Seifert, Marginale Wirksamkeit als Ausschlusskriterium, DÄ 2009, S. A 1562 ff. (A 1562), die Nutzen und Wirksamkeit synonym verwenden, mit der Begründung, dass ein intersubjektiver klinischer Nutzenbegriff Anwendung finden müsse, welcher mit der Wirksamkeit zusammenfalle. 254 Neugebauer, Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 37. 255 Hart, Rechtliche Grenzen der „Ökonomisierung“, MedR 1996, S. 60 ff. (63).
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Ferner fehlt es auch an einer detaillierten Definition des Nutzens im Rahmen des AMG. Dies mag auf die fehlende Notwendigkeit zurückzuführen sein; im Hinblick auf die Präzision der Bestimmung bereitet dies jedoch Schwierigkeiten. Eine Übertragung des Verständnisses des Nutzens im AMG auf das SGB V kann daher nicht erfolgen. b) Nutzendefinition anhand der Vorgaben des SGB V Eine Legaldefinition des Nutzens enthält das SGB V nicht. Aus den gesetzlichen Bestimmungen des SGB V, aus einzelnen Normen wie auch ihrer Zusammensicht, lässt sich der Inhalt des Nutzenbegriffes jedoch partiell herleiten, sämtliche Einzelfragen sind anhand dessen jedoch nicht beantwortbar. Im Einzelfall bedarf es daher einer Rückbesinnung auf den Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie die etwa in § 1 und § 27 SGB V erkennbare gesetzgeberische Zwecksetzung der GKV, um einzuordnen, ob in der durch die medizinische Methode hervorgerufenen Wirkung ein Nutzen zu erblicken ist. Der Nutzenbegriff ist in § 35a und § 35b SGB V nur teilweise durch den Gesetzgeber ausgeformt worden. Gemäß § 35b Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 SGB V wird insbesondere dem GBA die Kompetenz zugeschrieben, für die konkret durchzuführende Kosten-Nutzen-Bewertung die Art des zu berücksichtigenden Nutzens und das Maß des Gesamtnutzens zu definieren. Besondere Berücksichtigung soll bei diesem Vergleich der therapeutische Zusatznutzen nach § 35b Abs. 1 S. 3 Halbs. 1 SGB V finden. Weiterhin soll beim Patienten-Nutzen vor allem die Verbesserung des Gesundheitszustandes, die Verkürzung der Krankheitsdauer, die Verlängerung der Lebensdauer, die Verringerung der Nebenwirkungen sowie die Verbesserung der Lebensqualität eine Rolle spielen. Hierbei handelt es sich um die patientenbezogenen Endpunkte der Mortalität, Morbidität und Lebensqualität.256 Die Parameter für den in die Kosten-Nutzen-Bewertung einfließenden Nutzen sind daher der Nutzengrad in Bezug auf die unmittelbare Verbesserung des Gesundheitszustandes und die Lebensqualität sowie der Zeitfaktor der Wirkung im Hinblick auf ihren Eintritt und die Verlängerung der Lebensdauer. Darüber hinausgehend wird vorgegeben, dass eine Bewertung im Vergleich zu anderen medizinischen Methoden der jeweiligen Indikation erfolgen muss, um den hervorgerufenen Zusatznutzen zu ermitteln. Über die Normierung der Kosten-Nutzen-Bewertung in § 35b SGB V hinausgehend findet sich auch in § 35a SGB V und der hierzu ergangenen Rechtsverordnung eine Konkretisierung des krankenversicherungsrechtlichen Nutzenbegriffs. § 3 Abs. 1 5. Kap. VerfO-GBA und § 2 Abs. 3 AM-NutzenV definieren Nutzen als den patientenrelevanten therapeutischen Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder einer Verbes256 Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, S. 33.
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serung der Lebensqualität. Wirklich weitergehend sind diese Regelungen jedoch nicht, da sie keine Faktoren ausschließen und lediglich beispielhaft normieren, welche Wirkungen unter den Nutzenbegriff zu fassen sind. Das IQWiG versteht auf der Grundlage dieser Vorgaben unter „Nutzen“ sämtliche kausal begründeten positiven Effekte und unter „Schaden“ sämtliche kausal begründeten negativen Effekte einer medizinischen Intervention hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte, wobei sich beide Begriffe auf einen Vergleich mit einem Placebo bzw. keiner Behandlung beziehen.257 Mit dieser Differenzierung zwischen „Nutzen“ und „Schaden“ wird jedoch eine Aufspaltung der für die Beurteilung des Gewichts von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG relevanten Aspekte vorgenommen. Diese erscheint im Hinblick auf die Betrachtung der Folgen einer medizinischen Intervention als künstlich, auch wenn der Begriff „Nutzen“ zunächst nahelegt, lediglich positive Effekte zu erfassen.258 Francke und Hart definieren „Nutzen“ aus diesem Grund als das Ergebnis bzw. die Bilanz einer vergleichenden Abwägung zwischen Wirksamkeitswahrscheinlichkeit und Risiken einer medizinischen Methode unter Alltagsbedingungen im Hinblick auf das diagnostische oder therapeutische Ziel bzw. Teilziel der Behandlung von Patienten oder Patientengruppen.259 Diesem Vorschlag ähnelt auch der Ansatz von Roters. Dieser versteht unter Nutzen die Gewichtung von Haupt- und Nebenzielen zueinander unter Einbeziehung von Risiken und unerwünschten Wirkungen. Nutzen ist demzufolge ein „durch Gewichtung von Ziel, Bemessung der Wirkung und Ermittlung der Wahrscheinlichkeit der vermuteten Zusammenhänge in einer Gesamtabwägung“260 gefundenes Ergebnis. Die Bestimmung des Nutzens einer medizinischen Methode beinhaltet daher auch die durch sie hervorgerufenen unerwünschten Folgen.261 Der Begriff Nutzen erfasst damit alle im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG relevanten gesundheitsbezogenen Wirkungen einer medizinischen Methode, unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ sind, da der Nutzen eine Gesamtbewertung der Wirkungen darstellt. Nach Auffassung der Gesundheitsökonomie sind Einsparungen von Behandlungskosten ebenso wie die Verminderung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund ihres unmittelbaren Gesundheitsbezuges und damit als direkter Effekt ebenfalls in die Nutzenbewertung miteinzubeziehen.262 Ihr Ausschluss im Rahmen des Kostenbegriffs führt nicht dazu, dass sie als Größe grundsätzlich nicht zu berücksichtigen wären. Als Nutzen können jedoch nur Wirkungen eingeordnet werden, die der gruppenspezifischen Zielsetzung entsprechen, welche wiederum durch den – den 257
IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 4.0 vom 23. 09. 2011, S. 30. Aus diesem Grund führt das IQWiG in seiner Bewertung des Nutzens seinen zuvor definierten Nutzen- und Schadensbegriff auch letztlich wieder zusammen. 259 Francke/Hart, Bewertungskriterien und -methoden, MedR 2008, S. 2 ff. (14). 260 Roters, Der (Zusatz)Nutzen-Begriff im SGB V, NZS 2010, S. 612 ff. (615 und 619). 261 Huster, Die Nutzenbewertung und die Aggregation von Nutzen- und Schadensaspekten durch das IQWiG?, GesR 2010, S. 122 ff. (123). 262 Greiner, Die Berechnung von Kosten und Nutzen, in: Schöffski/v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluation, S. 49 ff. (53 ff. und 61 f.). 258
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Zusammenschluss gleichgerichteter Einzelinteressen legitimierenden – Verbandszweck vorgegeben wird.263 Als Nutzen können daher nur dem Sinn und Zweck der GKV, wie er insbesondere in § 1 und § 27 Abs. 1 SGB V zum Ausdruck kommt, entsprechende Wirkungen sowie ihre unmittelbar spiegelbildlichen gesundheitsspezifischen Nachteile berücksichtigt werden.264 Dies ergibt sich, neben der hier erfolgten Anlehnung des Nutzenbegriffes an Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, auch aus der Aufgabenstellung der GKV – der gezielten Bekämpfung von Krankheiten, nicht jedoch anderer Nachteile.265 Die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit kann daher über den zu bewertenden Faktor der Wiederherstellung der Gesundheit hinaus keinen zusätzlichen Nutzen hervorrufen.266 Ebenso stellt die Einsparung von weiteren Behandlungskosten keinen gesundheitsrelevanten Faktor dar, der als eigener Gesichtspunkt im Rahmen des Nutzens zu berücksichtigen wäre. Die Einsparung weiterer Behandlungskosten wird durch den Vergleich mit anderen medizinischen Methoden der Indikation bereits einbezogen, sodass es keiner gesonderten Bewertung der eingesparten Kosten im Rahmen des Nutzens bedarf. Diese würde bei einem Vergleich zweier medizinischer Methoden miteinander die Gewichtung verschieben: Der Nutzen einer Methode würde aufgrund der hiermit eingesparten Kosten höher gewichtet und darüber hinaus fielen die zusätzlichen Kosten der anderen Methode ein weiteres Mal negativ ins Gewicht. Bei einer reinen Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, ohne dass direkte Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, kann die Einsparung anderer Kosten hingegen einen relevanten Abwägungsfaktor darstellen. Als Teil des Nutzenbegriffes sind sie jedoch dennoch nicht einzuordnen. Im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V kann es angesichts des Anwendungsbereichs von Kosten-Nutzen-Bewertungen zu einem solchen Fall allerdings ohnehin nicht kommen. In die Nutzenbewertung ist über die klinisch messbaren, „harten“ Ergebnisgrößen hinaus aber auch die Lebensqualität einzubeziehen. Diese bildet einen zentralen Faktor des Gesundheitszustandes und stellt die einzige Größe dar, die nicht über sogenannte Surrogatparameter nachgewiesen werden muss.267 Die Lebensqualität erfasst hierbei die subjektive Komponente des Nutzenbegriffes. Sie beinhaltet die Auswirkungen einer Krankheit und deren Therapie aus Sicht des Patienten, aus seiner Bewertungsperspektive.268 Neben der gesetzlichen Forderung etwa in § 35b 263
BVerwGE 59, 231 (238). Ebenso Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 191. 265 BSG, Urteil vom 03. 07. 2012, – B 1 KR 23/11 R –, BSGE 111, 155 (167 f.). 266 Hiermit soll jedoch nicht generell ausgeschlossen werden, dass eine teilweise Monetarisierbarkeit der schnelleren Wiederherstellung der Gesundheit über die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit erreicht werden kann. Vielmehr wird lediglich die zusätzliche Bewertung der Arbeitsfähigkeit als eigener Nutzenfaktor abgelehnt. 267 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Band I, S. 73. 268 Bußmann-Weigl, Der Wirtschaftlichkeitsbegriff im SGB V, S. 69 f. 264
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SGB V, die Steigerung der Lebensqualität im Rahmen des Nutzens zu berücksichtigen, spricht auch die Beitragsfinanzierung als Form der Betroffenenfinanzierung für eine Einbeziehung der Patientenperspektive in die Bewertung des Nutzens. Hiermit erlangen ausdrücklich die subjektiven Interessen der Betroffenen Geltung.269 Die Bewertbarkeit der Lebensqualität ist aufgrund der hohen Subjektivität allerdings komplex.270 Problematisch erscheint außerdem, auf welche Weise die Bewertung der Lebensqualität auf gesundheitsbezogene Faktoren beschränkt werden kann. In der Gesundheitsökonomie ist unumstritten, dass aus dem gesamten Spektrum der die Lebensqualität bestimmenden Faktoren nur die gesundheitsbezogenen in Bezug auf den Nutzen relevant sind.271 Es geht demzufolge im Rahmen des Nutzens um die Bestimmung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Rechtlich ist diese Einschränkung bereits über Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und die beschränkte Zielsetzung der GKV hergeleitet worden. Im Hinblick auf die Bewertung der Lebensqualität wird jedoch häufig außer Acht gelassen, dass aufgrund der subjektiven Bewertung durch die Patienten zwischen gesundheitsbezogener Lebensqualität und sonstiger Lebensqualitätssteigerung nur schwer differenziert werden kann. Hierfür bedarf es der Ausarbeitung spezieller Befragungen, welche darauf angelegt sind, die grundsätzliche Steigerung des Wohlbefindens der Patienten abzuklären und hierbei die spezifisch gesundheitsbezogenen Faktoren herauszufiltern. Eine subjektive Bewertung durch die Patienten wird meist nicht mittels eines konkreten Wertes erfolgen können, sondern verstärkt beschreibend vorgenommen werden müssen. Hieraus sind die gesundheitsrelevanten Faktoren der Lebensqualität zu filtern und vor dem Hintergrund der Darstellung der Patienten in eine Wertskala einzuordnen. Denkbar erscheint ebenfalls – mittels einer differenzierten Fragestellung unter anderem auch nach der sonstigen Lebensqualität – eine Aufspaltung der 269 Kaplan/Porzsolt, „Clinecs“: Strategy and Tactics to Provide Evidence of the Usefulness of Health Care Services from the Patient’s Perspective, in: Kaplan/Porzsolt (Hrsg.), Optimizing Health, S. 1 ff. (1), wobei diese sich allerdings nicht auf eine Beitragsfinanzierung beziehen, sondern auf ein öffentlich-finanziertes Gesundheitssystem abstellen, dennoch aber die Patientenperspektive als Form der Betroffenenbewertung befürworten. 270 Zum Nutzen der Lebensqualitätsbeurteilung aus Patientensicht in Bezug auf den Vergleich unterschiedlicher medizinischer Methoden aus medizinischer Sicht grundlegend Ahmed/ Berzon/Revicki/Lenderking/Moinpour/Basch/Reeve/Wu, The use of patient-reported outcomes (PRO) within comparative effectiveness research, Medical Care 2012, S. 1060 ff., welche u. a. darauf hinweisen, dass Lebensqualitätsbeurteilungen die klinische Anwendung verschiedener Methoden verbessern können, da sie die Effekte und Nebenwirkungen (wie beispielsweise Erschöpfungssymptome) einer Behandlung, insbesondere gruppenbezogen, besser als patientenbezogene Endpunkte verdeutlichen. Außerdem ließen sich mit ihrer Hilfe die Wirkungen in „real-world situations“ besser beurteilen. Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Befragungskataloge und -methoden an die jeweiligen Indikationen angepasst werden müssen, um aussagekräftig zu sein. 271 Bußmann-Weigl, Der Wirtschaftlichkeitsbegriff im SGB V, S. 70; Schöffski, Lebensqualität als Ergebnisparameter in gesundheitsökonomischen Studien, in: ders./v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluationen, S. 321 ff. (323).
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subjektiven Wahrnehmung in gesundheitsrelevante und sonstige Faktoren zu erzeugen. Es bedarf somit einer sehr differenzierten Erstellung derartiger Befragungsbögen, um einerseits die subjektive Wahrnehmung des Gesundheitszustandes ausreichend einzubeziehen, andererseits aber diese Bewertung auf die relevanten Gesichtspunkte zu beschränken. Nutzen im Sinne des SGB V ist demzufolge ein auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der durch eine medizinische Methode hervorgerufenen gesundheitsbezogenen positiven wie negativen Effekte sowie ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit ermittelter Wert. Dieser setzt sich aus einer Vielzahl von Faktoren zusammen, die gegeneinander gewichtet werden müssen. Als positive und negative Effekte sind sowohl klinisch messbare Fakten als auch die Bewertung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch die Patienten zu berücksichtigen. 2. Zusatznutzen und therapeutische Verbesserung Über diese Definition des Nutzens hinausgehend ist weiterhin zu analysieren, ab welchem Zeitpunkt Nutzenunterschiede von derartiger Relevanz sind, dass sie als Zusatznutzen oder therapeutische Verbesserung zu bezeichnen sind. Diese Einordnung hängt mit dem Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V eng zusammen. Unter einem Zusatznutzen ist grundsätzlich die Weiterentwicklung, also das Mehr an Nutzen, gegenüber der bisher besten von der GKV in der Indikation erbrachten Behandlung zu verstehen.272 Ein Zusatznutzen stellt daher einen höheren Nutzen gegenüber einer Vergleichstherapie dar.273 Dies stimmt mit der Legaldefinition des § 3 Abs. 2 des 5. Kapitels der VerfO-GBA und § 2 Abs. 4 AM-NutzenV überein. Danach ist unter einem Zusatznutzen der Nutzen zu verstehen, der quantitativ oder qualitativ höher ist als der Nutzen, den die zweckmäßige Vergleichstherapie aufweist. Ab wann eine qualitative und quantitative Nutzenerhöhung derartig relevant ist, dass sie über einen vergleichbaren Nutzen hinausgeht und somit einen Zusatznutzen erzeugt (vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 3 SGB V), lassen sämtliche dieser Definitionsansätze jedoch offen. Ebenso bleibt zunächst unklar, warum größtenteils der Begriff Zusatznutzen gebraucht wird, im Rahmen der Abgrenzung der Festbetragsfähigkeit nach § 35 von § 130b SGB V jedoch eine therapeutische Verbesserung gefordert wird.274 Ob in272 Heinemann/Lang, Der Begriff des Nutzens in der Frühbewertung nach dem AMNOG, MedR 2011, S. 150 ff. (150). 273 IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 4.0 vom 23. 09. 2011, S. 30. 274 So § 35 Abs. 1 S. 3, Abs. 1b SGB V. Ebenso wird in § 35a Abs. 3 und 4 SGB V zwischen Zusatznutzen und therapeutischer Verbesserung in Bezug auf die Festbetragsfähigkeit unterschieden.
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soweit ein inhaltlicher Unterschied zwischen Zusatznutzen und therapeutischer Verbesserung besteht, verschiedene Begriffe für inhaltlich das Gleiche verwendet werden, weil die Nachweisanforderungen divergieren, oder aber die therapeutische Verbesserung eine besondere Qualifikation des Zusatznutzens darstellt, wird hierdurch nicht beantwortet. Analysiert man den Verwendungszusammenhang zwischen Zusatznutzen und therapeutischer Verbesserung zeigt sich jedoch, dass der Begriff der therapeutischen Verbesserung im Kontext der Frage der Festbetragsfähigkeit eines Arzneimittels verwendet wird. Demgegenüber wird von einem Zusatznutzen im Hinblick auf ein, unabhängig vom Bestehen eines zusätzlichen Nutzens, nicht festbetragsfähiges Medikament gesprochen. Insbesondere der Vergleich von § 35a Abs. 3 und § 35a Abs. 4 SGB V, welcher auf § 35a Abs. 1 S. 4 SGB V verweist, zeigt den Unterschied der begrifflichen Verwendung von therapeutischer Verbesserung und Zusatznutzen. § 35a Abs. 1 S. 4 SGB V bestimmt ausdrücklich, dass bei Arzneimitteln, die pharmakologisch-therapeutisch vergleichbar mit Festbetragsarzneimitteln sind, der Zusatznutzen als therapeutische Verbesserung gemäß der speziellen Bestimmung des § 35 Abs. 1b SGB V nachzuweisen ist. Im Hinblick auf die Festbetragsfähigkeit eines Arzneimittels und das hieraus entnommene Vergleichbarkeitskriterium gilt daher lediglich ein spezifischer Zusatznutzenbegriff in der Form der therapeutischen Verbesserung, der inhaltlich jedoch keine Abweichung beinhaltet. Insoweit ist eine Entsprechung zwischen therapeutischer Verbesserung und Zusatznutzen festzustellen.275 Die Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten ist lediglich darauf zurückzuführen, dass im Fall des Nachweises einer therapeutischen Verbesserung die Festbetragsfähigkeit durch diesen Nachweis entfällt, während Zusatznutzen impliziert, dass die Voraussetzungen der Festbetragsfähigkeit auch im Übrigen nie vorlagen. Die gesetzlichen Vorgaben für die Annahme einer therapeutischen Verbesserung bzw. eines Zusatznutzens können daher kumulativ betrachtet werden, um zu bestimmen, welche Kriterien für ein Überschreiten der Relevanzschwelle vorliegen müssen. Laut § 35 Abs. 1b SGB V kann ein relevanter Nutzenunterschied durch unterschiedliche Faktoren hervorgerufen werden. § 35 Abs. 1b SGB V schränkt die Annahme eines höheren Nutzens aber auf therapierelevante Wirkungen ein. Außerdem wird die Annahme einer therapeutischen Verbesserung in § 35a Abs. 1b S. 1 SGB V inhaltlich an eine regelmäßig verbesserte Wirkung gekoppelt, die jedenfalls für eine Patientengruppe oder einen Indikationsbereich hervorgerufen werden muss. Darüber hinaus erklärt § 35a Abs. 1b S. 3 SGB V auch die Häufigkeit und den Schweregrad therapierelevanter Nebenwirkungen zu einem für die Annahme einer therapeutischen Verbesserung zu berücksichtigenden Faktor. Eine Relevanzschwelle besteht demzufolge zum einen in quantitativer, zum anderen in qualitativer Hinsicht. In quantitativer Hinsicht ist eine therapeutische Verbesserung bzw. ein Zusatznutzen anzunehmen, wenn mindestens für einen In275
So auch BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 261 (281).
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dikationsbereich oder eine relevante Patientengruppe ein therapeutischer Vorteil besteht.276 Die Hürde der quantitativen Relevanz ist daher bei einem nicht lediglich im Einzelfall aufgetretenen therapeutischen Vorteil überschritten, der nicht mit einer spezifischen Indikation oder aber nicht übertragbaren Besonderheit zusammenhängt. Das Kriterium der quantitativen Relevanz ist letztlich auf den Gedanken des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V zurückzuführen, der hinsichtlich des Nachweises von Qualität und Wirksamkeit fordert, dass diese dem medizinischen Standard entsprechen. Der medizinische Standard beinhaltet wiederum, dass die Wirkung häufiger als im Einzelfall nachgewiesen werden kann und damit zu einer größeren Anzahl therapeutischer Erfolge führt.277 Diese Anforderung gilt quantitativ auch für das Bestehen eines Zusatznutzens bzw. einer therapeutischen Verbesserung. Von qualitativer Relevanz ist ein Nutzenunterschied, wenn er sich auf patientenrelevante Endpunkte bezieht und für den Patienten eine merkliche Verbesserung bedeutet. Bei diesen patientenrelevanten Endpunkten kommt es nicht darauf an, ob die Verbesserung hinsichtlich der Lebensqualität, der Morbidität oder der Mortalität auftritt.278 Sämtliche dieser patientenrelevanten Endpunkte werden grundsätzlich vom Nutzenbegriff umfasst, sodass Verbesserungen in jedem dieser drei Bereiche als relevant anzusehen sind. Die Relevanz einer Verbesserung lässt sich anhand der konkreten Unterschiede ausmachen. Bei erfolgter Einschränkung auf gesundheitsbezogene Kriterien ist sie insbesondere im Hinblick auf das subjektive Patientenempfinden zu bewerten. Das Bestehen eines relevanten Unterschiedes ist also vor allem aus der Perspektive der Patienten zu beurteilen. Hierbei kann keine feste Prozentzahl als Relevanzgrenze festgelegt werden. Vielmehr ist die Relevanz des Nutzenunterschiedes und damit das Vorliegen eines Zusatznutzens respektive einer therapeutischen Verbesserung vom jeweiligen Schweregrad der Erkrankung, des bereits erreichten Nutzens sowie der konkreten Nutzenunterschiede abhängig. Grundsätzlich sind daher hinsichtlich der qualitativen Relevanz bereits geringe Nutzenunterschiede potentiell relevant, abhängig davon, welches Gewicht ihnen im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zuzuschreiben ist. Das Kriterium des Zusatznutzens korreliert in qualitativer Hinsicht insoweit mit dem von der Rechtsprechung geprägten Kriterium der „Vergleichbarkeit“. Auf dessen nähere Bestimmung kommt es daher bei der Beurteilung des Anwendungsbereichs von Kosten-Nutzen-Vergleichen im Weiteren an. Eine Konkretisierung des genauen Grades, ab welchem ein Zusatznutzen in qualitativer Hinsicht anzunehmen ist, ergibt sich aus der Herleitung und Konkretiserung des Begriffes anhand von §§ 35, 35a und 35b SGB V indes nicht. 276
BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 261 (281). BVerwG, Urteil vom 14. 10. 1993, – 3 C 21/91 –, NJW 1994, S. 2433 (2434), im Hinblick auf die nach dem AMG geforderte therapeutische Wirksamkeit, welche jedoch jedenfalls nicht über die Forderung des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V hinausgeht. Ebenso Nebendahl, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 5. 278 Dies ergibt sich ausdrücklich auch aus § 35b SGB V. Im Rahmen des § 12 Abs. 1 und § 35 SGB V wird dies ebenfalls angenommen, vgl. BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 261 (281). 277
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E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens Zur Bestimmung, in welchem Umfang der GBA befugt ist, Wirtschaftlichkeitserwägungen in seine Richtliniengebung einzubeziehen, und somit zur Konturierung des Umfangs der vom GBA anstellbaren Kosten-Nutzen-Bewertungen, bedarf es einer Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens. Das von der Rechtsprechung geformte und in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V übernommene Kriterium der „Vergleichbarkeit“ fordert für einen Leistungsausschluss bzw. die Begrenzung des Leistungsanspruchs aus § 27 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1 SGB V jedenfalls keinen identischen Nutzen gegenüber einer anderen durch die GKV zu erbringenden Methode.279 Vergleichbar bedeutet dem Begriff zufolge, dass keine vollständige „Gleichheit“, „Identität“ oder „Austauschbarkeit“ gegeben sein muss.280 Als Adjektiv zu „vergleichen“ heißt „vergleichbar“ so viel wie „sich mit etwas anderem vergleichen lassend“.281 Demnach wäre die Möglichkeit einer Gegenüberstellung und Prüfung auf Unterschiede sowie Übereinstimmungen, welche sich aufgrund eines gemeinsamen Bezugspunktes herleiten lassen, für die Anwendbarkeit von Kosten-NutzenBewertungen entscheidend. Die Vergleichbarkeit zweier medizinischer Methoden wird grundsätzlich angenommen, wenn zwischen ihnen nur geringfügige Unterschiede bestehen, die für das Behandlungsergebnis nicht relevant sind.282 Diese Auffassung lehnt sich letztlich an die Herleitung des Vergleichbarkeitsmaßstabes aus den Grenzen der Berechenbarkeit eines medizinischen Nutzens in Kosten an. Demnach werden lediglich minimale Nutzenunterschiede von der Vergleichbarkeit erfasst. Bei einer näheren Betrachtung des durch die Rechtsprechung gezogenen Anwendungsbereichs von Kosten-Nutzen-Erwägungen, die nur im Falle ähnlich wirksamer Methoden verwendet werden, erscheint die Wahl des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens begrifflich allerdings nicht als präzise. Es bestehen unterschiedliche Verständnismöglichkeiten des Bedeutungsgehalts des Begriffs „Vergleichbarkeit“. Die Bezeichnung „Vergleichbarkeit“ legt nahe, dass ein Vergleich des Nutzens der gegeneinander zu bewertenden krankenversicherungsrechtlichen Leistungen möglich sein muss. Die Möglichkeit eines Vergleichs wird aber weder von der Rechtsprechung noch von § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V gefordert. 279 Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, VVDStRL 70 (2011), S. 152 ff. (169). 280 Dierks/Nitz, Rechtsfragen der Bildung von Festbetragsgruppen der Stufe 2, PharmR 2004, S. 145 ff. (147); BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 261 (273). 281 SG Berlin, Urteil vom 22. 11. 2005, – S 81 KR 3778/04 –, juris Rn. 57, im Hinblick auf das Vergleichbarkeitskriterium bei der Bildung von Festbetragsgruppen. 282 Becker, Steuerungsinstrumente des GBA im Rahmen der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 218 ff. (218).
E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens
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Bei einem derartigen Verständnis des Kriteriums könnte mittels der Anwendung neuer Methoden – etwa einer gesundheitsökonomischen Kosten-Nutzen-Bewertung – der Rahmen der Vergleichbarkeit durch eine Erhöhung der Analyseparameter ausgeweitet werden. Dies entspricht aber weder der Intention der Rechtsprechung noch der des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V. Mit „Vergleichbarkeit“ ist vielmehr die Gleichwertigkeit des Nutzens für die Versicherten gemeint. „Vergleichbarkeit“ ist daher im Sinne einer Entsprechung bzw. Ähnlichkeit der Wirkung zu verstehen. Auch die Rechtsprechung stellt teilweise ausdrücklich auf die therapeutische Gleichwertigkeit ab, welche auf der als gleich geeignet erfolgten Bewertung der therapeutischen Qualität der medizinischen Methode mit einem anderen „Konkurrenzprodukt“ beruht.283 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass auch mit der Wortwahl „vergleichbar“ in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V284 eine Gleichwertigkeit des therapeutischen Nutzens gemeint ist. Dass es bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs von Wirtschaftlichkeitserwägungen nicht um die Möglichkeit eines Vergleiches anhand objektiver Kriterien und die darauf fußende Begründbarkeit der Entscheidung geht, sondern vielmehr die Gleichwertigkeit des Nutzens das relevante Kriterium ist, wird mittels einer Auslegung des „Vergleichbarkeitskriteriums“ dargelegt werden. In der Rechtsprechung sind im Hinblick auf die Anwendung des § 92 Abs. 1 S. 1 SGB Vaber auch andere Tendenzen festzustellen. So führt das BSG ebenso aus, dass der GBA zur Bewertung der „Vergleichbarkeit“ zweier oder mehrerer Wirkstoffe bzw. Arzneimittel herauszuarbeiten habe, in welcher Hinsicht – zum Beispiel der Indikation, Wirksamkeit, den Nebenwirkungen oder des Patientennutzens – eine Vergleichbarkeit vorliege.285 Diese Aussagen sprechen wiederum für einen weiten Anwendungsbereich der „Vergleichbarkeit“. Hiernach wären Wirtschaftlichkeitserwägungen lediglich im Falle des Bestehens nur einer einzigen Therapie mit realer Chance auf Heilungserfolg ausgeschlossen. Im Übrigen könnten Kosten-NutzenBewertungen durch den GBA im Rahmen der Ausgestaltung des Leistungskataloges aber unabhängig von der Relevanz der Nutzenunterschiede vorgenommen werden. Betrachtet man, in welchen Fällen das Bestehen einer „Vergleichbarkeit“ des Nutzens durch die Rechtsprechung angenommen wurde, ist außerdem festzustellen, dass sich die Bereitschaft, das Vergleichbarkeitskriterium über minimale Nutzenunterschiede hinausgehend zu bejahen, umso mehr steigert, je höher die zusätzlichen Kosten sind.286 Die Ansicht, das Wirtschaftlichkeitsgebot führe nur dann zu Ein283
Bspw. in BSG, Urteil vom 31. 05. 2006, – B 6 KA 13/05 R –, BSGE 96, 261 (267). § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V lautet: „er [der GBA] kann die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist“. Der Klammerzusatz ist durch die Verfasserin erfolgt. 285 BSG, Urteil vom 31. 05. 2006, – B 6 KA 13/05 R –, BSGE 96, 261 (282). 286 Diese Tendenz ist etwa in der Aussage des BSG in der „Clopidogrel-Entscheidung“, dass nicht jeder noch so geringe Nutzenvorteil hohe Kosten erzeugen könne, bei deutlichen Nut284
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
schränkungen, wenn andere Behandlungsweisen mit faktisch identischer Wirkung bestünden, die aber preislich günstiger wären, wird deshalb teilweise auch als unrealistisch bezeichnet.287 Minimale Nutzenunterschiede rühren häufig bereits daraus her, dass über den „absoluten“ Nutzen meist keine konkrete Feststellung getroffen werden kann und unterschiedliche medizinische Methoden de facto nie, es sei denn es handelt sich um Generika, vollständig identisch wirken. Gänzlich unumstritten ist die Anwendungsweise des Wirtschaftlichkeitsgebots demzufolge nicht. Die Grenze der Vergleichbarkeit des Nutzens wurde von der Rechtsprechung etwa bei einem Nutzenunterschied von bis zu 5 oder 10 % angenommen.288 Inwieweit dieser Nutzenunterschied lediglich für den fraglichen Fall, die Kompensation des Hörvermögens, als Relevanzschwelle gilt, ist weder von der Rechtsprechung noch der Literatur eingehender thematisiert worden. Unklar ist ebenfalls, ob der Nutzenunterschied ausschließlich auf die Indikation bezogen ist oder auch die Nebenwirkungen betrifft – also ob zusätzliche Unterschiede in den Nebenwirkungen hinzukommen können, ohne das Vergleichbarkeitskriterium zu tangieren. Aus der Rechtsprechung geht eindeutig nur hervor, dass nicht jeder noch so geringe Zusatznutzen hohe Mehrkosten rechtfertigt.289 Die teilweise Anlehnung an die Auslegung der im Rahmen der Festbetragsgruppenbildung geforderten therapeutisch vergleichbaren Wirkung (§ 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V) deutet die denkbare Weite des „Vergleichbarkeitskriteriums“ und damit den möglichen Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen an. Nach Ansicht der Literatur werden von der therapeutisch vergleichbaren Wirkung faktisch sämtliche Kombinationspräparate einer Indikation erfasst.290 Das Vergleichbarkeitskriterium ist unter Heranziehung verschiedener Aspekte zu konkretisieren. Sowohl materiell-rechtliche als auch eher formell gedachte Kriterien können hierbei herangezogen werden. Im Hinblick auf die materiell-rechtliche Betrachtungsweise ist dabei zunächst an Art. 3 Abs. 1 GG zu denken. Dieser setzt verfassungsrechtlich die Bestimmung von Gleich- und Ungleichheit voraus und kann damit mittelbar Vorgaben zur Vergleichbarkeit beinhalten. Darüber hinaus kommt aus sozialrechtlicher Perspektive angesichts der haftungsrechtlichen Konsequenzen eine Anlehnung an den ärztlichen Standard in Betracht. Weiterhin ist im Rahmen des SGB V in Bezug auf die Frage der Festbetragsfähigkeit bestimmt worden, ab wann Nutzenunterschiede als relevant anzusehen sind. Dies bietet möglicherweise einen zenvorteilen jedoch durchaus höhere Kosten in Kauf genommen werden müssten, erkennbar, BSG, Urteil vom 31. 05. 2006, – B 6 KA 13/05 –, BSGE 96, 261 (282); ebenso bereits BSG, Urteil vom 10. 09. 2004, – B 3 KR 20/04 R –, BSGE 93, 183 (188). 287 So Fastabend/Schneider, Das Leistungsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 41. 288 LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. 10. 2009, – L 11 KR 1229/09 –, juris Rn. 39 und 40. 289 BSG, Urteil vom 31. 05. 2006, – B 6 KA 13/05 R –, BSGE 96, 261 (282 f.). 290 Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 35 Rn. 8; diese Auffassung spiegelt sich in § 23, 4. Kapitel der VerfO-GBA ebenso wider.
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näheren Hinweis auf den gesetzgeberischen Willen zum Umgang mit § 12 Abs. 1 und § 92 Abs. 1 Halbs. 3 SGB V. Das dem SGB V zugrunde liegende Verständnis der Behandlungsbedürftigkeit von Krankheiten wie auch die gleichzeitig ebenso geforderte Eigenverantwortung der Versicherten kann ebenfalls für die Bestimmung des für die Vergleichbarkeit relevanten Erheblichkeitskriteriums herangezogen werden. Entscheidend für die Beschränkung der Auslegungsmöglichkeit der Voraussetzung des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V „vergleichbarer diagnostischer oder therapeutischer Nutzen“ durch den GBA ist aber vornehmlich das eher formell von der Zuständigkeit her gedachte Kriterium der Wesentlichkeitstheorie, das aufgrund seiner Ausformung anhand unter anderem der Grundrechtsrelevanz zugleich materiell-rechtlich angereichert ist.
I. Konkretisierung der „Vergleichbarkeit“ anhand Art. 3 Abs. 1 GG Das Vergleichbarkeitskriterium könnte von Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich durchdrungen und anhand dessen zu bestimmen sein. Der allgemeine Gleichheitssatz ist darauf ausgerichtet, Gruppen zu vergleichen oder zu unterscheiden.291 Art. 3 Abs. 1 GG dient allerdings vor allem dazu, den Vergleich von Personen bzw. Personengruppen miteinander zu bewerten. Die Wirkung einer Sache auf Personen erfasst der allgemeine Gleichheitssatz nur mittelbar. Einer Verdinglichung des Vergleiches, wie er hier zur Konturierung des Vergleichbarkeitskriteriums erfolgen müsste, versperrt sich Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich, da er als Grundrecht ausgestaltet ist und kein objektives Gleichheitsrecht darstellt. Daher findet Art. 3 Abs. 1 GG keine direkte Anwendung, wenn es darum geht, das Vergleichskriterium im Hinblick auf den Nutzen unterschiedlicher medizinischer Methoden zu konkretisieren.292 Zwar ist das Kriterium aufgrund seiner mittelbaren Wirkung grundrechtsrelevant – medizinische Leistungen können auf seiner Grundlage aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen werden. Bei gleichförmiger Anwendung und medizinisch korrekter Bewertung werden aber weder die Arzneimittelhersteller noch die Versicherten im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG ungleich behandelt.293 Aus 291
Dürig/Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Art. 3 Rn. 306. Anders wohl Sodan, Verfassungsrechtliche Probleme bei der Bildung von Festbetragsgruppen für Arzneimittel, PharmR 2007, S. 485 ff. (489 f.), der, allerdings ohne Thematisierung dieser Problematik, Art. 3 Abs. 1 GG zur Überprüfung der Bildung von Festbetragsgruppen anwendet und die Frage der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung wohl im Hinblick auf die von einer eventuellen Einordnung in die Festbetragsgruppe betroffenen pharmazeutischen Unternehmen annimmt. 293 Vgl. zu den Auswirkungen der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG auf die Festbetragsfestsetzung und damit auf die Bildung von Vergleichsgruppen hinsichtlich medizinischer Methoden BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, juris Rn. 17. Bei fehlender Gleichwertigkeit mit anderen Arzneimitteln wird im Rahmen der Festbetragsfestsetzung jedoch davon ausgegangen, dass es zu einer ungerechtfertigten Gleichbehandlung käme, wenn eine gegenseitige Ersetzung der Arzneimittel praktisch nicht in Frage käme. 292
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diesem Grund ist eine Versubjektivierung des Vergleiches über die Folgen der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung zweier medizinischer Methoden dogmatisch jedenfalls nicht unproblematisch. Blendet man diese Problematik aus, könnte eine Anlehnung an die Methodik der Bildung von Vergleichsgruppen erfolgen und hinsichtlich der Bestimmung des Kriteriums der Vergleichbarkeit weiterführen. Im Rahmen der Festbeträge orientiert man sich teilweise ebenfalls an Art. 3 Abs. 1 GG.294 Die Vergleichsgruppenbildung im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes zeigt, dass unterschiedliche Anknüpfungspunkte für die Annahme einer vergleichbaren Gruppe bestehen müssen. Gegenüber einer anders zu behandelnden Gruppe müssen die gleich zu behandelnden Gruppen über ein sichtbares und abschließendes Unterscheidungsmerkmal verfügen.295 Die Vergleichsgruppenbildung stellt allerdings selbst auch einen Akt wertender Erkenntnis dar, der durch Art. 3 Abs. 1 GG nur begrenzt normativ vorgezeichnet wird. Es muss über die Art und das Gewicht der als nicht relevant zu betrachtenden Unterschiede entschieden werden. Eine Anlehnung an die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten „absoluten“ Differenzierungsmerkmale hilft in der vorliegenden Fragestellung nicht weiter. Anknüpfungspunkt hinsichtlich der fraglichen Vergleichbarkeit ist der Nutzen einer medizinischen Methode. Hier lassen sich verschiedene denkbare Unterscheidungsmerkmale finden: So kann etwa an die Indikation oder aber an die in § 27 SGB V enthaltenen Behandlungsziele, Krankheiten zu verhüten, zu heilen, Verschlimmerung zu verhüten und zu lindern, wie auch an die Gleichwertigkeit des Nutzens angeknüpft werden. Ein eindeutiges, zwingendes Merkmal ergibt sich hieraus nicht. Das BSG stellt hinsichtlich der Festbetragsgruppenbildung auf die aus pharmakologisch-therapeutischer Sicht bestehende praktische Ersetzbarkeit ab.296 Dies kommt der Forderung nach der Gleichwertigkeit des Nutzens zumindest nahe. Zur Begründung für die Wahl dieser Gruppenbildung beruft sich das BSG auf der Rechtfertigungsebene darauf, dass einer Ungleichbehandlung bei nachteiliger Wirkung für andere grundrechtlich geschützte Freiheiten enge Grenzen gesetzt seien.297 Die Tatbestandsebene der Vergleichsgruppenbildung wird bei dieser Argumentation jedoch mit der Rechtfertigungsebene vermengt. Das Abstellen auf die Auswirkungen auf andere Grundrechte zeigt, dass es im Falle der gleichförmigen Anwendung eines Unterscheidungsmerkmals eigentlich vor allem auf die Auswir-
294 Ausdrücklich Sodan, Verfassungsrechtliche Probleme bei der Bildung von Festbetragsgruppen für Arzneimittel, PharmR 2007, S. 485 ff. (489 f.). 295 Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 109 f.; zur Geltung des Willkürverbotes bei rein sachbezogenen Regelungen auch BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 261 (265 f.). 296 BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 261 (265 f.). 297 BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 261 (265 f.).
E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens
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kungen des Differenzierungskriteriums ankommt. Speziell in Art. 3 Abs. 1 GG zu verortende Fragen sind demgegenüber nicht entscheidend. Dennoch scheint auch das BVerfG dieser Ansicht zu folgen und Art. 3 Abs. 1 GG bei der Festbetragsgruppenbildung für besonders relevant zu halten. Zwar hat das BVerfG im Rahmen seiner Festbetragsentscheidung die Gruppenbildung nicht ausdrücklich an Art. 3 Abs. 1 GG gemessen. Eine Strukturierung der Angebotsvielfalt nach identischem, teilidentischem und ähnlichem Nutzen riefe nach Ansicht des BVerfG aber ein rationales Nachfrageverhalten hervor.298 Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dann eine Gleichbehandlung, wenn die Unterschiede innerhalb der gewählten Gruppe nicht von solcher Art und solchem Gewicht sind, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen.299 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Wahl der zu vergleichenden Gruppe und damit die Vergleichbarkeit hauptsächlich davon abhängt, ob sich eine Ungleichbehandlung noch rechtfertigen lässt. Hierbei ist auf die Art und das Gewicht der Unterschiede und ihrer Folgen für die gewählten Gruppen abzustellen. Die Bestimmung des Umfangs noch bestehender Vergleichbarkeit ist daher nicht möglich, ohne die durch die derart erfolgte Gruppenbildung hervorgerufenen Folgen zu betrachten. Die Annahme eines grundsätzlich noch hinnehmbaren Nutzenunterschiedes in Form etwa einer Prozentzahl steht daher solange mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang, wie die hervorgerufenen Folgen dies zu rechtfertigen vermögen. Eine Ausnahme hiervon ist nur zu machen, wenn ein sachlicher Grund besteht, warum gerade ein bestimmter Nutzenunterschied als Stufe für die Annahme der Vergleichbarkeit zu wählen ist. Letztlich ist daher weniger auf die prozentualen Unterschiede als vielmehr auf die konkreten Verbesserungen des Nutzens und deren Relevanz abzustellen. Dabei ist aufgrund der Herangehensweise des Art. 3 Abs. 1 GG problematisch, welche Folgen bei der Gruppenbildung als relevant anzusehen sind. Der Extrapolation der Gruppenbildung des Art. 3 Abs. 1 GG auf Sachverhalte, in denen lediglich mittelbar eine Ungleichbehandlung aufgrund des gewählten Unterscheidungsmerkmals droht, sind aus diesem Grund methodische Grenzen gesetzt. Ein auch nur annähernd eindeutiges Ergebnis lässt sich durch die Heranziehung des Art. 3 Abs. 1 GG bei der Konkretisierung des Vergleichbarkeitskriteriums deshalb nicht herleiten.
II. Einfluss des ärztlichen Haftungsrechts auf das Vergleichbarkeitskriterium Einen weiteren Anhaltspunkt für die Auslegung des Vergleichbarkeitskriteriums könnte das ärztliche Haftungsrecht bieten. Im Rahmen der Limitierung der Leis298
BVerfGE 106, 275 (308 f.) wobei hinsichtlich der Gleichbehandlung der Versicherten auch kurz Art. 3 Abs. 1 GG, jedoch ohne inhaltliche Prüfung, angesprochen und gefordert wird, typische Fälle in Gruppen zusammenzufassen. 299 BVerfGE 55, 72 (88, 91); 57, 107 (115); 58, 369 (373).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
tungen der GKV ist vielfach die Frage nach einer Wechselbeziehung zwischen dem haftungsrechtlichen medizinischen Standard (zivil- wie auch strafrechtlich) und dem durch die GKV zu gewährenden sozialrechtlichen Standard aufgeworfen worden.300 In diese Gedankenführung ordnet sich auch der Ansatz ein, über den Vergleich mit dem Haftungsrecht das Vergleichbarkeitskriterium zu konkretisieren. Dies setzt jedoch zwei Punkte voraus: Erstens, dass Unterschiede im Standard zwischen Sozial- und Haftungsrecht auszuschließen sind,301 und zweitens, dass der sozialrechtliche Standard dem haftungsrechtlichen Standard angepasst werden muss.302 Eine Angleichung des sozialrechtlichen Standards wird insbesondere im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung sowie die „Haftungsfalle“ der Vertragsärzte gefordert.303 Eine „Haftungsfalle“ soll aufgrund eines entweder drohenden Regresses nach § 106 Abs. 5 S. 1 SGB V oder einer Haftung nach zivil- bzw. sogar strafrechtlichen Grundsätzen bestehen. Häufig wird aber auch eine Angleichung des Haftungsmaßstabes an den sozialrechtlichen Standardbegriff verlangt. Begründet wird dies damit, dass sich auch der medizinische Standard der Ressourcenverknappung nicht verschließen könne und dem Arzt keine höheren Pflichten auferlegt werden dürften, als der Staat an Leistungen zu garantieren vermöge.304 Letzterem Ansatz wird im Folgenden jedoch nicht weiter nachgegangen, da er, selbst bei seiner Annahme, nicht weiterführend für die Bestimmung des Vergleichbarkeitskriteriums ist. Eine unmittelbare Anlehnung im Rahmen der Auslegung der Vergleichbarkeit des Nutzens an eine haftungsrechtliche Bestimmung, sei es aus dem Straf- oder Zivilrecht, kann nicht erfolgen, denn diese sind nicht dazu geeignet, den Leistungsumfang 300 Zuletzt Gaßner/Strömer, Die Arzthaftung bei der Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patienten, MedR 2012, S. 159 ff. (161 f.). 301 So mit Hinweis auf die Problematik des Auseinanderfallens der Standardbegriffe und die mangelnde Transparenz im Haftungsrecht bei der Leitlinienbildung aufgrund wirtschaftlichen Vorverständnisses Kern, Haftungsrechtliche Aspekte bei Abweichung von medizinischen Qualitätsstandards, GesR 2002, S. 5 ff. (8 f.); Voß, Kostendruck und Ressourcenknappheit im Arzthaftungsrecht, S. 139 ff. (144 f.), kommt mittels Vornahme einer Vertragsauslegung und Konstruktion des Durchschlagens dieser auf die deliktischen Pflichten zu einem Gleichklang der Standardbegriffe. 302 Für letzteres vgl. den anhand der Frage der Haftung des Arztes im Falle des Off-LabelUse entwickelten Gedanken der Notwendigkeit der Einheit der Rechtsordnung zwischen Haftungs- und Sozialrecht, Walter, Off-Label-Use: Die Haftung des verordnenden Arztes, NZS 2011, S. 361 ff. (364), wobei diese bei einem ausdrücklichen Ausschluss jedoch anscheinend die Möglichkeit eines Auseinanderfallens der Standardbegriffe annimmt. 303 Gaßner/Strömer, Die Arzthaftung bei der Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patienten, MedR 2012, S. 159 ff. (163). 304 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 329; ders., Kostendruck und Standard medizinischer Versorgung, in: Greiner/Gross/Nehm/Spickhoff (Hrsg.), Neminem laedere, S. 237 ff. (250), der ausdrücklich fordert, dass Kosten-Nutzen-Analysen auch vor Gericht berücksichtigt werden müssen, um einen sparsameren Umgang der Ärzte mit den finanziellen Mitteln zu stärken.
E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens
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der GKV mitzubestimmen.305 Zwischen der Kostenübernahme durch die GKV und der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Arztes bei einem Aufklärungs- oder Durchführungsverschulden besteht ein funktionaler Unterschied.306 Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem Sinn der Haftungsregelungen sowie zum anderen der Funktion der GKV. Die fehlende Kostenübernahme für zum medizinischen Standard gehörende Behandlungsmöglichkeiten durch die GKV führt auch nicht zu einer „Haftungsfalle“ des Arztes.307 Bei umfassender Aufklärung308 über sämtliche Diagnose- und Behandlungsoptionen obliegt dem Patienten selbst die Wahl, ob er eine Behandlung wählt, die durch die GKV getragen wird, oder sich für eine andere Methode entscheidet. Aufgrund der sowohl auf das Zivil- als auch das Strafrecht anwendbaren Einwilligungsdogmatik ist eine Haftung des Arztes bei umfassender Aufklärung daher vermeidbar, selbst wenn der medizinische und sozialrechtliche Standard auseinanderfallen.309 Ebenso führt das Argument der Einheit der Rechtsordnung nicht zu dem Ergebnis, dass eine Angleichung des durch die GKV zu gewährenden Standards an die Vorgaben des Zivil- und Strafrechts für ärztliche Behandlungen zu erfolgen hätte. Die Einheit der Rechtsordnung besagt bereits nicht, welcher der beiden Standardbegriffe sich anzugleichen hat. Selbst die Annahme der Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung führt daher nicht zu dem Ergebnis, dass das Vergleichbarkeitskriterium eng am haftungsrechtlichen Standard entlang auszulegen ist. Des Weiteren kann die Forderung nach der Einheit der Rechtsordnung lediglich als Auslegungsmethode herangezogen werden. Mangels ausdrücklichem Verweis des SGB V auf den me305
Hager, in: Staudinger, § 823 Rdnr. I 22a; so im Ergebnis auch OLG Hamm, Urteil vom 22. 3. 1995, – 3 U 229/94 –, MedR 1995, S. 373 ff. (373). 306 Hart, Ärztliche Leitlinien, MedR 1998, S. 8 ff. (12 und 14); so in der Tendenz, betrachtet man Aufbau und Darstellung der Interessenkollision, auch Schimmelpfeng-Schütte, Der Arzt im Spannungsfeld der Inkompatibilität der Rechtssysteme, MedR 2002, S. 286 ff. (287 f. und 290); Steffen, Arzthaftung im Spannungsfeld, in: Brandner/Hagen/Stürner (Hrsg.), FS Geiß, S. 487 ff. (492 f.), der allerdings eine Angleichung des haftungs- an den sozialrechtlichen Standardbegriff vertritt. 307 Gaßner/Strömer, Die Arzthaftung bei Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patienten, MedR 2012, S. 159 ff. (163 f.). 308 Wobei sich diese Aufklärung nach der Rechtsprechung lediglich auf den medizinischen Standard beschränkt, sodass sich bei der Anwendbarkeit unterschiedlicher Behandlungsmethoden hinsichtlich derselben Indikation mit unterschiedlichen Risiken und Nebenwirkungsprofilen aus zivilrechtlichen Grundsätzen keine Aufklärungspflicht ergeben soll, BGH, Urteil vom 22. 9. 1987, – VI ZR 238/86 –, NJW 1988, S. 763 ff. (764). 309 Ebenso könnte zivilrechtlich auch eine Konstruktion über die Inhaltsbestimmung des Vertrages mittels Einigung anstatt Einwilligung erfolgen. Siehe hierzu etwa Jung, Das Recht auf Gesundheit, S. 127 ff. Eine Auseinandersetzung mit den konkreten zivil- und strafrechtlichen Konstruktionen unterbleibt im Folgenden, da ihr Ergebnis, dass die Haftung des Arztes selbst im Falle des Auseinanderfallens von zivil- und strafrechtlich geschuldeter Leistung und sozialrechtlich gewährtem Ausgleich dazu führt, dass dieser Aspekt verhinderbar ist und keine Auswirkungen auf die Fragestellung hat.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
dizinischen Standard und angesichts der entgegenstehenden gesetzlichen Regelung in § 12 Abs. 1 SGB V sowie beispielsweise § 34 SGB V greift eine Auslegung aber nicht. Durch den Staat kann ein anderes Leistungsspektrum garantiert werden, als zivilrechtlich – aufgrund von Vertragsschluss – geschuldet oder strafrechtlich, bei Entstehen einer Garantenstellung durch Übernahme der Behandlung, gefordert wird. Dies ergibt sich sowohl aus der verfassungsrechtlichen Schutzpflichtdogmatik als auch dem originären Unterschied der Leistungsgewährung durch den Staat oder aber durch Private. Weiterhin führt auch § 76 Abs. 4 SGB V, welcher die Einhaltung der zivilrechtlichen Sorgfaltsmaßstäbe des Arztes gegenüber dem Patienten fordert, nicht zu einer Angleichung der Haftungsmaßstäbe.310 Die Sorgfaltspflicht bezieht sich, wie die systematische Stellung im Rahmen des vierten Kapitels des SGB V und damit der Kontext der Regelung – die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern – zeigt, nicht auf den Leistungsumfang, sondern vielmehr auf die Art und Weise der Leistungserbringung. Der Sorgfaltsmaßstab hängt aber von den zu erbringenden Leistungen ab. Diese werden im dritten Kapitel des SGB V geregelt, sodass der Verweis auf das Zivilrecht lediglich auf § 276 BGB bezogen ist. Der Sorgfaltsmaßstab rekurriert jedoch nicht auf den medizinischen Standard als Frage des Leistungsumfangs der GKV. Es ist im Ergebnis aus diesen Gründen nicht zu fordern, dass der zivilrechtlich geschuldete medizinische Standard durch die GKV garantiert werden muss. Im Rahmen der Beurteilung der Vergleichbarkeit ist dieser Gesichtspunkt daher nicht unmittelbar heranzuziehen. Der Blickwinkel des Haftungsrechts – insbesondere der des Strafrechts – könnte aber dennoch weiterhelfen. An ihm lässt sich der Grad ablesen, ab dem Ausschlüssen eine derartig beeinträchtigende Wirkung zukommt, dass sie in anderen Rechtsgebieten geahndet würden. Hierbei kann etwa auf die gesetzliche Wertung abgestellt werden, wann körperliche Auswirkungen einen Straftatbestand erfüllen bzw. zivilrechtlich eine Haftung hervorrufen. Im Strafrecht ist hinsichtlich der körperlichen Einwirkung eine gewisse Erheblichkeitsschwelle anerkannt. Das Tatbestandsmerkmal der körperlichen Misshandlung wird nur im Falle einer nicht unerheblichen Einwirkung angenommen.311 Hierbei ist nicht auf das subjektive Empfinden des Einzelnen, sondern auf die Sicht eines objektiven Betrachters abzustellen. Dabei ist die Unerheblichkeitsschwelle aus 310 So im Ergebnis auch Gaßner/Strömer, Die Arzthaftung bei Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patienten, MedR 2012, S. 159 ff. (162), allerdings mit dem dogmatischen Argument, dass gegenüber dem Zivilrecht im Rahmen der von den Ärzten zu gewährenden Leistungen der GKV die sozialrechtlichen Regelungen grundsätzlich Vorrang beanspruchen würden. Diese am lex specialis angelehnte Argumentation greift jedoch aufgrund des ausdrücklichen gesetzlichen Verweises des § 76 Abs. 4 SGB V auf den Sorgfaltsmaßstab des Zivilrechts zu kurz. 311 Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, § 223 Rn. 4a.
E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens
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einer Zusammenschau von Intensität und Dauer zu bestimmen.312 Betrachtet man die Kasuistik zur Erheblichkeitsschwelle des § 223 StGB, zeigt sich jedoch, dass es sich hierbei um eine eher niedrige Schwelle handelt. Selbst bei geringen Nebenwirkungen medizinischer Behandlungen wird diese häufig überschritten. Nur wenn die Nebenwirkungen bzw. Unterschiede zwischen den Behandlungsmethoden lediglich vorübergehender Art sind und die Lästigkeitsschwelle nicht überschreiten, wäre ihre Unerheblichkeit anzunehmen. Im Rahmen der nach § 223 StGB geforderten Gesundheitsschädigung, welche der hier relevanten Fragestellung näher ist als die Erheblichkeitsschwelle des körperlichen Wohlbefindens, wird zwar ebenfalls eine solche Erheblichkeitsschwelle durch die Rechtsprechung statuiert. Dies wird allerdings aus der Notwendigkeit des Vorliegens eines krankhaften Zustands hergeleitet. Es erfolgt also eine Anlehnung an den Krankheitsbegriff des SGB V, der selbst wiederum eine Erheblichkeitsschwelle enthält. Eine Orientierung hieran würde letztlich zu einem Zirkelschluss innerhalb der Bestimmungen des SGB V führen. Die Anlehnung an die Strafbarkeitsvorschriften des StGB hilft bei der Konkretisierung des Vergleichbarkeitskriteriums daher nur sehr begrenzt weiter. Im Zivilrecht wird hinsichtlich der geschuldeten Leistung und damit der schuldrechtlichen sowie deliktsrechtlichen Sorgfaltspflicht bei der Heilbehandlung auf den medizinischen bzw. Facharztstandard abgestellt, der dem Patienten geschuldet wird.313 Die Grenzen des Einflusses von Wirtschaftlichkeitserwägungen auf das Haftungsrecht werden dabei allgemein darin gesehen, dass sich die Gefahren für den Patienten nicht erhöhen dürfen.314 Das Haftungsrecht, vor allem die Berücksichtigung strafrechtlicher Aspekte, spricht demzufolge eher dafür, den Rahmen der Vergleichbarkeit eng zu fassen und lediglich Unterschiede zu billigen, die den Grad der Lästigkeit nicht überschreiten. Eine Beschränkung des Vergleichbarkeitskriteriums kann somit allenfalls mittelbar aus der Anlehnung an haftungsrechtliche Maßstäbe gewonnen werden. Rechtlich zwingend und tatsächlich weiterführend erscheint eine solche Orientierung am Haftungsrecht letztlich jedoch nicht.
