Von Ellen und Füssen zur Atomuhr : Geschichte der Messtechnik 3924183740


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Table of contents :
Einführung
Zeittafel
Maß und Messen in der Geschichte
Das Zweistromland und Ägypten
Griechenland
Rom
Das Mittelalter
Die Renaissance
Neue Meßverfahren
Das Jahrhundert der Aufklärung
Meßinstrumente im 17. und 18. Jahrhundert
Das metrische System
Die Meterkonvention
Das Internationale Einheitensystem Sl
Die Länge
Die Masse
Die Zeit
Die elektrische Stromstärke
Die Temperatur
Die Stoffmenge
Die Lichtstärke
Anhang
Rechtsvorschriften
Länderliste der metrischen Einheiten
Mitgliedstaaten der Meterkonvention
Sl-Basisgrößen und -Einheiten
Physikalische Größen und ihre SI-Einheiten
Auswahl nicht mehr zulässiger Einheiten
Umrechnungstabellen in Auswahl
Literatur
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Von Ellen und Füssen zur Atomuhr : Geschichte der Messtechnik
 3924183740

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Alto Brachner

Von Ellen und Füßen zur Atomuhr

Deutsches Museum

Brachner

Von Ellen und Füßen zur Atomuhr

Alto Brachner

Von Ellen und Füßen zur Atomuhr Geschichte der Meßtechnik

Deutsches Museum

Die Beitragsreihe zur Technikgeschichte für die Ausund Weiterbildung der betrieblichen Ausbilder wird im Rahmen eines Projekts von der Hauptabteilung Pro­ gramme und den jeweiligen Fachabteilungen des Deutschen Museums betreut. Die Interpretation der Fakten gibt die Meinung des Autors, nicht die des Deutschen Museums wieder.

Gefördert mit Mitteln des Bundesministers für Bil­ dung und Wissenschaft

ISBN 3-924183-74-0

Alto Brachner: Der Autor studierte Physik an der Technischen Univer­ sität München. Anschließend beschäftigte er sich mit der Geschichte der Naturwissenschaften, speziell der wissenschaftlichen Instrumente. Auf diesem Gebiet promovierte er ebenfalls an der Technischen Univer­ sität München. Seit 1971 arbeitet er im Deutschen Museum und leitet seit 1973 u.a. die Abteilung Physik. Umschlagfoto: Holzschnitt aus J. Kölbel: Geometrie 1608, S. 4 (Ausschnitt)

Redaktion: Albrecht Hoffmann, Nicole Kühnholz-Wilhelm Layout: L. Vesely Umschlagdruck: Druckerei des Deutschen Museums, München Copyright © 1996 by Deutsches Museum, München Druck und Bindung: F. Pustet, Regensburg Satz: Fischer’s DTP-Studio, München Printed in West-Germany 4

Inhaltsverzeichnis

Einführung ..........................................................

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Zeittafel.................................................................

7

Maß und Messen in der Geschichte ............. Das Zweistromland und Ägypten ...................... Griechenland........................................................ Rom........................................................................ Das Mittelalter ...................................................... Die Renaissance.................................................... Neue Meßverfahren............................................. Das Jahrhundert der Aufklärung......................... Meßinstrumente im 17. und 18. Jahrhundert ... Das metrische System........................................ Die Meterkonvention ...........................................

13 15 18 21 24 27 29 37 41 45 51

Das Internationale Einheitensystem Sl ......... Die Länge ............................................................. Die Masse ............................................................. Die Zeit ........... Die elektrische Stromstärke ............................... Die Temperatur .................................................... Die Stoffmenge .................................................... Die Lichtstärke......................................................

55 55 59 61 63 66 69 69

Anhang................................................................. Rechtsvorschriften ............................................... Länderliste der metrischen Einheiten ................ Mitgliedstaaten der Meterkonvention ................ Sl-Basisgrößen und -Einheiten........................... Physikalische Größen und ihre SI-Einheiten ... Auswahl nicht mehr zulässiger Einheiten ......... Umrechnungstabellen in Auswahl......................

71 71 71 73 73 74 77 79

Literatur ...............................................................

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Einführung

„Ihr sollt nicht unrecht handeln vor Gericht mit der Elle, mit Gewicht, mit Maß. Rechte Waagen, rechtes Ge­ wicht, rechter Scheffel und rechte Kannen sollen bei euch sein.“ Dieses Zitat aus dem Alten Testament, III. Buch Moses, Kap. XIX. 35-36, zeigt die Bedeutung, die Maße und Gewichte schon seit altersher für die Gesell­ schaft hatten. Für uns sind Maße und Gewichte so selbstverständlich, daß wir daran keine Gedanken mehr verschwenden. Erst als vor Jahren teilweise ihre Bezeichnungen offiziell geändert wurden, kam man­ chem ihre Bedeutung wieder ins Bewußtsein. Welcher Autofan stellte sich nicht immer noch einen Pferdestärken-Kraftprotz besser vor als einen in Kilowatt? Auch die auf ihr Gewicht bedachten Mitmenschen hängen an den Kilokalorien-Gehalten ihrer Nahrung. Aber wer weiß schon, wieviel Kilojoule er pro Tag essen darf? (2000 Kilokalorien = 2000 x 4,19 x 103 Joule = 8380 Kilojoule = 8380 Kilowattsekunden = 8380/3600 Kilo­ wattstunden ~ 2,3 kWh) Die Bedeutung der Maße kann man daran erse­ hen, daß Wirtschaftsgüter im Wert von etwa 75% des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik Deutschland, 1986 etwa 2000 Milliarden Mark, durch Wägen be­ stimmt werden. Die Erzeugung von Wirtschaftsgütern aus Rohstoffen, ihr Weg vom Hersteller zum Verbrau­ cher und ihre Abrechnung wäre ohne allgemein aner­ kannte Wägeverfahren ernstlich behindert. Maß und Messen sind daher auch eine Vertrauenssache. Viele Produkte kaufen wir ohne nachzumessen. Der Käufer vertraut den aufgedruckten Angaben über Menge und Masse. Ein Nachmessen würde den Güterumschlag behindern, private Maße erzeugen und zu Auseinan­ dersetzungen führen. Hinzu kommt, daß viele Meßver­ fahren komplizierter als Längen- und Wägemessungen sind. Eines von vielen Beispielen bietet die Messung der elektrischen Energie: 1985 wies die Bundesrepu­ blik Deutschland eine Bruttostromerzeugung von etwa 6

400 TWh (Terra-Wattstunden), das sind 4 x 1011 kWh, auf. Rechnete man - Übertragungsverluste vernach­ lässigend - den Verkaufspreis von 1 kWh willkürlich zu 10 Pfennigen bei einer ebenfalls willkürlich angenom­ menen Meßungenauigkeit der Elektrozähler mit einem Promille (1 %o), ergäbe sich in der Abrechnung eine Unsicherheit von 40 Millionen Mark. Eine Meßgenau­ igkeit von 1% zöge schon eine maximale Ungenauig­ keit von 400 Millionen Mark nach sich. Maß und Messen spielen auch auf anderen Gebie­ ten als Handel und Geschäftsverkehr eine wichtige Rolle. Eines davon ist das Verkehrswesen, das ohne Navigationsmeßgeräte weder Länder noch Kontinente erschlossen hätte. Für einen anderen Bereich ist die Meßtechnik gleichzeitig Symbol und Existenznotwen­ digkeit: die in der Renaissance geborene Naturwissen­ schaft mit ihrem Ziel, die Welt rational messend zu erforschen. Sie ermöglichte im 18., verstärkt im 19. und 20. Jahrhundert mit neuen, ständig verbesserten Meßmethoden die stürmische Entwicklung der Technik und eine Beschleunigung der Industrialisierung. Erst genaue Meßverfahren erlaubten so enge FertigungsToleranzen, daß das Ersatzteilwesen möglich wurde und an Fließbändern hochwertige Massenprodukte zu niedrigem Preis hergestellt werden konnten. Maß und Messen haben heute höhere Bedeutung als jemals zuvor in der Geschichte menschlicher Gemeinschaften. Die weltweite Verknüpfung von Han­ del, Wissenschaft, industrieller Produktion, Verkehr und Nachrichtenwesen erzwingt ein international ver­ bindliches Einheitensystem - kurz Sl (Systeme Inter­ national d’Unites). Der Name wurde 1960 auf der 11. Generalkonferenz für Maß und Gewicht festgelegt. 1975 hatten sich bereits knapp 150 Staaten dieser Konvention angeschlossen, wenn auch alte Einheiten gelegentlich ein zähes Leben weiterführen.

