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German Pages 498 [508] Year 1977
KOMMUNIKATIONSMITTEL
HOFFMANN FACHSPRACHE
SAMMLUNG
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SPRACHE
AKADEMIE-VERLAG
LOTHAR HOFFMANN
KOMMUNIKATIONSMITTEL FACHSPRACHE EINE E I N F Ü H R U N G
AKADEMIE-VERLAG 1976
• BERLIN
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag, Berlin 1976 Lizenznummer: 202 . 100/211/76 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenliainichen • 4479 Bestellnummer: 752 667 5 (7544) • LSV 0805 Printed in GDR EVP 2 8 -
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
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Teill Bolle und Problematik der Fachsprachen 1. Der Inhalt der sprachlichen Kommunikation 2. Der Umfang der sprachlichen Kommunikation 3. Die Mittel u n d Methoden der sprachlichen Kommunikation 4. Das Wesen der Fachsprachen
19 21 25 47 57
Teil II Die spezifischen Merkmale der Fachsprachen auf den einzelnen sprachlichen Ebenen und Zwischenebenen 5. Die Ebene der Grapheme und Phoneme 6. Die Ebene der Morpheme u n d grammatischen Kategorien 7. Die Ebene der Lexeme und Wortformen 8. Die Ebene der Syntagmen, Phrasen und Sätze
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Teil III Methoden zur Ermittlung der Spezifik der Fachsprachen 9. Die Materialerfassung 10. Die Auswertung
384 386 398
Schlußbemerkungen
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Kleine Bibliographie fachsprachlicher Untersuchungen (Lothar H o f f m a n n und Karin Leube)
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Register
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Eine lediglich poetische Literatur, ohne wissenschaftliches Schrifttum, ist geschriebener Dialekt, keine vollwertige Literatur. (Karl Voßler, Geist und Kultur in der Sprache, Heidelberg 1925, S. 239.)
Einleitung
Im Titel des vorliegenden Buches kommt zweierlei zum Ausdruck: das, wovon die Rede sein wird, und das, was nicht zur Betrachtung steht. Geschrieben werden soll von der Sprache als Kommunikationsmittel, nicht über das Verhältnis Sprache — Denken. Dabei gebrauchen wir den Begriff der Kommunikation in seinem weiteren Sinne und meinen nicht die kommunikative Funktion der Sprache, wie sie zum Beispiel die Prager Schule gefaßt hat. Dargestellt werden soll ein Teilbereich der Verwendung von Sprache(n), nicht die Sprache oder eine Sprache als Ganzes. Es mag seltsam erscheinen, daß wir gerade bei der Untersuchung von Fachsprachen die kognitive Funktion der Sprache(n) in den Hintergrund drängen wollen, und vollständig wird uns das auch nicht gelingen ; denn hier, wo vor allem davon die Rede ist, wie sich der Mensch mit Natur und Gesellschaft auseinandersetzt, wo die Dialektik des Erkenntnisprozesses — die Widerspiegelung der objektiven Wirklichkeit im Bewußtsein und das produktiv-tätige, schöpferische Einwirken des Menschen auf seine Umwelt — unmittelbarer und deutlicher als in anderen Anwendungsbereichen der Sprache zum Ausdruck k o m m t , lassen sich zum Verhältnis Sprache — Denken sehr aufschlußreiche Beobachtungen anstellen, in erster Linie an den Korrelaten Benennung (besonders Terminus) — Begriff — Gegenstand der objektiven Realität und Satz — Aussage — Sachverhalt der objektiven Realität, ganz im Sinne der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie. Es gibt jedoch einleuchtende Gründe für diese Einschränkung: Will man nicht bei den sattsam bekannten Allgemeinplätzen stehenbleiben, die einige Sprachwissenschaftler nun schon seit Jahrzehnten der Erkenntnistheorie entlehnen, oder andererseits das menschliche Denken in das Prokrustesbett kybernetischer und anderer Modelle pressen, dann sind zunächst einmal gründliche und repräsentative
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Einleitung
Materialuntersuchungen nötig. Die bisherigen Ergebnisse unserer fachsprachlichen Forschung reichen dazu noch nicht aus. Auch führt bei dieser schwierigen Fragestellung ein linguistischer Alleingang — womöglich noch auf die Fachsprachen beschränkt — schwerlich zum Ziel. Hier eröffnet sich nicht nur die Möglichkeit, hier stehen wir vor der Notwendigkeit zur Kooperation mit Philosophen, Psychologen, Hirnphysiologen und Vertretern anderer Disziplinen, die sich mit dem menschlichen Denken, seinen Grundlagen und seinen Gesetzmäßigkeiten, beschäftigen. Auch diese Zusammenarbeit ist noch ungenügend entwickelt. So mangelt es nicht an Hypothesen, wohl aber an Theorien, die ihre Gültigkeit bereits in der Praxis erwiesen hätten, und auch an «iner systematischen Übersicht bzw. Analyse einfacher, der Beobacht u n g zugänglicher Fakten. Selbst wenn die Dinge anders lägen, wäre eine getrennte Behandlung der beiden Hauptfunktionen der Sprache in Spezialuntersuchungen gerechtfertigt, übrigens auch vom jeweiligen Ziel und vom Umfang der Arbeit her, wenn dabei nicht in Vergessenheit gerät, daß kommunikative und kognitive Funktion nur zwei Aspekte ein und derselben Sache — eben der Sprache — sind. Weniger überraschend mag die zweite Einschränkung sein. Nachdem sich Sprachwissenschaft und Einzelphilologien in der Vergangenheit fast ausschließlich mit der Sprache der künstlerischen Literatur und der Publizistik beschäftigt und dabei tiefe Einsichten auch in das allgemeine Wesen der Sprache erzielt haben, verlangen nun die Fachsprachen oder besser: die verschiedenen Spielarten des Sprachgebrauchs in bestimmten spezialisierten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, nach näherer Untersuchung und Darstellung. Die Ursachen dafür liegen außerhalb der Sprache und sind auch unabhängig vom Willen und den Wünschen der Sprachwissenschaftler. Sicher haben schon früher einige — besonders lexikalische — Besonderheiten gewisser sozialer und beruflicher Gruppen (Argot) bei den Philologen Interesse gefunden, so z. B. der Wortschatz der Handwerker und der Jäger, die Gaunersprache (Rotwelsch), der Slang von Schülern und Studenten usw. Doch wurden diese mehr als Kuriositäten denn als Produkt der sozialen Wirklichkeit betrachtet und ihre Wurzeln nur selten in den Widersprüchen der Klassengesellschaft gesucht. I n den letzten Jahrzehnten, die durch tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen wie die Große Sozialistische Oktoberrevolution, die Gründung der UdSSR, die Entstehung einer sozialistischen Völker-
Einleitung
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gemeinschaft, den nationalen Befreiungskampf der von den imperialistischen Großmächten unterdrückten Völker, kurz: durch den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus/Kommunismus und auch durch einen gewaltigen Aufschwung in Wissenschaft, Technik, Kultur und Bildung gekennzeichnet waren, hat die Sprache als „das praktische . . . Bewußtsein" 1 des Menschen helfen müssen, viele neue Bereiche von Natur und Gesellschaft zu erschließen. Das hat zu ihrer Gesamtentwicklung beigetragen; das hat aber auch zu einer gewissen Verzweigung und Spezialisierung geführt, die einer ebensolchen Verzweigung und Spezialisierung der Kenntnisse und der Fähigkeiten des Menschen entspricht. Dabei sind neue sprachliche Elemente — vor allem im Wortschatz — entstanden; es haben sich aber auch feste Gewohnheiten in der Wahl und in der Verwendung vorhandener sprachlicher Mittel entwickelt. Der Romanist K . Voßler hat diese Entwicklung, was •den Einfluß der Naturwissenschaften auf die Sprache betrifft, schon 1925 so gekennzeichnet: „Durch die Arbeit der modernen Naturwissenschaften ist seit Ende des Mittelalters den europäischen Sprachen eine beispiellose Vermehrung des Wortschatzes zuteil geworden und zugleich eine grammatische Stählung und Zucht, zwar nicht unmittelbar geschenkt, aber, was mehr ist, mit unabweislichem Nachdruck von ihnen verlangt, ihnen zugemutet und auferlegt worden. Die Anforderungen, die in Zukunft von der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung an unsere Kultursprachen gestellt werden, dürften sich eher steigern als verringern" 2 . Da der berufliche Umgang mit Sprache heute vielfach schon einen breiteren R a u m einnimmt als die übrige sprachliche Betätigung, da der Anteil der Fachpublikationen schon jetzt sowohl in der Produktion als auch in der Konsumtion den der übrigen Literatur bei weitem überwiegt, da Berichte über Fragen der Produktion und über die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik neben dem politischen, dem unterhaltenden und dem Sportteil in der Presse und den übrigen Massenmedien immer mehr Verbreitung finden, da schließlich der gesamte Bildungsweg von der Grundstufe über die Oberstufe der allgemeinbildenden Schule, die Berufsschule, die Fachschule sowie die Hochschule oder Universität in erster Linie mit fachlichem Wissen 1
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K. Marx, F. Engels, Die deutsche Ideologie. Marx/Engels Werke, Bd. III, Berlin 1962, S. 30. K. Voßler, Geist und Kultur in der Sprache, Heidelberg 1925, S. 226.
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Einleitung
gepflastert ist, wird der Einfluß der Fachsprachen immer mächtiger. Das gilt bezeichnenderweise nicht nur für das Lesen und Schreiben, die in den wissenschaftlichen Berufen überwiegen. Es spricht auch — mit wenigen Ausnahmen — im Alltag niemand wie Anna Seghers, Berthold Brecht oder Hermann Kant, wie Michail Scholochov, Vsevolod Viänevskij oder Sergej Antonov, wie Ernest Hemingway, Arthur Miller und Norman Mailer, wie John Galsworthy, George Bernhard Shaw oder Aldous Huxley, wie Romain Rolland, Jean Anouilh oder Louis Aragon und schon gar nicht wie Goethe, PuSkin, Shakespeare oder Corneille, um ganz wahllos einige herauszugreifen, in deren Sprache die Wirklichkeit künstlerisch ab- oder nachgebildet wird. Nein, da spricht der Facharbeiter Müller, der Meister Krause, der Ingenieur Meier, der Ökonom Seidel, der Physiker Schulze, der Arzt Koch, der Philosoph Große; sie sprechen über Fragen ihres Faches, und sie sprechen mit ihren Kollegen so, daß ein Außenstehender sie nur zum Teil oder gar nicht mehr versteht. Aber auch wenn sie ihr berufliches Wirkungsfeld verlassen, im Kreise der Familie oder unter Freunden, der sprachliche Grundhabitus bleibt im wesentlichen erhalten, mit wachsendem Alter in zunehmendem Maße, auch dann, wenn nicht von der Arbeit die Rede ist. Während nun die Beachtung der fachsprachlichen Spezifik, der mehr oder weniger konsequente Gebrauch der fachsprachlichen Mittel, in der beruflichen Kommunikation eine entscheidende Voraussetzung für das gegenseitige Verstehen und damit für den ordnungsgemäßen Ablauf der Arbeitsprozesse ist, könnten andere Kommunikationsbereiche bequem ohne diese auskommen, wenn nicht Wissenschaft und Technik immer stürmischer in fast alle Sphären unseres Leben» eindrängen. Die unausweichliche Konsequenz ist ein Prozeß der Integration, dessen Ursachen eigentlich in der Differenzierung liegen — ein echt dialektischer Prozeß also. Ebenfalls auf einen Grundzug der Dialektik läßt sich der Umstand zurückführen, daß die ständige Zunahme des Fachlichen in Leben und Sprache schließlich auch zu qualitativen Veränderungen, d. h. zu Veränderungen in den Normen des allgemeinen Sprachgebrauchs führt. Es gibt also mindestens zwei Gründe, weshalb uns die Fachsprachen interessieren sollten: erstens, ihre Bedeutung für das Funktionieren und darüber hinaus die möglichst effektive Gestaltung der sprachlichen Kommunikation in lebenswichtigen Bezirken der menschlichen Gesell-
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schaft; besondere Bedeutung gewinnt dieser Aspekt für den Aufbau einer sozialistischen bzw. kommunistischen Gesellschaftsordnung; zweitens, ihr Einfluß auf die allgemeine Entwicklung der Sprache(n) als Instrument des Denkens und als Mittel zur Weitergabe gewonnener Erkenntnisse, d. h. als „unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens" 1 . Aus einem weiteren Grunde noch mußte dieses Buch geschrieben werden: Seit mehr als zwanzig Jahren existiert an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR eine fachsprachliche Ausbildung, die aus dem 1951 eingeführten obligatorischen Fremdsprachenunterricht hervorgegangen ist. Mehrere internationale Tagungen 2 haben gezeigt, wie groß das Interesse an dieser neuen Ausbildungsform ist. Um sie auf eine exakte Grundlage zu stellen, wurden zahlreiche Untersuchungen an wissenschaftlichen und technischen Texten durchgeführt. Die Ergebnisse sind bereits in der Praxis wirksam, wurden aber nur zum Teil veröffentlicht, einige von ihnen in Publikationsorganen mit geringem Verbreitungsgrad. Außerdem haben sich die Verfasser unterschiedlicher Methoden bedient und oft ganz spezielle Einzelfragen behandelt. Wir halten deshalb den Zeitpunkt für gekommen, ein paar grundsätzliche Fragen aufzuwerfen, einen allgemeinen Überblick über den Fragenkomplex Fachsprachen zu geben und die Wirksamkeit einiger Untersuchungsmethoden zu analysieren. Dabei handelt es sich durchaus nicht um eine abgeschlossene und auch nicht um eine rein linguistische Arbeit, sondern mehr um eine Einführung, die den Forschungsstand in groben Zügen andeutet und auf Probleme hinweist, die noch der Lösung harren. Sie will denjenigen Anregungen und methodische Fingerzeige geben, die in irgendeiner Form mit Fachsprachen zu tun haben oder auf diesem Gebiet weiterarbeiten wollen. Dabei berücksichtigt sie internationale Erfahrungen, besonders Erkenntnisse, die von Wissenschaftlern in der Sowjetunion gewonnen wurden, und eigene Forschungsergebnisse. Auf die Frage, wo fachsprachliche Untersuchungen innerhalb der Sprachwissenschaft anzusiedeln sind, sollte man antworten: Es handelt sich um ein Stück angewandte Sprachwissenschaft. Ihre Ergebnisse 1
K. Marx, F. Engels, Die deutsche Ideologie. Marx/Engels Werke, Bd. III, Berlin 1962, S. 432. 2 Linguistische und methodologische Probleme einer spezialsprachlichen Ausbildung, Halle 1967; Fremdsprachenunterricht 11/1968; Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 20 (1971) H. 5; Wissenschaftliche Schriftenreihe der TH Karl-Marx-Stadt 1974.
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Einleitung
können Eingang finden: a) in den muttersprachlichen Unterricht, die Sprachpflege, die Sprachberatung, die Sprachnormung, insbesondere die Terminologienormung; b) in den Fremdsprachenunterricht, vor allem bei der Auswahl des zu vermittelnden Sprachmaterials und dessen Einschränkung in Gestalt von Minima; c) in die Sprachmittlung, besonders in die Translation; d) in die maschinelle Informationsverarbeitung und Übersetzung und in die Vorbereitungen zur Anlage von Sprachdatenbänken; e) in die Sprachpragmatik, d. h. in die Bemühungen um die Wirksamkeit der Sprache 1 . Sie erhebt aber keinen Anspruch darauf, deren Aufgaben zu lösen. Deshalb beschränken wir uns fast überall in diesem Buch auf die Erfassung und Darstellung fachsprachlicher Phänomene, enthalten uns aber jeder Wertung im Sinne der Stilistik oder der Sprachpflege. Wenn es in der fachsprachlichen Forschung irgendwelche Berührungspunkte mit der Stilistik, besonders mit der Lehre von den Funktionalstilen geben sollte, dann nicht in dem Sinne, daß die Fachsprachen insgesamt ein Funktionalstil sind, einen Funktionalstil haben oder einem Funktionalstil angehören. Es gibt vielmehr innerhalb der Fachsprachen eine starke stilistische Differenzierung, die in erster Linie vom Zweck und vom Inhalt der Mitteilung und auch von der Darstellungsart bestimmt wird. Es kann also nicht unsere Hauptaufgabe sein, die Fachsprachen daraufhin zu untersuchen, ob in ihnen diese oder jene stilistischen Mittel vorhanden sind oder fehlen, die uns aus der künstlerischen Literatur oder anderen Genres bekannt sind. Der richtige Weg führt vielmehr über die Analyse eines repräsentativen Korpus fachsprachlicher Texte (gedruckter wie gesprochener) zu Registern der in ihnen verwendeten sprachlichen Mittel, die dann einen Vergleich mit anderen sprachlichen Korpora gestatten. Da aber die Erfassung und Darstellung der Gesamtheit aller relevanten sprachlichen Mittel eines Textes noch keine ausreichende stilistische Charakteristik liefert, zumindest nicht im Sinne der literarischen Stilistik, kann und will die fachsprachliche Forschung mit ihrer stark praxisbezogenen Zielstellung und Arbeitsweise keine Disziplin der Stilistik sein, wohl aber gewisse Gemeinsamkeiten mit ihr pflegen. Das vorliegende Buch ist aus einem Zyklus von Vorlesungen — vorwiegend für Studenten der Erwachsenenbildung der Fachkombination 1
L. Hoffmann, Angewandte Sprachwissenschaft, Fachsprachen und sprachliche Ebenen. Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 20 (1971) H. 5, S. 1210.
Einleitung
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Russisch/Englisch, die einmal an Universitäten, Hoch- und Fachschulen unterrichten werden — entstanden. Das Russische und das Englische stehen also im Vordergrund der Betrachtung. Damit wird auch der speziellen Situation der D D R im Hinblick auf die Auswertung fremdsprachiger Fachliteratur und die Pflege internationaler Verbindungen bis hin zur unmittelbaren Zusammenarbeit Rechnung getragen. Darüber hinaus sind aber auch fachsprachliche Eigentümlichkeiten des Französischen und Deutschen berücksichtigt. Aus der Vielzahl der Fachsprachen wurden vor allem die der Wissenschaft und Technik ausgewählt, und auch hier konnten die Beispiele immer nur bestimmten Disziplinen entlehnt werden. Wir haben uns dabei allerdings bemüht, diejenigen zu treffen, die Verallgemeinerungen zulassen; denn es kommt uns vor allem darauf an, Grundzüge und -tendenzen zu erfassen. Neben dem Gemeinsamen tritt aber auch so manches Besondere hervor, was die einzelnen Fachsprachen voneinander trennt. Deshalb werden wir zu einer horizontalen und zu einer vertikalen Anordnung bzw. Gliederung gelangen, die uns zu einem besseren Überblick verhilft. Was den Forschungsstand betrifft, so haben wir uns mit Zitaten und Literaturhinweisen auf die Haupttendenzen beschränkt. Weiteres findet der Leser in der „Kleinen Bibliographie" am Schluß, sofern er sich mehr in die Problematik vertiefen will. Wir sind der Auffassung, daß das Buch dadurch leichter lesbar wird; denn wir wenden uns damit nicht nur an Sprachwissenschaftler bzw. Philologen, sondern vor allem an Lehrkräfte in der fachsprachlichen Ausbildung der Universitäten, Hoch- und Fachschulen, an Studenten der Erwachsenenbildung, an Fachübersetzer, Teilnehmer an der Sprachkundigenausbildung, Autorenkollektive oder Einzelautoren von Sprachlehrbüchern, Terminologienormer, Informatiker sowie an Vertreter aller möglichen wissenschaftlichen und technischen Disziplinen, die ihre Fachliteratur im Original lesen und ihre Fachsprachen selbst — in Publikationen, bei Vorträgen und anderswo — bewußt und wirkungsvoll handhaben wollen, und hier besonders an den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wir konnten auch nicht alle Meinungsäußerungen zu Einzelfragen berücksichtigen, geschweige denn uns mit ihnen auseinandersetzen, wo wir anderer Auffassung sind. Das — wie übrigens auch die Nichterwähnung in der Bibliographie — ist kein Ausdruck der Unterschätzung, sondern nötwendige Selbstbeschränkung zugunsten einer klaren Linienführung und einer vertretbaren Seitenzahl.
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Bei der Untersuchung und Darstellung der Fachsprachen überwiegt — nicht nur in diesem Buch — die synchrone Sicht. Die angewandte Sprachwissenschaft im oben angedeuteten Sinne interessiert sich in erster Linie für das Funktionieren der sprachlichen Kommunikation auf ihrem gegenwärtigen Entwicklungsstand. Und dennoch erschließt •die fachsprachliche Forschung so manchen Einblick in die Gesetzmäßigkeiten der Sprachentwicklung, um nicht zu sagen der Sprachgeschichte. Wie in anderen Bezirken von Natur und Gesellschaft der •gegenwärtige Zustand die Keime des Künftigen in sich birgt, so läßt auch der gegenwärtige Sprachzustand Entwicklungstendenzen erkennen. Das gilt nicht nur im Hinblick auf den bereits erwähnten starken Einfluß, den die Fachsprachen auf die Entwicklung der Sprache insgesamt ausüben; das gilt auch innerhalb der Fachsprachen selbst. Wir werden das am Beispiel konkurrierender Formen und Strukturen in der Terminologie veranschaulichen können. Den Hauptinhalt des vorliegenden Buches bilden Erörterungen, Materialbeispiele, systematisierende tabellarische und graphische Illustrationen sowie Interpretationsversuche zu den folgenden Themen: Rolle und Problematik der Fachsprachen. Die spezifischen Merkmale •der Fachsprachen auf den einzelnen sprachlichen Ebenen und Zwischenebenen (Laut bzw. Phonem, Buchstabe bzw. Graphem; Morph bzw. Morphem; Wort bzw. Lexem; Wortverbindung bzw. Syntagma; Satzgliedgruppe bzw. Phrase; Satz). Methoden zur Ermittlung der Spezifik der Fachsprachen. Den Abschluß bildet eine „Kleine Bibliographie fachsprachlicher Untersuchungen", die aus sieben Teilen besteht: I. Bibliographien, II. Sammelbände, I I I . Fachsprachen allgemein, IV. Terminologie, V. Fachsprachliche Übersetzung, VI. Fachsprachliche Ausbildung, VII. Häufigkeitsverzeichnisse und Minima der fachsprachlichen Lexik. Sie erhebt keinen Anspruch «,uf Vollständigkeit, sondern will in erster Linie den Zugang zu fachsprachlichen Problemen und zu weiterer einschlägiger Literatur eröffnen. Wenn der Verfasser dieses Buch schreiben konnte, dann nur, weil viele andere mit und neben ihm seit mehr als zwanzig Jahren unermüdlich der gemeinsamen Sache der fachsprachlichen Ausbildung und Forschung gedient haben. Ihnen allen, den vielen Lehrern im Hochschuldienst und Lektoren, den Assistenten und Oberassistenten, den technischen Mitarbeitern, den Dozenten und Professoren und nicht zuletzt den zuständigen Mitarbeitern im Ministerium für Hoch- und Fachschul-
Einleitung
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wesen der Deutschen Demokratischen Republik, soll an dieser Stelle Dank gesagt werden. Bedenkt man es recht, so ist es eigentlich noch zu früh, dieses Buch in Druck gehen zu lassen. Viele Fachdisziplinen und Sprachen müßten noch untersucht, weiteres Material gesammelt und verallgemeinert werden. So mancher Gedanke bedürfte noch der Zeit zum Ausreifen. Wenn wir uns dennoch entschlossen haben, diese Arbeit der Öffentlichkeit zu unterbreiten, so vor allem deshalb, weil wir glauben, daß alles Weitere nicht mehr die Sache von Einzeluntersuchungen sein kann, sondern zum Anliegen geplanter und koordinierter kollektiver Bemühungen werden sollte.
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Fachsprache
Teil I Rolle und Problematik der Fachsprachen
Wenn wir die Auffassung teilen, daß das Denken im Bewußtsein des Menschen ideelle Abbilder der objektiven Realität erzeugt 1 und gleichzeitig an die Sprache gebunden ist 2 , wenn wir weiter anerkennen, daß sich das Bewußtsein und mit ihm die Sprache in der ständigen Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt, also bei der Arbeit, entwickeln 3 , wenn wir schließlich berücksichtigen, daß die Sprache als „wichtigstes Mittel der menschlichen Verständigung" 4 gewonnene Erkenntnisse zum Allgemeingut der Menschen machen, sie schriftlich fixieren und weiter überliefern kann 5 , dann fällt es uns nicht schwer, den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Sprache und der Entwicklung des Denkens 6 , aber auch den mittelbaren Zusammenhang zwischen den Veränderungen in der Sprache und den Veränderungen in Gesellschaft und Natur zu erfassen. Uns interessiert hier vor allem der zweite Aspekt: die Rolle der Sprache als Kommunikationsmittel, das ganz bestimmten gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht werden muß. 1
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V. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, Berlin 1957, S. 30, 255, 267, 314. K. Marx, F. Engels, Die deutsche Ideologie. Marx/Engels, Werke, Bd. III, Berlin 1962, S. 30. F. Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen. Marx/Engels, Werke, Bd. X X , Berlin 1972, S. 447. V. I. Lenin, Über das Recht der Nation auf Selbstbestimmung. Werke, Bd. XX, S. 368-369. Marxistische Philosophie, Berlin 1967, S. 590. B. A. Serebrennikov, Razvitie ieloveßeskogo myslenija i struktury jazyka. Leninizm i teoretiöeskie problemy jazykoznanija, Moskva 1970; V. Z. Panfilov, Vzaimootnosenie jazyka i myslenija, Moskva 1971; P. Sotnikjan, Osnovnye problemy jazyka i myslenija, Erevan 1968; Jazyk i myslenie, Moskva 1967.
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
In diesem Zusammenhang sind in erster Linie drei Fragen zu beantworten : 1. Worüber kommunizieren die Menschen ? 2. Wie häufig und in welchem Ausmaß t u n sie das? 3. Welche Formen und Mittel wählen sie dazu? Das sind also die Fragen nach dem Inhalt, dem Umfang und den Methoden der sprachlichen Kommunikation. Wenn man dem eingangs geäußerten Gedanken weiter folgt, die Arbeit sei der erste Anlaß für die Menschen gewesen, „daß sie einander etwas zu sagen hatten" dann ist man versucht zu formulieren: Im Anfang war das Fachgespräch! Und noch eine zweite Versuchung liegt nahe, nämlich die, Goethes Meditation über Wort, Sinn, K r a f t und Tat im „Faust" und einen Satz von Engels miteinander in Verbindung zu bringen, obwohl der Ansatz bei beiden gewiß unterschiedlich ist: Goethe 2 : Geschrieben steht: „Im Anfang war das W o r t ! " Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort ? Ich kann das W o r t so hoch unmöglich schätzen, Ich muß es anders übersetzen, Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: I m Anfang war der S i n n . Bedenke wohl die erste Zeile, Daß deine Feder sich nicht übereile! Ist es der S i n n , der alles wirkt und schafft? Es sollte stehn: Im Anfang war die K r a f t ! Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! auf einmal seh' ich R a t Und schreibe getrost: Im Anfang war die T a t ! Engels 3 : Arbeit zuerst, nach und dann mit ihr die Sprache — das sind die beiden wesentlichen Antriebe, unter deren Einfluß das Gehirn eines Affen in das bei aller Ähnlichkeit weit größere und vollkommenere eines Menschen allmählich übergegangen ist. 1
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F. Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen. Marx/Engels Werke, Bd. XX, Berlin 1972, S. 446. Goethes Werke in zehn Teilen. Fünfter Teil. Faust. Herausgegeben von Carl Alt, Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart o. J., S. 38 f. F. Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen. Marx/Engels Werke, Bd. XX, Berlin 1972, S. 447.
Inhalt der sprachlichen Kommunikation
1. Der Inhalt der sprachlichen
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Kommunikation
Es gibt genügend Hypothesen über die Entstehung der Sprache. Wir haben nicht die Absicht, sie alle zu erörtern oder ihnen eine neue hinzuzufügen. Über den Anteil der Arbeit daran und über die „Notdurft des Verkehrs mit anderen Menschen"1 kann in diesem Zusammenhang kein Zweifel mehr bestehen. So kann man wohl annehmen, daß der ursprünglichste Inhalt der menschlichen Kommunikation in elementaren Äußerungen zu elementaren, lebensnotwendigen Verrichtungen bestanden hat, vor allem auch in Hinweisen zur Koordinierung der Anstrengungen bei schweren Arbeiten; zugleich wurden sicher auch gewisse erste Erfahrungen und Erkenntnisse weitergegeben. Die Anfänge einer darüber hinausgehenden — etwa künstlerischen — Verwendung der Sprache fallen vermutlich in eine spätere Zeit, in der bereits eine weitgehende Arbeitsteilung herrscht. Mehr über die Anfänge zu sagen hat wenig Sinn, da uns beweiskräftiges Material fehlt. Die ganze spätere Entwicklungsgeschichte der Menschheit ist jedoch geeignet, diese Vorstellung zu bestätigen. Ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse sowie den darauf basierenden übrigen gesellschaftlichen Verhältnissen und der Entwicklung der Sprache hat immer — wenn auch mittelbar, über das Bewußtsein — bestanden. Am deutlichsten wird das in der Lexik bei der Benennung neu entdeckter oder neu geschaffener Gegenstände der objektiven Realität und bei der Setzung sprachlicher Zeichen für neue Begriffe. Aber auch Strukturen verändern sich, viel langsamer allerdings und weniger auffällig. Gerade die Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, vor allem die Produktionsinstrumente und -prozesse, und auch die Erscheinungen des dazu gehörenden Überbaus, waren und sind Hauptinhalt der sprachlichen Kommunikation. Ihre ständige Höherentwicklung und Vervollkommnung beschleunigte und vertiefte die Arbeitsteilung und Spezialisierung innerhalb der Gesellschaft. In dieser Arbeitsteilung und Spezialisierung liegen auch die Ursachen für die Ausbildung der Fachsprachen. J e weiter die Spezialisierung fortschreitet, desto deutlicher heben sich die Fachsprachen von den anderen Subsprachen und voneinander ab. 1
K . Marx, F. Engels, Die deutsche Ideologie. Marx/Engels Werke, Bd. III, Berlin 1962, S. 30.
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
Diese Entwicklung läßt sich am leichtesten im Bereich der materiellen Produktion verfolgen. Sie beginnt mit der Herausbildung von Handwerken, Gewerken und Zünften, aber auch — was oft vergessen wird — schon früher bei Jagd, Ackerbau und Viehzucht, entwickelt sich weiter in der Manufaktur, erlebt einen deutlichen Aufschwung mit der Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden industriellen Revolution und steht heute im Zeichen der industriellen Großproduktion und eines stürmischen wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Träger der Fachsprachen dieses Bereichs sind lange Zeit die Produzenten selbst, die Bauern, die Handwerker und ihre Gesellen, die Arbeiter, Vorarbeiter, Meister usw. Später, bedingt durch die Verwissenschaftlichung der Technik, aber auch unterstützt durch die Bildungsprivilegien der Bourgeoisie im Kapitalismus, erfolgt eine Differenzierung, die den Ingenieur aus der Masse der Produktionsarbeiter heraushebt und ihn zum Hauptträger der wissenschaftlich-technischen Fachsprachen macht, die sich als besondere Schicht über die „Werkstättensprache" 1 lagern. Diese Differenzierung wird erst im Sozialismus bzw. Kommunismus mit der weitgehenden Beseitigung des Unterschiedes zwischen geistiger und körperlicher Arbeit wieder aufgehoben. Eine andere Quelle für die Entstehung von Fachsprachen war die ebenfalls durch die Arbeitsteilung ermöglichte Herausbildung der Wissenschaften. Hier verlief die Entwicklung gerade umgekehrt. Ursprünglich Privileg einiger weniger und argwöhnisch behütet von deren Herrschern, breiteten sie sieh im Laufe der Jahrhunderte aus. Die Ursachen dafür waren bei den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen verschieden. Standen sie der Produktion durch ihre Anwendungsmöglichkeiten nahe, z. B. die Chemie, die Physik u. a., dann erklärt sich ihre Verbreitung aus dem zunehmenden Bedarf der Industrie an hochqualifizierten Fachleuten. Bei der Medizin mag neben echten menschlichen Erwägungen vor allem die Sorge um die Erhaltung u n d Vermehrung der nötigen Zahl von Lohnarbeitern eine Rolle gespielt haben, die durch Seuchen, frühe Arbeitsunfähigkeit und niedrige Lebenserwartung beeinträchtigt wurden. In den Geisteswissenschaften schuf sich die herrschende Klasse eine Armee zuverlässiger, pensionsberechtigter Propagandisten und Apologeten der Staatsideologie, nachdem der Klerus für diese Aufgabe nicht mehr eingesetzt werden konnte. 1
L. Mackensen, Muttersprachliche Leistungen der Technik. Sprache — Schlüssel zur Welt, Düsseldorf 1959, S. 295.
Inhalt der sprachlichen Kommunikation
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Eine Besonderheit der wissenschaftlichen Fachsprachen war ihre lange, historisch begründete, dann aber auch künstlich erhaltene Bind u n g an das Lateinische. I n einigen Wissenschaftsdisziplinen, z. B. der Medizin, der Botanik und der Zoologie, wirkt das noch heute in der Terminologie nach, wenn auch nicht in allen europäischen Sprachen gleich stark. Insgesamt aber riß die Abschaffung des Lateinischen als Sprache der Wissenschaften einen Teil der bestehenden Bildungsschranken nieder, befreite das Denken aus den Fesseln von Antike und Mittelalter und machte auch den Weg für die Entwicklung nationaler Fachsprachen frei. So wie die Naturwissenschaften heute eine enge Verbindung mit den technischen Wissenschaften und der industriellen Produktion eingegangen sind, so stehen ihre Fachsprachen mit deren Fachsprachen in einer Reihe. Ihr letztes Entwicklungsstadium sind künstliche Sprachen für den Menschen und für die Maschine. Andere „Fachsprachen" wie Rotwelsch, Slang usw. entstanden auf •Grund einer fortschreitenden, von der jeweiligen Gesellschaftsordnung abhängigen, sozialen Differenzierung. Sie sollen hier nicht näher untersucht werden, sondern der Soziolinguistik überlassen bleiben. Fassen wir unsere bisherigen Andeutungen zum originären und auch später prävalierenden Inhalt der sprachlichen Kommunikation zusammen, so können wir sagen: Gesprochen — und später auch geschrieben — wird über den Faustkeil, das Steinbeil, den Spieß, das Gewand, den Wagen, das Haus, . . . , den Webstuhl, die Dampfmaschine, •den Elektromotor,. . . , den Kühlschrank, das Fernsehgerät, die Waschmaschine, das Auto, . . . , das Flugzeug, die Rakete, den Atomreaktor, •das Raumschiff, kurz: über Dinge, die für Leben und Fortschritt notwendig sind oder dafür gehalten werden, über ihre Herstellung und ihre Verwendung, über ihren Gebrauchswert und über ihren Tauschwert. Gesprochen und geschrieben wird aber auch über die Produktion, die diese Dinge und sogar das Leben wieder vernichtet oder erhält, je nachdem, welcher Gesellschaft sie dient: über das Schwert, die Armbrust, die Kanone, das Gewehr, den Panzer, die Bombe usw. usf., über ihre technische Vollkommenheit und ihren wirkungsvollen Einsatz. Auch hier — Fachsprachen. Aber sicher leidet unsere Betonung der Fachsprachen an einer gewissen Einseitigkeit. Es steht außer Zweifel, daß es im Leben des Individuums und der Gesellschaft neben den Bedürfnissen der materiellen Produktion und Konsumtion noch andere Faktoren gibt, die nach sprachlicher Äußerung drängen. Am Anfang sind das einfache, elemen-
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Bolle und Problematik der Fachsprachen
tare Empfindungen und Gefühle: Hunger und Sättigung, Schmerz und Lust, Unmut und Befriedigung, Haß und Liebe. Sie bleiben zwar auch in späteren Entwicklungsetappen erhalten, erfahren aber eine ständige Verfeinerung, Vervollkommnung und Ergänzung, unterliegen auch einem Wandel und einer Bereicherung in bezug auf die sie auslösenden Reize. Ohne sie wären Poesie, künstlerische Prosa und Dramatik schwerlich denkbar; sie sind es allerdings nicht allein, die zu dieser — nicht unbedingt fachbezogenen — Art von Sprachverwendung führen, obwohl sie — besonders die Poesie — zu einer gefährlichen Verselbständigung, d. h. subjektiven Isolierung von der Gesellschaft, und zur Lösung von deren Existenzbasis neigen können. Hinzu kommen Bestrebungen zur politischen, ethischen, musischen oder ästhetischen Erziehung des Zuhörers oder Lesers. Diese „allgemeinmenschlichen", besser: bei fast allen Menschen in stärkerem oder schwächerem Maße vorhandenen, Regungen und das Bedürfnis, sich in grundsätzlichen Fragen des Lebens an Leitbilder zu halten, aber natürlich auch der Wunsch, sich ablenken und unterhalten zu lassen, d. h. nicht immer nur an die Arbeit, also das Fachliche, zu denken und darüber zu sprechen, zu hören oder zu lesen, eröffnen der sprachlichen Betätigung ein weites und fruchtbares Feld, weisen ihr auch im Bereich der Künste einen festen, vielleicht den wichtigsten Platz zu. Jede für die Höherentwicklung der Gesellschaft wertvolle Literatur wird zwar — ebenso wie die Fachliteratur — einen Ausschnitt der objektiven Realität zum Gegenstand oder zumindest zum Bezugspunkt haben, ihn aber ganz anders, eben mit künstlerischen und damit auch mit anderen sprachlichen Mitteln, darstellen, nicht nur an den Verstand, sondern auch an die Gefühle appellieren. Es ist allerdings interessant, wie in Werken des sozialistischen Realismus, die immer öfter auch Ausschnitte aus der materiellen Produktion darstellen, die Fachsprachen in der wörtlichen Rede der handelnden Personen im Vordringen sind. Auch die erste sporadische und dann kontinuierliche Information über Vorkommnisse in der näheren oder weiteren Umgebung, im eigenen Lande und in fernen Erdteilen, ist teils Notwendigkeit, teils Bedürfnis. Hier liegt ein weiteres sprachliches Betätigungsfeld, auf dem vor allem Presse, Rundfunk und Fernsehen — die sogenannten Massenmedien — wirksam werden. Dem aufmerksamen Betrachter wird allerdings auch hier die ständige Ausbreitung fachsprachlicher Elemente nicht entgehen, die zur Darstellung bestimmter Probleme und Sachverhalte einfach unentbehrlich sind.
Umfang der sprachlichen Kommunikation
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Die weite Verbreitung von Literatur und Presse, die Tatsache, daß sie sich an alle Angehörigen einer Sprachgemeinschaft wenden, und auch der Umstand, daß sie — mit der erst jetzt langsam schwindenden Autorität von Papier und Druckerschwärze oder dem Pathos des künstlerischen Vortrags ausgestattet — einen ganz entscheidenden Einfluß auf die Gewohnheiten der Sprachträger ausüben, hat dazu geführt, daß die hier verwendete Sprache zum Muster mancher Nationalsprache erhoben, als Gemeinsprache angesehen und jeglicher Art von Normfestsetzung, stilistischer Wertung, Sprachpflege usw. bis hin zu den Zensuren in der Schule zu Grunde gelegt wurde. Die Fachsprachen dagegen, sofern überhaupt zur Kenntnis genommen, galten als Sonderformen der Sprachverwendung. Man bezeichnet sie zuweilen direkt als „Sondersprachen" 1 und betont damit, wenn nicht einen Gegensatz, so doch die Unterschiede zur sogenannten „Gemeinsprache". Ob oder inwieweit diese Auffassung zu Recht besteht, und damit das ganze Verhältnis Gemeinsprache — Fachsprachen, wird noch näher zu untersuchen sein, auch vom Inhalt der Kommunikationsakte her.
2. Der Umfang der sprachlichen
Kommunikation
Wenden wir uns jetzt einer kurzen und notgedrungen allgemeinen Betrachtung des Umfangs der Kommunikation zu. Auch wenn es keine Möglichkeit gibt, die im Kommunikationsprozeß pro Tag, pro Woche, pro Monat oder pro Jahr von einer Sprachgemeinschaft verwendete Menge Sprache exakt zu messen, obwohl die Sprache sieh grundsätzlich in diskrete Größen segmentieren läßt, die man zählen könnte, und wenn auch keinerlei experimentelle Untersuchungen dieser Art zu kleineren Kollektiven oder Gruppen einer Sprachgemeinschaft vorliegen, so läßt sich doch aus der bisherigen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft eine Tendenz ziemlich eindeutig ablesen: ein gewaltiges Anwachsen der sprachlichen Kommunikation. Den Hauptanteil daran hat die zur Lawine anschwellende einseitig gerichtete Information. Es gibt jedoch keinen Grund dafür, die einseitig gerichtete Information nicht als Kommunikationsereignis anzusehen, da daran — wie bei jedem anderen Kommunikationsakt auch — mindestens zwei Partner beteiligt sind, von 1
W. Seibicke, Fachsprache und Gemeinsprache. Muttersprache 1959, S. 70.
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Die weite Verbreitung von Literatur und Presse, die Tatsache, daß sie sich an alle Angehörigen einer Sprachgemeinschaft wenden, und auch der Umstand, daß sie — mit der erst jetzt langsam schwindenden Autorität von Papier und Druckerschwärze oder dem Pathos des künstlerischen Vortrags ausgestattet — einen ganz entscheidenden Einfluß auf die Gewohnheiten der Sprachträger ausüben, hat dazu geführt, daß die hier verwendete Sprache zum Muster mancher Nationalsprache erhoben, als Gemeinsprache angesehen und jeglicher Art von Normfestsetzung, stilistischer Wertung, Sprachpflege usw. bis hin zu den Zensuren in der Schule zu Grunde gelegt wurde. Die Fachsprachen dagegen, sofern überhaupt zur Kenntnis genommen, galten als Sonderformen der Sprachverwendung. Man bezeichnet sie zuweilen direkt als „Sondersprachen" 1 und betont damit, wenn nicht einen Gegensatz, so doch die Unterschiede zur sogenannten „Gemeinsprache". Ob oder inwieweit diese Auffassung zu Recht besteht, und damit das ganze Verhältnis Gemeinsprache — Fachsprachen, wird noch näher zu untersuchen sein, auch vom Inhalt der Kommunikationsakte her.
2. Der Umfang der sprachlichen
Kommunikation
Wenden wir uns jetzt einer kurzen und notgedrungen allgemeinen Betrachtung des Umfangs der Kommunikation zu. Auch wenn es keine Möglichkeit gibt, die im Kommunikationsprozeß pro Tag, pro Woche, pro Monat oder pro Jahr von einer Sprachgemeinschaft verwendete Menge Sprache exakt zu messen, obwohl die Sprache sieh grundsätzlich in diskrete Größen segmentieren läßt, die man zählen könnte, und wenn auch keinerlei experimentelle Untersuchungen dieser Art zu kleineren Kollektiven oder Gruppen einer Sprachgemeinschaft vorliegen, so läßt sich doch aus der bisherigen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft eine Tendenz ziemlich eindeutig ablesen: ein gewaltiges Anwachsen der sprachlichen Kommunikation. Den Hauptanteil daran hat die zur Lawine anschwellende einseitig gerichtete Information. Es gibt jedoch keinen Grund dafür, die einseitig gerichtete Information nicht als Kommunikationsereignis anzusehen, da daran — wie bei jedem anderen Kommunikationsakt auch — mindestens zwei Partner beteiligt sind, von 1
W. Seibicke, Fachsprache und Gemeinsprache. Muttersprache 1959, S. 70.
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
denen der eine dem anderen, auch wenn er anonym bleibt oder sogar nur potentieller Partner ist, etwas mitzuteilen hat (oder zumindest der Überzeugung ist, er habe etwas mitzuteilen!). Schon diese Beobachtung zeigt uns, daß das Wachstum des Kommunikationsumfangs eine differenzierende Betrachtung verlangt. Nur so gelangen wir auch zur Erkenntnis seiner Ursachen. Gewiß: Zwei junge Mädchen der urgesellschaftlichen Horde — um wieder zu Engels zurückzukehren — hatten sich vermutlich am Montag morgen weniger mitzuteilen als zwei Studentinnen unserer Tage nach dem Wochenende, und, um die Dinge wieder ernster zu sehen: Der Umfang der sprachlichen Kommunikation ist in einer weniger entwickelten sozialökonomischen Formation naturgemäß immer geringer als in den darauffolgenden höheren. Einige der Ursachen dafür sind: 1. der niedrige Stand der menschlichen Erkenntnis und der Produktionsverhältnisse; es gab •einfach weniger, worüber man sich austauschen konnte; 2. die UnVollkommenheit des Kommunikationsmittels Sprache selbst oder seine ungenügende Beherrschung durch einen großen Teil der Sprachträger; 3. die auf Grund räumlicher Entfernungen und fehlender schneller Verkehrsmittel wenig entwickelten Kontakte zwischen den Gruppen einer Sprachgemeinschaft; 4. das Fehlen technischer Kommunikationsträger bzw. Übertragungsanlagen. Vollzieht man den Sprung zur Gegenwart sofort, ohne die Entwicklung allein auf diesen vier Gebieten in allen ihren Etappen durch die Jahrhunderte hindurch zu verfolgen, so ist die Erklärung für das gewaltige Wachstum der Kommunikationsmöglichkeiten und des tatsächlichen Umfanges der heutigen sprachlichen Kommunikation leicht gegeben, und zwar allein durch das Vorhandensein und die ständige Nutzung bestimmter gesellschaftlicher Organisationsformen und technischer Einrichtungen. Nehmen wir nur die Summe all dessen, was in internationalen und nationalen Organisationen, in Volksvertretungen und Parlamenten, in Ministerien und an Universitäten, in Schulen, in Verwaltungen von Betrieben und kommunalen Einrichtungen, auf Versammlungen, Konferenzen, Beratungen und Besprechungen aller Art a n schriftlichen Ausarbeitungen vorgelegt und was dort geredet wird, nehmen wir den Bestand der Bibliotheken und Phonotheken an Büchern, Mikrofilmen, Tonbändern, Schallplatten u. a., nehmen wir die zahlund endlosen dienstlichen und privaten Telefongespräche oder den Informationsumschlag in einem Frisiersalon, nehmen wir den Inhalt der Lehrbücher, den allein jeder Zehnklassenschüler verarbeiten muß, und
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nehmen wir schließlich all das, was uns die Tagespresse, der Rundfunk und das Fernsehen bieten — und diese Aufzählung ist äußerst lückenhaft — unsere Vorfahren dürften sich mit Recht für wortkarg oder kommunikationsfeindlich halten. Ob der eben skizzierte Kommunikationszuwachs in jedem Fall notwendig und berechtigt ist, steht hier nicht zur Debatte. Insgesamt gesehen ist er eine Konsequenz der gesellschaftlichen Entwicklung und wie sie gesetzmäßig. Er ist auch kein rein quantitativer Zuwachs, sondern führt zu einer qualitativen Veränderung, zur Herausbildung höherer Formen der sprachlichen Kommunikation. Ein allgemeines Charakteristikum dieser neuen, höheren Qualität ist •die Einbeziehung immer breiterer Kreise der Bevölkerung, unter sozialistischen Bedingungen besonders der Werktätigen, in den Kommunikationsprozeß. Hier zeigt sich besonders deutlich die dialektische Einheit von Sprache und Denken bzw. Bewußtsein: Der Mensch gewinnt seine Erkenntnisse einerseits unmittelbar durch seine produktive Tätigkeit und durch seine Teilnahme am übrigen gesellschaftlichen Leben, mittelbar durch die Aneignung bereits sprachlich formulierter bzw. fixierter Erkenntnisse. Indem er im Kollektiv auch als Sprechender auftritt oder schriftliche Vorschläge unterbreitet, nimmt er aktiv an •der sprachlichen Kommunikation teil und erhält dadurch die Möglichkeit, seine Erkenntnisse weiterzuvermitteln und zugleich auf die Neugestaltung der Produktionsverhältnisse oder anderer gesellschaftlicher Bedingungen Einfluß zu nehmen. Die Erkenntnis von der praktischen Wirksamkeit seiner Worte fördert wiederum seinen Reifeprozeß als Persönlichkeit, sein Vertrauen in die Möglichkeiten der sprachlichen Kommunikation. Das ist eine ganz entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung der sozialistischen Demokratie. Wann nun beteiligt sich der Mensch — wenn man von unerfreulichen Ausnahmen absieht — am ehesten an einem ernsthaften Gedankenaustausch? Zweifellos, wenn er von der Sache etwas versteht, also in erster Linie auf seinem Fachgebiet. Er bedient sich dabei wiederum — zumindest im sachlich-erklärenden Teil - der jeweiligen Fachsprache. Das für die Problematik notwendige Wissen hat er sich nicht nur bei der •eigenen Arbeit angeeignet, sondern vor allem während seiner Ausbildung und durch das Studium von Fachliteratur, also wiederum in fachsprachlichem Gewand. Macht er sich mit einer neuen Maschine, einer neuen Technologie oder anderen Neuerungen in der Produktion, in Wissenschaft und Technik vertraut — und das geschieht im Zusammenhang mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt immer
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
häufiger — dann ebenfalls durch mündliche oder schriftliche Erläuterungen in einer Fachsprache. Gelten die eben getroffenen Feststellungen schon für den Facharbeiter, den Meister, den Techniker, den Konstrukteur, den Ingenieur und alle anderen am Produktionsprozeß unmittelbar und mittelbar Beteiligten, so erst recht für den Wissenschaftler, bei dem vor, neben und nach dem Experiment oder einer anderen praktisch-wissenschaftlichen Tätigkeit die Information über den Forschungsstand und die Mitteilung der eigenen Forschungsergebnisse eine hervorragende Rolle spielen. Besonders die Information über den Forschungsstand nimmt, angesichts des enormen Entwicklungstempos der meisten Wissenschaften in weiten Teilen der Welt, einen immer breiteren Raum in der Arbeit des Wissenschaftlers ein. Es gibt Berechnungen darüber, wieviel Zeit z. B . ein Chemiker oder Physiker benötigte, um alle in der Welt für sein Fachgebiet erscheinenden Zeitschriften zu lesen, oder wie lange man studieren müßte, um sich alle bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt akkumulierten Erkenntnisse auf einem bestimmten Wissensgebiet anzueignen. Der Wissenschaftler hätte mit dieser Tätigkeit allein das Rentenalter erreicht, ohne dem Vorhandenen eine eigene Leistung hinzugefügt zu haben. Die Stellung des Wissenschaftlers im Kommunikationsprozeß wäre jedoch zu einseitig beurteilt, sähe man nur das Maß an Information, das er aufzunehmen und selbst zu verarbeiten hat. Eine seiner entscheidenden Aufgaben, die er mit dem Lehrer gemeinsam hat, ist die Weitervermittlung von Erkenntnissen sowohl an seine eigene als auch an die jüngere Generation. Er hält Vorträge auf Tagungen und Konferenzen, er schreibt Bücher und Aufsätze, er hält Vorlesungen und Seminare, er gibt Hinweise im Labor oder bei der Behandlung von Kranken — all das wiederum in seiner Fachsprache. In vielen Situationen wird dem Fachmann schon gar nicht mehr bewußt, daß er sich einer besonderen Art von Sprache bedient. Anderseits wird er von vielen gerade daran als Vertreter eines bestimmten Berufes erkannt, selbst wenn er sich außerhalb seines beruflichen Metiers bewegt. Am ehesten noch bei der Wahl schriftlicher Formulierungen legt er sich Rechenschaft über seinen Sprachgebrauch ab, muß er doch berücksichtigen, ob er nur von einem kleinen Kreis eingeweihter Spezialisten oder von fachlich weniger bzw. gar nicht vorgebildeten Lesern oder Hörern verstanden werden will. Aber auch hier wird die Fachsprache oft mehr unbewußt als bewußt gehandhabt; es dominieren
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sprachlicher Usus, Konvention, Tradition, Gewohnheit oder wie immer man diesen Zug zum überindividuellen, gruppengebundenen Sprachgebrauch nennen will. Wir haben wiederum bewußt das Wachstum der fachsprachlichen Kommunikation an den Anfang gestellt. Dabei übersehen wir nicht, d a ß auch die anderen Bereiche der Sprachausübung, besonders die künstlerische Prosa, aber auch die Dramatik und Poesie und nicht zuletzt die zahlreichen Genres von Presse, Rundfunk und Fernsehen einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, daß die sprachliche Kommunikation in der menschlichen Gesellschaft nicht nur eine inhaltliche Bereicherung, sondern auch eine beträchtliche Ausdehnung ihres Umfangs erfahren hat. Dabei sind besonders die wachsenden kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen in den sozialistischen Ländern hervorzuheben, die sich erst nach der Befreiung vom Joch der kapitalistischen Ausbeutung und von der sozialen Deklassierung, angeregt durch eine neue Kultur- und Bildungspolitik, voll entfalten können. Das Interesse a m sprachlichen Kunstwerk, an der Information über politische, ökonomische, kulturelle oder sportliche Ereignisse und auch am Disput •darüber wird unter den gesellschaftlichen Bedingungen des Sozialismus immer stärker, wesentlich stärker als im Kapitalismus und in den vorangegangenen sozialökonomischen Formationen. Auch der Zuwachs an Kommunikation in gesellschaftspolitischen Körperschaften ist nicht zu übersehen. Allerdings tritt auch hier mit der Höherentwicklung und Umfunktionierung der Staatsorgane und der kommunalen Institutionen zu echten Interessenvertretungen des werktätigen Volkes eine Verlagerung von allgemeinen politischen und anderen Redereien zur konkreten Behandlung wichtiger Fragen ein. Konkretheit bedeutet aber auch hier Fachkundigkeit. Da geht es um die Städteplanung und das Bauwesen, um Verkehrs- und Transportprobleme, um die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern, um ihre gesundheitliche und soziale Betreuung, um juristische Fragen und vieles andere mehr. I n den Volksvertretungen sitzen und sprechen dazu Fachleute; sie äußern sich in ihrer Fachsprache, mit gewissen erläuternden Zusätzen für die Laien, aber im wesentlichen in ihrer Fachsprache. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in den hochorganisierten Gemeinwesen sind komplizierter geworden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Differenzierung und Spezialisierung — auch für die Sprache. Dann gibt es da noch ein interessantes Phänomen: Der Mensch be-
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teiligt sich selbstverständlich nicht nur an Gesprächen über sein eigenes Fachgebiet, über Literatur, über Fragen der Kommunalpolitik, über Pressemeldungen und ähnliches mehr. E r redet auch über andere Fachgebiete mit, ohne selbst dort tätig zu sein, ja manchmal ohne sich der Tatsache bewußt zu werden, daß es sich um ein Spezialgebiet im echten Sinne des Wortes handelt. Er bedient sich dabei — zuweilen mit sichtlichem Vergnügen und mit weniger Hemmungen als der Vertreter des anderen Faches selbst — zahlreicher Elemente und Konstruktionen der anderen Fachsprache. Wir decken hier diskret den Mantel des Schweigens über die Gespräche, die in Wartezimmern medizinischer Einrichtungen oder auch draußen von Patienten geführt werden, für die ihre Krankheiten Hauptgesprächsstoff sind. Hier besteht ja auch bei den Gesprächspartnern kein Zweifel darüber, daß die Medizin eine Fachdisziplin ist. Nennen wir lieber zwei andere Gebiete. Eines davon hat sich tatsächlich in den letzten Jahrzehnten zur Wissenschaft entwickelt — der Sport. Das andere hat, trotz industrieller Großkonfektion und Instituten, mehr handwerklichen Charakter bewahrt — die Bekleidung bzw. die Mode. Diese beiden Themen nehmen in der menschlichen Kommunikation — ob in den öffentlichen Verkehrsmitteln, in der Arbeitspause, am Biertisch oder beim Kaffeeklatsch — einen sehr breiten Raum ein. Der herrschenden Klasse im Kapitalismus, der Großbourgeoisie, kann das nur recht sein; denn sie lenken die Aufmerksamkeit von den brennenden Fragen der Politik ab und beleben zudem das Geschäft. Der sozialistische Staat macht hier ein paar Unterschiede: Ihm erscheint das Gespräch über den Sport förderlich, wenn es zu eigener sportlicher Betätigung der Bürger anspornt und damit der Gesunderhaltung und allseitigen Entwicklung des Menschen dient, aber auch wenn es auf Grund großer Erfolge der eigenen Sportbewegung bei internationalen Wettkämpfen zur Stärkung des Staatsbewußtseins beiträgt. Geschäftemacherei und Aufpeitschung niedriger Instinkte sind dem sozialistischen Sport fremd. Mit der Bekleidungsmode ist es etwas schwierig. Der Meinungsaustausch darüber wirkt einerseits geschmackfördernd. Er hilft auch, berechtigte Wünsche der Bevölkerung zu erfüllen; anderseits deckt er immer wieder Lücken im Angebot auf oder täuscht noch viel öfter solche vor, indem er den Einflüsterungen geschäftstüchtiger Modehäuser und Bekleidungsfirmen in den kapitalistischen Ländern nachgibt. Diese gesellschaftlichen Aspekte, denen die Pragmatik oder Sprachwirkungs-
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forschung weiter auf den Grund gehen sollte l , müssen hier zumindest erwähnt werden, bevor wir zur fachsprachlichen Seite kommen. Ist nun das, was im Gespräch über Sport und Mode vom Nichtfachmann verwendet wird, Fachsprache oder nicht ? Können wir diese Art Sprachgebrauch mit gutem Gewissen in unsere Erwägungen über den Umfang der fachsprachlichen Kommunikation mit einbeziehen? Wir neigen dazu, diese Frage mit einem „Nein" zu beantworten. Wenn wir auch erst später definieren werden, was wir unter Fachsprache verstehen, so können wir doch schon jetzt sagen: Echte Fachsprache ist immer an den Fachmann gebunden, weil sie volle Klarheit über Begriffe und Aussagen verlangt. Vom Nichtfachmann gebraucht, verliert die Fachsprache ihre unmittelbare Bindung an das fachliche Denken; Begriffe und Aussagen büßen einen wesentlichen Teil ihres Inhalts und ihrer Präzision, vor allem aber ihre Beziehung zur fachlichen Systematik ein, die der Laie nicht überschaut. Die Kommunikation erfaßt die Erscheinungen, Prozesse und Sachverhalte nur oberflächlich, nicht in ihrem Wesen; sie schöpft den erreichten Stand der Erkenntnis, nicht aus. Natürlich gilt das für die einzelnen Fachgebiete und Fachsprachen in unterschiedlichem Maße, und auch zwischen den theoretischen und den angewandten Disziplinen bestehen in dieser Hinsicht große Unterschiede. Wir haben das Beispiel des Sports gewählt, weil hier sehr viele meinen mitreden zu können und weil sich daran besonders anschaulich zeigen läßt, was Kommunikation über Oberflächenerscheinungen und was Kommunikation über das Wesen der Dinge, also echte fachliche Kommunikation, ist. Erfaßt und „zur Sprache gebracht" werden vom Nichtfachmann vor allem Resultate („Lok spielt gegen Chemie 3 : 1; X schafft die Traumweite von . . . Metern". Man beachte den Gebrauch des Präsens f ü r Handlungen, die in der Vergangenheit liegen!) und Abläufe, die dann auch zu Wertungen Anlaß geben („Es war ein interessantes, hartes,, faires . . . Spiel; X war — wieder mal — gut, in großer Form, Klasse, obermies usw."). Bei Spielen sind auch die Regeln im wesentlichen bekannt. Bei der Anwendung und Auslegung gehen die Meinungen allerdings oft weit auseinander. Andere Bewertungsmaßstäbe, sofern sie nicht auf quantitativ eindeutig meßbare Leistungen (Zeit, Distanz, usw.) bezogen sind, bleiben für den Laien oft undurchsichtig. i Siehe z. B. V. Packard, The Hidden Perauaders, 8. Aufl., New York 1959.