III. Vergleichbarkeit bei Unerheblichkeit im Sinne des Krankheitsbegriffs Das Vergleichbarkeitskriterium könnte möglicherweise mittels einer Anlehnung an das Verständnis des Krankheitsbegriffs, welches die Zuständigkeit der GKV in 312 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. 05. 1991, – 5 Ss 168/91 –, NJW 1991, S. 2918 ff. (2919). 313 Gaßner/Strömer, Die Arzthaftung bei der Behandlung gesetzlich krankenversicherter Patienten, MedR 2012, S. 159 ff. (159) m.w.N. 314 Laufs, in: ders./Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 99 Rn. 27; Ulsenheimer, Qualitätssicherung und risk-management im Spannungsfeld zwischen Kostendruck und medizinischem Standard, MedR 1995, S. 438 ff. (441).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Abgrenzung zur Eigenverantwortung der Versicherten bestimmt,315 konkretisiert werden. Das BSG scheint jedenfalls dieser Auffassung zu sein.316 Eine Krankheit ist nach der Rechtsprechung des BSG bei einem regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand anzunehmen, wenn dieser eine Behandlungsbedürftigkeit zur Folge hat.317 In Zusammensicht mit dem Begriff der Notwendigkeit aus § 12 Abs. 1 SGB V und Eigenverantwortlichkeit der Versicherten aus § 2 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 SGB V hat das BSG für die Annahme einer Krankheit eine Erheblichkeitsschwelle konstruiert. Eine Behandlungsbedürftigkeit besteht demnach erst bei einer nicht unerheblichen Störung. Weitere Anforderungen ruft das Notwendigkeitskriterium nicht hervor.318 Bei Vorliegen einer nur unerheblichen Störung wird die Behandlung der Krankheit der Eigenverantwortlichkeit des Versicherten überantwortet. Hieraus wird teilweise gefolgert, dass im Falle nur unerheblicher Unterschiede zwischen verschiedenen medizinischen Methoden auch die etwas schlechtere gewährt werden könne. Darüber hinausgehende Behandlungsmöglichkeiten könnten der Eigenverantwortung des Versicherten überlassen werden.319 Diese Herleitung des Kriteriums „unwesentliche“ Verbesserung aus der Definition des Krankheitsbegriffs erscheint auf den ersten Blick insoweit einleuchtend, als der Leistungsanspruch auf Behandlung einer Krankheit zweifellos mit ihrem Bestehen zusammenhängt. Letztlich mag dieses Ergebnis sogar zutreffend sein: „Unwesentliche Verbesserungen“ müssen nicht mittels hoher Kosten erreicht werden. Auf die Definition des Krankheitsbegriffes lässt sich dies dogmatisch jedoch nicht direkt stützen. Der dem SGB V zugrunde liegende Krankheitsbegriff wurde nicht legaldefiniert; vielmehr ist er mit der Zeit von der Rechtsprechung ausgeformt worden. Die Definition von Krankheit ist daher nicht unumstößlich.320 Weiterhin lassen sich bei einer Betrachtung der Systematik der Prüfungsreihenfolge die für die Annahme einer Krankheit gewonnenen Merkmale als für die Anspruchsbegründung notwendige Voraussetzungen nicht automatisch auf den Anspruchsausschluss, wie er in § 12 Abs. 1 SGB V geregelt wird, übertragen. Anspruchsentstehung und Ausschluss stehen nicht zwingend spiegelbildlich zueinander. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG beinhaltet zwar einen für die „Unwesentlichkeit“ im Sinne des Krankheitsbegriffs wohl Parade stehenden „Bagatellvorbehalt“. Dieser schließt geringfügige Beein315 Die in § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V mit dem Hinweis auf die Eigenverantwortung der Versicherten zum Ausdruck kommt. 316 BSG, Urteil vom 03. 07. 2012, – B 1 KR 22/11 R –, juris Rn. 17 und 20. 317 Vgl. etwa BSGE 25, 37 (39); 26, 240 (242); 33, 202 (203); 35, 10 (12); 39, 167 (168); 59, 119 (121); 62, 83 (83 f.); 66, 248 (249); 72, 96 (98); ebenso Nolte, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 27 SGB V Rn. 9 m.w.N. 318 BSGE 35, 105 (106). 319 Gamperl, Die Absicherung gegen Krankheitskosten durch Sozialhilfe und Gesetzliche Krankenversicherung als Mittel zur Lebensstandardsicherung, S. 149 f. 320 Vgl. etwa die Vorschläge der Arbeitsgruppe Gesundheitsstandards an der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft (Hrsg.), Jahrbuch 1999, S. 147 ff.; Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 2 Rn. 9 f.
E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens
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trächtigungen aus dem Schutzbereich aus, wenn sie, da unwesentlich, als zumutbar anzusehen sind.321 Eine derartige Schwelle ist nach Eröffnung des Schutzbereichs hinsichtlich unterschiedlicher Beeinträchtigungsniveaus hingegen nicht angenommen worden. Die Annahme der Unwesentlichkeit spielt im Rahmen des Krankheitsbegriffs selbst demnach nur bei der Frage des Bestehens eines behandlungsbedürftigen Zustandes, nicht aber zwingend bei der Frage der Art und Weise der Behandlung selbst eine Rolle. Allein aus dem Krankheitsbegriff kann daher das Vergleichbarkeitskriterium nicht hergeleitet werden. Das BSG geht hingegen davon aus, dass ein weiterer bzw. neuer Anspruch entstünde, sofern der Unterschied zwischen zwei medizinischen Maßnahmen die Schwelle des Krankheitsbegriffes im Sinne der Erheblichkeit von Nebenwirkungen oder Wirkungsunterschieden überschreiten sollte. Das Überschreiten der Schwelle der Krankheitssymptome würde dazu führen, dass § 27 Abs. 1 SGB V wiederum griffe.322 Bei einer Nutzendivergenz, die über bloße Unannehmlichkeiten und Befindlichkeitsstörungen hinausgeht, wäre demnach die Vergleichbarkeitsschwelle überschritten. Es würde ein selbstständig „behandlungsbedürftiger“ Nutzenunterschied vorliegen.323 Auf den ersten Blick erscheint diese Argumentation als sehr eingängig. Die Konstruktion des Entstehens eines neuen Anspruchs aus § 27 Abs. 1 SGB V passt jedoch dogmatisch nicht. Darüber hinaus würde sich dieser Anspruch, selbst wenn man annähme, dass aus § 27 Abs. 1 SGB V ein weiterer Behandlungsanspruch gegen weiterhin bestehende oder durch die Behandlung hervorgerufene Beschwerden folge, nur darauf richten, die Beschwerden mittels anderer Methoden zu behandeln. Ein Anspruch auf eine insgesamt bessere Behandlungsalternative begründet sich hieraus jedoch nicht zwingend. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann hingegen aufgrund des hohen Gewichts des Abwägungsbelanges „Gesundheit“ das Vergleichbarkeitskriterium beeinflussen. Diese Gewichtung des Abwägungsbelanges führt jedoch nicht zwangsläufig zu dem über § 27 Abs. 1 SGB V von der Rechtsprechung hergeleiteten Ausschluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen bei einem über geringe Nutzenunterschiede hinausgehenden Zusatznutzen. Vielmehr bewirkt sie, dass die Abwägung in den allermeisten Fällen zugunsten des Nutzens ausfällt. Insgesamt legt § 27 Abs. 1 SGB V in Zusammenschau mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG jedoch eher eine enge Auslegung der Vergleichbarkeit des Nutzens nahe.
321 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 2 Abs. 2 Rn. 49; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 225. 322 BSG, Urteil vom 03. 07. 2012, – B 1 KR 22/11 R –, juris Rn. 17 und 20. 323 Aufgrund der hier fraglichen Unterschiede in den Nebenwirkungen verwendet das BSG den Begriff „behandlungsbedürftige Nebenwirkung“, vgl. BSG, Urteil vom 03. 07. 2012, – B 1 KR 22/11 R –, BSGE 111, 146 (151 ff.).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
IV. Anlehnung an die Vorgaben der Festbetragsbildung (§ 35 SGB V) Die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung durch die GKV wird in einem weiten Bereich mittels der Bildung von Festbeträgen gemäß § 35 SGB V sichergestellt. Diese bieten einen weiteren möglichen Anhaltspunkt für die Konkretisierung des Vergleichbarkeitskriteriums. Hierbei kann einerseits die Gruppenbildung und andererseits der Ausschluss bestimmter Medikamente von der Einbeziehung in Festbetragsgruppen Anknüpfungspunkt der Überlegung sein. In § 35 Abs. 1b SGB V findet sich eine gesetzliche Definition der therapeutisch vergleichbaren Wirkung. Diese könnte aufgrund der Ausgestaltung des Wirtschaftlichkeitsprinzips des § 12 Abs. 1 SGB V durch die speziell in § 35 iVm § 12 Abs. 2 SGB V geregelten Festbeträge einen Hinweis darauf liefern,324 wann eine Vergleichbarkeit des Nutzens auch im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V anzunehmen ist. § 35 Abs. 1b S. 1 SGB V sieht vor, dass eine therapeutische Verbesserung besteht, wenn der therapierelevante Nutzen höher ist als bei anderen Arzneimitteln der Wirkstoffgruppe und das Arzneimittel daher regelmäßig oder für relevante Patientengruppen als zweckmäßige Therapie vorzuziehen ist. Bei einer derartigen therapeutischen Verbesserung ist gemäß § 35 Abs. 1 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 und Abs. 1a S. 2 SGB V eine Festbetragsfähigkeit des Arzneimittels nicht gegeben. Die Begriffe „therapeutische Verbesserung“, „höherer Nutzen“ und „medizinischer Zusatznutzen“ werden synonym verwendet.325 Bei der Bestimmung, ob eine therapeutische Verbesserung durch ein Medikament vorliegt, sind laut § 35 Abs. 1b S. 4 und 5 SGB V klinische, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis entsprechende Methoden zu nutzen. Vorrangig sind Vergleichsstudien heranzuziehen. Lediglich Unterschiede hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte – insbesondere der Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, auch wenn sie im Rahmen von Nebenwirkungen auftreten –326 können eine therapeutische Verbesserung darstellen. Hinsichtlich des Nachweises einer therapeutischen Verbesserung und der damit fehlenden Vergleichbarkeit des Nutzens wird vom BSG weiterhin gefordert, dass die Studien in Bezug auf patientenrelevante Endpunkte durchgeführt worden sein müssen und nicht lediglich Surrogatparameter überprüft haben.327 Nur im Falle einer gleichzeitigen Anknüpfung an patientenrelevante Endpunkte können andere 324
Aus § 12 Abs. 2 SGB V ergibt sich, dass es sich bei § 35 SGB V um eine spezielle Form der Wirtschaftlichkeitssicherung handelt. 325 BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 10/10 R –, BSGE 107, 287 (305 f.) unter Verweis auf BT-Drs. 17/2413, S. 21; ebenso BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 261 (281). Vertiefend zu diesen Begriffen und ihrer Bedeutung bereits unter § 3 D. II. 2. 326 Die in § 35 Abs. 1b S. 1 SGB Vauf therapierelevante Vorteile beschränkte Definition der therapeutischen Verbesserung wird mit § 35 Abs. 1 S. 3 und Abs. 1b S. 3 SGB V erweitert, der die Bewertung des Bestehens einer therapeutischen Verbesserung über die unmittelbar therapierelevanten Vorteile hinausgehend auf die Nebenwirkungen ausweitet. 327 BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 10/10 R –, BSGE 107, 287 (287, 3. Leitsatz und 305 f.).
E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens
217
therapierelevante Leistungsmerkmale, wie etwa der Wechsel des Applikationsortes oder -weges, zur Annahme einer therapeutischen Verbesserung führen.328 Im Hinblick auf die in § 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB V geforderte therapeutisch vergleichbare Wirkung nimmt das BSG an, dass der Begriff Vergleichbarkeit in diesem Kontext weder Austauschbarkeit noch Identität bedeutet, sondern darüber hinausgeht.329 Das BSG lehnt sich hierbei implizit an Art. 3 Abs. 1 GG an. Aus diesem wird die Forderung hergeleitet, dass es eines übergreifenden gemeinsamen Bezugspunktes für die Gruppenbildung bedürfe. Eine therapeutische Vergleichbarkeit wird insoweit aus der Zulassung im selben Anwendungsgebiet abgeleitet.330 Gleichzeitig überprüft das BSG neben der Zulassung in derselben Indikation aber auch, ob besondere Patientenkollektive durch das Arzneimittel erschlossen werden und ob die Nebenwirkungen im Falle der Festsetzung eines gemeinsamen Festbetrages eine Einengung der Therapiemöglichkeiten bewirken würden.331 In der Literatur wird allgemein jedoch davon ausgegangen, dass im Rahmen der Festbetragsgruppe nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 SGB V sämtliche Kombinationspräparate einer Indikation erfasst werden.332 Das Kriterium der vergleichbaren Wirkung bezieht sich demnach in § 35 Abs. 1 Nr. 3 SGB V darauf, dass die Arzneimittel dieselbe Indikation betreffen. Dem entspricht die Regelung des § 23 des 4. Kapitels der VerfOGBA, welcher eine Vergleichbarkeit innerhalb der gesamten Indikation annimmt. Aufgrund der Forderung des § 35 Abs. 1 S. 3 SGB V, dass durch die Gruppenbildung keine Therapiemöglichkeiten eingeschränkt werden dürfen, wird die Betrachtung der Gruppenbildung nach § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 SGB V als Konkretisierungsmaßstab des Vergleichbarkeitskriteriums jedoch zirkelschlüssig. Im Hinblick auf die Forderung, dass keine Therapiemöglichkeiten eingeschränkt werden dürften, wird von der Rechtsprechung auf das anhand von § 12 Abs. 1 SGB V entwickelte Kriterium des gleichwertigen Nutzens Bezug genommen.333 Aus diesem Grund kann allein die Anlehnung an § 35 SGB V keinen eindeutigen Aufschluss über die Auslegung des Vergleichbarkeitskriteriums bringen. Darüber hinaus hat die Einbeziehung in einen Festbetrag auch eine andere Wirkung als die Möglichkeit, eine Behandlung vollständig aus dem Leistungskatalog der GKV auszuschließen oder ihren Einsatz zu beschränken. Daher ist es nicht zwingend, die Vergleichbarkeit im Rahmen von § 35 SGB V mit der Vergleichbarkeit als Kriterium für die Beschränkungsmöglichkeit des Leistungsumfanges der GKV vollständig zu parallelisieren. 328 BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 287 (306) unter Verweis auf BT-Drs. 16/194, S. 8. 329 BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 287 (302). 330 BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 287 (301 ff.). 331 BSG, Urteil vom 01. 03. 2011, – B 1 KR 7/10 R –, BSGE 107, 287 (305). 332 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 180; Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 35 SGB V Rn. 8. 333 BSG, Urteil vom 24. 11. 2004, – B 3 KR 23/04 R –, BSGE 94, 1 (8 f.).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
V. Wesentlichkeitstheorie als Beschränkung der Vergleichbarkeit Eine Beschränkung der weiten Auslegbarkeit des Vergleichbarkeitskriteriums könnte sich jedoch aus der Wesentlichkeitstheorie ergeben.334 Dies hängt mit der Zuständigkeit des GBA zur Konkretisierung des Leistungsumfangs der GKV gemäß § 92 SGB V sowie des geringen Umfangs der gesetzlichen Vorgaben für das Verhältnis von Kosten und Nutzen zueinander zusammen. Nach der Wesentlichkeitstheorie sind die grundsätzlichen bzw. wesentlichen Fragen durch den Gesetzgeber selbst zu regeln.335 Hierunter sind vor allem sämtliche für die Grundrechtsverwirklichung bedeutsamen Fragen zu verstehen.336 Im Hinblick auf die Beurteilung, ob und auch in welchem Umfang es eines förmlichen Gesetzes bedarf – was losgelöst vom Merkmal des „Eingriffs“ in ein Grundrecht zu entscheiden ist – kommt es auf die Intensität der geplanten wie auch getroffenen Regelungen im Hinblick auf den jeweiligen Sachbereich an.337 Für die in Bezug hierauf zu diskutierende Frage, der Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit der Legislative und Exekutive, sind insbesondere zwei Gesichtspunkte zu beachten: Zum einen die aus der Annahme eines Regelungsbedürfnisses durch die Legislative folgende „Vergesetzlichung“ einschließlich des Folgeproblems der schwerfälligen Anpassungsfähigkeit; zum anderen, dass es einer differenzierten Betrachtung der einzelnen Regelungsbereiche bedarf.338 Die Bestimmung des Kompetenzumfangs des GBA zur Ausformung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch Richtlinien kann, da die Art und Weise der Ausgestaltung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG beeinflusst wird, mittels des Wesentlichkeitsprinzips erfolgen. Auch die Einrichtung und Ausgestaltung von Leistungs- sowie normativen Verteilungsordnungen können für die Grundrechtsgestaltung und -ausübung wesentlich sein.339 Aus diesem Grund kann der GBA im Rahmen seiner aus § 92 SGB V erwachsenden Kompetenz, das Wirtschaftlich334 So im Ergebnis auch Welti, Der sozialrechtliche Rahmen ärztlicher Therapiefreiheit, GesR 2006, S. 1 ff. (8), der es generell zwar für möglich hält, Wirtschaftlichkeit als weitergehend zu verstehen, aufgrund der Abwägungsentscheidung hinsichtlich des Nutzens der Mittelverwendung jedoch das Wesentliche als dem Gesetzgeber vorbehalten ansieht. 335 Zur Herleitung und Begründung des Wesentlichkeitsprinzips BVerfGE 41, 251 (260 f.); 47, 46 (79); 58, 257 (268). 336 Zur Grundrechtsbeeinträchtigung und der hieraus erwachsenden Notwendigkeit einer formell gesetzlichen Regelung BVerfGE 45, 400 (417 f.); 49, 89 (126). 337 BVerfGE 49, 89 (126); siehe zur Lösung der Wesentlichkeitstheorie von der Eingriffsdogmatik auch Papier, Der Wesentlichkeitsgrundsatz – am Beispiel des Gesundheitsreformgesetzes, VSSR 1990, S. 123 ff. (126). Betrachtet man die Herleitung des Wesentlichkeitsprinzips aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz, erscheint die Verankerung an der grundrechtlichen Eingriffsdogmatik ohnehin als entbehrlich. 338 Zum Schulgesetz im Hinblick auf den Umfang der notwendigen gesetzlichen Regelungen und zur Regelungsdichte, BVerfGE 58, 257 (268 ff.). 339 Neumann/Niklas-Faust/Werner, Wertimplikationen von Allokationsregeln, -verfahren und -entscheidungen im deutschen Gesundheitswesen, S. 164.
E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens
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keitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V zu konkretisieren, durch die verfassungsgerichtlich entwickelte Wesentlichkeitsdoktrin beschränkt sein.340 Eine Beschränkung der Konkretisierungskompetenz ergibt sich daraus, dass das Kriterium der Vergleichbarkeit des Nutzens als Voraussetzung für die Anstellung von Wirtschaftlichkeitserwägungen anhand des Wesentlichkeitsprinzips verfassungskonform auszulegen ist. Dies gilt sowohl für die in Bezug auf Arzneimittel ausdrücklich in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V geforderte Vergleichbarkeit als auch für die grundsätzlich eingeräumte Konkretisierungsbefugnis des § 12 Abs. 1 SGB V in § 92 SGB V. Die Wesentlichkeitstheorie fordert indes keine vollständig umfassende gesetzliche Regelung.341 Auch Verfahrens- und Organisationsvorschriften können dazu führen, dass die gesetzlichen Regelungen dem Wesentlichkeitsgebot genügen. Eine Orientierung an der Wesentlichkeitstheorie hinsichtlich der Frage, wie weit das Vergleichbarkeitskriterium wie auch die Normsetzungsbefugnis zur Konkretisierung des § 12 Abs. 1 SGB V durch den GBA interpretiert werden kann, führt dennoch zur stärkeren Konturierung dieses Kriteriums. Bisher ist die Wesentlichkeitstheorie im Hinblick auf den GBA größtenteils in Bezug auf die Frage der ausreichenden Bestimmtheit seiner Normsetzungskompetenz untersucht worden, also danach ob Umfang und Grenzen der Regelungsbefugnisse deutlich genug erkennbar sind.342 Eine Befassung mit der Frage, inwieweit ein unbestimmter Rechtsbegriff aufgrund der Wesentlichkeitstheorie eng auszulegen ist, ist hingegen bislang kaum erfolgt.343 Der Einsatz von Kosten-Nutzen-Bewertungen ist als „wesentliche Frage“ einzuordnen, wenn auf ihrer Grundlage über die Erbringung von Therapien als Leis-
340 Vgl. Landessozialgericht Niedersachsen, Urteil vom 23. 2. 2000, – L 4 KR 130/98 –, NZS 2001, S. 32 ff. (38). 341 Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 62. 342 Etwa Engelmann, Untergesetzliche Normsetzung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch Verträge und Richtlinien (Teil 2), NZS 2000, S. 76 ff. (79); Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, S. 60 ff.; Axer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, § 95 Rn. 20; hinsichtlich der Rahmenempfehlungen nach § 125 SGB V und Art. 12 GG Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 12. 08. 2006, – L 4 KR 295/03 –, juris Rn. 37 f.; BVerfG, Urteil vom 17. 12. 2002, – 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95 –, juris Rn. 135 und Rn. 140; Huster, Die Methodik der KostenNutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (451 f.), wendet den Parlamentsvorbehalt ebenso im Hinblick auf die Frage an, ob seinen Anforderungen genügt wird, um Verordnungsbeschränkungen bzw. -ausschlüsse auf der Grundlage von KostenNutzen-Bewertungen vornehmen zu können. Huster ist aber ebenso der Auffassung, dass anhand dessen eine verfassungskonforme, einschränkende Interpretation vorgenommen werden könne. 343 Zur verfassungskonformen Anwendung von Befugnissen des GBA aufgrund des Wesentlichkeitsprinzips aber bereits andeutungsweise BSG, Urteil vom 14. 05. 1992, – 6 RKa 41/ 91 –, juris Rn. 53.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
tungen der GKV entschieden wird.344 Die Konkretisierung gesetzlicher Tatbestände des SGB V durch abstrakt-generelle Regelungen ist auch sonst im Sinne der Wesentlichkeitstheorie grundsätzlich problematisch.345 Für die gesetzliche Ausgestaltung und Auslegung der Kompetenzen anhand der Wesentlichkeitstheorie gilt deshalb: Je deutlicher der Kreis der Selbstverwaltung überschritten ist und je empfindlicher in Grundrechte Dritter eingegriffen wird, desto eher muss der parlamentarische Gesetzgeber selbst legeferieren.346 Bei der Annahme eines nahezu gleichwertigen Nutzens zwischen zwei unterschiedlichen Behandlungsmethoden kommt es im Falle des Ausschlusses einer nur in minimalem Umfang nützlicheren Behandlungsmethode wegen zu hoher Kosten zu keiner empfindlichen Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Gleichzeitig wird durch eine derartig begründete Beschränkung des Leistungsumfanges der Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG gewahrt, da hierdurch zusätzliche Ausgaben der GKV vermieden werden. Aus dem Blickwinkel des Art. 2 Abs. 1 GG wird durch die Beschränkung daher die Einhaltung des Übermaßverbots sichergestellt. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wird in dieser Fallgestaltung nur in geringem Umfang beeinträchtigt. Aus diesem Grund bedarf es für die Entscheidung bei geringen Nutzenunterschieden weder eines hohen Legitimationsniveaus noch weitgehender, dezidierter gesetzlicher Vorgaben.347 Bei größeren Nutzenunterschieden gilt diese Argumentation indes nicht in gleicher Weise. Die Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wiegt hier deutlich schwerer. Die Beeinträchtigung von Art. 2 Abs. 1 GG wiegt hingegen nicht derart schwer, da teurere, von den Versicherten zu finanzierende Leistungen durch die GKV erbracht werden. Die Verteilung der Ausgaben auf die gesamte Versichertengemeinschaft sorgt dafür, dass der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG nicht als derart grundrechtsrelevant anzusehen ist. Bei relevanten Nutzenunterschieden müssten im Rahmen von Kosten-Nutzen-Bewertungen außerdem Wertungen vorgenommen werden, die angesichts der geringen materiellen Vorgaben und des somit hohen Wertungsgehalts der Entscheidung, welche Gesundheitsverbesserungen wie viel wert sind, sowie des Gewichts von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eines hohen demokratischen Legitimationsniveaus bedürfen. Über ein solches hohes Legitimationsniveau verfügt der GBA – unabhängig von den ohnehin bestehenden Zweifeln an seiner demokratischen Legitimation – jedenfalls nicht.348 344 Ebsen, Verfassungsrechtliche Implikationen der Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen, NDV 1997, S. 71 ff. (73); Huster, Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der gesetzlichen Krankenversicherung, GesR 2008, S. 449 ff. (451). 345 Ebsen, in: Schulin (Hrsg.), HS-KV, § 7 Rn. 117 ff. 346 Merten, Zum Richtlinienerlass durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, NZS 2006, S. 337 ff. (338). 347 Vgl. hierzu Münkler, Die gerichtliche Kontrolle von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, insbesondere zur Kontrolldichte, RsDE 74 (2013), S. 44 ff. (50 ff.). 348 Zur demokratischen Legitimation des GBA etwa Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 149 ff.; Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 Abs. 1. S. 1 SGB V,
E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens
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In einem komplexen, ausdifferenzierten Leistungssystem wie dem der GKV kann der Gesetzgeber nicht verpflichtet werden, alle Einzelheiten des Leistungsgeschehens selbst zu regeln.349 Auch der „dynamische Grundrechtsschutz“350 führt nicht dazu, dass der Ein- und Ausschluss einzelner medizinischer Maßnahmen als Leistungen der GKV in einem förmlichen Gesetz vorzunehmen ist.351 Die Wesentlichkeitstheorie beschränkt die Befugnis des GBA daher nicht darauf, nur im Falle einer absoluten Gleichwertigkeit des Nutzens mit einer anderen Methode Leistungen aus der GKVausschließen zu können. Der geringe Umfang der gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch den GBA führt aber dazu, dass der GBA Wirtschaftlichkeitserwägungen derzeit nicht berücksichtigen kann, wenn keine andere medizinische Methode mit tendenziell gleichwertigem Nutzen durch die GKV gewährt wird.352 Die gesetzlichen Vorgaben gehen momentan nicht darüber hinaus, grundsätzlich zu fordern, dass die Leistungen der GKV ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein sollen. Sie geben damit keinen Bewertungsmaßstab vor, ab wann eine Wirtschaftlichkeit im Hinblick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht mehr anzunehmen ist. Eine Ausweitung des Einflusses von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf die Leistungsumfangsbestimmung kann – wenn sie vom GBA umgesetzt werden sollen – daher nur bei einer weiteren Konkretisierung der Vorgaben dieser Bewertungsentscheidung durch den Gesetzgeber erfolgen. Das Ergebnis, dass nach § 27 Abs. 1 iVm § 12 Abs. 1 SGB V von den Versicherten gegebenenfalls weniger verlangt werden kann, als der GBA gemäß § 92 SGB Vaus dem Leistungskatalog der GKVauszuschließen vermag, erscheint hierbei zwar zunächst überraschend. Da kein absoluter Vorrang des Nutzens gegenüber Wirtschaftlichkeitserwägungen besteht, scheint der Vertragsarzt bzw. die Krankenkasse in einer Einzelfallentscheidung eine bestimmte Behandlung wegen zu S. 127 ff.; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 107 ff.; Schnapp, Untergesetzliche Rechtsquellen im Vertragsarztrecht am Beispiel der Richtlinien, in: Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 ff. (501 ff.); Neumann, Prioritätensetzung und Rationierung in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 2005, S. 617 ff. (620) und ders., Verantwortung, Sachkunde, Betroffenheit, Interesse: Zur demokratischen Legitimation der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, NZS 2010, S. 593 ff. (598 f.); Schimmelpfeng-Schütte, Die Zeit ist reif für mehr Demokratie in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) – Konzept für eine kollektive Entscheidungsbeteiligung der Versicherten im Gemeinsamen Bundesausschuss, MedR 2006, S. 21 ff. (23 f.) jeweils m.w.N. 349 Engelmann, Untergesetzliche Normsetzung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch Verträge und Richtlinien, NZS 2000, S. 76 ff. (79). 350 BVerfGE 49, 89 (137). 351 Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, DVBl 2010, S. 1069 ff. (1072). 352 So letztlich auch Welti, Der sozialrechtliche Rahmen ärztlicher Therapiefreiheit, GesR 2006, S. 1 ff. (8), der allerdings über den Grundsatz von Treu und Glauben und damit unter Rückgriff auf schuldrechtliche Konzepte, wohl aufgrund seiner Konturierung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes im Hinblick auf die Therapiefreiheit der Ärzte, zu diesem Ergebnis gelangt.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
hoher Kosten ablehnen zu können, obwohl der GBA diese nicht hätte ausschließen dürfen. Die Möglichkeit, deutlich schlechtere medizinische Methoden einzusetzen, um im Einzelfall Kosten zu sparen, wird hiermit jedoch nicht eröffnet. Stattdessen erfolgt die Konkretisierung des § 12 Abs. 1 SGB V stufenweise. Die Notwendigkeit der stufenweisen Konkretisierung der von der GKV zu erbringenden Leistung im Krankheitsfall ergibt sich schon daraus, dass sich der Nutzen abstrakt-generell nicht ausreichend konkret bestimmen lässt. Der GBA kann dem Vertragsarzt daher nur einen Rahmen eröffnen, innerhalb dessen er die Leistungen zu bestimmen hat. Der Vertragsarzt hat hierbei selbst wiederum § 12 Abs. 1 SGB V zu beachten. Ein grundsätzlicher Ausschluss von Leistungen bzw. eine Beschränkung des Einsatzes mittels Richtlinien des GBA erfolgt aus diesem Grund nur, wenn eine medizinische Methode – mit Ausnahme von atypischen Fällen – für keine relevante Patientengruppe oder nur in einer für den Nachweis des Nutzens nicht hinreichenden Anzahl von Fällen einen besseren Nutzen bewirkt. Die stufenweise Konkretisierung des § 12 Abs. 1 SGB V hängt damit zusammen, dass sich die Nutzenprognose im Einzelfall präziser stellen lässt – sich verbessert oder verschlechtert. Aus diesem Grund können Wirtschaftlichkeitserwägungen in der Einzelfallbeurteilung anders zum Tragen kommen als dies bei einer abstraktgenerellen Beurteilung der Fall ist.353 Die Wirkung medizinischer Behandlungen kann individuell stark divergieren. Medizinisch kommt es bei der Beurteilung, welche Behandlungsmethode perspektivisch am Nützlichsten ist, auf weitere Aspekte an. Dies betrifft etwa den sonstigen Gesundheitszustand, zum Beispiel das Vorliegen von Multimorbidität und daher höherer Nebenwirkungsrisiken. Deshalb sind auch weitergehende Therapiehinweise des GBA als Leistungsbeschränkungen möglich.354 Die Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit ist aus diesem Grund in weitem Umfang dem Arzt überlassen. Dieser ist insoweit gatekeeper für die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit des GKV-Systems.355 Hiermit wird aber nicht impliziert, dass die Vertragsärzte zu inhaltlich umfangreicheren Wirtschaftlichkeitsbeurteilungen fachlich befähigt oder legitimiert wären als der GBA sie zu treffen befugt ist. Ein höheres Legitimationsniveau des Vertragsarztes für die Vornahme wirtschaftlicher Beurteilung besteht nicht. Im Rahmen von Einzelfallbetrachtungen lassen sich aber der konkret zu erwartende Nutzen sowie das unterschiedlich zu beurteilende Risiko von Nebenwirkungen näher präzisieren. Diese Konkretisierung des Nutzens hat unterschiedliche Wirkungen. Bestimmte medizinische Methoden, die in anderen Fällen durchaus als nützlich angesehen werden, können wegen Kontraindikationen im konkreten Fall ausgeschlossen sein. Ebenso ist es aber denkbar, dass Nebenwirkungen unwahrscheinli353
Zur Stufung der Prüfung des Bestehens von Behandlungsalternativen und Wirtschaftlichkeitserwägungen auch BSG, Urteil vom 07. 11. 2006, – B 1 KR 24/06 R –, BSGE 97, 190 (200 f.). 354 Siehe hierzu bereits § 2 C. II. und III. 355 Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 67 ff.
E. Präzisierung des Kriteriums der „Vergleichbarkeit“ des Nutzens
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cher sind als in anderen Fällen, weshalb bei konkreter Beurteilung der Nutzen mehrerer medizinischer Behandlungsmethoden eher vergleichbar ist als bei abstrakter Betrachtung. Hierdurch erweitert sich deshalb „nur“ faktisch der Bereich, in dem Wirtschaftlichkeitserwägungen Wirkung entfalten können.
VI. Zwischenergebnis Die Beschränkung des Anwendungsrahmens von Kosten-Nutzen-Vergleichen auf geringe Nutzenunterschiede bei der Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch den GBA folgt demnach zum einen aus der Forderung eines vergleichbaren diagnostischen oder therapeutischen Nutzens in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V. Zum anderen ergibt sich diese Beschränkung – neben der ausdrücklichen, aber auslegungsfähigen Forderung des § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V – aber insbesondere auch aus der Wesentlichkeitstheorie. Umfangreiche ökonomische KostenNutzen-Bewertungen können zur Ausgestaltung des Leistungskatalogs der GKV durch den GBA daher nicht angestellt werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass ein demokratisch allenfalls in geringem Umfang legitimiertes Organ sonst befugt wäre, Entscheidungen zu treffen, die die Versicherteninteressen weitreichend beeinträchtigen würden. Mangels gesetzlicher Vorgabe eines Bewertungsmaßstabes für die Beurteilung der Angemessenheit des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bestehen keine ausreichenden inhaltlichen Vorgaben für derartige Wertungen. Obwohl hierfür verschiedene Anhaltspunkte herangezogen werden können, lässt sich abstrakt nicht vollends bestimmen, welche Nutzendivergenzen das Vergleichbarkeitskriterium bereits überschreiten. Diesbezüglich ist ein gewisser Spielraum des GBA anzunehmen, der jedoch nicht dazu führen darf, dass der Behandlungsumfang in relevantem Maße eingeschränkt wird. Zur Beurteilung dieser Relevanz bedarf es einer konkreten Bewertung der Nutzenunterschiede, sowohl abstrakt als auch individuell. Hierbei können auch prozentuale Verbesserungen herangezogen werden. Der Schwerpunkt liegt im Rahmen der Beurteilung jedoch auf den konkreten Verbesserungen sowie der Relevanz des Bereichs in dem sie eintreten. Prozentuale Verbesserungen stellen eine zu abstrakte Größe für die Bewertung des Gutes Gesundheit und damit die Erfassung der Beeinträchtigung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dar, um sie isoliert heranziehen zu können. Dabei ist zu beachten, welche Verbesserungen im Rahmen der GKV als relevant für die Beurteilung des Nutzens anzusehen sind und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts ist. Die Vorgehensweise der Gerichte bei der Bestimmung, ob Nutzenunterschiede relevant sind – zum einen durch die Einholung von Sachverständigengutachten und zum anderen mittels Befragung des Betroffenen – zeigt beispielhaft, wie zu verfahren ist. Wenn auch mit etwas anderer Begründung, ist der durch die Gerichte erfolgten Beschränkung von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V demnach beizupflichten.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
VII. Keine Erweiterung des Vergleichbarkeitskriteriums durch § 35b SGB V Zu einer Erweiterung des ausdrücklich in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V geregelten und von der Rechtsprechung in § 12 Abs. 1 SGB V hineingelesenen Vergleichbarkeitskriteriums führt auch § 35b SGB V nicht. Denkbar erschiene ohnehin nur eine mittelbare Erweiterung. Eine solche könnte dergestalt erfolgt sein, dass der bewertbare Bereich durch umfangreichere Vergleiche erweitert worden sein könnte. Nach Ansicht des BVerfG ist die Auslegung der Kriterien des § 12 Abs. 1 SGB V nicht in Stein gemeißelt. Sie sind vielmehr einem Anschauungswandel – der wohl mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammenhängen dürfte – unterworfen.356 Die Frage der Vergleichbarkeit betrifft im Rahmen des nach § 12 Abs. 1 SGB V durchzuführenden Kosten-Nutzen-Vergleichs indes nicht die Frage, ob Kosten und Nutzen methodisch gesehen miteinander verglichen werden können. Vielmehr ist die Vergleichbarkeit des Nutzens zweier verschiedener medizinischer Methoden im Sinne ihrer Gleichwertigkeit entscheidend. Deshalb sind auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 SGB V bisher keine auf ökonomischer Grundlage entwickelten KostenNutzen-Bewertungen durchgeführt worden. Sie können es aufgrund des hohen Wertungsgehalts von Kosten-Nutzen-Bewertung nach derzeitiger Rechtslage mit der Folge eines Leistungsbeschränkung auch nicht. Die Frage der Gleichwertigkeit des Nutzens ist für die Erwägung, welche Methode als wirtschaftlich anzusehen ist, daher ausschlaggebend. Der GBA hat nur für einen hinsichtlich des Nutzenunterschieds eng beschränkten Bereich zu entscheiden, inwieweit Nutzenvorteile das Anfallen höherer Kosten für die Versichertengemeinschaft rechtfertigen. Der Bereich der Abwägung zweier nicht kardinal skalierbarer Verfassungsgüter durch den GBA ist daher auf die Sicherstellung des aus Art. 2 Abs. 1 GG hervorgehenden Übermaßverbotes beschränkt. Angesichts des geringen Gewichts von Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber dem Zweck der Sicherstellung der Gesundheit stellt dies einen minimalen Bereich dar, in dem derartige Abwägungen zu treffen sind. In diesem Bereich tritt der Einfluss des subjektiven Wertungsbereichs hinter objektive Vorgaben zurück, sodass auch ein demokratisch nur in geringem Umfang legitimiertes Organ eine derartige Abwägungsentscheidung treffen kann. § 35b SGB V weitet diesen Bereich der Vergleichbarkeit des Nutzens gegenüber den anfallenden Kosten weder unmittelbar noch mittelbar aus. Der Einfluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen bei der Leistungserbringung der GKV verstärkt sich durch die Einführung des § 35b SGB V daher nicht. Vielmehr führt anstelle von § 35b SGB V eher die grundsätzlich nach § 35a SGB V durchzuführende Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu einer verstärkten Umsetzung 356 Das BVerfG vertritt ausdrücklich, dass die Auslegung der in § 12 Abs. 1 SGB V verwendeten Begriffe in ständigem Fluss sei, vgl. BVerfGE 106, 275 (308).
F. „Juristische“ und „ökonomische“ Kosten-Nutzen-Bewertungen
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des Wirtschaftlichkeitsprinzips im Bereich der innovativen Arzneimittel. Ein Ausschluss von Leistungen auf der Grundlage des Wirtschaftlichkeitsgebots des § 12 Abs. 1 SGB V ist im Bereich innovativer Arzneimittel bisher häufig unterblieben.357 Mit der Einführung der gemäß § 35a SGB V zu erfolgenden Nutzenbewertung wird das Wissen über die konkrete Wirkungsweise und die Vorteile eines neuen Arzneimittels erweitert. Dies führt rein faktisch dazu, dass die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit ausgeweitet wird. Allein von den rechtlichen Befugnissen her betrachtet, führt aber weder § 35a noch § 35b SGB V zu einer Ausweitung des Einflusses von Wirtschaftlichkeitserwägungen dergestalt, dass hierdurch der Leistungsumfang der GKV gegenüber den Versicherten reduziert würde.
F. „Juristische“ und „ökonomische“ Kosten-Nutzen-Bewertungen Angesichts derselben Herleitung von Kosten-Nutzen-Vergleichen im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V und Kosten-Nutzen-Bewertungen nach § 35b SGB V sind einige Parallelen zwischen § 35b SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V erkennbar. Eine vollständig neue Fragestellung ergibt sich durch die Einführung des § 35b SGB V demzufolge nicht.358 In Anbetracht der ohnehin bereits im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß § 12 Abs. 1 SGB V anzustellenden Kosten-NutzenAbwägung sind die Einführung des § 35b SGB V wie auch seine Folgen anders zu beurteilen als dies bisher erfolgt ist: § 35b SGB V baut auf § 12 Abs. 1 SGB V auf und stellt deshalb kein völlig neues Phänomen in der GKV dar. Angesichts der immer wieder diskutierten Mittelknappheit359 der GKV erscheint es absehbar, dass die seit Jahren praktizierte enge Auslegung des Wirtschaftlichkeitsgebots – die Beschränkung des Einflusses von Wirtschaftlichkeitserwägungen – in Zweifel gezogen werden wird. Die Befassung mit den Gründen dafür, Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten keinen erhöhten Einfluss auf die Bestimmung des Leistungsumfanges der GKV einzuräumen, ist daher von besonderer Relevanz. Die Auseinandersetzung mit diesen hat gezeigt, dass die Beschränkung der Wirt357
Fastabend/Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 41. A.A. Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, DVBl 2010, S. 1069 ff. (1070). 359 Zur Mittelknappheit und Verteilungsgerechtigkeit etwa Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, DVBl 2010, S. 1069 ff.; Zitter, Rationierung in der Altersmedizin?, S. 11 ff.; Zimmermann, Umverteilung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, Status quo und Perspektiven der Ausgestaltung, S. 29 ff.; Nagel, Gesundheit für alle? – wie lange noch?, Rationierung und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, in: Nationaler Ethikrat (Hrsg.), Tagungsdokumentation, Gesundheit für alle – wie lange noch? S. 13 ff.; Krämer, Was macht Rationierung unvermeidbar, in: Nationaler Ethikrat (Hrsg.), Tagungsdokumentation, Gesundheit für alle – wie lange noch?, S. 35 ff.; Oberender/Hebborn/Zerth, Wachstumsmarkt Gesundheit, S. 52 ff. 358
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
schaftlichkeitserwägungen im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V nicht der Tatsache geschuldet ist, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen methodisch nur durchgeführt werden können, wenn eine andere medizinische Methode mit vergleichbarem Nutzen existiert. Die relevante Ausweitung der Anwendung von Kosten-NutzenVergleichen durch § 35b SGB V besteht unter anderem gerade darin, dass KostenNutzen-Bewertungen auch dann vorgenommen werden können, wenn keine vergleichbar nützlichen medizinischen Methoden existieren. § 35b SGB V wird insbesondere angewendet, wenn ein Arzneimittel einen relevanten Nutzenunterschied aufweist. Damit fordert § 35b SGB V aber einen Vergleich zwischen Kosten und Nutzen bei Arzneimitteln durchzuführen, deren Vergleichbarkeit im Rahmen von § 12 Abs. 1 SGB V abgelehnt würde. Methodisch möglich sind derartige KostenNutzen-Bewertungen demnach. Mit den gemäß § 35b SGB V erfolgenden KostenNutzen-Bewertungen wird – trotz des hohen subjektiven Wertungsgehalts von Kosten-Nutzen-Bewertungen bei relevanten Nutzenunterschieden – eine Grundlage für Verhandlungen über den Erstattungsbetrag eines innovativen Arzneimittels geschaffen. Der reduzierte Einfluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf die Bestimmung des Leistungsumfanges der GKV ist demzufolge vielmehr darauf zurückzuführen, dass das SGB V keine Vorgaben dazu enthält, wie das Verhältnis von Kosten und Nutzen zueinander zu bewerten ist. Dem könnte man bereits entnehmen, dass die Forderung der „wirtschaftlichen“ Leistungen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V nur beinhaltet, keine überflüssigen Kosten für die Versichertengemeinschaft zu erzeugen. So ist das Wirtschaftlichkeitsgebot bisher auch meist verstanden worden. Da diese Beschränkung dem Begriff der Wirtschaftlichkeit, wie dargelegt wurde, aber nicht zwangsläufig immanent ist, hinterlässt diese Auslegung Zweifel. Im Falle wirtschaftlicher Engpässe bestünde hier ein argumentatives Einfallstor, über welches Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte ausgeweitet werden könnten. Bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs von Kosten-Nutzen-Erwägungen kommt es letztendlich aber darauf an, wie weitgehend eine Abwägung zwischen Kosten und Nutzen in Anbetracht dessen erfolgen darf, dass die Entscheidung stark wertungsbelastet ist und erheblichen Einfluss auf die Grundrechte der Versicherten hat. Es ist deshalb entscheidend, wer Kosten-Nutzen-Bewertungen zur Konkretisierung des Leistungskatalogs der GKV heranzieht und wie hoch dessen personelles demokratisches Legitimationsniveau ist. Dieser Gesichtspunkt ist darauf zurückzuführen, dass bei fehlenden materiellen Vorgaben – bei mangelnder materieller Rationalität – diese durch prozedurale Rationalität in Form der personellen demokratischen Legitimation ersetzt werden kann. Die Vornahme subjektiver Bewertungen wird durch personelle demokratische Legitimation kompensiert bzw. legitimiert.360 Im bestehenden Regelungssystem des SGB V kann der Einfluss von 360
Trotz der durchaus gegen diesen Rückzug auf eine demokratische Legitimation äußerbaren Systemkritik führt diese Unterscheidung von organisatorisch-personeller und sachlichinhaltlicher Legitimation über die vom Volk aus den Wahlen hervorgehende Legitimationskette weiter. Bei fehlenden bzw. nicht eindeutigen materiellen Vorgaben stellt sich der personelle Legitimationsstrang als Kompensation dieser dar, vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der
F. „Juristische“ und „ökonomische“ Kosten-Nutzen-Bewertungen
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Wirtschaftlichkeitserwägungen auf den Leistungskatalog deshalb nicht ohne eine Gesetzesänderung erhöht werden. Diese Überlegungen bieten gleichzeitig einen Hinweis darauf, wie zu verfahren wäre, sollte der Gesetzgeber den Einfluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen auf den Leistungsumfang der GKVerhöhen wollen. Es bedürfte zum einen eindeutigerer gesetzlicher Vorgaben zum anzustrebenden Kosten-Nutzen-Verhältnis und der Art und Weise der Bewertung. Zum anderen müsste das Legitimationsniveau des GBA in personeller Hinsicht erhöht oder aber einem anderen ausreichend legitimierten Gremium die Entscheidung übertragen werden.
I. Arten der Kosten-Nutzen-Bewertungen im SGB V Im Krankenversicherungsrecht werden mit § 35b SGB V und den im Rahmen von § 12 Abs. 1 SGB V angestellten Kosten-Nutzen-Vergleichen trotz der bestehenden Ähnlichkeiten zwei sich teilweise unterscheidende Herangehensweisen verwendet, um das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu bewerten.361 Mit dieser Feststellung wird nicht auf die unterschiedlichen Varianten der ökonomischen Kosten-Nutzen-Bewertung, wie beispielsweise die Kosten-Nutzen-Analyse, die Kosten-Wirksamkeitsanalyse und die Kosten-Nutzwert-Analyse,362 rekurriert, sondern es wird eine Differenzierung anhand der Art und Weise der Bewertung vorgenommen. Dass Kosten-NutzenBewertungen auf unterschiedliche Weise erfolgen können, ist in anderen Rechtsgebieten bereits festgestellt worden. Die hierbei ausgemachten unterschiedlichen Bewertungsformen sind etwa als „Abwägungs-, Effizienz- und Meta-Variante“363 oder aber „Maximal-, Minimal- und Produktivitätsprinzip“364 bezeichnet worden, wobei sich diese verschiedenen Bezeichnungen allerdings hinsichtlich des Beschriebenen nicht vollständig decken. Eine ähnliche Differenzierung kann auch hinsichtlich der im SGB V vorgenommenen Kosten-Nutzen-Bewertungen erfolgen.
Demokratie, S. 134 ff. in weiterführender Darstellung der „Spielraumdogmatik“ Alexys, siehe Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61 (2002), S. 7 ff. (15 ff.). 361 Dies klingt bereits in der Bezeichnung des BSG einer Kosten-Nutzen-Bewertung im weiteren Sinne an, vgl. BSG, Urteil vom 31. 05. 2006, – B 6 KA 13/05 R –, BSGE 96, 261 (281 f.). 362 Zu diesen siehe Schöffski, Grundformen gesundheitsökonomischer Evaluation, in: Schöffski/v. d. Schulenburg (Hrsg.), Gesundheitsökonomische Evaluation, S. 65 ff. (76 ff.). 363 Hansjürgens, Mehr Effizienz im Umweltrecht durch Kosten-Nutzen-Analysen? Zu den Möglichkeiten und Grenzen aus ökonomischer Sicht, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 63 ff. (72 f.). 364 Gawel, Ökonomische Effizienzforderungen und ihre juristische Rezeption, in: Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, S. 9 ff. (13).
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
Neben der denkbaren Bezeichnung als „große“ und „kleine“ Kosten-NutzenBewertungen liegt es nahe, die Bewertungsvarianten anhand des Grades ihrer Anlehnung an die verschiedenen zugrundeliegenden bzw. beeinträchtigten Wissenschaftsdisziplinen zu benennen. Dem folgend können die gemäß § 35b SGB V durchgeführten Kosten-Nutzen-Bewertungen als „ökonomische Kosten-NutzenBewertungen“ bzw. „Effizienz-Variante“ bezeichnet werden. Die im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V angestellten Kosten-Nutzen-Vergleiche ließen sich demgegenüber als „juristische Kosten-Nutzen-Bewertungen“ bzw. „Abwägungs-Variante“ klassifizieren. Vollkommen stringent sind diese Begrifflichkeiten insoweit nicht, als juristische Aspekte im Rahmen der „ökonomischen Kosten-Nutzen-Bewertung“ ebenso eine relevante Rolle spielen. Die gewählten Bezeichnungen erklären sich jedoch daraus, dass im Rahmen der Bewertung nach § 35b SGB V eine stärkere Anlehnung an ökonomische Bewertungsmethodik erfolgt als dies bei Kosten-Nutzen-Vergleichen gemäß § 12 Abs. 1 SGB V der Fall ist. Die Anlehnung an ökonomische Methoden zeichnet sich hierbei allerdings nicht durch eine Monetarisierung des Nutzens und eine hierüber erfolgende Vergleichbarmachung von Kosten und Nutzen aus. Diese Art der Bewertung – den Nutzen zu quantifizieren – wird häufig aber als der Hauptaspekt der ökonomischen Methodik angesehen. Im Rahmen des § 35b SGB V zeichnen jedoch vielmehr die gewählte Art der Darstellung (insbesondere die Effizienzgrenzen), die „Professionalisierung“ der Abgabe von Prognosen (wie etwa in der Ausgaben-Einfluss-Analyse) und die Einbeziehung einer erhöhten Anzahl von Komparatoren (der Vergleich mit mehr als einer Behandlungsmethode) die ökonomische Methodik aus. Es erscheint nicht als außergewöhnlich, dass im Rahmen der rechtlichen Umsetzung von wirtschaftswissenschaftlicher Methodik andere Kriterien für die Bewertung als besonders relevant angesehen werden als in der Nachbarwissenschaft, welche die Methode entwickelt hat. Grund hierfür ist insbesondere die Transfernotwendigkeit ökonomischer Methoden im Falle ihrer rechtlich eingefassten Anwendung.365 Die der ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse im Besonderen vorgeworfene „Objektivitäts-Suggestion“, deren Kritik insbesondere darauf beruht, dass hinter den verwendeten Zahlen verdeckt Wertungen stecken würden,366 wird bei einer derartigen Anwendung ökonomischer Methodik eingefangen. Dass die besondere Bedeutung der ökonomischen Methodik hier in einem anderen Gesichtspunkt verortet wird, als dies sonst häufig der Fall ist, hängt gerade mit diesem Gesichtspunkt zusammen. Trotz der in gewissen Teilen erfolgenden Reduktion der ökonomisch geprägten Herangehensweise an die Kosten-Nutzen-Bewertung ist die Einbeziehung von Sachverständigen für die 365 Zur Transfernotwendigkeit als Herausforderung der Interdisziplinarität siehe Lepsius, Die Ökonomie als neue Referenzwissenschaft für die Staatsrechtslehre, Die Verwaltung 32 (1999), S. 429 ff. (432 ff.) und Augsberg, Multi-, inter-, transdisziplinär?, in: ders. (Hrsg.), Extrajuridisches Wissen im Verwaltungsrecht, S. 3 ff. m.w.N. 366 Ekhardt, Ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse versus öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeit und Abwägung: Ergänzungs- oder Ausschlussverhältnis, JöR 61 (2013), S. 89 ff. (91).
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Durchführung von „ökonomischen Kosten-Nutzen-Bewertungen“ im Sinne des § 35b SGB V angesichts ihrer speziellen Anforderungen dennoch notwendig.367 Die Unterschiede zwischen „juristischer“ und „ökonomischer Kosten-NutzenBewertung“ sind insbesondere darauf zurückzuführen, dass aufgrund der Erweiterung der zu bewertenden Nutzenunterschiede mehr Parameter herangezogen werden müssen, um auf diese Weise die Wissensgrundlage für die Entscheidung zu erweitern. Hierdurch wird versucht, das Defizit der Messbarkeit des Verhältnisses zu reduzieren. Die Einbeziehung weiterer Fakten als objektive Bewertungskriterien soll demnach den wachsenden subjektiven Bewertungsanteil zumindest teilweise kompensieren. Trotz der Erhöhung der Komparatoren vermag die „ökonomische KostenNutzen-Bewertung“ aber weniger „eindeutige“ Ergebnisse zu erzeugen als dies die „juristische Kosten-Nutzen-Bewertung“ angesichts ihres reduzierten Anwendungsbereiches kann. Hieraus folgt die Notwendigkeit der Entscheidung eines in erhöhtem Maße personell demokratisch legitimierten Gremiums über die Ergebnisse und Folgen der ökonomischen Kosten-Nutzen-Bewertungen – dies gilt jedenfalls, wenn sie Grundrechtsbeschränkungen zur Folge haben können.
II. Exkurs: Kosten-Nutzen-Bewertungen in anderen Rechtsgebieten Die Feststellung des Bestehens unterschiedlicher Varianten von Kosten-NutzenBewertungen lässt sich auch anhand einer Betrachtung der Art und Weise der Durchführung von Kosten-Nutzen-Bewertungen in anderen Rechtsgebieten bestätigen. Deren Betrachtung zeigt darüber hinaus, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen kein in der GKV isoliert auftretendes Phänomen sind. Die in § 35b SGB Veingeführte Kosten-Nutzen-Bewertung ist in ihrer Anlehnung an ökonomische Evaluationsverfahren sicherlich weitergehend als fast sämtliche sonstigen der bisher rechtlich geforderten Kosten-Nutzen-Bewertungen. Erstmalig ist dieser Einfluss von Kosten-Nutzen-Aspekten auf rechtliche Verteilungsentscheidungen jedoch keineswegs. Neben § 35b SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V werden auch in anderen Rechtsgebieten Kosten-Nutzen-Bewertungen angestellt und als Entscheidungsgrundlage verwendet.368 Die Anwendungen von Kosten-Nutzen-Bewertungen in anderen Rechtsbereichen werden im Folgenden auf ihre Unterschiede hin untersucht und analysiert, aus welchen Gründen sich Divergenzen ergeben. Weiterhin wird betrachtet, in welcher Weise die Bewertung des Verhältnisses dieser Größen zueinander vorgenommen 367 Zu der sich hieraus ergebenden Problematik im Hinblick auf die Ausgestaltung der Hinzuziehung von Sachverständigen siehe § 5. 368 Vgl. hierzu auch v. d. Schulenburg, Entscheidungsunterstützung durch gesundheitsökonomische Evaluation in Deutschland aus Perspektive der Wissenschaft, Bundesgesundheitsbl. 2012, S. 660 ff. (660).