Zeittafel

Allgemeine Zeitgeschichte

Zeittafel Maß und Messen

um 30 000 v. Chr. Höhlenmalerei in Frankreich

um 30000 v. Chr. Knochenfund mit eingeritztem Mondkalender

um 8000 v. Chr. Gründung von Jericho, der ersten mit Mauern befestigten Stadt um 5000 v. Chr. Landwirtschaft in Ägypten und Meso­ potamien

um 3000 v. Chr. Entstehung von Städten in Mesopo­ tamien

um 5000 v. Chr. Balkenwaage in Ägypten um 3500 v. Chr. Steinreihen-Denkmäler z.B. in Carnac/ Frankreich oder Stonehenge/England. „König­ liche Elle“ im Zweistromland nachgewiesen. Kalender mit 365 Tagen in Ägypten 2650 v. Chr. Dungi I. legt im Zweistromland ein Maßund Gewichtssystem fest. Zeitmessung mit Schatten­ stab

um 2590 v. Chr. Cheopspyramide

2590 v. Chr. Erste nachweisbare Festlegung einer NordSüdlinie (Meridian) beim Pyramidenbau in Ägypten

um 2400 v. Chr. Sargon 1. von Akkad errichtet erstes großes Reich der Geschichte

um 2400 v. Chr. Statuen mit „Normalfuß“ in Babylon

um 1200 v. Chr. Niedergang der minoischen Kultur in Griechenland

um 1500 v. Chr. Wasseruhren im Zweistromland und Ägypten. Tierkreis als Koordinatensystem am Himmel im Zweistromland

um 1100 v. Chr. Phöniker entwickeln die alphabeti­ sche Schrift

um 650 v. Chr. Aufstieg der Tyrannen in den griechi­ schen Städten

um 505 v. Chr. Kleisthenes führt Demokratie in Athen ein 7

490 v. Chr. Schlacht bei Marathon

530 v. Chr. Pythagoras, griechischer Philosoph, beschreibt die Erde als Kugel

431-404 v. Chr. Peloponnesischer Krieg

334 (-323) v. Chr. Alexander der Große von Makedo­ nien erobert Ägypten, Persien

241 v. Chr. 1. Punischer Krieg

380 v. Chr. Archytas von Tarent berechnet den Erdum­ fang. Eudoxos von Knidos entwickelt ein erstes theo­ retisches Modell zur Erklärung der Planetenbewegung am Firmament 300 v. Chr. Euklid formuliert die theoretischen Grund­ lagen zur ebenen Geometrie 250 v. Chr. Archimedes von Syrakus entdeckt das Hebelgesetz als Grundlage der Balkenwaage

218 v. Chr. 2. Punischer Krieg

220 v. Chr. Eratosthenes von Alexandria bestimmt den Erdumfang mittels einer Gradmessung zwischen Alex­ andria und Syene

um 200 v. Chr. Diopter, Triquetrum, Armillarsphäre, Astrolabium als Meßgeräte (Datierung unsicher)

146 v. Chr. 3. Punischer Krieg, Rom beherrscht das Mittelmeer

100 v. Chr. Poseidonios von Rhodos berechnet aus einer Messung zwischen Alexandria und Rhodos den Erdumfang auf etwa 10% genau

um 100 v. Chr. Römische Maße gelten einheitlich im Imperium um 15 v. Chr. Vitruvius Pollio beschreibt Zeit- und Län­ genmeßmethoden um Chr. Geb. Benützung des Laufrades zum Entfer­ nungsmessen im römischen Imperium 117 n. Chr. Größte Ausdehnung des römischen Rei­ ches unter Trajan 330 Hauptstadt des römischen Reiches wird nach Konstantinopel verlegt

622/632 Beginn der islamischen Zeitrechnung, Tod Mohammeds. Beginn der Eroberungszüge des Islam

711 Araber erobern Spanien 8

um 150 n. Chr. Claudios Ptolemaios führte Längenund Breitengrade auf der Erde ein

732 Vordringen der Araber nach Europa in der Schlacht von Tours und Poitier gegen die Franken gescheitert 800 Karl der Große in Rom zum Kaiser gekrönt 809 Tod des Kalifen Harun al Raschid

843 Teilungsvertrag des Karolingerreiches

807 Karl der Große versucht im Frankenreich ein ein­ heitliches Maßsystem mit Normalmaßen einzuführen, die er vom Kalifen Harun al Raschid erhielt. Durch die Teilung des Reiches ist diese Anordnung nur von kur­ zer Dauer 827 Abdallah al Mamun läßt Gradmessung mit der Meßschnur durch führen

1066 Eroberung Englands durch die Normannen 1250 Tod Kaiser Friedrichs II., Zerfall der Reichsmacht in Deutschland und Italien

1101 Heinrich I. von England führt Zoll, Fuß und Yard in England ein

1266 Heinrich III. von England ordnet ein Gewichts­ maß auf der Basis von Getreidekörnern an um 1300 Die Gewichtsräderuhr wird erfunden

1309 Papstsitz zeitweise nach Avignon verlegt, unter französischem Einfluß 1337 Beginn des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich 1492 Columbus entdeckt Amerika

1519 Habsburgisches Weltreich unter Kaiser Karl V., von Amerika bis Osteuropa

1517 Luther formuliert die Wittenberger Thesen: Beginn der protestantischen Reformation 1545 Konzil von Trient: Beginn der katholischen Gegenreformation

1321 Philipp II. von Frankreich versucht vergeblich, einheitliche Maße in Frankreich einzuführen 1494 Heinrich VII. führt gesetzlich einheitliche Maße in England ein

1507 Kopernikus formuliert das heliozentrische Welt­ bild (veröffentlicht 1543)

1528 Jean Fernei schlägt Meridian als Grundlage für ein einheitliches Maßsystem vor. Meßwagen von Fer­ nei 1585 Simon Stevin erfindet die Dezimal-KommaSchreibweise

1600/1602 Gründung der englischen und niederländi­ schen Ostindien Handelgesellschaft

1600 Galilei erkennt das Pendel als Zeitnormal

um 1600 Fernrohr und Mikroskop erfunden

1609 Kepler entdeckt Planetengesetze 1618-48 Dreißigjähriger Krieg in Deutschland 9

1620 W. Snellius bestimmt einen Meridianabschnitt durch Triangulation 1643 E. Torricelli erfindet das Barometer

1656 C. Huygens erfindet die Pendeluhr 1660 In Florenz werden Weingeistthermometer be­ nutzt

1661 C. Wren, Mitglied der Royal Society in London, schlägt die Länge eines Halbsekundenpendels als Längennormal vor

1667 Beginn der französischen Expansion unter Lud­ wig XIV.

1666 I. Newton entdeckt das Gravitationsgesetz (ver­ öffentlicht 1687)

1669 (-1670) J. Picard mißt in Frankreich erneut einen Meridianabschnitt und bestätigt Newtons Gesetz 1683 Türken belagern Wien

1683 (-1730) Erneute Meridianmessung von G.D. Cassini und Sohn in Frankreich. Letzterer schlägt als Längeneinheit den 60 000. Teil des Erdmeridianqua­ dranten vor 1718 G.D. Fahrenheit baut das erste brauchbare Quecksilberthermometer 1728 J. Harrison konstruiert in London Schiffschrono­ meter 1738 P. Bouguer und C.M. de la Condamine führen Gradmessungen in Südamerika durch („Toise de Perou“)

1756-63 Siebenjähriger Krieg

1760 J.H. Lambert stellt photometrische Grundgesetze auf um 1760 Erstmals werden Teilmaschinen gebaut, um Maßstäbe und Winkelskalen zu teilen 1789 Beginn der französischen Revolution

1790 Die französische Nationalversammlung schlägt die Länge des Sekundenpendels als einheitliches Län­ genmaß vor

1791/1795 Das Meter als Naturmaß wird durch den Konvent als zehn millionster Teil des Erdquadranten 10

durch Paris festgelegt. Gesetzliche Festlegung des Gramm als 1 cm3 Wasser

1799/1804 Napoleon wird Erster Konsul, dann Kaiser von Frankreich. Eroberung Europas

1799 Der Meter wird durch einen Platinstab und das Kilogramm durch ein Platinkilogramm realisiert („Mètre des Archives“, „Kilogramm des Archives“) nach 1800 Allmähliche Einführung von Meter und Kilo­ gramm in mehreren europäischen Ländern

1815 Napoleon bei Waterloo besiegt, Wiener Kongreß

1833 Gründung des Deutschen Zollvereins 1848 Revolutionäre Bewegungen in Europa 1868 Der Norddeutsche Bund führt Meter und Kilo­ gramm ein

1871 Proklamation des Deutschen Reiches

1871 Das Deutsche Reich übernimmt die Regelung des Norddeutschen Bundes 1875 Staatsvertrag von 17 Staaten über die Meterkon­ vention in Paris 1889 1. Generalkonferenz für Maß und Gewicht

1914-18 Erster Weltkrieg 1939-45 Zweiter Weltkrieg 1957 Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemein­ schaft 1960 Die 11. Generalkonferenz für Maß und Gewicht vereinbart die Regeln für das „Système International d’Unités“ (Sl) 1969 Die Bundesrepublik Deutschland legt gesetzlich das Sl als Einheitengrundlage fest

ab 1989 Wiedervereinigung Deutschlands

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Bronzezeitlicher Ortsplan, gefunden bei Capo di Ponte im Val Camonica (Norditalien), vermutlich um 1500 v. Chr. Kreise mit Punkt sind Brunnen. Felder und Wege sind leicht abzulesen. Aus: Von der Elle zum Atommaß. Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, Wien 1980