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
Noch schwieriger wird es, wenn der Fußballanhänger sagen soll, warum ein Spiel gut oder schlecht war, wenn man den Zuschauer fragt, weshalb X „obermies" war usw. Hier betreten wir ein Gebiet, auf dem man nur weiterkommt, wenn man Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten durchschaut, und das t u t eben am ehesten der Fachmann. Wieviele Überlegungen und Berechnungen, wieviel Medizin, Physik, Ernährungswissenschaft, Mathematik, wieviel Bewußtsein gehört heute dazu, um sportliche Höchstleistungen zu erzielen? Wie wird ein Training aufgebaut, um den Sportler zu diesen Höchstleistungen zu führen? Wie wird überhaupt der Sportler als ganzer Mensch erzogen und ausgebildet, um schließlich auf dem Siegerpodest zu stehen? Diese und viele andere Fragen werden von wissenschaftlichen Forschungs- und Ausbildungsstätten bearbeitet. Die Ergebnisse kommen in der Praxis für alle beobachtbar zum Ausdruck, aber die Gesetzmäßigkeiten, selbst •das Verhältnis von Ursache und Wirkung, bleiben den meisten unbekannt. Ähnlich, wenn auch weniger kompliziert, ist es bei der Bekleidungsmode. Gesprächsgegenstand beim Käufer ist vor allem die Wirkung auf das Auge. Danach werden Hüte, Kleider, Mäntel, Schuhe usw. mit •den außerordentlich relativen Prädikaten „modisch, schick, sportlich, unmodern, unvorteilhaft" usw. bedacht, wobei natürlich Zuschnitt, Farbe und Dessins eine wesentliche Rolle spielen. Es geht ja auch nicht um eine wissenschaftliche Klassifizierung. Ein Gedanke, der der Beurteilung und Auswahl von Kleidungsstücken zu Grunde liegt, nämlich die Wirkung auf andere, besonders auf das andere Geschlecht, kann hier unberücksichtigt bleiben, weil er selten sprachlichen Ausdruck findet, es sei denn im Slang naiver Jugendlicher („Er steht auf Mini" u. ä.). Sicher spielt auch die Qualität des Materials, aus dem das Bekleidungsstück gefertigt ist, eine Rolle bei seiner Beurteilung. Sie wird allerdings in immer stärkerem Maße durch künstlich geschaffene, assoziationsauslösende Benennungen ausgewiesen. So stehen „Dederon, Nylon, Nyltest, Präsent 20, Grisuten" u. a. für „pflegeleicht, knitterarm, strapazierfähig" usw. Was sich allerdings hinter alledem an industriellen und handwerklichen, also an Fragen der Produktion verbirgt, das ist fast nur bei Strickwaren u. ä. in breiteren Kreisen bekannt. Wer von den Konsumenten weiß über die Herstellung synthetischer Stoffe mehr, als er im Chemieunterricht gelernt hat? Wer kennt die Verarbeitungsprobleme, die sich beim Übergang von Natur- zu Kunststoffen ergeben ? Wer durchschaut den Entstehungsgang eines Anzuges, eines Kostüms
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oder eines Kleides vom ersten Entwurf der Modezeichnerin über die Modenschau und Submission bis hin zur individuellen oder serienmäßigen Fertigung, ganz zu schweigen von der Kalkulation, der Bedarfsforschung und dem Absatz durch den Handel ? Wer von den Käufern interessiert sich überhaupt für diese Fragen? Der Fachmann muß es tun, und er bedarf dazu seiner Fachsprache. Ähnlich steht es um fast alle Bereiche der Konsumgüterherstellung. Was wir eben am Bekleidungsstück gezeigt haben, das könnten wir ebensogut am Auto, am Kühlschrank, am Fernsehgerät, am Staubsauger, an der Waschmaschine, am Radiogerät, am elektrischen Rasierapparat, aber auch bis zu einem gewissen Grade an der Wurst, am Käse, an der Schokolade, an der Fischkonserve, am Bier, Branntwein oder Wein demonstrieren. Der Konsument kommt mit all diesen Dingen als Ge- oder Verbrauchsgegenständen in Berührung, sie spielen in seinem Leben eine Rolle, also muß er auch über sie sprechen, sei es, um sie zu kaufen, sei es, um sie reparieren zu lassen, sei es, um sich mit anderen über sie und ihre Qualitäten zu unterhalten, sei es auch, um sein Interesse dafür erkennen zu lassen. Die Sprache, die in solchen Situationen verwendet wird, ist vereinzelt als „Verkäufersprache"1 bezeichnet worden. Je nach dem Standpunkt hätte man auch „Käufersprache" sagen können. Beide Lösungen sind nicht glücklich. Wir kehren später, im Zusammenhang mit der vertikalen Stratifikation der Fachsprachen, zu dieser Frage zurück. Nicht nur der Fachmann, sondern auch der Laie sprechen also über und von Foul, Doppellutz, Leberhaken, Schulterwurf, Cross, Hoffnungslauf, k. o., Sprunghöhe, Freistil, Muskelriß, Meniskusverletzung, schmettern, blocken, dribbeln, sprinten; Passennaht, Kellerfalten, Blenden, Hänger, Jumperkleid, Zackenlitze, Reverskragen, Malimo; Zündspule, Thermostat, Raster, Röhre, Scherblattrahmen; Salami, Roquefort, Edelbitter, Gold-Mix, Steinhäger oder Riesling. Beide meinen dieselbe Sache oder denselben Vorgang, beide benützen dafür dieselben Benennungen (Wörter), und doch erfassen, denken, begreifen sie sie unterschiedlich, d. h., die Abbilder in ihrem Bewußtsein sind nicht identisch. Daraus läßt sich auch die Schlußfolgerung ziehen, daß der Laie zwar Elemente der Fachsprache, aber nicht die Fachsprache gebraucht. An diese Feststellung werden wir uns zu erinnern haben, 1
H. Ischreyt, Studien zum Verhältnis von Sprache und Technik, Düsseldorf 1965, S. 39.
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wenn von den Wechselbeziehungen zwischen den Fachsprachen und den anderen Subsprachen die Rede sein wird. Noch deutlicher wird uns der Unterschie'd zwischen fachlicher und nichtfachlicher Verwendung bestimmter Elemente der Fachsprachen, wenn wir uns klarmachen, daß bisher nur von einzelnen Wörtern die Rede war, die für einzelne Dinge oder Begriffe (Denotate) stehen. Sobald diese Einzelelemente in den für die Kommunikation notwendigen Zusammenhang in Satz und Aussage gebracht werden, springt der Unterschied direkt ins Auge: Fachsprachliche Sätze enthalten Aussagen über wesentliche Eigenschaften bestimmter Gegenstände des Faches, meist über ihre Beschaffenheit und ihr Funktionieren, bei künstlich erzeugten Produkten über ihre Herstellung, Verwendung und Unterhaltung; fachsprachliche Aussagen besitzen einen hohen Grad von Objektivität und Allgemeingültigkeit und berücksichtigen (gesetzmäßige) Zusammenhänge. Nichtfachsprachliche Sätze als materielle Form der Aussage nehmen, sofern von Gegenständen eines bestimmten Fachgebietes die Rede ist, vor allem Stellung zu deren äußerer Beschaffenheit oder Wirkung; sie betrachten diese unabhängig von der fachlichen Systematik in einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich dem der individuellen Nutzung; die nichtfachsprachliche Aussage ist deshalb oft stark subjektiv gefärbt und nur selten allgemeingültig. Wir bleiben also dabei, daß es sich im letzten Fall nicht um Fachsprache handelt. Für unsere ursprüngliche Fragestellung nach dem Umfang der Kommunikation ist das aber nur von geringer Bedeutung. Fest steht, daß der wissenschaftliche, technische und allgemeine kulturelle Fortschritt gerade in Gestalt des nichtfachlichen Gesprächs über Gegenstände der verschiedensten Fachgebiete zu einem großen Zuwachs im Hinblick auf den Umfang der sprachlichen Kommunikation führt. Noch eine Bemerkung zu diesem Punkt: Es wäre irrig anzunehmen, daß der enge Zusammenhang zwischen Arbeit und Sprache, zwischen Entwicklung der Produktionsverhältnisse einerseits und Entwicklung der sprachlichen Kommunikation anderseits seinen Ausdruck in einem zeitlichen Parallelismus oder einer Art Simultanität fände. Das ist aus verschiedenen Gründen gar nicht möglich. Schwere körperliche und auch angestrengte geistige Arbeit, sofern damit nicht bereits die sprachliche Formulierung neuer Erkenntnisse gemeint ist, verbieten meistens jegliche explizite sprachliche Betätigung. Bei der Arbeit in der materiellen Produktion, auch wenn sie von einem Kollektiv ausgeführt wird, verhindern möglicherweise Lärm oder Arbeitsrhythmus bzw. -tempo eine
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Unterhaltung. Geistige Arbeit wird in den entscheidenden Phasen meist durch individuelle Denktätigkeit bei äußerster innerer Konzentration geleistet, so daß auch hier kein Raum für sprachliche Aktivitäten ist. Allerdings kennt die geistige Arbeit auch andere, kollektive Formen, bei denen eine Gruppe von Menschen im Gespräch neue Erkenntnisse gewinnt. Im allgemeinen erfolgt die sprachliche Fixierung der Erfahrungen und Ergebnisse jedoch bei den meisten Formen der Arbeit im nachhinein. Das neue sprachliche Zeichen entsteht selten gleichzeitig mit dem Abbild oder dem Begriff im Bewußtsein. Untersuchungen zur Terminologie haben das nachdrücklich bestätigt. J e komplizierter die zu benennende Erscheinung, desto länger dauert der Entstehungs- und Einbürgerungsprozeß des sprachlichen Zeichens. Bisher haben wir der Einfachheit halber so getan, als vollzöge sich die sprachliche Kommunikation und ihre ständige Erweiterung nur im Rahmen der einzelnen Sprachen, als einsprachige Kommunikation also. Sofern sie sich zu National- oder Staatssprachen entwickelt haben, wären ihr damit auch ethnische und geographische Grenzen gezogen. Das trifft natürlich nicht oder nur bedingt zu. Sicher waren der Verkehr und damit die sprachlichen Kontakte zwischen den Völkern in den Frühzeiten der Menschheit spärlich, vor allem bei großer räumlicher Trennung. Aber auch die Geschichte der internationalen Beziehungen ist gekennzeichnet durch ein ständiges Wachstum der sprachlichen Kommunikation. Handel, Politik, friedliche Migration und Kriegszüge mögen am Anfang gestanden haben. Daraus ergibt sich für die Sprachwissenschaft eine vielschichtige Problematik — die Untersuchung der sogenannten sprachlichen Kontakte 1 , die hier übergangen werden muß, weil uns z. B. nicht die Wechselwirkungen zwischen den Sprachen der Eroberer und der Unterworfenen, der Ureinwohner und der Zugewanderten oder ähnliche sprachhistorische Phänomene interessieren. Wir nehmen auch nur beiläufig zur Kenntnis, daß oft eine ganz bestimmte Sprache als Mittler zwischen den Völkern diente, etwa das Lateinische, das Französische, das Englische, und daß 1
3*
J u . D. Deseriev, Zakonomernosti razvitija i vzaimodejstvija jazykov v sovetskom obscestve, Moskva 1966; C. A. Ferguson, Diglossia. Word 2/1959; A. D. Svejcer, Nekotorye aktual'nye problemy sociolingvistiki. Inostrannye Jazyki v Skole 3/1969; U. Weinreich, Languages in Contact, New York 1953; V. J u . Rozencvejg, Teorija perevoda i teorija jazykovych kontaktov, Moskva 1961; V. J u . Rozencvejg, „Vlijanie" ili „mechanizm kontaktov"? Problemy jazykoznanija, Moskva 1967.
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sich mit ihrer Hilfe in erster Linie die herrschenden Klassen verständigten. F ü r uns steht die mehrsprachige Kommunikation bei der Lösung fachlicher Aufgaben im Vordergrund der Betrachtung und damit auch die Notwendigkeit für den Fachmann, sich fremde Sprachen anzueignen, um sich über sein spezielles Anliegen verständigen zu können. Beginnen wir wieder mit der materiellen Produktion, so können wir f ü r das Handwerk feststellen, daß es bei den internationalen Kontakten sprachlich eine weit geringere Rolle gespielt hat als etwa bei der Entstehung nationaler Fachsprachen. Die erste, mehr indirekte Berührung erfolgte über Schenkung, Tausch und Handel. Dabei ging es weniger um Fragen der handwerklichen Fertigung, sondern in erster Linie um den Wert des Produkts, in dem auch die künstlerische oder handwerkliche Meisterschaft vergegenständlicht war, vielleicht auch um seinen exotischen Reiz. Ein direkter, auch sprachlicher Kontakt ergab sich später dadurch, daß bestimmte Herrscher sich Handwerker aus fremden Ländern in ihre Werkstätten holten, um sie an Ort und Stelle für sich arbeiten und einheimische Handwerker anlernen zu lassen. Ähnliches geschah mit Künstlern, vor allem Architekten, Baumeistern und Malern. Das Gegenstück, daß ein Herrscher auszog, um in einem anderen Land ein Handwerk zu erlernen, ist wohl nur von Peter I. bekannt. Auf einer späteren Stufe wanderten dann Handwerker, besonders Handwerksburschen, in ihrer Lehrzeit von Land zu Land und von Meister zu Meister, um ihren Blick zu weiten und ihre Fertigkeiten zu vervollkommnen. Bei alledem spielte die sprachliche Verständigung nur eine untergeordnete Rolle, galt es doch vor allem zu schauen und nachzuvollziehen. So ist uns aus jener Zeit und aus dieser beruflichen Tätigkeit fast nur eine Art sprachlicher Zeugnisse überliefert: die sogenannten Lehnwörter Die Fälle, in denen die Wanderlustigen im anderen Lande seßhaft wurden, haben mit unserer Fragestellung nichts zu tun. Einen internationalen Austausch gab es schon sehr früh, eigentlich seit der Gründung der ersten Universitäten, auf wissenschaftlichem Gebiet. Daß Studenten damals in dem Land, an der Universität und bei dem Professor wenigstens ein paar Semester studierten, wo ihre Wissenschaft in höchster Blüte stand, war ein weitverbreiteter Brauch. Der Universitätswechsel sowohl innerhalb des eigenen Landes 1
S. Kohls, Deutsche Lehnwörter im Russischen, Leipzig 1962 (Diss.).
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als auch von Land zu Land entsprang zuweilen auch dem Wunsch, verschiedene Lehrmeinungen kennenzulernen, manchmal auch der reinen Wanderlust. Auch die Berufung von Gelehrten ins Ausland ist eine relativ frühe Erscheinung. Sprachliche Probleme gab es in beiden Fällen nicht, solange das Latein die Sprache der Wissenschaft an den europäischen Universitäten — in Bologna, Prag oder Leipzig — war. Es kann allerdings kein Zweifel darüber bestehen, daß viele der Gelehrten und Studenten sich auch die Landessprache bis zu einem gewissen Grade aneigneten, allerdings wohl kaum für fachliche Zwecke. Mit der Anerkennung der Nationalsprachen als Kommunikationsmittel der Wissenschaft waren die Studenten gezwungen, sich neben dem Lateinischen, das wegen der darin abgefaßten Literatur noch lange unentbehrlich blieb, auch moderne Fremdsprachen anzueignen, wollten sie in einem anderen Land studieren oder fremdsprachige Publikationen lesen. Dasselbe galt für die Gelehrten mit dem Zusatz, daß sie sich auf Vorträge und Veröffentlichungen in der fremden Sprache einrichten mußten. Zum Teil trugen bereits Gymnasien und andere höhere Bildungseinrichtungen dieser Entwicklung durch die Erweiterung des neusprachlichen Unterrichts Rechnung. Dabei konzentrierten sich die Anstrengungen auf das Französische, Englische und Deutsche. Allerdings brachten aufkommender Nationalismus und Rivalitäten — auch Kriege — zwischen den europäischen Großmächten eine rückläufige Tendenz in die internationalen akademischen Beziehungen. Es gingen vor allem Angehörige der Nationen zum Studium ins Ausland, die im eigenen Land keine Gelegenheit dazu hatten. I n der Epoche des Kapitalismus lassen sich, was die internationalen Kontakte betrifft, zwei Hauptetappen erkennen, die sich auch auf die sprachliche Kommunikation auswirken. I n der ersten dominierten die Beziehungen zur Beschaffung von Rohstoffen und Fertigprodukten, die im eigenen Lande gar nicht oder nicht in genügendem Maße vorhanden waren, und umgekehrt zum Absatz eigener Rohstoffe und Erzeugnisse, vor allem der Industrieproduktion. Der Aufenthalt an ausländischen Produktionsstätten und Bildungseinrichtungen — die allgemeinbildenden ausgenommen — diente dazu, Einblick in die modernsten Produktionsverfahren zu gewinnen und sich die neuesten Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung anzueignen, um die eigene Konkurrenzfähigkeit aufrechtzuerhalten bzw. zu steigern und dadurch möglichst hohen Profit zu erzielen. Daß daneben im Ausland auch andere Studienfächer belegt wurden, ist zum Teil eine Folge der Kultur-
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und Bildungspolitik der kapitalistischen Staaten, zum Teil individuelle, interessenbestimmte Entscheidung einzelner Angehöriger der herrschenden Klasse, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügten. I n dieser ersten Etappe liegen auch die Anfänge größerer internationaler wissenschaftlicher Konferenzen und Kongresse. Zeitlich befristete Berufungen von Gelehrten ins Ausland werden häufiger und wegen der oft verlockenden finanziellen Angebote gern angenommen. So mancher Wissenschaftler und Ingenieur geht ganz aus der Heimat weg, weil ihm dort die entsprechenden Arbeitsbedingungen bzw. Entwicklungsmöglichkeiten fehlen oder ihn die besseren Verdienstmöglichkeiten und Lebensbedingungen im anderen Lande anziehen. Ein anderer Kreis von Wissenschaftlern, der uns besonders am Herzen liegt, mußte wegen politischer Überzeugungen und Aktivitäten, die gegen die herrschende Gesellschaftsordnung gerichtet waren, emigrieren oder wurde des Landes verwiesen. Männer wie Marx, Engels und Lenin setzten ihre wissenschaftliche Arbeit dort zum Wohle der Menschheit und unter Verzicht auf persönlichen Gewinn unter den schwierigsten Bedingungen fort. I n all diesen Fällen war die gründliche Aneignung der sogenannten Weltsprachen, an deren Spitze nun das Englische gerückt war — das Französische und das Deutsche folgten je nach Fachrichtung erst auf dem zweiten Platz — eine wichtige Voraussetzung nicht nur für das Leben im Ausland, sondern vor allem für den Erfolg der fachlichen Bemühungen. Darüber hinaus war das rasche Wachstum der Publikationstätigkeit ein zwingender Grund zur regelmäßigen Lektüre fremdsprachiger Bücher, Fachzeitschriften, Prospekte usw. Mögen auch einige Formen internationaler sprachlicher Kontakte, wie z. B. die Handelskorrespondenz, der Briefwechsel zwischen Wissenschaftlern und Ingenieuren u. a., unerwähnt geblieben und nicht alle ihre Ursachen und Triebkräfte aufgedeckt worden sein; zum Ausdruck kommen sollte, daß die Entwicklung des Kapitalismus in dieser ersten Etappe zu einem beträchtlichen Aufschwung und zur Erweiterung der internationalen sprachlichen, besonders auch der fachsprachlichen Kommunikation führte. Träger und zugleich Nutznießer dieser Entwicklung sind in erster Linie die Besitzenden, die herrschende Klasse der Bourgeoisie, die in einigen Ländern immer noch zahlreichen Großgrundbesitzer und zum Teil auch der „aufstrebende" Mittelstand, dessen Söhne oft die treuesten Diener der kapitalistischen Wirtschaft und des kapitalistischen Staates waren und sind.
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Die zweite Etappe, die Etappe des Imperialismus und des staatsmonopolistischen Kapitalismus, bringt zunächst durch Kriege und andere Gegensätze zwischen den imperialistischen Staaten, bei denen auch nationalistische Motive die Haltung zum Erlernen von Fremdsprachen negativ beeinflussen, f ü r die aktive internationale Kommunikation eine gewisse Stagnation mit sich. Um so intensiver wird die Auswertung fremdsprachiger Fachliteratur betrieben, wobei der „militärisch-industrielle Komplex" stärker ins Blickfeld rückt, der fast alle wichtigen Industriezweige umfaßt. Zwischen den beiden Weltkriegen hat Deutschland eine Sonderstellung in der internationalen Kommunikation eingenommen. Eigentlich hat sich in dieser Hinsicht nur in der Weimarer Republik eine gewisse Entspannung und eine Wiederbelebung der aktiven Kontakte ergeben. I n der Zeit des Faschismus blieben die Beziehungen — besonders zu den Siegermächten, den Weltmächten USA, England und Frankreich, und natürlich auch zur Sowjetunion — kühl und auf einen kleinen Personenkreis beschränkt. Da ein wesentlicher Teil der Produktion in den Dienst der Kriegsvorbereitung gestellt wurde, kam es zu keiner wesentlichen Belebung der internationalen Beziehungen in Wissenschaft und Technik. So dominierte jahrzehntelang die einseitig gerichtete sprachliche Kommunikation, die Auswertung der fremdsprachigen Fachliteratur. Und auch diese erfuhr noch eine starke Beschränkung dadurch, daß viele große Wissenschaftler Juden waren. Ihre Arbeiten durften von der breiten Öffentlichkeit gar nicht, von Spezialisten nur mit besonderer Genehmigung gelesen werden. So manövrierte der Faschismus Deutschland weitgehend aus der internationalen Kommunikation heraus in die Isolierung, während die Entwicklung in den anderen großen kapitalistischen Ländern normal, d. h. im oben geschilderten Sinne weiter verlief. Durch den zweiten Weltkrieg wurde sie sogar beschleunigt: Es kam auf einigen Gebieten zu einer sehr engen Zusammenarbeit zwischen den Ländern der Anti-Hitler-Koalition. Eine Sonderstellung — allerdings ganz anderer Art — nahm in der internationalen Kommunikation auch die Sowjetunion als erster sozialistischer Staat ein. Das alte zaristische Rußland hatte sich jahrhundertelang in sich selbst verschlossen, bis Peter I. das Tor nach Westeuropa aufstieß und Katharina I I . fremde Handwerker und Siedler ins Land rief. Nur wenige Russen lernten oder studierten im Ausland; eines der viel zitierten Beispiele dafür gab M. V. Lomonosov. Aber auch nach der näheren Bekanntschaft mit Westeuropa in den Jahren 1812/13
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blieben die Kontakte spärlich, selbst wenn man an die Errichtung von Betrieben durch ausländische Firmen und Gesellschaften denkt; sie waren nichts als ertragreiche Kapitalinvestitionen, auf Profit gerichtet und nicht auf den Fortschritt Rußlands. Von ihrer Politik her auf den proletarischen Internationalismus orientiert, angewiesen auf einen schnellen Aufbau der vom Zarismus vernachlässigten und durch den ersten Weltkrieg zerrütteten Wirtschaft durch Elektrifizierung, Industriealisierung, Erschließung der Bodenschätze, Ausbau der Verkehrswege usw., bestrebt, die Basis für eine völlig neue, von Ausbeutung und Unterdrückung freie Gesellschaftsordnung und ein menschenwürdiges Leben als Vorbild für die Zukunft der ganzen Menschheit zu schaffen, suchte die junge Sowjetmacht Verbindungen. Kommunikative Kontakte entstanden zuerst mit Funktionären und Mitgliedern der kommunistischen und Arbeiterparteien anderer Länder, mit Facharbeitern und Ingenieuren, die kamen, um beim Aufbau des Sozialismus mitzuwirken, im Laufe der folgenden Jahre auch mit Emigranten, vor allem aus den faschistischen Staaten. Aber für die volle Entfaltung der internationalen Beziehungen und mit ihnen die Ausweitung der Kommunikation über die Grenzen der Sowjetunion hinaus gab es noch lange Zeit Schwierigkeiten. Zwar hatten die mächtigsten kapitalistischen Staaten mit Ausnahme der USA die Sowjetunion 1924 anerkannt und eine ganze Reihe von Verträgen mit ihr abgeschlossen, zwar arbeitete die UdSSR in einer Reihe wichtiger internationaler Gremien mit und nahm an multilateralen Konferenzen und Verhandlungen teil, zwar kam es zum Abschluß von Verträgen auch mit kleineren Ländern, aber all diese Beziehungen litten unter dem ständigen Tauziehen zwischen den am Handel mit der UdSSR als Absatzmarkt interessierten kapitalistischen Kreisen und den antisowjetischen Kräften. Typisch für diese ganze Situation sind die Haltung der USA gegenüber der Sowjetunion bis zum Beginn der 30er Jahre und solche Ereignisse wie der Abbruch der diplomatischen Beziehungen und die einseitige Aufkündigung des Handelsvertrages durch Großbritannien im Jahre 1927, gar nicht zu sprechen von den Schwankungen in den deutsch-sowjetischen Beziehungen. Trotz all dieser Schwierigkeiten, trotz aller Bemühungen reaktionärer und faschistischer Kräfte, die UdSSR zu isolieren, gewann der erste Staat der Arbeiter und Bauern mehr und mehr an Autorität und wurde in zunehmendem Maße in die internationale Kommunikation einbezogen, nicht zuletzt auch durch den Druck der Volksmassen und anderer
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fortschrittlicher Kräfte in den kapitalistischen Ländern auf ihre Regierungen und schließlich durch den gemeinsamen Kampf gegen das faschistische Deutschland und seine Verbündeten im zweiten Weltkrieg. Die politischen und ökonomischen Beziehungen der Sowjetunion zu den übrigen Ländern der Welt wurden in der zweiten Hälfte der zwanziger und in den dreißiger Jahren durch wissenschaftliche und kulturelle ergänzt. Der gewaltige Aufschwung im Bildungswesen der UdSSR führte zu einem großen Informationsbedürfnis, das zum Teil durch die Auswertung fremdsprachiger Fachliteratur und durch Studienreisen befriedigt wurde. Anderseits fanden die Errungenschaften der sowjetischen Ökonomie, Wissenschaft und Technik breites Interesse in der übrigen Welt. Während sich jedoch die sowjetischen Wissenschaftler und Techniker schon sehr früh darum bemühten, die englische, deutsche oder französische Sprache zu erlernen, um ihre Fachliteratur im Original lesen zu können, begann eine breitere Beschäftigung mit dem Russischen in den Ländern des Westens erst wesentlich später, so daß die Übersetzung lange Zeit als Hauptinformationsquelle über die Errungenschaften der UdSSR diente. Eine völlig neue Situation ergab sich für die internationale Kommunikation nach dem zweiten Weltkrieg. Eines der in diesem Zusammenhang entscheidenden Ereignisse war — im Gefolge der allgemeinen Wiederbelebung der politischen, ökonomischen, kulturellen, technischen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten und Völkern — die Gründung der UNO (26. 6. 1945) und ihrer Unterorganisationen UNESCO, WHO usw., deren Ziele vor allem in der Wahrung des Friedens, der Lösung internationaler Streitigkeiten, der Herbeiführung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten und der Förderung der internationalen Zusammenarbeit bestanden. Ihre Arbeit wurde allerdings durch die Gegensätze zwischen Kapitalismus und Sozialismus, insbesondere durch die friedensfeindliche imperialistische Politik der USA, stark behindert. Das wichtigste historische Ergebnis des zweiten Weltkrieges war deshalb, abgesehen von der Zerschlagung des Faschismus, die Entstehung einer Gemeinschaft sozialistischer Länder, zwischen denen sich völlig neue Beziehungen entwickelten, die auf den Prinzipien der souveränen Gleichheit, der gegenseitigen Achtung, des gegenseitigen Vorteils und der kameradschaftlichen Hilfe beruhen. Alle bilateralen und multilateralen Abkommen dienen einem gemeinsamen Ziel: dem Aufbau des Sozialismus und Kommunismus, der höchsten Form der mensch-
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liehen Gesellschaft. Zur Verwirklichung dieser Pläne wurde 1949 der R a t für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) gegründet, dem die Mehrzahl der sozialistischen Staaten angehört. In seinem 1959 auf der X I I . Tagung verabschiedeten Statut sind folgende Ziele fixiert: „durch Vereinigung und Koordinierung der Bemühungen der Mitgliedsländer zur planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft, zur Beschleunigung des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts, zur Hebung des Standes der Industrialisierung in den Ländern mit einer weniger entwickelten Industrie, zur ununterbrochenen Steigerung der Arbeitsproduktivität und ständigen Hebung des Wohlstandes der Völker der Mitgliedsländer beizutragen" 1 . Die Länder des RGW arbeiten aber auch in anderer Hinsicht eng zusammen, z. B. auf dem Gebiet von Kult u r und Bildung. Vor allem aber sichern sie ihr Aufbauwerk durch die militärische Zusammenarbeit im Rahmen des Warschauer Vertrages. Das Verhältnis gegenüber den kapitalistischen Ländern wird vom Grundsatz der friedlichen Koexistenz bestimmt. Bei der Zusammenarbeit im RGW geht es also um eine kontinuierliche Kooperation, Koordinierung und Abstimmung im Sinne einer — wie es der X X I V . Parteitag der K P d S U und der V I I I . Parteitag der SED formuliert haben — ständig zunehmenden Integration. Daß damit auch wichtige Fragen der sprachlichen Kommunikation zusammenhängen, liegt auf der Hand. J e mehr Partner an ihr teilnehmen, desto stärker wird die Notwendigkeit, eine bestimmte Sprache zur Hauptsprache zu erheben, um die Arbeit in den Kooperationsgremien rationell und effektiv zu gestalten. Daß diese Hauptsprache in den Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern das Russische ist, entspricht der führenden Rolle der Sowjetunion innerhalb des sozialistischen Lagers und der K P d S U als Avantgarde der kommunistischen und Arbeiterparteien. Darin spiegelt sich aber auch die Bedeutung der UdSSR in ökonomischer und kultureller Beziehung, ihr gewaltiges wissenschaftliches und technisches Potential wider. I m Mittelpunkt der Arbeit des RGW steht die Lösung von Aufgaben, •die wegen der zunehmenden Spezialisierung von Produktion, Wissenschaft und Technik meistens in ein bestimmtes Fachgebiet fallen. Das wird schon an den Namen der ständigen Kommissionen sichtbar, unter •denen wir beispielsweise die folgenden finden: Kohle, Erdöl und Gas, Elektroenergie, Nutzung der Atomenergie für friedliche Zwecke, 1
Wörterbuch der Ökonomie des Sozialismus, Berlin 1969, S. 678.
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Schwarzmetallurgie, Buntmetallurgie, Chemie, Maschinenbau, Bauwesen, Transportwesen, Leichtindustrie, Lebensmittelindustrie, Landwirtschaft, Radiotechnik und elektronische Industrie, Geologie. Was in diesen Kommissionen oder auch in den Stäben des Warschauer Vertrages gesprochen, was von ihnen an schriftlichen Dokumenten herausgegeben wird, was sich daraus im Zusammenhang mit der Realisierung a n sprachlichen Aktivitäten ergibt, ist Fachsprache. Aber auch die ständige Kommission für Standardisierung hat — besonders im Zusammenhang mit der Sach- und Sprachnormung — Aufgaben, die in •das Gebiet der angewandten Sprachwissenschaft fallen. Und nicht an letzter Stelle ist das Problem der Information zu nennen. Unter diesen Bedingungen treten im Leben und in der täglichen Arbeit von Wissenschaftlern, Ingenieuren, Ökonomen, Lehrern, Meistern, Technikern, Arbeitern, Genossenschaftsbauern, Angestellten und vielen anderen, in den wissenschaftlichen Einrichtungen und in der .gesellschaftlichen Praxis neue Momente hervor: die kontinuierliche Auswertung von wissenschaftlichen Publikationen und Arbeitsdokumenten im Original, die Mitarbeit in internationalen Gremien, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, die Teilnahme an internationalen Tagungen und Konferenzen, gemeinsame Veröffentlichungen, Studien- und Vortragsreisen, die gemeinsame Erschließung und Nutzung von Bodenschätzen, die Projektierung und Ausführung großer Industriebauten, die Anlage von Verkehrswegen und Pipelines, •die Unterhaltung des Energieverbundnetzes, bis hin zur kollektiven Arbeit in ein und demselben Betrieb, an ein und derselben Maschine. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die zunehmende Ausbildung von Spezialisten der verschiedensten Fachrichtungen an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen anderer Länder, besonders der Sowjetunion. Bei alledem entstehen über das Fachliche hinaus persönliche freundschaftliche Bindungen. Man könnte einwenden, das meiste von alledem habe es auch schon in •den Zeiten des Kapitalismus gegeben und gebe es auch heute in und zwischen den kapitalistischen Ländern. Wer das behauptet, übersieht jedoch einige wesentliche Aspekte: 1. I m Kapitalismus gibt es die genannten Formen der Zusammenarbeit, vor allem der gleichberechtigten, nur für einen beschränkten Kreis von Personen, der zum größeren Teil der herrschenden Minderheit oder den von ihr korrumpierten Teilen anderer sozialer Schichten angehört. Dabei gibt es auch hier noch deutliche Unterschiede in der Stellung der
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Angehörigen mächtiger Konzerne, der Bürger großer Industriestaaten einerseits und Mitarbeitern kleinerer Unternehmen oder Vertretern weniger bedeutender Länder anderseits. I n den sozialistischen Ländern haben alle Bürger grundsätzlich die Chance, an der internationalen Zusammenarbeit teilzunehmen, vor allem durch die Ausbildung, die sie — auch in sprachlicher Hinsicht — bereits von der Schule an genießen. Die Realisierung dieser Chance hängt in erster Linie von der Bedeutung ab, die das Arbeitskollektiv und mit ihm der einzelne f ü r die internationale Zusammenarbeit hat. 2. Der Einsatz von Fachkräften in einem anderen sozialistischen Land erfolgt geplant und im gegenseitigen Interesse. Er ist meistens an die Ausführung eines bestimmten Projektes gebunden, für die das entsendende Land den Auftrag erhalten hat. Dabei sind alle sozialen Fragen, die den Betreffenden und seine Familie angehen, geregelt. Arbeiten Bürger in einem Betrieb eines anderen sozialistischen Landes, so erhalten sie den gleichen Lohn für gleiche Leistungen, Frauen wie Männer. I n den kapitalistischen Ländern sind na-ch wie vor Bürger wenig entwickelter Staaten gezwungen, ihre Arbeitskraft im Ausland zu verkaufen. Der Preis, den sie dafür erhalten, hängt von Angebot und Nachfrage ab. Dabei drücken sie als eine Art künstliche industrielle Reservearmee die Löhne der einheimischen Arbeitskräfte oder werden fast ausnahmslos schlechter bezahlt als diese; besonders gilt das für Frauen und Mädchen. Auch müssen sie oft ihr Geld in Berufen verdienen, die wegen ihres geringen sozialen Ansehens von Einheimischen kaum noch ausgeübt werden. Eine staatliche soziale Sicherung gibt es in den wenigsten Fällen. Die Masse der ausländischen Arbeitskräfte wird von der einheimischen Bevölkerung nicht als ihresgleichen angesehen und behandelt. Aus alledem ergibt sich unter anderem das sogenannte „Fremdarbeiterproblem". 3. I m Kapitalismus dient die internationale Zusammenarbeit ebenso wie die Produktion im eigenen Lande der Erzielung des Maximalprofits für die Herren der Monopole. Für die Werktätigen fallen höchstens die Brosamen ab, obwohl sie es sind, die die Werte auch für die Auslandsgeschäfte schaffen. Die sozialistische Integration kommt allen Bürgern der daran beteiligten Länder direkt oder indirekt zugute. 4. Besonders in den Ländern, die sich von der kolonialen Unterdrükkung befreit haben, suchen die kapitalistischen Staaten Möglichkeiten für Kapitalexport, Investitionen u. a., um deren wirtschaftliche Abhängigkeit zu verlängern und höhere Profitraten zu erzielen. Ihre „Ent-
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wicklungshelfer" und anderen Fachleute stellen sich sozial und zum Teil auch vom Rassenstandpunkt aus über die Landesbevölkerung. Fachliche und — sofern vorhanden — außerfachliche Kontakte dienen dazu, die Entwicklungsländer vom nichtkapitalistischen Weg abzuhalten oder abzubringen oder gar in eine stärkere Abhängigkeit zurückzuversetzen. Die sozialistischen Staaten dagegen gewähren diesen Ländern uneigennützige Hilfe — zuweilen unter Vernachlässigung der eigenen wirtschaftlichen Interessen. Die von ihnen entsandten Fachleute treten den Einwohnern des Landes als Ebenbürtigen gegenüber und unterstützen sie bei ihrer Qualifizierung, die von den Kolonialmächten bewußt gehemmt wurde. 5. Noch ein Aspekt sei erwähnt: Ein Auslandsstudium — vor allem in der UdSSR — absolvieren in den sozialistischen Ländern in erster Linie hochbefähigte Arbeiter- und Bauernkinder sowie Kinder der fortschrittlichen Intelligenz. Der Prozentsatz von Angehörigen der Arbeiterklasse, die in den kapitalistischen Staaten in den Genuß eines Auslandsstudiums kommen, ist nicht der Rede wert. Hier herrschen noch die alten Bildungsprivilegien. Wir lassen es bei diesen fünf Punkten bewenden, da wir nur gewisse allgemeine Grundlagen f ü r unsere späteren linguistischen Untersuchungen schaffen wollen und keine spezielle Arbeit über internationale Beziehungen schreiben. Es genügt deshalb auch ein kurzer Hinweis darauf, daß auch die kapitalistischen Staaten nach dem zweiten Weltkrieg eine Reihe von Organisationen und Institutionen geschaffen haben, die ihrer Zusammenarbeit und engeren Verflechtung dienen sollen: die EWG, die EFTA, den Europarat, Euratom, gar nicht zu sprechen von den schwer überschaubaren industriellen Verflechtungen der großen Konzerne und den gemeinsamen Gremien, in denen auch die USA vertreten sind, das alles flankiert von der NATO als Speerspitze gegen die UdSSR und das ganze sozialistische Lager, aber auch gegen die antiimperialistische Befreiungsbewegung. Die fünf erwähnten Hauptunterschiede in den internationalen Aktivit ä t e n der sozialistischen und der kapitalistischen Länder gelten natürlich auch für deren Institutionen, also z. B. für den RGW auf der einen und die EWG auf der anderen Seite. Ein Gesichtspunkt muß ihnen aber hier noch hinzugefügt werden: Während sich die Integration der sozialistischen Völkergemeinschaft in Übereinstimmung mit den für die historische Entwicklung der menschlichen Gesellschaft gültigen Gesetzen vollzieht, sind die verschiedenartigen Zusammen-
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schlüsse der kapitalistischen Staaten nichts weiter als Zwangsgemeinschaften, die die gegensätzlichen Interessen der kapitalistischen Mächte, der kleinen und großen kapitalistischen Staaten, nur mühsam überbrücken. Zustandegekommen sind sie im Grunde genommen nur, weil sich die herrschenden Kreise in drei Punkten weitgehend einig sind: 1. in ihrer Feindschaft gegen die Sowjetunion, die sozialistische Völkergemeinschaft und die nationale Befreiungsbewegung; 2. in der Auffassung, daß keines der kapitalistischen Länder allein mit seinen inneren ökonomischen und sozialen Widersprüchen fertigwerden kann, d. h. in der Illusion, die bestehende Gesellschaftsordnung durch den Zusammenschluß erhalten oder ihren Untergang zumindest hinausschieben zu können; 3. durch die Erkenntnis, daß rücksichtslose Auseinandersetzungen oder gar Kriege zwischen den kapitalistischen Ländern den Untergang des kapitalistischen Systems und den Übergang zum Sozialismus in der ganzen Welt nur beschleunigen können. Warum sind wir auf diese Unterschiede in einer Arbeit über fachsprachliche Kommunikation näher eingegangen? Es gibt dafür einen triftigen Grund: Ginge man an die von uns aufgeworfene Frage des Kommunikationszuwachses ohne Berücksichtigung der sozialökonomischen Zusammenhänge heran, so käme man lediglich zu der Schlußfolgerung, daß sowohl im Kapitalismus als auch im Sozialismus auf Grund der Erweiterung der internationalen Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen mehreren Ländern eine starke Belebung und Ausdehnung der sprachlichen Kommunikation erfolgt. Eine weitere Gemeinsamkeit wäre die Tatsache, daß sich diese Belebung und Ausdehnung vor allem auf fachsprachlichem Gebiet vollzieht. I m Vordergrund stünden dann wieder — hier wie da — die Fachsprachen der Technik und der Naturwissenschaften. Die Ursachen dafür wären auch klar: Sie lägen in der „modernen Industriegesellschaft", im wissenschaftlichtechnischen Fortschritt, der ja — der Meinung einiger Apologeten der kapitalistischen Gesellschaft zufolge — unabhängig von Kapitalismus und Sozialismus der Hauptwesenszug unserer Epoche ist. Folgen wir diesem Gedanken noch einen Schritt weiter, dann machen wir die fachsprachliche Forschung und Lehre zur Magd der Konvergenztheorie 1 . 1
L. Hoffmann, Angewandte Sprachwissenschaft, Fachsprachen und sprachliche Ebenen. Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 20 (1971) H. 5, S. 1209f.
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Die gleiche Benennung der Erscheinungen und die gleiche sprachliche Formulierung von Sachverhalten der objektiven Realität zeugt durchaus noch nicht davon, daß zwei Menschen diese Erscheinungen und Sachverhalte auch im gleichen Gesamtzusammenhang sehen, d. h., daß sie sie den gleichen großen Gesetzmäßigkeiten zuordnen, die in Natur und Gesellschaft walten. Das Erstaunliche ist ja gerade, wie die Klassiker des Marxismus-Leninismus schon mehrfach festgestellt haben, daß hier selbst eine Persönlichkeit gespalten sein kann, indem sie an naturwissenschaftliche Einzelphänomene und auch an Teilzusammenhänge durchaus materialistisch herangeht, im übrigen aber dem philosophischen Idealismus huldigt. Die Beobachtungen über die Ausweitung der fachsprachlichen Kommunikation im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen und technischen Denken führen uns zu der Überzeugung, daß das ständige Voranschreiten der menschlichen Erkenntnis immer weniger Raum für idealistische Vorstellungen läßt. F ü r die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zum Sozialismus und K o m munismus wird dieser Faktor allerdings erst stärker wirksam, wenn auch alle ihre Mitglieder, besonders die werktätigen Massen, in den Besitz der echten wissenschaftlichen Erkenntnisse gelangen. Das ist nicht durch das Eindringen fachsprachlicher Elemente in andere Sprachbereiche möglich, sondern nur durch ein Bildungswesen, wie es, die fachsprachliche Ausbildung eingeschlossen, bisher lediglich in sozialistischen Ländern existiert.
3. Die Mittel und Methoden der sprachlichen
Kommunikation
Wenden wir uns nun der dritten Frage, der Frage nach den Mitteln und Methoden der Kommunikation zu. Wie schon zwischen Inhalt und Umfang, so besteht auch zwischen den Mitteln und dem Umfang der Kommunikation ein enger Zusammenhang. Unter Mitteln der Kommunikation verstehen wir die Trägermedien der Sprache. Die ursprünglichste, aber auch heute noch in sehr vielen Situationen übliche Form der sprachlichen Kommunikation ist die m ü n d l i c h e . Träger sind dabei Luftschwingungen, die von den Artikulationsorganen des Menschen erzeugt und von seinen Hörorganen aufgenommen werden. Die Artikulationsorgane bringen unterschiedliche Laute hervor, die — einzeln oder meistens in Komplexen (Bündeln) — Kommunikationsinhalte übertragen. Die physiologischen und physikalischen
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Die gleiche Benennung der Erscheinungen und die gleiche sprachliche Formulierung von Sachverhalten der objektiven Realität zeugt durchaus noch nicht davon, daß zwei Menschen diese Erscheinungen und Sachverhalte auch im gleichen Gesamtzusammenhang sehen, d. h., daß sie sie den gleichen großen Gesetzmäßigkeiten zuordnen, die in Natur und Gesellschaft walten. Das Erstaunliche ist ja gerade, wie die Klassiker des Marxismus-Leninismus schon mehrfach festgestellt haben, daß hier selbst eine Persönlichkeit gespalten sein kann, indem sie an naturwissenschaftliche Einzelphänomene und auch an Teilzusammenhänge durchaus materialistisch herangeht, im übrigen aber dem philosophischen Idealismus huldigt. Die Beobachtungen über die Ausweitung der fachsprachlichen Kommunikation im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen und technischen Denken führen uns zu der Überzeugung, daß das ständige Voranschreiten der menschlichen Erkenntnis immer weniger Raum für idealistische Vorstellungen läßt. F ü r die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zum Sozialismus und K o m munismus wird dieser Faktor allerdings erst stärker wirksam, wenn auch alle ihre Mitglieder, besonders die werktätigen Massen, in den Besitz der echten wissenschaftlichen Erkenntnisse gelangen. Das ist nicht durch das Eindringen fachsprachlicher Elemente in andere Sprachbereiche möglich, sondern nur durch ein Bildungswesen, wie es, die fachsprachliche Ausbildung eingeschlossen, bisher lediglich in sozialistischen Ländern existiert.
3. Die Mittel und Methoden der sprachlichen
Kommunikation
Wenden wir uns nun der dritten Frage, der Frage nach den Mitteln und Methoden der Kommunikation zu. Wie schon zwischen Inhalt und Umfang, so besteht auch zwischen den Mitteln und dem Umfang der Kommunikation ein enger Zusammenhang. Unter Mitteln der Kommunikation verstehen wir die Trägermedien der Sprache. Die ursprünglichste, aber auch heute noch in sehr vielen Situationen übliche Form der sprachlichen Kommunikation ist die m ü n d l i c h e . Träger sind dabei Luftschwingungen, die von den Artikulationsorganen des Menschen erzeugt und von seinen Hörorganen aufgenommen werden. Die Artikulationsorgane bringen unterschiedliche Laute hervor, die — einzeln oder meistens in Komplexen (Bündeln) — Kommunikationsinhalte übertragen. Die physiologischen und physikalischen
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Einzelaspekte dieses Vorganges sind von der allgemeinen Phonetik hinreichend untersucht und dargestellt worden 1 , so daß wir hier nicht näher darauf eingehen müssen. Ausgelöst wird ein Artikulationsakt durch Impulse der entsprechenden Hirnpartien, denen ein kommunikatives Bedürfnis zu Grunde liegt, das seinerseits Ergebnis von Erkenntnis- bzw. Denkprozessen ist. Umgekehrt löst die Einwirkung der Luftschwingungen auf das Gehör bestimmte Impulse aus, die an das Gehirn weitergeleitet werden, um dort wieder zu Kommunikations- und Bewußtseinsinhalten zu werden. Dieser elementare Vorgang, der im Prinzip jeder sprachlichen Kommunikation zu Grunde liegt, d. h. also die für die Verständigung notwendige aktuelle Bindung von Bewußtseinsinhalten an lautliche Materie und ihre anschließende Trennung, wird unter dem Einfluß der Informationstheorie und Kybernetik oft als Kodierung und Dekodierung aufgefaßt 2 . Kodierung und Dekodierung verlaufen relativ einfach bei der einsprachigen Kommunikation ; sie sind komplizierter in der mehrsprachigen, bei der noch zusätzliche Umkodierungen nötig werden. Der Kommunikationseffekt, d. h. der Grad der Verständigung, kann unterschiedlich sein. Störungen und damit Informationsverluste treten vor allem durch äußere Einwirkungen oder durch Schwierigkeiten bei der Umkodierung auf. Die mündliche Kommunikation ohne technische Hilfsmittel ist einer Reihe von Beschränkungen unterworfen, die sie für bestimmte Zwecke untauglich machen : 1. Sie ist durch die begrenzte Lautstärke der menschlichen Stimme nur bei geringen Entfernungen anwendbar ; bei größeren Entfernungen ver1 2
L. R. Zinder, ObSÈaja fonetika, Leningrad 1960 u. a. L. Zabrocki, Kodematische Grundlagen der Theorie des Fremdsprachenunterrichts. Glottodidactica 1/1969; ders., Zur Theorie des programmierten Fremdsprachenunterrichts. Glottodidactica III—IV/1970; ders., Die Methodik des Fremdsprachenunterrichts vom Standpunkt der Sprachwissenschaft. Glottodidactica V/1971; I. M. Berman, Metodika obu6enija anglijskomu jazyku, Moskva 1970, S. 21—25; V. A. Artemov, Kommunikativnaja priroda ustnoj re6i. Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 17 (1964) H. 5; P. Guiraud, Langage et communication. Bulletin de la Société de Linguistique de Paris 50 (1955), S. 119-133; W. Meyer-Eppler, Grundlagen und Anwendungen der Informationstheorie, Berlin-GöttingenHeidelberg 1959; L. Schmetterer, Sprache und Informationstheorie. Sprache und Wissenschaft, Göttingen 1960; C. Cherry, On Human Communication, New York 1957; G. A. Miller, Language and Communication, New York 1951.