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wird und welche Faktoren hierbei einbezogen werden. Dieser beispielhafte Exkurs soll zeigen, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen auch anderen Rechtsgebieten nicht fremd sind und den im SGB V vorgenommenen Kosten-Nutzen-Bewertungen sogar eine gewisse Vorbildfunktion hinsichtlich ihrer Ausgestaltung zukommen könnte. Nachfolgend werden zunächst die im Rahmen von § 7 BHO durchgeführten Kosten-Nutzen-Untersuchungen beispielhaft betrachtet.369 Die Wahl als Referenzgebiet fällt auf diese Norm zum einen, weil es sich bei § 7 BHO um die Grundsatznorm zur wirtschaftlichen Mittelverwendung des Staates handelt. Zum anderen, weil die Anwendung von Kosten-Nutzen-Erwägungen hier am vielfältigsten wie auch weitgehensten ist und ein Vergleich mit den im Rahmen des SGB V durchzuführenden Kosten-Nutzen-Bewertungen aufgrund ihrer Generalität als sinnvoll erscheint. Weiterhin werden einige der im Umweltrecht angewendeten Kosten-NutzenBewertungen, aufgrund der hier ebenfalls fehlenden Quantifizierbarkeit des Nutzens und des vergleichsweise breiten Anwendungsfeldes diskutiert. Die Auseinandersetzung mit der Ökonomisierung des Umweltrechts370 ist außerdem besonders prägnant erfolgt, sodass sie auch aus diesem Grund geeignet erscheint, aufgegriffen zu werden. 1. Haushaltsrechtliche Kosten-Nutzen-Untersuchungen In der Bundeshaushaltsordnung wurde jahrzehntelang für Projekte von erheblicher finanzieller Bedeutung die Durchführung von Kosten-Nutzen-Untersuchungen ausdrücklich gefordert. Die von 1970 bis 1997 in § 7 Abs. 2 BHO a.F. angeordnete Durchführung von Kosten-Nutzen-Untersuchungen bei geeigneten Maßnahmen von erheblicher finanzieller Bedeutung ist jedoch mittlerweile bis auf die Vorgabe, grundsätzliche Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchführen zu lassen, zurückgenommen worden.371 Hiermit wird jedoch die Bewertung des Kosten-NutzenVerhältnisses nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz des § 7 BHO enthält für die Mittelverwendung weiterhin die Aussage, dass die Variante vorzugswürdig ist, bei welcher der volkswirtschaftliche Nutzen im Verhältnis zum eingesetzten Kapital am höchsten ist. Dies muss nicht zwingend die Variante mit dem höchsten volkswirtschaftlichen Nutzen sein.372 Angesichts der in 369
§ 7 BHO ist wortlautidentisch mit § 6 HGrG und den entsprechenden Normierungen der Landeshaushaltsordnungen. Die Ausführungen gelten daher für diese Normen gleichermaßen. 370 Siehe hierzu etwa Wustlich, Ökonomisierung im Umweltrecht, ZUR 2009, S. 515 ff., wobei hier insbesondere die Betrachtung der materiellen Ökonomisierung auf S. 515 f. eine ähnliche Tendenz wie die Diskussion im Krankenversicherungsrecht aufweist. Auf die besondere Rolle des Umweltrechts im Rahmen der Umsetzung von Kosten-Nutzen-Analysen hinweisend auch Lepsius, Der Einfluss des ökonomischen Denkens auf die Rechtsvergleichung, ZVglRWiss 109 (2010), S. 327 ff. (339). 371 Fehling, Kosten-Nutzen-Analysen als Maßstab für Verwaltungsentscheidungen, VerwArch 95 (2004), S. 443 ff. (451). 372 BVerwG, Urteil vom 03. 03. 2011, – 9 A 8/10 –, BVerwGE 139, 150 (178).
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§ 7 Abs. 1 und Abs. 2 BHO enthaltenen Forderung der wirtschaftlichen Mittelverwendung, deren Feststellung mittels angemessener Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen erfolgen soll, wird eine Alternativenprüfung durchgeführt, bei welcher das Verhältnis zwischen dem volkswirtschaftlichen Nutzen und den jeweiligen Kosten beurteilt wird. Die Vorgabe, angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen, hängt mit ihrer Kostenverursachung zusammen. Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen müssen selbst in angemessenem Verhältnis zu ihrem Nutzen stehen.373 Die in § 7 Abs. 3 BHO geforderten Kosten- und Leistungsrechnungen stellen hingegen keine dem SGB V vergleichbare Kosten-Nutzen-Bewertungen dar. Bei ihnen handelt es sich vielmehr um unterschiedlichste andere Arten betrieblicher Rechnungen.374 Aus der Verwaltungsvorschrift zu § 7 BHO ergibt sich, dass nach wie vor KostenNutzen-Analysen zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit eingesetzt werden. Die Änderung des § 7 Abs. 2 BHO hat demnach nicht eine Abkehr von Kosten-NutzenAnalysen zur Folge gehabt. Stattdessen wird der Prüfungsrahmen der Kosten-Nutzen-Bewertung inzwischen ausdrücklich daran angepasst, ob es sich um eine Maßnahme mit erheblichen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen oder um eine Maßnahme mit lediglich geringen Auswirkungen handelt (§ 7, 2.3. VV-BHO). Die Kosten-Nutzen-Analyse ist hiernach je nach Anwendungsfall mit größerem oder geringerem Aufwand und entsprechenden Kosten durchzuführen. In sie sind mehr bzw. weniger Faktoren einzubeziehen. Diese unterschiedlichen Prüfungsrahmen und damit die Variation der Kosten-Nutzen-Analyse je nach Bedeutungsgrad der Maßnahme lässt sich auch bei der Betrachtung der Unterschiede der Kosten-NutzenBewertung nach § 35b SGB V und dem Kosten-Nutzen-Vergleich gemäß § 12 Abs. 1 SGB V erkennen. Dies hängt damit zusammen, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen angepasst an die Entscheidungssituation und die denkbaren Auswirkungen der Entscheidung zu erfolgen haben, da sie selbst ebenso Kosten verursachen. Die Geltung des Wirtschaftlichkeitsprinzips bei staatlicher Mittelverwendung ist, aufgrund der Herleitung des § 7 BHO aus Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in seiner finanzrechtlichen Ausprägung, die Regel und nicht die Ausnahme. Der Kosten-Nutzen-Bewertung ist aus diesem Grund nicht nur skeptisch zu begegnen. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass eine Anpassung der Kosten-Nutzen-Bewertung an die jeweilige Entscheidungssituation zu erfolgen hat. Dies gilt unter 373
Gröpl, in: ders. (Hrsg.), BHO/LHO-Kommentar, § 7 Rn. 31. Vgl. Gröpl, in: ders. (Hrsg.), BHO/LHO-Kommentar, § 7 Rn. 53 ff.; a.A. wohl v. d. Schulenburg, Entscheidungsunterstützung durch gesundheitsökonomische Evaluation in Deutschland aus der Perspektive der Wissenschaft, Bundesgesundheitsbl. 2012, S. 660 ff. (660), der wahrscheinlich aufgrund des Wortlauts von § 7 Abs. 3 BHO – der Gegenüberstellung von Kosten und Leistung – meint, hierbei handele es sich um eine Kosten-Nutzen-Analyse im gesundheitsökonomischen Sinne. 374
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anderem deshalb, weil weitgehende Kosten-Nutzen-Bewertungen – „ökonomische Kosten-Nutzen-Bewertungen“ – die eine Vielzahl von Faktoren einbeziehen, selbst erhebliche Kosten erzeugen. Dieser Aspekt könnte im Rahmen des SGB V noch weitergehend reflektiert werden. 2. Kosten-Nutzen-Bewertungen im Umweltrecht Weiterhin finden sich auch in verschiedenen Bereichen des Umweltrechts KostenNutzen-Bewertungen. Mittels dieser wird der Ausgleich zum einen zwischen unterschiedlichen Interessen Privater – etwa Anlagenbetreibern und Nachbarn, deren Interessen größtenteils ebenfalls grundrechtlich geschützt sind – und zum anderen zwischen dem Umweltschutz und anderen staatlichen Zielsetzungen vorgenommen. Hinsichtlich der auszugleichenden Güter ergibt sich somit eine gewisse Parallele zu den Kosten-Nutzen-Bewertungen im SGB V. An dieser Stelle werden nicht sämtliche im Umweltrecht getroffenen Regelungen, in deren Rahmen Kosten-Nutzen-Erwägungen angestellt werden, analysiert, sondern beispielhaft diejenigen herausgegriffen, an denen exemplarisch am ehesten verdeutlicht werden kann, wie eine Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses erfolgt und welche Faktoren hierbei zu berücksichtigen sind.375 Kosten-Nutzen-Bewertungen finden sich im Rahmen des BImSchG etwa bei der Frage, ob aktive oder passive Schallschutzmaßnahmen durchzuführen sind (§ 41 Abs. 2 BImSchG), wie auch bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Erlasses einer nachträglichen Anordnung in § 17 Abs. 2 BImSchG. Anhand dieser beiden Normen lassen sich zum einen die hier hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Bewertungen des SGB V getroffenen Feststellungen zum Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestätigen. Zum anderen lässt sich zeigen, wie Bewertungen anhand von Vergleichen erfolgen können. Im Rahmen des § 41 Abs. 2 BImSchG sind die Kosten des vollen aktiven Schallschutzes zu ermitteln und zu prüfen, ob sie deshalb unverhältnismäßig sind, weil die Kosten für die zu schützenden Wohnungen außer Verhältnis zum angemessenen Schutzzweck stehen.376 Hierbei werden die Kosten für die potentiell Anspruchsberechtigten ermittelt, die Lärmbelastung anhand von Schätzungen auf der Grundlage von Tatsachenermittlungen prognostiziert und diese beiden Aspekte zueinander ins Verhältnis gesetzt. Bei einer Unverhältnismäßigkeit des bestmöglichen Schutzes (Vollschutzes) wird über „schrittweise Abschläge“ untersucht, welche maximale Verbesserung der Lärmsituation mit einem „gerade noch verhältnismä375 Über die genannten Normen hinaus sind etwa auch in § 15 BNatSchG und § 5 EnEG iVm § 25 EnEV, § 10a Abs. 3 Nr. 2 EnEV Kosten-Nutzen-Verhältnisse zu beachten, was auf den dahinterstehenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zurückzuführen ist. Hierüber hinaus findet sich noch eine Vielzahl weiterer Regelungen, in denen die Kosten mit dem hierdurch erreichbaren Nutzen ins Verhältnis gesetzt werden. Dies gilt insbesondere für das Europarecht, welches hier jedoch nicht weiter behandelt wird. 376 BVerwG, Urteil vom 20. 1. 2010, – 9 A 22/08 -, NVwZ 2010, S. 1151 ff. (1155).
F. „Juristische“ und „ökonomische“ Kosten-Nutzen-Bewertungen
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ßigen Aufwand“ erreichbar ist.377 Insoweit erfolgt mittels einer Kosten-NutzenBewertung ein Vergleich der Alternativen378 unter gleichzeitiger Gegenüberstellung und Bewertung der Kosten und des hiermit zu erreichenden Nutzens. Bei der Bewertung wird betrachtet, ob und welche Alternativen zum bestmöglichen Lärmschutz bestehen. Hierbei werden die Größe und die Schutzbedürftigkeit des Gebiets in die Bewertung einbezogen.379 Hinsichtlich der bestehenden Alternativen hält die Rechtsprechung insbesondere die Berücksichtigung sogenannter „Sprungkosten“ für relevant,380 bei deren Bestehen ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis für den zusätzlichen Kostenaufwand angenommen wird. Mittels der Prüfung von Alternativen und ihrem Vergleich werden im Umweltrecht die intangiblen Nutzen kostentechnisch bewertbar gemacht. Die Bewertung des Verhältnisses erfolgt, indem betrachtet wird, ob evidente Unterschiede zwischen den Alternativen bestehen. Bei Bestehen eines Kostensprungs wird auf diesen abgestellt. Hierdurch lässt sich ein rational begründbares Bewertungsergebnis erzielen. Ein bestehendes „Gesamtlärmschutzkonzept“ hat in diese Bewertung einzufließen.381 Eine vergleichbare Anordnung eines Kosten-Nutzen-Vergleichs findet sich auch in § 17 Abs. 2 BImSchG. Aus diesem geht die Konnexität zwischen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Beachtung eines angemessenen Verhältnisses von Kosten und Nutzen zueinander, also von Kosten-Nutzen-Bewertungen, ausdrücklich hervor. § 17 Abs. 2 S. 1 BImSchG fordert im Falle des Erlasses einer nachträglichen Anordnung ausdrücklich, dass die Behörde das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten und dabei insbesondere das Verhältnis von Aufwand und Kosten zu berücksichtigen hat. Die Bewertung des Verhältnisses zwischen Aufwand und Kosten wird von der Literatur im Rahmen des § 17 Abs. 2 S. 1 BImSchG als Prüfung der Angemessenheit verstanden.382 Dem entspricht das hier herausgearbeitete Verständnis der Kosten-Nutzen-Bewertung im Rahmen des § 12 Abs. 1 SGB V. Es lässt sich demzufolge feststellen, dass die im SGB V vorgenommenen Kosten-NutzenBewertungen keine Ausnahmeerscheinung darstellen. Auch von ihrer Herangehensweise her weisen sie vielfach Übereinstimmungen zu anderen, ausdrücklich auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zurückzuführenden Kosten-Nutzen-Erwägungen auf. Eine Vorbildfunktion könnten die nach dem SGB V erfolgenden Kosten-NutzenBewertungen für andere Rechtsbereiche insoweit haben, als im Rahmen des § 35b SGB V eine weitergehende Methodik der Analyse ausgearbeitet worden ist. Diese 377 BVerwG, Urteil vom 21. 4. 1999, – 11 A 50/97 –, NVwZ-RR 1999, S. 725 ff. (728); BVerwG, Urteil vom 10. 10. 2012, – 9 A 18.11 –, juris Rn. 23 ff. 378 So beispielsweise auch in BVerwG, Urteil vom 03. 03. 2011, – 9 A 8/10 –, juris Rn. 76 ff. 379 Jarass, BImSchG-Kommentar, § 41 Rn. 52. 380 BVerwG, Urteil vom 24. 09. 2003, – 9 A 69/02 –, NVwZ 2004, S. 340 ff. (343); BVerwG, NVwZ 2001, S. 81 f. (81). 381 BVerwG, Urteil vom 10. 10. 2012, – 9 A 18.11 –, juris Rn. 23 f. 382 Jarass, BImSchG-Kommentar, § 17 Rn. 44 f.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
eignet sich womöglich auch für andere Rechtsgebiete. Abhängig von dem notwendigen Detaillierungsgrad der Bewertung kann auch in anderen Rechtsgebieten entweder eine „juristische“ oder aber eine „ökonomische Kosten-Nutzen-Bewertung“ vorgenommen werden. Die Verzahnung zwischen IQWiG und GBA ist hierbei beispielhaft für die Einbeziehung von besonderem Sachverstand und könnte in andere Rechtsgebiete „exportiert“ werden.383
III. Relevanz von Kosten-Nutzen-Bewertungen im SGB V und Perspektiven Kosten-Nutzen-Bewertungen sind trotz ihrer Regelung in § 35b SGB V und ihrer Anwendung zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne in der GKV derzeit nur von untergeordneter Relevanz. In welchem Umfang eine Erweiterung von Kosten-Nutzen-Bewertungen durch den Gesetzgeber möglich ist bzw. inwieweit auch diesem Grenzen gesetzt sind, wird im folgenden Teil dieser Arbeit (§ 4) erörtert. Eine Erweiterung ihres Anwendungsbereichs ist auch unter der Geltung des in § 12 Abs. 1 SGB V normierten Wirtschaftlichkeitsgebots nicht grundsätzlich ausgeschlossen. In diesem Fall muss jedoch beachtet werden, dass Kosten-NutzenBewertungen an inhaltlicher Aussagekraft verlieren, je größer die Unterschiede zwischen den zu bewertenden Alternativen sind.384 Von der Verwendung ökonomischer Methoden bei der Analyse von Entscheidungsalternativen wird sich häufig eine größere Rationalität versprochen. Dies ist teilweise auch erfüllbar – eindeutige Werturteile können von Kosten-Nutzen-Bewertungen jedoch nicht erhofft werden. „Ökonomische Kosten-Nutzen-Bewertungen“ verbreitern die Wissensgrundlage und reduzieren damit Wertungsbereiche.385 An der Notwendigkeit der Vornahme subjektiver Wertungen ändern sie jedoch nichts. Selbst ein verstärkter Einsatz von Kosten-Nutzen-Bewertungen vermag jedoch nicht die Problematik zu lösen, dass letztlich die Vertragsärzte Verteilungsentscheidungen treffen müssen und damit zum gatekeeper der Finanzierbarkeit der GKV avancieren. Vollständig vermeiden lässt sich dies schon deshalb nicht, weil der zu erwartende Nutzen nur in Ansehung des jeweiligen Patienten konkretisiert werden kann. Die Abwägung zwischen Nutzen und Kosten lässt sich deshalb nicht in sämtlichen Bereichen abschließend in abstrakt-genereller Weise vornehmen. Es bedarf jedoch eines einheitlichen Allokationsansatzes im Rahmen des SGB V, um diesen ohnehin bestehenden Effekt, den Ärzten die Verteilungsentscheidung auf383
Siehe hierzu weiterführend § 2 B. II. und III. sowie § 5. Auf die Geeignetheit ökonomischer Analysen bei bestimmten Entscheidungsalternativen hinweisen bereits Lepsius, Der Einfluss des ökonomischen Denkens auf die Rechtsvergleichung, ZVglRWiss 109 (2010), S. 327 ff. (347). 385 So auch Sunstein, Cognition and Cost-Benefit-Analysis, Journal of Legal Studies, Vol. 29 (2000), S. 1059 ff. (1059 f. und 1065). 384
F. „Juristische“ und „ökonomische“ Kosten-Nutzen-Bewertungen
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zubürden, nicht zu verstärken, sondern zu vermeiden. Ein verstärkter Einsatz von Kosten-Nutzen-Bewertungen kann hierzu beitragen. Das bestehende Regelungssystem tendiert dazu, verschiedene Allokationsansätze zu vermengen. Dies hängt damit zusammen, dass auf der Makroebene keine ausdrückliche Begrenzung vorgenommen wird, auf der Mesoebene faktisch aber, aufgrund des hohen Rechtfertigungsdrucks bei einer Überschreitung der Budgets, Beschränkungen in Kauf genommen werden. Auf Mikroebene führt das wiederum dazu, dass im Rahmen individueller Verordnungen von den Ärzten Verteilungsentscheidungen getroffen werden, ohne dass hierzu weitergehende Vorgaben existieren.386 Dass zwischen den Allokationsansätzen ein gewisser Widerspruch besteht, zeigt sich auch an der Zuschreibung unterschiedlicher Steuerungswirkungen der verschiedenen Allokationsebenen durch die Literatur. Der Grundsatz der Beitragsstabilität auf Makroebene wird als weiches, relatives Prinzip verstanden, die auf Mesoebene vorgesehenen Budgets werden hingegen als Form der staatlichen Planung angesehen.387 Pointiert wird sogar davon gesprochen, dass es sich um eine „reine Symbolpolitik“ handele, die „irrationalen Prioritätensetzungen Vorschub leistet“.388 Um die Vertragsärzte nicht noch weiter in den Status des gatekeepers der Finanzierbarkeit der GKV zu drängen als dies ohnehin notwendig ist, bedarf es folglich eines einheitlichen Allokationsansatzes. Vertragsärzte sind weder dazu legitimiert noch vermögen sie es – schon aufgrund ihrer Befangenheitssituation zwischen Eigeninteresse und Patientenverantwortung – einheitlich willkürfreie Verteilungsentscheidungen zu treffen. Durch eine derartige Verlagerung von Verteilungsentscheidungen bleiben rechtlich, ethisch und moralisch umstrittene Fragen aber keineswegs unpraktiziert, sondern nur unausgesprochen. Sie werden ins Faktische verlagert. Eine Kombination verschiedener Steuerungsansätze, wie sie in der GKV im Rahmen der Sicherung der Wirtschaftlichkeit zur Anwendung gelangen – kooperativ, influenzierend mittels Anreizfunktion oder reaktiv, informatorisch, mittels Wettbewerb und Wettbe386 Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normativen Funktion ihrer Bewertung, Stellungnahme, S. 14; drastisch hierzu Isensee, Verwaltung des Mangels im Gesundheitswesen – verfassungsrechtliche Maßstäbe der Kontingentierung, in: Söllner/Gitter/Waltermann/Giesen/Ricken (Hrsg.), GS Heinze, S. 417 ff. (425), der diese Vorgehensweise als „Meisterstück des demokratischen Machiavellismus“ bezeichnet und eine Umgehung des politischen Konflikts durch die Verschiebung der Entscheidungslast auf die Ärzte proklamiert. Neuerdings wird über diese Problematik auch wieder journalistisch berichtet, siehe hierzu etwa Lunemann/van Elten, Die heimliche Rationierung ist das Leid des Landarztes, FAZ vom 03. 04. 2013. 387 Vgl. Ebsen, Leistungssteuerung und Ressourcenplanung in der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), FS Hoppe, S. 723 ff. (733). Huster führt in Bezug hierauf aus: „Rationalisierungsinstrumente begrenzen nämlich die verfügbaren Ressourcen, ohne über deren Verwendung zu entscheiden, und überlassen so die Verwaltung der Mittelknappheit dem Versorgungsalltag“, Huster, Soziale Gesundheitsgerechtigkeit, S. 30. 388 Huster, Soziale Gesundheitsgerechtigkeit, S. 43.
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§ 3 Das Wirtschaftlichkeitsgebot
werbssurrogaten – ist in Anbetracht des in der GKV bestehenden „vielfach verwobenen Beziehungsgeflechts“389 notwendig. Häufig können hiermit auch die Spezifika einzelner Teilbereiche eingefangen werden. Hierbei besteht jedoch das Risiko unerwünschter Nebeneffekte bei einer Übersteuerung bzw. fehlender Beachtung der Interdependenzen. Durch eine verstärkte Verwendung „ökonomischer Kosten-Nutzen-Bewertungen“ könnte diese Problematik jedenfalls reduziert werden. Der Ansatz, „ökonomische Kosten-Nutzen-Bewertungen“ im Rahmen von Therapiehinweisen einzusetzen, ist hierbei richtungsweisend. Kosten-Nutzen-Bewertungen sind sicher nicht der Schlüssel für sämtliche Verteilungsentscheidungen. Alleine können sie Wertentscheidung nicht beantworten. Ihre Verurteilung als – deutlich negativ konnotierte – Rationierung, als eine rein wirtschaftsgeleitete, amoralische und unsoziale Denkweise führt jedoch ebenso wenig weiter. KostenNutzen-Bewertungen sind weniger weit von genuin juristischen Prinzipien und Gerechtigkeitsüberlegungen entfernt als man sich zunächst eingestehen möchte. Vieles hängt davon ab, wie die Bewertung der Kriterien gegeneinander vorgenommen wird und welche Wertungen hierbei einzufließen haben. Ökonomische Methodik kann eine Hilfestellung dabei bieten, die sich stellenden komplexen Fragen der Verteilung und Bewertung von Gesundheitsgütern einem zumindest rationaleren Diskurs zuzuführen.
389 Zur Beeinflussung der Regulierung durch dieses „Beziehungsgeflecht“ und der Gefahr ungewollter Anpassungsreaktionen siehe Spiecker gen. Döhmann, Zur Wettbewerbsfähigkeit der Gesundheitsgüter, in: Schmehl/Wallrabenstein (Hrsg.), Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Band 1: Wettbewerb, S. 1 ff. (4 ff.).
§ 4 Verfassungsrechtliche Grenzen des Einflusses von Kosten-Nutzen-Bewertungen In Anbetracht der nicht auszuschließenden Ausweitung des Einflusses ökonomischer Erwägungen auf die Konturierung des Leistungskatalogs der GKV werden die verfassungsrechtlichen Grenzen des Einflusses von Wirtschaftlichkeitserwägungen untersucht. Grundsätzlich ist die Anwendung von Kosten-Nutzen-Erwägungen nicht nur verfassungsrechtlich möglich, sondern aufgrund der verfassungsrechtlich notwendigen Verhältnismäßigkeit der durch Beitragszahlungen zu finanzierenden Behandlungen sogar geboten. Im Bereich lebensbedrohlicher Krankheiten führen jedoch Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nach Ansicht des BVerfG – wendet man die mit dem Beschluss vom 6. 12. 2005 begründete Rechtsprechungslinie stringent an – dazu, dass Kosten-Nutzen-Erwägungen bei der Beurteilung, ob ein Leistungsanspruch aus § 27 Abs. 1 SGB V besteht, ausgeschlossen sind.1 Obwohl das BVerfG hierzu keine unmittelbare Aussage getroffen hat, lässt sich aus der Reduktion der Erforderlichkeit eines Nutzennachweises schließen, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen im Falle von lebensbedrohlichen Erkrankungen nicht durchgeführt werden dürfen.2 Die gleichzeitige Betonung des BVerfG, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei,3 steht dem nicht entgegen. Die verfassungsrechtliche Argumentation des BVerfG in Bezug auf den Nutzennachweis lässt sich – jedenfalls partiell – im Wege des „Erst-recht-Schlusses“ auf die Anwendung von Kosten-Nutzen-Bewertungen in diesem Bereich übertragen und führt zu ihrer Unanwendbarkeit.4 Kosten-Nutzen-Bewertungen sind im Bereich lebensbedrohlicher 1 So Huster, Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, JZ 2006, S. 466 ff. (468); Dannecker/Katzenmeier/Huster/Penner/Schmitz-Luhn/Streng, Der „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG – Auswirkungen auf das Öffentliche Recht, das Zivilrecht und das Strafrecht, in: Wohlgemuth/Freitag (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 158 ff. (166); andeutungsweise auch Arnade, Kostendruck und Standard, S. 98. 2 So andeutungsweise und kritisch im Hinblick auf diese Rechtsprechung auch Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit, DVBl 2010, S. 1069 ff. (1074), ders., Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, JZ 2006, S. 466 ff. (467). 3 BVerfGE 115, 25 (45). 4 Zurückhaltender, aber im Ergebnis ähnlich – allerdings noch hinsichtlich der Festsetzung von Höchstbeträgen – Huster, Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 2010, S. 234 ff. (236), ausdrücklich hierzu ders., JZ 2006, Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, S. 466 ff. (468); auf die künftige Bedeutung dieser Position in Bezug auf gesetzliche und untergesetzliche Rationierung hinweisend Welti, Der sozialrechtliche Behandlungsanspruch und die Grenzen des Lebens, SGb 2007, S. 210 ff. (213).
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Erkrankungen mit der vom BVerfG vorgenommenen verfassungsrechtlichen Wertung nicht zu vereinbaren.5 Wenn verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip – gemeinsam oder ohne die zusätzliche Anwendung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – folgt, dass eine nur möglicherweise nützliche medizinische Methode zu gewähren ist, kann diese nicht aus Kostengründen versagt werden. Kostenerwägungen, die im Anschluss an die Bestimmung des Nutzens angestellt werden, könnten sonst dazu führen, dass die verfassungsrechtlich hergeleiteten Vorgaben des BVerfG leerliefen. Aus diesem Grund besteht ein verfassungsrechtlich geschuldeter Mindeststandard6 innerhalb der GKV,7 der eine normative Grenze für den Einfluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen darstellt.8 Dieser Mindeststandard wird vom BVerfG indes jedenfalls nicht direkt, wie man zunächst vermuten könnte, aus dem medizinischen Existenzminimum abgeleitet. Vielmehr hängt er maßgeblich mit der Strukturierung der GKVals beitragspflichtiger Pflichtversicherung zusammen. Der Ansatz, über Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip eine Mindestsicherungspflicht herzuleiten, ist aus diesem Grund der maßgebliche. Dies hängt nicht nur mit den von der Literatur teilweise vorgebrachten Zweifeln an der dogmatischen Konstruktion des Anspruches aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bzw. der grundrechtskonformen Auslegung gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zusammen.9 Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip ist auch deshalb für die Herleitung eines Mindeststandards relevanter, weil innerhalb dieser Konstruktion das Nachrangigkeitsargument nicht greift. Das BVerfG hat dementsprechend selbst betont, dass „vorrangiger Maßstab“ seiner Entscheidung Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip sei.10 Einer anderweitig verfassungsrechtlich herzuleitenden Leistungspflicht für den Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung, beispielsweise aus dem medizinischen Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 iVm dem Sozialstaatsprinzip),11 könnte der Staat außerdem auch außerhalb der GKV nachkommen. Darüber hinaus wäre ein solcher 5
Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, S. 436. Wie herausgearbeitet werden wird, ist es allerdings nicht ganz zutreffend von einem „Standard“ zu sprechen. Das argumentative Element aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip ist von der Struktur der GKVabhängig und die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG besteht nur subsidiär gegenüber der Selbsthilfe. Der Mindeststandard kann daher auf ein Auffangnetz individueller Ausrichtung reduziert werden. Siehe hierzu konkret § 4 F. 7 Ob dieser durch das BVerfG statuierte Mindestumfang das Untermaßgebot darstellt, soll an dieser Stelle noch offen bleiben, weshalb dieser Begriff hier nicht verwendet wird. 8 Ebsen, Verfassungsrechtliche Implikationen der Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen, NDV 1997, S. 71 ff. (77). 9 Inwieweit es sich hierbei um einen genuinen Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG handelt oder ob nur eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V in Bezug auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vorgenommen wurde, wird im Folgenden näher herausgearbeitet. 10 BVerfGE 115, 25 (41). 11 Vgl. hierzu Neumann, Das medizinische Existenzminimum zwischen Sozialhilfe und Krankenversicherung, RsDE 68 (2008), S. 1 ff. (10). 6
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Anspruch gegenüber der Selbsthilfe bzw. dem Selbstschutz subsidiär. Dies gilt unabhängig davon, ob man ihn als Ausfluss der Schutzpflichtdogmatik oder als aus einem sozialen Grundrecht erwachsend begreift.12 Insoweit erscheint die Eignung der GKV zur Gewährleistung eines solchen subsidiären Anspruchs indes bereits fraglich. Die Systematik der GKV ist nicht auf die individuelle Bedürftigkeit hinsichtlich der eigenen Finanzierbarkeit der Leistungen zugeschnitten, sondern stellt allein auf den Krankheitsbegriff des § 27 Abs. 1 SGB V sowie § 2 Abs. 1 iVm § 12 Abs. 1 SGB V als Voraussetzung für die Anspruchsentstehung ab.13 Der Subsidiaritätsgedanke, welcher die Nachrangigkeit der staatlichen Gewährleistung vor der Eigenversorgung beinhaltet, findet sich im Recht der GKV nicht wieder. Bei Annahme eines derart verfassungsrechtlich begründeten Anspruchs wäre seine Subsidiarität jedoch zu berücksichtigen. Dieser Argumentation versucht das BVerfG wohl mit dem Hinweis darauf zu entgehen, dass den Versicherten angesichts der Abschöpfung erheblicher finanzieller Mittel durch die Beitragszahlungen an die GKV regelmäßig keine zusätzlichen Mittel für die selbstständige Vorsorge außerhalb der GKV zur Verfügung stünden.14 Diese sehr allgemeine Betrachtung widerspricht jedoch der individuellen Ausrichtung sowohl der Schutzpflicht als auch des diese begrenzenden Subsidiaritätsgedankens. Ein aufgrund von Beitragszahlungen erworbener Leistungsanspruch ist hingegen zwingend im Rahmen der GKV zu garantieren und nicht nachrangig gegenüber der Selbstversorgung.15 Der vom BVerfG verwendete erste Argumentationsstrang, über Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip eine derartige Notwendigkeit der Behandlungsgewährleistung durch die GKV zu begründen, ist daher – unabhängig von den dogmatischen Einzelheiten, auf die im Folgenden16 noch eingegangen wird – der tragende. Die Ansicht, dass Kosten-Nutzen-Erwägungen im Bereich lebensbedrohlicher Erkrankungen nicht angewendet werden dürfen, scheint auch das BSG zu teilen. In Weiterführung der vom BVerfG am 6. 12. 2005 angestoßenen Rechtsprechung führt es in einem Nebensatz aus, dass die verfassungskonforme Auslegung der Vor12
Zur Subsidiarität von sowohl der Schutzpflicht als auch den sozialen Grundrechten vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111 Rn. 142 ff., und Murswiek, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 112 Rn. 57 f. Hinsichtlich der erfolgten Erweiterung der Schutzpflicht (hierzu im Folgenden) wird bereits die Übertragung des zuvor für die sozialen Grundrechte angenommenen Vorbehalts des Möglichen befürwortet, vgl. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 373 ff. und 178, ausdrücklich in Bezug auf die finanzielle Stabilität der GKV. 13 Hierauf auch hinweisend Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, S. 441. 14 BVerfGE 115, 25 (43 f.). 15 A.A. wohl Bohmeier/Penner, Die Umsetzung des Nikolaus-Beschlusses durch die Sozialgerichtsbarkeit: Fortentwicklung und Widersprüche zu den Vorgaben des BVerfG, WzS 2009, S. 65 ff. (76, insbesondere Fn. 138), wobei allerdings unklar bleibt, aus welchem Grund gerade im Rahmen des abwehrrechtlichen Ansatzes die Leistungsfähigkeit eine Rolle spielen soll. 16 Siehe hierzu § 4 F.
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schriften des SGB V sich sowohl auf den wissenschaftlichen Nachweis des Nutzens als auch die Wirtschaftlichkeit beziehen würde.17 Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit müssten im Bereich dieser Rechtsprechungsanwendung ausnahmsweise bejaht werden, selbst wenn die in den übrigen Fällen in diesem Bereich anzulegenden Voraussetzungen nicht erfüllt wären.18 Ausdrücklich bezieht sich diese Aussage des BSG zwar wohl auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip im weiteren Sinne,19 sie betrifft jedoch ebenso das Wirtschaftlichkeitsgebot im engeren Sinne. Leistungseinschränkungen sollen im Bereich der lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen, wendet man die Argumentation des BVerfG stringent an, nicht möglich sein.20 Dies gilt allerdings nur unter der vom BSG genannten Einschränkung, dass andere dem allgemeinen Standard entsprechende Behandlungsmethoden generell oder im konkreten Fall nicht zur Verfügung stehen.21 Eingepasst in die hier erfolgte systematische Herleitung von Kosten-NutzenErwägungen könnte man das vom BVerfG gefundene Ergebnis dogmatisch aber ebenfalls als Ergebnis einer Abwägung ansehen. Der im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bestehende Gestaltungsspielraum der Legislative und Exekutive zwischen den Kosten einer medizinischen Behandlung und ihrem Nutzen verengt sich im Bereich lebensbedrohlicher Erkrankungen und führt zwingend zu einem Überwiegen des Patientenschutzes und somit des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.22 Es kann offen bleiben, ob man dies als vom BVerfG sozusagen vorweggenommenes Ergebnis der Abwägung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses betrachten möchte,23 oder aber als genuinen Ausschluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen in diesem Bereich. Jedenfalls im Hinblick auf die Konstruktion, aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip einen Anspruch herzuleiten, liegt ersteres nahe. Für letztere Variante hingegen spricht, dass das BVerfG die Schutzpflichtdogmatik anhand von Art. 2 Abs. 2 S. 1 17
BSGE 97, 190 (196). BSG, Urteil vom 14. 12. 2006, – B 1 KR 12/06 R –, juris Rn. 16. 19 Gegen diese Deutung spricht allerdings, dass die Begriffe Zweckmäßigkeit und Nutzen meist in Gegenüberstellung zur Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne verwendet werden. Das Wirtschaftlichkeitsgebot im engeren Sinne dürfte jedoch, so wie es vom BSG angewendet wird, nicht betroffen sein. Zu letzterem Aspekt siehe § 4 F. I. 20 So auch Huster, Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, JZ 2006, S. 466 ff. (467). 21 BSGE 97, 190 (196). 22 In diese Richtung der systematischen Einordnung auch Steiner, Das Bundesverfassungsgericht und die Gesundheit der Deutschen, in: Kingreen/Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129 ff. (140), welcher an der Entscheidung mitgewirkt hat. 23 So systematisch aus dem Blickwinkel des Umweltrechts und der hier angestellten Effizienzbetrachtungen, welche letztlich nichts anderes als das Wirtschaftlichkeitsprinzip und die Kosten-Nutzen-Bewertung beinhalten, Gawel, Ökonomische Effizienzforderungen und ihre juristische Rezeption, in: ders. (Hrsg.), Effizienz und Umweltrecht, S. 9 ff. (41), der es für ein feststehendes Allokationsergebnis und Ausdruck einer Abwägung bzw. Bewertung auch dann hält, wenn nur eine Lösung als zulässig erscheint. 18
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GG ausgeweitet und das Untermaßgebot inhaltlich konkretisiert haben könnte.24 Im Rahmen des Untermaßgebots spielen Gesichtspunkte der Eingriffsabwehr aus Art. 2 Abs. 1 GG keine Rolle. Es lässt sich allerdings auch hier fragen, ob nicht das Untermaßgebot selbst das inhaltliche Ergebnis einer Abwägung ist. Diese Rechtsprechungslinie ist auf ihren konkreten Anwendungsbereich hin zu analysieren, um den Umfang ihrer Einwirkung auf bereits erfolgende Kosten-Nutzen-Bewertungen abzuschätzen sowie um die aus der Verfassung herzuleitenden Grenzen einer denkbaren Erweiterung des Einflusses von Kosten-Nutzen-Bewertungen zu beurteilen. Grundsätzlich lässt sich die rigorose Durchsetzung des Höchstwertes Leben mittels medizinischer Maßnahmen mit sehr zweifelhaftem oder geringfügigem Nutzen durchaus kritisch betrachten. Der früheren Rechtsprechung des BVerfG zum weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers scheint sie ebenfalls zu widersprechen. Außerdem werden Maßgaben an die GKV verfassungsrechtlich hergeleitet, die konträr zu den tatsächlichen wirtschaftlichen Bedingungen stehen.25 Unter diesem Aspekt wurde die „Nikolaus-Entscheidung“ bereits als „eine der gravierendsten Fehlentscheidungen des Verfassungsgerichts aus den letzten Jahren“ bezeichnet.26 Auch in direktem Bezug auf Kosten-Nutzen-Erwägungen ist die Entscheidung kritisiert worden: „Eine Grundrechtsdogmatik, die verfassungsunmittelbare medizinische Leistungsansprüche konstruiert, die ausschließlich auf den Gesundheitszustand des Betroffenen und die (auch nur potentielle) medizinische Zweckmäßigkeit der Leistung abstellen, ohne eine Kosten-Nutzen-Abwägung zuzulassen, begibt sich auf einen falschen Weg und bestätigt in ihrer Problematik die traditionelle Einsicht, dass soziale Leistungsrechte mit Verfassungsrang jedenfalls dann, wenn sie über ein strikt eingrenzbares Minimum hinausgehen, für die Architektur des gewaltenteilenden Verfassungsstaates außerordentlich gefährlich sind.“27 Dieser Kritik ist im Folgenden näher nachzugehen. Von der Analyse des konkreten Anwendungsbereichs ausgehend wird die dogmatische Tragfähigkeit der Argumentation des BVerfG erörtert. Bei genauerer Betrachtung der Auswirkungen und Aussagen der Rechtsprechung ist festzustellen, dass sowohl Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als auch Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip nur in Ausnahmefällen eine Grenze der Leistungskonkretisierung bzw. Leistungsbeschränkung bilden können.28 Vom BVerfG sind sie auch 24
So bspw. Goecke, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Leistungspflicht der Krankenkassen beim Off-Label-Use von Arzneimitteln, NZS 2006, S. 291 ff. (294). 25 In dieser Hinsicht die Entscheidung des BVerfG insbesondere angreifend Huster, Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, JZ 2006, S. 466 ff. (467); ebenso Heinig, Hüter der Wohltaten?, NVwZ 2006, S. 771 ff. (773). 26 Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, S. 421. 27 Danneker/Katzenmeier/Huster/Penner/Schmitz-Luhn/Streng, Der „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG – Auswirkungen auf das Öffentliche Recht, das Zivilrecht und das Strafrecht, in: Wolgemuth/Freitag (Hrsg.) Priorisierung in der Medizin, S. 158 ff. (166). 28 Axer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 2. Aufl., § 95 Rn. 23.
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lediglich als solche statuiert worden.29 Im Hinblick auf die strukturelle Ausgestaltung der GKV und ihres Leistungsumfanges mit Hilfe von Kosten-Nutzen-Bewertungen greifen diese Grenzen lediglich am Rande. Dogmatisch ist daher die Bildung eines Kernbereiches verfassungsrechtlichen Schutzes durch Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG anzunehmen. Hiermit wird weder die Schutzpflichtdogmatik derart ausgeweitet, dass sie letztlich dem Gewaltenteilungsgrundsatz zuwiderläuft, noch ist sie grundsätzlich nicht mit dem dogmatischen Ansatz der Schutzpflichtkonstruktion in Einklang zu bringen.30 Auf die im Rahmen des § 12 Abs. 1 iVm § 92 SGB Vangestellten Kosten-NutzenErwägungen wirkt sich diese Rechtsprechung wegen des hier stark beschränkten Anwendungsbereichs von Kosten-Nutzen-Vergleichen nicht direkt aus.31 Im Hinblick auf die Verwendung von nach § 35b SGB V erstellten Kosten-Nutzen-Bewertungen können diese aus der Verfassung hergeleiteten Vorgaben jedoch Bedeutung erlangen. In den nach § 92 Abs. 2 iVm § 35b Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 SGB V ergehenden Therapiehinweisen ist daher die mit dieser Rechtsprechung möglicherweise erfolgte Beschränkung des Einflusses von Kosten-Nutzen-Erwägungen zu beachten. Der genaue Anwendungsbereich dieser Rechtsprechung wie auch die Betrachtung des dogmatischen Ansatzes ist daher auch für die derzeitige Anwendbarkeit von Kosten-Nutzen-Bewertungen von Bedeutung. In jedem Fall beschränken die verfassungsrechtlichen Vorgaben – sollte der Herleitung des BVerfG zu folgen sein – die Möglichkeit, den Einfluss von Kosten-Nutzen-Bewertungen auf die Bestimmung des Leistungsumfangs der GKV zu erweitern.
A. Ausweitung der Leistungspflicht der GKV durch den „Nikolaus-Beschluss“ Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung vom 6. 12. 2005 im Prinzip eine Abwendung vom Grundprinzip der GKV – der Gewährung von ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Leistungen (§ 12 Abs. 1 SGB V), die dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen müssen (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) – propagiert.32 Zu diesem Ergebnis kam das Gericht im Zusammenhang mit der Problematik, dass sich für Behandlungen bestimmter Erkrankungen bisher kein medizinischer Standard entwickelt hat, weshalb für diese keine Behandlungsmethode in den Leistungskatalog aufgenommen und dementsprechend auch keine Behandlung von der GKV gewährt wurde. Bei seltenen Krankheiten kann dies 29
Zum konkreten Anwendungsbereich dieser Rechtsprechung siehe § 4 A.–C. Zur dogmatischen Tragfähigkeit der Konstruktion siehe § 4 F. II. 31 Zum Anwendungsbereich von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen von § 12 Abs. 1 SGB V siehe § 3. 32 Huster, Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, JZ 2006, S. 466 ff. (468). 30
A. Ausweitung der Leistungspflicht durch den „Nikolaus-Beschluss“
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auftreten, wenn nicht ausreichend Fallstudien und damit aussagekräftige wissenschaftliche Studien zur Verfügung stehen. Häufig rührt das Fehlen eines medizinischen Standards zur Behandlung einer Krankheit aber auch daher, dass sich kausale Therapien bisher nicht herausgebildet haben. In diesem Zusammenhang wurde bei lebensbedrohlichen Erkrankungen bereits zuvor diskutiert, ob die Anforderungen an den Nachweis der Wirksamkeit herabgesetzt werden müssten, um eine Behandlung auf Kosten der GKV zuzulassen.33 Diesem Ansatz ist das BVerfG mit seiner Ansicht, dass bei lebensbedrohlichen Erkrankungen aus verfassungsrechtlichen Gründen hinsichtlich der Evidenz des Nutzens einer medizinischen Methode Abstriche zu machen seien, gefolgt.34 Es hat diese Tendenz sogar ausgeweitet. Das BVerfG hat in seinem Beschluss zur Gewährung nicht allgemein anerkannter Methoden durch die GKV dergestalt Stellung genommen, dass bei bestimmten Fallgestaltungen die Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis wegen der Grundrechte des Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abgesenkt werden müssten.35 Ein Versicherter habe unter der Voraussetzung, dass er an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit leidet, für die eine allgemein anerkannte Behandlungsmethode nicht zur Verfügung steht, einen Anspruch auf Behandlung mit einer Methode, die eine auf Indizien gestützte, aber nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder zumindest spürbar positive Entwicklung bietet.36 Die Diskussion über die Leistungspflicht der GKV für nicht anerkannte Behandlungsmethoden ist somit nicht als gänzlich neu zu bezeichnen.37 Die verfassungsrechtliche Aufhängung der Entscheidung gegen den ausdrücklichen Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V ist gleichwohl in besonderer Weise bemerkenswert und folgenreich. In der Rechtsprechung des BSG sind im Hinblick auf die Leistungspflicht der GKV für Heilversuche von etwa 1985 an bis zur Entscheidung des BVerfG vom 6. 12. 2005 einige grundlegende Wandlungen zu verzeichnen. Diese hängen maßgeblich mit der Einführung des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V und damit der gesetzgeberischen Entscheidung zusammen, medizinische Forschung nicht mittels der GKV zu finanzieren. Hiernach ist, trotz einer möglichen Wirksamkeit im Einzelfall, für die Aufnahme in den Leistungskatalog der GKV das Vorliegen eines bestimmten Qualitätsstandards – die Einhaltung des allgemeinen anerkannten Stands der me33
Engelmann, Die Kontrolle medizinischer Standards durch die Sozialgerichtsbarkeit, MedR 2006, S. 245 ff. (258); Ulmer, Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, SGb 2007, S. 585 ff. (586 ff.). 34 Angeknüpft hat das BVerfG hierbei an den Voraussetzungen der § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V. 35 Vgl. BVerfGE 115, 25 (41 ff.). 36 BVerfGE 115, 25 (42 ff.). 37 Hierauf hinweisend Francke/Hart, Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Heilversuche, MedR 2006, S. 131 ff. (132); ebenso Ulmer, Neue Untersuchungsund Behandlungsmethoden, SGb 2007, S. 585 ff. (586 ff.).
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§ 4 Verfassungsrechtliche Grenzen
dizinischen Erkenntnis – zu fordern.38 Zuvor war das BSG noch davon ausgegangen, dass der behandelnde Arzt, wenn allgemein anerkannte Behandlungsmöglichkeiten fehlten, nach den Regeln der ärztlichen Kunst auch eine Behandlungsmethode zu Lasten der GKVeinsetzen dürfte, deren Wirksamkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesichert war. Ausreichend hierfür war, dass nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft ihre Wirksamkeit für möglich gehalten wurde.39 Ebenso nahm das BSG an, dass eine positive ex-post-Betrachtung des Krankheitsverlaufs zu einer Leistungspflicht der GKV führen könne.40 Folge dieser Rechtsprechung war eine starke Leistungsausweitung und eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidungspraxis der Verwaltungsbehörden (Krankenkassen) und Sozialgerichte.41 Dem ist der Gesetzgeber 1988 mit der Einführung des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entgegengetreten. Durchbrechungen der strikten Forderung des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V finden sich jedoch zum einen in den vom BSG statuierten engen Ausnahmen des Off-LabelUse – wobei mit diesem allerdings keine wirkliche Ausnahme von den Anforderungen des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V gemacht wurde, da das BSG lediglich von der Notwendigkeit der Zulassung des Arzneimittels in der fraglichen Indikation nach dem AMG abgerückt ist.42 Zum anderen sind aber im Rahmen eines „Seltenheitsfalles“ die Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis reduziert worden.43 Die Entscheidung des BVerfG weicht die gesetzgeberische Entscheidung gegen die Gewährung von „Heilversuchen“ durch die GKV daher „lediglich“ in einem weiteren Fall – bei Bestehen einer lebensbedrohlichen Erkrankung – auf. Hauptansatzpunkt der Rechtsprechung des BVerfG ist hierbei, dass, wenn der Staat mit dem System der GKV die Verantwortung für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Versicherten übernehme, die Versorgung im Falle lebensbedrohlicher oder regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten in den Kernbereich der 38
BT-Drs. 11/2237, S. 157. BSGE 63, 102 (105); 64, 255 (257 f.); 70, 24 (26 f.). 40 BSG, Urteil vom 21. 11. 1991, – 3 RK 17/90 –, juris Rn. 19. 41 BVerfGE 115, 25 (43 ff.); Francke/Hart, Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Heilversuche, MedR 2006, S. 131 ff. (132). 42 Vgl. Gödicke, Erweiterte Leistungsansprüche auf Kosten der Erforschung künftiger Behandlungsmöglichkeiten, NVwZ 2006, S. 774 ff. (775). Dies ergibt sich daraus, dass auch bei einem Off-Label-Use dem § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprechende Nutzennachweise von der Rechtsprechung gefordert werden, vgl. BSGE 89, 184 (191 f.). Ebenso Dierks/Finn, in: Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 105 ff. 43 Francke/Hart, Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Heilversuche, MedR 2006, S. 131 ff. (133); Ulmer, Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, SGb 2007, S. 585 ff. (587 f.). Letzterer versteht die Ausnahme des Systemmangels bzw. Systemversagens als weiteren Sonderfall. Diese Ausnahme bezieht sich jedoch nicht auf den Grad des Nutzennachweises und – hiermit zusammenhängend – den Umfang von KostenNutzen-Bewertungen, sondern hängt mit der Regelung eines präventiven Erlaubnisvorbehalts zusammen, sodass trotz Vorliegen der Voraussetzungen bei Verzögerung oder falscher Beurteilung durch den GBA eine medizinische Methode nicht gewährt wird. Dies hat jedoch keinen Zusammenhang mit der hier relevanten Fragestellung. 39
A. Ausweitung der Leistungspflicht durch den „Nikolaus-Beschluss“
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Leistungspflicht nach Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und der von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geforderten Mindestversorgung falle.44 Dogmatisch ist insbesondere der Ansatz, aus einer Schutzpflicht einen Leistungsanspruch gegenüber der GKV über Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu konstruieren, deutlich kritisiert worden.45 Zwar geht aus dem „Nikolaus-Beschluss“ selbst nicht eindeutig hervor, inwieweit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG diesen Anspruch allein trägt oder ob erst in Zusammensicht mit Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip ein solcher Leistungsanspruch gegen die GKV entsteht.46 Die Formulierung, „die angegriffene Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V durch das BSG ist in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr auch nicht mit der Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu vereinbaren“47, spricht jedoch – angesichts der Verwendung von „auch“ – dafür, dass sowohl Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als auch Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip jeweils allein den Anspruch tragen. In einer weiteren Entscheidung weicht das BVerfG von der ebenso deutbaren Konstruktion des kohärenten Nebeneinanders von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip indes ab.48 Es lässt ausdrücklich eine weitere Verletzung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG offen und nimmt lediglich eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip neben Art. 19 Abs. 4 GG an. Schlussfolgerungen hinsichtlich des dogmatischen Ansatzes des BVerfG lassen sich jedoch in beide Richtungen ziehen: Man kann einerseits der Auffassung sein, hierin läge eine grundsätzliche Aufgabe der Notwendigkeit der gemeinsamen Anwendung dieser beiden „Grundrechte“, sodass auch allein über Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein Anspruch aus der Schutzpflicht des Staates hergeleitet werden könnte. Andererseits lässt sich aus dem Fallenlassen des Argumentationsstranges der Schutzpflichtkonstruktion aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch auf eine Rückbesinnung des BVerfG auf seine früher zurückhaltendere Herleitung von Leistungsansprüchen aus Grundrechten schließen.49
44 Francke/Hart, Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Heilversuche, MedR 2006, S. 131 ff. (132). 45 Heinig, Hüter der Wohltaten?, NVwZ 2006, S. 771 ff. (773); Huster, Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, JZ 2006, S. 466 f. (467); Isensee, Verwaltung des Mangels im Gesundheitswesen – verfassungsrechtliche Maßstäbe der Kontingentierung, in: Söllner/Gitter/Waltermann/Giesen/Ricken (Hrsg.), GS Heinze, S. 417 ff. (428). 46 In dieser Entscheidung führt das BVerfG noch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG immer neben Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip auf, vgl. BVerfGE 115, 25 (41 ff.). 47 BVerfGE 115, 25 (42 f. und 49 f.). 48 BVerfG, Beschluss vom 29. 11. 2007, – 1 BvR 2496/07 –, NZS 2008, S. 365 ff. (365, 366). 49 Hierfür spricht auch die in einer folgenden Entscheidung noch weitere Aufspaltung der Argumentationsstränge, in welcher Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einzeln betont wird, vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. 06. 2008, – 1 BvR 1665/07 –, NJW 2008, S. 3556 ff. (3556).
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§ 4 Verfassungsrechtliche Grenzen
In einem weiteren Beschluss relativierte das BVerfG schließlich seinen Vorstoß, Grundrechte als direkte Leistungsrechte anzuwenden. Ausdrücklich führte das Gericht aus, dass ein direkter Anspruch auf Vorhaltung spezieller Gesundheitsleistungen grundsätzlich aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht herleitbar sei, sondern über eine grundrechtsorientierte Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts entstehe.50 Während sich über die dogmatische Konstruktion dieses Ergebnisses und dessen Richtigkeit – insbesondere aufgrund der damaligen Wortlautgrenze des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V – streiten lässt, ist das BVerfG von seinem Ergebnis hierdurch aber jedenfalls nicht abgewichen. Das BVerfG bestimmt die Leistungspflicht der GKV somit aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und der Pflicht zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit. Die Aussage bezieht sich zwar allein auf Patienten, die an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung leiden, in diesem Bereich weitet das BVerfG aber die gesetzlich bestimmte Leistungspflicht der GKV aus § 27 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1 SGB V auf nicht „schulmedizinische Behandlungsmethoden“ aus. Dies hat zur Folge, dass bei einer schweren Krankheit, für die eine schulmedizinische Behandlungsmethode nicht zur Verfügung steht, eine auf Indizien gestützte Methode, die die Wahrscheinlichkeit in Form einer nicht ganz fernliegenden Aussicht auf Heilung oder spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet, von der GKV zu garantieren ist. Inzwischen sind diese
50 BVerfG, Beschluss vom 30. 06. 2008, – 1 BvR 1665/07 –, NJW 2008, S. 3556 ff. (3556), der dogmatische Unterschied hinsichtlich einer verfassungskonformen Auslegung und dem Bestehen eines Anspruchs direkt aus Grundrechten kann alleine jedoch in dem Bestehen eines subjektiven Rechts erblickt werden. Da vorliegend – unter den genannten Voraussetzungen – ein ausdrücklicher Anspruch jedoch aus dem ausdrücklichen Wortlaut nach entgegenstehenden Normen des SGB V hergeleitet wird, die einer verfassungskonformen Auslegung wegen der Wortlautgrenze nicht zugänglich sind, sondern in diesem Fall unangewendet bleiben, scheint diese Argumentation des BVerfG eher „Alibicharakter“ im Hinblick auf die Herleitung eines verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruchs zu haben. A.A. Schmidt-De Caluwe, Leistungsanspruch bei lebensbedrohlicher Erkrankung – Anmerkung zum Beschluss des BVerfG v. 6. 12. 2005 – 1 BvR 347/98 –, SGb 2006, S. 619 ff. (621 ff.), der die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung deshalb als gewahrt ansieht, weil er den allgemein anerkannten Stand der Erkenntnis nicht als feststehende empirische Größe, sondern „rechtsnormative Wertentscheidung“ versteht. Dem ist zwar im Grundsatz zuzustimmen, wie insbesondere die Abschichtung des notwendigen Evidenzniveaus am Schweregrad zeigt. Von einer allgemeinen Anerkennung einer medizinischen Methode kann jedoch bei der bloßen Forderung von Indizien für eine positive Beeinflussung des Handlungsverlaufs nicht mehr gesprochen werden. Die Formulierung des § 2 Abs. 1a SGB V, welche gerade voraussetzt, dass eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnis entsprechende Methode nicht existiert, zeigt ebenso, dass die Wortlautgrenze des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V von den Vorgaben des BVerfG überschritten wird. Einen unmittelbaren Anspruch aus der Verfassung im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG ebenso annehmend Becker, Das Recht auf Gesundheitsleistungen, in: Manssen/Jachmann/Gröpl (Hrsg.), FS Steiner, S. 50 ff. (50 f.), der weiterhin darauf hinweist, dass eine Unterscheidung zwischen einer verfassungskonformen Auslegung und einem „verfassungsunmittelbaren Anspruch“ im Übrigen überhaupt nicht bestünde, weil die Auslegung den Anspruch voraussetze.
B. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des BVerfG vom 6. 12. 2005
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vom BVerfG gebildeten Voraussetzungen und die Herabsetzung der notwendigen Evidenz des Nutzens in § 2 Abs. 1a SGB V gesetzlich umgesetzt worden. Damit hat das BVerfG für den Bereich lebensbedrohlicher und regelmäßig tödlicher Erkrankungen aus den Vorgaben von Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine ausdrückliche Grenze für Rationierungsbestrebungen entwickelt. Teilweise wird diese Entscheidung des BVerfG auch dahingehend interpretiert, dass hierdurch einer grundlegenden Systemänderung der GKV ein Riegel vorgeschoben worden wäre. Die Vollversorgung durch die GKV wäre zum verfassungsrechtlichen Leitbild erklärt worden und Abweichungen hiervon per se rechtfertigungspflichtig.51 In der Literatur ist diese Entscheidung allerdings auch deutlich kritisiert worden: Das BVerfG gehe von falschen Prämissen zur bestehenden Krankenversicherungspflicht aus.52 Die Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entnommenen Anforderungen an den Leistungskatalog der GKV seien überzogen und die Sicherung der Wirksamkeit von medizinischen Leistungen werde als legitimes Ziel der GKV nicht hinreichend gewürdigt.53 Weiterhin hätte das Gericht die durch Organisations- und Verfahrensrechte durchgeführte Sicherung eines angemessenen Grundrechtsschutzes nicht zu würdigen gewusst, weshalb die erfolgte Subsumtion nicht überzeugen könne.54 Inwieweit diese Kritik überzeugt, wird im Folgenden erörtert. Eine Betrachtung der Fortentwicklung dieser Rechtsprechung des BVerfG vor allem durch die Sozialgerichte kann zunächst indes Aufschluss darüber geben, wie weitreichend dieses Urteil für den Leistungskatalog der GKV ist. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob sich die gewählte Konstruktion des BVerfG dogmatisch halten lässt.
B. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des BVerfG vom 6. 12. 2005 Nach seiner Entscheidung vom 6. 12. 2005 hat das BVerfG die tragenden Aspekte dieser in einigen Kammerbeschlüssen weiterentwickelt. Diesen lässt sich, zumindest partiell, bei Aufspaltung der Betrachtung hinsichtlich des zeitlichen Aspekts der Lebensbedrohlichkeit und der sachlich abschließenden Prüfungskompetenz des GBA, eine einheitliche Tendenz entnehmen: Die verfassungsrechtlich hergeleiteten Vorgaben greifen nur in einem in zeitlicher Hinsicht eng beschränkten Bereich, in dem die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung „akut“ wird. In diesem überlagern die 51
So Heinig, Hüter der Wohltaten?, NVwZ 2006, S. 771 ff. (772). Heinig, Hüter der Wohltaten?, NVwZ 2006, S. 771 ff. (771). 53 Heinig, Hüter der Wohltaten?, NVwZ 2006, S. 771 ff. (771); ähnlich auch Dannecker/ Katzenmeier/Huster/Penner/Schmitz-Luhn/Streng, Der „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG, in: Wolgemuth/Freitag (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 158 ff. (166). 54 Heinig, Hüter der Wohltaten?, NVwZ 2006, S. 771 ff. (771). 52
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§ 4 Verfassungsrechtliche Grenzen
verfassungsrechtlichen Vorgaben jedoch die ansonsten bestehende Prüfungskompetenz des GBA. Der Beschluss des BVerfG vom 29. 11. 2007 führt noch eher zu einer Ausweitung der Rechtsprechung zugunsten einer umfassenden Leistungspflicht. Das Gericht erkennt in dieser Entscheidung auch für den einstweiligen Rechtsschutz im Falle einer lebensbedrohlichen Krankheit die Notwendigkeit an, eine vollständige und nicht lediglich summarische Prüfung des Anordnungsanspruchs durchzuführen. Darüber hinaus deutet das BVerfG an, dass eine medizinische Methode von der GKV unter bestimmten Umständen zu gewähren sein könnte, selbst wenn ein ausdrücklicher Leistungsausschluss dieser Methode durch den GBA vorliege, womit das BVerfG einer gegenteiligen Auffassung des BSG entgegentrat.55 Der Beschluss vom 30. 6. 2008 lässt demgegenüber eine andere Tendenz erkennen, die eher in Richtung einer Beschränkung der Leistungspflicht geht. Das BVerfG stellte hier sehr strenge Anforderungen an die Annahme einer lebensbedrohlichen Erkrankung und nahm auch in diesem Fall nicht mehr zwingend eine Leistungspflicht der GKV an, sondern knüpfte den Ausschluss an eine besondere Rechtfertigung.56 Zunächst weitete das BVerfG demzufolge seinen „Nikolaus-Beschluss“ scheinbar aus. Nicht nur, wenn der GBA noch nicht über den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit der fraglichen Behandlungsmethode entschieden habe, sei diese bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung im Falle des Bestehens ernsthafter Hinweise auf Heilung zu garantieren. Vielmehr müsse unter diesen Voraussetzungen die Behandlung auch gewährt werden, wenn der GBA eine Methode wegen fehlender Eignung von der Leistungspflicht ausdrücklich ausgeschlossen habe. Kurze Zeit später schränkte das BVerfG die Aussagen des „Nikolaus-Beschlusses“ in einem weiteren Beschluss aber wieder ein, indem es der Einschätzung des BSG zustimmte, dass multiple Sklerose zwar als schwere, aber nicht lebensbedrohliche Erkrankung einzuordnen sei. Ärzte beziffern die frühere Sterblichkeit bei einem Leiden an der Krankheit Multiple Sklerose in sekundär-progredienter Verlaufsform gegenüber der Durchschnittssterblichkeit mit zwischen 6 bis 10 Jahren – der Zeitraum von Beginn der Krankheit bis zum Tod beträgt durchschnittlich 30 bis 40 Jahre.57 Dies erfülle nicht die im „Nikolaus-Beschluss“ formulierten Voraussetzungen. Weiterhin fügte das BVerfG der Argumentation noch hinzu, dass nach den vorliegenden Erkenntnissen auch keine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse existierten, die eine hinreichende Erfolgsaussicht der Behandlung mit Immunglobulinen belegen würden.58 Hiermit wurden nicht nur die Anforderungen an die 55
BVerfG, Beschluss vom 29. 11. 2007, – 1 BvR 347/98 –, NZS 2008, S. 365 ff. (366 und 367) zu BSG, Urteil vom 07. 11. 2006, – B 1 KR 24/06 R –, NJW 2007, 1385 (1388). 56 BVerfG, Beschluss vom 30. 6. 2008, – 1 BvR 1665/07 –, NJW 2008, S. 3556 ff. (3556). 57 BVerfG, Beschluss vom 30. 06. 2008, – 1 BvR 1665/07 –, NJW 2008, S. 3556 ff. (3556) im Anschluss an BSG, Urteil vom 27. 03. 2007, – B 1 KR 17/06 R –, juris Rn. 23 ff. 58 Wenner, Rationierung, Priorisierung, Budgetierung, GesR 2009, S. 169 ff. (177).
C. Umsetzung dieser Rechtsprechungslinie durch die Sozialgerichte
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Einordnung als lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit erhöht, sondern auch die Voraussetzung der „nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder spürbar positiven Auswirkung auf den Krankheitsverlauf“ wieder stärker an wissenschaftliche Forschungsergebnisse gekoppelt. Eine weitere Formulierung erscheint in dieser Entscheidung besonders bemerkenswert. Nach dieser bedarf es „nur“ einer „besonderen, die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG berücksichtigenden Rechtfertigung“, wenn Versicherten Leistungen für die Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen durch gesetzliche Bestimmungen oder deren Auslegung bzw. Anwendung vorenthalten werden.59 Die fehlende arzneimittelrechtliche Zuverlässigkeitsprüfung für die konkrete Indikation soll regelmäßig eine solche Rechtfertigung darstellen können.60 Bei Anlegung derartiger Vorgaben käme es jedoch tendenziell zu einer Revision der am 6. 12. 2005 vom BVerfG begründeten Rechtsprechungslinie. Die Zulassungskontrolle bei Arzneimitteln, die Prüfung der Behandlungsmethoden nach § 135 SGB V und die Richtlinien des GBA waren gerade als nicht geeignet angesehen worden, Arzneimittel oder sonstige medizinische Methoden bei lebensbedrohlichen Krankheiten aus dem Leistungskatalog der GKV auszuschließen. Ob tatsächlich eine Änderung der Rechtsprechung mit diesem Beschluss vorbereitet wird, lässt sich allerdings noch nicht hinreichend sicher beurteilen.
C. Umsetzung dieser Rechtsprechungslinie durch die Sozialgerichte Das BSG prüfte seit dem Ergehen des „Nikolaus-Beschlusses“ in ständiger Rechtsprechung, wenn ein Leistungsanspruch des Versicherten nach den Vorschriften des SGB V und des Off-Label-Use nicht bestand, ob das Leistungsrecht der GKV den Vorgaben des „Nikolaus-Beschlusses“ entsprechend verfassungskonform auszulegen ist.61 Bei Vorliegen der Voraussetzungen wurde hierüber ein Anspruch des Versicherten hergeleitet. Seit der Normierung des § 2 Abs. 1a SGB V bedarf es einer derartigen verfassungskonformen Auslegung nicht mehr. Wie die Voraussetzungen des „Nikolaus-Beschlusses“ durch das BSG ausgelegt werden, ist durch die Einführung des § 2 Abs. 1a SGB V jedoch nicht tangiert worden.
59 60 61
BVerfG, Beschluss vom 30. 06. 2008, – 1 BvR 1665/07 –, NJW 2008, S. 3556 ff. (3556 f). BVerfG, Beschluss vom 30. 06. 2008, – 1 BvR 1665/07 –, NJW 2008, S. 3556 ff. (3556 f). Vgl. etwa BSG, Urteil vom 30. 06. 2009, – B 1 KR 5/09 R –, juris Rn. 42 ff.
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I. Konkretisierung der zeitlichen und sachlichen Voraussetzungen Hinsichtlich der Annahme einer lebensbedrohlichen bzw. regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung legt das BSG in zeitlicher Hinsicht strenge Voraussetzungen an. In sachlicher Hinsicht weiten die Sozialgerichte die Kriterien für die Herabsetzung der Evidenz des Nutzens hingegen aus. In den Anwendungsbereich dieser Rechtsprechung werden nicht lediglich lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödlich verlaufende Krankheiten einbezogen, sondern auch bei einem Verlust eines wichtigen, nicht kompensierbaren Organs oder einer herausgehobenen Körperfunktion in absehbarer Zeit werden die hinsichtlich der Evidenz durch das BVerfG geprägten Kriterien angewendet.62 Grundsätzlich hielt das BSG es für notwendig, auch bei wertungsmäßig der Lebensbedrohlichkeit vergleichbaren Erkrankungen eine verfassungskonforme Auslegung durchzuführen.63 An die Annahme der vergleichbar schweren Erkrankung seien jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Eine „schwerwiegende Erkrankung“, wie sie im Rahmen des Off-Label-Uses erforderlich ist, erfüllt diese Voraussetzungen nicht.64 Diese hohen Anforderungen an die Annahme des Anwendungsbereiches der „Nikolaus-Rechtsprechung“ begründet das BSG insbesondere damit, dass ansonsten die Voraussetzungen des Leistungsrechts des SGB V grundsätzlich sinnentleert würden und nicht mehr als Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten angesehen werden könnten. Nahezu jede Erkrankung ziehe ohne Behandlung auf lange Sicht schwere Konsequenzen nach sich.65 Insoweit nimmt die Rechtsprechung des BSG die in der Literatur geäußerte Kritik auf und reduziert die Rücknahme der Anforderungen an die Evidenz des Nutzens auf einen engen Bereich der zeitnahen Lebensbedrohlichkeit bzw. des Eintritts sonstiger schwerwiegender Folgen.66 Eine lebensbedrohlich bzw. regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung wird vom BSG angenommen, wenn sich der tödliche Krankheitsverlauf in einem kürzeren, überschaubaren Zeitraum verwirklichen wird, die Folge demnach akut droht. Eine solche akute Gefahr des Todes durch die Erkrankung nahm das BSG im Falle der sekundär-progredienten Multiple-Sklerose nicht an, da der Eintritt des Todes durch die Erkrankung zu Beginn des Krankheitsverlaufes nicht akut wäre.67 Ebenso 62
BSG, Urteil vom 14. 12. 2006, – B 1 KR 12/06 R –, juris Rn. 20. BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 12/04 R –, BSGE 96, 153 (160). 64 BSG, Urteil vom 14. 12. 2006, – B 1 KR 12/06 R –, juris Rn. 17. 65 BSG, Urteil vom 26. 09. 2005, – B 1 KR 3/06 R –, juris Rn. 34; BSG, Urteil vom 14. 12. 2006, – B 1 KR 12/06 R –, juris Rn. 17. 66 Anders LSG Niedersachsen, Beschluss vom 07. 03. 2011, – L 4 KR 48/11 B ER –, juris Rn. 25 ff., mit der Begründung, dass, da Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht nur das Leben, sondern auch die körperlichen Unversehrtheit schütze, nicht nur im ersteren Bereich eine verfassungskonforme Auslegung zu erfolgen habe, sondern auch bei einer nachhaltigen und gravierenden Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit eine erfolgsversprechende Behandlung nicht verweigert werden dürfe. 67 BSG, Urteil vom 27. 03. 2007, – B 1 KR 17/06 R –, juris Rn. 23. 63
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lehnte das BSG bei einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweis auf metastatische Absiedlungen die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung ab. In Bezug hierauf wurde außerdem angenommen, dass mit der Prostataektomie eine medizinische Standardtherapie bestehe. Aus diesem Grund wäre die GKV nicht zur Leistung einer interstitiellen Brachytherapie mit Permanent-Seeds, deren Nutzen noch nicht mit ausreichender Evidenz nachgewiesen sei, verpflichtet.68 Auch in weiteren Fällen lehnte das BSG die Lebensbedrohlichkeit der Situation aufgrund des Zeitmomentes und fehlender notstandsähnlicher Lage ab. Dies betraf etwa eine auf dem Restless-Leg-Syndrom beruhende Schlafstörung mit Suizidandrohung,69 die Friedreich-Ataxie, eine Erkrankung, die eine Zunahme der Wanddicke des Herzmuskels bewirkt und hierdurch die allgemeine Leistungsfähigkeit mindert sowie langfristig die Lebenserwartung einschränkt,70 sowie die Behandlung eines chronischen Schmerzsyndroms71. Die zeitliche Komponente der Lebensbedrohlichkeit wird insbesondere damit begründet, dass bei einer Konkretisierung des tödlichen Krankheitsverlaufes in „näherer Zeit“ keine Zeit für eine spätere Therapie bleibe.72 Bei einer ferneren, nicht absehbaren Realisierung sei es möglich, dass die medizinischen und pharmakologischen Kenntnisse bis dahin vorangeschritten wären.73 Nur bei einer notstandsähnlichen Situation seien aufgrund des Zeitdrucks die vom BVerfG vorgeschriebenen Kriterien erfüllt.74 Die Zeitkomponente der Lebensbedrohlichkeit wird hierbei mit dem Umfang der Evidenz des Nutzens kombiniert. Vergleichbare Erwägungen finden sich auch im Polizeirecht, in welchem bei der Gefährdung eines hohen Schutzgutes geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Gefahr für die Vornahme eines staatlichen Eingriffes gestellt werden.75 Diese jedesto-Formel lässt sich trotz ihrer Herleitung aus der Eingriffsdogmatik ebenfalls auf die eher von der Schutzpflichtdogmatik76 geprägte Fragestellung der notwendigen Evidenz des Nutzens für die Gewährung einer Leistung der Krankenversicherung 68
BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 12/05 R –, juris Rn. 36. BSG, Urteil vom 26. 09. 2006, – B 1 KR 14/06 R –, juris Rn. 18. 70 BSG, Urteil vom 14. 12. 2006, – B 1 KR 12/06 R –, juris Rn. 21, wobei das BSG bei einer 75 % Überlebenswahrscheinlichkeit in den nächsten 34 Jahren nicht von einer notstandsähnlichen Situation ausgeht. 71 BSG, Urteil vom 27. 03. 2007, – B 1 KR 30/06 R –, juris Rn. 19, wobei hier auch darauf verwiesen wird, dass bei starken Schmerzen Morphin als vom Therapiestandard überlegenes Mittel von der GKV getragen würde und nur bei milderen Schmerzen cannabinoidhaltige Arzneimittel mit Codein bei Herabsetzung der Evidenz wirkungsmäßig vergleichbar wären. 72 BSG, Urteil vom 14. 12. 2006, – B 1 KR 12/06 R –, juris Rn. 19. 73 BSG, Urteil vom 14. 12. 2006, – B 1 KR 12/06 R –, juris Rn. 19. 74 BSG, Urteil vom 27. 03. 2007, – B 1 KR 17/06 R –, juris Rn. 23; BSG, Urteil vom 14. 12. 2006, – B 1 KR 12/06 R –, juris Rn. 19. 75 Leisner, Die polizeiliche Gefahr zwischen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe, DÖV 2002, S. 326 ff. (327); Hansen-Dix, Die Gefahr im Polizeirecht, S. 37 ff. 76 Zur Frage, ob es sich hierbei um eine Schutzpflicht- oder doch eher reine Leistungsdogmatik handelt, siehe § 4 F. II. 2. 69
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anwenden. Dieser auch als „Kompensationsformel“ bezeichnete Ausgleichsmechanismus, der insbesondere bei ex-ante Betrachtungen anzusetzen ist – wie sie auch in der Leistungserbringung der GKV erfolgen – hängt weniger mit eingriffsdogmatischen Erwägungen zusammen als der Notwendigkeit, Ausgleichsmechanismen bei nur zu prognostizierender Tatsachengrundlage zu finden. Konkrete Zahlen, in wie vielen Jahren der Tod durch die Erkrankung mit einer wie hohen prozentualen Wahrscheinlichkeit bevorstehen muss, um eine solche notstandsähnliche Situation anzunehmen, hat das BSG bisher indes nicht genannt. In Anbetracht der engen sowohl sachlichen als auch zeitlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Leistungserweiterung der GKV nach den Grundsätzen des „Nikolaus-Beschlusses“ ist diese Ausweitung als einer Ausnahmesituation geschuldet zu begreifen. Es handelt sich um „notstandsähnliche Extremsituationen“77 individueller Ausprägung, bei welchen Kosten-Nutzen-Erwägungen hinter den Schutz des Individualguts zurücktreten müssen.
II. Wahrscheinlichkeitsgrad des Nutzens und Nutzen-Risiko-Analyse Im Rahmen der Beurteilung, ob eine medizinische Methode mit ausreichender Wahrscheinlichkeit wirksam ist, wendet das BSG eine Nutzen-Risiken-Abwägung an.78 Insoweit wird je nach Schweregrad der ohnehin als lebensbedrohlich eingestuften Erkrankung ein abgestufter Evidenzgrad angelegt: Je hoffnungsloser die Situation, umso geringere Anforderungen sind an die „ernsthaften Hinweise“ auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg nach der Rechtsprechung des BSG zu stellen.79 Die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinsichtlich des Behandlungserfolges sind daher am Schweregrad und Stadium der Krankheit abzustufen.80 Dabei sind umso geringere Anforderungen an ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg zu stellen, je schwerwiegender die Erkrankung ist.81 Hier kann auf die bereits durch den GBA erfolgende Einordnung von Nutzennachweisen in unterschiedliche Evidenzstufen nach § 11 Abs. 2 des 2. Kapitels der VerfO-GBA zurückgegriffen werden. Darüber hinaus können jedoch auch Einzelfallberichte und weitere Arten von medizinischen Beobachtungen und Einschätzungen herangezogen werden. 77 BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (176 f.), so auch Becker, Das Recht auf Gesundheitsleistungen, in: Manssen/Jachmann/Gröpl (Hrsg.), Nach geltendem Verfassungsrecht, FS Steiner, S. 51 ff. (71 f.). 78 BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (178); BSG, Urteil vom 07. 11. 2007, – B 1 KR 24/06 R –, BSGE 97, 190 (198 f.). 79 BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (178). 80 BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (177 f.). 81 Diese Tendenz bereits für die Nutzen-Risiko-Abwägung im Arzneimittelrecht aufweisend Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 179 f.
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Das BSG hat aus dem dogmatischen Ansatz des BVerfG – dem Bestehen einer Schutzpflicht – ferner eine weitere Grenze für die leistungserweiternde Konkretisierung von Leistungsansprüchen der Versicherten abgeleitet. Aus der Schutzpflicht folge insbesondere auch, dass die Versicherten davor bewahrt werden müssten, auf Kosten der GKV mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden.82 Diese Linie führte das BSG in einer weiteren Entscheidung fort. Es nahm an, dass neben der Klärung der konkreten Krankheitssituation, der Feststellung der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung, auch eine abstrakte Nutzen-Risiko-Analyse in Bezug auf die beanspruchte Behandlung vorgenommen werden müsse. Innerhalb dieser müssten die Chancen/Nutzen und Risiken der Behandlungsmethode im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse abgewogen werden.83 Institutionelle Sicherungen, die das Gesetz gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und Gesamtbevölkerung geschaffen habe, dürften durch die Ausnutzung der Rechtsprechung des BVerfG nicht ausgehebelt werden.84 Eine Nutzen-Risiko-Analyse hält das BSG damit auch im Bereich der lebensbedrohlichen Krankheiten für notwendig.
III. Wirtschaftlichkeitserwägungen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen Neben dieser Abwägung zwischen den möglichen Nutzen und Risiken einer medizinischen Methode, scheint das BSG aber auch davon auszugehen, dass aus wirtschaftlichen Erwägungen eine zu großzügige Zuerkennung von Leistungen in diesem Bereich beschränkt werden müsse. Eine Umgehung der arzneimittelrechtlichen Zulassung führe zu nicht rechtfertigbaren Auswirkungen auf die Versichertengemeinschaft, welcher im Rahmen der Versicherungspflicht zwangsweise die hierdurch erhöhten Kosten aufzubürden wären.85 Ausdrücklich verweist das BSG dabei darauf, dass das BVerfG in seinem Beschluss vom 6. 12. 2005 das aus § 12 Abs. 1 SGB V erwachsende Wirtschaftlichkeitsgebot weiterhin anerkenne.86 Mit dieser Begründung nimmt das BSG an, dass selbst im Rahmen dieser im Besonderen durch das Verfassungsrecht geprägten Situation, nach erfolgter abstrakter und konkret-individueller Nutzen-Risiko-Abwägung, zu prüfen sei, ob auch andere Methoden diesen Anforderungen mit dem gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab genügen würden. Zwischen diesen Methoden könne wiederum die Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit verglichen werden.87 82
BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (174). BSG, Urteil vom 07. 11. 2006, – B 1 KR 24/06 R –, BSGE 97, 190 (192, 198 f.). 84 BSG, Urteil vom 07. 11. 2006, – B 1 KR 24/06 R –, BSGE 97, 190 (192, 198 f.). 85 BSG, Urteil vom 04. 04. 2006 – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (176 f.). 86 BSG, Urteil vom 07. 11. 2006, – B 1 KR 24/06 R –, BSGE 97, 190 (193). 87 Im Ergebnis so BSG, Urteil vom 26. 09. 2001, – B 1 KR 1/06 R –, juris Rn. 27 ff.; BSG Urteil vom 07. 11. 2006, – B 1 KR 24/06 R –, BSGE 97, 190 (199). 83
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§ 4 Verfassungsrechtliche Grenzen
Nach dieser Ansicht sind Kosten-Nutzen-Vergleiche somit auch bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder gleichgestellten Erkrankung nicht gänzlich ausgeschlossen. Sie müssen jedoch in den durch den Wahrscheinlichkeitsmaßstab vorgegebenen Schranken durchgeführt werden. Auch hier kommt es somit für den Einsatz von Wirtschaftlichkeitserwägungen letztlich auf die „Vergleichbarkeit“ des Nutzens an.
D. Anwendbarkeit der Grundsätze des „Nikolaus-Beschlusses“ auf Arzneimittel Abgesehen von der Relevanz dieser Rechtsprechung im Falle einer Erweiterung des Einflusses von Kosten-Nutzen-Abwägungen auf den Leistungsumfang der GKV, könnte sie bei ihrer Anwendbarkeit auch auf die Erbringung von Arzneimitteln durch die GKV bereits im Rahmen der nach § 35b SGB V erfolgenden Kosten-NutzenBewertung zu berücksichtigen sein. Das BSG hat sich in einer Entscheidung ausdrücklich mit der Übertragbarkeit der Grundsätze des „Nikolaus-Beschlusses“ auf den Bereich der Arzneimittelversorgung auseinandergesetzt und diese angenommen.88 Insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip, welche das stärkere verfassungsrechtliche Argument zur Ausweitung von Krankenversicherungsleistungen darstellen, wirken hinsichtlich der Arzneimittelversorgung allerdings nicht zwingend in gleicher Weise wie im Rahmen sonstiger Behandlungsmethoden. Darüber hinaus hat das BVerfG trotz des Vorliegens einer lebensbedrohlichen bzw. regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung (in diesem Falle des Lymphdrüsenkrebs) und obwohl es Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Maßstab dafür anlegte, noch 1997 ausdrücklich einen Anspruch auf ein Arzneimittel abgelehnt, das arzneimittelrechtlich nicht zugelassen war, welches aber im Rahmen einer klinischen Prüfung bei der konkreten Patientin bereits zu einem Stillstand der Krebserkrankung geführt hatte. Ein derartiger Anspruch ergebe sich aus dem der Schutzpflichtdogmatik entwachsenden sogenannten Untermaßverbot nicht.89 Das BVerfG verwies diesbezüglich auf die weite Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung der Schutzpflicht und hielt die bestehenden Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts nicht für völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich.90 Weiterhin wies es darauf hin, dass das Arzneimittel auf eigene Kosten erlangt worden wäre und daher kein existenzieller Nachteil bestanden habe.91 Ausdrücklich führte das BVerfG auch das Wirtschaftlichkeitsgebot 88
BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (170 Leitsatz 1). BVerfG, Beschluss vom 05. 03. 1997, – 1 BvR 1071/95 –, NZS 1997, S. 225 ff. (225). 90 BVerfG, Beschluss vom 05. 03. 1997, – 1 BvR 1071/95 –, NZS 1997, S. 225 ff. (226) unter Verweis auf seine grundsätzliche Rechtsprechung zur Schutzpflichtdogmatik in BVerfGE 77, 170 (215); 85, 191 (212 f.). 91 Diese Ausführungen beziehen sich zwar direkt nur auf die Begründung des Nichtannahmebeschlusses, weisen aber auf den Gedanken der Selbstbeschaffung in Abgrenzung zur 89
D. Anwendbarkeit des „Nikolaus-Beschlusses“ auf Arzneimittel
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des § 12 SGB V an, welches, angesichts der beschränkten Belastbarkeit der Beitragszahler und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft, eine finanzielle Grenze der Leistungspflicht der GKV darstelle.92 Im Falle des Festhaltens an dieser Ansicht auch nach der Erweiterung der verfassungsrechtlichen Dogmatik durch den „NikolausBeschluss“ des BVerfG wären Kosten-Nutzen-Erwägungen hinsichtlich sämtlicher Arzneimittel nach wie vor denkbar. Ebenso gut möglich ist es jedoch, dass auch insoweit eine Rechtsprechungsänderung zu verzeichnen ist, da sich der dogmatische Ansatz des BVerfG nicht zwingend auf Behandlungsmethoden beschränkt, sondern Arzneimittel in gleichem Maße betrifft.
I. Abschied von der Vorgreiflichkeit des AMG? Für eine Erweiterung der Leistungspflicht der GKV gibt es im Arzneimittelbereich zwei mögliche dogmatische Anknüpfungspunkte: Der „Nikolaus-Beschluss“ könnte entweder die Zulassungsentscheidungen nach dem Arzneimittelgesetz beeinflussen oder aber, unabhängig von dem Bestehen einer Zulassung nach dem AMG, den Umfang der Leistungspflicht der GKVauf nicht zugelassene Arzneimittel im Bereich lebensbedrohlicher bzw. regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten erweitert haben.93 Grundsätzlich gilt zwar, dass ein Arzneimittel, wenn es für ein Indikationsgebiet nicht zugelassen ist, als nicht zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V anzusehen ist und daher nicht in den Leistungsbereich der GKV fällt.94 Aufgrund der zu reduzierenden Anforderungen an die Evidenz der Wirksamkeit einer medizinischen Methode im Falle lebensbedrohlicher Krankheiten könnten die Voraussetzungen des Arzneimittelgesetzes und der Leistungsgewährung in der GKVan dieser Stelle jedoch auseinanderfallen. Von der Nichtzulassung könnte nicht mehr auf die mangelnde Leistungsgewährung in der GKV geschlossen werden.95 Hiergegen scheint allerdings der ausdrückliche Wortlaut des § 21 Abs. 1 AMG Leistungspflicht der GKV hin, BVerfG, Beschluss vom 05. 03. 1997, – 1 BvR 1071/95 –, NZS 1997, S. 225 ff. (226). 92 BVerfG, Beschluss vom 05. 03. 1997, – 1 BvR 1071/95 –, NZS 1997, S. 225 ff. (226). 93 Für letzteres BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (173 ff.). 94 So das BSG auch noch nach der grundsätzlichen Übertragung der Grundsätze des „Nikolaus-Beschlusses“ auf den Arzneimittelbereich in BSG, Urteil vom 26. 09. 2006, – B 1 KR 14/ 06 R –, juris Rn. 9 und 18 f., zuvor bereits BVerfG, Beschluss vom 05. 03. 1997, – 1 BvR 1071/ 95 –, NZS 1997, S. 225 ff. (226). 95 Inzwischen findet sich entgegengesetzt zu diesem Gedanken sogar die Diskussion, ob aufgrund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen ein Off-Label-Use, also eine Anwendung außerhalb der zugelassenen Indikation, nicht durchgesetzt werden sollte, um auf diese Weise die Bindung der Zulassung an den Antrag des Pharmaunternehmens und eine „Doppelverwertung“ von Arzneimitteln mit ähnlichen Wirkstoffen unter unterschiedlichen Bezeichnungen zu verschieden hohen Preisen zu verhindern. Vgl. Reese, Zum „off-label-use“ von Arzneimitteln trotz Verfügbarkeit zugelassener Therapiealternativen, in: Reese/Hufnagel/Lensing-Kramer (Hrsg.), FS Doepner, S. 305 ff. (306 f.).
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zu sprechen, welcher ein Inverkehrbringen eines Fertigarzneimittels96 nur gestattet, wenn dieses durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen wurde. Der sogenannte Compassionate-Use löst diese Problematik allerdings weitestgehend. Er ermöglicht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG die Anwendung nicht zugelassener Arzneimittel bei einer zu einer schweren Behinderung führenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung, sofern für diese keine zufriedenstellende Behandlung mit einem zugelassenen Arzneimittel existiert. § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG scheint jedoch nicht zwingend sämtliche Fallgestaltungen des „Nikolaus-Beschlusses“ zu erfassen.97 Die Argumentation des BSG, dass keine sachlichen Gründe dafür bestünden, bei Vorliegen der Voraussetzungen des „Nikolaus-Beschlusses“98 eine ärztliche Behandlung zu gewähren, die Leistung von Arzneimitteln durch die GKV aber abzulehnen,99 erscheint zwar stark ergebnisorientiert, ist aber im Ergebnis auch juristisch zwingend.100 Nach Auffassung des BSG ist nicht ersichtlich, warum sich die verfassungsrechtliche Problematik abhängig von der konkreten Leistungsart nach dem SGB V stellen sollte. Hierbei verweist das BSG insbesondere auch auf die bereits eingeleitete Weiterentwicklung der von ihm angestoßenen Rechtsprechungsänderung hinsichtlich der negativen Vorgreiflichkeit des AMG in notstandsähnlichen Situationen.101 Im Ergebnis ist den Ausführungen des BSG zuzustimmen. Aus der im „Nikolaus-Beschluss“ gewählten verfassungsrechtlichen Dogmatik ergeben sich jedoch in Bezug auf die Arzneimittelversorgung der GKV – aufgrund der Art und Weise der Regelung dieser – besondere Probleme bei der Übertragung der Grundsätze. Das verfassungsrechtliche Argument des Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip scheint im Arzneimittelbereich nicht in gleichem Maße wie bei anderen medizinischen Behandlungsmethoden zu greifen. Die Zulassungsentscheidung von Arzneimitteln liegt mit dem Arzneimittelgesetz außerhalb der Entscheidungszu96 Hierbei handelt es sich gemäß § 4 Abs. 1 AMG um ein Arzneimittel, welches im Voraus hergestellt wird und zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt in den Verkehr gebracht wird. Hiervon abzugrenzen sind Arzneimittel, deren Zusammensetzung ausdrücklich vom Arzt angeordnet wird und die einer Zulassung nicht bedürfen. 97 Hiervon ausgehend BT-Drs. 17/6906, S. 53, weshalb für Arzneimittel § 2 Abs. 1a SGB V erst greifen soll, wenn der Patient weder im Rahmen einer klinischen Prüfung noch im Compassionate-Use-Programm das Arzneimittel als GKV-Leistung beanspruchen kann. 98 Die Voraussetzungen lauten: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor, es fehlt eine anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung, eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder positive Entwicklung durch eine Behandlung besteht jedoch. 99 BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (173). 100 Ebenso Hauck, Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Grundgesetz?, NJW 2007, S. 1320 ff. (1321). 101 Das BSG hatte etwa ein Jahr vor dem „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG bereits in einem Urteil die Koppelung von AMG und SGB V eingeschränkt, BSG, Urteil vom 19.102004, – B 1 KR 27/02 R –, BSGE 93, 236 (243 f.).
D. Anwendbarkeit des „Nikolaus-Beschlusses“ auf Arzneimittel
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ständigkeit der GKV. Daher vermag ein systemisch begründeter Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip hier an sich nicht zu greifen. Systemisch begründete Ansprüche können nur auf den Systembereich, aus dem sie hergeleitet werden, hier dem Bereich der GKV, wirken. Wird jedoch eine Leistung in diesem System nur gewährt, wenn außerhalb ihres Einflussbereichs liegende Voraussetzungen, wie hier die Verkehrsfähigkeit von Fertigarzneimitteln nach § 21 AMG, vorliegen, geht dieser dogmatische Ansatz nicht auf. Hierfür müsste die Verknüpfung mit dem Arzneimittelgesetz in diesem Bereich gelöst werden. Die strikte Bindung der Versorgungsentscheidung der GKV an die Zulassungsentscheidung nach dem AMG hat das BSG bereits vor dem „Nikolaus-Beschluss“ im Bereich schwerer Krankheiten ohne Behandlungsalternative teilweise aufgegeben.102 Ausdrücklich hat das Gericht dies allerdings nur angenommen, wenn eine Zulassungsentscheidung nach dem AMG bezogen auf eine bestimmte Indikation noch ausstand.103 Für Arzneimittel, die noch überhaupt nicht zugelassen waren, galt dies hingegen nicht. Die Problematik des Widerspruchs der Gewährung eines nicht zugelassenen Arzneimittels gemäß § 27 SGB V zu § 21 AMG, der einem nicht zugelassenen Fertigarzneimittel die Verkehrsfähigkeit abspricht, stellt sich bei einer gesamt fehlenden Zulassungsentscheidung aber letztlich in gleicher Weise. Die Situation unterscheidet sich von dem Fall der für einen bestimmten Indikationsbereich fehlenden Zulassung nur graduell. Sollte die Zulassung gemäß § 25 Abs. 2 AMG durch die nach § 77 AMG zuständige Bundesoberbehörde abgelehnt worden sein, kommt es hingegen möglicherweise darauf an, auf welchen Gründen die Versagungsentscheidung beruht. Außerhalb der Vorgaben des § 21 AMG, der die Leistungsgewährung nach dem SGB V determinieren könnte, bestehen keine ausdrücklichen Regelungen über das Verhältnis von Arzneimittelsicherheitsrecht (AMG) und der Leistungsgewährung durch die GKV. § 21 AMG steht den §§ 27 Abs. 1, 2 Abs. 1 iVm § 12 Abs. 1 SGB V mit Blick auf die Normenhierarchie rechtlich gleichrangig gegenüber. Deshalb genügt es argumentativ für einen Leistungsausschluss in der GKV nicht, auf die Entscheidung nach § 25 Abs. 1 und 2 iVm § 21 Abs. 1 AMG zu verweisen, wenn verfassungsrechtliche Vorgaben dafür sorgen, dass in einem bestimmten Bereich Leistungen durch die GKV erbracht werden müssen. Zwar handelt es sich bei der sicherheitsrechtlichen Beurteilung eines Arzneimittels nach dem AMG um eine typischerweise der versorgungsrechtlichen Bewertung nach dem SGB V vorgelagerte Entscheidung, eine sich aus der Verfassung ergebende Vorgreiflichkeit des Arzneimittelrechts besteht jedoch nicht.104 Mangels Regelung desselben Sachbereiches ist auch keine Spezialität des AMG gegenüber dem SGB V im Bereich der Arzneimittelversorgung anzunehmen. Ein Gleichlauf der Zulassungsentscheidung 102
BSG, Urteil vom 19. 03. 2002, – B 1 KR 37/00 R –, BSGE 89, 184 (187 ff.). BSG, Urteil vom 19. 03. 2002, – B 1 KR 37/00 R –, BSGE 89, 184 (188 f., 190). 104 Vgl. zur Frage der verfassungsrechtlichen Vorgreiflichkeit Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 120 ff. 103
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nach dem AMG und einer Versorgung in der GKV nach dem SGB V ist trotz der Regelung des § 21 AMG daher nicht zwingend.105 Hiergegen wurde und wird teilweise vorgebracht, dass die Leistungserbringung nach dem SGB V unabhängig von den materiellen Voraussetzungen des SGB V sowie sonstigen sozialrechtlichen Voraussetzungen stets rechtmäßig erfolgen müsse.106 Eine Leistungsgewährung in der GKV sei, wenn sie im Widerspruch zum AMG – insbesondere § 21 AMG – stehe, aber nicht rechtmäßig. Aus diesem Grund sei eine Zulassung nach § 21 Abs. 1 iVm § 25 Abs. 1 und Abs. 2 AMG Voraussetzung für eine Versorgung im Rahmen des SGB V.107 Eine Ausnahme sei nur in den Fällen anzuerkennen, in denen eine Zulassung grundsätzlich bestehe, sie jedoch nicht die für den Einsatz fragliche Indikation erfasse. Dies wird damit begründet, dass die Zulassungsentscheidung im Rahmen der Indikation die versorgungsrechtliche Gewährung nicht binde, da § 21 AMG die Verkehrsfähigkeit im Falle der Zulassung grundsätzlich eröffne.108 Diese Auffassung übersieht jedoch, dass sich die Verkehrsfähigkeit des § 21 Abs. 1 S. 1 AMG in Zusammensicht mit den übrigen Zulassungsvorschriften jeweils nur auf die zugelassene Indikation bezieht.109 Insbesondere § 29 Abs. 3 Nr. 3 sowie Abs. 2a Nr. 1 AMG zeigen, dass ein anderes Anwendungsgebiet als das Zugelassene nach dem AMG genauso von der Versorgung mit dem Arzneimittel ausgeschlossen ist, wie wenn überhaupt keine Zulassung bestehen würde.110 Eine derartige Differenzierung der Zulässigkeit von Off-LabelUse und Unlicensed-Use ist daher dogmatisch in sich nicht stimmig.111 Ein Gesetzesverstoß liegt bei einer Gewährung von nicht zugelassenen Arzneimitteln im Rahmen einer Einzelfallverordnung in der GKVaußerdem nicht vor, wenn durch die Leistungserbringung der GKV im Einzelfall das Arzneimittel nicht in Verkehr gebracht wird. Wann ein Inverkehrbringen anzunehmen ist, wird in § 21 AMG iVm § 4 Abs. 17 AMG definiert. Die unmittelbare Anwendung am Patienten ist mit einer Abgabe im Sinne des AMG nicht gleichzusetzen. Hierzu bedürfte es 105
BSG, Urteil vom 19. 03. 2002, – B 1 KR 37/00 R –, BSGE 89, 184 (188 f., 190). Francke, Die regulatorischen Strukturen der Arzneimittelversorgung, MedR 2006, S. 683 ff. (685). 107 BSG, Urteil vom 13. 05. 1998, – B 1 KR 19/96 R –, BSGE 82, 233 (235 ff.) und BSG, Urteil vom 09. 10. 2001, – B 1 KR 15/00 R –, juris Rn. 26. 108 BSG, Urteil vom 19. 3. 2002, – B 1 KR 37/00 R –, BSGE 89, 184 (186 ff.); BSG, Urteil vom 13. 05. 1998, – B 1 KR 19/96 R –, BSGE 82, 233 (235 ff.) und BSG, Urteil vom 09. 10. 2001, – B 1 KR 15/00 R –, juris Rn. 26. 109 So auch die neuere Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 19. 03. 2002, – B 1 KR 37/00 R –, BSGE 89, 184 (188). 110 BSG, Urteil vom 19. 03. 2002, – B 1 KR 37/00 R –, BSGE 89, 184 (188 f.). Das BVerwG verweist ausdrücklich darauf, dass Wirksamkeit und Unbedenklichkeit hinsichtlich jeder Indikation getrennt untersucht werden müsse, so BVerwG, Urteil vom 21. 03. 2013, – 3 C 10.12 –, juris Rn. 17. 111 Eine partielle Gleichsetzung von Off-Label-Use und Unlicensed-Use vornehmend auch Dierks/Finn, in: Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 39. 106
D. Anwendbarkeit des „Nikolaus-Beschlusses“ auf Arzneimittel
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einer eigenen Verfügungsgewalt des Patienten.112 Dennoch hat das BSG noch im Jahr 2002 die Anwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittels im Rahmen der GKV ausgeschlossen. Begründet hat es dies damit, dass dieses mangels Zulassung sonst auf einem verbotswidrigen, strafbaren Verhalten (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG) aufbaue.113 Diese Argumentation führt jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Die Anwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittels ist aufgrund des Verweises auf § 5 Abs. 1 AMG nur bei „bedenklichen“ Arzneimitteln strafbar. Der Begriff „bedenklich“ führt aber auf die vom BSG auch im Rahmen der Leistungsgewährung nach den Vorgaben des „Nikolaus-Beschlusses“ geforderte Nutzen-Risiko-Bewertung zurück. Gegen das AMG wird im Falle der Anwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittels bei einem lebensbedrohlich erkrankten Patienten daher nicht verstoßen, solange die Nutzen-Risiko-Bewertung ergibt, dass die Anwendung unbedenklich ist. Betrachtet man diese Ausführungen im Gesamtkontext, ist ein argumentativer Widerspruch festzustellen: Wenn die Arzneimittelversorgung in der GKV im Einzelfall und bei unmittelbarer Anwendung beim Patienten kein Inverkehrbringen im Sinne des AMG darstellt, kann die fehlende Verkehrsfähigkeit nach § 21 AMG und damit Zulassung gemäß § 25 AMG nicht dazu führen, dass ein nicht zugelassenes Arzneimittel von der GKV nicht im Einzelfall gewährt werden darf. Aus diesem Grund trägt die Differenzierung zwischen Off-Label-Use und Unlicensed-Use argumentativ nicht. Gibt man die Bindungswirkung des AMG hiermit weiter auf, weil die Regelungen des AMG über den Begriff Verkehrsfähigkeit die Regelungen des SGB V nicht vollumfänglich erfassen, kann im Ergebnis auch die fehlende Zulassung keine Bindungswirkung hinsichtlich einer Verordnung zulasten der GKV im Einzelfall entfalten. Das Ergebnis, dass auch nicht zugelassene Arzneimittel im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des „Nikolaus-Beschlusses“ von der GKV zu gewähren sind, wird teilweise auch mit der ausdrücklich für den Compassionate-Use geregelten Ausnahme des Verbringungsverbotes (§ 73 Abs. 3 Nr. 1 AMG) begründet.114 Aus dieser Regelung ergebe sich, dass bei Vorliegen der Vorgaben des „Nikolaus-Beschlusses“ auch im Falle der fehlenden Zulassung kein Verstoß gegen das AMG vorliege.115 Als weiterer Hinweis kann § 73 Abs. 3 Nr. 1 AMG durchaus herangezogen werden. Für die Darlegung, dass kein Verstoß gegen das AMG vorliegt, genügt
112 So auch BVerfGE 102, 26 (34); BSG, Urteil vom 19. 03. 2002, – B 1 KR 37/00 R –, BSGE 89, 184 (188); Dierks/Finn, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 33. 113 BSG, Urteil vom 19. 03. 2002, – B 1 KR 37/00 R –, BSGE 89, 184 (188 f.). 114 Hierauf hinweisend Gödicke, Erweiterte Leistungsansprüche auf Kosten der Erforschung künftiger Behandlungsmöglichkeiten, NVwZ 2006, S. 774 ff. (776). Das BSG nahm dies im Fall Tomudex, hinsichtlich welchem ebenso keine Zulassung vorlag, ebenfalls an, vgl. BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, NZS 2007, S. 141 ff. (143). 115 So Gödicke, Erweiterte Leistungsansprüche auf Kosten der Erforschung künftiger Behandlungsmöglichkeiten, NVwZ 2006, S. 774 ff. (776). Der Compassionate-use stellt insoweit einen besonderen Anwendungsfall des Unlicensed-Use dar.
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der Verweis auf ihn allein aber nicht. Er entkräftet nicht sämtliche zuvor angeführten Argumente, die einen Verstoß gegen das AMG aus anderen Normen herleiten. Bei erfolgter Versagung der Zulassung könnte es indes darauf ankommen, worauf die Ablehnung der Zulassung nach § 25 Abs. 2 AMG beruht.116 Im Falle einer Ablehnung der Zulassung mangels therapeutischer Wirksamkeit bzw. Begründung dieser nach § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG oder fehlender Prüfung nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG ist nicht zwingend auf eine Unanwendbarkeit im Rahmen der GKV zu schließen. Das BVerfG hat im Rahmen lebensbedrohlicher oder regelmäßig tödlich verlaufender Erkrankungen Kriterien hinsichtlich der erforderlichen Wirksamkeitshinweise aufgestellt, die geringere Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis beinhalten, als sie in § 25 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AMG gefordert werden.117 Daher führt die Ablehnung der Zulassung gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AMG nicht zwingend dazu, dass gleichzeitig auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des „Nikolaus-Beschlusses“ zu schließen ist. Zwar sind die im Rahmen von § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG geforderten Nachweise an die therapeutische Wirksamkeit grundsätzlich eher gering, laut der Rechtsprechung des BVerwG müssen jedoch mehr als bloße Indizien für die Wirksamkeit bestehen – insbesondere muss eine größere Zahl an therapeutischen Erfolgen vorzuweisen sein.118 Bei einer derartigen Auslegung der Zulassungsvoraussetzungen des AMG und angesichts dessen, dass eine verfassungskonforme Auslegung dieser Kriterien über Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip nicht zu erfolgen hat, kann einer auf § 25 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 4 AMG beruhenden Versagung der Zulassung keine Bindungswirkung im Hinblick auf die Leistungserbringung durch die GKV zugesprochen werden. Aus diesen Gründen hat die Zulassung nach dem AMG im Bereich lebensbedrohlicher bzw. regelmäßig tödlich verlaufender Erkrankungen nur noch eine Indizwirkung für die Gewährung des Arzneimittels im Rahmen der GKV.119 Eine Bindungswirkung kann die fehlende 116 Ähnlich hinsichtlich der Frage, aus welchen Gründen eine medizinische Behandlungsmethode abgelehnt wurde im Rahmen des § 135 iVm § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V, Padé, Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Lebensgefahr und tödlich verlaufenden Krankheiten, NZS 2007, S. 352 ff. (357). 117 OVG Münster, Urteil vom 02. 12. 2010, – 13 A 489/08 –, PharmR 2011, S. 55 ff. (59); Kügel, in: ders./Müller/Hofmann (Hrsg.), AMG, § 25 Rn. 22, wobei davon ausgegangen wird, dass eine Festigung und Achtung im wissenschaftlichen Diskurs notwendig sei, um eine ausreichende Prüfung anzunehmen. 118 BVerwG, Urteil vom 14. 10. 1993, – 3 C 21/91 –, NJW 1994, S. 2433 ff. (2434), wobei hier angesichts der Gegenüberstellung von größeren Erfolgen der Anwendung gegenüber der Nichtanwendung weniger das Kriterium der Wirksamkeit selbst als die geforderten Unterlagen an den Nachweis hierfür von der Rechtsprechung des BVerfG im „Nikolaus-Beschluss“ abweichen. 119 Anders hingegen BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (176 f.), in welchem es ein systematisches Unterlaufen bzw. Umgehen des arzneimittelrechtlichen Zulassungserfordernisses ausdrücklich ausschließt. Dies widerspricht sich allerdings auch nicht diametral, da die genannten Voraussetzungen lediglich in seltenen Ausnahmefällen als erfüllt anzusehen sind.
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Zulassung im Einzelfall dann aber weder bei einer aufgrund fehlenden Nutzennachweises ausdrücklichen Ablehnung dieser noch im Falle der fehlenden Entscheidung hierüber entfalten. Auch einer auf sonstigen Gründen beruhenden ablehnenden Entscheidung kann eine absolute Bindungswirkung nicht zugesprochen werden. Zwar mag etwa eine abstrakte Risiko-Nutzen-Abwägung für ein Arzneimittel bereits nach dem AMG durchgeführt worden sein,120 in diese Abwägung sind jedoch die durch den „Nikolaus-Beschluss“ geprägten und durch das BSG fortgeführten Grundsätze der Evidenzabstufung und Einbeziehung der besonderen Parameter der Nutzen-RisikoAbwägung im lebensbedrohlichen Bereich nicht eingeflossen. Diesbezüglich ist die nach dem AMG erfolgte Risiko-Nutzen-Bewertung konkret daraufhin zu untersuchen, ob die Risiken auch in einer „notstandsähnlichen Situation“ noch überwiegen. Die hinsichtlich des Off-Label-Use und des sogenannten „Seltenheitsfalls“ für ein Abweichen von der Zulassung nach dem AMG etablierten Grundsätze sind durch den „Nikolaus-Beschluss“ somit weiter ausgeweitet worden. Die Leistungsgewährung von Arzneimitteln in der GKV hängt in diesem Bereich nicht mehr bindend von außerhalb ihres Regelungsbereichs liegenden Fragen ab. Der systemische Verfassungsgedanke des Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip greift bei Arzneimitteln aus diesem Grund ebenso wie bei anderen medizinischen Methoden. Eine vollständige Aufgabe des Konnexes zum AMG ist hierdurch indes nicht erfolgt. Dies würde auch drohen, dazu zu führen, dass Arzneimittel, die im Gegensatz zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im ambulanten Bereich nicht dem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 135 iVm § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V unterfallen, mangels eines aus dem AMG oder SGB V erwachsenden Verbotes unbeschränkt zu Lasten der GKV verordnet werden dürfen. Damit würde die Prüfung der Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V in diesem Bereich allein dem Vertragsarzt – auf sein eigenes wirtschaftliches Risiko (§ 106 SGB V) – überlassen.121 Die Bindungswirkung wird daher nur aufgegeben, wenn die Voraussetzungen des „Nikolaus-Beschlusses“ vorliegen, nicht aber grundsätzlich. Dies geschieht in „Gleichklang“ zu den vom präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt von der Rechtsprechung geprägten Ausnahmen des „System-
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Worauf sich das BSG insbesondere bei seiner fortwährenden Anknüpfung an die Entscheidung nach dem AMG beruft, BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (178 f.). 121 Wie dies im Bereich der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im stationären Bereich nach der Rechtsprechung des BSG bis zur Neuregelung dem Ausschuss Krankenhaus oblag, da hier nicht ein präventives Verbot, sondern eine grundsätzliche Erlaubnis mit repressivem Verbotsvorbehalt zum Ausbau des medizinischen Fortschritts besteht, vgl. BSGE 90, 289 (294); kritisch dazu Felix, Innovative Medizin im ambulanten und stationären Bereich, MedR 2011, S. 67 ff. (70).
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versagens“, des Off-Label-Use und des „Seltenheitsfalles“.122 Der Grundsatz der Zulassungspflicht für Arzneimittel nach dem AMG vor Erbringung durch die GKV ist ebenso wie das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt im Bereich der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden hierdurch nicht gefährdet. Er wird nur in einem weiteren Teilbereich ausgehebelt, in welchem aufgrund der individuellen Besonderheiten dem Vertragsarzt die Entscheidung überantwortet ist. Ein Abschied von der negativen Vorgreiflichkeit des AMG geschieht und muss weiterhin auf Raten geschehen, solange sich der Gesetzgeber nicht dazu entschließt, eine eigene Qualitätsprüfung für Arzneimittel im SGB V zu verankern.
II. Gleichbehandlung von Arzneimitteln und anderen medizinischen Methoden Das Ergebnis, dass die Grundsätze des „Nikolaus-Beschlusses“ auch auf Arzneimittel anzuwenden sind, ist in sich schlüssig. Mögliche Defizite im Arzneimittelrecht dürfen nicht dazu führen, dass Versicherten der GKV im Bereich der Arzneimittelversorgung Therapien vorenthalten werden, die bei anderen medizinischen Behandlungen gewährt werden müssten. Der Leistungsumfang von Arzneimitteln kann logisch nicht mit anderen medizinischen Methoden auseinanderfallen.123 Beide unterliegen grundsätzlich denselben Voraussetzungen im Rahmen des SGB V. Zusätzlich zu den vom BVerfG geforderten Voraussetzungen meint das BSG aber, dass kein Verstoß gegen den Gedanken des Arzneimittelrechts vorliegen dürfe. Deshalb sei eine Abwägung zwischen den Chancen/Nutzen und den Risiken durchzuführen.124 Weiterhin müsse die Behandlung auch nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt und dokumentiert werden.125 Damit wird letztlich eine den arzneimittelrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen vergleichbare Prüfung als Voraussetzung für die Gewährung eines nicht zugelassenen Arzneimittels nach den Grundsätzen der „Nikolaus-Rechtsprechung“ für den Einzelfall gefordert.126 Der GBA bzw. das IQWiG haben in ihren Feststellungen des Kosten-NutzenVerhältnisses eines Medikaments, wenn dieses regelmäßig bei Krankheiten mit le122
Siehe zur Aufnahme von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV und den durch die Rechtsprechung geprägten Ausnahmen auch Felix, Innovative Medizin im ambulanten und stationären Bereich, MedR 2011, S. 67 ff. (67 f.). 123 So auch die Argumentation des BSG schon in seinem Urteil vom 19. 03. 2002, – B 1 KR 37/00 R –, BSGE 89, 184 (187 f.), wobei es die Konsequenz jedoch nur für den Fall der teilweisen Zulassung sieht, bei einer vollständig fehlenden Zulassung jedoch meint, von seiner vorherigen Rechtsprechungslinie nicht abweichen zu müssen, und BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (173 f.); ebenso Hauck, Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Grundgesetz, NJW 2007, S. 1320 ff. (1320). 124 BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (175). 125 BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (175). 126 So auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17. 06. 2010, – L 10 KR 13/06 –, juris Rn. 41.
E. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in § 2 Abs. 1a SGB V
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bensbedrohlichem oder regelmäßig tödlichem Verlauf eingesetzt wird, daher eine abgestufte Prüfung an die Evidenz durchzuführen. Die Prüfung gemäß dem vom BSG und LSG genannten „3-Phasenmodell“127 steht grundsätzlich in Einklang mit der „Nikolaus-Rechtsprechung“ des BVerfG. Im Hinblick auf die mit den Pharmaunternehmen zu führenden Verhandlungen ist bei Arzneimitteln, die im Bereich lebensbedrohlicher Erkrankungen eingesetzt werden und die Kriterien des „Nikolaus-Beschlusses“ erfüllen, nur ein sehr geringer Spielraum anzunehmen. Ein mögliches „Opt-out“ hat zwar nicht dieselben Auswirkungen wie ein Ausschluss von Leistungen. In diesem Fall könnte und müsste das Arzneimittel importiert werden. Da das entsprechende Arzneimittel durch die GKV aber ohnehin gewährt werden muss, erscheint es aber als wenig sinnvoll, in diesem Bereich tiefschürfende Verhandlungen zu führen.
E. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in § 2 Abs. 1a SGB V § 2 Abs. 1a SGB V setzt die Rechtsprechung des BVerfG und der Sozialgerichte um und stellt insoweit eine Klarstellung dar.128 Über die direkten Vorgaben des „Nikolaus-Beschlusses“ hinausgehend wurde in § 2 Abs. 1a SGB V – der Rechtsprechung des BSG folgend – eine Erweiterung der Leistungspflicht auch auf wertungsmäßig lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen gleichstehende Krankheiten vorgenommen. Eine verfassungsrechtliche Diskussion, inwieweit eine Leistungspflicht aus verfassungsrechtlichen Gründen auch in diesem Falle besteht, ist daher im Hinblick auf die bestehende Rechtslage obsolet. Der GBA hat auch seine Richtlinien in bezug hierauf angepasst und klargestellt, dass eine von ihm ausgeschlossene Methode unter den in § 2 Abs. 1a SGB V genannten Voraussetzungen im Einzelfall zu Lasten der GKV angewendet werden kann.129 § 2 Abs. 1a SGB V wird als erfüllt angesehen, „wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls droht, dass sich der tödliche Krankheitsverlauf bzw. der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Körperfunktion innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen wird“.130 Aussagen zur Frage des Einflusses von Wirtschaftlichkeitserwägungen im Rahmen derartiger Erkrankungen enthält § 2 Abs. 1a SGB V demgegenüber nicht, sodass die Regelung keiner weiteren, vertieften Betrachtung unterzogen wird.
127
BSG, Urteil vom 04. 04. 2006, – B 1 KR 7/05 R –, BSGE 96, 170 (178 f.); LSG SachsenAnhalt, Urteil vom 17. 06. 2010, – L 10 KR 13/06 –, juris Rn. 42. 128 BT-Drs. 17/6906, S. 52. 129 § 12 AM-RL, zuletzt geändert am 22. Mai 2014, unter Verweis auf § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V und § 16 Abs. 5 AM-RL in Bezug auf § 31 Abs. 1 S. 4 SGB V. 130 BT-Drs. 17/6906, S. 53.
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F. Auswirkungen der Rechtsprechung auf die Durchführbarkeit von Kosten-Nutzen-Bewertungen Die von der Rechtsprechung ausgeformten grundgesetzlichen Vorgaben aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip sowie Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG könnten Auswirkungen auf den Einfluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen in dem hier näher konturierten Bereich der lebensbedrohlichen und vergleichbar schweren Erkrankungen haben. Sie könnten den Einfluss von Kosten-Nutzen-Erwägungen auf die Ausgestaltung des Leistungsumfanges der GKV ausschließen.