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Maß und Messen in der Geschichte

Die Archäologen verfolgen die Entwicklung menschli­ cher Gemeinschaften etwa 3 Millionen Jahre in die Vergangenheit. Danach ernährten sich unsere Vorfah­ ren hauptsächlich vom Früchtesammeln und der Jagd. Diese Lebensweise begünstigte die Horden, welche neben Geschicklichkeit in der Werkzeugherstellung auch Arbeitsteilung zwischen den Gruppenmitgliedern zu nutzen begannen. Während dieses langen Zeit­ raums sind vermutlich Sprache und einfache Zahl- und Zeitbegriffe entstanden. Handel hat es wohl nicht gegeben. Vielleicht wies der Austausch von bearbeite­ ten Naturprodukten wie Steinklingen, Knochenahlen oder Schmuckgegenständen den zukünftigen Weg. Als selbsthergestellte Behausungen und Beklei­ dungen eine zaghafte Unabhängigkeit von der Natur ermöglichten, wurde die Tätigkeit des Längenverglei­ chens notwendig und der Begriff „Messen“ mindestens intuitiv bekannt. Das Errichten einer Hütte wie auch die Anfertigung von Kleidern setzten vergleichendes Mes­ sen einzelner Bauteile voraus. Ein erstes Zeitmaß hat vermutlich der Mond geliefert, der eigenartigerweise dabei früher eine Rolle spielte als die Sonne. Unsere Einteilung des Jahres in Monate, die gemeinsame Sprachwurzel von Mond, Monat, metron, measure, Meter und moon erinnert an diese Bedeutung des Mondes als erster allgemeiner Zeitmesser. Die Ent­ wicklung dieser frühen Maße im Detail bleibt Spekula­

tion. Seltene Funde steinzeitlicher Gesellschaften lie­ fern spärliche Hinweise. Aus der Cro-Magnon-Epoche vor etwa 30 000 Jahren gibt es einen in Knochen gra­ vierten Mondkalender; jedenfalls interpretieren die Archäologen die Zeichnung als eine Darstellung der Mondphasen zu bestimmten Zeiten des Mondmonats. Wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung von Maß und Messen übte die allmähliche Seßhaftwerdung aus. Gegen 10 000 v. Chr. fand eine für die künftige Geschichte umwälzende Neuerung statt. Grasfrüchte wurden gesammelt und angebaut. Ein weiteres Stück Unabhängigkeit wurde damit der allgewaltigen Natur abgetrotzt. Der Übergang vom Sammler- und Jägerda­ sein zum Ackerbau vollzog sich am schnellsten im öst­ lichen Teil des Mittelmeerraumes. Die neue Form der Nahrungssicherung erzwang einerseits und ermög­ lichte andererseits Arbeitsteilung in größerem Maße als vorher. Entscheidend war, daß die Ackerbauern nach und nach mehr produzierten als sie selbst ver­ brauchten. Der Überschuß machte Vorratshaltung nötig und setzte Arbeitskräfte für andere Aufgaben, z. B. den Hausbau, die Werkzeug- und Waffenherstel­ lung usw. frei. Das Meßwesen verdankte dem land­ wirtschaftlichen Überschuß entscheidende Impulse. Ohne ihn wären Meßbeamte und Handelswesen nicht denkbar. Getreidemengen mußten abgemessen, ihr Wert im Vergleich zu anderen Handelsgütern festge-

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oben Etwa 30000 Jahre altes Fundstück aus der Cro-Magnon Epoche. Es wird als „Mondkalender“ gedeutet. Der Mond diente als eines der ersten Zeitmaße. Aus: Von der Elle zum Atommaß. Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, Wien 1980 links Ringbarren, 18.-19. Jahrhundert vor Chr., gefunden bei Rei­ chenhall. In dieser Form waren Kupfer und Bronze als Gewicht, Geld und Schmuck in Umlauf. Städt. Museum Reichenhall

rechts Handbreite, Elle und Fuß des Pharaos waren verbindliche Norm-Maße Ägyptens. Zeichnung aus: Von der Elle zum Atommaß. Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen. Wien 1980 S. 9

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legt werden. Daneben waren Felder zu vermessen, die Saat- und Erntezeit vorherzusagen. Auf die Dauer war das ohne Buchführung und Zahlzeichen nicht möglich. Dies galt ebenso für den wachsenden Handel, der die Entwicklung von Meßverfahren für die Navigation von Karawanen in der Wüste oder von Schiffen auf dem Meer beschleunigte. Einen Beleg für die Fähigkeit prähistorischer seßhafter Gesellschaften, Messungen durchführen zu können, liefern die etwa 4000 bis 5000 Jahre alten megalithischen Ruinen wie z. B. Carnac in Frankreich oder Stonehenge in England. Ein bronzezeitlicher Ortsplan um etwa 1000 v. Chr. kann auch in unserer Zeit noch gelesen werden. In der Nähe von Bedoline bei Capo di Ponte in den Alpen entdeckten Archäolo­ gen den Plan, in dem Bachläufe, Bewässerungsgrä­ ben und Wege graviert sind. Kreise mit Punkt kenn­ zeichnen Brunnen, und die rechteckigen Felder lassen Äcker mit Pflanzen ahnen. Prähistorische Zeugnisse von Volumen-Messun­ gen sind nicht einwandfrei belegt. Dagegen sind Gewichtsstücke aus dieser Epoche dank ihres wider­ standsfähigen Materials überliefert. Bronzebarren waren Gewicht, Geld und Schmuck zugleich. Auch das zugehörige Meßgerät, die Balkenwaage zum Vergleich zweier Massen, kannten die Menschen der Vorge­ schichte. Die wenigen direkten Funde über Maß und Messen bei jüngeren prähistorischen Gesellschaften sind Beispiele, wie die Entwicklung auch im östlichen Mittelmeerraum kurz vor Beginn der geschichtlichen Zeit abgelaufen sein könnte.

dacht, stellen elf Lebewesen und als zwölftes eine Waage dar. In den Stromländern bestimmte der Fluß den Rhythmus des Lebens. Die jährliche Über­ schwemmung in Ägypten setzte den Kalender von Säen und Ernten. Das Anschwellen des Nils - so regelmäßig und lebenswichtig wie der Aufgang der Sonne - bezeichnete das Niljahr. Der einfachste Kalender war das Nilometer, eine senkrechte Skala, auf der der jährliche Wasserstand abzulesen war. Die alljährlichen Nilüberschwemmungen verwischten aber auch die Grenzen zwischen den Feldern. Das war der Grund, warum die Kunst des Landvermessens in Ägypten schon zur Zeit der Einführung der Schrift ein hohes Niveau erreicht hatte. Landesvermessung konnte nur mit einheitlichen Maßen funktionieren. Der Pharao als Gottkönig wies den Ägyptern nicht nur den rechten Weg, sondern stellte auch seine persönlichen Körperabmessungen als Richtmaße zur Verfügung. Die königliche Elle (etwa 463 mm), die Handbreite und die Fußlänge waren „Eichmaße“ - in unseren Augen nicht eben praktisch, wenn es den Göttern beliebte, die Pharaonen zu schnell wechseln zu lassen. Diese Fest­ legung läßt aber vermuten, daß Handbreite, Elle und Fuß, weil sie jeder Mensch - ein wenig größer oder

Das Zweistromland und Ägypten Die Archäologen weisen die Flußtäler des Euphrat, des Tigris und des Nils als Wiege der ersten Hochkul­ turen aus. Die geschichtliche Zeit - nach Erfindung von Zahlzeichen und Schrift - begann dort etwa gegen 3500 bis 3000 v. Chr. Belege zur Geschichte von Maß und Messen bieten nicht nur Grabungsfunde, sondern auch Wandreliefs und erstmalig schriftliche Überliefe­ rungen. Die ältesten Waagenfunde am Nil datieren mit etwa 5000 v. Chr. aus prähistorischer Zeit. Bedeutung und Einfluß der Waage spiegelt auch der Tierkreis wider. Die Tierkreiszeichen, vor 1600 v. Chr. im Zweistromland als Himmelskoordinatensystem er­ 15

