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German Pages 133 Year 2000
MICHAEL NIERHAUS / IHNO GEBHARDT
Kommunale Selbstverwaltung zur gesamten Hand
Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam Herausgegeben von Prof. Dr. Wemer Jann Prof. Dr. Wolfgang Loschelder Prof. Dr. Michael Nierhaus Prof. Dr. Martin Richter Prof. Dr. Dieter C. Umbach Prof. Dr. Dieter Wagner
Band 6
Kommunale Selbstverwaltung zur gesamten Hand Von der Samt- und Verbandsgemeinde zur Orts- und Amtsgemeinde?
Von Michael Nierhaus Ihno Gebhardt
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Nierhaus, Michael: Kommunale Selbstverwaltung zur gesamten Hand: von der Samt- und Verbandsgemeinde zur Orts- und Amtsgemeinde? I von Michael Nierhaus ; Ihno Gebhardt. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam; Bd. 6) ISBN 3-428-10180-4
Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0949-7730 ISBN 3-428-10180-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Vorwort Diese Untersuchung ist aus einem Gutachtenauftrag des Innenministers des Landes Brandenburg hervorgegangen. Der Innenminister hatte um die Erstellung eines Rechtsgutachtens zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Orts- und Amtsgemeindemodells der Enquetekommission des Brandenburgischen Landtages (Abschlußbericht vom 23. April 1999, Landtagsdrucksache 2/6260) gebeten. Das brandenburgische Amts- und Ortsgemeindemodell gibt Gelegenheit, die Verfassungslegitimität aufgabenverteilender Gesetze jenseits aller Gemeinde- und Funktionalreformmodelle paradigmatisch aufzuzeigen. Hierin liegt die über die Landesgrenzen hinausreichende Bedeutung von Fragestellung und Untersuchung. Die Analyse des Amts- und Ortsgemeindemodells macht die verfassungsrechtliche Untersuchung auch der niedersächsischen Samtgemeinde und der rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinde notwendig, da sich die Enquetekommission bei der Konzeption des Orts- und Amtsgemeindemodells ganz wesentlich von diesen beiden "Gemeindetypen" hat leiten lassen, ohne allerdings einen eigenständigen Weg auszuschließen. Insofern wird zugleich mit der Untersuchung des Orts- und Amtsgemeindemodells ein Beitrag zur verfassungsrechtlichen Aufarbeitung und Analyse der Kommunalstrukturen in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz geleistet. Prof Dr. Michael Nierhaus Ass. iur. Ihno Gebhardt
Inhalt A. Gegenstand der Untersuchung ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II
B. Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Ausgangslage und Rechtsvergleich ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Amtsordnung Schleswig-Holstein ..........................................
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2. Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern ..........................
15
3. Die brandenburgische Ausgangslage ........................................
16
a) Brandschutzentscheidung ............... . ............ . ...... . . . .........
17
b) Kindertagesstätten-Entscheidung ........................................
19
4. Rheinland-Pfalz und Niedersachsen ..................................... . ..
22
a) Rheinland-Pfalz .........................................................
23
(1) Historische Entwicklung der Verbandsgemeinde .....................
23
(2) Rechtsnatur der Verbandsgemeinde ..................................
23
(3) Aufgaben der Verbandsgemeinde ....................................
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(4) Kompetenz-Kompetenz, Übertragung und Rückübertragung von SelbstverwaItungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
(5) Finanzen der Orts- und Verbandsgemeinde ..........................
28
(6) Organe der Verbandsgemeinde .......................................
29
(7) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Niedersachsen ...........................................................
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(1) Bildung der Samtgemeinde und Ausscheiden aus der Samtgemeinde
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(2) Organe der Samtgemeinde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
(3) Aufgaben der Samtgemeinde........................................
35
(4) Rechtsnatur der Orts- und Samtgemeinde............................
37
(5) Finanzverteilung der Orts- und Samtgemeinde .......................
39
8
Inhalt
11. Eckpunkte der Strukturrefonn der gemeindlichen Selbstverwaltung in Brandenburg (Abschlußbericht der Enquetekommission des Brandenburgischen Landtages) ..........................................................
43
1. Ausgangslage ..............................................................
43
2. Reformansatz der Enquetekommission und Aufgabenverteilung zwischen Orts- und Amtsgemeinden ..................................................
46
111. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten des Abschlußberichtes der Enquetekommission des Brandenburgischen Landtages . . . . . . . . . . . .
49
1. Ausgangsanalyse ...........................................................
49
2. Verfassungsrechtliche Grenzen für die Fortentwicklung kommunaler Organisationsstrukturen .........................................................
51
a) Gesetzgebungszuständigkeit des Landesgesetzgebers ....................
52
b) Kern- / Randbereichsdogmatik der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung .. ... ... ......... .............. ......... ......... ... ........ .......
52
c) Institutionelle Rechtssubjektsgarantie mit beschränkt individueller Wirkung ...... ... .................. .............. ...... ...... ..... ...... ....
54
d) Verfassungsunmittelbares Aufgabenverteilungsprinzip ..................
55
(1) Der Ansatz der Enquetekommission zum Aufgabenverteilungs-
prinzip ..............................................................
56
(2) Das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip und die Aufgabenstruktur der niedersächsischen Mitgliedsgemeinde ... . . . . . . . . .
56
3. Die Konzeption einer Gesamthandsgemeinde ...............................
59
a) Das Bundesverwaltungsgericht und die gestufte "Föderalgemeinde" .....
59
b) Der Begriff der "Gesamthandsgemeinde" und der verfassungsrechtliche Maßstab...... ... ... .... ..... ........ ... ...... .................... .......
59
c) Einheitsgemeinde - Gesamthandsgemeinde - Gemeindeverband ........
63
d) Die Aufgabenverteilung nach dem Abschlußbericht der Enquetekommission.................................................................
65
(1) Aufgaben mit Anschluß- und Benutzungszwang .....................
66
(a) Die Wasserversorgungs- und die Abwasserentsorgungsaufgabe ..
66
({J) Andere Aufgaben mit Anschluß- und Benutzungszwang und dessen Anordnung durch den Satzungsgeber .......................
68
(2) Flächennutzungsplanung ............................................
69
(3) Bau und Unterhalt der Ortsverbindungsstraßen ......................
71
Inhalt
9
(4) Trägerschaft für ortsgemeindeübergreifende öffentliche Einrichtungen...............................................................
71
(5) Die ortsgemeindeübergreifende Förderung von Wirtschaft, Gewerbe und Fremdenverkehr ................................................
74
(6) Die Aufgaben des jetzigen Amtes, die Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse der Ortsgemeindevertretungen und die Geschäfte der laufenden Verwaltung ...........................................
75
(0) Die Aufgaben des jetzigen Amtes ...............................
76
(ß) Die Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse der Ortsgemeindevertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
(1') Die Geschäfte der laufenden Verwaltung ........................
78
(7) Kompetenz-Kompetenz, Ergänzungsaufgaben und Anspruch auf Aufgabenrückübertragung ...........................................
80
e) Die Verteilung der Steuererhebungs- und Steuerertragskompetenzen nach den Vorstellungen der Enquetekommission ..............................
82
f) Die Auswirkungen des Amts- und Ortsgemeindemodells der Enquete-
kommission auf den kommunalen Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
g) Stellungnahme zur Verteilung der Steuererhebungs- und der Steuerertragskompetenzen .....................................................
85
(I) Die Steuerertragskompetenzen im brandenburgischen Orts- und Amtsgemeindemodell ...............................................
85
(2) Das Nivellierungsverbot und die Amtsgemeindeumlage .............
87
(3) Die Steuererhebungskompetenzen und das Hebesatzrecht als Kernstück finanzieiler Eigenverantwortung ...............................
87
(4) Das Hebesatzrecht und die Aufgabenzuständigkeiten von Orts- und Amtsgemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
h) Stellungnahme zu den Auswirkungen des Orts- und Amtsgemeindemodells auf den kommunalen Finanzausgleich ..........................
91
(1) Einführung..........................................................
91
(2) Kommunaler Finanzausgleich und die brandenburgische Amtsgemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
4. Die Amtsgemeinde als Gemeindeverband ..................................
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a) Zur Aufgabenverteilung zwischen Orts- und Amtsgemeinden . . . . . . . . . . . .
97
b) Die Verteilung der Steuererhebungs-, Steuerertragskompetenzen und Finanzzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich .... . . . . . . . . . .
99
Inhalt
10
IV. Der Schutz des Vertrauens in den Bestand der bestehenden kommunalverfassungsrechtlichen Strukturen.......................................... 101 1. Die Rechtsprechung des BVerfG in Rück-Neugliederungsfällen (Niedersachsen ) .................................................................... I 02 a) Die Rück-Neugliederungsentscheidung aus dem Jahre 1992 ............. 102 b) Die Entscheidung des BVerfG zum thüringischen Neugliederungsgesetz (1994) .................................................................. 106 2. Die Rechtssprechung der Landesverfassungsgerichte in Mehrfach-Neugliederungsfallen ............................................................... 107 3. Zur Frage der Übertragbarkeit der Judikatur in Mehrfach-I Rück-Neugliederungsfallen auf die gesetzliche Neukonzeption der brandenburgischen Amtsgemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 108
v. Zu
den bundesverfassungsgerichtlichen Anforderungen an ein kommunales Organisationsmodell .................................................. 111
VI. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Gründe für eine direktdemokratische Legitimation von Amtsausschuß und Amtsdirektor ........ 112 VII. Zu den verfassungsrechtlichen Besonderheiten bei der Umbildung von amtsangehörigen geschäftsführenden Gemeinden (Modell 2) in Amtsgemeinden ................................................................... 115
c. Zusammenfassung und Ergebnisse
............................................... 118
Literaturverzeichnis .................................................................. 126 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 130
A. Gegenstand der Untersuchung Die nachfolgenden Untersuchungen gehen auf die folgenden Fragen ein: 1. Der Bericht der Enquetekommission geht davon aus, daß es sich bei der Amtsgemeinde um eine Gemeinde handelt, die dem Schutz des Art. 28 GG (Art. 97 LV) unterfällt. Gleichzeitig soll aber auch die Ortsgemeinde Gemeindequalität besitzen. Ist ein solches zweistufiges Gemeindemodell - ggf. unter welchen Voraussetzungen - verfassungsrechtlich zulässig? Können verfassungsrechtliche Risiken bei dem von der Enquetekommission vorgeschlagenen Amtsgemeindemodell durch die konsequente Ausgestaltung der Amtsgemeinde als Gemeindeverband ausgeschlossen werden? 2. Welche Konsequenzen ergeben sich bei einem verfassungsrechtlich zulässigen Amtsgemeindemodell a) für die Aufgabenverteilung und -zuweisung im Verhältnis Amts- /Ortsgemeinde (insbesondere auch Prüfung der Kompetenz-Kompetenz der Amtsgemeinde, Aufgaben der Ortsgemeinden an sich ziehen zu können, [Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 33])? b) für die Finanzausstattung der Amtsgemeinde (insbesondere auch auf die Zuweisung von Steuern an die Amtsgemeinden, die kraft Bundesrecht den Gemeinden zustehen, z. B. [Abschlußbericht EK] S. 37, 39)? 3. Gibt es verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gewichtung einzelner Kriterien im Abwägungsprozess für ein bestimmtes Organisationsmodell (z. B. Vorrang der Leistungsfähigkeit gegenüber bürgerschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten)? 4. Gibt es verfassungsrechtliche oder verfassungspolitische Gründe, die die Fortentwicklung der Ämterverfassung des Landes Brandenburg und die Einführung einer direkten demokratischen Legitimation der Organe des Amtes (Amtsausschuß und Amtsdirektor) erforderlich machen, weil die Ämter in erheblichen Maße Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen? 5. Ergeben sich aus dem Umstand, daß die Ämterverfassung im Jahr 1991 in Kraft getreten und die Ämterbildung zum Teil erst 1993 abgeschlossen wurde (und beispielsweise auch aus dem Umstand, daß in diesem Jahr die Mehrzahl der Amtsdirektoren neu gewählt werden), Vertrauensschutzgesichtspunkte, die bei einer erneuten Gemeindestrukturreform zu berücksichtigen sind? 6. Gibt es verfassungsrechtliche Bedenken, auch die Ämter nach Modell 2, d. h. mit einer geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinde, in Amtsgemeinden
12
A. Gegenstand der Untersuchung
umzuwandeln; wäre hier die Bildung von Einheitsgemeinden weniger risikenbehaftet?" 7. Das vorgeschlagene Orts- und Amtsgemeindemodell gibt Anlaß, die Frage nach der verfassungsrechtlichen Qualifizierung der Orts- und Amtsgemeinde und ihrer wechselseitigen Rechtsbeziehungen zu stellen (vgl. hierzu Sondervotum Humpert, Abschlußbericht EK, S. 78/79). Auf Nachfrage hat das Innenministerium mit Schreiben vom 20. Mai 1999 erklärt, daß im Gutachten [Abschlußbericht] selbst expressis verbis eine Aufteilung der Gemeindequalität auf Amtsgemeinde und Ortsgemeinde nicht angesprochen wird. Aus den Unterlagen (Schreiben von Prof. Püttner vom 19. 3. 1999 und Ausschußprotokoll 2/1188, S. 8) wird deutlich, daß eine solche Vorstellung jedoch bei den Formulierungen der Enquetekommission "im Raum gestanden" hat.
B. Untersuchung I. Ausgangslage und Rechtsvergleich Durch Gesetz vom 15. Oktober 1993 hat sich der Brandenburgische Landtag für die Einführung von Ämtern im Land Brandenburg entschieden. Dabei verfolgte er die Zielsetzung, die Verwaltungsschwäche vieler der damals 1787 kreisangehörigen Gemeinden Brandenburgs auszugleichen und ihre Verwaltungskraft zu stärken. Durch Kreisgebietsreform vom 24. Dezember 1992 1 wurde die Anzahl der Kreise von 38 auf 14, die der kreisfreien Städte von 6 auf 4 reduziert, um diese den heutigen komplexen Selbstverwaltungsanforderungen anzupassen und ihnen weitere Aufgaben des über- und zentral örtlichen Wirkungskreises übertragen zu können. 2 Diese bei den Reformen waren die (Vor)Bedingung zur Vermeidung einer kommunalen Gebietsreform großen Stils. Die politische Maxime war: Verwaltungs- statt Gebietsreform mit dem Ziel, durch die "Verwaltungshilfseinrichtungen" der Ämter (Köstering) die Erhaltung der Selbstverwaltung in den kleinen Gemeinden zu ermöglichen. Ebenso wie Mecklenburg-Vorpommern hat sich das Land Brandenburg mit der Einführung der Ämterverfassung für ein kommunalverfassungsrechtliches Modell entschieden, das vor der Vereinigung nur noch in Schleswig-Holstein existierte. Die bereits in den 60er und 70er Jahren in den alten Bundesländern über die Vereinbarkeit der Ämterverfassung mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG geführte Diskussion, die in den 90er Jahren, wenn auch in abgeschwächter Form, eine Neuauflage in Schleswig-Holstein und MecklenburgVorpommem erfuhr, läßt für die Beurteilung der kommunalverfassungsrechtlichen Ausgangslage und des möglicherweise bestehenden Reformbedarfs im Land Brandenburg zusätzlich einen grenzüberschreitenden und rechtsvergleichenden Blick auf die Ämterverfassungen Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommems sinnvoll erscheinen.
I Gesetz zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte sowie zur Änderung weiterer Gesetze (Kreis- und Gerichtsneugliederungsgesetz - KGNGBbg), GVBI. I, S. 546. 2 Einzelheiten bei Bracker, Kommunalverfassung des Landes Brandenburg, Kommentar, Einführung zur Amtsordnung, Loseblatt, Std. 6/94, Rdnrn. I ff.; Nierhaus. in: ders. (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung - Europäische und Nationale Aspekte, KWIS, Bd. I, 1996, S. 45 ff.; Jann. in: ders. (Hrsg.), Berlin-Brandenburg - Chance der Erneuerung von Landesverwaltungen, KWIS, Bd. 2, 1997, S. 53 ff.
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B. Untersuchung
1. Amtsordnung Schleswig-Hoistein Zur Vereinbarkeit der Ämterverfassung in Schleswig-Holstein mit Art. 28 Abs. 2 GG hat das BVerfG3 bereits im Jahre 1979 in einem Grundsatzurteil Stellung genommen. Dabei hatte das Gericht die Frage zu klären, ob es sich bei den Ämtern um Gemeindeverbände im Sinne der damaligen Landessatzung (Verfassung) handelte. Nach der Rechtsauffassung der Antragsteller war die Qualifizierung der Ämter als Gemeindeverbände im Sinne des Art. 2 Abs. 2 der Landessatzung zutreffend bzw. notwendig, da sich diese von sog. "Schreibstuben" der Gemeinden zu leistungsfahigen Verwaltungsbehörden mit spezialisierten Fachkräften und einer ursprünglichen und umfassenden Zuständigkeit entwickelt hätten. 4 Infolgedessen sei durch Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 der Landessatzung zwingend eine aus unmittelbaren Wahlen hervorgegangene Volksvertretung vorgeschrieben, da für die Bürger des Landes der grundlegende demokratische Anspruch bestünde, auf jeder Ebene der Landesverwaltung durch ihre direkt gewählten Vertreter repräsentiert zu werden. 5 Das BVerfG hat die Qualifizierung der schleswig-holsteinischen Ämter als Gemeindeverbände damals abgelehnt: Zu den Gemeindeverbänden im Sinne der Landessatzung zählten nur solche kommunalen Zusammenschlüsse, die entweder zur Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildete Gebietskörperschaften seien oder die diesen Körperschaften jedenfalls nach dem Gewicht ihrer Selbstverwaltungsaufgaben sehr nahekommen. Nach dem damaligen Rechtszustand nahmen die Ämter nach Auffassung des Gerichts jedoch Selbstverwaltungsaufgaben nur in so beschränktem Umfang wahr, daß sie nicht als Gemeindeverbände angesehen werden konnten. Deshalb mußten sie auch keine unmittelbar gewählte Volksvertretung haben. 6 Ferner seien die amtsangehörigen Gemeinden auch nach der Neufassung der Amtsordnung im Jahre 1977 eigenständige Gebietskörperschaften mit dem vollen Recht der Selbstverwaltung geblieben. Die Vorschriften der Amtsordnung zielten nicht auf eine Aushöhlung der Selbstverwaltung und damit auf eine Entziehung der den Kern der Selbstverwaltung bildenden Tätigkeit der Gemeinden, sondern im Gegenteil auf deren möglichste Bewahrung. Die Amtsordnung habe die Möglichkeiten der Selbstverwaltung eher verstärkt, weil sie die kleinen Gemeinden von der verwaltungstechnischen Arbeit befreit habe. 7 Der Grundsatz der Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises bestehe im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten weiter. Die wesentlichen Ho-
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5 6 7
BVerfGE 52, 95 ff. - Ämter Schleswig-Holstein. Ebda., S. \01. Ebda., S. 100. Ebda.,S. \09, 130/31. Ebda., S. 116.
I. Ausgangslage und Rechtsvergleich
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heitsrechte wie Gebietshoheit, Organisationshoheit, Satzungshoheit, Personalhoheit und Finanzhoheit seien entweder überhaupt nicht oder nur unwesentlich eingeschränkt. 8 An den maßgebenden Bewertungskriterien für die Beurteilung der Gemeindeverbandsqualität hat sich auch 20 Jahre nach der grundlegenden Entscheidung des BVerfG nichts geändert. Dementsprechend könnte ein erhebliches Anwachsen der Selbstverwaltungsaufgaben der "Bundkörperschaft Amt,,9 eine erneute Überprüfung und Beurteilung ihrer rechtlichen Stellung notwendig machen. A. v. Mutius ging dieser Frage nach und gelangte aufgrund empirischer Daten zu dem Ergebnis, daß Aufgabenübertragungen im Selbstverwaltungsbereich in Schleswig-Holstein in den letzten 2 Jahrzehnten jedenfalls nicht in einem Umfange stattgefunden hatten, die zu einer Bewertung der Ämter als Gebietskörperschaften (mit zumindest subsidiärer Allzuständigkeit) oder als gebietskörperschaftsähnlich führen mußten. 1O Bei über der Hälfte der ausgewerteten Ämter (bei Rücklauf von 104 der insgesamt 119 Fragebögen) habe höchstens eine Aufgabenübertragung stattgefunden. Die Erhebung ergebe den Befund eines eher geringen Umfangs der Aufgabenübertragungen; allerdings gebe es auch Ämter, bei denen mehr als drei Aufgaben übertragen worden seien. Wo dies durch alle amtsangehörigen Gemeinden geschehen sei, gelange man in einen Grenzbereich, in dem eine. gebietskörperschaftliche Struktur des Aufgabenträgers angezeigt sein könnte, zumal wenn es sich um qualitativ nach ihrem kommunalpolitischen Gewicht bedeutsame Aufgaben handelte. ll Insofern seien Aufgaben, die weitgehend nur technischen Vollzug erfordern und im übrigen kaum kommunalpolitischen Handlungsspielraum eröffnen (wie etwa die Klärschlammbeseitigung oder die Gemeindewahlleitung), im Hinblick auf die Frage der Direktwahl von eher geringer Bedeutung. Insoweit komme stärkeres Gewicht Aufgaben mit mehr gestalterischen Möglichkeiten und mit größerer Eigenverantwortung bei der Aufgabenerfüllung zu.
2. Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern Ebenso wie in Schleswig-Holstein, aber im Unterschied zum Land Brandenburg hat sich der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern für einen ehrenamtlichen Amtsvorsteher als verwaltungsleitendes Organ des Amtes entschieden (§§ 137 f.
BVerfGE 52, 95 (117). Bundkörperschaften sind mitgliedschaftlich strukturierte juristische Personen des öffentlichen Rechts, die nicht über Gebietshoheit und die mit ihr verknüpfte (gebietsbezogene) AIIzuständigkeit verfügen und ferner nicht von den Bürgern, sondern im Falle des Amtes von den amtsangehörigen Mitgliedsgemeinden getragen werden. Siehe hierzu v. Mutius/Steinger, Die Gemeinde SH 1995, 231. 10 A. v. Mutius / Steinger, Die Gemeinde SH, 1995, 231 (234). 11 Ebda. 8
9
B. Untersuchung
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KV MV). Ihm wird ein hauptamtlicher leitender Verwaltungsbeamte zur Seite gestellt. Die zur Ämterbildung auf dem Verordnungswege vom Landesgesetzgeber ermächtigte Landesregierung hat zunächst eine Freiwilligkeitsphase vorgeschaltet l2 , bevor durch die dritte Landesverordnung 13 Gemeinden auch gegen ihren Willen Ämtern zugeordnet wurden. Die zwangsweise Zuordnung gab den Anlaß zu 14 Normenkontrollverfahren vor dem OVG Greifswald. Im sog. Dabelow-Urteil, das die Erst- und Leitentscheidung für die Normenkontrollverfahren im Land Mecklenburg-Vorpommern darstellte, hatte das Gericht zu prüfen, ob in dem durch die zwangsweise angeordnete Ämterbildung bewirkten Aufgabenentzug zu Lasten der Gemeinden ein Eingriff in den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie zu erblicken ist. Unter Heranziehung der vom BVerfG entwickelten Grundsätze l4 hat der 4. Senat des OVG festgestellt, daß die amtsangehörigen Gemeinden eigenständige Gebietskörperschaften mit dem vollen Recht der Selbstverwaltung geblieben sind. Die Vorschriften der Amtsordnung zielten nicht auf eine Aushöhlung der Selbstverwaltung und damit auf eine Entziehung der den Kern der Selbstverwaltung bildenden Betätigungsmöglichkeiten der Gemeinden, sondern im Gegenteil auf deren möglichste Bewahrung. 15 Den amtsangehörigen Gemeinden seien die wesentlichen Hoheitsrechte im Kern erhalten geblieben. 16 Für die Geltung der vom BVerfG zum verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzip entwickelten Grundsätze sei es unerheblich, zu wessen Gunsten in das Selbstverwaltungsrecht einer Gemeinde eingegriffen wird. Diese Grundsätze bewirkten in jedem Fall den prinzipiellen Vorrang einer dezentralen, also gemeindlichen, vor einer zentral und damit staatlich determinierten Aufgabenwahmehmung.
3. Die brandenburgische Ausgangslage Die Rechtslage im Land Brandenburg wird insbesondere durch die beiden Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts zur Übertragung der Brandschutzaufgabe von den amtsangehörigen Gemeinden auf die Ämter 17 und zu einer Vorschrift des Kindertagesstättengesetzes 18 geprägt:
GVOBI. MV, S. 219, 305. GVOBI. MV, S. 597. 14 BVerfGE I, 167 (175); 22, 180 (205); 26, 172 (180); 38, 258 (279); 52, 95 (100 ff.). 15 OVG Greifswald, Urt. v. 16.3. 1993,4 K 1/92, UA, S. 20 unter Hinweis auf BVerfGE 52, 95 ff. m. ausführlichem Zitat. 16 Siehe die ausführliche Urteilsbesprechung bei Glaser, LKV 1996, 183 ff. 17 LVerfGE 5, 79 ff. IR VerfG Bbg 8/97, Beschl. v. 21. 1. 1998, UA. 12
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I. Ausgangslage und Rechtsvergleich
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a) Brandschutzentscheidung
Das Gesetz über die Gewährung des Brandschutzes und die technische Hilfeleistung der Feuerwehren vom 14. Juni 1991 19 hatte zunächst die Aufgaben des Brandschutzes den Gemeinden und Landkreisen als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung zugewiesen. Nach § 5 Abs. 1 S. 1 der Amtsordnung für das Land Brandenburg vom 15. Oktober 1993 20 ist das Amt Träger der ihm durch Gesetz oder Verordnung übertragenen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung geworden. Rechtsstellung und Aufgabenbestand der Ämter werden durch die Amtsordnung auszugsweise wie folgt beschrieben: § I Allgemeine Stellung der Ämter (I) Die Ämter sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, die aus aneinandergrenzenden
Gemeinden desselben Landkreises bestehen. Soweit in Gesetzen oder Verordnungen der Gemeindeverband als Sammelbegriff verwendet wird, gelten auch die Ämter als Gemeindeverbände. (2) Ämter dienen der Stärkung der Selbstverwaltung der amtsangehörigen Gemeinden und verwalten deren Gebiete zum Besten ihrer Einwohner. Die Ämter treten als Träger von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung an die Stelle der amtsangehörigen Gemeinden, soweit dieses Gesetz es bestimmt oder zuläßt.
§ 4 Amt und Gemeinde (I) Das Amt bereitet durch den Amtsdirektor im Benehmen mit dem jeweiligen Bürger-
meister bei Selbstverwaltungsaufgaben die Beschlüsse der Gemeindevertretung vor und führt sie nach deren Beschlußfassung durch. (2) Die Ämter sind ferner Träger der Aufgaben nach § 5.
§ 5 Aufgaben der Ämter (I) Das Amt ist Träger der ihm durch Gesetz oder Verordnung übertragenen Pflichtaufga-
ben zur Erfüllung nach Weisung; in allen anderen Fällen verbleibt es bei der Zuständigkeit der amtsangehörigen Gemeinden ... (2)
(3) Das Amt hat die Gemeinden zu unterstützen sowie bei der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu beraten und auf deren Erfüllung hinzuwirken ... (4) Ferner erfüllt das Amt einzelne Selbstverwaltungsaufgaben der amtsangehörigen Gemeinden nur dann an deren Stelle, wenn mehrere Gemeinden des Amtes die Aufgaben auf das Amt übertragen haben ...
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20
GVB\. Bbg I, S. 192. GVB\. Bbg I, S. 398,450 ff.
2 Nierhaus/Gchhardl
B. Untersuchung
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Mit dem am 18. Februar 1994 in Kraft getretenen Ersten Gesetz zur Änderung des Brandschutzgesetzes21 hat der Brandenburgische Landtag neben den amtsfreien Gemeinden und den kreisfreien Städten nunmehr die Ämter zu Trägem des Brandschutzes bestimmt. Trotz des Charakters der Ämter als "Verwaltungshilfseinrichtungen,,22 der amtsangehörigen Gemeinden erblickt das Landesverfassungsgericht hierin einen AuJgabenentzug, der einer Rechtfertigung am Maßstab des zugunsten der Gemeinden bestehenden Aufgabenverteilungsprinzips (Art. 97 Verf Bbg, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) bedarf. Das vom BVerfG in seiner richtungsweisenden Rastede-Entscheidung 23 festgeschriebene (bundes-) verfassungsrechtliche, unmittelbar in der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG angelegte Aufgabenverteilungsprinzip gilt nach der zutreffenden Rechtsauffassung des Landesverfassungsgerichts auch für das Verhältnis von amtsangehörigen Gemeinden und Ämtern. Es habe seinen Niederschlag auch in Art. 97 Verf Bbg gefunden 24 und bewirke einen Zuständigkeitsvorrang zugunsten der Gemeinden in bezug auf alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaften. Dies folge schon aus dem Wesen der Ämter, deren Aufgaben abschließend bestimmt seien und denen es damit an der den Gemeinden eigenen Allzuständigkeit (Universalität des Wirkungskreises) fehle. 25 Grundsätzlich dürfe der Gesetzgeber - in den Worten des Bundesverfassungsgerichts - den Gemeinden eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter "nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem also dann entziehen, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Demgegenüber scheidet das bloße Ziel der Verwaltungsvereinfachung oder der Zuständigkeitskonzentration - etwa im Interesse der Übersichtlichkeit der öffentlichen Verwaltung als Rechtfertigung eines Aufgabenentzugs aus; denn dies zielte ausschließlich auf die Beseitigung eines Umstandes, der gerade durch die vom Grundgesetz gewollte dezentrale Aufgabenansiedlung bedingt wird. Auch Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung insgesamt rechtfertigen eine ,Hochzonung' nicht schon aus sich heraus, sondern erst dann, wenn ein Belassen der Aufgabe bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde (BVerfGE 79, 127, 153).,,26 Die Übertragung der Aufgabenzuständigkeit für den Brandschutz von den amtsangehörigen Gemeinden auf die Ämter genügt nach der Rechtsauffassung des Landesverfassungsgerichts den soeben dargestellten materiellen Anforderungen. GVBI. Bbg I, S. 22. Begriff nach Köstering, OÖV 1992, 369 (370). 23 BVerfGE 79, 127 ff. 24 LVerfGE 5, 79 (91) unter Bezugnahme auf VerfG Bbg, OVBI. 1994, 857 ff. = LVerfGE 2,93 (101 f., zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entziehung der Gewährträgerschaft für eine Sparkasse) m. Anm. Nierhaus, EWiR 1994, 1105 f. 2S Ebda., unter Hinweis auf BVerfGE 79, 127 (150). 26 LVerfGE 5,79 (91). 21
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I. Ausgangslage und Rechtsvergleich
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Der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts, die Verlagerung der Brandschutzaufgabe am Maßstab der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 97 Verf Bbg (Art. 28 Abs. 2 GG) zu messen, liegt als Prämisse zugrunde, daß für die Rechtslage im Land Brandenburg die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung, zu denen der Brandschutz gehört, jedenfalls dann, wenn es sich dabei zugleich um eine Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft handelt, als Selbstverwaltungsangelegenheiten, jedoch, weil gleichsam "belastet" mit dem staatlichen Weisungsrecht, als "Selbstverwaltungsangelegenheiten in abgeschwächter Form" zu behandeln sind. 27 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist ein den Kembereich verletzender Eingriff gegeben, wenn die gemeindliche Selbstverwaltung innerlich ausgehöhlt wird, die Gemeinde die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verliert und nur noch ein Schattendasein führen kann.2 s Zum Zeitpunkt der Brandschutzentscheidung ist nach Auffassung des VerfG Bbg auch durch die kumulierende Wirkung mehrerer Eingriffe in den sog. Randbereich der Selbstverwaltung eine Beeinträchtigung des Kembereichs der verfassungsrechtlichen Garantien des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 97 Abs. Verf Bbg nicht feststellbar. 29
b) Kindertagesstätten-Entscheidung Durch Beschluß vom 21. I. 1998 hat das Landesverfassungsgericht zu der Frage Stellung genommen, ob die Ämter als Gemeindeverbände anzusehen sind und die insoweit bestehenden gesetzlichen Bestimmungen näher konturiert. 3o Bei dem Be27 LVerfGE 5, 79 (86, 89, 93) unter Berufung u. a. auf Nierhaus, LKV 1995, S. 5, 10 mit Fn 44 und dens., in: ders. (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 45, 57 u. 67; "wohl auch" v. Mutius, Kommunalrecht, 1996, S. 167 f. 28 BVerfGE I, 167 (175). Dem ist die landesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung weitgehend gefolgt; siehe exemplarisch nur BayVerfGH 41, 140 ff. 29 LVerfGE 5, 79 ff.; vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Festschrift Sendler, 1992, S. 121 (134 f.: "Der Entzug der Allzuständigkeit als des Zugriffsrechts auf bisher unbesetzte Aufgaben erscheint ... nur als ein herausgehobener Fall der Kernbereichsverletzung, dem der Entzug der Eigenverantwortlichkeit gleichzustellen ist. Von diesen bei den krassen Verletzungsfällen abgesehen, veranlaßt der Kernbereichsgedanke zu einer bilanzierenden Bewertung der nach dem Eingriff verbleibenden gemeindlichen Handlungsmöglichkeiten . .. - Hervorhebung n. i. Original). 30 VerfG Bbg 8/97, Beschl. v. 21. 1. 1998, UA; siehe hierzu ferner Stüer, Funktionalreform und Kommunale Selbstverwaltung, 1980, S. 92 m. zahlr. w. Nachw. Stüer weist darauf hin, daß unter dem Begriff "Gemeindeverband" die unterschiedlichsten Organisationseinheiten zusammengefaßt werden. Vielfach werde der Begriff "Gemeindeverband" mit "Gebietskörperschaft", ,,zweckverband" oder "Kommunalverband" gleichgesetzt oder "Gemeindeverband" als Oberbegriff für "Gebietskörperschaft" und ,,zweckverband" verwendet. Siehe dazu grundlegend Hoppe, Die Begriffe Gebietskörperschaft und Gemeindeverband und der Rechtscharakter der nordrhein-westfälischen Landschaftsverbände, 1958, der auf S. 53 die Aufgabenallzuständigkeit nicht zum Wesensmerkmal eines Gemeindeverbandes zählt: "Globalität überörtlich-primärer Aufgaben in der Form der Universalität, der Generalität oder der effektiven Generalität ist allerdings für den Gemeindeverband begriffswesentlich." Nach
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griff .. Gemeindeverbände " handele es sich um einen Sammelbegriff, der auch in Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG ohne weitere Erläuterung verwendet werde und dem jedenfalls die Landkreise als Gebietskörperschaften unterfielen. 31 Für die Einordnung der in einigen Bundesländern zwischen Gemeinde und Kreis angesiedelten kommunalen Verwaltungsträger, zu denen die Ämter zählten, habe sich keine einheitliche Linie herausgebildet. Teilweise würden - bis auf die Zweckverbände - alle kommunalen Zusammenschlüsse, die räumlich mehrere Gemeinden umfassen, den Gemeindeverbänden zugeordnet. Von anderer Seite werde zur Differenzierung auf den Status als Gebietskörperschaft abgestellt oder eine unmittelbar von den Einwohnern gewählte Vertretung gefordert. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung und das ihr folgende Schrifttum verstünden unter Gemeindeverbänden im verfassungsrechtlichen Sinne nur die zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften und die diesen wegen des Gewichts ihrer Selbstverwaltungsaufgaben gleichzuachtenden Zusammenschlüsse. 32 Letztlich sei der Begriff "Gemeindeverbände" durch Auslegung der Verfassung zu bestimmen; die Einordnung als Gemeindeverband hänge von der konkreten rechtlichen Ausgestaltung und dem jeweiligen Regelungszusammenhang ab. Da Art. 100 Verf Bbg ein enges Verständnis des Begriffs "Gemeindeverbände" zugrunde liege, seien nur Gebietskörperschaften und diesen wegen des Gewichts der wahrgenommenen Selbstverwaltungsaufgaben gleich zu achtende gemeindliche Zusammenschlüsse als Gemeindeverbände im landesverfassungsrechtlichen Sinne zu qualifizieren. Das Gericht knüpft damit unter Hinweis auf Art. 97 Abs. 2 Verf Bbg, wonach die Gemeinden und Gemeindeverbände in ihrem Gebiet alle Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft erfüllen, an die gebietsbezogene Allzuständigkeit - allerdings nur für die überörtlichen Angelegenheiten - als entscheidendem Gesichtspunkt für die Konstituierung der (landes-) verfassungsrechtlichen Gemeindeverbandsqualität an. Nach der Rechtsauffassung des Gerichts besitzen neben den Gemeinden - in jedenfalls subsidiärer Form - allein noch die Kreise als Gebietskörperschaften die gebietsbezogene Allzuständigkeit, nicht aber solche kommunalen Zusammenschlüsse, deren Sinn und Zweck nicht in der Verantwortlichkeit für ein bestimmtes Territorium, sondern in der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben besteht. 33 Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl., 1999, S. 99 muß ein verfassungsrechtlicher Sprachgebrauch (z. B. in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG) von einer eher beschreibend-analytischen kommunalrechtlichen Begriffsbildung, ferner von einem weiten (Lehr-) Begriff des "Gemeindeverbandes" unterschieden werden. Siehe ferner Dreier, in: ders. (Hrsg.) Grundgesetz-Kommentar, Bd. 11, 1998, Art. 28, Rdnrn. 155 ff. m. w. N. Zum Begriff "Kommunalverband", der außerhalb von Niedersachsen nicht gebräuchlich sei, siehe H.-i. Schmidt, Die Samtgemeinde nach der Verwaltungs- und Gebietsreform in Niedersachsen, 1982, S. 26 f. und Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 377. Zur Rechtsnatur der Verwaltungsverbände im Freistaat Sachsen siehe jüngst SächsVerfGH, LKV 1998,271 f. m. umfangr. Nachw. 31 VerfG Bbg 8/97, Besch!. v. 21. I. 1998, UA, S. 6, m. zahlr. Nachw. 32 Ebda., S. 7 m. zahlr. Nachw., unter Berufung insbes. auf BVerfGE 52, 95 (109) - Ämter Schleswig-Holstein.
I. Ausgangslage und Rechtsvergleich
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Die Ämter sind nach Auffassung des Gerichts auch unter Heranziehung weiterer Kriterien keine Gebietskörperschaften in diesem Sinne. Hierunter seien nur solche Körperschaften des öffentlichen Rechts zu verstehen, bei denen sich für die Bürger Rechtsfolgen - wie beispielsweise Wahlrecht oder Steuerpflichten - aus dem Wohnsitz im Gebiet der Gebietskörperschaft ergeben. Gebietskörperschaften würden von ihren Einwohnern getragen. Wesentlich sei das unmittelbare Verhältnis zwischen Personen, Fläche und hoheitlicher Gewalt. Die Ämter hingegen würden nicht von den Einwohnern, sondern von den amtsangehörigen Gemeinden getragen. Sie seien deshalb keine Gebiets-, sondern Bundkörperschaften. 34 Die Ämter nähmen darüber hinaus nach der Amtsordnung keine Selbstverwaltungsaufgaben in einem den Gebietskörperschaften Gemeinde und Kreis vergleichbaren Umfange wahr. Die Möglichkeit einer Übertragung von Selbstverwaltungsangelegenheiten von den Gemeinden auf das Amt nach § 5 Abs. 4 AmtsO stelle die prinzipielle Abhängigkeit des Amtes von den Gemeinden nicht in Frage, da die Aufgabenübertragung ohne oder gar gegen den Willen der Gemeinden nicht möglich sei. Auch die auf das Amt übertragene Aufgabe sei weiterhin dem Verantwortungsbereich der Gemeinden zuzurechnen; die Aufgabe werde lediglich vom Amt für die Gemeinden (vgl. § 5 Abs. 4 S. 1 AmtsO: "an deren Stelle") wahrgenommen. Die Gemeinden behielten über den Amtsausschuß Einfluß auf die Ausführung der von ihnen übertragenen Aufgabe (§ 7 Abs. 1 AmtsO). Die Gemeinden könnten Beschlüssen des Amtsausschusses widersprechen (§ 7 Abs. 5 AmtsO). Da die an der Übertragung nicht beteiligten Gemeinden hinsichtlich der übertragenen Aufgabe kein Stimmrecht haben (§ 5 Abs. 4 S. 2 AmtsO), erfolgte auch insofern keine Schmälerung der gemeindlichen Einflußnahmemöglichkeiten. Unter bestimmten Voraussetzungen könne die Gemeinde die Rückübertragung der Aufgabe verlangen (§ 5 Abs. 4 S. 3 bis 5 AmtsO). All dies zeige, daß die Verankerung der Aufgabe in der Gemeinde durch Übertragung auf das Amt nicht gelöst werde. 35 Auch die originäre Zuständigkeit der Ämter für die ihnen durch Gesetz oder Rechtsverordnung übertragenen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung (§ 5 Abs. 1 AmtsO) rechtfertige es nicht, die Ämter als den Gemeinden und Kreisen vergleichbare Selbstverwaltungsträger einzuordnen. Soweit den Ämtern einzelne Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen sind, die zu den klassischen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehören, handelte es sich hierbei zwar um Selbstverwaltungsaufgaben, allerdings - wegen der Belastung mit dem staatlichen Eingriffsrecht - nur um solche in "abgeschwächter Form". Verglichen mit den nur einer Rechtsaufsicht unterworfenen Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinden und Kreise komme ihnen für die Frage der Gemeindeverbandsqualität der Ämter nur eine mindere Bedeutung zu.
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VerfG Bbg 8/97, Beschl. v. 21. 1. 1998, VA, S. 8. Ebda.,S. IOIlI. Ebda., S. 12/13.
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Im Ergebnis bilden die Ämter nach Auffassung des Gerichts keine gleichwertig zwischen die Gemeinden und Kreise tretende weitere Ebene der kommunalen Selbstverwaltung, sondern haben als Verwaltungsgemeinschaften der Gemeinden im wesentlichen die Funktion, deren Selbstverwaltung - quasi treuhänderisch - zu bewahren und zu stärken. Sie zählen in ihrer gegenwärtigen Form (auch) deshalb nicht zu den Gemeindeverbänden im Rechtssinne. 36 Dieses Ergebnis - so fährt das VerfG Bbg fort - entspreche dem zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Landesverfassung bestehenden Rechtszustand. Die vom Verfassungsgeber vorgefundene Amtsordnung, auch in ihrer damaligen Form, kenne keine gewählte Vertretung, wie sie Art. 98 Abs. 3 S. 3 Verf Bbg bei Gemeindeverbänden voraussetze. Die Ämter seien auch nicht durch die jährlichen Gemeindefinanzierungsgesetze in den kommunalen Finanzausgleich einbezogen 37 , für den Art. 99 Verf Bbg eine Einbeziehung der Gemeindeverbände vorsieht. Den Verfassungsmaterialien könne nicht entnommen werden, daß der Verfassungsgeber diesen Zustand in bezug auf die Ämter durch die Einführung der Verfassung habe ändern wollen. 38
4. Rheinland-Pfalz und Niedersachsen Die Enquetekommission des Brandenburgischen Landtages hat bereits zu Beginn ihrer Tätigkeit eine Anhörung zu den Erfahrungen und Ergebnissen der Gemeindegebietsreformen in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt durchgeführt 39 und ihrer Arbeit Materialien insbesondere zu den Verwaltungs- und Gebietsreformen in den Ländern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen zugrundegelegt. 4o Das von der Enquetekommission vorgeschlagene Amtsgemeindemodell lehnt sich deutlich, wenn auch zugleich mit erheblich abweichenden Merkmalen ausgestattet, an die rheinland-pfälVerfG Bbg 8/97, Besch!. v. 21. 1. 1998, UA, S. 15. Das Gemeindefinanzierungsgesetz 1999 enthält eine Neuerung, indem es nach § 20 Abs. 2 Satz 3 (Aufteilung des Ausgleichs für übertragene Aufgaben) die Ämter im Hinblick auf die Finanzierung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises in den kommunalen Finanzausgleich einbezieht: "Die Ämter können den (zur Erfüllung übertragener Aufgaben erforderlichen) Betrag ... bei den amtsangehörigen Gemeinden außerho.lb der Amtsumlage vorab geltend machen . .. Durch Beschluß der Haushaltssatzung werden die entsprechenden Zuweisungen an die Gemeinden dementsprechend zum Durchlaufposten, finanzstatistisch dürften sie gleichwohl zunächst auf der Einnahmeseite des gemeindlichen Haushaltes erscheinen. Ein gesonderter Beschluß der Gemeindevertretungen über die "geltend gemachte" Zuweisung wird vom Gesetzgeber offenbar nicht für erforderlich gehalten. 38 VerfG Bbg 8/97, Besch!. v. 21. 1. 1998, UA, S. 15. 39 Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 54, 58. 40 Ebda., S. 60 ff., vg!. auch Ausschußprotokoll2/1188 S. 8, Schreiben von Prof Dr. G. Püttner vom 19. 3. 1999 zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Aufteilung der "Gemeindeebene in zwei Stufen mit Gemeindequalität". 36
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zische Verbandsgemeindeverfassung und auch an die niedersächsische Samtgemeindeverfassung an. Dementsprechend ist eine kurze Darstellung der kommunalenverfassungsrechtlichen Rechtslage der Länder Rheinland-Pfalz und Niedersachsen geboten.
a) Rheinland-Pfalz (l) Historische Entwicklung der Verbandsgemeinde
In Rheinland-Pfalz existieren heute 163 Verbandsgemeinden, die in einem bis zum Jahre 1972 andauernden Prozeß kommunaler Neugliederungen an die Stelle der zuvor bestehenden 132 Ämter (Regierungsbezirke Koblenz und Trier) und 156 gemeinschaftlichen Bürgermeistereien und Einnehmereien (Pfalz) traten. 41 Ebensowenig wie die Samtgemeinde in Niedersachsen wird die Verbands gemeinde in Rheinland-Pfalz als Übergangs stufe zur Einheitsgemeinde angesehen. Die rechtliche Stellung der Orts- bzw. Mitgliedsgemeinden wird durch die Bildung der Verbandsgemeinden grundsätzlich nicht berührt. Die rechtliche Qualifizierung der Verbandsgemeinde - mit entsprechenden Konsequenzen auch für die Ortsgemeindeebene - war in den Anfangsjahren dieses neuen "Gemeindetypus" durchaus umstritten. 42 (2) Rechtsnatur der Verbandsgemeinde Nach Auffassung von W. Hofmann handelt es sich bei den Verbandsgemeinden nicht um einen neuen Typ von Gemeinden (Gesamt-, Stufen- oder Föderalgemeinden), sondern lediglich um eine Fortbildung der bisherigen Gemeindeverbindungen der Ämter und gemeinschaftlichen Bürgermeistereien. Die Verbandsgemeinden seien Gemeindeverbände, denen in stärkerem Maße, als das bei den Ämtern der Fall gewesen sei, Aufgaben der Gemeinden übertragen wÜfden.43 Es sei zutreffend, daß der Entwurf der Verbandsgemeindeordnung ursprünglich dem Gedanken einer Stufengemeinde näherstand. Mit der nordrheinwestfälischen Sachverständigen-Kommission (Gutachten vom 22. 11. 1966) werde die Bildung von solchen Stufengemeinden auch nach wie vor (1968) verfassungsrechtlich für zulässig erachtet. Es könne aus keiner Vorschrift des Grundgesetzes entnommen werden, daß es dem Landesgesetzgeber verboten sein sollte, den Begriff der Gemeinde weiter41 Die Verbandsgemeinde wurde vom Gesetzgeber durch die am 1. 10. 1968 in Kraft getretene Verbandsgemeindeordnung eingeführt, nachdem zuvor durch ein Drittes Landesgesetz zur Verwaltungsvereinfachung 11 der bis dahin existierenden 39 Landkreise abgeschafft worden waren. 42 Dahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 15. 43 W. Hofmann, OVBI. 1968, 932 (935). Ebenso Salzmann/ Schunck/ Hofmann/ Schrick, Verbandsgemeindordnung, Kommentar, 1969, § I, Rdnr. 1.