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langt sie von den Kommunikationsteilnehmern einen zum Teil sehr zeitaufwendigen Ortswechsel. 2. Sie existiert nur für die Dauer des aktuellen Kommunikationsvorganges, fixiert also die Kommunikationsinhalte nicht; sollen diese erhalten bleiben, so muß das durch mündliche Überlieferung geschehen; dabei geht vieles auf Grund der geringen Speicherkapazität des menschlichen Gedächtnisses verloren, anderes wird entstellt. 3. Sie besitzt in der Masse der Fälle eine höhere Redundanz als andere Arten der Kommunikation. 4. Sie ist in den Formulierungen weniger präzise. 5. Sie unterliegt leicht subjektiven Abweichungen. 6. Sie teilt die Aufmerksamkeit des Sprechers zwischen inhaltlicher Mitteilung und sprachlicher Formulierung. 7. Sie wird leicht durch andere Geräusche gestört. Diese natürlichen Mängel erklären dreierlei: 1. den beschränkten Umfang der Kommunikation, solange sie nur in mündlicher Form gepflegt werden kann, und seine schnelle Erweiterung beim Hinzutreten anderer Trägermedien; 2. die Bevorzugung anderer Trägermedien für die Überlieferung von Erkenntnissen, bei der allerdings — besonders in der Lehre — eine Wiederumsetzung in mündliche Kommunikation durchaus üblich ist, aber mehr erläuternden Charakter t r ä g t ; 3. die Wegentwicklung der fachsprachlichen Kommunikation von der mündlichen, oder anders ausgedrückt: die wachsende Abneigung der Fachleute, besonders der Wissenschaftler, gegen die mündliche Darstellung komplizierter Sachverhalte. Einen wichtigen Fortschritt für die Kommunikation bedeutet deshalb die s c h r i f t l i c h e Fixierung und Übermittlung von Informationen. Schon in ihrer einfachen, manuellen Form gewährleistet sie die Überwindung größerer Entfernungen und eine dauerhafte Fixierung; sie zwingt vielfach direkt zur Verringerung der Redundanz und zu präziser Formulierung; das subjektive Element wird, wenn nicht beseitigt, so doch reduziert. Die Aufmerksamkeit kann nacheinander erst dem Ausdruck der Gedanken und dann der sprachlich besten Formulierung gewidmet werden; Geräusche wirken zwar auch störend beim Schreiben und beim Lesen, aber nur mittelbar, und in der Mehrzahl der Fälle können sie ausgeschaltet werden. Vergleichen wir weiter mit der mündlichen Kommunikation, so bleibt noch festzustellen, daß das Kodieren die Hand und das Dekodieren die Augen anstelle der Artikulations- und Hörorgane übernehmen. 4
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Einige Mängel haften bei allem Fortschritt auch diesem Verfahren noch an. Das sind vor allem: 1. Die geringe Geschwindigkeit des Schreibvorganges — selbst bei Verwendung einer Kurzschrift — und das ebenfalls niedrige Tempo beim Lesen. 2. Der sich daraus ergebende begrenzte Umfang der Darstellung. 3. Die geringe Zahl von Exemplaren — auch bei Anfertigung von Kopien — und damit die beschränkte Zahl der Adressaten, die allerdings durch Vorlesen oder öffentlichen Vortrag in den Grenzen der mündlichen Kommunikation am jeweiligen Bestimmungsort wieder vergrößert werden kann. 4. Die einseitige Gerichtetheit der Kommunikation, die eine Reaktion des Kommunikationspartners, wenn es sich um einen Zeitgenossen handelt, verzögert, je nachdem, welche Transportmittel ihm f ü r seine Antwort zur Verfügung stehen, oder, wenn er einer späteren Generation angehört, ganz ausschließt. 5. Die geringe Wahrscheinlichkeit des „Überlebens" im Vergleich zu Schriften, die in hoher Auflage gedruckt werden. 6. Die schlechte Konservierung der Schriftstücke und die sich daraus ergebende Minderung der Lesbarkeit. 7. Der immer noch hohe Grad von Subjektivität, der erst bei einer größeren Zahl von Adressaten weiter abnimmt. Die meisten dieser Nachteile wurden mit der Erfindung des Buchdrucks, insbesondere des Buchdrucks mit beweglichen Lettern aus Metall, und mit seiner Entwicklung zur modernen Polygraphie überwunden. Eine Nebenentwicklung dazu ist die Schreibmaschine mit ihren verschiedenen Vervielfältigungsverfahren. Das Tempo der Herstellung und die Lesbarkeit erhöhen sich beträchtlich. Das führt unter anderem zu größerer Ausführlichkeit in der Darstellung (was der Kommunikation nicht immer zum Vorteil gereicht!). Die Auflagenhöhen werden immer stärker vom Bedarf und nicht mehr von den bescheidenen Möglichkeiten bestimmt. Haltbarkeit und „Überlebenschancen" steigen ebenfalls. Die Tatsache, daß die Autoren mit einem großen Leserkreis zu rechnen haben, aber auch daß mehrere, später viele Autoren über die gleichen Themen schreiben, führt besonders in der Fachliteratur zu bestimmten sprachlichen Konventionen, die die subjektiven Züge im Sprachgebrauch eindämmen. Was bleibt und in Anbetracht der steigenden Flut von „Druckschriften" sogar noch zunimmt, ist die einseitige Gerichtetheit der Kommunikation,
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die Verwandlung eines großen Teils der Kommunikation in Information. Das gilt besonders für den fachsprachlichen Bereich. Einer der Nachteile dieser Entwicklung ist, daß viele Autoren gar nicht mehr mit einer direkten und expliziten Reaktion auf ihre Publikationen rechnen. Insgesamt gesehen aber war die Erfindung J o h a n n Gutenbergs etwa fünf Jahrhunderte lang eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Befriedigung der höheren Anforderungen, die die gesellschaftliche Entwicklung an die sprachliche Kommunikation stellte. Vor allem diente sie der so unbedingt notwendigen Verbreitung von Wissen. Ohne sie — auf Grund der Fähigkeit des Schreibens allein — ist die gewaltigste Revolution im Bildungswesen der Völker, die Überwindung des Analphabetentums, schwer vorstellbar. Das Aufblühen des Druckereiwesens kam besonders dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt zugute. Durch persönliche Kontakte, Konferenzen und ähnliche Maßnahmen oder auf dem Wege der schriftlichen Korrespondenz wären niemals das Tempo und die Breite des Umsatzes neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse möglich gewesen, wie sie besonders im Laufe der letzten drei Jahrhunderte — also etwa seit der Zeit der Aufklärung — erreicht wurden. I n unmittelbarem Zusammenhang damit steht auch und gerade die Entwicklung und schriftliche (gedruckte) Kodifizierung der Fachsprachen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die segensreiche Erfindung und Entwicklung des Druckereiwesens allerdings zu einem Fluch für diejenigen entwickelt, die darauf angewiesen sind, ihre fachlichen Informationen Büchern und Zeitschriften zu entnehmen. Gebrauchen wir eine weniger allegorische Formulierung: Die wissenschaftliche und technische Information in gedruckter Form ist zu einer Lawine angewachsen, die vom einzelnen und selbst von Kollektiven nicht mehr bewältigt werden kann. Die Suche nach neuen Kommunikationsträgern ist deshalb bereits in vollem Gange, nicht um die alten vollständig abzulösen, wohl aber um sie speziell auf dem Gebiet von Information und Dokumentation durch effektivere zu ergänzen oder zu ersetzen. Wir werden hier nicht auf den Mikrofilm eingehen, der eigentlich nur dazu beiträgt, Platz zu sparen, und keine neuen Lösungen von der angewandten Sprachwissenschaft verlangt. Uns interessiert aber die Speicherung und Abrufung sprachlicher Informationen mit Hilfe der maschinellen Lochkartentechnik und der elektronischen Datenverarbeitung als wesentlicher Bestandteil einer neuen Form der fach4»
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sprachlichen Kommunikation, bei der die Lochkarte, der Lochstreifen, das Magnetband und andere Speichermedien als Informations- bzw. Kommunikationsträger Verwendung finden. Sie tragen wesentlich zur Beschleunigung und Verdichtung der Kommunikation bei; auch eine Erhöhung der Präzision ist möglich. Allerdings haben auch sie, soweit die bisherigen Erfahrungen reichen, ihre Unzulänglichkeiten, z. B.: 1. Sie verwenden einen speziellen Kode; die sprachlichen Daten bedürfen deshalb einer mehrfachen Umkodierung. 2. Um mit ihnen arbeiten zu können, braucht man komplizierte Programme. 3. Die maschinelle und besonders die elektronische Datenverarbeitung sind teuer und nur produktiv, wenn die Anlagen gleichmäßig ausgelastet sind. 4. Lochkarten unterliegen einem hohen Verschleiß. 5. Die Schaffung und ständige Speisung kompletter Speicher erfordert gründliche Vorarbeiten, vor allem aber einen großen Aufwand zur systematischen und vollständigen Erfassung aller neuen Erkenntnisse des Fachgebiets. Im übrigen haben wir bei der maschinellen Sprachdatenverarbeitung die Grenzen der Kommunikation mit Hilfe natürlicher Sprachen erreicht und zum Teil schon überschritten. In die Speicher müssen, sollen sie nicht zu einer reinen Sammlung von mehr oder weniger differenzierbaren Elementen werden, metasprachliche Angaben eingeführt werden. Außerdem werden die Daten der natürlichen Sprache nach Programmen bearbeitet, die in einer künstlichen Sprache (Programmiersprache) abgefaßt sind. Verweilen wir noch kurz bei einigen Sonderformen der schriftlichen Kommunikation, die sehr speziellen Zwecken dienen, aber auf ihre Art auch den Umfang der menschlichen Kommunikation erweitert haben. Die Stenographie unterscheidet sich von der einfachen schriftlichen Kommunikation vor allem durch das Bestreben, die Geschwindigkeit des Schreibvorganges zu erhöhen. Sie t r ä g t dadurch auch zur Rationalisierung der fachsprachlichen Kommunikation bei, vor allem wenn es darum geht, mündliche Darlegungen möglichst wörtlich festzuhalten, oder bei der intermediären Speicherung von Kommunikationsinhalten, d. h. zwischen der mündlichen und der (endgültigen) schriftlichen Fixierung eigener Gedanken, die dann durch eine andere Person (Stenotypistin) erfolgen kann; sie wird aber zum gleichen Zweck in
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anderen Kommunikationsbereichen verwendet. Um ihr Ziel zu erreichen, bedient sie sich eines speziellen Kodes. Dabei erfolgt die Kodierung als Umwandlung mündlicher in schriftliche Kommunikation; die Dekodierung ist lediglich ein Kodewechsel in der schriftlichen Kommunikation. (Eine Dekodierung in mündlicher Form ist die Ausnahme.) Die Blindenschrift entsteht ebenfalls durch Umkodierung. Dabei ist der Kodewechsel innerhalb der schriftlichen Kommunikation der Normalfall, wenn bestimmte im Druck bereits fixierte Erkenntnisse für Blinde „lesbar" gemacht werden sollen. Die Umkodierung besteht im Ersatz der nur für das Auge wahrnehmbaren Zeichen durch solche, die über den Tastsinn aufgenommen werden. Häufig wird aber auch ein spezielles Schreibgerät eingesetzt, um mündliche Kommunikation in diesem speziellen Kode schriftlich festzuhalten. Die Verwendung der Blindenschrift in der fachsprachlichen Kommunikation ist eine Ausnahme, aber ein wichtiges Mittel zur Einbeziehung all derer in den schriftlichen Kommunikationsprozeß, die ihr Augenlicht verloren oder es nie besessen haben, und damit eine Möglichkeit, ihre berufliche Betätigung auf den verschiedensten Gebieten zu fördern. Eine technische Vervollkommnung der schriftlichen Kommunikation ist weiterhin der Fernschreiber, der, was Kodierung und Dekodierung betrifft, der Schreibmaschine ähnlich ist. Zwischen Kodierung und Dekodierung tritt als Kommunikationsträger die Drahtleitung auf; der Kode besteht aus Reihen verschieden gerichteter Stromstöße. Der Vorteil des Fernschreibers liegt in der schnellen Überwindung größerer Entfernungen ohne die traditionellen Zwischenträger. Deshalb gelangt er vor allem bei der allgemeinen Nachrichtenübermittlung zum Einsatz. Die Verwendung für die fachsprachliche Kommunikation ist möglich. Angaben darüber, in welchem Maße davon Gebrauch gemacht wird, liegen nicht vor. Nach dem gleichen Prinzip arbeitet übrigens die Datenfernübertragung, bei der der weiter zu verarbeitende Lochstreifen an die Stelle des Klartextes tritt. Zur drahtlosen Nachrichtenübermittlung dienen die Morsezeichen, ein Kode aus P u n k t e n und Strichen. Daß mit Hilfe des Fernschreibers und des Morseapparates Telegramme übermittelt werden, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Wir verlassen den Boden der natürlichen Sprache endgültig, wenn wir die Kommunikation mit Hilfe von Symbolen erwähnen, t u n das aber trotzdem, weil Symbol-„Sprachen" (oder symbolische Sprachen)
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
gerade in Wissenschaft und Technik eine so große Rolle spielen. I m Gegensatz zu den natürlichen Sprachzeichen, die sich im gesellschaftlichen Gebrauch historisch entwickelt haben, sind Symbole bewußt geschaffene künstliche Zeichen, z. B. > für „größer als", V f ü r „oder" als logische Alternative usw., oder herkömmliche Zeichen, die mit einer anderen als der sonst üblichen Bedeutung versehen werden, z. B. 2 für „Summe" und s für „Standardabweichung" in der Statistik, H 2 0 für „Wasser" in der Chemie, a -)- b = c in der Mathematik, t f ü r „Zeit" oder V f ü r „Volt" in der Physik usw. Der Vorteil der Symbol-„Sprachen" besteht darin, daß ihre „Sätze" meist kürzer und übersichtlicher sind und das Wesen der Aussage präziser fassen. Übrigens muß sich eigentlich jeder Satz einer SymbolS p r a c h e " in natürliche Sprache übersetzen lassen. Die Aussage bleibt dabei dieselbe, hat aber mehr umschreibende Form. Die Verwendung von symbolischen Sprachen hat wesentlich dazu beigetragen, daß Wissenschaften wie die Mathematik, die theoretische Physik und die formale Logik ihren heutigen hohen Entwicklungsstand erreicht haben; denn die natürliche Sprache wäre schwerlich in der Lage, die komplizierten Zusammenhänge auszudrücken, mit denen sich diese beschäftigen. Die ausführlichere Untersuchung dieser Fragen überlassen wir der Semiotik Wenn wir noch einmal zur mündlichen Kommunikation zurückkehren, so nur um den Überblick über technische Errungenschaften abzurunden, die dazu beigetragen haben, die sprachliche Kommunikation insgesamt zu dem Stand zu führen, den sie heute erreicht hat. Telefon und Funkgerät nehmen hier etwa die gleiche Stellung ein wie Fernschreiber und Morseapparat: sie dienen vor allem der schnellen Überwindung größerer Entfernungen und damit der Zeiteinsparung. Das Telefon spielt in der fachsprachlichen Kommunikation eine unterschiedliche Rolle. Am stärksten ist es wohl in der Leitungstätigkeit aller möglichen Fachgebiete und in deren Verwaltungsapparat vertreten. Es wird aber auch benützt, um sich für die fachliche Arbeit schnell einen R a t bei einem Kollegen zu holen, notwendiges Material anzufordern, vorläufige Ergebnisse zu übermitteln usw. I n seiner neuesten Form — als Video-Telefon — läßt es außerdem gewisse optische Demonstrationen zu. Der Funkverkehr spielt eine hervorragende Rolle 1
G. Klaus, Semiotik und Erkenntnistheorie, Berlin 1963; A. A. Vetrov, Semiotika i ee osnovnye problemy, Moskva 1968; V. V. Martynov, Kibernetika, semiotika, lingvistika, Minsk 1966.
Mittel und Methoden der sprachlichen Kommunikation
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bei der See- und Luftfahrt und auch bei anderen Tätigkeiten, bei denen eine Drahtverbindung schwer zu unterhalten ist, z. B. bei geographischen oder geologischen Erkundungen, aber auch im Militärwesen. In anderen Fachgebieten ist er völlig ungebräuchlich. Eine neuere Entwicklung, der Sprechfunk, wird vor allem für die Kommunikation über mittlere Entfernungen eingesetzt: auf großen Baustellen, bei der Verkehrs- und auch bei der Kriminalpolizei, im Transportwesen, auf Flugplätzen, bei der Armee und in anderen Bereichen, wo eine schnelle Abstimmung zwischen Einzelpersonen oder Gruppen, zwischen einer Leitung und den Ausführenden nötig ist, vor allem wenn diese ihren Standort wechseln. Dem Sprechfunk ist unseres Erachtens auf vielen Fachgebieten eine große Perspektive vorauszusagen, weil er eine sofortige Reaktion ermöglicht und zudem beweglich ist. Er eignet sich also vorzüglich für die operative Arbeit. Eine der wichtigsten Neuerungen auf dem Gebiet der mündlichen Kommunikation ist die Tonbandtechnik. (Auf die Verwendung von Schallplatten als Informationsträger gehen wir hier nicht näher ein, weil sie gegenüber dem Tonband nur sehr begrenzte Möglichkeiten bietet.) Das Tonband als Träger von Kommunikationsinhalten hebt die mündliche Sprachtätigkeit über die Dauer des aktuellen Sprechakts hinaus, fixiert ihn und macht ihn wiederholbar. Dadurch wird eine exakte Erfassung mündlicher Darlegungen möglich, bei der neben dem Inhalt auch Feinheiten eingefangen werden können, die nur der mündlichen Kommunikation eigen sind, z. B. Intonation, Akzent, phonetische Besonderheiten u. a. Eine besonders große Rolle spielt das bei der Aufzeichnung von Vorträgen und Diskussionsbeiträgen auf Konferenzen und Fachtagungen. Ein Nachteil ist allerdings, daß bei rein akustischen Aufzeichnungen visuelle Stützen, wie z. B. graphische Darstellungen, Demonstrationen, Zahlenübersichten u. ä., fehlen. Für den Sprachwissenschaftler schafft die Tonbandaufzeichnung überhaupt erst die Grundlage für eine exakte Analyse der mündlichen Sprachausübung, und zwar nicht etwa nur für den Phonetiker, sondern gerade auch für unsere Untersuchungen zu den Fachsprachen. Allerdings liegt dazu noch wenig Material vor, so daß sich alle bisherigen Aussagen fast ausschließlich auf schriftliche Texte stützen. Von großer Bedeutung sind Tonbandgerät und Tonband auf Grund der erwähnten Vorzüge auch für die bewußte Entwicklung und Beeinflussung der Kommunikation über den Menschen. Sie werden vor
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Eolie und Problematik der Fachsprachen
allem in der Fremdsprachenausbildung und in der Sprecherziehung mit viel Erfolg genützt. Eine vereinfachte Abart des Tonbandgeräts ist das Diktaphon. Das darauf erzeugte Tonband spielt — ebenso wie meistens das Stenogramm — eine intermediäre Rolle zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation. Während jedoch der Zwischenträger bei der Stenographie manuell hergestellt wird, entsteht er hier automatisch. Die Weiterverarbeitung hat keinen optischen, sondern einen akustischen Ansatz. Zu dem Vorteil der Stenographie, daß der Text zu einer beliebigen Zeit und in Abwesenheit des Urhebers der mündlichen Darstellung in Klarschrift fixiert werden kann, kommen zwei rationalisierende Momente: der Wegfall der manuellen Arbeit und die Möglichkeit, den Text bei der Reproduktion mit dem Gehör aufzunehmen und gleichzeitig die Augen zur Kontrolle des erzeugten schriftlichen Textes zu verwenden. (Diese simultane Kontrolle wäre beim Abschreiben des Textes vom Stenogramm nicht möglich, es sei denn, es würde diktiert, wozu eine zusätzliche Person erforderlich wäre.) Das Diktaphon wird sich als Mittler fachsprachlicher Texte immer mehr einbürgern, vor allem in der Wissenschaft, wo mit seiner Hilfe Beobachtungen bei Experimenten, Operationen und anderen Vorgängen, die die Augen und vielleicht auch die Hände voll in Anspruch nehmen, über die mündliche Beschreibung und Interpretation sofort festgehalten werden können. Unter Umständen erhöht die Abwesenheit einer anderen Person (Stenotypistin) auch die Konzentration des Diktierenden. Auf alle Fälle besteht keine Notwendigkeit zur Rücksichtnahme auf Arbeitszeit, Belastbarkeit und andere Faktoren, die bei einem Menschen unbedingt zu berücksichtigen sind. Welche Bedeutung schließlich R u n d f u n k , Tonfilm und Fernsehen für die Entwicklung der sprachlichen Kommunikation in den letzten Jahrzehnten gewonnen haben, bedarf keiner ausführlichen Erörterung. Uns interessiert daran vor allem, daß sie, neben einer zunehmenden Zahl populärwissenschaftlicher Zeitschriften, die Hauptmedien zur Verbreitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und zur Information über neue technische Errungenschaften geworden sind. Sie beeinflussen deshalb nicht nur den Sprachgebrauch im allgemeinen, sondern fördern auch die Verbreitung fachsprachlicher Elemente.
Wesen der Fachsprachen
4. Das Wesen der
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Fachsprachen
Damit sind wir bei einer anderen prinzipiellen Frage angelangt, bei der Frage nämlich: Was sind nun eigentlich Fachsprachen und in welchem Verhältnis stehen sie zur übrigen Sprache? Es geht also um die Definition der Fachsprache, die wie jede ordentliche Definition das Wesen des Gegenstandes selbst bestimmen und ihn gegenüber anderen abgrenzen muß. An Versuchen, eine solche Definition zu finden, fehlt es nicht, ebensowenig wie an Benennungen für das Phänomen Fachsprache, die dessen Wesen charakterisieren sollen, meistens aber nur e i n e n der Wesenszüge hervorheben. Wir können hier nur einige Beispiele herausgreifen. Weitere sind der in der Bibliographie aufgeführten Literatur zu entnehmen. Versucht man, die vorliegenden Definitionen zu ordnen, so stößt man sofort auf zwei einander diametral entgegengesetzte Tendenzen oder, wenn man so will, auf zwei grundverschiedene Arten, an das Phänomen Fachsprache heranzugehen. Man könnte die eine die „stilistische", die andere die „lexikologische" nennen. Die erste sucht das Wesen der Fachsprachen in besonderen stilistischen Merkmalen, die es gestatten,, sie einem bestimmten Funktionalstil zuzuordnen 1 ; die zweite begnügt 1
Ausgangspunkt sind Definitionen des Stils wie etwa die folgenden: „Der Sprachstil — das ist ein semantisch in sich geschlossenes, expressiv begrenztes und zweckmäßig organisiertes System von Ausdrucksmitteln, das diesem oder jenem Genre der Literatur oder des Schrifttums, dieser oder jener Sphäre gesellschaftlicher Tätigkeit (z. B. offiziöser Sachstil, Kanzleistil, Telegrammstil u. a.), dieser oder jener sozialen Situation, diesem oder jenem Charakter der sprachlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Mitgliedern oder Schichten der Gesellschaft entspricht" (V. V. Vinogradov, O zadaöach istorii russkogoliteraturnogo jazyka preimuäöestvenno XVII-XIX vv. Izvestija AN SSSR, Otdelenie literatury i jazyka 3/1946, S. 225). „Der Stil ist eine im gesellschaftlichen Bewußtsein vorhandene, funktionell bedingte, innerlich zusammenhängende Gesamtheit von Gebrauchsweisen, der Auswahl und der Verbindung sprachlicher Mittel im Bereich dieser oder jener Volks- oder Nationalsprache, die in Beziehung steht zu anderen ebensolchen Ausdrucksweisen, die anderen Zwecken dienen, in der Sprachpraxis der Gesellschaft eines Volkes andere Funktionen ausüben" (V. V. Vinogradov, Itogi obsuzdenija voprosov stilistiki. Voprosy Jazykoznanija i/1955, S. 73). „Unter Stil verstehen wir demnach die historisch veränderliche, funktional und expressiv bedingte Verwendungsweise der Sprache auf einem bestimmten
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
sich mit der Feststellung eines besonderen Fachwortschatzes, vor allem der Terminologie. Unsere Untersuchungen werden zeigen, daß der stilistische Standpunkt zu weit, zu allgemein, und der lexikologische zu eng, zu speziell ist, obwohl beide wichtige Teilaspekte unseres Untersuchungsgegenstandes erfassen. Die stilistische Betrachtungsweise legt weniger Wert auf eine exakte und umfassende Definition dessen, was Fachsprache ist; für sie sind Untersuchungsgegenstand ja nicht die Fachsprachen, sondern ihr Stil. Wenn sie definiert hat, was Stil ist, wenn für sie feststeht, daß es eine bestimmte Anzahl unterschiedlicher Stile gibt und wenn sie schließlich die Merkmale kennt, die eine Klassifizierung sprachlicher Texte nach Stilen möglich machen, dann können wir von ihr eigentlich nur noch eine stilistische Beschreibung der Fachsprachen erwarten, und diese liefert sie uns auch, wobei sie sich vorläufig vor allem an den sogenannten „wissenschaftlichen Stil" hält und diesen meist dem Stil des sprachlichen Kunstwerks gegenüberstellt. So schreibt z . B . A. I. Efimov: „Will man den Prozeß der Entwicklung der Literatursprache vollständig und allseitig untersuchen, so ist es zweckmäßig, die Entwicklung sowohl einer Stilistik der künstlerischen Rede wie auch einer Stilistik der wissenschaftlichen Rede zu fördern, denn so ergibt sich die Möglichkeit, nicht nur den Beitrag der Schriftsteller, sondern auch den der Wissenschaftler zur Literatursprache zu konfrontieren und zu werten" K Dabei geht sie davon aus, daß sowohl die Wissenschaft als auch die Kunst das Ziel hat, den Erkenntnisprozeß zu fördern, beide das aber mit verschiedenen Mitteln t u n . Stark vereinfacht wird die Kunst als eine Art „Denken in Bildern" mit der Wissenschaft als einer „mehr analytischen Tätigkeit" konfrontiert 2 . Die sowjetische Stilistik beruft sich in diesem Zusammenhang oft auf V. G. Belinskijs Formulierung:
1
2
Gebiet menschlicher Tätigkeit, objektiv verwirklicht durch eine zweckentsprechend ausgewählte und gesetzmäßig geordnete Gesamtheit lexischer, grammatischer und phonetischer Mittel" (E. Riesel, Stilistik der deutschen Sprache, Moskau 1959, S. 9). Zu den Definitionen der Prager Schule s. J. Vachek, Lingvisticeskij slovar' praäskoj äkoly, Moskva 1964, S. 217. A. I. Efimov, O roli nacional'noj chudozestvennoj literatury v razvitii russkogo literaturnogo jazyka. Voprosy Jazykoznanija 2/1960, S. 34. R. A. Budagov, Vvedenie v nauku o jazyke, Moskva 1965, S. 451.
Wesen der Fachsprachen
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„Der Philosoph spricht in Syllogismen, der Dichter in Bildern, aber beide sagen sie ein und dasselbe" Überzeugen wir uns an einigen Beispielen selbst, wie der „wissenschaftliche Stil" von dieser Seite her beschrieben wird: „Der wissenschaftliche Stil ist ein Sprachstil, der 1. nach Genauigkeit, Einfachheit und Klarheit, 2. nach logischer Strenge und emotionaler Einprägsamkeit, 3. nach ständigem Austausch mit der Gemeinsprache, 4. nach einer strengen Determinierung sorgfältig durchdachter Termini, 5. nach weitgehender Nutzung unterschiedlicher stilistischer Mittel •der Sprache, 6. nach einer überlegten Verwendung der notwendigen Ziffern, Symbole und Zeichen strebt. Obwohl einzelne der genannten Merkmale auch in anderen Sprachstilen auftreten können, ist ihre spezifische V e r b i n d u n g eben für den Stil der wissenschaftlichen Darstellung charakteristisch" 2 . „So bilden Abstraktheit und Verallgemeinerung der Darstellung, die im Charakter der sprachlichen Mittel zum Ausdruck kommen, i h r e i g e n e s System und machen die Eigenart des Stils der wissenschaftlichen Rede aus. Die Spezifik der wissenschaftlichen Rede liegt nicht nur im Gebrauch von Termini, abstrakter Lexik und komplizierten Konstruktionen (was man gewöhnlich für ihre Eigenart hält), sondern tiefer — in d e r g e s a m t e n S t r u k t u r der wissenschaftlichen Rede . . . Allgemeinste und gesetzmäßige Charakterzüge sind dabei, außer den eben genannten, die folgenden: •a) Das Wort drückt in der wissenschaftlichen Rede, unabhängig vom Kontext, nur den Begriff aus und dient nicht zur Bezeichnung der Vorstellung, des Abbildes vom individuellen Gegenstand . . .; b) Wörter, die gewöhnlich als Konkreta gebraucht werden, werden zu Abstrakta und nehmen im Gesamtkontext der wissenschaftlichen Rede eine abstrakte Bedeutung an (oft durch Terminologisierung); c) Aspekt- und Tempusunterschiede werden verwischt (gewöhnlich treten die Verben in einem „zeitlosen" imperfektiven Präsens auf), Erscheinungen der Konkretisierung neutralisiert; •d) auch eine Reihe anderer grammatischer Formen — des Numerus, der Person u. a. — werden in ihrer allgemeinsten Bedeutung verwendet . . ., außerdem unpersönliche und unbestimmt-persönliche 1 2
V. G. Belinskij, Polnoe sobranie socinenij, Bd. III, Moskva 1948, S. 798. R. A. Budagov, Cto i e takoe naucnyj stil'. Jazyk — istorija i sovremennost', Moskva 1971, S. 150.
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
Formen des Verbs und entsprechende Konstruktionen, passive Wendungen usw. Wenn man die Spezifik der wissenschaftliehen Rede negativ kennzeichnen will, dann muß man darauf hinweisen, daß ihr Bildhaftigkeit abgeht . . . sie stünde direkt im Widerspruch zu ihrem Wesen, weil sie die Gedanken, den Verlauf der Erörterungen ablenkte und zur Ungenauigkeit, zur Verschwommenheit der Darstellung und Formulierung führte" i . „Der wissenschaftliche Stil, dessen Hauptabsicht es ist, eine exakte systematische Darstellung wissenschaftlicher Fragen zu geben; in ihm richtet sich die Hauptaufmerksamkeit auf die logische Seite des Dargestellten; deshalb bezeichnet man diesen Stil zuweilen als Stil der intellektuellen Rede" 2 . V. V. Vinogradov sieht das durch die Funktion geprägte Wesen des wissenschaftlichen Stils bei seiner Zusammenfassung der großen Stilistikdiskussion des Jahres 1954 in der UdSSR in zwei Eigenheiten: in der terminologischen Bezeichnung der entsprechenden Begriffe und Erscheinungen und in einem logisch verallgemeinerten System der folgerichtigen Darlegung 3 . I. R. Gal'perin nennt als Hauptmerkmale des wissenschaftlichen Stils: das Überwiegen der Wörter in ihrer direkten, gegenständlich-logischen Bedeutung; die Verwendung zusätzlicher Attribute um der größeren Genauigkeit willen; terminologische Neubildungen; lateinische und griechische Wurzelmorpheme (besonders im Englischen); unproduktive Suffixe; das Fehlen oder zumindest die Seltenheit bildlicher Sprachmittel ; ein verzweigtes System der Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen der Aussage; die Häufigkeit von Partizipial-, Infinitiv- und Gerundialkonstruktionen 4 . Und weiter wörtlich: „Im wissenschaftlichen Stil wird die Äußerung des Individuellen völlig legitim. Aber es ist charakteristisch, daß man in bezug auf diesen Stil das Auftreten des Individuellen nur als eine zulässige, nicht aber als eine organische Eigenschaft bezeichnen kann" 5 . 1
2 3
4
M. N. Koiina, 0 specifike chudoiestvennoj i nauönoj reöi v aspekte funkcional'noj stilistiki, Perm' 1966, S. 265 f. A. N. Gvozdev, Oßerki po stilistike, Moskva 1952, S. 14. V. V. Vinogradov, Itogi obsuidenija voprosov stilistiki. Voprosy Jazykoznanija 1/1955, S. 82. I. R. Gal'perin, Recevye stili i stilistißeskie sredstva jazyka. Voprosy Jazykoznanija 4/1954, S. 79. 5 Ebd. S. 80 f.
Wesen der Fachsprachen
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F ü r V. G. Admoni und T. I. Sil'man sind in der wissenschaftlichtechnischen Literatur z. B. spezielle Termini und eine abstrakte Lexik konzentriert. Ins Auge fallen auch bestimmte grammatische Konstruktionen. Anderseits fehlen gewisse Wortbildungsmittel, z. B. Wörter mit Suffixen der persönlichen Wertung. Die grammatischen Formen treten nicht mit Ausschließlichkeit, sondern nur in besonderen Konstruktionen auf. So ist z. B. die häufige Verwendung des Passivs im Deutschen nicht nur für einen Zweig, sondern für die ganze Technik charakteristisch. Bei der Lexik, speziell der Terminologie, kann man schon eher von Ausschließlichkeit und fester Bindung an ein bestimmtes Gebiet sprechen 1 . N. Kozevnikova meint, die Funktion des wissenschaftlichen Denkens sei es, die Welt zu begreifen und sich anzueignen. Dabei werden Erkenntnisfakten in logische Begriffe umgesetzt, also in Kategorien ohne Expressivität und emotionale Ladung. Aus dem Beweis von Theorien, der Begründung von Hypothesen, der Mitteilung von Forschungsresultaten und der Systematik der Summe der Erkenntnisse ergebe sich der logische und abstrakte Charakter der wissenschaftlichen Rede 2. Eine interessante Quelle für Aussagen über die Sprache von Wissenschaft und Technik sind auch Publikationen, die der Sprachpflege dienen. Der Standpunkt vieler Redakteure wissenschaftlicher Zeitschriften, die eine große Verantwortung für die Sprachkultur tragen und deshalb geneigt sind, ihre Auffassungen als Forderungen zu formulieren, wird ebenfalls weitgehend von der stilistischen Betrachtung der Fachsprachen bestimmt. Allerdings geht diese schon öfter zur Behandlung konkreter Erscheinungen über. So finden wir z. B. bei G. J a . Solganik allgemeine Beobachtungen über die Sprache in wissenschaftlich-technischen Zeitschriften: maximale Informationssättigung, Gedrängtheit der Darstellung, Fehlen von schmückendem Beiwerk, neben der Erwähnung bestimmter formaler Mittel: Partizipialkonstruktionen an Stelle von Nebensätzen, Genitivketten, Häufung von Verbalsubstantiven, Zurücktreten des Verbs gegenüber dem Substantiv, Desemantisierung der Verben zur Kopula, Spaltung des Prädikats usw. 3 . 1
2
3
V. G. Admoni, T. I. Sil'man, Otbor jazykovych sredstv i voprosy stilja. Voprosy Jazykoznanija 4/1954, S. 94f. N. Koäevnikova, O funkcional'nych stiljach. Russkij Jazyk v Nacional'noj Skole 2/1968, S. 7. G. Ja. Solganik, Zametki o jazyke naucno-techniCeskich iurnalov. Russkaja Reö' 5/1967, S. 44-47.
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Bolle und Problematik der Fachsprachen
Auch M. P. Senkevic schickt seinen ausführlichen Hinweisen für die Arbeit des Verlagsredakteurs einige allgemeine Bemerkungen über den Platz des wissenschaftlichen Stils unter den Funktionalstilen voraus. Er verweist auf die Fülle von Faktenmaterial, genauen und gedrängten Informationen und darauf, daß den Inhalt wissenschaftlicher Mitteilungen die Beschreibung von Fakten, Gegenständen und Erscheinungen der Wirklichkeit, ihre Untersuchung und Erklärung ausmacht. Er sieht die Aufgabe des wissenschaftlichen Werkes im Beweisen bestimmter Thesen und Hypothesen, in der Argumentation, der präzisen und systematischen Darstellung der wissenschaftlichen Probleme. „Deshalb besteht die wissenschaftliche Prosa im wesentlichen aus einer Kette von Erörterungen und Beweisen. In wissenschaftlichen Arbeiten wird in einem strengen System logischer Urteile, die untereinander in kausalem Zusammenhang stehen, das Allgemeine, nicht das Vereinzelte, das Gesetzmäßige und nicht das Zufällige erschlossen" t. Unter Berufung auf S. I. K a u f m a n 2 u. a. führt er auch den logischen Charakter, die Objektivität, die Abstraktheit und die Exaktheit als Grundzüge des wissenschaftlichen Stils an und setzt sie mit den entsprechenden Mitteln des sprachlichen Ausdrucks in Beziehung. Daraus ergibt sich folgende Aufzählung: strenge Normung, Genauigkeit, Klarheit und Lakonik, Terminologisierung und Nominalität, Verwendung der Wörter in ihrer gegenständlich-logischen, konkreten Bedeutung, Unpersönlichkeit, monologischer Charakter der Aussage, Folgerichtigkeit, Abgeschlossenheit, Vollständigkeit, enge Beziehung zwischen den Teilen der Aussage, komplexe syntaktische Konstruktionen, komplizierte synsemantische Sätze mit Verbundwörtern (Konjunktionen, Pronomen, Adverbien usw.), Partizipial- und Adverbialpartizipialkonstruktionen, Aufzählungen u. a. 3 . Sehr konzis formuliert Ch. Bally: „. . . der Terminus auf dem Gebiet der Lexik und die Formel auf dem Gebiet der Syntax sind jene idealen Typen sprachlichen Ausdrucks, nach denen die Wissenschaftssprache strebt" 1
M. P. Senkeviö, Literaturnoe redaktirovanie nauenych proizvedenij, Moskva 1970, S. 33 f. 2 S. I. Kaufman, Nekotorye osobennosti stilja amerikanskoj techniceskoj literatury, Moskva 1959 (Kand. Diss.); andere Arbeiten Kaufmans s. in der 3 Bibliographie. Ebd. S. 35. '* Ch. Bally, Francuzskaja stilistika, Moskva 1961, S. 144.
Wesen der Fachsprachen
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Mit dem Blick auf gewisse Entwicklungstendenzen der wissenschaftlichen Prosa des Russischen in der Gegenwart schreibt O. A. Lapteva: „Der wissenschaftliche Stil zeichnet sich vor den anderen Funktionalstilen der russischen Gegenwartssprache dadurch aus, daß seine sprachlichen Charakteristika in starkem Maße definiert sind. Seine positiven und negativen Merkmale liegen sowohl im Bereich der eigentlichen Struktur (vgl. z. B. die obligatorischen langen Genitivketten und das völlige Fehlen von Dialogkonstruktionen usw.) als auch — und zwar vorwiegend — in der tatsächlichen Verteilung der sprachlichen Mittel auf die Sprechtätigkeit. Die Wissenschaftler haben oft als Besonderheiten des wissenschaftlichen Stils die große Zahl von Satzverbindungen und Satzgefügen mit konjunktionaler Verbindung, von Partizipial- und Gerundivkonstruktionen, von Sätzen mit direkter Wortfolge genannt und seinen nominalen Charakter, das Fehlen von Merkmalen der Expressivität und Emotionalität, die schwach ausgeprägte Modalität, die große mittlere Satzlänge usw. hervorgehoben. Wenn der Stil ein System ist, das die Tendenz zur Geschlossenheit h a t , dann besitzen die Stilmerkmale der wissenschaftlichen Prosa einen außerordentlich hohen Realisierungsgrad dieser Eigenschaft des Systems" K Lapteva nennt dann als Haupttendenzen, die der Forderung nach Objektivität Rechnung tragen sollen: die Eliminierung von Mitteln, die Emotionalität und Expressivität ausdrücken; den Ersatz der persönlichen Darstellung durch die unpersönliche; die Relativierung im Gebrauch der Verbformen; Veränderungen in den Funktionen verschiedener Satztypen und ihrer Strukturelemente; die Abneigung gegen die Verwendung lexikalischer Einheiten, die andere Stilmerkmale tragen oder in der allgemeinen Literatursprache mit einer konkreten Bedeutung auftreten; die Tendenz zur Vollständigkeit des Satzes (gegen Ellipsen u . a . ) ; die zunehmende Verdrängung der grammatischen Kongruenz durch die semantische und die Durchsetzung des logischen Prinzips in der Wortfolge. Bei einigen Sprachwissenschaftlern zeigt sich schon in der Diskussion des Jahres 1954 eine Abwendung von den, ja eine deutliche Stellungnahme gegen die nur allgemeinen Feststellungen der Stilistik, so bei J u . S. Soro1
O. A. Lapteva, Vnutristilevaja evoljucija sovremennoj russkoj naucnoj prozy. Razvitie funkcional'nych stilej sovremennogo russkogo jazyka, Moskva 1968, S. 126.
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
kin in seiner Polemik gegen A. N . Gvozdev u. a. Er fordert eine stärkere Berücksichtigung der konkreten Situation und des konkreten Sprachmaterials. Wir lassen ein längeres Zitat folgen: „ I n jeder beliebigen Sphäre der gesellschaftlichen Tätigkeit, in jedem beliebigen Genre der Literatur oder des Schrifttums können wir uns verschiedener Mittel bedienen, die uns die allgemeine Nationalsprache bereithält, und wir tun das praktisch auch. Wir wählen diese oder jene Mittel in jedem einzelnen Fall und gehen dabei nicht von abstrakten Forderungen des Genres aus, sondern berücksichtigen den konkreten Inhalt und den Zweck der Rede. Diese Auswahl wird bestimmt durch das Verhältnis derer, die sich der Sprache bedienen, zu dem betreffenden Inhalt, durch ihre jedesmal konkreten Vorstellungen von Zweck und Funktion der Rede. Deshalb wäre es richtiger, nicht von einem publizistischen, belletristischen, wissenschaftlichen usw. Stil zu sprechen, sondern von verschiedenen Prinzipien der Auswahl und der Verbindung der Wörter in belletristischen, publizistischen und wissenschaftlichen Werken einer bestimmten Epoche". Sorokin erläutert das am wissenschaftlichen Stil und schreibt: „Tatsächlich scheint dieser in bezug auf die Auswahl der sprachlichen Mittel auf den ersten Blick derjenige zu sein, der eine klare Sonderstellung einnimmt. Man sagt, der wissenschaftliche Stil sei durch die Auswahl besonderer Wörter und Ausdrücke charakterisiert — durch •die Spezialterminologie, logische oder ,intellektuelle Elemente der Sprache' . . . Es stimmt selbstverständlich, daß die Darstellung wissenschaftlicher Fragen ohne ein ausgeprägtes System spezieller Termini unmöglich ist. Aber die Existenz spezieller Termini für sich allein kann noch nicht den Charakter des wissenschaftlichen Stils ausmachen. Einerseits geht die Verwendung der wissenschaftlichen Terminologie weit über die wissenschaftliche Literatur hinaus. Anderseits wäre es eine starke Vereinfachung, die Dinge so darzustellen, als sei der wissenschaftliche Charakter der Darstellung einer Frage allein durch den Gebrauch einer besonderen Fachterminologie bestimmt. Weiter trifft es auch zu, daß die Hauptaufmerksamkeit bei der wissenschaftlichen Darstellungsweise auf die logische Seite des Dargestellten gerichtet ist. Aber ist der logische Aufbau der Darstellung nicht ein allgemeiner Vorzug dieses Stils? Deutlicher wäre eine rein negative Charakteristik der wissenschaftlichen Darstellungsweise, d. h. der Hinweis darauf, daß in wissenschaftlichen Werken wie auch in anderen .Sachdokumenten nicht die Sorge um eine bildhafte Verwendung des
Wesen der Fachsprachen
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Wortes, um eine Ausschmückung der Darstellung wesentlich ist. Aber erstens ist das Fehlen der Bildhaftigkeit und der Sorge um die Schönheit und Fülle der Darstellung gar kein obligatorisches Merkmal wissenschaftlicher Werke. Und zweitens läßt sich diese Besonderheit auch wieder nicht in den Rahmen rein sprachlicher Kategorien einfangen. Der wissenschaftliche Charakter der Darstellung wird in erster Linie vom Inhalt der Rede bestimmt, von ihrer allgemeinen Zielrichtung, vom Charakter und den Typen der Begriffs Verbindungen, von der Folgerichtigkeit im Ablauf der Darstellung, und ganz und gar nicht von abstrakten Normen der Auswahl sprachlicher Mittel" Daß Sorokin jedoch im Grunde die Existenz unterschiedlicher Stile in der russischen Sprache der Gegenwart verneint, erscheint uns — wie den meisten Teilnehmern an der Diskussion — stark übertrieben. Die Stilistik konnte auf die Dauer nicht bei der ständigen Wiederholung ihrer allgemeinen Feststellungen über den wissenschaftlichen Stil stehenbleiben. Da sie ihre Hauptaufgabe aber auch heute noch darin sieht, den Stil der künstlerischen Prosa zu analysieren, ist es ihr sehr zustatten gekommen, daß sich Vertreter der fachsprachlichen Ausbildung der Aufgabe zugewandt haben, wissenschaftliche Texte daraufhin zu untersuchen, in welchen Elementen und Formen die genannten stilistischen Züge wirklich zutage treten. Dazu liegt jetzt schon eine Reihe von Untersuchungen vor, deren Ergebnisse zum großen Teil Eingang in das vorliegende Buch gefunden haben 2 . Sehr übersichtlich zusammengefaßt sind die Positionen der Stilistik, was die Einordnung und Charakterisierung des wissenschaftlichen Stils als Funktionalstil betrifft, bei E. Riesel, deren Ansichten wir deshalb etwas ausführlicher wiedergeben. 1
2
Ju. S. Sorokin, K voprosu ob osnovnych ponjatijach stilistiki. Voprosy Jazykoznanija 2/1954, S. 74f. Am deutlichsten wird die Konkretisierung der stilistischen Untersuchungen zur wissenschaftlichen Prosa in den Sammelbänden des Lehrstuhls für Fremdsprachen der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, z. B. Osobennosti jazyka nauönoj literatury, Moskva 1965; Stilistiko-grammatiieskie öerty jazyka nauönoj literatury, Moskva 1970, aber auch in anderen Veröffentlichungen, z. B. Voprosy stilistiki, Saratov 1962, die in unserer Bibliographie aufgeführt sind. Große Verdienste um die genaue Untersuchung der Fachsprachen aus der Sicht der Funktionalstile haben sich auch Vertreter der fachsprachlichen Ausbildung in der CSSR erworben, die von den Prinzipien der Prager Schule ausgehen (L. Drozd, E. Benes, J. Filipec u. a.).
5 Fachsprache
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Eolle und Problematik der Fachsprachen
Die Existenz von Redestilen begründet sie mit R. A. Budagov 1 „durch die kommunikative Funktion (Verkehrsfunktion) der Sprache, durch deren Verwendung auf den verschiedensten Gebieten der menschlichen Tätigkeit" 2 , von der auch wir ausgehen. Sie unterscheidet fünf solche Stile: 1. den Stil des öffentlichen Verkehrs; 2. den Stil der Wissenschaft; 3. den Stil der Publizistik und der Presse; 4. den Stil des Alltagsverkehrs; 5. den Stil der schönen Literatur. Durch die weitere Berücksichtigung von Verständigungsweg (schriftlich oder mündlich) und Verständigungsart (monologisch oder dialogisch) ergibt sich für den „Stil der Wissenschaft" zunächst die folgende Kurzcharakteristik : „II. Stil der Wissenschaft schriftlich-monologisch (in wissenschaftlichen Publikationen aller Art); mündlich-monologisch (in wissenschaftlichen Vorlesungen und Vorträgen) ; mündlich-dialogisch (in wissenschaftlichen Debatten). Alle Erscheinungsformen des wissenschaftlichen Stils sind literatursprachlich genormt; auf mündlichem Weg oft literarisch-umgangssprachlich 3 ". Innerhalb eines jeden Funktionalstiles gibt es dann nach E. Riesel „eine größere oder kleinere Anzahl von Abarten mit gewissen Ausdrucksvarianten"; diese Abarten nennt sie „Gattungsstile" und versteht darunter „gleichfalls funktionale Verwendungsweisen der Sprache . . .", deren „Wirkungsgebiet geringer ist als das der funktionalen Stile selbst". Innerhalb des wissenschaftlichen Stils glaubt sie, „eine Reihe von Gattungsstilen nach der engeren Spezialisierung des Wissensgebiets" feststellen zu können, und meint: „Ohne Zweifel gibt es gewisse Unterschiede zwischen der sprachlich-stilistischen Fassung einer Arbeit auf gesellschaftswissenschaftlichem oder auf mathematisch-technischem Fachgebiet" 4 . Den „Stil der Wissenschaft" beschreibt E. Riesel dann ausführlicher wie folgt: „Da Wissenschaft und Technik dazu berufen sind, mit Hilfe sachlich-systematischer Beweisführung die Erkenntnis der Wirklichkeit und ihrer Gesetze zu vermitteln, muß die gesamte Ausdrucksgestaltung 1
R. A. Budagov, K voprosu o jazykovych stiljach. Voprosy Jazykoznanija 3/1954, S. 64. 2 E. Riesel, Stilistik der deutschen Sprache, Moskau 1959, S. 12. 3 Ebd. S. 14. 4 Ebd. S. 20.
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auf diesem Gebiet gesellschaftlicher Tätigkeit — alle lexischen, grammatischen und phonetischen Mittel in ein Ganzes vereinigt — unter dem Zeichen der Sachlichkeit und Logik, der Klarheit und F a ß barkeit stehen. Erst auf dem Boden dieser Wesensmerkmale kann Überzeugungskraft der Darstellung erwachsen. Die genannten Stilzüge des wissenschaftlichen Stils treten sowohl in seinen schriftlichen als auch in seinen mündlichen Erscheinungsformen zutage, sowohl in akademischen als auch in populärwissenschaftlichen und polemischen Schriften. Gewiß nimmt eine wissenschaftliche Vorlesung infolge ihrer mündlichen Darbietung bestimmte Züge lexikalischer und syntaktischer Auflockerung an, gewiß eignet den populärwissenschaftlichen Arbeiten und insbesondere der wissenschaftlichen Kampfliteratur ein Grad von Emotionalität, der einem akademisch-wissenschaftlichen Werk fremd ist. Gewiß unterscheiden sich die einzelnen Zweige der Wissenschaft durch manche Verschiedenheit in den stilistischen Zügen ihrer Sprachgestaltung (vgl. z. B. die Stilverschiedenheiten in linguistischen und mathematischen Abhandlungen). Dies alles zugegeben, sind doch die wesentlichen Stilzüge in sämtlichen Erscheinungsformen des wissenschaftlichen Stils die gleichen. Gemeinsam für alle Typen wissenschaftlicher Prosa ist auch die Verwendung außersprachlicher Hilfsmittel zur Unterstützung der sprachlichen Ausdrucksgestaltung: statistische Tabellen, Strichbilder, Diagramme, Skizzen usw. Zunächst über den Wortschatz im Dienst der Sachlichkeit und Logik, der Klarheit und Faßlichkeit. Die lexikalische Grundlage bildet die neutrale literarische Lexik ohne expressive Färbung in Verbindung mit funktional-stilistischer Lexik, d. h. mit deutscher oder fremdsprachiger Terminologie, mit Realienbezeichnungen und nichtterminologischen Klischees. Eine wissenschaftliche Arbeit ohne funktionalstilistische Lexik ist undenkbar; denn insbesondere Termini und Realienwörter helfen, den Sachverhalt eindeutig und sprachökonomisch auszudrücken . . . Ohne Zweifel müssen im wissenschaftlichen Stil — seiner Thematik entsprechend — die Substantive (und besonders solche, die abstrakte Begriffe ausdrücken) stark vertreten sein . . . Charakteristisch für den Stil der Wissenschaft ist der Einschluß von Belegstellen aus anderen Werken. Hier handelt es sich um wichtiges Beweismaterial, das die Ansichten des Schreibenden bekräftigt, oder 5*
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auch um Aussprüche von Fachgelehrten, die der Autor als unrichtig oder strittig hinstellt . . . Durch stark expressive Lexik kann die Objektivität einer akademischwissenschaftlichen Arbeit beeinträchtigt werden; die persönliche Einstellung zum Gegenstand der Untersuchung muß vor allem aus dem sachlich dargelegten Gedankenverlauf hervorgehen. Emotional gefärbte Wörter und Wendungen . . . haben nur dort Berechtigung, wo sie an dieser oder jener Stelle f ü r die Entwicklung der Beweisführung unerläßlich sind . . . Dialektismen, Argotismen, Vulgarismen widersprechen den Normen des wissenschaftlichen Stils . . . Einen festen Platz im wissenschaftlichen Stil haben sich die Mittel der Bildlichkeit erobert; sie sind kein Schmuck der Rede, sondern ein Mittel der Erkenntnis und besseren Einprägung . . . Auch der grammatische Bau des wissenschaftlichen Stils muß der Forderung nach Logik, Klarheit und leichter Faßbarkeit nachkommen. Wenn Passivkonstruktionen in der Alltagssprache gemieden werden, so gehören sie im wissenschaftlichen Stil zu den unentbehrlichen Mitteln der objektiven, logischen Darstellung. Selbstverständlich herrscht der Aussagesatz vor . . . Fragesätze sind ein charakteristisches Merkmal der Syntax im wissenschaftlichen Stil. Einmal sind es rhetorische Fragen, die unmißverständlich als getarnte Aussagesätze zu werten sind . . . Zum anderen (und bedeutend häufiger) sind es Fragen, auf die sofort die Antwort erfolgt . . . Die wissenschaftliche Prosa gebraucht Parallelismus und Antithese, Aufzählung und Wiederholung, also die gleichen Mittel, die in anderen Stilen als lexische und grammatische Mittel der Emotionalität auftreten, im Dienst der Sachlichkeit, Logik und leichten Faßbarkeit . . . Große Bedeutung kommt im wissenschaftlichen Stil der richtig angewandten Hypotaxe zu. Unterstützt durch die entsprechenden unterordnenden Konjunktionen, verhilft sie, das Gesagte logisch zu gliedern und übersichtlich zu machen . . . Große Bedeutung gebührt den architektonischen Mitteln im Dienst von Sachlichkeit, Logik, Klarheit und Faßbarkeit, das heißt, den Mitteln der Gliederung im wissenschaftlichen Text . . . Wenn schon die Verbindung einzelner Sätze durch treffende Konjunktionen und Adverbien dazu verhilft, kausale, konzessive, temporale, modale und andere Zusammenhänge zu erfassen, so gilt dies noch in höherem Maße
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für die Verbindung ganzer architektonischer Einheiten innerhalb des Sprachganzen . . . Dank einer logischen sprachlich-architektonischen Gliederung gelingt es dem Verfasser, zusammen mit seinen Lesern oder Hörern schrittweise Problem um Problem zu klären" Wir haben hier so ausführlich zitiert, weil dieses Kapitel in E. Riesels Buch ein ausgezeichnetes Beispiel für das stilistische Herangehen an die Fachsprachen ist. Wir hätten allerdings auch entsprechende Passagen bei I. R. Gal'perin, A. N. Gvozdev, R. G. Piotrovskij 2 oder anderen anführen können, die Quintessenz wäre dieselbe gewesen: Sachlichkeit, Logik, Klarheit und Faßlichkeit, veranschaulicht vor allem durch Beispiele aus Lexik und Syntax. Zunächst sei unumwunden festgestellt, daß die Aussagen der Vertreter der funktionalen Stilistik, was ihre Einzelbeobachtungen angeht, fast ausnahmslos zutreffen. Wir akzeptieren sie also und berücksichtigen sie auch bei unserer Darstellung der Spezifik der Fachsprachen. Auch die allgemeine Beurteilung des „wissenschaftlichen Stils" aus der Konfrontation mit den anderen Funktionalstilen, besonders mit dem „Stil der schönen Literatur", ist für die Stilistik ein bedeutender Fortschritt, auch wenn darin — ähnlich wie in vielen Definitionen des Fachterminus — mehr (Ideal-)Forderungen als Realitäten zum Ausdruck kommen; spricht daraus doch die Erkenntnis, daß die Sprache als Kommunikationsmittel in jedem Sprechakt einem bestimmten gesellschaftlichen Ziel dient und, um dieses zu erreichen, ganz bestimmte sprachliche Mittel einsetzt. Es wäre also nicht verwunderlich und auch nicht abwegig, gingen wir an unsere Problematik „Fachsprachen" aus der Sicht der funktionalen Stilistik heran. Wir t u n das nicht; dafür gibt es folgende Gründe: 1. Die Definition des Gegenstandes der Stilistik und auch ihre Position zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft sind ungeklärt 3 . Es über1
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3
Ebd. S. 427—436. Wir haben all die Stellen aus dem Zitat ausgelassen, die uns für unsere Absicht zu sehr ins Detail gehen oder der Illustration für die deutsche Sprache dienen. I. R. Gal'perin, OCerki po stilistike anglijskogo jazyka, Moskva 1958; A . N . Gvozdev, Oierki po stilistike russkogo jazyka, Moskva 1955; R. ß. Piotrovskij, Oöerki po grammatiöeakoj stilistike francuzskogo jazyka, Moskva 1956. Das war vor zwanzig Jahren bei der großen Diskussion in der Zeitschrift Voprosy Jazykoznanija 1954/55 so; s. besonders die Beiträge von V. V. Vinogradov, Itogi obsuidenija voprosov stilistiki. Voprosy Jazykoznanija 1/1954; R. G.
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wiegt bei weitem das Interesse an der künstlerischen Literatur, an der Verwendung einiger spezieller sprachlicher Mittel (Archaismen, Historismen, Neologismen; Argotismen, Vulgarismen, Jargonismen; Vergleiche, Metaphern, Tropen; Periphrasen, Epitheta; Expressivität, Emotionalität, Bildhaftigkeit usw.) und am Individualstil. Auch die meisten Fragen der Klassifizierung sind nicht einheitlich bzw. eindeutig beantwortet. W i r haben es mit einem betont sprachwissenschaftlichen Anliegen zu t u n : Gegenstand unserer Untersuchungen sind a l l e Phänomene der fachsprachlichen Kommunikation auf allen sprachlichen Ebenen. Das Ziel ist die Erfassung und geschlossene Darstellung der sprachlichen Mittel, deren sich die einzelnen Fachdisziplinen bedienen, um ihre speziellen Aufgaben zu bewältigen. 2. Die Stilistik strebt danach, sich zu einer eigenen Wissenschaft oder zumindest zu einer selbständigen Disziplin innerhalb der Sprach- oder Literaturwissenschaft zu entwickeln 1 . U n s e r e fachsprachliche Forschung ist ein Teilgebiet der angewandten Sprachwissenschaft und wird immer sowohl eine enge Kooperation mit deren anderen Teilgebieten als auch mit der Sprachtheorie nötig haben. 3. Die Stilistik neigt dazu, den Stil und besonders den Funktionalstil der Wissenschaft als geschlossenes System zu betrachten 2 , während w i r die Fachsprachen als ausgesprochen offene Systeme oder einfacher: als sich ständig entwickelnde und vervollkommnende Gesamtheiten sprachlicher Mittel ansehen. 4. Die Methoden der Stilistik sind sehr unterschiedlich und führen deshalb auch zu unterschiedlichen, d. h. schwer vergleichbaren, Ergebnissen. In vielen Arbeiten dominiert das Reflektieren über allgemeine Kategorien, die dann durch Beispiele aus dem sprachlichen Text veranschaulicht werden. Das Allgemeine steht vor und über dem Piotrovskij, O nekotorych stilistiieskich kategorijach. Voprosy Jazykoznanija 1/1954; das hat sich auch bei jüngeren Tagungen gezeigt; vgl. dazu Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Dr. Theodor Neubauer Erfurt/Mühlhausen, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 7(1970) H. 2. 1 Vgl. die These von der eigenen sprachlichen Ebene bei I. R. Gal'perin, Javljaetsja Ii stilistika urovnem jazyka? Problemy jazykoznanija, Moskva 1967, S. 198-202. ? O. A. Lapteva, Vnutristilevaja ¿voljucija sovremennoj russkoj naucnoj prozy. Razvitie funkcional'nych stilej sovremennogo russkogo jazyka, Moskva 1968, S. 126.