kleiner - besaß und ohne Aufwand benützen konnte, schon lange in prähistorischer Zeit als Maße in Ge­ brauch waren. Mit dem ebenfalls in Ellen geteilten Nilometer stell­ ten die Priester bald fest, daß das Niljahr sich nicht an die zwölf Monate hielt. Sie fanden heraus, daß 12 Monate zu 30 Tagen mit einer Ergänzung von 5 Tagen einen brauchbaren Kalender für die Jahreszeiten dar­ stellten. Dieses amtliche Niljahr war gegen 4000 v. Chr. in Gebrauch. Dabei orientierten sich die Ägypter am Sirius, dem hellsten Stern am Himmel. Er ging ein­ mal im Jahr morgens in gerader Linie mit der aufge­ henden Sonne auf. Dieser „Sonnenaufgang“ des Sirius, jedes Jahr mitten in der Überschwemmungs­ zeit, wurde zum ägyptischen Jahresanfang. Ägypten beging ihn mit dem Fest der fünf eingeschobenen Tage. Dabei bedeutete der erste Tag den Geburtstag des Osiris, der nächste den seines satanisches Fein­ des Set. Ägypten hatte mit seinem Kalender bereits 4000 v. Chr. Himmel und Hölle und damit das dialekti­ sche Prinzip vorweggenommen. Das ägyptische Neu­ jahrsfest legt auch Zeugnis von sorgfältigen astrono­ mischen Beobachtungen ab. Ohne diese - und ohne geeignete Meßinstrumente - wäre etwa die genauen Nord-Süd-Ausrichtungen der Pyramiden nicht vorstell­ bar. Erstmals nachweislich legten ägyptische Priester im Jahr 2550 v. Chr. in Medum einen Meridian, also eine Nord-Süd-Linie, auf der Erde fest. Astronomische und geodätische Messungen, allgemein Maß und Gewicht, waren Domäne der Priester. Sie hielten ihre Wissenschaft und Meßmethoden vor dem Volk geheim, dessen Aberglaube seinen Herrschern wert­ voll war. Die Tempel waren nicht nur religiöser Mittel­ punkt, sondern gleichzeitig Banken und die Priester Wissenschaftler - genau wie heute die Banken Tempel sind und die Wissenschaftler Priester sein wollen. Die Längen- und Gewichtsnormale bewahrten die Ägypter in den Tempeln auf. Die göttliche Autorität unterstützte die Kontrolleure des Pharao bei der Einhaltung der Maßvorschritten. Jeder, der sich bei der Verwendung falscher Maße ertappen ließ und nicht genügend Protektion besaß, wurde mit Abhacken der Hände bestraft. Auch die Meßgeräte für kürzere Zeit-Intervalle als die des Kalenders betreuten die Priester der Tempel. Der wandernde Schatten eines Stabes, des Gnomons, 16

diente als Sonnenuhr. In kultischer Verfeinerung legen die Obelisken Zeugnis davon ab. Daneben war die Wasseruhr in Gebrauch. Etwa 1500 v. Chr. ließ Ame­ nophis I. (um 1527 bis 1506 v. Chr.) seinen Kanzler Amenemhet eine Wasseruhr bauen, deren Genauig­ keit gerühmt wurde. Nachhaltigeren Ruhm als Ägypten auf dem Gebiet der Astronomie besaß Babylon im Zweistromland. Eth­ nisch aus Sumerern und Akkadern verschmolzen, steuerten diese Bewohner Mesopotamiens einiges zur Entwicklung von Maß und Gewicht bei. Etwa 2500 v. Chr. führte der sagenhafte Dungi I., Gottkönig von Ur, ein für spätere Zeiten beispielhaftes Maß- und Ge­ wichtssystem ein. Die Gewichts-, genauer Maßeinheit, war die schwere babylonische Mine, festgelegt zu 982,4 Gramm als Masse des Wassers in einem Kubus mit der Kantenlänge des 10. Teils der Doppelelle. Die leichte Mine war die Hälfte davon. Eine babylonische Doppelelle entsprach etwa 990 bis 996 Millimetern. Aus der Zeit um 2400 v. Chr. datieren Statuen, die übereinstimmende Maßstäbe mit 1 Fuß - etwa 270 Millimeter - in 16 Abschnitte unterteilt aufweisen. Es waren vermutlich Normalmaßstäbe.

links Nilpegelmesser bei Elephantine, Ägypten. Der Maßstab war in Ellen geteilt. Die Regelmäßigkeit der Nilhochwasser ließen ihn zu einem Jahreskalender werden. Aus: Von der Elle zum Atommaß. Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, Wien 1980, S. 10 rechts Die Waage im ägyptischen Totengericht. Nach einem Papyros aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. Original im Britischen Museum, London. Das Gleichnis vom Abwägen der guten und bösen Taten wurde vom Christentum übernommen. Die weltlichem Dame Justitia mit Waage und Schwert führt ihren Stammbaum ebenfalls auf die ägyptische Religion zurück. Foto Deutsches Museum, München

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Einen Einblick in die sozialen Verhältnisse der Zeit um 2500 v. Chr. gewährt eine überlieferte Aufstellung, in der neben Gerste auch Kupfer und Silber als „Geld“ auftreten. Geld und Massen-Einheit ist dabei gleich­ wertig: 1 Talent = 3600 Schekel („Silberbeil“) = 30,3 kg Silber 1 Schekel = 180 Korn 10 Korn = 3,4 I Brot = 8,4 I Bier 1 Schekel = 50 I Mehl = 250 I Fische (360 Stück) = 1,7 I Dattelsirup 20 Schekel = 1 Esel = 1 Rind = 3 Kleider = 1 Sklave 60 Schekel = 1 Schiff mit Kajüte Die jährliche Miete für einen Sklaven belief sich auf 8 Schekel. Ein Esel war somit zweieinhalb mal soviel wert wie die Jahresleistung eines Sklaven.

Griechenland Der Orient trat allmählich seine Vorrangstellung an Griechenland ab. Die griechische Landschaft mit ihren von hohen Gebirgen eingeschlossenen Becken, kar­ gen Böden und zahlreichen Inseln begünstigte den

Handel über das Meer, vor allem mit den neuen grie­ chischen Kolonien an der kleinasisatischen Küste. Die Navigation gewann deshalb für Griechenland lebens­ wichtige Bedeutung. Griechenland - wohl auf Grund der vermutlich schon seit etwa 1600 v. Chr. engen Kontakte mit Kreta und Ägypten - fand das ägyptische Maß-System prak­ tisch und ergänzte es durch eine „sportliche Einheit“, das Stadion. Das war die Strecke, die ein Athlet mit höchstmöglicher Geschwindigkeit in einer festgelegten Zeit laufen konnte. Das Maß betrug nach Zeit und Ort wechselnd zwischen 149 und 213 Meter. Ein Stadion war aufgeteilt in 600 olympische Fuß zu etwa 297 Millimeter. Die Einhaltung der Maße wurde wie in Ägypten streng kontrolliert. Im klassi­ schen Athen überwachten 15 „Maßbestimmer“ die Gewichtsstücke, Hohl- und Längenmaße der Händler. Dabei waren die Maße nicht einheitlich. Lokale Riva­ litäten führten zu unterschiedlichen Normalen einzel­ ner Stadtstaaten - eine Situation ähnlich wie in den späteren deutschen Fürstentümern. Die Eichmaße wurden im Haupttempel der Stadt aufbewahrt. In Athen legte Perikies (um 500 bis 429 v. Chr.) den Stadtschatz in Form einer mit Edelmetallen ausgestatteten Statue

links Wasseruhr aus der Zeit Ame­ nophis III., etwa 1400 v.Chr.. Auf dem Gefäß sind Sternbil­ der und eine Opferszene dar­ gestellt. Die Zeit wurde an der Höhe des Wasserstandes ab­ gelesen. Wasseruhren wur­ den noch von Galilei um 1600 n. Chr. verwendet. Original Museum Kairo Foto Deutsches Museum, München

rechts Panathenäen-Prozession zur Akropolis. Links das Erechtheion, rechts der Parthenon. Die Tempel waren zugleich Aufbewahrungsort des Staatsschatzes und Normal­ maße. Zeichnung aus Pierre Miquel: „So lebten sie im alten Griechenland“. Tetzlaff Verlag Paris, Hamburg 1982, S. 54

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der Athene auf der Akropolis an. Auch die Eichmaße hatten dort ihren Platz. Die Einheit der Maße war zugleich auch Währung: 1 Talent hatte 60 Minen, eine Mine wieder 100 Drachmen und 1 Drachme schließlich 6 Oboli. (Es war verhältnismäßig billig, sich vom Fähr­ mann für das Entgelt von einem Obolus über den Styx in den Hades bringen zu lassen.) Der Zeitmessung dienten der Schattenstab, die Wasseruhr und nachts Mond und Sterne vor dem aus Babylon übernommenen Tierkreis. Der Kalender wur­ de - im Gegensatz zu früheren Hochkulturen - nicht mehr vom Tempel, sondern von öffentlichen Behörden aufgestellt. Das Jahr zählte 12 Mondmonate und wurde, wie in Babylon, durch gelegentliche Einschie­ bung eines dreizehnten dem Sonnenjahr angepaßt. Griechenland entwickelte die Astronomie zur Wissen­ schaft, die ohne verbessertes Maß und Messen Astro­ logie geblieben wäre. Die Eroberungen Alexander des Großen (356 bis 323 v. Chr.) verbreiteten Griechenlands Wissen, leite­ ten eine Verschmelzung griechischer und orientali­ scher Kultur ein und eröffneten die hellenistische Peri­ ode.