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zubilden, und sei es auch nur in dem Sinne, daß er Gemeindeverbänden die Rechte von Gemeinden beilege. 44 Aus der Gesetz gewordenen Fassung der Verbandsgemeindeordnung sei aber ebenso wie aus den Verhandlungen der Landtagsausschüsse zu entnehmen, daß sich die Verbandsgemeindeordnung darauf beschränken will, die bisherigen Ämter und gemeinschaftlichen Bürgermeistereien weiterzuentwickeln. Bei der Neuregelung sei sorgfältig darauf Bedacht genommen worden, daß die durch Art. 28 Abs. 2 gewährte Selbstverwaltungsgarantie für die Einzelgemeinden nicht beeinträchtigt werde. Das neue Gesetz enthalte nur solche Regelungen, die nach dem Stande des deutschen Kommunalrechts im Jahre 1933 als zulässig angesehen wurden. Dies gelte insbesondere für die Kompetenz-Kompetenz, die bereits durch das Preußische Gesetz vom 27. 12. 1927 für die Ämter eingeführt wurde und auch in der ersten Fassung des Selbstverwaltungsgesetzes von Rheinland-Pfalz·vom Jahre 1948 enthalten war. 45 Indessen gelangt Stich in einer frühen Stellungnahme zu der rechtlichen Qualifizierung der Verbands gemeinde zu einer anderen Einschätzung: Für Gemeinden, bei denen aufgrund mangelnder Leistungs- und Verwaltungskraft nicht länger die Gewähr für eine ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben des eigenen und übertragenen Wirkungskreises gegeben sei, würden die Verbandsgemeinden mit der rechtlichen Eigenschaft von "Gebietskörperschaften zur gemeinsamen Erfüllung von öffentlichen Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft" ausgestattet, die ihre Angelegenheiten selbst unter eigener Verantwortung im Rahmen der Verfassung und der Gesetze verwalteten. Aus ihrer Zweckbestimmung müsse geschlossen werden, daß die Verbandsgemeinden, wie auch der Begriff sage, die Rechtsnatur von Gemeinden haben sollten. Ein anderer Weg sei auch verfassungsrechtlich nicht gangbar, weil die Regelung der Angelegenheiten der "örtlichen Gemeinschaft", wie der Wortlaut der Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und in Art. 49 Abs. 1 Satz 1 Verf Rh-Pf zeige, den Gemeinden vorbehalten sei. 46 Die Zuständigkeit für die Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft könne nicht durch einfaches Gesetz auf eine .. überörtliche Gemeinschaft" übertragen werden; als solche müßten die Verbandsgemeinden aber dann angesehen werden, wenn sie keine zweite Gemeindestufe, sondern Gemeindeverbände wären. 47 44 Diese Rechtsauffassung ist nur insoweit zutreffend, als es nach den Kompetenzverteilungsnormen des Grundgesetzes Aufgabe des Landesgesetzgebers ist, das Kommunalrecht für das jeweilige Landesgebiet zu prägen und fortzuentwickeln. Dabei hat sich der Landesgesetzgeber allerdings an jenen Maßstäben zu orientieren und jene Grenzen zu beachten, die in der bundesverfassungsrechtlichen kommunalen SelbstverwaItungsgarantie des Art. 28 Abs. I und 2 GG angelegt sind. Siehe dazu im einzelnen unten B. IV. ff. 4S W Hofmann, DVBI. 1968 932 (936). 46 Stich, DÖV 1969, 236 (238). Stich übersieht, daß ein Aufgabenentzug zugunsten der Gemeindeverbandsebene nach Art. 28 Abs. 2 Satz I GG ("im Rahmen der Gesetze") zulässig ist, sofern der Gesetzgeber die nach dem Vorrangprinzip des BVerfG bestehenden Schranken beachtet. Möglicherweise ist er dahin zu verstehen, daß er jene zum unabweisbaren Kernbestand der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie zählenden Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft meint.
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Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat zum Problem der Rechtsnatur der Verbandsgemeinden apodiktisch und ohne nähere Begründung Stellung genommen, indem er erklärte: "Soweit sich die Verbandsgemeinde ... gegen ihre Auflösung wendet, kann sie geltend machen, in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt zu sein, wie es durch Art. 49 LV auch zugunsten von Gemeindeverbänden gewährleistet wird.,,48 Das heutige Schrifttum folgt diesem Rechtsprechungsbefund: Schmidt-Aßmann erkennt den "Gesamtgemeinden", zu denen er auch die rheinland-pfälzischen Verbands gemeinden zählt, nur, aber immerhin die schwächere Gewährleistung gemeindeverbandlicher Selbstverwaltung zu, solange den Ortsgemeinden der verfassungsrechtliche Gemeindestatus i. S. d. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht durch die Umbildung zu Ortsteilen entzogen werde. 49 Gern zufolge verkörpern die Verbands gemeinden eine Form des mehrstufigen Gemeindeaufbaus, wobei sie den Schutz des Art. 28 Abs. 2 GG als Gemeindeverbände genießen. Die in eine Verbandsgemeinde integrierten Ortsgemeinden blieben als kommunale Gebietskörperschaften mit dem Schutz des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG unangetastet, müßten jedoch einen nicht unerheblichen Teil ihrer Kompetenzen an die höhere Verwaltungseinheit, die Verbandsgemeinde, abgegeben. Die Eingliederung einer Ortsgemeinde in eine Verbandsgemeinde sei grundsätzlich verfassungskonform, sofern überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls die Eingliederung erforderten. 5o Die Verbandsgemeinden besitzen dementsprechend nicht die Universalität des örtlichen Wirkungskreises wie die Ortsgemeinden. Die Ortsgemeinde kann sich daher auch gegenüber der Verbandsgemeinde auf die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG berufen. Zusammen bilden Ortsund Verbandsgemeinde jene kommunale Ebenen, denen institutionelle Garantien des Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG zustehen. Sie bilden zusammen eine funktionelle Einheit, die die gleichen Leistungen wie eine verbandsfreie Gemeinde erbringen soll.51 Die Zuständigkeiten der Verbandsgemeinde ergeben sich trotz der enStich, DÖV 1969,236 (238). VerfGH Rh-Pf, Urt. v. 14. 12. 1970 - VGH 4170 - Amt!. Sammlg., Bd. 12,239 (240, Hervorhebung n. i. Original). 49 Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Auf!., 1999, Rdnr. 153. Ebenso Dahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 15. 50 Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2. Auf!. 1997, S. 584. Ebenso W Loschelder, DÖV 1969, 225 (227): "Die Verbandsgemeinde ist echter Gemeindeverband wie das Amt und schließt demgemäß eine Reihe selbständig bleibender Gemeinden in sich. Der wesentliche Fortschritt liegt in der ausgewogeneren Aufgabenverteilung zwischen Verbandsgemeinde und Gemeinden, bei der der Verbandsgemeinde eine starke Ausweitung ihres Wirkungsbereichs zuerkannt oder ermöglicht wird, dabei aber den Gemeinden doch noch ein annehmbares Maß an Aufgaben verbleibt." 51 Hili, Verbandsgemeinde - Bilanz und Ausblick, in: GStB Rh-Pf (Hrsg.), 20 Jahre Verbandsgemeinde in Rheinland-Pfalz, 1992, S. I (4): "Innerhalb des Verhältnisses zwischen Verbands gemeinde und Ortsgemeinde gilt weiterhin die Garantie der kommunalen Selbstver47
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gen Verflochtenheit mit ihren Ortsgemeinden folgerichtig ausschließlich aus den gesetzlichen Bestimmungen des Kommunalrechts und anderer aufgabenübertragender Gesetze. 52
(3) Aufgaben der Verbandsgemeinde Im einzelnen weist die Kommunalverfassung in § 67 Abs. 1 und 2 GemO Rh-Pf den Verbandsgemeinden die folgenden "geborenen" Aufgaben zu, die diese anstelle der Ortsgemeinde wahrzunehmen hat: (1) ...
I. die ihr nach den Schulgesetzen übertragenen Aufgaben; 2. den Brandschutz und die technische Hilfe; 3. den Bau und die Unterhaltung von zentralen Sport-, Spiel- und Freizeitanlagen; 4. den Bau und die Unterhaltung überörtlicher Sozialeinrichtungen, insbesondere Sozialstationen und Einrichtungen der Altenpflege, soweit nicht freie gemeinnützige Träger solche errichten; 5. die Wasserversorgung; 6. die Abwasserbeseitigung; 7. den Ausbau und die Unterhaltung von Gewässern dritter Ordnung. Mit der Durchführung der in Satz 1 Nr. 7 genannten Aufgabe soll ein Wasser- und Bodenverband beauftragt werden, wenn dieser es beantragt. 53 (2) Den Verbandsgemeinden wird gemäß § 203 Abs. 2 des Baugesetzbuches die Flächennutzungsplanung übertragen. Die endgültige Entscheidung des Verbandsgemeinderates über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung des Flächennutzungsplanes waltung des Art. 28 Abs. 2 Satz I GG, d. h. die Ortsgemeinde kann sich auch gegenüber der Verbandsgemeinde auf diese Garantie berufen. Zusarnrnen bilden Orts- und Verbandsgemeinde die kommunale Ebene, die der institutionellen Garantie des Art. 28 Abs. 2 GG unterliegt. Verbandsgemeinde und Ortsgemeinden bilden zusammen eine funktionelle Einheit. die die gleichen Leistungen wie eine verbandsfreie Gemeinde erbringen soll. Mit den Ortsgemeinden bildet die Verbandsgemeinde eine zweistufig aufgebaute Gemeinde, die auch als Föderalgemeinde bezeichnet wird. Das Bundesverwaltungsgericht [BVerwG, NVwZ 1985, 832] sieht zwischen Verbandsgemeinde und Ortsgemeinde eine Solidargemeinschaft. Der damit eingetretene Lastenverbund sei der Preis dafür, daß im ländlichen Raum die Ortsgemeinden erhalten werden konnten." Allein diese Formulierung belegt, wie verfassungsrechtIich sensibel die Aufgabenverteilung zwischen Gemeinden und Verbandsgemeinden ist (dazu näher unten B. III. 3. d). Sie kommt einer Quadratur des Kreises gleich. 52 Zutreffend Dahm. Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 17. 53 Im Unterschied zu der im Abschlußbericht der Enquetekommission des Brandenburgischen Landtages vorgenommenen Aufgabenverteilung bleiben bei der rheinland-pfälzischen Verbands gemeinde die Förderung von Wirtschaft, Gewerbe und Tourismus sowie die Geschäfte der laufenden Verwaltung den Ortsgemeinden zugewiesen.
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bedarf der Zustimmung der Ortsgemeinden. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn mehr als die Hälfte der Ortsgemeinden zugestimmt hat und in diesen mehr als zwei Drittel der Einwohner der Verbandsgemeinde wohnen ....
(4) Kompetenz-Kompetenz, Übertragung und Rückübertragung von Selbstverwaltungsaufgaben Darüberhinaus kann die Verbandsgemeinde die sog. "gekorenen" (originären) Selbstverwaltungsaufgaben aufgrund der ihr durch § 67 Abs. 3 GemO Rh-Pf eingeräumten Kompetenz-Kompetenz 54 an sich ziehen. Ferner können einzelne Ortsgemeinden Aufgaben nach § 67 Abs. 4 GemO Rh-Pf auf die Verbandsgemeinde übertragen. Materielle Voraussetzung für die Übernahme gekorener Selbstverwaltungsaufgaben ist ein dringendes öffentliches Interesse an deren ortsübergreifender Erfüllung. Dieses dringende öffentliche Interesse ist in der Regel dann anzunehmen, wenn einzelne Ortsgemeinden eine bestimmte Aufgabe (z. B. die Unterhaltung eines Kindergartens) nicht sachgerecht oder wirtschaftlich erfüllen können und daher mit anderen Ortsgemeinden zur Erfüllung dieser Aufgabe einen Zweckverband bilden oder eine Zweckvereinbarung abschließen müßten. 55 Die Bildung von Verbandsgemeinden soll vor allem auch Zweckverbände angesichts deren mangelnder demokratischer Legitimation und Transparenz überflüssig machen 56 und die mit Zweckverbandsgründungen einhergehende Zuständigkeitszersplitterung verhindern. Die Übernahme einer ortsgemeindlichen .Aufgabe setzt über das Vorhandensein der materiellen Voraussetzungen hinaus einen entsprechenden Beschluß der Verbandsgemeinde und von mehr als der Hälfte der Ortsgemeinden (Ortsgemeinderäte) voraus, wobei in den zustimmenden Ortsgemeinden die Mehrzahl der Einwohner der Verbandsgemeinde wohnen muß. Bei entsprechender Zustimmung der Verbandsgemeinde ist die (freiwillige) Übertragung weiterer Selbstverwaltungsaufgaben (zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung durch die Verbandsgemeinde) durch einzelne Ortsgemeinden ohne weiteres möglich. In diesen Fällen, in denen die Verbandsgemeinde Aufgaben nicht für alle Mitgliedsgemeinden erfüllt, kann sie von den begünstigten Ortsgemeinden entsprechende Sonderumlagen erheben (§ 72 GemO Rh-Pf i.V. m. § 23 Abs. 2 FAG Rh_pf).57 54 Zur Problematik der Kompetenz-Kompetenz auf Kreisebene siehe Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Auf)., 1999, Art. 28 Rdnr. 65; dens., in: ders. (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, Europäische und Nationale Aspekte, KWIS, Bd. I, 1996 S. 45
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Dahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 22. Zutreffend Hili, Verbandsgemeinde - Bilanz und Ausblick, in: 20 Jahre Verbandsgemeinde in Rheinland-Pfalz, 1992, S. 1(3). 57 Dahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 23. 55
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Sofern Gründe des Gemeinwohls nicht entgegenstehen, sind geborene, gekorene und freiwillig übertragene Aufgaben auf die Ortsgemeinden zurückzuübertragen, wenn diese es beantragen (§ 67 Abs. 5 GemO Rh-Pf). Ob Gründe des Gemeinwohls der Rückübertragung entgegenstehen, beurteilt sich aus Sicht der Verbandsgemeinde und aller ihr angehörenden Ortsgemeinden. Die Rückübertragung verletzt in der Regel das Gemeinwohl, wenn durch diese die sichere, gleichmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Verbandsgemeindeeinwohner mit einer wichtigen öffentlichen Leistung beeinträchtigt würde. Insbesondere stehen einer Rückübertragung Gründe des Gemeinwohls dann entgegen, wenn die Ortsgemeinde bei Rückübertragung zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung einen Zweckverband bilden oder eine Zweckvereinbarung abschließen müßte. Nach der Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz kommt danach eine Rückübertragung der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung nur in besonders gelagerten Ausnahmefalle in Betracht. 58
(5) Finanzen der Orts- und Verbandsgemeinde
Orts- und Verbandsgemeinden nehmen am kommunalen Finanzausgleich teil. Sie erhalten nach §§ 7 ff. FAG Rh-Pf Schlüsselzuweisungen und daneben Bedarfszuweisungen aus dem Ausgleichsstock (§ 14 FAG Rh-Pf), soweit die eigenen Einnahmemöglichkeiten zur Erfüllung ihrer unabweisbaren Ausgabeverpflichtungen nicht ausreichen. Darüber hinaus erhalten Verbandsgemeinden, verbandsfreie Gemeinden, große kreisangehörige Städte, Landkreise und kreisfreie Städte sog. Investitionsschlüsselzuweisungen, die im Vermögenshaushalt zu vereinnahmen sind und der Finanzierung von Investitionen oder Investitionsfördermaßnahmen dienen sollen (§ 9 a FAG Rh-Pf). Soweit die Verbandsgemeinde die Aufgabenfinanzierung nicht durch eigene Einnahmen decken kann, wird eine Verbandsgemeindeumlage nach den gleichen Grundsätzen wie die Kreisumlage erhoben (§ 72 GemO Rh-Pf i. V. m. § 23 Abs. 1 FAG Rh_pf).59 Außerdem können nach § 72 GemO Rh-Pf i. V. m. § 23 Abs. 2 FAG Rh-Pf Sonderumlagen erhoben werden. 60 Nach § 67 Abs. 6 GemO Rh-Pf soll die Verbandsgemeinde zu einem wirtschaftlichen Ausgleich zwischen den Ortsgemeinden dadurch beitragen, daß Einnahmen aus finanzstarken Ortsgemeinden auch für die Finanzierung von Maßnahmen in finanzschwächeren Ortsgemeinden verwendet werden können. Trotz der sich im Hinblick auf die kommunale Finanzhoheit des Art. 28 Abs. 2 Satz I und 3 GG geradezu aufdrängenden Nivellierungsproblematik61 erscheint ein wirtschaftlicher Zitiert nach Dahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, S. 24 m. w. Nachw. Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2. Auf!. 1997, Rdnr. 958. 60 Siehe zur Verbandsgemeindeumlage OVG Kob1enz DÖV 1995, 161. 61 Siehe zum Nivellierungsverbot NierhauslGebhardt, Zur Ausfal\haftung des Staates für zah1ungsunfahige Kommunen, 1999, S. 57 m. w. Nachw. 58
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Ausgleich dort nicht von vornherein verfehlt, wo einzelne Ortsgemeinden besondere Aufwendungen infolge des Vorhandenseins von Einrichtungen zu tragen haben, die letztlich für das gesamte Verbandsgemeindegebiet vorgehalten werden. 62 Die Finanzschwäche der Mitgliedsgemeinden und die Erfüllung ortsgemeindeübergreifender Aufgaben sind indes (zu unterscheidende) Legitimationsgesichtspunkte, die eine unterschiedliche Bewertung erfordern. Zutreffend erscheint jedenfalls der vom Gemeinde- und Städtebund RheinlandPfalz gegebene Hinweis, daß die Zuständigkeit für diejenigen örtlichen Aufgaben, für die die Verbandsgemeinden im Rahmen ihrer Ausgleichsfunktion bestimmte Förderungsleistungen erbringen, auch weiterhin ausschließlich bei den jeweiligen Ortsgemeinden liegt. 63 Diese Feststellung findet für die inzwischen vom BVerwG anerkannten Ergänzungs- und Ausgleichsaufgaben auf Kreisebene ihre Entsprechung: Auch dort werden diese Aufgaben - unter gleichzeitiger grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Zuständigkeit der Gemeinden - als "subsidiäre" Kompetenzen verstanden und damit deutlich vom umfassenden Wegfall der Gemeindezuständigkeit abgegrenzt. 64
(6) Organe der Verbandsgemeinde Organe der Verbandsgemeinde sind der Verbandsgemeinderat und der (Verbandsgemeinde-)Bürgermeister. Der Verbandsgemeinderat wird von den wahlberechtigten Einwohnern der Verbands gemeinde in allgemeiner, gleicher, geheimer, unmittelbarer und freier Wahl für die Dauer von fünf Jahren gewählt. Der für eine Amtszeit von zehn Jahren ebenfalls von den Bürgern gewählte hauptamtliche Bürgermeister ist nicht lediglich Repräsentant der Verbandsgemeinde nach außen, sondern auch Leiter der Verbandsgemeindeverwaltung. Nach § 71 Abs. 1 GemO Rh-Pf kann der Bürgermeister der Verbandsgemeinde zugleich (in Personalunion) Bürgermeister einer Ortsgemeinde sein, wenn die Verbandsgemeindeverwaltung ihren Sitz in dieser Gemeinde hat. 65 Es besteht auch die Möglichkeit einer Realunion, bei der Verwaltungseinrichtungen einer verbandsfreien Gemeinde mit denen einer Verbands gemeinde ganz oder teilweise vereinigt werden (v gl. § 71 Abs. 2 S. 1 GemO Rh-Pf). Dies trägt dem Umstand Rechnung, daß einzelne verbandsfreie Gemeinden mit Rücksicht auf ihre So Dahm, ebda., ohne Erwähnung des bestehenden Problemhaushalts, S. 24/25. GStB Rh-Pf, Mitteilungen Nr. 2/1977, auszugsweise abgedruckt in Dahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 25. 64 BVerwG OVBI. 1996, 1062 = OÖV 1996, 875 ff. Siehe dazu Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdnr. 66. Zustimmend Henneke, NVwZ 1996, 1181 f.; krit. K.-A. Schwarz, NVwZ 1996,1182 f. und Erlenkämper, NVwZ 1997,546 (551). 65 Näheres hierzu bei Dahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 54 f. 62 63
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B. Untersuchung
besonderen örtlichen Verhältnisse nicht in eine Verbands gemeinde eingegliedert werden, gleichwohl aber ein Zusammengehen der (verbandsgemeindefreien Orts-) Verwaltung mit der Verbandsgemeindeverwaltung zweckmäßig erscheint. Das Zustandekommen einer Realunion ist von der Zustimmung der beteiligten Gebietskörperschaften abhängig. Nach § 71 Abs. 1 GemO Rh-Pf kann der Bürgermeister der Verbandsgemeinde zugleich Bürgermeister einer verbandsfreien Gemeinde oder Bürgermeister einer Ortsgemeinde sein, wenn die Verbandsgemeindeverwaltung ihren Sitz in dieser Gemeinde hat (Personalunion). Die Vorschrift des § 71 Abs. 2 Satz 2 GemO Rh-Pf verknüpft die Realunion mit der Personalunion, indem sie die Vereinigung der Verwaltungseinrichtungen der Verbandsgemeinde und einer verbandsfreien Gemeinde für den Fall der Personalunion anordnet. Der Verbandsgemeinderat beschließt über alle Selbstverwaltungsangelegenheiten der Verbandsgemeinde, z. B. über die erforderlichen Satzungen (wie z. B. die Hauptsatzung und die Haushaltssatzung), die Jahresrechnung und die Entlastung des Bürgermeisters und der Beigeordneten sowie die Übernahme freiwilliger Aufgaben. Der Bürgermeister leitet die Verbandsgemeindeverwaltung und vertritt die Verbands gemeinde nach außen, bestimmt ferner Zeit und Ort der Sitzungen des Verbandsgemeinderats und setzt im Benehmen mit den Beigeordneten die Tagesordnung für die Sitzungen des Verbandsgemeinderats fest. Neben weiteren üblichen Befugnissen, die denen des Bürgermeisters einer Ortsgemeinde entsprechen, gewährt ihm die Verbandsgemeindeverfassung besondere Kompetenzen gegenüber den Ortsgemeinden, die sich aus Aufbau und Struktur der Verbandsgemeinde zwangsläufig ergeben (z. B. § 69 Abs. 1 und 2, § 70 Abs. 5 GemO Rh-Pf): Der Bürgermeister oder ein von ihm beauftragter Bediensteter der Verbandsgemeindeverwaltung soll an den Sitzungen des Ortsgemeinderats mit beratender Stimme teilnehmen; er hat das Recht, Anträge zu stellen. Der Ortsbürgermeister hat Zeitpunkt und Tagesordnung der Sitzungen rechtzeitig mit dem Bürgermeister abzustimmen. Da die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auch weiterhin - trotz Eingliederung in die Verbandsgemeinde - der Ortsgemeinde zusteht, werden die Zuständigkeiten und Befugnisse des Ortsgemeinderats durch die Verbands gemeinde-Verfassung de iure kaum berührt. Die Ortsgemeindevertretung hat auch insoweit Einfluß auf die Verbandsgemeindeverwaltung, als diese an die Beschlüsse der Ortsgemeinderäte gebunden ist. Die Verbandsgemeindeverwaltung führt die Verwaltungsgeschäfte der Ortsgemeinden in deren Namen und deren Auftrag. 66 Die Rechtsstellung des Ortsbürgermeisters analysiert Dahm wie folgt: Zuweilen werde die Auffassung vertreten, das Amt des Ortsbürgermeisters sei durch das Vorhandensein der Verbandsgemeinde abgewertet. Auf den ersten Blick vermöge der Umstand, daß unter anderem die verwaltungsmäßige Vorbereitung und der verwal66
Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2. Auf!. 1997, Rdnr. 958.
I. Ausgangslage und Rechtsvergleich
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tungsmäßige Vollzug der Ortsgemeinderatsbeschlüsse von der Verbandsgemeindeverwaltung wahrgenommen werden, diese Meinung zu stützen. Bei genauer Betrachtung sei der Einwand jedoch nicht stichhaltig. Die Einrichtung einer (hauptamtlichen) Verbandsgemeindeverwaltung solle es dem ehrenamtlichen Ortsbürgermeister ermöglichen, seine ganze Arbeitskraft auf die gestaltenden und planerischen Aufgaben zu konzentrieren, die für die Entwicklung der Ortsgemeinde und für ihre Einwohner von besonderer Bedeutung und Tragweite seien. Dieses Ziel sei nur erreichbar, wenn er von den alltäglichen Routinearbeiten und Nebensächlichkeiten entlastet und ihm die Möglichkeit eingeräumt werde, sein Augenmerk auf das Wesentliche zu richten. Vor der Bildung der Verbandsgemeinde sei die fachliche Beratung und Unterstützung des Ortsbürgermeisters nur begrenzt möglich gewesen, weil kleinere Gemeinden sich eine entsprechende Verwaltung nicht hätten leisten können. In der Verbandsgemeinde hingegen könne sich jede Ortsgemeinde der Hilfe einer gegliederten und in gewissen Umfang spezialisierten Verwaltung bedienen. 67 Außer Frage steht in diesem Zusammenhang die Verpflichtung der Verbandsgemeinden zur engen Zusammenarbeit, Beratung und Unterstützung der Ortsgemeinden. 68 Umgekehrt sind allerdings auch die Bürgermeister der Ortsgemeinden verpflichtet, die Verbandsgemeindeverwaltung zu unterstützen (§ 70 Abs. 3 GemO Rh-Pf). (7) Zusammenfassung
Zusammenfassend läßt sich für die Verbandsgemeinden als charakteristisch feststellen, daß diese als Gebietskörperschaften neben und anstelle der Ortsgemeinden gesetzlich zugewiesene Selbstverwaltungsaufgaben der örtlichen Gemeinschaft wahrnehmen. Dem Aufgabenbestand und der kompetenzrechtlichen Stellung der Verbandsgemeinde entspricht die unmittelbare demokratische Legitimation von Verbandsgemeinderat und Verbandsgemeindebürgermeister. Nach § 68 Abs. 1 S. 1 GemO hat die Verbandsgemeindeverwaltung zudem die Verwaltungsgeschäfte der Ortsgemeinden in deren Namen und in deren Auftrag zu führen, wobei sie an Beschlüsse der Ortsgemeinderäte und an Entscheidungen der Ortsbürgermeister gebunden ist (§ 68 Abs. 1 S. 1 Hs 2 GemO).69 Dementsprechend liegt die AusfühDahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 66. Bogner, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. I, 2. Auf). 1981, S. 316 (332). 69 Zu den Verwaltungsgeschäften zählen nach § 68 Abs. I GemO Rh-Pf auch die Verwaltung der gemeindlichen Abgaben, die Kassen- und Rechnungsgeschäfte einschließlich der Kassenanordnungen, die VolIstreckungsgeschäfte, die Vertretung in gerichtlichen Verfahren mit Ausnahme der Rechtsstreitigkeiten einer Ortsgemeinde mit der Verbandsgemeinde oder zwischen Ortsgemeinden derselben Verbandsgemeinde. Zur Führung der Verwaltungsgeschäfte zählen insbesondere nicht die Wahrnehmung der Aufgaben des Ortsbürgermeisters als Vertreter der Gemeinde nach außen und als Vorsitzender des Ortsgemeinderats, die Ausfertigung von Satzungen und die Unterzeichnung von Verpflichtungserklärungen nach § 49 GemO Rh-Pf. 67 68
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B. Untersuchung
rungskompetenz für jene Verwaltungsgeschäfte, die im übrigen bei den Ortsgemeinden - in deren politischer Entscheidungszuständigkeit (Beschlußkompetenz) - verblieben sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bei der Verbandsgemeindeverwaltung. Der Entzug der Verwaltungskompetenz bewirkt einen rechtlichen und faktischen Verlust an Personal- und Organisationshoheit der Ortsgemeinden. Von den Verwaltungsgeschäften i. S. d. § 68 Abs. I Satz I GemO Rh-Pf sind die Geschäfte der laufenden Verwaltung nach § 47 Abs. I Satz 2 GemO Rh-Pf zu unterscheiden. Als Konsequenz dieser Unterscheidung bleibt der Ortsbürgermeister der Mitgliedsgemeinde einer Verbandsgemeinde grundsätzlich für die Geschäfte der laufenden Verwaltung der Ortsgemeinde zuständig. Er wird bei der Erfüllung der Geschäfte der laufenden Verwaltung von der Verbandsgemeindeverwaltung nur unterstützt. 70 Obgleich die Ortsgemeinde unstreitig weiterhin - auch unter dem überwölbenden Dach der Verbandsgemeinde - als die verfassungsrechtliche Gemeinde i. S. d. Art. 28 Abs. 2 Satz I GG anzusehen ist, erblickt das BVerwG in dem beschriebenen Kompetenzverlust und der Verlagerung bundesverfassungsrechtlich gewährleisteter Hoheiten keinen unzulässigen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie. Es führt dazu aus: Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz I GG gelte auch im Verhältnis zwischen Ortsgemeinden und Verbandsgemeinden. Dabei sei unerheblich, ob die Verbandsgemeinde als Gemeindeverband oder als Gemeinde zweiter Stufe angesehen werden müsse, die zusammen mit den Ortsgemeinden eine zwei stufig aufgebaute (Föderal-) Gemeinde bilde. Art. 28 Abs. 2 Satz I GG garantiere den (Orts-)Gemeinden einen Kernbereich der Selbstverwaltung, der durch die Verfassung gegen jede gesetzliche Schmälerung gesichert sei (absolute Grenze), und schütze die Gemeinden ferner in der Weise, daß gesetzliche Eingriffe, die diesen Kernbereich der Selbstverwaltung nicht antasten - Randbereich -, durch tragfähige Gründe des Gemeinwohls sachlich gerechtfertigt sein müssen (relative Grenze).71 Den Ortsgemeinden sei (weiterhin) durch die rheinland-pfälzische Gemeindeordnung die Allzuständigkeit im Rahmen der Gesetze und damit ein grundsätzlich alle örtlichen Angelegenheiten umfassender Aufgabenbereich zuerkannt. Betrachte man die nach § 67 Abs. I und 2 GO Rh-Pf auf die Verbandsgemeinden übergegangenen Aufgabenbereiche, so könne angesichts der Anzahl und des Gewichts der den Ortsgemeinden verbliebenen Sachkompetenzen nicht von einer Aushöhlung der Allzuständigkeit oder etwa der Satzungsgewalt der Ortsgemeinden gesprochen werden. Daran ändere nichts, daß die Gemeindeordnung den Verbandsgemeinden die - hinsichtlich ihrer Ausübung an bestimmte formelle und materielle Voraussetzungen gebundene - Befugnis einräumt, den Ortsgemeinden weitere Aufgaben zu entziehen (§ 67 Abs. 3 GO RhPf). Ebensowenig begegne es rechtlichen Bedenken, daß die VerwaltungsvollzugsDahm. Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 39. BVerwG, NVwZ 1984, 378 (LS I und 2) im Anschluß an BVerwG, NVwZ 1984,176 = DVBI. 1983, 1152. 70 71
I. Ausgangslage und Rechtsvergleich
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kompetenz hinsichtlich der bei den Ortsgemeinden verbliebenen Selbstverwaltungsaufgaben - von wenigen Ausnahmen abgesehen - bei den Verbandsgemeinden liege und damit gleichzeitig die Personalhoheit und die Organisationshoheit den Ortsgemeinden insoweit faktisch entzogen seien. Da die Verbandsgemeinden im Interesse der Ortsgemeinden und deren Selbstverwaltung geschaffen worden seien, erscheine die Übertragung der Verwaltungskompetenz auf die Verbandsgemeindeverwaltung und die damit verbundene Minderung der Personal- und Organisationshoheit der Mitgliedsgemeinden als das gegenüber ihrer Auflösung mildere Mittel. Die Regelung diene der Erhaltung der "Kleingemeinden" und ihrer Entlastung von Aufgaben, die angesichts der mit der Reform verfolgten Ziele ihre Verwaltungskraft überstiegen. 72 Das Urteil ergibt einen weiteren Rechtsprechungsbefund speziell zur Übertragung der Selbstverwaltungsaufgabe Wasserversorgung: Die Übertragung der Wasserversorgungsaufgabe von den Ortsgemeinden auf die Verbandsgemeinden berühre weder für sich allein noch im Zusammenwirken mit den weiteren Kompetenzübertragungen der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung den Kembereich der Selbstverwaltung der Ortsgemeinden. Die Übertragung der Wasserversorgung auf die Verbandsgemeinde sei aus Gründen des Gemeinwohls hinreichend legitimiert. Freilich könne der Entzug der Selbstverwaltungsaufgabe im Zusammenwirken mit dem Entzug weiterer - ebenfalls nicht elementarer - Selbstverwaltungsaufgaben dazu führen, daß die Gemeinde insgesamt die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verliere und die bereits erwähnten wesentlichen Hoheitsrechte der Gemeinde entscheidend ausgehöhlt würden. 73
b) Niedersachsen
Lediglich 285 der insgesamt 1029 niedersächsischen Gemeinden sind Einheitsgemeinden. Die übrigen 744 Gemeinden sind als Mitgliedsgemeinden in 142 sog. Samtgemeinden 74 zusammengefaßt. Die Samtgemeinde, deren Tradition in die BVerwG, NVwZ 1984, 378 (379). Ebda. 74 Die Bezeichnung "Samtgemeinde" fand bereits 1849 in den "Grundzügen der Organisation der Landgemeinden" Eingang in das kodifizierte Recht. In Teilen Niedersachsens haben Samtgemeinden eine alte Tradition. Sie haben sich aus den Kirchspielen entwickelt. In den Kreisen des früheren Hochstifts Osnabrück sollten die Kirchspiele zeitweise die unterste politische Einheit bilden. Die historischen Kirchspiele bzw. Samtgemeinden, die als sog. "wirkliche Gemeinden" alle Rechte einer Gemeinde und als Wohnsitzgemeinde auch den Charakter einer Gebietskörperschaft hatten, konnten durch die mangelnde Fortentwicklung des Samtgemeinderechts im preußischen Staat bei gleichzeitigem Erstarken der Ortsgemeinden ihre (Rechts-) Stellung nicht behaupten. Den bei Verabschiedung der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung (noch) vorhandenen Samtgemeinden blieb die rechtliche Qualifikation als Gebietskörperschaften (durch die Verfassung) vorenthalten. Bereits im Gutachten der Sachverständigenkommission für die Verwaltungs- und Gebietsreform in Niedersachsen (im Auf72 73
3 N ierhaus I Gebhardl
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B. Untersuchung
Zeit des Königreichs Hannover zurückführt,75 wird aus höchstens 10 Mitgliedsgemeinden mit jeweils mindestens 400 Einwohnern gebildet (§ 71 Abs. 1 S. 1 NGO). Vor der grundlegenden Samtgemeindereform im Jahre 1972 gab es im Land Niedersachsen 4062 Gemeinden, von denen 3872 weniger als 5000 Einwohner hatten. 76 Samtgemeinden sind freiwillige Verbände mehrerer Gemeinden mit einem beschränkten Aufgabenkreis; eine Zwangsbildung von Samtgemeinden ist ebensowenig vorgesehen wie die Bildung von Samtgemeinden im Umland größerer Städte. 77
(1) Bildung der Samtgemeinde und Ausscheiden aus der Samtgemeinde Die Bildung der Samtgemeinde erfolgt durch Hauptsatzung (der Mitgliedsgemeinden), die der aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedarf (§ 74 Abs. 1 NGO). Der Niedersächsische Landtag hat in § 71 Abs. 1 S. 1 NGO zwar den Grundsatz der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses zu Samtgemeinden aufgestellt. Durch die in den Neugliederungsgesetzen vom Landesgesetzgeber (durch entsprechende Verordnungsermächtigung) angekündigte Bildung von Einheitsgemeinden wurde den Gemeinden aber de facto ein "Einigungszwang zur Samtgemeinde" zum Zwecke der Abwendung eines größeren Übels (des Aufgehens in einer Einheitsgemeinde ) auferlegt. 78 Das Ausscheiden einer Mitgliedsgemeinde aus der Samtgemeinde durch Änderung der Hauptsatzung ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß nicht "Gründe des öffentlichen Wohls" entgegenstehen. Die reduzierte Leistungsfähigkeit der verkleinerten Samtgemeinde kann nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg ein derartiges Hindernis bilden.79
trage des Niedersächsischen Ministers des Innern) aus dem Jahre 1969 wird auf S. 45 die folgende Einschätzung formuliert: "Samtgemeinden sind Körperschaften des öffentlichen Rechts; sie sind keine Gebietskörperschaften im Sinne des Art. 44 der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung mit der Folge, daß ihnen Allzuständigkeit, Aufgabenfindungsrecht und Zuständigkeitsvermutung nicht zukommen. Samtgemeinden sind allerdings Gemeindeverbände im Sinne von Art. 28 Abs. 2 GG." Vgl. hierzu auch Heidemann. 10 Jahre Samtgemeinden in Niedersachsen, Festvortrag aus Anlaß des 10. Jahrestages der grundlegenden Reform des Samtgemeinderechts, 1982; WeifJhaar, Kommunalrecht Niedersachsen, 4. Auf!. 1993, S. 282. 75 H. Faber, Kommunalrecht, in: Faber I Schneider (Hrsg.), Niedersächsisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1985, S. 225 (272) m. w. Nachw. 76 H.-H. v. Hoerner, Wieviel Demokratie in der Ortsebene?, Die Neue Verwaltung 1998, 14 ff. 77 WeifJhaar, Kommunalrecht Niedersachsen, 4. Auf!. 1993, S. 282. 78 lpsen. Niedersächsisches Kommunalrecht, 2. Auf!., 1999. Rdnr. 908 m. w. Nachw. 79 OVG Lüneburg, DNG 1985,303.
I. Ausgangslage und Rechtsvergleich
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(2) Organe der Samtgemeinde Für die Samtgemeinde handeln als Organe der Samtgemeinderat, der Samtgemeindeausschuß und der Samtgemeindebürgermeister (§ 75 Abs. I NGO). Der Samtgemeinderat wird von den Bürgern der Mitgliedsgemeinden (!) gewählt (§ 75 Abs. 2 S. I NGO); dementsprechend wird die kollektive Samtgemeindevertretung unmittelbar durch die Gemeindebürger legitimiert und nicht durch die Vertretungen der Mitgliedsgemeinden bestimmt. Ein (aktiv wahlberechtigtes) Samtgemeindevolk wird durch die Samtgemeindeverfassung demnach nicht konstituiert. Der Samtgemeindeausschuß, der sich aus dem Samtgemeindebürgermeister, den Beigeordneten, den Inhabern eines Grundmandats und nach Maßgabe der Hauptsatzung aus anderen Beamten der Samtgemeinde zusammensetzt (§ 56 Abs. I NGO), übt keine Kontrollbefugnisse gegenüber den Mitgliedsgemeinden aus. Seine Zuständigkeiten sind auf die Samtgemeinde als solche begrenzt. Der von den Bürgern der Mitgliedsgemeinden gewählte, hauptamtliche Samtgemeindebürgermeister (§ 75 Abs. 3 S. 1 NGO) muß die Befahigung für die Laufbahn des gehobenen allgemeinen Verwaltungsdienstes besitzen. Anderenfalls muß dem Leitungspersonal der Samtgemeinde ein Beamter mit dieser Befahigung angehören (§ 75 Abs. 3 S. 3 NGO).80 (3) Aufgaben der Samtgemeinde Nach § 72 Abs. 2 S. I und 2 NGO erfüllen die Samtgemeinden alle Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden und jene staatlichen Angelegenheiten, die eine Gemeinde mit der Einwohnerzahl der Samtgemeinde zu erfüllen hätte. Daneben ordnet der Landesgesetzgeber in § 72 Abs. 1 S. I NGO die Zuständigkeit der Samtgemeinde für eine Reihe von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises ihrer Mitgliedsgemeinden an: - die Aufstellung von Flächennutzungsplänen, - die Trägerschaft der allgemeinbildenden öffentlichen Schulen, der Erwachsenenbildung sowie die Einrichtung und Unterhaltung der Büchereien, die mehreren Mitgliedsgemeinden dienen, - die Errichtung und Unterhaltung von Sportstätten, die mehreren Mitgliedsgemeinden dienen, und der Gesundheitseinrichtungen sowie die Altenbetreuung, - die Aufgaben nach dem Niedersächsischen Brandschutzgesetz, - den Bau und die Unterhaltung von Gemeindeverbindungsstraßen, - Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung, Fernwärmeversorgung u. s. W. 81 , Ders., ebda., Rdnrn. 912 ff. § 72 Abs. 1 Satz I Nr. 6 lautet: ..Die Samtgemeinden erfüllen die folgenden Aufgaben des eigenen Wirkungskreises ihrer Mitgliedsgemeinden: 6. die in § 8 Nr. 2 NGO genannten Aufgaben. § 8 Nr. 2 NGO lautet: .. Die Gemeinden können im eigenen Wirkungskreis durch 80 81
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B. Untersuchung - Hilfe in Verwaltungsangelegenheiten, - Aufgaben gemeindlicher Schiedsämter und - örtliche Aufgaben der Jugendhilfe. 82
Die Mitgliedsgemeinden können überdies nur gemeinsam 83 (d. h. alle) weitere Aufgaben des eigenen Wirkungskreises auf die Samtgemeinde übertragen. 84 Mit einer euphemistischen Formulierung, die möglicherweise den Blick auf die Fülle der den Gemeinden entzogenen wichtigen Aufgaben verstellt, erfüllen die Mitgliedsgemeinden auch weiterhin alle örtlichen Angelegenheiten, soweit sie nicht der Samtgemeinde durch Gesetz oder freiwillig übertragen sind. Den Ortsgemeinden steht damit auch weiterhin das veifassungsrechtliche Aufgabeneifindungsrecht i. S. d. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zu, auch wenn es äußerst begrenzt ist. Durch die gesetzlichen Aufgabenzuweisungen an die Samtgemeinden sind nach Auffassung des führenden niedersächsischen Kommunalrechtlers Jörn Ipsen die "Selbstverwaltungsangelegenheiten der Mitgliedsgemeinden ... auf ein Maß reduziert, das schwerlich als ,universal' bezeichnet werden kann. Die Mitgliedsgemeinden von Samtgemeinden sind aus diesem Grund nicht mehr als (alleinige) Träger der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 57 Abs. 1 NV) anzusprechen. Daraus sollte jedoch nicht auf die Verfassungswidrigkeit dieses Kommunalverbandes geschlossen werden, der sich historisch als Alternative zur Auflösung der Gemeinden und Bildung von Einheitsgemeinden darstellt.,,85 Diese zwar skrupulöse, letztlich aber nichtssagende Einschätzung stellt eine Kapitulation vor den Anforderungen des Verfassungsrechts an das kommunale Selbstverwaltungsrecht Satzung insbesondere ... 2. für die Grundstücke ihres Gebiets den Anschluß an Wasserleitung, Kanalisation, Abfallbeseitigung, Straßenreinigung, Fernwärmeversorgung und ähnliche der Volksgesundheit dienende Einrichtungen (Anschlußzwang) und die Benutzung dieser Einrichtungen, der öffentlichen Begräbnisplätze, Bestattungseinrichtungen und Schlachthöfe (Benutzungszwang) vorschreiben, wenn sie ein dringendes öffentliches Bedürfnis dafür feststellen. Die Satzung kann Ausnahmen vom Anschluß- und Benutzungszwang zulassen; sie kann ihn auf bestimmte Teile des Gemeindegebietes und auf bestimmte Gruppen von Grundstücken oder Personen beschränken." 82 Wie bei der rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinde, aber im Unterschied zu den brandenburgischen Amtsgemeinde nach der Konzeption der Enquetekommission des Brandenburgischen Landtages, fehlen im Katalog der den Samtgemeinden zugewiesenen Aufgaben die Wirtschafts-, Gewerbe- und Tourismusförderung sowie die Geschäfte der laufenden Verwaltung der Ortsgemeinden. 83 H.-H. v. Hoerner; Die Neue Verwaltung 1998, 14, weist darauf hin, daß teilweise gefordert wird, auch eine Aufgabenübertragung mit qualifizierter Mehrheit zuzulassen, da das Einstimmigkeitsprinzip in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen geführt habe. 84 Zur Trennung von Funktions- und Rechtsnachfolge bei der Übernahme von Aufgaben der Mitgliedsgemeinde durch die Samtgemeinde siehe BVerwG, NVwZ-RR 1992,428. 85 Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, Rdnr. 930 m. w. Nachw. Art. 57 Abs. 1 NV lautet: "Gemeinden und Kreise verwalten ... in eigener Verantwortung ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze."
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dar, denen sich weder der Gesetzgeber noch der Kommunalverfassungsrechtler entziehen kann. Das OVG Lüneburg hat in einer Entscheidung im Jahre 1979, bei der es um die Zuständigkeit der Samtgemeinde für den Erlaß (und die Durchführung) von Wasseranschluß- und Wasserabgabensatzungen ging, die Aufgabenverlagerung auf die Samtgemeinde für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet: Die einschlägigen Vorschriften der NGO verstießen nicht gegen das gemeindliche Recht auf Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Abgesehen davon, daß die gesetzliche Aufgabenverlagerung zwischen Mitgliedsgemeinde und Samtgemeinde nichts daran ändere, daß auch die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden, die auf die Samtgemeinde gleichsam zur Wahrnehmung für die Mitgliedsgemeinden übergegangen seien, Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden blieben und sich daher nur Art und Weise der Ausübung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts in bezug auf die betreffenden Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft änderten, liege ein Verstoß gegen die Selbstverwaltungsgarantie schon deshalb nicht vor, weil in der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung zumindest kein Eingriff in den nach der Rechtsprechung des BVerfG allein verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts der einzelnen Gemeinden erblickt werden könne. 86 Auch wenn die Verengung des verfassungsrechtlichen Blickwinkels allein auf den Kernbereich angesichts der vom BVerfG87 und in der Literatur88 entwickelten Kern-Randbereichs-Dogmatik (mit verfassungsrechtlichen Schutzelementen auch im Randbereich, z. B. durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip) heute nicht mehr sachgerecht erscheint, ist die Entscheidung des OVG dennoch von einigem Interesse, weil das Gericht auch die nach der NGO den Samtgemeinden zur Erfüllung zugewiesenen Aufgaben weiterhin dem eigenen Wirkungskreis der Mitgliedsgemeinden zurechnet.
(4) Rechtsnatur der Orts- und Samtgemeinde V. Hoerner vertritt die Auffassung, daß die Samtgemeinde entgegen der durch § 71 Abs. 3 Satz 1 NGO und das Bundesverwaltungsgericht erfolgten Qualifizierung als ..Kommunalverband,,89 wegen ihrer örtlichen Aufgaben(zuständigkeiten) kein Gemeindeverband i. S. d. Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG, sondern eine (zweistufige) Gemeinde i. S. d. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sei. 90 OVG Lüneburg, OVGE 35, 333 (340). BVerfGE 79, 127 (146 f., 150 ff.). 88 Siehe statt aller Henneke, DÖV 1998,330 (334); dens., ZG 1999, 1 (18 ff.). 89 Das BVerwG NVwZ 1985, 833 spricht von der Samtgemeinde als "Kommunalverband", der ohne Zweifel den Schutz des Art. 28 Abs. 2 GG (ohne Satzbezeichnung) genießt. 90 H.-H. v. Hoerner, Die Neue Verwaltung 1998, 14 (15). Er hält es in diesem Zusammenhang für problematisch, daß "diese beiden Stufen der Gemeindeebene bei ihrer Willensbildung ohne innere Verbindung nebeneinandergestellt" seien. Dies werde besonders deutlich 86 87
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B. Untersuchung
H.-i. Schmidt qualifiziert die Samtgemeinde als Gemeinde im weiteren Sinne (sog. Funktionalgemeinde).91 Durch diesen Begriff solle zum Ausdruck kommen, daß auch die Samtgemeinde Funktionen einer Gemeinde habe bzw. wie eine solche funktioniere. Für das Verhältnis von Samtgemeinde zu den ihr angehörenden Ortsgemeinden sei das hervorstechende Merkmal, daß beide sich im Aufgabenbestand komplettieren und demnach zusammengenommen - im funktionellen Verbund - alle Aufgaben einer vergleichbaren Einheitsgemeinde zu erfüllen haben. Diese Beziehung sollte nicht mißverständlich durch Begriffe wie Zweistufigkeit umschrieben werden, weil das an eine über- und eine untergeordn~te Gemeinde erinnere. 92
Demgegenüber gelangt Schmidt-Aßmann zu einem anderen Befund: Ebenso wie in anderen Bundesländern die Gemeindeverwaltungsverbände (Baden-Württemberg), die Verwaltungs gemeinschaften (Bayern), die Verbandsgemeinden (Rheinland-Pfalz) und auch die Ämter (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein) fänden sich die kleinen in ihrer Verwaltungskraft schwachen Gemeinden eines nachbarörtlichen Bereichs in Niedersachsen in einem "überwölbenden" Verband zusammen, blieben indes als selbständige Körperschaften erhalten. Dem liege das Modell einer mehrstufigen kommunalen Organisationseinheit zur Erfüllung örtlicher Aufgaben zugrunde, was verwaltungspolitisch sinnvoll und in der Praxis durchaus bewährt sei. Das Problem der verfassungsrechtlichen Kompetenzabgrenzung zwischen Ortsgemeinde und Gesamtgemeinde 93 sei dahin zu lösen, daß nur eine der beiden Körperschaften Trägerin der herausgehobenen gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie i. S. d. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sein könne. Solange den Ortsgemeinden der Gemeindestatus zuerkannt bleibe und sie nicht zu Orts teilen umgebildet, d. h. eingemeindet würden, seien sie als unterste Ebene rechtsfahiger Organisationseinheiten allein Träger der Garantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, während für die Gesamtgemeinden nur die schwächere Gewährleistung gemeindeverbandlicher Selbstverwaltung verbleibe. In der Realität seien die Gewichte indessen oft umgekehrt. 94 Schmidt-Aßmann verschweigt ehrlicherbei der geteilten Zuständigkeit für die Bauleitplanung. Den Flächennutzungsplan für das Samtgemeindegebiet beschließe der Samtgemeinderat. Die Basis hierfür sei die mittelfristige Entwicklungsplanung im gesamten Bereich. Auf der anderen Seite beschließen die Mitgliedsgemeinden die Bebauungspläne, die aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln sind. Eine gesetzliche Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen bei den Planungsebenen bestehe nicht. 91 Zum theoretischen Ansatz eines funkionalen Selbstverwaltungsverständnisses siehe W Roters, in: v. Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2 (1976), Art. 28, Rdnrn. 70 ff., und K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I (1984), § 12 III I, S. 424 m. w. Nachw. 92 H.-i. Schmidt, Die Samtgemeinde nach der Verwaltungs- und Gebietsreform in Niedersachsen, 1982, S. 63 f. m. umfangreichen N., insbes. auf S. 29 ff. (zur Frage, ob die Samtgemeinde als Gebietskörperschaft zu qualifizieren ist) und S. 52 ff. (zur Frage, ob die Samtgemeinde Gemeinde im verfassungsrechtlichen Sinne ist). 93 Begriff nach Hans iulius Wo(fffür eine verbandliche Organisationsform für in der Regel kleine ländliche Gemeinden.