I. Einschränkung von Kosten-Nutzen-Vergleichen de lege lata Die derzeitig praktizierte Anwendung des Wirtschaftlichkeitsgebots aus § 12 Abs. 1 SGB V wird durch diese Art des Verständnisses der aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erwachsenden Verfassungsvorgaben nicht tangiert. Wirtschaftlichkeitserwägungen können im Rahmen von § 12 Abs. 1 iVm § 92 SGB V ohnehin nur bei Vorliegen einer vergleichbar nützlichen Methode vorgenommen werden. In ihrem Anwendungsrahmen greifen daher die von der Rechtsprechung geformten und in § 2 Abs. 1a SGB V geregelten Voraussetzungen nicht. Diesem Ergebnis entspricht auch die Feststellung des BVerfG, dass die Beachtung des gemäß § 12 Abs. 1 SGB V geltenden Wirtschaftlichkeitsgebots bei der Bestimmung des Leistungsumfanges der GKV verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.131 Von der Bindungswirkung der nach § 92 Abs. 1 SGB V erlassenen Richtlinien ergibt sich dieser Rechtsprechung zufolge jedoch eine Ausnahme. Wenn im konkreten Einzelfall – aufgrund von Nebenwirkungen oder einer sonstigen Kontraindikation – eine sonst bestehende andere Behandlungsmethode nicht anwendbar ist und dies dazu führt, dass keine Behandlungsmethode von der GKV gewährt würde, greift ein aus Wirtschaftlichkeitsgründen erfolgter Ausschluss nicht durch.132 Das bedeutet, dass bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder ähnlich schweren Erkrankung die teurere Behandlungsmethode trotz eines schlechten Kosten-NutzenVerhältnisses und hierauf beruhenden Ausschlusses zu gewähren ist, wenn die sonst zu garantierende Methode im Einzelfall nicht angewendet werden kann. Kosten-
131
BVerfGE 115, 25 (45). Das BSG, Urteil vom 07. 11. 2006, – B 1 KR 24/06 R –, juris Rn. 24, geht zwar davon aus, dass nach erfolgter Bewertung durch den GBA ein solcher Anspruch regelmäßig nicht gegeben ist. Die Verwendung des Begriffes „regelmäßig“ und die zuvor erfolgte Maßstabsbildung zeigen jedoch gerade, dass es im Einzelfall einer Durchbrechung dieses Grundsatzes bedarf. 132
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Nutzen-Erwägungen werden somit nicht generell ausgeschlossen, ihre Auswirkungen im Einzelfall jedoch beschränkt.
II. Grenzen für Kosten-Nutzen-Bewertungen de lege ferenda Einer Ausweitung von Kosten-Nutzen-Bewertungen könnten die vom BVerfG aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hergeleiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben allerdings entgegenstehen. Hierfür ist die verfassungsrechtliche Dogmatik des „Nikolaus-Beschlusses“ genauer zu analysieren. Betrachtet man die unterschiedlichen Argumentationspfade des BVerfG getrennt voneinander, so ergeben sich jedenfalls hinsichtlich der vom BVerfG und den Sozialgerichten letztlich stärker hervorgehobenen Grundlage des Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip Zweifel daran, dass sie eine Beschränkung von KostenNutzen-Erwägungen bewirken.133 Das Verfassungsrecht verpflichtet das Gemeinwesen nicht als „paternalistisches Zwangsinstrument“134 dazu, einen bestimmten Anteil seiner Ressourcen in die Gesundheitsversorgung zu investieren. Mit der Einbeziehung des Art. 2 Abs. 1 GG beinhaltet die verfassungsrechtliche Anspruchskonstruktion gleichzeitig sogar eine Beschränkung derartiger Leistungserweiterungen. Art. 2 Abs. 1 GG wird gerade unter dem Aspekt herangezogen, dass durch die Beitragserhebung in ihn eingegriffen wird. Anderes könnte allerdings für die zweite Argumentationslinie gelten, die aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine derartige Beschränkung herleitet. Die Begründung eines Leistungsanspruches aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erscheint wiederum jedoch zum einen dogmatisch als nicht unproblematisch, zum anderen vermag sie, da eine Herleitung von Ansprüchen sowohl aus Schutzpflichten als auch aus sozialen Grundrechten nur sehr beschränkt erfolgt, allenfalls in einem eng begrenzten Bereich Kosten-Nutzen-Erwägungen auszuschließen. In der folgenden Betrachtung wird nicht weiter problematisiert, dass es zu einem Nebeneinander von einer abwehrrechtlichen Perspektive und einer Schutzpflichtkonzeption im Rahmen einer Fallgestaltung kommt. Diese Kumulation ist nicht mit einem „Perspektivwechsel“ des BVerfG zwischen Mitgliedern, „deren Beiträge dem Umfang des Versicherungsschutzes entsprechen oder darüber liegen“, und Mitgliedern, „deren Beitragsleistungen unterhalb dieses Maßstabes liegen“, zu erklä133 Ebenso darauf hinweisend, dass die vom BVerfG gewählten verfassungsrechtlichen Maßstäbe möglicherweise nicht so weit gehen, dass zu sehr hohen Kosten medizinische Methoden mit nur geringfügig lebensverlängernder Wirkung bei sehr schlechter Lebensqualität gewährt werden müssen, Huster, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, DVBl 2010, S. 1069 ff. (1074). 134 Huster, Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, JZ 2006, S. 466 ff. (468).
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ren.135 Bohmeier und Penner sind indes der Ansicht, dass ein Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm Sozialstaatsprinzip für Versicherte erwachsen würde, deren Beiträge höher sind als die von ihnen beanspruchbaren Gegenleistungen.136 Versicherte, deren Beitragsleistungen den Umfang des Versicherungsschutzes unterschreiten würden, hätten demgegenüber einen Anspruch aus der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erwachsenden Schutzpflicht.137 Einen derartigen „Perspektivwechsel“ stellt das BVerfG jedoch nicht an. Im Übrigen betrifft dieser Aspekt auch den in der GKV erfolgenden Solidarausgleich, der schon deshalb keine derartigen Auswirkungen hat, weil er durch das Sozialstaatsprinzip gerechtfertigt wird. Die Argumentation des BVerfG, eine abwehrrechtliche Sichtweise neben eine Schutzpflichtkonstruktion zu stellen, hängt vielmehr damit zusammen, dass der Staat seiner Schutzpflicht mittels eines Eingriffs nachkommt.138 Im Falle der GKV besteht die Schutzpflicht gerade zugunsten desjenigen Personenkreises, in dessen Rechte durch die Beitragserhebung eingegriffen wird. Die Schutzpflicht wird letztlich durch diesen Eingriff erfüllt. Dies hat zur Folge, dass sowohl aus abwehrrechtlicher Perspektive (Art. 2 Abs. 1 GG) als auch aus einer schutzrechtlichen Perspektive (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) Vorgaben zum Leistungsumfang der GKV hergeleitet werden können. Der gegenüber vorangehenden Entscheidungen verstärkt grundrechtlichen Konzeptionierung des Leistungsanspruchs der Versicherten durch das BVerfG steht die hier vertretene Verankerung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht entgegen. Es fragt sich daher, inwieweit eine Verdrängung von Kosten-Nutzen-Erwägungen durch diesen weitergehenden dogmatischen Ansatz des BVerfG überhaupt erfolgt. 1. Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip als Grenze für Kosten-Nutzen-Bewertungen Der im Rahmen des „Nikolaus-Beschlusses“ eingeführte abwehrrechtlich geprägte Argumentationspfad des BVerfG knüpft an die Beitragszahlungsverpflich-
135
So hingegen Bohmeier/Penner, Die Umsetzung des Nikolaus-Beschlusses durch die Sozialgerichtsbarkeit: Fortentwicklung und Widersprüche zu den Vorgaben des BVerfG, WzS 2009, S. 65 ff. (76). 136 Vgl. Bohmeier/Penner, Die Umsetzung des Nikolaus-Beschlusses durch die Sozialgerichtsbarkeit: Fortentwicklung und Widersprüche zu den Vorgaben des BVerfG, WzS 2009, S. 65 ff. (76). 137 Bohmeier/Penner, Die Umsetzung des Nikolaus-Beschlusses durch die Sozialgerichtsbarkeit: Fortentwicklung und Widersprüche zu den Vorgaben des BVerfG, WzS 2009, S. 65 ff. (76). 138 Grundsätzlich zum Verhältnis von Schutz und Eingriff bereits Wahl/Masing, Schutz durch Eingriff, JZ 1990, S. 553 ff.
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tung der Versicherten und damit eigentlich an der Kostenseite an.139 Diese Betrachtung führt an sich zunächst eher zu einer Beschränkung von Krankenversicherungsleistungen und Ausweitung von Kostenerwägungen, nicht jedoch zu einer Leistungserweiterung und Zurücknahme von Wirtschaftlichkeitsaspekten.140 Dennoch konstruiert das BVerfG hieraus eine Erweiterung des krankenversicherungsrechtlichen Leistungsanspruchs.141 Aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip folgt nach Ansicht des BVerfG die Garantie von angemessenen Gegenleistungen durch die GKV, weil diese mittels Beitragszahlungen der Versicherten finanziert wird.142 Der Herleitung dieser Leistungsgarantie aus dem Abwehrrecht gegen Beitragszahlungen ist gleichsam jedoch auch die Beschränkung dieser Garantie bzw. des Anspruches immanent: etwa im Falle des Vorliegens eines zu geringen Nutzens, bei unzureichender Wahrscheinlichkeit des Nutzeneintritts oder einem ungenügenden Kosten-Nutzen-Verhältnis und daher der gesetzgeberischen Entscheidung gegen eine Beitragserhebung für derartige Leistungen. Zwar mag der vom BVerfG gewählte Ansatz hinsichtlich der Herleitung eines Anspruchs aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip stärker von der Tendenz geleitet sein, auf ein individuelles Mitglied abzustellen, dessen Beitrag dem Umfang seines Versicherungsschutzes sowie dem individuell absehbaren Risiko entsprechen muss.143 Eine Einschränkung der Anwendung von Wirtschaftlichkeitserwägungen lässt sich diesem Argument aber im Grundsatz nicht entnehmen.144 Insbesondere der Argumentationsstrang über Art. 2 Abs. 1 GG, welcher den aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entwickelten Kompensationsgedanken für die zu entrichtenden Beiträge enthält, spricht dagegen anzunehmen, dass Kosten-Nutzen-Er139
Dies als abwehrrechtlichen Argumentationspfad einordnend ebenfalls Bohmeier/Penner, Die Umsetzung des Nikolaus-Beschlusses durch die Sozialgerichtsbarkeit: Fortentwicklung und Widersprüche zu den Vorgaben des BVerfG, WzS 2009, S. 65 ff. (76). 140 Hierauf auch hinweisend Ulmer, Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, SGb 2007, S. 585 ff. (589). 141 Die Ausführungen von Vießmann, Der Anspruch auf Krankenbehandlung nach dem SGB V im Spiegel des subjektiv-rechtlichen Gehalts der Freiheitsgrundrechte, VSSR 2008, S. 105 ff. (123 ff.), erscheinen im Hinblick auf die Herleitung des Schutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG als Wahlfreiheit des Versicherten in Bezug auf die Entscheidungsbegründung des BVerfG nicht passend. Das BVerfG stellt ausdrücklich in seiner Konstruktion von Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip auf den Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG aufgrund der Zwangsmitgliedschaft und Beitragserhebung ab. Darüber hinaus erscheint der von Vießmann gesehene Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG wegen einer Einschränkung der Wahlfreiheit des Patienten bei einem Leistungsausschluss aus der GKV insofern als fraglich, als lediglich die Kostenübernahme durch die GKV versagt wird, der Versicherte sich aber dennoch jeder Behandlung unterziehen darf. 142 BVerfGE 115, 25 (43 und 49). 143 Penner/Bohrmeier, Die Umsetzung des Nikolaus-Beschlusses durch die Sozialgerichtsbarkeit: Fortentwicklung und Widersprüche zu den Vorgaben des BVerfG, WzS 2009, S. 65 ff. (76). 144 So grundsätzlich auch BVerfGE 115, 25 (42 ff.).
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wägungen nicht anstellbar wären.145 Ein angemessenes Verhältnis zur Gegenleistung könnte außerdem ebenso gut mittels einer Senkung des Beitragssatzes erreicht werden. Daher erscheint auch aus diesem Grund der Ansatz, über Art. 2 Abs. 1 GG einen weitergehenden Anspruch herzuleiten und Wirtschaftlichkeitserwägungen auszuschließen, nicht zwingend. Ein derartiger Anspruch lässt sich demzufolge aus Art. 2 Abs. 1 GG allein nicht herleiten. Deshalb stellt das BVerfG bei seiner Herleitung der staatlichen Mindestsicherungspflicht wohl auch auf das Sozialstaatsprinzip als zweite Komponente ab. Diesem misst es bei der „näheren Bestimmung und Entfaltung“ der aus Art. 2 Abs. 1 GG erwachsenden Vorgaben maßgebliche Bedeutung bei.146 Aber auch die zweite Komponente der dogmatischen Konstruktion – das Sozialstaatsprinzip – führt aufgrund seiner Ausgestaltung als offenes Verfassungsprinzip nicht zu einer Einschränkung von Kostenerwägungen.147 Das Sozialstaatsprinzip sieht grundsätzlich einen Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers vor, der unter dem Vorbehalt des Möglichen, insbesondere des Finanzierbaren, und Gewollten steht.148 Aus diesem Grund führt auch das Sozialstaatsprinzip grundsätzlich nicht dazu, dass die Kosten bei der Bestimmung des Leistungsumfangs der GKV nicht berücksichtigbar wären.149 Die Kombination zweier durchaus von Wirtschaftlichkeitserwägungen zumindest mitgeprägten Ansätze spricht eher dagegen, dass diese bei der Bemessung des Leistungsumfanges ausgeschlossen sind. Etwas anderes könnte sich nur ergeben, wenn man den Ansatz des BVerfG aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip nicht als um eine leistungsrechtliche Seite angereicherte abwehrrechtliche Konstruktion versteht, sondern als aus Art. 2 Abs. 1 GG erwachsende Schutzpflicht, welche durch das Sozialstaatsprinzip ausgestaltet wird. Eine derartige Deutung lässt das BVerfG selbst in einer Formulierung anklingen.150 Dem widersprechen jedoch die vorherigen Ausführungen des BVerfG zu Art. 2 Abs. 1 GG, denen deutlich ein abwehrrechtlicher Ansatz zugrunde liegt. Der in der Entscheidung plötzlich erfolgende Übergang zur Schutzfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG verwundert daher eher. Aus dem Schutz vor einer Unverhältnismäßigkeit des Beitrags gegenüber der Leistung aus Art. 2 Abs. 1 GG, welcher eindeutig der eingriffsabwehrrechtlichen Perspektive entstammt, leitet das BVerfG allgemein her, dass Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen im Hinblick 145
Siehe zur Herleitung bzw. Begründung von Kosten-Nutzen-Erwägungen insbesondere § 3. C. IX. und D. 146 BVerfGE 115, 25 (43). 147 Allein angewendet, führt das Sozialstaatsprinzip nicht zu einem Bestandsschutz des Systems der sozialen Sicherheit, sodass aus ihm keine Rechte/Ansprüche hergeleitet werden können, vgl. BVerfGE 39, 302 (315). 148 Neumann, Der Grundrechtsschutz von Sozialleistungen in Zeiten der Finanznot, NZS 1998, S. 401 ff. (401), unter Hinweis auf BVerfGE 33, 303 (333) und BVerfGE 43, 13 (19); 56, 1 (21 f.); 59, 231 (263); 70, 278 (288). 149 Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, S. 429. 150 BVerfGE 115, 25 (43).
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auf Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein müssen.151 Mittelbar erwächst hieraus zwar ein Schutz der Versicherten vor Leistungseinschränkungen, eine Schutzpflichtenkonzeption wird im Hinblick auf den Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG jedoch nicht vertreten. Die Verwendung des Begriffes „Schutzfunktion“ im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG ist daher nicht als Schutzpflichtenargumentation zu verstehen, sondern verweist auf die schützende Seite des Art. 2 Abs. 1 GG als Abwehrrecht vor unverhältnismäßigen Eingriffen. Dennoch wird mit der Konstruktion, aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und damit aus einer Eingriffsabwehrperspektive – konkret aus der Rechtfertigung des Eingriffes angereichtert um die Komponente des Sozialstaatsgedankens – eine leistungsrechtliche Komponente der GKV herzuleiten, erstmals durch das BVerfG hervorgehoben, dass bei einer Leistungserbringung im System einer beitragspflichtigen Pflichtversicherung auch aus eingriffsdogmatischer Sicht Anforderungen entstehen.152 Diese an den Leistungskatalog der GKV zu stellenden Anforderungen stehen neben den schutz- bzw. leistungsrechtlichen Grundrechtsforderungen des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie dem inhaltlich kaum bestimmbaren medizinischen Existenzminimum.153 Dass die hieraus herzuleitenden Vorgaben Wirtschaftlichkeitserwägungen auszuschließen vermögen, ist allerdings in Anbetracht ihrer einzelnen Komponenten abzulehnen. Aus Art. 2 Abs. 1 iVm dem Sozialstaatsprinzip folgt daher nicht, dass Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte bei lebensbedrohlichen Erkrankungen grundsätzlich nicht heranzuziehen sind. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Leistungen der GKV ist, ohne dass Wirtschaftlichkeitsaspekte berücksichtigt werden müssten, allein aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip daher nicht herleitbar. Dies gilt selbst dann, wenn man hinsichtlich des in Art. 2 Abs. 1 GG erfolgenden Eingriffs nicht allein auf die Rechtfertigung durch den beanspruchbaren Leistungsumfang der GKV abstellt, sondern die Übernahme einer Garantenstellung des Staates durch die Konstruktion eines derartigen über Beiträge finanzierten Schutzsystems annimmt.154 Zwar kann eine faktische Garantieübernahme durch den Staat mittels der GKV grundsätzlich begründet werden, diese Garantieübernahme findet jedoch ihre Grenze wiederum in dem gesetzlich geregelten Umfang der Garantie – der Ausgestaltung des Leistungsanspruches im SGB V. Allein aus der Tatsache, dass Beiträge für einen bestimmten Zweck erhoben werden, ergibt sich nicht, wie weitgehend der Zweck zu verwirklichen ist. Die Annahme einer weitergehenden Garantie 151
BVerfGE 115, 25 (43). So auch Goecke, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Leistungspflicht der Krankenkassen beim Off-Label-Use von Arzneimitteln, NZS 2006, S. 291 ff. (293); Ulmer, Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, SGb 2007, S. 585 ff. (589). 153 Zur Problematik der Bestimmbarkeit des Inhalts des medizinischen Existenzminimums vgl. etwa Hänlein, Festlegung der Grenzen der Leistungspflicht der Krankenkassen, SGb 2003, S. 301 ff. (308); Neumann, Medizinisches Existenzminimum, NZS 2006, S. 393 ff. (395). 154 So ausdrücklich Goecke, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Leistungspflicht der Krankenkassen beim Off-Label-Use von Arzneimitteln, NZS 2006, S. 291 ff. (295). 152
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des Staates würde sonst dazu führen, dass, wenn der Staat einen bestimmten Zweck verfolgt, er diesen auch bestmöglich verwirklichen muss. In Bezug auf die GKV würde dies zu einem Zirkelschluss führen: Weil bereits Beiträge zur Bereitstellung von Gesundheitsleistungen erhoben werden, müssen noch höhere Beiträge erhoben werden, um weitere Leistungen zur Verfügung stellen zu können. Ein derartiger Zusammenhang ist nicht anzunehmen. Ein Zusammenhang zwischen Beitragspflicht und Umfang der Garantieübernahme besteht vielmehr aufgrund der Rechtfertigungsbedürftigkeit des Eingriffes in Art. 2 Abs. 1 GG und der deshalb vorzunehmenden Abwägung mit dem mit der Beitragsverpflichtung verfolgten Ziel. Aus dieser Abwägung ergibt sich wiederum der leistungsrechtliche Gehalt. Dies erklärt im Übrigen auch das Nebeneinander dieser beiden Aspekte in der Entscheidung des BVerfG. In Kosten-Nutzen-Bewertungen wird dieser Gesichtspunkt des Interessenausgleichs aber gerade umgesetzt. Aus diesem Grund kann eine Anspruchskonstruktion aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip Kosten-Nutzen-Erwägungen nicht ausschließen. Der Erklärungsansatz, ein Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip folge bei lebensbedrohlichen Erkrankungen daraus, dass der Solidarausgleich gerechtfertigt werden müsse,155 vermag einen Ausschluss von KostenNutzen-Erwägungen ebenso wenig zu begründen. Zwar führt der Solidarausgleich zu einer erhöhten Beitragslast für den Bedarf Dritter. Der durch das Sozialstaatsprinzip zu rechtfertigende Solidarausgleich bewirkt jedoch nicht, dass im Falle der Lebensbedrohlichkeit ein umfassender Schutz unter vollständiger Ausblendung von Kostengesichtspunkten zu gewährleisten wäre. Der Überlegung, dass Sinn und Zweck des Ansatzes der GKV gerade war und ist, unvorhersehbare Krankheitssituationen mit schwersten Auswirkungen abzusichern, um existenzielle Bedürfnisse zu befriedigen, ist hingegen beizupflichten. Eine derartige Lage, für die Beitragszahlungen in besonderem Maße erbracht werden und für welche das System der GKV geschaffen wurde, ist bei lebensbedrohlichen Erkrankungen anzunehmen. Kosten-Nutzen-Erwägungen mögen demnach nicht kategorisch ausgeschlossen sein, dass Kostenerwägungen im Falle nur einer bestehenden Behandlungsmöglichkeit bei einem schwerwiegenden Einzelfall im Rahmen eines derart breit finanzierten und auf soziale Absicherung angelegten staatlichen Versicherungssystems tatsächlich einmal überwiegen, ist jedoch kaum vorstellbar. 2. Schutzpflicht/Leistungspflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Der leistungs- bzw. schutzrechtlich geprägte Ansatz über Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG könnte hingegen den Einfluss von Kostenerwägungen und somit die Durchführung 155 Goecke, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Leistungspflicht der Krankenkassen beim Off-Label-Use von Arzneimitteln, NZS 2006, S. 291 ff. (295).
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eines Kosten-Nutzen-Vergleichs ausschließen. Dies wäre dann anzunehmen, wenn Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit alleine, ohne die Zusammensicht mit Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip, einen Anspruch auf Anwendung zumindest einer medizinischen Methode begründen würde. Das BVerfG hat, wie sich aus der Begründung des Beschlusses eindeutig ergibt, einen schutzpflichtdogmatischen Ansatz im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewählt. Ausdrücklich führt das BVerfG aus, dass die angegriffene Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V durch das BSG in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr „auch nicht mit der Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG“ zu vereinbaren sei.156 Sollte die in der Literatur an dem Beschluss geübte Kritik, die sich insbesondere auf die Anwendung der Schutzpflichtdogmatik bezog,157 zutreffen und die Schutzpflichtdogmatik nicht auf die in der GKVabgesicherte Bedrohungslage anwendbar sein, würde man auf den aus sozialen Grundrechten zu gewährenden Leistungsumfang „zurückfallen“. Im Hinblick auf soziale Grundrechte ist anerkannt, dass die Finanzierbarkeit der Leistungen zu berücksichtigen ist – Wirtschaftlichkeitserwägungen werden von sozialen Grundrechten grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Die Argumentation des BVerfG, die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG führe im Falle lebensbedrohlicher Erkrankungen zu einem nicht aus Wirtschaftlichkeitserwägungen einschränkbaren Anspruch des Versicherten, würde in diesem Fall nicht greifen. Kosten-Nutzen-Bewertungen wären nicht ausgeschlossen. Ein abwehrrechtlicher Ansatz hinsichtlich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG greift im Hinblick auf die Leistungsumfangbestimmung der GKV demgegenüber nicht. Der Ausschluss einer Leistung aus der Versorgung durch die GKV führt nicht dazu, dass die medizinische Methode grundsätzlich nicht erbracht werden darf. Vielmehr wird „lediglich“ die Finanzierung durch die GKV versagt. Ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG liegt daher nicht vor. Die teilweise in der Rechtsprechung des BVerfG gesehene Konstruktion eines mittelbaren Eingriffes in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG,158 welcher dieser Ansicht zufolge bei der Vorenthaltung von Leistungen wegen der erheblichen Mittelabsorption durch die GKV anzunehmen wäre, ist nicht zuzustimmen. Der vom BVerfG angeführte Argumentationsstrang der Mittelabsorption bezieht sich auf die Anspruchskonstruktion über Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaats-
156
BVerfGE 115, 25 (49). Heinig, Hüter der Wohltaten?, NVwZ 2006, S. 771 ff. (773); Huster, Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, JZ 2006, S. 466 f. (467); Isensee, Verwaltung des Mangels im Gesundheitswesen – verfassungsrechtliche Maßstäbe der Kontingentierung, in: Söllner/Gitter/Waltermann/Giesen/Ricken (Hrsg.), GS Heinze, S. 417 ff. (428). 158 So Vießmann, Der Anspruch auf Krankenbehandlung nach dem SGB V im Spiegel des subjektiv-rechtlichen Gehalts der Freiheitsgrundrechte, VSSR 2010, S. 105 ff. (132). 157
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prinzip, nicht aber auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.159 Im Übrigen würde diese Argumentation auch zu einer zu starken Ausweitung der Eingriffsdogmatik führen. Über die als Ausnahme statuierte Figur des mittelbaren Eingriffes würde, verstünde man den mittelbaren Eingriff derart weit, die Schutzpflichtdogmatik in die Eingriffsdogmatik „zurückgeholt“.160 Das BVerfG hat diesen argumentativen Weg aber nicht gewählt, sondern ausdrücklich auf die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abgestellt. Angesichts der gewählten Schutzpflichtkonstruktion des BVerfG ist zu untersuchen, ob deren Dogmatik auf den Anwendungsfall der GKV passt. Sinn und Zweck der Dogmatik ist es aufzuzeigen, inwieweit ein Zusammenhang zwischen Fallgestaltungen besteht, sodass diese sinnvollerweise gemeinsam – gleich – zu behandeln sind.161 Die dogmatische Einordnung der Anwendung der Schutzpflicht- oder aber Leistungsdogmatik auf die GKV kann sich auf den Umfang der von der GKV zu gewährenden Leistungen auswirken, da Schutzpflichten nach Ansicht der Literatur im Grundsatz engere Vorgaben beinhalten als soziale Grundrechte.162 a) Aufgabe der Unterscheidung zwischen Schutzpflicht- und Leistungsdogmatik? Die an der Entscheidungsbegründung im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Schutzpflicht- und Leistungsdogmatik geäußerte Kritik trifft jedenfalls insoweit zu, als die Abgrenzung zwischen Schutzpflichten und Leistungsrechten anscheinend nicht mehr anhand des Gesichtspunkts der Notwendigkeit des Schutzes vor privaten Dritten vorgenommen wird.163 Dieses Abgrenzungskriterium stellte das Hauptargument dafür dar, die Schutzpflichtdogmatik nicht auf den Schutz vor Gesundheitsgefahren anzuwenden. Es könnte womöglich jedoch ein anderes Abgrenzungskriterium vom BVerfG gewählt worden sein. Eine vollständige Nachzeichnung der Entwicklung der Leistungs- und Schutzpflichtdogmatik kann und soll an dieser Stelle nicht geleistet werden.164 Es bedarf 159
BVerfGE 115, 25 (44 und 49). Der im Hinblick auf die Rekonstruktion der Schutzpflichten als Eingriffsabwehrrechte geführte Disput wird an dieser Stelle, mangels Relevanz, nicht weiter aufgegriffen. 161 Jarass, Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, AöR 120 (1995), S. 345 ff. (346). 162 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111 Rn 132 f.; Murswiek, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 112 Rn. 49 ff. 163 Zur Beschränkung der Schutzpflichtdogmatik auf grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen durch private Dritte, um eine saubere dogmatische Trennung zur grundrechtlichen Teilhabe- und Leistungsdimension zu gewährleisten, Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 307 ff.; Krings, Grund und Grenzen staatlicher Schutzansprüche, S. 211, beide m.w.N. 164 Weiterführend hierzu siehe Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff.; Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff.; Krings, Grund und Grenzen staatlicher Schutzansprüche, S. 26 ff.; Isensee, in: ders./ Kirchhof 160
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jedoch angesichts der Problematik der Ressourcenverteilung im Rahmen der GKV anhand von Kosten-Nutzen-Bewertungen einer Aktualisierung der Grundrechtsdogmatik165 in Bezug auf die Unterscheidung zwischen Schutzpflicht- und Leistungsdogmatik. Da Leistungsgrundrechte sehr „vage“ sind und in Bezug auf sie eine noch weitere Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besteht als dies schon bei Schutzpflichten der Fall ist, scheint es hinsichtlich des Gewährleistungsumfangs einen Unterschied zu machen, ob eine Fallgestaltung der Schutzpflicht- oder Leistungsdogmatik zuzuordnen ist. Bei der Betrachtung der Divergenzen zwischen Schutzpflichten und sozialen Leistungsrechten lohnt es sich deshalb, einen kurzen Blick zurück auf die beim erstmaligen Aufkommen der leistungsrechtlichen Grundrechtsfunktionen geführte Diskussion zu werfen. Dies zeigt die zum Teil noch bestehende argumentative Verhaftung in der damaligen Kritik. Die Annahme von sich aus der Verfassung ergebenden Leistungsrechten ist insbesondere der tatsächlichen Erkenntnis zu verdanken, dass die Inanspruchnahme zahlreicher Grundrechte faktische Gegebenheiten voraussetzt. Dies hat zur Folge, dass nur derjenige seine Grundrechte in Anspruch nehmen kann, der die Möglichkeit besitzt, sich diese Voraussetzungen zu verschaffen.166 Aus dieser rein faktischen Beobachtung ist über die soziale Gleichheit und Grundrechtseffektivität die Notwendigkeit der Grundrechtsgewährleistung hergeleitet worden. Der Umfang der Leistungsansprüche ist jedoch ungewiss geblieben. Zwar ist insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Frage des Umfangs von verfassungsrechtlichen Schutz- bzw. Leistungsansprüchen immer wieder virulent geworden, eine eindeutige Auffassung hat sich hierzu jedoch nicht herausgebildet. Während die Weimarer Reichsverfassung in Art. 161 noch vorsah, dass unter anderem zur Erhaltung der Gesundheit ein umfassendes Versicherungswesen unter der Mitwirkung der Versicherten zu schaffen sei, ist im Grundgesetz auf eine derartige Regelung verzichtet worden. Trotz der inzwischen weitestgehenden Anerkennung des Bestehens derartiger verfassungsunmittelbarer Leistungsansprüche werden diese unterschwellig noch immer als leges imperfectae, als zu konkretisierende und aktualisierende Ansprüche, aufgefasst. Aufgrund der Knappheit der Ressourcen erzeugen Leistungsansprüche eine Konkurrenz und machen eine Prioritätensetzung notwendig, über welche grundsätzlich der Gesetzgeber als für den öffentlichen (Hrsg.), HStR V, § 111; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 112; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 92 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 26 ff.; Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S. 75 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 40 ff.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 228 ff.; Jaekel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 30 ff., sämtliche m.w.N. 165 Jedenfalls, wenn man diese als Antwort auf konkrete Gefährdungslagen und sich wandelnde Verhältnisse versteht, so Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVStRL 30 (1972), S. 43 ff. (72 f.). 166 Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVStRL 30 (1972), S. 7 ff. (28).
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Haushalt Verantwortlicher zu entscheiden hat.167 Aus diesem Grund ist ein subjektiver Anspruch grundsätzlich erst in der gesetzgeberischen, einfachrechtlichen Ausgestaltung zu erblicken. Der direkt aus Grundrechten hervorgehende Gewährleistungsbereich ist deshalb als begrenzt anzusehen. Die Diskussion um die Anerkennung von Leistungsrechten drehte sich demzufolge von Beginn an sowohl um den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers als auch um die Problematik der Ressourcenknappheit und damit Ressourcenkonkurrenz. Dies spiegelt sich – zumindest teilweise – auch in der von der Literatur vielfach präferierten Unterscheidung von Schutz- und Leistungspflichten des Staates wider. Anders als bei Schutzpflichten spielt im Rahmen der Annahme von Leistungspflichten die Finanzierbarkeit und damit die Ressourcenknappheit eine relevante Rolle. Zur Unterscheidung der Funktionen Schutz- und Leistungspflicht des Staates ist, nachdem zunächst die Abgrenzbarkeit bereits teilweise verneint worden war, vorgeschlagen worden, auf die Ursache – die Gefährdungslage – abzustellen, aus welcher sich die Notwendigkeit staatlicher Hilfeleistung ergibt. Grundrechtliche Leistungsansprüche sind nach dieser Abgrenzung bei einer „gegnerlosen Not“ gegeben, also in Fällen, in denen das Angewiesensein auf staatliche Hilfe auf einem natürlichen oder aber schicksalhaften Risikoeintritt basiert. Schutzpflichten des Staates hingegen beruhen auf dem Verhalten Dritter, gegen deren Beeinträchtigung die Freiheitsrechte sichergestellt werden sollen.168 Diese von der Gefährdungsseite her gedachte Differenzierung der Grundrechtsfunktionen findet sich auch auf Rechtsfolgenebene wieder. Der Schutzfunktion müsse durch den Staat mittels Regelungen, der Leistungsfunktion hingegen durch finanzielle oder sonstige Zuwendungen nachgekommen werden.169 Leistungsrechte im engeren Sinne würden daher faktische, meist finanzielle, Schutzpflichten hingegen normative Leistungen erfassen.170 Dogmatisch knüpft diese Art und Weise der Differenzierung aber nicht nur an die hinsichtlich der Gefährdungslage bestehenden Unterschiede, sondern ebenso sehr an die hierdurch hervorgerufene Güterkollision an. Diese unterscheidet sich darin, dass bei Schutzpflichten Rechte Privater gegeneinander abgewogen werden müssen, während in Leistungskonstellationen der freie staatliche Ressourceneinsatz mit privaten Interessen konfligiert. Dass die grundrechtliche Schutzpflichtdogmatik auf die Konstellation des Eingriffes durch private Dritte beschränkt ist, wurde jedoch keineswegs immer einhellig vertreten. Insbesondere spiegelt sich diese in der Literatur häufiger anzutreffende Differenzierung zwischen den Grundrechtsfunktionen in der Rechtsprechung des 167 Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVStRL 30 (1972), S. 7 ff. (35); Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 112 Rn 49 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, § 67, S. 716 f. 168 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 118 ff.; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111 Rn. 89 und 112. 169 Suhr, Die Freiheit vom staatlichen Eingriff als Freiheit zum privaten Eingriff?, JZ 1980, S. 166 ff. (167, 169); ders., Entfaltung der Menschen durch die Menschen, S. 14 ff. 170 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 403; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111 Rn. 132 f.
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BVerfG so nicht wider. Sie führt darüber hinaus auch zu dogmatischen Widersprüchen. Hinsichtlich der Frage, ob faktische oder normative Leistungen geschuldet sind, kommt es schließlich auch darauf an, gegen welche Staatsgewalt – Legislative oder Exekutive – die Rechte geltend gemacht werden. Grundrechtsfunktionen können jedoch nicht adressatenabhängig bestimmt werden. Darüber hinaus hängt auch die Gefährdungssituation meist nicht maßgeblich davon ab, woher die Gefahr rührt, sondern welcher Art sie ist. Nicht jegliches private Verhalten kann dem Staat zugerechnet und hierüber eine Schutzpflicht angenommen werden. Ein derartiger Differenzierungsansatz zeigt die noch starke abwehrrechtliche Prägung der Unterscheidung von Schutzpflichten und Leistungsrechten. Diese ist jedoch nicht in jedem Punkt stichhaltig. Eine grundrechtliche Schutzpflicht ist daher auch bei weiteren Gefahren, welche nicht von privaten Dritten ausgehen – etwa Naturereignissen wie auch sonstigen auf höherer Gewalt beruhenden Ereignissen – von Teilen der Literatur angenommen worden.171 Das BVerfG hat den Ansatz der Schutzpflicht ebenfalls nicht auf Eingriffe von Dritten beschränkt, wie seine Formulierung „insbesondere“ zeigt.172 Zunächst hat das BVerfG zwar einen Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf eine angemessene Versorgung durch den Staat abgelehnt.173 Zu dieser Zeit führte das BVerfG auch noch aus, dass eine Pflicht zum positiven Tun aufgrund der Forderung des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, „zu schützen“, nicht bei materieller Not greife, sondern lediglich den Schutz vor Angriffen auf die Menschenwürde durch andere erfasse.174 Hieran lässt sich die in der Literatur vorgenommene Unterscheidung zwischen Schutzpflichten und Leistungsrechten anhand der Gefährdungslage durch Dritte oder dem individuellen Schicksal festmachen. Diese strikte Handhabe relativierte das BVerfG jedoch im weiteren Verlauf seiner Rechtsprechung zur Leistungsfunktion der Grundrechte zunehmend. In einer späteren Entscheidung, welche ebenfalls implizit an Art. 1 Abs. 1 GG mit der Feststellung der Notwendigkeit der Sicherung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein anknüpft, durchbricht das BVerfG bereits diese Trennung zwischen Schutzpflichten und Leis171
So etwa Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 102 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 124 f.; Klein, Die grundrechtliche Schutzpflicht, DVBl 1994, S. 489 ff. (490); Vießmann, Der Anspruch auf Krankenbehandlung nach dem SGB V im Spiegel des subjektiv-rechtlichen Gehalts der Freiheitsgrundrechte, VSSR 2010, S. 105 ff. (134 ff.); Stern, Staatsrecht III/1, § 67 V 2, S. 734; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 96 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 75 f. 172 BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 53, 39 (57); 56, 54 (73); 88, 203 (251); 90, 145 (195); hierauf hinweisend insbesondere Neumann/Nicklas-Faust/Werner, Wertimplikationen von Allokationsregeln, -verfahren und -entscheidungen im deutschen Gesundheitswesen, S. 136; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 98. 173 BVerfGE 1, 97 (104), wobei allerdings damals über das Sozialstaatsprinzip ein Anspruch auf willkürfreie Ausübung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums zur Verwirklichung sozialer Zwecke eingeräumt wurde. 174 BVerfGE 1, 97 (104).
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tungsrechten, indem es hinsichtlich der Möglichkeit eines Anspruches ausdrücklich auf das Bestehen einer „allgemeinen Schutzpflicht“ abstellt.175 Das Gericht unterstreicht in dieser Entscheidung ebenfalls den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für die Art und Weise sowie den Umfang der Sicherung. Dieses Gestaltungsspielraums bedarf es nach Ansicht des Gerichts aufgrund der Begrenztheit der vorhandenen Mittel sowie des Bestehens gleichrangiger Staatsaufgaben auch im Hinblick auf diese „allgemeine Schutzpflicht“.176 Dieser Ansatz des BVerfG findet sich auch in seinem Urteil zu der Frage des Bestehens eines Anspruches auf die Schaffung von Studienplätzen wieder. Über die in diesem Urteil ausgeprägte Teilhabedogmatik hinausgehend, die zunächst jedoch nur für bereits geschaffene Ressourcen gilt, greift das BVerfG im Hinblick auf die Erweiterung der Kapazitäten die Konstruktion des Verfassungsauftrages aufgrund des Ausbildungsmonopols, der grundrechtlichen Wertentscheidung sowie des objektiven sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags auf.177 Mangels evidenter Verletzung dieses Verfassungsauftrages lässt das BVerfG es letztlich jedoch dahinstehen, ob sich ein solcher subjektiver Anspruch grundrechtsdogmatisch herleiten ließe.178 Diese Rechtsprechungsentwicklung zeigt somit, dass das BVerfG grundsätzlich Leistungsrechte im weiteren Sinne für aus der Verfassung herleitbar hält, eine Unterscheidung zwischen Schutzpflicht und Leistungsrecht hierbei jedoch nicht eindeutig trifft. Die Anwendung der Schutzpflichtargumentation durch das BVerfG auf krankenversicherungsrechtliche Leistungen ist weiterhin auch nicht wirklich als neu zu bezeichnen. In dem „Nikolaus-Beschluss“ ist der schutzpflichtdogmatische Ansatz zur Bestimmung des Leistungsumfangs der GKV nicht erstmalig herangezogen worden. Hinzugekommen ist vielmehr „lediglich“ eine inhaltliche Konkretisierung des Untermaßgebots. Die Schutzpflichtdogmatik ist bereits zuvor vom BVerfG – jedoch ohne konkrete Auswirkungen zu haben – auf die Leistungserbringung durch die GKV angewendet worden.179 Demzufolge dürfte letztlich auch weniger der dogmatische Ansatz, als vielmehr die Folgen seiner Anwendung sowie die Befürchtung der Ausweitung eines derartigen Verfassungsverständnisses die laut gewordene Kritik hervorgerufen haben. Dass diese Kritik größtenteils erst nach Ergehen des „Nikolaus-Beschlusses“ geäußert worden ist, spricht ebenfalls hierfür.180
175
BVerfGE 40, 121 (133). BVerfGE 40, 121 (133). 177 BVerfGE 33, 303 (333). 178 BVerfGE 33, 303 (333). 179 BVerfG, Beschluss vom 28. 07. 1987, NJW 1987, 2287; BVerfG, Beschluss vom 05. 03. 1997, – 1 BvR 1071/95 –, NJW 1997, S. 3085; BVerfG, Beschluss vom 05. 03. 1997, – 1 BvR 1068/96 –, MedR 1997, S. 318 f. (319); BVerfG, Urteil vom 19. 03. 2004, NZS 2004, S. 527 f.; BVerfG, Beschluss vom 22. 11. 2002, NJW 2003, S. 1236 f. (1237). 180 Möglich ist allerdings ebenso, dass aufgrund der erstmaligen Auswirkungen der Anwendung der Schutzpflichtdogmatik diese erst zur Kenntnis genommen wurde, sodass der hier gezogene rhetorische Schluss nicht zwingend ist. 176
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Begründet wird die Anwendung der Schutzpflichtdogmatik auf die Situation der GKV insbesondere mit der dogmatischen Herleitung der Schutzpflicht aus dem objektiv-rechtlichen Wertgehalt der Grundrechte sowie dem Hinweis auf die in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG festgelegte Pflicht zum Schutz der Menschenwürde.181 Diese Herleitung greift aber auch in weiteren, anders gelagerten Fallgestaltungen, sofern eine der Beeinträchtigung durch Dritte vergleichbare Gefährdungslage besteht.182 Die Annahme, dass eine Beeinträchtigung durch Dritte für die Anwendung der Schutzpflichtdogmatik notwendig wäre, scheint insoweit dem teilweise vertretenen methodischen Ansatz der „abwehrrechtlichen Lösung“ – der Rekonstruktion der Schutzpflicht aus einer abwehrrechtlichen Perspektive – nahe zu sein. Dem wird entgegengehalten, dass die Schutzpflicht grundsätzlich eine andere Konstellation erfasse und nur bei einer Ingerenz in Gestalt eines staatlichen Ein- oder privaten Übergriffs zur Anwendung gelange, welche im Rahmen des Gesundheitswesens nicht vorliege.183 Schutz vor Gefahren- oder Risikoquellen im weitesten Sinne, die nicht individuell einem Dritten zurechenbar sind, würden vom individuellen Grundrechtsschutz nicht erfasst. Sie führten zu einer Überdehnung der individualrechtlichen Grundrechtsfunktion auf eine allgemeine Sicherungsgewährleistung.184 Dies gelte insbesondere für die staatliche Sozialvorsorge, welche den Schutz vor allgemeinen Lebensrisiken, wie auch der Krankheit, erfasse.185 Die Gewähr der realen Voraussetzungen unterliege nicht demselben gedanklichen Regime wie die Wahrung bestehender Rechte, welche der Schutzpflichtdogmatik zugrundeliegen würde.186 Staatliche Leistungsansprüche stehen grundsätzlich unter dem „Vorbehalt des Möglichen“. Die Möglichkeit wird somit als „Entstehungsvoraussetzung“ des Leistungsanspruches behandelt.187 Soziale Rechte sind auf Verteilungsmasse angewiesen und werden durch die Begrenzung der Ressourcen
181 Zur Herleitung von Schutzpflichten grundlegend Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 34 ff. m.w.N. 182 Hierauf hinweisend auch Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 124; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 76 und Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 80 f. 183 Krings, Grund und Grenzen staatlicher Schutzansprüche, S. 136 f.; Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S. 245; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 118 f.; Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte, S. 86 f. 184 Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S. 244. 185 Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S. 245; ebenso Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111 Rn. 132 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 119; Krings, Grund und Grenzen staatlicher Schutzansprüche, S. 212. 186 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111 Rn. 132; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 119. 187 BVerfGE 33, 303 (333), wobei hier stärker noch darauf abgestellt wird, ob in evidenter Weise der Verfassungsauftrag verletzt wurde; konkret zum „Vorbehalt des Möglichen“ Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVStRL 30 (1972), S. 43 ff. (65, 107, 139).
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relativiert, dies gelte für Schutzpflichten aber gerade nicht.188 Während Schutzpflichten primär auf „ordnende bzw. einrichtende Regelungen“ gerichtet seien, würden soziale Grundrechte finanzielle und sonstige Leistungen beinhalten und wären deshalb dem Bild des „lenkenden, leistenden, verteilenden Staat[es]“ zugehörig.189 Das Bestehen einer Nähe zwischen Schutzpflicht- und Leistungsdogmatik ist angesichts ihrer Ausrichtung auf positive Maßnahmen bereits früh erkannt worden.190 Es existieren unterschiedliche Vorschläge, anhand welcher Kriterien sie voneinander abzugrenzen sind. Unter Einbeziehung der Rechtsprechung des BVerfG erscheint folgende Abgrenzung als am zweckmäßigsten: Während sich die Leistungsfunktion der Grundrechte allein auf das Verhältnis zwischen Grundrechtsinhaber und Staat, demzufolge die Grundrechtsausübung und eine öffentliche Aufgabe bezieht, geht es im Rahmen des Schutzpflichtenansatzes um das Verhältnis des Grundrechtsinhabers zu anderen Bürgern, mithin um eine Dreieckskonstellation.191 Die damit mögliche Unterscheidung der Grundrechtsfunktionen anhand der Notwendigkeit der Abwägung mit Rechten Dritter im Gegensatz zur staatlichen Finanzierungsverantwortung ermöglicht eine sinnvolle Differenzierung zwischen sozialen Leistungsrechten und Schutzpflichten. Hieraus ergibt sich eine trennscharfe Abgrenzung und Begründung für ein unterschiedliches methodisches Vorgehen zwischen Schutz- und Leistungsfunktion trotz der Kohärenz der Ausrichtung beider Funktionen auf eine positive Maßnahme anstatt eines Unterlassens. Diese Abgrenzung steht zwar der angeführten Konzeption nahe, schlussendlich hängt sie jedoch nicht von einer Beeinträchtigung durch Dritte ab. Entscheidend ist vielmehr, welche Rechtsgüter gegeneinander in Ausgleich gebracht werden müssen. Hiernach kommt es für die Anwendung der Schutzpflichtdogmatik auf das Bestehen eines Dreiecksverhältnisses in dem Sinne an, dass eine Abwägung zwischen den Belangen Privater stattzufinden hat, die durch den Staat lediglich mediatisiert wird. Ein solches Dreiecksverhältnis ist für körperimmanente Gesundheitsstörungen in der Literatur, mangels Schaffung einer Gefahrenquelle durch einen externen Störer, bisher größtenteils unter Verweis auf die bereits dargelegten Argumentationslinien abgelehnt worden.192 Auch der gegenteilige Ansatz des BVerfG, welches eine Schutzpflicht des Staates ausdrücklich beispielsweise im Falle von HIV angenom188
Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111 Rn. 132. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 119. 190 Hierzu etwa Jarass, Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, AöR 120 (1995), S. 345 ff. (351, 355 f.); Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 111 Rn. 132 f. 191 Jarass, Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, AöR 120 (1995), S. 345 ff. (351; 356); so auch Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S. 256 ff., der allerdings im Hinblick auf den Gesundheitsschutz eine Schutzpflichtkonstruktion ablehnt; speziell in Bezug auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 113 ff. 192 Krings, Grund und Grenzen staatlicher Schutzansprüche, S. 210. 189
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men hat,193 wird in diese dogmatische Betrachtungsweise eingeordnet. Dies lässt sich damit begründen, dass es sich bei HIV um einen übertragbaren Virus handelt und daher eine Beeinträchtigung durch Dritte angenommen werden kann.194 Um eine übertragbare Krankheit handelte es sich bei der der „Nikolaus-Entscheidung“ zugrundeliegenden Duchenne’schen Muskeldystrophie indes nicht. Diese Aufspaltung in übertragbare Krankheiten (Infektionskrankheiten) und sich ohne Zutun herausbildende Erkrankungen (bspw. genetische Erkrankungen) erscheint vor dem Hintergrund häufig medizinisch unklarer Kausalitätsketten jedoch als ungeeignet. Exogene und endogene Ursachen für Krankheiten können zwar im Grundsatz medizinisch unterschieden werden, zumindest teilweise mangelt es jedoch an einer eindeutigen Rückführbarkeit. Dies zeigt etwa die Diskussion um genetische Prädispositionen. Hervorzuheben ist außerdem, dass es dogmatisch – bei einer im Ergebnis gleich gelagerten Not – unplausibel erscheint, Gewährleistungsunterschiede je nach Art der Erkrankung zu machen. Betrachtet man beispielweise ein und dasselbe Krankheitsbild, welches exogen ebenso wie endogen verursacht werden kann, käme es bei Anwendung unterschiedlicher dogmatischer Anknüpfungspunkte je nach Art der Verursachung möglicherweise zu Leistungsunterschieden. Als Beispiel für die medizinische Möglichkeit der sowohl exogenen als auch endogenen Verursachung desselben Krankheitsbildes sei hier die Leberzirrhose genannt, welche bei einigen Patientengruppen nur mittels einer Lebertransplantation behandelt werden kann. Leberzirrhose kann auf vielfältige Arten entstehen – bspw. aufgrund von Alkoholmissbrauch oder aber einer Hepatitisinfektion. Die Behandlungssituation stellt sich jedoch unabhängig von der Verursachung identisch dar.195 Dies spricht, in Anbetracht des Bestehens letztlich derselben Gefahr, dafür, dass man jedenfalls in der staatlichen Gewährleistung zu demselben Ergebnis zu gelangen hat. Es liegt daher nahe, auch dogmatisch denselben Begründungsansatz zu wählen. Unabhängig davon, dass im Hinblick auf diese Argumentation schon fraglich erscheint, ob sich eine Unterscheidung zwischen Schutzpflicht- und Leistungsdogmatik grundsätzlich überhaupt eignet, kann das für die Unterscheidung genannte Abgrenzungskriterium – das Dreiecksverhältnis – im Rahmen der GKV aber auch anders konstruiert werden. Nimmt man ein Dreiecksverhältnis als für die Anwendbarkeit der Schutzpflichtdogmatik notwendig an und versteht dieses als zwischen privaten Interessen anzustellende Abwägung durch den Staat, lässt sich diese Voraussetzung im Falle der GKV herleiten, ohne eine Differenzierung zwischen 193
BVerfG, NJW 1987, S. 2287. Krings, Grund und Grenzen staatlicher Schutzansprüche, S. 210. 195 Vgl. Schuppan/Afdhal, Liver cirrhosis, Lancet 2008, S. 838 ff. (839 und 846). Bei Hepatitis B und C, welche beide dieses Krankheitsbild verursachen können, handelt es sich um Infektionskrankheiten. Darüber hinaus erscheint es medizinisch als wahrscheinlich, dass eine genetische Disposition das Risiko einer Leberzirrhose jedenfalls erhöht, Selmi/Bowlus/ Gershwin/Coppel, Primary biliary cirrhosis, Lancet 2011, S. 1600 ff. (1601). 194
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Infektionskrankheiten, Erbkrankheiten, Zivilisationskrankheiten etc. vornehmen zu müssen. Dies hängt damit zusammen, dass die GKV beitrags- und nicht steuerfinanziert ist. Während eine Steuerfinanzierung aufgrund der Trennung zwischen Erhebung und staatlichen Verwendung allein das Staat-Bürger-Verhältnis betrifft, führt die Beitragsfinanzierung zu einer Konnexität zwischen Leistung und Gegenleistung. Hierdurch wird ein Dreiecksverhältnis hinsichtlich der in der GKV kumulierten, gegenläufigen Interessen erzeugt. Dies zeigt schon das auf Beitragserhebungen grundsätzlich anzuwendende Äquivalenzprinzip, das sowohl in individueller als auch abstrakter Hinsicht gilt.196 Im Rahmen der GKV findet eine „Kollektivierung“ unterschiedlicher Interessen statt. Dies betrifft auch das Verhältnis der Beiträge zum Leistungsumfang. Selbst jeder einzelne Versicherte hat, obwohl dies an sich widersprüchlich ist, ein Interesse sowohl an niedrigen Beiträgen als auch an möglichst umfangreichen Leistungen. Von Versichertem zu Versichertem variiert die Intensität des jeweiligen Interessenschwerpunkts. Dies hat zum einen mit den Einkommensunterschieden der in der GKV vereinigten Versicherten zu tun, zum anderen ist dies auf Mentalitätsunterschiede zurückzuführen. In der GKV ist daher ein intrapersonaler wie auch interpersoneller Interessenausgleich vorzunehmen. Dies zeigt, dass hinsichtlich der Abwägung zwischen Beitragshöhe und Leistungsumfang Interessen Privater kollidieren. Aus dem Schutz durch Eingriff wird sozusagen ein Schutz wegen konnexem Eingriff. Das Nebeneinander dieser beiden Aspekte in der „Nikolaus-Entscheidung“ des BVerfG ergibt sich auch aus diesem Grund. Der Anwendung der Schutzpflichtdogmatik auf die Leistungen der GKV ist somit aus mehreren Gründen zuzustimmen. Mit der Annahme, dass die Schutzpflichtdogmatik auf die von der GKV zu gewährenden Leistungen anzuwenden ist, entfällt die Abgrenzbarkeit zwischen Schutzpflicht- und Leistungsdogmatik nicht zwingend. Die Differenzierungsmöglichkeit zwischen Schutzpflichten und sozialen Grundrechten besteht angesichts der möglichen Konstruktion der Betrachtung als Dreiecksverhältnis weiterhin. Der argumentative Ansatz der Schutzpflicht über Art. 1 Abs. 1 GG und den objektiven Wertgehalt der Grundrechte weist jedoch in die Richtung, dass es zu einer Ablösung der sozialen Grundrechte durch die Schutzpflichtdogmatik kommen wird. Aufgrund der Erweiterung der Schutzpflichtdogmatik werden die relevanten sozialen Grundrechte in ihr aufgehen und über diese hinausgehend keine, jedenfalls keine bedeutungsvollen, subjektiven Rechte auf Leistung bestehen. Der über die Schutzpflichtdogmatik hinausgehende Leistungsansatz wird sich bei Weiterverfolgung dieser Dogmatik letztlich allein im Sozialstaatsprinzip wiederfinden.197 Die größ196
Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 6, in dem hier von ihm dargestellten engeren Sinne des juristischen Sprachgebrauchs, der Äquivalenz bezogen auf die konkret-individuelle Gegenleistung; Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung, S. 100 ff. (113 f. und 145 ff.). 197 So auch Ortmann, Die Finanzwirksamkeit verfassungsgerichtlicher Entscheidungen im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 81.
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tenteils erfolgte Einordnung des Existenzminimums als Schutzpflicht, das teilweise Verständnis dieses sogar als „Wurzel“ der Schutzpflichtdogmatik,198 und damit das Hinüberziehen der im Rahmen der sozialen Grundrechte anerkannten Minimalgarantie weist in die gleiche Richtung.199 b) Untermaßgebot im Rahmen sozialer Grundrechte Betrachtet man das Untermaßgebot weniger als allein in der Schutzpflichtdogmatik verankert, sondern vielmehr als eine „Kategorie des staatlichen Unterlassens“,200 könnte dieses auf die Bedrohungssituation durch Krankheit – auch bei Verneinung der Anwendung der Schutzpflichtdogmatik – im Rahmen sozialer Leistungsrechte in Stellung zu bringen sein. Selbst bei Annahme einer Leistungskonstellation würde man in diesem Falle zu keinem anderen Ergebnis gelangen als bei Anwendung der Schutzpflichtdogmatik. Ein Angleichen der Schutzpflicht- und Leistungsdogmatik ist daher auch in diesem Punkt zu beobachten. 3. Mindeststandard als Grenze von Kosten-Nutzen-Erwägungen Der Dogmatik des „Nikolaus-Beschlusses“ und den auf diesem aufbauenden Entscheidungen ist demzufolge eine Grenze für Kosten-Nutzen-Erwägungen dergestalt zu entnehmen, dass im Falle einer besonders schweren Betroffenheit im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Kostenerwägungen keinen Vorrang vor Nutzengesichtspunkten innehaben können. Dies folgt zum einen aus der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und zum anderen aus der Entscheidung für ein zwangsmitgliedschaftliches, beitragsfinanziertes Versicherungssystem in der derzeitig auf vollumfängliche Versorgung ausgerichteten Form (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip). Bei einer gesetzlichen Veränderung der Leistungsbestimmung der GKV könnte allerdings – je nach Art der Veränderung des Systems der GKV – das Argument aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip entfallen. Auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG fordert nicht in jeder Fallgestaltung zwingend, dass Kosten-Nutzen-Erwägungen keinen Ausschluss einer Behandlungsmethode aus der GKV bewirken dürfen. Der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist außerdem nicht zwangsläufig im Rahmen der GKV nachzukommen, sodass Kosten-Nutzen-Bewertungen nicht ausgeschlos198 Ortmann, Die Finanzwirksamkeit verfassungsgerichtlicher Entscheidungen im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 76 f. 199 Während Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, § 112 Rn. 98 f. das Existenzminimum als soziales Grundrecht einordnet, wird andernorts das Existenzminimum als staatliche Schutzpflicht angesehen, vgl. Lorenz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 128 Rn. 52; von Arnauld, Das Existenzminimum, in: ders./Musil (Hrsg.), Strukturfragen des Sozialverfassungsrechts, S. 251 ff (292 f.); Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, S. 63 f. 200 So Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 42 f.