Alexandria, die Stadt im Nildelta, machte ihrem Gründer alle Ehre. Sie wuchs bald zur bedeutendsten Stadt der damaligen Welt. Das Museion in Alexandria war wohl die erste Institution, in der Gelehrte auf Kosten des Staates den Wahrheitsgehalt ihrer Ideen überprüfen durften. Eratoshenes von Kyrene (um 284 bis 202 v. Chr.) bestimmte dort zum ersten Mal indirekt Durchmesser und Umfang der Erde. Nach einem Studium in Alexandria entwickelte Archimedes (um 285 bis 212 v. Chr.) in Syrakus mit dem Hebelgesetz die theoretische Grundlage der seit Jahrtausenden benutzten Balkenwaage. Seine Arbeit war so genau, daß sie erst im 16. Jahrhundert verbes­ sert wurde. Berauscht von der Vision der Macht, die er im Hebel und im Flaschenzug erblickte, verkündete Archimedes: Gebt mir einen Standort, und ich bewege die Erde! Waage, Längenmaße, Sonnen - und Wasseruhren sind in hellenistischer Zeit verfeinert worden. Im we­ sentlichen blieben sie jedoch ihren Vorläufern aus dem Orient treu. Auch die handwerklichen Fähigkeiten, Meßinstrumente herzustellen, müssen in dieser Epo­ che erstaunlich gewesen sein. Archimedes ließ sich

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Lakonische Schale, um 565/560 v. Chr.: Arkesilas überwacht Wägung und Versand einer Ware, Paris, Cabinet der Medaillen. Abb. aus: J. Boardman, J. Dörig, W. Fuchs, M. Hirmer: Die griechische Kunst, Hirmer Verlag München, 1984

ein Planetarium fertigen, das Cicero 200 Jahre später bewunderte: „Als Gallus diese Kugel in Bewegung setzte, geschah es, daß der Mond der Sonne in ebenso vielen Umdrehungen in jenem Erz wie Tagen am Himmel selbst nachrückte, wonach auf der Kugel eben die­ selbe Verfinsterung der Sonne eintrat und der Mond zu dem Zeitpunkt in die Grenze, die der Schatten der Erde bezeichnete, geriet, als die Sonne auf der Seite gegenüber stand.“ Ein anderes Gerät zur Messung der Positionen der Himmelskörper könnte von dem bedeutendsten grie­ chischen Astronomen Hipparchos von Nikaia (um 190

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bis 125 v. Chr.) entwickelt worden sein: Die „Armillarsphäre“. Auf ineinander drehbaren Ringen dienten ver­ schiebbare Visiere zum Winkelmessen der Sternposi­ tion. Die Ringe verkörperten die in der Astronomie gebräuchlichen Koordinaten-Systeme. Vermutlich er­ fanden griechische Gelehrte auch das „Astrolabium planisphärium“. Es stellte ein sinnreiches ebenes Abbild der Armillarsphäre dar. Konstruktion und Aus­ führung verlangten große mathematische, meßtechni­ sche und handwerkliche Fähigkeiten. Dieses vielsei­ tige Meßinstrument wurde später von den Arabern ver­ bessert und im Mittelalter über Spanien wieder nach Europa gebracht.

Andere Meßinstrumente sind uns dank Claudios Ptolemaios (um 100 bis 160 n. Chr.) überliefert. Ein beliebtes Gerät zum Messen des von der Sonnen- oder Mondscheibe eingeschlossenen Winkels war das „Diop­ ter“, eine Einrichtung ähnlich Kimme und Korn auf dem Gewehr. Daneben spielte das „Triquetrum“ eine Rolle beim Winkelmessen. Aus den Verhältnissen von Drei­ eckseiten ließ sich indirekt der Winkel eines anvisierten Objekts über dem Horizont bestimmen. Ptolemaios beschrieb auch einen Mauer-Quadranten zur Winkel­ messung. Das war ein Viertelkreis mit einer Gradeintei­ lung, senkrecht meist in Nord-Süd-Richtung an einer stabilen Mauer befestigt. Damit registrierten die Astro­ nomen unter anderem die Kulmination - das Erreichen des höchsten Bahnpunktes über dem Horizont - von Sternen und schufen so das erste Zeitnormal. Wir bringen der Meßkunst Griechenlands erst die richtige Achtung entgegen, wenn wir ihre Resultate sehen: Hipparchos bestimmte aus seinen und seiner Vorgänger Messungen das Sonnenjahr zu 365 V4 Tagen abzüglich 4 Minuten und 48 Sekunden - das unterscheidet sich nur etwa 8 Minuten von der heute gültigen Zahl. Der Wert seines Mondmonats lag mit 29 Tagen, 12 Stunden, 44 Minuten und 2 V2 Sekunden kaum eine Sekunde gegenüber dem heutigen Wert falsch. Des weiteren vermaß Poseidonios (135 bis 51 v. Chr.), ein griechischer Philosoph, die Entfernung zwischen Alexandria und Rhodos zu 5000 Stadien. Er nahm sie als den 48sten Teil des Erdumfangs und errechnete daraus diesen zu 240 000 Stadien, was einen Fehler von nur etwa 11 % bedeutet.

Rom

Maß und Messen hängen in einer Gemeinschaft auch von der Verwaltung ab. Das römische Organisationsta­ lent ließ ein Weltreich entstehen, dessen Dauer bis heute unübertroffen ist. Die Welt machte sich die römi­ sche Rechtsauffassung zu eigen, und auch Maß und Messen zog aus einheitlichen gesetzlichen Regelun­ gen großen Nutzen. Die Eichmaße - erstmals für eine ganze Welt gültig - hatten ihren Platz im Kapitol. Aus mehreren Funden wissen wir, daß der römische Fuß 0,2959 Meter entsprach. Gut erhaltene Fuß-Maßstäbe aus verschiedenen Gegenden des römischen Imperiums bestätigen die Genauigkeit der Römer: Die

Methode zur Erdmessung des Eratosthenes aus: Zeitschrift AVN („Allgemeine Vermessungs-Nachrichten“)1/1975, S.5; Dr. K. Schwarz „Zur Erdvermessung des Eratosthenes“ unten Das Triquetrum. Aus dem Verhältnis der Dreiecksseiten läßt sich der Winkel des anvisierten Gegenstandes über dem Horizont bestimmen. Nach Levi ben Gerson (1288-1361) Paris, Bibliothèque de l’Observatoire

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Maßstäbe weichen weniger als 0,1 Millimeter vom Sollmaß ab. Der Römer Fannius, dessen Identität nicht einfach festzustellen ist - er war möglicherweise Aedil und Münzmeister gegen 82 v. Chr. - erläutert poetisch das Volumen einer Amphora: „In der Länge und Breite im Winkel zeichne den Fuß man, daß ihm der gleiche Winkel, den umschließt dreifältige Linie, mit vier Quadraten umgürte man dann in der Mitte den Leerraum, so zum Kubus wird die Amphora. Daß sie nie verletzt wird, weihten dem Jupi­ ter sie auf Tarpejischen Felsen die Quinten.“ Die Kontrolle des Maßsystems oblag den vier Aedilen, die zu den höchsten Beamten des Imperiums zähl­ ten. Das römische Gewichtssystem hielt sich in der Pharmazie mehr als eineinhalb Jahrtausende bis zur Einführung des metrischen Systems. 1 Librium war 22

unterteilt in 12 Uncia (Unzen), 1 Unze in 24 Scrupeln, 1 Scrupel in 20 Granae. Für das Verkehrs- und Bauwe­ sen eines Weltreichs waren Land- und Himmelsver­ messung unerläßlich. Für größere Entfernungen führte Rom die Meile „mille passus“, entsprechend 1000 Dop­ pelschritten, ein. Noch heute legen römische Meilen­ steine mit ihren Entfernungsangaben Zeugnis von der Meßkunst der römischen Landvermesser ab. Vermut­ lich benutzte man zum Vermessen Laufräder mit Zähl­ werk, die kurz vor Christi Geburt in Rom entwickelt wor­ den waren. Seile und Maßstäbe erwiesen sich bei den großen Entfernungen als zu unhandlich. Erste Auf­ zeichnungen über Maß und Messen entstanden im sel­ ben Zeitraum durch Vitruvius Pollio (um 15 v. Chr.). Als römischer Baumeister zur Zeit Cäsars und Augustus’ legte er sein Wissen in 10 Büchern nieder; Band 9 erläutert die Zeit- und Wegmessung. Claudios Ptole­ maios (um 100 bis 160 n. Chr.), der uns das Hipparch-

links Wasseruhr des Klesibios, um 200 v.Chr. Rekonstruktion des Nürnberger Hofuhrmachers G. Speckhart. Foto Deutsches Museum, München mitte Das Kapitol in Rom war nicht nur Zentrum der Welt, sondern auch Aufbewahrungsort für die römischen Urmaße. Rekon­ struktion aus „Rom und sein Weltreich“, Barry Cunliffe, Gustav Lübbe Verlag

rechts Laufrad aus Holz mit Metallbeschlägen, 18. Jdh.. Die ersten Laufradentfernungsmesser wurden kurz vor Christi Geburt im römischen Imperium eingesetzt. Foto Deutsches Museum, München

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sehe Weltmodell überlieferte, gab gegen 150 n. Chr. ein umfangreiches Buch „Anleitung zum Kartenzeichnen“ heraus. Es wurde die Grundlage der geographischen Wissenschaft, weil er die Erde mit einem Koordinaten­ netz von Längen- und Breitengraden einteilte und eine erneute Berechnung des Erdumfangs vorlegte.