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Konkreten. Bei Einzeluntersuchungen fehlen noch oft Angaben über die Reliabilität, Signifikanz oder Relevanz der Resultate. Auch hier beruhen viele Aussagen auf einfachen Beispielsammlungen, mit denen Hypothesen belegt werden sollen. Die Interpretation der Ergebnisse wirkt zuweilen recht subjektiv. W i r verwenden in der fachsprachlichen Forschung exakte linguistische, z. T. von anderen Wissenschaften entlehnte Methoden, vor allem statistische und strukturelle. Der Weg führt dabei von der Analyse konkreter Texte zu Registern der darin verwendeten sprachlichen Mittel und dann über den Vergleich mit anderen Registern zu allgemeineren Aussagen. Erst wenn auf diese empirisch-induktive Weise verallgemeinerungswürdige Erkenntnisse gewonnen worden sind, wird deren Gültigkeit in anderen Texten überprüft, ohne daß dabei immer wieder der mühsame empirisch-induktive Weg beschritten werden muß. Ergebnis der genannten Vergleiche ist aber nicht nur das Allgemeine, also z. B. das, was für die Fachsprachen oder für den „wissenschaftlichen Stil" schlechthin gilt, sondern zugleich das Spezielle, d. h. das nur für die einzelne Fachsprache Gültige. Der letzte Schritt ist dann die funktionale Interpretation als Teil der Verallgemeinerung. 5. Die Stilistik, besonders die sogenannte „praktische Stilistik", nimmt oft präskriptiven Charakter an. Sie wertet, was gut und was schlecht, was angemessen und was unangemessen ist. Sie setzt Normen und greift dadurch in die Sprachpflege ein („aktive Stilistik"). Das mag angehen, solange es sich um die Muttersprache handelt. Eine fremdsprachige Stilistik kann sich nur an den gültigen Normen orientieren und die Lernenden zu deren Beachtung anhalten. Fachsprachliche Untersuchungen, vor allem wenn sie — wie in u n s e r e m Falle — an Fremdsprachen durchgeführt werden, tragen einen rein beobachtenden, registrierenden Charakter. Gewisse Berührungspunkte haben sie lediglich mit der analytischen Stilistik, wenn es um semantische Fragen (Synonymie u. ä.) geht. Muttersprachliche Arbeiten über Fachsprachen können natürlich präskriptive Tendenzen haben 1 . Versuche dieser Art für fremde Sprachen, wie sie z. B. in der Terminologienormung unternommen wurden 2 , haben eher Erfolg gehabt. 1
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Siehe z. B. M. P. SenkeviC, Literaturnoe redaktirovanie nauönych proizvedenij, Moskva 1970. E. Wüster, Internationale Sprachnormung in der Technik, 3. Aufl. Bonn 1970.
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Sie wurden aber von Fachleuten, nicht von Vertretern der Stilistik unternommen. 6. Die Stilistik wertet den Sprachgebrauch vor allem vom ästhetischen Standpunkt und vielleicht noch von der Wirkung her. Die fachsprachliche Forschung interessiert in erster Linie ihre Wirkung, und zwar im Sinne der Zweckmäßigkeit, wobei sich durchaus eine neue Vorstellung von „Schönheit" — etwa im Sinne der Mathematik — entwickeln kann. 7. Die Stilistik hat es auf Grund ihrer bisherigen Einteilung in Funktionalstile schwer, alle fachsprachlichen Bereiche zu einer Einheit zusammenzufassen. Vieles von dem, was uns interessiert, läßt sich nicht unter dem Begriff „wissenschaftlicher Stil" erfassen, und auch für die Wissenschaft im engeren Sinne des Wortes bleibt innerhalb der vorgegebenen Merkmale zu wenig Spielraum. 8. Die konkreten Gemeinsamkeiten der einzelnen Fachsprachen sind viel zu wenig zahlreich, als daß man diese zu einem Funktionalstil zusammenfassen und sie selbst als „Abarten" oder „Gattungsstile" behandeln könnte. Wir sind also nicht der Auffassung wie z. B. W. Fleischer, daß mit dem Terminus „Fachsprache" entweder „Fachwortschatz" oder „Fachstil" gemeint sei und „Fachstil" dem funktionalen Stiltyp der Wissenschaft entspreche 1 , obwohl auch für uns die Sprache von Wissenschaft und Technik im Vordergrund steht; hier werden einfach alle Fachgebiete ausgelassen, die in das Anwendungsfeld der Wissenschaften bzw. in bestimmte Gebiete der materiellen Produktion fallen und deren Sprachgebrauch nicht ausschließlich dem „Stil des Alltagsverkehrs", der „Werkstattsprache" oder wie man es immer nennen mag zuzuweisen ist. Um es anders zu sagen: Die Stilistik ist, auch wenn sie es nicht immer eindeutig so formuliert, der Auffassung: Fachsprache i s t (ein) F u n k tionalstil oder es gibt keine. Dazu muß es kommen, wenn m a n an den Anfang eine Klassifizierung stellt, zudem eine Klassifizierung mit sehr wenigen Klassen, und dann alles, was Sprache ist, in diesem Schema unterzubringen sucht. Dadurch wird der Fortschritt, der in der Stilistik 1
W. Fleischer, Grundfragen der Stilklassifikation unter funktionalem Aspekt. Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Dr. Theodor Neubauer Erfurt/Mühlhausen, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 7 (1970) H. 2, S. 26; ders., Zur stilistischen Charakterisierung wissenschaftlicher Texte in der deutschen Gegenwartssprache. Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 19 (1970) H. 2, S. 319.
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durch die Anerkennung der Funktionalstile erzielt worden ist, in sein Gegenteil verkehrt. Wir sind der Meinung: Fachsprachen h a b e n Stil, aber durchaus keinen einheitlichen. Gemeinsam sind ihnen nur sehr allgemeine Züge und eine Reihe von Einzelmerkmalen. Das werden wir auf Grund der großen Materialsammlung, die uns inzwischen zur Verfügung steht, nachzuweisen suchen. I m übrigen lohnt es sich nicht, über diese unterschiedlichen Auffassungen zu streiten. Stilistik und fachsprachliche Forschung befinden sich sofort auf gemeinsamem Boden, sobald sie ein Stück fachsprachlicher Kommunikation mit exakten Methoden untersuchen müssen. So spielen statistische Verfahren in beiden Richtungen eine immer größere Rolle. Dabei gelangt man hier wie da zu denselben Ergebnissen, nämlich zu Aussagen über die (signifikante) Häufigkeit bestimmter sprachlicher Phänomene. Und auch bei deren Interpretation trennen sich die Wege selten wieder. Man kann aus diesem Grunde gerade bei der Untersuchung von Fachtexten die teilweise Vereinigung zweier Strömungen erkennen, deren Unterschiede sich aus ihrer Entstehung und aus ihrer Gesamtzielstellung ergeben. Besonders deutlich wird das bei einigen Angehörigen der zweiten Generation der Prager Schule 1 . Es führt ein ziemlich direkter Weg von den berühmten Thesen des Prager Linguistenkreises, und zwar von These 1, wo die Sprache aus funktionaler Sicht als System von Ausdrucksmitteln charakterisiert wird, das irgendeinem bestimmten Ziel dient 2 , über B. Havraneks funktionale Differenzierung der Schriftsprache 3 beispielsweise zu E. Beneäs Typologie der Stilgattungen der wissenschaftlichen Prosa 4 und ähnlichen Untersuchungen. Beginnen wir mit B. Havranek. Zunächst finden wir bei ihm vieles, was den eben skizzierten Grundpositionen der funktionalen Stilistik ähnelt oder gleicht. Das ist nicht überraschend, denn nicht umsonst 1
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Wir bezeichnen hier als zweite Generation den Kreis von Linguisten und Sprachlehrern, der nach Beendigung des 2. Weltkrieges die Traditionen des 1926 von V. Mathesius und R. Jakobson gegründeten Cercle linguistique de Prague wieder aufgenommen hat; vgl. Prazskij lingvistiieskij kruiok, Moskva 1967. Praiskij lingvistißeskij kruiok, Moskva 1967, S. 17. B. Gavranek, Zadaii literaturnogo jazyka i ego kultura. Praiskij lingvistiieskij kruiok, Moskva 1967, S. 338—377; ders., O funkcional'nom rassloenii literaturnogo jazyka, ebd. S. 432—443. E. Benes, Zur Typologie der Stilgattungen der wissenschaftlichen Prosa. Deutsch als Fremdsprache 3/1969.
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wird die Lehrmeinung der Prager Schule als „funktionale Linguistik" i bezeichnet, und natürlich hat sich daraus auch eine „funktionale Stilistik" entwickelt, der wir aber hier nicht weiter nachgehen. Für unsere fachsprachlichen Untersuchungen sind vor allem Havräneks Gedanken über die funktionalen Unterschiede in der Schrift- bzw. Literatursprache anregend. Der Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung: „. . . Die Auswahl der sprachlichen Mittel in konkreten sprachlichen Aussagen hängt vom Ziel der Aussage a b : Sie ist auf die Funktion der Aussage gerichtet" 2 . Diese Feststellung erfährt jedoch sofort eine wichtige Ergänzung: „Aber wie vielfältig die Mittel der funktionalen und stilistischen Differenzierung, vor allem die syntaktischen und lexikalischen, auch sein mögen, von Bedeutung sind nicht nur der Bestand an unterschiedlichen Wörtern und grammatischen Formen, sondern auch die verschiedenen Verwendungsweisen der sprachlichen Mittel oder ihre spezielle Anpassung an unterschiedliche Aufgaben der Literatursprache " 3 . Wir werden später an diesen Grundgedanken erinnern. Über die Kategorie der „Intellektualisierung", die f ü r ihn eine der wichtigsten speziellen Verwendungsweisen sprachlicher Mittel ist, gelangt Havranek zur „wissenschaftlichen Sprache". Unter Intellektualisierung versteht er dasselbe, was die Stilistik dem „wissenschaftlichen Stil" zuschreibt: Genauigkeit, Objektivität, Abstraktheit, Bestimmtheit, kurz das, was die Wissenschaft befähigt, ihre gesamte gedankliche Kompliziertheit sprachlich zum Ausdruck zu bringen, möglichst so, daß sich die Termini den logischen Begriffen und die Sätze den logischen Urteilen nähern''1. Was die sprachlichen Mittel angeht, die uns berechtigen, die „wissenschaftliche Sprache" als eine besondere „funktionale Sprache" anzusehen, so beschränkt sich Havränek auf einige Hinweise zur Lexik bzw. zur Terminologie und zur Syntax, die f ü r uns keine neuen Einsichten mit sich bringen. Wesentlich f ü r unsere weiteren Überlegungen zu den Fachsprachen ist jedoch seine Klassifizierung der Funktionen der Literatursprache und der entsprechenden „funktionalen Sprachen". E r unterscheidet vier 1
B. N. Kondraäev, Vorwort zu Praiskij lingvistifceskij kruzok, Moskva 1967, S. 15; V. Skaliöka, Kodansk^ Strukturalismus a praiskä äkola. Slovo a slovesnost 10/1948, S. 142. 2 B. Gavranek, Zadafii literaturnogo jazyka i ego kul'tura. Praiskij lingvistiöeskij kruiok, Moskva 1967, S. 346. 3 Ebd. S. 349. Ebd. S. 349 f.
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Funktionen: 1. die kommunikative, 2. die praktisch spezielle, 3. die theoretisch spezielle, 4. die ästhetische. Die ersten drei faßt er als Sprache der Mitteilungen zusammen, während die vierte eine gewisse Sonderstellung einnimmt. Den vier Funktionen sind vier „funktionale Sprachen" zugeordnet: 1. die Alltagssprache, 2. die Sachsprache, 3. die wissenschaftliche Sprache, 4. die poetische Sprache 1 . Man kann über diese Klassifikation unterschiedlicher Auffassung sein. Havränek selbst erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und End-gültigkeit. Unglücklich erscheint uns die — zumindest terminologische — Beschränkung der „kommunikativen Funktion" auf die „Alltagssprache", da wir den Begriff der Kommunikation wesentlich weiter fassen. Die Berechtigung dazu glauben wir durch unsere einleitenden Bemerkungen zu Inhalt, Umfang und Mitteln der fachsprachlichen Kommunikation nachgewiesen zu haben. F ü r die fachsprachliche Forschung bietet diese Klassifikation zwei Aspekte, die der stilistischen Konzeption fremd sind: 1. Schon in einer früheren Bemerkung über die Kategorie der „Bestimmtheit" im Zusammenhang mit der „Intellektualisierung" der •sprachlichen Mittel hatte Havränek auf eine Art Graduierung in der Ausprägung dieses Merkmals hingewiesen und sie dazu benützt, •den Unterschied zwischen den „funktionalen Sprachen" deutlicher zu machen, indem er folgende Rangordnung aufstellte: Verständlichkeit ^ Alltagssprache — Bestimmtheit ^ „Arbeitssprache" 2 — Exaktheit ^ wissenschaftliche Sprache 3 . Daraus ergibt sich eine gewisse Annäherung zwischen „Sach-" oder „Arbeitssprache" einerseits und „wissenschaftlicher Sprache" anderseits und gleichzeitig eine schärfere Abgrenzung beider gegenüber der Alltagssprache und der Dichtersprache (poetischen Sprache). I n der Typologie E. Beness führt das zu einer weitgehenden Zusammenfassung unter der Bezeichnung „Sachstil", bei der allerdings eine sekundäre Unterteilung in „praktischen Sachstil" und „wissenschaftlichen Sachstil" erhalten bleibt 4 . I m Grunde ist all das bei Havränek vorgegeben, der in einem ¿anderen Aufsatz davon gesprochen hat, daß im Sinne einer binären Opposition „Alltagsschicht: spezielle Schicht" die beiden speziellen 1 2 3 4
Ebd. S. 356. Darunter versteht er die Sprache von Verwaltung, Handel, Journalistik usw. Ebd. S. 352. E. Benes, Zur Typologie der Stilgattungen der wissenschaftlichen Prosa. Deutsch als Fremdsprache 3/1969.
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Schichten ein einheitliches Glied seien1. Wir könnten die zweite und dritte recht gut zur fachlich-kommunikativen Funktion zusammenfassen; damit hätten wir auch — noch immer im Sinne der Prager Schule — das Hauptkriterium für die Definition und Abgrenzung der Fachsprachen. Die Kurzcharakteristiken, die Havränek den beiden genannten „funktionalen Sprachen" beigibt, zeigen ihre (primären) Gemeinsamkeiten und zugleich ihre (sekundären) Unterschiede schon recht gut: Sachsprache — einheitliche Semantik; die Relation zwischen lexikalischen Einheiten und Bezeichnetem ist durch den Usus bestimmt (Wort-Terminus); die Aussage ist relativ selbständig; Bestimmtheit, die durch die Automatisierung der berufsspezifischen sprachlichen Mittel (Termini und Formeln) determiniert ist; Wissenschaftssprache — einheitliche Semantik; die Relation zwischen lexikalischen Einheiten und Bezeichnetem ist exakt (Wort-Begriff); die Aussage ist vollständig; Exaktheit, die durch definierte oder kodifizierte Automatisierung bedingt ist 2 . 2. Havränek spricht in seiner Klassifikation von „funktionalen Sprachen" und nicht von „funktionalen Stilen", die er gesondert erwähnt und ganz anders einordnet, als wir es bisher von der (funktionalen) Stilistik gewöhnt sind. Er zählt folgende Funktionalstile auf: A. J e nach dem konkreten Ziel der Aussage : 1. praktische Mitteilung, 2. Aufforderung (Aufruf), 3. allgemeine Darlegung (populäre), 4. spezielle Darlegung (Erklärung, Beweis), 5. kodifizierende Formeln. B. J e nach der Ausdrucksart: intim — öffentlich, mündlich — schriftlich, mündlich: 1. intim: (Monolog) — Dialog, 2. öffentlich: Rede — Diskussion, 1
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B. Gavranek, O funkcional'nom rassloenii literaturnogo jazyka. Praiskij lingvistiteskij kruiok, Moskva 1967, S. 436. B. Gavranek, Zadadi literaturnogo jazyka i ego kul'tura. Praiskij lingvisticeskij kruiok, Moskva 1967, S. 365.
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schriftlich: 1. intim, 2. öffentlich: a) Erklärung, Anzeige, b) Zeitungsartikel, c) Buch. 1 Vergleicht man die beiden Klassifikationen miteinander, so erkennt man zwar gewisse Grundzüge der ersten in der zweiten wieder, aber es gibt keine Kongruenz. Man könnte eher sagen: Die Klassifikation der Funktionalstile ist eine Spezifizierung der Klassifikation der Funktional sprachen. Betrachtet man dagegen die Funktionalstile bei E. Riesel und den anderen Vertretern dieser Richtung der Stilistik, so ergibt sich eine weitgehende Übereinstimmung mit B. Havräneks Funktionalsprachen (sieht man davon ab, daß der funktionale Stil der Publizistik und der Presse — sicher zu Recht — aus der Sachsprache herausgenommen und zu einem eigenen Stil erklärt worden ist), d. h., für „Sprache" wird einfach „Stil" gesetzt.Das ist u. E. eine unzulässige Substitution der Merkmale f ü r die Sprache selbst, ganz in dem Sinne, wie wir schon einmal formuliert haben: Sprache i s t nicht, sondern h a t Stil. Havr&nek hat sich selbst zum Unterschied zwischen Funktionalsprache und Funktionalstil geäußert: „Es gibt die Meinung, daß die funktionale Schichtung der Literatursprache mit den stilistischen Unterschieden identisch sei, daß man an Stelle von funktionaler ,Sprache' (entspr.: Dialekt) von funktionalem Redestil oder einfach von Sprachstil reden könne 2 . Einer solchen Auffassung kann ich nicht zustimmen . . . Der Sprachstil ist eine spezifische Erscheinung, die in der sprachlichen Aussage existiert, aber in der sprachlichen Struktur ist sie im Gegensatz zu deren anderen Bestandteilen potentiell nicht enthalten. Ich habe den Stil schon als ,individualisierende' (spezifische) Organisation des strukturellen Sprachganzen, das jede sprachliche Äußerung ist, definiert. Heute . . . würde ich in dieser Definition den Terminus ,individualisierend' durch das Wort signalisierend' ersetzen und den Stil folgendermaßen definieren: ,singularisierende Organisation des sprachlichen Ausdrucks (der sprachlichen Aussage) als E i n h e i t ' . . . " 3 . 1 Ebd. S. 366. 2 HavrAnek denkt dabei vor allem an J. M. Korinek, TCLP, 6, S. 28; Slovo a slovesnost VII/1941, S. 29. 3 B. Gavranek, O funkcional'nom rassloenii literaturnogo jazyka. Praiskij lingvistiöeskij kruiok, Moskva 1967, S. 437.
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Auf Havraneks anschließende Erörterungen zur Stilistik, etwa die Unterscheidung zwischen „Individualstil" bzw. „subjektivem Stil" (bedingt durch den individuellen Geschmack) und „Funktionalstil" bzw. „objektivem Stil" (bedingt durch Ziel und Situation), können wir hier nicht weiter eingehen. Noch deutlicher formuliert Havr&nek den Unterschied zwischen „funktionaler Sprache" und „funktionalem Stil" an anderer Stelle, wo er schreibt: „Der Unterschied zwischen funktionaler Sprache und funktionalem Stil besteht in folgendem: Der funktionale Stil wird durch das konkrete Ziel dieser oder jener Aussage bestimmt und ist eine Funktion der Aussage, d. h. der „Rede" (parole); die funktionale Sprache dagegen wird von den Gesamtaufgaben des normativen Komplexes sprachlicher Mittel bestimmt und ist eine Funktion der Sprache (langue). Bei einer sprachlichen Aussage haben wir es folglich mit funktionalen Sprachen in verschiedenen Typen funktionaler Stile zu t u n " 1 . Diese Auffassung teilen wir im wesentlichen, da für uns nicht die sprachliche Gestaltung der einzelnen Aussage, sondern der gesamte „normative Komplex" sprachlicher Mittel in den einzelnen Fachsprachen Untersuchungsgegenstand ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß wir bei der Verwendung statistischer Methoden von einer Vielzahl einzelner sprachlicher Aussagen als Materialbasis ausgehen. Die Mittelwerte, die sich daraus ergeben, charakterisieren die Fachsprachen, den normativen Gebrauch ihrer sprachlichen Mittel, im ganzen, ebenso wie das die qualitativen Merkmale tun. Dabei kommt es uns nicht so sehr darauf an, ob diese Charakteristik nur als Aussage über die Rede (parole) oder auch als Aussage über die Sprache (langue) gewertet wird, da das Verhältnis zwischen diesen beiden Grundkategorien der Sprachwissenschaft seit Saussure sehr unterschiedliche Deutungen erfahren h a t 2 . Für die Fachsprachen, speziell für die wissenschaftliche Prosa des Deutschen, sind die Gedanken Havraneks vor allem von E. Benea weiterentwickelt worden 3 . Er t u t auch terminologisch den Schritt 1
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B. Gavranek, Zadaci literaturnogo jazyka i ego kul'tura. Prazskij lingvistiöeskij kruiok, Moskva 1967, S. 366. V. Ja. Myrkin, Razliönye tolkovanija sootnosenija jazyk : rec'. Inostrannye Jazyki v Skole 1/1970. Siehe besonders E. Benes, Zur Typologie der Stilgattungen der wissenschaftlichen Prosa. Deutsch als Fremdsprache 3/1969.
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von der „wissenschaftlichen Sprache" zur „Fachsprache" bzw. „Fachprosa" und sieht das Verhältnis zwischen Fachprosa und Fachstil s o : „Unter ,Fachprosa' verstehe ich die Textmenge, in der sich die F a c h sprache' als Teil- und Untersystem der Sprache realisiert. Die Textgestaltung selbst besteht, rein sprachlich gesehen, in Auswahl, Anwendung und eventuell auch Anpassung der Systemmittel der Sprache. Wenn das der Textgestaltung zugrunde liegende Prinzip als Stil bezeichnet wird, dann könnten wir noch vom sprachlichen Stil der Fachprosa oder vom Fachstil sprechen. Der Fachstil ist demnach das Prinzip der sprachlichen Organisation der Texte der Fachprosa mit Hilfe der Ausdrucksmittel der Fachsprache" 1 . Das heißt nichts anderes, als daß die Fachsprachen — wie übrigens alle anderen Funktionalsprachen — in der aktuellen sprachlichen Äußerung, im Text, einen bestimmten Stil annehmen, den Fachstil. Dieser Fachstil ist durchaus nicht einheitlich, obwohl er gewisse durchgehende Grundzüge besitzt, die uns die funktionale Stilistik bereits genannt hat. Auf Grund der in Fachtexten auftretenden stilistischen Unterschiede hat E. Benes eine Typologie der Stilgattungen entwickelt, die uns die Möglichkeit gibt, jeden Fachtext an bestimmten Kriterien zu messen und ihn dann zu klassifizieren. Wenn wir auch mit einigen Entscheidungen Beneäs, besonders was die Aufteilung der einzelnen Fachgebiete bzw. Kommunikationsbereiche auf den wissenschaftlichen Sachstil und den praktischen Sachstil betrifft, nicht einverstanden sind, so geben wir hier doch sein synoptisches Schema wieder und nennen auch seine Klassifikationskriterien f ü r den Sachstil, weil dies der erste uns bekannte Versuch ist, zu einer systematischen Methode der Stilklassifizierung auf fachsprachlichem Gebiet zu finden. Die vier Kriterien für die Klassifizierung von Fachtexten sind: 1. Kommunikationsbereich und Themenkreis, 2. Fachlichkeitsgrad, 3. Medium der Mitteilung, 4. Art der Stoffbehandlung. Hinter jedem dieser Kriterien steht eine Gruppe von „Deskriptoren", die eine typologische Einordnung und zugleich eine verbale Charakterisierung jedes Textes möglich machen. Sehen wir uns dieses System etwas näher a n :
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Ebd. S. 226.
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1.
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Kommunikationsbereiche: Dichtung
wissenschaftlicher Sachstil
praktischer Sachstil
Kunstkritik Kunstwissenschaft Geschichtswissenschaft andere Gesellschaftswissenschaften: Philosophie, Soziologie, Ökonomik, Rechtswissenschaft, Sprachwissenschaft, Psychologie Logik Naturwissenschaften: Biologie, Geologie, Chemie Physik, Mathematik Zoologie, Botanik, physikalische Geographie, Astronomie Angewandte Naturwissenschaften: Medizin, Landwirtschaft technische Wissenschaften militärische Wissenschaften Wirtschaft, Technik, Militär Handwerk u. a. praktische Tätigkeiten, Sport, verschiedene Liebhabereien Konversation
2. Fachlichkeitsgrad: Einstellung zum Empfänger: Forscherstil (Monographien, Zeitschriftenaufsätze, die tiefe Fachkenntnis voraussetzen) Belehrender Stil (Einführungen, Zusammenfassung der Ergebnisse) Stil der Lehrbücher (Kompendien, Aufrisse, Grundrisse) Lexikonstil Nachschlagebücher und Wegweiser (Übergang zum praktischen Sachstil) Populärwissenschaftlicher Stil. Essayistik Randzone der Sachprosa ist der Stil der Publizistik
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3. Medium der Mitteilung: Sachstil vorwiegend graphisch. Kompositionsgliederung durch Absätze, Titel, Zwischentitel, Marginalien (Anmerkungen, R a n d b e merkungen), Numerierung. Ausdrucksökonomie durch Ziffern, Abkürzungen, Zeichen. Unterscheidung der Textwichtigkeit durch verschiedene Schrifttypen; Parenthesen, F u ß n o t e n , Hinweise und Erläuterungen. Tabellen, Graphen, Illustrationen. Sonderform der geschriebenen Sachprosa ist der offizielle Briefstil. Diese drei Kriterien erfassen die stilbildenden F a k t o r e n (Ziele, Bedingungen, Anwendungsgebiet) der individuellen Stile, zu denen auch die funktionalen Redestile gehören. 4. Art der Stoffbehandlung (Stilverfahren, Darstellungsarten): Bericht (Laborbericht, Kontrollbericht, Untersuchungsbericht, Versuchsprogramm, Arbeitsplan, Wettervorhersage) (Aktennotiz, Rezension) (Referat, Thesen, Zusammenfassung, Konspekt) Erzählung (Memoiren; einmalige Geschehnisse, Entdeckungen usw.) Beschreibung (Gegenstände, Vorgänge, Charakteristika) (Befunde, Gutachten) Erörterung (Untersuchung oder Darlegung gesetzmäßiger Beziehungen) Betrachtung (Beweisführung, Wertung) (Forschungsbericht, historischer Überblick, Stellungnahme, Kritik). Aus der Kombination dieser vier Kriterien ergibt sich f ü r jede Fachrichtung eine Typologie ihrer Stilgattungen. J e d e Äußerung der Sachprosa ist in vierfacher Hinsicht bestimmt, z. B. populärwissenschaftliche (2) Beschreibung (4) einer technischen (1) E r f i n d u n g in schriftlicher (3) F o r m 1 . Erhebliche Einwände sind vor allem gegen das erste und dritte Kriterium vorzubringen. Der Überblick über die Kommunikationsbereiche u n d Themenkreise ist zu grob, d. h., er läßt die Differenziertheit der modernen Wissenschaft u n d Technik sowie der übrigen Fachgebiete u n d damit auch ihrer Fachsprachen zu wenig erkennen (Vollständigkeit war wohl ohnehin nicht beabsichtigt). Die Verteilung der einzelnen Disziplinen auf den wissenschaftlichen und den praktischen Sachstil wird mit Sicherheit den Widerspruch der Fachleute herausfordern. Aus unserer Sicht ist es weniger schlimm, daß hier Gebiete nicht zur Wissenschaft i Ebd. S. 227 ff. 6
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gezählt werden, die in unserer Zeit zweifellos Anspruch darauf haben (Militärwesen, Sport u. a.). Der Grundfehler liegt darin, daß Benes hier die horizontale und die vertikale Gliederung der Fachsprachen, auf die wir noch näher zu sprechen kommen, durcheinanderbringt. E r beachtet nicht, daß fast jede der aufgezählten Disziplinen einen mehr theoretischen und einen mehr praktischen Bereich h a t ; denken wir an die medizinische Forschung einerseits und an das Gesundheitswesen anderseits, an die Kunstwissenschaft und an die künstlerische Betätigung, an die Landwirtschaftswissenschaft oder Veterinärmedizin auf der einen, Pflanzen- und Tierproduktion auf der anderen Seite usw. usf. Daraus ergibt sich natürlich, daß sie an beiden Varianten des Sachstils teilhaben. Hier wirkt sich die Neigung zur Gleichsetzung von funktionaler Sprache und funktionalem Stil verhängnisvoll aus. Unserer Auffassung nach hat jedes der genannten Fachgebiete seine Fachsprache, wobei die Unterschiede zwischen ihnen größer oder geringer sein mögen, und diese Fachsprachen erleben eine unterschiedliche stilistische Realisierung. Nun zum dritten Kriterium: Benes berücksichtigt hier im Grunde genommen nur ein Medium, nämlich den gedruckten Text und seine graphischen Möglichkeiten. Daß er damit die wichtigste Form der Fixierung und Übermittlung fachsprachlicher, vor allem wissenschaftlicher und technischer Informationen getroffen hat, steht außer Zweifel; daß daneben aber auch noch andere Informationsträger (wenn schon nicht die von den Artikulationsorganen erzeugten Luftschwingungen, dann doch wenigstens die Lochkarte, der Lochstreifen, das Magnetband und das Magnettonband) gerade für die Fachsprachen eine große Rolle spielen, haben wir im Abschnitt „Mittel und Methoden der sprachlichen Kommunikation" gezeigt. Positiv zu bewerten ist an Beness Arbeiten vor allem, daß er sich nicht mit der Beschreibung gewisser Besonderheiten der Fachsprachen und ihrer Stilgattungen begnügt, sondern nach einer Definition dafür sucht, und wie er das t u t . Mag seine Begriffsbestimmung auch noch unvollkommen sein, so trägt sie doch zur Klärung des Verhältnisses von fachsprachlicher Forschung und Stilistik bei. Daß Bene§, wenn er deutsch schreibt, den Terminus „Fachsprachen" verwendet, mag auch an einem gewissen Einfluß des Sprachgebrauchs im Hochschulwesen der D D R liegen. I m übrigen aber sind während der letzten Jahre, in denen das Interesse an den Fachsprachen merklich zugenommen hat, Termini wie Fachstil,
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wissenschaftlicher Stil; HayHHHH cthjib, TexHHHecKHß CTirab; scientific style, technical style-, style scientifique, style technique immer mehr von anderen Benennungen verdrängt worden, von denen wir hier die wichtigsten aufführen, u m unseren Lesern zu zeigen, unter welchen Schlagwörtern sie Material f ü r eigene fachsprachliche Untersuchungen finden können. Wir stellen dabei die Termini mit dem größeren Begriffsumfang a n den Anfang und lassen ihnen f ü r jede der aufgeführten Sprachen ein paar Beispiele für spezielle Fachgebiete folgen. Russisch : noÄT>H3HK, np0(j)eccH0Hajii.HHii h3hk; H a y m a n npoaa, HayiHutt npo3aiiiecKHH Teuer, hbhk Haymoft jiHTepaTypu, H a y m a n peni», HHTejiJieKTyajiHBOBaHHaH yieHa« peib, cneijHajibHHft HayraHfi hbhk, h3hk (pyccKoö) Hay KU ; ($pamjy3CKi™) MaTeMaTHiecKHtt h3hk; HayHHO-TexHHiecKaH TepMHHOJiorHH usw. ; Englisch : sublanguage, restricted language, language for special purposes, social dialect ; t h e language of science and technology, t h e language of science, scientific languages, scientific discourse, technical language, t h e language of technology, technical literature, scientific writing ; the English we use for science, scientific Russian ; technical English, t h e language ofpsychology, jargon, t r a d e dialect ; terms peculiar to a special profession usw. ; Französisch : langue de spécialité, les langues de spécialité, les langues spéciales, les langues spécialisées, le langage spécialisé; le français spécialisé; la langue scientifique et technique, la langue des sciences et des techniques, la langue scientifique, le langage scientifique, le langage de la science, le jargon des sciences, le langage technique; la langue de la biologie, le discours politique, la langue médicale; les termes techniques et spéciaux usw. ; Deutsch : Subsprache, Sondersprache, Gruppensprache; Sprache eines K o m munikationsbereiches, Zwecksprache; Fachprosa, Sachprosa, Fachsprache, Fachtext ; wissenschaftliche Prosa, wissenschaftliche Fachsprache, Wissenschaftssprache, Sprache der Wissenschaft; gelehrte Rede ; Sprache der naturwissenschaftlich-technischen Literatur ; Sprache der Technik, Sprache der Chemie u n d Physik, Werbesprache; Werkstattsprache; Terminologie (gebräuchlich sind auch Adjektive wie: fachsprachlich, spezialsprachlich) usw. Bei einem Vergleich zwischen den vier Sprachen fällt auf, daß die 6*
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Äquivalente für „langue" — „h3hk", „language", „Sprache" — dominieren ; das bekräftigt unsere Ansicht über die „funktionalen Sprachen". „Parole" haben wir im Französischen und „speech" im Englischen gar nicht, „Rede" im Deutschen nur in einer sicher veralteten Bezeichnung gefunden. I m Französischen ist dafür der Gebrauch von „langage" fast ebenso häufig wie der von „langue"; „discours" ist unter bestimmten Bedingungen möglich, ebenso wie „discourse" im Englischen; im Deutschen weicht man in diesen Fällen auf „Text" aus. Die Tendenz, die Fachsprachen auf ihre Terminologie zu beschränken, kommt hier nur andeutungsweise zum Ausdruck; in Wirklichkeit ist sie stärker. Eine Ursache f ü r die Verdrängung der stilistischen Aspekte ist wohl in dem Umstand zu suchen, daß die Lehre von den Funktionalstilen sich nirgendwo auf eine so feste Tradition stützen konnte und nirgendwo so sehr zur Meinung ganzer sprachwissenschaftlicher Schulen geworden ist wie in der UdSSR und der ÖSSR. Lediglich in der Germanistik und z. T. auch in der Angüstik der D D R hat sie einen relativ starken Widerhall gefunden. I n den USA und England hat die Stilistik nur eine sehr geringe Rolle gespielt. I n Frankreich und Deutschland ist sie ihre eigenen Wege gegangen, hat die Fachsprachen kaum zur Kenntnis genommen. Eine weitere, noch gewichtigere Ursache dafür liegt in der Tatsache, daß die fachsprachliche Forschung als Teil der angewandten Sprachwissenschaft, so wie sie sich heute fast überall darbietet, weniger oder eigentlich gar nicht von der Philologie bzw. Sprachwissenschaft angeregt, sondern vielmehr aus ganz bestimmten praktischen, durch die gesellschaftliche Entwicklung bedingten Bedürfnissen und Anforderungen entstanden ist. Die Anstöße kamen von der fachsprachlichen Ausbildung, d. h. von einem fachbzw. berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht, von der Übersetzungspraxis, von der maschinellen Informationsverarbeitung, von der Terminologienormung, von der Dokumentation usw., fast immer im Zusammenhang mit der Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit auf den verschiedensten Fachgebieten. Die genannten Gebiete der Praxis waren in erster Linie an einer Übersicht über die sprachlichen Mittel, insbesondere die Lexik, einzelner Fachsprachen interessiert. Um sie zu gewinnen, bedienten sich ihre Vertreter der unterschiedlichsten Methoden. Ein Teil von ihnen lehnte sich an diese oder jene linguistische Theorie an; die meisten betrieben jedoch eine rein empirische Sammlertätigkeit auf Grund direkter Beobachtungen am sprachlichen Text. So entstanden viele Material-
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Sammlungen und Einzeluntersuchungen. Während die funktionale Stilistik eine zusammenhängende Theorie entwickelt hatte, den einzelnen sprachlichen Erscheinungen aber nur selten genauer nachging, häufte die fachsprachliche Forschung in ihrer Entstehungszeit Material auf Material, ohne dabei auf eine große Konzeption zu achten, die das Ganze zu einer Einheit gefügt und einer Verallgemeinerung zugänglich gemacht hätte Sie vernachlässigte z. T. die wissenschaftliche Interpretation der aufgefundenen Fakten, und gerade hier wäre ein Zusammengehen mit der funktionalen Stilistik, vor allem in der Form, wie sie von der sowjetischen Sprachwissenschaft betrieben wird, außerordentlich fruchtbar; denn bei einer solchen Interpretation k a n n es eigentlich nur um die kommunikative Funktion der Fachsprachen gehen, also um die Fragen: Welches Ziel verfolgt die sprachliche Kommunikation im jeweiligen Fachgebiet? Welche Mittel verwendet sie, um dieses Ziel zu erreichen? Wie werden diese Mittel den Anforderungen der fachsprachlichen Kommunikation gerecht ? Oder ganz anders formuliert: I n welchem Verhältnis stehen bei der fachsprachlichen Kommunikation Bezeichnetes und Bezeichnendes? I n welchem Maße verlangt das spezielle (fachliche) Bezeichnete ein spezielles (fachsprachliches) Bezeichnendes? Bei der Beantwortung dieser Fragen könnte es zu einer Synthese kommen, die ein neues Licht sowohl auf die allgemeinen Feststellungen der funktionalen Stilistik als auch auf die Fakten der fachsprachlichen Forschung wirft. Kehren wir jedoch zu Verständnis und Definition des Phänomens Fachsprache zurück. Wir hatten davon gesprochen, daß es zwei ziemlich entgegengesetzte Auffassungen vom Wesen der Fachsprachen gibt. Die eine — die funktionalstilistische — haben wir für unsere Bedürfnisse hinreichend charakterisiert. Die andere, die als Spezifikum der Fachsprachen fast ausschließlich ihren Sonderwortschatz, d. h. vor allem die Terminologie, anerkennt, wurde bisher nur genannt. Sie hat ihre Vertreter vor allem im deutschsprachigen Raum. Nur ein Teil der Anhänger dieser Richtung beschäftigt sich von Berufs wegen mit Sprache(n). Es gibt eine stattliche Zahl von n a m h a f t e n 1
Vgl. L. Hoffmann, Prolegomena zu einem Programm für die Untersuchung der Wissenschaftssprache und der methodischen Probleme der fachbezogenen Premdsprachenausbildung. Linguistische und methodische Probleme einer spezialsprachlichen Ausbildung. Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 18 (1969) H. 3.
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Repräsentanten anderer Wissenschaften, vor allem der Naturwissenschaften und der Technik, die ein ausgeprägtes Interesse an sprachlichen Fragen — oft im Zusammenhang mit ihrem eigentlichen Fachgebiet — haben. Ihnen geht es begreiflicherweise in erster Linie um Fragen der Benennung und Definition von Gegenständen und Begriffen, also von Einzelerscheinungen. Wenn dabei dennoch Zusammenhänge eine Rolle spielen, dann sind es vorzugsweise Sachzusammenhänge oder Relationen in begrifflichen Systemen, die ziemlich unmittelbar auf das Benennungssystem, also die Lexik mit ihrer Wortbildung, projiziert werden, nicht aber Zusammenhänge im gesamten Sprachsystem. Es ist nur zu verständlich, daß die Weisgerbersche Formel vom „Worten der Welt", hinter der seine ganze philosophisch-idealistische Konzeption von der „sprachlichen Erschließung der Welt" steht 1 , auf die Anhänger dieser Richtung eine starke Anziehungskraft ausgeübt hat. 2 Aber auch eine erhebliche Zahl von Sprachwissenschaftlern in der B R D ist in Weisgerbers Fußtapfen getreten. Das ist ein wenig bedauerlich, weil wir in den Publikationen der Weisgerberschule und in seinen eigenen Veröffentlichungen eine Menge zutreffender Aussagen über Wesen und Spezifik der Fachsprachen antreffen, die nur leider in eine uns fremde Gesamtsicht eingebettet sind. Gerade deshalb aber ist die kritische Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten, die Entscheidung, was davon auch für uns akzeptabel und was kompromißlos abzulehnen ist, ein wesentliches Kriterium dafür, wie weit die fachsprachliche Forschung auf dem Boden der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie steht oder nicht. Es spielt dabei keine Rolle, daß die fachsprachliche Problematik in der Masse dieser Arbeiten in erster Linie oder ausschließlich als Angelegenheit der Lexik, speziell der Terminologie betrachtet wird. Daß diese Auffassung zu eng ist, weisen wir mit diesem Buche nach. Außerdem ist es jedermanns Recht, seinen Untersuchungsgegenstand so weit einzuengen, wie er das bei seinem Vorhaben für nötig hält, wenn er nur dann nicht den Teil f ü r das Ganze ausgibt. Es ist auch weniger entscheidend, sondern eher natürlich, daß die Germanisten ihre Hauptaufmerksamkeit dem Einfluß der Wissenschaft und Technik auf die 1
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L. Weisgerber, Von den Kräften der deutschen Sprache, Bd. II/2. Die sprachliche Erschließung der Welt, Düsseldorf 1954. Anderseits hat Weisgerber in seiner Darstellung der fachsprachlichen Problematik große Anleihen bei sprachlich versierten Technikern wie dem international anerkannten Österreicher E. Wüster genommen.
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Gemeinsprache, auf das Deutsche als ihre Muttersprache schenken. Auch wir werden das Verhältnis, die aktiven Wechselwirkungen zwischen den Fachsprachen und der übrigen Sprache erwähnen müssen. Die große Gefahr bei der kritiklosen Übernahme der Weisgerberschen Deutung von Wesen und Wirken der Fachsprachen — wie der Sprache überhaupt — besteht in einer Verschiebung des Verhältnisses zwischen objektiver Realität, Bewußtsein und Sprache, die nicht etwa in einem augenfälligen Agnostizismus, sondern in einer Überhöhung der Rolle der Sprache endet, welche der Sapir-Whorf-Hypothese oder linguistischen Relativitätstheorie nahekommt. Die Sprache wird bei Weisgerber „eine das Leben durchwaltende Macht" 1 ; sie gestaltet die Welt geistig, verwandelt das Sein in „bewußtes Sein für den Menschen" 2 ; sie ist dazu bestimmt, „. . . die Welt in das Eigentum des Geistes umzuschaffen" 3 , und schiebt sich so an die Stelle des erkennenden Bewußtseins, das seinerseits von ihr abhängig wird; denn es gibt eine „. . . unwiderstehliche Kraft, mit der jede Muttersprache die in ihr wirksame Form der Welterschließung allen ihren Angehörigen einprägt bis zum Grade der Selbstverständlichkeit" 4. Wie sich diese idealistische Sprachphilosophie auf die Betrachtung der Fachsprachen auswirkt, sollen einige weitere Zitate zeigen. „Kann man die wesentliche Leistung der Sprachmittel im Hinblick auf die natürlichen Gegebenheiten der Außenwelt dahin kennzeichnen, daß sie vorgegebene Dinge und Erscheinungen zu Gegenständen des Bewußtseins umprägen, so ist die Rolle des Wortgutes im Bereich der Sachkultur offenbar eine grundsätzlich andere. Die Objekte dieses Bereichs sind nicht für den Menschen vorgegebene und unabhängig von ihm bestehende Dinge, sondern von ihm selbst geschaffene Sachen. Demgemäß kommt der sprachlichen Welterschließung hier nicht so sehr die Aufgabe zu, eine Übersicht und Einordnung dieser Gebilde in das menschliche Leben zu erarbeiten. Vielmehr steht die geistige Begründung menschlicher Tätigkeit, die Richtung zur Gestaltung ihrer Erzeugnisse im Vordergrund. Und da menschliches Gestalten immer die Auswirkungen vorangegangener gedanklicher Arbeit einbeschließt, so wird man für das grundsätzliche Verhältnis von Sprache und Sachkultur die produktive Leistung der sprachlichen Formung noch viel nachdrücklicher betonen müssen: Die mitgestaltende Kraft der 1 3
L. Weisgerber, a. a. O., S. 19. Ebd. S. 24. 4 Ebd. S. 25.
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Ebd.
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Sprache ist nicht nur bis in den gedanklichen Aufbau, sondern bis in die konkrete Gestaltung der Sachen selbst hinein zu verfolgen" Es handelt sich hier nicht etwa — wie man bei oberflächlichem Lesen meinen könnte — um die dialektische Auffassung vom B e w u ß t s e i n bzw. vom D e n k e n als aktivem Prozeß der Aneignung der Umwelt durch den Menschen einerseits und der Rückwirkung auf die materielle Welt anderseits, sondern um die dialektische Auffassung von der S p r a c h e als aktivem Prozeß der Aneignung der Umwelt durch den Menschen und der Einwirkung auf die materielle Welt. Das wird ganz deutlich, wenn wir der eben zitierten Äußerung Weisgerbers eine Formulierung von G. Klaus und M. Buhr gegenüberstellen, die das gleiche erkenntnistheoretische Problem betrifft: „Vermöge seiner Fähigkeit der ideellen Widerspiegelung ist das Bewußtsein das universelle Erkenntnisinstrument, mit dessen Hilfe die Menschen in das Wesen der materiellen Welt eindringen und ihre objektiven Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten erfassen können. Das Bewußtsein ermöglicht es dem Menschen, seine Handlungen, seine praktische Tätigkeit gedanklich vorwegzunehmen, sie zielstrebig zu planen und ihre Resultate vorauszusehen. Es gestattet den Menschen, ihre Wechselbeziehungen mit der natürlichen und der sozialen Umwelt zu regulieren und planmäßig zu lenken" 2 . Aber lesen wir bei Weisgerber weiter über die tieferen Beziehungen zwischen „Sprache und Technik" 3 . Dort ist die Rede von der „. . . Sprache nicht nur als Mittel und Werkzeug, sondern als w i r k e n d e Kraft . . von Sprache als „. . . Voraussetzung, Bedingung und Gegenstand der Technik . . ." 5 usw. usf. Das Ganze gipfelt, um mit diesem Gedanken zum Ende zu kommen, in den folgenden Behauptungen: „Es läßt sich der Nachweis führen, daß die bestimmten jeweils v e r w i r k l i c h t e n t e c h n i s c h e n G e b i l d e immer den Stempel des Herausgewachsenseins aus bestimmten Denkvoraussetzung e n tragen, unter denen die W i r k u n g d e s s p r a c h l i c h e n W e l t b i l d e s mit an erster Stelle steht" 6 , daß „. . . eine I d e e w o r t m ä ß i g a u s g e p r ä g t ist, b e v o r d i e t e c h n i s c h e M ö g l i c h k e i t zu ihrer 1
Ebd. S. 95. G. Klaus und M. Buhr, Philosophisches Wörterbuch, Leipzig 1964, S. 90. 3 L. Weisgerber, Von den Kräften der deutschen Sprache, Bd. III. Die Muttersprache im Aufbau unserer Kultur, Düsseldorf 1950, S. 90—112. 4 Ebd. S. 100. s Ebd. S. 101. 6 Ebd. S. 107. 2
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Durchführung b e s t e h t " 1 . Die Sprache ist also „. . . die Form, in der der Geist den Ausbau der Technik ermöglicht und bestimmt" 2 . All das hat nichts mehr mit der dialektischen Einheit von Sprache und Denken zu tun. Hier wird das Denken zum Anhängsel der Sprache, die Sprachfähigkeit des Menschen zur Grundlage für seine wissenschaftliche Erkenntnis 3 . I n diesem Sinne führt Weisgerber seine Gedanken auch bei der Betrachtung des Verhältnisses „Sprache und Wissenschaft" 4 weiter. Wir folgen ihm dorthin nicht, weil wir — wie bereits in der Einleitung betont — zu einem späteren Zeitpunkt das Verhältnis Sprache — Denken in den Fachsprachen gründlicher untersuchen wollen. Es wird dort unter anderem die Frage aufzuwerfen sein, wem Weisgerber mit seiner hier nur angedeuteten Theorie mehr verpflichtet ist: W. v. Humboldt, auf den er sich selbst beruft 5 , und seinen Nachfolgern in der Sprachwissenschaft oder der Sprachphilosophie des Neopositivismus. Abgesehen von der allgemeinen Behandlung der Sprache als „Schlüssel zur Welt" 6 und der Fachsprachen als Grundlagen von Technik u n d Wissenschaft, finden sich bei Weisgerber Gedanken, die eindeutig die Lexik, den Fachwortschatz, in den Mittelpunkt der fachsprachlichen Betrachtungen stellen: „Für die F a c h s p r a c h e n gilt zweifellos das Ideal der grundsätzlichen Ü b e r e i n s t i m m u n g zwischen dem geistigen A u f b a u des W o r t g u t e s und dem s a c h l i c h e n G e f ü g e e i n e s H a n d w e r k e s , eines technischen Verfahrens . . . Das Ideal scheint in einer völligen Übereinstimmung zwischen Wortfeld und Sachbereich zu liegen." 7 I n diese Richtung gehen die meisten Bestrebungen zur Terminologienormung (die den engen Zusammenhang mit der Sachnormung betonen), auch wenn das Ideal nicht zu verwirklichen ist. Weisgerber selbst äußert sich nur zu einigen Fragen der sprachwissenschaftlichen Terminologie. Hier findet sich auch die zumindest irreführende Be1 Ebd. S. 109. 2 Ebd. S. 111. 3 Ebd. S. 209. 4 Ebd. S. 207-249. 5 L. Weisgerber, Von den Kräften der deutschen Sprache, Bd. II/2. Die sprachliche Erschließung der Welt, Düsseldorf 1954, S. 7 f. und S. 19. 6 Titel der Festschrift für L. Weisgerber, Düsseldorf 1959 7 L. Weisgerber, Von den Kräften der deutschen Sprache, Bd. II/2. Die sprachliche Erschließung der Welt, Düsseldorf 1954, S. 95 f.
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merkung, Terminologien seien Sondersprachen 1 , wo es heißen müßte: Sonderwortschätze. I m übrigen sieht Weisgerber die Bemühungen der Technik um die Sprache in erster Linie als Kampf gegen die ungeregelte Entwicklung und das verwirrende Durcheinander der Bezeichnungen, als Streben nach Eindeutigkeit, Einnamigkeit und Ordnung der Begriffe 2 , wobei er allerdings einräumt, daß der Mensch auch beim sprachlichen Erschließen der Sachkultur keine reine Bezeichnungsapparatur aufbaut, sondern menschliche Sprache 3 . Wenn wir auch Weisgerbers Sprachtheorie insgesamt ablehnen, so sind wir doch weit davon entfernt, seine Bedeutung als Sprachwissenschaftler und vor allem seinen Einfluß auf das sprachwissenschaftliche Denken in der B R D zu unterschätzen. F ü r uns besteht eines seiner unbestrittenen Verdienste darin, daß er die linguistische Betrachtung der Sprache der Technik in der Germanistik „gesellschaftsfähig" gemacht hat, so wie das die funktionale Stilistik für den „wissenschaftlichen Stil" besorgt hat. Dabei hat er sich nicht auf die Sprache der technischen Wissenschaft beschränkt, sondern weitere Bereiche der „Sachkultur", wir würden sagen: der materiellen Produktion, in seine Erwägungen mit einbezogen. Ohne diese wäre seine „sprachliche Erschließung der Welt" natürlich sehr unvollständig. Also ist seine Hinwendung zu den Fachsprachen auch eine notwendige Konsequenz der von ihm selbst zuvor „wortmäßig ausgeprägten Idee" von der „sprachlichen Erschließung der Welt"(!). Nicht zu übersehen ist auch, daß Weisgerber als einer von wenigen Sprachwissenschaftlern die sprachlichen Bedürfnisse und Probleme wichtiger Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erkannt und zahlreiche Mitarbeiter zu deren Lösung gewonnen oder angeregt hat. Es ist nicht zuletzt auch seinen Bemühungen zu danken, daß in der B R D gewisse Ansätze zu einer angewandten Sprachwissenschaft entstanden sind 4 . 1
L. Weisgerber, Von den Kräften der deutschen Sprache, Bd. III. Die Muttersprache im Aufbau unserer Kultur, Düsseldorf 1950, S. 213. 2 Ebd. S. 101. 3 L. Weisgerber, Von den Kräften der deutschen Sprache, Bd. II/2. Die sprachliche Erschließung der Welt, Düsseldorf 1954, S. 99. * G. Kandier, Angewandte Sprachwissenschaft. Name und Wesen eines kommenden Wissenschaftszweiges. Wirkendes Wort 5/1952—53; ders., Zum Aufbau der angewandten Sprachwissenschaft und den Aufgaben des Sprachforums. Sprachforum 1/1955.
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I n die am Beispiel Weisgerbers ausführlicher geschilderte zweite — lexikologische — Richtung fachsprachlicher Arbeiten ist eine größere Zahl von Einzeluntersuchungen einzuordnen, aus denen wir nur ein paar grundsätzliche Aussagen über das Wesen der Fachsprachen herausgreifen. L. Mackensen nennt den Sprachbedarf der Technik den „größten Auftraggeber" der Sprache der Gegenwart An anderer Stelle formuliert er das wie folgt: „Der Aufschwung der Technik wurde das Kennmal des Jahrhunderts; er schuf auch der Sprache neue Voraussetzungen. E r stellte sie vor große, riesengroße Aufgaben. Sein Bedarf an Begriffen und Bezeichnungen schien unersättlich, und er steigerte ihn von Erfindung zu Erfindung, von Erfolg zu Erfolg" 2. Der Akzent liegt hier auf dem Bedarf an Begriffen und Bezeichnungen. So untersucht Mackensen denn auch fast ausschließlich Fragen der Wortbildung im Deutschen. Er betont außerdem den „Normungswunsch der Technik, ihr Verlangen, daß der Inhalt eines Begriffs . . . durch eine Begriffsbestimmung (Definition) festgestellt oder festgelegt wird", als legitim 3 . Die Anforderungen der Technik an die Sprache müssen seiner Meinung nach aus drei Gründen beachtet werden: ,,a) weil der Sprachbedarf der Technik sich nicht im Fachsprachlichen erschöpft, b) weil die Sprachwirkung der Technik weit über die Fachkreise hinausgeht, c) weil die Sprachleistung der Technik u. a. in der Nutzung und Erprobung neuer sprachlicher Mittel besteht" 4 . Bei Mackensen findet sich auch der Ansatz zu einer vertikalen Schichtung oder Stratifikation der Fachsprachen; denn er rechnet diesen nicht nur die Sprache engerer Fachkreise, sondern auch die der Arbeiter und Handwerker zu. Diese Schicht bezeichnet er als „Werkstättensprache" und mißt ihr eine Mittlerrolle zwischen Fachsprachen und Muttersprache — womit er Gemeinsprache meint — bei, ebenso wie der „Verbrauchersprache", die er als weitere Schicht zwischen Fachsprachen und Gemeinsprache legt, so daß, wie er es nennt, der folgende „Stromkreis" entsteht: 1
L. Mackensen, Muttersprachliche Leistungen der Technik. Sprache — Schlüssel zur Welt, Düsseldorf 1959, S. 295. 2 L. Mackensen, Die deutsche Sprache unserer Zeit, Heidelberg 1956, S. 22. 3 L. Mackensen, Muttersprachliche Leistungen der Technik. Sprache — Schlüssel zur Welt, Düsseldorf 1959, S. 293. * Ebd. S. 293 f.