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sen werden, solange der Schutzpflicht andernorts nachgekommen wird. Derzeit hat sich der Gesetzgeber allerdings grundsätzlich dazu entschieden, wie die Rückverweisung aus § 48 SGB XII und die Pflichtversichertenstellung der Bezieher von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V zeigt, seine Schutzpflicht mittels der GKV zu erfüllen.201 Des Hinweises auf die Möglichkeit einer anderweitigen Schutzpflichterfüllung bedurfte es im Rahmen des „Nikolaus-Beschlusses“ daher nicht. Ein solcher hätte in Anbetracht der derzeitigen Regelungssituation nicht gegriffen, sondern zirkelschlüssig auf andere Sozialversicherungssysteme verwiesen. Die Schutzpflicht greift grundsätzlich jedoch nur im Einzelfall, bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder vergleichbar schweren Erkrankung und gleichzeitig mangelnder Möglichkeit der Selbstversorgung. Letzteres führt dazu, dass die Schutzpflicht nur subsidiär besteht. Die im „Nikolaus-Beschluss“ entwickelte Dogmatik vermag daher nur im Einzelfall Kosten-Nutzen-Bewertungen auszuschließen. Ein Mindeststandard, wie teilweise von der Literatur vertreten,202 wird hiermit nicht begründet – jedenfalls, wenn man Standard als grundsätzlichen Mindestleistungsumfang und nicht nur Sicherungspflicht im Einzelfall versteht.203 Diesem Ergebnis entspricht auch das Gewaltenverhältnis zwischen Judikative und Legislative. 4. Der Erstinterpret der Verfassung Als Konsequenz des Demokratieprinzips ist der Gesetzgeber im Falle von Konflikten zwischen unterschiedlichen sozialen Interessen dafür zuständig, Verteilungsentscheidungen zu treffen, wenn nicht die Verfassung in diesem Bereich
201
Ob dies allerdings noch für sämtliche Bereiche gilt, erscheint fraglich, wie etwa die Rechtsprechung zur Gewährung von bspw. Zahnersatz zeigt. Allerdings bezieht sich diese Entscheidung auf das soziokulturelle Existenzminimum, da aus medizinischen Gründen keine weitergehende Versorgung notwendig war, vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. 09. 2007, – L 28 B 1552/07 AS ER –, juris Rn. 2; ebenso Neumann, Das medizinische Existenzminimum zwischen Sozialhilfe und Krankenversicherung, RsDE 68 (2008), S. 1 ff. (6). Eine umfassende Sicherung des medizinischen Existenzminimums durch die GKV annehmend BayLSG, Beschluss vom 19. 12. 2012, – L 11 AS 821/12 B ER –, juris Rn. 21; BSG, Urteil vom 19. 9. 2008, – B 14/7b AS 10/07 R –, juris Rn. 26. Mit § 21 Abs. 6 SGB II ist nunmehr allerdings auch im SGB II grundsätzlich die Möglichkeit gegeben, zusätzlich zu nach dem SGB V zu erbringenden Leistungen noch Leistungen zur Sicherung des medizinischen Existenzminimums zu gewähren. 202 So Heinig, Hüter der Wohltaten?, NVwZ 2006, S. 771 ff. (772); Danneker/Katzenmeier/Huster/Penner/Schmitz-Luhn/Streng, Der „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG – Auswirkungen auf das Öffentliche Recht, das Zivilrecht und das Strafrecht, in: Wolgemuth/Freitag (Hrsg.), Priorisierung in der Medizin, S. 158 ff. (166); Dettling, Grundrechte, neue Behandlungsmethoden und Grenzen der Rationierung in der GKV, GesR 2006, S. 97 ff. (102 f.). 203 Diesbzgl. erscheint der „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG durchaus als problematisch, da es um die Erstattung der Kosten nach § 13 Abs. 3 SGB V ging, eine Selbstversorgung demnach also vorgenommen wurde – allerdings durch die Eltern.
F. Auswirkungen der Rechtsprechung auf Kosten-Nutzen-Bewertungen
283
konkrete Vorgaben enthält.204 Dieser Grundsatz setzt sich darin fort, dass der Gesetzgeber als Erstinterpret der Verfassung eine Auslegungsprärogative innehat.205 Dies gilt, wie die Rezeption der Diskussion um die Anerkennung von Leistungsrechten zeigt, insbesondere in ihrem Fall, da mit der Anerkennung verfassungsrechtlicher Leistungsvorgaben eine Beschränkung der Haushaltshoheit des Parlaments einhergeht.206 Gleichzeitig ist der Grundrechtsschutz jedoch auch gegenüber dem Finanzstaat in Stellung zu bringen.207 Die Diskussion über die Anerkennung von weitgehenden subjektiven Leistungsrechten ist insbesondere auch mit Blick auf die Erweiterung der Kontrollkompetenzen der Judikative gegenüber der Legislative und der Angst vor einer damit einhergehenden Usurpation des Gewaltenteilungsgefüges zu verstehen. Hinsichtlich der Schutzpflichtdogmatik stellt sich diese grundsätzliche Frage nach der Stellung des BVerfG zur Legislative in besonderem Maße, da mit der Anerkennung von Schutzpflichten, insbesondere im Rahmen des Untermaßgebots, eine Regelungsverpflichtung der Legislative einhergeht. Bei extensiver Anwendung läuft das BVerfG deshalb Gefahr, das „Gebiet des Gesetzgebers“ zu betreten.208 Unter diesem Aspekt erscheint es zweifelhaft, ob das BVerfG die aus der Gewaltenteilung folgende Kompetenzabgrenzung zwischen Legislative und Judikative einhalten würde, wenn es über den Einzelfall hinausgehend Leistungen der GKV zuspräche, die der Verteilungsentscheidung des Gesetzgebers zuwiderlaufen.209 Der „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG ist in der Literatur unter diesem Gesichtspunkt ebenfalls deutlich kritisiert worden: „Eine Grundrechtsdogmatik, die verfassungsunmittelbare medizinische Leistungsansprüche konstruiert, die ausschließlich auf den Gesundheitszustand des Betroffenen und die (auch nur potentielle) medizinische Zweckmäßigkeit der Leistung abstellen, ohne eine Kosten-Nutzen-Abwägung zuzulassen, begibt sich auf einen falschen Weg und bestätigt in ihrer Problematik die traditionelle Einsicht, dass soziale Leistungsrechte mit Verfassungsrang jedenfalls dann, wenn sie über ein strikt eingrenzbares Minimum hinausgehen, für die Architektur des gewaltenteilenden Verfassungsstaates außerordentlich gefährlich
204 Herdegen, Verfassungsinterpretation als methodische Disziplin, JZ 2004, S. 873 ff. (874 f.). 205 Kirchhof, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, S. 5 ff. (16). 206 Ortmann, Die Finanzwirksamkeit verfassungsgerichtlicher Entscheidungen im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 571 ff., im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz und passim; Ulmer, Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, SGb 2007, S. 585 ff. (589). 207 Kirchhof, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, S. 5 ff. (13). 208 Mahrenholz, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, S. 23 ff. (31). 209 Huster, Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG vom 06. 12. 2005, JZ 2006, S. 466 ff. (468).
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§ 4 Verfassungsrechtliche Grenzen
sind.“210 Dem hier vertretenen Verständnis des dogmatischen Neuansatzes des BVerfG steht das Gewaltenteilungsgefüge hingegen nicht entgegen, da lediglich in besonders gelagerten Einzelfällen Leistungen zugesprochen werden.211 Bei einer grundsätzlichen Neuausrichtung der GKV auf die Bestimmung des Leistungskataloges anhand von Kosten-Nutzen-Bewertungen wäre das BVerfG aufgrund seiner Stellung darin eingeschränkt, die grundsätzliche Verfassungswidrigkeit dieser anzunehmen, da die Organisation von Solidarität die vorrangige Aufgabe des Gesetzgebers ist. Das BVerfG wird Erweiterungen des Leistungskataloges der GKV daher grundsätzlich nur in verfassungsrechtlich besonders geprägten Randbereichen herbeiführen.212 Zu diesen Randbereichen zählen – versteht man diese wie geschehen in zeitlichem Kontext eng – akut lebensbedrohliche Erkrankung. Bei dem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung in einer öffentlichrechtlichen Zwangsversicherung handelt es sich demzufolge zwar nicht um eine „verfassungsfreie Zone“, jedoch um einen „justizberuhigten Raum“.213 Einer Ausweitung von Kosten-Nutzen-Bewertungen stehen daher Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nur in spezifischen Einzelfallgestaltungen entgegen. Sie verhindern eine grundsätzliche Erweiterung von Kosten-Nutzen-Bewertungen zur Bestimmung des Leistungsumfanges der GKV nicht, solange diese vom Gesetzgeber entweder selbst umgesetzt werden oder aber er derart spezifische Vorgaben hinsichtlich der Bewertung macht, dass hiergegen auch aus legitimatorischer Sicht keine Einwände zu erheben sind.
III. Zwischen individueller Bedürftigkeit und finanzieller Verantwortung (Zwischenergebnis) Das richtige Maß zwischen „Über- und Untermaß“ zu finden, stellt sich als eine wiederkehrende Aufgabe des Sozialstaates dar, welcher er im Rahmen eines politisch-parlamentarischen Prozesses nachzukommen hat.214 Die Abwägung zwischen 210 Danneker/Katzenmeier/Huster/Penner/Schmitz-Luhn/Streng, Der „Nikolaus-Beschluss“ des BVerfG – Auswirkungen auf das Öffentliche Recht, das Zivilrecht und das Strafrecht, in: Wolgemuth/Freitag (Hrsg.) Priorisierung in der Medizin, S. 158 ff. (166). 211 So auch Becker, Das Recht auf Gesundheitsleistungen, in: Manssen/Jachmann/Gröpl (Hrsg.), FS Steiner, S. 50 ff. (67 ff.). 212 Zur Problematik der Rolle des BVerfG bei der Verteilung von zusätzlichen Leistungen aus Verfassungsgründen ohne Finanzierungsverantwortung Steiner, Das Bundesverfassungsgericht und die Gesundheit der Deutschen, in: Kingreen/Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129 ff. (138 f.). 213 Steiner, Das Bundesverfassungsgericht und die Gesundheit der Deutschen, in: Kingreen/ Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 129 ff. (140). 214 Denninger, Vom Elend des Gesetzgebers zwischen Übermaßverbot und Untermaßverbot, in: Däubler-Gmelin/Kinkel/Meyer/Simon (Hrsg.), Gegenrede, FS Mahrenholz, S. 561 ff. (569).
F. Auswirkungen der Rechtsprechung auf Kosten-Nutzen-Bewertungen
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individuellen Bedürfnissen und dem Umfang finanzieller Verantwortung kann hierbei unterschiedlich ausfallen und hängt neben wirtschaftlichen Gegebenheiten auch von politischen Gesichtspunkten ab. Der Verfassung können nur in einem engen Bereich eindeutige Vorgaben entnommen werden, innerhalb welcher entweder die Verantwortung des Staates für die Finanzierbarkeit oder aber seine Verantwortung für die Bedürfnisse des Individuums eindeutig überwiegt. Die finanzielle Verantwortung des Staates hat sich der individuellen Bedürftigkeit in existenzbedrohlichen Situationen unterzuordnen. Dies zeigt der „Nikolaus-Beschluss“ unter anderem gerade auch in der in ihm postulierten grundsätzlichen Anerkennung des Wirtschaftlichkeitsgebotes. Inwieweit dies das Ergebnis einer Abwägung zwischen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG darstellt oder aber auf das Sperren des Untermaßgebots und des Existenzminimums – des physischen, nicht des soziokulturellen – gegenüber jedweden finanziellen Erwägungen zurückzuführen ist, kann offen bleiben, da dies zu keinen Unterschieden führt. Nach beiden Ansätzen können Kosten-Nutzen-Erwägungen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen nicht dazu führen, dass von der GKV in dieser Notsituation keine Leistungen gewährt werden. Dies hat zwar nicht zur Folge, dass Kosten-NutzenErwägungen bei einer derartigen Lage grundsätzlich nicht angestellt werden dürften – das Verhältnis zwischen individueller Bedürftigkeit und finanzieller Verantwortung ist hier jedoch in einem besonderen Maße verfassungsrechtlich vorgezeichnet. Nur bei Bestehen ähnlich wirksamer medizinischer Methoden können Kosten-Nutzen-Erwägungen daher den Ausschlag für die Anwendung der einen oder anderen Behandlung geben.
§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung – Zur Übertragbarkeit von Kosten-Nutzen-Bewertungen an das IQWiG Die neue Gestalt verwaltungsrechtlicher Organisationsstrukturen in Form des GBA und des IQWiG, insbesondere ihre Partizipations-, Kooperations- bzw. Informationsbeziehung1 im Rahmen von Kosten-Nutzen-Bewertungen, wirft legitimationsrechtliche Fragen auf,2 da einem institutionalisierten Sachverständigengremium eine Funktion zuteil wird, die eine reine Beratungstätigkeit überschreiten könnte. Die unter dem Stichwort „Expertokratie“ und „Technokratie“ diskutierte Problematik des Bedeutungsverlustes des Demokratieprinzips aufgrund der Notwendigkeit der Einbeziehung besonderen Sachverstandes stellt sich hinsichtlich von Kosten-Nutzen-Bewertungen im Besonderen. Die bei dieser Bewertung zu berücksichtigenden komplexen, interdisziplinären Gesichtspunkte und Methoden bedürfen der Einbeziehung besonderen Sachverstandes. Gleichzeitig ist ihre Einbeziehung jedoch in besonderem Maße prekär, da Kosten-Nutzen-Bewertungen mangels vollständiger Neutralität der Informationen wie auch Bewertungen zwar auf sachverständigen Beurteilungen beruhen, gleichzeitig aber ebenso Wertungen beinhalten. Die Problematik des möglichen Legitimationsdefizits der funktionalen Selbstverwaltung in der GKV ist im Hinblick auf die noch immer geführte Diskussion über 1 Die Begriffe Partizipation, Kooperation und Information werden an dieser Stelle als begriffliche Abgrenzung zwischen der sonst teilweise anzutreffenden Differenzierung zwischen Mitentscheidung und Beratung, so begrifflich Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, § 43 Rn. 21, verwendet, um mit dieser Begriffswahl den Bezug zur Diskussion um die unterschiedlichen Strukturen und Auswirkungen von Kommunikationsbeziehungen der Verwaltung herzustellen. Zu diesen siehe ausführlich Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, passim. Über diese Bezugnahme soll, da es vorliegend allein um die Frage der Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG geht, nicht hinausgegangen werden, sodass sie lediglich als sog. „Schlüsselbegriffe“ verwendet werden, welche auf die Weite des sich dahinter verbergenden Themenfeldes hinweisen. 2 Rixen, Verhältnis von IQWiG und G-BA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (26), zum Organisationserfindungsrecht des Gesetzgebers und dem innovativen Charakter organisatorischer Neuerungen durch das IQWiG; vgl. hierzu auch Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie: Rechtliche Fragen zum IQWiG, S. 145 ff.; Huster/Penner, Legitimationsprobleme bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, VSSR 2008, S. 221 ff.; Gassner, Legitimationsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (445 f.); Pitschas, Informationen der Leistungserbringer und Patienten im rechtlichen Handlungsrahmen von GBA und IQWiG, MedR 2008, S. 34 ff.
§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
287
die ausreichende Legitimation des GBA inzwischen bekannt.3 Dreh- und Angelpunkt des Disputs ist hierbei, inwieweit der – zumindest partiell – fehlende personelle demokratische Legitimationsstrang im Rahmen der Selbstverwaltung kompensiert werden kann bzw. ob es seiner überhaupt bedarf. Aufgrund der Übertragung der Durchführung von Kosten-Nutzen-Bewertungen vom GBA auf das IQWiG wird in der Literatur jedoch teilweise eine neue, hierüber hinausgehende Legitimationsproblematik angenommen, da die durch das IQWiG durchgeführten Kosten-NutzenBewertungen jedenfalls „Tatbestandswirkung“ für den GBA entfalten würden.4 Diese Diskussion ist von der um die demokratische Legitimation des GBA geführten zu unterscheiden. Die Frage nach der Legitimation des IQWiG stellt sich – jedenfalls zunächst einmal – nicht hinsichtlich des Bestehens eines ausreichenden Legitimationsniveaus, sondern vielmehr bzgl. des Aspekts der Legitimationsbedürftigkeit. Diese gerät insbesondere aufgrund der faktischen Einflussnahme des IQWiG auf die Entscheidungen des GBA in den Blick. Somit handelt es sich um einen der Art und Weise der Legitimationsvermittlung und des zu erreichenden Legitimationsniveaus vorgelagerten Aspekt. Erst nachrangig hierzu ist überhaupt die Frage nach dem Bestehen der demokratischen Legitimation des IQWiG zu stellen. Die Trennung der Aspekte der Legitimationsbedürftigkeit und des notwendigen Legitimationsniveaus verschwimmt in der Bewertung allerdings vielfach.5 Thematisch lässt sich die Problematik der Einbeziehung des IQWiG insbesondere in die Diskussion um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Beteiligung von Sachverständigengremien einordnen. Diese erscheint vor allem unter dem Gesichtspunkt problematisch, als dass zwar letztverantwortlich durch ein staatliches, demokratisch legitimiertes Organ entschieden wird, faktisch jedoch institutionalisierte Expertengremien mit ihrer vorbereitenden Tätigkeit die Sachentscheidung treffen bzw. diese zumindest in erheblichem Umfang vorzeichnen.6 Neben dem hier 3
Hierzu etwa Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 149 ff.; Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 Abs. 1. S. 1 SGB V, S. 127 ff.; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 107 ff.; Schnapp, Untergesetzliche Rechtsquellen im Vertragsarztrecht am Beispiel der Richtlinien, in: Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S. 497 ff. (501 ff.); Kingreen, Legitimation und Partizipation im Gesundheitswesen, NZS 2007, S. 113 ff.; Neumann, Verantwortung, Sachkunde, Betroffenheit, Interesse: Zur demokratischen Legitimation der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, NZS 2010, S. 593 ff jeweils m.w.N. 4 Huster/Penner, Die Legitimation des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung – eine juristische Analyse, GesW 2009, S. 46 ff.; Orlowski, Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung bei der Arzneimittelbewertung, MedR 2010, S. 245 ff. (247); Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 411 ff; Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (444). 5 Hierauf hinweisend Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rn. 6. 6 Nussberger, Sachverständigenwissen als Determinante verwaltungsrechtlicher Einzelentscheidungen, AöR 129 (2004), S. 282 ff. (283, 302 ff.); Di Fabio, Produktharmonisierung
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§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
zu beachtenden Gesichtspunkt der praktischen Umsetzbarkeit von Interdisziplinarität zwischen Wissensgenerierung – dem Treffen einer informierten Entscheidung – und Verantwortungsdiversifizierung aufgrund faktischer Verlagerung staatlicher Entscheidungsfindung, hängt diese Problematik letztlich gleichfalls mit der grundsätzlichen Strukturierung von Demokratie zusammen. Die Vorgaben des Demokratieprinzips dürfen zum einen nicht zwischen Normativität und Faktizität zerrieben werden, zum anderen ist das Verhältnis zur „Expertokratie“ bzw. “Technokratie“7 zu beachten. Die folgenden Ausführungen sind vor dem Hintergrund dieser Problematik zu verstehen und reihen sich in ihrem besonderen Fokus auf der Schaffung einer interdisziplinären Bewertung mittels Verzahnung von einerseits Einholung gesundheitsökonomischer Expertise (in Gestalt des IQWiG) und andererseits Entscheidung durch ein paritätisch besetztes, staatliches Entscheidungsgremium (in Gestalt des GBA) in diese Diskussion ein. Der Grundsatz, dass bei einer Verfahrensbeteiligung Privater sämtliche Vorbereitungsmaßnahmen von Privaten durch eigenes Personal des staatlichen Entscheidungsträgers zu überprüfen sind und diese nicht unbesehen übernommen werden dürfen, ist bereits der Zuständigkeitsverteilung inhärent und begründet sich aus der Entscheidungsverantwortung des Hoheitsträgers.8 Schon bei der Gründung des IQWiG ist dieses sowohl kompetenziell als auch legitimatorisch zu betrachtende durch Normung und Selbstüberwachung, S. 95 f.; Brohm, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 1. Aufl., § 36 Rn. 31 ff.; Ritter, Organisationswandel durch Expertifizierung und Privatisierung im Ordnungs- und Planungsrecht, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 207 ff. (288 ff.); Appel, Privatverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, § 32 Rn. 70. 7 Die Diskussion um das Verhältnis von Demokratie zu „Expertokratie“ bzw. „Technokratie“ verweist auf die Problematik, inwieweit eine sachverständige Problemlösung möglich erscheint, ob eine einzig „richtige“, „wahre“ Entscheidung existiert oder aber diese mittels politischer Präferenzsetzung zu finden ist, vgl. Fehling, Verwaltung, S. 150 ff. Die Diskussion um die „Output-Legitimation“ – hier verstanden als Qualität der Entscheidung, nicht aber Bewährung, Akzeptanz oder faktisches Ergebnis – läuft, auch wenn sie dogmatisch nachgelagert gestellt wird, hierbei letztlich auf dieselbe Problematik hinaus. Der Zusammenhang zu der „Output-Legitimation“ zeigt sich insbesondere daran, dass sowohl die Orientierung am Pareto-Kriterium als auch am Kaldor-Hicks-Kriterium als output-bezogen verstanden wird. Ebenso steht hinter dem Legitimationsgedanken unabhängiger Institutionen, wie dem IQWiG, ein output-bezogenes Demokratieverständnis, vgl. Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen, S. 273 f. Die Unterschiede zeichnen sich insbesondere in der positiven bzw. negativen Konnotation der Begriffe aus. Zur Kritik an der Diskussion um die „Output-Legitimation“, welche jedenfalls argumentativ den Zusammenhang zur „Expertokratie“-Diskussion herstellt, siehe Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 278 ff. m.w.N. Insoweit geht es in der Strukturierung der Zusammenarbeit von IQWiG und GBA ebenso um das bereits in § 3. C. IX. angesprochene Verhältnis von materieller Rationalität, welche sich aus der rechtlichen Determination und sachverständigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen ergibt, und formeller Rationalität, hier verstanden als demokratische Legitimation. 8 Heintzen, Beteiligung Privater an öffentlichen Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff. (252).
A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG
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Problem gesehen worden. Mittels Abgrenzung von wissenschaftlicher Kompetenz und rechtlicher Verantwortung wurde der Versuch unternommen, die Verflechtung zwischen Entscheidungszuständigkeit des GBA und Vorbereitungshandlungen des IQWiG zu einer Verzahnung mit festen Strukturen zu lösen. Durch das IQWiG werden daher über die bloße Informationsbeschaffung hinausgehend zwar auch noch Folgenabschätzungen getroffen, welche gemäß § 35b Abs. 3 S. 1 und § 139b Abs. 4 S. 2 SGB V in eine Entscheidungsempfehlung münden, diese ersetzen die Entscheidung und die hieran zusätzlich anzulegenden rechtlichen Maßstäbe jedoch nicht.9 Dennoch wird die Tätigkeit des IQWiG in der Literatur aufgrund der Erteilung von Empfehlungen teilweise eher dem Modell der regulatorischen Steuerung im Gegensatz zur lediglich informationellen Vorbereitungshandlung zugeordnet.10 Das IQWiG wurde sogar als „faktisch kleiner Gesetzgeber“ bezeichnet.11 Die Problematik der faktischen Bindung privater Vorarbeit für die staatliche Entscheidungsfindung und die Frage einer hieraus folgenden Legitimationsbedürftigkeit wird durch die erfolgte Kompetenzaufteilung nur indirekt beantwortet. Die Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG, welche vorliegt, wenn das IQWiG gemäß Art. 20 Abs. 2 GG Staatsgewalt ausüben solle, ist daher zu untersuchen, bevor eine Einordnung in die Legitimationsstrukturen sachverständiger Tätigkeit vorgenommen werden kann. Hierbei sind die konkreten Zuständigkeitsbereiche des GBA und IQWiG sowie die in der VerfO-GBA geregelte Art und Weise der Zusammenarbeit daraufhin zu analysieren, inwieweit das IQWiG eine „Vorentscheidung“ trifft und daher der demokratischen Legitimationsbedürftigkeit unterliegt.
A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG Augenfällig an der Kritik des bestehenden Legitimationsdefizits der KostenNutzen-Bewertung des IQWiG erscheint in erster Linie die Frage, ob es überhaupt einer demokratischen Legitimation des IQWiG bedarf.12 Wie § 35b Abs. 3 S. 1 SGB V und § 139b Abs. 4 S. 1 SGB V zeigen, beschließt der GBA und nicht etwa das IQWiG über die Kosten-Nutzen-Bewertung. Dennoch wird auch im Hinblick auf die lediglich vorbereitende Tätigkeit teilweise gefordert, dass auch das IQWiG ausreichend demokratisch legitimiert sein müsse, da bereits 9 Hess, Darstellung der Aufgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses, MedR 2005, S. 385 ff. (388). 10 Martini, Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln – eine bittere Pille oder süßes Gift für das Gesundheitswesen?, WiVerw 2009, S. 195 ff. (203). 11 Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (445). 12 Hierauf ebenso hinweisend Huster/Penner, Legitimationsprobleme des IQWiG bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, VSSR 2008, S. 221 ff. (224).
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§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
seine Bewertung „Entscheidungscharakter“ habe und daher in ihr die Ausübung von Staatsgewalt zu erblicken sei.13 Die reine „Betonung der staatlichen Letztentscheidungskompetenz“ wird aus diesem Grund vielfach als unterkomplex angesehen.14 Obwohl die Einholung wissenschaftlicher Gutachten zuvor vielfach nicht als demokratisch legitimationsbedürftig angesehen wurde, ist die Frage nach der demokratischen Legitimationsbedürftigkeit hier aufgrund der Verselbstständigung der Funktion sachverständiger Beratung in Anbetracht der gesonderten Gründung eines Instituts hierfür „neu und anders zu stellen“.15 Weiterhin gehen die Aufgaben des IQWiG dem Anschein nach über die Tätigkeit sonstiger Sachverständiger hinaus, weil nicht lediglich Entscheidungsgrundlagen ermittelt, sondern vielmehr angesichts der notwendig vorzunehmenden Bewertungen Entscheidungen vorgezeichnet werden.16 Um beurteilen zu können, ob ein Legitimationsbedürfnis des IQWiG besteht, ist die in § 2 erfolgte Betrachtung der Zuständigkeitsverzahnung von IQWiG und GBA, insbesondere ihre gegenseitige Beeinflussung bei der Erstellung von Kosten-NutzenBewertungen, die Bindungswirkung und damit Entscheidungsverantwortung zu resümieren. Darüber hinaus ist der denkbare faktische Einfluss der Bewertung des IQWiG auf die Entscheidung des GBA zu untersuchen. Über die formell-rechtliche17 Betrachtung hinausgehend, welche als „dezisionistisches Modell“ bezeichnet wird, ist auch eine Realanalyse, welche dem sogenannten „pragmatischen Modell“ zuzuordnen ist, durchzuführen, um rechtsstaatliche, demokratische und kompetenzrechtliche Vorgaben reell sicherzustellen.18 Letzterer Betrachtung bedarf es, da ein Auseinanderdriften zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit zu einem Geltungsverlust des Verfassungsrechts mangels Erfüllung seiner Steuerungsfunktion führen würde.19 Bei genauerer Betrachtung der Forderung, auch die faktische Einflussnahme zu beachten, zeigt sich jedoch häufig, dass dies – wo13 Huster/Penner, Die Legitimation des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung – eine juristische Analyse, GesW 2009, S. 46 ff. (47 f.). 14 So ausdrücklich Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6 Rn. 91. 15 Orlowski, Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung bei der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 245 ff. (246). 16 Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 56 ff.; Orlowski, Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Kosten-Nutzen-Bewertung bei der Arzneimittelversorgung, MedR 2010, S. 245 ff. (246). 17 Formell-rechtlich bezeichnet insoweit die Betrachtung der Entscheidungshoheit; diese blendet grundsätzlich vorgelagerte Einflussnahmen aus und stellt auf die Letztverantwortung ab. 18 Eine rein auf die formell-rechtlichen Befugnisse reduzierte Betrachtung würde sich dem „Vorwurf der Realitätsblindheit“ aussetzen, so Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, § 43 Rn. 22, der allerdings im weiteren Verlauf die Möglichkeit faktischer Einflussnahme selbst nicht mehr als ausreichend ansieht, um das Bedürfnis nach demokratischer Legitimation hervorzurufen, siehe Rn. 61. 19 Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 48 ff.
A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG
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möglich mangels empirischer Nachprüfbarkeit – kaum durchgehalten wird.20 Da das Bestehen einer faktischen Einflussnahme insbesondere mit der mangelnden Beurteilbarkeit der Frage durch die letztverantwortlich entscheidende Institution begründet wird – sei es aufgrund fehlender personeller und zeitlicher Ressourcen oder aber insbesondere des notwendigen Wissens –, wird auf eben diesen Aspekt bei der Beurteilung des Bestehens einer faktischen Einflussnahme abgestellt. Von der eigenen Beurteilbarkeit des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch den GBA und damit von dem Bestehen oder Fehlen der Abhängigkeit des GBA von der Sachverständigenbewertung wird daher auf die faktische Einflussnahme des IQWiG auf den GBA rückgeschlossen. Ein Legitimationsbedürfnis besteht gemäß Art. 20 Abs. 2 GG bei einer Ausübung von Staatsgewalt. Bei der Beurteilung, wann Staatsgewalt vorliegt, scheint sich zwischen dem Aspekt der Staatsgewalt im formellen und materiellen Sinne trennen zu lassen.21 Es kann daher zwischen den Fragen, ob es sich formell um „staatliche“ und materiell um „Gewalt“ bei der Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG handelt, unterschieden werden.22 Im Rahmen des materiellen Gesichtspunktes der Ausübung von Staatsgewalt wird dann wiederum zwischen den genannten verschiedenen Betrachtungsansätzen – dem „dezisionistischen“ und „pragmatischen“ Modell – differenziert. In Bezug hierauf ist allerdings anzumerken, dass diese unterschiedlichen Ansätze auch auf ein unterschiedliches Verständnis des Demokratieprinzips sowie eine teilweise unterschiedliche Perspektivwahl zurückzuführen sind und letztlich meist zum selben Ergebnis gelangen. Sie divergieren daher häufig lediglich in der Einordnung von Argumentationsmustern unter die Gesichtspunkte des Legitimationsbedürfnisses und der möglichen Legitimationsmodi sowie ihrer gegenseitigen Ergänzung- bzw. Ersetzungsfähigkeit. Diese Beobachtung spiegelt sich etwa darin wider, dass von den meisten Vertretern, die bspw. eine Ausweitung der Legitimationsbedürftigkeit auf faktische Entscheidungshoheit fordern, die denkbaren Legitimationsmodi ebenfalls weiter verstanden werden. Dies führt wiederum dazu, dass aus dem Umstand, der dieser Ansicht zufolge ein Legitimationsbedürfnis hervorruft, gleichzeitig meist auch die Begründung für das Bestehen einer ausreichenden Legitimation erwächst. Letztlich kommt es argumentativ beiden Vorgehensweisen zufolge darauf an, ob der Letztverbindlichentscheidende – der GBA – selbst tatsächlich die Entscheidungsträgerschaft innehat. Sollte dies nicht der Fall sein, ist – 20 Auf die Schwierigkeiten der empirischen Feststellung solcher faktischen Einflüsse ebenso hinweisend Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, S. 101. 21 Die vorliegend gewählte Differenzierung in formelle und materielle Aspekte der Ausübung von Staatsgewalt unterscheidet sich von der von Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 225 ff. gewählten Aufspaltung der Staatsgewalt im formellen und materiellen Sinne. Jestaedt nimmt, aufgrund der Untersuchung der Kondominialverwaltung, die Trennung zwischen formellen und materiellen Aspekten eine Ebene tiefer vor und trennt deshalb hiermit gegenständlich-inhaltliche Aspekte von der Intensität der staatlichen Wahrnehmung. 22 Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, S. 34.
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§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
anders als bei gemischt besetzten Kollegialorganen, in welchen sich das Problem der ausreichenden organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation des entscheidenden Gremiums stellen würde – das IQWiG legitimationsbedürftig.23 Vorrangig zur Beurteilung dieser materiellen Gesichtspunkte könnte es notwendig sein, das IQWiG eindeutig dem staatlichen oder gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen. Dies wäre der Fall, wenn sich hiernach richten sollte, ob es einer Legitimation des IQWiG bedarf und wie diese zu erfolgen hat. Dass es auf eine derartige Zuordnung ankommt, liegt nahe, da, während grundsätzlich jegliches Handeln des Staates legitimationsbedürftig ist, für Private gerade das Gegenteil gilt.
I. IQWiG – Staatliches Institut oder rein Privater Grundsätzlich sind Privatrechtssubjekte nicht Teil der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsgewalt.24 Noch vor der Problematisierung der Frage, ob Staatsgewalt ausgeübt wird, muss daher scheinbar eine Zuordnung des IQWiG zum staatlichen oder gesellschaftlichen Bereich erfolgen.25 Im ersten Zugriff stellt es sich hierbei um eine formelle Betrachtung der Ausübung von Staatsgewalt dar. Diese führt jedoch in der Zeit zunehmender Organisationsprivatisierung26 staatlicher Tätigkeit kaum weiter. Das Abstellen auf die privatrechtliche bzw. öffentlich-rechtliche Organisationsform kann nicht darüber entscheiden, ob ein Legitimationsbedürfnis besteht. Auch der Staat kann sich in private Rechtsform gewanden, ohne allerdings hierdurch seine Bindung an Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG abzustreifen.27 Bei der Wahrnehmung daseinsversorgerischer oder daseinsfürsorgerischer Staatstätigkeit kommt es nicht darauf an, in welcher Handlungsund Organisationsform aufgetreten wird, um das Handeln als staatliches Handeln und daher möglicherweise als Ausübung von Staatsgewalt einzuordnen.28 Zwischen rein Privaten und nur privatrechtlichen Rechtssubjekten, zwischen originären und
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Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 24 Rn. 19 f. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 20 Rn. 95; Burgi, Privat vorbereitete Verwaltungsentscheidungen und staatliche Strukturschaffungspflicht, Die Verwaltung 2000, S. 183 ff. (192); Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329 ff. (339, 346). 25 So Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 54 ff. 26 Teilweise wird Organisationsprivatisierung auch als formelle Privatisierung bezeichnet. Sie erfasst die Tätigkeit des Staates in Privatrechtsform. 27 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 170; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 289 ff. (299 f.); Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329 ff. (341). So hinsichtlich des privatrechtlichen Gewands des IQWiG auch argumentierend Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 58 ff. 28 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 238 f. und 250. 24
A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG
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sogenannten nur publizistischen Privatrechtsvereinigungen, ist hinsichtlich der demokratischen Legitimationsbedürftigkeit im Grundsatz jedoch zu unterscheiden.29 Diese Unterscheidung zwischen Privaten und nur privatrechtlichen Rechtssubjekten verschwimmt bei näherer Betrachtung jedoch weitestgehend. Dies liegt daran, dass man bei anderen Rechtsformen als Gesellschaften häufig nicht darauf abstellen kann, ob eine Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung vorliegt bzw. die Differenzierung danach, ob das privatrechtliche Rechtssubjekt „verwaltungsbeherrscht“ oder „verwaltungskontrolliert“ wird,30 nicht eindeutig vornehmbar ist. Die Beurteilung des Vorliegens von Staatsgewalt muss letztlich daher zum Teil anhand rein materieller Kriterien erfolgen. Dieser Befund ist darauf zurückzuführen, dass zwar an sich die Zuordnung eines Rechtsträgers zum staatlichen oder gesellschaftlichen Bereich mittels einer Gesamtbetrachtung zu erfolgen hat,31 sich hinsichtlich sämtlicher der in diese Gesamtbetrachtung einbezogenen Faktoren bei privatrechtlich organisierten Rechtssubjekten, die keine Gesellschaft darstellen, eine eindeutige Zuordnung vielfach jedoch nicht treffen lässt.32 Die in die Gesamtbetrachtung einzubeziehenden Kriterien stimmen darüber hinaus zumindest partiell mit den für die Annahme einer Beleihung gewählten Merkmalen überein.33 Die Übergänge zwischen Staat und Gesellschaft verfließen insoweit. Dies erkennt man bereits daran, dass zwischen Beleihung und organisationsrechtlicher sowie funktionsrechtlicher Privatisierung teilweise differenziert wird, sie andernteils aber auch gleichgestellt werden.34 Zu29 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 110; Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137 ff. (150 ff.). 30 Bei Gesellschaften führt diese Differenzierung weiter, vgl. Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 14; ders., Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 78. 31 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 265 f.; Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329 ff. (343). 32 Ähnlich hinsichtlich der relevanten Zuordnungskriterien Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 263 ff.; ebenso auf die Notwendigkeit zusätzlicher Kriterien, wie etwa der wahrgenommenen Aufgaben, Aufsichtsbefugnisse und der haushaltsmäßigen Erfassung verweisend Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116, S. 329 ff. (343); ähnlich auch Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 3 Fn. 8, S. 207 ff., ausdrücklich hierzu auch S. 213 ff. und Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137 ff. (158). 33 Aus diesem Grund kann allein die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe nicht dazu führen, dass die Organisation dem Staat zuzuordnen wäre. Auch Private können öffentliche Aufgaben wahrnehmen. A.A. wohl Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329 ff. (346), der gerade bei Stiftungen privaten Rechts allein auf den Gründungsvorgang und die Herkunft der Finanzmittel abstellt. 34 So etwa Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 76 ff. Die Diskussion hierzu zusammenfassend Ibler, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 86 Rn. 75; speziell in Bezug auf Sachverständige auf diese Problematik hinweisend Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 25 f.; kritisch hierzu Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 210 ff. Im Hinblick auf das IQWiG wird, die
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§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
rückzuführen ist diese Abgrenzungsproblematik insbesondere darauf, dass die Kriterien zur Bestimmung, ob ein privatrechtlich organisierter Rechtsträger dem Staat zuzuordnen ist, und die Anforderungen an die Legitimation Beliehener, der grundsätzlich Privater ist und auch nach der Beleihung weiterhin Teil der gesellschaftlichen Sphäre bleibt,35 vielfach übereinstimmen. Der die Ausübung von Hoheitsrechten einräumende staatlichen Legitimationsakt (Beleihungsakt) stellt beispielsweise einen solchen Überschneidungsbereich dar. Es ist deshalb nicht möglich, der Forderung, eine genaue Zuordnung zum einen oder anderen Lager vorzunehmen, nachzukommen, ohne in Friktionen zu geraten.36 Angesichts des Gleichlaufs der aus dem Demokratieprinzip zu generierenden Forderungen erscheint eine solche Zuordnung – jedenfalls im Hinblick auf das IQWiG – indes auch nicht als zwingend.37 hier dargestellte Problematik quasi demonstrierend, teilweise von einer funktionalen Privatisierung ausgegangen und das IQWiG daher als Verwaltungshelfer eingeordnet, andernteils angenommen, dass es sich mangels funktionaler Privatisierung beim IQWiG zwar um einen Privaten, aber Beliehenen, handele und zuletzt noch vertreten, dass das IQWiG ein Staatsorgan in privater Rechtsform sei. Von einer funktionalen Privatisierung ausgehend Klügel, Beteiligung und Rechtsschutz der Arzneimittelhersteller bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch das IQWiG, Teil 2, NZS 2006, S. 297 ff. (298). Eine Beleihung des IQWiG annehmend Kingreen/Henck, Prozedurale Anforderungen an die Arzneimittelbewertung durch das IQWiG im Gesundheitswesen und den Gemeinsamen Bundesausschuss, PharmR 2007, S. 353 ff. (355 ff.). Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 57 ff., geht hingegen davon aus, dass es sich um eine organisationsrechtliche Privatisierung handele, weshalb das IQWiG selbst nicht Privater, sondern dem staatlichen Bereich zuzuordnen sei. So auch Rixen, Verhältnis von IQWiG und GBA: Vertrauen oder Kontrolle, MedR 2008, S. 24 ff. (27), der die Ausgestaltung als Stiftung für eine publizistische Privatrechtsorganisation hält. 35 Vgl. Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 24, allerdings in gewissem Widerspruch zu § 10 Rn. 11, in welchem eine Beleihung auch staatlicher, aber privatrechtlich organisierter juristischer Personen für nötig erachtet wird. Ebenso Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137 ff. (137 f.) m.w.N.; Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 235 ff. (271); Steiner, Verwaltung durch Private, S. 46 ff., der andere als „Private“ von der Beleihung ausnimmt, siehe auch S. 207 ff.; ebenso Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, S. 67 ff. (75); a.A. Stuible-Treder, Der Beliehene im Verwaltungsrecht, S. 33 ff. 36 A.A. Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 54 ff. Gleichfalls auf die fehlende sichere Zurechnung zur öffentlichen Gewalt hinweisend Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 235 ff. (271); die präzise Bestimmung zumindest als problematisch ansehend Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 256 ff. 37 A.A. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 87, der der Ansicht ist, dass eine eindeutige Zuordnung vorgenommen werden müsste. Teilweise wird aus diesem Grund – angesichts mangelnder Unterscheidbarkeit – auch ein Trennungsgebot konstruiert, so Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 235 ff. (263 ff.), wenn die effektive parlamentarische Kontrolle nicht dennoch möglich ist. Unterschiede hinsichtlich der Art und Weise der Legitimationsbedürftigkeit scheinen sich diesbzgl. zu ergeben, dass bei Zuordnung zum Staat die Institution als solche legitimationsbedürftig wäre, bei Privaten hingegen nur die Tätigkeit. Auswirkungen hat dies letztlich allerdings keine. Ordnete man das IQWiG dem Staat zu, würde es sich bei ihm um einen Teil der
A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG
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Diese hier zunächst allgemein vorgebrachten Argumente der Zuordnungsproblematik sind in Bezug auf das IQWiG durch die Anwendung einer solchen Gesamtanalyse zu untermauern. Betrachtet man die rechtliche Struktur des IQWiG gemäß §§ 139a bis 139c SGB V,38 seine Gründungsgeschichte und die Satzung der Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit, zeigt sich, dass einiges für, aber auch einiges gegen eine Zuordnung des IQWiG zum staatlichen oder gesellschaftlichen Bereich spricht. Zwar handelt es sich um ein privatrechtlich organisiertes Institut, da das IQWiG eine Einrichtung einer Stiftung privaten Rechts, der Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit, darstellt. Die privatrechtliche Organisation kann, wie ausgeführt wurde, jedoch nicht eindeutig ausschließen, dass das IQWiG nicht dennoch als staatlich zu qualifizieren ist. Dass es sich bei dem IQWiG um ein vom Staat für die Durchführung einer zuvor staatlich vorgenommenen Aufgabe gegründetes Institut handelt, führt ebenfalls hinsichtlich der Zuordnung nicht weiter.39 Allein auf den Gründungsakt abzustellen, kann angesichts der Möglichkeit einer gleichzeitig vorgenommenen Entstaatlichung mittels Privatisierung nicht ausreichen, um das IQWiG eindeutig als staatliches bzw. privates Institut zu qualifizieren.40 Dies gilt insbesondere für Stiftungen, bei welchen sich der Einfluss des Gründers im Gründungsakt selbst erschöpft.41 Die staatlich organisierte Finanzierung des IQWiG aus auf jeden Krankenhausfall erhobenen Zuschlägen und einer entsprechenden prozentualen Anhebung der ambulanten ärztlichen Vergütung (§ 139c SGB V) könnte zwar auf den ersten Blick als
Exekutive handeln. Die für die Beleihung vielfach angenommene Reduktion des personellen Legitimationsstranges wird zwischenzeitlich auch bei staatlichen Institutionen für möglich erachtet. Angesichts des Gleichlaufs der aus dem Demokratieprinzip herzuleitenden Legitimationserfordernisse ist die Legitimationsbedürftigkeit „unabhängig von der Einordnung in den ,richtigen‘ Privatisierungstyp zu beantworten“, vgl. Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 26. Auf die besondere Problematik der Einordnung der Sachverständigenbeteiligung ebenfalls hinweisend Scholl, Der private Sachverständige im Verwaltungsrecht, S. 348 ff. 38 So sieht § 139c SGB V eine staatliche Finanzierung des IQWiG vor und § 139a Abs. 1 SGB V fasst die Gründung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zur Bewältigung einer zuvor ihm zustehenden Aufgabe in einen Rechtssatz. 39 Teilweise wird dieser staatliche Kreationsakt gemeinsam mit der Herkunft der Finanzmittel bereits als ausreichend für eine Zuordnung zum staatlichen Bereich angesehen, so Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, S. 34, dies als regelmäßig den Ausschlag gebendes Kriterium bei Stiftungen privaten Rechts ansehend auch SchmidtAßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329 ff. (346). 40 So nimmt bspw. Kügel, Beteiligung und Rechtsschutz der Arzneimittelhersteller bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch das IQWiG (Teil 2), NZS 2006, S. 297 ff. (298 f.), an, dass es sich bei dem IQWiG um einen Fall funktionaler Privatisierung handele und ordnet es daher als Privaten ein. 41 Hierauf hinweisend Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 63.
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ein derartig eindeutiges Kriterium angesehen werden.42 Dies gilt insbesondere, weil die Vergütung nicht auftragsbezogen erfolgt und eine finanzielle Abhängigkeit des IQWiG besteht. Eine derartige Finanzierungsstruktur ist jedoch auch im rein privatrechtlichen Bereich nicht ausgeschlossen. Auch Beliehene können auf die Vergütung durch den Staat angewiesen sein.43 Ebenso sind andere, eindeutig private Rechtssubjekte ebenfalls finanziell vom Staat abhängig – dies macht sie nicht zu staatlichen Einrichtungen. Die Finanzierung mit staatlichen Mitteln führt weiterhin auch gerade nicht zu einer Beeinflussung der Tätigkeit durch ein eindeutig staatliches Organ, wie die Art und Weise der gemäß § 139c SGB V gewählten Finanzierung sowie § 13 der Stiftungssatzung zeigen. Stattdessen soll die staatliche Finanzierung eine anderweitige Beeinflussung verhindern und damit die notwendige Unabhängigkeit sichern.44 Auch aus dem Gesichtspunkt der staatlichen Finanzierung kann daher keine eindeutige Zuordnungsentscheidung gezogen werden. Die vermittelte Trägerstellung des GBA gegenüber dem IQWiG führt ebenso wenig zu einem derartigen staatlichen Einfluss, dass das IQWiG selbst dem staatlichen Bereich zuzuordnen wäre.45 Das IQWiG ist laut § 139a Abs. 1 S. 1 SGB Veine fachlich unabhängige, rechtsfähige Einrichtung.46 Hieran ändert auch die über die privatrechtliche Stiftung vermittelte Trägerstellung des GBA gemäß § 139a Abs. 1 S. 1 SGB V nichts.47 Was die Trägerschaft des GBA konkret bedeutet, kann sich nur aus der Stiftungssatzung ergeben. Diese müsste dem GBA eine bestimmende Rolle für das Institut als Einrichtung der Stiftung einräumen, um aus der Trägerstellung des 42
So Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 67. Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 25; ders., Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 79. Burgi ordnet die Finanzierung einer Organisation durch den Staat sogar als eine Form der „externen Einflusssicherung“ des Staates auf einen Privaten ein und geht damit davon aus, dass es sich im Falle einer geregelten Finanzierung durch den Staat, um einen Privaten handeln müsse. 44 Zur Garantie der notwendigen finanziellen Unabhängigkeit von unabhängigen Institutionen mittels bspw. Jahresbudgets siehe etwa Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen, S. 34. 45 A.A. Rixen, Verhältnis von IQWiG und GBA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (26), der das IQWiG allein aufgrund der Trägerstellung des GBA als staatliches Organ einordnet. 46 Bereits aus diesem Grund wird in der Literatur größtenteils eine Einordnung des IQWiG als privates Institut vorgenommen. Teilweise wird aus diesem Grund die Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG auch vollständig abgelehnt, so Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar, § 139a SGB V Rn. 4 f. Ohne – aufgrund der Regelung der Selbstständigkeit – überhaupt zu thematisieren inwieweit es sich um ein staatlich getragenes Institut in privater Rechtsform handeln könne, eine Zuordnung zum rein privaten Bereich ablehnend Huster/ Penner, Legitimationsprobleme des IQWiG bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, VSSR 2008, S. 221 ff. (227 ff.). 47 Ebenso Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 64; a.A. Rixen, Verhältnis von IQWiG und GBA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (26); Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 413 f. Grundsätzlich zur Einordnung im Falle einer mitgliedschaftlichen Staatsbeteiligung Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 77 ff. 43
A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG
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Staates auf die Stellung des IQWiG zu schließen.48 Tatsächlich ist der GBA ein Organ der Stiftung. Er ist aber in seiner Funktion darauf beschränkt, die Satzung zu ändern und die Stiftung aufzuheben.49 Auf die eigentliche Tätigkeit sowohl der Stiftung als auch insbesondere des Instituts ergibt sich aus der Trägereigenschaft kein Einfluss. Die über die Besetzung des Stiftungsrats und Stiftungsvorstands zumindest denkbare „staatliche“ Beeinflussung ist jedenfalls deshalb irrelevant für die Beurteilung, weil gemäß § 6 Abs. 2 der Stiftungssatzung der Einfluss der Stiftung auf das Institut darauf beschränkt ist, die ordnungsgemäße Geschäftsführung zu beaufsichtigen. Die Einflussnahme auf die inhaltliche Tätigkeit ist hierdurch ausgeschlossen. Die Bestellung der Institutsleitung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit nach § 139a Abs. 2 S. 1 SGB V zeigt zwar ebenfalls einen gewissen Zusammenhang des Institutes mit dem Staat. Dies mag auf den ersten Blick ebenfalls eher dafür sprechen, das IQWiG nicht als rein privates/gesellschaftszugehöriges Phänomen einzuordnen. Genauso könnte aber diesbezüglich hervorgehoben werden, dass es hierbei um eine bloße Sicherstellung der Unabhängigkeit der eingesetzten Sachverständigen im Sinne der Unbefangenheit geht,50 oder aber, dass hiermit die Anforderungen an personelle Legitimation im Falle einer Beleihung – welche bei der Beleihung zwar deutlich herabgesetzt,51 nicht aber inexistent sind – erfüllt werden. Zur Begründung der Einordnung als Privater wird zum Teil auch auf die Unabhängigkeit des IQWiG abgestellt.52 Eindeutig ist dieses Kriterium jedoch ebenso wenig, da anerkanntermaßen auch unabhängige staatliche Institutionen existieren.53 Die organisatorisch-institutionellen Rahmenbedingungen der Beteiligung des IQWIG könnten als Unparteilichkeitssicherungsmechanismen einzuordnen sein.54 Darüber hinausgehend treffen sie keine eindeutige Aussage zur Zuordnung zum Staat. Die Unabhängigkeit lässt daher weder zwingend auf die fehlende Staatlichkeit schließen, noch schließt sie diese aus. Gerade im Falle des IQWiG ist daher die zuvor dargelegte Überschneidung von Kriterien anzunehmen, die einerseits dafür sprechen, das IQWiG dem Staat zuzuordnen, es andererseits aber genauso gut möglich erscheinen lassen, das IQWiG als 48 A.A. Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 6 Rn. 28, der die staatliche Trägerschaft grundsätzlich für ausschlaggebend hält, dies allerdings nur für die Eigengesellschaft annimmt und sich mit Stiftungen des Privatrechts nicht konkret auseinandersetzt. 49 § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Satzung der Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. 50 Vgl. hierzu Fehling, Verwaltung, S. 396 f. 51 BremStGH, NVwZ 2003, S. 81 ff. (83). 52 So Wallrabenstein, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 139a Rn. 15 und Hess, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 139a SGB V Rn. 5. 53 Grundlegend zu unabhängigen Institutionen Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen, S. 25 ff. und passim. 54 Zu diesen Rahmenbedingungen siehe Fehling, Verwaltung, S. 396 f.
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§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
Privaten anzusehen.55 Selbst bei einer Qualifikation des IQWiG als privates Sachverständigeninstitut kann eine legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt jedoch nicht ausgeschlossen werden. Staatsgewalt kann auch durch Private ausgeübt werden. Dies gilt, betrachtet man ausschließlich die rechtliche und nicht faktische Wirkung, allerdings nur im Falle der Beleihung. Ansonsten mangelt es bereits an der Qualifikation der Handlung als öffentlich-rechtlich, welche jedoch mit der Ausübung von Staatsgewalt nach dem ursprünglichen Verständnis einhergeht. Gerät ein Privater indes in den „Bannkreis öffentlicher Gewaltausübung“ – liegen die materiellen Voraussetzungen der Ausübung öffentlicher Gewalt aufgrund des Mitentscheidungscharakters seiner Beteiligung vor – bedarf es jedoch grundsätzlich einer Beleihung.56 Der Beleihungsakt, der die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Ausübung von staatlicher Gewalt wahrt, kann nicht faktisch selbst darüber entscheiden, ob seine Notwendigkeit besteht.57 Insbesondere im Hinblick auf den Fall der Nutzung behördenexternen Sachverstandes58 würde dies zu einem Zirkelschluss führen.59 Die Beleihung wie auch ihre Notwendigkeit führt wiederum zur Legitimationsbedürftigkeit der Tätigkeit des Privaten.60 Dies allerdings nur dergestalt, dass „die beliehene Institution nicht als solche, sondern nur jener Tätigkeitssektor in Art. 20 Abs. 2 GG einbezogen
55
Die meisten Autoren nehmen eine derartige Abgrenzung, wie sie von Scriba, Arzneimittelbewertung durch das IQWiG, S. 54 ff., umfangreich durchgeführt wird – allerdings mit anderem Ergebnis als hier vertreten – gar nicht erst vor, sondern gehen fraglos, wie man an der allgemeinen Diskussion um die Einordnung als Beliehener bzw. Verwaltungshelfer erkennen kann, von der privaten Stellung des IQWiG aus, so etwa Posser, Das IQWiG als Beliehener, in: Reese/Hufnagel/Rensing-Kramer (Hrsg.), FS Doepner, S. 295 ff., (297); Kügel, Beteiligung und Rechtsschutz der Arzneimittelhersteller bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch das IQWiG (Teil 2), NZS 2006, S. 297 ff.; Kingreen/Henck, Prozedurale Anforderungen an die Arzneimittelbewertung durch das IQWiG und den GBA, PharmR 2007, S. 353 ff. (355 f.). Mit widersprüchlichen Begrifflichkeiten hantierend Gassner, Legitimitätsprobleme der KostenNutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (444 f.). Andernteils wird ebenso eine eindeutige Zuordenbarkeit verneint, so Huster/Penner, Die Legitimation des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung – eine juristische Analyse, GesR 2009, S. 46 ff. (47). Rixen, Verhältnis von IQWiG und GBA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (26), ordnet das IQWiG hingegen dem Staat zu. 56 Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 235 ff. (265); Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 32. 57 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 32. 58 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 32. 59 Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 235 ff. (271 ff.). 60 Burgi, Privatisierung öffentlicher Aufgaben – Gestaltungsmöglichkeiten, Grenzen, Regelungsbedarf, S. D98.
A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG
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[wird], der die Beleihung ausmacht“.61 Zu Unterschieden führt dies bei Vorliegen nur eines Tätigkeitssektors des Privaten allerdings nicht. Schon der Gesichtspunkt der Beleihung zeigt aus diesem Grund, dass es auf eine grundsätzliche formelle Zuordnung eines Subjekts zum staatlichen oder gesellschaftlichen Bereich nicht entscheidend ankommt, da auch das Handeln Privater legitimationsbedürftig werden kann. Allein rein privates Handeln kann aus dem Kreis legitimationsbedürftiger Tätigkeit ausgeschlossen werden. Im Hinblick auf die Auswirkungen einer der staatlichen Entscheidung vorgelagerten Beteiligung führt es darüber hinaus schon deshalb nicht weiter, darauf abzustellen, ob ein Privater oder aber der Staat tätig wird, da es darum geht, zu beantworten, ob die Hilfeleistung zur Ausübung von Staatsgewalt erstarkt und legitimationsbedürftig ist, weil sie die staatliche Entscheidung in besonderem Maße beeinflusst.62 Dieser Aspekt der Beeinflussung ist unabhängig davon, ob das IQWiG seiner Struktur nach eher dem staatlichen oder dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen ist.63 Angesichts der schlussendlichen Tätigkeit des GBA ist jedenfalls hinsichtlich der hier fraglichen Kosten-Nutzen-Bewertung ein anerkannter Träger von Hoheitsgewalt am Werk. Allein aufgrund der Einbeziehung des IQWiG in diese Tätigkeit kommt es für die Frage der Legitimationsbedürftigkeit nicht darauf an, wie das IQWiG selbst einzuordnen ist. Die Bewertung hat daher weniger institutions-, organisations- bzw. zuordnungs-, als vielmehr schwerpunktmäßig handlungsbezogen zu erfolgen. Aufgrund der wachsenden Strukturen der Einflussnahme Privater auf staatliche Entscheidungen wird man sich daher – soll das Demokratieprinzip nicht einen Bedeutungsverlust erleiden – von dieser formellen Art des Verständnisses stärker abwenden und auf die Qualifikation der Tätigkeit als Ausübung staatlicher Gewalt im materiellen Sinne konzentrieren müssen.64 Eine lediglich dem gesellschaftlichen Bereich entspringende und auf ihn bezogene rein private Tätigkeit ist nie legitimationsbedürftig und schon aus diesem Grund eindeutig von den Anforderungen des
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(346). 62
Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329 ff.