Das Mittelalter Das westliche Rom unterlag 410 dem Ansturm der Westgoten und 455 dem der Vandalen. Ost-Rom (Byzanz) überdauerte bis 1453, doch war es nur ein Abglanz des römischen Imperiums. Während dieser Zeit bewahrte ein anderes Volk einen Teil des griechi­ schen Erbes vor dem Schicksal des Vergessenwer­ dens: Die stolzen Nomaden und Händler der arabi­ schen Halbinsel traten unter ihrem Propheten Moham­ med (um 570-632) den Siegeszug um das Mittelmeer und nach Osten an. Gegen 770 begann die Überset­ zung indischer Bücher ins Arabische. Zum selben Zeit­ punkt übernahmen die Araber Indiens geniales Zahlen­ system und überlieferten es uns als „arabisches Zah­ lensystem“. Der Astronom Ibn Musa Alkhwarizmi (um 800-847) zeichnete seine astronomischen Beobachtun­ gen erstmals mit diesen Zahlen auf. Besser bekannt aus jenen Tagen ist der Kalif Harun al Raschid (765-809), dessen prächtiger Hof in Bagdad mit den links oben Ein römischer Landvermesser legt mit Hilfe der Groma den Verlauf einer Brücke fest. Zeichnung aus : P. Miquel „So lebten sie zur Zeit der römi­ schen Legionäre“, Hamburg 1981, Tetzlaff Verlag, S. 56 links unten Obere Hälfte eines römischen Meilensteins von der Via Clau­ dia, Provinz Belluno. Für die römischen Militär- und Handels­ straßen war Landes- und Entfernungsmessung von besonde­ rer Bedeutung. Soprintendenza Archeologica per il Veneto, Padova Nr. 15905

rechts oben Bäcker, die untergewichtiges Brot verkauften und dabei ertappt wurden, tauchte man um 1250 in Wien so lange unter Wasser, bis eine heilsame Wirkung auf die Gesinnung zu erwarten war. Aus: „Von der Elle bis zum Atommaß“, Bundes­ amt für Eich- und Vermessungswesen, Wien 1980 S.15

rechts unten Freie Rekonstruktion der Sternwarte in Bagdad unter dem Kalifen Harun al Raschid. Auf dem Turm ist ein Azimutalqua­ drant, rechts eine Armillarsphäre zu sehen. Zeichnung aus Mokhtar Moktefi: „So lebten sie in den ersten Jdh. des Islam“, Hamburg 1986, Tetzlaff Verlag, S. 57

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Märchen aus Tausendundeiner Nacht die Phantasie unserer Kindertage anregte. Sein Sohn und Nachfolger Abdallah AI Mamun (786-833) demonstrierte seine Macht und seinen Wissensdurst, indem er den byzanti­ nischen Kaiser bei einem Friedensvertrag zwang, eine große Zahl griechischer Manuskripte herauszugeben. Darunter befand sich auch eine Kopie der „Megiste Syntaxis“ von Claudios Ptolemaios, was im Arabischen zu „AI Magest“ wurde. AI Mamun machte seinem Na­ men auch im Meßwesen Ehre, indem er gegen 827 einen Teil des Erdumfangs in der Wüste Sindjahr am Roten Meer erstmals mit Hilfe der Meßschnur bestim­ men ließ. Der Erdumfang errechnet sich daraus zu 44 064 km, was einem Fehler von nur etwa 3 % gegenüber dem heutigen Wert entspricht. Ansonsten verwendeten die arabischen Geometer und Astronomen Meßinstrumente, die denen des Ptolemaios glichen. Gegen 800 sind von Sternwarten in Bagdad, Damas­ kus, Kairo und in Spanien große Mauer-Quadranten belegt. Das Astrolab vervollständigten die Araber, mach­ ten es bis ins 16. Jahrhundert hinein zum vielseitigsten Meßinstrument und bewiesen mit ihm ihre hervorragen­ den Mathematikkenntnisse. Die kulturelle Rückständigkeit des Abendlandes im Meßwesen zeigte Harun al Raschid, als er um 807 an Kaiser Karl den Großen (742-814) einen Satz von Normalmaßen und eine Wasseruhr schickte. Wie jede zentrale Gewalt achteten auch die Frankenherrscher darauf, daß es bei Maß und Messen mit rechten Din­ gen zuging. Am 23. März 789 hatte Karl schon eine diesbezügliche Anweisung ausgesprochen: 25

„Daß alle gleiche und richtige Maße wie auch gerechte und gleiche Gewichte haben sollen, sowohl in den Gemeinden wie auch in den Klöstern, beim Ver­ kauf oder Einkauf, wie wir im Gesetz des Herren die Vorschrift haben, ebenso bei Salomo, wo der Herr spricht: Gewicht und Gewicht, Maß und Maß verab­ scheut meine Seele.“ Um 810 führte Karl der Große auch eine Münz- und damit Gewichtsreform durch. In der Silberwährung bedeutete 1 Pfund soviel wie 20 Schilling. 1 Schilling auch Solidus - waren 240 Denare oder karolingische Pfennige. Anscheinend hielten sich die Untertanen nicht allzu streng an die Auflagen. 864 unternahm Karl der Kahle (823-877) einen erneuten Anlauf und ver­ fügte, daß sich alle Städte und Dörfer nach dem im „Palais Royal“ aufbewahrten Etalon zu richten hätten. Kopien dieses Etalons wurden den Rathäusern und Klöstern zur Verfügung gestellt. (Das Wort „Etalon“ stellt ein hübsches Gleichnis dar. Es stammt aus dem Sächsischen, hat die gleiche Wurzel wie unser Wort „Stall“ und bedeutet „Deckhengst“). Die Geschichte der Maße im mittelalterlichen Europa ist eine Wiederholung der Entwicklung im Vor­ deren Orient. Ähnlich wie in Babylon oder Ägypten lie­ ferte der menschliche Körper das Längenmaß: Den Zoll, den Fuß oder Schuh, die Elle und die Klafter. Die europäischen Herrscher stellten ebenso wie ihre orien­ talischen Vorgänger ihre Körpermaße als Normale zur Verfügung. Heinrich I. (1068-1135) von England führte seine Daumenbreite mit ca. 2,5 Zentimetern als Zoll, seinen Fuß mit etwa 30 Zentimetern und das Yard als Abstand seiner Nasenspitze zum Daumenende des ausgestreckten Armes mit etwa 91 Zentimetern ein. Im Jahre 1266 setzte Heinrich III. (1207-1272) in England ein Gewichtsnormal ein, das sich auf den im Abendland besonders beliebten Weizen bezog: „Zur Bestimmung des Gewichtes sollen Weizenkör­ ner dienen, deren 32, aus der Mitte der Ähre genom­ men und wohlgetrocknet, das Gewichte eines penny, 20 solche Gewichte eine ounce und 12 dieser ein pound betragen sollen.“ Sein böhmischer Kollege, Ottokar II. (1233-1278), wollte nicht nachstehen und legte für seine Untertanen fest: „1 Querfinger gleich 4 in der Breite nebeneinander gelegte Gerstenkörner, 10 Querfinger gleich 1 Spanne, 1 Becher Weizen gleich soviel man mit beiden Händen tragen kann.“

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1324 eiferte der englische König Eduard II. (12841327) seinen Vorgängern nach und legte auch das Zoll als Länge dreier hintereinander gereihter Gerstenkör­ ner aus der Mitte der Ähre fest. Die Meßinstrumente des ausgehenden Mittelalters für die Himmelsmessung und Astrologie, die Erdver­ messung oder den Kalender glichen immer noch denen der Araber. Allein das Astrolab soll - versehen mit verschiedensten Hilfslinien - in 1000 unterschiedli­ chen Varianten benutzt worden sein. Daneben finden wir Erd- und Himmelsgloben, Kompasse, Sonnenuh­ ren, Nachtuhren und astronomische Kompendien. Ein neues Instrument, der „Jakobsstab“, wurde um 1325 dem französischen Philosophen Levi Ben Ger­ son (1288-1340) zugeschrieben. Die Seefahrer benützten es zum Anvisieren zweier Himmelsobjekte.