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weise nicht, daß "freilich Probleme" entstehen können, wenn es um die verfassungsrechtliche Kompetenzabgrenzung zwischen Ortsgemeinde und Gesamtgemeinde geht. Eine Lösung des Problems bietet er allerdings ebenso wenig an wie J.lpsen. In einer Gesamtbewertung sprechen die besseren Gründe für das von SchmidtAßmann formulierte Ergebnis: Zunächst qualifiziert die Gemeindeordnung selbst in § 71 Abs. 3 NGO die Samtgemeinde als "Kommunal verband" mit Dienstherrenfähigkeit. Wären Samtgemeinden Gemeinden im verfassungsrechtlichen Sinne, könnte auf § 71 Abs. 5 NGO verzichtet werden, der für die Ausführung des Gesetzes über die Finanzstatistik die Samtgemeinden den Gemeinden gleichsetzt. Gegen die Annahme der Gemeindequalität spricht auch, daß ein (kommunal-) wahlberechtigtes Samtgemeindevolk - ausdrücklich - nicht existiert (vgl. § 75 Abs. 2 NGO) und nicht zuletzt der enumerative Aufgabenbestand der Samtgemeinde, der mit dem Universalitätsanspruch und der Allzuständigkeit einer verfassungsrechtlichen Gemeinde nicht vereinbar ist: Die gemeindliche Allzuständigkeit i. S. eines Aufgabenzugriffsrechts auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft hat konstituierenden Charakter für die verfassungsrechtliche Gemeinde. 95 Die Samtgemeinden sind nach allem Gemeindeverbände mit Dienstherrenfähigkeit (§ 71 Abs. 3 S. 1 NGO).96 Sie sind nicht als "Gemeinden" im verfassungsrechtlichen Sinne des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG bzw. Art. 57 Abs. 1 NVeinzuordnen, sondern als "Gemeindeverbände" i. S. d. Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG und "sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaften i. S. d. Art. 57 Abs. 1 NY.
(5) Finanzverteilung der Orts- und Samtgemeinde
Dieser Einschätzung am Maßstab der bundesverfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie entspricht der von v. Hoerner selbst gegebene Hinweis, daß die Samtgemeinde nicht die "eigentliche" Steuerhoheit besitze, sondern auf die Samtgemeindeumlage und die Schlüsselzuweisungen des kommunalen Finanzausgleichs angewiesen ist. Die Mitgliedsgemeinden hingegen seien bei der Festsetzung der Grund- und Gewerbesteuerhebesätze und bei der Entscheidung über die Erhebung weiterer Gemeindesteuern (gegenüber der Samtgemeinde) autonom. Im Finanzverbund mit der Samtgemeinde seien sie allerdings verpflichtet, insgesamt für eine ausreichende Finanzbasis auch im Hinblick auf die Samtgemeindeumlage (und nicht zuletzt auch für die Kreisumlage) zu sorgen. 97
94 Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Auf). 1999, Rdnr.153 rn. w. Nachw. 95 Vgl. BVerfGE 79, 127 (148/149). 96 So auch Gern, Deutsches Kornrnunalrecht, 2. Auf). 1997, Rdnr. 959. 97 H.-H. v. Hoerner; Die Neue Verwaltung 1998, 14 (16).
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B. Untersuchung
Die Steuerhoheit der Mitgliedsgemeinden ist demnach prinzipiell umfassend gewährleistet; die Mitgliedsgemeinden stellen die (finanz-) verfassungsrechtlichen Gemeinden i. S. der Art. 105, 106 GG dar. Die Samtgemeinde hat keine Steuererhebungskompetenz. Ihre Finanzierung erfolgt insoweit (nur) im Umlageverfahren. 98 Hinsichtlich der Finanzverteilung zwischen Samtgemeinde und Mitgliedsgemeinde ergibt sich das folgende Bild: Nur die Veranlagung und Erhebung von Abgaben, nicht aber die grundgesetzlieh durch Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG geschützte Abgaben- und Finanzhoheit liegt bei der niedersächsischen Samtgemeinde. 99 Die Samtgemeinde ist lediglich zur Erhebung von Gebühren und Beiträgen berechtigt (§ 76 Abs. 1 NGO).IOO Die aus der Erledigung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises erzielten Einnahmen fließen den Samtgemeinden zu (vgl. § 5 Abs. 4 i. V. m. § 72 Abs. 2 NGO). Wenn und soweit die sonstigen Einnahmen nicht ausreichen, erfolgt eine Abschöpfung des (mitglieds-)gemeindlichen Steueraufkommens über die der Kreisumlage entsprechende Samtgemeindeumlage lOI (§ 76 Abs. 2 NGO, § 18 FAG Nds). Hierbei ist die Selbstverwaltungs- und Finanz(ausstattungs)garantie der Mitgliedsgemeinden zu beachten; die verfassungsrechtlich gewährleistete Finanzausstattung der Mitgliedsgemeinden darf nicht ausgehöhlt werden. 102 Die sonstigen Einnahmen der Samtgemeinden in Form 98 Zutreffend v. Hoerner, Die Neue Verwaltung 1998, 14 (15). Die Konzeption der Umlagefinanzierung wird insoweit faktisch durchbrochen, als den Samtgemeinden das Recht zusteht, die erforderliche Eigenfinanzierung vorab, bei der Verteilung bzw. Weitergabe der Schlüsselzuweisungen auf ihre Mitgliedsgemeinden sicherzustellen. Siehe dazu unten § 6 Abs. 2 FAG Nds 1995, S. 43. 99 Zutreffend OVG Lüneburg, OVGE 34,399 (403). 100 Die (Finanz-)Zuständigkeitsverteilung zwischen Mitgliedsgemeinden und Samtgemeinde läßt sich im Detail weiter aufschlüsseln wie folgt: Während alle Maßnahmen vor Veranlagung und Erhebung der Abgaben in der Zuständigkeit der Mitgliedsgemeinden liegen, ist das Veranlagungs- und Erhebungsverfahren selbst der Samtgemeinde übertragen. Sie erläßt die Heranziehungsbescheide, betreibt die Einziehung und ist bei Klagen passivlegitimiert. Der Samtgemeindeausschuß entscheidet über Widersprüche. Die Mitgliedsgemeinde bleibt indessen Inaberin der Abgabenforderung, so daß sie jene Verfügungen trifft (z. B. Stundung), für deren Ausführung die Samtgemeinde zuständig ist. Siehe hierzu Rspr.- Nachweise bei Thiele, Niedersächsische Gemeindeordnung, Kommentar, 3. Aufl., 1992, § 72, Rdnr. 5. 101 Dabei kann die Hauptsatzung bestimmen, daß die Umlage je zur Hälfte nach der Einwohnerzahl der Mitgliedsgemeinden nach den Bemessungsgrundlagen der Kreisumlage festgesetzt wird (vgl. § 77 NGO). Siehe ferner zur Samtgemeindeumlage Bogner, in: Püttner (Hrsg.), HKWP, Bd. 1,2. Aufl. 1981, S. 316 (334/335), Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2. Aufl. 1997, Rdnr. 959. Die Samtgemeindeumlage tritt neben die allerorts übliche Gewerbesteuerumlage (für den Bund), die Einheitsumlage (für das Land) und die Kreisumlage zur Finanzierung der Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben der Landkreise. 102 Zutreffend K.-D. Kirchhoffl Porwol, in: Thieme (Hrsg.), Niedersächsische Gemeindeordnung, Kommentar, 3. Aufl. 1997, § 76, Rdnr. Im. w. Nachw.: "Auch wenn bei der Bemessung der Samtgemeindeumlage auf die Vorschriften über die Kreisumlage Bezug genommen wird, müssen die Ermessensgrenzen bei der Festlegung des Hebesatzes enger gezogen werden als die eines Landkreises bei der Festlegung der Kreisumlage (hierzu OVG Lüneburg, DÖV 1986, S. 1020), da die Samtgemeinden einen in der Hauptsatzung konkret festgelegten
I. Ausgangslage und Rechtsvergleich
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von Schlüsselzuweisungen ergeben sich aus § 6 FAG Nds 1995. 103 Diese Vorschrift hat den folgenden Wortlaut: ,,(1) Für den Bereich einer Samtgemeinde werden die Schlüsselzuweisungen an die Samtgemeinde gezahlt, die insoweit als Gemeinde gilt [!]. Steuerkraftmeßzahl ist die Summe
der Steuerkraftmeßzahlen der Mitgliedsgemeinden. Für die Berechnung des Bevölkerungsansatzes gilt § 5 mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Einwohnerzahl die Summe der Einwohnerzahlen der Mitgliedsgemeinden tritt und für den Gemeindegrößenansatz die Gesamteinwohnerzahl im Samtgemeindegebiet maßgebend ist. (2) Die Samtgemeinde ist im Rahmen ihrer Leistungsfahigkeit verpflichtet, mit den Schlüsselzuweisungen die Finanzkraft ihrer Mitgliedsgemeinden so auszugleichen, daß diese bei angemessener Ausschöpfung ihrer Einnahmequellen ihre Aufgaben erfüllen können. Für den Ausgleich kann auch die die Ausgangsmeßzahl überschreitende Steuerkraft von Mitgliedsgemeinden in Anspruch genommen werden, soweit sie nicht durch Umlagen erfaßt wird."I04
Daraus soll sich nach K.-D. KirchhofflSt. Porwol keine rechtliche Verpflichtung einer Samtgemeinde zur vollständigen Weitergabe der Schlüsselzuweisungen an die Mitgliedsgemeinden ergeben. Es bleibe der Finanzautonomie der Samtgemeinde vorbehalten, ob sie einen Teil der Schlüsselzuweisungen selbst schlüsselmäßig weiterleitet und! oder mit Zweckzuweisungen die Mitgliedsgemeinden unterstützt. 105 Die Samtgemeinde müsse - im Rahmen der eigenen Leistungsfähigkeit und unter Vorrang ihres eigenen Bedarfs - die Finanzkraft ihrer Mitgliedsgemeinden so ausgleichen, daß diese ihre Aufgaben erledigen können. 106 Mit Blick auf die bundes- und landesverfassungsrechtlich in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG und Art. 57 Abs. 4, 58 NV geregelte Finanzausstattungsgarantie der verfassungsrechtlichen Orts- bzw. Mitgliedsgemeinden erscheint dieses Zuweisungssystem nicht unproblematisch. Jedenfalls kann die Samtgemeinde für Aufgaben, die sie nach § 72 NGO für ihre Mitgliedsgemeinden wahrnimmt, keine zusätzlichen Abgaben erheAufgabenkatalog haben und ihnen nicht die in §§ 2,3 NLO festgelegten Kreisaufgaben (Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion sowie eigene freiwillige Aufgaben) obliegen." Zum Anspruch der Gemeinden auf eine finanzielle Mindestausstattung siehe Nierhaus I Gebhardt, Zur Ausfallhaftung des Staates für zahlungsunfahige Kommunen, 1999, S. 46 ff. m. umfangr. Nachw. 103 Nds. GVBI. S. 64. 104 Im Finanzausgleichsgesetz des Bundes finden die niedersächsischen Samtgemeinden und die rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinden in § 9 Abs. 4 BFAG Erwähnung. Dort werden die Samt- bzw. Verbandsgemeinden den Einheitsgemeinden (nur) in bezug auf die Einwohnergewichtung im Länderfinanzausgleich gleichgestellt. Mit der Einbeziehung dieser Kommunalverbände in die Einwohnerwertung nach § 9 Abs. 3 BFAG erhöht sich der Veredelungsfaktor dieser Länder, was ebenso wie die praktizierten Bedarfskriterien seit langem verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. Siehe zur Problematik der praktizierten Bedarfskriterien BVerfGE 86,148 (233/234) und jüngst VerfG Bbg, Urt. v. 16.9. 1999, UA, S. 33 ff. 105 K.-D. KirchhofflSt. Porwol, in: Thieme (Hrsg.), Niedersächsische Gemeindeordnung, Kommentar, 3. Auf!. 1997, § 76, Rdnr. 2. 106 Weißhaar; Kommunalrecht Niedersachsen, 4. Auf!., 1993, S. 287; SchwirzkelSandfuchs, Allgemeines Niedersächsisches Kommunalrecht, 14. Auf!., 1996, S. 169.
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B. Untersuchung
ben. Insbesondere die gesetzliche Verpflichtung der Samtgemeinde zur Unterstützung ihrer Mitgliedsgemeinden nach § 72 Abs. 4 NGO hat (bei gleichmäßiger Erfüllung allen Mitgliedsgemeinden gegenüber) ,,kostenlos" zu erfolgen. 107 Lediglich bei der Wahrnehmung besonderer Aufgaben für einzelne Mitgliedsgemeinden kann in die hierfür erforderliche Vereinbarung auch eine gesonderte Kostenregelung aufgenommen werden. Anliegerbeiträge dürfen die Samtgemeinden nur erheben, wenn sie auch Träger der Straßenbaulast sind bzw. ihnen der Bau der jeweiligen Straße obliegt. 108 Die Zuständigkeit der Samtgemeinde zur Aufgabenerfüllung fungiert demnach als Bedingung für die Beitragserhebungsbefugnis, ähnlich wie es für die Kreisumlagebefugnis im Hinblick auf die von den Kreisen wahrgenommenen Ergänzungsaufgaben durch die einschlägigen kommunalrechtlichen Regelungen "normativ" geschieht. 109 An Zuweisungen für kommunale Investitionen zur Verbesserung der kommunalen Infrastruktur oder des Umweltschutzes werden die Samtgemeinden durch den Landkreis angemessen beteiligt (§ 15 Abs. 3 FAG Nds). Zieht der Landkreis die Samtgemeinden zur Durchführung der Sozialhilfe nach § 4 AGBSHG heran, muß er ihnen die dadurch entstandenen Aufwendungen erstatten (§ 19 Abs. 1 FAG Nds)."o Thiele, Niedersächsische Gemeindeordnung, Kommentar, 3. Aufl., 1992, § 72, Rdnr. 4. Vgl. OVG Lüneburg, OVGE 34, 399 (403/404: "Diese zwischen den Mitgliedsgemeinden und der Samtgemeinde aufgeteilte Zuständigkeit in Abgabensachen ergibt sich aus dem Wortlaut und Sinn des § 72 Abs. 5 Satz 1 NGO. Nach ihnen ist nämlich nicht die grundgesetzlich geschützte [28 Abs. 2 GGl Abgaben- und Finanzhoheit der Mitgliedsgemeinden [§ 3 NGOl, sondern nur die Veranlagung und Erhebung der Abgaben auf die Samtgemeinde übergegangen. Die Mitgliedsgemeinden haben also z. B. beim Straßen- und Wegebau - soweit sie von der weitergehenden Übertragungsmöglichkeit gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO keinen Gebrauch machen - die erforderlichen Erschließungs- und Ausbaubeitragssatzungen zu erlassen. Sie haben ferner darüber zu beschließen, welche Straßen, wann und wie gebaut oder ausgebaut werden. Sie haben den Bau ins Werk zu setzen und gegebenenfalls seinen Abschluß festzustellen. Sie können auch die Samtgemeinde generell oder im konkreten Fall anweisen, wie die Anlieger oder einer der Anlieger [z. B. als Härtefall im Sinne des § 135 Abs. 2 bis 5 BbauGl heranzuziehen sind. Wenn alle diese materiellen Regelungen getroffen sind und insbesondere die Kosten der Baumaßnahme feststehen, so tritt für das Veranlagungsund Erhebungsverfahren der Beiträge nunmehr die uneingeschränkte Zuständigkeit der Samtgemeinde ein. Die Samtgemeinde erläßt die Heranziehungsbescheide, entscheidet durch den Samtgemeindeausschuß über eventuelle Widersprüche, betreibt die Einziehung und ist bei Klagen passivlegitimiert. Schließlich führt die Samtgemeinde die Einnahmen an die Mitgliedsgemeinde ab, für die sie sie nach § 72 Abs. 5 NGO erhoben hat. Die Auslegung der Vorschrift des § 72 Abs. 5 NGO beachtet auch die den Mitgliedsgemeinden durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierte Selbstverwaltung. Denn der Wesenskem des Selbstverwaltungsrechts wird so nicht angetastet. Er bleibt in den nach wie vor dem Rat der Mitgliedsgemeinde vorbehaltenen Beschlüssen mit materiellem Regelungsinhalt sowie ihrer Abgaben- und Finanzhoheit auch dann gewahrt, wenn die Ausführung der grundlegenden Entscheidung den Organen der Samtgemeinde obliegt. ") 109 Zur Kreisumlagebefugnis siehe Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdnr. 70 b m. w. Nachw. 107
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11. Strukturreform der gemeindlichen Selbstverwaltung in Brandenburg
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11. Eckpunkte der Strukturreform der gemeindlichen Selbstverwaltung in Brandenburg (Abschlußbericht der Enquetekommission des Brandenburgischen Landtages) 1. Ausgangslage Die Entquetekommission des Brandenburgischen Landtages hält in ihrem Abschlußbericht eine flächendeckende Gemeindegebietsreform, die den Zuschnitt der amtsangehörigen Gemeinden bzw. Ortsgemeinden durch eine gesetzliche Zusammenlegung oder Auflösung zu neuen amtsfreien Gemeinden verändert, für unangemessen, das Modell einer brandenburgischen Amtsgemeinde hingegen gemessen an den spezifischen Bedingungen des Landes Brandenburg für geeignet. 1ll Dabei geht die Enquetekommission von der Einschätzung aus, daß wesentliche Ziele der Amtsordnung erreicht worden sind. Insbesondere sei es zu einer Konzentration der Verwaltung gekommen, mit der eine merkliche Stellenreduzierung einherging. In den Jahren 1993 bis 1996 wurden in den Ämtern (mit den amtsangehörigen Gemeinden) 7791 Stellen, d. h. 28, 1 v. H. abgebaut. Auf diese Weise seien überschaubare Verwaltungsstrukturen geschaffen worden, die der Siedlungsstruktur des Landes mit ihrer geringen Einwohnerdichte und ländlichen Prägung entsprächen. Eine deutliche Mehrheit der von der Enquetekommission befragten Bürgermeister habe sich dementsprechend mit der Umsetzung der Beschlüsse ihrer Gemeindevertretungen durch das Amt zufrieden gezeigt. Vor dem Hintergrund sich verschlechternder wirtschaftlicher und sozialer Rahmenbedingungen und der anhaltenden Finanznot in den öffentlichen Haushalten seien aber in den letzten Jahren Grenzen des gegenwärtigen Amtsmodells deutlich geworden. Teilweise wurzelten die aufgetretenen Probleme in der Eigenart des Transformationsprozesses der ostdeutschen Gesellschaft, teilweise lägen sie aber auch im Amtsmodell selbst begründet. 112 Die geringe Verwaltungskraft der kleinen Gemeinden habe zu einer Überführung von Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinden auf Zweckverbände und auch auf das Amt geführt. Vielfach würden Selbstverwaltungsaufgaben, darunter auch typische Aufgaben aus dem Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung, überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Öffentliche Einrichtungen könnten mitunter nicht mehr in einem den Bedürfnissen der Bürger entsprechenden Standard errichtet und unterhalten werden. Die Befragung der Amtsdirektoren und Bürgermeister habe verdeutlicht, daß künftig z. B. vor allem die Kinderbetreuung, die Trägerschaft von Schulen, die Straßenunterhaltung und -reinigung sowie die Förderung llO III 112
Weißhaar; Kommunalrecht Niedersachsen, 4. Aufl., 1993, S. 287. Abschlußbericht der Enquetkommission, S. I. Ebda., S. 14.
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B. Untersuchung
des privaten und genossenschaftlichen Bauens nicht mehr erledigt werden könnten. Ursächlich dafür seien vorwiegend finanzielle Schwierigkeiten der Gemeinden. Es seien aber auch die Überregulierung und überbordende Bürokratie beklagt worden, die die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker überforderten. Die dauerhafte Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf das Amt in dem vom Abschlußbericht der Enquetekommission zugrundegelegten Umfange stoße wegen der Rechtsstellung der Ämter als "Bundkörperschaften" auf verfassungsrechtliche Grenzen. Zum einen fehle es dem Amt an der erforderlichen demokratischen Legitimation, zum anderen müsse den Gemeinden die eigenverantwortliche und selbständige Gestaltung der örtlichen Angelegenheiten von Verfassungs wegen zugesichert sein. Das setze einen Mindestbestand von freiwilligen Aufgaben voraus, die bei den Gemeinden verbleiben müßten. Als Bundkörperschaften seien die Ämter grundsätzlich nicht Empfänger von Zuwendungen des Landes aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz, obwohl ihnen durch Gesetz Pflichtaufgaben wie z. B. der Brandschutz übertragen wurden. Die Ämter seien auch nicht berechtigt, Anträge auf Fördermittel zu stellen. Schließlich entstünden auch Probleme des Rechtsschutzes gegenüber Eingriffen in die Selbstverwaltungsgarantie. 113 Infolge der Aufgabenübertragung von den Gemeinden auf Zweckverbände sowie auf das Amt und der angespannten Finanzsituation werde der tatsächliche Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Gemeinden immer geringer. Die Bereitschaft zur Übernahme kommunaler Ehrenämter oder zu sonstigem ehrenamtlichen Engagement könne nicht in dem erforderlichen Maße gesichert und erweitert werden. Mithin hätten z. B. die befragten Amtsdirektoren die fehlenden Entscheidungsmöglichkeiten als den häufigsten Grund für mangelndes ehrenamtliches Engagement genannt. Das habe sich in den vergangenen Jahren auch in dem hohen Anteil nichtbesetzter Gemeindevertretungsmandate niedergeschlagen, was in der vergangenen Wahlperiode in immerhin 23 Gemeinden zur Bestellung eines Beauftragten nach § 128 Abs. I Nr. 2 GO geführt habe. 114 Ein typisches Merkmal des Amtes sei die Trennung von Entscheidungsmacht und Aufgabendurchführung. Die Überwindung dieser Trennung erfordere, daß der Amtsausschuß ein stärkeres Maß an politischer Verantwortung wahrnehmen müsse. Dieser Anforderung werde er jedoch nicht gerecht, denn in seiner Rolle als politisches Gremium werde er ohne einwohneradäquate Zusammensetzung und direkte demokratische Legitimation vor allem von den größeren Gemeinden im Amt nicht akzeptiert. Das könne zu Entscheidungsblockaden führen. Als Ergebnis dieser Entwicklung seien doppelte und teure Verwaltungsstrukturen entstanden, die die Kontroll- und Steuerungsaufgaben der Gemeindevertretungen zusätzlich erschwerten. Das zeige sich insbesondere in einer zunehmenden Zahl von Zweckverbänden, die Selbstverwaltungsaufgaben für die Gemeinden wahrnähmen. 113 114
Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 15. Ebda., S. 15/16.
11. Strukturrefonn der gemeindlichen Selbstverwaltung in Brandenburg
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Die Zersplitterung von Aufgabendurchführung und politischer Verantwortung führe auch zu Problemen hinsichtlich der Kompetenzabgrenzung zwischen dem Amtsdirektor und den ehrenamtlichen Bürgermeistern sowie zwischen dem Amtsausschuß und den Gemeindevertretungen. So hätten in der Befragung die Mehrheit der Amtsdirektoren, die mit ihrer Stellung als Amtsdirektoren unzufrieden gewesen seien, als Grund dafür keine klaren oder zu wenig Kompetenzen angegeben. Als problematisch habe sich zudem erwiesen, daß das gegenwärtige AmtsmodelI nur ungenügend geeignet sei, in Konfliktsituationen einen Ausgleich zwischen Teilinteressen und Gemeinwohlinteressen zu erreichen. Dies werde besonders anschaulich im Bereich der Bauleitplanung. Neben der überhöhten Einschätzung von Entwicklungspotentialen zu Beginn der neunziger Jahre und auch aufgrund der späten Einsetzung der überörtlichen Steuerungsinstrumente hätten gemeindliche Egoismen zu gravierenden Fehlentwicklungen im wirtschaftlichen und gewerblichen Bereich geführt; eine Bündelung von Investitionsmitteln sei nur unzureichend erfolgt. 115 Die von der Enquete-Kommission des Brandenburgischen Landtags angestrebte Strukturreform der gemeindlichen Selbstverwaltung soll zusammenfassend nach Maßgabe des Abschlußberichtes l16 den folgenden Zielsetzungen dienen: - Sicherung eines hohen Maßes an demokratischer Mitwirkung, - Verbindung der unterschiedlichen Vorzüge von ehrenamtlichem Engagement und hauptamtlicher Verwaltung, - Erhalt der Identität durch Sicherung des örtlichen kulturellen Lebens und der sozialen Beziehungen, Integration der Einwohner in die örtliche Gemeinschaft, - Herstellung dauerhafter Leistungsfähigkeit der Gemeinden, d. h. tatsächliche, nicht nur fonnaldemokratische Verantwortlichkeit der Gemeinden für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, - Fähigkeit zur Trägerschaft von öffentlichen Einrichtungen der Daseinsvorsorge, - Flexibilität der Gemeindestrukturen in bezug auf die demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Erfordernisse, - Ausgleich zwischen Gesamtinteressen und Teilinteressen, - Bündelung finanzieller, sächlicher und personeller Ressourcen, - Vereinfachung und Straffung der Verwaltungsorganisation, damit klare Kompetenzabgrenzungen.
Als Vorteile des neuen Amtsgemeindemodells, die den eher geringer zu gewichtenden Nachteilen gegenüberstünden, könnten angesehen werden: - Erhalt der politischen Selbständigkeit der Ortsgemeinden innerhalb der Amtsgemeinden und damit eines hohen Maßes an Akzeptanz für die beabsichtigten Refonnmaßnabmen, - Erhalt der örtlichen Identität und der Integrationswirkung der kleinen Gemeinden, 115 116
Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 17. Ebda., S. 29 ff.
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B. Untersuchung - Sicherung vielfältiger demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gestaltung des örtlichen Lebens sowohl in den Orts gemeinden als auch in der Amtsgemeinde, - Entlastung der Ortsgemeinden von kostenintensiven Aufgaben, - Möglichkeit der ortsnahen Entscheidung durch eine direkt gewählte Vertretung in den Ortsgemeinden und in der Amtsgemeinde, - Schaffung transparenter und effizienter Verwaltungsstrukturen für ortsgemeindeübergreifende Aufgaben durch die Zusammenführung von Entscheidungs- und Vollzugskompetenz, - Stärkung der Amtsgemeinde gegenüber Land und Kreis, womit eine weitere Aufgabenverlagerung nach unten möglich wird, - Effiziente Nutzung der auf Amtsgemeindeebene gebündelten Finanzzuweisungen, - Erleichterung von Modernisierungsprozessen, - Einheitliche Standortplanung und Entwicklung, insbesondere von Gemeinschaftsprojekten über die Partikularinteressen einzelner Ortsgemeinden hinaus.
Diesen Vorteilen stünden als Probleme gegenüber: - Die neue Amtsgemeinde habe wie das bisherige Amt mehrere Beschlußkörperschaften, woraus sich ein Zwang zur Koordinierung ihrer Entscheidungen ergebe. Daraus könnten, wenn auch in geringerem Maße als beim Amt, Reibungsverluste und Konflikte entstehen, die die Entscheidungsprozesse behindern. - Die Finanzzuweisungen müßten zwischen Amtsgemeinde und Ortsgemeinde neu aufgeteilt werden, was zu neuen Auseinandersetzungen bei der Finanzverteilung führen könne.
Infolge der differenzierten Zuständigkeiten im an sich einheitlichen Komplex örtlich radizierter Aufgaben kann die Abgrenzung von ortsgemeindebezogenen und ortsgemeindeübergreifenden Angelegenheiten nach Auffassung der Mitglieder der Enquetekommission zu einem Feld neuer Diskussionen und Auseinandersetzungen werden.
2. Reformansatz der Enquetekommission und Aufgabenverteilung zwischen Orts- und Amtsgemeinden Der Abschlußbericht trifft die folgenden wesentlichen Grundaussagen: Die Ämter sollen zu Amtsgemeinden, d. h. zu Gebietskörperschaften mit wichtigen ortsgemeindeübergreifenden Gemeindeaufgaben entwickelt werden, und zugleich soll die rechtliche Selbstständigkeit der amtsangehörigen Gemeinden als Ortsgemeinden in diesen Gemeinden erhalten werden. Diese neuen Amtsgemeinden sollen die verfassungsrechtliche Gewährleistung und den verfassungsrechtlichen Schutz der gemeindlichen Selbstverwaltung haben. 117 117
Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 2.
11. Strukturrefonn der gemeindlichen Selbstverwaltung in Brandenburg
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"Die bestehenden Ämter und ihre Gemeinden sollen - gegebenenfalls mit weiteren Gemeinden - zu Gebietskörperschaften mit wichtigen ortsgemeindeübergreifenden Selbstverwaltungsaufgaben entwickelt werden. Die so gebildete Amtsgemeinde nimmt ohne Einschränkung an der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Kernbestandes gemeindlicher Selbstverwaltung teil. Die amts angehörigen Gemeinden sollen als rechtlich selbständige Körperschaften in den Amtsgemeinden als Ortsgemeinden erhalten werden." 118 "Sowohl die Amtsgemeinde als auch ihre Ortsgemeinden sollen über ihr Vennögen und ihre Einnahmen sowie Ausgaben im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung entscheiden; sowohl die Amtsgemeinde als auch ihre Ortsgemeinden sollen Finanzhoheit besitzen ......119 "Sowohl auf der Ebene der Ortsgemeinden als auch auf der Ebene der Amtsgemeinde soll es demnach von den Bürgern direkt gewählte und damit demokratisch legitimierte Vertretungen geben. Neben den in die Amtsgemeindevertretung gewählten Vertretern vertreten die ehrenamtlichen Bürgenneister der Ortsgemeinden (Ortsbürgenneister) die Interessen ihrer Orts gemeinden in der Amtsgemeindevertretung. Mit Rede- und Antragsrecht, aber ohne Stimmrecht, können sie an den Sitzungen der Amtsgemeindevertretung teilnehmen, falls sie nicht selbst in die Amtsgemeindevertretung gewählt wurden. Die brandenburgische Amtsgemeinde soll sich nach den Vorstellungen der Enquetekommission in das bestehende System der brandenburgischen Gemeindeordnung einpassen. ,,120
Der Konzeption der brandenburgischen Amtsgemeinde durch die Mitglieder der Enquetekommission liegt die Vorstellung und der politische Gestaltungswille zugrunde, die verfassungsrechtliche Gemeindequalität im Sinne des Art. 97 Verf Bbg (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) auf Amtsgemeinde und Ortsgemeinde zu verteilen, auch wenn dies im Berichtstext nicht so deutlich formuliert ist: Nur [?] diese neue Amtsgemeinde soll die verfassungsrechtliche Gewährleistung und den verfassungsrechtlichen Schutz der gemeindlichen Selbstverwaltung haben. '21 Die so gebildete Amtsgemeinde nimmt ohne Einschränkung an der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Kernbestandes gemeindlicher Selbstverwaltung teil 122 [ohne Einschränkung durch das Selbstverwaltungsrecht der Ortsgemeinden?]. Im Ausschußprotokoll 2/1188 S. 8, Schreiben von Prof. Dr. Püttner vom 19. 3. 1999, heißt es dazu: "Diese Aufteilung der Gemeindeebene in zwei Stufen mit Gemeindequalität ist mit Art. 28 GG vereinbar, wie hinsichtlich der Verbandsgemeinde in Rheinland-Pfalz und der Samtgemeinde in Niedersachsen allgemein anerkannt ist." Dem Abschlußbericht zufolge sollen die Ortsgemeinden grundsätzlich alle Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft wahrnehmen, soweit sie nicht der Amtsgemeinde übertragen sind, insbesondere 118 119 120 121 122
Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 31. Ebda., S. 4. Ebda., S. 31. Ebda., S. 2. Ebda.,S.31
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B. Untersuchung
- die Aufstellung von Bebauungsplänen, - Satzungen und Entscheidungen nach dem Baugesetzbuch mit Ausnahme des Flächennutzungsplanes, - Gestaltung des Ortsbildes, - Friedhöfe, - Bau und Unterhalt der Ortsstraßen, - Benennung öffentlicher Straßen, Wege, Plätze und Einrichtungen, einschließlich Hausnummerierung, - Wohnumfeldverbesserungen, - Trägerschaft der örtlichen sozialen, kulturellen und sportlichen Einrichtungen, - ortsgemeindebezogene Entwicklung der Freizeit- und Erholungsbedingungen.
Die Amtsgemeinde erfüllt grundsätzlich die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung, Auftragsangelegenheiten sowie alle ihr zugewiesenen ortsgemeindeübergreifenden Selbstverwaltungsangelegenheiten. Daneben nimmt sie die Aufgaben des jetzigen Amtes als Verwaltung der amtsangehörigen Gemeinden wahr. So ist die Amtsgemeinde für die Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse der Ortsgemeindevertretungen sowie für die laufende Verwaltung verantwortlich. Eine gemeindliche Selbstverwaltungsaufgabe soll den Amtsgemeinden gesetzlich übertragen werden, wenn sie ortsgemeindeübergreifenden Charakter hat, dafür das Gemeinwohlinteresse überwiegt, insbesondere weil anders eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht mehr sicherzustellen ist, und ein Belassen der Aufgabe bei den Ortsgemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde. Ausgehend von diesen Kriterien empfiehlt die Enquetekommission die Zuweisung folgender Selbstverwaltungsaufgaben an die Amtsgemeinden: - Aufgaben mit Anschluß- und Benutzungszwang (z. B. Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung), - die Flächennutzungsplanung unter Beteiligung der Ortsgemeinden, - Bau und Unterhalt der Ortsverbindungsstraßen, - die Trägerschaft für ortsgemeindeübergreifende öffentliche Einrichtungen (z. B. Kindertagesstätten, Schulen, kulturelle Einrichtungen und Sportstätten sowie Bestattungseinrichtungen), - die ortsgemeindeübergreifende Förderung von Wirtschaft, Gewerbe und Fremdenverkehr.
Die gesetzliche Zuweisung von Selbstverwaltungsaufgaben an die Amtsgemeinde soll durch Übernahme- und Rückholklauseln ergänzt werden, um flexibel auf die sich verändernden Bedingungen und die örtlichen Gegebenheiten reagieren zu können: - Bei dringendem öffentlichen Interesse kann die Amtsgemeinde mit einer qualifizierten Mehrheit der Amtsgemeindevertretung und Zustimmung von zwei Dritteln der Ortsgemeinden eine Aufgabe oder Einrichtung an sich ziehen.
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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- Wurde die Aufgabe oder Einrichtung bisher nur von einer oder einzelnen Ortsgemeinden wahrgenommen oder betrieben, so kann sie gegen deren Widerspruch nur aus überwiegendem öffentlichen Interesse von der Amtsgemeinde übernommen werden. - Einzelne Ortsgemeinden können der Amtsgemeinde außerdem freiwillig weitere Aufgaben oder Einrichtungen übertragen, wenn sie zur Erfüllung der Aufgabe oder der Trägerschaft der Einrichtung künftig nicht mehr in der Lage sind und die Amtsgemeindevertretung zustimmt. - Insbesondere aus Gründen gestiegener Leistungskraft kann eine Ortsgemeinde eine von der Amtsgemeinde wahrgenommene Aufgabe oder von ihr betriebene Einrichtung, mit Ausnahme der durch Gesetz übertragenen Aufgaben oder Einrichtungen, zurückfordern. Die Entscheidung darüber trifft die Amtsgemeindevertretung unter Berücksichtigung der Interessen aller Ortsgemeinden.
Auch eine ergänzende Aufgabenwahrnehmung durch die Amtsgemeinde und die Ortsgemeinden ist neben der gesetzlichen Aufgabenverteilung in Einzelfällen vorstellbar. So kann eine Ortsgemeinde im Bereich der freiwilligen Aufgaben nach wie vor z. B. ein eigenes Heimatmuseum unterhalten.,,123 Die Enquetekommission nimmt auch zur Frage der Finanzausstattung von Amtsund Ortsgemeinde Stellung: Dem Prinzip der Deckungsgleichheit von Aufgabenund Finanzverantwortung soll auch im Verhältnis von Amtsgemeinde und Ortsgemeinde durch aufgabenadäquate Einnahmemöglichkeiten und ergänzende Finanzzuweisungen Rechnung getragen werden (dazu im einzelnen unten B. III. 3. 0.
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten des Abschlußberichtes der Enquetekommission des Brandenburgischen Landtages 1. Ausgangsanalyse
Die Enquete-Kommission hat sich bei ihren Bemühungen um eine "qualitative Fortentwicklung,,124 der Ämterverfassung zu einer durch Amtsgemeinden geprägten Kommunalstruktur durch Erfahrungen und Erkenntnisse leiten lassen, die in den letzten Jahrzehnten insbesondere in den Ländern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen in Praxis und Wissenschaft gemacht bzw. erzielt wurden. 125 In den einschlägigen Entscheidungen zur rheinland-pfälzischen Verbands gemeinde und zur niedersächsischen Samtgemeinde hat das Bundesverwaltungsgericht entweder eine Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 32 ff. Ebda., S. 2, 28, 45: "Die brandenburgische Amtsgemeinde als qualitative Weiterentwicklung des Amtes". 125 Vgl. nur die Auflistung der schriftlichen Gutachten, Berichte und sonstigen Materialien, Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 60 ff. 123
124
4 Nierhaus/Gebhardt
B. Untersuchung
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eindeutige rechtliche Qualifizierung dieser besonderen kommunalen Organisationsformen offengelassen oder aber Samt- und Verbandsgemeinde als Gemeindeverbände im verfassungsrechtlichen Sinne eingestuft. Dementsprechend erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber durch Novellierung der Kommunalverfassung einen Gemeindeverband mit ähnlichen Kompetenzen unter der Bezeichnung "Amtsgemeinde" schaffen kann. Die Ausgangsanalyse des Abschlußberichts der Enquetekommission läßt indessen die Schlußfolgerung zu, daß der politische Wille eher darauf gerichtet zu sein scheint, keinen Gemeindeverband, sondern einen neuen Gemeindetypus, die Amtsgemeinde, mit den verfassungsrechtlichen Garantien und dem verfassungsrechtlichen Status der gemeindlichen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 97 Abs. 1 und 2 Verf Bbg an die Stelle der bisherigen Bundkörperschaft "Amt" zu setzen: 126 Der Amtsgemeinde wird die uneingeschränkte Teilhabe an der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Kernbestandes (!) gemeindlicher Selbstverwaltung zugesprochen. 127 Sie soll, gleichberechtigt neben der Ortsgemeinde, die Finanzhoheit besitzen. 128 Die amtsangehörigen Gemeinden sollen als rechtlich selbständige Körperschaften in den Amtsgemeinden als Ortsgemeinden erhalten bleiben. 129 Damit ist nicht lediglich gemeint, daß auch die Ortsgemeinden künftig als bloße Ortsteile von Einheitsgemeinden über einen gewissen Grad an Selbständigkeit verfügen; vielmehr sollen auch die Ortsgemeinden weiterhin verfassungsrechtliche Gemeinden mit den entsprechenden bundes- und landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG und Art. 97 Abs. 1 und 2 Verf Bbg sein. Anderenfalls wäre nicht erklärbar, daß auch die Ortsgemeinden (neben den Amtsgemeinden) die Finanzhoheit besitzen sollen. 130 Die Amtsgemeinde soll sich ergänzend durch eine Umlage finanzieren, wo eigene Einnahmen den Finanzbedarf nicht decken. 131 Bei der Verteilung der gemeindlichen Aufgaben auf die Orts- und Amtsgemeinde 132 soll sowohl der Amtsgemeinde als auch der Ortsgemeinde die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung und die eigenverantwortliche finanzielle Gestaltung der Aufgabenwahrnehmung (Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG) gewährleistet sein. 133 Die Vertretungen bei der Gemeinden sollen unmittelbar demokratisch durch das teilidentische Wahlvolk legitimiert werden (Art. 28 Abs. I Satz 2 GG). Sowohl der Orts- als auch der Amtsbürgermeister soll unmittelbar durch die Bürger gewählt werden. 134 126 127 128 129 130 13l
132 133
Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 2. Ebda., S. 31. Ebda., S. 4. Ebda., S. 2, 31. Ebda., S. 4. Ebda., S. 36. Ebda., S. 2, 32. Ebdil., S. 4, 35.
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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2. Verfassungsrechtliche Grenzen für die Fortentwicklung kommunaler Organisationsstrukturen
Die Bundesverfassung hat die Institutionen Gemeinde und Gemeindeverband nicht selbst konstituiert oder definiert - Gleiches gilt für die Verfassungen der Länder 135 -, sondern die gewachsenen rechtlichen und politischen Einrichtungen aus der Vorkriegszeit zum Gegenstand und Anknüpfungspunkt ihrer Regelungen gemacht. In bezug auf die Gewährleistung gemeindlicher Selbstverwaltung wurden dem Parlamentarischen Rat vom Herrenchiemseer Konvent keine in der Sache neuen Vorschläge unterbreitet. 136 Dementsprechend gelangte der Parlamentarische Rat (durch Rezeption hergebrachter Vorstellungen) rasch zu den grundlegenden Formulierungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG, die später - sieht man von den Ergänzungen aus jüngster Zeit ab l37 - nur noch unwesentlich verändert wurden. 138 Es fehlt sowohl an einer (verfassungsrechtlichen) Legaldefinition als auch an einer bundesverfassungsgerichtlichen Hilfsformel für den Gemeindebegriff. Die Institution "Gemeinde" ist daher von Verfassungs wegen nur als Rechtsbegriff vorgegeben: In einer Formulierung aus dem Jahre 1964 ist die Gemeinde ein auf personaler Mitgliedschaft zu einem bestimmten abgegrenzten Gebiet mit einem oder mehreren Siedlungskernen beruhender Verband, der die Eigenschaft einer rechtsfähigen Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt. 139 Heute würde man ergänzen: Die Gemeinde ist ein rechtsfähiger Verband mit Gebietshoheit und Allzuständigkeit. Demgegenüber sind Gemeindeverbände Körperschaften kommunaler Art, die gebietlieh über den Ortsgemeinden stehen und deren Wirkungskreis nicht durch Zwecksetzung ad hoc (wie z. B. bei Zweckverbänden) begrenzt ist, oder, in der Sprache des § 3 Abs. 1 VO zur Durchführung des Grundsteuergesetzes, die innerhalb eines Landes neben den Gemeinden bestehenden Gebietskörperschaften. 140 Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 31. Vg\. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 1211 I,S.405. 136 Ebda. 137 Mit verfassungsänderndem Gesetz v. 27. 10. 1994 ist Art. 28 Abs. 2 um S. 3 Hs 1, durch Änderungsgesetz v. 4. 8. 1997 um S. 3 Hs 2 ergänzt worden: "Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden zustehende wirtschaftskraftbezogene und mit Hebesatzrecht ausgestattete Steuerquelle... Hs 1 geht auf Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zurück. Er war insbesondere im Hinblick auf das eigenständige System der Finanzverfassung, eine finanzielle Inpflichtnahme des Bundes und den zweigliedrigen Staatsaufbau (s. Art. 106 Abs. 9 GG) umstritten. Siehe im einzelnen Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdnrn. 67 ff. m. zahlr. Nachw. 138 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 405 m. w. Nachw. 139 Zutreffend Stern, Bonner Kommentar, Art. 28 (Zweitbearbeitung, 1964) Rdnr. 80. 140 Vg\. § 3 Abs. 1 VO zur Durchführung d. Grundsteuergesetzes i. d. Fassg. d. Bekanntmachg. v. 29.1. 1952 (BGB\. I, S. 79). 134 135
4"
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B. Untersuchung
a) Gesetzgebungszuständigkeit des Landesgesetzgebers
Nach den bundesstaatlichen Kompetenzverteilungsnormen des Grundgesetzes (Art. 30, 70 ff. GG) ist es Aufgabe des Landesgesetzgebers, die Kommunalverfassungsrechtsordnung des Bundeslandes zu normieren (ausschließliche Landesgesetzgebungszuständigkeit). Der Landtag ist in der Gestaltung des Kommunalverfassungsrechts einschließlich der qualitativen Fortentwicklung tradierter kommunaler Organisationsformen grundsätzlich frei (gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum und Organisationsgewalt des Landes), wenn und soweit er die verfassungsrechtlichen Grenzen insbesondere der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 97 Abs. 1 und 2 Verf Bbg beachtet. 141 Der Landesgesetzgeber kann allerdings auch das traditionelle, "fast idyllische Muster,,142 der Selbstverwaltung aufrecht erhalten und stärken, auch wenn wirkliche oder vorgebliche Anpassungszwänge die Konzeption einer anderen, zumeist effizienteren und bürgernäheren Kommunalstruktur nahelegen. Der Gesetzgeber hat bei der Entscheidung über die Grundstrukturen der Gemeinde einen nur durch die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des GG begrenzten Gestaltungsspielraum. In diesem Zusammenhang spricht das BVerfG davon, daß die Festlegung und Konturierung der Gemeindeverfassungstypen, wie etwa der Magistrats-, Bürgermeister-, süddeutschen oder norddeutschen Ratsverfassung (heute: Rat-Bürgermeister-Verfassung mit einer oder einer doppelten Spitze 143) ebenso wie die Einführung plebiszitärer Beteiligungsmöglichkeiten der Gemeindebürger der gesetzgeberischen Disposition offenstehen. 144
b) Kern-/ Randbereichsdogmatik der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
In Übereinstimmung mit dem Verfassungsgericht Brandenburg 145 ist die landesverfassungsrechtliche Selbstverwaltungsgarantie des Art. 97 Verf Bbg bundesverfassungskonform auszulegen, weil Art. 28 Abs. 2 GG eine nicht unterschreitbare Mindestgarantie enthält. Diese ist wesentlich geprägt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich das Verfassungsgericht Brandenburg in allen grundlegenden Fragen angeschlossen hat. Das Orts- und Amtsgemeindemodell der Enquetekommission ist folglich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben der
141 Vgl. BVerfGE 38, 258 (279). Roters, in: v. Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1983, Art. 28 Rdnr. 30 a. 143 Knemeyer, in: Büchner/Franzke (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1999, S. 34 142
(43 ff.). 144 BVerfGE 91, 228 (239) - Gleichstellungsbeauftragte Schieswig-Hoistein. 145 VerfG Bbg, OVBI. 1994, 875 f.
111. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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sog. institutionellen, begrenzt individuellen Selbstverwaltungsgarantie 146 nach Maßgabe der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu überprüfen. Danach setzt zunächst der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie dem Gesetzgeber eine unüberschreitbare Grenze: In keinem Fall darf der Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung angetastet werden. Sie darf nicht ausgehöhlt werden mit der Folge, daß den Gemeinden die Fähigkeit zu "kraftvoller Betätigung" genommen wird. Bei der Bestimmung des Kembereichs ist in besonderer Weise der geschichtlichen Entwicklung und den tradierten Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen. 147 Zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägem öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen ("Universalität" des gemeindlichen Wirkungskreises).148 Die herkömmlichen Begriffe "Allzuständigkeit" und "Universalität" stellen eine Umschreibung des Wortlautes "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG dar. 149 Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben,150 die also den Gemeindeeinwohnem gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen. l5l Der Begriff der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft legt dementsprechend das Betätigungsfeld der Bürger fest, das ihnen wegen der grundgesetzlich gewollten Teilnahme an der öffentlichen Verwaltung vor Ort zusteht. Abweichend von seiner früheren Rechtsprechung 152 kommt es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes für die Begriffsbestimmung nicht mehr auf die Verwaltungskraft der Gemeinde an. In dem dem Kembereich vorgelagerten sog. Randbereich der Selbstverwaltungsgarantie stehen dem Gesetzgeber zur Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung unter Beachtung der Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, der Systemgerechtigkeit und des Vertrauensschutzes Gestaltungsspielräume zu.
146 VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9.1999, UA, S. 46 im Anschluß an Nierhilus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdnrn. 35 f.; Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, S. 1 (15). 147 BVerfGE 79, 127 (146). 148 Ebda. 149 Ebda. unter Hinweis auf BVerfGE I, 167 (174 f.); 21, 117 (128 f.); 38, 258 (278); 76, 107 (118). 150 Vgl. BVerfGE 8,122 (134); 50,195 (201); 52, 95 (120). 151 BVerfGE 79,127 (151 f.). 152 BVerfGE 8, 122 (134); 52, 95 (120).