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
Werkstättensprache Fachsprache
Muttersprache
Verbraucher-Sprache109 Eine Wechselwirkung zwischen Technik und Sprache kommt zustande „für die Muttersprache, weil sie gleichsam hinter der ihr davoneilenden Technik hereilen muß, um ihrem Anspruch zu genügen; für die Technik, weil sie darauf sinnen muß, den ihr zunächst nicht genügenden Sprachstoff ihren Bedürfnissen geschmeidig zu machen" 2 . Wir sehen schon hier, daß man für die Lexik einen ziemlich direkten Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher und sprachlicher E n t wicklung herstellen kann, was auf den übrigen sprachlichen Ebenen nicht so ohne weiteres möglich ist. Eine der Ursachen dafür, daß bei der Beschreibung der Fachsprachen der spezielle Wortschatz nur zu leicht als einziges Spezifikum gewertet wird, liegt sicher darin, daß e r nicht nur bei der synchronischen, sondern vor allem bei der diachronischen Sprachbetrachtung (Wandel und Zuwachs im Wortschatz) besonders ins Auge fällt. G. Gremminger spricht zwar vom Stil des Technikers, des Naturwissenschaftlers und des Geisteswissenschaftlers, geht dabei aber auch in erster Linie von Fragen der Wortwahl aus. Dem Techniker „geht es vor allem darum, das, was er sagen will, klar und eindeutig auszudrükken. Auf sprachliche Schönheit kommt es ihm im Stil und bei d e r Wortwahl nicht so sehr an, da f ü r ihn die Sprache nur ein Mittel zum Zweck ist" 3 . Außerdem hebt er einen wichtigen Unterschied zwischen den Fachsprachen der Technik und den Fachsprachen der Naturwissenschaften hervor und macht damit auf die Notwendigkeit aufmerksam,, außer den Unterschieden zwischen Fachsprachen und Gemeinsprache auch die zwischen bestimmten Gruppen von Fachsprachen zu beachten: „Aber auch Naturwissenschaftler und Techniker werden sich sprachlich unterscheiden, wenn hier auch der Unterschied geringer istDer Stil des den Geisteswissenschaften näher stehenden Naturwissenschaftlers wird zweifellos flüssiger und gepflegter als der des mehr im alltäglichen Leben stehenden Technikers sein. Beide aber erstreben genormte Ausdrücke für Begriffe ihres Arbeitsgebietes. Doch während » Ebd. S. 295. 2 Ebd. S. 296. G. Gremminger, Wortwahl in der Technik. Muttersprache 1954, S. 203.
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der Wissenschaftler seine Ausdrücke von seinesgleichen in der ganzen Welt verstanden haben will und dabei auf den Laien seiner eigenen Sprache keine Rücksicht nimmt, muß sich der Techniker mit einem größeren Kreis von Angehörigen seines Volkes verständigen. Die Übertragbarkeit seiner Fachwörter in andere Sprachen steht bei ihm bei aller Wichtigkeit doch erst in der zweiten Reihe" Wir begegnen hier einem Irrtum, der seine Wurzeln in einer zu engen und undifferenzierten Sicht der Technik einerseits und der Naturwissenschaften anderseits hat, von den Geisteswissenschaften ganz zu schweigen. Sicher würden Fachleute wie E. Wüster mit Recht pauschalen Behauptungen widersprechen, die Sprache der Technik habe sich mehr auf die nationale als auf die internationale Verwendung zu orientieren. Und auch bei aller Exklusivität einzelner Naturwissenschaften ist die Ansicht nicht mehr gerechtfertigt, der Naturwissenschaftler brauche keine Rücksicht auf das Verständnis von „Laien" seiner eigenen Sprache zu nehmen. Das Problem löst sich, wenn man die Sprache der Technik nicht als eine Einheit betrachtet, sondern sie, ähnlich wie Mackensen oder wie die Vertreter der funktionalen Stilistik das beim „wissenschaftlichen Stil" getan haben, in mehreren Schichten sieht; dann dürften die mehr theoretischen technischen Wissenschaften auch im Hinblick auf die internationalen Ansprüche auf der gleichen Ebene mit den Naturwissenschaften stehen. Aber auch die Technik, die der materiellen Produktion näher steht oder direkt in ihr aufgeht, bleibt infolge der eingangs geschilderten Ausdehnung der internationalen Kooperation und Kommunikation in den sprachlichen Anforderungen immer weniger auf nationale Maßstäbe beschränkt, selbst wenn es natürlich auch weiterhin eine Art nationaler „Werkstättensprache" in großem Umfang geben wird. Zum anderen haben die Naturwissenschaftler immer stärker darauf Rücksicht zu nehmen, daß sie auch — wenigstens in einem gewissen Maße — von anderen verstanden werden. Das hängt mit der Entwicklung der Wissenschaft zur Produktivkraft zusammen. Die Praxisbeziehungen der Naturwissenschaften und damit das Band der angewandten Wissenschaften wird immer breiter, die Kontakte zur Produktion werden enger. Es ist also sicher auch hier richtig, den Sprachgebrauch der Naturwissenschaften vertikal zu schichten. Schließlich noch ein Wort zu den „Laien": Ihre Zahl nimmt ständig ab. i Ebd.
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Besonders in den sozialistischen Ländern haben Allgemein- und Spezialausbildung eine solche Breite erreicht, werden in vielen Berufen so gründliche naturwissenschaftliche Kenntnisse verlangt, daß auch die Sprachbarriere zwischen Fachleuten und Laien ständig abschmilzt, wenn auch nie ganz verschwindet, so wie die Unterschiede im Bildungsgrad und in der sozialen Stellung geringer werden. Was die Geisteswissenschaften angeht, die man vielerorts inzwischen als Gesellschaftswissenschaften bezeichnet, so muß man hier stärker differenzieren. Einerseits nähern sie sich gegenwärtig den Naturwissenschaften an, indem sie sich deren „exakte" Methoden zu eigen machen. Anderseits drängen sie nach allgemeiner Aneignung durch die Yolksmassen, nicht etwa nur im Sinne von politischer Agitation und Propaganda, sondern um ihnen einen tieferen Einblick in die Entwicklungsgesetze der Gesellschaft zu geben, aber auch um sie zu bestimmten, der herrschenden Klasse genehmen Verhaltensweisen zu bewegen. So werden wir auch hier bestimmte Schichten antreffen, die z. T. fachsprachlichen Charakter tragen, z. T. näher an der Gemeinsprache liegen wie die Sprache der Gesellschaftswissenschaften überhaupt. Daß einige Vertreter der Geisteswissenschaften im alten und leider auch der Gesellschaftswissenschaften im neuen Sinne es darauf anlegen, vom „Laien" (und auch von anderen Fachleuten) nicht verstanden zu werden, hat Ursachen, die hier nicht erörtert werden können; sie stellen sich damit selbst an den R a n d der sprachlichen Kommunikation. Problematisch sind die Untersuchungen W. Seibickes, in denen das Wesen der Fachsprachen aus dem Vergleich mit der Gemeinsprache erschlossen werden soll Auch für ihn steht die Lexik an erster Stelle. So zitiert er zunächst W. Porzig: „Wenn wir etwa in eine Gesellschaft von Ärzten oder von Juristen oder von Fußballspielern geraten und die Leute beginnen, von ihrem Beruf oder ihrem Interessengebiet untereinander zu sprechen, so hört unser Verständnis bald auf. Wir verstehen einfach die entscheidenden Wörter nicht mehr. Jeder Beruf, jeder Interessenkreis hat seine Fachausdrücke und seine besonderen 1
W. Seibicke, Fachsprache und Gemeinsprache. Muttersprache 1959, S. 70—84. Das Buch von L. Drozd und W. Seibicke, Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache, Wiesbaden 1973, ist nach Abschluß unseres Manuskripts erschienen, so daß wir hier leider nicht mehr darauf eingehen konnten. Wir müssen deshalb auf unsere Rezension in der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache 5/1974, S. 317—319, verweisen.
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Wendungen, die man gelernt haben muß und die der Außenstehende, der Laie, darum nicht kennt. Es gibt also eine Menge von Fachsprachen, von denen auch wir eine oder mehrere, je nach unserem Beruf, neben unserer Gemeinsprache beherrschen. Im Unterschied von den Sondersprachen ist aber die Fachsprache von der Sache her und nicht von einem Personenkreis bestimmt" I n der Vielheit von Fachsprachen sieht er als Gemeinsames, „daß sie fachbezogen, ,spezial' sind. Durch ihre enge Verbundenheit mit den Betrachtungsweisen, Aufgaben und Methoden des jeweiligen Faches unterscheiden sie sich allesamt grundsätzlich von der Gemeinsprache, die ,universal' ist . . ," 2 . Dieser Ansatz gleicht durchaus dem der funktionalen Stilistik. Seibicke betrachtet alle Fachsprachen als „Verzweigungen aus einer gemeinsamen Wurzel, die nicht im gleichen geistigen Boden mit der Gemeinsprache r u h t " 3 . Obwohl der Fachwortschatz für ihn den Schwerpunkt bildet, gelangt er bei seinem Definitionsversuch über eine tautologische und zudem noch unscharfe Feststellung nicht hinaus: „. . . als Fachwort gilt vorerst alles Wortgut, das in einem Fachgebiet gebraucht w i r d " ' s „alles Wortgut" hat er bestimmt nicht gemeint, denn seine Beispiele enthalten nur Termini und Wörter der Gemeinsprache, die in den Fachsprachen eine spezielle, eingeengte Bedeutung erhalten. I n den Fachsprachen, nimmt man sie als sprachliche Texte, tritt daneben eine beträchtliche Menge lexikalischer Einheiten auf, die ihre gemeinsprachliche Bedeutung behalten. Auf Seibickes Darlegungen über Herkunft und Bildung der Fachwörter kommen wir später zu sprechen. Hier soll nur erwähnt werden, daß Seibicke der Fachsprache neben den Neubildungen, die nach den Regeln der allgemeinen Wortbildung entstanden sind, auch solche zubilligt, „in denen sie (die Fachsprache, L. H.) nach eigenen Gesetzen sprachschöpferisch' wirkt" 5 . Eine ausgeprägte syntaktische Spezifik der Fachsprachen verneint Seibicke: „Überhaupt besitzt die Fachsprache keine eigenen syntaktischen Mittel. I n dieser Hinsicht ist jede Fachsprache von der Muttersprache her aufgebaut; lediglich die Wörter im Satz werden durch neue oder neu verwendete Begriffe 6 ausgetauscht; das Grundschema 1 2 4 6
W. Porzig, Das Wunder der Sprache, 2. Aufl., Bern 1957, S. 219. Ebd. S. 70. s Ebd. Ebd. S. 71. 5 Ebd. S. 73. Seibicke gebraucht „Fachwort" und „Begriff" als Synonyme, d. h., er trifft
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bleibt unverändert. Sicherlich werden nicht alle Möglichkeiten der gemeinsprachlichen Satzbauweise in der Fachsprache verwirklicht, andere wiederum werden wahrscheinlich besonders ausgebaut und häufig angewandt . . . Wir können nach diesen Überlegungen ganz allgemein feststellen: ,Die Eigenart der Fachsprache besteht vor allem in ihrem Wortschatz'" Wie verhängnisvoll der Einfluß Weisgerbers auf Seibicke ist, zeigt die folgende Gesamtwertung der Fachsprachen: „Kann man nun eigentlich bei der Fachsprache überhaupt noch von einer eigenen sprachlichen Leistung sprechen ? Auf jeden Fall unterscheidet sie sich grundsätzlich von derjenigen der Gemeinsprache. Dort wird die Welt durch die Sprache in das ,Eigentum des Geistes umgeschaffen'; hier bleibt es bei der Registrierung und Katalogisierung der Welt, bei der das ,Wort' nur instrumental in Erscheinung tritt. Die so erfaßte Welt bleibt außerhalb des Menschen, eine im Grunde von ihm unverarbeitete, erst noch zu verarbeitende fremde Welt. Die Erfassung macht dabei vor dem Menschen selbst nicht halt; alle Beziehungen werden weitgehend versachlicht. Diese Wirkung ist nur aufhebbar, wenn wir uns der fachsprachlichen Erfassung der Welt als einer M e t h o d e und praktischen Hilfe bewußt bleiben, die uns befähigen soll, der Versachlichung gerade wirkungsvoll entgegenzuarbeiten" 2 . Hier hat Seibicke seinen Meister entweder nicht verstanden, oder er teilt Weisgerbers Ansicht nicht, der, wenn wir ihn nicht völlig falsch begriffen haben, gerade die Fachsprachen als wichtigstes Instrument xur „sprachlichen Erschließung der Welt" und sogar zur aktiven Gestaltung der „Sachkultur" ansieht. Auch in anderer Hinsicht besteht kein Anlaß zur Beunruhigung: Die Welt, auch wenn sie vom Menschen, von seinem Bewußtsein, erfaßt ist, bleibt immer „außerhalb des Menschen", als objektive Realität nämlich. Ob sie für ihn allerdings eine „fremde Welt" bleibt, hängt davon ab, ob er es lernt, aus seiner Erkenntnis die richtigen Schlußfolgerungen für sein planmäßiges Handeln zu ziehen, um in seinem Sinne Macht über sie zu gewinnen. Bei der Technik und bei der
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keine saubere Unterscheidung zwischen den Kategorien der Sprache und den Kategorien des Denkens; s. auch ebd. S. 77. Ebd. S. 75; vgl. auch W. Porzig, Das Wunder der Sprache, 2. Aufl., Bern 1957, S. 259 und R. W. Jumpelt, Die Übersetzung naturwissenschaftlicher und technischer Literatur, Berlin 1961, S. 3. Ebd. S. 80.
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Wissenschaft, von denen hier in erster Linie die Rede ist, heißt das nichts anderes, als sie zum Mittel des wissenschaftlich-technischen und damit auch des gesellschaftlichen Fortschritts zu machen. D a ß die Wissenschaft dabei „vor dem Menschen nicht haltmacht", heißt nur, daß sie sich auch um die gesetzmäßige Entwicklung der menschlichen Gesellschaft kümmert. All das kann für uns kein Grund sein, „der Versachlichung wirkungsvoll entgegenzuarbeiten"; im Gegenteil: Wir werden sie durch unsere fachsprachliche Forschung fördern. Seibicke dagegen betrachtet den Menschen als Opfer einer Entfremdung und damit einer historisch-gesellschaftlichen Gesamtsituation, „in der die Beziehungen zwischen den Menschen als Verhältnisse zwischen Sachen, Dingen erscheinen und in der die durch die materielle und geistige Tätigkeit der Menschen hervorgebrachten Produkte, gesellschaftlichen Verhältnisse, Institutionen und Ideologien den Menschen als fremde, sie beherrschende Macht gegenübertreten" 1 . Die Angst, das Ohnmachtsgefühl gegenüber der Technik, die Seibicke hier in die fachsprachliche Forschung hineinträgt, sind Bundesgenossen der herrschenden Klasse bei der Niederhaltung der werktätigen Massen im Kapitalismus. Wir haben hier ein anschauliches Beispiel dafür vor uns, wie fachsprachliche Untersuchungen zur Verbreitung der idealistischen Philosophie und der imperialistischen Ideologie beitragen können. Schließlich liefert uns Seibicke noch ein typisches Beispiel für die widersprüchliche Erklärung zutreffender Beobachtungen: „. . . unsere Ergebnisse gelten auch für die Geisteswissenschaften . . . Selbst Literaturwissenschaft und Philosophie haben — zumindest in der Methodik — ihre festgelegten Fachausdrücke. Sie sind aber ,vorläufiger', beweglicher und können oft genug vom einzelnen neu festgelegt und in besonderer Weise angewandt werden. Das liegt daran, daß die Untersuchung es hier im wesentlichen nicht mit Realitäten, sondern mit Wirklichkeiten zu t u n hat, die nicht in einer rationalen Merkmalbestimmung erfaßbar und von dorther wieder rekonstruierbar sind. Die Frage nach dem Wesen steht hier viel mehr im Vordergrund als etwa in den angewandten Naturwissenschaften. Übrigens kann man aber auch bei den ,Grundgrößen' der reinen Naturwissenschaften wie K r a f t , Zeit usw., die in die Philosophie und Erkenntnistheorie hinüberreichen, nicht mehr von Fachwörtern (Benennungen) im oben beschriebenen Sinne sprechen. Die Grenzen zwischen Fachsprache und 1
G. Klaus und M. Buhr, Philosophisches Wörterbuch, Leipzig 1964, S. 137.
7 Fachsprache
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Gemeinsprache gehen also quer durch die einzelnen Fachgebiete hindurch. Der Unterschied zwischen beiden ,Sprachen' liegt letzten Endes . . . in der Sprachverwendung" Wir sind zunächst sehr einverstanden damit, daß die Gesellschaftswissenschaften in fachsprachliche Untersuchungen einbezogen werden. Wir halten das sogar für nötig, um die bis jetzt immer noch bestehende Einseitigkeit zugunsten von Naturwissenschaften und Technik zu überwinden. Es trifft weiterhin zu, daß der Fachwortschatz und selbst die Terminologie einiger Gesellschaftswissenschaften weniger stabil sind als in den Naturwissenschaften und der Technik. Das liegt aber nicht daran, daß ihre Gegenstände „nicht in einer rationalen Merkmalbestimmung erfaßbar und von dorther wieder rekonstruierbar" wären. (Was würden dazu wohl die Philosophen und Literaturwissenschaftler sagen?!) Auch daß „die Frage nach dem Wesen" einen negativen Einfluß auf die Stabilität des gesellschaftswissenschaftlichen Fachwortschatzes haben soll, ist nicht ohne weiteres zu verstehen, ist es doch das Anliegen aller Wissenschaften, zum Wesen ihres Gegenstandes vorzudringen. Schließlich ist der Vergleich gerade mit den angewandten Naturwissenschaften nicht angebracht; nach dem Wesen der Dinge fragen nämlich — ebenso wie in den Gesellschaftswissenschaften — deren theoretische Disziplinen. Nein, wenn wir tatsächlich im gesellschaftswissenschaftlichen Fachwortschatz und in seiner Verwendung starke Diskrepanzen antreffen, dann deshalb, weil hier keine eineindeutigen Relationen zwischen Begriff bzw. Begriffssystem und Terminus bzw. terminologischem System bestehen, und das ist auf die unterschiedliche Widerspiegelung der gesellschaftlichen Realität im Bewußtsein zurückzuführen; bezeichnen wir es einfacher: auf den Klassenstandpunkt. Die Unterschiede beginnen hier bei der Grundfrage der Philosophie und enden noch nicht bei den Varianten der subjektiven Abbilder der objektiven Realität im Bewußtsein des Individuums, sondern erst bei den ideologischen Zielen, die der Gesellschaftswissenschaftler verfolgt. Ein weiterer Faktor spielt hier eine Rolle: Die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern sich ziemlich rasch, während viele Erkenntnisse der Naturwissenschaften „ewige Wahrheiten"(?) sind. Das spiegelt sich natürlich auch im Denken und damit in der Sprache wider. So kommt es, daß ein und dasselbe Wort verschiedene Begriffe be1
W. Seibieke, Fachsprache und Gemeinsprache. Muttersprache 1959, S. 80 f.
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zeichnen kann, die ihrerseits wieder in verschiedenen Bezugssystemen stehen. Daraus erklären sich aber auch subjektive, individuelle Divergenzen. Völlig irrig ist weiterhin die Auffassung, Termini wie „Kraft", „Zeit" usw. seien keine Fachwörter, weil sie auch außerhalb der Naturwissenschaften, z. B. in der Philosophie, verwendet werden. Sie treten ja auch in der Gemeinsprache auf, aus der sie übrigens stammen; Fachtermini wurden und sind sie durch Definition; und sie bleiben es auch, wenn sie in verschiedenen Disziplinen verwendet und dort jeweils verschieden definiert werden. Sehen wir die Dinge noch einmal vom begrifflichen und terminologischen System her: Was finge die klassische Physik wohl ohne Termini wie „Kraft", „Zeit", „Bewegung", „Geschwindigkeit" usw. an? Daß Seibicke nach all diesen Irrtümern, die einer ausgeprägt idealistischen Vorstellung vom Erkenntnisprozeß entspringen, doch noch zu einer teilweise wahren Schlußfeststellung gelangt, liegt in der Natur der Sache, der Fachsprachen, selbst: Die einfache und direkte Beobachtung zeigt uns, daß die Grenzen zwischen Fachsprachen und „Gemeinsprache" quer durch die einzelnen Fachgebiete hindurchgehen und daß gerade bei den genannten Beispielwörtern der Unterschied in der Verwendung liegt. Allerdings ist auch hier wieder die Verallgemeinerung, der Unterschied zwischen beiden „Sprachen" liege „letzten Endes . . . in der Sprachverwendung", irreführend, weil es eine Menge sprachlicher Elemente gibt, die gar nicht in beiden verwendet werden. Ein weiterer Vertreter der Richtung, für die das Wesen der Fachsprachen in der Lexik liegt, ist O. Buchmann 1 : „Die Syntax wird jedoch vom Umgehen der Technik mit der Sprache nicht umgeformt, wohl aber das Wort, und darum steht das Benennen jetzt im Mittelpunkt unserer Betrachtung" 2 . Ausgangspunkt für seine sprachwissenschaftlichen Erörterungen ist der „Umsturz des überlieferten Weltbildes durch die Technik" 3 (der natürlich auf den Veränderungen beruht, die die Technik in der WTelt selbst herbeigeführt hat). Dabei teilt er allerdings nicht Seibickes Ohnmachtsgefühle. I m Gegenteil: Naturwissenschaft und Technik 1
2 7*
O. Buchmann, Das Verhältnis von Mensch und Technik in sprachwissenschaftlicher Sicht. Muttersprache 10/1960. Ebd. S. 292. 3 Ebd. S. 257.
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sind für ihn „notwendige Ausdrucksformen des menschlichen Willens..., der Natur die Herrschaft über die Welt abzuringen" K Allerdings beruft er sich dabei auf Philosophen und Schriftsteller wie J . Huizinga, R. Guardini und E. Jünger, die teils Wegbereiter des Faschismus, teils wütende Antikommunisten sind und deren Gedanken selbst in seinen sprachlichen Formulierungen durchschimmern. Die tiefgreifenden Umwälzungen, die durch die Technik bewirkt werden, versetzen auch die Sprachwissenschaft in eine neue Lage: „Nicht nur, daß die Sprache das Aufdämmern einer neuen Zeit, den Beginn ihres Einzuges in das allgemeine Bewußtsein zum Beispiel an einer großen Zahl von Wörtern feststellen kann und daß sie außerdem mit ihren Beobachtungsverfahren noch einiges Genauere über den Verlauf, die Intensität und die Eindringtiefe dieses Vorgangs ermitteln könnte. Sie steht unvermeidlich auch vor der Aufgabe, die Beziehungen zwischen Sprache und Technik vor dem Hintergrund dieser Entwicklung zu sehen. Dabei ist sie noch nicht mit der Aufnahme des gegenwärtigen Bestandes — an Einsichten, Bemühungen, Aufgaben u n d Fragen — fertig, und es harren auch noch eine ganze Reihe grundsätzlicher Probleme der Klärung" 2 . Buchmann wendet sich gegen die Tendenz, im Einfluß der Technik auf die Sprache etwas Negatives zu sehen, und gegen einen unvernünftigen Purismus: „In erstaunlichem Maße gilt die Technik als Sprachverderberin, als zersetzende K r a f t . Man wirft ihr vor, sie begünstige Entstehung und Gebrauch immer neuer und immer zahlreicherer Fremdwörter; sie entseele die Sprache durch Massenerzeugung von Kunstwörtern, die sie gegen alle Lebensgesetze der Sprache bilde, und durch Abkürzungen, die aus der Sprache ein Gestammel machten; sie präge die Sprache zu einem bloßen, toten Nachrichtenmittel um; sie strebe danach, auch die Sprache zu mechanisieren und zu automatisieren, wohl gar mit dem Zweck, so Macht über den Menschen zu gewinnen . . ." 3 . Die Ursachen für diese Vorurteile gegenüber der Technik und gegenüber den Fachsprachen sieht er darin, „daß unser Verständnis mit der Entwicklung der Dinge nicht Schritt gehalten h a t " 4. Er lehnt auch den von F . Nietzsche und 0 . Spengler ausgehenden „Kulturrealismus" und die „antropomorphe Verdeutung" der Technik 1
Ebd. S. 258. 3 Ebd.
2
Ebd. S. 259. * Ebd.
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a b : „Für den Sprachrealismus ist es typisch, daß er bei seinem Festhalten am Hergebrachten das Entstehen neuer Wortschichten u n d ,Wortsorten' wie etwa der sogenannten Trivialnamen in der Chemie oder der Kunstwörter für einen Sprachschaden hält, ohne zu sehen, daß der Sprachbedarf der Technik zu solchen Auswegen zwingen kann; erst recht kommt er nicht auf die Frage, ob nicht gerade die ausschließliche Verwendung muttersprachlicher Mittel zur Deckung jenes Bedarfs eine Veränderung der Muttersprache bewirken könnte, die einer Zerstörung gleichkäme" „Wir ängstigen uns, daß ,die Technik' sich anschicke, uns zu beherrschen, und diese Angst ist es, die dem Kulturrealismus von heute seine besondere Färbung gibt . . . Herrschaft auszuüben ist eine dem Menschen vorbehaltene Möglichkeit; er allein besitzt Macht, d. h., er kann Gewalt planvoll einsetzen; die Naturgewalten sind demgegenüber blinde Gewalt. Wenn wir daher ,der Technik' die Fähigkeit zusprechen, Herrschaft über den Menschen sowohl zu erstreben als auch auszuüben, so ist das ein ,Anthropomorphismus'. Dieses Wort läßt sich leider nicht mit ,Vermenschlichung' übersetzen; denn es bedeutet das gerade Gegenteil, indem es ein der Menschennatur zuwiderlaufendes Einschätzen des Verhältnisses zwischen Mensch und Technik bezeichn e t : es ,verunmenschlicht' die Technik, indem es ihr unangemessene Züge im Verhältnis zum Menschen andichtet" 2 . Wir haben Buchmann so ausführlich zitiert, weil in seiner Polemik gegen den „Kulturrealismus" zwei Grundzüge der imperialistischen Ideologie sichtbar werden, die direkte Auswirkungen auf die fachsprachliche Forschung und den Gebrauch der Fachsprachen haben können. Die eine haben wir bei Seibicke kritisch analysiert; gegen sie wendet sich auch Buchmann: Die Entfremdung, die Verteufelung der Wissenschaft und Technik, die in der Angst vor dem Golem, dem Roboter, dem Elektronengehirn und ihrer Verselbständigung, also in dem verzweifelten Ruf von Goethes Zauberlehrling gipfelt: „Herr, die Not ist groß! Die ich schuf, die Technik werd' ich nun nicht los". Die andere bemüht den Gedanken der menschlichen Macht, der Gewalt über die Technik. Unausgesprochen bleibt bei Buchmann, daß es natürlich nur eine kleine Gruppe von Menschen ist, die diese Macht ausüben kann. Daß es nicht die Vertreter der Arbeiterklasse sind, steht bei seinen geistigen Ahnherren E. Jünger, J . Huizinga und R. Guardini 1
Ebd. S. 261.
2 Ebd.
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zu lesen, die als Vertreter reaktionärer Weltanschauungen von der Verherrlichung des absterbenden Mittelalters über die katholische Religionsphilosophie bis zur Lobpreisung der „Stahlgewitter" des Krieges bekannt sind. Also bleibt die herrschende Klasse, die Elite oder etwas Ähnliches. Das Ziel ist bei beiden Grundströmungen dasselbe: Durch die Erörterung eines konstruierten Problems (Gegensatz Mensch — Technik) soll die Aufmerksamkeit von den echten gesellschaftlichen Problemen und Widersprüchen des Kapitalismus abgelenkt werden, auch von der Frage, wem und welchen Zielen Wissenschaft und Technik in der jeweiligen Gesellschaft dienen. Das darf man unter keinen Umständen vergessen, wenn man bei Buchniann eine Reihe von Aussagen findet, die mit unserer Kritik an der Richtung übereinstimmen, die auch Seibicke früher vertreten hat. Für die marxistisch-leninistische Philosophie und auch für die sozialistische Gesellschaftsordnung gibt es keinen Widerspruch zwischen Mensch und Technik oder Mensch und Wissenschaft, weil die ständige Weiterentwicklung der Produktivkräfte und mit ihnen der Produktionsinstrumente nicht nur als gesetzmäßig erkannt, sondern zur Schaffung der ökonomischen Grundlagen des Kommunismus bewußt gefördert wird. Wir haben keine Angst vor Wissenschaft und Technik, weil sie uns hilft, unser großes Gesamtziel zu erreichen; wir gebrauchen sie aber auch nicht als Ausbeutungs- und Unterdrückungsinstrument , sondern zum Wohle aller Menschen. Die Sprachwissenschaft hat deshalb keine Veranlassung, im Einfluß von Wissenschaft und Technik auf die Sprache insgesamt und in der Entstehung und Ausbreitung der Fachsprachen oder deren Wechselbeziehungen mit anderen sprachlichen Bereichen etwas Gefährliches, Verderbliches oder gar Zersetzendes zu sehen. Es handelt sich dabei um eine natürliche, gesetzmäßige Erscheinung: Die Sprache fixiert mit den ihr spezifischen Mitteln einfach das, was auf diesen Gebieten geschieht und gedacht wird, um es mitteilbar zu machen. Die Aufgabe der Sprachwissenschaft, insbesondere der angewandten, besteht nicht nur darin, Neues zu registrieren und Veränderungen zu beobachten oder gar resignierend zu beklagen; sie hat vor allem darauf hinzuwirken, daß das Kommunikationsmittel (Fach-) Sprache seine Aufgaben so wirksam wie möglich erfüllen kann. Wir verfolgen hier die Ausführungen Buchmanns über die „Sprache als Energeia und als Ergon in Naturwissenschaft und Technik" nicht weiter, sondern weisen nur darauf hin, daß er seine Sprachwissenschaft-
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liehen Grundanschauungen von Humboldt und Weisgerber und seine Einsichten in die Sprache der Naturwissenschaften von Heisenberg 1 entlehnt; es geht ihm also darum, „wie denn unter den Bedingungen von Naturwissenschaft und Technik Sein mittels Sprache in Bewußtsein gewandelt wird" 2 . Es soll nur noch kurz erwähnt werden, was er direkt zum Wesen der Fachsprachen meint. Über die Erklärungen, Anwenden der Sprache sei praktische Auswahl aus verschiedenen Möglichkeiten aus dem Gesamt Vorrat der Sprache 3 und Verfügen sei eine „Form des Umgehens mit Sprache" 4 , gelangt er zu den folgenden Formulierungen: „Der erste besondere Zug der technischen Fachsprache, der sie als Ergon von der Gemeinsprache unterscheidet, ist also, daß ihr Wandel dem Zufall entzogen und von ausdrücklicher Änderung der Konvention ( = Normen) abhängig gemacht wird" 5 . (Zum besseren Verständnis muß angemerkt werden, daß Buchmann unter „Ergon" die Sprache als (offenes) System und unter „Energeia" den Sprachgebrauch oder die Sprachverwendung versteht 6 .) Und zur Funktion: „So erweist sich die technische Fachsprache als eine Zwecksprache; ihr Zweck ist es, das geistige wie materielle Verfügen über das Technische zu fördern . . . Von einer Fachsprache der Technik kann man also soweit reden, wie sich ihre einzelnen Erscheinungen unter dem Begriff der Zwecksprache mit dem Verfügen als Zweck zusammenfassen lassen. Als derartige Zwecksprache ist die technische Fachsprache durch das einseitige Ausnützen des Verfügens als einer Möglichkeit des Ergons Sprache gekennzeichnet und von der Allgemeinsprache unterschieden" 7 . Diese etwas schwülstige Definition besagt nichts anderes, als daß die Gemeinsprache freier mit den Mitteln des sprachlichen Systems umgehen kann als die Fachsprache, sich durch Universalität auszeichnet, während die Fachsprache gebunden, definiert und damit auch bis zu einem gewissen Grade einseitig ist 8 ; oder noch einfacher: Der Fachmann ist, wenn er f ü r seine speziellen Zwecke von der Sprache Gebrauch macht, an bestimmte Mittel gebunden. Gebundenheit — uns erscheint diese 1
W. Heisenberg, Physik und Philosophie, Stuttgart 1959. O. Buchmann, Das Verhältnis von Mensch und Technik in sprachwissenschaftlicher Sicht. Muttersprache 10/1960, S. 263. 3 Ebd. S. 271. 4 Ebd. S. 297. 5 Ebd. S. 296. « Ebd. S. 297. i Ebd. S. 296. 8 Vgl. auch ebd. S. 297. 2
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Bezeichnung günstiger als „Einseitigkeit" — ist für die Fachsprachen sinnvoll; darin stimmen wir Buchmann 1 zu. Sie hilft die fachsprachliche Kommunikation rationeller und effektiver gestalten. Bei allen Vorbehalten gegen Buchmanns Grundpositionen, oder genauer: gegen ihre Motivation, sind wir bei der Definition der Fachsprachen wieder einen Schritt weiter gekommen. Wir wissen jetzt, daß die Fachsprachen eine besondere Auswahl sprachlicher Mittel aus dem Gesamtbestand der Sprache darstellen, die zu einem speziellen, von der fachlichen Aussage her bedingten kommunikativen Zweck erfolgt. Reichen die bisherigen Mittel der Sprache nicht aus, so schaffen sich die Fachsprachen neue; sie halten sich dabei im wesentlichen an die im sprachlichen System gegebenen Modelle. Nehmen wir den funktionalstilistischen Aspekt hinzu, dann erkennen wir außerdem, daß diese Mittel im Fachtext nach einem bestimmten Prinzip geordnet („organisiert") sind, das man als funktionalen Stil bezeichnen kann, und daß die Fachsprachen in mehreren Schichten auftreten, die einer vertikalen Gliederung bedürfen. Wir dürfen nur nicht vergessen, daß das, wovon wir eben gesprochen haben, eine allgemeine Charakteristik ist, die in jeder der vielen Fachsprachen eine spezielle Realisierung oder Aktualisierung erfährt. Wir hätten aber beinahe aus dem Auge verloren, daß diese ausgewählten Mittel der Fachsprachen von der Masse unserer Autoren nach wie vor als lexikalische Mittel verstanden werden. Viel Neues kommt zwar nicht hinzu; hören wir uns aber trotzdem noch einige Meinungen dieser Art an. C. H. Ule, der die Sprache in der Verwaltung untersucht hat, vertritt die Auffassung, daß „. . . die Sprache der Verwaltung . . . eine Fachsprache ist. Sie wird, wie andere Fachsprachen auch, von allen denen gesprochen, die durch die gleiche fachliche Aufgabe und Tätigkeit zusammengehalten werden. Hiernach gibt es so viele Fachsprachen, wie es überhaupt Tätigkeiten geben kann, z. B. die Fachsprachen der verschiedenen Berufe, aber auch nichtberufliche Tätigkeiten wie der Tennis- und Fußballspieler, der Segler und Ruderer usw. Es gibt die Fachsprachen der einzelnen Wissenschaften . . . Jede dieser Fachsprachen unterscheidet sich dadurch von der Gemeinsprache, daß sie Ausdrücke verwendet, die es in der Gemeinsprache nicht gibt, oder daß sie mehrdeutigen Ausdrücken, die auch in der Gemeinsprache veri Ebd. S. 297.
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wendet werden, einen ganz bestimmten eindeutigen Sinn gibt" Ule unterscheidet auch für die Verwaltungssprache zwei Schichten: die Sprache der Rechtsverordnungen, des Gesetzgebers also, sowie die Sprache der Ausführungsbestimmungen, die vor allem unter den Experten verwendet werden und sich durch den Verzicht auf Anschaulichkeit, Bildhaftigkeit, Farbigkeit und Abwechslung auszeichnen, um dadurch Klarheit und Sachlichkeit zu gewinnen, und anderseits die Sprache, die von den Vertretern der Verwaltung im Umgang mit den Bürgern, also in Auskünften, Mitteilungen, Verfügungen, Steuerbescheiden u. ä. verwendet wird und die der Gemeinsprache näher liegt, da sie ja vom Laien verstanden werden muß. I n der Begründung dafür, daß die Verwaltungssprache eine gewisse Vorbildwirkung hat, ihre Wortprägungen auch in die Gemeinsprache eindringen, offenbart sich bei Ule ein unerhörtes Maß an reaktionärer Haltung zum Staat und an Überheblichkeit gegenüber seinen Bürgern, wie das für die Geisteshaltung vieler Beamten der bürgerlichen Gesellschaft typisch ist. So spricht er von der Struktur der modernen Massengesellschaft, wo er lieber von der der kapitalistischen Gesellschaft sprechen sollte, „deren Passivität im Geistigen der kritiklosen Übernahme neuer Wortbildungen . . . entgegenkommt" 2 , und fährt fort: „Der Mensch . . . ist gar nicht in der Lage, und auch zu bequem, die Brauchbarkeit dieser Wörter für die Umgangssprache selbständig zu prüfen. E r bedient sich deshalb bedenkenlos der Wörter u n d Wendungen, die ihm die Verwaltungssprache anbietet". Das entspreche dem . . . „Wunsch der modernen Menschen nach Unverbindlichkeit. Man will sich, auch im sprachlichen Ausdruck, nicht festlegen, nicht binden. Man möchte seine innere Einstellung zu den Fragen, sein eigenes Urteil, soweit man überhaupt eins hat, hinter inhaltlosen Formeln verbergen. . . . Wer nichts auszusagen hat, aber doch etwas sagen will, wird sich nur zu gern einer Sprache bedienen, deren Ausdrücke und Wendungen nur in ihrer Allgemeinheit verbindlich, in ihrer Anwendung auf den Einzelfall aber unverbindlich sind" 3 . Daß Ule sich Verwaltung und Sprache der D D R zur Zielscheibe nimmt, um die in diesem Zitat ausgedrückte Menschenverachtung loszuwerden, ist ebenfalls symptomatisch für die Geisteshaltung einer mit ihrem kapitalistischen Staat verfallenden Beamtenschaft. Deuten wir Ules 1 2
C. H. Ule, Die Sprache in der Verwaltung. Muttersprache 1960, S. 363-373. Ebd. S. 370. 3 Ebd.
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Äußerung mit höflicher Zurückhaltung: Er weiß nur, was die von ihm vertretene Staatsform aus ihren Bürgern machen möchte und leider zum Teil auch schon gemacht hat. Von der Haltung eines sozialistischen Staates zum Menschen und von dessen wachsendem Selbstbewußtsein als Mitgestalter seines Staates ist noch nichts zu ihm gedrungen. Sicher hat er auch ein wenig aus der Schule geplaudert, wenn er meint, in der Wilhelminischen Ära hätten Staat und Verwaltung noch eine gewisse Verklärung erfahren, seit 1918 aber sei eine Abwertung des Staates und des Beamten erfolgt. So unrecht hat er nicht einmal: Die kapitalistische Staatsform und ihre Diener haben tatsächlich gewaltig an Ansehen verloren, allerdings nicht erst seit 1918 (das mag für Wilhelm I I . und C. H. Ule ein schlimmes Datum sein!), sondern spätestens seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution im Jahre 1917. J a , auch bei der Untersuchung der Fachsprachen stößt man auf merkwürdige Anachronismen. Wir wollen damit allerdings nicht bestreiten, d a ß es auch in unserer Verwaltungssprache noch Erscheinungen gibt, die ihrem Zweck im Wege stehen. Ihre Beseitigung könnte eines der Anliegen der angewandten Sprachwissenschaft im Sozialismus sein. H. Müller-Tochtermann definiert ganz eindeutig: „Fachsprache ist daher nichts anderes als ein Bestand von Fachwörtern, der auch im äußersten Falle nur im Zusammenhang mit einem mehr oder weniger umfangreichen unverzichtbaren Rest von Allgemeinwörtern verwendet werden kann" F ü r die Rechtssprache, die er untersucht, unterscheidet er das Fachwort im weiteren und das Fachwort im engeren Sinne. Wir erkennen auch darin die beiden Schichten der Fachsprachen — die mehr praktische und die mehr theoretische — wieder, allerdings weiter differenziert. Müller-Tochtermann erläutert ihre Funktionen recht einleuchtend: „Fassen wir diese Beobachtungen und Überlegungen zusammen, so läßt sich als Ergebnis etwa festhalten, daß im Bereich der Rechtssprache das Fachwort im weiteren Sinne in den Formeln des natürlichen Begriffs, des unbestimmten Rechtsbegriffs, des (bestimmten) Rechtsbegriffs und des rechtswissenschaftlichen Begriffs vorkommt. I n allen Gruppen spielt die Verwendung des Allgemeinworts eine im Verhältnis zu anderen, besonders naturwissenschaftlichen Fachgebieten große Rolle. Diese Tatsache hat nicht nur in dem Bestreben, •die Gesetze und Urteile möglichst allgemeinverständlich abzufassen, 1
H. Müller-Tochtermann, sprache 1959, S. 89.
Struktur der deutschen Rechtssprache.
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ihre Ursache, sondern vornehmlich darin, daß das Rechtsdenken in besonders weitem Umfang an die allgemein erfahrbaren Gegebenheiten •des menschlichen Daseins anknüpft und in weiten Bereichen auf Beschreibung der natürlichen ,vorrechtlichen' Beziehungen und Handlungen der Menschen angewiesen ist. Erst dort, wo die juristische Analyse einsetzt und sie die Bezeichnung rationaler und genau abgrenzbarer Gedankengänge erfordert, entsteht auch in der Rechtssprache •das Fachwort im engeren Sinne, das dann in seiner Form und in seiner Verwendung den Fachwörtern anderer Wissenschaften weitgehend ähnelt" i. Wir beobachten allerdings auch in dieser Darstellung die weitgehende -Gleichsetzung von Wort und Begriff, die die Unterschiede zwischen Sprache und Erkenntnis verwischt und die wir deshalb bereits an anderer Stelle zurückgewiesen haben. Wenig zu entnehmen ist dem Aufsatz von E. Rothacker, der Aufschluß über die Sprache der Geisteswissenschaften verspricht 2 . Die Gegenüberstellung zu den Naturwissenschaften bleibt allgemein: „Die Sprache •der Geisteswissenschaften ist zunächst und nie ganz aufhebbar die vorwissenschaftliche gebildete Umgangssprache, die auch die Sprache unserer Prosaliteratur ist. Diese Umgangssprache vergegenwärtigt uns unsere vorwissenschaftliche, farbige, tönende, duftende, naiv realistisch verstandene Welt, in der wir alle leben, lieben, leiden, sterben . . ." 3 . Der Gebrauch des Wortes „vorwissenschaftlich" — von Rothacker noch mit einer leichten Sentimentalität überzogen — mutet in der Verbind u n g mit Sprache und Welt zumindest merkwürdig an. Sinnvoll ist es, von einem „vorwissenschaftlichen Denken" zu sprechen, auch wenn •dabei die Gefahr besteht, daß sich ein Streit über die Grenze zwischen vorwissenschaftlichem und wissenschaftlichem Denken erhebt. Eine vorwissenschaftliche Sprache und eine vorwissenschaftliche Welt gibt es eigentlich nicht, es sei denn, man verstünde darunter die Sprache, •deren man sich bediente, ehe noch die erste Dämmerung wissenschaftlicher Erkenntnis angebrochen war, oder die der wissenschaftlichen Erkenntnis noch völlig verschlossene Welt. Aber auch dann wäre diese Bezeichnung unangemessen. Gemeint sind in dem Zitat die Sprache, 1 2
3
Ebd. S. 91. W. Rothacker, Die Sprache der Geisteswissenschaften. Sprache und Wissenschaft, Göttingen 1960. Ebd. S. 122.
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die keinem wissenschaftlichen Zweck dient, also die Gemeinsprache, und die Welt, wenn man sie nicht wissenschaftlich betrachtet. Durch seine ungenauen Formulierungen bringt Rothacker die Geisteswissenschaften selbst in den Verdacht, sie befänden sich allesamt noch in einem vorwissenschaftlichen Stadium. Dieser Trugschluß entsteht durch die zweifellos richtige Beobachtung, daß der Wortschatz der Gesellschaftswissenschaften dem der künstlerischen Prosa und der Presse viel näher steht als der der Naturwissenschaften, und die völlig abwegige Annahme, daraus ließe sich ein Urteil über den Stand der Gesellschaftswissenschaften ableiten. Rothacker spricht das zwar nicht direkt aus, aber er müßte mit dieser Auslegung rechnen. Hier wird deutlich, daß man auf Grund der Lexik zwar eine sehr klare Abgrenzung zwischen den Fachsprachen und anderen Verwendungsweisen der Sprache und auch zwischen den einzelnen Fachsprachen untereinander treffen kann, daß aber der Fachwortschatz (das singulär Bezeichnende) allein bei weitem nicht alles über das Wesen der Fachsprachen und noch weniger über das Wesen des Faches sagt. Der Charakter einer Fachsprache offenbart sich vollständig erst in ihren Sätzen (im komplexen Bezeichnenden) — womit wir durchaus nicht allein die syntaktischen Strukturen meinen — und der Charakter bzw. E n t wicklungsstand eines Faches in seinen Aussagen (dem komplexen Bezeichneten). W. Porzig definiert die Fachsprache als „eine auf bestimmte Zwecke beschränkte Abart der Hochsprache" und Gesamtheit der Sprachmittel, die „die Fachleute für die Verständigung auf ihrem Sondergebiet ausgebildet haben, weil dabei ganz besondere Leistungen von der Sprache verlangt werden" „Leistung" kann man hier wohl nicht nur mit „Funktion" gleichsetzen. Es ist damit auch eine besondere Qualität gemeint. Aber von diesen Sprachmitteln ist es wieder der Wortschatz, der die Eigenart der Fachsprachen ausmacht: „Mit einer Genauigkeit und einer Beachtung auch der geringsten Einzelheiten, die weit über alles hinausgehen, was die Gemeinsprache leisten kann, werden die Gegenstände, Verhältnisse und Vorgänge eines bestimmten Sachgebietes bezeichnet" 2 . „Jede Technik und jedes Handwerk haben ihre Fachsprache, in der jedes Werkzeug und seine Teile, jedes Material, seine Eigenschaften 1
W. Porzig, Das Wunder der Sprache, 2. Aufl., Bern 1957, S. 258. 2 Ebd. S. 258 ff.
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und Zustände, jedes Verfahren und seine Stufen genau bezeichnet werden . . . Ein so gewaltiger und stets zunehmender Bedarf an Namen kann selbstverständlich von der Gemeinsprache . . . nicht befriedigt werden. Daher ergänzt sich die Fachsprache durch Neubildungen und Entlehnungen. Das Verfahren zur Neubildung von Wörtern ist ein wesentlicher Bestandteil jeder Fachsprache" „Entstehung und Geltung solcher Bildungen beruhen auf Verabredung. Von da aus ist es nur noch ein Schritt zur Ausbildung einer Fachsprache rein aus verabredeten Bestandteilen, wie sie sich die moderne Chemie in so vollendeter Weise geschaffen hat. Solche wissenschaftlichen Fachsprachen haben gleichzeitig den Vorteil, international gültig zu sein. Sie müssen es auch sein, denn die Wissenschaft ist nicht durch staatliche oder völkische Grenzen beschränkt" 2 . Hören wir noch F. Stroh: „Im Schwerpunkt ihres Begriffs steht nicht eine Sprachgemeinschaft, sondern die (gegenständliche) Welt. Fachsprachen erfassen sachlich Neues. Sie erschließen bestimmte Sachgebiete, neue Weltausschnitte. In ihnen liegt die Sprache vor Ort. In ihnen vor allem vollzieht sich der sprachliche Fortschritt. Von hier gehen die großen Umwälzungen aus, die aufs Sprachganze zurückwirken. Ihr Wortschatz verdoppelt den gemeinsprachlichen nicht, er erweitert ihn vielmehr in einem Teilgebiet. Die Fachsprachen werden immer selbständiger und wichtiger mit der zunehmenden geistigen Zergliederung der Welt" 3 . Hier sind zwei Dinge hervorzuheben: einmal die angedeutete Unterscheidung von Fachsprachen und Gruppensprachen (Argot, Slang, Jargon usw.), zum anderen der Gedanke von der zunehmenden Bedeutung und Selbständigkeit der Fachsprachen als Folge der Verfeinerung und Vervollkommnung der menschlichen Erkenntnis. H. Wein, der sich wieder stärker mit dem allgemeinen Verhältnis von Sprache und Technik beschäftigt, bezeichnet die Fachsprachen als wissenschaftliche und technische „Sekundärsprachen" gegenüber der Muttersprache als „Primärsprache" 4 . In zwei Sätzen wird das wie folgt begründet: „Sprache ist Voraussetzung und Faktor von Wissenschaft; Wissenschaft formt Sprache um und schafft eigene Sprache5". Das ist 1
Ebd. S. 259. 2 Ebd. S. 260. F. Stroh, Handbuch der germanischen Philologie, Berlin 1952, S. 335 f. 4 H. Wein, Sprache und Wissenschaft. Sprache und Wissenschaft, Göttingen 1960, S. 14. s Ebd. S. 13 f. 3
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im Grunde genommen die Formel, auf die Wein die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Sprache bringt. Wichtig ist noch der Zusatz: „. . . jedoch muß und kann wissenschaftliches Denken die Primärsprachen zwar bereichern, umformen und korrigieren, aber sich praktisch nie von ihnen befreien . . . " D a m i t ist also auch der Verselbständigung der Fachsprachen ihre Grenze gezogen. G. Kandier, den wir als namhaften Vertreter der angewandten Sprachwissenschaft in der B R D kennen 2 und mit dessen Ansichten wir u n s schon an anderer Stelle auseinandergesetzt haben 3 , sieht für die Sprachpflege im Rahmen einer angewandten Sprachwissenschaft auch fachsprachliche Aufgaben, ohne das direkt so zu nennen. Ihm geht es darum, „. . . die Reihe der sprachlichen Zwecke im wirklichen Leben so vollzählig wie möglich aufzusuchen" 4 , und er erläutert das an folgendem Beispiel: „Was will denn der Arzt von oder mit der Sprache? Er braucht inhaltlich zugeschärfte Fachbegriffe unter den Fachgenossen; eine weitere Terminologie f ü r den Verkehr mit dem Hilfspersonal, die einfacher und näher an der Gemeinsprache sein m u ß ; er würde gern eine Übersicht gewinnen, was die Gemeinsprache an medizinischen Begriffen birgt, damit er weiß, welche Verständigungsgrundlage er bei seinen Fragen, Erklärungen und Anweisungen voraussetzen kann. Ihn kümmert die rechte Bezeichnung von Heilmitteln oder die unmißverständliche Fassung einer Anwendungsvorschrift; die Frage, wie man, nicht nur als Seelenarzt, schonend mit einem Kranken redet; ob man die Kassenpatienten militärisch mit ,Meier' oder nicht doch lieber mit ,Herr Meier' anspricht oder ob ein ,Du' zu einem Halbwüchsigen nicht die Neigung zu väterlichem Vertrauen fördert, obwohl ein ,Sie' sonst nötig erschiene . . ." 5 . In den letzten Sätzen geht Kandier schon ein wenig über den Fachwortschatz, dessen Schichtung sich auch bei ihm deutlich abzeichnet 1 2
3
i
6
Ebd. S. 17. G. Kandier, Angewandte Sprachwissenschaft. Name und Wesen eines kommenden Wissenschaftszweiges. Wirkendes Wort 5/1952—53, S. 257—271; ders. Zum Aufbau der angewandten Sprachwissenschaft und den Aufgaben des Sprachforums. Sprachforum 1/1955, S. 3—9. L. Hoffmann, Angewandte Sprachwissenschaft, Fachsprachen und sprachliche Ebenen. Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 20 (1971) H. 5, S. 1209. G. Kandier, Zur Erneuerung der Sprachpflege durch die „angewandte Sprachwissenschaft". Muttersprache 1956, S. 265. Ebd.
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(Fachgenosse — Hilfspersonal — Patient), hinaus, etwa im Sinne einer allgemeinen Sprachwirkungsforschung, die sehr stark mit psychologischen Aspekten zu rechnen hat, aber ebenso mit sozialen, wenn auch die Frage der „militärischen" Anrede von „Kassenpatienten" für dassozialistische Gesundheitswesen und unsere angewandte Sprachwissenschaft keinen ernsthaften Gesprächsstoff mehr hergeben kann. Nicht mehr zur fachsprachlichen Forschung und wohl überhaupt nicht zur wissenschaftlichen Literatur ist ein Buch von K . Korn zu rechnen, über das wir hier aber doch ein paar Worte verlieren müssen, weil es durch die zwiespältige Haltung der in ihm vertretenen „Sprachkritik" eine falsche Einstellung zu den Fachsprachen erzeugen kann 1 . Das wird schon in einigen Überschriften deutlich: Das registrierte Leben. Aus dem Wörterbuch des Angebers. Die Sprache der Domestikation. Geist aus dem Bauchladen. Die Namen der Anonymität. Das Erlebnis als Konserve. Der Infinitiv und die Massen. Sprachgeist und Sprachungeist. Es läßt sich nicht leugnen, daß viele der von Korn vorgeführten, gegeißelten oder mit Ironie abgetanen Erscheinungen in der deutschen Sprache tatsächlich existiert haben oder noch existieren. Es trifft aber nicht zu, daß in dieser Beziehung die gleichen Gesetzmäßigkeiten im gesamten deutschsprachigen Raum auftreten oder gar in allen Ländern der Welt herrschen, in denen die Gesellschaft einen hohen Grad von Organisiertheit erreicht hat. Schon der Titel des Buches läßt hier keine Differenzierung erkennen, und so gilt denn die Bezeichnung „verwaltete Welt" unterschiedslos für den staatsmonopolistischen Kapitalismus wie für den Sozialismus. Wir haben es hier mit einer ziemlich unverhüllten Variante der Konvergenztheorie zu t u n . Die Ursachen für all das, was Korn am Sprachgebrauch unserer Zeit verurteilt, liegen hier wie da in der „Vermassung", „Zivilisation" und „Technik". Von den wahren ökonomischen und sozialen Ursachen ist nirgends die Rede. Philosophisch gesehen ist dieses Buch eine Mischung aus Nietzsche, Freud, Ortega y Gasset und Existentialismus. Lassen wir einige Zitate sprechen, von denen das erste noch in unsere Richtung hätte führen können: „Es ist möglich, daß wir parallel zur zweiten industriellen Revolution in einer sprachlichen Form- und Bedeutungsverschiebung stehen, deren Ausmaße uns noch unbekannt sind, deren Richtung sich aber bereits abzeichnet 2 ". 1
K. Korn, Sprache in der verwalteten Welt, Ölten und Freiburg i. Br., 2. Aufl., 1959. 2 Ebd. S. 13.
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Aber dann wird es schon bedenklich: „Die Sprache ist ein Geistiges, das nicht ohne Korrelation zum Triebhaft-Unbewußten verstanden werden kann. Im Sinne der Tiefenpsychologie ist das Geistige gleichursprünglich mit dem Triebhaften. Von diesem Ansatzpunkt aus den Begriffen und den Begriffshintergründen in Worten nachspüren, ist von hohem Reiz und eine fruchtbare Methode der Sprachdeutung" „Besonders interessantes Material ist in Neubildungen zu sehen, die nicht selten aus dem militärischen Bezirk oder aus den unteren sozialen Schichten in Regimen der Einparteiendiktatur stammen, wo Befehlsausgabe und Befehlsempfang die Norm sind" 2 . „Militärischer Bereich" wäre hier besser zu ersetzen durch „Jargon des preußischen und faschistischen Kommiß sowie der Bundeswehr". Daß es auch eine militärwissenschaftliche und militärische Fachsprache gibt, interessiert Korn nicht. Dann folgt der fundamentale Satz: „Die verwaltete Welt funktioniert durch Sprache; Verwaltung geschieht durch Sprache" 3 , eine Übertreibung scheinbar, ein Irrtum, wenn wir die wirklichen Relationen zwischen objektiver Realität, Bewußtsein und Sprache kennen. Damit unterschätzen wir die gewaltige Rolle der Sprache in der „verwalteten Welt" ganz und gar nicht, und wir haben auch verstanden, d a ß es hier nicht um „Verwaltung" im engeren Sinne des Wortes geht, sondern daß für Korn „verwaltete Welt" ein Synonym für seine „moderne zivilisierte, von Technik und Vermassung geprägte Gesellschaft in ihrer Totalität" ist. Oder hören wir seine eigene Definition: „Unter Zivilisation oder verwalteter Welt verstehen wir die technischindustriellen, sozialen, administrat iven und politischen Superstrukturen. Der Begriff Superstruktur, der in der modernen Soziologie, Kulturkritik und Sozialpsychologie eine Rolle spielt, heißt ins Deutsche übersetzt Überbau. Dieser Begriff ist in unserem Zusammenhang zu vermeiden, weil er durch die marxistische Geschichtsphilosophie einen Sinn erhalten hat, der sich nicht mit dem der Superstruktur deckt. Ihre hervorragendsten Kennzeichen sind das Schwinden oder Fehlen des individuellen Charakters, ihre Abstraktheit, ihre Differenzierung, ihre Ausdehnung über der Anschauung entrückte Räume und Ebenen, ihre Tendenz zur Erfassung erweiterter Geltungsbereiche" /j . 1 Ebd. Ebd. 3 Ebd. Ebd. 2
S. S. S. S.
12. 13. 15. 179.