Die Aachener Pfalzkapelle, von Odo von Metz für Karl den Großen etwa zwischen 786 und 800 erbaut. Als Vorbild diente vermutlich die byzantinische Kirche San Vitale in Ravenna. Im Jahr 807 sandte der Kalif Harun al Raschid dem Kaiser Karl den Großen einen Satz Normalmaße und zeigte damit seine kulturelle Überlegenheit. aus: Meyers ill. Weltgeschichte Bd. 10, S.83

Die Renaissance Der zunehmende Nord-Süd-Handel brachte dem Bür­ gertum in den Stadtstaaten Italiens und den Freien Reichsstädten Deutschland wachsenden Reichtum. Florenz und später auch Rom erstrahlten für einige Menschenalter im Glanz der Renaissance. Neue Anregungen für Maß und Messen kamen in jener Zeit zunächst von der Kalenderreforn und später von der Entdeckung der Neuen Welt. Papst Sixtus IV. (1414-1484) holte den berühmtesten Astronomen des 15. Jahrhunderts, Johannes Müller (1436-1476) aus Königsberg in Franken, genannt Regiomontan, im Jahr 1475/76 nach Rom. Er sollte die Kalenderreform durchführen. Der Julianische Kalender wies mittler­ weile für die Liturgie unerträgliche Zeitverschiebungen zum Jahreslauf der Sonne auf. Regiomontan, Schüler des Wiener Astronomen Georg Purbach (1423-1461), war einer der ersten, der den messenden Himmelsbe­ obachtungen großes Gewicht zubilligte. Nachdem er 1471 Wien verlassen hatte, zog er nach Nürnberg. Dort richtete er mit dem Geld des Patriziers Bernhard Walther (1430-1504) eine wissenschaftliche Instru­ mentenwerkstatt ein und baute Beobachtungsgeräte. Ein zweifelsfrei aus seiner Werkstatt stammendes Meßinstrument ist jedoch nicht überliefert. Regiomon­ tan starb im Jahr seiner Ankunft in Rom entweder an den Folgen einer Infektion oder an Gift. Sein Werk blieb unvollendet, die Wichtigkeit des Meßinstruments rückte für einige Zeit wieder in den Schatten. In der Zeit des Pontifikats von Alexander VI. (1431-1503) studierte Nicolaus Copernicus (1473— 1543) in Italien, unter anderem Mathematik und Astro­ nomie. Er war damals schon von der Kreisbewegung der Erde um die Sonne überzeugt, Nicolaus von Cues (1401-1464) und andere hatten bereits auf diese Mög­ lichkeit hingewiesen. Fortschritte auf dem Gebiet der Mathematik lieferten zunächst besseres Werkzeug. Michael Stifel (1487-1567) führte das Plus- und Minuszeichen ein, Robert Recorde (1510-1558) das Gleichheitszeichen, Adam Riese (1492-1559) veran­ laßte die Deutschen, vom Rechenbrett zur schriftli­ chen Zahlaufstellung überzugehen. Johannes Werner (1468-1522) veröffentlichte 1522 die erste moderne Abhandlung über Kegelschnitte und Georg Rheticus (1514-1576) führte die trigonometrisch-astronomi­ schen Arbeiten des Regiomontan weiter und ent-



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Eiserne Turmuhr mit Glockenstuhl und zwei Gewichten aus dem 16. Jdh. Wenn diese Uhren auch nicht so genau gingen, waren sie doch ein Schritt zur Unabhängigkeit von den natür­ lichen Uhren. Aus den Sammlungen des Deutschen Museums, München

wickelte sich zu einem glühenden Anhänger des Copernicus. Das Werk des Nicolaus Copernicus „De revolutionibus orbium coelestium“, das der Autor in kluger Vor­ aussicht erst 1543 - in seinem Todesjahr - erscheinen ließ, und das die Sonne in den Mittelpunkt des Weltbil­ des rückte, erregte zunächst kein Aufsehen. Der obere Klerus war tolerant, und eine Planetentheorie stellte ihre Nützlichkeit damals hauptsächlich durch möglichst genaue Voraussagen von Himmelserscheinungen für Kalenderzwecke unter Beweis. Aber da war die helio­ zentrische der scholastisch-ptolemäisch-geozentrische Theorie keineswegs voraus. Der Wittenberger Erasmus Reinhold (1511-1553) stellte mit der neuen Theorie Planetentafeln auf, die Eingang in die Grego­ rianische Kalenderreform von 1582 fanden. Zunächst

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mußten aber noch bessere Beobachtungen und Ver­ messungen der Gestirne durchgeführt werden, ehe weiter über eine Planetentheorie entschieden werden konnte. Auch das Aufblühen von Wirtschaft und Handel stellte an das Meßwesen erhöhte Anforderungen. Um Entfernungen zu Lande bequemer und genauer messen zu können, ließ 1528 der französische Kosmograph Jean Fernei (1497/15067-1558), der spätere Leibarzt Heinrich II. von Frankreich, einen Meßwagen bauen und erfand damit Roms Laufrad zum zweiten Mal. Für einen geographischen Breitengrad drehte sich das Rad 17024 mal. Auf einer Fahrt zwischen Paris, Amiens und zurück konnte daraus der Erdumfang auf angeblich 0,1% Genauigkeit gemessen werden. Fernei machte den Vorschlag, den Teil des Meridians zwi­ schen Paris und Amiens als Grundlage eines allgemei­ nen Maßsystems zu nehmen. Zwei Jahre später, 1530, führte Heinrich VIII. von England (1491-1547) das „Avoirdupois“ als Handels­ gewicht zunächst für die Metzger ein. 1588 ließ Köni­ gin Elisabeth I. (1533-1603), unterstützt durch ihren Kanzler Lord Burleigh (1520-1598), Normalmaße und -gewichte herstellen. Kopien der Avoirdupois-Ge-

wichtsnormale erhielten diejenigen, welche das könig­ liche Privileg besaßen, Maße zu eichen und zu ver­ kaufen. Auch in den deutschen Fürstentümern strebte man nach einheitlichen Maßen. Herzog Christoph von Württemberg (1515-1568) verordnete 1557, daß im ganzen Land einerlei Maß und Gewicht in Gebrauch sein sollen. Die Normalmaße wurden in Stuttgart auf­ bewahrt. Mittlerweile war in der Renaissance der Mensch beinahe zum Maß aller Dinge geworden. Vielleicht wurde man sich deshalb individueller Unterschiede besonders bewußt. So machte der Stadtschreiber von Oppenheim, Jakob Kölbel, 1557 in seinem Buch „Geometrey“ den originellen Vorschlag, daß „16 Mann klein und groß wie sie ungefährlich aus der Kirche gehen, nacheinander ein jeder vor den anderen sein Schuh stellen“ sollen, um so die „gerecht gemeyn Meß“ zu fin­ den. Andererseits förderte die Entdeckung der Neuen Welt durch Christoph Kolumbus 1492 das Interesse an zuverlässigen Navigations-Methoden. So wurde die Navigation zu einer bedeutenden Triebfeder bei der Entwicklung genauer Meßgeräte. Navigation über gro­ ße Entfernung war ohne astronomische Beobachtung kaum möglich.

J. Fernei bestimmte 1528 mit einem „Entfernungs-Meß­ wagen“ die Strecke zwischen Paris und Amiens. Fernei machte den Vor­ schlag, diesen Teil des Meridians als Grundlage für ein allgemeines Maßsy­ stem zu verwenden. Aus: „Von der Elle zum Atommaß“, Bundesamt für Eich- und Vermes­ sungstechnik, Wien

Die Bestimmung des „Durchschnitt­ fußes“ nach J. Kölbel, 1584 aus: J. Kölbel, Geometrey 1608, S. 4

Der Däne Tycho Brahe (1546-1601) widmete sein Leben der Vermessung von Sternpositionen. Zu seiner Zeit waren immer noch in kaum abgewandelter Form die von den Arabern überlieferten und verbesserten griechischen Beobachtungsinstrumente in Gebrauch. Peter Apian (1495-1552) hatte sie um einen neuen Höhen-Quadranten vermehrt und benützte Blendglä­ ser zur Beobachtung von Sonnenfinsternissen. Brahe entwickelte in seiner Werkstatt auf der Insel Hven in der Sternwarte Uraniborg verbesserte Fertigungs­ methoden für die überlieferten Instrumententypen und versah diese mit neuen Visiereinrichtungen. Er erzielte damit so genaue Meßergebnisse wie keiner vor ihm. Sein Assistent Johannes Kepler (1551-1630) konnte später auf Grund dieser Daten die berühmten drei Ge­ setze über die Planetenbahnen entdecken. Astronomie und Meßwesen waren damals enger verbunden, als uns das aus heutiger Sicht erscheint. Die Hersteller von Meßinstrumenten, gleich für welche Zwecke, schufen sich auch eigene Normale, so gut es ihre Qualifikationen zuließen. Zu jener Zeit gab es noch keine Spezialisierung einer Werkstatt auf bestimmte Meßinstrumentengruppen. Und Kepler bewies, daß auch die ersten Männer der Wissenschaft diese Trennung nicht kannten. Im Jahr 1627, als er die