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B. Untersuchung
c) Institutionelle Rechtssubjektsgarantie mit beschränkt individueller Wirkung Die bundesverfassungsrechtliche kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wird zutreffend als institutionelle Rechtssubjektsgarantie mit beschränkt individueller Wirkung verstanden; 153 das Verfassungsgericht Brandenburg sich dieser Auffassung jüngst in seiner Entscheidung zum Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 ausdrücklich angeschlossen.1 54 Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet nicht lediglich die (formale) Erhaltung der Institution "Gemeinde", sondern auch die Erhaltung dieser Einrichtung als rechtsfähiges Gebilde des öffentlichen Rechts. Daher würde die Umbildung von Gemeinden in die Rechtsform z. B. der Berliner Bezirke, die nur an den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen und nicht rechtsfähige Verwaltungseinheiten sind, einen Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG darstellen. 155 Die Gemeinde (wie auch der Gemeindeverband) muß Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts mit Gebietshoheit und Rechtsfähigkeit bleiben. . Plastisch, aber mißverständlich ist die Aussage des BVerfG, daß die Gemeinde nicht individuell, sondern nur institutionell garantiert iSt. 156 Gegen Auflösungen und Eingemeindungen im Zuge einer kommunalen Gebietsreform sind Gemeinden in der Tat nicht absolut geschützt, allerdings darf dies nicht beliebig, willkürlich oder systemwidrig geschehen, sondern nur nach vorheriger Anhörung, zutreffender und vollständiger Sachverhaltsermittlung, nachvollziehbarer Abwägung der Gemein wohl gründe und Neugliederungsziele, einer Schaden-Nutzen-Analyse und unter Beachtung des rechtsstaatlichen Übermaß- und Willkürverbotes. 157 Grundsätzlich ist demnach die Bildung von Einheitsgemeinden durch Zusammenlegung bestehender Einzelgemeinden auch großflächig und für das gesamte Gebiet eines Bundeslandes verfassungsrechtlich zulässig. Sogar die "Auflösung" einer Gemein153 Vgl. näher Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdnrn. 35 ff. m. w. Nachw. 154 VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9. 1999, UA, S. 46. 155 So Stern, Bonner Kommentar, Art. 28 (Zweitbearbeitung) Rdnr. 81. Deutelmoser, LKV 1999,350 (351) ist der Auffassung, daß zugunsten der Berliner Bezirke eine Einrichtungsgarantie bestehe. Die Berliner Verfassung, die direkt-demokratische Legitimierung der Bezirksverordnetenversammlung, die Institution des Rats der Bürgermeister sowie die einzelnen Hoheitsrechte sicherten den Bezirken auch die eigenverantwortliche Wahrnehmung aller Aufgaben, die nicht von gesamtstädtischer Bedeutung sind. Gleichwohl könne der Begriff der Rechtssubjektsgarantie für die Bezirke nicht verwendet werden, da ihnen die (volle) Rechtsfähigkeit fehle. Zum Schutz des Bestandes eines einzelnen Stadtbezirkes i. S. einer individuellen Garantie siehe P. van de Loo, VR 1999, 109 ff. 156 BVerfGE 56, 298 (312) - st. Rspr., zuletzt BVerfGE 86, 90 (107); w. Nachw. bei K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,2. Aufl. 1984, § 12 II 4, S. 409 und Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdnr. 36. 157 Siehe dazu die Zusammenstellung bei Stern, ebda., S. 411 m. umfangr. Rspr.-Nachw.; ferner Stüer / Landgraf, LKV 1998, 209 ff.
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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de durch "Abgrabung" darf durch Parlamentsgesetz erfolgen, wenn und insoweit die bestehenden bundesverfassungsrechtlichen und darüber hinaus die besonderen landesverfassungsrechtlichen Erfordernisse beachtet werden. Insoweit enthält Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auch eine beschränkt individuelle Rechtssubjektsgarantie. 158 Bei einer Mehrfach- oder Rück-Neugliederung hat der Gesetzgeber weiteren verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen, die im Vertrauensund Bestandsschutzgedanken, einem Unterelement des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 Verf Bbg), ihre Wurzeln finden. Den genannten Aspekten wird gesondert nachzugehen sein. 159
d) Verfassungsunmittelbares Aufgabenverteilungsprinzip Der Landesgesetzgeber hat, wenn er den gegenwärtigen amtsangehörigen (einschließlich der geschäftsführenden) Gemeinden durch "Herabstufung" zu Ortsgemeinden Aufgaben zugunsten der Amtsgemeinden entziehen will, sein besonderes Augenmerk auf die zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an Aufgabenverteilungen zu richten, die das BVerfG verfassungsunmiuelbar aus Art. 28 Abs. 2 GG abgeleitet hat: Das BVerfG hält in der grundlegenden und richtungsweisenden Rastede-Entscheidung aus dem Jahre 1988 verwaltungspraktische Gründe oder allgemeine Wirtschaftlichkeitsüberlegungen (Gründe der Verwaltungsvereinfachung, Zuständigkeitskonzentration und Übersichtlichkeit der Verwaltung) ausdrücklich für nicht ausreichend, um einen Eingriff in das durch Universalität und Allzuständigkeit geprägte verfassungsunmittelbare Aufgabenverteilungsprinzip mit Vorrang der Gemeinden zu rechtfertigen. 160 Das auch bereits in früheren Entscheidungen des Gerichts zugrundegelegte 161, aber erst in der Rastede-Entscheidung deutlich herausgearbeitete Vorrangprinzip ist nicht ein formelles Regel - Ausnahme - Prinzip, sondern ein materiell zu verstehendes Prinzip dezentraler Aufgabenansiedlung, das nur ganz ausnahmsweise in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise überwunden werden kann: Der Gesetzgeber darf den Gemeinden eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor alVerfG Bbg, OVBI. 1996,37 f. (1. HomoE), dazu Degenhardt, OVBI. 1996,773 ff. Siehe dazu unten B. IV. 160 Zur Anwendbarkeit des Aufgabenverteilungsprinzips auf das Verhältnis von bzw. die Aufgabenabschichtungen zwischen Amts- und Ortsgemeinden siehe unten B. III. 2. d). 161 Vgl. insbesondere aus dem Jahre 1967 BVerfGE 21, 117 (128/129: ,,Den Gemeinden ist durch Art. 28 Abs. 2 GG grundsätzlich sowohl ein alle örtlichen Angelegenheiten umfassender Aufgabenbereich [Allzuständigkeit ... ] als auch die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich ... zuerkannt. Den Gemeindeverbänden ist zwar nicht Allzuständigkeit, wohl aber im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs wie den Gemeinden die Eigenverantwortlichkeit garantiert.") 158
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B. Untersuchung
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lern also dann entziehen, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre und wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG überwiegen. 162 (1) Der Ansatz der Enquetekommission
zum Aufgabenverteilungsprinzip Die Enquetekommission versucht in ihrem Abschlußbericht, mit der aus der Rechtsprechung des BVerfG entlehnten Formulierung eines "unverhältnismäßigen Kostenanstiegs beim Belassen der gemeindlichen Aufgabenzuständigkeit" die aus ihrer Sicht notwendigen Aufgabenübertragungen auf die Amtsgemeinde zu rechtfertigen, ohne jedoch den bei Beibehaltung der jetzigen Ämterstruktur prognostizierten unverhältnismäßigen Kostenanstieg durch entsprechende Berechnungen zu untermauern. 163 Im Rahmen einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines vom Landtag beschlossenen Orts- und Amtsgemeindegesetzes würde dieser Nachweis fundiert und in nachvollziehbarer Weise erbracht werden müssen. Auf eine Zurücknahme der Kontrolldichte durch das Verfassungsgericht Brandenburg i. S. einer bloßen Evidenz- oder Vertretbarkeitskontrolle prognostischer Einschätzungen und Wertungen des Gesetzgebers sollte sich der Gesetzgeber, will er verfassungsrechtliche Risiken vermeiden, nicht verlassen. 164 (2) Das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip und die Aufgabenstruktur der niedersächsischen Mitgliedsgemeinde Nach J. Ipsen sind die Selbstverwaltungsangelegenheiten der niedersächsischen Ortsgemeinden auf ein Maß reduziert, das schwerlich als "universal" bezeichnet BVerfGE 79, 127 (LS 3. b. und S. 158). Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 33. Die im Auftrag der Enquetekommission vom Kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität Potsdam durchgeführten Modellrechnungen liefern "nur erste Argumente und Anhaltspunkte sowohl hinsichtlich der finanziellen Ausstattung der Amtsgemeinden insgesamt als auch bezüglich der Aufteilung der Mittel zwischen Amts- und dazugehörigen Ortsgemeinden." (Abschlußbericht der Enquetekommission, Ergänzung zur Drs. 2/6260, S. 1) Die Modellrechnungen dienten nicht dem Nachweis eines unverhältnismäßigen Kostenanstiegs bei Aufrechterhaltung der bisherigen ortsgemeindlichen Aufgabenzuständigkeiten. 164 Das VerfG Bbg hat jüngst im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 (VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9. 1999, UA, S. 26 ff.) die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Haushaltsgesetzgeber herausgestellt. Danach hat dieser künftig regelmäßig Überprüfungen der Mittelverteilung zwischen Land und Kommunen vorzunehmen und Veränderungen im Aufgabenzuschnitt bei den Gemeinden zu beachten. Das Urteil verdeutlicht in eindringlicher Weise, daß sich das VerfG Bbg zur exakten Überprüfung auch der finanziellen Grundlagen und Annahmen gesetzgeberischer Entscheidungen (nicht nur des Haushaltsgesetzgebers) für berechtigt hält. 162 163
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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werden könne. 165 Diese Einschätzung, die nichts anderes als die Beeinträchtigung des eingriffsfesten Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie niedersächsischer Ortsgemeinden umschreibt, ist das Resultat der "Hochzonung" wesentlicher, zum Selbstverwaltungsbereich zählender Aufgaben der Orts- auf die Samtgemeinden. Das sich geradezu aufdrängende Verdikt der Verfassungswidrigkeit der Samtgemeindeverfassung wird nur durch den Hinweis auf die Möglichkeit der Bildung von Einheitsgemeinden in historischer Perspektive vermieden. Insoweit soll sich die Bildung des Kommunalverbandes "Samtgemeinde" als der gegenüber einer kommunalen Neugliederung mildere Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie der Ortsgemeinden darstellen. 166 So naheliegend diese Begründung aus niedersächsischer Sicht auch sein mag, so wenig kann sie über den mit ihr einhergehenden dogmatischen Bruch hinwegtäuschen: Die "Universalität" des eigenen Wirkungskreises bzw. "Allzuständigkeit" für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft der verfassungsrechtlichen Gemeinde im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG läßt sich bereits begrifflich nicht zwischen einer Gemeinde und einem - wie auch immer zu qualifizierenden - Gemeindeverband aufteilen. Zählt die Universalität des Wirkungskreises zum identitätsstiftenden Kernbestand der bundesverfassungsrechtlichen Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung, ist ein Zurückbleiben hinter diesem Mindeststandard nicht zulässig, und zwar weder durch Entzug noch durch Aufteilung der materiellrechtlich verbürgten Kompetenzen zwischen der verfassungsrechtlichen (niedersächsischen Orts-) Gemeinde einerseits und einem Gemeindeverband andererseits; dadurch würde die (orts-) gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie in ihrem Kern verletzt. Der Hinweis auf die verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässige Bildung von Einheitsgemeinden im Rahmen einer kommunalen Gebietsreform ist allenfalls ein verfassungspolitisches Argument, das im Spannungsfeld zwischen verfassungsrechtlicher Garantie zur Sicherung der gemeindlichen Selbstverwaltung und Anforderungen an effiziente Kommunalstrukturen (auch) in der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur niedersächsischen Samtgemeinde durchaus seinen Stellenwert hatte. 167 Indes verfängt ein derartiger argumentativer Ansatz, der letztlich einem "Totschlagsargument" gleichkommt, heute nicht mehr: 165
J. lpsen. Niedersächsisches Kommunalrecht, 1999, S. 335.
Siehe dazu auch Wolf!IBachoflStober. Verwaltungsrecht II, 5. Auf). 1987, S. 119 f. Wolf! spricht im Zusammenhang mit den in einem älteren Sprachgebrauch als Samtgemeinden bezeichneten verbandlichen Organisationsformen für in der Regel kleine ländliche Gemeinden von den sog. Gesamtgemeinden. die er wiederum als Gemeindeverbände qualifiziert. Er weist darauf hin, daß die Gesamtgemeinden die Ortsgemeinden als Verwaltungsträger bestehen ließen und die Selbständigkeit der in der Gesamtgemeinde organisatorisch zusammengeschlossenen Gemeinden wahren. Schon deshalb und aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit sowie zur Erhaltung vielfältiger örtlicher Demokratie sei ihre Bildung der von Großgemeinden vorzuziehen, zumal wenn diese auf geografische, kulturelle und andere Schwierigkeiten stieße. 167 Vgl. BVerwG, NVwZ 1984, 378. 166
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B. Untersuchung
Die bundesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG stellt eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie mit beschränkt individueller Wirkung dar. Sie gewährleistet die Institution der Gemeinde, nicht hingegen ihren individuellen Bestand. Dementsprechend hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, Gemeinden im Zuge einer kommunalen Gebietsreform aufzulösen. Als Konsequenz ihrer nur beschränkt individuellen Rechtssubjektsgarantie hat die (landes- und bundes-)verfassungsgerichtliche Rechtsprechung die richterliche Kontrolldichte bei der Überprüfung von kommunalen Neugliederungsmaßnahmen zurückgenommen. 168 Anders als bei einer kommunalen Gebietsreform hat der Gesetzgeber hingegen an das verfassungsunmittelbare Aufgabenverteilungsprinzip zu beachten, wenn er sich für die Erhaltung der vorhandenen Gemeinden (als Ortsgemeinden) und zugleich für den Entzug der diesen durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vorbehaltenen Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft entscheidet. Das BVerfG legt demnach der Kontrolle von Neugliederungsgesetzen einerseits und von auJgabenentziehenden bzw. -verteilenden Gesetzen andererseits deutlich zu unterscheidende verfassungsrechtliche Maßstäbe zugrunde. Diese Unterscheidung hatte bereits früher die Landesverfassungsgerichtsbarkeit herausgearbeitet: 169 Danach unterliegen Eingriffe in die verfassungsrechtlich geschützten Bestandteile der institutionellen, beschränkt individuellen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung strengeren Legitimationsanforderungen als ein Eingriff in den verfassungsrechtlich nur begrenzt geschützten Bestand einer einzelnen Gemeinde. Findet das Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz I GG Anwendung, ist der Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts auf die Möglichkeit einer kommunalen Neugliederung mithin fehl am Platze. Damit könnte letztlich jeder Aufgabenentzug gerechtfertigt werden. Der Gesetzgeber hat nur, aber immerhin ein Wahlrecht. welchem verfassungsgerichtlichen Kontrollrnaßstab - demjenigen der kommunalen Gebietsreform oder demjenigen der Kommunal- und Aufgabenreform - er sich unterwerfen will. Ein in den Kembestand niedersächsischer Ortsgemeinden eingreifender Aufgabenentzug ("schwerlich universal") läßt sich mithin nicht durch den Hinweis auf die dem Gesetzgeber mögliche Bildung von Einheitsgemeinden rechtfertigen. Allerdings ist bei der Bestimmung des Kembereichs in besonderer Weise der geschichtlichen Entwicklung Rechnung zu tragen. 170 Im Unterschied zur brandenburgischen Amtsgemeinde, die - abgesehen von der preußischen Amtsordnung vom 8. Oktober 1934 - kein kontinuierlich gewachsenes historisches Vorbild hat, kann die niedersächsische Samtgemeinde auf eine lange Tradition (in unterschiedlichen "Spielarten" seit 1849) zurückblicken. l7l 168 169 170
171
Vgl. BVerfGE 76,107 (121 f.); 86, 90 (189); siehe dazu unten B. IV. Siehe insbesondere VerfGH NW, NJW 1979, 1201 (1202). BVerfGE 79,127 (146); seit BVerfGE 59, 216 (226) std. Rspr. Vgl. oben Fn 75.
111. Verfassungsrechtliche Analyse der ModelIvarianten
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3. Die Konzeption einer Gesamthandsgemeinde
a) Das Bundesverwaltungsgericht und die gestufte "Föderalgemeinde" Innerhalb der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Grenzen hat der Gesetzgeber grundsätzlich die Befugnis, nicht nur eine eigenständige Kommunalverfassung, sondern auch einen neuen Gemeindetypus zu schaffen. Es ist ihm nicht verwehrt, unter der Bezeichnung "Amts- und Ortsgemeinde" eine Gesamthandsgemeinde zu normieren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Entscheidungen aus den Jahren 1984/85 die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer zweistufig aufgebauten ,,(Föderal-)Gemeinde" sowohl niedersächsischer (Samtgemeinde) als auch rheinland-pfälzischer (Verbandsgemeinde) Provenienz nicht nur nicht in Frage gestellt, sondern die gleichberechtigte Teilhabe der Mitgliedsgemeinden und der Samtgemeinde am Schutz des Art. 28 Abs. 2 GG sogar als zweifelsfrei bezeichnet. Die Samtgemeindeordnung hätte einen Vorlagegegenstand im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG bilden müssen, wenn das BVerwG bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der einschlägigen kommunalrechtlichen Vorschriften zu der Überzeugung gelangt wäre, daß eine zweistufig aufgebaute Föderalgemeinde mit der bundesverfassungsrechtlichen kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG der Mitglieds- bzw. Ortsgemeinde unvereinbar ist.
b) Der Begriff der "Gesamthandsgemeinde" und der verfassungsrechtliche Maßstab Die für die niedersächsischen Samtgemeinden und die rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinden gebräuchlichen Begriffe der "doppel- oder zweistöckigen" Gemeinde, der ,,Föderal- bzw. Funktionalgemeinde" sind mißverständlich, weil sie unangebrachte Assoziationen an Über- und Unterordnung, das Bundesstaatsprinzip oder das längst überwundene funktionale Selbstverwaltungsverständnis l72 wecken. Bei der Gesamthandsgemeinde beanspruchen und erfüllen die Amts- und Ortsgemeinden gemeinsam, d. h. zur gesamten Hand die durch die verfassungsrechtliche Selbstverwaltungsgarantie vermittelten Gewährleistungen und Aufgaben. 173 172 Siehe dazu Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, § 121111 ,S. 424 m. w. Nachw. 173 Der Begriff der Gesamthandsgemeinde darf nicht mit dem von Hans Julius Wolff geprägten Terminus Gesamtgemeinde verwechselt werden. Siehe dazu Wolff/ BachoJl Stober. Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. 1987, S. 119 ff. Die Gesamtgemeinde ist der Oberbegriff für die organisatorische Zusammenfassung kleiner Gemeinden. Hierbei wird die Gesamtgemeinde im Unterschied zur Gesamthandsgemeinde brandenburgischer Provenienz - von Wolffals Gemeindeverband qualifiziert. Er weist darauf hin, daß die Verfassungsmäßigkeit der Gesamtgemeinde gelegentlich mit dem Argument bezweifelt worden sei, der Gesamtgemeinde werde
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B. Untersuchung
Ein derartiges Modell ist dem Staatsrecht nicht fremd. Nach der von E. Friesenhahn im Anschluß an J. Heckei geprägten, zum "Klassikertext" avancierten Formel steht die Staatsleitung in der Bundesrepublik Deutschland den Verfassungsorganen Regierung und Parlament "zur gesamten Hand" ZU,174 wobei unentziehbare gouvernementale Eigenbereiche der Regierung als des politisch leitenden Exekutivorgans zu respektieren sind. 175 Ebenso wie die Regierung einen unentziehbaren exekutiven Kernbereich beanspruchen kann, steht der Ortsgemeinde ein unentziehbarer, noch näher zu bestimmender Kernbestand an Selbstverwaltungsaufgaben zu, wenn sie in einem gesamthänderischen Verbund mit der Amtsgemeinde die in der örtlichen Gemeinschaft wurzelnden Aufgaben wahrnimmt. Ausgehend von den derzeitigen amtsangehörigen (einschließlich der geschäftsführenden) Gemeinden als den verfassungsrechtlichen Gemeinden stellt sich das Orts- und Amtsgemeindemodell als eine Zellteilung dar, die mit einem Aufgabenentzug zu Lasten der amtsangehörigen Ortsgemeinden verbunden ist und deshalb am Maßstab des verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzips des Art. 28 Abs. 2 GG zu messen ist: In der bereits erwähnten (oben 3. a), auch für das brandenburgische Orts- und Amtsgemeindemodell einschlägigen, mindestens übertragbaren Entscheidung stellt das BVerwG zutreffend klar, daß die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung auch im Verhältnis zwischen den rheinland-pfälzischen Ortsgemeinden und Verbandsgemeinden gilt. Art. 28 Abs. 2 Satz I GG garantiere eine weit stärkere Rechtsstellung als allen anderen Gemeindeverbänden eingeräumt. Auch sei ihr Zuständigkeitsbereich demjenigen einer Gemeinde weitgehend angenähert. Hier werde der einheitliche Wesenskern der Gemeinde als der untersten Zelle des Staates in zwei Stufen aufgespalten und der oberen Stufe - der Gesamtgemeinde - ein Teil der Aufgaben zugeteilt, die eigentlich der Gemeinde zu erhalten seien. Dieser Kritik versucht Wolf! dadurch zu begegnen, daß er auf die Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion von Gemeindeverbänden und die nur subsidiär verstandene Al/zuständigkeit der Gesamtgemeinden hinweist. Auch und gerade für das Gesamthandsgemeindemodell ist die Aufspaltung des Kembereichs der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie wesensmäßig. Im Unterschied zur Gesamtgemeinde ist die Gesamthandsgemeinde jedoch kein Gemeindeverband. Sie nimmt vielmehr insgesamt mit ihren Unterbestandteilen Orts- und Amtsgemeinde an den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz I GG teil. 174 Friesenhahn, VVDStRL Heft 16 (1958), S. 9 (37/38). Der Begriff der Gesamthand ist nicht im zivilrechtlichen Sinne einer Bruchteilsgemeinschaft zu verstehen, bei der Rechte und Verbindlichkeiten den Gesamthändem in dieser Eigenschaft jeweils in vollem Umfange zustehen. Bei der Staatsleitung zur gesamten Hand handelt es sich um die Verwirklichung einer demokratischen im Unterschied zur rechtsstaatlichen Gewaltenteilung (ebda., S. 38, Fn 72). Friesenhahn, in: Randelzhofer (Hrsg.), Deutsch-Spanisches Verfassungsrechtskolloquium, 1982, S. 43, spricht auch von der "Zweipoligkeit der Staatsführung". Siehe zur Staatsführung zur gesamten Hand auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Auf!. 1984, § 22 II 5, S. 966 ff.: Die Zweipoligkeit der Staatsführung werde an zahlreichen Staatsgeschäften deutlich, z. B. beim Zusammenwirken der Verfassungsorgane bei der Gesetzesinitiative und dem Gesetzesbeschluß, bei der Haushaltsplanerstellung und der Haushaltsplanfestlegung, bei der Delegation der Rechtssetzungsbefugnis des Parlaments an die Exekutive. 175 Friesenhahn, ebda., S. 33; BVerfGE 67, 100 (139); 68, 1 (87); 90, 286 (381 ff.).
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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den Ortsgemeinden einen Kernbereich der Selbstverwaltung, der durch die Verfassung gegen jede gesetzliche Schmälerung gesichert sei. Die Selbstverwaltungsgarantie schütze die Gemeinden ferner in der Weise, daß gesetzliche Eingriffe, die diesen Kernbereich der Selbstverwaltung nicht antasten (sog. Randbereich), für ihre Zu lässigkeit der sachlichen Rechtfertigung durch tragfähige Gründe des Gemeinwohls bedürfen. 176 Dabei sei unerheblich, ob es sich bei der Verbandsgemeinde um einen Gemeindeverband handele oder ob die Verbandsgemeinde als "Gemeinde zweiter Stufe" angesehen werden müsse, die zusammen mit den Ortsgemeinden eine zwei stufig aufgebaute (Föderal-) Gemeinde bilde. Nach dieser Rechtsprechung macht es für die verfassungsrechtliche Beurteilung des brandenburgischen Amtsgemeindemodells keinen Unterschied, ob der Landtag die Amtsgemeinde als Gemeindeverband ausgestaltet oder unter der Bezeichnung "Amtsgemeinde" einen neuen und zusätzlichen Gemeindetypus schafft. Entscheidend ist insoweit nur, daß zum einen die verfassungsrechtlich sensible Grenze zu den für die überörtlichen Aufgaben zuständigen Gemeindeverbänden i. S. des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG (Landkreise) nicht überschritten wird und zum anderen der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie der auf ein Minimum an Aufgabenbestand zurückgeführten Ortsgemeinden unangetastet bleibt. Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg würde im Falle der Überprüfung eines gesetzlichen Orts- und Amtsgemeindemodells das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht unbeachtet lassen können. Was die Schutzrichtung der Selbstverwaltungsgarantie anlangt (Mitglieds- bzw. Ortsgemeinde gegenüber Verbands- bzw. Amtsgemeinde), stimmen beide Gerichte sogar überein, weil das Verfassungsgericht Brandenburg dem Selbstverwaltungsartikel 97 Verf Bbg Schutzwirkungen sogar gegenüber den den Gemeinden sehr viel "näher" stehenden Ämtern beigemessen hat. Allerdings legt das brandenburgische Verfassungsgericht in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht - strengere, wenn auch modifizierte verfassungsrechtliche Maßstäbe für Aufgabenhochzonungen an als das Bundesverwaltungsgericht. 177
Im Rahmen einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung einer vom Landtag beschlossenen Änderung der Gemeindeordnung zur Einführung der Orts- und Amtsgemeindeverfassung müßte der Nachweis erbracht werden, daß der Entzug - gemessen am derzeitigen Aufgabenbestand der amtsangehörigen Gemeinden - bestimmter Zuständigkeiten der Ortsgemeinde nicht zu einer Verletzung des Kernbereichs der gemeindlichen Selbstverwaltung führt. Außerhalb des Kernbereichs (im Randbereich) hat der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Übermaßverbot) und das Gebot der Systemgerechtigkeit einschließlich des Bestands- und Vertrauensschutzes zu beachten. Das Aufgabenverteilungssystem enthält ein materiell zu verstehendes 176 177
BVerwG, NVwZ 1984, 378 ff. LVerfGE 5, 79 (91).
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B. Untersuchung
Regel-Ausnahme-Verhältnis i. S. einer Zuständigkeitsvermutung und eines Vorranges der Gemeinden vor den GemeindeverbändenYs Auf eine deutliche Zurücknahme der Kontrolldichte durch das Verfassungsgericht im Sinne einer bloßen Evidenz- oder Vertretbarkeitskontrolle sollte sich der Gesetzgeber, will er verfassungsrechtliche Risiken vermeiden, auch in diesem Zusammenhang nicht verlassen. In jedem Falle trägt er für den Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der jetzigen amtsangehörigen Gemeinden als zukünftige Ortsgemeinden die Begründungs- und Darlegungslast. 179 Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner älteren Rechtsprechung zur kommunalen Selbstverwaltungsgarantie aus dem Jahre 1967 den Gemeinden (in deutlicher Abgrenzung zu den Gemeindeverbänden) die All- und Alleinzuständigkeit für den alle örtlichen Angelegenheiten umfassenden Aufgabenbereich und die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich zuerkannt. ISO Allerdings hat es das verfassungsunmittelbare Aufgabenverteilungsprinzip erst in der Rastede-Entscheidung im Jahre 1988 deutlicher konturiert. Erfahrungsgemäß pflegt sich das Bundesverwaltungsgericht an den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu orientieren. Bei einer neuerlichen Befassung mit einem vergleichbaren Fall eines aufgabenentziehenden bzw. verteilenden Gesetzgebers wird es - bei aller Skepsis gegenüber Rechtsprechungsprognosen - das unspezifische Erfordernis "tragfähiger Gründe des Gemeinwohls" durch die Anwendung des konturenschärferen und differenzierten Aufgabenverteilungsprinzips ersetzen. Auch das Landesverfassungsgericht Brandenburg hat, wie bereits erwähnt (oben I. 3. a), das verfassungsunmittelbare Aufgabenverteilungsprinzip der Überprüfung aufgabenentziehender Gesetze zugrunde gelegt. Dabei hat es die vom Bundesverfassungsgericht für das Verhältnis von Gemeinden und Kreisen herausgearbeiteten Grundsätze auf die "inter- bzw. intrakommunale" Ebene von amtsangehörigen Gemeinden und Ämtern übertragen. Wenn das Landesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die Änderung des Brandschutzgesetzes die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze nicht mit gleicher Stringenz für das Verhältnis der amtsangehörigen Gemeinden zu den Ämtern angewendet hat, ist dies im wesentlichen Folge der Charakterisierung der Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung Brandschutz als einer "Selbstverwaltungsaufgabe in abgeschwächter Form".ISI Führt das VerfG Bbg seine bisherige Rechtsprechung in konsequenter Weise auch unter Berücksichtigung der höchstrichtlichen Entscheidungen des BVerwG BVerfGE 79, 127 (149). Siehe dazu grundlegend Weber-Grellet. Beweis- und Argumentationslast im Verfassungsrecht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 178
179
1979. 180 181
Besonders deutlich BVerfGE 21. ]]7 (128/129). LVerfGE 5. 79 (91 f.).
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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zu den niedersächsischen Samtgemeinden und den rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinden 182_ fort, wird möglicherweise ein modifiziertes Aufgabenverteilungsprinzip der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Aufgabenabschichtungen zwischen Amts- und Ortsgemeinden zugrunde gelegt werden. Ein Grund für die Heranziehung einer gegenüber dem vom BVerfG entwickelten Aufgabenverteilungsprinzip abgeschwächten bzw. modifizierten Variante dieser materiellen Zuständigkeitsregel könnte z. B. in dem Umstand liegen, daß die zu beurteilende "Aufgabenhochzonung" (hier: ,,Aufgabenspaltung") nicht auf die außergemeindliche (kreisliche) Ebene, sondern lediglich "innergemeindlich", von der Orts- auf die Amtsgemeinde erfolgt. Wissenschaftlich seriös ist nicht prognostizierbar, erst recht nicht präzisierbar, wie eine derartige Modifizierung durch das Landesverfassungsgericht aussehen könnte.
c) Einheitsgemeinde - Gesamthandsgemeinde - Gemeindeverband
Das Modell einer Gesamthandsgemeinde, wie sie den Mitgliedern der Enquetekommission mehrheitlich unter der Bezeichnung "Amtsgemeinde" wohl vorschwebt, ist deutlich gegenüber der Einheitsgemeinde mit Ortsteilsverfassung einerseits und dem Gemeindeverband andererseits abzugrenzen: Die von allen Gemeindeordnungen im Interesse der Bürgernähe der Verwaltung und der Stärkung der eigenverantwortlichen Teilnahme der Bürgerschaft am kommunalen Geschehen vorgesehenen Innen- bzw. Untergliederungen der (Einheits-) Gemeinden in Ortsteile sind keine rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts und auch nicht Träger der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Deshalb stehen den Ortsteilsvertretern auch lediglich untergeordnete Mitwirkungsrechte zu (Vorschlags-, Rede-, Anhörungs- und Unterrichtungsrechte gegenüber bzw. in der Gemeindevertretung und dem Hauptausschuß in ortsteilsbezogenen Angelegenheiten, aber kein Stimmrecht, vgl. z. B. § 54 Abs. 3 und 4 GO Bbg). Der Ortsvorsteher vertritt nach der brandenburgischen Gemeindeordnung den Ortsteil gegenüber den Organen der Gemeinde und kann an Sitzungen der Gemeindevertretung und ihrer Ausschüsse mit Rederecht teilnehmen, in denen Belange des Ortsteils berührt werden (§ 54 Abs. 5 GO Bbg). Im Unterschied zur Einheitsgemeinde mit Ortsteilen und Ortsteilsverfassung sollen nach dem politischen Willen der Enquetekommission sowohl die Amtsgemeinde als auch die Ortsgemeinde die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für sich in Anspruch nehmen können. Bei der Gesamthandsgemeinde werden die Rechte, Befugnisse und Kompetenzen, letztlich die Elemente der bundes- und landesverfassungsrechtlichen Garantienormen der Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG und Art. 97 Abs. 1 und 2 Verf Bbg auf die beiden Ebenen "Amtsgemeinde" und "Ortsgemeinde" als gesamthänderische Teile der 182
BVerwG, NVwZ 1984, 378 ff.; NVwZ 1985, 832 f.
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B. Untersuchung
einen verfassungsrechtlichen Gemeinde verteilt. Die Gemeinde im verfassungsrechtlichen Sinne besteht zusammengefaßt aus ihren beiden Teilen Amts- und Ortsgemeinde. Dementsprechend ähnelt die Amtsgemeinde sozusagen nur nach außen einer Einheitsgemeinde. ohne daß den Ortsgemeinden allerdings im Innenverhältnis ihr verfassungsrechtlicher Status entzogen würde. Es wird folglich die äußerst schwierige und sensible Aufgabe des Landesgesetzgebers sein, die durch Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG und Art. 97 Abs. 1 Satz 1 und 2 Verf Bbg garantierten Hoheiten (Allzuständigkeit für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, Eigenverantwortlichkeit bei der Aufgabenerfüllung in den Bereichen der Satzungs-, Planungs-, Organisations-, Personal- und Finanzhoheit etc.) in verfassungsmäßiger Weise auf die bei den Teile der Gesamthandsgemeinde zu verteilen. Zum einen muß sie die ihr in der Gesamtheit zustehenden Selbstverwaltungsaufgaben als funktionelle Einheit 183 in ausreichendem Maße wahrnehmen können, zum anderen müssen beiden Gesamthandsgemeindeteilen, also auch der Ortsgemeinde, substantielle und zum Kernbestand der Selbstverwaltungsgarantie zählende Aufgaben, Zuständigkeiten und Rechte zustehen, wodurch eine deutliche Abgrenzung von der Einheitsgemeinde im traditionellen Sinne ermöglicht wird. Das Substrat der den Ortsgemeinden verbleibenden Aufgabenzuständigkeiten darf sich bei der Neugestaltung des Kommunalverfassungsrechts nicht in den rechtlich unselbständigen Ortsteilen üblicherweise zustehenden Mitwirkungsrechten erschöpfen, sondern muß sich von diesen in dem beschriebenen substantiellen Umfang deutlich absetzen. Das Ziel einer vom bloßen Ortsteil der traditionellen Einheitsgemeinde unterscheidbaren verfassungsrechtlichen Ortsgemeinde (als im Verhältnis zur künftigen Amtsgemeinde prinzipiell gleichberechtigten, wenn auch örtlich beschränkten Gemeindeebene) wird durch die Schaffung demokratisch unmittelbar legitimierter Vertretungsorgane (Ortsgemeindevertretung und Ortsbürgermeister) mit hinreichenden politischen Entscheidungszuständigkeiten erreicht. Dabei müssen die den Ortsgemeindevertretungen und dem Ortsbürgermeister zuzuweisenden Zuständigkeiten ein kommunalpolitisches Gewicht aufweisen, das der direktdemokratischen Legitimation dieser Organe entspricht (Ausgewogenheit von demokratischer Legitimation und Aufgabenzuständigkeit). Der Restbestand der den Ortsgemeinden verbleibenden Aufgaben- und Entscheidungszuständigkeiten darf sich nicht in der Verantwortung für die Benennung öffentlicher Straßen, Hausnummerierung, Festlegung von Parkanlagen und ähnlichen "kleinteiligen" Angelegenheiten erschöpfen, weil damit der verfassungsrechtlich vorgegebene, wenn auch im einzelnen schwierig zu bestimmende Mindestbestand an Aufgaben unterschritten würde.
183 In einem ähnlichen Sinne spricht H.-J. Schmidt. Die Samtgemeinde nach der Verwaltungs- und Gebietsreform in Niedersachsen, 1982, S. 64, von einer "Gemeinde im weiteren Sinne (Funktionalgemeinde)".
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d) Die Aufgabenverteilung nach dem Abschlußbericht der Enquetekommission Nach den Empfehlungen der Enquetekommission sollen den Ortsgemeinden insbesondere, d. h. keineswegs enumerativ-abschließend, die folgenden Aufgaben der (orts-)örtlichen Gemeinschaft überlassen bleiben: - Aufstellung von Bebauungsplänen, - Satzungen und Entscheidungen nach dem Baugesetzbuch mit Ausnahme des Flächennutzungsplanes, - Gestaltung des Ortsbildes, - Friedhöfe, - Bau und Unterhalt der Ortsstraßen, - Bennenung öffentlicher Straßen, Wege, Plätze und Einrichtungen, einschließlich Hausnummerierung, - Wohnumfeldverbesserungen, - Trägerschaft der örtlichen sozialen, kulturellen und sportlichen Einrichtungen, - ortsgemeindebezogene Entwicklung der Freizeit- und Erholungsbedingungen. ls4 Da nach Auffassung der Enquetekommission insoweit eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung durch die Ortsgemeinden nicht mehr sichergestellt werden kann bzw. ein Belassen der Aufgaben bei den Ortsgemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde, sollen demgegenüber die folgenden Aufgaben den Amtsgemeinden zugewiesen werden: - Aufgaben mit Anschluß- und Benutzungszwang (z. B. Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung), - die Flächennutzungsplanung unter Beteiligung der Ortsgemeinden, - Bau und Unterhalt der Ortsverbindungsstraßen, - die Trägerschaft für ortsgemeindeübergreifende öffentliche Einrichtungen (z. B. Kindertagesstätten, Schulen, kulturelle Einrichtungen und Sportstätten sowie Bestattungseinrichtungen), - die ortsgemeindeübergreifende Förderung von Wirtschaft, Gewerbe und Fremdenverkehr. lss Der Frage, ob die auf die Amtsgemeinde erfolgenden Aufgabenverlagerungen jeweils für sich und in ihrer kumulierenden Wirkung 186 den Anforderungen des verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzips genügen, ist nunmehr im einzelnen nachzugehen. Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 32. Ebda., S. 33. 186 Siehe dazu StGH BW, DÖV 1976, 595 (598): ,,Betrachtet man die gegenwärtigen gesetzlichen Zuständigkeiten des Gemeindeverwaltungsverbandes in ihrer Gesamtheit, so ergeben sich auch aus der Summe jener Kompetenzen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken." 184
185
5 Nierhaus/Gebhardt
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B. Untersuchung
(1) Aufgaben mit Anschluß- und Benutzungszwang (0) Die Wasserversorgungs- und die Abwasserentsorgungsaufgabe
Die Aufgaben der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung sind von einer großen Anzahl brandenburgischer Kommunen nicht eigenständig, sondern durch Anfang der 90er Jahre gegründete Zweckverbände wahrgenommen worden. Dabei ist es zu erheblichen Fehleinschätzungen über die Anzahl und Größe der künftigen Nutzer gekommen, so daß die Verbände wegen eines zu geringen Beitrags- und Gebührenaufkommens in große Liquiditätsengpässe geraten sind. 187 Ebenso wie in Rheinland-Pfalz die Verbandsgemeinde soll in Brandenburg die Bildung von Amtsgemeinden vor allem Zweckverbände mit mangelnder demokratischer Legitimation und Transparenz überflüssig machen und zur Vermeidung von Zuständigkeitszersplitterungen beitragen. Im Zusammenhang mit der Rückübertragungsproblematik bestätigt das rheinland-pfälzische OVG indirekt die Verfassungsgemäßheit der ,,Aufgabenhochzonung" auf die Gemeindeverbandsebene, indem es eine Rückübertragung der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung nur in besonders gelagerten Ausnahmefallen für zulässig hält. 188 Der Rückübertragung sollen Gründe des Gemeinwohls entgegenstehen, wenn die Ortsgemeinde die Aufgabe, deren Rückübertragung beantragt wurde, nicht selbst erfüllen kann und daher zur ordnungsgemäßen Erfüllung dieser Aufgabe ein Verband gebildet werden müßte. 189 Unter Heranziehung des vom Bundesverfassungsgericht konturierten und auch der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts Brandenburg zugrunde liegenden verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzips des Art. 97 Verf Bbg i. V. m. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ist die Verlagerung der Wasserversorgungs- und Abwasseraufgabe von der Ortsgemeinde auf die Amtsgemeinde verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die kleineren Gemeinden Brandenburgs sind mit der Wasserversorgungsaufgabe, aber auch der Abwasserbeseitigung mit der sich anschließenden Aufbereitung regelmäßig überfordert. Die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung - das Trink- und Brauchwasser muß den an seine Beschaffenheit im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung zu stellenden hohen Anforderungen genügen - ist mit einem erheblichen technischen und finanziellen Aufwand verbunden, der von Klein- und Kleinstgemeinden nicht zu erbringen ist. Der gegenüber der Ortsgemeinde erfolgende Aufgabenentzug ist daher erforderlich, da anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Die Zulässigkeit einer Verlagerung der Aufgabenzuständigkeiten in den Bereichen Wasserversorgung und Abwasser darf indessen nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine entsprechende gesetzliche Regelung infolge der bereits eingangs 187 Siehe dazu NierhauslGebhardt. Zur Ausfallhaftung des Staates für zahlungsunfähige Kommunen, 1999, S. 10m. w. Nachw. 188 OVG Rh-Pf, Urt. v. 18. 12.80 und 15.9.81, abgedruckt in DahmlTutschapsky. Rechtsprechung zum kommunalen Verfassungsrecht Rheinland-Pfalz, I. Erg.-Lfg., 1986. 189 Dahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 24.
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erwähnten zahlreichen Zweckverbandsbildungen leerlaufen könnte, weil etwa 1.300 und damit die ganz überwiegende Mehrheit der brandenburgischen Gemeinden an den (Ab-) Wasserzweckverbänden beteiligt sind. l90 Bei der Einführung der brandenburgischen Ämter hat es der Gesetzgeber versäumt, der Zweckverbandsbildung und damit der Bildung von Doppelverwaltungsstrukturen entgegenzuwirken. 191 In Schleswig-Rolstein hingegen ist diese Zielsetzung im Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit aus dem Jahre 1974 verankert worden. Das Bundesverfassungsgericht führt in diesem Zusammenhang aus: § 27 GkZ SR bestimmt, "daß bei solchen Zweckverbänden oder sonstigen Verbänden, die sich ausschließlich aus mehreren oder allen Gemeinden eines Amtes zusammensetzen, die Aufgaben der Verbände auf das Amt übergehen. Diese Vorschrift dient der Vereinfachung der Verwaltung. Durch sie soll erreicht werden, daß unterhalb der Amtsebene keine weiteren Verbände bestehen, die sich ausschließlich aus Gemeinden der Ämter zusammensetzen. Dieser Gesetzeszweck kommt insbesondere auch in dem Verbot der Zweckverbandsbildung gemäß § 2 Abs. 3 GkZ zum Ausdruck.... Das Amt erwirbt mithin insoweit keine originären Selbstverwaltungsaufgaben, sondern nimmt im Grunde genommen nur Aufgaben eines Zweckverbandes wahr.,,192 Eine Übertragung der von Zweckverbänden wahrgenommenen Aufgaben auf die brandenburgischen Ämter bzw. die neu gebildeten Amtsgemeinden ist dort besonders problembehaftet, wo Ämterverwaltungs- bzw. Amtsgemeindegebietsgrenzen mit denjenigen des Zweckverbandes nicht übereinstimmen. Im übrigen ist Grünewald zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, daß die Übertragung der Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsaufgaben auf die Amtsgemeinden zu einer politischen Zerreißprobe werden könnte: Insbesondere in diesem Bereich werde in Einzelfällen "der ausgabenwirksame Verlust durch die Festsetzung ,politischer Preise' aus allgemeinen Deckungsmiueln der Verbandsgemeinden (Umlagefinanzierung [!]) abgedeckt". Dies führe unweigerlich zur Erhöhung der Amtsgemeindeumlage und damit zur Einschränkung der Investitionstätigkeit der Ortsgemeinden. Insoweit werde eine Verbandsgemeinde, wenn sie nicht (ausreichende) originäre Einnahmequellen hat, vor die Zerreißprobe mit den Ortsgemeinden gestellt werden. Schließlich würden die in die Amtsgemeindevertretung entsandten Vertreter ihre angestammten örtlichen Interessensbindungen im Konfliktfall Ortsgemeinde I Amtsgemeinde nicht abstreifen können. 193 In diesem Zusammenhang besteht eine generelle, im Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsbereich lediglich besonders hervorstechende Problematik: 194 190 Grünewald, Zeitschrift für die staatliche und kommunale Verwaltung - Ausbildung, Prüfung, Fortbildung (apt), Landesbeilage Brandenburg, 8/1999, 57 (67) hält aus diesem Grund Regelungen zur Übertragung der Wasser- und Abwasseraufgaben auf die Amtsgemeinde von vornherein für obsolet. 191 Grünewald, apf 8/99,57 (64). 192 BVerfGE 52, 95 (123). 193 Grünewald, apf 8/99,57 (66).
5*
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Sie liegt in den Auswirkungen der Aufgabenübertragung auf die finanzielle Eigenständigkeit der Ortsgemeinden. 19S Die für die Finanzierung der Amtsgemeindeaufgaben ergänzend notwendige Amtsgemeindeumlage wird auf die Vermögenssituation der Ortsgemeinden keine Rücksicht nehmen können, aber sehr wohl Rücksicht nehmen müssen. Damit werden zumindest in Einzelfällen die finanziellen Spielräume auch derjenigen Gemeinden bis an die Grenze der nunmehr vom Verfassungsgericht Brandenburg ausdrücklich anerkannten finanziellen Mindestausstattungsgarantie 196 zusammenschrumpfen, die bislang keine wirtschaftlichen Fehlentscheidungen zu verantworten und auszugleichen haben. Grünewald erklärt dazu apodiktisch: "Die finanzielle Eigenständigkeit der Ortsgemeinden hört genau dort auf, wo die gesetzlichen Aufgabenzuweisungen an die Amtsgemeinde beginnen."l97 Da die notwendigen Investitionen für Kläranlagen etc. bereits in der Vergangenheit erfolgt und größtenteils kreditiert worden sind 198 , ist im Zusammenhang mit den Aufgaben- und Zuständigkeitsübertragungen in den investitionsträchtigen Bereichen zudem mit erheblichen Rechtsnachfolgeproblemen zu rechnen. Das Konfliktpotential ist dort besonders groß, wo sich amtsangehörige Gemeinden auf eine dauerhafte Aufgabenträgerschaft eingelassen und die Vorbedingungen zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung mit zum Teil erheblichen finanziellen Anstrengungen geschaffen haben. Insofern ist zu beachten, daß sich Brandenburg nicht mehr in der Autbauphase befindet, sondern die Investitions(fehl)entscheidungen bereits getroffen sind. l99 (ß) Andere Aufgaben mit Anschluß- und Benutzungszwang
und dessen Anordnung durch den Satzungsgeber
Jede der weiteren auf die Amtsgemeinde verlagerten Aufgaben mit Anschlußund Benutzungszwang muß am Maßstab des verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzips daraufhin untersucht werden, ob anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht gewährleistet wäre und ob die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG überwiegen. 2oo 194 Grünewald. ebda., zählt die folgenden Problembereiche auf: Feuerwehrgebäude. Schulgebäude. Kitaeinrichtungen, Gewerbegebietserschließung. Wasserwerkserrichtung, Kläranlagenerrichtung, Kahnhafenbau, Museenbetreibung, Campingplatzerneuerung, SporthalIenerrichtung und -sanierung. 195 Siehe dazu auch unten B. III. 3. e) ff. (Gewerbesteuer und Gewerbeförderaufgabe). 196 VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9.1999. UA, S. 47 f. 197 Grünewald. apf 8/99,57 (60). 198 Ebda. 199 Ebda. 200 BVerfGE 79, 127 (LS 3. b.).
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Als Folge einer ausdifferenzierten Rechtsprechung hat der Satzungsgeber bei der Anordnung des Anschluß- und Benutzungszwanges besonders schwierige und sensible Rechtsfragen zu entscheiden. So muß er beispielsweise mit Blick auf die Berufsfreiheit (Art. 12 GG, Art. 49 Verf Bbg) und die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG, Art. 41 Verf Bbg) grundrechtlich indizierte, zwingend erforderliche Ausnahmeregelungen vorn Anschluß- und Benutzungszwang schaffen (vgl. § 15 Abs. 2 GO Bbg). Die Komplexität dieser Aufgabe, die besonderen Sachverstand erfordert, spricht für eine Verlagerung von Aufgaben mit Anschluß- und Benutzungszwang auf die Amtsgemeinde, die Kenntnis der besonderen Verhältnisse vor Ort indes eher für ein Belassen dieser Aufgaben bei den Ortsgemeinden.