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Doch weiter: Begriffe und Wörter sind in der Sprache der „verwalteten Welt" rechnerische Größen, deren wahre Natur unbekannt ist. „Ihre Sätze treffen nicht unmittelbar, geben Aussagen, die eher Subsumptionen sind als direkte Zitierungen des Geschehens oder Sachverhalts" „Die Macht der Statistik verwandelt die Sprache. Durch die Möglichkeiten der modernen Kommunikationsmittel wird jeder einzelne Vorgang sofort mit allen möglichen vergleichbaren in Beziehung gesetzt, seiner individuellen Farbigkeit entkleidet, auf gemeinsame Nenner gebracht und in die Zeichensprache der Registraturen (Lochkarten, Aktenzeichen) übertragen" 2. Die Fachsprachen von Wissenschaft und Technik kennt Korn offenbar schlecht; denn er behauptet, diese bevorzugten das direkte Verb, während die Verwaltung das Verb „aufschwemmt", „nominalisiert", und konstruiert daraus einen konfusen Gegensatz: „Vielleicht haben wir im allgemeinen einen Widerstreit der technischen gegen die verwaltete Rationalisierung anzunehmen. Dies wäre so zu erklären, daß die verwaltende Ratio auf Plan, Entwurf, Konzept und nicht zuletzt auf dem Machttrieb beruht. Der Manager rationalisiert anders als der Techniker" 3. „Es ist interessant zu beobachten, wie in unseren Tagen auch das Wort Arbeiter mehr und mehr dem Betriebsangehörigen weichen muß. Diese sprachliche Entwicklung läuft mit der Entwicklung der industriellen Arbeit und ihrer sozialen Bewertung parallel. ,Betriebsangehöriger* ist nicht nur der umfassendere Begriff, sondern auch der sozial gehobenere und enthält genug Spielraum für die vielfältigen Differenzierungen der Beschäftigten, die sich im Zeichen der beginnenden Automation abzeichnen. Gleichzeitig ist das Wort Betriebsangehöriger geeignet, die vom Arbeiter schon immer angestrebte Ranggleichstellung mit dem Angestellten, der sich die Finger nicht schmutzig macht, auszudrücken. Während die manuellen Tätigkeiten schwerer körperlicher Arbeit abnehmen und die Steuerungen und die Bürotätigkeit zunehmen, treten Worte wie Fabrik und Arbeiter in den Hintergrund und kommen Bezeichnungen wie Betrieb, Werk, Unternehmen samt den zugehörigen Personalbezeichnungen in vermehrten Umlauf" Das ist nichts anderes als Mithilfe bei der Verkleisterung der Klassen1 3
Ebd. S. 19. Ebd. S. 29.
8
Fachsprache
2 Ebd. S. 21. « Ebd. S. 37.
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gegensätze in der kapitalistischen Gesellschaft. Für den klassenbewußten Arbeiter und in einem sozialistischen Staat ist das Wort „Arbeiter" ein Ehrenname. Die kleinbürgerlichen Ziele des sozialen Prestiges, die ihm hier unterstellt werden, mögen für die korrumpierte Arbeiteraristokratie in der kapitalistischen Gesellschaft gelten, haben aber nichts gemein mit den echten Zielen der Arbeiterklasse, die in der wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxismus-Leninismus klar fixiert sind. Da die Bourgeoisie aber vor nichts mehr Angst hat als vor der Verwirklichung dieser Ziele, lenkt sie auf andere ab, auch und immer stärker mit sprachlichen Mitteln, in der Hoffnung, der „Betriebsangehörige" könne ihr nicht so gefährlich werden wie der Arbeiter. Sollte Korn, der die sprachlichen Veränderungen ja durchaus sieht, von dieser Absicht nichts merken, wenn er ihr schon nicht bewußt dient ? Eine Folge der Superstrukturen ist nach Korn auch die sprachliche Übernationalität, die sich darin äußert, daß Wörter wie „Industrie", „Maschine", „Konstruktion", „Radio", „Auto", „Optik", „Technik", „Elektrizität", „Energie", „Atom", „Nylon" usw. „. . . ihre genaue Entsprechung in allen Weltsprachen haben. Die industrielle Zivilisation ist international, und wenn auch die Sprachnormung der nationalen technischen Ausschüsse aus Prinzip auf gemeinsame Bezeichnungen verzichtet, ja sogar eher die Fremdworte langsam und mühsam ersetzt, so gibt es doch eine gemeinsame Begrifflichkeit der modernen technischen Zivilisation. Ob wir deutsch Rundfunk sagen oder Fernmeldetechnik, die englischen oder russischen Entsprechungen decken sich so genau, wie sieh die Denkmodelle und die Sachen der internationalen Einheitszivilisation decken. So entsteht innerhalb der weiterlebenden nationalen Sprachen ein immer größer werdender gemeinsamer Begriffs- und Bildvorrat, dessen zugehörige sprachliche Bezeichnungen zum großen Teil nicht mehr aus dem geschlossenen nationalen Sprachsystem stammen, sondern aus der internationalen Vereinbarung — und dies trotz Rückübersetzung in nationale Sprachformen" 1. Man muß nicht unbedingt „Superstrukturen" oder ähnliche künstliche Kategorien bemühen, um eine sehr einfache Sache zu erklären. Die wahren Ursachen für die begriffliche Übereinstimmung, die hinter den unterschiedlichen Wörtern der verschiedenen Sprachen, besonders der Fachsprachen steht, liegen in der weitgehenden Kongruenz der Abbilder 1
Ebd. S. 133.
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der objektiven Realität im Bewußtsein der Angehörigen ganz verschiedener Nationen und in der darauf beruhenden Homomorphie der Denkprozesse. Diese Übereinstimmung ist im Menschen angelegt und teilweise realisiert, lange bevor er in die „verwaltete Welt" eintritt. Sie nimmt ständig zu, und zwar als Folge der fortschreitenden menschlichen Erkenntnis. J e größer die Gewißheit über die Erscheinungen der objektiven Realität, je tiefer der Einblick in die Zusammenhänge zwischen ihnen, desto stärker entwickelt sich die Homomorphie im begrifflichen Substrat der unterschiedlichen Sprachen zur Isomorphie, die ihre reinste Ausdrucksform allerdings nicht in den natürlichen Sprachen, sondern in Symbolen, Formeln u. ä. findet. Die ganze übrige „Internationalisierung" ist eine Folge der ständigen Erweiterung der Zusammenarbeit zwischen Staaten und Nationen und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die sprachliche Kommunikation, wie wir sie schon dargestellt haben. Die dabei verwendeten sprachlichen Zeichen können ebensogut aus dem eigenen „natürlichen Sprachsystem" (gemeint ist damit ja nur der Wortschatz, und der ist selbstverständlich kein geschlossenes System!) wie aus anderen Sprachen stammen. Ihre Einbürgerung erfolgt zum Teil spontan, in den Fachsprachen aber immer häufiger bewußt durch Übereinkunft (nationale und internationale Sprachnormung). All diese Vorgänge sind durchaus natürlich und im Sinne der Effektivierung und Rationalisierung der fachsprachlichen Kommunikation nicht nur zu begrüßen, sondern direkt zu fördern. Korn irrt sich auch, wenn er meint, vermutlich sei „. . . die Sprache der industriell angewandten und anwendbaren Naturwissenschaften im weiteren Sinne trotz natürlichen Wortmaterials internationaler als die der theoretischen Wissenschaften, deren spekulative Elemente heute ja bekanntlich immer wieder an jene Grenze führen, wo aus Naturtheorie Philosophie wird" i , weil er einfach das Sprachmaterial nicht kennt. Näher kommt den Dingen schon die folgende Feststellung: „Nun muß freilich zugegeben werden, daß alle Wissenschaft die sinnfälligen Alltagsbegriffe seit eh und je revidiert, sie in kritisch geprüfte Begriffsgruppen einbringt und sie in gewissem Sinne reicher macht, indem sie sie in größere Zusammenhänge einordnet. Die Sprache befindet sich toto coelo in einem ständigen Prozeß vermehrter Verwissenschafti Ebd. S. 134. 8*
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lichung" Man sollte sie nur dahingehend ergänzen, daß die Bereicherung vor allem den Begriffsinhalt betrifft. Der Begriffsumfang wird in den Fachsprachen gewöhnlich eingeengt; das kommt auch in der Reduzierung bzw. Aufhebung der Polysemie des Wortes zum Ausdruck. In die gleiche Richtung zielt die Bemerkung: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Fortschritt und die Verbreitung wissenschaftlichen Denkens die Sprache und die Sprachen mehr und mehr mit rationalen Zweckprägungen durchsetzen und sie insgesamt rationaler machen, das einzelne Wort seiner magischen K r a f t entkleiden und es stärker mit Begrifflichkeit aufladen" 2 . I n deutlichem Widerspruch zu diesen Betrachtungen steht aber eine frühere Behauptung Korns: „Merkwürdigerweise ist die Sprache der verwalteten Welt nicht etwa eindeutiger, genauer und rationaler geworden". . . . „Die verwaltete Welt bringt vielfach eine Aufschwellung und zugleich eine Entleerung der Sprache mit sich" 3 . Oder räumt Korn der Sprache der Wissenschaft einen Sonderstatus gegenüber der Sprache der „verwalteten Welt" ein? Sieht er in beiden einander entgegenwirkende Kräfte? Meint er mit der Sprache der „verwalteten Welt" die Gemeinsprache oder nur bestimmte Elemente, die aus den verschiedenen Fachsprachen in sie eingedrungen sind? Diese und andere Fragen beantwortet Korn nicht eindeutig, auch nicht in Definitionen wie: „Die Sprache der Superstruktur ist wie diese fabriziert, geplant, synthetisch, künstlich, . . . zeigt eine Tendenz zum Artifiziellen" 4 , oder: „Das allgemeinste Merkmal ist, daß das Wort mehr und mehr statt des einzelnen Konkreten einen Stellenwert innerhalb großer künstlicher Ordnungsgefüge anzeigt. Das Wort wird zum P u n k t in den Koordinatensystemen der Bürokratie. Daher die Tendenz zum Namen, daher die Entsinnlichung der Grundworte, daher die Verwandlung von Wortkernen in Worthülsen" 5 . Völlig undialektisch ist auch die Beurteilung des Verhältnisses zwischen den Einzelphänomenen und den Zusammenhängen, die unter ihnen bestehen: „In der Sprache geschieht, was in der Umwelt, in der wir leben, vor sich geht. Die Zusammenhänge werden immer größer, die Kommunikation immer vollständiger, die individuelle Existenz von Personen und Lebewesen und die Konkretheit der Sachen wächst in 1 Ebd. S. 136. « Ebd. S. 180.
2 Ebd. S. 137 f. Ebd. S. 181.
5
3 Ebd. S. 131.
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immer mehr Bezugsebenen hinein. Das Konkretum selbst wird leer" K Hier kann man nur entgegenhalten: Das Einzelding steht immer in Zusammenhängen. Die Welt ist keine zufällige Anhäufung von Dingen, die unabhängig voneinander existieren, sondern eine Einheit, in der Dinge und Erscheinungen bei all ihrer Unterschiedlichkeit in einem universellen Zusammenhang stehen. So jedenfalls sieht es die Dialektik, „. . . die die Dinge und ihre begrifflichen Abbilder wesentlich in ihrem Zusammenhang, ihrer Verkettung, ihrer Bewegung, ihrem Entstehen und Vergehen auffaßt . . ." 2 . Daß sich diese Zusammenhänge u n d damit auch das Wissen um sie im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung ausweiten, ist wiederum nur natürlich. Das führt aber keinesfalls zu einer „Entleerung" der konkreten Dinge, sondern eher zu ihrer Vervollkommnung, zur Präzisierung ihrer Abbilder im Bewußtsein der Menschen und auch zur klareren Bestimmung des Inhalts ihrer sprachlichen Benennungen, die sich auf ihre Verwendung in der sprachlichen Kommunikation auswirkt. Es gibt bei Korn einige Ansätze, über die Positionen hinauszugelangen, die in der übrigen Literatur dieser Richtung vertreten werden, aber eben nur Ansätze. Das gilt z. B. f ü r die rein lexikologische Sicht. Korn begreift, „daß Sprache auch ein logisch-rationales Gebilde ist. Die Sprache raunt nicht nur, sie denkt auch, und die sie sprechen, denken in ihr. . . . Man könnte paradox sagen, in der Sprache sei das Entscheidende nicht das einzelne Wort, sondern das, was zwischen den Wörtern ist" 3 . „Die innere Logik einer Sprache hängt auf komplizierte Weise mit ihren Wortbildungs- und Satzbildungsgesetzen (Syntax) zusammen" Auch die Einseitigkeit in der idealistischen These von den „nomina ante res", die von L. Weisgerber und seinen Anhängern vor allem gegen H. Schuchardt (Wörter und Sachen) verfochten wurde 5 , versucht Korn — freilich auf seine Weise — zu überwinden, wenn er schreibt: „. . . daß die Technik, an deren Anfang ja auch heute Ideen, Begriffe, 1
Ebd. S. 182. 2 F. Engels, Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der Wissenschaft. Marx/Engels Werke, Bd. 20, Berlin 1972, S. 22. 3 K. Korn, Sprache in der verwalteten Welt, Ölten und Freiburg i. Br., 2. Aufl., 1959, S. 130. < Ebd. S. 131. 5 L. Weisgerber, Von den Kräften der deutschen Sprache, Band III. Die Muttersprache im Aufbau unserer Kultur, Düsseldorf, 1. Aufl., 1950, S. 94.
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Entwürfe stehen, ihre Sachen gleichsam erst nach den Namen, die Maschinen also erst nach den Wörtern und Begriffen gefunden habe und sie nicht anders habe finden können, da ja Technik Geist und also Sprache ist (Nomina ante res), dürfte auf der anderen Seite der Tatbestand unbestreitbar sein, daß die vorhandene und benutzte technische Superstruktur auf der Erde durch die Sachen auch die Denkvorstellungen und Wörter genormt h a t " 1 . Schließlich muß man Korn zugestehen, daß er eine sehr offene und unerschrockene Sprache nicht nur gegen den „Ungeist", sondern auch gegen die Untaten des Faschismus spricht: „Am Ende der Entwicklung steht das Ergebnis, daß der Massenmord an Millionen von Menschen mit dem schematischen Aktenwort ,Endlösung der Judenfrage' bezeichnet wird.. . . Die rechnerische Abstraktheit der Vorgänge und der Nomenklatur ist das Unmenschliche" 2 . Die von ihm zusammengetragenen Beispiele geißeln mit der Sprache auch das Wesen des deutschen Militarismus und der Gesellschaftsordnung, in der er selbst lebt, des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Korn überläßt sich und seine Leser auch nicht der Resignation: „Wir brauchen die Superstruktur der Sprache, wie wir die Apparatur in Technik, Verwaltung und Gesellschaft brauchen. Mit globalen, auf traditionalistischen Affekten fußenden Verdammungen kommen wir nicht zur Sprachreinigung. Die Sprachkritik, für die es in Deutschland kein Forum gibt, wird allerdings nicht oft dazu führen, daß einzelne Mißbildungen oder Auswucherungen alsbald abgeschafft oder ausgemerzt werden. Aber Sprachkritik kann das, was man mit einem undeutlichen Ausdruck Sprachgefühl nennt, wecken, beleben und fördern" 3 . Nur kommt es darauf gar nicht in erster Linie an. Da die sprachlichen „Mißbildungen und Auswucherungen", die Korn aufs Korn nimmt, vor allem eine Folge der Mißbildungen und Auswucherungen der kapitalistischen Gesellschaft sind, kommt man ihnen mit Sprachkritik und Weckung des Sprachgefühls wohl kaum bei. Da müßte schon etwas an den sozialen „Superstrukturen" und vor allem an den gesellschaftlichen Grundstrukturen geändert werden, um die „Sprache der verwalteten Welt" zum annähernd vollkommenen Kommunikations1
K. Korn, Sprache in der verwalteten Welt, Ölten und Freiburg i. Br., 2. Aufl., 1959, S. 134. 2 Ebd. S. 182. 3 Ebd. S. 183.
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mittel einer besseren, einer wahrhaft humanen, höheren Organisationsform des gesellschaftlichen Lebens — des Kommunismus — werden zu lassen: „Der Kommunismus gewährleistet dank der schnell fortschreitenden Wissenschaft und Technik eine ununterbrochene Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und Steigerung der Arbeitsproduktivität, rüstet den Menschen mit der vollkommensten und leistungsfähigsten Technik aus, verleiht den Menschen eine ungeahnte Macht über die Natur und ermöglicht es, deren Elementargewalten in immer höherem Maße und immer vollständiger zu lenken. Die planmäßige Organisation der gesamten gesellschaftlichen Wirtschaft erreicht ein höheres Niveau, wobei die wachsenden Bedürfnisse der Mitglieder der Gesellschaft durch die wirksamste und rationellste Nutzung des materiellen Reichtums und der Ressourcen an Arbeitskräften befriedigt werden" i. Damit lösen sich die sprachlichen Fragen, die Korn bewegen, zwar nicht von selbst, aber es wird die notwendige Grundlage für ihre Lösung geschaffen; das übrige ist Sache der angewandten Sprachwissenschaft, speziell der Sprachpflege oder, wenn man so will, der Sprachkritik. Welch große Erfolge dabei zu erringen sind, zeigen die Ergebnisse der Arbeit, die nun schon über fünfzig Jahre lang unter der großen Überschrift „Kul'tura reci" in der Sowjetunion sowohl für die Sprache allgemein als auch für die Fachsprachen geleistet wird. 2 Die Aufgabenstellung hatte schon M. Gor'kij formuliert: „Um Reinheit, gedankliche Präzision' und Geschliffenheit der Sprache kämpfen — das heißt um eine Waffe der Kultur kämpfen. J e schärfer diese Waffe ist, je genauer ihre Richtung, desto eher wird sie den Sieg erringen" 3 . Wenn Gor'kij dabei auch in erster Linie die Sprache der künstlerischen Literatur im Sinne hatte, so gilt sein Ausspruch doch gleichermaßen für die Fachsprachen als Instrument zur Meisterung der Wissenschaft, der Technik, der materiellen Produktion und vieler anderer Bezirke des Lebens. Die Mehrzahl der bisher aufgeführten Definitionen und Versuche zur allgemeinen Bestimmung der Merkmale der Fachsprachen ist aus muttersprachlicher Sicht entstanden. Ein großer Teil davon beschränkt sich nicht auf die einfache Beobachtung und Feststellung sprachlicher 1 2 3
Programma KPSS, Moskva 1961, S. 63. Kul'tura russkoj reci, Moskva 1962. M. Gor'kij, Über die Sprache. Werke, Band 27, Moskau 1953, S. 170.
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Phänomene; diese dienen mehr zur Illustration vorgefaßter Anschauungen oder Hypothesen denn als Materialbasis zur Erarbeitung einer möglichst vollständigen Beschreibung der Fachsprachen. Sowohl die stilistische als auch die Jexikologische Richtung haben starke präskriptive, sprachpflegerische oder sprachkritische Ambitionen. Die damit zwangsläufig verbundene Wertung der fachsprachlichen Erscheinungen oder ihres Einflusses auf die Gemeinsprache beschränkt sich bei weitem nicht auf die Sprache, sondern bezieht in dieser oder jener Form die Sprachträger und ihr Verhältnis zur Welt, in der sie leben, und zum Teil sogar diese Welt selbst mit ein. Die funktionale Stilistik, besonders ihr in der Sowjetunion zu hoher Blüte entwickelter Zweig, geht bei der Beurteilung der kommunikativen Funktion der Fachsprachen von den erkenntnistheoretischen Prinzipien des Marxismus-Leninismus aus. Sie sieht die dialektischen Beziehungen zwischen objektiver Realität, Bewußtsein und Sprache und begreift deshalb die Funktion der Fachsprachen richtig. J e weiter die entsprechenden Untersuchungen vom Allgemeinen zum Konkreten fortschreiten, desto klarer wird das Verhältnis von Fachsprachen und Fachstil. Die lexikologische Richtung, die besonders in der Germanistik der B R D stark vertreten ist, neigt, schon weil sie das Einzelwort in den Mittelpunkt stellt, zu einer metaphysischen Betrachtung der Fachsprachen, die entweder bei der Beschreibung einzelner, voneinander isolierter Erscheinungen stehenbleibt oder — und das ist weit häufiger der Fall — sich an bestimmte idealistische „Weltbilder" anlehnt. Sie ist deshalb nicht in der Lage, das Wesen und die Rolle der Fachsprachen als Kommunikationsmittel in der menschlichen Gesellschaft richtig zu erfassen, sondern fördert nur ihre einzelnen Merkmale zutage. Bei dem Versuch, diese zu interpretieren oder sie in größere Zusammenhänge zu stellen, scheitert sie an dem Unvermögen, der Sprache den ihr angemessenen Platz im Verhältnis zum Denken und zur objektiven Welt zuzuweisen. Oft dient sie damit direkt oder indirekt, bewußt oder unbewußt, der Verbreitung der bürgerlichen Ideologie. I n der englischen und amerikanischen Literatur trifft man häufiger auf individuelle Äußerungen über die Fachsprachen; ganze Schulen wie die funktionalstilistische oder die von Weisgerber sind uns nicht begegnet. Allerdings dominiert auch hier der lexikologische Aspekt. Ein extremer Vertreter dieser Richtung ist S. Gerr: „Die DurchBchnittssprache von Wissenschaft und Technik ist im wesentlichen
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nichts anderes als die Gemeinsprache mit ihrer rationalen S t r u k t u r und einem gewaltig entwickelten Sachwortschatz" Die wohl bekannteste englischsprachige Arbeit zu unserem Thema stammt aus der Feder von Th. H . Savory 2 . Auch bei ihm bestimmt der lexikalische Aspekt das Wesen der Fachsprachen: „Wir haben gezeigt, daß zu den wesentlichen Merkmalen der Wörter der Wissenschaft die Stabilität ihrer Bedeutung, ihre Häßlichkeit und ihre emotionale Neutralität zählen. Man kann deshalb sagen, daß die Sprache der Wissenschaft dieselben Eigenschaften zeigen muß wie die Wörter, aus denen sie besteht, also unveränderlich, häßlich und gefühllos sein m u ß . Das trifft nur mit Einschränkungen zu. Die Sprache ist eine Ganzheit und offenbart als Ganzes neue Eigenschaften über die Eigenschaften ihrer Komponenten hinaus; dadurch erhält der Satz etwas, was in seinen einzelnen Wörtern nicht zu finden, und die Seite etwas, was im Einzelsatz nicht gegenwärtig ist" 3 . Der in diesem Zitat angedeuteten Erweiterung auf die Syntax und den Text geht Savory nicht sehr weit nach. Merkmale wie das Fehlen sprachlicher Alternativen, mangelnde sprachliche Originalität, Einförmigkeit, Verzicht auf sprachliche Figuren (Metaphern, Metonymie, Alliteration, Hyperbel u. a.), Humorlosigkeit, fehlendes Klangempfinden und Assoziationsfreiheit, Verwendung von Symbolen, kurz: der Verzicht auf alle Mittel der Beredsamkeit und das Streben nach Präzision und Klarheit/* werden n u r angedeutet und meistens mit Beispielen für die Wortwahl illustriert. Bei M. A. K . Halliday 5 finden wir schon die zugespitzte Frage, o b „Fachsprache" und „Fachwortschatz" dasselbe sind. Seine Antwort darauf lautet: „Fachsprachen sind im allgemeinen nicht durch grammatische Patterns gekennzeichnet, die nirgendwo anders auftreten, sie lassen sich aber durch lexikalische Einheiten charakterisieren, die anderswo nicht auftreten; . . . Fachsprachen sind aber durch verschiedene statistische Distributionen der grammatischen Patterns (und auch durch spezielle Bedeutungen allgemein gebräuchlicher Patterns) gekennzeichnet . . ." 6 .
1
S. Gerr, Language and Science. Philosophy of Science 9/1942, S. 147—161. Th. H. Savory, The Language of Science, London 1953. 3 Ebd. S. 80. i Ebd. S. 80 f. 5 M. A. K. Halliday, Existing Research and Future Work. Languages for Special Purposes, London 1969, S. 31. « Ebd. 2
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
Aus stilistischer Sicht sucht T). Crystal 1 nach Korrelationen zwischen bestimmten sprachlichen Zügen und „gewissen Ereignissen im nichtsprachlichen Verhalten (,Situation'), die generell und verstärkt als wissenschaftlich' bezeichnet werden können" 2 . Bei ihm liegt der Schwerpunkt auf Methodenfragen und zum Teil auch im Bereich der Schlußfolgerungen für den Fremdsprachenunterricht. Ähnliche Wege werden auch in der französischen Literatur beschritten. I n Frankreich beschäftigt sich besonders das Zentrum von Saint-Cloud bzw. das C R E D I F und die I U T mit fachsprachlichen Problemen, angeregt vor allem durch die Bedürfnisse des fachbezogenen Fremdsprachenunterrichts. A. P h a l 3 sieht das Wesen der Fachsprachen in einer Einschränkung des Gebrauchs der Gemeinsprache auf bestimmte Formen und Tätigkeitsbereiche (domaines de l'activité humaine). Er weist auf die Notwendigkeit einer starken Differenzierung innerhalb der Fachsprachen hin. Für die Sprache von Wissenschaft und Technik unterscheidet er als Verwendungsbereiche einmal die Grundlagenwissenschaften von der angewandten Technik, dann die Mutterwissenschaften von ihren Abzweigen und schließlich die echte Wissenschaft von ihrer Popularisierung. Unterschiede sieht er — vor allem im Wortschatz — zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen, die sich einerseits als Gesellschaftswissenschaften (sciences humaines) und anderseits als sogenannte exakte Wissenschaften (sciences dites exactes) 4 gruppieren. Er weist auch auf die starke Interferenz zwischen den Wissenschaften hin. Außerdem gibt es eine bestimmte kleine Anzahl von Begriffen, deren Grenzen nur im menschlichen Verstand liegen; sie sind fast allen Wissenschaften gemeinsam. So gelangt Phal zu zwei Kategorien von Kennzeichen für die Wissenschaftssprache: 1. denjenigen, die den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen eigen sind und sie voneinander unterscheiden; sie spielen eine statische Rolle in der Sprache, haben vor allem eine Bezeichnungsfunktion (désignation) und beruhen auf dem Unterschied des Inhalts 1
D. Crystal and D. Davy, Investigating English Style, London 1969; D. Crystal, Stylistics, Fluency, and Language Teaching. Interdisciplinary Approaches to Language, London 1971. 2 Ebd. S. 37. 3 A. Phal, De la langue quotidienne à la langue des sciences et des techniques. Le Français dans le Monde 61/1968. * Ebd. S. 7.
123
Wesen der Fachsprachen
und der lexikalischen Spezialisierung; 2. den allen Fachrichtungen gemeinsamen, die sie von der Gemeinsprache unterscheiden, eine •dynamische Rolle spielen und das Funktionieren der Sprache gewährleisten. Die erste Kategorie von distinktiven Merkmalen nennt Phal „langues de spécialité", die zweite „langue scientifique générale". Phal faßt seine Vorstellungen vom Verhältnis der Fachsprachen zur Gemeinsprache in einem sehr übersichtlichen Schema zusammen 1 : Sprache
Gemeinsprache
Allgemein-wissenschaftliche Sprache
Fachsprache
Lexik
allgemeiner Wortschatz (aW)
allgemeinwissenschaftlicher Wortschatz — dem allgemeinen Wortschatz entlehnt, aber stärker eingeengt (awW < aW)
allgemeinwissenschaftlicher Wortschatz + spezielle Wortschätze sW 1 —» Fach 1 awW + sW 2 - » Fach 2 sW 3 — Fach 3
Funktionieren
allgemeine Syntax
wissenschaftliche Syntax — von der allgemeinen Syntax entlehnt, aber stärker eingeengt und spezialisiert: Funktionswortschatz + bevorzugte Satzbaupläne
I m Grunde genommen kommt diese Konzeption der von W. Schmidt und W. Reinhardt, die wir an den Schluß unseres Überblicks stellen werden, sehr nahe: Die eigentliche Spezifik der Fachsprachen liegt in ihrer Lexik; die Mittel der Syntax unterliegen einer besonderen Auswahl und weisen Beschränkungen gegenüber der allgemeinen Syntax auf. Sehr enge Berührung mit den Fachsprachen — nun allerdings nicht mehr allein von der Muttersprache her — haben auch die Translationswissenschaft und die Übersetzungspraxis. Wir verdanken ihnen wichtige Einsichten, die wir hier nicht übergehen können. Am ausführlichsten hat sich zum Thema Fachsprachen wohl R. W. Jumpelt 2 geäußert. 1 12
Ebd. S. 8. R. W. Jumpelt, Die Übersetzung naturwissenschaftlicher und technischer Literatur, Berlin 1961.
Rolle und Problematik der Fachsprachen
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Jumpelt geht von der Annahme aus, daß gewisse Merkmale allen naturwissenschaftlich-technischen Übersetzungen gemeinsam sind. Als Standardbedingungen der naturwissenschaftlich-technischen Übersetzung betrachtet er die Bildung von Fachsprachen, deren Verhältnis zur Gemeinsprache und die Spezialisierung ihrer Funktion 1 . Ebenso glaubt er, in allen Fachsprachen bestimmte gemeinsame Züge zu erkennen: „So viele eigene Züge die Fachsprachen aufweisen mögen, so sehr sind sie offenbar in drei Beziehungen gleich, nämlich im Ausweiten und Spezialisieren ihres Wortschatzes und ihrer Begriffssysteme, im Vereinfachen des Satzbaues und in der sparsamen Anwendung von Stilmitteln. Präzision und Klarheit sind Gütemerkmale der Fachsprachen, nur die Klarheit der Aussage steht im umgekehrten Verhältnis zur Spezialisierung: je fachlicher der Text, um so weniger dürfte er für den Außenstehenden zugänglich sein. Der als Wesenszug der Fachsprachen bisweilen genannte Mangel an Anschaulichkeit wiederum ist teilweise in der Sicht der Wissenschaft begründet, die wertfreie, reine Betrachtungen anstrebt" 2 . Zweifelhaft ist der zweite Zug — die Vereinfachung des Satzbaues. Sie ist — wenn überhaupt — bei weitem nicht für alle Fachsprachen charakteristisch. I n diesem Zusammenhang wäre überhaupt noch zu klären, was man unter Einfachheit zu verstehen hat. Keinesfalls doch wohl den sogenannten einfachen oder einfachen erweiterten Satz der klassischen Syntax. Er ist in den Fachsprachen, zumindest in denen von Wissenschaft und Technik, weit seltener vertreten als das Satzgefüge und die Satzverbindung; und auch innerhalb des einfachen Satzes gibt es in den Fachsprachen bevorzugte Satzgliedfolgen, für die nachgewiesen werden müßte, daß sie „einfacher" sind als andere. So ist denn auch Jumpelts spätere Erläuterung ein wenig verschwommen: „Die Syntax wird in den Fachsprachen auf eindeutige, einfachste Formen zurückgeführt, oder anders ausgedrückt, der Wissenschaftler versucht so, mit einem Minimum an eindeutigen (natürlich auch in der Gemeinsprache vorhandenen) Fügungsmitteln auszukommen. Die Vereinfachung des Satzbaues darf jedoch nicht zu einseitig gesehen werden . . ." 3 . Eine Spezialisierung der Fügungsmittel erkennt er durchaus an. Wir halten es f ü r möglich, daß ein von seiner syntaktischen Konstruktion her komplizierter Satz für den Fachmann leicht verständlich — und damit auch einfach — ist, weil er die fachliche Aussage in einer 1
Ebd. S. 28.
2
Ebd. S. 36.
3 Ebd. S. 34.
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adäquaten sprachlichen Form präsentiert oder einen Gedanken folgerichtig entwickeln hilft. Damit sind wir zugleich bei einem zweiten Einwand: Die von Jumpelt erwähnte umgekehrte Proportionalität zwischen Klarheit der Aussage und Spezialisierung ist eine Fiktion. Die fachsprachliche Aussage ist ja für den Fachmann bestimmt, nicht für einen Außenstehenden. F ü r den Fachmann ist sie im Normalfall klar, wenn seine Fachkenntnis so weit reicht, wie die Spezialisierung geht. Das Verständnis ist hier nicht primär von der Sprache, sondern von der Sache und den Kenntnissen über die Sache abhängig. Außerdem ist die Klarheit der Aussage nicht allein an der Verständlichkeit des Satzes zu messen, sondern nicht zuletzt auch daran, in welchem Maße das Bezeichnende (der Satz) das Bezeichnete (den Gedanken oder den Sachverhalt) eindeutig und adäquat wiedergibt. Die von Jumpelt hergestellte Relation zum Außenstehenden ergibt sich bei ihm aus der Sicht des Übersetzers, der meist nicht Fachmann ist. Für die direkte Kommunikation zwischen Fachleuten, die den gleichen Spezialisierungsstand erreicht haben, trifft sie nicht zu. Das ist übrigens eines der entscheidenden Argumente für die fremdsprachliche Ausbildung von Fachleuten. Die direkte Verständigung über spezielle Probleme ist der über den Dolmetscher vorzuziehen; sie ist effektiver, weil sie auf Bewußtseinsinhalten aufbauen kann, die bei beiden Partnern vorhanden sind, beim Dolmetscher oder Übersetzer jedoch meist fehlen, und weil sie zudem mit der Hälfte der Zeit auskommt, eine entsprechend hohe Sprachbeherrschung der Fachleute immer vorausgesetzt. In einer ähnlichen Situation wie der Dolmetscher oder Übersetzer befindet sich der Sprachlehrer in der fachsprachlichen Ausbildung, der in der Regel auch nicht Fachmann ist. Die strenge Unterscheidung von Bezeichnendem (sprachlichem Mittel) und Bezeichnetem (Gegenstand des Fachs, Bewußtseinsinhalt des Fachmanns) erklärt auch die doppelte Perspektive bei der Beschäftigung mit Fachtexten: 1. Der Fachmann versteht den Sinn der Aussage leichter; ihm genügt dazu eine begrenzte Menge sprachlicher Mittel. Größere Schwierigkeiten als die fachsprachlichen bereiten ihm in der Fremdsprache gewöhnlich die allgemeinsprachlichen Elemente, die im Satz oft die Verbindung zwischen den fachsprachlichen herstellen. F ü r die Aussage bedeutet das, daß sie die Gegenstände und Begriffe zur Aussage verknüpfen. 2. Der Sprachmittler und der Lehrer als
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Nicht-Fachleute verfügen meist über den größeren Vorrat an sprachlichen Zeichen; sie durchschauen die formale Konstruktion und zum Teil auch die abstrahierte Struktur des Satzes mit geringerer Mühe als der Fachmann; aber sie dringen selbst bei einer adäquaten Übertragung des Satzes von der Ausgangssprache in die Zielsprache fast nie vollständig in das Wesen der Aussage ein, weil sie die Begriffe des Faches nicht in ihrem vollen Inhalt und Umfang ausschöpfen, die Sachverhalte nicht in ihrer ganzen Komplexität erfassen können. Diese bekannten, bisher aber selten explizit formulierten Erfahrungen sollten in Zukunft bei der Ausbildung von Sprachmittlern und in der fachsprachlichen Ausbildung stärker berücksichtigt werden. Was den dritten Zug — die sparsame Anwendung von Stilmitteln — betrifft, so sind damit natürlich nur die Stilmittel der künstlerischen Literatur gemeint. Jumpelt erläutert das an anderer Stelle: „Der Informationsgehalt eines Textes kann um so höher sein, je weniger bildhafte Ausdrücke er enthält. Der Wissenschaftler und Techniker greift nur selten zu besonderen Stilmitteln. Metaphorische Wendungen, Metonymie oder ironische Ausdrucksweise würden die von ihm geschätzte Klarheit der Darlegung beeinträchtigen, und seine Tatsachen eignen sich selten zu dramatischen Zuspitzungen. Er braucht den Leser nicht zu überzeugen, denn bei wissenschaftlichen Texten besteht zwischen Autor und Lesern eine Geistesverwandtschaft, und die Stilmittel haben in solchen Begegnungen nur noch eine untergeordnete Rolle. Zwar sind absolute Aussagen unangebracht, denn der Wissenschaftler verwendet doch in der Wahl bestimmter Wortstellungen, die seine Aussagen prägnanter machen, auch Stilmittel, nichtsdestoweniger haben diese in der ntÜ (naturwissenschaftlich-technischen Übersetzung, L. H.) weniger Gewicht als bei anderen Textgattungen. Wichtiger aber ist die vielfache Schichtung der Fachsprachen (z. B. Ingenieursprache, Werkstattsprache, Betriebsjargon) . . ." 1 . Wir werden noch darauf zu sprechen kommen, daß diese Darstellung für große Teile der naturwissenschaftlich-technischen Literatur zutrifft, allerdings nicht für alle; ein ganz anderes Bild bietet sich bei einigen Gesellschaftswissenschaften. Doch kehren wir wieder zu Jumpelts Ansichten über die Fachsprachen von Wissenschaft und Technik zurück: „Die Sprache der Wissenschaft wäre demnach nicht eine Sprache für sich, wie unsere geläufigen Aus» Ebd. S. 35.
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drücke ,Fachsprache' und , Sondersprache' andeuten, sondern eher eine Mischung aus Gemeinsprache und fachsprachlichen Elementen. Ihre Vereinigung ist sozusagen ein schöpferischer Stil, der höher als manche andere Ausdrucksform gewertet wird. I n Wirklichkeit bedient sich die Wissenschaft sowohl der Gemeinsprache als auch der Fachsprache" 1 . An anderer Stelle meint Jumpelt: „Die Fachsprachen der Wissenschaft und Technik haben im Vergleich zur Gemeinsprache eine vorwiegend d a r s t e l l e n d e F u n k t i o n " 2 , und: „Ein weiterer Unterschied der Fachsprachen zur Gemeinsprache besteht darin, daß das W e s e n t l i c h e der fachlichen Aussage in den F a c h w o r t e n , nicht in der Syntax liegt" 3 . „Das Verhältnis Gemeinsprache/Fachsprache darf f ü r unsere Zwecke etwa so gesehen werden: Die Gemeinsprache ist universelles Instrument r das auf alle geistigen gegenstände' anwendbar ist und, bis zu einem gewissen Grade, allen Standpunkten Rechnung trägt. Die Wissenschaft betrachtet diese Gegenstände nun von einer sehr speziellen Warte; gewiß muß sie die vorhandenen rationalen Elemente auswerten, aber sie kann auch die in der Gemeinsprache sich abzeichnende Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt übergehen und nur die Aspekte herausgreifen, welche ihr am besten geeignet erscheinen. Anderseits löst sie sich nicht gänzlich von der Alltagssprache, da sie zum Erfassen neuer Sachverhalte immer wieder aus dieser schöpfen kann" 4 . Man kann diesen Feststellungen im wesentlichen zustimmen. Unglücklich ist nur, daß bei dieser Betrachtungsweise aus ursprünglich zwei Objekten — Gemeinsprache und Fachsprache — drei geworden sind. Die Sprache der Wissenschaft als „Mischung aus Gemeinsprache u n d fachsprachlichen Elementen" wäre weder Gemeinsprache noch Fachsprache, sondern etwas Drittes. Diese Spaltung ist nur möglich, wenn man die Fachsprachen nicht als Kommunikationsmittel, sondern als Inventar von Elementen ansieht, die an die Stelle anderer Elemente in der Gemeinsprache treten können. Dann aber wäre die Bezeichnung „Fachsprache" schwerlich gerechtfertigt. Klarer ist die Gegenüberstellung von Gemeinsprache und Fachsprache(n), die sowohl gemeinsame als auch für jede der beiden spezifische Elemente und Merkmale 1 Ebd. S. 29. R. Jumpelt, Fachsprachen — Fachworte. Sprachforum 1/1958, S. 2. 4 a Ebd. S. 3. Ebd. 2
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enthalten. Dann ist die Sprache der Wissenschaft, so wie wir das bisher immer verstanden haben, auch eine Fachsprache und fügt sich in die Zweiteilung ein. •Jumpelt meint, eine unterschiedliche Distanz der einzelnen Fachsprachen zur Muttersprache zu erkennen, und zwar besonders im Hinblick auf die „Ausprägungen der Terminologien" Dabei weist er — ganz im Gegensatz zu Korn — den „Fachsprachen der reinen Wissenschaften" die entfernteste Position zu, während die Fachsprachen der Technik „ein engeres Verhältnis zu den jeweiligen Sprachen haben" 2. Auch hier wird man stärker differenzieren müssen und so zu einer Skala gelangen, von der man ablesen kann, in welchem Maße sich die «inzelnen Fachsprachen von der Gemeinsprache unterscheiden. Was Jumpelt zunächst für die einzelne Sprache festgestellt hat, das überträgt er dann — allerdings ohne Berufung auf repräsentative Untersuchungen, sondern mehr als Erfahrung des Übersetzers — auf den Sprachvergleich. Seiner Meinung nach sind die Parallelen und die Divergenzen zwischen Gemeinsprache und Fachsprache auf Ausgangssprache und Zielsprache unterschiedlich verteilt; wir würden ohne Berücksichtigung des translatorischen Aspekts einfacher sagen: Sie sind in jeder Sprache anders geartet. So haben unsere Untersuchungen große Unterschiede zwischen dem Russischen, Englischen und Französischen zutage gefördert. Wir werden das noch an konkreten Fakten zeigen, während Jumpelt bei der allgemeinen Vermutung stehen bleibt, daß die Parallelen zwischen unterschiedlichen Sprachen bei den sogenannten reinen Wissenschaften, die Divergenzen bei den angewandten Wissenschaften wahrscheinlich relativ häufiger sind 3 . Für die wissenschaftlich-technische Übersetzung gibt es eine große Anzahl praktischer Hilfsmittel auf konfrontativer Grundlage, vor allem Zusammenstellungen der Schwierigkeiten, die beim Übersetzen aus einer bestimmten Sprache (AS) in eine andere (ZS) auftreten'5. Sie enthalten im allgemeinen keine Aussagen über das Wesen der Fachsprache, die uns für unser Anliegen nützen könnten. Dasselbe gilt für die Masse •der fachsprachlichen Lehrmaterialien. Wenn die fachsprachliche Forschung den sprachvergleichenden Aspekt berücksichtigt, kann sie sowohl der Sprachmittlung als auch dem fachbezogenen Fremdsprachenunterricht wertvolle Dienste leisten. 1 4
3 Ebd. S. 32. 2 Ebd. Ebd. Siehe die Bibliographie in diesem Buche.
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Wir müssen nun noch einen Blick auf jene fachsprachlichen Untersuchungen werfen, die ein ganz spezielles Ziel verfolgen: die Sprachnormung. Von den Bemühungen um die Sprachpflege unterscheiden sie sich schon dadurch, daß sie in ihrer überwiegenden Zahl nicht von Sprachlern, sondern von sprachlich versierten Fachleuten, in neuerer Zeit auch manchmal von beiden gemeinsam durchgeführt werden. Der bedeutendste Vertreter dieser speziellen Richtung, der sowohl in der Sowjetunion und den übrigen sozialistischen Staaten als auch in der kapitalistischen Welt hohes Ansehen genießt, ist wohl der Österreicher E. Wüster 1 . Seine Autorität ist so groß, daß Sprachwissenschaftler wie L. Weisgerber und seine Anhänger viele Gedanken von ihm direkt übernommen und in ihr System eingefügt haben. Ausführlicher werden wir auf seine Vorstellungen eingehen, wenn wir uns mit der Spezifik der fachsprachlichen Lexik beschäftigen. Hier geht es uns erst einmal um seine grundsätzliche Stellung zu den Fachsprachen. Nach Wüster ist die Fachsprache des Ingenieurs „bloß Mittel der Mitteilung . . . f ü r Wahrheiten und Tatsachen"; sie ist streng zu trennen von der Erscheinungsform der Sprache, die „schöne Vorstellungen erwecken soll" 2 . Wüster verweist auf die entsprechenden Bezeichnungen von Th. Steche: „Zwecksprache" und „Edelsprache" 3 . Er übernimmt die erstere und stellt für sein Buch fest: „Die vorliegende Arbeit ist ausschließlich der Z w e c k s p r a c h e gewidmet" 4 . Grundlage und Motivation für seine sprachlichen Bemühungen ist der enge Zusammenhang zwischen Sprachnormung und Sachnormung im Sinne einer wirksamen Rationalisierung. Er bringt das in einer kühnen Formel zum Ausdruck: „Sprachnormung ist ein Teil der Rationalisierung des technischen Hauptwerkzeuges: des Menschen; sie ist Ersparung menschlicher Arbeitskraft" 5 , in der wir „technisches Hauptwerkzeug" im Sinne der marxistisch-leninistischen politischen Ökonomie durch „Hauptproduktivkraft" ersetzen würden. Sprach1
E. Wüster, Internationale Sprachnormung in der Technik, besonders in der Elektrotechnik, 1. Aufl., Berlin 1931; 3. Aufl., Bonn 1970. 2 Bei den in Anführungszeichen gebrauchten Formulierungen beruft sich Wüster auf Marty: vgl. A. Marty, Über Wert und Methoden einer beschreibenden Bedeutungslehre, Reichenberg 1926, S. 33. 3 Th. Steche, Neue Wege zum reinen Deutsch, Breslau 1925, S. 12, 13, 15, 20. 4 E. Wüster, Internationale Sprachnormung in der Technik, 3. Aufl., Bonn 1970, S. 1. 5 Ebd. S. 3. 9
Fachsprache
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normung ist Bearbeitung des „Werkzeuges" Sprache. „Sie beschränkt sich nicht auf Vereinheitlichung der vorhandenen Ausdrücke, sondern schafft systematisch neue Benennungen und neue Begriffsabgrenzungen. Auch die Sachnormung ist ja nicht nur Vereinheitlichung, sondern zugleich Verbesserung, also überhaupt Rationalisierung" 1 . Die Sprachnormung führt zu einem vertieften Einblick in die Zusammenhänge zwischen Vorstellung, Benennung und technischer Ausführung. Und weiter zu Wüsters Grundpositionen: „Bewußte Sprachregelung ist a n g e w a n d t e S p r a c h w i s s e n s c h a f t , wie Technik angewandte Physik ist: Sie ist ,Sprachtechnik'. Um Sprachtechnik im Ingenieurwesen betreiben zu können, muß der Philologe technische Kenntnisse erwerben oder der Ingenieur philologische. Dem Ingenieur wird es leichter sein, sich den Zugang zu dem Grenzgebiet der technischen Sprachpflege zu erarbeiten" 2 . Wir sehen in dem letzten Satz eine gewisse Parallele zu unserer Auffassung über die direkte fremdsprachliche Kommunikation zwischen Fachleuten. In diesem P u n k t aber — was das Erlernen von Fremdsprachen durch den Fachmann betrifft — ist Wüster ganz anderer Auffassung. E r hält das „Viel-Sprachen-Lernen" für „die denkbar unwirtschaftlichste Lösung des Verständigungsproblems" 3 und gerät dadurch, was diese Frage angeht, auf einen völlig falschen Weg, indem er ernsthaft künstliche Sprachen bzw. „Plansprachen" wie Esperanto, Volapük, Ido, Occidental, Latino sine flexione, Novial u. a. auf ihre Verwendbarkeit als internationales Kommunikationsmittel überprüft, obwohl bekannte Sprachwissenschaftler wie K. Brugmann und A. Leskien schon begründet hatten, welch geringe Aussichten die künstlichen Sprachen in dieser Beziehung haben. Die Entwicklung des Englischen und des Russischen zu Weltsprachen, in denen sich heute der größte Teil der internationalen Verständigung vollzieht, hat Wüster widerlegt. E r hat das in der zweiten Auflage seines Buches teilweise eingesehen 4 , den Ausweg aber (schon seit 1938) in einer anderen Lösung gesucht: einem internationalen Terminologieschlüssel 5 als wissenschaftliche Hilfssprache, neben dem ihm allerdings das Englische für die Verständigung weiter nötig erscheint 6 . i Ebd. S. 2.
2 Ebd. S. 3.
3 Ebd. S. 5.
4 Ebd. S. 426 ff.
5 Ebd. S. 424f.
ß Ebd. S. 434.
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In ihrem Kern ist Sprachnormung für Wüster Terminologienormung. Daraus ergibt sich auch seine Definition der Fachsprachen, deren Gültigkeit er selbst nicht auf die Technik beschränkt wissen will 1 : „Die (Zweck-) Sprache ist ein System von Lautzeichen (sprachlichen Bezeichnungen), denen Vorstellungen (Begriffe, Bedeutungen) zugeordnet sind". „Unter Begriff werde nun im folgenden jede Vorstellung verstanden, die nicht Subjekt und Prädikat zugleich enthält. Es ist dabei gleichgültig, ob der Begriff durch ein einziges Wortelement oder durch mehrere ausgedrückt ist" 2 . Mit seiner Unterscheidung von Begriff, innerer Sprachform und äußerer Sprachform, auf die wir später noch zu sprechen kommen, und mit seiner ganzen Darstellung der Fachsprachen hat Wüster einen, wie er selbst betont 3 , unbewußten fachsprachlichen Beitrag zu Weisgerbers „inhaltbezogener Sprachwissenschaft" geleistet. Seine Betrachtungen zur Terminologie und zu den Fachsprachen werden von Weisgerber und seinen zahlreichen Schülern immer wieder ausführlich zitiert. Weisgerber selbst hat das in einem seiner Aufsätze eingehend dargestellt 4 . Wüster hat jedoch nie sprachphilosophische Schlußfolgerungen gezogen, die einer ideologischen Bindung gleichgekommen wären. Er wollte vor allem der Rationalisierung und der internationalen Verständigung dienen. Seine Vorschläge f ü r die Terminologienormung sind deshalb sowohl in internationalen Gremien bis hin zur UNESCO als auch bei der nationalen Bearbeitung von Terminologien und der Herstellung von Fachwörterbüchern in vielen Ländern der Welt berücksichtigt worden 5 . Sein Buch wurde auf Grund eines positiven Gutachtens der Akademie der Wissenschaften der UdSSR ins Russische übersetzt 6 und hat in den Arbeiten von E. K . Drezen, V. P. Danilenko, A. M. Deborin, T. L. Kandelaki, L. A. Kapanadze, V. S. Kulebakin, J a .A. Klimovickij, D. S. Lotte, A. M. Terpigorev u. a. seinen Widerhall gefunden. I n den nationalen Normenvereinigungen diente und dient es als Arbeitsgrundlage, z. B. beim N D I (Normenausschuß der deutschen Industrie), DNA (Deutschen Normenausschuß) — Symbol: DIN, in der 1 4
5
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Ebd. S. 414. 2 Ebd. 3 Ebd. S. 413. L. Weisgerber, Ein Markstein angewandter Sprachwissenschaft: Begegnung mit Eugen Wüster. Sprachforum 2/1958. Wüster arbeitet noch heute in entsprechenden Ausschüssen und Kommissionen mit. E. Wüster, Meidunarodnaja standartizacija jazyka v technike, Moskva 1935.
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D D R dann TGL, beim Komitet po standartizacii pri Sovete truda i oborony S S SR, bei der BESA (British Engineering Standards Association), bei der ASA (American Standards Association), bei der AFNOR (Association Française de Normalisation) u. a. 1 Wüsters Idee von einer Kunst- bzw. Plansprache — etwa dem Esperanto — als Hilfssprache der internationalen wissenschaftlichen und technischen Kommunikation ist vorläufig Utopie geblieben. I n der Praxis läuft die Entwicklung doch auf eine Verwendung natürlicher Sprachen, und zwar vor allem des Englischen und Russischen, hinaus, soweit die Kommunikationsteilnehmer Menschen sind. Realere Perspektiven haben Kunstsprachen f ü r die maschinelle Kommunikation. Wir denken dabei nicht so sehr an die Programmiersprachen (ALGOL, F O R T R A N S u. a.), als vielmehr an eine mögliche Mittlersprache in Anlagen zur Informationsverarbeitung. Welche Rolle hier Wüsters Terminologieschlüssel spielen könnte, entzieht sich vorläufig noch unserer Beurteilung. F ü r die Fachübersetzerausbildung und den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht, für den Wüster ursprünglich so gar nichts übrig hatte, bieten die Arbeiten auf dem Gebiet der Terminologienormung zahlreiche Anregungen, vor allem im Hinblick auf das Verständnis des Fachwortschatzes. Eine andere Untersuchung zur Sprachnormung, die von E. Beier stammt, lehnt sich sehr eng an E. Wüster, L. Mackensen und L. Weisgerber an 2 . Die Sprachnormung besteht nach E. Beier aus drei Tätigkeiten : der Sprachgestaltung, der Vereinheitlichung und der Durchsetzung. Sie konzentriert sich vor allem auf die Terminologie und ist also eigentlich Terminologienormung. „Die ,Wörter' werden umgewandelt in ,Termini', das heißt sie sollen alleinstehend für das Verständnis so viel leisten wie die in einem Kontext eingebetteten Wörter der Gemeinsprache. Dabei müssen sie weitgehend auf die Unterstützung durch syntaktische Mittel und die Sprechsituation verzichten. Statt der sprachlichen Inhalte' gibt es nun ,Begriffe'" 3 . „Während sich die sprachlichen Inhalte' durch Definitionsversuche 1
2
3
Weitere Normenausschüsse s. E. Wüster, Internationale Sprachnormung in der Technik, 3. Aufl., Bonn 1970, S. 137 f. E. Beier, Wege und Grenzen der Sprachnormung in der Technik, Bonn 1960 (Diss.) ; dies., Grenzen der Sprachnormung in der Technik. Muttersprache 1961, S . 193-206 und 272-283, wonach wir zitieren. Ebd. S. 195.