Ähnlich Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 132. So letztlich, wenn auch stärker über den Bezug der Tätigkeit des IQWiG auf die Leistungen der GKV als öffentliche Aufgabe argumentierend, auch Huster/Penner, Legitimationsprobleme des IQWiG bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, VSSR 2008, S. 221 ff. (228). Das Abstellen auf die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe ist jedoch darauf zurückzuführen, dass, wie hier ausgeführt, es bei der Frage der „Mit“entscheidung nicht auf die Einordnung zum staatlichen oder gesellschaftlichen Bereich ankommt. 64 Burgi, Privat vorbereitete Verwaltungsentscheidungen und staatliche Strukturschaffungspflicht, Die Verwaltung 2000, S. 183 ff. (197 f.), der allerdings auch auf die dogmatische Stringenz und Klarheit dieser Herangehensweise verweist, ebenso Brohm, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 1. Aufl., § 36 Rn. 37. 63
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§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
Art. 20 Abs. 2 GG auszuschließen.65 Sobald eine Beauftragung bzw. Veranlassung eines Privatrechtssubjekts durch den Staat für die Ausübung seiner Tätigkeit vorliegt, ist diese zumindest potentiell legitimationsbedürftig. Es handelt sich nicht mehr um eine rein private Tätigkeit, die allein im gesellschaftlichen Bereich wirkt. Die Veranlassung der Sachverständigentätigkeit staatlicherseits und der gemäß § 139b Abs. 4 S. 2 SGB V bestehende Rezeptionszwang der Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG durch den GBA führen daher jedenfalls dazu, dass die Tätigkeit des IQWiG legitimationsbedürftig sein kann.66 Demzufolge ist weniger die formelle Einordnung, ob staatlicherseits oder durch Private gehandelt wird, für die Beantwortung der Frage nach der Legitimationsnotwendigkeit des IQWiG relevant, sondern vielmehr ist entscheidend, ob den Empfehlungen „Entscheidungscharakter“ und damit Staatsgewalt im materiellen Sinne beizumessen ist. Bei der Annahme eines „Entscheidungscharakters“ der materiellen Tätigkeit des IQWiG führt dies dazu, dass selbst wenn das IQWiG als Privater einzuordnen sein sollte, seine Tätigkeit aufgrund der in diesem Fall bestehenden Notwendigkeit der Beleihung legitimationsbedürftig ist.
II. Ausübung von Staatsgewalt Aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ergibt sich, dass eine Legitimationsbedürftigkeit nur bei der Ausübung von Staatsgewalt besteht. Eine solche wäre anzunehmen, wenn den rechtlich vorgesehenen Wirkungen zufolge den Empfehlungen des IQWiG „Entscheidungscharakter“ zukäme, oder aber, wenn faktisch die Vorbereitung, die Kooperation des GBA mit dem IQWiG, zur Entscheidung selbst bzw. zur Mitentscheidung würde. Hiermit hängt insbesondere die Frage zusammen, ob die Durchführung einer Schlüssigkeitskontrolle genügt, um bei einer Sachverständigenbeurteilung mit hohem Wertungsgehalt eine ausreichende Entscheidungshoheit des legitimierten Hoheitsträgers noch annehmen zu können. Ab welchem Zeitpunkt bei der (Hilfs-)Tätigkeit von Privaten die Ausübung von Staatsgewalt vorliegt, ist durch das BVerfG bisher nicht eindeutig geklärt worden.67 Mit der Einführung des Begriffes „Entscheidungscharakter“68 ist, jedenfalls im Hinblick auf die Frage der Legitimationsnotwendigkeit der sachverständigen Beratung des Staates, die Fragestellung lediglich verlagert worden. Auch dieser Ansatz 65
So auch Huster/Penner, Legitimationsprobleme des IQWiG bei der Kosten-NutzenBewertung von Arzneimitteln, VSSR 2008, S. 221 ff. (227 ff.), die das IQWiG eindeutig als private Institution einordnen und allein bei Tätigkeiten rein privater Natur einen Legitimationsbedarf gänzlich ausschließen. 66 Bei einer späteren freien Rezeption durch staatliche Stellen ist demnach kein Legitimationsbedürfnis anzunehmen, so auch Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329 ff. (342). 67 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, S. 170 f. 68 BVerfGE 47, 253 (272); 83, 60 (73); 93, 37 (68 f.).
A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG
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der Rechtsprechung klärt nicht eindeutig, ob die Vornahme von Kosten-NutzenBewertungen durch das IQWiG für den GBA eine „Ausübung von Staatsgewalt“ im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG darstellt.69 Bei einer Einordnung der Tätigkeit des IQWiG als bloße Unterstützungshandlungen wäre dies nicht der Fall. Sollte das IQWiG hingegen eine eigene Aufgabe verrichten, die angesichts ihrer Auswirkungen der Ausübung von Staatsgewalt gleichkommt, hätte dies zur Folge, dass die Tätigkeit legitimationsbedürftig wäre. Ob ein Handeln „Entscheidungscharakter“ hat, lässt sich hierbei nicht allein an der Außenwirkung festmachen bzw. daran, dass lediglich intern die Voraussetzungen für die Aufgabenwahrnehmung geschaffen werden.70 Die Wahrnehmung von Mitentscheidungsbefugnissen – wozu das BVerfG auch Vorschlagsrechte zählt, sofern diese Voraussetzung für die Wahrnehmung von Amtsaufgaben sind – kann ebenso zur Annahme eines Handelns mit „Entscheidungscharakter“ führen.71 Nach Ansicht des BVerfG ist der „Entscheidungscharakter“ jedenfalls zu bejahen, wenn der Entscheidungsträger bei der Ausübung seiner Befugnisse rechtlich von der Vorarbeit abhängig ist.72 Für beratende Expertengremien und Beiräte wird hingegen angenommen, dass sie keiner demokratischen Legitimation bedürften.73 Empfehlungscharakter sollen derartige Tätigkeiten für den Entscheidungsträger haben dürfen, ohne dass hierdurch ein Legitimationsbedürfnis hervorgerufen würde.74 Erst im Falle einer Verdichtung der unverbindlichen, beratenden „Teilhabe an der Verwaltung zur Mitentscheidung“ würde staatliche Herrschaft ausgeübt.75 Die Grenzziehung zwischen Vorschlägen und Empfehlungen stellt daher den Dreh- und Angelpunkt für die Legitimationsbedürftigkeit dar. Mit dem Hinweis darauf, dass das IQWiG keine unmittelbare nach außen wirkende Entscheidung trifft, ist die Problematik der Legitimationsbedürftigkeit von Vorbereitungshandlungen Privater hingegen nicht abzutun. Für die Frage, ob ein „Entscheidungscharakter“ der fraglichen Tätigkeit vorliegt, ist daher insbesondere auch auf die Intensität ihrer Wirkung abzustellen. Dies rührt aus dem herkömmlichen Verständnis des Entscheidungsbegriffs her.76 „Entscheidung“ beinhaltet demnach notwendig das Vorliegen einer verbindlichen Regelung.77 Demzufolge würde ein Legitimationsbedürfnis des IQWiG bestehen, wenn dieses eine in irgendeiner Form bindende Vorentscheidung treffen würde. 69 Huster/Penner, Die Legitimation des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung – eine juristische Analyse, GesW 2009, S. 46 ff. (47). 70 BVerfGE 93, 37 (68). 71 BVerfGE 83, 60 (73); 26, 186 (196). 72 BVerfGE 83, 60 (73). 73 BVerfGE 83, 60 (73). 74 BVerfGE 93, 37 (73, 78 f.). 75 BVerfGE 83, 60 (74). 76 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 24 Rdnr. 13; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 25 ff. und 86 ff. 77 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 257.
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§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
Wann im Falle einer Beteiligung an der Entscheidungsfindung in Form der Beratung die Ausübung von Staatsgewalt anzunehmen ist, bedarf demnach einer Betrachtung im Einzelfall. Diese hängt insbesondere davon ab, wie die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem staatlichen Letztentscheidungsträger und dem beratenden Sachverständigengremium ausgestaltet ist, sowie inwieweit auch tatsächlich, angesichts der erfolgten rechtlichen Absicherung, keine Entscheidungsverlagerung erfolgt. 1. Befugnisverteilung zwischen GBA und IQWiG („dezisionistisches Modell“) Die Beurteilung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch das IQWiG entfaltet gemäß § 35b Abs. 3 S. 1 und § 139b Abs. 4 SGB V keine Bindungswirkung gegenüber dem GBA. Laut § 139b Abs. 4 S. 1 und S. 2 SGB V handelt es sich bei den Arbeitsergebnissen des IQWiG vielmehr um Empfehlungen. Diese hat der GBA im Rahmen seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Der GBA beschließt auf der Grundlage der Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG über das Kosten-NutzenVerhältnis (§ 35b Abs. 3 S. 1 SGB V). Der konkrete Umgang des GBA mit den Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG wird auch durch die VerfO-GBA nicht konkretisiert. Es finden sich jedoch in § 8 Abs. 2 des 4. Kapitels der VerfO-GBA Regelungen zum Umgang mit den durch das IQWiG durchgeführten Nutzenbewertungen. Diese sind, da sie die gesetzlichen Vorgaben des § 139b Abs. 4 SGB V umsetzen und die grundsätzliche Art und Weise des Umganges mit der Zuarbeit des IQWiG regeln, verallgemeinerbar. Gemäß § 8 Abs. 2 des 4. Kapitels der VerfO-GBA sind die Nutzenbewertungen des IQWiG vom GBA im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle zu überprüfen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer eigenen Bewertung zu unterziehen.78 Diese Plausibilitätskontrolle umfasst nach § 8 Abs. 2 S. 2 des 4. Kapitels der VerfO-GBA die Prüfung der Übereinstimmung und Beantwortung des vom GBA erteilten Ermittlungsauftrages, die Einhaltung der durch das IQWiG gemäß § 139a Abs. 2 SGB V durchzuführenden externen Sachverständigenbeteiligung und ausreichenden Würdigung der hierbei erlangten Stellungnahmen sowie eine Schlüssigkeitskontrolle des Ergebnisses. Die Notwendigkeit der Überprüfung des GBA von Kosten-NutzenBewertungen zur Umsetzung in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V ergibt sich neben § 8 Abs. 2 des 4. Kapitels VerfO-GBA auch bereits aus der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Sachverständigengremium und dem exekutiven Normsetzer. Das IQWiG stellt damit für den GBA zunächst einmal eine fachlich unabhängige „Wissensbasis“ dar.79 Nach der Ansicht von Maassen und Uwer geht die Beteiligung 78
Siehe zum konkreten Ablauf und Verhältnis der Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG und der Feststellung dieses durch den GBA § 2 B. II. 79 Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 49; Wallrabenstein, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 139a Rn. 8.
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deshalb auch nicht über die Einholung eines Sachverständigengutachtens von einer hierfür gesetzlich vorgesehenen Institution hinaus.80 Das IQWiG ersetzt die Bewertung wissenschaftlicher Fragen des Nutzens und Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch den GBA nicht, sondern unterstützt den rechtlichen Regelungen zufolge die Bewertung des GBA lediglich.81 Dennoch wird in der Literatur vielfach angenommen, dass die Kosten-NutzenBewertung des IQWiG die spätere Feststellung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch den GBA entscheidend determiniere.82 Die demokratische Legitimationspflicht könne – solle sie nicht unterlaufen werden – nicht lediglich äußerlich anhand der Struktur der Rechtsnormen betrachtet werden, sondern die tatsächliche, faktische „Letztentscheidungsverantwortung“ und „Verfahrensherrschaft“ müsse überprüft werden, um das Demokratieprinzip nicht durch Privatisierungstendenzen leerlaufen zu lassen.83 Unabhängig von dieser möglichen faktischen „Tatbestandswirkung“ könnte sich aber auch bereits aus den hergebrachten Grundsätzen der Letztentscheidungskompetenz ein Legitimationsbedürfnis für die Tätigkeit des IQWiG ergeben. Ein solches könnte im Falle des Bestehens einer Konsultationspflicht bei Entscheidungen über Nutzen- und Wirtschaftlichkeitsfragen durch den GBA anzunehmen sein, oder aus den gemäß § 139a Abs. 4 S. 2 SGB V sowie § 35b Abs. 1 S. 7 SGB V bestehenden Veröffentlichungspflichten folgen. a) Konsultationspflicht als legitimationsauslösendes Moment Das Bestehen einer Konsultationspflicht wird teilweise als legitimationsauslösend angesehen, da der Beratung in diesem Fall eine besondere rechtliche Relevanz zukäme.84 Die Inkorporation fremden Wissens tendiert bei einer gemeinsamen Erarbeitung und Ausformulierung der relevanten Entscheidungsgrundlagen „unver80 Maassen/Uwer, Verfahrensrechtliche Fragen zum Methodenpapier des IQWiG, MedR 2006, S. 32 ff. (37). 81 So Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie: Rechtliche Fragen zum IQWiG, S. 48. 82 Hierzu bereits Hart, Der regulatorische Rahmen der Nutzenbewertung, MedR 2004, S. 469 ff. (476); Kügel, Beteiligung und Rechtsschutz der Arzneimittelhersteller bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch das IQWiG (Teil 1), NZS 2006, S. 232 ff. (233 f.) – beide hinsichtlich der vom IQWiG durchzuführenden Nutzenbewertung; in Bezug auf die Kosten-Nutzen-Bewertung so Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (444 f.); Huster/Penner, Die Legitimation des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung – eine juristische Analyse, GesW 2009, S. 46 ff. (47). 83 Burgi, Privat vorbereitete Verwaltungsentscheidungen und staatliche Strukturschaffungspflicht, Die Verwaltung 2000, S. 183 ff. (194); Di Fabio, Produktharmonisierung durch Normung und Selbstüberwachung, S. 96. 84 Unkelbach, Vorbereitung und Übernahme staatlicher Entscheidungen durch plural zusammengesetzte Gremien, S. 35 f. und 54 f.; Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 84 f.
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meidlich“ zur Mitentscheidung, selbst wenn sich dies nicht in den außenwirksamen Einzelfallentscheidungen niederschlägt.85 Scriba ist der Auffassung, dass sich bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Einbindung eines Beratungsgremiums dieser Effekt noch weiter verstärken würde, weil keine Entscheidungsbefugnis über das „Ob“ der Konsultation bestehe und auch die Entscheidungsfreiheit darüber entfiele, wer mit der sachverständigen Beratung betraut wird.86 Gegen eine solche Annahme spricht hingegen, dass die erfolgte Institutionalisierung mit der Wahrung der Neutralität und Unabhängigkeit der Sachverständigen zusammenhängt und demzufolge durch die Sicherstellung eines höheren Grades an Objektivität bedingt wird. Auch führt die gesetzgeberischen Entscheidung – folglich einer höher legitimierten als die der Exekutive – darüber, wer als Sachverständiger fungieren soll, zu keinem höheren Legitimationsbedürfnis. Die Institutionalisierung und damit gesetzliche Bestimmung des zu konsultierenden Sachverständigengremiums ist deshalb sogar als demokratischere Lösung der Problematik des Einflusses von Wertungen auf Sachverständigengutachten angesehen worden.87 Dies gilt ebenso für die Regelung des „Ob“ der Konsultation, zumal das Vorliegen einer solchen Konsultationspflicht ohnehin – mit Ausnahme des Anwendungsbereichs von § 130b Abs. 8 iVm § 35b Abs. 1 S. 1 SGB V – fraglich erscheint. Die Verpflichtung, eine informierte Entscheidung auf der Grundlage der Bewertung eines gesetzlich anerkannten Sachverständigengremiums zu treffen, mag faktisch dazu führen, dass diesen Auskünften vom Entscheidungsträger ein höheres Vertrauen entgegengebracht wird. Dies hat jedoch weder eine Bindungswirkung der Bewertung des IQWiG für den GBA zur Folge, noch, dass durch die Konsultationspflicht eine Abhängigkeit bei der Entscheidungsbefugnis des GBA im Sinne der durch das BVerfG geprägten Voraussetzungen für die Annahme des „Entscheidungscharakters“ besteht. Einen „Entscheidungscharakter“ hat das BVerfG hinsichtlich interner Maßnahmen, etwa Vorarbeiten, lediglich im Falle von Vorschlagsrechten angenommen. Sollte den Empfehlungen des IQWiG eine identische Wirkung wie Vorschlägen zukommen, wäre daher ein Legitimationsbedürfnis anzunehmen. Ein „Entscheidungscharakter“ der Vorschläge wurde allerdings vom BVerfG nur bejaht, wenn eine Abhängigkeit von den Vorschlägen bei der Ausübung der Entscheidungsbefugnisse besteht.88 Eine derartige Abhängigkeit begründet eine Konsultationspflicht jedoch nicht. Während bei der Entscheidung des BVerfG ein Vorschlag des Beratungsgremiums unter mehreren ausgewählt werden musste und hierdurch eine gewisse Bindung an die Vorschläge hervorgerufen wurde,89 liegt eine solche bei Kosten85
Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 155 f. Scriba, Die Arzneimittelbewertung des IQWiG, S. 85 f. 87 Nußberger, Sachverständigenwissen als Determinante verwaltungsrechtlicher Einzelentscheidungen, AöR 129 (2004), S. 282 ff. (286). 88 BVerfGE 26, 186 (196 f.); 83, 60 (73). 89 BVerfGE 26, 186 (195 f.). 86
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Nutzen-Bewertungen gerade nicht vor. Die Empfehlungen des IQWiG beinhalten nicht die Vorgabe mehrerer Entscheidungsalternativen, sondern die Angabe des Verhältnisses von Kosten und Nutzen unterschiedlicher medizinischer Methoden in einer Indikation, hinsichtlich verschiedener Parameter, die auch noch in Bezug auf einige Untergruppen variieren.90 Eine bindende Auswahl an Alternativen resultiert hieraus nicht. Die Empfehlungen des IQWiG entfalten daher selbst im Falle einer Konsultationspflicht keine ähnliche Bindungswirkung wie Vorschläge, sodass hieraus keine Legitimationsbedürftigkeit erwächst. b) Veröffentlichung als Auslöser der Legitimationsbedürftigkeit Teilweise wird wegen der Veröffentlichung u. a. auch der Kosten-Nutzen-Bewertungen angenommen, dass die Tätigkeit des IQWiG legitimationsbedürftig wäre.91 Die Bewertungen des IQWiG würden mit der Veröffentlichung „unmittelbar rechtliche Außenwirkung“ entfalten und könnten darüber hinaus einen „selbstständigen Eingriff in Grundrechte“ darstellen.92 Gleichzeitig würde durch die Veröffentlichung der sachverständigen Bewertung ein erheblicher Druck auf den an sich abweichungsbefugten Letztentscheidungsträger aufgebaut, der bewirke, dass die Möglichkeit des Abweichens faktisch nicht bestünde. Der Bereich der Beratung würde deshalb überschritten.93 Dem ist nicht zuzustimmen. Bei genauer Betrachtung, welche Informationen gemäß § 35b Abs. 1 S. 6 und 7 SGB V sowie § 139 Abs. 4 S. 2 SGB V veröffentlicht werden dürfen, zeigt sich zwar, dass ein mittelbarer Grundrechtseingriff in Art. 12 Abs. 1 GG der Pharmaunternehmer nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Zu diesem Ergebnis führt indes nicht § 35b Abs. 1 S. 7 SGB V, da das IQWiG hiernach nur dazu verpflichtet wird, „die jeweiligen Methoden und Kriterien“ im Internet zu veröffentlichen. Diese haben weder eine derartige Außenwirkung, noch können sie mittelbare Grundrechtseingriffe erzeugen. Die Regelung des § 139a Abs. 4 S. 2 SGB V hat jedoch zur Folge, dass auch über die Arbeitsergebnisse öffentlich zu
90 Siehe hierzu den 484 Seiten umfassenden Vorbericht, welcher verschiedene Zielpopulationen, Zeiträume, Referenzszenarien sowie Sensitivitätsanalysen berücksichtigt, IQWiG, Kosten-Nutzen-Bewertung von Venlafaxin, Duloxetin, Bupropion und Mirtazapin, Vorbericht G09 – 01, Version 1.0, Stand 09. 11. 2012, S. 255 ff. 91 So Pitschas, Informationen der Leistungserbringer und Patienten im rechtlichen Handlungsrahmen von G-BA und IQWiG, MedR 2008, S. 34 ff. (35 f.); Scriba, Die Arzneimittelbewertungen des IQWiG, S. 91 f. 92 Pitschas, Informationen der Leistungserbringer und Patienten im rechtlichen Handlungsrahmen von G-BA und IQWiG, MedR 2008, S. 34 ff. (36). 93 Scriba, Die Arzneimittelbewertungen des IQWiG, S. 92; ebenso auf die Erhöhung des Einflusses des Beratungsgremiums im Falle der Veröffentlichung hinweisend Unkelbach, Vorbereitung und Übernahme staatlicher Entscheidungen durch plural zusammengesetzte Gremien, S. 35.
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berichten ist.94 Im Falle der Veröffentlichung fehlerhafter Informationen kann es grundsätzlich zu einem mittelbaren Grundrechtseingriff kommen. Ein solcher mittelbarer Eingriff liegt angesichts der Art und Weise der Informationsveröffentlichung hier allerdings eher fern. Außerdem werden die für die Annahme eines mittelbaren Grundrechtseingriffes notwendigen Wirkungen durch die Veröffentlichung an sich nicht erzeugt. Die Finanzierung der medizinischen Leistungen über die Abgabe der GKV führt dazu, dass erst der Beschluss des GBA oder aber der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 4 SGB V eine solche Wirkung hervorrufen kann. Mit der Beeinflussung Privater durch Informationen kann dies nicht parallelisiert werden. Schon aus diesem Grund erscheint es zweifelhaft, einen mittelbaren Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG durch die Veröffentlichungen anzunehmen. Weiterhin ist aber auch zwischen der Bewertungstätigkeit des IQWiG und der Veröffentlichung der Ergebnisse zu differenzieren. Die Bewertungstätigkeit des IQWiG als solche geht – klammert man die faktischen Wirkungen vorläufig aus – nicht über eine rein beratende Funktion hinaus. Hieran ändert die Veröffentlichungspflicht nichts. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die aus § 139a Abs. 4 S. 2 SGB V und § 35b Abs. 1 S. 6 und 7 SGB V resultierenden Veröffentlichungspflichten des IQWiG Berichtspflichten darstellen, mittels welcher eine ausreichende Verfahrenstransparenz erzeugt werden soll sowie eine öffentliche Diskussion über die Methodenwahl für die Bewertung angestrebt wird.95 Die Veröffentlichungspflichten dienen daher der Sicherstellung rechtsstaatlicher Grundsätze und ermöglichen eine Beteiligung ebenso wie eine Kontrolle. Hieraus folgt jedoch, wie man auch an der Gestaltung der Veröffentlichungen erkennen kann, nicht eine über die Transparenzerzeugung und Eröffnung einer Beteiligung hinausgehende Wirkung. Schon die sachlich gehaltenen Informationen über die Methodik, die Vergleichsparameter wie auch die Gegenüberstellung der Bewertungsergebnisse sprechen dagegen, dass eine über die Information des unmittelbaren Betroffenenkreises hinausgehende Wirkung erzeugt wird. Sollte eine solche mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung dennoch hervorgerufen werden, würde dies jedoch auch nicht zu einem Legitimationsbedürfnis der Bewertungstätigkeit des IQWiG für den GBA führen, sondern allein die Veröffentlichung betreffen, die im Übrigen gesetzlich vorgesehen ist. Die tatsächliche Veröffentlichungstätigkeit des IQWiG entspricht dieser Würdigung. Zwar ist bis zum jetzigen Zeitpunkt eine Kosten-Nutzen-Bewertung noch nicht fertiggestellt worden, weshalb es zu einer Veröffentlichung endgültiger Ergebnisse bisher nicht gekommen ist. Zwischenstände von Bewertungsverfahren sind aber bereits veröffentlicht worden. An diesen ist der Umfang der Veröffentlichungstätigkeit des IQWiG ablesbar. Das IQWIG hat bisher den Berichtsplan sowie 94
Siehe hierzu auch § 2 B. II. 3. So auch Beck, in: Engelmann/Schlegel (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 35b Rn. 16 sowie Engelmann, in: Engelmann/Schlegel (Hrsg.), jurisPK-SGB V, § 139a Rn. 35. Siehe hierzu bereits § 2 B. II. 3. 95
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den Vorbericht zur Kosten-Nutzen-Bewertung von Venlafaxin, Duloxetin, Bupropion und Mirtazapin im Internet veröffentlicht. Der Berichtsplan enthält, über die Nennung der zu berücksichtigenden Kriterien und anzuwendenden Methoden hinausgehend, eine Konkretisierung des Krankheitsbildes, in welchem es zum Einsatz der fraglichen Arzneimittel kommt, sowie eine Beschreibung der Versorgungsrealität.96 Weiterhin werden die Therapieempfehlungen und Krankheitskosten dargestellt. Im Vorbericht werden neben den Methoden der Nutzenbewertung, KostenNutzen-Bewertung und Ausgaben-Einfluss-Analyse auch die bisherigen Ergebnisse dieser aufgeführt. Hier werden konkrete Beträge als „zusatznutzenbereinigte Erstattungspreise“ genannt und berechnet, inwieweit Einsparungen bei einer Substitution der Substanzen erzeugt werden können.97 Sämtliche dieser Informationen sind rein sachlich dargestellt und wissenschaftlich aufgearbeitet. Daher ist anzunehmen, dass sie über eine reine Transparenzherstellung und Eröffnung der Beteiligung am Bewertungsverfahren nicht hinausgehen. Die Durchführung von Kosten-NutzenBewertungen ist daher nicht aufgrund der Veröffentlichungspflicht nach § 139a Abs. 4 SGB V legitimationsbedürftig. Die gesetzliche Ausgestaltung der Beteiligung des IQWiG ist demnach so erfolgt, dass keine Wirkungen von den Empfehlungen des IQWiG ausgehen, denen man nach dem „dezisionistischen“ Modell „Entscheidungscharakter“ zuzusprechen hätte. Allenfalls die von der Literatur angenommene „Tatbestandswirkung“ als Form der faktischen Bindung könnte daher zu einem Legitimationsbedürfnis führen. 2. Faktische Bindungswirkung („pragmatisches Modell“) Die Einbeziehung sachverständiger Kreise ist bei einer Einbindung privaten Sachverstandes in Organisation und Verfahren, nicht aber Übertragung der eigentlichen Entscheidung, legitimatorisch bisher häufig als unproblematisch angesehen worden.98 Sollte das IQWiG tatsächlich lediglich sachverständige Beurteilungen abgeben, könnte man insoweit geneigt sein, Sozialrechtlern aufgrund der Diskussion über die demokratische Legitimationsfähigkeit des GBA eine gewisse Übervorsicht hinsichtlich dieser Thematik zu unterstellen.99 Hinsichtlich der Beteiligung von Sachverständigen sind jedoch insbesondere in den letzten Jahren eine Vielzahl von Stimmen laut geworden, die eine Mutation der 96 IQWiG, Kosten-Nutzen-Bewertung von Venlafaxin, Duloxetin, Bupropion und Mirtazapin, Berichtsplan, Version 1.0, S. 1 f., 12 ff. 97 IQWiG, Kosten-Nutzen-Bewertung von Venlafaxin, Duloxetin, Bupropion und Mirtazapin, Vorbericht G09 – 01, Version 1.0, Stand 09. 11. 2012, S. 16 ff., 70 ff., 255 ff. 98 Kingreen, Gesundheit ohne Gesetzgeber, in: ders./Laux (Hrsg.), Gesundheit und Medizin im interdisziplinären Diskurs, S. 147 ff. (173). 99 Des Öfteren wird auf die Frage der Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG überhaupt nicht eingegangen, sondern sogleich ein „Legitimitätsdefizit“ statuiert, so etwa Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (445 f.).
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Mitwirkung zur Mitentscheidung befürchten. Sowohl die Ausgestaltung als auch das stark wertungsbehaftete Tätigkeitsfeld und der Empfehlungscharakter der Bewertungsergebnisse des IQWiG scheinen in die Richtung eines Mitentscheidungscharakters zu weisen. Die in der Gesetzesbegründung gewählte Bezeichnung der „umsetzenden Entscheidung“100 der Bewertungen des IQWiG durch den GBA entkräftet dies nicht. Darüber hinaus ist die Beurteilung der Beteiligung von Sachverständigen an der Entscheidungsfindung grundsätzlich davon abhängig, inwieweit diese eigene Wertungen abgeben oder aber lediglich Tatsachen für den Letztentscheidungsträger ermitteln. Eine Legitimationsbedürftigkeit der Tätigkeit des IQWiG ist im Hinblick auf seinen faktischen Einfluss daher nicht von vornherein auszuschließen. Eine aus einer faktischen Bindungswirkung herrührende Legitimationsbedürftigkeit – sollte man ein Legitimationsbedürfnis hieraus überhaupt herleiten können – bestünde, wenn das IQWiG die Entscheidungen des GBA derart intensiv leiten bzw. beeinflussen würde, dass die Entscheidung über die Angemessenheit des KostenNutzen-Verhältnisses eigentlich vom IQWiG selbst getroffen würde.101 Eine derartige faktische Bindungswirkung wird teilweise mit der Begründung angenommen, dass der GBA, sollte er sich dem Vorschlag des IQWiG nicht anschließen, dies besonders begründen müsse. Es bedürfe sogar der Einholung einer anderweitigen sachverständigen Stellungnahme.102 Neben diesem Aspekt wird weiterhin darauf verwiesen, dass eine Legitimation des IQWiG schon deshalb bestehen müsse, weil der Sinn und Zweck seiner Vorarbeit – den GBA zu entlasten – verfehlt würde, wenn mangels demokratischer Legitimation des IQWiG die Notwendigkeit bestünde, die Empfehlungen zumindest nachvollziehend zu prüfen und eine eigene Bewertung vorzunehmen.103 Eine eigenständige Prüfung und Bewertung solle mit der Konsultation des IQWiG gerade vermieden werden.104 Eine andere Ansicht hält die Bewertung durch das IQWiG hingegen, ungeachtet ihrer besonderen Qualität, weder für den GBA noch gegenüber außen stehenden Dritten in irgendeiner Weise verbindlich und aus diesem Grund auch nicht für le100
BT-Drs. 15/1525, S. 89, in welchem der Begriff „umsetzende Entscheidung“ verwendet wird, ebenso findet sich in BT-Drs. 16/3100, S. 103 die wörtliche Ausführung: „Es bleibt Aufgabe der zuständigen Einrichtungen der Selbstverwaltung, über die Umsetzung zu entscheiden.“ 101 So bereits Schimmelpfeng-Schütte, Gesundheitsmodernisierungsgesetz und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, GesR 2004, S. 1 ff. (5); Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 51; Gassner, Legitimitätsprobleme der Kosten-NutzenBewertung von Arzneimitteln, PharmR 2007, S. 441 ff. (445 f.). 102 Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie: Rechtliche Fragen zum IQWiG, S. 49. 103 Huster/Penner, Legitimationsprobleme des IQWiG bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, VSSR 2008, S. 221 ff. (230). 104 Rixen, Verhältnis von IQWiG und GBA: Vertrauen oder Kontrolle? MedR 2008, S. 24 ff. (28); Huster/Penner, Legitimationsprobleme des IQWiG bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, VSSR 2008, S. 221 ff. (230); Ammann, Medizinethik und medizinethische Expertengremien im Licht des öffentlichen Rechts, S. 298 f.
A. Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG
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gitimationsbedürftig.105 Diese Ansicht lehnt allerdings das Hervorrufen der Legitimationsbedürftigkeit durch eine faktische Bindungswirkung wohl grundsätzlich ab. Hierauf deutet jedenfalls die argumentative Vorgehensweise hin. Ob faktisch hervorgerufene Bindungswirkungen überhaupt Einfluss auf die Legitimationsbedürftigkeit haben können oder aber stattdessen vielmehr ein Bewertungsausfall vorliegt, wenn der gesetzlich bestimmte Letztentscheidungsträger keine eigene Bewertung vorgenommen hat, wird im Weiteren näher erörtert. a) Einordnung der Tätigkeit des IQWiG als Sachverständigenbewertung Die Forderung der demokratischen Legitimation des IQWiG ist bereits damit kritisiert worden, dass sie die Funktion des IQWiG verkenne, den GBA bei seiner Entscheidungstätigkeit mit besonderem Sachverstand zu unterstützen.106 Allein auf die Sachverständigenfunktion abzustellen, vermag jedoch nicht zu überzeugen, bedenkt man, dass auch Sachverständigengutachten nicht grundsätzlich lediglich objektives Spezialwissen wiedergeben, sondern zu einem Teil auch auf Wertungen beruhen, selbst wenn diese auf der Grundlage der sachverständigen Beurteilung von Tatsachen vorgenommen werden.107 Die Legitimationsnotwendigkeit sachverständiger Stellungnahmen kann sehr unterschiedlich ausfallen, abhängig davon, ob es sich um die Wiedergabe von „gesicherten Erkenntnissen[,] […] [eine] Stellungnahme in einem wissenschaftlichen Disput oder ein auf sachlichen Kriterien beruhendes Werturteil“ handelt.108 Bei Ausscheiden der Einholung von neutralen Informationen von Sachverständigen neigt die Inkorporation fremder Beurteilungen indes dazu, eine Form der Mitentscheidung zu werden.109 Die Annahme einer Sachverständigeneigenschaft erfordert besonderen Sachverstand, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit.110 Diese Voraussetzungen erfüllt das 105 Maassen/Uwer, Verfahrensrechtliche Fragen zum Methodenpapier des IQWiG, MedR 2006, S. 32 ff. (38); Engelmann, Kontrolle medizinischer Standards durch die Sozialgerichtsbarkeit, MedR 2006, S. 245 ff. (255); BSG, Urteil vom 31. 05. 2006, – B 6 KA 13/05 R –, BSGE 96, 261 (282). 106 Rixen, Verhältnis IQWiG und G-BA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (26 f.). 107 Vgl. BGH, Urteil vom 18. 10. 1977, – VI ZR 171/76 –, NJW 1978, S. 751 ff. zum Wesen eines Sachverständigengutachtens, dem es immanent sei, nicht lediglich auf Tatsachengrundlagen, sondern ebenso auf Wertungen zu beruhen. 108 Nußberger, Sachverständigenwissen als Determinante verwaltungsrechtlicher Einzelentscheidungen, AöR 129 (2004), S. 282 ff. (285 f.). 109 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 156. 110 Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, § 43 Rn. 18. Der von Voßkuhle verwendete Begriff der Sachkunde wurde vorliegend, der Unterscheidung von Nußberger in Sachverstand und Sachkunde folgend, durch Sachverstand ersetzt, um klarzustellen, dass es beim IQWiG um eine wissenschaftliche Absicherung der Entscheidung geht, nicht aber durch besondere Sachnähe vermittelte gesellschaftliche Akzeptanz, vgl. Nußberger, Sachverständi-
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§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
IQWiG. Es widerspricht der Sachverständigentätigkeit nicht grundsätzlich, dass auch wertende Elemente erfasst werden. Etwa bei gutachterlichen Stellungnahmen zu wirtschaftspolitischen, juristischen oder künstlerischen Fragen ist dies sogar regelmäßig der Fall.111 Teil der Sachverständigentätigkeit ist es auch im Rahmen eines wissenschaftlichen Erkenntnisverfahrens, einen wertungsabhängigen Selektionsprozess durchzuführen. Dieser ist nicht frei von ungesicherten Annahmen, persönlichem Vorverständnis und weiteren Faktoren, die weder empirisch noch logisch überprüfbar sind.112 Dem IQWiG ist daher nicht aufgrund der notwendig vorzunehmenden Wertungen die Sachverständigenfunktion abzusprechen. Teilweise wird auch aufgrund der Abgabe von „Empfehlungen“ anstatt von Stellungnahmen und Berichten ein Überschreiten einer bloßen Sachverständigentätigkeit angenommen, da hiermit eindeutig nicht nur die Aufbereitung von wissenschaftlichem Material verbunden sei. Es würden vielmehr Handlungsanleitungen abgegeben, die nicht Aufgabe der Sachverständigen seien.113 Diese Auffassung verengt jedoch den Bereich der Sachverständigeneigenschaft zu stark. Stellungnahmen von Sachverständigen beinhalten immer auch einen Vorschlag zum Umgang mit der Fragestellung.114 Der Charakter der Tätigkeit verändert sich nicht dadurch, dass das Gutachten gesetzlich als Empfehlung anstatt Stellungnahme eingeordnet wird. Die Bindungswirkung bzw. ihr Fehlen wird, wie ausgeführt wurde, hierdurch nicht derart verändert, dass die grundsätzlichen Überlegungen zum Umgang mit Sachverständigengutachten nicht mehr gelten würden. Dennoch kann der Argumentation, dass eine Sachverständigentätigkeit unabhängig von der faktischen Bindungswirkung grundsätzlich nicht legitimationsbedürftig ist, nur hinsichtlich eines engen Feldes – bei reinen Tatsachenermittlungen – gefolgt werden. Für die Vornahme von Wertungen gilt dies hingegen nicht. Eine bloße Übernahme der Empfehlungen des IQWiG ist, bei fehlender demokratischer Legitimation des IQWiG, nur in Bereichen möglich, in denen das IQWiG mit besonderem Sachverstand ausgestattet ist und sachverständige Bewertungen, nicht aber politische Wertungen, abgibt.115 Nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 SGB X116 besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass Behörden zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts sachverständige Äußerungen einholen und die inhaltliche genwissen als Determinante verwaltungsrechtlicher Einzelentscheidungen, AöR 2004, S. 282 ff. (291 f.). 111 Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, § 43 Rn. 19. 112 Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, § 43 Rn. 19. 113 Kügel, Beteiligung und Rechtsschutz der Arzneimittelhersteller bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch das IQWiG, NZS 2006, S. 232 ff. (233 f.), wobei dieser im Ergebnis das IQWiG hinsichtlich der Nutzenbewertung noch als sachverständige Institution, allerdings ohne weitere Begründung, einordnet. 114 Scholl, Der private Sachverständige im Verwaltungsrecht, S. 100 ff. 115 So auch der Ansatz von Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 52. 116 § 21 SGB X ist parallel zu § 26 VwVfG konstruiert.
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Entscheidung hierauf stützen. Dies zeigt zum einen die auch andernorts gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Unterstützung des Verwaltungshandelns durch Sachverständige. Zum anderen weist die Begrenzung auf die Sachverhaltsermittlung jedoch auch darauf hin, dass die Funktion von Sachverständigen grundsätzlich auf die Tatsachenermittlung und nicht die Vornahme von darüber hinausgehenden Wertungen gerichtet ist. Dies gilt, solange es sich nicht um Bewertungen handelt, die in Anknüpfung an die Tatsachenbasis erfolgen und auf wissenschaftlichen Zwängen beruhen. Um reine Tatsachenfeststellungen geht es bei der Bewertung des Kosten-NutzenVerhältnisses jedenfalls nicht, weshalb der bloße Verweis auf die Sachverständigentätigkeit im Verwaltungsverfahren nicht ausreicht. Zwar wird auch im Falle der nach § 35b SGB V erfolgenden Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG die Tatsachenbasis bzw. Entscheidungsgrundlage geliefert, eine Vergleichbarkeit zu § 21 Abs. 1 Nr. 2 SGB X bzw. § 26 VwVfG ist dennoch abzulehnen. Darauf zu verweisen, dass es sich bei dem IQWiG um ein Sachverständigengremium handelt, genügt zum Ausschluss eines Legitimationsbedürfnisses aus diesen Gründen nicht. b) Faktische Bindungswirkung angesichts der Begründungsbzw. Berücksichtigungspflicht Die Begründungspflicht, welche aus dem nach § 139b Abs. 4 S. 2 SGB V bestehenden Berücksichtigungsgebot hergeleitet wird,117 führt nicht dazu, dass eine faktische Bindungswirkung an die Empfehlungen des IQWiG anzunehmen wäre. Zwar kann eine Begründungspflicht in Form der Berücksichtigungspflicht faktisch eine stärkere Bindung an die Vorarbeit hervorrufen, jedenfalls wenn ein Abweichen von dem Ergebnis in substantiierter Form begründet werden muss.118 Das Bestehen einer Begründungspflicht für hoheitliche Entscheidungen ergibt sich jedoch auch aus dem Rechtsstaatsprinzip.119 Die Forderung, sich mit der eingeholten sachverständigen Stellungnahme auseinanderzusetzen, bewirkt aus diesem Grund noch keine 117
Axer, Die Vorschlagslisten nach § 33a SGB V, NZS 2001, S. 225 ff. (227). Nußberger, Sachverständigenwissen als Determinante verwaltungsrechtlicher Einzelentscheidungen, AöR 129 (2004), S. 282 ff. (294), differenziert hinsichtlich der Beteiligung von Sachverständigen mittels des „Raster[s] ,Verwaltungshelfer‘ – ,Beliehener‘ [als] Eckpunkte[n]“ in vier unterschiedliche Abstufungen, wobei die geringste Form der Beeinflussung Sachverständigengutachten darstellen, die allein der Information dienen und deren Ergebnisse frei gewürdigt werden können, eine stärkere Beeinflussung demgegenüber schon bei der Pflicht der substantiierten Begründung, wenn von dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens abgewichen werden soll, angenommen wird. Eine noch stärkere Wirkung entfaltet die Sachverständigentätigkeit nur im Falle der Bindungswirkung oder wenn der Sachverständige selbst zum Entscheidungsträger wird. 119 Kischel, Die Begründung, S. 9 f. und 63 ff., der neben dem Rechtsstaatsprinzip die Begründungspflicht auch im Demokratieprinzip, u. a. unter dem Gesichtspunkt der Transparenz und Publizität verortet; siehe hierzu auch Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 306. 118
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faktische Bindung. Hierdurch trifft nicht das IQWiG eigentlich schon die Entscheidung. Die Pflicht, sich mit der sachverständigen Einschätzung auseinanderzusetzen, welche sich in der Begründungspflicht niederschlägt, hängt vielmehr mit der sachkundigen Fundierung der Entscheidungsfindung, nicht aber einer Bindungswirkung zusammen.120 Dass ein Abweichen über die grundsätzlich erforderliche Begründung besonders substantiiert und damit von der Tendenz her nur im Ausnahmefall erfolgen soll, ist dem Normgefüge des SGB V zur Beteiligung des IQWiG nicht zu entnehmen. Weder aus dem Begriff „berücksichtigen“ noch daraus, dass die Bewertungen des IQWiG die „Grundlage“ der Feststellung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bilden, kann eine Bindungswirkung unmittelbar abgeleitet werden.121 Ebenso findet sich beispielsweise hinsichtlich der Stellungnahmen von Betroffenen die Pflicht der „Einbeziehung“ oder aber Berücksichtigung, ohne dass diesbezüglich das Bedürfnis nach demokratischer Legitimation proklamiert würde.122 Wenn gesetzlich die Einholung einer Expertise vorgesehen ist, löst die Pflicht des Entscheidungsträgers, sich mit dieser auseinanderzusetzen und seine Entscheidung zu begründen, keine faktische Bindungswirkung aus. Die Begründungspflicht sorgt vielmehr sogar eher dafür, dass eine eigene Entscheidung durch den GBA getroffen wird, da die Abgabe einer Begründung diesen dazu zwingt, nicht nur die Entscheidung zu überdenken,123 sondern sie auch selbst zu fällen. Im Falle der Kooperation von IQWiG und GBA gilt dies in besonderem Maße. Aufgrund der eigenen Sachkunde des GBA liegt die Vornahme einer anderweitigen eigenen Beurteilung noch näher als bei sonstigen, mangels eigener Betroffenheit eher neutralen Staatsträgern. Zwar beruht die Sachkunde anders als der Sachverstand nicht auf besonderer wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern besteht vielmehr aus Erfahrungswissen aufgrund eigener Betroffenheit. Das hierüber zutage tretende Eigeninteresse erhöht jedoch die Wahrscheinlichkeit der vertieften Auseinandersetzung mit der Fragestellung. Die Begründungspflicht des GBA führt zu keinem besonderen Hemmnis, von der Empfehlung des IQWiG nicht abzuweichen. In Anbetracht der eigenen Kenntnis kann dieser Pflicht durchaus nachgekommen werden. Das bestehende eigene Interesse spricht ebenso dafür, dass die Empfehlungen nicht unbesehen befolgt werden. 120
Vgl. Nußberger, Sachverständigenwissen als Determinante verwaltungsrechtlicher Einzelentscheidungen, AöR 129 (2004), S. 282 ff. (290). 121 A.A. Axer, Die Vorschlagslisten nach § 33a SGB V, NZS 2001, S. 225 ff. (227). 122 So auch etwa in § 139a Abs. 5 S. 2 SGB V. Berücksichtigungsgebote finden sich im Rahmen von Abwägungen, etwa in §§ 1 ff. BauGB, vielfach, ohne dass hier eine Bindung feststellbar wäre. Des Öfteren wird der Terminus „zu berücksichtigen“ im Rahmen des SGB V verwendet, um eine Einbeziehung bestimmter Faktoren in die Entscheidungsfindung anzuordnen. Zu den Ähnlichkeiten zwischen den Anhörungen von Betroffenen und der Beratung durch Sachverständige siehe Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, S. 96 ff. 123 Ausführlich zur Funktion der Begründung Kischel, Die Begründung, S. 40 ff.
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Weiterhin bedarf es auch noch weiterer Umsetzungsschritte, damit Kosten-Nutzen-Bewertungen überhaupt Außenwirkung entfalten. Dies gilt sowohl im Rahmen des § 130b SGB V als auch in Bezug auf § 92 SGB V. Sachverstand und Sachkunde werden in der Kooperation von GBA und IQWiG kumuliert herangezogen. Weder wird angestrebt, eine vollständige politische Neutralisierung einer wertungsbehafteten Entscheidung durch Abgabe dieser an ein Expertengremium zu erreichen, noch soll die Wertung allein einem paritätisch besetzten Betroffenengremium überlassen werden. c) Gestaltung der Empfehlungen des IQWiG Die Gestaltung der Empfehlungen führt ebenfalls nicht dazu, dass eine faktische Bindungswirkung erzeugt würde. Zwar geht die Erteilung von Empfehlungen über die Sachverständigen üblicherweise zukommende Position, die Tatsachengrundlagen zu ermitteln, hinaus. Dies bewirkt jedoch nicht, dass eine faktische Entscheidungsverlagerung anzunehmen wäre. Die Darstellung der Effizienzgrenze enthält allerdings eine mehr oder minder konkrete Vorgehensempfehlung. Gleichzeitig hängt die Bildung der Effizienzgrenze, wie die Bewertungen des IQWiG auch offenlegen, aber erheblich von der Bewertung des Gewichts der zugrundeliegenden Faktoren ab. Das IQWiG bildet aus diesem Grund nicht lediglich eine Effizienzgrenze, sondern sogar mehrere.124 Effizienzgrenzen geben jedoch nicht punktuell eine Entscheidungsmöglichkeit wieder, sondern zeigen einen Entscheidungsspielraum auf. Zusätzlich werden dem GBA Folgenabschätzungen in Gestalt der Ausgaben-Einfluss-Analyse zur Verfügung gestellt. Die beratende Funktion verlassen die Empfehlungen des IQWiG auch bei genauerer Betrachtung ihrer Ausgestaltung nicht. In den angestellten und dem GBA zur Verfügung gestellten Erwägungen werden sowohl Pro als auch Contra der Empfehlung offengelegt. Unter anderem anhand der vom IQWiG selbst eingeholten Sachverständigengutachten und Stellungnahmen werden die einzelnen Bewertungsschritte erläutert.125 Dem GBA wird damit ein umfassender Bericht zur Verfügung gestellt, der sämtliche in Betracht zu ziehende Faktoren ausweist und Gründe für die vom IQWiG erfolgte Gewichtung und Empfehlung angibt. Die Bewertungsgrundlagen werden somit aufgearbeitet und dem GBA gegenüber ausdrücklich benannt. Mit den Folgenabschätzungen wird noch ein weiterer Faktor zur Verfügung gestellt, anhand dessen der GBA eine eigene Bewertung vornehmen kann. Die Gutachten des IQWiG, welche mit dem GBA – wie bereits ausgeführt wurde – auch nicht an eine vollständig sachunkundige Stelle gerichtet werden, sind derart gestaltet, dass sie den GBA in die
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IQWiG, Kosten-Nutzen-Bewertung von Venlafaxin, Duloxetin, Bupropion und Mirtazapin, Vorbericht G09 – 01, Version 1.0, Stand 09. 11. 2012, S. 255 ff. 125 Gemäß § 139a Abs. 5 SGB V gibt das IQWiG Gelegenheit zur Stellungnahme und § 139b Abs. 3 SGB V zufolge holt es selbst ebenfalls Sachverständigengutachten ein.
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Lage versetzen, eine umfassend informierte Entscheidung zu treffen.126 Vorweg nehmen sie diese jedoch nicht. d) Prüfungskompetenz aufgrund früherer eigener Aufgabenwahrnehmung Die Frage, ob eine staatliche Legitimationsverantwortung im Rahmen der Einbeziehung Privater ausreicht oder es einer eigenen demokratischen Legitimation dieser bedarf, wird vielfach auch davon abhängig gemacht, ob dem Privaten kraft Wissensüberlegenheit de facto ein erheblicher Einfluss auf den Inhalt der staatlichen Entscheidung ermöglicht wird.127 Insoweit kommt es darauf an, ob der GBA eine ausreichende Prüfungskompetenz128 hinsichtlich der Empfehlungen des IQWiG hat. Dies hängt mit der Annahme zusammen, dass abhängig von dem „Sachverstandsgefälle“ zwischen Behörde und Gutachter eine faktische Bindung mehr oder minder stark ausgeprägt ist.129 Der GBA hat jahrelang selbst sowohl den Nutzen als auch die Kosten von medizinischen Methoden bewertet. Selbst wenn er dies nicht mit derselben ökonomischen Methodik wie das IQWiG getan haben mag, ist er fachkundig genug, die Bewertungen nachzuvollziehen und zu prüfen. Ein hohes „Sachverstandsgefälle“ zwischen GBA und IQWiG besteht, da es nicht um die Ausarbeitung einer neuen ökonomischen Bewertungsmethode geht, sondern allein darum unterschiedliche Bewertungsansätze und deren Auswirkungen prüfen und nachvollziehen zu können, daher nicht. Der GBA ist ausreichend kompetent, die Vorschläge des IQWiG nachzuvollziehen und eigene Überlegungen hierzu anzustellen, auch wenn er selbst nicht als Sachverständigengremium einzuordnen sein mag.130 Auch aus diesem Gesichtspunkt ist deshalb eine faktische Bindungswirkung nicht herzuleiten.
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Somit kommen sie der genuinen Aufgabe von Sachverständigenbewertungen nach, vgl. Nußberger, Sachverständigenwissen als Determinante verwaltungsrechtlicher Einzelentscheidungen, AöR 129 (2004), S. 282 ff. (290). 127 Ritter, Organisationswandel durch Expertifizierung und Privatisierung im Ordnungsund Planungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 289 ff. 128 In diesem Zusammenhang ist die Kompetenz nicht als Frage der Zuständigkeit bzw. Befugnis, sondern als inhaltliche Kompetenz, das Vermögen, eine derartige Überprüfung vorzunehmen, zu verstehen. Zur Auswirkung der Prüfungskompetenz auf die Legitimationsnotwendigkeit mittelbar auch Trute, Funktion der Organisation und ihre Abbildung im Recht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 249 ff. (290 f.). 129 Fehling, Verwaltung, S. 396. 130 Siehe hierzu Münkler, Die Kontrolldichte der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, RsDE 74 (2013), S. 44 ff. (58 f.).
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e) Korrespondenz faktischer Einflussnahme – Verfahren zwischen GBA und IQWiG Die Einflussnahme zwischen GBA und IQWiG verläuft auch nicht einseitig sondern ist gegenseitig. Aufgrund der Auftragsvergabe und damit Festlegung des zu analysierenden Gegenstandes sowie der zu vergleichenden Alternativen (Komparatoren) und hierbei zu berücksichtigenden Faktoren durch den GBA kommt es zu einer gegenseitigen Beeinflussung. Dies führt jedoch nicht zur Bejahung einer Mitentscheidung des IQWiG, weil eine wechselseitige Beeinflussung vorliegen würde.131 Vielmehr hat dies zur Folge, dass besonders wertungshaltige Vorabentscheidungen der Bewertung dem IQWiG vorgegeben werden.132 Zwar kann es durchaus dazu kommen, dass eine Wissenskonsultation in eine Kooperation umschlägt.133 Ein „dialoghafter Willensbildungsprozess“134 zwischen zwei Gleichberechtigten liegt bei IQWiG und GBA jedoch – auch bei faktischer Betrachtung – nicht vor. Die Entscheidung wird hier nicht in Form der Konsensfindung getroffen.135 Die Vorgabe des Untersuchungsgegenstandes, der Komparatoren wie auch der hierbei zu berücksichtigenden Faktoren führt vielmehr zu einer Reduktion der wertenden Elemente in der Beurteilung des IQWiG.136 Das Ergebnis von Kosten-Nutzen-Bewertungen hängt maßgeblich von der Auswahl der Parameter ab, sodass die spätere Entscheidung durch die Bestimmung des Vergleichsmaßstabes vorgezeichnet wird. Aus diesem Grund ist die Vorgabe dieser Kriterien durch ein demokratisch legitimiertes Gremium gegenüber dem Sachverständigen nicht als gegenseitige Einflussnahme und daher Mitentscheidung zu verstehen, sondern vielmehr als Versuch, die Tätigkeit des IQWiG auf eine sachverständige, beratende Funktion zu beschränken. Eine hierüber hinausgehende Wechselwirkung zwischen Bewertung durch das IQWiG und Rezeption dieser durch den GBA in Form der „Kritik und Anti-Kritik“, die dazu führen würde, dass eine gemeinsame Konsensfindung stattfindet, ist dem SGB V nicht zu entnehmen.137 Das IQWiG klärt dem-
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So im Grundsatz Brohm, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 1. Aufl., § 36 Rn. 31; ebenso Voßkuhle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, § 43 Rn. 22. Dem ist im Grundsatz nicht zu widersprechen, es kommt jedoch auf die konkrete Art und Weise der gegenseitigen Einflussnahme an. 132 Siehe hierzu bereits § 2 B. III. 133 Vgl. Herzmann, Konsultationen, S. 165 f., wobei das von Herzmann aufgrund seines Untersuchungsgegenstandes gewählte teilweise enge Verständnis des Begriffes „Konsultation“ hier nicht übernommen wird. 134 Brohm, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 1. Aufl., § 36 Rn. 31. 135 Zur Abgrenzung zwischen Kooperation und Konsultation siehe Herzmann, Konsultationen, S. 166; Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, S. 98 f. 136 Siehe hierzu bereits § 2 B. II. und III. 137 So aber Rixen, Das Verhältnis von IQWiG und G-BA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (26), der darauf abstellt, dass der GBA bei Kritik aus den eigenen Reihen an der Bewertung des IQWiG dieses wiederum aktivieren könne. Rechtlich ausgeschlossen ist dies
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zufolge vor allem die Informations- und Handlungsgrundlagen des GBA ab. Seiner Sachverständigentätigkeit wird das IQWiG durch die Vorgaben des GBA auch nicht beraubt. Die Einflussnahme des GBA auf die Bewertung des IQWiG erfolgt allein hinsichtlich der wertungsbelasteten Kriterien und zur Konkretisierung der Aufgaben, nicht aber in Bezug auf den zu wählenden wissenschaftlichen Bewertungsansatz. Eine faktische Bindungswirkung der Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG lässt sich daher weder aus einer „dialoghaften Willensbildung“ als Form der Konsensentscheidung noch der Ausgestaltung der Empfehlungen, der bestehenden Berücksichtigungspflicht oder der fehlenden Prüfungskompetenz herleiten. f) Faktische Bindung – Bewertungsausfall oder Legitimationsbedürfnis Trotz der Feststellung, dass eine faktische Bindung in der konkreten Konstellation von GBA und IQWiG schon nicht besteht, ist angesichts ihrer vielfachen Betonung das Verhältnis von Bewertungsausfall und Legitimationsbedürfnis in derartigen Konstellationen präziser zu bestimmen. Ob aus einer faktischen Bindungswirkung auf ein Legitimationsbedürfnis geschlossen wird, scheint vielfach nämlich davon abzuhängen, inwieweit der Blick auf den Letztentscheidungsträger oder aber das beratende Gremium gerichtet wird. Bei ersterem wäre ein Bewertungsausfall zu konstatieren, bei letzterem ein Legitimationsbedürfnis. Auf den ersten Blick scheint dies zunächst nicht verwunderlich, letztlich führen die beiden Forderungen nebeneinander jedoch zu einer Doppelung. Konstruktiv unterscheiden sich diese Ansätze in einem Punkt nämlich grundlegend: Während die Annahme der Legitimationsbedürftigkeit das Bestehen einer faktischen Bindung an die Vorarbeit des Sachverständigengremiums letztlich befürwortet, indem sie den Mitentscheidungscharakter anerkennt, lehnt die ein Legitimitätsdefizit mangels eigener Entscheidung des Hoheitsträgers annehmende Ansicht eine solche Bindung ab. Sie fordert stattdessen die eigene Ausübung durch den rechtlich verantwortlichen Entscheidungsträger. Dieser Hintergrund ist bei der Diskussion über faktische Bindungswirkungen als legitimationsauslösendem Faktor zu berücksichtigen. Die Frage, ob faktische Bindungen überhaupt ein Legitimationsbedürfnis begründen können, ist daher argumentativ nicht unproblematisch. Gegen das Hervorrufen eines Legitimationsbedürfnisses aus bloßen faktischen Zwängen vorzubringen, dass es sich bei der Befolgung nicht um eine Rechtspflicht handele, führt nur auf den ersten Blick nicht weiter. Zwar geht es gerade um die Frage, ob trotz Nichtbestehens einer Rechtspflicht faktische Bindungswirkungen legitimationsbedürftig sind. Wie bei einem Widerspruch zwischen Sollen und Sein im Falle der gesetzlich erfolgten Entscheidung für eine rein beratende Funktion und gegen eine zwar nicht, hierbei handelt es sich – wenn überhaupt – jedoch eher um Nachfragen hinsichtlich des „Warums“ einer solchen Bewertung als um eine Konsensfindung.