(2) Flächennutzungsplanung
Zur Planungshoheit und damit zugleich zum Kernbestandteil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gehört die Kompetenz und nach § 2 Abs. 1 BauGB die Pflicht der Gemeinden - zur eigenverantwortlichen Aufstellung von Bebauungsplänen. Auch die Aufstellung der weiträumigeren Flächennutzungspläne, die regelmäßig eine Vorstufe zur Aufstellung der Bebauungspläne bilden (vgl. § 8 Abs. 2 BauGB), wird zur gemeindlichen Planungshoheit gerechnet. 201 Nach § 1 Abs. 2 BauGB zählen sowohl der (verbindliche) Bebauungsplan als auch der (vorbereitende) Flächennutzungsplan begrifflich zu den Bauleitplänen. Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind benachbarte Gemeinden nach § 2 Abs. 2 BauGB verpflichtet, diese aufeinander abzustimmen. Dieses interkommunale Abstimmungsgebot ist Ausfluß der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und zugleich Beleg für den (amts)gemeindeübergreifenden und erst recht für den ortsgemeindeübergreifenden Charakter der Flächennutzungsplanung?02 Die Nachbargemeinde wird in ihren Planungsrechten durch die Beachtung der materiellen Abstimmungspflicht der planaufstellenden Gemeinde geschützt. Die Nichtbeachtung dieser Abstimmungspflicht kann im Einzelfall unmittelbar ein Abwehrrecht gegen einzelne Vorhaben begründen. 203 Vieles spricht dafür, daß die brandenburgischen Klein- und Kleinstgemeinden zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Flächennutzungsplanung nicht in der Lage sind. Das Fehlen des erforderlichen fachkundigen Personals ließe sich zwar durch externen Sachverstand ausgleichen. In diesem Falle würde aber das Belassen der Aufgabe der Flächennutzungsplanung bei den Klein- und Kleinstgemeinden zu 201 VerfGH Saarl, Urt. v. 11. 10. 1974 - Lv 7/74 - AS 14, S. 145; Blümel, VVDStRL Heft 36 (1978), S. 171 (265); Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 1998, Rdnr. 79. 202 Grünewald, apf 8/1999,57 (66) weist darauf hin, daß ein "einheitlicher flächennutzungsplan" für das Amtsgebiet durch die Bildung von Planungsverbänden nach § 205 BauGB erreicht werden kann. 203 Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 1998, Rdnr. 130.
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einer Zersplitterung der Planung und damit zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen. Damit überwiegen die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz I GG. Bei einer vom Verfassungsgericht Brandenburg gegebenenfalls zu treffenden Entscheidung über die Verfassungsgemäßheit einer Aufgabenverteilung wird dieses zusätzlich in Rechnung zu stellen haben, daß durch die Aufgabenverlagerung auf die Amtsgemeinde letztlich kein Verlust an gemeindlicher Kompetenz entsteht. Insofern ist möglicherweise ein im Verhältnis zur "Hochzonung" auf die überörtliche Landkreisebene oder die staatliche Ebene unterscheidbarer verfassungsrechtlicher Maßstab zu entwickeln. Wie dieser im einzelnen ausgestaltet sein könnte, läßt sich in wissenschaftlich fundierter Weise nicht vorhersagen. In Niedersachsen ist auf eine gesetzliche Verankerung der Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen den beiden Planungsebenen Samtgemeinde und Ortsgemeinde verzichtet worden?>4 Wegen der planungsrechtlichen Bindungswirkungen des flächennutzungsplanes gegenüber dem nachfolgenden Bebauungsplan muß der Gesetzgeber Abstimmungspflichten (Anhörungs- und Beteiligungsrechte bis hin zu Mitentscheidungsrechten in den für die Ortsgemeinde besonders gravierenden planerischen Fragestellungen) gesetzlich präzise verankern?05 Insofern muß die Flächennutzungsplanung der Amtsgemeinden noch durch die Beteiligung der Ortsgemeinden konkretisiert werden. Dies gilt um so mehr, als es sich bei der Verantwortlichkeit für Satzungen und Entscheidungen nach dem Baugesetzbuch einschließlich der Gestaltung des Ortsbildes um eine materielle Kompetenz mit hoher kommunalpolitischer Verantwortung handelt. Eine gesetzliche Absicherung der verfassungsrechtlich gewährleisteten, besonders wichtigen ortsgemeindlichen Aufgabenzuständigkeiten und Eigenverantwortlichkeiten im Planungsbereich greift auch nicht in unzulässiger Weise in die Satzungsautonomie der Amtsgemeinden bei der Flächennutzungsplanung ein; dies wird bereits durch das in § 2 Abs. 2 BauGB gesetzlich verankerte und verfassungsrechtlich geforderte interkommunale Abstimmungsgebot belegt. In diesem Sinne argumentiert auch der StGH BW, wenn er darauf hinweist, daß die Übertragung der Kompetenz zur Flächennutzungsplanung auf einen Gemeindeverwaltungsverband den Wesensgehalt des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts nicht in jedem Fall verletzen würde: Dies sei vielmehr wegen der verbleibenden Mitwirkungsmöglichkeiten der Gemeinde im Verband und wegen der überörtliH.-H. v. Hoerner, Die Neue Verwaltung 1998, 14 (15). ws Das von der Rspr. für die Bauleitplanung entwickelte Abstimmungsgebot, das als Ausfluß der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG anzusehen und für die interkommunale Ebene inzwischen gesetzlich in § 2 Abs. 2 BauGB verankert ist, muß erst recht intrakommunal zwischen den bei den eng miteinander verwobenen Teilen der Gesamthandsgemeinde sichergestellt werden. Siehe zum interkommunalen Abstimmungsgebot z. B. BVerwGE 40,323; 84, 209; BVerwG, UPR 1995, 195; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 1998, Rdnm. 130 f. 204
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ehen Bezüge der vorbereitenden Bauleitplanung in der Regel nicht der Fall. Entsprechend dem Gesetzeszweck müsse allerdings die F1ächennutzungsplanungsKompetenz vom Gemeindeverwaltungsverband auch verfassungskonform gehandhabt werden. Sie dürfe gegen den Willen einer einzelnen Mitgliedsgemeinde nur insoweit ausgeübt werden, als dies durch Belange einer überörtlichen Abstimmung, eine Entwicklung des gesamten Verwaltungsraumes oder durch raumordnerische bzw. landesplanerische Ziele gerechtfertigt sei. Davon abgesehen müßten die Vorstellungen jeder Mitgliedsgemeinde angemessen berücksichtigt werden. 2OO Den Anforderungen des StGH BW ist im Hinblick auf die zwischen Orts- und Amtsgemeinde vorzunehmende Aufgabenverteilungssymmetrie bei der Bauleitplanung uneingeschränkt zuzustimmen.
(3) Bau und Unterhalt der Ortsverbindungsstraßen Der Bau und die UnterhaLtung der Ortsverbindungsstraßen, eine bereits der Sache nach ortsgemeindeübergreifende Aufgabe, ist eine Angelegenheit, die eine Zuständigkeit der Amtsgemeinde kraft Natur der Sache nahelegt.
(4) Trägerschaft für ortsgemeindeübergreifende öffentliche Einrichtungen Die Übertragung der beispielhaft genannten (Kindertagesstätten, Schulen usw.), aber auch der ungenannten Trägerschajten für öffentLiche Einrichtungen 207 , die bei StGH BW, DÖV 1976, 595 (597). Beim Aufgabenwechsel im eigenen Wirkungskreis entstehen vermögensrechtliche Fragen bzw. Probleme der Rechtsnachfolge. Hinsichtlich der Frage, ob mit der Aufgabenübertragung auch das der Aufgabenwahrnehmung dienende Verwaltungsvermögen einschließlich der Verbindlichkeiten übergeht, fehlt eine allgemeine gesetzliche Vorschrift. Für den Wechsel der Straßenbaulast bestimmt die Spezialvorschrift des § Il StraßenG Bbg: ,,(1) Beim Wechsel der Straßenbaulast gehen das Eigentum des bisherigen Trägers der Straßenbaulast an der Straße sowie alle Rechte und Pflichten, die mit der Straße in Zusammenhang stehen, entschädigungslos auf den neuen Träger der Straßenbaulast über, soweit das Eigentum bisher bereits einer Gebietskörperschaft zustand. (2) Absatz 1 gilt nicht für 1. das Eigentum an Nebenanlagen ... , 2. das Eigentum an Leitungen, die der bisherige Träger der Straßenbaulast für Zwekke der öffentlichen Ver- und Entsorgung in die Straße verlegt hat, 3. Rechte und Pflichten des bisherigen Trägers der Straßenbaulast aus Gebietsversorgungsverträgen, 4. Verbindlichkeiten des bisherigen Trägers der Straßenbaulast aus der Durchführung früherer Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen. Soweit diese Verbindlichkeiten dinglich gesichert sind, hat der neue Eigentümer einen Befreiungsanspruch. (3) Hat der bisherige Eigentümer berechtigterweise besondere Anlagen in der Straße gehalten, so ist der neue Eigentümer verpflichtet, diese in dem bisherigen Umfang zu dulden .... (4) Der bisherige Träger der Straßenbaulast hat dem neuen Träger der Straßenbaulast dafür einzustehen, daß er die Straße in dem durch die Verkehrsbedeutung gebotenen Umfang ordnungsgemäß unterhalten und den notwendigen Grunderwerb durchgeführt hat. Ist eine abzustufende Straße nicht ordnungsgemäß ausgebaut, so hat er 206
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der Amtsgemeinde angesiedelt werden sollen, setzt bereits nach der Einschätzung der Enquetekommission einen ortsgemeindeübergreifenden Charakter voraus. Dieser liegt dann, aber auch nur dann vor, wenn sich das Einzugsgebiet von Aufgabe und Trägerschaft auf mehrere Ortsgemeinden einer Amtsgemeinde erstreckt. Für Rheinland-Pfalz ergibt sich aus § 6 der Aufgaben-Übergangs-Verordnung208 , was im einzelnen unter überörtlichen 209 Sozialeinrichtungen zu verstehen ist: Danach sind "überörtliche" Sozialeinrichtungen z. B. Sozialstationen, Altenheime, Altenpflegeheime, Jugendheime, Unterkünfte für Obdachlose und Nichtseßhafte oder zu ähnlichen Zwecken bestimmte oder geeignete Einrichtungen, die nach ihrer Planung oder nach Standort, Umfang und Ausstattung nicht nur für die Einwohner einer Ortsgemeinde, sondern auch für die Einwohner der Mehrheit der Ortsgemeinden derselben Verbandsgemeinde bestimmt und geeignet sind. Die Aufgaben des Landkreises als dem örtlichen Träger der Sozialhilfe dürfen durch die Regelung bzw. Errichtung sozialer Einrichtungen auf der Amtsgemeindeebene nicht berührt werden. Es ist eine möglichst präzise Abgrenzung der Aufgaben mit einem ortsgemeindeübergreifenden Charakter von jenen Angelegenheiten vorzunehmen, die aufgrund ihres "überörtlichen" Bezugs der Landkreisebene garantiert sind. Insoweit besteht ein erhebliches Streitpotential für gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen den Landkreisen einerseits und den Amtsgemeinden andererseits. Dem Gesetzgeber muß durchweg bewußt sein, daß er durch die Schaffung des Amtsgemeindemodells den in der Abschichtung äußerst streitanfalligen örtlichen (Gemeinde-) und überörtlichen (Kreis-) Angelegenheiten mit den ortsgemeindeübergreifenden Aufgaben einen weiteren Aufgabentypus hinzufügt, der nunmehr der doppelten Abgrenzung zu den ortsörtlichen ("nach unten") und überörtlichen Aufgaben ("nach oben") bedarf. Komplizierter geht es kaum! Dem aufgabenerfindenden und -differenzierenden Gesetzgeber müßte im Hinblick auf diese Aufgabentrias das Gütesiegel der Verwaltungsvereinfachung und Effizienzsteigerung sicherlich verweigert werden. In diesem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, daß das Bundesverfassungsgericht bei der Abgrenzung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft von den überörtlichen Aufgaben der Landkreise die Unterscheidung einer "Iokalen Örtlichkeit" von einer "übergemeindlich regionalen Örtlichkeit" ausdafür nur insoweit einzustehen, als der Ausbauzustand hinter den Anforderungen der künftigen Straßengruppe zurückbleibt." Die Vorschrift deutet die Komplexität der regelungsbedürftigen Rechtsnachfolgeproblematik an. Zum Problem bei der Aufgabenverlagerung auf die niedersächsische Samtgemeinde siehe H.-i. Schmidt, Die Samtgemeinde nach der Verwaltungs- und Gebietsreform in Niedersachsen, 1982, S. 190 ff.\ 208 Zitiert nach Dahm, Die Verbandsgemeinde und ihre Ortsgemeinden, 1986, S. 19. 209 Der Begriff der "Überörtlichkeit" ist mit Blick auf den der Kreisebene zustehenden überörtlichen Aufgabenbestand sehr "unglücklich" gewählt. Daher ist der Enquetekommission zuzustimmen, bei Aufgaben, die oberhalb der Ortsgemeindeebene, aber unterhalb des Kreises angesiedelt sind, von ortsgemeindeübergreifenden Aufgaben zu sprechen.
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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drücklieh abgelehnt hat. 210 Der als schallendende Ohrfeige gegen das Bundesverwaltungsgericht211 zu wertende Hinweis diente der KlarsteIlung, daß die Kreise nicht am Gewährleistungsgehalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG teilhaben. Diese Kritik gilt auch für die kleinteilig-funktionalen Differenzierungen des Orts- und Amtsgemeindemodells. Im übrigen sind auch bei der Verwirklichung des Amtsgemeindemodells die Erfordernisse des bundesverfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzips mit der Folge zu beachten, daß die Verlagerung der Trägerschaft der beispielhaft genannten und sonstiger öffentlicher Einrichtungen jeweils daraufhin zu untersuchen ist, ob sie den dargestellten Anforderungen entsprechen. Nach Auffassung von Grünewald wird sich im Kita- und Schulbereich durch die Amtsgemeindebildung wenig ändern?12 Da nach § 12 Abs. 1 Satz 2 KitaG Bbg die Verpflichtung zur Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebotes an Kindergartenplätzen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und damit den Landkreis trifft, beeinflußt dieser durch die Aufstellung von Kindergartenbedarfsplänen in erheblichem Maße die Standort- und Folgeentscheidungen. Unabhängig von ihrer derzeitigen sachlichen Zuständigkeit hätten die amtsangehörigen Gemeinden demzufolge Entscheidungsspielräume nur hinsichtlich des "Wie", d. h. der Art und Weise der Kita-Aufgabenwahmehmung, nicht hinsichtlich des "Ob" der Aufgabenerfüllung?13 Über den Schulentwicklungsplan sind entsprechende Steuerungsmöglichkeiten des Landkreises auch im Schulbereich vorhanden?14
BVerfGE 79,127 (152). BVerwGE 67,321 (324 f.) - ebenfalls Rastede. 212 Grünewald, apf 8/99,57 (67). 213 § 14 Abs. 1 KitaG Bbg bestimmt die Gemeinden und Gemeindeverbände zu Trägern von Kindertagesstätten. Der Träger muß bereit und in der Lage sein, bedarfsgerechte und geeignete Einrichtungen zu schaffen, nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu betreiben und die geforderte Eigenleistung zu erbringen (Abs. 2). Ist weder ein Träger der freien Jugendhilfe bereit noch die Gemeinde oder ein Gemeindeverband in der Lage, eine notwendige Kindertagesstätte zu errichten und zu unterhalten, so hat der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe die erforderliche Einrichtung selbst zu errichten und zu betreiben(Abs. 3). 214 Grünewald, apf 8/99, 57 (67) weist darauf hin, daß § 100 Abs. 1 Satz 3 SchulG Bbg in Form eines "Regelrnuß" die Schulverbandsbildung bzw. die Übertragung der Schulträgerschaft auf das Amt für Gemeinden mit einer unter 5.000 liegenden Einwohnerzahl vorsehe. Der genehmigte Schulentwicklungsplan sei im übrigen auch Grundlage für die Bestimmung des Grundschulbezirkes. Nach einer Entscheidung des VerfG Bbg vorn 17.7. 1997 (1/97), LKV 1997, S. VII, wurde eine Vorschrift des Schulgesetzes, die die Schulentwicklungsplanung ausschließlich den Kreisen und kreisfreien Städten zuordnete, für mit der Landesverfassung unvereinbar erklärt, soweit damit den kreisangehörigen Gemeinden eine eigene Schulplanung vorenthalten wird. Die kreisangehörigen Kommunen seien i. ü. als Schul träger anzuerkennen, soweit sie die einschlägige Schülermeßzahl erreichten. Erfolglos blieb die Verfassungsbeschwerde hingegen im Hinblick vorn Gesetzgeber in § 107 SchulG vorgenommene Regelung der Rechtsnachfolgeproblematik. Hiernach gehen Schulanlagen beim Wechsel des 210
2lI
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B. Untersuchung
(5) Die ortsgemeindeübergreifende Förderung von Wirtschaft, Gewerbe und Fremdenverkehr In bemerkenswertem Unterschied zur rheinland-pfalzischen und niedersächsischen Rechtslage sollen nach den Vorstellungen der Enquetekommission auch die Zuständigkeiten für die ortsgemeindeübergreifende Förderung von Wirtschaft, Gewerbe und Fremdenverkehr auf die Amtsgemeinde verlagert werden. 215 Damit soll möglicherweise dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die brandenburgischen Ämter in diesen Bereichen bereits gemeindliche Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen, ohne daß hierfür förmliche Übertragungsbeschlüsse bestehen. Jedenfalls berichtet Grünewald in seiner Analyse der gegenwärtigen Lage der kommunalen Selbstverwaltung, daß die brandenburgischen Ämter vielfach die Aufgaben der übergreifenden Fremdenverkehrskonzeptionsentwicklung und Wirtschaftsförderung übernommen haben. 216 Dort, wo Wirtschaft, Gewerbe und Fremdenverkehr eine ortsgemeindeübergreifende Aufgabe darstellen, läßt sich die von der Enquetekommission vorgeschlagene Zuständigkeit der Amtsgemeinde möglicherweise rechtfertigen. Wie jede andere Aufgabenverlagerung muß sich der mit ihr verbundene Aufgabenentzug, wie der Abschlußbericht der Entquetekommission selbst einräumt217 , an den vom BVerfG zum Vorrangprinzip der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG entwickelten Anforderungen messen lassen: Danach darf der Gesetzgeber den Gemeinden "eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter ... nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem also dann entziehen, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Demgegenüber scheidet das bloße Ziel der Verwaltungsvereinfachung oder der Zuständigkeitskonzentration - etwa im Interesse der Übersichtlichkeit der öffentlichen Verwaltung - als Rechtfertigung eines Aufgabenentzugs aus; denn dies zielte ausschließlich auf die Beseitigung eines Umstandes, der gerade durch die vom Grundgesetz gewollte dezentrale Aufgabenansiedlung bedingt wird. Auch Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung insgesamt rechtfertigen eine ,Hochzonung' nicht schon aus sich heraus, sondern erst dann, wenn ein Belassen der Aufgaben bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde. Eine zentralistisch organisierte Verwaltung könnte allerdings in vielerlei Hinsicht rationeller und billiger arbeiten; die Verfassung setzt diesen ökonomischen Erwägungen jedoch den politisch-demokratischen GesichtsSchul trägers auf den neuen Schul träger über. Siehe zur Entscheidung des LVerfG Bbg P. Schumacher; KommunalPraxis 1997,272 ff. 215 Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 33. 216 Grünewald, apf 8/99,57 (58). Auch in anderen Bereichen gebe es eine Vielzahl von ämterübergreifenden [tl Zusammenarbeit, die nicht immer durch erforderliche Gemeindevertretungsbeschlüsse gedeckt sei, z. B. in den Bereichen der Verwaltungsvollstreckung, des Standesamtes, der Obdachlosenunterbringung und des Rechnungsprüfungswesens. 217 Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 33.
III. VerfassungsrechtIiche Analyse der Modellvarianten
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punkt der Teilnahme der örtlichen Bürgerschaft an der Erledigung ihrer öffentlichen Aufgaben entgegen und gibt ihm den Vorzug. Der Staat ist daher zunächst darauf beschränkt sicherzustellen, daß die Gemeinden ihre Angelegenheiten nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erfüllen; daß andere Aufgabenträger in größeren Erledigungsräumen dieselbe Aufgabe insgesamt wirtschaftlicher erledigen könnten, gestattet - jedenfalls grundsätzlich - keinen Aufgabenentzug.,,218 Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, inwiefern und in welchen Bereichen bzw. Fällen ein Belassen der Wirtschafts-, Gewerbe- und Fremdenverkehrsförderung bei den Ortsgemeinden - in der Diktion des BVerfG - zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde. Vom aufgabenentziehenden Gesetzgeber müßte der ortsgemeindeübergreifende Charakter deutlich und nachvollziehbar herausgearbeitet werden, da diesem Aspekt eine den Aufgabenentzug rechtfertigende Wirkung beigelegt werden soll. Daruberhinaus obliegt dem Gesetzgeber in jedem Falle der zusätzliche (!) Nachweis, daß die den Aufgabenentzug tragenden Grunde gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG überwiegen. 219 Wenn sich eine einzelne Ortsgemeinde aufgrund ihrer besonderen Lage (z. B. an überregionalen Straßen, Wasserstraßen oder Schienenwegen) gegenüber den übrigen Ortsgemeinden auszeichnet bzw. absetzt, bedeutet die Kompetenzübertragung zugunsten der Amtsgemeinde einen schweren Verlust für die lokale Wirtschaftsförderung der Gemeinde. 22o Ähnliches gilt bei besonders günstigen Industrieansiedlungsfazilitäten für die Gewerbeförderung.
(6) Die Aufgaben des jetzigen Amtes, die Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse der Ortsgemeindevertretungen und die Geschäfte der laufenden Verwaltung Neben den bereits genannten Aufgaben, für die nach der Vorstellung der Enquetekommission zukünftig die Amtsgemeinde politisch verantwortlich und mit den entsprechenden Vollzugskompetenzen ausgestattet werden soll, sieht der Abschlußbericht weitere, zum Teil gewichtige Aufgabenverlagerungen vor: "Die Amtsgemeinde nimmt die Aufgaben des jetzigen Amtes als Verwaltung der amtsangehörigen Gemeinden wahr. So [!] ist die Amtsgemeinde für die Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse der Ortsgemeindevertretungen sowie für die laufende Verwaltung verantwortlich.,,221 BVerfGE 79, 127 (153). Ebda. LS 3. b. 220 Wie noch darzustellen sein wird, korrespondiert die Aufgabenzuständigkeit in den Bereichen der lokalen Gewerbeansiedlungspolitik und auch der örtlichen Fremdenverkehrsförderung mit der Steuererhebungs- und Steuerertragskompetenz. Siehe dazu unten B. III. 3. g). 221 Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 32. 218 219
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B. Untersuchung
(0:) Die Aufgaben des jetzigen Amtes
Die Formulierungen des Abschlußberichts ("Aufgaben des jetzigen Amtes") sind in ihrem Gesamtzusammenhang dahin zu verstehen, daß die Enquetekommission von einer Aufgabenerledigung durch die Ämter in einer beachtlichen Anzahl von Fällen außerhalb der durch die Amtsordnung verliehenden oder ermöglichten Zuständigkeiten ausgeht. Die Enquetekommission bleibt eine Zusammenstellung und Analyse der von den amtsangehörigen Gemeinden auf das Amt möglicherweise außerhalb des gesetzlichen Rahmens "übertragenen" Aufgaben schuldig. Grünewald jedenfalls berichtet, das Amt nehme, ähnlich wie in Schleswig-Holstein,222 bereits jetzt teilweise Selbstverwaltungsaufgaben ohne förmlichen Übertragungsbeschluß z. B. im Bereich des Fremdenverkehrs wahr. Es gebe eine Vielzahl von ämterübergreifenden Zusammenarbeitsformen, die nicht immer durch Gemeindevertretungsbeschlüsse gedeckt seien [!], wie z. B. in den Bereichen der Verwaltungsvollstreckung, des Standesamtes, der Obdachlosenunterbringung, des Rechnungsprüfungswesens, der übergreifenden Fremdenverkehrskonzeptionsentwicklung und der Wirtschaftsförderung. 223 Selbst wenn sich die beschriebenen freiwilligen, faktischen und offenbar (formell) rechtswidrigen 224 Aufgabenverlagerungen durch empirische Daten belegen ließen, ist damit noch nichts über die verfassungsrechtliche Beurteilung einer gesetzlichen Aufgabenverlagerung auf die Amtsgemeinde in entsprechendem Umfang gesagt. Die gegenwärtige Rechtslage wird durch § 5 AmtsO Bbg bestimmt; die gesetzliche "Wegzonung" von Aufgaben zur Amtsgemeinde muß sich am verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzip messen lassen. (ß) Die Vorbereitung und Durchführung
der Beschlüsse der Ortsgemeindevertretung
Von einem Verlust an Eigenverantwortlichkeit bei der Aufgabenerfüllung abgesehen, bewirkt die "Verlagerung" der Vorbereitungs- und Beschlußdurchführungskompetenz den faktischen und auch rechtlichen Verlust der ortsgemeindlichen Personal- und Organisationshoheit in einem entsprechenden Umfang. Selbst wenn die rechtliche Einbuße von Personal- und Organisationshoheit nicht zu einem Verlust an politischer Entscheidungsmacht fUhren sollte, da diese nach den Vorstellungen der Enquetekommission, ebenso wie nach der niedersächsischen Samtgemeinde222 Vgl. oben B. I. 1. A. v. MutiuslSteinger gelangen für Schleswig-Holstein aufgrund der von ihnen erhobenen empirischen Daten allerdings nicht zu der Einschätzung, daß Selbstverwaltungsaufgaben in einem qualitativ und quantitativ erheblichen Umfang auf die Ämter übertragen worden sind. 223 Grünewald, apf 8/99, 57 (58). 224 § 5 Abs. 4 AmtsO Bbg lautet auszugsweise: "Ferner erfüllt das Amt einzelne Se1bstverwaltungsaufgaben der amtsangehörigen Gemeinden nur dann an deren Stelle, wenn mehrere Gemeinden des Amtes die Aufgaben auf das Amt übertragen haben .... "
III. VerfassungsrechtJiche Analyse der Modellvarianten
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verfassung, auch hinsichtlich der von der Amtsgemeinde vorbereiteten und vollzogenen Beschlüsse bei der Ortsgemeinde verbleibt, wird eine derartige Regelung gleichwohl verfassungsrechtlich an den Schranken der Art. 28 Abs. 2 Satz I GG und Art. 97 Abs. 1 und 2 Verf Bbg zu messen sein: Die Personalhoheit, die neben der Dienstherrenfähigkeit vornehmlich die Befugnis umfaßt, das Personal, insbesondere die Gemeindebediensteten auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen,225 wird als Annex zur Aufgabenverlagerung begrenzt. Auch die Organisationshoheit erfährt eine Beschränkung. Zu ihr gehört die grundsätzlich freie Bestimmung über die Gemeindeorganisation zur Erfüllung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. 226 Durch den bei der Amtsgemeinde angesiedelten Verwaltungsvollzug weiterer zum gemeindlichen Selbstverwaltungsbereich zählenden Aufgaben wird die Befugnis zur Ausgestaltung der inneren Organisation sachlich eingeschränkt. Beide "Hoheiten" gehören zu jenen Hoheitsbündeln, die zusammen genommen den Wesenskern der Selbstverwaltung im Bereich der Eigenverantwortlichkeit ausmachen.227 Nach der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG sind dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der gemeindlichen Organisation in zweifacher Hinsicht Grenzen gesetzt: Die Gewährleistung des Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung untersagt zum einen Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen im Ergebnis ersticken. Im sogenannten Randbereich (Vorfeld der Sicherung des Kembereichs) verpflichtet Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gesetzgeber zum anderen, bei der Ausgestaltung des Kommunalrechts den Gemeinden eine Mitverantwortung für die organisatorische Bewältigung ihrer Aufgaben einzuräumen. Er hat den Gemeinden insbesondere einen hinreichenden organisatorischen Spielraum bei der Wahrnehmung der einzelnen Aufgabenbereiche offenzuhalten. 228 Zum Selbstverwaltungsrecht gehört schließlich auch die Funktionsfähigkeit der Gemeindeorgane mit der Folge, daß sie funktionstauglich und in der Lage bleiben müssen, eigenständig und selbstverantwortlich über Angelegenheiten der Gemeinde zu entscheiden. 229 Wer das Zusammenwirken der Kommunalvertretungsorgane auf Amts- und Gemeindeebene kennt, wird nicht bestreiten können, daß der Vorbereitung von Gemeindevertretungsbeschlüssen eine Schlüsselrolle und damit entscheidendes kom225 BVerfGE I, 167 (174); 7, 358 (364); 8, 332 (359); 9, 268 (289);17, 172 (181); - std. Rspr.; siehe auch BVerwGE 6, 19 (24). Zur kommunalen Personalhoheit und zum Landespersonalverwaltungsrecht in Rheinland-Pfalz siehe VerfGH Rh Pf, DVBI. 1994,1059 (1062 ff.). 226 Siehe grundlegend BVerfG, DVBI. 1995,290 (291 f.). 227 BVerfGE 56, 298 (312); siehe ferner Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, S. 1 (17). 228 BVerfGE 91, 228 ff. und BVerfG, NVwZ 1997, 58 ff.; siehe dazu auch NdsStGH, NVwZ 1997, 58; FritschelWankel. NVwZ 1997,43 ff.; I. Mayer; NVwZ 1995, 663 f. 229 BVerfGE 91, 228 ff. (Gleichstellungsbeauftragte Schieswig-Hoistein) m. Anm. I. Mayer; NVwZ 1995,668; NdsStGH, NVwZ 1997,58 (59) m. Anm. FritschelWankel, NVwZ 1997,43 ff.
B. Untersuchung
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munalpolitisches Gewicht zukommt. Durch den mit der Vorbereitungsaufgabe verbundenen Infonnationsvorsprung und die damit einhergehenden Gestaltungsmöglichkeiten wird das Vorbereitungsorgan zugleich zum politischen (Mit-)Entscheidungsorgan. Der mit der Vorbereitungskompetenz verknüpfte partielle Verlust an politischer Entscheidungszuständigkeit der (Orts-) Gemeindevertretungen begegnet gleichwohl im Ergebnis unter anderem wegen der unbestreitbaren Entlastungswirkungen gegenüber der Ortsgemeindeverwaltung keinen ernsthaften Bedenken. Ein Blick auf die Rechtsprechung des BVerwG und des VerfG Bbg bestätigt diesen Befund. Zum einen vennag das BVerwG (ohne erkennbare Auseinandersetzung mit den beschriebenen Einwänden) imfaktischen Entzug von Personal- und Organisationshoheit, soweit es um die Verlagerung der Verwaltungskompetenz auf die rheinlandpfälzische Verbandsgemeinde geht, eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu erblicken: Da die Verbands gemeinden im Interesse der Ortsgemeinden und deren Selbstverwaltung geschaffen worden seien, sei die Übertragung der Verwaltungskompetenz auf die Verbandsgemeindeverwaltung und die damit verbundene Minderung der Personalund Organisationshoheit der Mitgliedsgemeinden das gegenüber deren Auflösung mildere Mittel. Die Regelung diene der Erhaltung der "Kleingemeinden" und ihrer Entlastung von Aufgaben, die ihre Verwaltungskraft überstiegen. 23o Allerdings sind das Aufgabenverteilungsprinzip und die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Neugliederungsmaßnahmen streng voneinander zu unterscheidende verfassungsrechtliche und -gerichtliche Maßstäbe?3! Zum anderen hat das VerfG Bbg die Verfassungsmäßigkeit der brandenburgischen Amtsordnung indirekt in seiner Brandschutzentscheidung bestätigt. 232 § 4 Abs. 1 AmtsO bestimmt: "Das Amt bereitet durch den Amtsdirektor im Benehmen mit dem jeweiligen Bürgenneister bei Selbstverwaltungsangelegenheiten die Beschlüsse der Gemeindevertretung vor und führt sie nach deren Beschlußfassung durch." Damit liegen die Vorbereitungs- und Durchführungskompetenzen bereits nach der geltenden, verfassungsgerichtlich nicht beanstandeten Rechtslage nicht bei den Organen der amtsangehörigen Gemeinden. Allerdings ist zu beachten, daß die amtsangehörigen Gemeinden über den Amtsausschuß Kontrollbefugnisse gegenüber dem Amtsdirektor haben. Das Amt als Verwaltungshilfseinrichtung der amtsangehörigen Gemeinden steht diesen näher als die Amts- der Ortsgemeinde.
h) Die Geschäfte der laufenden Verwaltung Nach dem Bericht der Enquetekommission soll die Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung der Ortsgemeinde (im Unterschied zur Rechtslage in 230
231 232
BVerwG. NVwZ 1984, 378 ff. Dazu näher oben B. III. 2. d) (2). LVerfGE 5,79 ff.
111. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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Rheinland-Pfalz und Niedersachsen!) auf die Amtsgemeinde (Amtsbürgermeister) übertragen werden. 233 Dies entspricht zwar insoweit der geltenden Rechtslage, als nach § 9 Abs. 3 Satz 2 AmtsO der Amtsdirektor nicht nur die Geschäfte der laufenden Verwaltung des Amtes, sondern auch diejenigen der amtsangehörigen Gemeinde führt. Das Amt als "Verwaltungshilfseinrichtung" der Gemeinden (Köstering) nimmt insoweit aber nur eine dienende Funktion für die Gemeinde wahr, die selbst uneingeschränkt Träger der vom Amt durchgeführten oder haushaItsrechtlich betreuten Selbstverwaltungsaufgaben bleiben" (VerfG Bbg, Beschl. v. 21. 1. 1998, 8/ 97, UA, S. 11). Bei der Auf- bzw. Abspaltung von Orts- und Amtsgemeinde geht dieser Kondtext indes verloren. In der Übertragung der Geschäfte der laufenden Verwaltung liegt deshalb ein Aufgabenentzug gegenüber den Ortsgemeinden, der über den derzeitigen Rechtszustand und die Verlagerung von Vollzugskompetenzen hinausgeht. Durch diese Aufgabenübertragung überschreitet der Gesetzgeber die ihm gesetzten verfassungsrechtlichen Grenzen. Für die Zuweisung der (wiederkehrenden, finanziell unbedeutenden) Geschäfte der laufenden Verwaltung der Ortsgemeinden an den Amtsbürgermeister ist nicht nur kein Gemeinwohlgrund ersichtlich. Sie ist überdies auch sach- und systemwidrig. Sie begründet eine Zuständigkeit der Amtsgemeindeverwaltung (Amtsbürgermeister) für die Entscheidung und Ausführung von VerwaItungsgeschäften geringfügiger Art, die am besten vor Ort erledigt werden können. Darüber hinaus ergibt sich Rechtsunsicherheit bei der Wahrnehmung der Außenvertretung der Ortsgemeinde: Während nach der Konzeption des Abschlußberichts die Entscheidungskompetenz für die Geschäfte der laufenden Verwaltung beim Amtsbürgermeister liegt, erfolgt ihre Umsetzung im Außenverhältnis im Zusammenwirken mit dem Ortsbürgermeister oder allein durch diesen. Die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Amts- und Ortsbürgermeister muß eindeutig sein. Die direktdemokratische Legitimation auch des Ortsbürgermeisters verlangt eine Aufgabenausstattung, die nach Qualität und Gewicht einem kommunalen, wenn auch ehrenamtlichen Hauptverwaltungsbeamten entspricht. Bürgerwahl und Aufgabenausstattung müssen demokratietheoretisch austariert sein. Der Gesetzgeber kann sich nach allem nicht darauf verlassen, daß ein Verfassungsgericht auch noch diesen zusätzlichen Aufgabenentzug, für den eine Kompensation an anderer Stelle nicht geleistet wird, ebenfalls als verfassungsrechtlich gerechtfertigt ansieht. Diese Einschätzung gilt vor allem im Hinblick auf die (zutreffende) verfassungs- und verwaltungsgerichtliche Praxis, den je einzelnen Aufgabenentzug im Zusammenhang mit der kumulierenden Wirkung aller übrigen Aufgabenverlagerungen zu beurteilen.
233 Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 2, 32; siehe auch den klarstellenden Hinweis von Böttcher, ebda., S. 82
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(7) Kompetenz-Kompetenz, Ergänzungsaufgaben und Anspruch auf AufgabenfÜckübertragung "Die gesetzliche Zuweisung von Selbstverwaltungsaufgaben an die Amtsgemeinde soll durch Übernahme- und Rückholklauseln ergänzt werden, um flexibel auf die sich verändernden Bedingungen und die örtlichen Gegebenheiten reagieren zu können: - Bei dringendem öffentlichen Interesse kann die Amtsgemeinde mit einer qualifizierten Mehrheit der Amtsgemeindevertretung und Zustimmung von zwei Dritteln der Ortsgemeinden eine Aufgabe oder Einrichtung an sich ziehen. - Wurde die Aufgabe oder Einrichtung bisher nur von einer oder einzelnen Ortsgemeinden wahrgenommen oder betrieben, so kann sie gegen deren Widerspruch nur aus überwiegendem öffentlichen Interesse von der Amtsgemeinde übernommen werden. - Einzelne Ortsgemeinden können der Amtsgemeinde außerdem freiwillig weitere Aufgaben oder Einrichtungen übertragen, wenn sie zur Erfüllung der Aufgabe oder der Trägerschaft der Einrichtung künftig nicht mehr in der Lage sind und die Amtsgemeindevertretung zustimmt. - Insbesondere aus Gründen gestiegener Leistungskraft kann eine Ortsgemeinde eine von der Amtsgemeinde wahrgenommene Aufgabe oder von ihr betriebene Einrichtung, mit Ausnahme der durch Gesetz übertragenen Aufgaben oder Einrichtungen, zurückfordern. Die Entscheidung darüber trifft die Amtsgemeindevertretung unter Berücksichtigung der Interessen aller Ortsgemeinden. Auch eine ergänzende Aufgabenwahrnehmung durch die Amtsgemeinde und die Ortsgemeinden ist neben der gesetzlichen Aufgabenverteilung in Einzelfällen vorstellbar. So kann eine Ortsgemeinde im Bereich der freiwilligen Aufgaben nach wie vor z. B. ein eigenes Heimatmuseum unterhalten ... 234
Die von der Enquetekommission vorgeschlagene Übernahmeklausel firmiert in der rechtlichen Auseinandersetzung über vergleichbare Vorschriften auch unter dem Schlagwort "Kompetenz-Kompetenz". Über die rechtliche Zulässigkeit derartiger Klauseln in ihren unterschiedlichen Spielarten, Anwendungsfeldern und Systemzusammenhängen besteht seit langem Uneinigkeit. 235 So räumen die meisten Kreisordnungen den Kreisen die Befugnis ein, durch Kreistagsbeschluß (mit qualifizierten Mehrheiten [!]236) bestimmte Gemeindeangelegenheiten oder auch -einrichtungen in Kreisregie zu übernehmen. 237 Zumeist dient die Ausnutzung der kreislichen Kompetenz-Kompetenz der Fortentwicklung der inzwischen auch vom Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 33 f. Zum Streitstand siehe Nierhaus, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, Europäische und nationale Aspekte, KWIS, Bd. I, 1996, S. 45 (78 ff.) m. zahlr. Nachw. 236 Ohne das Vorhandensein derartiger Kautelen zum Schutz der Gemeinden dürften sich die Regelungen der Kompetenz-Kompetenz als verfassungswidrig erweisen. 237 § 2 Abs. 2 LKrO BW, § 4 Abs. I Satz 2, Abs. 2 LKrO Bbg, § 19 LKrO Hess, § 3 Abs. 2 Satz 2 LKrO Nds, § 2 Abs. 2 LKrO RhPf, § 143 Abs. 3 und 4 KSVG Saarl, § 21 LKrO SH. 234 23S
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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BVerwG in einer vielbeachteten Grundsatzentscheidung für die Kreisebene anerkannten Ergänzungsaufgaben. 238 Die Kompetenz-Kompetenz hat eine lange Tradition: Durch das Preußische Gesetz vom 27. 12. 1927 wurde sie für die Ämter eingeführt. Nachdem sie bereits in der ersten Fassung des Selbstverwaltungsgesetzes von Rheinland-Pfalz aus dem Jahre 1948 enthalten war, besteht sie für die heutigen rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinden nach Maßgabe des § 67 Abs. 3 GemO Rh-Pf ("gekorene" im Unterschied zu den gesetzlich verankerten "geborenen Aufgaben" der Verbandsgemeinde): Die Übernahme einer ortsgemeindlichen Aufgabe durch die Verbandsgemeinde setzt zunächst einen Beschluß der Verbandsgemeindevertretung und von mehr als der Hälfte der Ortsgemeinderäte voraus, wobei in den zustimmenden Ortsgemeinden die Mehrzahl der Einwohner der Verbandsgemeinde wohnen muß. Wie bei den Ergänzungsaufgaben der Kreise bedarf der Aufgabenzugriff durch die Verbandsgemeinde in materieller Hinsicht eines dringenden öffentlichen Interesses an der gemeinsamen Aufgabenerfüllung, das in der Regel nur dann anzunehmen ist, wenn - in Anlehnung an die grundlegenden Formulierungen des BVerfG239 ein Belassen der einzelgemeindlichen Aufgabenwahmehmung zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen oder es zu einer deutlichen Aufgabenüberforderung kommen würde. 24o Die gesetzliche Regelung einer Kompetenz-Kompetenz für die Amtsgemeinde begegnet angesichts der von der h. M. für verfassungskonform gehaltenen Regelungen allgemein für die Landkreise und in Rheinland-Pfalz speziell für die Verbandsgemeinden keinen tiefgreifenden Bedenken. Insbesondere scheinen die zum Schutze der gemeindlichen Selbstverwaltung von der Enquetekommission vorgeschlagenen Kautelen (qualifizierte Mehrheiten in der Amtsgemeindevertretung und unter den Ortsgemeinden!) geeignet, verfassungsrechtliche Zweifel zu zerstreuen. Die Handhabung der Kompetenz-Kompetenz (durch die Amtsgemeindevertretung) wird wegen des mit der Kompetenzbegründung verbundenen Aufgabenentzugs gegenüber der Ortsgemeinde allerdings restriktiv zu erfolgen haben. 241 Bloße Wirtschaftlichkeitsüberlegungen oder das Bestreben, ein einheitliches Leistungs- und Kostenniveau im Amtsgemeindegebiet zu schaffen, vermögen den administrativen Eingriff in die kommunale Se1bstverwaltungsgarantie nicht zu recht-
238 BVerwG, DVBI. 1996, 1062 ff.=DÖV 19%, 875 ff.; zustimmend Henneke, NVwZ 1996, 1I81 f.; krit. K.-A. Schwarz, NVwZ 1996, 1182 ff. und Erlenkämper, NVwZ 1997,546 (551). 239 BVerfGE 79, 127 ( 153). 240 Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Auf). 1999, S. 97 ("ganz außer Verhältnis stehender Kostenanstieg"). 241 Nach Grünewald, apf 8/99, 57 (65) haben die rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinden von der ihnen zustehenden Kompetenz-Kompetenz "so gut wie nie Gebrauch gemacht", da die qualifizierenden Anforderungen an weitere Aufgabenübertragungen in aller Regel nicht erfüllt worden seien.
6 Nierhaus/Gebhardl
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B. Untersuchung
fertigen. 242 Das erforderliche dringende öffentliche Interesse an der ortsgemeindeübergreifenden Erfüllung einer Aufgabe ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn einzelne Ortsgemeinden eine bestimmte Aufgabe nicht sachgerecht erfüllen können und deshalb oder auch aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit gezwungen wären, mit anderen Gemeinden zur Erfüllung dieser Aufgabe einen Zweckverband zu gründen.
e) Die Verteilung der Steuererhebungs- und Steuerertragskompetenzen nach den Vorstellungen der Enquetekommission
Zur Frage der Finanzausstattung von Amts- und Ortsgemeinden nimmt die Enquetekommission wie folgt Stellung: "Zum Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie zählt ... auch die aufgabenadäquate Finanzausstattung. Die Forderung nach der Anwendung des Prinzips der Deckungsgleichheit von Aufgaben- und Finanzverantwortung erhält zunehmende Bedeutung. Nach der Empfehlung der Enquetekommission soll dieses Prinzip auch im Verhältnis zwischen Amtsgemeinde und Ortsgemeinde gelten. Es soll durch aufgabenadäquate Einnahmemöglichkeiten und ergänzende Finanzzuweisungen durchgesetzt werden .... Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG räumt den Gemeinden und nach Maßgabe der Landesgesetzgebung den Gemeindeverbänden die Ertragshoheit über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern ein. Der Amtsgemeinde als Gebietskörperschaft mit Gemeindequalität sollen eigene Steuerquellen sowie Anteile an den Gemeindesteuereinnahmen zugeordnet werden. Ebenso sollen die Ortsgemeinden aufgabenadäquate Finanzzuweisungen und Einnahmemöglichkeiten erhalten ...243
Amtsgemeinden und Ortsgemeinden sollen dementsprechend ihre jeweiligen Aufgaben im Rahmen der Gesetze 244 in eigener Verantwortung wahrnehmen und finanziell gestalten können. Die Finanzbeziehungen zwischen den Ortsgemeinden und den Amtsgemeinden sollen nach den Vorstellungen der Kommission so gestaI242 Zutreffend für die Ausübung der Kompetenzregelungen auf Kreisebene Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes VeIWaltungsrecht, 11. Aufl. 1999, S. 96. 243 Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 34. 244 Zu den Beschränkungen der Aufgaben- und Ausgabenverantwortlichkeit von Kommunen siehe im einzelnen NierhauslGebhardt, Zur Ausfallhaftung des Staates für zahlungsunfähige Kommunen, 1999, S. 66 ff. m. w. Nachw. Bei näherer Betrachtung der Aufgaben- und der mit ihr zusammenhängenden Ausgabenverantwortlichkeit ergibt sich für die Kommunen eine ebenso ernüchternde Bilanz wie beim Blick auf die Gestaltungsmöglichkeiten der Einnahmen: Der Bund kann Staatsaufgaben durch Bundesgesetz begründen, die Länder müssen diese in der Regel als eigene Angelegenheit ausführen (Art. 83, 84 Abs. 1 GG). Die Länder ihrerseits verlagern den Aufgabenvollzug durch Landesgesetze vielfach auf die Kreise und Gemeinden, weil der Aufgabenvollzug durch die Kommunen nach wie vor als die preiswerteste Lösung gilt. Daneben greift auch der Bund in Einzelfällen unmittelbar in den Organisationsbereich der Länder und Gemeinden ein, wenn er den Vollzug bestimmter Bundesgesetze durch die Kommunen direkt anordnet, z. B. durch § % Abs. 1 Satz 2 BSHG.
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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tet werden, daß eine allgemeine, an der ortsgemeindlichen Finanzkraft orientierte Umlage der Amtsgemeinde als flexibles Finanzierungsinstrument je nach der konkreten Aufgabenverteilung zwischen Amtsgemeinde und Ortsgemeinde ergänzend eingesetzt werden kann. Der Abschlußbericht der Enquetekommission enthält zwei Vorschläge zur Verteilung des Finanzaufkommens zwischen Arnts- und Ortsgemeinde: "Variante 1 - Die Erträge der Grundsteuer A und B sollten vollständig den Ortsgemeinden zugute kommen. - Hinsichtlich der Gewerbesteuer spricht der Gesichtspunkt der Belastung durch das Gewerbe für deren Zuteilung an die Ortsgemeinden, während die Kompetenz für den Flächennutzungsplan, die daraus abzuleitenden Standortentscheidungen und die Wirtschaftsförderung bei den Amtsgemeinden für die Zuordnung an diese spricht. Eine quotenmäßige Aufteilung der Gewerbesteuer auf die Ortsgemeinden und Amtsgemeinden erscheint daher angebracht, erfordert jedoch einen nicht unerheblichen Aufwand. 245 - Ebenso könnte eine Aufteilung der Gemeindeanteile an den Gemeinschaftssteuern in Betracht kommen, um damit auch der Amtsgemeinde eine finanzielle Grundausstattung zu sichern. - Die Mittel zur pauschalierten Förderung investiver Maßnahmen (§§ 17,22 GFG 1999) sollten anteilig den Ortsgemeinden und den Amtsgemeinden zugeordnet werden. Die Verteilung der Mittel zwischen den Orts- und den Amtsgemeinden hat sich im wesentlichen nach der Aufgabenkompetenz für die geförderten investiven Maßnahmen zu richten. - Von den Landeszuweisungen sind die Mittel für übertragene Aufgaben (§ 19 f. GFG 1999) an die Amtsgemeinde zu richten, da sie mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben betraut ist. - Die Schlüsselzuweisungen (§§ 6 ff. GFG 1999) sollten anteilig den Ortsgemeinden und der Amtsgemeinde zugewiesen werden. - Der zusätzliche Finanzbedarf für Aufgaben, weIche die Amtsgemeinde für die Ortsgemeinden über die gesetzlichen Regelaufgaben hinaus wahrnimmt, ist durch die Erhebung von Umlagen zu decken. - Die Amtsgemeinde soll neben der an der Aufgabenübertragung und an der ortsgemeindlichen Finanzkraft orientierten Amtsgemeindeumlage 246 - für Einrichtungen der Amts-
245 Die dem Abschlußbericht der Enquetekommission als Anlage beigefügte Modellrechnung weist Orts- und Amtsgemeinden Gewerbesteueranteile beispielhaft in Höhe von jeweils 50% bzw. 75% und 25% zu. Siehe dazu näher unten B. III. 3. g). 246 Bislang konnte die Umlagefinanzierung stets als starkes Indiz für die Gemeindeverbandsqualität der umlagefinanzierten Körperschaft gewertet werden. Dies hatte seine Ursache nicht zuletzt darin, daß die (Einheits-)gemeinde bislang als kleinste kommunale Organisationseinheit angesehen werden mußte. Einer Unterverteilung der gemeindlichen Finanzmittel bedurfte es nicht, so daß eine Umlagefinanzierung auf gemeindlicher Ebene von vornherein nicht denkbar war.