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kaum erschließen, werden die Begriffsinhalte durch Definition festgelegt". . . . „Der ,geistige Zugriff auf das Sein' wird auf einen einzigen verbindlichen Weg beschränkt" 1 . Im letzten Satz äußert sich eindeutig der Einfluß Weisgerbers ebenso wie auch in dem folgenden: „Die internationale Angleichung der ,Bedeutungen' der Fachwörter bedeutet praktisch eine Angleichung der geistigen Zwischenwelt und damit ein Zurückdrängen des muttersprachlichen Weltbildes" 2 . E. Beier sieht deutlicher als Wüster die Grenzen der Sprachnormung, die darin liegen, daß die natürlichen Sprachen historisch gewachsene Organismen sind, die sich künstlichen Eingriffen weitgehend widersetzen3, so daß die Sprachnormung ihre Ziele durchaus nicht überall erreichen oder sogar zu unerwünschten Wirkungen führen kann4. Außerdem ist es „die praktische Verwendbarkeit, die der von der Technik angestrebten Systematik ihre Grenzen setzt" 5 . Insgesamt gesehen betrachtet E. Beier die Sprachnormung dennoch als ein erfolgreiches Unternehmen, das ganze lebende Berufssprachen gestaltet, allerdings abgestuft: am stärksten die Wissenschaftssprache, weniger die Werkstättensprache und noch weniger die Verbrauchersprache6. „Die Normdisziplin ist um so größer, je zwingender die Notwendigkeit einer genauen und unverwechselbaren Begriffsübermittlung ist" 7 . Einen sehr klaren Überblick über die ganze Problematik der Terminologienormung gibt H. Ischreyt 8 . Als Basis für die gesamte Sprachnormung betrachtet er die Stellung des Ingenieurs zur Sprache. Daraus leitet er die Betonung der Übereinkunft im Gebrauch, „des nominativen Moments ihres lexikalischen Bestandes und der Entwicklung (des Fortschritts) zu immer größerer Bewußtheit" 9 ab und fügt hinzu: „Damit sind auch die Grundzüge einer Vorstellung von der Sprache als Werkzeug oder als Zwecksprache gegeben. . . . Der Ingenieur schätzt den Sprachgebrauch im technischen Bereich nach seinen Werkzeugeigenschaften ein" 10 . Daraus entsteht das große „Dilemma zwischen der Forderung nach Exaktheit bei der nominativen Aufgabe und der das Bewußtsein mitbestimmenden Kraft der historisch gewordenen Sprache . . ." 11 . Ebd. 2 Ebd. S. 275. 3 Ebd. S. 198. 4 Ebd. S. 196. 5 Ebd. S. 203. B Ebd. S. 276 ' Ebd. 8 H. Ischreyt, Studien zum Verhältnis von Sprache und Technik, Düsseldorf 1965. 11 Ebd. » Ebd. S. 26. io Ebd. 1
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„An diesem P u n k t setzt nun die Fähigkeit der Terminologen ein, deren Arbeit nicht vom Vertrauen auf die Weisheit der Sprache, sondern vom Mißtrauen gegen sie, ihren Kommunikationswert und ihre Informationskraft geleitet wird" i . „Die Absicht der Terminologienormung ist, die Kommunikation zu verbessern, Mißverständnisse auszuschalten und dadurch eine größere Sicherheit im Verkehr zwischen den Partnern herzustellen" 2 . H. Ischreyt sieht aber auch, tiefer noch als E. Beier, die Grenzen der Sprachnormung, die vor allem durch die Entstehung und Entwicklung der natürlichen Sprache als ganzes gegeben sind, und die Einseitigkeit der reinen Terminologienormung. Daß diese im Zusammenhang mit den Fachsprachen als Kommunikationsmittel und nicht nur als Frage der Lexik zu sehen ist, wird allerdings bei ihm nur angedeutet, wenn er sagt, daß „ . . . das Verfahren der Terminologienormung nur eine im Grunde nicht einmal so sehr den modernen Erkenntnissen angepaßte Möglichkeit ist, die Umgangssprache bestimmten Zwecken anzupassen, und daß es daneben noch andere Verfahren gibt. Wahrscheinlich würde die grundsätzliche Klärung des Problems erst möglich sein, wenn . . . durch besondere Fragestellung größere Zusammenhänge hergestellt werden würden. Man könnte also beispielsweise fragen, wie die Terminologienormung sich in alle Bestrebungen einordnet, die Sprache exakt zu machen wünschen, oder in andere, die deren Abstraktion bezwecken, oder schließlich in jene, die dem Sprechen das Risiko nehmen wollen und deswegen die Kommunikation reibungslos zu machen versuchen" 3 . Bei alledem bleibt für Ischreyt der Kern der Fachsprachen die Terminologie bzw. der Fachwortschatz überhaupt, so wie das schon in einem seiner früheren Aufsätze deutlich geworden ist'1. Wenn wir auch die Sprachnormung als ganz spezielles Anliegen angekündigt haben, so ist doch ohne Schwierigkeiten zu erkennen, daß auch sie in die lexikalische Richtung der fachsprachlichen Untersuchungen einzuordnen ist. Nur geht es ihr weniger um sprachwissenschaftliche Fragestellungen, sondern in erster Linie um die Befriedigung praktischer Bedürfnisse von Wissenschaft und Technik. Das bestimmt auch ihr erfreulich sachliches Vorgehen, das sich wohltuend von manch nutzloser philologischer Erörterung abhebt. 1 4
3 Ebd. S. 27. 2 Ebd. S. 48f. Ebd. S. 49. H. Ischreyt, Die Sprache der Kernphysik und Kerntechnik. Muttersprache 3/1958.
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Da wir mit Wüster und Ischreyt bereits Fachleute haben zu Worte kommen lassen, wollen wir jetzt noch einige Wissenschaftler von Rang und Namen zitieren, die sich über die Rolle der Sprache in ihrem Fach und in der Wissenschaft überhaupt gründlichere Gedanken gemacht haben. Wir klammern dabei bewußt die Vertreter der neopositivistischen „Sprachphilosophie" (Wittgenstein, Schlick mit dem Wiener Kreis u. a.) aus. Als Überleitung eignet sich vorzüglich eine Gegenüberstellung von L. Olschki: „Während die Philologie die Herausbildung der wissenschaftlichen Sprache und die Gestaltung der wissenschaftlichen Prosa ignoriert, betrachtet die Geschichte der Philosophie, der Mathematik und der Naturwissenschaften die Sprache als das bereits gegebene, stets gefügige und nicht immer notwendige Mittel zum Ausdruck des Erdachten und Erschlossenen sowie zu deren Übertragung und Verbreitung. Vornehmlich die Naturwissenschaften, die mit Symbolen arbeiten und mit Formeln operieren, pflegen das Wort in dieser passiven Rolle zu betrachten und geben sich keine Rechenschaft von den beständigen Zusammenhängen, die zwischen Anschauung und Ausdruck b e s t e h e n " D i e folgenden Passagen werden uns zeigen, daß Olschki zu seiner Zeit mit diesem Urteil recht gehabt haben mag, daß sich inzwischen aber die Haltung der Naturwissenschaftler und Techniker gegenüber der Sprache geändert h a t ; und auch die Sprachwissenschaft schenkt — wie wir nicht zuletzt in diesem Buch zeigen wollen — den Fachsprachen immer stärker ihre Aufmerksamkeit. Den Wissenschaftler interessiert sowohl die Frage, in welchem Maße die Sprache geeignet ist, seine Erkenntnisse sprachlich zu fixieren (kognitive Funktion), als auch ihre Qualität als Mittel der Verständigung über diese Erkenntnisse (kommunikative Funktion). Der Physiker W. Heisenberg formuliert das so: „Die Sprache ist in einer prähistorischen Zeit von der menschlichen Rasse gebildet worden als ein Mittel zur Verständigung und als Grundlage für das Denken" 2 . Er sieht die beiden Grundfunktionen der Sprache also nicht anders als die marxistisch-leninistische Sprachwissenschaft. Ausgangspunkt ist für ihn die Feststellung, daß man in der Physik noch nicht die „richtige Sprache" gefunden habe, um über die neue Situation zu sprechen, die besonders durch die Aufstellung der Relativitätstheorie und der 1
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L. Olschki, Geschichte der neusprachlichen wissenschaftlichen Literatur, Bd. I, Heidelberg 1919, S. 3. W. Heisenberg, Sprache und Wirklichkeit in der modernen Physik. Mitteilungen der Alexander-von-Humboldt-Stiftung 13/1967, S. 161.
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Quantentheorie entstanden ist 1 , und daß deshalb zum Teil unkorrekte Behauptungen aufgestellt werden. „Die verbesserte experimentelle Technik unserer Zeit bringt ganz neue Seiten der Natur in das Blickfeld der Naturwissenschaft, Seiten, die mit den Begriffen des täglichen Lebens oder auch nur der früheren Physik nicht beschrieben werden können" 2 . I n diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob die natürlichen Sprachen den neuen Bedürfnissen der Wissenschaft, in diesem Falle der Physik, noch gerecht werden können oder ob sie nicht durch künstliche Sprachen ersetzt werden sollten. Heisenberg beantwortet diese Frage eindeutig: „Die erste Sprache, die aus dem Prozeß der wissenschaftlichen Kläruhg gewonnen wird, ist in der theoretischen Physik gewöhnlich eine mathematische Sprache; nämlich das mathematische Schema, das den Physikern erlaubt, die Resultate künftiger Experimente vor herzusagen." Aber: „ . . . Auch für den Physiker ist die Möglichkeit einer Beschreibung in der gewöhnlichen Sprache ein Kriterium für den Grad des Verständnisses, das in dem betreffenden Gebiet erreicht worden ist " 3 . N u r : I n welchem Umfang ist das möglich? K a n n man über das Atom überhaupt sprechen? Da die Begriffe, die wir benötigen, um über wissenschaftliche Probleme zu sprechen, durch allmählichen Gebrauch ohne kritische Analyse erworben werden, herrscht eine prinzipielle Unsicherheit in der Bedeutung von Worten. Definitionen sind nur mit Hilfe anderer Begriffe möglich. Anderseits versucht die Logik schon seit Aristoteles eine Analyse der Sprachformen. Sie liefert dem Wissenschaftler die formale Struktur für Schlüsse und Ableitungen unabhängig von ihrem Inhalt, also die Möglichkeit zur Abstraktion und damit auch die Grundlagen für die „wissenschaftliche Sprache" 4 . Allerdings „bringt die logische Analyse der Sprache auch die Gefahr einer zu großen Vereinfachung mit sich. I n der Logik wird die Aufmerksamkeit auf spezielle sprachliche Strukturen gerichtet, auf einfache Muster des Schließens; alle anderen sprachlichen Strukturen werden vernachlässigt". . . . „Anderseits muß die Naturwissenschaft ja auf die Sprache als das einzige Mittel zur Verständigung begründet werden, und daher müssen hier, wo das Problem der Unzweideutigkeit 1 Ebd. S. 160. 3 Ebd.
2
Ebd. S. 161. 4 Ebd. S. 163.
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von der größten Wichtigkeit ist, die logischen Schlußverfahren ihre Rolle spielen. Die charakteristische Schwierigkeit an dieser Stelle kann vielleicht in der folgenden Weise beschrieben werden: I n der Naturwissenschaft versuchen wir, das Spezielle aus dem Allgemeinen abzuleiten; das Einzelphänomen soll als Folge einfacher allgemeiner Gesetze verstanden werden. Die allgemeinen Gesetze können, wenn sie sprachlich formuliert werden, nur einige wenige Begriffe enthalten, denn sonst wäre das Gesetz nicht einfach und allgemein. Aus diesen Begriffen muß nun eine unendliche Vielfalt von möglichen Erscheinungen hergeleitet werden, und zwar . . . mit größter Genauigkeit. . . Es ist unmittelbar einzusehen, daß die Begriffe der gewöhnlichen Sprache, ungenau und unscharf definiert, wie sie sind, niemals solche Ableitungen zulassen könnten. I n der Naturwissenschaft müssen daher die Grundbegriffe in den allgemeinen Gesetzen mit äußerster Präzision definiert werden, und das ist nur mit Hilfe der mathematischen Abstraktion möglich" K In anderen Wissenschaften ist die Anzahl der Glieder in einer Schlußkette nie sehr groß; die Begriffe der gewöhnlichen Sprache reichen aus für geringere Forderungen an die P r ä zision. I n der theoretischen Physik werden Symbole verwendet, die mit der natürlichen Sprache verbunden sind. „Dann aber werden die Symbole untereinander durch ein strenges System von Definitionen und Axiomen verknüpft, und schließlich werden die Naturgesetze alsGleichungen zwischen den Symbolen ausgedrückt" 2 . Auf diese Weise wird eine unendliche Vielfalt von Beziehungen darstellbar. Aber die Naturgesetze können auch mit Hilfe der natürlichen Sprache formuliert werden, „da unsere Versuche, die aus Handlungen und Beobachtungen bestehen, immer in der gewöhnlichen Sprache beschrieben werden können." „Allerdings: mit dem Prozeß der Erweiterung unserer wissenschaftlichen Kenntnisse erweitert sich auch die Sprache. Neue Begriffe werden eingeführt und die alten werden in einem weiteren Gebiet oder anders angewendet als bei ihrem Gebrauch in der gewöhnlichen Sprache. Solche Wörter wie Energie, Elektrizität, Entropie sind bekannte Beispiele. I n dieser Weise entwickeln wir eine wissenschaftliche Sprache, die als eine n a t ü r l i c h e E r w e i t e r u n g d e r g e w ö h n l i c h e n S p r a c h e (gesperrt von mir, L. H.) angesehen werden kann" 3 . i Ebd. S. 165.
2
Ebd. S. 166.
3
Ebd.
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Heisenberg vertritt eine kluge Toleranz im Hinblick auf präskriptive Tendenzen gegenüber den Fachsprachen: „Hinsichtlich der Sprache... hat man im Laufe der Zeit erkannt, daß man vielleicht nicht zu streng auf bestimmten Prinzipien bestehen sollte. Es ist immer schwierig, allgemein überzeugende Kriterien dafür zu finden, welche Begriffe in der Sprache benützt werden dürfen und wie man sie benützen sollte. Es ist vielleicht richtiger und einfacher, auf die Entwicklung der Sprache zu warten, die sich nach einiger Zeit von selbst der neuen Situation anpaßt"*. „Die Sprache hat sich, wenigstens in einem gewissen Ausmaße, schon a n die wirkliche Lage angepaßt. Aber es ist nicht eine präzise Sprache, in der man die normalen logischen Schlußverfahren benützen könnte; es ist eine Sprache, die Bilder in unserem Denken hervorruft, aber zugleich mit ihnen doch auch das Gefühl, daß die Bilder nur eine unklare Verbindung mit der Wirklichkeit besitzen, daß sie nur die Tendenzen zu einer Wirklichkeit darstellen" 2 . Mit C. F. von Weizsäcker hält Heisenberg die Unterscheidung verschiedener Stufen der Sprache für möglich und zweckmäßig: „Eine Stufe handelt von den Objekten, z. B. von den Atomen der Elektronen. Eine zweite Stufe bezieht sich auf Aussagen über die Objekte. Eine dritte mag sich beziehen auf Aussagen über Aussagen über Objekte usw. Es wäre dann möglich, verschiedene logische Schlußverfahren in •den verschiedenen Stufen zu benützen" 3 . Dem Sprachwissenschaftler sind diese Stufen unter den Bezeichnungen Metasprache, Metametasprache usw. bekannt. „Alle diese schwierigen Definitionen und Unterscheidungen können vermieden werden, wenn man die Sprache auf die Beschreibung von Tatsachen, das heißt in unserem Falle von experimentellen Result a t e n beschränkt. Wenn man aber über die atomaren Teilchen selbst sprechen will, so muß man entweder das mathematische Schema allein als Ergänzung zu der gewöhnlichen Sprache benützen, oder man muß «s kombinieren mit einer Sprache, die sich einer abgeänderten Logik oder überhaupt keiner wohldefinierten Logik bedient"' 5 . „Ferner hat uns die Entwicklung und die Analyse der modernen Physik die wichtige Erfahrung vermittelt, daß die Begriffe der gewöhnlichen Sprache, so ungenau sie auch definiert sein mögen, bei der Erwei» Ebd. S. 169. 3 Ebd. S. 176.
2
Ebd. S. 175. < Ebd. S. 180.
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terung des Wissens stabiler zu sein scheinen als die exakten Begriffe der wissenschaftlichen Sprache, die als eine Idealisierung aus einer nur begrenzten Gruppe von Erscheinungen abgeleitet sind. Dies ist im Grunde auch nicht überraschend, da die Begriffe der gewöhnlichen Sprache durch die unmittelbare Verbindung mit der Welt gebildet sind, sie stellen die Wirklichkeit dar; sie sind zwar nicht sehr wohl definiert und können deshalb im Laufe der Jahrhunderte auch Änderungen erleiden, so wie sich die Wirklichkeit selbst verändert, aber sie verlieren doch niemals die unmittelbare Verbindung mit der Wirklichkeit. Die wissenschaftlichen Begriffe andererseits sind Idealisierungen, sie sind aus Erfahrungen abgeleitet, die mit den feinsten experimentellen Hilfsmitteln gewonnen sind, und sie sind durch Axiome und Definitionen präzis definiert. Nur auf Grund solcher präzisen Definitionen ist es möglich, die Begriffe mit einem mathematischen Schema zu verknüpfen und dann mathematisch die unendliche Vielfalt möglicher Erscheinungen in diesem Gebiet abzuleiten. Aber durch diesen Prozeß der Idealisierung und präzisen Definition geht die unmittelbare Verknüpfung mit der Wirklichkeit verloren. Die Begriffe passen immer noch sehr gut zu jener Teilwirklichkeit, die hier der Gegenstand der Forschung gewesen war. Aber die Entsprechung kann in anderen Gruppen von Erscheinungen verlorengehen" 1 . Bei allen Vorzügen, die die künstlichen Sprachen für die exakte Darstellung wissenschaftlicher Sachverhalte haben mögen, übersieht Heisenberg nicht, daß ihre Grundlage immer nur die natürliche Sprache sein k a n n : „Wir wissen, daß jedes Verständnis schließlich auf der gewöhnlichen Sprache beruhen muß, denn nur dort können wir sicher sein, die Wirklichkeit zu berühren; und daher müssen wir skeptisch sein gegen jede Art von Skepsis hinsichtlich dieser gewöhnlichen Sprache und ihrer wesentlichen Begriffe. Deshalb dürfen wir diese Begriffe so benützen, wie sie zu allen Zeiten benützt worden sind. Auf solche Weise hat die moderne Physik vielleicht das Tor zu einem neuen und weiteren Ausblick auf die Beziehungen zwischen dem menschlichen Geist und der Wirklichkeit geöffnet" 2 . Ganz ähnliche Auffassungen wie Heisenberg vertritt auch W. Gerlach 3 ; er unterscheidet in der Sprache der Physik einerseits die mathematische Sprache (Symbole, Formeln); anderseits sieht er die i Ebd. S. 194f. 2 Ebd. S. 196. W. Gerlach, Die Sprache der Physik, Bonn 1962.
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„ . . . Unvermeidlichkeit der (natürlichen, L. H.) Sprache: die sprachliche Formulierung mathematischer Beziehungen und Symbole k a n n erst zum Experiment, zur gesicherten neuen Erkenntnis f ü h r e n " 1 , d. h., „die Mathematik als Sprache der Physik ist zugleich Hilfsmittel und E n d s t u f e " 2 . Interessant sind f ü r uns auch die folgenden Gedanken Gerlachs 3 : „ . . . eine eigentliche Berufssprache — wie etwa die medizinische mit ihren vielartigen psychologischen Zwecken — k e n n t die Physik nicht, sie braucht ihre Ergebnisse weder in einer f ü r Laien u n v e r s t ä n d lichen Sprache noch in einer f ü r die Sache gleichgültigen, eine gewisse Feierlichkeit oder humanistische Überlegenheit vortäuschenden F o r m bekanntzumachen" 4 . „Das Bedürfnis der Physik liegt in einer anderen Richtung, es ist e n t standen mit ihrer Entwicklung aus dem Wesen, aus dem Zweck dieser Wissenschaft: dem Suchen nach quantitativen Beziehungen in N a t u r erscheinungen, und mehr und mehr dem Aufspüren von Dingen u n d Vorgängen, welche qualitativ wahrzunehmen, quantitativ zu erfassen unsere Sinnesorgane nicht geeignet sind. Sie waren also v o r h e r nicht bekannt, sie müssen einen N a m e n erhalten, damit die F a c h wissenschaft mit ihnen handeln k a n n : der neue Begriff ist zuerst da, f ü r ihn m u ß das W o r t gebildet werden, welches n u n diesen Begriff ausdrückt. Die Sprache, welche die Physik benötigt, k a n n daher als eine Fachsprache bezeichnet werden; sie benutzt im allgemeinen die Umgangssprache, ergänzt sie aber da, wo es erforderlich ist, durch Kunstausdrücke"5. Die Fachsprache nimmt sich diese Wörter aus dem Griechischen und Lateinischen oder aus der eigenen Gemeinsprache u n d macht sie durch Definition zum t e r m i n u s technicus. „Mit der Klarheit, der Eindeutigkeit der Bezeichnung bringt die V e r wendung von Kunstausdrücken Kürze und internationale Verständigungsmöglichkeit . . . E s ist wohl nicht zuviel gesagt, d a ß die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Physik nicht n u r deshalb so gut ist, weil vor der N a t u r alle Menschen gleich sind, sondern auch weil sie schon f r ü h den Weg zu einer klaren, eindeutigen Sprache gefunden hat" 6 . Die Formelsprache klammert Gerlach als spezielles T h e m a aus. 1
2 Ebd. S. 9. Ebd. W. Gerlach, Physik und Sprache, München 1953. * Ebd. S. 3. s Ebd. S. 4. 6 Ebd. S. 4 f . 3
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Auch C. F. von Weizsäcker 1 , der vor allem die Frage untersucht, „ . . . was es eigentlich mit der Exaktheit der Sprache der Physik auf sich hat 2 ", betont die Bindung der Sprache der Wissenschaft an die natürliche Sprache: „Die sogenannte exakte Wissenschaft kann niemals und unter keinen Umständen die Anknüpfung an das, was man die natürliche Sprache oder die Umgangssprache nennt, entbehren. Es handelt sich stets nur um einen Prozeß der vielleicht sehr weit getriebenen Umgestaltung derjenigen Sprache, die wir immer schon sprechen und verstehen. Und eben deshalb ist die Vorstellung einer vollkommen exakten Sprache zumindest für solche Wissenschaften, die sich, wie man sich ausdrückt, mit realen Dingen beschäftigen, eine reine Fiktion" 3 . Er zieht daraus die sehr weit gehende Schlußfolgerung: „Es genügt mir festzustellen: Es gibt nicht so etwas wie ,exakte Realwissenschaft'. Es gibt nur eine vielleicht immer weiter getriebene Verschärfung, von der ich nicht einmal wagen würde zu sagen, daß sie die Annäherung an eine ideal gedachte absolute Exaktheit wäre" 4 . Aber zurück zur Sprache: „Es gibt einen immer schon erschlossenen Bereich, in dem man sich gut genug verständigen kann, um — auf das dort herrschende Verständnis aufbauend — neue Bereiche zu erschließen. Der schon erschlossene Bereich, in dem wir uns verständigen können, ist uns erschlossen nicht nur, aber weitgehend durch die Sprache, die wir immer schon sprechen. Daher ist die ,natürliche' Sprache, d. h. die Sprache, die wir bereits haben und die die Logiker heute manchmal Umgangssprache nennen, die Voraussetzung der weiteren Verschärfung der Begriffe. Verschärfung der Begriffe heißt aber: Korrektur der Umgangssprache. Und so ist diese Sprache ein Mittel, das uns immer von neuem Wirklichkeit erschließt und uns an H a n d der erkannten Wirklichkeit gestattet, jenes Mittel selbst zu korrigieren. Dieser, wenn man so will, zirkelhafte Vorgang scheint mir derjenige zu sein, der, von der sprachlichen Seite her gesehen, in einer Wissenschaft wie der Physik unablässig geschieht. In dem Augenblick, in dem wir die Sprache, die wir immer schon sprechen, nur als bloße Sprachgestalt betrachten oder sagen: J a , wir können uns eben so ausdrücken, — geht verloren, daß in dieser Sprache schon Wirklichkeit gefaßt ist. Die Sprache, die man spricht, 1
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C. F. v. Weizsäcker, Die Sprache der Physik. Sprache und Wissenschaft, Göttingen 1960. 3 Ebd. S. 137. Ebd. S. 140. « Ebd.
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bewegt sich gleichsam immer schon im Medium der Wahrheit. Wäre das nicht so, so wäre keinerlei Wissenschaft möglich. Sie bewegt sich aber nicht so im Medium der Wahrheit, daß sie uns eine garantierte oder sogenannte absolute Wahrheit gewährte, sondern sie bewegt sich so im Medium der Wahrheit, daß sie uns ermöglicht, tiefer in die Wahrheit einzudringen als zuvor" 1 . Zum Verhältnis Formel — Sprache (künstliche Sprache — natürliche Sprache) meint v. Weizsäcker: „Erst der in der Sprache verankerte Zusammenhang, der oft unausdrücklich gegeben ist, insofern man schon versteht, wovon die Rede ist, verleiht der Formel ihren Sinn. Die Formel ist gleichsam eingebettet in die Sprache, nämlich in die Sprache, die der Physiker spricht und von der er voraussetzen kann, daß sein Mitmensch, sein Mitphysiker sie versteht. Wenn man von Formelsprache spricht, so ist dieses Wort nur dann richtig, wenn man die Formel Teil der Sprache sein läßt, das heißt, so verwendet, wie sie im Umgang immerzu verwendet wird. Wenn ich aber abstrakt nur die Formel hinschreibe, dann weiß ich gar nicht mehr, was sie heißt . . . Also muß ich doch auf die Sprache reflektieren, die der Physiker spricht" 2 . Ganz ähnlich äußert sich übrigens F. G. Jünger 3 . Wir finden bei v. Weizsäcker ebenfalls die beiden Hauptfunktionen der Sprache: „Die Sprache ist ja für uns ein vollkommen unvermeidliches Medium der Verständigung und der Erkenntnis, auch der Erkenntnis von Sachverhalten" 4 . Aber seine philosophisch-idealistische Haltung, die in den vorangehenden Zitaten kaum erkennbar war, dringt dann in der Bewertung der Sprache doch durch: „Die Sprache ist dasjenige, was wir einerseits bereits im Vorwege haben, was nicht vollständig durch Erfahrung, wie Heisenberg es nennt, gesichert ist, sondern die Erfahrung immer schon überschreitet. Sprache ist anderseits aber auch etwas, ohne das Physik in unserem Sinne überhaupt nicht möglich wäre" 5 , oder wenn er behauptet, „ . . . daß jede sprachliche Formulierung, die wir gebrauchen, wenn wir ein Naturgesetz aussprechen, immer schon diesen Allgemeinheitsgrad hat, der jegliche empirische Rechtfertigung, die man geben kann, überschreitet. . . Die Sprache transzendiert das unmittelbar Gegebene immer schon. i Ebd. S. 152 f. 2 Ebd. S. 144. F. G. Jünger, Sprache und Kalkül, Frankfurt/M. 1956. 4 C. F. v. Weizsäcker, Die Sprache der Physik. Sprache und Wissenschaft, Göttingen 1960, S. 138. 5 Ebd. S. 142. 3
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Aber wenn Sie fragen: Was ist denn eigentlich unmittelbar gegeben, so wäre die These sehr vertretbar, daß das einzige, was uns unmittelbar gegeben ist, eben die Sprache ist" 1 . Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Auffassungen H. Gippers 2 . Gipper steht stark unter dem Einfluß L. Weisgerbers, B. L. Whorfs und Chang Tung-Suns, für die die Sprache zwischen Bewußtsein und objektiver Realität steht, sofern sie ein Bewußtsein überhaupt als existent anerkennen, und entweder das wissenschaftliche Weltbild durch das „Weltbild der Sprache" ersetzt oder aber eine allgemeingültige wissenschaftliche Erkenntnis unmöglich macht bzw. erschwert. Er greift deshalb die Frage auf, die Th. H . Savory zum Motto seines Buches über die Sprache der Wissenschaft 3 gemacht hat, nämlich: ob die Wissenschaft ein Feind der Sprache ist, und die man ohne weiteres auch umkehren kann. In diesem Zusammenhang taucht dann die nächste Frage auf, und zwar: ob die Mathematik (u. a. künstliche Sprachen) ein Sprachersatz sein könnte, welche Rolle „Denkmittel nichtsprachlicher Natur" 4 spielen könnten. Gipper kommt hier zu ähnlichen Ergebnissen wie Heisenberg und Weizsäcker. Er betrachtet die „Mathematik als ein Kind der Wortsprache" 5 , als eine „hochspezialisierte Fachsprache", aber nicht als vollwertigen Ersatz für die natürliche Sprache. Seiner Meinung nach ist „ . . . kein spezielles wissenschaftliches Weltbild . . . ohne Wortsprache denkbar . . .: erstens hätte der an seinem Entstehen beteiligte Forscher es ohne Hilfe von Wortsprache nicht konzipieren können, und zweitens könnte es von keinem Menschen ohne Vermittlung durch Sprache verstanden werden . . ." 6 . Gipper teilt die skeptischen Ansichten über das Verhältnis von Sprache und Wissenschaft nicht: „ . . . Unsere hochentwickelten Sprachen sind flexibel genug, auch die eigenartigste wissenschaftliche Erkenntnis soweit zu versprachlichen, daß eine Annäherung an eine für alle Menschen verbindliche „objektive Wahrheit" erhofft werden 1
Ebd. S. 150. H. Gipper, Muttersprachliches und wissenschaftliches Weltbild. Sprachforum 1/1956. 3 Th. H. Savory, The Language of Science, London 1953: There can be no doubt that science is in many ways the natural enemy of language. 4 H. Gipper, Muttersprachliches und wissenschaftliches Weltbild. Sprachforum 1/1956, S. 9. 5 Ebd. 6 Ebd. S. 10. 2
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darf. Das wissenschaftliche Weltbild . . . schafft von oben her eine Sprachschicht, die über die Sprachgrenzen hinaus geistige Brücken schlagen kann" 1 . Mit dieser Sprachschicht ist vor allem die wissenschaftliche Terminologie gemeint, aber nicht nur sie. Gipper vertritt -die Auffassung, „ . . . daß sich die Fachterminologie einer Wissenschaft immer mehr vom muttersprachlichen Unterbau entfernt und schließlich nur noch von Spezialisten verstanden wird. Diese Fachterminologien schaffen darüber hinaus eigene Sprachbräuche, spezielle Formeln und Klischees, so daß gewissermaßen ,Fremdsprachen' im Lebensraum der Muttersprache entstehen" 2 . Bis zu einem gewissen Grade überraschend ist es, daß selbst Sprachwissenschaftler einen starken Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Sprache bei der Bewältigung wissenschaftlicher Sachverhalte hegten und noch hegen. Daraus resultiert z. B. bei K. Voßler eine direkte Trennung von sprachlichem und logischem Denken, die für ihn nur •durch eine im Hegeischen, also im idealistischen Sinne verstandene Dialektik zusammengehalten werden. Voßler 3 meint: „Während es im sprachlichen Denken dem Geist um die Anschauung der Welt zu tun ist, strebt er im logischen, sie zu begreifen"''. „Wie stellt es nun das Denken an, um von seiner sprachlichen Richtung freizukommen? Es hört nicht etwa auf mit Anschauen und Darstellen, als ob diese Richtung ein Irrweg sei, sondern verharrt in ihr und verläßt sie trotz• d e m . . . Durch Rückwendung auf sich selbst: Zweifel, Reflexion, Spekulation kehrt es sich von den weltlichen Erscheinungen ab und begreift in sich selbst die substantielle Wirklichkeit. . . Den Begriff in seiner logischen Reinheit kann keine menschliche Sprache wiedergeben und braucht ihn nicht wiederzugeben, denn was unmittelbar einleuchtet, ja dieses Einleuchten selbst ist, bedarf keiner sprachlichen Vermittlung" 5 . „Erst wenn das Denken aus der Reflexion auf sich selbst wieder hervorgeht und der Geist mit neuen Augen die Welt betrachtet, wird er auch das Substantielle an den Erscheinungen und den begriffenen Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit irgendwie zur Sprache bringen wollen . . . Denn da die Wahrheit, der Begriff, die Reflexion und Spekulation, kurz, das den Erscheinungen abgewandte Denken, sich nicht unmittelbar ausspricht, so kann es nur mittelbar, also wiederum als Erscheinung und auf dem Umweg des sprach2 i Ebd. Ebd. S. 8. 3 k . Voßler, Geist und Kultur in der Sprache, 5 Heidelberg 1925. * Ebd. S. 220. Ebd. S. 221.
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liehen Denkens sich mitteilen" 1 . Voßler spricht direkt von einer „Verlarvung des Logos in der Sprache" 2 und folgert: „Was im logischen Denken lebendig werden soll, muß im sprachlichen absterben und erstarren. Der Gedanke kann nicht anders zum Begriff werden, als indem er aus der Larve seines sprachlichen Vorlebens ausschlüpft und die tote Puppe abwirft" 3 . Das gelingt, so meint Voßler, am ehesten der Mathematik und den Naturwissenschaften, nicht aber der Philosophie, der Geschichtswissenschaft usw. „Die Sprache der Historiker und zumeist auch der Philosophen bleibt, äußerlich betrachtet, die allgemein menschliche . . ." 4 , weil sie nicht zur Abstraktion durch Symbole gelangt. Wir müssen hier betonen: aber eben nur äußerlich betrachtet; denn unsere Untersuchungen weisen den Weg auch zur Aufdeckung ihrer Spezifik. Die „Befreiung" des Denkens von der Sprache ist also für Voßler mit Hegel eine Negation: „Dieses negative oder abstrahierende Verhalten des Logos bringt es mit sich, daß Mathematik und Naturwissenschaften am sprachlichen Denken nun doch ihren Nährboden haben, etwa so wie das Licht am Docht, den es zerstört" 5 . Die Negation der Negation wäre dann die qualitativ neue, höhere Rückverwandlung in das sprachliche Denken bzw. auch des Denkens in Sprache. „So kasteit und bereichert, staut und beschleunigt, beschneidet und schärft, hemmt und peitscht sie (die Naturwissenschaft, L. H.) das sprachliche Denken im Dienste des Logos, t u t ihm Gewalt und Befruchtung an, nimmt ihm seine Naivität und schenkt ihm zahllose Kinder dafür" 6 . Daß sich der Geist, das Denken, auch nur vorübergehend, d. h. im einzelnen Erkenntnisakt, von der Sprache lösen könnte, um dann wieder in sie zurückzukehren, ist eine ausgeprägt idealistische Vorstellung. Die Verwendung künstlicher Zeichen in der Mathematik beweist diese Loslösung nicht. Es handelt sich dabei lediglich um eine andere Kodierung, die selbstverständlich dem logischen Denken zugute kommt, aber — wie Heisenberg, v. Weizsäcker, Klaus und andere Naturwissenschaftler und Philosophen eindeutig zum Ausdruck gebracht haben — nicht ohne Bezug auf die natürliche Sprache möglich ist. Sprache und Denken sind, wie schon bei Marx zu lesen steht, eine untrennbare Einheit. Man soll sich also nicht von der bestechenden, brillant formulierten und in hohem Maße dialektischen Betrachtungsweise Voßlers ver1 Ebd. * Ebd. S. 236. 10 Fachsprache
2
Ebd. S. 222. 5 Ebd. S. 225.
3 Ebd. S. 223. 6 Ebd. S. 226.
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führen lassen, auch dann nicht, wenn sie von der folgenden Grundthese ausgeht und wieder zu ihr zurückkehrt: „Da man weder denken kann ohne zu sprechen, noch sprechen ohne zu denken, so setzen beide Tätigkeiten einander voraus und sind derart aufeinander angewiesen, daß man ebensogut alles Denken als Sprechen, wie alles Sprechen als ein Denken betrachten und würdigen kann" 1 . Die Identifizierung von Sprechen und Denken im zweiten Teil des Satzes hebt das ursprünglich dialektische Verhältnis beider zueinander auf; denn natürlich haben das Denken einerseits und die Sprache anderseits ihre eigenen Gesetze, die sie voneinander unterscheiden, auch wenn sie eine dialektische Einheit bilden. Eine sehr geringe Rolle spielt in Voßlers Überlegungen zu „Sprache und Wissenschaft" der Gegenstand des Denkens und Sprechens — die objektive Realität. I n dieser Beziehung finden wir bei den Vertretern der Naturwissenschaften, die sich über die Funktion der Sprache in ihrem Fach geäußert haben, weit mehr Ansätze. Kehren wir deshalb noch einmal zu diesen zurück. Wir haben die Ansichten Heisenbergs und von Weizsäckers über das Verhältnis von Sprache und Wissenschaft beinahe kommentarlos wiedergegeben, weil wir — wie schon in der Einleitung angekündigt — auf das Problem des Verhältnisses von Sprache und Denken jetzt noch nicht eingehen wollen (obwohl man eigentlich nie ganz darum herumkommt!), aber auch weil wir sie in dem von uns abgesteckten Rahmen akzeptieren, wenngleich wir die philosophisch-weltanschaulichen Barrieren kennen, die uns voneinander trennen. Außerdem rät uns die Einsicht in unsere mangelnde Kompetenz auf dem Gebiet der Physik zur Zurückhaltung. Es ist aber durchaus möglich, daß von Weizsäcker recht hat, wenn er meint, daß das Verständnis unter Physikern mit verschiedenen Sprachen vor allem durch ihre „gemeinsame Sprache" — die Fachsprache der Physik — gewährleistet wird und daß ein Verstehen auch trotz unterschiedlicher Weltanschauungen und politischer Ansichten möglich ist, und zwar vor allem in den sogenannten exakten Wissenschaften 2 . Wir verstehen das allerdings — sicher anders als von Weizsäcker — so, daß die Übereinstimmung in der Einheit der E r scheinungen der objektiven Realität begründet liegt, sich in einem we1 2
Ebd. S. 228. C. F. v. Weizsäcker, Die Sprache der Physik. Sprache und Wissenschaft, Göttingen 1960, S. 138.
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sentlichen Teil des Erkenntnisprozesses reflektiert und erst dann, wenn er und andere Naturwissenschaftler die gemeinsame Basis der materialistisch-wissenschaftlichen Analyse der objektiven Realität verlassen, um sich philosophischen Interpretationen ihrer Erkenntnisse bzw. Erfahrungen zu überlassen, verloren geht. I n dieser Auffassung bestärken uns auch die Äußerungen des naturwissenschaftlich orientierten, marxistischen Philosophen G. Klaus über die Fachsprachen, die er vor allem im Zusammenhang mit seiner Darstellung der Semiotik tut 1 . Klaus definiert die Fachsprachen, von denen er wiederum die der Wissenschaft im Auge hat, so: „Unter einer wissenschaftlichen Fachsprache verstehen wir die Anwendung der Umgangssprache auf ein bestimmtes wissenschaftliches Fachgebiet, wobei für dieses Fach die spezifischen Termini einer besonderen logischen und erkenntnistheoretischen Präzisierung zugeführt sind, . . ." 2 . Der „Berufssprache" erkennt er eine enge Verwandtschaft mit der Fachsprache zu 3 . Da auch für ihn das wesentliche Merkmal der Fachsprachen deren Terminologien sind, beschäftigt er sich vor allem mit den Verfahren, durch die die Wissenschaft zu ihren logisch und erkenntnistheoretisch präzisierten Wörtern bzw. Begriffen gelangt: der definitorischen Erweiterung oder Einengung, der rein logischen Möglichkeit, der sogenannten schöpferischen Definition, der „Definition durch Abstraktion". Eindeutiger als bei den bisher zitierten Sprachwissenschaftlern, Naturwissenschaftlern und Technikern kommt bei Klaus zum Ausdruck, daß der wissenschaftliche Terminus als materielle Hülle des neu gewonnenen Begriffs nicht nur auf Konvention beruht: „Hier liegt vielmehr ein Spezialfall des Übergangs von relativen Wahrheiten niederer Ordnung zu relativen Wahrheiten höherer Ordnung vor" 4 . Die Schaffung bzw. Entstehung der Termini und dann die Veränderung ihrer Bedeutung auf Grund der Veränderung des dahinterstehenden Begriffs wird also in einen ständigen Annäherungsprozeß der menschlichen Erkenntnis an die Wahrheit, wie ihn die marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie sieht, eingeordnet. Eine interessante Parallele zieht Klaus zur materiellen Produktion: „Die Methode der Gewinnung 1
G. Klaus, Semiotik und Erkenntnistheorie, Berlin 1963. 2 Ebd. S. 16. 3 Ebd. S. 17. 4 Ebd. 10»
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fachsprachlicher Termini, die Methode der Gewinnung einer Fachsprache aus der Umgangssprache, hat ihr Analogon in der Produktion. Die Einführung der Wissenschaft in der Produktion heißt nicht nur einfach neue Maschinen und Organisationsformen einführen, sondern verlangt in erster Linie auch, das Vorhandene wissenschaftlich genau zu durchdenken, die schon vorhandenen Produktionsprozesse zu optimieren, . . . Der Übergang von der Umgangssprache zur Fachsprache entspricht dem Übergang von der empirisch-halbwissenschaftlichen Produktion zur theoretisch durchdachten Produktion" 1 . Aus dem Aspekt der ständigen Vervollkommnung der Fachsprachen als Erkenntnis- und Kommunikationsinstrument ergibt sich — wie schon bei fast allen vorher erwähnten Naturwissenschaftlern und Technikern — die Frage nach dem Verhältnis zwischen den natürlichen Sprachen, zu denen wir die Fachsprachen im bisher behandelten Sinne zählen, und den künstlichen Sprachen. Klaus stimmt auch hier mit Heisenberg, von Weizsäcker, Wüster u. a. darin überein, „daß alle künstlichen Sprachen nur auf der Grundlage der natürlichen Sprachen gebildet werden können. I n jedem Falle spielen die natürlichen Sprachen zumindest die Rolle einer Metasprache für die jeweilige künstliche Sprache. Die natürlichen Sprachen können ohne die künstlichen Sprachen existieren, die künstlichen aber nicht ohne die natürlichen" 2 . Oder: „Die natürliche Sprache der Menschen ist Resultat und Mittel der gedanklichen Abstraktion. Sie ist auch Grundlage und Ausgangspunkt f ü r Fachsprachen und Kunstsprachen. Nur das, was im lebendigen Zusammenhang zur natürlichen Sprache steht, kann vom Menschen verstanden werden. Die natürlichen Sprachen sind historisch gewachsen. Sie sind deshalb keine Konventionen oder Systeme von Konventionen. Konventionen treten in Fach- und Kunstsprachen auf, aber diese beruhen auf der natürlichen Sprache" 3 . Dennoch mißt Klaus den künstlichen Sprachen innerhalb der Fachsprachen eine große Bedeutung bei: „Künstliche Sprachen realisieren den Begriff der Idealsprache auf einem beschränkten Teilgebiet der Wissenschaften" 4 . Dabei versteht Klaus unter einer idealen Sprache das, was z. B. G. W. Leibniz 5 schon für erstrebenswert hielt: „ . . . eine völlige Isomorphie zwischen Sprache und Wirklichkeit. Eine ideale i Ebd. S. 20 f. 2 Ebd. S. 26. 3 Ebd. S. 12. < Ebd. S. 23. 5 G. W. Leibniz, Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, Bd. 7. Philosophische Bibliothek Nr. 107, Leipzig, S. 19f.
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Sprache ist also im Unterschied und im Gegensatz zur natürlichen Sprache eine Sprache, bei der die Bedeutung der Wörter konstant bleibt, die Beziehungen zwischen den Worten und dem, was sie bezeichnen, umkehrbar und eindeutig festgelegt sind und jeder Beziehung zwischen Dingen umkehrbar eindeutig eine Beziehung zwischen den Worten entspricht" 1 . Der Konstruktion einer solchen Sprache stehen natürlich viele Schwierigkeiten entgegen. Aber die Vorstellung von ihr hat einigen Nutzen: Sie stellt „ . . . einen idealen Grenzwert dar, ein Paradigma für die allmähliche Verbesserung und Präzisierung der tatsächlich existierenden Sprache, mag es sich nun um die natürliche Sprache 2 oder um eine Fachsprache handeln. Zum anderen gibt er heuristische Hinweise für die Gestaltung von künstlichen Sprachen'^. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Klaus hat, wenn er von künstlichen Sprachen spricht, nicht die Plansprachen Wüsters u. a. im Sinne. Als Philosoph und Naturwissenschaftler denkt er an die Symbol- und Formelsprachen, wie sie in einigen Disziplinen der Mathematik, der Physik und besonders der modernen Logik verwendet werden. „In einer künstlichen Sprache werden alle Grundzeichen explizit aufgeführt, es werden die Regeln f ü r die Bildung zusammengesetzter Zeichen aus einfachen Zeichen angegeben und damit zugleich die sinnvollen von den sinnlosen Ausdrücken geschieden" 4 . „Es müssen also, ausgehend von der Umgangssprache, Symbole geschaffen werden, die es gestatten, äußerste Präzision des Schließens mit stenographischer Abkürzung und damit größerer Übersicht zu verbinden" 5 , so „daß an die Stelle langer Sätze der Umgangssprache wenige gut übersichtliche und kontrollierbare Zeichen treten" 6 . Wenn wir uns den Auffassungen von Klaus über die künstlichen Sprachen anschließen — und das tun wir — so können wir jetzt auch die künstlichen Sprachen in die Betrachtung der Fachsprachen einbeziehen, oder besser: Wir können feststellen, daß sich fachliches Denken nicht nur in natürlicher, sondern auch in künstlicher Sprache manifestieren kann. 1
G. Klaus, Semiotik und Erkenntnistheorie, Berlin 1963, S. 14 f. Klaus verwendet die Bezeichnung „natürliche Sprache" im Sinne von „Gemeinsprache" und für „Gemeinsprache" — „Umgangssprache". 4 3 Ebd. S. 23. Ebd. 5 Ebd. S. 24. 6 Ebd. 2
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Die Klaussche Darstellung der Fachsprachen unterscheidet sich von der Heisenbergs, von Weizsäckers, Wüsters und all der anderen Vertreter von Naturwissenschaft und Technik nicht so sehr in den Details; da herrscht sogar zumeist Übereinstimmung. Was sie aber vor den anderen auszeichnet, ist der Umstand, daß sie die Fachsprachen nicht isoliert, einseitig oder bestenfalls in ihrem Verhältnis zur Gemeinsprache faßt, sondern in den großen Zusammenhang von marxistischleninistischer Semiotik und Erkenntnistheorie stellt. Wir wollen das noch durch ein paar Zitate belegen, auch wenn wir damit unserem Vorsatz untreu werden, das Verhältnis Sprache — Denken so weit wie möglich beiseite zu lassen; gerade dieses Verhältnis interessiert ja, wie wir gesehen haben, den Wissenschaftler wie den Techniker bei seinem Bemühen um eine präzisierte Sprache; gleichzeitig enthält das Zitat die Grundlagen unserer Position gegenüber Weisgerber und seiner Schule, d. h., es rückt Denken, Sprache und objektive Realität in das rechte Verhältnis zueinander. „Für die Erkenntnistheorie ist zunächst wesentlich, daß die Sprache, wie Marx gezeigt hat, die Wirklichkeit des Gedankens ist. Wie wir wissen, ist das denkende Erkennen die höchste Stufe der Erkenntnis. Dieser Bereich der Erkenntnis ist aber stets in sprachliche Formulierungen gekleidet. Das Verhältnis von Denken und Sprache ist ein Spezialfall des Verhältnisses von Inhalt und Form und weist die ganze dialektische Kompliziertheit dieses Verhältnisses auf. Sprache und Denken sind untrennbar miteinander verknüpft, sie bilden eine Einheit. Diese Feststellung beinhaltet vom Standpunkt des Marxismus zweierlei. Zunächst ist Einheit nicht Identität. Der Behaviorismus hat versucht, das Denken auf die Sprache zu reduzieren, und zwar auf die materielle Seite der Sprache. Von seinem Standpunkt aus ist dies konsequent, da er ein Bewußtsein im Sinne des dialektischen Materialismus nicht a n e r k e n n t . . . Die genannte Feststellung beinhaltet aber zum anderen, daß es ein Denken ohne Sprache nicht gibt. Die Gedanken bedürfen der sprachlichen Hülle. Es ist bekannt, wie schwer es manchmal ist, für Gedanken, die im Prozeß des Entstehens sind, die noch völlig verschwommene Gestalt haben, die richtigen Wörter und Sätze zu finden. Mit der Entwicklung des Denkens entwickelt sich die Sprache. Aber dieser Prozeß und diese Relation sind nicht einseitig. Im Prozeß der sprachlichen Formulierung der Gedanken kleiden wir dieselben nicht nur in ein sprachliches Gewand, sondern wir geben ihnen auch ihre präzise Gestalt. Das Verhältnis
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von Denken und Sprache ist also kein einseitiges, bei dem etwa ein Glied dieser dialektischen Relation das gebende, das andere das nehmende wäre. Die Sprache gibt uns ferner die Mittel in die Hand, um Gedanken, Begriffe zu objektivieren. Gerade diese Funktion der Sprache ist von größter Bedeutung. Informationstheoretisch gesprochen heißt das, daß die Sprache ein gemeinsamer Kode ist, mit dessen Hilfe die Menschen Informationen austauschen, speichern, verarbeiten können. Nur vermöge der Sprache ist gesellschaftliche Erkenntnis möglich. Es ist schließlich auch die Sprache, die es uns letztlich ermöglicht, etwas über das Bewußtsein anderer Menschen zu erfahren. . . . Da jeder normale Mensch in der Lage ist, den Inhalt seines Denkens mit Hilfe der Sprache zu objektivieren, ist dieses sein Denken auch anderen Menschen zugänglich . . . Gegen die These von der Einheit von Sprache und Denken kann nicht eingewendet werden, daß sich das Denken doch häufig nicht in Worte, sondern in Bilder, in Symbole mathematischer oder logischer Art usw. kleidet. Wer diesen Einwand vorträgt, engt den Begriff der Sprache in unzulässiger Weise ein. Auch Bilder, mathematische Formeln, chemische Symbole können die Funktion der Sprache übernehmen" 1 . Klaus nennt drei Funktionen der Sprache, die für die Erkenntnistheorie Bedeutung haben: die Symbolfunktion, die Signalfunktion und die Symptomfunktion. Für die Fachsprachen ist vor allem die erste wichtig, also der Umstand, „daß die Sprache Gegenstände, Eigenschaften, Beziehungen usw. abbildet, oder genauer gesagt, daß sie die materielle Hülle der Gedanken, Begriffe, Aussagen usw. darstellt, die die Wirklichkeit abbilden" 2 . Und schließlich kann man das Wesen des ständigen Erneuerungsprozesses in der Lexik der Fachsprachen nur dann richtig begreifen, wenn man die Dialektik im Verhältnis Sprache — Denken erfaßt. Klaus formuliert das folgendermaßen: „Wir müssen aber auch sagen, daß es zwischen Sprache und Denken keine umkehrbar eindeutige Zuordnung gibt. Es besteht zwischen beiden vielmehr ein kompliziertes dialektisches Wechselverhältnis,. . ., das sich zum Widerspruch zuspitzen k a n n . . . . Das dialektische Wechselverhältnis beider zeigt sich etwa in dem Umstand, daß einerseits das Denken häufig genug das vorhandene, geschichtlich gewordene Sprachsystem an dieser oder jener 1
Ebd. S. 2 ff.
2 Ebd. S. 4.
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Rolle und Problematik der Fachsprachen
Stelle sprengt und sprachliche Neusetzungen erzwingt. Es zeigt sich andererseits in der Tatsache, daß die Sprache ihre relative Eigengesetzlichkeit besitzt, daß sie in gewissem Umfang ihre eigene Fortentwicklung nimmt und von dieser her nicht nur die Form, sondern in bestimmtem Maße sogar den Inhalt des Denkens beeinflußt" 1 . Wir finden unseren Exkurs in die Beziehungen zwischen Sprache, Denken und objektiver Realität gerechtfertigt, wenn wir bei Klaus lesen: „Eine der wichtigsten Funktionen der logischen Analyse der Sprache ist es, an der exakten Gestaltung wissenschaftlicher Fachsprachen und der Konstruktion künstlicher Sprachen (mathematische Sprache usw.) mitzuhelfen" 2 , denn gerade die exakte Gestaltung der Fachsprachen dient ja nicht nur der Schärfung des Denkinstruments Sprache, sondern zugleich der Vervollkommnung des Kommunikationsmittels Sprache und damit der Effektivierung der sprachlichen — in unserem Falle besonders der fachsprachlichen — Kommunikation. Wir haben erfahren, wie Naturwissenschaftler, Techniker und nicht zuletzt Philosophen die Fachsprachen sehen und welche Forderungen sie an diese stellen. Einige Beispiele mußten uns genügen; wir hoffen in ihnen das Wesentliche erfaßt zu haben. Wenden wir uns nun wieder der sprachlichen Betrachtung zu. An das Ende unserer Suche nach einer Definition für die Fachsprachen stellen wir einige Überlegungen des Germanisten W. Schmidt, die — aus einer funktional orientierten marxistischen Sprachbetrachtung entsprungen — unserer eigenen Auffassung sehr nahe stehen. Wir langen damit zugleich an jenem Punkt an, wo es notwendig wird, eine endgültige Abgrenzung zwischen Gemeinsprache und Fachsprachen zu treffen. Schmidt 3 geht davon aus, daß die Abgrenzung der „Erscheinungsformen" der Sprache untereinander nach dem Träger, dem Geltungsbereich und der Art der Äußerung erfolgen kann 4 . Wir verstehen das so, daß das erste Kriterium eine soziale, das zweite eine geographische Einteilung ermöglicht. Das dritte könnte sowohl zu einer Übersicht über die sogenannten Darstellungsarten als auch zu einer allgemeinen stilistischen Klassifikation führen, ist also nicht völlig eindeutig. Unter Gemeinsprache versteht Schmidt „ . . . die im ganzen . . . Sprachgebiet gültige, allen Angehörigen der Sprachgemeinschaft ver1 3
Ebd. S. 5 f. 2 Ebd. S. 11. W. Schmidt und J. Scherzberg, Fachsprachen und Gemeinsprache. Sprachpflege 4/1968. 4 Ebd. S. 65.
Wesen der Fachsprachen
153
ständliche und zum allgemeinen, nicht speziell fachgebundenen Gedankenaustausch gebrauchte Form" 1 der Sprache. Sie wird in ihrer kodifizierten Form als Hochsprache bezeichnet. Zuweilen ist mit Hochsprache auch nur die mündliche Form der kodifizierten Gemeinsprache gemeint, der dann die Schriftsprache gegenübersteht. Zur Gemeinsprache gehört bis zu einem gewissen Grade auch die Umgangssprache, eine differenzierte Schicht zwischen Hochsprache und Dialekten. Sehr klar ist diese Abgrenzung nicht, weil die genannten Kriterien für eine eindeutige Klassenbildung nicht ausreichen. Das gilt übrigens nicht nur für die deutsche sprachwissenschaftliche Terminologie. Auch die Definition für russisch oGmiiii H S H K , HAMIOHAJIBHHIFT H3HK,
pOAHOH
MeHHHH
H3BIK,
H3HK,
JIHTepaTypHHÖ
KHIIJKHBJÖ
H3HK,
H3L1K, p a S r O B O p H H Ä
yCTHHÜ
H3HK,
H3HK,
06HX0AHHH
nHCbH3HK;
englisch literary langnage, national language, native language, common language, Standard language, written language, oral language, conversation, jargon;
französisch
langue
commune,
langue
maternelle,
langue
usuelle, langue quotidienne, langete ecrit, langage oral usw. lassen e i n e
Menge Überschneidungen zu. Noch komplizierter wird die Angelegenheit, wenn wir die Trennung zwischen Sprache — Rede, H S H K — pent, language — speech — discours, langue — langage — parole — discours berücksichtigen und damit weitere Termini dieser Art bilden. Übereinstimmung besteht fast nur darin, was ein Dialekt und was Argot ist. Diese Abgrenzungsfragen können wir hier nicht weiter behandeln. Kehren wir also zu Schmidts Einteilung zurück. Sie kompliziert sich weiter durch die Herauslösung der sogenannten Sondersprachen. Während F. Stroh2 davon noch drei Arten aufzählt (Standessprache,. Berufssprache und Fachsprache), faßt Schmidt die beiden letzteren konsequenterweise zusammen und gelangt so zu einer Zweiteilung in Gruppensprachen und Fachsprachen; die ersten sind sozial bedingt,, die letzteren von der Sache, d. h. vom Thema her. Gruppensprachen sind nach Schmidt,,. . . die sondersprachlichen Formen, . . ., die innerhalb bestimmter sozialer Gruppen mit gemeinsamen Lebensbedingungen entstehen und deren Gebrauch den Sprecher als Angehörigen der betreffenden Gruppe ausweist" 3 . Das betrifft also z. B. Seeleute, Jäger, Schüler, Studenten, Gangster u. a. 1 Ebd. F. Stroh, Handbuch der germanischen Philologie, Berlin 1952, S. 335 f. 3 W . Schmidt und J. Scherzberg, Fachsprachen und Gemeinsprache. Sprachpflege 4/1968, S. 66. 2
154
Rolle und Problematik der Fachsprachen
Die Fachsprachen dagegen sind nicht der Ausdruck und das Ergebnis des Strebens einzelner sozialer Gruppen nach Absonderung. Ihr Entstehen ist von der Sache her bedingt. Schmidt definiert die Fachsprachen vorläufig als „ . . . Erscheinungsformen der Sprache, die der sachgebundenen Kommunikation unter Fachleuten in den verschiedenen Bereichen von Wissenschaft und Technik, Wirtschaft, Politik und Kultur dienen. Die speziellen Mittel der Fachsprachen . . . dienen dem fachgerechten Ausdruck, der genauen und differenzierten Bezeichnung der Sachverhalte in den genannten Fachbereichen. Die Fachwörter stehen also nicht als Dubletten neben entsprechenden gemeinsprachlichen Ausdrücken, sondern sie vertiefen, erweitern und besondern den gemeinsprachlichen Wortschatz" 1 . Schmidt ist wie wir der Auffassung, daß die Identifizierung der Fachsprache mit dem Sonderwortschatz den Begriff der Fachsprache zu eng faßt. Anderseits ist für ihn — wie für uns — Fachsprache nicht eigentlich Funktionalstil; denn das Charakteristikum für den Funktionalstil ist die funktional bedingte Verwendungsweise von größtenteils gemeinsprachlichen Ausdrucksmitteln 2 . Nun besteht zwar , , . . . ein Merkmal der Fachsprachen in der spezifischen Auswahl und Verwendungsweise der grammatischen — und auch der nichtterminologischen lexikalischen — Mittel. Doch eine vollständige Charakteristik der Fachsprachen ist ohne entsprechende Berücksichtigung des fachsprachlichen Wortschatzes, der Terminologie, unmöglich. Der Fachwortschatz hat aber grundsätzlich einen anderen Status als die nichtterminologischen lexikalischen und die grammatischen Elemente eines Fachtextes" 3 . Anders formuliert klingt das so: „Es gibt keine eigene fachsprachliche Grammatik, es gibt lediglich eine bevorzugte Verwendung bestimmter grammatischer Mittel. Das gleiche gilt für die nichtterminologische Lexik. Anders ist es beim Fachwortschatz. Dieser hat nicht gemeinsprachlichen Charakter, sondern gehört einem besonderen Teilbereich des lexikalischen Systems der Sprache a n . . . " 4 . Leider entgeht auch Schmidt nicht der Versuchung, den Fachsprachen die bekannten allgemeinen Prädikate nachzurühmen: Genauigkeit, Knappheit, Eindeutigkeit, exakte Begrifflichkeit des Ausdrucks, •expressive und ästhetische Neutralität 5 . 1 2 •3
HM KT ä oe ero yio UM HT aMH K> BIMH ee He ax HÖ OMy BIO B
1,19 1,17 1,08 1,06 0,94 0,93 0,89 0,89 0,82 0,74 0,69 0,61 0,61 0,56 0,50 0,47 0,45 0,26
2f 85,87 87,04 88,12 89,18 90,17 91,10 91,99 92,88 93,70 94,44 95,13 95,74 96,35 96,91 97,41 97,88 98,33 98,59
41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57.