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Mitentscheidung umzugehen ist, kann den rechtlichen Vorgaben jedoch im Grundsatz entnommen werden. Für die Vornahme einer rein formalen Betrachtung wird neben dem Aspekt ihrer Klarheit auch angeführt, dass Kompetenz und Verantwortung seit jeher als in einem fundamentalen Zusammenhang stehend verstanden werden und jedenfalls die Bestimmung der Verantwortlichkeit der formalen Betrachtung bedarf.138 Das auf empirische Fakten abstellende Modell der faktischen Bindung sieht sich darüber hinaus unter dem Aspekt der Kritik ausgesetzt, dass ein empirischer Nachweis dieser kaum möglich ist. Neben diesen beiden Gesichtspunkten erscheint jedoch noch entscheidender, ob der für die Notwendigkeit eines Legitimationsbedürfnisses faktischer Entscheidungsverlagerung angeführte Grund angesichts der rechtlichen Regelungen nicht anders auszuräumen ist. Geht man auf den Grund der Annahme eines Legitimationsbedürfnisses im Falle einer faktischen Bindungswirkung zurück – das Demokratieprinzip nicht leerlaufen zu lassen –, zeigt sich, dass es einer Ausdehnung der Legitimationsbedürftigkeit nur dann bedarf, wenn die Willensentschließungsfreiheit des Letztentscheidungsverantwortlichen durch die Vorarbeit mit rechtlich bindender Wirkung eingeschränkt wird.139 Andernfalls kommt es zu keinem Defizit der Steuerung durch das Demokratieprinzip. Faktische Bindungen, die den rechtlichen Vorgaben der Letztentscheidungsverantwortung und der damit implizierten notwendigen eigenen Ausübung der Entscheidungskompetenz zuwiderlaufen, bedürfen keiner Berücksichtigung in der Beurteilung der Legitimationsnotwendigkeit. Denn das Legitimitätsdefizit tritt bei dem Letztentscheidungsträger ein, der sich einer faktischen Bindung unterwirft, obwohl gesetzlich vorgesehen ist, dass er die Entscheidung selbst zu fällen hat. Dem kann zwar entgegengehalten werden, dass es bei der Annahme des Legitimationsbedürfnisses aufgrund faktischer Bindung darum gehe, das Demokratieprinzip im Vorfeld vor der Gefahr der Erosion zu schützen. Es könne ja gerade nicht empirisch überprüft werden, wer tatsächlich die Entscheidung trifft. Die Forderung der Legitimationsbedürftigkeit aufgrund faktischer Entscheidungshoheit läuft dem Demokratieprinzip insoweit jedoch sogar zuwider. Letztlich ignoriert sie nämlich die gesetzlich getroffene Entscheidung, dass weder eine rechtliche noch eine faktische Bindungswirkung bestehen soll, indem sie argumentativ nicht beim Letztentscheidungsträger und der Sicherstellung der Entscheidung durch ihn ansetzt. Dem Defizit der Entscheidungsträgerschaft kann unter anderem mit einem Begründungserfordernis, welches die Darlegung eigener Wertungen beinhaltet, und der damit einhergehenden Offenlegung der Auseinandersetzung mit der entscheidungsrelevanten
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Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, S. 101. So im Ergebnis auch Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, S. 101 und Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 46, die allerdings andere Begründungsansätze hierfür wählen. 139
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Materie, beigekommen werden.140 Bei einer Sicherstellung der tatsächlichen Entscheidungsträgerschaft des gesetzlich bestimmten Organs bedarf es dann auch keiner demokratischen Legitimation des beratenden Gremiums. Dies führt zu dem Ergebnis, dass der GBA eine eigene Wertungsentscheidung treffen muss.141 Eine rechtliche Bindungswirkung der Kosten-Nutzen-Bewertungen besteht gerade nicht, weshalb auch eine ungeprüfte Übernahme der Bewertung des IQWiG durch den GBA nicht möglich ist. Selbst die Annahme einer faktischen Bindungswirkung würde daher nicht zu einer Legitimationsbedürftigkeit des IQWiG führen. Der rechtliche Mangel bestünde vielmehr darin, dass der GBA ungeprüft Vorschläge eines hierzu nicht legitimierten Gremiums übernimmt.142 Im Falle der Nichtausübung dieser eigenen Wertungszuständigkeit des GBA wäre deshalb nicht die fehlende Legitimation des IQWiG zu kritisieren, sondern es würde vielmehr ein gerichtlich feststellbarer Abwägungs- bzw. Ermessensfehler143 des GBA vorliegen. Bei einer fehlenden vollständigen Überprüfung der Faktenfeststellungen des IQWiG durch den GBA wird sich allerdings noch kein Abwägungs- bzw. Ermessensausfall konstatieren lassen.144 Dies ist Teil seiner genuinen Funktion als Sachverständigengremium. Erst im Rahmen einer ungeprüften Übernahme von Wertungsentscheidungen, die über die sachverständige Bewertung von Fakten hinausgehen, ist ein Abwägungs- bzw. Ermessensfehler anzunehmen. Auf die Vornahme der Bewertung durch das IQWiG kann nicht abgestellt werden, da es diese Wer140 Zur Funktion und Wirkungsweise der Begründung siehe Kischel, Die Begründung, S. 9 ff., 39 ff.; hierzu bereits auch in diesem Abschnitt unter § 5 A. II. 2. b). Das Konzept der „nachvollziehenden Abwägung“ bei von Privaten vorbereiteten Planentwürfen geht ebenfalls in diese Richtung, siehe hierzu Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 98 m.w.N. Die hieran geübte Kritik, dass der abwägungsvorbereitende Verfahrensteil die Abwägung selbst darstelle und es nicht genüge, diese nachzuvollziehen, greift hinsichtlich der Beziehung zwischen GBA und IQWiG nicht, da der GBA dem IQWiG inhaltlich Vorgaben darüber zu machen hat, welche Faktoren zu berücksichtigen sind. 141 Rixen, Verhältnis von IQWiG und G-BA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (28). 142 So auch Huster/Penner, Legitimation des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung – eine juristische Analyse, GesW 2009, S. 46 ff. (47), wobei diese im Ergebnis trotzdem zu einer Legitimationsbedürftigkeit gelangen. 143 An dieser Stelle soll offen bleiben, wie das Verhältnis von Abwägungs- und Ermessensfehlerlehre sich in Bezug auf exekutive Normsetzung zueinander verhält, da dies im Hinblick auf das hier relevante Ergebnis keine Auswirkungen hat. Das BSG geht, wie sein Urteil vom 13. 07. 2004, – B 1 KR 37/02 R –, juris Rn. 4 und 19. 03. 2002, – B 1 KR 36/00 R –, juris Rn. 33 zeigt, von einer Anwendung der verwaltungsrechtlich gebildeten Ermessenslehre auf die Richtlinien des GBA aus. Dem ist angesichts der größeren Nähe der Richtliniengebung zum Abwägungsvorgang als der Ermessensausübung letztlich aber nicht beizupflichten. Zur Anwendung der Dogmatik des Verwaltungsrechts auch auf die neuen Organisationsformen des Sozialversicherungsrechtes etwa Kingreen/Rixen, Sozialrecht: Ein verwaltungsrechtliches Utopia?, DÖV 2008, S. 741 ff. (744 ff.). 144 So im Ergebnis auch Rixen, Verhältnis von IQWiG und G-BA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (28), der dies auch aus der Funktion des IQWiG herleitet, darüber hinausgehend aber auch der Funktionsweise normgeberischer Tätigkeit entnimmt.
B. Legitime Ausgestaltung der Sachverständigenbeteiligung
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tungsentscheidungen weder legitimatorisch noch den rechtlichen Regelungen des § 35b Abs. 3 S. 1 iVm § 139b Abs. 4 S. 1 SGB V zufolge treffen darf. Die Vermutung der faktischen Bindung des GBA an die Bewertung des IQWiG führt daher selbst im Falle ihres tatsächlichen Eintritts nicht dazu, dass das IQWiG demokratisch legitimationsbedürftig würde. Vielmehr stellt dies einen, wenn auch durch das gewählte Verfahren begünstigten, materiell-rechtlichen Fehler dar. Dies ist jedoch keine Frage der demokratischen Legitimation, sondern des rechtsstaatlichen Verwaltens. Teilweise wird in Bezug hierauf auch diskutiert, inwieweit Fehler des IQWiG dem GBA zuzurechnen sind.145 Nach dem hier dargelegten systematischen Ansatz kommt es in den meisten Situationen auf eine Zurechnung jedoch nicht an. Aufgrund der Notwendigkeit der Überprüfung bzw. Vornahme einer eigenen Beurteilung wird es sich vielfach nicht um eine Fehlerzurechnung handeln, sondern ein eigener Fehler des GBA vorliegen. In Bezug auf die reine Informationserhebung ohne Wertungsgehalt, hinsichtlich welcher es keiner eigenständigen Entscheidung des GBA bedarf und hinsichtlich derer nur eine summarische Prüfung vorgenommen wird, greift indes die im Hinblick auf den Verwaltungshelfer bekannte Fehlerzurechnung.146 Ein Legitimationsbedürfnis des IQWiG ist demzufolge nach keinem der vertretenen Ansätze anzunehmen. Die Problematik, ob die Voraussetzungen der Beleihung mit den Vorgaben der §§ 139a und 139b iVm § 35b SGB Veingehalten wurden, stellt sich daher nicht.
B. Legitime Ausgestaltung der Sachverständigenbeteiligung des IQWiG Die Ausgestaltung der Beteiligung sachverständiger Beratungsgremien an der Entscheidungsfindung ist angesichts ihrer notwendigen Unabhängigkeit und der damit eingeschränkten Aufsichtsmöglichkeit aber auch in Fällen fehlenden Legitimationsbedürfnisses problematisch. Die Einbeziehung von Sachverstand wird zwar teilweise bereits deshalb als legitim angesehen, weil mit ihr die Entscheidungsfindung objektiviert würde.147 Sie führe zu einer Versachlichung der Entscheidung und bewirke daher eher einen Legitimationsgewinn als ein Legitimationsdefizit.148 Grundsätzlich kann eine Sachverständigenbeteiligung durchaus auch als legitima145
So Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie, S. 145 ff. Vgl. zur Auffassung der Zurechnung von formellen und materiellen Fehlern des IQWiG auf die Entscheidung des GBA Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie, S. 145 ff. 147 Vgl. Nussberger, Sachverständigenwissen als Determinante verwaltungsrechtlicher Einzelentscheidungen, AöR 129 (2004), S. 282 ff. (283). 148 Vgl. Nussberger, Sachverständigenwissen als Determinante verwaltungsrechtlicher Einzelentscheidungen, AöR 129 (2004), S. 282 ff. (283). 146
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tionsstiftend im Sinne einer höheren Richtigkeitsgewähr angesehen werden, es bedarf jedoch einer der konkreten Entscheidungssituation angemessen angepassten organisatorischen wie auch prozeduralen Ausgestaltung der Beteiligung.149 In Bezug auf das IQWiG sind vielfach auch Fragen der Legitimationsfähigkeit diskutiert worden. Als legitimationsstiftend sind hierbei insbesondere die Trägerstellung des GBA, die Bestimmung der Institutsleitung, die Auftragsgebundenheit sowie die Betroffenenpartizipation an der Bewertung angesehen worden. Angesichts der mangelnden Ausübung von Staatsgewalt werden diese Gesichtspunkte hier nicht unter dem Aspekt der Schaffung demokratischer Legitimation diskutiert. Für die Frage der legitimen Ausgestaltung derartiger Sachverständigenbeteiligungen sind diese Aspekte aber dennoch relevant. Hauptgesichtspunkte sind hierbei die Gewährleistung besonderer Sachkunde und ausreichender Unabhängigkeit.150
I. Trägerstruktur zwischen GBA und IQWiG Der GBA ist Träger des IQWiG. Der Begriff Trägerschaft fungiert hier als Beschreibung eines Auftragsverhältnisses. Teilweise wird aus ihr hierüber hinausgehend sogar eine partizipatorische Legitimation hergeleitet.151 Eine derartige legitimatorische Partizipation wäre grundsätzlich sowohl über den verbleibenden hoheitlichen Anteil der Aufgabenerfüllung als „vor- und nachwirkende Legitimationsverantwortung“152 des Staates als auch über eine „Eingliederung“ des Privaten angesichts der Trägerschaft einer staatlichen Institution konstruierbar. Sie könnte eine Umsetzung der „staatlichen Strukturschaffungspflicht“153 darstellen. Mangels Legitimationsnotwendigkeit des IQWiG ist der Frage, ob hierüber eine Legitimation noch hergeleitet werden kann, aber nicht weiter nachzugehen. Relevant ist die Trägerstellung des GBA vielmehr aufgrund eines anderen Gesichtspunkts. Die Trägerstellung des GBA gemeinsam mit der einseitigen Beauftragung des IQWiG durch diesen bzw. das BMG wie auch die staatliche Finanzierung stellen sicher, dass keine Beeinflussung des IQWiG bei seiner Bewertung und damit Beeinträchtigung der für die Sachverständigentätigkeit relevanten Unabhängigkeit 149
Vgl. hierzu Scholl, Der private Sachverständige im Verwaltungsrecht, S. 362 ff. Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 123 ff.; Scholl, Der private Sachverständige im Verwaltungsrecht, S. 362 ff. 151 Rixen, Verhältnis von IQWiG und G-BA: Vertrauen oder Kontrolle?, MedR 2008, S. 24 ff. (26), allerdings nach der hier vertretenen Auffassung, ohne dass dies zwingend zur Einordnung des IQWiG als staatlich führen würde. 152 Trute, Funktion der Organisation und ihre Abbildung im Recht, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 249 ff. (288 ff.). 153 Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 369 ff. 150
B. Legitime Ausgestaltung der Sachverständigenbeteiligung
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erfolgen kann. Die Beurteilung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ist angesichts seiner denkbaren Auswirkungen brisant. Der Sicherstellung der Unabhängigkeit bedarf es hier in besonderem Maße, da erhebliche finanzielle Interessen durch Kosten-Nutzen-Bewertungen berührt werden können. Die Trägerstellung des GBA und die Ausgestaltung über eine private Stiftung führen dazu, dass anderweitige Einflussnahmen auf das IQWiG weitestgehend ausgeschlossen werden. Insbesondere die staatliche Finanzierung trägt dieser Problematik Rechnung.
II. Betroffenenbeteiligung und Qualitätssicherung Die Verfahrensbeteiligung der Arzneimittelhersteller und Patientenorganisationen nach § 139a Abs. 5 SGB V stellt eine Form der Betroffenenbeteiligung dar. Zweck der Stellungnahmemöglichkeit der in § 139a Abs. 5 SGB V Genannten und der Pflicht, das von ihnen Vorgebrachte zu berücksichtigen, ist allerdings nicht vornehmlich die Wahrung der Rechte der Betroffenen. Vielmehr ist der Hauptaspekt der Beteiligung – wie sich aus der gemeinsamen Nennung der Beteiligung mit den Sachverständigen ergibt – die Sammlung weiterer Erkenntnisse mittels Ausschöpfung weiterer Erkenntnisquellen und hierdurch Erhöhung der Richtigkeitsgewähr der Bewertung.154 Die Betroffenenbeteiligung sichert insoweit die Berücksichtigung sämtlicher relevanter Fakten und Kenntnis denkbarer Auswirkungen einer möglichen Entscheidung weiter ab. Die Begutachtungsqualität wird daher – unabhängig von der ohnehin sachkundigen Zusammensetzung des IQWiG –155 durch eine frühzeitige Stellungnahmemöglichkeit weiterer Sachverständiger und Betroffener zusätzlich sichergestellt. Die Qualität der Begutachtung wird demzufolge über die grundsätzliche Zusammensetzung des Instituts mit verschiedenen Beratungsgremien, die persönlich ausgewählte Institutsleitung sowie die Einbeziehung von externen Experten, die sämtliche möglichen Beeinflussungen darzulegen haben, abgesichert.
III. Das IQWiG als sachverständiger Berater Das IQWiG ist angesichts seiner nicht nur auf naturwissenschaftlichen Gesetzen beruhenden Tätigkeit sowie der hohen Relevanz seiner Bewertung kein Sachverständiger in dem verwaltungs- und verfassungsrechtlich bisher bekannten Spektrum. Es stellt daher neue Herausforderungen an die bisher bekannten Fragen der Legitimationsbedürftigkeit wie auch der Art und Weise der Ausgestaltung der Beteiligung und Institutionalisierung eines derartigen Sachverständigengremiums. Das Gesundheitsrecht des SGB V sollte aufgrund seines steten Wandels und seiner Fortentwicklung aber nicht nur misstrauisch betrachtet werden. Die Entwicklung ist 154
Dierks/Nitz/Grau/Mehlitz, IQWiG und Industrie: Rechtliche Fragen zum IQWiG, S. 35. Siehe hierzu bereits § 2 B. II. 1. zur Bestimmung der Institutsleitung und der Zusammensetzung der beratenden Gremien. 155
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§ 5 Legitimation institutionalisierter Sachverständigenbeteiligung
vielmehr zu rezipieren, rechtsdogmatisch einzuordnen und eine adäquate Form der Ermöglichung der Kooperation ohne Bedeutungsverlust des Rechts- und Demokratieprinzips zu finden.156 Um zu bewerten, ob das Verfahren der Einbeziehung des IQWiG angemessen ist, kann auf die bereits bekannten Strukturen der Aufgabenübertragung auf Private zurückgegriffen werden. Hieran lässt sich beurteilen, inwieweit Veränderungen gegenüber den bisherigen Strukturen notwendig sind, um den Besonderheiten des IQWiG gerecht zu werden. Sämtliche hierfür relevante Kriterien finden sich bereits in der um die Notwendigkeit der demokratischen Legitimation des IQWiG geführten Diskussion wieder. Die Abgrenzung, wann eine Beleihung vorzunehmen und in welchen Fällen die Einsetzung als Verwaltungshelfer legitimatorisch ausreichend ist, spaltet sich letztlich wiederum an der Frage der Ausübung von Staatsgewalt auf. Der hierzu geführte Diskurs verläuft daher argumentativ parallel zur Frage der Legitimationsbedürftigkeit.157 Einer Beleihung bedarf es mangels Ausübung von Staatsgewalt durch das IQWiG demzufolge nicht. Selbst bei einer weitreichenden Aufgabenübertragung an einen Privaten ist dieser als Verwaltungshelfer einzuordnen, solange er keine eigene Entscheidungskompetenz hat.158 Verwaltungshelfer haben – von ihrer Funktion her betrachtet – im Rahmen der staatlichen Tätigkeit grundsätzlich jedoch nur untergeordnete Aufgaben wahrzunehmen. Sie unterstehen hierbei den Weisungen der staatlichen Institution. Die von ihnen geleisteten Beiträge gehen in der Entscheidung der zuständigen Behörde auf.159 Dies passt auf die unabhängige Tätigkeit eines Sachverständigen im Hinblick auf seine Weisungsunabhängigkeit nur bedingt, da die staatliche Kontrolle, wie sie bei Verwaltungshelfern üblicherweise vorliegt, abgeschwächt und zudem der Einfluss der Tätigkeit erhöht ist. Dies spricht dagegen, das IQWiG als Verwaltungshelfer einzuordnen, ohne weitere kompensatorische Anforderungen an die fehlende Kontrollmöglichkeit bei der Ausübung der Tätigkeit zu stellen. Die Figur des sogenannten „selbstständigen Verwaltungshelfers“ – welcher Sachverständige mit faktisch hoheitlichen Aufgaben häufig zugeordnet werden – ist aufgrund der damit erfolgenden Rücknahme der gesetzlichen Anforderungen an die staatlich-private Zusammenarbeit teilweise als bedenklich angesehen worden. Dies betrifft vor allem verfahrensmitgestaltende und entwurfsausarbeitende Sachver156 Zum Gesundheitsrecht als Referenzmaterie des Verwaltungsrechts siehe Rixen, Verhältnis von IQWiG und GBA, MedR 2008, S. 24 ff. (24). 157 Die unterschiedlichen Theorien – Aufgabentheorie, Rechtsstellungs- bzw. Befugnistheorie sowie eine gemäßigte Form dieser – darstellend Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 27 ff. 158 Ritter, Organisationswandel durch Expertifizierung und Privatisierung im Ordnungsund Planungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 207 ff. (239). 159 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, S. 30.
B. Legitime Ausgestaltung der Sachverständigenbeteiligung
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ständige, also solche, die die Entscheidung vorbereiten.160 Es wurde aus diesem Grund bereits erwogen, obwohl gesetzlich die Ausübung einer Letztentscheidungskompetenz nicht vorgesehenen ist, derartige Sachverständigengremien dennoch als Beliehene einzuordnen und hierüber die weitreichende Einflussmöglichkeit zu legitimieren.161 Die Diskussion über diesen Gesichtspunkt ist letztlich jedoch dieselbe wie die im Rahmen der Legitimationsbedürftigkeit in Bezug auf den faktischen Einfluss des IQWiG geführte. Es unterscheidet sich lediglich der Blickwinkel. Die Frage der Beleihung bzw. Einordnung als Verwaltungshelfer stellt sich aus verwaltungsrechtlicher Perspektive, während aus verfassungsrechtlicher Sicht derselbe Aspekt unter dem Begriff der Legitimationsbedürfigkeit diskutiert wird. Mangels Bestehen eines Legitimationsbedürfnisses bedarf es daher gerade keiner Beleihung des IQWiG. Diese Anforderungen dennoch anzulegen, würde die Ausgestaltungsvorgaben der Beteiligung überdehnen. Organisatorisch und verfahrenstechnisch ist aber sicherzustellen, dass zum einen das IQWiG seine Tätigkeit unabhängig und besonders sachkundig auszuüben vermag, und zum anderen, dass der GBA auch tatsächlich in der Lage ist, trotz der sachverständigen Vorarbeit eine eigene Entscheidung zu treffen. Dies alles wird mit der erfolgten Ausgestaltung der Zusammenarbeit von GBA und IQWiG garantiert. Qualitativ hochwertige, unbeeinflusste Bewertungsergebnisse des IQWiG werden mit der institutionellen und finanziellen Unabhängigkeit sowie der Einbeziehung von Betroffenen und Sachverständigen gewährleistet. Die gesetzlichen Vorgaben zum Bewertungsverfahren des IQWiG stellen darüber hinaus einen ausreichenden staatlichen Einfluss sicher. Dies erfolgt insbesondere dadurch, dass der GBA in der Auftragserteilung bestimmt, welche Faktoren das IQWiG bei der Bewertung zu berücksichtigen hat. Aber auch der Inhalt und die Ausgestaltung der Empfehlungen des IQWiG tragen dazu bei, eine eigene Entscheidung des GBA zu ermöglichen. Die Bewertung durch den GBA erfolgt zwar zum Teil rein nachvollziehend, in noch größerem Umfang muss er jedoch eigene Bewertungen vornehmen. Die Empfehlungen des IQWiG sind weder so ausgestaltet noch darauf angelegt, eine unmittelbare Entscheidung zu treffen. Die Verzahnung von GBA und IQWIG ist aus diesen Gründen eher beispielhaft für den Umgang mit wertungsbelasteten Entscheidungen, die aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen gewinnbringend beurteilt werden können, ohne der jeweils anderen Methode ihre Berechtigung zu nehmen.
160
S. 31.
Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht,
161 So hinsichtlich der Einordnung etwa des DEGES Ritter, Organisationswandel durch Expertifizierung und Privatisierung im Ordnungs- und Planungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 207 ff. (239).
§ 6 Kosten-Nutzen-Bewertungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung – Zusammenfassung in Thesen Kosten-Nutzen-Bewertungen haben der erfolgten Analyse nach in unterschiedlicher Form bereits heute Einfluss auf die GKV. Weitgehend ist dieser Einfluss hinsichtlich der Beurteilung des Leistungsumfanges jedoch nicht. Es müssen keine komplexen ökonomischen Überlegungen im Hinblick darauf angestellt werden, ob eine medizinische Methode ausreichend effizient ist. Für eine Erweiterung der Bedeutung von Kosten-Nutzen-Bewertungen – unabhängig davon, ob eine solche überhaupt angestrebt und nicht besser auf andere Weise versucht werden sollte, der Finanzierbarkeit „Herr“ zu werden – bedürfte es einiger Anpassungen. 1. § 35b SGB V reformiert den Einfluss von Wirtschaftlichkeitserwägungen in der GKV nur insoweit, als Pharmaunternehmer nicht mehr frei über den Preis ihrer Arzneiprodukte im Anwendungsbereich des § 130b iVm § 35b SGB V bestimmen können. Die Rechtfertigung des möglichen Eingriffes durch eine Festsetzung des Abgabepreises für innovative Arzneimittel wird durch die Kosten-Nutzen-Bewertung sozusagen vorweggenommen überprüft. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V und damit der Leistungsumfang bzw. Inhalt des Leistungskatalogs der GKV wird durch die Einführung des § 35b SGB V aber nicht berührt (§ 2). 2. Der Ansatz des IQWiG, im Rahmen der Kosten-Nutzen-Bewertung indikationsbezogene Effizienzgrenzen anzulegen, ist nur teilweise verfassungsrechtlich angemessen. Der kritisierte Blickwinkel der Versichertenperspektive rechtfertigt sich jedoch zum einen aus dem Wortlaut des § 35b SGB V und zum anderen dadurch, dass eine eingriffsbezogene Betrachtung im Hinblick auf die Rechtfertigungsbedürftigkeit der Ausgaben der GKV anzustellen ist. Die proportionale Fortentwicklung der Effizienzgrenzen auf der Grundlage des bestehenden Marktes ist weniger im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG als problematisch anzusehen; vielmehr erscheint es erforderlich, die unreflektierte proportionale Fortschreibung zu überdenken. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist mathematisch nicht durch eine proportionale Entwicklung abbildbar. Vielmehr bedarf es zumindest – auch wenn eine mathematische Umsetzung juristischer Methodik ohnehin nur begrenzt möglich erscheint und im Einzelfall überprüft werden muss, ob diese zu sachgerechten Ergebnissen führt – einer Schweregradgewichtung bei der Weiterentwicklung der Effizienzgrenze. Ebenso ist der Wahrscheinlichkeitsgrad des Nutzeneintritts zu berücksichtigen.
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Im Hinblick auf die Frage, ob indikationsbezogene oder indikationsübergreifende Bewertungen vorzunehmen sind, kommt es auf die Entscheidung des GBA an. Art. 3 Abs. 1 GG nimmt zwar auf die Auswahl der Vergleichsparameter Einfluss, schließt aber weder eine rein indikationsbezogene noch indikationsübergreifende Betrachtung grundsätzlich aus (§ 2). 3. Auf den Leistungsumfang der GKV wirken die gemäß § 35b SGB V vorgenommenen Kosten-Nutzen-Bewertungen insbesondere über Therapiehinweise ein. Der Umfang, in dem Kosten-Nutzen-Bewertungen zu einer Beschränkung von Leistungen führen können, wird aber von der Regelung des § 35b SGB V selbst nicht berührt. Es kommt diesbezüglich vielmehr darauf an, wie die Forderung des § 12 Abs. 1 SGB V – nur ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungen, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, durch die GKV zu gewähren – zu verstehen ist (§ 2). 4. Das in § 12 Abs. 1 SGB V geregelte Wirtschaftlichkeitsgebot fordert einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen in der GKV kumulierten Interessen der Versicherten im Hinblick auf ihren Leistungsanspruch. Kosten-Nutzen-Bewertungen setzen diese Forderung im Grundsatz um. Wie weitgehend Kosten-Nutzen-Bewertungen vorgenommen werden können, hängt davon ab, ob das Wirtschaftlichkeitsgebot als Maximal- oder aber als Minimalprinzip zu verstehen ist. Dies bestimmt sich danach, ob dem Nutzen – der Gesundheit – ein absoluter Vorrang vor den Kosten einzuräumen ist oder nicht. Ein absoluter Nutzenvorrang ergibt sich weder aus § 12 Abs. 1 SGB V noch aus anderen Normen des SGB V oder der Verfassung. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V ist vielmehr als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips mit den hieraus folgenden Konsequenzen zu verstehen. Kosten-Nutzen-Erwägungen sind daher auch der Bestimmung des Leistungsumfanges der GKV nicht fremd, sie werden jedoch nur in geringem Umfang angestellt. Eine Erosion des Vorrangs von Nutzengesichtspunkten ist seit der Feststellung des BSG, eine Vergleichbarkeit des Nutzens reiche aus, um Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte den Ausschlag geben zu lassen, auch in dem Umgang der Rechtsprechung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot erkennbar. Ein Nutzenvorrang besteht aber immer noch insoweit, als keine „spürbaren“ Einschränkungen durch Wirtschaftlichkeitserwägungen hervorgerufen werden dürfen. Diese Entwicklung ist indes nicht nur aus dem Blickwinkel des negativ belegten Gedankens der Rationierung zu betrachten. Das Interesse an niedrigen Beitragssätzen muss vielmehr ebenfalls beachtet werden. Dieses wird in § 12 Abs. 1 SGB V umgesetzt und bildet letztlich den Belang der Finanzierbarkeit der Gesundheitsversorgung durch die GKV ab (§ 3). 5. Auf Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen kann nur dann eine Beschränkung des Leistungskatalogs der GKV vorgenommen werden, wenn der Umfang der Behandlungsmöglichkeiten hierdurch nicht einschneidend eingeschränkt wird. Dies ergibt sich aus dem in § 92 Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGB V ausdrücklich genannten und von der Rechtsprechung als Begrenzung von Kosten-
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§ 6 Zusammenfassung in Thesen
Nutzen-Erwägungen aus § 12 Abs. 1 SGB V hergeleiteten „Vergleichbarkeitskriterium“. Die Vergleichbarkeit bezieht sich hierbei darauf, dass der Nutzen der auszuschließenden bzw. in der Verordnung einzuschränkenden medizinischen Methode gleichwertig mit einer anderen Methode sein muss, die von der GKV weiterhin vollumfänglich gewährt wird. Bei der Vergleichbarkeit des Nutzens handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Einer abschließenden Definition und Angabe von prozentualen, für die Vergleichbarkeit noch möglichen Nutzenunterschieden versperrt er sich. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit kommt es darauf an, ob Wirkungsunterschiede im Indikations- oder Nebenwirkungsprofil auftreten, wie hoch die Evidenz der Nutzenunterschiede und wie der Schweregrad der Erkrankung zu bemessen ist. Einer weiten Auslegung des Vergleichbarkeitskriteriums sind sowohl durch die Wesentlichkeitstheorie als auch das systematische Verständnis des SGB V, im Besonderen der Regelungen des § 35, § 35a und § 35b SGB V, Grenzen gezogen. Auch die zu beobachtende gesetzgeberische Tätigkeit der letzten Jahrzehnte spricht für eine enge Auslegung. Kosten-Nutzen-Bewertungen sind hinsichtlich der Leistungsumfangsbestimmung deshalb weniger mittels ökonomischer Methodik, sondern vielmehr vergleichend, durch Gegenüberstellung und Wertung, vorzunehmen (§ 3). 6. Um Kosten-Nutzen-Bewertungen durchführen zu können, bedarf es der Klarheit darüber, was unter den Begriffen „Kosten“ und „Nutzen“ zu verstehen ist. Die Begriffsbestimmung hat vor dem rechtlichen Hintergrund der Interessenskollision zwischen den Individualrechtsgütern aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie den Kollektivinteressen an einer umfassenden Gesundheitsversorgung und der Finanzierbarkeit der GKV zu erfolgen. Hieraus ergibt sich folgendes Verständnis: - Unter Kosten im Sinne des SGB V sind sämtliche im System der GKV für eine Behandlung anfallenden Ausgaben zu verstehen, nicht jedoch in anderen Bereichen anfallende Ausgaben. - Nutzen im Sinne des SGB V ist ein auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der durch eine medizinische Methode hervorgerufenen, gesundheitsbezogenen positiven wie negativen Effekte sowie ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit ermittelter Wert. Dieser setzt sich aus einer Vielzahl von Faktoren zusammen, die hierfür zueinander ins Gewicht gesetzt werden müssen. Als positive und negative Effekte sind sowohl klinisch messbare Fakten als auch die Bewertung der Lebensqualität durch die Patienten zu berücksichtigen. Diese positiven und negativen Effekte müssen von Relevanz sein, um als Nutzen zu gelten. Eine Relevanzschwelle besteht zum einen in quantitativer, zum anderen in qualitativer Hinsicht. In quantitativer Hinsicht ist eine therapeutische Verbesserung bzw. ein Zusatznutzen anzunehmen, wenn mindestens für einen Indikationsbereich oder eine relevante Patientengruppe ein therapeutischer Vorteil besteht. Von qualita-
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tiver Relevanz ist ein Nutzenunterschied, wenn er sich auf patientenrelevante Endpunkte bezieht und für den Patienten eine merkliche Verbesserung bedeutet (§ 3). 7. Im SGB V werden unterschiedliche Arten von Kosten-Nutzen-Bewertungen vorgenommen. Zwischen diesen kann differenziert werden. Sie sind in unterschiedlichem Maße interdisziplinär geprägt und beinhalten einen unterschiedlichen Grad an Wertungsentscheidungen. Mit dem Anstieg der Wertungsentscheidungen geht einher, dass der über die Kosten-Nutzen-Bewertung entscheidende Akteur in erhöhtem Maße legitimationsbedürftig ist. Der Mangel an materieller Rationalität aufgrund fehlender eindeutiger rechtlicher Vorgaben wird insoweit durch formelle Rationalität, verstanden als demokratische Legitimation, kompensiert. Im SGB V lässt sich konkret zwischen zwei Varianten von Kosten-Nutzen-Bewertungen differenzieren: der „juristischen“ und der „ökonomischen“ Kosten-Nutzen-Bewertung. Diese Unterscheidung ist auf die unterschiedliche Anzahl der in die Bewertung einzubeziehenden Faktoren wie auch den unterschiedlichen Grad der Anlehnung an ökonomische Methodik zurückzuführen. Während „juristische Kosten-Nutzen-Bewertungen“, „kleine“ Kosten-Nutzen-Bewertungen, bereits auf der Mikroebene vorgenommen werden, können „ökonomische Kosten-Nutzen-Bewertungen“ derzeit nur vom Gesetzgeber zur Anwendung gebracht werden, um den Leistungsumfang der GKV bindend auszugestalten. Zur Ausweitung ihres Wirkungsbereiches bedürfte es weiterer, dezidierter Vorgaben sowie einer Erhöhung der personellen demokratischen Legitimation des GBA oder der Übertragung der Entscheidung auf ein anderes höher demokratisch legitimiertes Gremium. Die Möglichkeit, „ökonomische Kosten-Nutzen-Bewertungen“ gemäß § 35b Abs. 3 S. 4 Halbs. 2 iVm § 92 Abs. 2 SGB V in Therapiehinweisen in weiterem Umfang zu verwenden, bietet jedoch einen Hinweis darauf, wie diese sinnvoll auch zur Konturierung des Leistungsumfangs der GKV eingesetzt werden könnten. Im Hinblick auf die Problematik der impliziten Rationierung ließe sich durch einen verstärkten Einsatz von ökonomischen Kosten-Nutzen-Bewertungen eine Verbesserung bewirken (§ 3). 8. Verfassungsrechtliche Grenzen sind gegenüber Kostenerwägungen nur im Falle existenzbedrohlicher Notstandslagen anzunehmen. Die (vermeintliche) Ausweitung der Schutzpflichtdogmatik, die Konkretisierung des Untermaßgebotes und Annahme einer leistungsrechtlichen Seite der abwehrrechtlichen Konstruktion aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip durch das BVerfG im Hinblick auf das zu gewährende Leistungsspektrum der GKV führt nur in Einzelfällen zu einem Ausschluss von Kosten-Nutzen-Erwägungen. Der vielfach kritisierte Ansatz des BVerfG ist dogmatisch mit der Schutzpflichtdogmatik in Einklang zu bringen. Er verletzt, bei genauerer Betrachtung des Wirkungsbereiches der hergeleiteten Verfassungsvorgaben, auch nicht den Gewaltenteilungsgrundsatz. Schutzpflichten sind nicht auf die Konstellation des Eingriffes von Privaten beschränkt. Im Hinblick auf Krankheiten würde dies sonst zu dem
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Ergebnis führen, dass bei einer gleich gelagerten Not Gewährleistungsunterschiede bestehen könnten. Der Umfang des Leistungsanspruches hinge davon ab, ob es sich um eine Infektionskrankheit handelt oder beispielsweise um eine genetische Erkrankung. Angesichts derselben Gefährdungslage erscheint dies nicht eingängig. Für die Anwendbarkeit der Schutzpflichtdogmatik ist vielmehr entscheidend, ob eine Dreieckskonstellation vorliegt. Schutzpflichten und soziale Grundrechte können dergestalt voneinander abgegrenzt werden, dass bei Schutzpflichten zwischen Interessen Privater abgewogen werden muss, während soziale Grundrechte allein das Staat-Bürger-Verhältnis betreffen. Dem Ansatz des BVerfG, im Rahmen der GKV auf eine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abzustellen, ist daher zuzustimmen. Eine weitreichende Einschränkung von Kosten-Nutzen-Bewertungen ergibt sich trotz und auch angesichts der gewählten dogmatischen Aufhängung aber nicht. Weder die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG noch Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip vermögen – über den Bereich „existenzbedrohlicher Notlagen“ hinausgehend – Kosten-Nutzen-Bewertungen auszuschließen (§ 4). 9. Das IQWiG bedarf keiner demokratischen Legitimation. Die über die grundsätzlich bekannte Sachverständigenfunktion hinausgehenden Tätigkeiten des IQWiG, das Unterbreiten von Entscheidungsvorschlägen mit hohem Wertungsgehalt, sind vom GBA, wie bereits die rechtlichen Grundlagen zeigen, zu überprüfen. Hierauf aufbauend hat der GBA eine eigene Entscheidung zu treffen. Es ist weder eine rechtliche noch eine faktische Bindungswirkung der Tätigkeit des IQWiG gegenüber dem GBA anzunehmen. Eine faktische Bindung wird – mangels empirischer Nachweisbarkeit – meist aus dem Fehlen eigenen Sachverstandes des letztentscheidungsverantwortlichen Hoheitsträgers abgeleitet. Dies ist beim GBA hingegen nicht anzunehmen. Außerdem werden die Informationen durch das IQWiG auch so aufbereitet, dass auf ihrer Grundlage unterschiedliche Entscheidungen getroffen werden können und weitere Wertungen vorgenommen werden müssen. Ein Legitimationsbedürfnis des IQWiG scheidet daher schon mangels Entscheidungscharakters seiner Tätigkeit aus. Die Annahme einer Legitimationsbedürftigkeit aufgrund faktischer Wirkungen ist darüber hinaus aber auch zweifelhaft. Die gesetzlichen Vorgaben, dass der Hoheitsträger nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch die Entscheidung selbst zu treffen hat, berücksichtigt dieser Ansatz nicht ausreichend. Die Sicherstellung der Vornahme einer eigenen Wertungsentscheidung des Hoheitsträgers wird bei einem Ansetzen an der Legitimation des Sachverständigen nicht umgesetzt. Der Sachverständige soll zwar Vorarbeiten liefern, angesichts des hohen Wertungsgehalts der Entscheidung kann er jedoch gerade keine abschließende Bewertung treffen. Aus diesem Grund ist, statt den Blick auf die Sachverständigenbeteiligung – die organisatorisch und prozedural aufgrund ihrer besonderen Relevanz einer besonderen Ausgestaltung bedarf – zu versteifen, vornehmlich sicherzustellen, dass der GBA eine eigene Bewertung vornimmt und damit selbst entscheidet (§ 5).
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Sachwortverzeichnis Allokation 24, 30 ff., 102, 108, 140, 234 ff. angebotsinduzierte Steuerung 36, 140 Angemessenheit 34, 69 ff., 73 ff., 88 ff., 145, 150, 162, 180, 186 ff., 191, 223, 233, 308 Anreizsteuerung 20, 45, 99, 133, 235 Äquivalenzprinzip 135 f., 183, 280 Arzneimittelpreis/Abgabepreis 45 ff., 50 ff., 82 ff., 97 ff., 108 ff., 113 ff. Arzneimittelzulassung 39 f., 195 ff., 217, 249, 253 ff. Arzthaftung 209 ff. Ausgaben-Einfluss-Analyse 75 ff., 84 ff., 153, 228, 313 ausreichende Leistungen 136 ff., 150 ff., 169 ff., 171 ff., 185 f. Außenseitermethode 170 f. averting-behavior-Studien 84
Bedarf 30, 47 Begründung als Legitimationsfaktor 311 ff., 317 f. Behandlungsbedürftigkeit 136, 178, 207, 214 Beitrag 87 ff., 180 ff., 192, 280 f. – Beitragsfinanzierung 70, 76, 79, 88 ff., 200, 265 ff., 280 f. – Beitragspflicht 17, 23 f., 77, 89 ff., 155 ff., 180 ff., 238, 265 ff., 280 f. Beitragssatzstabilität 21, 31 f., 235 Beleihung 293 ff., 322 f. Berichtsplan 67, 306 f. Berücksichtigungspflicht 311 ff. Betroffenenbeteiligung 321 Betroffenengremium 313 Bewertbarkeit 22 f., 200 – Bewertungsversagen 22 f., 175 ff. – Mathematische Bewertbarkeit 94 f. – monetäre Bewertbarkeit 174 Bewertungsausfall 309, 316 ff.
Bewertungsmethodik 14 ff., 37, 54, 69 ff., 73 ff., 77 ff., 102, 134, 176, 186, 208, 228 ff., 306 Budget 19 f., 31, 144, 235 Budgetierung 19 f., 102 f. Coase-Theorem 36 Compassionate-Use 256 ff. Datengrundlage 105 demographischer Wandel 32, 79 Demokratieprinzip 282, 286 ff., 303, 316 ff., 322 demokratische Legitimation 29, 226, 286 ff., 327 „dezisionistisches Modell“ 290 f., 302 ff. DRG 19 Effizienz 36, 79 ff., 97 ff., 181 ff., 227 f. Effizienzgrenze 54, 72 ff., 79 ff., 92 f., 97 ff., 119, 125, 134, 227 f., 313 ff., 324 – indikationsbezogene/indikationsübergreifende Effizienzgrenze 54 ff., 72, 79 ff., 99 ff., 324 f. Eigenverantwortlichkeit 45, 207, 213 f. Empfehlung 106, 120, 289 ff., 307 ff., 313 ff., 323 Entscheidungscharakter 290 ff., 300 ff., 328 Erstattungsbetrag 27, 43 ff., 51, 57 f., 65, 97, 108 ff., 113 ff., 123 ff., 174, 226 Erstinterpret 282 ff. Evidenz 48, 86 f., 143, 161,167, 171, 243 ff., 250 ff., 326 evidenzbasierte Medizin 35 ff., 69 f., 194 Existenzminimum 83, 238, 269, 281 ff. Expertokratie 31, 286 ff.
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Sachwortverzeichnis
faktische Bindung 307 ff., 311 ff., 316 ff., 328 Festbetrag 27, 33 ff., 42 ff., 104, 111 ff., 118 ff., 201 ff., 216 ff. finanzielle Stabilität 184 finanzielle Verantwortung 87, 284 ff. Finanzierbarkeit 14, 117, 234 ff., 271 ff., 285, 324 Folgenabschätzung 86, 289, 313 gatekeeper 19 f., 222, 234 f. GBA 20 ff., 38 ff., 53 ff., 60 ff., 68 ff., 92 ff., 106 ff., 110 ff., 141 ff., 179 ff., 218 ff., 302 ff., 316 ff. Gegenleistung 89, 182 ff., 266 ff., 280 ff. Gerechtigkeit(skriterien) 13 ff., 31, 97, 139, 236 Gesamtbilanz 149 ff. Gestaltungsspielraum 22, 72, 109, 240 ff., 274 ff. Gesundheit 14 ff., 36, 68 ff., 77 ff., 83 ff., 132, 140, 156 ff., 176 ff., 191 ff., 197 ff., 215 ff., 236, 241, 272 ff., 325 Gesundheitsökonomie 13, 35 ff., 69 ff., 77 ff., 92 ff., 101 ff., 134, 164 ff., 190 ff., 288 Gleichheitssatz 66 ff., 94 ff., 99 ff., 207 ff., 324 Grundprinzip der GKV 41 ff., 136 ff., 157, 242 Grundrechtsfunktionen 273 ff. Grundrechtsgewährleistung 273 Haftungsfalle 209 ff. Handlungsanleitung 310 Haushaltshoheit 283 Heilversuch 243 ff. Höchstbetrag 28, 47, 50 ff., 71, 109, 120 Indikation 20, 27, 54, 72 ff., 79 ff., 97, 111, 124 f., 132, 161 ff., 193 ff., 201 ff., 216 ff., 244, 255 ff., 305 individuelle Bedürftigkeit 239, 284 ff. Institutionalisierung 304, 321 Interdisziplinarität 29, 73, 96, 134, 286 ff., 327 Interessensausgleich 117 f., 145, 185, 270, 280
– interpersonell 280 – intrapersonal 280 internationaler Standard 69 ff., 77 ff., 87 ff., 101 f., 134 Inverkehrbringen 42, 256 ff. IQWiG 49 ff., 58 ff., 68 ff., 92 ff., 286 ff., 292 ff., 300 ff., 307 ff., 319 ff. Kaldor-Hicks-Kriterium 36, 81 f., 288 Kardinalskalierung 81, 95, 224 Knappheit 13 f., 225, 273 f. Kollegialorgan 292 Komparatoren 23, 68, 105, 190, 228 f. Konsultationspflicht 303 ff., 308 Kontrahierungszwang 109 Kooperation 27 ff., 105, 116 ff., 122, 235, 286, 300, 312 ff., 322 Kosten 19 ff., 28, 32 ff., 87 ff., 191 ff. – Versicherten- und gesellschaftliche Perspektive 87 ff., 191 ff. Kostenexplosion 79 Kosten-Nutzen-Analyse 13, 80, 107, 163 ff., 187 ff., 227 ff. Kosten-Nutzen-Vergleich 25 ff., 32 ff., 71, 107, 124, 133 ff., 153 ff., 160 ff., 166 ff., 175 f., 203, 223, 225 ff., 254, 264 ff. Krankheit 36, 52, 83, 105, 136, 153 ff., 172, 177 ff., 199, 207 f., 213 ff., 239, 279 ff. – lebensbedrohliche Krankheit 31, 237 ff. – sachliche Komponente 252 – zeitliche Komponente 251 f. Lebensqualität 68, 193, 196, 197 ff., 326 leges imperfectae 273 Legitimation 29 ff., 104, 131 ff., 176 ff., 220 ff., 286 ff. – Legitimationsbedürfnis 29, 59, 289 ff. – Legitimationsdefizit 286, 289 ff., 319 – Legitimationsniveau 131, 135, 176 ff., 220 ff., 287 – Legitimationsverantwortung 314, 320 Leistungsbeschränkung 18 ff., 27 ff., 35, 56, 72, 107, 118 ff., 126 ff., 133, 176, 204, 248 ff. – Leistungsausschluss 18 ff., 28, 41, 49, 56, 72, 107, 118 ff., 126 ff., 133, 176, 204, 248 ff.
Sachwortverzeichnis – Leistungseinschränkung 15 ff., 115, 136, 170, 240, 269 Leistungserbringungsrecht 140, 144 ff., 186 Leistungskatalog 37 ff., 71, 84 ff., 97 ff., 111, 126, 133 ff., 157, 166, 170 ff., 205, 221 ff., 237 ff., 269, 284, 324 Leistungspflicht/-anspruch 135 ff., 162, 204, 237 f., 242 ff., 263, 270 ff., 325 ff. Letztentscheidungsträger 290, 302 f., 305 ff., 316 ff., 328 Makroebene 20, 24, 235 Marktsimulation 36, 83 Marktversagen 17, 36, 83, 140 mathematische Erfassung 93 ff., 175, 324 medizinische Forschung 243 medizinische Infrastruktur 154 medizinischer Fortschritt 21, 32, 48, 79, 136, 169 medizinischer Standard 21, 40, 93, 136, 169 ff., 203 ff., 242 ff. Mesoebene 235 Me-Too-Präparat 55 Mikroebene 20, 164, 235, 327 Mindeststandard 23, 40, 171 ff., 238, 281 f. Mitentscheidung 29, 286, 298, 300 ff., 315 ff. Mittelabsorption 271 Mittelknappheit 225 Modellierung 93 Nebenwirkung 34, 68, 131 f., 142, 161, 194 ff., 202 ff., 213 ff., 264, 326 Neutralität 286, 304 ff., 313 Nikolaus-Beschluss 31, 241 ff., 249 ff., 254 ff., 265 ff., 281 ff., 285 Nutzen 154 ff., 181 ff., 192 ff. – frühe Nutzenbewertung 42 ff., 56, 224 f. – therapeutische Verbesserung 33, 42 ff., 57, 193, 201 ff., 216, 326 – Zusatznutzen 13, 27 f., 33 ff., 41 ff., 56 f., 72, 88, 97 ff., 120 ff., 130 ff., 143, 156 ff., 189, 201 ff., 326 Nutzen-Risiko-Analyse 170, 252 ff. Nutzenvorrang 21, 135, 161, 166 ff., 181 ff., 325
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Objektivierung 23, 80, 110, 195, 224, 228 f., 304, 319 Objektivitäts-Suggestion 80, 228 Off-Label-Use 244, 249 f., 258 ff. Ökonomie 17, 94, 195 Ökonomische Analyse 17 ff., 24, 29 f., 36 f., 40, 70, 75, 81, 92 ff., 107, 134, 163 ff., 174, 188, 190, 191 ff., 205, 223 ff., 237, 314, 324 ff. Opt-out 109, 111 ff., 263 Ordinalskalierung 81 Organisationform 292 Parameter/Bewertungsfaktoren 14, 29, 34, 37, 60, 65 ff., 77, 103, 118, 125, 135, 153 ff., 189 ff., 201 ff., 216, 229 ff., 261, 305 f., 315, 325 Pareto-Prinzip 81 f., 288 paritätische Besetzung 17, 60, 288, 313 patientenbezogene Endpunkte 197 f., 203, 216, 327 Pflichtversicherung 88, 180, 238, 269 „pragmatisches Modell“ 290 f., 307 ff. Preisbestimmung/-regulierung 25 ff., 35, 38 ff., 45 ff., 50 ff., 65, 71 ff., 97 ff., 108 ff., 113 ff., 122 ff. Priorisierung 15, 18, 127, 132 Prioritätensetzung 167 f., 174, 177, 235, 273 Privatrechtssubjekt 292 ff., 300 Produktivitätsverlust 87, 89 f. Public Health 14 QALY 70 f. Quantifizierung
36, 70, 94, 188, 228, 230
Rabattvertrag 46 – Rabattverhandlung 43, 51 ff., 55 ff., 60 ff., 72, 87, 97, 103 ff., 108 ff., 133 Rationalisierung 19, 28, 165 Rationalität/rational 17, 23, 94, 96, 174, 187, 209, 226, 233 ff., 327 Rationierung 13, 15, 18 ff., 27 f., 31, 35, 51, 124, 133, 157, 165, 236, 247, 325 ff. – implizite Rationierung 18 ff., 31, 327 Ressource 14, 22, 24 f., 99, 105, 139, 167, 190, 195, 210, 265, 273 ff., 291 – Ressourcenkonkurrenz 274
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Sachwortverzeichnis
Richtgrößen 19, 31, 41, 47, 144 ff. Richtlinie 26, 30, 45, 50, 61, 109 ff., 120 ff., 141 ff., 179, 204, 218, 222, 249, 263 ff., 302 Sachleistungsprinzip 144, 192 Sachkunde 309, 312 f., 320 Sachverstand 24, 29, 31, 58 ff., 69, 96, 234, 286 ff. – Sachverständige 29, 31, 58 ff., 66 ff., 80, 158, 228, 286 ff. – Sachverständigengutachten 67 f., 223, 303 f., 309 ff. – sachverständiger Berater 321 ff. Schiedsstelle 26, 65, 99, 108 f., 113 ff. Schlüssigkeitskontrolle 300 ff. Schutzpflicht 31, 212, 239 ff., 265 ff., 270 ff., 281 ff., 328 Schweregradgewichtung 98 f., 134, 158, 324 ff. Seltenheitsfall 244, 261 f. Solidarausgleich 184, 266, 270 soziale Grundrechte 271 ff., 328 sozialrechtlicher Standard 210 ff. Sozialversicherung 87 f., 282 SpiBu 43, 46, 50 ff., 65, 108 ff., 113 ff., 122 ff. Staatsausgaben 13, 16 Staatsgewalt 275, 289 ff., 322 Stellungnahme 59, 66 f., 147, 302, 308 ff., 321 Steuerfinanzierung 91, 280 Strukturschaffungspflicht 320 Subsidiarität 118 ff., 238 f., 282 Surrogatparameter 199, 216 Systemversagen 244, 261 f. Tatbestandswirkung 109, 287, 303, 307 Tatsachenermittlung/-feststellung 232, 252, 308 ff., 313 therapeutische Gleichwertigkeit 21 f., 30, 43, 151, 179, 205 ff., 217, 220 ff., 326 therapeutische Solisten 52 ff., 60 Therapiehinweise 26, 41, 56, 61 ff., 72, 93, 104 ff., 119 ff., 126 ff., 144, 222, 236, 242, 325 ff. Trägerstellung 58 ff., 296 ff., 320 f. Transparenz 66 f., 306 f.
Unabhängigkeit 60, 296 f., 304, 309, 319 ff., 323 Unlicensed-Use 258 ff. Unparteilichkeit 29, 297, 309 Untermaßgebot 241, 254, 276, 281 ff., 284 f., 327 unwesentliche Vorteile 151 ff., 214 f. Verantwortungsdiversifizierung 29, 288 Verbringungsverbot 259 Vergaberecht 108 Vergleichbarkeit 21, 27 ff., 34, 43, 53 ff., 111, 118 ff., 130 ff., 142 ff., 150 ff., 164 f., 166 ff., 201 ff., 226 ff., 250 ff., 325 f. Verhältnismäßigkeitsprinzip 17, 22 ff., 74 ff., 93 ff., 135, 151 ff., 181 ff., 231 ff., 237, 240, 266 ff., 324 f. Verhandlung 26, 35, 43, 51 ff., 65 f., 72, 87, 97, 103 ff., 108 ff., 122, 133, 164, 174, 226, 263 Verkehrsfähigkeit 39, 257 ff. Veröffentlichungspflicht 66 f., 303, 305 ff. Versichertengemeinschaft 34, 70, 74 ff., 88 ff., 110, 149, 153, 220 ff., 253 Verteilungsgerechtigkeit 13 ff., 20, 24, 31, 139, 229 ff., 236 – Verteilungskriterien 20, 218, 236 Verwaltungshelfer 294, 298, 311, 319, 322 f. – selbstständiger Verwaltungshelfer 322 Vollversorgung 21, 166, 247 Vorbehalt des Möglichen 239, 268, 277 Vorbereitungsmaßnahmen 29, 31, 288 ff. Vorbericht 67, 307 Vorentscheidung 66, 289, 301 Vorgreiflichkeit (negative/positive) 40, 255 ff. Vorschlagsrecht 301, 304 Vorverständnis 210, 310 wage-risk-Studien 84 Werteordnung 94 Wertung/Werturteil 24, 81, 97, 234, 309, 326 Wertzuordnung 95 Wesentlichkeitstheorie 123, 131, 179, 207, 218 ff., 223, 326
Sachwortverzeichnis Wirksamkeit 39 ff., 136, 142 f., 154, 159, 161 ff., 166, 169 ff., 192 ff., 252 ff., 255 ff. Wirtschaftlichkeitsprinzip 14 ff., 35, 38 ff., 51, 55 ff., 104 ff., 118 ff., 133 ff., 135 ff., 226 ff., 237 ff., 324 ff. – Maximalprinzip 21, 135, 138, 166 ff., 188, 325 – Minimalprinzip 21, 135, 138, 164, 177 f., 188, 325
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Wirtschaftswissenschaft 18, 29, 48, 137 ff., 188, 228 Wissensbasis 63, 302 Wissensgenerierung 288 Wohlfahrtsökonomie 17, 36 Zahlungsbereitschaft 81 ff. Zugangsregulierung 38 ff. Zumutbarkeit 34, 73 ff. Zuzahlung 19, 34, 52, 78, 91 f. Zweck-Mittel-Relation 74, 94, 178, 185 ff.