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B. Untersuchung gemeinde, die einzelnen Ortsgemeinden besonderen Nutzen bringen - eine Sonderumlage zur Erreichung eines entsprechenden Kostenausgleichs erheben dürfen. - Die Kreisumlage soll von der Amtsgemeinde geleistet werden. - Umlagen für Aufgaben und Einrichtungen, die in der Zuständigkeit der Amtsgemeinde liegen, von ihr aber übertragen wurden (z. B. Zweckverbandsumlage für Wasser und Abwasser), sollen von ihr geleistet werden .... Variante 2 Aus Gründen der Praktikabilität und des mit einer gesplitteten Finanzverteilung verbundenen Aufwandes für die Finanzierung nach Variante I wird daneben eine Finanzausstattung der Amtsgemeinde und der Ortsgemeinden durch Zuordnung ungeteilter Finanzquellen wie folgt angeboten: Amtsgemeinde: - Kostenerstattung (§§ 19,20,23 GFG 1999), - Investitionspauschalen (§§ 17, 22 GFG 1999), zu verwenden für Aufgaben der Amtsgemeinde und der Ortsgemeinden, - gemeindliche Anteile an den Gemeinschaftssteuern (Art. 106 GG), - Umlagefinanzierung durch die Ortsgemeinden. Ortsgemeinde: - Schlüsselzuweisungen (§§ 6, 7 GFG 1999), - Realsteuern, Verbrauch- und Aufwandsteuern (Art. 106 GG).
Im übrigen gelten die Vorschläge unter Variante 1 (Sonderumlagen, Kreisumlage, allgemeine Feststellungen). Es bleibt zu prüfen, ob und wann Zuordnungen der Gemeindesteuern oder der Gemeindeanteile an den Gemeinschaftssteuern an rechtliche Grenzen stoßen.,,247
f) Die Auswirkungen des Amts- und Ortsgemeindemodells der Enquetekommission auf den kommunalen Finanzausgleich
Die Gestaltung des kommunalen Finanzausgleichs beruht auf zwei grundlegenden Entscheidungen des Landes: der Festlegung der Höhe der Gesamtzuweisungen (Steuerverbundmasse) und ihrer Verteilung auf die Gemeinden und Gemeindeverbände?48 Angesichts dieses Gesamtzusammenhangs solle die Weiterentwicklung der Ämter zu Amtsgemeinden nicht mit einer Veränderung der Höhe der Gesamtzuweisungen durch das Land und zu Lasten des Landes verbunden sein. 249 247 248
Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 38. So zutreffend der Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 38.
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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,,Die Verteilung der Mittel aus der Steuerverbundmasse erfolgt im Rahmen der allgemeinen Zuweisungen im wesentlichen über die Schlüsselzuweisungen, die wiederum für die kreisangehörigen Gemeinden aus einer Ausgangsmeßzahl und einer Steuerkraftmeßzahl ennittelt werden. Die Gemeinden erhalten im GFG 199980 v. H. des Unterschiedsbetrages zwischen der Ausgangsmeßzahl und der Steuerkraftmeßzahl als Schlüsselzuweisung. Die Ausgangsmeßzahl einer Gemeinde berücksichtigt im Hauptansatz einen Hundertsatz ihrer Einwohnerzahl. Der Berechnung des Hauptansatzes liege die Annahme zugrunde, daß der Finanzbedarf je Einwohner mit steigender Gemeindegröße zunehme, der Zuwachs aber degressiv zur Einwohnerzahl verlaufe. "Würde nach einer Reform der Ämter den Amtsgemeinden ein wesentlicher Teil der Schlüsselzuweisungen zufließen und wären diese anstelle der Ortsgemeinden die Bezugsgröße für die Einwohnerzahl, so würden die Einwohnerzahlen der Amtsgemeinden im Hauptansatz der Ausgangsmeßzahl höher und in etwa ähnlich gewichtet werden, wie die Einwohnerzahlen der amtsfreien Gemeinden ... 250
g) Stellungnahme zur Verteilung der Steuererhebungsund der Steuerertragskompetenzen
(1) Die Steuerertragskompetenzen im brandenburgischen Orts- und Amtsgemeindemodell Die Verteilung der Steuerertrags- (und Steuererhebungs-)kompetenzen einschließlich des Hebesatzrechts zwischen Amts- und Ortsgemeinden ist ein verfassungsrechtlich äußerst komplexes, sensibles und risikobehaftetes Problem, das noch nicht abschließend geklärt ist und einer eigenständigen sowie vertieften verfassungsrechtlichen Untersuchung bedarf. Gleichwohl erscheinen - vorbehaltlich einer ins Detail gehenden Analyse - die folgenden Annahmen gerechtfertigt: Da sowohl die Amtsgemeinde als auch die Ortsgemeinde als gleichberechtigte finanzverfassungsrechtliche Gemeinden i. S. d. Art. 106 Abs. 5, 5 a und 6 GG anzusehen sind und angesehen werden sollen, steht die Finanzausstattungsgarantie als Kernelement der bundesverfassungsrechtlich durch Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG gewährleisteten Finanzhoheit251 beiden Gemeinden gleichermaßen zu. Dieser Befund legt die Schlußfolgerung nahe, daß Amts- und Ortsgemeinden am Aufkommen der Einkommenssteuer nach Art. 106 Abs. 5 GG, dem Anteil am Aufkommen der Umsatzsteuer nach Art. 106 Abs. 5 a GG und dem Aufkommen der Grund-, Gewerbe- und örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern nach Art. 106 Abs. 6 GG gemeinsam zu beteiligen sind, soweit nicht der Landesgesetzgeber die Ertragshoheit für die letztgenannten Steuern (auch) den Gemeindeverbänden zugewiesen Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 38. Ebda., S. 34 ff. 251 Siehe dazu VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9. 1999, UA, S. 23 ff.; NierhauslGebhardt, Zur Ausfallhaftung des Staates für zahlungsunfähige Kommunen, 1999, S. 46 ff. 249 250
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B. Untersuchung
hat. Die mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung verbundenen Finanzhoheiten von Amts- und Ortsgemeinde weisen dem Landesgesetzgeber die äußerst schwierige und aufwendige Aufgabe zu, die Steuererhebungs- und Ertragskompetenzen zwischen diesen bei den Gemeinden zu verteilen. Die Enquetekommission geht im Abschlußbericht252 richtigerweise davon aus, daß die Erträge aus der objekt- und belegenheitsbezogenen Grundsteuer ausschließlich den Ortsgemeinden zufließen müssen. Gleiches gilt für die Erträge aus den örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern nach Art. 106 Abs. 6 GG. Unter der Voraussetzung, daß die gesetzliche Verteilung der Gewerbesteuerertragskompetenzen verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist und nicht gegen das Nivellierungsverbot verstößt (dazu sogleich), hat sich zunächst der Umfang der jeweiligen Anteile am Steueraufkommen an den einerseits von der Amtsgemeinde und andererseits von den Ortsgemeinden wahrgenommenen Aufgaben zu orientieren, d. h. an der mit der Aufgabenbelastung korrespondierenden Ausgabenbelastung (Konnexitätsprinzip). Insofern genügt eine Modellrechnung253 , die den Amtsgemeinden z. B. 75%, den Ortsgemeinden 25% des Gewerbesteueraufkommens zuweist, nicht den vom Verfassungsgericht Brandenburgfiir den kommunalen Finanzausgleich jüngst herausgestellten Anforderungen: Danach hat sich der Gesetzgeber bei der Verteilung der Finanzmittel (zwischen Land und Kommunen) am Aufgabenzuschnitt der Gemeinden und an der Aufgabenverteilung zwischen Land und Gemeinden zu orientieren ("aufgabenorientierter Finanzausgleich,,).254 Die hierin zum Ausdruck kommende Finanzverteilungssymmetrie zwischen Land und Kommunen ist dem Grunde nach auf die Verteilung originär gemeindlicher Steuerertragskompetenzen zwischen Amts- und Ortsgemeinden übertragbar. Sofern der Gesetzgeber die Steuererhebungs- und Ertragskompetenzen nicht bei den Ortsgemeinden beläßt, wie es dem jetzigen verfassungsrechtlichen Zustand entspricht, muß er die Verteilung der gemeindlichen Steuererträge zwischen der Amtsgemeinde und "ihren" Ortsgemeinden in einer Art "vertikalem Finanzausgleich", zwischen den Ortsgemeinden untereinander in einem "horizontalen Finanzausgleich" regeln. Die Bezeichnung "vertikaler und horizontaler Finanzausgleich" ist in diesem Zusammenhang allerdings in doppelter Hinsicht irreführend und zugleich doch durch die finanzausgleichende Funktion gerechtfertigt: Irreführend ist sie zum einen, weil es sich bei der Verteilung der Steuerertragskompetenzen nicht um die typischerweise mit dem Finanzausgleichsbegriff zusammenhängenden ergänzenden Zuweisungen aus dem Steuerverbund zwischen Bund, Ländern und Kommunen handelt, sondern um die Verteilung originär gemeindlicher Steuereinnahmen. Zum anderen erweckt der vertikale Finanzausgleich Assoziatio252 Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 35 und 37 (Varianten 1 und 2) und Anhang Modellrechnungen, S. 1. 253 Ebda., S. I. 254 VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9.1999, UA, S. 29 ff. (32 f.).
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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nen an ein Über- und Unterordnungsverhältnis, das innerhalb der Gesamthandsgemeinde zwischen Amts- und Ortsgemeinde nicht besteht und nicht bestehen darf. (2) Das Nivellierungsverbot und die Amtsgemeindeumlage Im übrigen unterliegt es ohnehin erheblichen Zweifeln, ob der Gesetzgeber die originär gemeindlichen Steuereinnahmen überhaupt zwischen Amts- und Ortsgemeinden verteilen kann, ohne in den verfassungsrechtlich geschützten Bereich der eigenverantwortlichen gemeindlichen Einnahmen- und Ausgabengestaltung einzugreifen. Schließlich werden bestehende Unterschiede, die auf mehr oder weniger geschicktes "finanzpolitisches" Haushalten der Gemeinden zurückzuführen sind, durch eine, wenn auch nach Aufgabenbestand und Ausgabenbelastung abgeschichtete und typisierte Verteilung der gemeindlichen Steuererträge, nivelliert. 2ss Ferner wird die prinzipiell unteilbare und ausschließlich den Ortsgemeinden zustehende Gewerbesteuererhebungskompetenz einschließlich des Hebesatzrechtes (dazu sogleich) durch eine Verteilung der Steuererträge "gesprengt". Beläßt der Gesetzgeber hingegen die Steuererhebungs- und Ertragskompetenzen bei den Ortsgemeinden, ist die Amtsgemeinde mit den ihr in erheblichem Umfang übertragenen Aufgaben- und Ausgabenzuständigkeiten auf die Zuweisung staatlicher Steuereinnahmen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs und ergänzend auf die Abschöpfung finanzieller Mittel durch eine Amtsgemeindeumlage angewiesen. Wie die äußerst streitanfällige Kreisumlage 2S6 gezeigt hat und weiterhin zeigt, wird auch eine Amtsgemeindeumlage ein virulenter Gegenstand kommunaler Eifersüchteleien sein, der letztlich vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen wird. (3) Die Steuererhebungskompetenzen und das Hebesatzrecht als Kernstück finanzieller Eigenverantwortung Nach erneuter Verfassungsänderung gehört nunmehr zu den von der Selbstverwaltungsgarantie umfaßten Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung eine 25S Siehe zum Nivellierungsverbot Stüer, Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen, 1997, S. 192 f. m. w. Nachw.; NierhauslGebhardt, Zur Ausfallhaftung des Staates für zahlungsunfähige Kommunen, 1999, S. 65 f.; Inhester, Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen der Staatsverfassung, 1997, S. 162 f. 256 Siehe nur BVerwG, DVBI. 1996, 1062 ff. = DÖV 1996,875 ff. (zu SchlHOVG NVwZRR 1995,690 ff. DVBI. 1995,469 ff.); BVerwG, NVwZ 1998,66 f.; BayVGH, DVBI. 1993,893 ff.; OVG Bbg, LKV 1998,23 ff. m. Anm. Henneke, LKV 1998, I ff.; RhPfOVG, DÖV 1994,79 ff. =DVBI. 1993,894 ff.; SaarlOVG, DÖV 1994,438; zuletzt zur "kompensatorischen" Funktion der Kreisumlage RhPfVerfGH, DÖV 1998, 505 ff., jeweils m. w. Nachw.; siehe grundlegend Grawert, Die Kommunen im Länderfinanzausgleich, 1989; ferner Ehlers, DVBI. 1997, 225 (229 ff.); F. Kirchhof, in: Schoch (Hrsg.), Selbstverwaltung der Kreise in Deutschland, 1995, S. 57 ff.; dens., Rechtsmaßstäbe der Kreisumlage, 1995; Schoch, Die Kreise zwischen örtlicher Verwaltung und Regionalisierungstendenzen, 1994, S. 9; Knemeyer, NVwZ 1996,29 ff.
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B. Untersuchung
nur den Gemeinden zustehende wirtschaftskraftbezogene und mit Hebesatzrecht ausgestattete Steuerquelle (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG)?57 Als wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle mit Hebesatzrecht kommt derzeit nur die Gewerbesteuer in Betracht (vgl. Art. 106 Abs. 5, 6 GG)?58 Damit ist die Ausübung des gewerbesteuerbezogenen Hebesatzrechts ein Herzstück der Finanzautonomie und der kommunalpolitischen (Steuer-)Satzungsgebung. Allerdings wird demgegenüber die Auffassung vertreten, Gemeinden seien auch ohne Hebesatzrecht finanzautonom, wenn sie die zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigten Mittel erhielten. Das Hebesatzrecht garantiere im übrigen keine Finanzautonomie, wenn große Industriebetriebe maßgeblich die Hebesatzpolitik beeinflußten oder sonst die Gewerbesteuer als Vehikel für die Durchsetzung von Sonderinteressen benutzten. 259 Dieser Einwand vermag indes in mehrfacher Hinsicht nicht zu überzeugen: Zum einen dient die geschickte Ausübung des Hebesatzrechts bei einer kleineren Anzahl abundanter Gemeinden der Beschaffung von Finanzmitteln für die Erledigung von Selbstverwaltungsaufgaben, die zumindest teilweise nicht zu dem für Brandenburg verfassungsgerichtlich anerkannten unabweisbaren Bestand freiwilliger Selbstverwaltungsangelegenheiten gehören. 260 Zum anderen ist die Politik zur Ansiedlung von Gewerbe- und Industrieuntemehmen, die selbstverständlich eine zwischen den Gemeinden auch hinsichtlich der Ausübung des Hebesatzrechts bestehende Konkurrenzsituation ausnutzt, der spiegelbildliche Beleg kommunaler Finanzautonomie und nicht deren argumentative Widerlegung. 257 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 20. 10. 1997, BGB\. I 2470, Art. 1 Nr. 1 (dazu BT-Drs. 13/8340 [Entwurf] und 13/8348 [Entwurf], BR-Drs. 687/97). 258 Die gemeindliche Hebesatzautonomie wurde im selben Jahr wie die kommunale Verfassungsbeschwerde verfassungsrechtlich verankert (21. Gesetz zur Änderung des GG [Finanzreformgesetz] v. 12.5. 1969, BGB\. I, S. 359 und 19. Gesetz zur Änderung des GG v. 29. I. 1969, BGB\. I, S. 97), nachdem bereits im Jahre 1956 eine Realsteuergarantie und eine Garantie des kommunalen Finanzausgleichs in das GG aufgenommen worden war (Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Art. 106 GG v. 24. 12. 1956, BGBl. I, S. 1077). Das Hebesatzrecht muß nach Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG für die Grundsteuer und die Gewerbesteuer und kann nach Abs. 5 Satz 3 für den Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer eingeräumt werden (Siekmann, in: Sachs [Hrsg.], Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 106, Rdnr. 4Q).Der Anteil an der Umsatzsteuer scheidet aus, da insoweit das erforderliche Hebesatzrecht der Gemeinden nicht eingeführt worden ist. Nach BT-Drs. 13/8488 soll durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz eine wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle "grundgesetzlieh abgesichert" werden, wohingegen Art. 106 Abs. 6 Satz 1 ,.keine institutionelle Garantie" der Gewerbesteuer als solcher enthält. Anlaß der erneuten Verfassungs-änderung war die Abschaffung der den Kommunen zufließenden Gewerbe-kapitalsteuer (als Substanzbesteuerung) bei gleichzeitiger Kompensation durch Beteiligung der Gemeinden am Umsatzsteueraufkommen mit 2,2 Prozent. Als Ergebnis der notwendigen finanzverfassungsrechtlichen Gesamtschau gewähren Art. 28 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz und Art. 106 Abs. 6 GG bei dessen begrifflicher Verengung in Satz I auf das Aufkommen der Grund- und Gewerbesteuer (früher: Aufkommen der Realsteuern) eine Hebesatz- und Bestands-, nicht aber eine Ertragsgarantie für eine wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle. Siehe dazu Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdnrn. 67 ff., m. w. Nachw. 259 So früher 1ipke/Lang, Steuerrecht, 12. Aufl. 1989, S. 501. 260 VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9. 1999, UA, S. 47.
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Da das Hebesatzrecht bereits aus Gründen der Hebesatz-Satzungsautonomie261 prinzipiell unteilbar ist, hat der Gesetzgeber beim Orts- und Amtsgemeindemodell zu entscheiden, welcher der beiden finanzverfassungsrechtlichen Gemeinden Ortsgemeinde oder Amtsgemeinde - das Hebesatzrecht zugewiesen werden soll. Dabei muß sich der Gesetzgeber darüber im Klaren sein, daß - vergleichbar der "Hochzonung" gewichtiger Selbstverwaltungsaufgaben - der Entzug des derzeit den amtsangehörigen Gemeinden verfassungsrechtlich garantierten Hebesatzrechts zugunsten der neu gebildeten Amtsgemeinden nur aus verfassungsrechtlich überwiegenden Gründen zulässig sein dürfte. Dies spricht von vornherein dafür, die Gewerbesteuererhebungskompetenz einschließlich des Hebesatzrechts bei den Ortsgemeinden zu belassen. Allerdings steht die Finanzhoheit i. S. der Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3, 106 Abs. 5, 5 a und 6 GG, Art. 99 Satz 1 Verf Bbg (',Die Gemeinden haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben das Recht, sich nach Maßgabe der Gesetze eigene Steuerquellen zu erschließen.") auch der Amtsgemeinde als (finanz-) verfassungsrechtlicher Gemeinde zu. Dieser Befund legt die Verteilung der Finanzhoheit zwischen Ortsund Amtsgemeinde in einer Weise nahe, daß beiden Gemeindeebenen, also auch der Amtsgemeinde, ausreichend Gelegenheit zumindest zur Einflußnahme auf die zentralen finanzpolitischen Entscheidungen und damit auch auf die Ausübung des Hebesatzrechts gegeben wird. Schiebt man die bereits erwähnten, in der ortsgemeindlichen Satzungsautonomie angelegten Bedenken zur Seite, ist in diesem Zusammenhang an die gesetzliche Verankerung von Zustimmungserfordemissen oder Benehmensregelungen zu denken, also an eine Koppelung der ortsgemeindlichen Entscheidung über die Ausübung des Hebesatzrechts an die Zustimmung bzw. das Einvernehmen (mit) der Amtsgemeindevertretung. Eine Streitbeilegung über eine erforderliche Zustimmung der Amtsgemeindevertretung könnte indessen nur durch die Kommunalaufsicht herbeigeführt werden, der aus den nachfolgenden verfassungsrechtlichen Gründen die hierzu notwendigen kondominialen Befugnisse nicht zustehen: Wie der Bayerische Verfassungs gerichtshof in einer Entscheidung zum kommunalaufsichtsrechtlichen Genehmigungserfordernis einer gemeindlichen Zweitwohnungssteuersatzung zutreffend festgestellt hat, greifen aufsichtsrechtliche Regelungen, die der Genehmigungsbehörde einen Spielraum für Zweckmiißigkeitsüberlegungen hinsichtlich einer gemeindlichen Abgabensatzung einräumen, in unzulässiger Weise in den Kernbereich der kommunalen Finanzhoheit (Art. 85 Abs. 2 Satz 2 BayVerf) mit der in ihr verbürgten gemeindlichen eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft ein. Weit gefaßte Genehmigungsvorschriften berücksichtigten die verfassungsrechtlich verbürgte Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden im Rahmen ihrer Finanzhoheit nicht in hinreichendem Maße. Stünde der Genehmigungsbehörde ein Ermessensspielraum zu, hätten die Gemeinden im Er261 Siehe § 5 GO Bbg als rein deklaratorischer Ausdruck der bereits verfassungsrechtIich garantierten Eigenverantwortlichkeit auch im Hinblick auf die Satzungshoheit.
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B. Untersuchung
gebnis keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Erlaß einer Abgabensatzung. 262 Demgegenüber unterliege es nach allgemeiner Meinung grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn ein Landesgesetz die Genehmigungspflicht einer gemeindlichen Steuers atzung im Rahmen der Rechtsaufsicht vorschreibe, da das Steuerfindungsrecht der Gemeinden nur im Rahmen der Gesetze bestehe. Die Ausübung kommunalaufsichtsrechtlicher Befugnisse nur im Sinne der Rechstaufsicht ist indessen von vornherein nicht geeignet, die Entscheidung über die Zustimmung der Amtsgemeindevertretung oder das zwischen Orts- und Amtsgemeindevertretung notwendige Einvernehmen herbeizuführen. Anders als bei der Genehmigung im Rahmen der Rechtsaufsicht ginge es bei der Entscheidung über die Ausübung des Hebesatzrechts um ein kondominiales, d. h. gestaltendes Streitschlichtungsveifahren, durch das die staatliche Aufsichtsbehörde in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise in die zum Selbstverwaltungsrecht gehörende gemeindliche Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft eingreifen würde. Damit sind im Ergebnis rechtlich nicht durchsetzbare und daher insuffiziente Zustimmungseifordemisse und Benehmensregelungen ohnehin keine geeigneten Instrumente, um die Amtsgemeinde an den kommunalpolitischen Entscheidungen der Ortsgemeinden über ihre originär-eigenen steuerlichen Einnahmen zu beteiligen.
(4) Das Hebesatzrecht und die Aufgabenzuständigkeiten von Orts- und Amtsgemeinden Wie bereits erwähnt, ist die Verlagerung des Hebesatzrechts von den derzeitigen mit diesem verfassungsmäßigem Recht ausgestatteten amtsangehörigen Ortsgemeinden auf die neu zu bildenden Amtsgemeinden mit erheblich größeren verfassungsrechtlichen Risiken behaftet als die Konstituierung einer im übrigen finanzautonomen Amtsgemeinde ohne eigenes Hebesatzrecht. Diese Einschätzung läßt sich durch weitere Überlegungen untermauern: Ungeachtet der Möglichkeit, ortsübergreifende Verbünde zur Koordinierung und Unterstützung von Aufgaben der Gewerbeförderung und -ansiedlung zu bilden, ist die kommunale Gewerbepolitik ein Bereich, der wie in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen von den Ortsgemeinden und nur von diesen eigenverantwortlich wahrgenommen werden sollte. Nach dem verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzip ist der Gesetzgeber gehindert, die (lokale) Gewerbeförderungsaufgabe auf die Amtsgemeinde zu verlagern, wenn nicht die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung durch die Ortsgemeinden gefliludet ist bzw. ein Belassen der Gewerbeansiedlung bei den Ortsgemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führt (siehe oben B. m. 2.). 262 BayVerfGH 41, 140 (146 ff.) zu Art. 1 und 2 KAG i. d. F. d. Bekanntmachung v. Februar 1977, geändert durch Gesetz v. 22. 2. 1985, GVB\. S. 17.
III. VerfassungsrechtJiche Analyse der Modellvarianten
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Da die Gewerbeansiedlung im übrigen vor Ort geschieht und dort die infrastrukturellen Lasten entstehen, ist es naheliegend, den Ortsgemeinden den Schlüssel zur Finanzierung gewerbepolitischer Entscheidungen in Form des Hebesatzrechts zu belassen. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Konnexitätsprinzip, das Aufgabenund Ausgabenbelastung miteinander verknüpft und die Sicherstellung der zur Aufgabenerfüllung notwendigen Finanzmittel zum Gegenstand hat (Art. 97 Abs. 3 Verf Bbg).263 Uneinheitliche Hebesätze innerhalb der Amtsgemeinde können keinen geeigneten Gegeneinwand bilden, da gegen eine Konkurrenz um die ,,Anwerbung" gewerblicher Betriebe zwischen den Ortsgemeinden prinzipiell nichts einzuwenden ist.
h) Stellungnahme zu den Auswirkungen des Orts- und Amtsgemeindemodells auf den kommunalen Finanzausgleich (1) Einführung
Bei der Einführung des Orts- und Amtsgemeindemodells wird zusätzlich zur Verteilung der (ergänzenden) Finanzmittel aus dem bundesstaatlichen Steuerverbund zwischen Land, Kreisen und Gemeinden (kommunaler Finanzausgleich, Aufteilung der Ausgleichsmasse) die Frage zu entscheiden sein, weIche Finanzmittel jeweils den Amts- und Ortsgemeinden zufließen sollen. Zum besseren Verständnis dieser Problematik ist eine Vorbemerkung angebracht: Auf die Verfassungsrechtslage anderer Bundesländer übertragbar, hat der VerfGH NW entschieden, daß die Verpflichtung des Landes zum Finanzausgleich im Zusammenhang mit der Selbstverwaltungsgarantie gesehen werden müsse. Die Verpflichtung zum Finanzausgleich stelle eine der den kommunalen Finanzbedarf deckenden Einnahmequellen sicher?64 Sie konkretisiere das bereits aus der Selbstverwaltungsgarantie folgende Recht auf eine angemessene Finanzausstattung und sichere dieses ab. Die Verpflichtung zum Finanzausgleich gebe den Gemeinden somit einen Anspruch gegen das Land, der dazu beitrage, dem kommunalen SelbstverwaItungsrecht die finanzielle Grundlage zu sichern. Der Finanzausgleich solle entsprechend dem unterschiedlichen Ausgabenbedarf der einzelnen Kommunen und der unterschiedlichen Möglichkeiten, diesen Bedarf durch eigene Einnahmen zu decken, die Finanzquellen der Kommunen ergänzen (notwendiges "Komplementärsystem zur originären Steuerertragsverteilung auf die Kommunen"265). Die-
263 Siehe zum Konnexitätsprinzip Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdnr. 70 a m. zahlr. Nachw. 264 VerfGH NW, OVBI. 1985, 1306 ff. =OÖV 1985,916 ff. 265 Henneke, in: Ipsen (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung im Zeichen der Finanzkrise, 1995, S. 81 (84).
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ser subsidiäre Finanzausgleich266 solle die Gesamteinnahmen der Kommunen so aufstocken, daß die finanzielle Möglichkeit zu eigenverantwortlicher, freiwilliger Selbstverwaltungstätigkeit gegeben sei. 267 Tatsächlich ist der kommunale Finanzausgleich, insbesondere in den neuen Bundesländern, wegen der gemeindlichen Steuerertragsschwäche längst zu einem Instrument der Grundfinanzierung kommunaler Finanzbedarfe geworden. Das Verfassungsgericht Brandenburg hat die besondere Verantwortung des Landes, finanzielle Unterdeckungen der Kommunen auszugleichen, jüngst in einer Entscheidung zum Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 herausgestellt: Die gesetzliche Regelung der Bedarfszuweisungen (vgl. § 16 GFG Bbg 1998/1999 - Ausgleichsfonds) sei verfassungskonform verbindlich dahingehend auszulegen, daß Mittel aus diesem Sonderfonds auch zu gewähren seien, soweit einer Gemeinde trotz sparsamster Wirtschaftsführung und Ausschöpfung aller Einsparmöglichkeiten im Einzelfall keine Mittel zur Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben verblieben. 268
266 Vgl. Korioth, LKV 1997, 385 (387). Grundlegend zum kommunalen Finanzausgleich siehe Grawert, Die Kommunen im Länderfinanzausgleich, 1989; zur Ergänzungsfunktion des allgemeinen kommunalen Finanzausgleichs siehe Knemeyer; Der Städtetag 1988, 330 (332). U7 VerfGH NW, DVBI. 1989, 151 (152). Zusammenfassend Henneke, in: Ipsen (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung im Zeichen der Finanzkrise, 1995, S. 81 (86). In der, soweit ersichtlich, letzten Entscheidung des VerfGH NW (DVBI. 1998, 1280 [1281]) zum kommunalen Finanzausgleich faßt das Gericht noch einmal zusammen: "Das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände auf Selbstverwaltung (Art. 78 LV) umfaßt auch einen gegen das Land gerichteten Anspruch auf angemessene Finanzausstattung; denn eigenverantwortliches Handeln setzt eine entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit der Selbstverwaltungskörperschaften voraus. Verletzt ist die Finanzausstattungsgarantie, wenn einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung die finanzielle Grundlage entzogen und dadurch das Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt wird (VerfGH NW, OVGE 40, 300, 300 f. m. w. Nachw.; VerfGH NW, OVGE 43, 252, 254). Den Finanzausstattunganspruch absichernd und konkretisierend verpflichtet Art. 79 Satz 2 LV das Land, im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit einen übergemeindlichen Finanzausgleich zu gewährleisten." U8 VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9. 1999, UA, S. 45 ff. Zur Begründung hat das Gericht betont, daß es mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in der Landesverfassung nicht vereinbar wäre, wenn auch nur in einer einzigen Gemeinde aus finanziellen Gründen nicht einmal ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung möglich sei und damit in dieser Gemeinde keinerlei freiwillige Selbstverwaltung mehr stattfinden könne (S. 47). Indirekt hat das Gericht damit zur Problematik der Ausfallhaftung des Landes Brandenburg für zahlungsunfähige Kommunen Stellung genommen: Durch Runderlaß vom 2. Dezember 1994 zu Zahlungsverpflichtungen der Kommunen (Runderlaß III Nr. 89/ 1994), der bis heute offiziell nicht widerrufen ist, hatte der Minister des Innern des Landes Brandenburg eine rechtliche Einstandsverpflichtung des Landes für illiquide Kommunen ausdrücklich bestritten. Siehe dazu im einzelnen NierhausI Gebhardt, Zur Ausfallhaftung des Staates für zahlungsunfähige Kommunen, 1999 und Engelsing, Zahlungsunfähigkeit von Kommunen und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts - Vollstreckung und finanzielle Einstandspflicht, 1999. Siehe auch K.-A. Schwarz, Staatsgarantie für kommunale Verbindlichkeiten bei "faktischem Konkurs von Kommunen"?, 1998 und Oebbecke, Ausfallhaftung für zahlungsunfähige Kommunen?, in: Erichsen (Hrsg.), Kommunale Verwaltung im Wandel, 1999, S. 165 ff.
III. Verfassungsrechtliche Analyse der ModeHvarianten
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Der kommunale Finanzausgleich ist bundesverfassungsrechtlich in Art. 106 Abs. 7 GG als "obligatorischer Steuerverbund,,269 garantiert und wird durch das Landesverfassungsrecht und die Finanzausgleichsgesetze der Länder konkretisiert. Art. 106 Abs. 7 S. 1 GG bestimmt, daß die Länder ihre Gemeinden und Gemeindeverbände prozentual am Länderanteil der Gemeinschaftssteuern beteiligen müssen. Diese Beteiligung erfolgt durch Landesgesetz und ist die Grundlage der sog. "Schlüsselzuweisungen",27o wobei es ausgeschlossen ist, "die Höhe der einer Vielzahl von Gemeinden zur Verfügung zu stellenden Schlüsselzuweisungen nach objektiven Gesichtspunkten nachrechenbar exakt zu ermitteln. ,,271 Durch Art. 106 Abs. 7 S. 1 GG wird nach allem die Notwendigkeit des kommunalen Finanzausgleichs und dessen Funktion zur Aufstockung der kommunalen Finanzmasse bundesverfassungsrechtlich anerkannt. 272 Im übrigen bestimmt der Landesgesetzgeber, ob und inwieweit das Aufkommen der Landessteuern den Gemeinden (Gemeindeverbänden) zufließt (Art. 106 Abs. 7 S. 2 GG).273 Auch nach Art. 28 Abs. 2 S. 3 Hs 1 GG hat der Landesgesetzgeber durch einen kommunalen Finanzausgleich den Trägem der kommunalen Selbstverwaltung eine finanzielle Mindestausstattung zur Verfügung zu stellen. 274 Eine Finanzausstattungsgarantie durch den Bund ist der Neuregelung des Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG275 hingegen ebensowenig wie eine finanzielle Inpflichtnahme des Bundes über die Möglichkeiten und Grenzen des X. Abschnitts (Finanzverfassung, Art. 104 a ff. GG) hinaus zu entnehmen. 276 Den Bund trifft wegen der Zweigliedrigkeit des Staatsaufbaus und der staatsorganisationsrechtlichen Zuordnung der Kommunen zu den Ländern auch bei direktem "Durchgriff' des Bundes auf die kommunale Ebene zur Erfüllung bestimmter Aufgaben keine Ausgleichspflicht unmittelbar gegenüber Gemeinden und Gemeindeverbänden;277 nach der Finanzverfassung des Grundgesetzes trifft die finanzielle Verantwortung für die Kommunen nicht den Bund, sondern die Länder (vgl. Art. 106 Abs. 9 GG).
VerfGH NW, DVBI. 1998, 1280 (1281). Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Auf!. 1999, Art. 106 Rdnr. 39. 271 VerfGH NW, DVBI. 1998, 1280 (1283 m. w. Nachw.). 272 Zutreffend H. Meyer, LKV 1997,390 (391). 273 Die Sonderbelastungsregel des Art. 106 Abs. 8 GG spielt im Zusammenhang des kommunalen Finanzausgleichs keine RoHe. Sie nimmt auf atypische Sonderbelastungen Bezug, die der Bund veranlaßt hat und die wegen ihrer Höhe unzumutbar sind. Beispiele siehe Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Auf!. 1999, Art. 106 Rdnrn. 31 ff. 274 Zutreffend Stüer, in: F. Kirchhof I H. Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, 1996, S. 47 (50). 275 Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG, durch verfassungsänderndes Gesetz vom 4. 8. 1997 um Hs 2 ergänzt, lautet: "Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanzieHen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden zustehende wirtschaftskraftbezogene und mit Hebesatzrecht ausgestattete SteuerqueHe." 276 Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Auf!. 1999, Art. 28 Rdnr. 69. 277 Ebda., Art. 28 Rdnr. 70 a m. w. Nachw. 269
270
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B. Untersuchung
Im Zusammenhang mit Art. 99 Verf Bbg ("Die Gemeinden haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben das Recht, sich nach Maßgabe der Gesetze eigene Steuerquellen zu erschließen. Das Land sorgt durch einen Finanzausgleich dafür, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände ihre Aufgaben erfüllen können.") tritt ebenfalls deutlich zutage, daß der auch landesverfassungsrechtlich angeordnete Finanzausgleich die strukturell unzureichenden eigenen gemeindlichen Einnahmen, insbesondere die unmittelbar durch Bundesverfassungsrecht in Art. 28 Abs. 2 S. 3 und Art. 106 Abs. 6 GG garantierten steuerlichen Ertragshoheiten ergänzt. 278 Für den Finanzausgleich bestehen immerhin einige unstrittige verfassungsrechtliche Maßstäbe: Die Finanzhoheit als Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung beinhaltet gleichermaßen ein Ausgleichsgebot und ein (Über-) Nivellierungsverbot. 279 Der kommunale Finanzausgleich muß zwar Unterschiede in der Finanzkraft ausgleichend mindern. Gemeinden mit geringer Steuerkraft profitieren von dieser Zielsetzung. Die Einebnung oder gar Überkompensation finanzieller Unterschiede zu Lasten von Gemeinden mit größerer Finanzkraft ist demgegenüber mit Art. 28 Abs. 2 GG unvereinbar. 280 Ferner unterliegt der Gesetzgeber bei Normierung des kommunalen Finanzausgleichs einer Motiv- 281, Ziel- 282 und Prognosekontrolle. 283 Er muß das Willkürverbot284 , den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Prinzip der Systemgerechtigkeit285 beachten. 278 Art. 106 Abs. 6 GG weist den Gemeinden das Aufkommen der Realsteuern, also der Gewerbe- und Grundsteuer, und jenes der örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern vorbehaltlich der Gewerbesteuerumlage zu (Satz 4). Als Ergebnis der notwendigen finanzverfassungsrechtlichen Gesamtschau gewähren Art. 28 Abs. 2 S. 3 Hs 2 und Art. 106 Abs. 6 GG bei dessen begrifflicher Verengung in Satz 1 auf das Aufkommen der Grund- und Gewerbesteuer eine Hebesatz- und Bestands-, nicht aber eine Ertragsgarantie. Siehe Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Auf). 1999, Art. 28 Rdnr. 70. 279 Zuletzt u. m. w. Nachw. VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9. 1999, UA, S. 41: Die Festlegung der Ausgleichsquote auf 85% des Unterschiedes zwischen der Ausgangsmeßzahl und der Steuerkraftmeßzahl in § 10 Abs. 1 GFG Bbg 1998 ergebe keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie führe zu einer Annäherung der Finanzkraft zwischen den einzelnen Kommunen, ohne sie einzuebnen. Unzulässig sei hingegen die Nivellierung im Sinne einer vollständigen Einebnung der Finanzkraft als auch eine Übernivellierung, bei der sich die Finanzkraft der Körperschaften nach erfolgtem Ausgleich verschiebe. Auch der interkommunale Finanzausgleich durch eine Gewerbesteuerumlage zu Lasten der gewerbesteuerstarken und zugunsten der finanzschwachen Gemeinden könne auf einen Verstoß gegen das Nivellierungsverbot hinauslaufen (S. 43). Siehe ferner zum Nivellierungsverbot VerfGH NW, OVBI. 1998, 1280 (1282). Siehe zum Länderfinanzausgleich, der die entsprechende Verteilungsproblematik auf der Bund-Länder-Ebene regelt: BVerfGE 86, 148 (214 f.). Zum Nivellierungsverbot im Zusammenhang mit dem kommunalen Finanzausgleich siehe unten B. III. 3. g) (2). Zur Angleichungsfunktion im Länderfinanzausgleich BVerfGE I, 117 (131); 72, 330 (398); 86, 148 (214 f.). 280 Zutreffend v. MutiuslHenneke, AfK 1985, 261 (269 ff.); Korioth, LKV 1997, 385 (387); siehe ferner F. Kirchhof, OVBI. 1980, 711 ff. 281 Der Gesetzgeber darf sich nicht an sachwidrigen Gesichtspunkten orientieren. 282 Das FAG muß der Verwirklichung gemeinwohlkonformer Ziele dienen und nach Möglichkeit die vorgefundene Finanzsituation verbessern.
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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(2) Kommunaler Finanzausgleich und die brandenburgische Amtsgemeinde Bei Verwirklichung des brandenburgischen Orts- und Amtsgemeindemodells sind die Amts- und die Ortsgemeinde als finanzverfassungsrechtliche Gemeinden anzusehen. Ein Vergleich mit den niedersächsischen und rheinland-pfälzischen Finanzausgleichsregelungen belegt, daß die Verteilung der Finanzzuweisungen aus dem Steuerverbund verfassungsrechtlich im Grundsatz unproblematisch ist: In Niedersachsen fließen die Ausgleichsmiuel den Samtgemeinden zu. Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 NFAG 1995 hat den folgenden Wortlaut: ..(1) Für den Bereich einer Samtgemeinde werden die Schlüsselzuweisungen an die Samtgemeinde gezahlt, die insoweit als Gemeinde gilt. ... "
Dabei ist die Qualifizierung der Samtgemeinde - Gleiches gilt für die rheinlandpfälzische Verbandsgemeinde - als Gemeindeverband i. S. des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG unerheblich. Im Gegenteil: Wenn der Gesetzgeber durch Fiktion sogar einen Gemeindeverband zur finanzverfassungsrechtlichen Gemeinde erklären kann, muß dies erst recht für eine der bei den mit dem gemeindeverfassungsrechtlichen Status ausgestatteten Gemeindeebenen zulässig sein. Den inter- bzw. intrakommunalen Finanzausgleich überläßt der niedersächsische Gesetzgeber den Samtgemeinden. Diese haben die Schlüsselzuweisungen im Rah283 Der Gesetzgeber darf die Kostenerstattung im Zusammenhang mit der Übertragung von Landesaufgaben auf die Kommunen in typisierender und pauschalisierender Form regeln. Er muß seiner Prognoseentscheidung aber eine realistische Kostenberechnung zugrunde legen (VerfGH NW, DVBI. 1997, 483 ff. m. Anm. Henneke; VerfGH NW, DVBI. 1998, 1280 ff.). H. Meyer, LKV 1997, 390 (393), weist zu Recht darauf hin, daß der Rechtsprechung des BVerfG zum Länderfinanzausgleich typisierende Aussagen auch für den kommunalen Finanzausgleich entnommen werden können, insoweit nicht Besonderheiten des föderalen Bund-Länder-Verhältnisses im Vordergrund stehen. Hervorzuheben sei danach die verfassungsrechtliche pflicht des Gesetzgebers zur realitätsgerechten Ermittlung der Finanzkraft und des Finanzbedarfs (BVerfGE 86, 148 [218 ff.]). Bei der Festsetzung des angemessenen Ausgleichs stehe dem Gesetzgeber eine Einschätzungsbefugnis zu, die durch die Rechtsprechung nur auf ihre Vertretbarkeit hin kontrolliert werden könne (BVerfGE 72,330 [339]; 86, 148 [230]). Aus dem Übermaßverbot folge die Notwendigkeit der Geeignetheit und der Erforderlichkeit des eingesetzten Mittels. Der im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gleichheitssatz erlaube zwar aus Gründen der Praktikabilität Typisierungen, enthalte aber ein allgemeines Willkürverbot. 284 Siehe dazu z. B. BayVerfGH, BayVBI. 1993,525. 285 VerfGH NW, DVBI. 1998, 1280 (1282 m. w. Nachw.). Die vom Gesetzgeber gewählte Konzeption des Finanzausgleichs bewirkt eine Selbstbindung in der Weise, daß ein Gebot des folgerichtigen und konsequenten Verhaltens auf die Einhaltung der selbst gewählten Grundsätze verpflichtet. Henneke, in: Ipsen (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung im Zeichen der Finanzkrise, 1994, S. 81 (83) schreibt dem Grundsatz der Systemgerechtigkeit eine besonders herausgehobene Bedeutung zu. Zu den finanzverfassungsrechtlichen Maßstäben des Finanzausgleichs siehe auch Stüer, in: F. Kirchhof I H. Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, 1996, S. 47 (52 ff.).
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B. Untersuchung
men ihrer eigenen Leistungsfähigkeit an die Mitgliedsgemeinden weiterzugeben, wobei die verfassungsrechtlich gewährleistete Finanzausstattung der Mitgliedsgemeinden nicht ausgehöhlt werden darf. Die Vorschrift des § 6 Abs. 2 FAG Nds 1995 legt dementsprechend fest: ,,Die Samtgemeinde ist im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, mit den Schlüsselzuweisungen die Finanzkraft ihrer Mitgliedsgemeinden so auszugleichen, daß diese bei angemessener Ausschöpfung ihrer Einnahmequellen ihre Aufgaben erfüllen können. Für den Ausgleich kann auch die die Ausgangsmeßzahl überschreitende Steuerkraft von Mitgliedsgemeinden in Anspruch genommen werden, soweit sie nicht durch Umlagen erfaßt wird."
Der brandenburgische Gesetzgeber muß demnach entscheiden, ob er die höchst streitanfällige Regelung des inter- bzw. intrakommunalen (vertikalen und horizontalen) Finanzausgleichs (i. e. S.) den Amtsgemeinden überläßt oder unter Beachtung ebenso komplexer wie anspruchsvoller verfassungsrechtlicher und -gerichtlicher Vorgaben (u. a. Verteilungssymmetrie zwischen Land und Kommunen, zusätzlich zwischen Orts- und Amtsgemeinden, Erfüllung des durch die Leistungsfähigkeit des Landes begrenzten Anspruchs auf finanzielle Mindestausstattung aller Kommunen) selbst regelt. Der finanzausgleichende Gesetzgeber hat in den Worten des StGH BW Beobachtungs-, Analyse-, Dokumentations-, Darlegungs- und Begründungspflichten zu erfüllen, die zur Versachlichung und Rationalisierung des Entscheidungsprozesses und damit zur verfassungsrechtlich hinreichend effektiven Sicherung der bestehenden Finanzgarantien beitragen. 286 Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die der finanzausgleichende Haushaltsgesetzgeber beachten muß, hat nunmehr auch das Verfassungs gericht Brandenburg in einer Entscheidung zum Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 vom 16. September 1999 ausführlich Stellung genommen: Danach hat sich der Gesetzgeber bei der Verteilung der Finanzmittel (zwischen Land und Kommunen) am Aufgabenzuschnitt der Gemeinden und an der Aufgabenverteilung zwischen Land und Gemeinden zu orientieren ("aufgabenorientierter Finanzausgleich"). Der Gesetzgeber hat seiner Entscheidung über die Verteilung der Finanzmittel einen im Hinblick auf die Aufgaben- und Ausgabenbelastung vollständig ermittelten Sachverhalt zugrunde zu legen. Hierzu hat er eine regelmäßige Überprüfung (mindestens alle 3 Jahre) der Aufgabenstruktur und der etwa eintretenden Veränderungen des Aufgabenbestandes vorzunehmen. 287 Da bei der Verwirklichung des Orts- und Amtsgemeindemodells den Ortsgemeinden auch weiterhin die Finanzhoheit und wegen der ihnen garantierten Aufgabenzuständigkeiten eine finanzielle Mindestausstattung verfassungsrechtlich gewährleistet sind, ist die Entscheidung des VerfG Bbg zum kommunalen Finanzausgleich zwischen Land und Kommunen auf die Finanzverteilungssymmetrie zwischen Amts- und Ortsgemeinden übertragbar. 286 StGH BW, GR 2/97, Urt. v. 10.5.1999 zu den Regelungen der §§ 1,2 und 21 FAG BW, § 5 AsylAG BW, UA, S. 44, 47. 287 VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16.9.1999, UA, S. 29 ff. (32 f.).
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
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Sollte sich der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten GestaltungsspieIraums und in Anlehnung an die bereits erwähnte Leitentscheidung des StGR BW vom 10. 5. 1999288 z. B. für die Einschaltung eines fachkundigen Gremiums entscheiden, dürfen die Gemeinden (und Gemeindeverbände) nicht auf eine rein passive Rolle beschränkt werden. Die Zusammensetzung einer derartigen ,,Finanzausgleichskommission" müßte dem Versachlichungszweck und der autonom bestimmten Selbstverwaltung der Gemeinden (und Gemeindeverbände) ausreichend Rechnung tragen. Für eine Regelung des inter- bzw. intrakommunalen Finanzausgleichs durch den brandenburgischen Gesetzgeber (und nicht etwa durch die Amtsgemeinde) spricht die Streitanfälligkeit einer den brandenburgischen Amtsgemeinden überlassenen Regelung der "innergemeindlichen" Finanzströme?89 Bei einer gesetzlichen Regelung nicht nur des vertikalen inter- bzw. intrakommunalen Finanzausgleichs (zwischen Amts- und Ortsgemeinden), sondern auch des horizontalen inter- bzw. intrakommunalen Finanzausgleichs (zwischen den Ortsgemeinden) darf der Gesetzgeber wegen der unterschiedlichen Steuer- und Finanzkraft der Ortsgemeinden von seiner Typisierungsbefugnis Gebrauch machen. Die Verteilung der Mittel zur pauschalisierten Förderung investiver Maßnahmen
(§§ 17, 18 GFG 1998,290 §§ 17, 18 GFG 1999291 ) zwischen Amts- und Ortsge-
meinden in der von der Enquetekommission vorgeschlagenen Weise unterliegt ebenso wenig verfassungsrechtlichen Bedenken wie die Zuweisung der Mittel ftir übertragene Aufgaben (§ 19 f. GFG 1999) an die Amtsgemeinde.