—a
/(%)
HX HMH aM HT HMH yT eMy BLUM HM eB aT K>K> HH eTe HTe emb HUIb
0,22 0,20 0,19 0,17 0,15 0,13 0,09 0,06 0,06 0,04 0,04 0,04 0,02
Zf 98,81 99,01 99,20 99,37 99,52 99,65 99,74 99,80 99,86 99,90 99,94 99,98 100,00
—
—
—
—
—
—
—
—
V. S. Perebijnis 1 führt als die 18 häufigsten formenbildenden Affixe des Ukrainischen, die 25% aller Affixe in einem Text von 10000 Wortformen ausmachen, die folgenden an: Nr.
Affix
Nr.
Affix
1.
-a
10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.
-a -i
2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
-HX -B -y -e
-H -JIH -ÌB -TH
-0
-i -0
-a -y
-Hj -a
(Die mehrfach aufgeführten Affixe sind der Funktion nach unterschieden).
Nimmt man eine Differenzierung nach „Stilen" vor, so ergibt sich folgendes Bild : 1
V. S. Perebijnis, Statisticni parametri stiliv, Kiiv 1967, S. 84f.
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
230
Mittlere Häufigkeit der formenbildenden Affixe des Urämischen bei 500 Wortformen als statistischer Parameter des „Stils"
m
Stile Dramatik Künstl. Prosa Poesie Polit. Literatur Wiss.-techn. Literatur Null-Stil
107,1 121,3 102,9 133,3 133,8 127,6
% von 500 Wortformen 21,4 22,3 20,6 26,7 26,8 25,5
Rechnet man die statistischen P a r a m e t e r so um, d a ß sie graphisch darstellbar werden, d a n n ergibt sich folgende Übersicht über die Schwankungen der mittleren Häufigkeit der Affixe im Ukrainischen: 95 99 103 107 111 115 119 123 127 131 135 139 143
Dramatik künstl. Prosa Poesie Polit. Lit. Wiss.-techn. Lit. Null-Stil Die Häufigkeit der formenbildenden Morpheme k a n n also als K r i t e r i u m zur Unterscheidung oder Identifizierung von Subsprachen verwendet werden, wie z. B. a n der relativ starken Abweichung gerade zwischen einigen Formantien der wissenschaftlich-technischen L i t e r a t u r und der Poesie zu beobachten ist, die hier im einzelnen nicht dargestellt werden soll. E s mag lediglich darauf verwiesen sein, d a ß mit Hilfe der statistischkombinatorischen Methode die bedingte Wahrscheinlichkeit f ü r eine ganze Reihe von Endungen in Texten der Radioelektronik f ü r das Russische 1 bereits untersucht ist; f ü r das Englische, Deutsche und 1
L. D. Andreeva, Vydelenie paradigmy vtorogo morfologiöeskogo tipa pri statistiko-kombinatornom modelirovanii russkoj morfologii. Statistiko-kombinatornoe modelirovanie jazykov, Moskva/Leningrad 1965, S. 232.
Morpheme und grammatische Kategorien
231
Französische verursacht diese Methode — abgesehen von der wenig ausgeprägten Flexion dieser Sprachen — einen großen Aufwand, wenn man Endungen und Affixe eindeutig voneinander trennen will. Hier f ü h r e n einfache Zählungen schneller zum Ziel. Häufigkeitslisten, die im .Zusammenhang mit den Leipziger Untersuchungen zum Fachwortschatz ausgewählter Bereiche entstanden sind, bilden noch keine repräsentative Auswahl; sie weisen jedoch teilweise starke Abweichungen von A. G. Oettingers Verzeichnis auf 1 . Mancher mag sich fragen, welchen praktischen Wert solche Zählungen der formenbildenden Morpheme in den Fachsprachen und der Vergleich ihrer Häufigkeit mit der in anderen Subsprachen wohl haben soll. Nur um die Unterschiede und Ubereinstimmungen festzustellen, lohnt sich der Aufwand sicher nicht. Wir wollen deshalb einige praktische Ziele nennen, die wir mit diesem Teil der fachsprachlichen Forschung, der übrigens nicht im Mittelpunkt unseres Interesses steht, sondern beiläufig mit erledigt wird, verfolgen. Ansatzpunkt f ü r die meisten Überlegungen ist die Vorstellung, daß sowohl der Mensch als auch die Maschine bei der Analyse des Fachtextes nach einem bestimmten Algorithmus verfährt, der sich bei beiden natürlich unterscheidet, aber zumindest auch eines gemeinsam h a t : das Streben nach Ökonomie und Effektivität in einem Prozeß, den man sicher in beiden Fällen als Suchvorgang bezeichnen kann. Dieses Streben kann durch eine möglichst zweckmäßige Anordnung wesentlich gefördert werden, bei der das häufigste Element an der Spitze steht und ihm die anderen in der Reihenfolge der abnehmenden Häufigkeit folgen. Auf diese Weise wird verhindert, daß beim Suchprozeß unnötig viele Elemente „abgetastet" werden müssen, ehe das richtige gefunden ist. Auch der Mensch, der f ü r solche Vorgänge wesentlich mehr Zeit benötigt als eine moderne EDVA, sucht beim Lesen eines fremdsprachigen Textes gewisse Orientierungsstützen. In den stark flektierenden Sprachen sind das unter anderem auch die Endungen und andere Formantien. Übrigens spielt der Unterschied zwischen häufigem und seltenem Auftreten nicht nur bei dieser Art Denk- oder Gedächtnisleistung eine Rolle, sondern bei fast jeder geistigen Tätigkeit. Der Einsatz des Häufigkeitsprinzips ist also eine völlig natürliche Angelegenheit auch in unserem Falle. 1
Siehe z. B. K. Heckel, Fragen der Theorie und Praxis statistischer Untersuchungen zur Lexik in der sowjetischen Presse, Leipzig 1971 (Diss.).
232
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
Weshalb sind die Formantien eine Orientierungsstütze? Sie verwandeln das Wort aus einem durch Abstraktion und künstliche Segmentierung gewonnenen Einzelelement bzw. Repräsentanten einer Kategorie oder Klasse von Kategorien zurück in das, was es eigentlich ist, nämlich in einen organischen Bestandteil der Rede (des Kommunikationsaktes), der zu anderen ebensolchen Bestandteilen in festen Beziehungen steht, und eben diese Beziehungen macht das Formans sichtbar, selbst wenn es im Hinblick auf seine grammatische Kategorie nicht eindeutig ist ; denn es schränkt ja die Zahl der Wahlmöglichkeiten ein. Es gibt Texte, deren grammatische Konstruktionen für den weniger Geübten schwer zu überschauen sind. Hier mag als Beispiel die diskontinuierliche Satzgliedfolge im Russischen dienen. Die Aussagen, die in den folgenden Sätzen enthalten sind, werden, wenn nicht überhaupt, dann doch schneller dadurch verständlich, daß die Relationen zwischen den Satzgliedern in den Endungen zutage treten. Das beginnt mit dem isolierten Attribut : B GeTaTpoHe ajieKTpoHH HMeioT cicopocTH, jihhii. Heimoro OTJiHiaiomHecH ot CKopooTH CBeTa. Pa3JiHHHM© no CBoeft MaTepHajiBHOä npiipo^e yCTpoüCTBa, aaflanett KOTopwx hbjihctch xpaHemie, nepepaöoTKa h nepe^ana iiHopMai;HH, oöecneiHBaiomeft b kohghhom cneTe Tpeßyeiwoe ynpaßjieHHe paccMaTpHBaeMoro oßieKTa, nayiaioTCH KiißepHeTiiKoii hcKJUOIHTejIBHO
KaK
HOCHTejIH
H JIM
npeoßpaäOBaTejIH
MH(j)OpMamiH.
EJIH3KOH K pHMCKOii, XOTH H HeCKOJIbKO OTJIH1HOH OT Hee, HBJIHeTCH CJiaBHHCKaa CHCTeMa HyMepai^HH. Oöhiho npHMeHHiomaHCH Bcenrn b HacTonmee BpeMH ajih 3anncii qnceji CHCTeina hbjihctch n03Hi^H0HH0H. Aber auch Adverbialpartizipkonstruktionen der folgenden Art gehören hierher: Htoöh nojiyiHTb BanyyM ßea nacoca, HyiKHo nacTt ra3a, CHMbHO oxJiaat^aa ero, npeBpaTHTb b Htw^KocTb. OnpeflejieHtie Maccti Tejia mojkho npoiisBecTH, BBseniHBaa ero, to ecTb cpaBHHBaa C MaCCOH paBHOBeCOK H3B6CTHOÜ BeJIHHHHM. Besonders häufig treten solche Konstruktionen in der wissenschaftlichtechnischen Literatur des Russischen auf. Das Englische, Französische und Deutsche kennen die diskontinuierliche Satzgliedfolge zwar auch, allerdings mehr in Gestalt der sogenannten Distanzkomponenten analytischer Formen, die f ü r das Verstehen keine besonderen Schwierigkeiten bereiten, z. B.: They were also determined for control purposes. The fluorine-containing Compounds that have so far been encountered contain,besides the usual elements, only chlorine and nitrogen. — II est fortement oxydé. De plus, toutes les espèces ne sont pas également
Morpheme und grammatische Kategorien
233
aptes à assimiler les ions ammonium. — Die R u h r wird durch R u h r bakterien verursacht. An die Stelle der regelmäßigen Läppchenanordn u n g sind unregelmäßige Leberzellinseln und Leberzelladenome getreten. Die von U e b e r m u t h verfaßte Spezielle Chirurgie ist schon 1962 in der 3. Auflage erschienen. I n Übereinstimmung mit der späteren Stellung der F o r m a n t i e n bei der praktischen Arbeit mit Fremdsprachen, besonders mit dem Russischen, sollten die entsprechenden Morpheme auch schon ihren Platz in der Ausbildung erhalten, d. h. in einer bestimmten Reihenfolge je nach ihrer Häufigkeit a u f t r e t e n . Dieser Vorschlag läßt sich nicht zum absoluten Prinzip erheben. E s gibt aber in der modernen fachbezogenen F r e m d sprachenausbildung — viel stärker als in den f r ü h e r e n traditionellen Lehrmaterialien — eine sehr einfache Möglichkeit, ihn zu berücksichtigen : D a s sind die Programmbücher f ü r die (teil-)programmierte Ausbildung. Sie enthalten einen Rückkopplungsteil, der f ü r die formenbildenden Morpheme aus einer einfachen Übersicht über die vorhandenen Mittel besteht K Hier wäre der Suchvorgang durch B e r ü c k sichtigung der Häufigkeiten zu rationalisieren. Vielleicht — aber das ist wenig wahrscheinlich — ließe sich sogar eine Restriktion im Vergleich zum Gesamtbestand der bisherigen normativen Grammatiken erreichen, also sozusagen eine subsprachliche Morphologie. Wenn wir bisher fast ausschließlich von Endungen als formenbildenden Morphemen gesprochen u n d sie als Beispielmaterial herangezogen haben, so wollen wir doch darüber nicht vergessen, daß es neben ihnen noch andere Formantien gibt, die in den einzelnen Subsprachen eine unterschiedliche Rolle spielen und von denen auch in den Fachsprachen unterschiedlicher Gebrauch gemacht wird. Wir zählen sie nicht z u r Lexik, weil sie zwar formal als selbständige „Wortkörper", aber ohne eigene Semantik (nicht als Lexeme) auftreten u n d n u r der F o r m e n bildung — in diesem Falle der analytischen — dienen. Gemeint sind z. B. russisch fiojiee, caimii, HaiiSojiee, 6HTB (Futur, P r ä t e r i t u m Passiv); englisch more, most, have, be ; französisch plus, le plus, avoir, être ; d e u t s c h
haben, sein usw. Die meisten von ihnen sind vom grammatischen System her gebunden. Das gilt für die Bildung der Tempora, Modi, Genera verbi usw. Auch die Bildung der Steigerungsformen im Englischen entweder auf -er, -est oder mit more, most ist weitgehend fixiert. 1
Modell der Sprachkundigenausbildung der DDR, Stufen II a und II b (Russisch), Leipzig 1971 (Masch.), S. 139 ff.
234
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
F ü r das Deutsche und Französische sind uns in den Fachsprachen keine V a r i a n t e n aufgefallen. I m Russischen jedoch gibt es eine ausgesprochene Konkurrenz zwischen caMHft und Haiißojiee bei der B i l d u n g des Superlativs der A d j e k t i v e . Bei unseren ersten Untersuchungen h a t t e n wir den Eindruck, Haußojiee sei in der wissenschaftlichen L i t e r a t u r auf d e m besten W e g e , caMHft immer weiter zu verdrängen ( 6 0 % aller F o r m e n ) . A u f die Medizin traf das voll zu 1 . I n Physik und Chemie fiel das Verhältnis schon nicht mehr so eindeutig aus; und in der Philosophie dominierten gar die Bildungen auf -eiinnni und -aftnmft 2 ( 5 3 , 6 % ) , während Hanöojiee an letzter Stelle stand ( 8 , 2 % ) . E i n solcher Untersuchungsverlauf mit ganz verschiedenen Ergebnissen z e i g t dreierlei: 1. D a s gehäufte A u f t r e t e n bestimmter F o r m e n kann eine generelle Entwicklungstendenz in der Sprache andeuten. E i n e R e i h e d a v o n ist ja auch schon v o n der „praktischen Stilistik" registriert w o r d e n : das Schwanken im Gebrauch der E n d u n g -y in Genitiv und P r ä p o s i t i v Singular bei einigen maskulinen Substantiven, das verstärkte A u f t r e t e n •der Endung -a im N o m i n a t i v Plural, Verschiebungen in der Deklination b z w . der Deklinierbarkeit v o n Eigennamen, der unterschiedliche Gebrauch v o n L a n g f o r m und K u r z f o r m im K o m p a r a t i v der A d j e k t i v e , bei dem übrigens behauptet wird, daß die analytische F o r m des K o m p a r a t i v s f ü r die Subsprache v o n Wissenschaft und Technik •charakteristisch sei (npoqeHT yeneBaeMoeTH b rpynne ceßnac 6ojiee bhcokhü, qeM b nponuiOM ro,uy), im Superlativ dagegen die einfache F o r m f ü r diese Subsprache zeuge (rjiyßoHaftniHe Hjien) usw. usf. 3 I n dieser Hinsicht können wir v o n Haiiöojiee auf Grund unserer Untersuchungen noch nichts aussagen. 2. U m g e k e h r t hatten wir angenommen, die große H ä u f u n g v o n fianöojiee sei f ü r alle oder fast alle Fachsprachen typisch. J e t z t wissen wir — ganz i m Gegenteil — daß sie sich als morphologisches Unterscheidungsmerkmal zwischen den Fachsprachen v e r w e n d e n läßt. Das ist für unser Forschungsanliegen ein positives Ergebnis. 1
2
3
G. Alexander, Über die Spezifik des Wortschatzes russischsprachiger Texte der Medizin. Fremdsprachenunterricht 11/1968, S. 477. R. Schneider, Fachsprachliche Besonderheiten der Lexik und Morphologie des Bussischen in Texten der marxistisch-leninistischen Philosophie, Leipzig 1971 (Diss.), S. 38. V. A . Mamonov, D. E. Rozental', Praktiieskaja stilistika sovremennogo russkogo jazyka, Moskva 1957, S. 57 ff.
.Morpheme und grammatische Kategorien
235
3. Die große Häufigkeit bestimmter Formantien sollte uns nicht zu vorschnellen Urteilen verleiten. Eine ganze Reihe von Morphemen ist lexikalisch gebunden. Das eben erwähnte Formans -eftmnii bzw. -aiinmfi kann nicht an alle Adjektive treten, und auch die Substantivendung -y im Genitiv oder Präpositiv Singular maskuliner Substantive läßt sich nicht beliebig gegen -a bzw. -e austauschen. Wir haben bisher nur zwei Varianten des Verhältnisses zwischen Formans und grammatischer Kategorie berücksichtigt: die eineindeutige Zuordnung und die Möglichkeit, daß ein und dieselbe Kategorie durch verschiedene Formen repräsentiert werden kann. Die dritte Variante ist die Mehrdeutigkeit des Formans in bezug auf •die Kategorien, die es materialisiert. Gerade sie kann zu einer starken Erhöhung der Häufigkeit eines Morphems führen. So ist die Spitzenstellung der Endung -a in einer Häufigkeitsliste der Endungen des Russischen.— sehen wir einmal von der noch größeren Häufigkeit der NullEndung ab — nicht nur durch die große Häufigkeit der entsprechenden Wortformen im Text, sondern auch dadurch bedingt, daß sich hinter dem -a unter anderem folgende Kategorien verbergen: Genitiv, belebter Akkusativ Singular, eventuell Nominativ und Akkusativ Plural maskuliner Substantive; Nominativ Singular femininer Substantive; Genitiv Singular, Nominativ und Akkusativ Plural neutraler Substantive; .Nominativ und Akkusativ Plural der Substantive auf -MH ; feminine Kurzform der Adjektive und Passivpartizipien usw., wogegen -aT, -Mio, -HH die untersten Ränge belegen und die Kategorien der 2. Person Singular und Plural in Fachtexten fast gar nicht vertreten sind. .Zur Mehrdeutigkeit der Formantien in den Fachsprachen liegen noch keine Untersuchungen vor. Sie versprechen auch wenig Erfolg, weil die Verhältnisse in den meisten Subsprachen ähnlich sein werden, bis auf •einige Einzelphänomene wie die eben genannte 2. Person, die in der Dramatik, der wörtlichen Rede der künstlerischen Prosa, dem Alltagsgespräch und sicher auch anderswo als gerade im Fachtext auf Grund der anderen kommunikativen Situation eine größere Rolle spielen muß. Erscheinungen wie die zuletzt genannte kann man außerdem mit weniger Aufwand feststellen, wenn man nur die Häufigkeit der grammatischen Kategorien berücksichtigt, wie das bisher in den meisten Untersuchungen auch getan worden ist. Nehmen wir H. H. Josselson 1 !l
H. H. Josselson, The Russian Word Count and Frequency Analysis of Grammatical Categories in Standard Literary Russian, Detroit 1953.
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
236
f ü r das Russische im allgemeinen oder bedeutende Vertreter d e r funktionalen Stilistik wie M. N. Kozina f ü r den wissenschaftlichtechnischen Stil, überall finden wir Angaben der folgenden A r t : Russisch Singular
Russisch Plural
Reihenfolge der Häufigkeit nach
Kasus
Prozent
1 2 3 4 5 6
Nom.—-28,5. Akk. —26,3 Gen. —14,3 Instr. —14,0 Präp.—.10,9 Dat. — 6,0
Reihenfolge der Häufigkeit nach _J ~ 3 - 4 - 5 - 6
Kasus
Prozent
Gen. Nom. Akk. Instr. Präp. Dat.
26,4 25,0 21,4 13,8 8,5 4,8
Aus solch einfachen Tabellen ist die statistische Distribution d e r grammatischen Kategorien — in dieser Tabelle der K a s u s in Singular und Plural — sofort abzulesen und außerdem durch eine graphische Darstellung der Korrelationen zu veranschaulichen: I n Singular u n d Plural bestehen unterschiedliche Rangfolgen, wobei die Divergenzen z . T . erheblich sind (Genitiv 3 = 14,3%; 1 = 26,4%). Aber auch gleiche R ä n g e sind nicht immer durch gleiche Prozentwerte belegt (Präpositiv, Dativ). Weit wichtigere Erkenntnisse lassen sich jedoch aus den getrennten Anteilen der Kasus a n Singular u n d Plural ziehen. Vor allem m u ß es möglich sein, die hohe Frequenz von Nominativ u n d Akkusativ im Singular sowie von Genitiv, Nominativ u n d Akkusativ im Plural aus der F u n k t i o n des Substantivs in den höheren sprachlichen Ebenen herzuleiten. Dabei darf — besonders später bei der U n t e r suchung der einzelnen Sub- und Fachsprachen — nicht unbeachtet bleiben, was aus der obenstehenden Tabelle nicht zu ersehen ist: I m Singular stehen 77,7%, im Plural 22,3% aller Kasusformen. Vier Kasus, und zwar der Nominativ Singular, der Akkusativ Singular, der Genitiv Plural und der Nominativ Plural machen zusammen 7 3 % , also fast drei Viertel aller Flexionsformen des Substantivs im R u s sischen aus. Man könnte dabei a n folgende einfache funktionale I n t e r p r e t a t i o n denken: Die Hauptrelation im Satz ist die vom Subjekt ( = Nominativ) auf das direkte Objekt ( = Akkusativ) übergreifende H a n d l u n g ; d a s wird auch dadurch bestätigt, daß die Masse der Verben den Akkusativ
237
Morpheme und grammatische Kategorien
regiert, und gilt in Singular und Plural. Tritt ein nicht-adjektivisches Attribut, also ein Substantiv, zu Subjekt oder Objekt, so steht es im Normalfall im Genitiv. Da die Eigenschaften, die dem Subjekt und dem Objekt anhaften, meist nicht nur f ü r einen, sondern f ü r viele Gegenstände gelten, darf uns die größere Häufigkeit des Genitivs im Plural nicht verwundern. Diese wenigen Sätze der Interpretation sind keine Offenbarung, sondern sollen nur eine Anregung sein, wie man aus rein quantitativen Daten qualitative Aussagen gewinnen kann. Das ist auf den höheren sprachlichen Ebenen noch weit wichtiger als bei der Morphologie. Nehmen wir ein anderes Beispiel aus dem verbalen Bereich: die statistische Verteilung der Modi in Verbindung mit den Aspekten:
Modus
Perfektive Verben %
Imperfektive Verben %
Infinitiv Indikativ Imperativ Konjunktiv
13,2 85,4 0,4 1,0
13,5 85,7 0,5 0,3
Auffallend, aber nicht überraschend ist hier der hohe Anteil des Indikativs. Die Masse der menschlichen Kommunikation besteht eben aus Aussagen über reale Sachverhalte. Daß der perfektive Indikativ fast ebenso stark vertreten ist wie der imperfektive, liegt an seiner starken Vertretung im Präteritum (91,7%), die im imperfektiven Aspekt nur durch Addition von Präsens (33,6%) und Präteritum (66,1%) aufgewogen werden kann. Die relativ hohen Werte f ü r den Infinitiv stammen nicht — wie man vermuten könnte — aus dem imperfektiven F u t u r , sondern vorwiegend aus modalen und unpersönlichen Konstruktionen. Wir brechen unsere Betrachtungen über die Häufigkeit der grammatischen (morphologischen) Kategorien in der Sprache schlechthin und ihre mögliche Interpretation ab. Es ging uns dabei nur um ein paar einführende Hinweise; denn eigentlich haben wir es ja mit den Fachsprachen zu tun. Gerade zu den grammatischen Kategorien der Fachsprachen liegt uns eine Fülle von Material vor, das f ü r alle vier uns interessierende Sprachen gilt, weil diese Gültigkeit nicht davon abhängt, ob und wie die einzelne Kategorie morphologisch explizit
238
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
zum Ausdruck kommt. Die funktionale Stilistik hat deshalb die im folgenden zusammengefaßten Merkmale der Fachsprachen, die allerdings wieder fast ausschließlich aus der wissenschaftlichen Prosa gewonnen sind, für allgemeingültig erklärt und damit sicher nicht unrecht: 1. Das Verb verliert seinen konkreten Zeitbezug. Die große Häufigkeit der Präsensformen ergibt sich nicht etwa daraus, daß alles Wissenschaftliche und Technische als „gegenwärtig" betrachtet wird, sondern aus dem Streben nach Abstraktion und Verallgemeinerung. Es wird von dauerhaften Merkmalen und Eigenschaften der untersuchten E r scheinungen gesprochen, und es werden allgemeingültige Aussagen getroffen. Auch wenn bestimmte Erkenntnisse der Vergangenheit angehören, längst überholt sind oder sich in der Zwischenzeit gar als falsch herausgestellt haben — im Augenblick ihrer sprachlichen Formulierung und Mitteilung wurden und werden sie als wahr und dauerhaft gedacht, deshalb also im Präsens ausgesprochen und sogar niedergeschrieben. B pasjiHHHHx cncTeMax OTCieTa 3ÜKOHM npapo^u — B TOM iwcjie 3aK0HHflBHJKeHHH— HMCJOT, BOOÖlIje TOBOpH, paSJIHHHblH BHfl. The equivalence point in a Potentiometrie titration is generally determined by finding in some way or other, the point of máximum slope of the titration curve. Toutes les cellules contiennent des lipides. Die allgemeine Krise des Kapitalismus ist eine allseitige Krise des gesamten kapitalistischen Weltsystems. 2. Die verbale Kategorie der Person wird im Sinne einer unpersönlichen Darstellungsweise umfunktioniert. Es dominiert die 3. Person als Ausdruck der Beobachtung von Erscheinungen, Prozessen, Zuständen usw., an denen der Beobachter nicht direkt beteiligt ist, selbst wenn er sie — wie z. B. beim Experiment — ins Leben gerufen hat, kontrolliert und lenkt. M a X O B H K HCüHTMBaeT COnpOTHBJieHHe HtHÄKOCTH. The weight of the sample depends on the assumed o x y g e n content. Les bactéries responsables de la symbiose existent librement dans le sol. Das Raubtier begibt sich namentlich abends auf den Beutefang. Die 1. Person wird, besonders im Plural, zur leeren Person. I n einigen Sprachen ohne Personalpronomen gebraucht, bezieht sie nicht nur andere in die eigene Betrachtung und Darstellung mit ein, sondern erreicht zuweilen einen Grad der Verallgemeinerung, der die Personen-
Morpheme und grammatische Kategorien
23&
gebundenheit der Aussage aufhebt und den Ersatz des Urhebers der Aussage durch jede beliebige andere Person als möglich erscheinen läßt. EyfteM CHHT&Tb, HTO CBH3B MejKfly x H y B3cLHMH0 0flH03HaqHa . . . (Wenn m a n annimmt, daß . . .) We shall never be able to prove this fact (Man wird das nie beweisen können). Nous remplaçons ensuite la suspension d'algues par la soudure noircie d'un couple thermo-électrique (Man ersetzt . . .). Wir unterbrechen den Stromkreislauf (Man unterbricht . . .). Dieser Gebrauch der 1. Person ist nicht mit der imperativartigen Aufforderung zu verwechseln, die allerdings bis zu einem gewissen Grade ebenfalls die oben angedeutete Tendenz zum Ausdruck bringt (BepHeMCH . . . Retournons . . . Kehren wir noch einmal. . . zurück. Aber englisch : Let us . . .). Die 2. Person ist differenziert einzuschätzen. Man kann nicht einfach sagen, auch sie werde häufig unpersönlich gebraucht. I n schriftlichen Texten k o m m t sie fast überhaupt nicht vor, in der mündlichen Kommunikation jedoch — angefangen bei der Vorlesung bis hin zum einfachen Fachgespräch — t r i t t sie meist in ihrer normalen Anredef u n k t i o n auf. Besonders häufig ist die Verwendung spezieller „unpersönlicher F o r men" des Verbs, z. T. verbunden mit Hilfswörtern, die diese Unpersönlichkeit semantisch unterstreichen bzw. mit einem speziellen unpersönlichen Pronomen. flojiroe BpeMH CIHTaJIH, HT O 3TO e^MHCTBCHHiJH MeTOfl. One is tempted to try this way. Si on incorpore au gélatino-bromure d'argent un colorant capable d ' a b sorber les radiations rouges, la plaque niorcit si elle est éclairée en lumière rouge. Man k a n n an das Problem auch anders herangehen. 3. Sehr verbreitet ist in den Fachsprachen von Wissenschaft u n d Technik auch die Verwendung des Passivs, eine der einfachsten Arten, einen Sachverhalt neutral darzustellen, wobei der „Urheber der H a n d l u n g " bzw. das „logische Subjekt" genannt werden kann, meist aber u n erwähnt bleibt. Onpe^eJiHJiocfc cpeflHee BpeMH peaisijini. More recently another type of opal glass has been adopted for certain purposes.
240
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
Cette énergie est utilisée directement chez les phototrophes pour les biosynthèses organiques. Ein bestimmter Teil der Waren wurde in Manufakturbetrieben hergestellt. 4. Wenn wir in den Abschnitten 1 bis 3 zunächst von einigen Besonderheiten des Verbs gehandelt haben, so muß betont werden, daß gerade •das Verb als Wortart insgesamt in den Fachsprachen eine weit geringere Rolle spielt als in anderen Subsprachen. I n seiner Funktion als Prädikat wird es durch adjektivische und andere nominale Konstruktionen bedrängt. Zur Entverbalisierung trägt auch der hohe Anteil an Partizipien bei, die nicht nur als direkte Attribute auftreten, sondern in attributiven Nebensätzen das Prädikat durch ihre Doppelfunktion überflüssig machen ; das gilt allerdings nur für das Russische, Englische und Französische, sofern man diese Konstruktionen als (verkürzte) Nebensätze anerkennt und nicht einfach als nachgestelltes erweitertes Attribut behandelt. nocjie«Hee npeacTaBJiaeT co6oä ¿ynray nepneHflHKyjiHpa, onymeHHoro H3 ijeHTpa na HanpaBJieHHe V oo. The surface produced on these metals is active. Les réserves sont constituées par de véritables cérides liquides et cy toplasmiques formés par l'estérification d'alcools à très nombreux carbones. -5. Relativ häufig ist in bestimmten fachsprachlichen Texten des Russischen und Englischen auch die Verwendung von Adverbialpartizipien bzw. Gerundien. Sie wird aber gewöhnlich überschätzt. 1 Bo3BpanjaflCb K (J>aKTHHecKoft sagaie o paccenHnn n y i n a lacrim, mij MOH?eM CKaaaTb, hto $opMyjia (15) onpeaejineT aeKTHBHoe •ceieHHe. The expressions are given in a simple form leading to slightly curved lines. Diese und andere Beobachtungen können wir jetzt für das Russische durch exakte statistische Angaben erhärten. Wir wählen dazu Beispiele aus der Philosophie, der Medizin und der Physik aus. Die scheinbar niedrigen Prozentsätze für die Kategorien „unpersönlich" und „unbestimmt-persönlich" verdienen dennoch Beachtung, weil sie fast 50% der neben der 3. Person verbleibenden Möglichkeiten ausmachen und weit über der 1. und 2. Person liegen. 1
I. Vaseva-Kadynkova, Castotnost' upotreblenija deepriöastij v sovremennom russkom i bolgarskom jazykach. Russkij Jazyk v Nacional'noj Skole 6/1965.
241
Morpheme und grammatische Kategorien Philosophie
Medizin
Physik
Andere Subsprachen
Mündlicher Sprachgebrauch
Präsens
54,82%
53,20%
38,62%
2 6 , 6 o/„
68,30/0
3. Person Unpersönl. u. unbest.-pers. Partizipien Adverbialpartizipien
93,42%
90,170/c
76,30%
8 6 , 6 o/o
4 4 , 8 o/ 0
13,950/o
3,14%
5.86%
19,72%
28,990/o
3,17% 29,21%
4,82%
2,06%
4,72%
2 , 3 3 o/ 0
(Die Prozentzahlen in der ersten und in den beiden letzten Zeilen beziehen sich auf die Verbformen insgesamt, die in der zweiten auf die Personalformen des Verbs insgesamt.)
6. Eine relativ häufige Erscheinung ist in F a c h t e x t e n des Russischen auch das Prädikativum. An seiner Stelle stehen im Englischen, Französischen u n d Deutschen bestimmte modale Verben oder Ausdrücke. B lacTHocTH, ysKe HeJiB3H yTBepiKRaTb B oömeiw cjiyqae, ITO ycKopemie FLBHJKYMEROCH Tejia HBJIHCTCH YHKI;MEH JIHMB OT e r o K00PFLHHAT H CKOpOCTH B
flaHHBlft
MOMeHT BPEMEHH.
H e a t e d cells of simple construction can be used to study these spectra. Il faut rapporter à la catégorie précédente les organes à comportement totalement ou partiellement hétérotrophe des végétaux verts. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß diese Erkenntnisse relativ jung sind. Sie dienen, wie in anderen Subsprachen auch, der Modifizierung, der Verstärkung oder Abschwächung der Aussage, können die zwingende Notwendigkeit, aber auch die Unzulässigkeit einer Handlung unter bestimmten Bedingungen zum Ausdruck bringen. Sie können jedoch auch ein Zeichen f ü r Vorsicht und Zurückhaltung sein, die bei manchen wissenschaftlichen Aussagen durchaus geboten sind. Wie spezielle Untersuchungen ergeben haben, ist der Anteil der Formen, die diese Kategorie repräsentieren, an der Textdeckung zwar gering (Philosophie 0,66%; Medizin 0,41%; Physik 0,91%)!, aber wenn m a n 1
16
R. Schneider, Fachsprachliche Besonderheiten der Lexik und Morphologie des Russischen in Texten der marxistisch-leninistischen Philosophie, Leipzig 1971 (Diss.), S. 51. Fachsprache
242
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
das richtige Maß anlegt und ihren Anteil an der Gesamtzahl der Prädikate eines Textes ermittelt, dann wird ihre Bedeutung f ü r die Fachsprachen besser sichtbar. 7. Eine besondere Rolle spielen in Fachtexten die Adjektive. Auch wenn ein Vergleich der Häufigkeiten, mit denen die einzelnen Wortarten im Text auftreten, nicht in die Morphologie gehört, müssen hier zum besseren Verständnis doch zumindest ein paar Zahlen genannt werden, die die Stellung des Adjektivs in verschiedenen Subsprachen beleuchten (wir berücksichtigen dabei die Angaben von Stejnfel'dt und Josselson, die f ü r die gesamte russische Sprache gelten sollen, nur am Rande):
(Stejnfel'dt) (Josselson) Conversation Non-Conversation (Markov) Autor Personen
8,30/0 9,5% 13,2% 3,9% 9,6%
Philosophie Medizin Physik Pädagogik Chemie Wissensch. Zeitungsinformationen
16,22% 16,00% 12,50% 15,44% 14,99%
13,20%
Diese Übersicht läßt die große Bedeutung des Adjektivs f ü r den Fachtext erkennen, die sich vor allem aus einer starken Attribuierungstendenz ergibt, d. h. aus dem Bedürfnis nach Präzisierung und Differenzierung erwächst. Das gilt nicht nur f ü r das Russische, f ü r das uns hier die exakten Zahlen vorliegen, sondern auch f ü r das Englische, wo in den Fachsprachen zahlreiche Substantive adjektiviert werden, um den Bedarf an Attributen zu befriedigen, und f ü r das Französische; im Deutschen liegen die Werte f ü r das Adjektiv niedriger, weil durch die Bildung von Komposita eine andere wichtige Möglichkeit zur Präzisierung und Differenzierung der Benennungen gegeben ist. Wir werden darauf später noch zu sprechen kommen. Es ist also nicht verwunderlich, daß das Adjektiv im Russischen in der Masse der Fälle in der Langform auftritt. I m Englischen und Französischen gibt es keinen Unterschied zwischen Langform und Kurzform, im Deutschen spielt er eine geringe Rolle. Wir sprechen deshalb in diesem Zusammenhang besser von „attributiver Funktion". F ü r die bisher untersuchten Subsprachen ergibt sich das folgende Bild:
Morpheme und grammatische Kategorien Philosophie Kurzform Langform attributiv Langform prädikativ (im Nominativ) Langform prädikativ (im Instrumental)
Physik
Medizin
3,63
9,27
3,80
94,73
86,07
94,60
0,14
0,61
0,35
1,50
4,02
1,25
Chemie Kurzform Langform attributiv Langform prädikativ (im Nominativ) Langform prädikativ (im Instrumental)
243
Wissensch. Zeitungsinformation
5,87
5,02
92,06
93,12
0,16
0,15
1,31
1,69
Spezifisch f ü r die Fachsprachen ist also weniger das Verhältnis von Kurz- und Langform zueinander, sondern die große Zahl attributiv gebrauchter Adjektive überhaupt. Im Verhältnis Langform prädikativ im Nominativ zu Langform prädikativ im Instrumental, f ü r das uns leider Angaben über andere Subsprachen fehlen, zeigt sich deutlich eine generelle Tendenz zugunsten des Instrumentals. Was die Kurzform des Adjektivs angeht, so sollte man sich von der niedrigen Prozentzahl in der vorstehenden Übersicht nicht täuschen lassen. Entscheidend für die Fachsprachen ist der Umstand, daß das Adjektiv als Bestandteil des nominalen Prädikats — wie das nominale Prädikat überhaupt — im Fachtext viel häufiger auftritt als etwa in der künstlerischen Prosa oder anderen Subsprachen. C t o j i b ate npocT cjiyqafi poTaTopa. The planning of experiments is in some respect similar to the planning of military Operations. Dans ce cas, les cephalines sont plus abondantes que les lecithines. 16*
244
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
Kurve A ist stärker gekrümmt als Kurve B. G. A. Lesskis 1 gibt f ü r den Unterschied zwischen wissenschaftlicher und künstlerischer Prosa folgende Werte a n : verbale Prädikate 62,5% zu 87%; also entsprechend nominale Prädikate, von denen die Adjektive den größeren Teil ausmachen, 37,5% zu 13%. Einen gewissen Aufschluß über den Charakter der Subsprachen gibt auch der Gebrauch der Steigerungsstufen des Adjektivs. Mündlicher Sprachgebrauch Positiv Komparativ Superlativ
Positiv Komparativ Superlativ
95,1 2,7 2,2
Künstl. Prosa 97,9 0,8 1,3
Philosophie
Chemie
94,5 1,5 4,0
94,95 2,93 2,13
Medizin
Physik
Wissenschaftl. Zeitungsinformation
97,3 1,4 1,8
96,78 2,66 0,56
94,64 1,27 4,09
Daß der Positiv in allen Subsprachen die beherrschende Position einnimmt, ist beinahe selbstverständlich, da die Erscheinungen in der Masse der Fälle als unabhängige Einheiten beschrieben und weit seltener miteinander verglichen werden. Der Vergleich der Eigenschaften von Objekten scheint am ehesten im mündlichen Sprachgebrauch eine gewisse Rolle zu spielen. Nicht unbemerkt kann dagegen bleiben, daß die Subsprachen und auch die verschiedenen Fachsprachen unterschiedlichen Gebrauch vom Superlativ machen. Dabei ist allerdings f ü r das Russische, gerade bei der Philosophie, der Geschichtswissenschaft und anderen Gesellschaftswissenschaften zu berücksichtigen, daß die Formen auf -eftniHfi und -aftmHft keine eindeutigen Superlative sind, sondern auch Komparative oder Elative sein können. Immerhin zeigt unsere Ubersicht, daß einige Fachsprachen eine stärkere Neigung zur Heraushebung aus dem Positiv aufweisen als andere und selbst als die künstlerische Prosa. Im Englischen und Französischen 1
G. A. Lesskis, 0 nekotorych razli&ijach prostogo predloienija v nauönoj i chudoiestvennoj proze. Russkij Jazyk v Nacional'noj Skole 6/1963, S. 9.
Morpheme und grammatische Kategorien
245
liegen die Verhältnisse ähnlich wie im Russischen; f ü r das Deutsche fehlen uns entsprechende Angaben. Zum. Schluß sei noch auf die Tendenz zur Substantivierung der Adjektive in den Fachsprachen des Bussischen verwiesen: Hoßoe, CTapoe, npHMan, KpiiBan, nepeMeHHaa usw. sind aus bestimmten Fachtexten nicht mehr wegzudenken. I n den meisten Fällen handelt es sich u m Ellipsen, in denen z. B. jihhhh oder BejiiiraHa weggelassen sind. I m Englischen ist, wie bereits erwähnt, die entgegengesetzte Tendenz wirksam. Substantive übernehmen die attributivische F u n k t i o n des Adjektivs in vielen Fällen: growth requirements, animal feeds, source mount, Ionisation Chamber usw. I n den Fachsprachen des Französischen und Deutschen sind uns ähnliche Entwicklungen k a u m aufgefallen; natürlich gibt es Bildungen wie das Neue, das Alte, das Wesentliche; sie sind aber nicht spezifisch f ü r die Fachsprachen allein. 8. Auch den Substantiven prägen die Fachsprachen ihre Merkmale auf. Ins Auge fällt die große Häufigkeit des Singulars gegenüber dem Plural. Diese t r i t t jedoch auch in den meisten anderen Subsprachen auf.
Singular Plural
Singular Plural
Josselson
Stejnfel'dt
Philosophie
Physik
77,7 22,3
71,6 28,4
73,4 26,6
77,23 22,77
Medizin
Chemie
72,9 27,1
74,66 25,34
Eepe3a OTJiHnaeTCH cjia6oö ycT0iiK) npoTHB ramm. The sodium cycle can be used to exchange trace metals. Au cours de sa croissance, le nodule s'organise. Das Radargerät sendet gerichtete Ultrakurzwellen aas und e m p f ä n g t ihr Echo. Es handelt sich hier nicht um eine konkrete Birke, einen einmaligen Zyklus, einen F r u c h t k n o t e n oder ein bestimmtes Radargerät, sondern um die Klasse der Birken, einen beliebig wiederholbaren Zyklus usw. Diese Art Klassenbezeichnung läßt sich praktisch überall a n w e n d e n : auf Menschen (der Chemiker, der Ingenieur, der Facharbeiter), auf
246
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
Tiere (das Pferd, das Rind, der Floh), auf Pflanzen (der Pilz, die Fichte, das Veilchen), auf Naturstoffe (das Erdöl, die Kohle, der Quarz), auf Maschinen (der Dieselmotor, die Wasserpumpe, das Zyklotron) und auf alles mögliche andere. Sie gestattet es, das Wesentliche, allen Individuen Gemeinsame zu erfassen und darzustellen. Gemeint sind aber, auch wenn der Singular gebraucht wird, alle Elemente der jeweiligen Klasse, also eine Vielheit, eine Mehrzahl. Das wird durch eine einfache Substitutionsprobe sichtbar: man kann in fast allen solchen Sätzen den Singular durch den Plural ersetzen, ohne daß sieh die Aussage in ihrem Wesen ändert.
Eepe3M OTJIHiaiOTCH CJia6oÖ yCTOÜHHBOCTbK) npOTHB THHJIH. Sodium cycles can be used to exchange trace metals. Au cours de sa croissance, les nodules s'organisent. Radargeräte senden gerichtete Ultrakurzwellen aus und empfangen ihr Echo. Ein zweites Merkmal des Substantivs in Fachtexten ist die sattsam bekannte Häufung von Genitiven, die vor allem im Russischen auftritt, sich aber auch schon im Deutschen ausbreitet, obwohl hier die Wortkomposition und die Verwendung von Präpositionen andere Möglichkeiten bieten; in englische nund französischen Fachtexten ist sie weit weniger üblich.
McTopiiH paßoBJiaaeatqecKoro oßiqecTBa aaeT HeMajio npuMepoB caMOOTBepaceHHOH öopi.öti paßoB. (1) Die Geschichte der Sklavenhaltergesellschaft bietet zahlreiche Beispiele des aufopfernden Kampfes der Sklaven. (2) Die Geschichte der Sklavenhaltergesellschaft bietet zahlreiche Beispiele für den aufopfernden Kampf der Sklaven. Eine, aber nicht die f ü r die Fachsprachen typische Ursache f ü r die häufige Verwendung des Genitivs im Russischen ist die Rektion der Zahlwörter (HeMajio npuMepoß). F ü r die Fachsprachen ist ausschlaggebend, daß der Genitiv der Substantive die zweite wichtige Form der Attribuierung neben Adjektiven und Partizipien ist. Wir müssen also nicht ausführlich wiederholen, welche Bedeutung der Präzisierung und Differenzierung der Bezeichnungen von Objekten in Wissenschaft und Technik zukommt. I n welch starkem Maße der Genitiv der Substantive eine rein quantitative Unterscheidung der Fachsprachen von anderen Subsprachen gestattet, zeigt die folgende Übersicht, aus der aber zugleich die Häufigkeit der anderen Kasus zu ersehen ist.
Morpheme und grammatische Kategorien
Nom. Gen. Dat. Akk. Instr. Präp.
Nom. Gen. Dat. Akk. Instr. Präp.
247
Josselson
Stejnfel'dt
Stroeva
Philosophie
Wissenschaftl. Zeitungsinformat.
26,75 20,35 5,40 23,85 12,40 11,25
28,3 26,0 5,0 21,8 8,6 10,3
22,1 38,3 5,4 16,0 7,9 10,3
20,52 41,71 4,86 15,16 7,74 10,02
27,8 38,6 3,5 13,5 6,6 10,0
Chemie
Mathematik
Physik
Medizin
22,49 41,88 3,59 9,70 8,59 12,75
22,0 40,7 6,5 14,7 8,6 7,5
20,43 42,00 4,40 13,10 8,00 12,07
22,10 44,15 3,60 10,15 7,50 12,50
D a r a u s ergibt sich folgende graphische korrelationen zwischen den K a s u s : Josselson
1. 2. 3. 4. 5. «.
N A G I P D
Stejnfel'dt
G A P I D
Stroeva
N A P I D
Darstellung
der
Rang-
Philosophie Wissensch. Zeitungsinformat. G
G
N A P I D
N A P I D
248
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
Aus dieser Darstellung läßt sich ablesen, daß der Genitiv in allen untersuchten Fachsprachen den ersten Rang einnimmt, während Untersuchungen zur „Gemeinsprache" dem Nominativ diesen Platz zusprechen. Auch der zweite und dritte Rang sind in den Fachsprachen gleichmäßig vom Nominativ und vom Akkusativ belegt. Bei Josselson und Stejnfel'dt gibt es auf den Rängen 2 bis 5 Divergenzen. In allen Subsprachen an letzter Stelle steht der Dativ. Die grundsätzliche Interpretation der Rangkorrelation der Kasus haben wir bereits früher gegeben (s. S. 236f.). Damals sind wir jedoch von Angaben zur Gesamtsprache (Josselson) ausgegangen. Während dort die Relation Subjekt ( = Nominativ) — Objekt ( = Akkusativ) dominierte, stehen in den Fachsprachen die Relationen Attribut ( = Genitiv) — Subjekt ( = Nominativ) und Attribut ( = Genitiv) — Objekt ( = Akkusativ) im Vordergrund. Die Relation Subjekt ( = Nominativ) — Objekt ( = Akkusativ) bleibt dabei natürlich als Grundrelation der Aussage bestehen. 9. Unser morphologisches Untersuchungsprogramm umfaßt noch eine Reihe anderer Kriterien: das Genus der Nomina und der Verben, den Deklinationstyp der Substantive, die Verbalklassen, die Arten der Pronomen u. a. m. Die vorläufigen Ergebnisse bilden jedoch noch keine Grundlage f ü r den Vergleich mit anderen Subsprachen oder zwischen den Fachsprachen. I m allgemeinen handelt es sich hier um Kategorien, die in der gesamten Sprache eine gleichmäßige statistische Distribution aufweisen und die sich auch einer funktionalen Interpretation verschließen. Da zudem gerade bei ihnen zwischen den Einzelsprachen große typologische Unterschiede bestehen, lassen sich die Ergebnisse nur schwer in eine Gesamtcharakteristik der Fachsprachen einfügen. Mit einer einfachen, nach Sprachen getrennten Aufzählung der Häufigkeiten ist uns aber hier wenig gedient. Wir sind uns des Mangels bewußt, daß wir in einigen Fällen wieder zu viel von den Fachsprachen im allgemeinen geschrieben und noch nicht genügend auf die Unterschiede zwischen ihnen geachtet haben. Anderseits haben wir keinen vollständigen Überblick geben können, weil die fachsprachliche Forschung noch viele weiße Flecken aufweist. Eine besonders große Lücke gilt es bei den Fachsprachen der materiellen Produktion sowie in den Schichten D und E zu schließen. Auch der mündliche Sprachgebrauch ist noch viel zu wenig untersucht . Wir haben uns also oft mit Beispielen begnügen müssen, an denen wir vor allem zeigen wollten, wie man zu einer gründlichen Kenntnis der Fachsprachen gelangen kann.
Morpheme und grammatische Kategorien
An der Grenze zwischen Morphologie und Lexik(ologie) steht die W o r t bildung im Sinne der Derivation. Obwohl wir grundsätzlich die Auffassung vertreten, daß sie zur Lexik(ologie) gehört, behandeln wir sie hier, weil es uns weniger auf das Verhältnis von Wurzel, Stamm und Affix oder auf die Frage der Motivierung 1 , sondern in erster Linie auf Produktivität und Texthäufigkeit bestimmter Affixe, besonders der Suffixe der Substantive, ankommt. I n geringerem Maße interessieren uns die Suffixe der Adjektive und die Präfixe bei Verben, Substantiven und Adjektiven. Uns beschäftigt also die Frage: Gibt es in den Fachsprachen bevorzugte Suffixe und Präfixe? Man könnte auch fragen: Sind die Suffixe und Präfixe in den einzelnen Sub- bzw. Fachsprachen unterschiedlich häufig? Dabei haben wir Schon vorhin Texthäufigkeit und Produktivität (als eine andere Art von Häufigkeit) gesondert aufgeführt. Beide sind f ü r die Beschreibung der Fachsprachen wichtig und keinesfalls miteinander identisch. Die Texthäufigkeit ergibt sich aus der einfachen Zählung der Affixe, unabhängig davon, in oder an welchen Einheiten sie auftreten, d. h. r die Wurzel, der Stamm oder das motivierende Wort werden gar nicht berücksichtigt. Tritt also das Suffix englisch -ion in einem Text bestimmten Umfangs zehnmal auf, dann kann das bedeuten, daß es f ü r zehn verschiedene Wörter steht; die Häufigkeit 10 kann aber ebensogut durch die Wiederholung einer geringen Zahl von Wörtern zustande kommen, z. B. equaticm, und function in Mathematik oder Physik. Der zweite Fall ist f ü r einen normalen Text der weitaus wahrscheinlichere. Die Texthäufigkeit der Affixe ist also ein Wert, der nichts über die lexikalische Seite der Wortbildung aussagt. Ihre Bedeutung liegt — wie der Name das andeutet — in der Charakterisierung des Textes. Sie bietet Anhaltspunkte f ü r die Textanalyse, das Textverständnis usw. Das hängt mit der „Bedeutung" der Affixe, also dem von ihnen Bezeichneten zusammen, die zwar nur eine „Allgemeinbedeutung" sein kann, aber doch — im Sinne der Informationstheorie — den Grad der Unbestimmtheit verringert. Diese Reduzierung der Entropie beginnt z. B. bei den Suffixen mit der Zuweisung zu einer bestimmten Wortart u n d 1
V. Lopatin i I. Uluchanov, 0 principach slovoobrazovatel'nogo analiza i klassifikacii morfov. Russkij Jazyk v Nacional'noj Skole 5/1969; N. M. Sanskij, Ocerki po russkomu slovoobrazovaniju i leksikologii, Moskva 1959 u. a.
250
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
f ü h r t d a n n weiter über die Trennung in Konkreta und Abstrakta, die Erfassung der Verbalsubstantive usw. bis hin zu semantischen Klassen, deren Grenzen zwar nicht völlig stabil sind, aber doch eine gewisse Orientierung bieten; die kommunikative Einengung auf ein bestimmtes F a c h ist hier gegenüber Subsprachen wie der der künstlerischen Prosa eine wesentliche Hilfe. So weisen die Substantivsuffixe russisch -eim- und -aHH- in der Medizin o f t auf einen Prozeß oder eine Einwirkung (jieHeime, saöoJieBamie, HapynieHHe, 0Öpa30BaHHe), -OCTB auf einen Zustand (uejiocTaToiHocTL, iiepeMeHHOCTb), -HK- auf ein Organ ( K I I M E H H I I K ) , -HKa auf eine Methode («HarHocTHKa, npo(j)iijiaKTHKa) usw. hin. I n der Physik ist den Suffixen russisch -eHH, -aHH- in vielen Wörtern ihre Dynamik verlorengegangen; sie bezeichnen Erscheinungen und durch Abstraktion gewonnene Grundbegriffe (3HaneHHe, ypaBHeHiie, BLipaateHMe, KOJießaHne, HHTerpnpoBaHHe); -K- t r i t t in Benennungen von Geräten und ihren Teilen auf (TpyÖKa, oÖMOTKa, CTpeJiKa); -au;n- bedeutet soviel wie „Veränderung" ( CJ
ooastoMiic^MMH o » t- o H CD oc i«^ t» -rf m* ©" © TH « o" ei H 1H
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276
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
s e n ( o n o p H L i i i ö p y c o K , 3 B y K 0 H 3 0 J i H q H 0 H H H ö M a T e p H a j i , opMyjiiipoBaTb Hamy 3 a f l a i y Ha reoMeTpimecKOM H3HKe.
These two effects work in opposite directions. The barium can be purified while working at very low levels of activity. La membrane du chloroplaste délimite de façon continue une masse fondamentale totalement dépourvue de chlorophylle. En comparant les deux nombres avancés dans les paragraphes précédents, on peut estimer qu'une quantité de carbone égale à celle contenue dans l'ensemble troposphère + hydrosphère. Daraus ergibt sich die entscheidende Bedeutung der Lehre vom dialektischen Widerspruch, daß es nämlich erst auf ihrer Grundlage möglich ist, eine wissenschaftlich fundierte Politik zu betreiben. Und wenn sie in dieser ihrer Anwendung auf ihre gegenständliche Wahrheit überprüft und zugleich korrigiert, modifiziert, bereichert wird, . . . dann bedeutet dies, daß hier das alte Schema des Erkenntnisprozesses durch ein prinzipiell neues Schema ersetzt wurde. Natürlich treten neben diesen Konstruktionen in den Fachtexten auch einfache Adverbien auf, aber eben seltener. T e o p i m CBoßoflHHx KOJieôaHuft cncTeivi c HecKOJibKiiMH CTeneHHMH CBOßOFLH CTpOHTCH aHaJIOrHHHO TOMy, KaK 6MJIH paCCMOTpeHH OflHOMepime KOJießaHHH.
The hope of developing specific reagents has not completely faded. Schématiquement sa formule est donc: . . . Allerdings hatte sich die deutsche Industriebourgeoisie n u r sehr langsam entwickelt. Signifikante Unterschiede zwischen der künstlerischen Prosa und den Fachsprachen ergeben sich schließlich beim Verb, das in Fachtexten zuweilen der Häufigkeit nach noch hinter den Präpositionen, also erst an vierter Stelle steht, während es in der künstlerischen Prosa den zweiten Rang noch weit vor dem Adjektiv belegt. Daß das Verb in den Fachsprachen eine so geringe Rolle spielt, liegt nicht in erster Linie an seinen eigenen kommunikativen Potenzen; denn in anderen Subsprachen kommen diese ja zu voller Entfaltung. Es ist dies zunächst einmal eine Folge der Nominalisierung, die f ü r das Verb einfach nicht mehr genügend Platz läßt. Geht man davon aus, daß jeder Satz aus einer bestimmten Zahl von Gliedern besteht, und setzt man die Gesamtheit dieser Glieder, ähnlich wie bei der Wahrscheinlichkeitsrechnung
278
Spezifische Merkmale der Fachsprachen
die Gesamtheit der möglichen Ereignisse, gleich 1, dann stehen sich Nomina und Verben, wenn man von den relativ stabil verteilten anderen Wortarten absieht, wie komplementäre Ereignisse (p -j-