4. Die Amtsgemeinde als Gemeindeverband a) Zur Aufgabenverteilung zwischen Orts- und Amtsgemeinden
SoHte sich der brandenburgische Gesetzgeber bei der qualitativen "Fortentwicklung" des Amtes zur Amtsgemeinde an das rheinland-pfälzische Verbands gemeindemodelI oder an jenes der niedersächsischen Samtgemeinde in einer Weise anlehStGH BW, GR 2/97, Urt. v. 10.5. 1999, UA, S. 40. So auch das Mitglied der Enquetekommission G. Püttner (Ausschußprotokoll 211188, 20. Sitzung der Enquetekommission, S. 8) 290 GVBI. Bbg 1997 I, S. 154; siehe dazu VerfG Bbg 28/98, Urt. v. 16. 9. 1999, UA, S. 42 f.: "Die Gewährung besonderer Zuweisungen steht im Ermessen des Gesetzgebers. Allein die Zuweisungen nach § 4 i. V. m. §§ 17, 18 GFG 1998 werden aus dem al1gemeinen Steuerverbund finanziert, während die Zuweisungen nach § 23 GFG 1998 aus Mitteln außerhalb des al1gemeinen Steuerverbunds erfolgen. . .. Es bleibt indessen Sache der Gemeinde, ob sie Zweckzuweisungen in Anspruch nimmt. Außerdem kann durch Zweckzuweisungen Sonderbedarf ausgeglichen werden und werden gegebenenfalls auch pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben, übertragene Aufgaben und Infrastrukturprojekte finanziert." 291 GVBI. Bbg 1998 I, S. 289 ff. 288
289
7 Nierhaus/Gebhardt
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B. Untersuchung
nen, bei der er die originäre und exklusive verfassungsrechtliche Gemeindequalität der Ortsgemeinde beläßt, dürfte die Amtsgemeinde im Rahmen einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung auch in Brandenburg als Gemeindeverband einzustufen sein: Ohne nähere Begründung werden die Verbandsgemeinden - Gleiches gilt für die Samtgemeinden in Niedersachsen - von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Verfassungsgerichte bzw. Oberverwaltungsgerichte der Länder Rheinland Pfalz und Niedersachsen 292 als Gemeindeverbände und nicht als Gemeinden im verfassungsrechtlichen Sinne qualifiziert. 293 Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG haben auch die Gemeindeverbände, zu denen jedenfalls die Landkreise gehören, im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Auch diese Vorschrift stellt eine Garantie der Einrichtung kommunaler Selbstverwaltung hinsichtlich höherer - überörtlicher - Kommunalkörperschaften dar. Sie enthält indes, anders als Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG für die Gemeinden keine Aufgabengarantie. Die Zuweisung eines Aufgabenbereichs obliegt vielmehr allein dem Gesetzgeber. 294 Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und die Brandschutzentscheidung des Landesverfassungsgerichts 295 belegen, daß jede Aufgabenverlage292 Siehe dazu im einzelnen oben B. I. 4. b) (4). In älteren Entscheidungen haben der NdsStGH und der VerfGH Rh-Pf die Gemeindeverbände den Gemeinden insofern gleichgestellt, als auch die Gemeindeverbände (Kreise) nach dem Inhalt des Art. 28 Abs. 2 GG in ihrem territorialen Bestand geschützt sind. Greift der Gesetzgeber im Zuge einer umfassenden Neuregelung der kommunalen Organisationsstrukturen in den Gebietsbestand der Kreise ein, so setzt ein derartiger Eingriff ein entsprechendes Gemeinwohlinteresse und die ordnungsgemäße Anhörung (auch) der betroffenen Landkreise voraus. Die verfassungsimmanente Bindung an das Gemeinwohl wirkt sich nach der Rechtsprechung des VerfGH Rh-Pf auch auf die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeindeverbände aus und formt sie in ihrem Wesensgehalt mit. Siehe dazu im einzelnen StGH Nds, DÖV 1979, 406=DVBI. 1979,507; VerfGH Rh-Pf, DÖV 1970, 198; DVBI. 1970,779. 293 Die rheinland-pfalzische (Verbands-)Gemeindeordnung umschreibt die Verbandsgemeinde mit den folgenden Worten: § 64 - Verbandsgemeinden (I) Verbandsgemeinden sind aus Gründen des Gemeinwohls gebildete Gebietskörperschaften, die aus benachbarten Gemeinden des gleichen Landkreises bestehen. Sie erfüllen neben den Ortsgemeinden öffentliche Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der folgenden Bestimmungen. Sie verwalten ihre Angelegenheiten selbst unter eigener Verantwortung im Rahmen der Verfassung und der Gesetze. (2) Soweit die Bestimmungen dieses Kapitels nicht etwas anderes vorschreiben, gelten für die Verbandsgemeinden die Bestimmungen über die verbandsfreien Gemeinden mit der Maßgabe, daß ... § 65 -Gebiet (1) Das Gebiet einer Verbandsgemeinde besteht aus dem Gebiet der ihr angehörenden Ortsgemeinden .... § 67 - Eigene Aufgaben (1) Die Verbandsgemeinde nimmt anstelle der Ortsgemeinden folgende Selbstverwaltungsaufgaben wahr: ... " 294 BVerfGE 83, 363 (383).
III. Verfassungsrechtliche Analyse der Modellvarianten
99
rung auf die Amtsgemeinde, die sich zugleich als ein Aufgabenentzug gegenüber der (verfassungsrechtlichen) Ortsgemeinde auswirkt, allein und im Zusammenhang mit den Aufgabenverlusten in ihrer Gesamtheit an den Gewährleistungsschranken der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie der Art. 28 Abs. 2 Satz I GG und Art. 97 Abs. 2 Verf Bbg zu messen ist. Die Gemeindeverbandsqualität der Amtsgemeinde bewirkt in diesem Zusammenhang nicht den (partiellen) Verlust verfassungsrechtlichen Schutzes der Ortsgemeinden; das Verfassungsgericht Brandenburg hat klargestellt, daß jeder Aufgabenentzug an der Schrankensystematik der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie zu messen ist, gleichgültig auf welcher Ebene dieser erfolgt. 296 Es macht demnach für die verfassungsrechtliche Beurteilung des brandenburgischen Amtsgemeindemodells insoweit keinen Unterschied, ob der Landtag die Amtsgemeinde als Gemeindeverband ausgestaltet oder unter der Bezeichnung ,,Amtsgemeinde" einen neuen Gemeindetypus schafft. Entscheidend ist nur, daß zum einen die verfassungsrechtliche Grenze zu den für die überörtlichen Aufgaben zuständigen Gemeindeverbänden i. S. des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG (Landkreise) nicht überschritten wird und zum anderen der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie der auf ein Minimum an Aufgabenbestand zurückgeführten Ortsgemeinden unangetastet bleibt. Anders als in Niedersachsen kann der Gesetzgeber einen an der gemeindlichen Kernbereichsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zu messenden überdimensionierten Aufgabenentzug zugunsten der Amtsgemeinden (als Gemeindeverband) auch nicht mit dem Hinweis auf historische Vorläufer der Amtsgemeinden bzw. einen über Jahrzehnte andauernden Entwicklungsprozeß rechtfertigen.
b) Die Verteilung der Steuererhebungs-, Steuerertragskompetenzen und Finanzzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich
Wird die Amtsgemeinde vom brandenburgischen Gesetzgeber - wie in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen geschehen - als Gemeindeverband und nicht als verfassungsrechtliche Gemeinde i. S. d. Art. 28 Abs. 2 Satz I GG ausgestaltet, hat dies die Konsequenz, daß nicht die Amtsgemeinde, sondern, wie bisher die amtsangehörige Gemeinde, die zu einer Amtsgemeinde gehörende Ortsgemeinde das finanzverfassungsrechtliche Zuordnungssubjekt der Art. 28 Abs. 2 Sätze I und 3, Art. 105 ff. GG ist. Damit besitzt die Ortsgemeinde, wie auch ein Vergleich mit der niedersächsischen Mitgliedsgemeinde zeigt 297 , die Steuererhebungs- und Steuerertragskompetenzen in dem vom Grundgesetz den Gemeinden zuerkannten Umfang. 298
295 296 297
7'
LVerfGE 5, 79 (91). LVerfGE 5, 79 ff. =NVwZ-RR 1997,352 ff. Siehe oben B. I. 4. b) (5).
100
B. Untersuchung
Die niedersächsische Samtgemeinde besitzt keine Steuerhoheit; sie ist, wie bislang das brandenburgische Amt, auf die Samtgemeindeumlage und die Schlüsselzuweisungen des kommunalen Finanzausgleichs angewiesen. Die niedersächsischen Mitgliedsgemeinden sind demgegenüber bei der Festsetzung der Grund- und Gewerbesteuerhebesätze und bei der Entscheidung über die Erhebung weiterer Gemeindesteuern von der Samtgemeinde nur insofern "abhängig", als sie im Finanzverbund mit dieser verpflichtet sind, insgesamt für eine ausreichende Finanzbasis auch im Hinblick auf die Samtgemeindeumlage (und darüber hinaus auch für die Kreisumlage) zu sorgen.299 Die als Gemeindeverband verfaßte Amtsgemeinde wird dementsprechend über keinerlei den verfassungsrechtlichen Gemeinden zustehenden Steuererhebungsund -ertragskompetenzen verfügen. Lediglich die Erhebung von Gebühren und Beiträgen ist (finanz-)verfassungsrechtlich unbedenklich. Die aus der Erledigung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises erzielten Einnahmen fließen den Amtsgemeinden zu. Wenn und soweit die sonstigen Einnahmen nicht ausreichen, kann eine Abschöpfung des ortsgemeindlichen Steueraufkommens über eine der Kreisumlage entsprechende Amtsgemeindeumlage erfolgen. Hierbei wird allerdings die Finanzausstattungsgarantie der Ortsgemeinden zu beachten sein, die durch Umlagebelastungen nicht ausgehöhlt werden darf. 300 298 Dieses Ergebnis entspricht nicht den Vorstellungen der Enquetekommission. Das Kommissionsmitglied G. Püttner äußerte auf Nachfrage in der 20. Ausschußsitzung (Protokoll-Zitat 2/1188, S. 7): ,,Die Frage, ob den künftigen Amtsgemeinden neben den Finanzzuweisungen des Landes und Einnahmen aus Gebühren und Abgaben auch Einnahmemöglichkeiten aus Steuern eröffnet werden sollten, sei in der Enquetekommission bereits diskutiert worden. Er sei der Meinung gewesen, daß man bei der Konstruktion der Amtsgemeinde zu einer Verteilung zwischen Ortsgemeinden und Amtsgemeinden kommen müsse, so daß beide an den Steuerquellen partizipieren könnten. Über den Verteilungsschlüssel müsse man natürlich nachdenken. Da beide Ebenen die Finanzhoheit besäßen, müßten sie auch originäre Einnahmequellen haben. Die konkrete Verteilung hänge dann nicht zuletzt auch von der Aufgabenverteilung ab, wobei tendenziell die Ortsgemeinde begünstigt werden müßte, damit innerhalb der Amtsgemeinde die Möglichkeit der Finanzierung per Umlagen erhalten bleibe. Die Finanzierung per Umlage sei ein sehr flexibles Instrument, auf das man nicht verzichten sollte. Wenn beide Einheiten, Amtsgemeinde und Ortsgemeinde, Gemeindequalität hätten, so hätten beide Anspruch auf die entsprechende Finanzhoheit. Er habe auch z. B. aus Rheinland-Pfalz nie gehört, daß es in dem Punkt Diskussionen gegeben habe." An anderer Stelle ergänzt Püttner, daß es seinerzeit in Rheinland-Pfalz Stimmen gegeben habe, die eine Aufteilung des Steueraufkommens auf die unterschiedlichen Gemeindeebenen für verfassungswidrig gehalten hätten. Letztendlich sei diese Entscheidung in Rheinland-Pfalz aber nicht beanstandet worden. (Protokoll, S. 9). Der Hinweis auf die Rechtslage in Rheinland-Pfalz ist allerdings wegen der durch die Rechtsprechung erfolgte Qualifizierung der Verbandsgemeinde als Gemeindeverband nicht schlüssig. Zutreffend stellt das Kommissionsmitglied Humpert klar, daß in der Anhörung die Vertreter aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen mitgeteilt hätten, Verbandsgemeinden und Samtgemeinden würden ausschließlich über Umlagen finanziert. (Protokoll, S. 10) 299 H.-H. v. Hoerner, Die Neue Verwaltung 1998, 14 (16). 300 Zutreffend für die Samtgemeindeumlage K. -D. Kirchhof!/ Porwol, in: Thieme (Hrsg.), Niedersächsische Gemeindeordnung, Kommentar, 3. Aufl. 1997, § 76, Rdnr. I m. w. Nachw.:
IV. Der Schutz des Vertrauens in kommunalverfassungsrechtliche Strukturen
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Bei der Verteilung der Steuerverbundrnasse im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs durch Schlüsselzuweisungen, Zweck- und Bedarfszuweisungen, Investitionspauschale und weitere dem "Finanzergänzungssystem" dienende Zuweisungsarten auf die Amtsgemeinde (als Gemeindeverband) und ihre Ortsgemeinden ist der Gesetzgeber nur, aber immerhin an die von der Verfassung selbst und der hierzu von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Verteilungsmaßstäbe gebunden?01
IV. Der Schutz des Vertrauens in den Bestand der bestehenden kommunalverfassungsrechtlichen Strukturen Auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es derzeit Diskussionen über die Notwendigkeit einer erneuten Kreisgebietsreform und den Zusammenschluß von Gemeinden, um deren Anzahl im Land zu senken und ihre Leistungsfähigkeit zu stärken. Nach Ankündigung des Innenministers Timm wird es allerdings keine Gesetzesinitiativen seines Hauses geben, die auf die Vorbereitung oder Durchführung einer Gemeindegebietsreform abzielen: "Wir haben 1992 eine Kreisgebietsreform beschlossen und zwei Jahre später in Kraft gesetzt. Wollten wir diese Reform jetzt reformieren, dann müßten wir - um gerichtsfest zu sein - Gesichtspunkte anführen, die es Anfang der 90er Jahre noch nicht gab. Diese sehe ich nicht.,,302 Damit weist der Minister auf den Vertrauensschutzaspekt hin, der inbesondere bei Neugliederungen von Kreisen und Gemeinden Beachtung finden muß, die sich innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes wiederholen (sog. Mehifachneugliederungen und loder Rück-Neugliederungen). Obgleich die Verwirklichung des brandenburgischen Orts- und Amtsgemeindemodells nicht den Tatbestand einer Neugliederung erfüllt,303 sind mangels unmittelbar einschlägiger Rechtsprechung die vom BVerfG zum Bestands- und Vertrauensschutz entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen für kommunale Neugliederungen darzustellen, um sodann zur ,,Auch wenn bei der Bemessung der Samtgemeinde umlage auf die Vorschriften über die Kreisumlage Bezug genommen wird, müssen die Ermessensgrenzen bei der Festlegung des Hebesatzes enger gezogen werden als die eines Landkreises bei der Festlegung der Kreisumlage (hierzu OVG Lüneburg, DÖV 1986, S. 1020), da die Samtgemeinden einen in der Hauptsatzung konkret festgelegten Aufgabenkatalog haben und ihnen nicht die in §§ 2, 3 NLO festgelegten Kreisaufgaben (Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion sowie eigene freiwillige Aufgaben) obliegen." 301 Siehe oben B. III. 2. 302 Nordkurier v. 27. 7. 1999 303 Diese Feststellung gilt allerdings nur solange, wie durch die Einführung des Orts- und Amtsgemeindemodells nicht zugleich die kommunalen Gebietsgrenzen verschoben werden. Da nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, daß im Zuge der Einführung neuer Kommunalstrukturen im Land Brandenburg (zumindest in Einzelfällen) auch Veränderungen im Gebietszuschnitt einzelner Gemeinden notwendig werden könnten, wird die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Neugliederungsfallen hier ausführlicher dargestellt.
102
B. Untersuchung
Frage nach deren Übertragbarkeit auf die Vorschläge der Enquetekommission zu einer "Gemeindegebietsrefonn im Land Brandenburg,,304 Stellung zu nehmen. Die Verfassungs gerichte der Länder pflegen sich erfahrungsgemäß an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu orientieren. In den Neugliederungsfallen der 60er und 70er Jahre haben sie allerdings teilweise durchaus eigenständiges Profil durch die Herausbildung strengerer verfassungsrechtlicher Maßstäbe gewinnen können (dazu unten 2.).
1. Die Rechtsprechung des BVerfG zu Rück-Neugliederungsfallen (Niedersachsen)
a) Die Rück-Neugliederungsentscheidung aus dem Jahre 1992 Nach Auffassung des BVerfG steht die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG Veränderungen des Gebietsbestandes einzelner Gemeinden nicht entgegen. 305 Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG schützt Gemeinden nur institutionell, nicht aber individuell. 306 Deshalb beeinträchtigten Auflösungen von Gemeinden, Gemeindezusammenschlüsse, Eingemeindungen und sonstige Gebietsänderungen den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts grundsätzlich nicht. Zum Inhalt des verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung, so wie diese sich historisch entwickelt hat, gehöre jedoch der Grundsatz, daß Bestands- und Gebietsänderungen von Gemeinden nur aus Gründen des öffentlichen Wohls und nach Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften zulässig sind. Mit Organisationsgesetzen über eine Neugliederung oder eine anderweitige Gebietsänderung von Gemeinden strebe der Gesetzgeber an, die Voraussetzungen für eine funktionstüchtige kommunale Selbstverwaltung zu verbessern. Dieser finale Charakter einer solchen Regelung eines komplexen Sachverhalts verleihe ihr einen deutlich planerischen Einschlag. Dies wirke sich auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen aus, denen die Entscheidung des Gesetzgebers unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Wohls zu genügen habe. 304 So der irreführende Titel des Abschlußberichtes der Enquetekommission, Drs. 216260 v. 23. 4. 1999. 305 BVerfGE 86, 90 (107) - Rück-Neugliederung (Hauptsacheverfahren). 306 Entgegen einiger Stimmen in der Literatur gilt für die Finanzausstattungsgarantie der Kommunen etwas anderes: Diese aus Art. 28 Abs. I Satz I und 3 GG ableitbare Gewährleistung zugunsten der Gemeinden hat nicht nur institutionelle, sondern auch beschränkt individuelle Wirkungen. Siehe dazu im einzelnen NierhauslGebhardt, Zur Ausfallhaftung des Staates für zahlungsunfähige Kommunen, 1999, S. 53 ff.; Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Auf!. 1999, Art. 28 Rdnrn. 36 f. m. w. Nachw. und Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Auf!. 1995, S. I (15). Dem hat sich jüngst das VerfG Bbg angeschlossen (28/98, Urt. v. 16.9. 1999, UA, S. 46).
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Über die Ausrichtung einer gemeindlichen Gebietsänderung oder Neugliederung an Gründen des öffentlichen Wohls habe der Gesetzgeber allerdings nach Zielen, Leitbildern und Maßstäben, die er selbst gesetzt hat, grundsätzlich frei zu entscheiden. Um dem Gemeinwohl zu entsprechen, müsse die in den Gebietsbestand einer Gemeinde eingreifende gesetzliche Regelung aber schon in ihrem Zustandekommen bestimmten prozeduralen Anforderungen genügen. Ferner müsse sich die gesetzgeberische Problemlösung auch in ihrem Ergebnis an gewissen unverzichtbaren, aus dem Grundgesetz abzuleitenden Wertmaßstäben orientieren. Demgemäß prüft das Bundesverfassungsgericht nach, ob der Gesetzgeber den für seine Regelung erheblichen Sachverhalt ermittelt und dem Gesetz zugrundegelegt hat und ob er die im konkreten Fall angesprochenen Gemeinwohlgründe sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung in die vorzunehmende Abwägung eingestellt hat. Auf der Grundlage eines in dieser Weise ermittelten Sachverhalts und der Gegenüberstellung der daraus folgenden verschiedenen - oft gegenläufigen - Belange sei der Gesetzgeber befugt, sich letztlich für die Bevorzugung eines Belangs (oder mehrerer Belange) und damit notwendig zugleich für die Zurückstellung aller anderen betroffenen Gesichtspunkte zu entscheiden. Insoweit habe sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle eines Neugliederungsgesetzes auf die Prüfung zu beschränken, ob der gesetzgeberische Eingriff in den Bestand einer einzelnen Gemeinde offenbar ungeeignet oder unnötig sei, um die mit ihm verfolgten Ziele zu erreichen, oder ob er zu ihnen deutlich außer Verhältnis stehe und ob das Gesetz frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen sei. Soweit Ziele, Wertungen und Prognosen des Gesetzgebers in Rede stünden, habe das Verfassungsgericht darauf zu achten, ob diese offensichtlich oder eindeutig widerlegbar seien oder ob sie den Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung widersprächen. 307 Das BVerfG stellt klar, daß die dargestellten Anforderungen grundsätzlich auch für solche Gesetze gelten, die eine frühere Gemeindeneugliederung korrigieren oder rückgängig machen. In Fällen erneuter Gebietsreform in noch fortbestehendem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer früheren umfassenden Neugliederung, bei der Ziele und Leitvorstellungen nicht aufgegeben würden, sondern lediglich in einzelnen Fällen der ursprüngliche Gebietszuschnitt wiederhergestellt werde, um damit einem vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Mangel in der Verwirklichung seines Neugliederungsziels abzuhelfen oder auf eine unvorhergesehene Entwicklung zu reagieren, liege eine "Rück-Neugliederung" vor, wohingegen in Fällen erneuter Gebietsreform im übrigen, insbesondere solchen aufgrund eines veränderten Konzepts, eine ,,Mehrfachneugliederung" vorgenommen werde. 308 Der Gesetzgeber sei nicht prinzipiell gehindert, eine NeugliederungsBVerfGE 86, 90 (108 f.). Ebda., S. 109,119 unter Hinweis auf VerfGH Saarl., NVwZ 1986, 1008 (1009, LS 4: "Ob für die wiederholte Änderung des flächenmäßigen Zuschnitts einer Gemeinde besondere verfassungsrechtliche ,Mehrfachneugliederungsgrundsätze' beachtlich sein können, bleibt offen; sie kommen jedenfalls nicht zum Tragen, wenn nur ein kleiner Teil einer der betroffenen Gemeinde im Zuge der Gebietsreform zugeordneten Räche - hier: 0,817 qkm mit 321 Ein307
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B. Untersuchung
maßnahme aufzuheben oder zu ändern, wenn diese sich ihm als Fehlentwicklung darstelle oder wenn ihm eine erneute Regelung abweichenden Inhalts wegen veränderter Verhältnisse oder neuer Erkenntnisse notwendig oder zweckmäßig erscheine. Der besondere Charakter solcher Gesetze wirke sich indes auf die verfassungsrechtlichen Maßstäbe aus, denen sie zu genügen hätten. Auch mit Blick auf die Rechtfertigung des öffentlichen Wohls erfordere eine Rück-Neugliederungsmaßnahme eine besondere Beurteilung. Wiederholte gesetzliche Änderungen im Bestand oder im gebietlichen Zuschnitt von Gemeinden seien geeignet, die rechtsstaatlich gebotene Rechtssicherheit zu beeinträchtigen. Rechtssicherheit bedeutete hier auch Bestands- und Vertrauensschutz. 309 In Betracht zu ziehen sei in diesem Zusammenhang zum einen das Vertrauen der bereits einmal nach den Zielvorstellungen des Gesetzgebers neugegliederten Gemeinde, wenn sie etwa bestimmte auf den neuen Gebietsbestand ausgerichtete und längerfristig wirksame Entscheidungen getroffen habe. Zum anderen sei auch das für eine Identifikation mit der Gemeinde und eine Bereitschaft zur Beteiligung an den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft notwendige Vertrauen der Bürger in die Beständigkeit einmal getroffener staatlicher Organisationsmaßnahmen in Rechnung zu stellen. Die Bürger brächten gesetzlichen Maßnahmen dieser Art die - berechtigte - Erwartung entgegen, daß sie nicht Gegenstand kurzfristiger oder experimenteller Überlegungen, sondern auf Kontinuität angelegt und insofern in ihrem Bestand geschützt seien. Diese Gesichtspunkte habe der Gesetzgeber, der sich anschicke, eine Neugliederung nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder rückgängig zu machen, in der Abwägung zu berücksichtigen. Die fehlende Akzeptanz des die neue örtliche Gemeinschaft konstituierenden Gebietszuschnitts bei erheblichen Teilen der Einwohnerschaft könne sich nachteilig auf die notwendige Integration und die zu wahrende örtliche Verbundenheit der Einwohner auswirken und letztlich die bürgerschaftliche Verwurzelung und Leistungsfähigkeit der Selbstverwaltung beeinträchtigen. Die Behebung solcher Nachteile durch erneuten Eingriff in den gemeindlichen Gebietsbestand, z. B. durch Wiederherstellung der ursprünglichen Verhältnisse, sei deshalb grundsätzlich ein zulässiges Gemeinwohlziel. Dem Gesetzgeber sei es dabei nicht verwehrt, dem Willen der Bevölkerung nunmehr ein größeres und dem vorher zugrunde gelegten Leitbild einer bestimmten Mindesteinwohnerzahl für eine eigenständige Selbstverwaltungseinheit ein demgegenüber geringes Gewicht beizumessen. Ein bloßer Unwille im Sinne einer Stimmung der Unzufriedenheit mit der durch die Neugliederung geschaffenen Lage vermöge allerdings für sich allein eine Rück-Neugliederungsmaßnahme nicht zu rechtfertigen. Das erforderliche Gewicht als ein Belang, der gegenüber den gegen eine Rück-Neugliederung sprechenden Belangen der Rechtssicherheit und des Bestandsschutzes den erneuten Eingriff in wohnern - wieder an den Ortsteil angegliedert wird, zu dem sie ursprünglich gehörte.") und Stüer, DVBI. 1977, 1 (5). 309 BVerfGE 86, 90 (110) unter Hinweis auf BVerfGE 30, 392 (403 f.).
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den gemeindlichen Gebietsbestand verfassungsrechtlich rechtfertige, könne ein Defizit an Akzeptanz jedoch dann gewinnen, wenn es sich auf objektivierbare gewichtige Gründe aus der historischen und kulturellen Entwicklung, aus den geographischen Verhältnissen, der wirtschaftlichen oder sozialen Struktur oder aus anderen vergleichbaren Gegebenheiten zurückführen lasse, so daß mit seinem Schwinden in einem überschaubaren Zeitraum nicht zu rechnen sei. Auch komme es darauf an, ob ein nach außen erkennbar werdender Mangel an örtlichem Verbundenheitsgefühl in der Einwohnerschaft geeignet sei, die Leistungsfähigkeit der Selbstverwaltung der neugegliederten Gemeinde und deren gedeihliche Entwicklung fühlbar und nachhaltig zu stören. Um in Orientierung an diesen Maßstäben zu einer tragfähigen, dem öffentlichen Wohl entsprechenden Abwägung zu gelangen, müsse der Gesetzgeber auch den für ein so begründetes Gesetzesvorhaben maßgeblichen Sachverhalt umfassend ermitteln. Hierzu sei erforderlich, daß hinreichend sichere Feststellungen, insbesondere über Ausmaß und Gewicht der Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der ersten Neugliederung, deren Ursachen und deren Bedeutung für die Entwicklung der örtlichen Gemeinschaft, aber auch über die Folgewirkungen, die mit einer Rück-Neugliederung voraussichtlich verbunden seien, getroffen und dem Gesetz zugrunde gelegt werden. Der Gesetzgeber sei dabei gehalten, sich aufgrund verläßlicher Quellen ein eigenes Bild von den tatsächlichen Verhältnissen in der Gemeinde zu verschaffen, in deren Gebietsbestand er erneut eingreifen wolle; er dürfe sich nicht mit Berichten von interessierter Seite begnügen. 310 Ergebnis und tragende Gründe dieser Neugliederungsrechtsprechung lauten zusammengefaßt: Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz zur Neubildung einiger niedersächsischer Städte und Gemeinden war wegen Verstoßes gegen das öffentliche Wohl 311 und damit wegen der Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz I GG der beschwerdeführenden Gemeinden für nichtig zu erklären, weil es an einer ausreichenden Ermittlung des für die gesetzgeberischen Entscheidungen erheblichen Sachverhalts und damit einhergehend auch an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Abwägung der Gründe und Gegengründe gefehlt hat. 312 Starck spricht in einer Urteilsanalyse von scharfen Anforderungen an den Landesgesetzgeber, der eine Gebietsreform rückgängig machen will. ,,Es wird eine perfekte Begründung des Gesetzes bei Einbringung und im Bericht über die Ausschußberatungen verlangt.,,313
BVerfGE 86, 90 (111 f.) Siehe zu den Gründen des öffentlichen Wohls die Zusammenstellung bei Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,2. Auf!. 1984, § 12 II 4, S. 411 m. umfangr. Rspr.-Nachw. 312 BVerfGE 86, 90 (114 ff.). 313 Starck, in: Festschrift Thieme, 1993, S. 845 (852 - Hervorhebung nicht im Original). 310 311
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B. Untersuchung
b) Die Entscheidung des BVeifG zum thüringischen Neugliederungsgesetz (1994) Die vom Gesetzgeber im Zusammenhang mit kommunalen (Rück)-Neugliederungen zu beachtenden verfassungsrechtlichen Anforderungen werden vom gleichen Senat des BVerfG durch eine Entscheidung aus dem Jahre 1994 ergänzt, in der dieser sich mit dem Gesetz zur Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte in Thüringen auseinanderzusetzen hatte. 314 Durch § 23 dieses Gesetzes wurde die Eingemeindung von Ortschaften in die Stadt Jena angeordnet. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte das Gesetz vor allem dazu dienen, die bestehenden Verflechtungsräume zwischen Stadt und Umland durch die Konzentration der Planung bei einem Planungsträger zu ordnen und den wachsenden Flächenbedarf der Städte zu decken. 315 In seiner Entscheidung hatte das BVerfG eine Folgenabwägung im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (§ 32 BVerfGG) vorzunehmen und die Frage zu beantworten, ob die Beurteilung von Neugliederungsgesetzen im Rahmen der Folgenabwägung besonderen Anforderungen unterliegt. 316 Dabei ist das Gericht zu den folgenden Erkenntnissen gelangt: Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sind die erstmalige und die Rück-Neugliederung nicht gleichzubehandeln. Zwischen beiden gibt es gewichtige Unterschiede, die einer Übertragung der für die Rück-Neugliederung entwickelten Grundsätze auf eine erstmalige Neugliederung entgegenstehen. Im Falle der Rück-Neugliederung wird die Bevölkerung als Folge einer in relativ kurzer Zeit entgegengesetzten gesetzgeberischen Gemeinwohlkonkretisierung "hin- und hergeschoben"; der Bevölkerung wird angesonnen, die wenn auch möglicherweise nur widerwillig hingenommene, gleichwohl als Dauerlösung konzipierte Zugehörigkeit zu einer neuen "örtlichen Gemeinschaft" im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nach einer kurz bemessenen Zeitspanne zu ändern und sich wieder anderweitig zu orientieren. In dieser Situation spricht alles dafür, die neuerliche Änderung der Zugehörigkeit nicht lediglich vorläufig durchzuführen, sondern erst nach einer endgültigen Klärung der Frage, ob sie von Rechts wegen Bestand haben kann. Andernfalls besteht die Gefahr, daß - nach Rückgängigmachung der Rück-Neugliederung - die Bereitschaft, wieder in der durch die erste Neugliederung gebildeten Gemeinde verantwortlich mitzuwirken, nachhaltig beeinträchtigt wird. 317 Gerade diese Gefahr besteht im Falle einer erstmaligen Neugliederung so nicht. Sofern diese bei Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung nach kurzer Zeit wieder rückgängig gemacht wird, besteht kein Anlaß daran zu zweifeln, daß die ursprüngliche "örtliche Gemeinschaft", für BVerfGE 91,70 ff. - Neugliederungsgesetz Thüringen. Thüringer Landtag, Drs. 1/2233, S. 14 f.; BVerfGE 91, 70 (73). 316 BVerfGE 91, 70 (74 ff.). 317 Ebda., S. 78 unter Hinweis auf BVerfGE 82, 310 (314) - Rück-Neugliederung (Einstweiliges Rechtsschutzverfahren). 314 315
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deren Bestand die Gemeinde vor Gericht gezogen ist, von der Bevölkerung wieder angenommen wird. Auch gibt die spezifische Situation der Gemeinden in den neuen Bundesländern keinen Anlaß für eine grundsätzlich abweichende Bewertung. Die Antragstellerinnen weisen zwar zu Recht darauf hin, daß die Gemeinden in der ehemaligen DDR erst nach .der Wende wieder als Selbstverwaltungskörperschaften konstituiert wurden, so daß sie sich insoweit noch in einer Aufbauphase befinden. Das Recht der Selbstverwaltung wird jedoch durch das Thüringer Neugliederungsgesetz nicht angetastet; die Möglichkeit der Bevölkerung, sich für die Belange der - wenn auch territorial anders umschriebenen - "örtlichen Gemeinschaft" in eigener Verantwortung einzusetzen, wird nicht beschnitten. Durch die Eingemeindung besteht gleichwohl - insbesondere wenn das verfassungsgerichtliche Verfahren längere Zeit dauert - die Gefahr, daß die für eine funktionsfähige Selbstverwaltung in einer kleinen, überschaubaren und gewachsenen örtlichen Gemeinschaft erforderlichen Strukturen und das identitätsstiftende Merkmal der Zugehörigkeit zu ihr Schaden erleiden. Dieser Nachteil wiegt zwar schwer; er erreicht aber jedenfalls dann nicht ein solches Gewicht, das den Aufschub des Inkrafttretens des Gesetzes rechtfertigen könnte, wenn andere, weniger eingreifende Möglichkeiten bestehen. 318
2. Die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte in Mehrfach-Neugliederungsfällen Auch diejenigen Landesverfassungsgerichte, die bislang mit Mehrfach-Neugliederungen bzw. Rück-Neugliederungen befaßt gewesen sind, haben an diese hohe und qualifizierende Zulässigkeitsanforderungen gestellt. 319 Bereits in der sog. Meerbusch-Entscheidung vom 13.9. 1975 320 hat der VerfGH NW dem Gesetzgeber die Erfüllung besonderer verfassungsrechtlicher Vorgaben bei Mehrfachneugliederungen abverlangt, die ihre Wurzeln vor allem im Vertrauensschutzgedanken finden: Neben der Verpflichtung, bei einer erneuten, innerhalb weniger Jahre stattfindenden Gemeindegebietsreform, den vom Gesetzgeber vormals zugrunde gelegten Sachverhalt sowie die damals angestellten Wertungen, Erwägungen und Prognosen und die vom Gesetz ausgegangenen Wirkungen zu berücksichtigen, unterliege die erneute Maßnahme einer erweiterten Begründungspjlicht und die Begründung einer besonderen Qualifizierung. Es gelte zudem ein gesteigertes VerbesseBVerfGE 91, 70 (78). Siehe dazu Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, § 1211 4, S. 411 m. umfangr. Rspr.-Nachw. 320 VerfGH NW, OVGE 30,276 Cf. =DVBI. 1976,391 Cf.; ausführlich behandelt bei Stüer; DVBI. 1977, 1 Cf. Bilanzierend zu den Gebietsreformen in den neuen Bundesländern ders.! Landgrat LKV 1998, 209 Cf. 318 319
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B. Untersuchung
rungsgebot (mit Schaden-Nutzen-Bilanz), wonach die erst kürzlich getroffene Neugliederungsentscheidung nur dann korrigiert werden dürfe, wenn die bisherige Gliederung "im Lichte neuerer Erfahrungen, Erkenntnisse oder Zielsetzungen deutlich weniger gut sei als die neuerdings angestrebte" Problemlösung, wenn sich, mit anderen Worten, die kommunale Neugliederung im Hinblick auf Sinn und Zweck der kommunalen Selbstverwaltung mehr als nur geringfügig verbessern lasse?21 Der Gesetzgeber sei auch nur dann berechtigt, "seine Zielvorstellungen zu ändern und andere Prioritäten zu setzen, wenn ihm eine Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen oder zusätzlich gewonnene landesplanerische Erkenntnisse dies nötig oder angezeigt erscheinen lassen." Gleichzeitig treffe den Gesetzgeber die Pflicht zur durchgängigen Berücksichtigung des Vertrauensschutzgebotes bei allen Prüfstadien der Eignung, Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit. An Umorientierungen der Bevölkerung auf andere Zentren, die mit einer Änderung der bisherigen Ausrichtung der Bürger verbunden sind, seien nach der (für Nordrhein-Westfalen) grundlegenden Entscheidung des VerfGH NW besonders hohe Zulässigkeitsanjorderungen zu stellen. 322
3. Zur Frage der Übertragbarkeit der Judikatur zu Mehrfach-I Rück-Neugliederungsfällen auf die gesetzliche Neukonzeption der brandenburgischen Amtsgemeinde Ob die vom Bundesverfassungsgericht und den Verfassungsgerichten der Länder herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Anforderungen, die ihre Wurzeln letztlich im rechtsstaatlieh fundierten Vertrauens- und Bestandsschutzgedanken haben, auf die Konzeption einer brandenburgischen "Gemeindegebietsreform" nach den Vorstellungen der Enquetekommission übertragbar sind, hängt maßgeblich von der Vergleichbarkeit mit den Fällen einer Mehrfach- und Rück-Neugliederung ab. Im Unterschied zu den vom Bundesverfassungsgericht (und vielfach in den 70er Jahren auch von den Verfassungsgerichten der alten Bundesländer) behandelten Mehrfachneugliederungs- bzw. Rück-Neugliederungsfällen würde es sich bei der Änderung der brandenburgischen Gemeindeordnung zur Einführung einer OrtsStüer; DÖV 1978,78 (84) m. zahlr. Rspr.-Nachw. Siehe dazu im einzelnen Stüer; DVBI. 1977, 1 (5/6). Das OVG Greifswald, LKV 1998, 21 f. (LS 3) hat jüngst entschieden, daß "bei einer Gebietsänderung verhältnismäßig kurze Zeit nach einer umfassenden Neugliederung .. in die Abwägung das Vertrauen in die nach den Zielvorstellungen des Gesetzgebers neugegliederten Strukturen und die Beständigkeit einmal getroffener staatlicher Organisationsmaßnahmen einzustellen" sei. Eine derartige Rück-Neugliederung werde von Gründen des öffentlichen Wohls getragen, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte zu erwarten sei, daß in einem überschaubaren Zeitraum nicht mit einem Schwinden der fehlenden Akzeptanz der gegenwärtigen Zuordnung zu rechnen sei (im Anschluß an BVerfGE 86, 90 = NVwZ 1993,262 = NJW 1993, 1319 L). Bei der Entscheidung seien auch die zwingenden Auswirkungen im Hinblick auf die Amtsverfassung in der Abwägung mit zu berücksichtigen. 321
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und Amtsgemeindeverfassung nicht um eine erneute "Zuordnung" von Gemeinden und deren Bevölkerung handeln. Durch die Bildung der Amtsgemeinden, die an die Stelle der bisherigen Ämter treten sollen, werden die bisherigen amtsangehörigen (Orts-)Gemeinden in ihrem Gebietsbestand nicht berührt. Auch wird das Ortsgemeindevolk nicht aus "seiner" Gemeindezugehörigkeit (erneut) herausgerissen und einer anderen Gebietskörperschaft unter Verlust der bisherigen "kommunalen Identität" zugeordnet. Das in der Gemeinde beheimatete Kommunalvolk erhält vielmehr eine zusätzliche, erweiterte "kommunale Identität", die Mitgliedschaft in der Amtsgemeinde. ,,Mitglieder" der Amtsgemeinden sind die Amtsgemeindebürger, die in ihrer Gesamtheit die Amtsgemeindevertretung wählen, und nicht wie bei den Ämtern die amtsangehörigen Gemeinden. Auch droht den Gemeindebürgern durch die Einführung des Amtsgemeindemodells kein "Hin und Her" zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften. Ein Verlust kommunalen Zugehörigkeitsgefühls tritt aber immerhin insoweit ein, als Aufgabenzuständigkeiten an die als anonymer und "fremder" oder "entfernter" empfundene Amtsgemeinde abwandern. Die Gemeindebürger bleiben aber weiterhin in der Ortsgemeinde verwurzelt, so daß keine ins Gewicht fallende Desintegration der Bürgerschaft erfolgt. Allerdings kann die Hinzufügung einer weiteren (höherstufigen) kommunalen Zugehörigkeit und der damit verbundenen doppelten Wahlrechte, die durch die gegenwärtige Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens (§ 5 Abs. 3 KWahIG) ohnehin kompliziert sind, zu einer weiteren Verunsicherung der Wahl bürger führen. Die Möglichkeit, von einer "fremden" Mehrheit der Amtsgemeindebürgerschaft majorisiert zu werden, wächst. Diese Aspekte haben große verfassungspolitische Bedeutung, sind aber im einzelnen nur schwer zu gewichten. Jedenfalls würden den Bürgern durch die (Direkt-)Wahl der Amtsgemeindevertretung und des Amtsbürgermeisters zusätzliche demokratische Mitwirkungsbefugnisse verliehen. Ob darin letztlich eine wirksamere Einflußnahme auf die Entscheidungen der Amtsgemeindevertretung erblickt werden kann, als es bislang über die im Delegiertensystem bestimmten Mitglieder des Amtsausschusses der Fall ist, hat für den Befund der in der doppelten Wahlberechtigung liegenden zusätzlichen demokratischen Rechte des Amts- und (teilidentischen) Ortsgemeindevolkes kaum Relevanz. Die Alternative, sich als Gemeindebürger in einer Groß- bzw. Einheitsgemeinde wiederzufinden, wäre mit einer noch weitergehenden "Entörtlichung" verbunden. Bei den Auswirkungen des Amtsgemeindemodells auf die amtsangehörigen Gemeinden ist ferner der Verlust ihres institutionalisierten Einflusses über bzw. auf den Amtsausschuß in Rechnung zu stellen: Die beabsichtigte Zusammenführung von politischen Entscheidungszuständigkeiten und Vollzugskompetenzen bei der Amtsgemeinde bedeutet zugleich, daß die Mitglieder der Ortsgemeindevertretungen auf die Beschlüsse der Amtsgemeindevertretung keine direkte Einflußnahmemöglichkeiten haben. Dieses Defizit wird durch die von der Enquetekommission vorgeschlagenen Rede- und Antragsrechte des Ortsbürgermeisters in der Amtsge-
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B. Untersuchung
meindevertretung nicht kompensiert. 323 Im übrigen wäre der "Erfolgswert" der Stimmen der Amtsgemeindebürger im Hinblick auf eigene Kandidaten aus dem Dorf im Vergleich zur Wahlbarkeit von Kandidaten aus den größeren und großen Ortsgemeinden höchst unterschiedlich. Ob dies einen Verstoß gegen den Wahlrechtsgrundsatz der Gleichheit i. S. des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 22 Abs. 3 Verf Bbg darstellen würde, ist hier nicht zu untersuchen. 324 Im Vergleich zur kommunalverfassungsrechtlichen Stellung der amtsangehörigen Gemeinde bewirkt die Einführung des Amtsgemeindemodells gegenüber den Ortsgemeinden insgesamt ein Anwachsen der "Fremdbestimmung" durch Beschlüsse der Amtsgemeindevertretung und Entscheidungen des Amtsbürgermeisters. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß der Verlust eigener Entscheidungszuständigkeiten nur in Bereichen erfolgt und erfolgen darf, die als ortsgemeindeübergreijend zu charakterisieren sind. Es ist damit zu rechnen, daß insbesondere ehemalige amtsangehörige geschäftsführende Ortsgemeinden (Modell 2) das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg im Rahmen einer kommunalen Verfassungsbeschwerde mit dem Vertrauensschutzgedanken konfrontieren und dadurch auch zu einer Beurteilung der Systemgerechtigkeit sowie Beständigkeit gesetzgeberischer Entscheidungen des Brandenburgischen Landtages veranlassen könnten. Diese haben im Zuge der Ämterbildung nicht zuletzt deshalb auf den Status der Amtsfreiheit verzichtet, weil ihren Verwaltungen die Zuständigkeiten nach der Amtsordnung übertragen worden sind (dazu näher unten B. VII.). Nach allem sprechen die überzeugenderen Gründe dafür, daß sich das Brandenburgische Verfassungsgericht gegen eine Übertragbarkeit der vom Bundesverfassungsgericht in seinen Rück-Neugliederungsentscheidungen gewonnenen Erkenntnisse auf eine brandenburgische Amtsgemeindestrukturreform aussprechen wird. Ohnehin ist Sachverhalten, in denen keine kommunale Gebietsreform mit Eingriffen in die Gebietshoheit, sondern "lediglich" ein Aufgabenentzug zu Lasten bestehender Gemeinden erfolgt, das verfassungsunmittelbare Aufgabenverteilungs323 Abschlußbericht der Enquetekommission, S. 31. Der Ortsbürgermeister hat kein Stimmrecht, sofern er nicht zugleich in die Amtsgemeindevertretung gewählt wird. 324 Grünewald, apf 8/1999, 57 (58/59 mit Fn 23, 24) weist zutreffend darauf hin, daß für die Wahlen zur Amtsgemeindevertretung eine Wahlbezirkseinteilung zu erfolgen habe, die den Grundsätzen der Gleichheit der Wahl gerecht werde. Das bedeute ohne weiteres, daß die Amtsgemeindevertretung deutlich durch den Ort des Amtssitzes dominiert werde. Sofern in Brandenburg das Amtsgemeindemodell eingeführt werde, müsse der Umstand weit auseinanderklaffender Einwohnerzahlen von Amtssitz und den übrigen Gemeinden Berücksichtigung finden. Vorstellbar seien nur zwei Varianten. Entweder schaffe der Gesetzgeber eine Regelung, wonach jede Ortsgemeinde mit zumindest einem Vertreter in der Amtsgemeindevertretung Sitz und Stimme habe. Im Modell der Niedersächsischen Samtgemeinde sei dieser Zustand weitestgehend verwirklicht. Allerdings sei eine derartige Regelung kommunalverfassungsrechtlich zu überprüfen. Oder aber der Gesetzgeber verbinde mit der Einführung des Amtsgemeindemodells (wie in Niedersachsen) Gemeindezusammenschlüsse, um Mindesteinwohnerzahlen zu gewährleisten.
V. Bundesverfassungsgerichtliehe Anforderungen
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prinzip und nicht die von der Rechtsprechung für Neugliederungsfälle entwickelten besonderen und teilweise abweichenden verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgründe als Beurteilungsmaßstab zugrunde zu legen. Allerdings läßt sich diese Prognose, wie generell bei Gerichten, bei denen man sich wie "auf hoher See" in "Gottes Hand" befindet - nach einem bekannten geflügelten Wort -, nicht mit letzter Sicherheit abgeben. Im Hinblick auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns i. S. des Art. 33 Abs. 5 GG sind für die auf 8 Jahre gewählten Amtsdirektoren Übergangsund / oder Überleitungsvorschriften vorzusehen. Diese Problematik bedarf angesichts ihrer Komplexität einer eigenständigen rechtlichen Untersuchung. Die nordrhein-westfälischen Regelungen zum Übergang vom ratsgewählten Stadtdirektor zum bürgergewählten Bürgermeister könnten insoweit als Vorbild, zumindest als Anhaltspunkt dienen.
V. Zu den bundesverfassungsgerichtlichen Anforderungen an ein kommunales Organisationsmodell Zur Frage, ob es verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gewichtung einzelner Kriterien im Abwägungsprozeß für ein bestimmtes kommunalveifassungsrechtliches Organisationsmodell gibt, bestehen eindeutige Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts: 325 Danach hat der Verfassungsgeber mit der verfassungsrechtlichen Verankerung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie durch Stärkung der dezentralen Verwaltungsebene auf die gegenläufigen zentralistischen Tendenzen während des nationalsozialistischen Regimes antworten wollen. Er tat dies im Zutrauen in die Gemeinden, im Sinne eines Aufbaus der Demokratie von unten nach oben Keimzelle der Demokratie und am ehesten diktaturresistent zu sein. Kommunalverfassungsrecht und -wirklichkeit sind unter Zurückdrängung des bürokratisch-autoritativen Elementes von der Tendenz bestimmt, dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Gemeindebürger wieder erhöhte Geltung zu verschaffen. An dieser Zielsetzung hat sich dadurch, daß sich die grundgesetzliche Ordnung in der Zwischenzeit verfestigt hat, nichts geändert. Den Gemeindebürgern soll eine wirksame Teilhabe an den Angelegenheiten des Gemeinwesens in dem sie besonders interessierenden und betreffenden örtlichen Bereich ermöglicht werden. Bei den zum Selbstverwaltungsbereich zählenden Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft geht es um jene Belange und Interessen, die den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz I GG enthält auch außerhalb des Kernbereichs ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungs325
Siehe hierzu BVerfGE 79,127 (148 ff., 152 f.).
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B. Untersuchung
prinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden, das der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber zu berücksichtigen hat. Dieses Prinzip sichert nicht nur den Gemeinden einen Aufgabenbereich, der grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfaßt, sondern auch, als Ausfluß dessen, den Gemeindebürgern die politische Teilhabe an "ihren" Belangen der örtlichen Gemeinschaft. Deshalb rechtfertigen Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, der Effizienz öffentlicher Verwaltung aus sich heraus die "Hochzonung" einer Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft nicht. Teilhabe setzt einen gesicherten Bestand kommunalpolitisch gewichtiger Aufgaben bei den Gemeinden voraus. Wo aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Effizienzsteigerung ein übermäßiger Aufgabenentzug erfolgt, schrumpfen die gemeindlichen Aufgabenzuständigkeiten, an denen das Gemeindevolk teilhaben soll. Das Spannungsverhältnis zwischen Verwaltungseffizienz einerseits und Bürgernähe andererseits wird vom Bundesverfassungsgericht dahin aufgelöst, daß lediglich dann, wenn beim Belassen einer Aufgabe bei den Gemeinden eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht mehr gesichert ist oder zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führt, die "Hochzonung" verfassungsrechtlich gerechtfertigt wird. Die Verfassung setzt danach durch das in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Aufgabenverteilungsprinzip ökonomischen Erwägungen den politisch-demokratischen Gesichtspunkt der Teilnahme der örtlichen Bürgerschaft an der Erledigung ihrer öffentlichen Aufgaben entgegen und gibt ihm gegenüber den Gesichtspunkten der Verwaltungvereinfachung, Zuständigkeitskonzentration und Übersichtlichkeit der Verwaltung eindeutig den Vorzug.
VI. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Gründe für eine direktdemokratische Legitimation von Amtsausschuß und Amtsdirektor Zu der Frage, ob es verfassungsrechtliche oder verfassungspolitische Gründe gibt, welche die Fortentwicklung der Ämterverfassung des Landes Brandenburg und die Einführung einer direktdemokratischen Legitimation der Organe des Amtes (Amtsausschuß und Amtsdirektor) erforderlich machen, weil die Ämter in erheblichem Maße Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen, kann wie folgt Stellung genommen werden: Das Verfassungs gericht Brandenburg hat in seiner Entscheidung zur Verlagerung der Brandschutzaufgabe auf die Ämter die Verfassungsgemäßheit der brandenburgischen Amtsordnung indirekt bestätigt. Damit wird neben der Erfüllung der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung und der Vorbereitung und Durchführung von Gemeindevertretungsbeschlüssen durch das Amt auch die freiwillige Übertragung weiterer Selbstverwaltungsaufgaben durch die amtsangehöri-
VI. Direktdemokratische Legitimation von Amtsausschuß und Amtsdirektor
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gen Gemeinden (§ 5 Abs. 4 AmtsO) grundsätzlich für verfassungsrechtlich zulässig gehalten. 326 Da eine umfassende Zusammenstellung und Analyse der von den amtsangehörigen Gemeinden auf das Amt übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben bislang nicht vorliegt, kann nicht zu der Frage Stellung genommen werden, ob durch (zahlreiche und qualitativ gewichtige) Übertragungen von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter qualitativ und quantitativ ein Rechtszustand erreicht ist, der eine direktdemokratische Legitimation von Amtsausschuß und Amtsdirektor erforderlich macht. Es ist z. B. nicht bekannt, ob amtsangehörige Gemeinden bei der Bestimmung des Schulträgers von der ,,Möglichkeit" des § 100 Abs. 1 Satz 3 SchulG Bbg Gebrauch gemacht haben. 327 Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß eine mögliche (künftige) Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs der brandenburgischen Ämter für seine gegenwärtige verfassungsrechtliche Beurteilung unerheblich ist. 328 Selbst wenn - anders als für Schieswig-Hoistein durch empirische Daten aus dem Jahre 1995 belegt - eine erhebliche Zunahme der von den Ämtern für ihre amtsangehörigen Gemeinden zu erledigenden Selbstverwaltungsaufgaben zu verzeichnen sein sollte,329 folgt daraus nicht zwingend die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, den Amtsausschuß und den Amtsdirektor künftig durch eine bürgergewählte Amtsvertretung und durch einen bürgergewählten Amtsbürgermeister ersetzen und zusätzlich demokratisch legitimieren zu müssen. Der Amtsausschuß setzt sich nach § 6 Abs. I AmtsO aus den Bürgermeistern der amts angehörigen Gemeinden und aus weiteren Mitgliedern zusammen, die aus der Mitte der Gemeindevertretung gewählt werden. Die Gemeindevertreter werden ebenso wie der ehrenamtliche Bürgermeister der amtsangehörigen Gemeinde in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl vom Gemeindevolk für die Dauer von fünf Jahren gewählt (§§ 33, 59 Abs. 2 GO i. V. m. KWahIG). Damit sind Gemeindevertreter und Bürgermeister zugleich als Mitglieder des Amtsausschusses demokratisch ausreichend durch die Stimmbürgerschaft der amtsangehörigen Gemeinden legitimiert. Der Amtsdirektor ist hauptamtlicher Beamter auf Zeit und wird vom Amtsausschuß für die Dauer von acht Jahren gewählt (§ 9 Abs. 1 AmtsO). Zu den Aufgaben des Amtsdirektors gehört die Vorbereitung und Durchführung sowohl der Beschlüsse der Gemeindevertretungen der amtsangehörigen Gemeinden als auch derjenigen des Amtsausschusses (§§ 4 Abs. 1,9 Abs. 3 AmtsO). Ferner ist der AmtsLVerfGE 5, 79 ff. Siehe dazu auch Grünewald. apf 8/99,57 (67): § 100 Abs. I Satz 3 SchulG Bbg sehe in Form eines "Regelmuß" vor, daß Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern entsprechend der Schulentwicklungsplanung (§ 102 SchulG Bbg) Schulverbände bilden oder die Schulträgerschaft auf das Amt übertragen sollen. 328 So zutreffend StGH BW, DÖV 1976. 595, LS 6 zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des baden-württembergischen Gemeindeverwaltungsverbandes. 329 Vgl. oben B. I. I. 326 327
8 Nierhaus I Gcbhardt
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B. Untersuchung
direktor gesetzlicher Vertreter des Amtes in Rechts- und Verwaltungs geschäften. Er vertritt das Amt auch repräsentativ (§ 9 Abs. 4 AmtsO). Auch wenn nicht verkannt wird. daß mit der Beschlußvorbereitungs- und -ausführungskompetenz des Amtsdirektors erhebliche Einflußnahme- und Steuerungsmöglichkeiten gegenüber dem Amtsausschuß und den Gemeindevertretungen verbunden sind. verbleibt die politische und rechtliche Entscheidungs- und Beschlußzuständigkeit bei Amtsausschuß und Gemeindevertretung. Man kann eine dem Demokratieprinzip (Art. 2 Abs. 1 und 2 Verf Bbg. Art. 20 Abs. 2 Satz 1. 28 Abs. I Satz 2 GG) entsprechende Legitimation des Amtsdirektors durchaus für verfassungspolitisch wünschenswert halten. verfassungsrechtlich zwingend ist sie jedoch nicht: Der Amtsausschuß mit seinen unmittelbar gewählten Gemeindevertretungsmitgliedern und den volksgewählten Bürgermeistern stellt das Kreationsorgan für den Leiter der Amtsverwaltung dar. Dies entspricht durchaus dem staatsrechtlichen Gebot. daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und folglich alle mit der Ausübung von Staatsgewalt betrauten Organe und Amtswalter ihre Legitimation über eine ununterbrochene demokratische Legitimationskene zumindest mittelbar auf das Volk zurückführen müssen?30 Im übrigen spricht das Grundgesetz in der Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG nur davon. daß in den Ländern. Kreisen und Gemeinden eine Volksvertretung vorhanden sein muß. die aus allgemeinen. unmittelbaren. freien. gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Gesetzliche Gemeindeverbände. die wie die derzeitigen Ämter keine kommunalen Gebietskörperschaften mit Allzuständigkeit und Gebietshoheit sind. müssen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts demzufolge keine Volksvertretung haben. 331 Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich. daß der Landrat als kreiskommunales Selbstverwaltungsorgan und kreiskommunaler Hauptverwaltungsbeamter (§ 50 LKrO) keine direktdemokratische Legitimation besitzt. Verfassungspolitisch mag dies mit dem Umstand zusammenhängen. daß der Landrat zugleich untere staatliche Verwaltungsbehörde ist (§ 69 LKrO i. V. m. 7 Abs. 2 LOG Bbg). Der (insoweit 330 Grundlegend BVerfGE 52. 95 (130: ..Davon zu unterscheiden ist die Frage. ob die Organe des Amtes [Schleswig-Holstein] eine ausreichende mittelbare demokratische Legitimation besitzen. Das ist der Fall. Sowohl dem Amtsausschuß als auch dem von ihm bestimmten Amtsvorsteher als Leiter der Amtsverwaltung wird ihre demokratische Legitimation von den direkt gewählten Gemeindevertretungen vermittelt. Es handelt sich um eine ununterbrochene Legitimationskette. Die Bürgermeister und die weiteren Mitglieder des Amtsausschusses werden unmittelbar von den Gemeindevertretungen gewählt. Die Verhältniswahl der weiteren Mitglieder und die Anrechnung des ehrenamtlichen Bürgermeisters auf den Wahlvorschlag seiner Fraktion ... stellt sicher. daß die größeren Fraktionen der Gemeindevertretung ein Mitglied in den Amtsausschuß entsenden können. Der Proporz findet seine Grenze an der relativ kleinen Zahl der in den Amtsausschuß zu wählenden Mitglieder. Das ist im Hinblick auf die Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des Amtsausschusses verfassungsrechtlich nicht zu beDVBI. 1986. 1196 unter Berufung auf anstanden."); VerfGH NW. DÖV 1987. 108 ff. BVerfGE 44. 125 (139). 331 BVerfGE 52.95 (110).
=
VII. Umbildung von amtsangehörigen geschäftsführenden Gemeinden
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hinkende) Vergleich der Rechtsstellung des Landrates mit derjenigen des Amtsdirektors belegt immerhin, daß letzterer, der kein kommunales Selbstverwaltungsorgan im engeren Sinne darstellt, erst recht keiner demokratischen Absicherung durch Bürgerwahl bedarf.
VII. Zu den verfassungsrechtlichen Besonderheiten bei der Umbildung von amtsangehörigen geschäftsführenden Gemeinden (Modell 2) in Amtsgemeinden Zu der Frage, ob es in den 20 Fällen einer Amtsgeschäftsführung durch eine amtsangehörige Gemeinde besondere verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Umwandlung in Amtsgemeinden gibt und dementsprechend die Bildung von Einheitsgemeinden in diesen Fällen weniger risikobehaftet ist, können die folgenden Aussagen getroffen werden: Die brandenburgische Amtsordnung bietet für die Ämterorganisation drei verschiedene Modelle an: zum einen die eigene Amtsverwaltung, zum zweiten die Amtsgeschäftsführung durch eine amtsangehörige Gemeinde, zum dritten die Geschäftsführung durch eine benachbarte amtsfreie Gemeinde (§ 2 AmtsO). Die brandenburgischen Gemeinden haben eindeutig das 1. Modell bevorzugt (139 von 158 Ämterbildungen [Stand 1995]). Die geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinden verlieren mit der Einführung des Amtsgemeindemodells die Geschäftsführung im Amt. Durch die "Herabstufung" von der geschäftsführenden Gemeinde innerhalb der Bundkörperschaft Amt zu einer "einfachen" Ortsgemeinde unter gleichberechtigten Ortsgemeinden und dem überwölbenden Dach der Amtsgemeinde sind sie besonders schwer betroffen. Die Bildung der Amtsgemeinde ist keine Kompensation für den Verlust der Geschäftsführung des Amtes, da die Amtsgemeinde als selbständige kommunale Selbstverwaltungskörperschaft "neben" die bisher durch das Amt verbundenen Ortsgemeinden und damit auch "neben" die bislang geschäftsführende amtsangehörige Gemeinde tritt. Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg hat - um einen (begrenzt) vergleichbaren Fall aufzugreifen - zu der Frage Stellung genommen, ob sich eine Gemeinde erfolgreich gegen den Verlust des Kreissitzes zur Wehr setzen kann. Es fehlte bereits an der Beschwerdebefugnis der Gemeinde, da ausgeschlossen werden konnte, daß die beschwerdeführende Gemeinde in ihrem eigenen Selbstverwaltungsrecht verletzt war: Das Selbstverwaltungsrecht einer Gemeinde nach Art. 97 Abs. 1 Satz 1 Verf Bbg erstrecke sich nicht darauf, Sitz der Kreisverwaltung zu sein. Die Entscheidung über den Sitz der Kreisverwaltung sei als Organisationsakt Bestandteil der Neuordnung des Kreises, nicht der Gemeinde. Das gemeindliche Selbstverwals'
B. Untersuchung
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tungsrecht umfasse die eigenverantwortliche Wahrnehmung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Dies seien ,diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben [BVerfGE 79,127,151 f.]'. Zu diesen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehöre die Organisationshoheit, die den Gemeinden das Recht gewährleiste, ihre eigene innere Verwaltungsorganisation nach ihrem eigenen Ermessen einzurichten. Dazu gehöre jedoch nicht die Frage, ob eine kreisangehörige Gemeinde Sitz der Kreisverwaltung sei oder nicht. Zwar habe die Festlegung des Kreissitzes unübersehbar Einflüsse auf das politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben der jeweiligen Gemeinde. Aber diese rein tatsächlichen - vorteilhaften oder nachteiligen - Auswirkungen beträfen die jeweilige Gemeinde lediglich reflexartig und berührten ihr gemeindliches Selbstverwaltungsrecht nicht. 332 Ebensowenig wie der Verlust des Kreissitzes, wenn auch aus anderen Gründen, bedeutet der Wegfall der Befugnisse einer geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinde einen Eingriff in ihre durch das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht garantierten Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Dies ergibt sich bereits aus Funktion und Rechtsstellung des Amtes als Verwaltungshilfseinrichtung aller in ihm zusammengefaßten Gemeinden. Ähnlich wie bei interkommunaler Zusammenarbeit (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 LKrO) üben die amts angehörenden Gemeinden weiterhin unter Inanspruchnahme der "Hilfseinrichtung" Amt ihr eigenes gemeindliches Selbstverwaltungsrecht aus. Die Aufgabenzuständigkeit des Amtes führt nicht zu einem Wegfall des originären Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden. Wird das Amt aufgelöst, kann die geschäftsführende Gemeinde insoweit nicht den Verlust eigener Selbstverwaltungsrechte beklagen. Der Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie mit ihren Bestandteilen Allzuständigkeit und Eigenverantwortlichkeit ist überhaupt nicht betroffen. Das Verfassungsgericht Brandenburg lehnt darüber hinaus eine Vergleichbarkeit der Kreissitzverlagerung mit Einkreisungen, bei denen es zu einem Verlust der Kreisfreiheit kommt, ausdrücklich ab. Wahrend die Einkreisung die verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltungsaufgaben um das kreisliche Aufgabensubstrat vermindere, hänge der Bestand der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben nicht davon ab, ob die Gemeinde gleichzeitig Kreissitz sei. 333 Da der Bestand der örtlich radizierten Selbstverwaltungsaufgaben einer geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinde durch den Wegfall der Aufgaben des Amtes ebenfalls (vorbehaltlich des mit der Amtsgemeindebildung verbundenen Aufgabenverlustes, dazu oben B. III. 3. d) unberührt bleibt, sind die für Einkreisungsfalle geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht einschlägig. Wie bei den übrigen amtsangehörigen Gemeinden muß sich der mit der Einführung der Orts- und Amtsgemeindeverfassung verbundene Aufgabenentzug gegenüber der bisher geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinde allerdings an dem 332 333
LVerfGE 2, 183 (188). Ebda., S. 189.
VII. Umbildung von amtsangehörigen geschäftsführenden Gemeinden
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verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzip messen lassen. Im Unterschied zu den übrigen Gemeinden sind die geschäftsftihrenden amtsangehörigen Städte teilweise mit einer größeren Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Verwaltungskraft ausgestattet. Dementsprechend ist nicht von vornherein auszuschließen, daß sie auch weiterhin zur ordnungsgemäßen Erfüllung (zumindest einiger) der auf die Amtsgemeinde zu verlagernden Aufgaben und zur Trägerschaft bestimmter öffentlicher Einrichtungen in der Lage sind, ohne daß es zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg kommen müßte. Insofern ist nicht auszuschließen, daß der gegenüber den geschäftsftihrenden amtsangehörigen Gemeinden erfolgende Aufgabenentzug eher dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit zum Opfer fallen wird als derjenige gegenüber leistungsschwächeren (nicht geschäftsftihrenden) Gemeinden. Bei einer verfassungs gerichtlichen Überprüfung müßte das VerfG Bbg auch den Umstand in Rechnung stellen, daß sich zumindest einige Gemeinden unter Verzicht auf den Status der Amtsfreiheit ftir die Rolle der geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinde entschieden haben. In derartigen Fällen könnte im Hinblick auf die langfristig angelegte Verwaltungsstrukturentscheidung ein Vertrauenstatbestand besonderer Art geschaffen worden sein, der auch aus Besitzstandsgründen einer besonderen und zusätzlichen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Aus den genannten Gründen wäre die Bildung von Einheitsgemeinden durch Eingemeindung bzw. Zusammenschluß der übrigen (kleineren und schwächeren) amtsangehörigen Gemeinden in die bzw. mit der große(n) und leistungsstarke(n) geschäftsftihrenden Gemeinde verfassungsrechtlich weniger risikobehaftet. In diesen Fällen bietet sich der freiwillige Zusammenschluß zu einer amtsfreien Einheitsgemeinde ohnehin an. Er sollte vom Land in geeigneter Weise weiter gefördert werden. Wegen des verfassungsrechtlichen Vorranges freiwilliger Lösungen (Eigenverantwortlichkeit im Hinblick auf die Organisationshoheit) vor staatlichen Zwangsmaßnahmen 334 darf eine kommunale Gebietsreform erst nach Scheitern entsprechender Bemühungen einsetzen.
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Siehe dazu grundlegend VerfGH NW, NJW 1979, 1201 f.; DÖV 1980,691 (692).
C. Zusammenfassung und Ergebnisse 1. Frage: ,,Der Bericht der Enquetekommission geht davon aus, daß es sich bei der Amtsgemeinde um eine Gemeinde handelt, die dem Schutz des Art. 28 GG (Art. 97 LV) unterflillt. Gleichzeitig soll aber auch die Ortsgemeinde Gemeindequalität besitzen. Ist ein solches zweistufiges Gemeindemodell - ggf. unter weIchen Voraussetzungen - verfassungsrechtlich zulässig? Können verfassungsrechtliche Risiken bei dem von der Enquetekommission vorgeschlagenen Amtsgemeindemodell durch die konsequente Ausgestaltung der Amtsgemeinde als Gemeindeverband ausgeschlossen werden?"
Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Entscheidungen aus den Jahren 1984/85 die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer zweistufig aufgebauten ,,(Föderal-) Gemeinde" sowohl niedersächsischer (Samtgemeinde) als auch rheinland-pfälzischer Provenienz (Verbandsgemeinde) verfassungsrechtlich nicht nur nicht in Frage gestellt, sondern die gleichberechtigte Teilhabe der Mitgliedsgemeinden und der Samtgemeinde am Schutz des Art. 28 Abs. 2 GG als zweifelsfrei bezeichnet. Die der brandenburgischen Amts- und Ortsgemeinde als Vorbild dienenden Samt- bzw. Verbandsgemeinden wurden von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Kommunal- bzw. Gemeindeverbände, nicht als Gemeinden im verfassungsrechtlichen Sinne qualifiziert. Dementsprechend betritt der brandenburgische Gesetzgeber bei der Verwirklichung des Amts- und Ortsgemeindemodells kommunalverfassungsrechtliches Neuland, wenn er sowohl der Amtsgemeinde als auch der Ortsgemeinde den verfassungsrechtlichen Gemeindestatus des Art. 97 Abs. 1 und 2 Verf Bbg i. V. m. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und die Finanzhoheit nach Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG zuerkennen will. Das Modell der Orts- und Amtsgemeinden ist, wenn überhaupt, verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn es dem Gesetzgeber gelingt, eine aus beiden Gemeindearten bestehende Gesamthandsgemeinde zu schaffen, deren örtliches Aufgabensubstrat und die damit verbundene Eigenverantwortlichkeit für die Erfüllung der (orts)örtlichen und ortsgemeindeübergreifenden Aufgaben im Wege einer ,,Zellteilung" auf Orts- und Amtsgemeinden verfassungskonform verteilt ist. Ein derartiges doppelzelIiges Gemeindemodell ist verfassungsrechtlich außerordentlich sensibel. Die dem Gesetzgeber durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gesetzten Grenzen ergeben sich aus dem vom Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1988 herausgearbeiteten verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzip, das den derzeitigen amtsangehörigen Gemeinden (einschließlich der geschäftsführenden Gemeinden nach Modell 2) den Vorrang einräumt. Danach darf der Gesetzgeber den amtsangehörigen Gemeinden eine
C. Zusammenfassung und Ergebnisse
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Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem also etwa dann entziehen, wenn auf andere Weise die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung (insbesondere ohne unverhältnismäßigen Kostenanstieg) nicht sicherzustellen wäre, und wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz I GG überwiegen. Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg hat dieses Prinzip in seiner Brandschutzentscheidung auch im Verhältnis der amtsangehörigen Gemeinden zum Amt modifiziert für anwendbar erklärt. Dieser Verteilungsmaßstab gilt für Aufgabenabschichtungen zwischen Orts- und Amtsgemeinden entsprechend. Die Aufgabenverteilung muß danach in einer Weise erfolgen, daß auch den Ortsgemeinden substantielle, zum Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie zählende Aufgaben verbleiben oder zugewiesen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Verfassungsgerichts Brandenburg zu dem in Art. 97 Abs. 2 Verf Bbg, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG angelegten Aufgabenverteilungsprinzip macht es für die verfassungsrechtliche Beurteilung des brandenburgischen Amtsgemeindemodells keinen Unterschied, ob der Landtag die Amtsgemeinde als Gemeindeverband ausgestaltet oder unter der Bezeichnung "Amtsgemeinde" einen neuen Gemeindetypus schafft. Entscheidend ist nur, daß zum einen die verfassungsrechtliche Grenze zu den für die überörtlichen Aufgaben zuständigen Gemeindeverbänden i. S. des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG (Landkreise) nicht überschritten wird und zum anderen der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie der auf ein Minimum an Aufgabenbestand zurückgeführten Ortsgemeinden unangetastet bleibt. Anders als in Niedersachsen kann der Gesetzgeber einen an der gemeindlichen Kernbereichsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zu messenden überdimensionierten Aufgabenentzug zugunsten der Amtsgemeinden nicht mit dem Hinweis auf historische Vorbilder der Amtsgemeinden oder einen über Jahrzehnte andauernden Entwicklungsprozeß rechtfertigen. Die im einzelnen von der Enquetekommission vorgeschlagenen Aufgabenverlagerungen auf die Amtsgemeinde genügen nur in Teilen bei eindeutig ortsgemeindeübergreifenden Angelegenheiten (z. B. Aufgaben mit Anschluß- und Benutzungszwang oder dem Bau und Unterhalt der Ortsverbindungsstraßen) dem verfassungsunmittelbaren Aufgabenverteilungsprinzip. Einen verfassungsrechtlichen Grenzfall stellt insoweit insbesondere die ortsgemeindeübergreifende Förderung von Wirtschaft, Gewerbe und Fremdenverkehr dar. Die Aufgabenverlagerung ist mit einem erheblichen verfassungsgerichtlichen Risiko behaftet. Die Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung der Ortsgemeinde durch den Amtsbürgermeister ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die Schaffung der Aufgabentrias von (orts-)örtlichen, ortsgemeindeübergreifenden und überörtlichen Angelegenheiten stellt insgesamt eine verfassungspolitisch höchst bedenkliche Ausdifferenzierung dar, die weder den Anforderungen einer
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C. Zusammenfassung und Ergebnisse
Verwaltungs vereinfachung noch dem Ziel einer Steigerung der Effizienz der kommunalen Selbstverwaltung dient.
2. Frage: "Welche Konsequenzen ergeben sich bei einem verfassungs rechtlich zulässigen Amtsgemeindemodell a) für die Aufgabenverteilung und -zuweisung im Verhältnis Amts- / Ortsgemeinde (insbesondere auch Prüfung der Kompetenz-Kompetenz der Amtsgemeinde, Aufgaben der Ortsgemeinden an sich ziehen zu können, [Abschlußbericht der Enquetekommission) S. 33)? b) für die Finanzausstattung der Amtsgemeinde (insbesondere auch auf die Zuweisung von Steuern an die Amtsgemeinden, die kraft Bundesrecht den Gemeinden zustehen, z. B. [Abschlußbericht EK) S. 37, 39)?"
a) Das Substrat der den Ortsgemeinden zuzuweisenden Aufgabenzuständigkeiten darf sich nicht in den rechtlich unselbständigen Ortsteilen üblicherweise zustehenden Mitwirkungsrechten erschöpfen, sondern muß sich von diesen deutlich absetzen (Aufgabenzuständigkeiten mit Eigenverantwortlichkeiten als Teilen der Kerngewährleistung des Selbstverwaltungsrechts). Die Ortsgemeindevertretung, insbesondere aber auch der Ortsbürgermeister müssen ihrer direktdemokratischen Legitimation entsprechend mit Aufgabenzuständigkeiten von kommunalpolitischem Gewicht ausgestattet sein. Die von der Enquetekommission vorgenommene Aufgabenverteilung zwischen Amtsgemeinden und Ortsgemeinden wird diesen Anforderungen nur in Teilen gerecht (vgl. Gutachtenfrage I). Das Verfassungsgericht Brandenburg müßte im Falle einer gerichtlichen Überprüfung der einzelnen Aufgabenübertragungen von den Orts- auf die Amtsgemeinden zusätzlich und abschließend kontrollieren, ob diese Zuständigkeitsverlagerungen insgesamt zusammen (kumulativ) mit den bei den Ämtern bereits nach derzeitigem Rechtszustand angesiedelten und nach der Enquetekommission dort auch verbleibenden Aufgaben dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip entspricht. Insoweit sind nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Bedenken anzumelden. Die Regelung einer Kompetenz-Kompetenz der Amtsgemeinden begegnet angesichts der überwiegend für verfassungskonform gehaltenen Regelungen generell für Landkreise und speziell für die Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz keinen tiefgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Handhabung der Kompetenz-Kompetenz hat aber wegen des Aufgabenentzugs zulasten der Ortsgemeinde und des ohnehin an der verfassungsrechtlichen Untergrenze liegenden Restbestandes an ortsbezogenen Aufgaben restriktiv zu erfolgen. Den Aufgabenentzug durch die Amtsgemeinden würden die Kommunalaufsichtsbehörden strikt zu überwachen haben. b) Nur der Gemeinde im (finanz-)verfassungsrechtlichen Sinne stehen die Steuererhebungs- und die Steuerertragskompetenzen einschließlich des Hebesatzrechts der Art. 28 Abs. 2 Satz 3, 105 Abs. 3, 106 Abs. 5, 5 a, 6 GG zu. Davon ausgenommen sind die Ertragshoheiten für die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern
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nach Art. 106 Abs. 6 GG, sofern der Landesgesetzgeber diese (auch) den Gemeindeverbänden zuweist. Dementsprechend ist eine (wie die rheinland-pfälzische Verbandsgemeinde und die niedersächsische Samtgemeinde) als Gemeindeverband ausgestaltete brandenburgische Amtsgemeinde auf die verschiedenen Zuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs (GFG nach Art. 106 Abs. 7 GG) angewiesen. Zur Finanzierung ihrer ortsgemeindeübergreifenden Aufgaben muß sie im übrigen zum Ausgleich bestehender Finanzierungslücken ergänzend eine Amtsgemeindeumlage erheben, mit der sie ortsgemeindliche Steuereinnahmen abschöpft. Die Amtsgemeinde (als Gemeindeverband) ist zur Erhebung von Steuern nicht berechtigt. Bei Verwirklichung eines doppe/zelligen Gemeindemodells sind sowohl die Ortsgemeinden als auch die Amtsgemeinden als finanzverfassungsrechtliche Gemeinden i. S. d. Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG anzusehen. Die mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung verbundenen Finanzhoheiten von Amts- und Ortsgemeinde zwingen den Landesgesetzgeber deshalb, die Steuererhebungs- und Steuerertragskompetenzen zwischen diesen zu verteilen. Die Verteilung der Steuerertrags- und Steuererhebungskompetenzen einschließlich des Hebesatzrechtes zwischen den beiden finanzverfassungsrechtlichen Gemeindeebenen ist ein verfassungsrechtlich äußerst komplexes und risikobehaftetes Problem, das noch nicht abschließend geklärt ist. Gleichwohl erscheinen die folgenden Annahmen gerechtfertigt: Der Gesetzgeber hat sich bei der Verteilung der Finanzmittel und damit grundsätzlich auch der Steuerertragskompetenzen an der zwischen den Amts- und Ortsgemeinden bestehenden Aufgabenverteilung zu orientieren (Konnexitätsprinzip). Dabei hat er das Nivellierungsverbot zu beachten. Beläßt der Gesetzgeber die Steuerertragskompetenzen bei den Ortsgemeinden, müssen die Finanzbedarfe der Amtsgemeinden durch Umlagefinanzierung sichergestellt werden. Die Gewerbesteuererhebungskompetenz einschließlich des Hebesatzrechtes kann bereits aus Gründen der Hebesatz-Satzungsautonomie nur einer der beiden finanzverfassungsrechtlichen Gemeinden zugewiesen werden. Das Hebesatzrecht ist prinzipiell unteilbar. Bei seiner Entscheidung muß sich der Gesetzgeber darüber im Klaren sein, daß - vergleichbar der "Hochzonung" gewichtiger Selbstverwaltungsaufgaben - die Übertragung des derzeit den amtsangehörigen Gemeinden verfassungsrechtlich garantierten Hebesatzrechts auf die neu zu bildenden Amtsgemeinden nur aus verfassungsrechtlich überwiegenden Gründen zulässig sein dürfte. Wenn die Zuständigkeit der für die örtliche Wirtschaftsförderung und Gewerbeansiedlungspolitik bei der Ortsgemeinde verbleibt, spricht das Aufgabenund Ausgabenbelastung miteinander verknüpfende Konnexitätsprinzip für ein Belassen der Gewerbesteuererhebungskompetenz einschließlich des Hebesatzrechts auf der Ortsgemeindeebene. Wegen der ortsgemeindlichen Hebesatz-Satzungsautonomie kann eine Einflußnahme der Amtsgemeinden auf die Ausübung des Hebesatzrechts auch nicht durch gesetzlich geregelte Zustimmungserfordernisse undl oder Benehmensregeln sichergestellt werden. Im Streitfall dürfte die Kommunal-
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aufsicht nicht eingeschaltet werden, weil diese nach der Rechtsprechung im Bereich der Finanzautonomie nur Rechtsaufsicht ist und keine kondominialen (auch finanzpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen umfassende) Befugnisse hat. Ein Vergleich mit den niedersächsischen und rheinland-pfälzischen Finanzausgleichsregelungen belegt, daß die Verteilung der Finanzzuweisungen aus dem Steuerverbund bei Verwirklichung des Amts- und Ortsgemeindemodells verfassungsrechtlich im Grundsatz unproblematisch ist. Der brandenburgische Gesetzgeber muß entscheiden, ob er die höchst streitanfällige Regelung des intrakommunalen (vertikalen [zwischen Amts- und Ortsgemeinden] und horizontalen [zwischen den Ortsgemeinden untereinander]) Finanzausgleichs den Amtsgemeinden überläßt oder unter Beachtung ebenso komplexer wie schwieriger verfassungsrechtlicher und -gerichtlicher Vorgaben (u. a. Verteilungssymmetrie zwischen Land und Kommunen, zusätzlich zwischen Orts- und Amtsgemeinden, Erfüllung des durch die Leistungsfähigkeit des Landes begrenzten Anspruchs auf finanzielle Mindestausstattung aller Kommunen) selbst vornimmt. 3. Frage: "Gibt es verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gewichtung einzelner Kriterien im Abwägungsprozess für ein bestimmtes Organisationsmodell (z. B. Vorrang der Leistungsfähigkeit gegenüber bürgerschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten)?" Allen wie auch immer motivierten Gründen der Effizienzsteigerung (Verwaltungsvereinfachung, Zuständigkeitskonzentration, Übersichtlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung) setzt das Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1988 den politisch-demokratischen Gesichtspunkt der Mitwirkung der Bürger an der Erledigung ihrer örtlich radizierten Selbstverwaltungsaufgaben entgegen und gibt diesem eindeutig den Vorzug. Dabei soll es auf die Verwaltungskraft der Gemeinden gerade nicht ankommen. Eine Hochzonung von Aufgaben ist verfassungsrechtlich erst dann zulässig, wenn eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung vor Ort nicht mehr gewährleistet ist oder es zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg kommen würde und die den Aufgabenentzug tragenden Gründe des Gemeininteresses gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG überwiegen (vgl. Gutachtenfrage 1). 4. Frage: "Gibt es verfassungsrechtliche oder verfassungspolitische Gründe, die die Fortentwicklung der Ämterverfassung des Landes Brandenburg und die Einführung einer direkten demokratischen Legitimation der Organe des Amtes (Amtsausschuß und Amtsdirektor) erforderlich machen, weil die Ämter in erheblichem Maße Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen?" Eine dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 Satz I GG, 28 Abs. I Sätze I und 2 GG, Art. 2 Abs. 1 und 2 Verf Bbg) entsprechende direktdemokratische Legitimation von Amtsausschuß und Amtsdirektor ist zwar im Hinblick auf ein Anwachsen rechtlich und faktisch übertragener Selbstverwaltungsaufgaben verfassungspolitisch wünschenswert, verfassungsrechtlich aber nicht erforderlich. Die Bürgermei-
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ster und die Gemeindevertretungsmitglieder im Amtsausschuß sind von den Bürgern gewählt. Der Amtsdirektor kann seine Legitimation über eine ununterbrochene demokratische Legitimationskette mittelbar auf das Wahlvolk zurückführen. Dies genügt den Anforderungen des Demokratieprinzips. 5. Frage: ,,Ergeben sich aus dem Umstand, daß die Ämterverfassung im Jahr 1991 in Kraft getreten und die Ämterbildung zum Teil erst 1993 abgeschlossen wurde (und beispielsweise auch aus dem Umstand, daß in diesem Jahr die Mehrzahl der Amtsdirektoren neu gewählt werden), Vertrauensschutzgesichtspunkte, die bei einer erneuten Gemeindestrukturreform zu berücksichtigen sind?"
Rechtsstaatliche Bestands- und Vertrauensschutzgesichtspunkte bilden zunächst ein gewichtiges verfassungspolitisches Argument gegen eine umfassende Neuordnung kommunaler Organisations strukturen wenige Jahre nach Einführung und Verwirklichung der Ämterverfassung. Das Bundesverfassungsgericht und einige Landesverfassungsgerichte haben zwar in Mehrfach- und Rück-Neugliederungsfällen dem Bestands- und Vertrauensschutz zugunsten der Bürger und der Kommunen nicht unerhebliches verfassungsrechtliches Gewicht bescheinigt. Diese Rechtsprechung ist aber letztlich auf die Bildung von Amtsgemeinden nicht übertragbar. Bei (leistungsfähigen) geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinden (Modell 2), die im Vertrauen auf den Fortbestand der Ämterverfassung auf den Status der Amtsfreiheit verzichtet haben oder ihn im Rahmen einer Reform einfordern könnten, stellt allerdings die "Herabstufung" zu bloßen Ortsgemeinden einen gravierenden Eingriff in ihren Status als Gemeinden dar, der verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigen wäre. Die Funktion der Geschäftsführung für das Amt unterfällt indes nicht dem Schutzbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Für neugewählte Amtsdirektoren müssen wegen der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns (Art. 33 Abs. 5 GG) Übergangs- oder Überleitungsregelungen gefunden werden. 6. Frage: "Gibt es verfassungsrechtliche Bedenken, auch die Ämter nach Modell 2, d. h. mit einer geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinde, in Amtsgemeinden umzuwandeln; wäre hier die Bildung von Einheitsgemeinden weniger risikenbehaftet?"
Bei der Bildung von Einheitsgemeinden unterliegt der Gesetzgeber einem im Vergleich zum verfassungsunmiuelbaren Aufgabenverteilungsprinzip weniger strengen verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab (unterschiedliche Kontrollrnaßstäbe für Neugliederungsmaßnahmen und Aufgabenübertragungen). Die Bildung von Einheitsgemeinden ist weniger risikobehaftet als der Aufgabenentzug unter Beibehaltung der bestehenden Gemeinden als Ortsgemeinden. Gegenüber geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinden, die über eine zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung ausreichende Wirtschafts-, Steuer- und Verwaltungskraft verfügen, ist ein Aufgabenentzug im übrigen ohnehin verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.
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Bei einer verfassungs gerichtlichen Überprüfung könnte das VerfG Bbg auch den Umstand in Rechnung stellen, daß sich zumindest einige Gemeinden unter Verzicht auf den Status der Amtsfreiheit für die Rolle der geschäftsführenden amtsangehörigen Gemeinde entschieden haben. In derartigen Fällen könnte mit Blick auf die langfristig angelegte Verwaltungsstrukturentscheidung ein Vertrauenstatbestand besonderer Art geschaffen worden sein.
7. Ausblick: Wird das Orts- und Amtsgemeindemodell in den dargestellten verfassungsrechtlichen Grenzen verwirklicht, entstehen im Land Brandenburg höchst unterschiedliche und komplizierte Kommunal strukturen. Zu den 4 kreisfreien Städten, 14 Landkreisen und 65 amtsfreien Gemeinden tritt eine Großzahl von etwa 150 Amtsgemeinden mit knapp 1500 Ortsgemeinden hinzu. Innerhalb der Kreise wären drei Kommunalebenen mit der Folge angesiedelt, daß zwischen (orts)örtlichen, ortsgemeindeübergreifenden Gemeindeaufgaben und überörtlichen, ergänzenden und ausgleichenden Kreisaufgaben unterschieden werden muß. Diese Ausdifferenzierung dient weder der Verwaltungsvereinfachung noch der Steigerung der Effizienz der kommunalen Selbstverwaltung. Kommunalwahlen hätten sich auf die Wahl der Kreistage (demnächst systemkonform auch auf die Wahl der Landräte?), Orts- und Amtsgemeindevertretungen sowie Orts- und Amtsbürgermeister zu erstrecken. Den Bürgern wäre nur schwer zu vermitteln, auf welche Aufgaben- und Entscheidungsstrukturen sowie Verantwortungszusammenhänge sich ihr Stimmrechtseinfluß bezieht. Der demokratische Mehrwert oder Zugewinn des Orts- und Amtsgemeindemodells könnte durch mangelnde Überschaubarkeit und Akzeptanz seitens der Bürger aufgezehrt werden. Zumindest müßte die Direktwahl der Ortsbürgermeister durch klare Zuständigkeitsabgrenzung gegenüber dem Amtsbürgermeister und eine substantielle Aufgabenausstattung transparent gestaltet werden. Durch die "Zellteilung" der klassischen amtsangehörigen Gemeinde in eine aus Ortsgemeinde und zugehöriger Amtsgemeinde zusammengesetzte "Gesamthandsgemeinde" entsteht eine in ihrem rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemhaushalt nicht zu unterschätzende Verdoppelung der Verwaltungsstrukturen. Die damit verbundene intra- bzw. interkommunale Arbeitsteilung, die in der Abgrenzung der ortsgemeindlichen von den ortsgemeindeübergreifenden Aufgaben nicht weniger streitanfallig ist als diejenige der örtlichen von den überörtlichen, führt zu Reibungsverlusten und Zuständigkeitskonflikten mit entsprechenden Effizienzeinbußen. Die Anforderungen an eine effektive Kontrolle dieser zusätzlichen Kommunalebenen durch die Kommunalaufsichtsbehörden werden erheblich anwachsen. Darüber hinaus zwingt die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG n. F. verfassungsrechtlich hervorgehobene Finanzhoheit auch der Ortsgemeinden mit dem ihnen zustehenden Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung zu einem um eine weitere Verteilungsebene ausgeweiteten kommunalen Finanzausgleich. Der Gesetzgeber muß entscheiden, ob er die Regelung des ebenfalls streitanfälligen inter- bzw. intrakommunalen (vertikalen und horizontalen) Finanzaus-
c. Zusammenfassung und Ergebnisse
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gleichs den Amtsgemeinden überläßt oder unter Beachtung der Verfassungsgebote u. a. der Verteilungssymmetrie (Land / Kommunen, Gemeinden / Landkreise, zusätzlich Orts- / Amtsgemeinden) und des durch die Leistungsfähigkeit des Landes begrenzten Anspruchs auf finanzieIle Mindestausstattung der Kommunen selbst regelt. Das von der Enquetekommission vorgeschlagene Orts- und Amtsgemeindemodell ist derart kompliziert, aufwendig und verfassungsrechtlich (sowohl kommunal- als auch finanzverfassungsrechtlich) problematisch, daß es jedenfalls nicht als bloßes Übergangsmodell zur Einheitsgemeindebildung dienen sollte. Vor der Einführung des Orts- und Amtsgemeindemodells muß sich der Gesetzgeber über die finanziellen Folgen für das Land Klarheit verschaffen, die mit einer zusätzlichen "doppelstöckigen" KommunaIstruktur verbunden sind. Die Schaffung von Einheitsgemeinden ist ohnehin nur im verdichteten Verflechtungsraum mit Berlin und im Umfeld größerer oder großer und leistungsfähiger geschäftsführender Gemeinden verfassungsrechtlich ohne nennenswerte Risiken zu bewerkstelligen. Dabei sollen die Elemente der Ortsteilsverfassung zur Bewahrung und Stärkung bürgerschaftlicher Identifikation gestärkt werden. Im übrigen sprechen rechtsstaatliche Gründe des Bestands- und Vertrauensschutzes - weniger im verfassungsrechtlichen, mehr im verfassungspolitischen Sinne - für eine maßvolle Weiterentwicklung der gegenwärtigen Amtsstrukturen in dünn besiedelten und großflächigen Amtsgebieten in den periphären Bereichen des Landes Brandenburg. Erst wenn Effizienzgesichtspunkte im Hinblick auf die Erhaltung und Schaffung leistungsfähiger Kommunen die Anforderungen der Verfassung an Bürgernähe, dezentrale Strukturen, Bürgermitwirkung und Eigenverantwortung deutlich überwiegen, sollte ohne Zwischenschritt auf der Grundlage des vorhandenen Ämterrasters eine Einheitsgemeindebildung angegangen werden. Dabei wird zu prüfen sein, ob einer angemessenen Fristsetzung zur "freiwiIligen" Einheitsgemeindebildung mit flankierenden Unterstützungs- und Anreizmaßnahmen gegenüber einer gesetzlich oktroyierten Gemeindegebietsreform der Vorzug zu geben ist.
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9 Nierha"s I Gebhardl
Sachwortverzeichnis Abschlußbericht der Enquetekommission 1 f., 43 ff., 82 ff. Allzuständigkeit 20, 34 Fn 74, 39, 51, 53, 55, Amt als Hilfseinrichtung 13, 116 Amtsausschuß 112 ff., 122 f. Amtsdirektor 111 ff., 122 f. Amtsgemeinde (Bbg) 46 ff., 118 ff. Amtsgemeindeumlage 83 f., 87,100 Amtsordnung - Brandenburg 17 f. - Mecklenburg-Vorpommern 15 f. - preußische 58 Schleswig-Holstein 14 f. Amtsvorsteher (MV) 15 Anliegerbeiträge 42 Anschluß- und Benutzungszwang 68 f. Aufgabenentzug 16, 18,79,99,119 Aufgabenerfindungsrecht 34 Fn 74,36 Aufgabenverteilung 1, - Abschlußbericht EK 65 ff., 97 ff., 120 - der Samtgemeinde 35 f. - der Verbandsgemeinde 26 Aufgabenverteilungsprinzip, bundesverfassungsunmittelbares 18, 55 ff., 60, 118 ff. Ausfallhaftung 92 Fn 268 Bauleitplanung 37 Fn 90, 69 ff. Bedarfszuweisungen 92, 101 Berliner Stadtbezirke 54 Fn 155 Berufsbeamtentum, Hergebrachte Grundsätze des 111, 123 Brandschutzentscheidung 17 ff., 62, 119 Bundkörperschaft 15,21,44, Bürgermeisterverfassung 52 Dabelow-Entscheidung 16 Demokratieprinzip 114 Einheitsgemeinde 23, 54, 63 f., 123, 125 Einwohnerveredelung 41 Fn 104, Evidenz- und Vertretbarkeitskontrolle 56, 62
Finanzausgleich - aufgabenorientierter 86, 96 - horizontaler 86, 96, 122, 124 - interkommunaler 95 ff., 122, 124 - intrakommuna1er 95 ff., 122, 124 - kommunaler 22, 28 f., 84 ff., 91 ff., 122, 124 - Länder- 94 Fn 279, 95 Fn 283 - Verteilungssymmetrie 86, 122 - vertikaler 86, 96, 122, 124 Finanzausstattung der Amtsgemeinde 1,82 ff., 120 ff. - der Gesamthandsgemeinde 82 ff., 120 ff. - der Orts- und Samtgemeinde 39 ff., - der Orts- und Verbandsgemeinde 28 f. Flächennutzungsplanung 26, 35, 69 ff. Föderalgemeinde 26 Fn 51, 59,118 Funktionalgemeinde 38 Gebietskörperschaft 31, 46 Gemeindebegriff 51 Gemeindefinanzierungsgesetz Brandenburg 22 Fn 37, 56 Fn 164,92 Gemeindegebietsreform 22, 125 Gemeindeverband - Amtsgemeinde (Bbg) 50, 63,119,121 - Ämter als Gemeindeverbände 14,21 - Begriff 19 ff., Fn 30 - Landkreise 20 f. - Samtgemeinde (Nds) 37 ff., 118, 121 - Verbandsgemeinde(Rh-Pf) 23ff., 118, 121 Gesamtgemeinde 38, 60 Fn 173 Gesamthandsgemeinde 59 ff., 87,118,124 Gewerbesteuer 86, 94 Fn 278 - erhebungskompetenz 121 Grundsteuer 86, 94 Fn 278 Grundsteuergesetz 51 Hauptsatzung 34 Hebesatzrecht 39, 51 Fn 137, 87 ff., 94 Fn 278, 120 f. Herrenchiemseer Konvent 51
Sachwortverzeichnis Interkommunales Abstimmungsgebot 69 f. Investitionsschlüsselzuweisungen 28, 84 Kindertagesstätten-Entscheidung 19 ff. - Träger 73 Fn 213 Kompetenz-Kompetenz 1, 24, 27 f., 80 ff., 120 Kommunalaufsicht 124 Kommunale Selbstverwaltung - Allzuständigkeit 20,34 Fn 74, 39, 51, 53, 55 ff. - Aufgabenerfindungsrecht 34 Fn 74, 36 - und Amtsordnung SH 14 - und Amtsordnung MV 16 - Aushölung 14, 16 - Finanzhoheit 29, 42 Fn 108, 50, 85 ff., 89, 124 - finanzielle Mindestausstattung 122, 124 f. - Gebietshoheit 51 - institutionelle Rechtssubjektsgarantie 54, 58 - Kernbereich 16, 37, 43, 50, 52 f., 57 ff., 99,119 Organisationshoheit 64, 76 f. örtlich radizierte Selbstverwaltungsaufgaben 116 - Personalhoheit 64, 76 f. - Planungshoheit 64 - Randbereich 19, 37, 52 f. - Satzungshoheit 64 - Universalität des Wirkungskreises 36, 39, 53,55 ff. Kommunalwahlen 124 Kondominium 90, 122 Konnexitätsprinzip 86, 121 Kreissitzverlagerung 116 Kreisumlage 39,40 Fn 102,84 Landrat 114, 124 Magistratsverfassung 52 Mehrfachgliederung 55, 101 ff. Mitgliedsgemeinde 33 ff. Motivkontrolle 94 Neugliederung 54 f., 101 ff. Niedersachsen 22, 33 ff. Nivellierungsverbot 29, 87, 94 Norddeutsche Ratsverfassung 52
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Ortsgemeinde 25 ff., 32 f., 46 ff. (Bbg), 118 ff. Ortsgemeindeübergreifende Gemeindeaufgaben 46 f., 65 ff., 110, 119 Ortsörtliche Aufgaben 72, 119 Ortsteil 25, 63 Parlamentarischer Rat 51 Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung 17,19,21,62 Prognosekontrolle 94 Rastede-Entscheidung 18,55 f., 62 Rat-Bürgenneister-Verfassung 52 Rechtsnachfolge 71 Fn 207 Rheinland-Pfalz 22 ff. Rückgliederung 55, 101 ff. Rückübertragung von Selbstverwaltungsaufgaben 27 f. Sachverhaltsennittlung 54 Samtgemeinde 33 ff., 47, 57 - Aufgaben 35 f. - Hauptsatzung 34 - Kirchspiele 33 Fn 74 - Mitgliedsgemeinde 33 ff. Samtgemeindeausschuß 35 Sarntgemeindebürgenneister 35 Samtgemeinderat 35 - Samtgemeindeumlage 39 ff., 100 Fn 300 - Samtgemeindevolk 35, 39 Schaden-Nutzen-Analyse 54 Schlüsselzuweisungen 41,83,93,95 ff., 101 Schulträgerschaft 73 Fn 214 Sozialhilfe 42 Sparsamkeitsgrundsatz 92, 122 Steuererhebungskompetenzen 85 ff., 99 ff., 120 f. Steuerertragskompetenzen 85 ff., 99 ff., 120f. Steuerhoheit 39 - der Amts- und Ortsgemeinden (Bbg) 82 ff. - der Mitgliedsgemeinden (Nds) 39 ff. Steuerkraftmeßzahl 94 Fn 279 Steuerverbund 93,101,122 Süddeutsche Ratsverfassung 52 Systemgerechtigkeit 53, 94
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Sachwortverzeichnis
Überörtliche Angelegenheiten 72, 119 Umlagefinanzierung 27 f., 39 ff., 67, 83 f. Verbandsgemeinde 23 ff., 47 - Geschäfte der laufenden Verwaltung 32 - Personalunion der -rgane 30 - Realunion der -erwaltungseinrichtungen 29 - Verbandsgemeindebürgenneister 29 ff. - Verbandsgemeinderat 29 ff. - Verbandsgemeindeverwaltung 29 ff. - Verwaltungsgeschäfte 31 f. Verbrauchs- und Aufwandsteuern, örtliche 120 Vennögenshaushalt 28
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 53, 94 Verteilungssymmetrie 96, 122 Vertrauensschutzprinzip 53, 123 Vorrangprinzip 18,24 Fn 46, 74 Wasserversorgung, -entsorgung 26, 28, 33, 35, 48, 66 ff. - Abgabensatzung (Nds) 37 Willkürverbot 54, 94 Ziel kontrolle 94 Zweckverband 27, 67 Zweckzuweisungen 101 zweistufige Gemeinde 22 Fn 40, 26 Fn 51, 37,59,118