Rudolphinischen Tafeln herausgab, ließ er für die Stadt Ulm die dort gültigen Maße in einem berühmten Kup­ ferkessel zusammenfassen. Das Maßgefäß trägt die Aufschrift: „Zween Schuch mein Tief, Ein Elin mein Quer, / ein gerechter Aymer macht mich leer, / dann sind mir viert­ halb Zentner blieben. / Voll Donauwasser wieg ich sie­ ben / Doch lieber mich mit Kernen eich / und 64 Mal abstreich / So bistu Neunzig Ime reich. / Gos mich Hans Braun 1627.“ Zehn Jahre zuvor, 1617, hatte Willebrord Snellius (1580-1626) den Meridianbogen zwischen Alkmaar und Bergen op Zoom erstmals durch Triangulierung mit 33 Dreiecken bestimmt. Der Tod hinderte ihn an dem Nachweis, ob sein Verfahren besser gewesen wäre als das von J. Fernei im Jahre 1528 angewen­ dete. Neue Meßverfahren

Bis um 1600 war die Zahl der Meßverfahren über­ schaubar: Volumenmessung durch Hohlmaße, Massen­ vergleich mit der Balkenwaage, Längen- und Winkel­ messung mit geraden oder kreisförmigen Maßstäben, Zeitmessung durch Sternbeobachtung, Sonnen-, Was­

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ser- und Räderuhren. Diese Klassen von Meßinstru­ menten erfuhren mannigfache Verbesserungen, wurden mit mathematischen Hilfslinien versehen, nach 1600 sogar mit optischen Hilfsmitteln ausgestattet. Die Meß­ genauigkeit stieg, die Funktion blieb unverändert. Selbst heute staunen wir, wieviele Präzisionsmeßgeräte von Feinmechanik, Optik und Elektronik sich als Zeit-, Win­ kel- oder Streckenmeßgerät erweisen. Die Renaissance hatte die Blicke der Menschen auf das Diesseits gelenkt. Die Natur rückte mehr und mehr in das Zentrum des Interesses. Erste Schritte auf dem Weg zu den exakten Naturwissenschaften wur­ den gewagt. Dazu bedurfte es auch neuer Werkzeuge. Das Menschenauge vermochte nicht deutlich, nicht weit und nicht detailliert genug zu sehen. Der mensch­ liche Körper konnte den Druck, die Wärme, das Gewicht der Gegenstände nicht mit der notwendigen Genauigkeit erfassen. Der menschliche Geist konnte Raum, Zeit, Menge, Qualität nicht messen, ohne seine Subjektivität mit den Tatsachen zu vermischen. Bekannte physikalische Größen mußten deshalb durch ein geeignetes Meßverfahren definiert werden. Was not tat, um die aufkeimende Neugier des Men­ schen zu befriedigen, waren Mikroskope, Teleskope, Thermometer, Barometer, Hygrometer, auch bessere Uhren und Waagen. All das wurde im 17. Jahrhundert geschaffen. So gesellten sich zu den verbesserten klassischen Gewichts-, Längen-, Winkel- und Zeitmeß­ geräten neue Meßgeräte. Entscheidenden Anstoß im Meßinstrumentenbau gab die Erfindung optischer Hilfsmittel. Kurz nach 1600 - über den genauen Zeitpunkt herrscht keine Klarheit - hielten Fernrohr und Mikroskop Einzug. Beide etwas zweifelhaft den holländischen Brillenmachern Jan Lipperhey (gest. 1608) bzw. Hans Markus (gest. 1592) und Zacharias Janssen (um 1588-1632) zugeschrie­ ben, öffneten Tore zu neuen Erkenntnissen. Zu diesem Zeitpunkt gingen Optik und Feinmechanik im Meßin­ strumentenbau ihre unauflösliche Verbindung ein. Anfangs war man vielfach der Überzeugung, daß das im großen wie im kleinen neu Wahrgenommene eine Gaukelei des Instrumentes sei, der man nicht trauen dürfe. Verhinderte oder verfälschte nicht das zwischen die Wirklichkeit und das Auge geschobene Gerät das Erkennen der Welt? Galileo Galilei (1564-1642) erhielt Kenntnis von den neuen „Fern-Röhren“ und experimentierte

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ORTHOÖ PRAECIPVAE

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oben Tycho Brahes Sternwarte Uraniborg auf der Insel Hven. Dort entwickelte er die damals genauesten Winkelmeßinstru­ mente. Kupferstich aus: T. Brahe, Astronomiae instauratae Mechanica, Wandsbeck 1602

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sogleich mit Linsenkombinationen. Ein erstes, von ihm vermutlich unabhängig von den Holländern 1609 gebautes Teleskop veräußerte er an den veneziani­ schen Dogen für militärische und nautische Zwecke. Objektiv und Okular bestanden aus je einer Linse. Diese Konstruktion und die Qualität der Linsen ließen eine brauchbare Vergrößerung nur zwischen den Fak­ toren 10 und 30 zu. Trotz der erheblichen Färb- und sphärischen Abbil­ dungsfehler gelangen Galilei in kurzer Zeit am Himmel Entdeckungen, die das geozentrische Weltbild endgül­ tig erschütterten. Er beobachtete die Jupitermonde und erkannte Jupiter und seine Monde als Planetensy­ stem im kleinen. Seine Beobachtungen, veröffentlicht im „Sidereus Nuncius“, wurden ihm kaum abgenom­ men. Dabei spielte eine Rolle, daß die Teleskope so schlecht waren, daß die Jupitermonde wohl nur mit viel gutem Willen zu erkennen waren. Nichtsdestoweniger

rechts: Erster Quadrant von T. Brahe aus dem Jahr 1573 . Kupferstich aus: T. Brahe, Astonomiae instauratae Mechanica, Wandsbeck 1602

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wurde Galilei ein Verfechter des kopernikanischen Systems. Er versuchte, die Kurie mit dem gebotenen Respekt von der Richtigkeit des neuen Weltbildes zu überzeugen. Damit geriet er in den Jahren 1615/16 und 1633 wegen „Rechthaberei“ vor die Inquisition, sein Werk bis 1835 auf den Index, und nur sein Men­ tor, Ferdinando II. (1610-1670), der Großherzog der Toskana, bewahrte ihn 1633 vor Schlimmerem. Auch für Maß und Messen hatte Galilei Bedeuten­ des geleistet. Schon vor 1585 hatte er in Pisa der Zeit­ messung einen neuen Weg gewiesen: Er fand - mit seinem Puls als Stoppuhr - daß die Schwingungs­ dauer eines Pendels ohne Ansehen der Schwin­ gungsweite nur von der Länge des Pendels abhängt. Später gab er die mathematische Gleichung zur Berechnung der Schwingungsdauer an. Er hatte ein verhältnismäßig leicht zu reproduzierendes Zeitnor­ mal entdeckt. Gegen 1603 erfand Galilei einen ersten, noch unzulänglichen „Wärme-Seher“, den Vorläufer des Thermometers. Dieser wurde von der „Accademia del Cimento“, der Akademie des Experimentes, um 1660 zum ersten Weingeist-Thermometer verbessert. Fixpunkte einer Temperaturskala waren noch unbe­ kannt. Als mittlere Temperatur diente diejenige in tie­ fen Kellern, was zwar keinen festen Standard, aber doch die kaum schwankende mittlere Jahrestempera­ tur eines Ortes darstellte. Tiefere Temperaturen gab das Thermometer in Graden der Kälte, darüberlie­ gende in Graden der Wärme an. Die „Accademia del Cimento“ war 1657 durch Gali­ leis Schüler, darunter Großherzog Ferdinando II., in Florenz gegründet worden. Die Mitglieder setzten sich als Ziel, die Natur messend zu erforschen. Der Akade­ mie war zwar kein langes Leben beschieden - sie löste sich 1667 auf - doch bildete sie den Keim, der überall in Europa gleichgesinnte gelehrte Vereinigungen ent­ stehen ließ. Die berühmteste unter ihnen, die „Royal Society“ in London, entstand 1660, die „Academie Royale des Sciences“ in Paris 1666. Ein Schüler Galileis, Evangelista Torricelli (16081647) erfand den ersten Druckmesser, das Barometer. Sein Name ist uns durch die Abkürzung „Torr“ bekannt, die als Einheit des Druckes bis zur Einführung des internatinalen Einheitensystems diente. Der französi­ sche Mathematiker Blaise Pascal (1623-1662) bestätigte Torricellis Arbeit und machte 1648 auf dem Puy de Dome mit einem Quecksilber-Barometer erste 32

Höhenmessungen. Sein Name verdrängte den von Torricelli. Im Sl trägt die Einheit des Druckes den Namen „Pascal“. In Holland zeigte Christiaan Huygens (1629-1695) zur nämlichen Zeit nicht nur seine Begabung für Mathematik und Naturforschung, sondern verbesserte oben Galilei wies mit seiner Idee, ein Pendel zum Zeiteinteilen zu verwenden, der Zeitmessung neue Wege. Pendel mit Zähl­ werk nach Galilei, Zeichnung von Viviani um 1640. Hier aus : Galilei, Opere, Vol 19, 1907, S. 656

rechts Thermometer der Accademia del Cimento, Firenze, 1650 Nachbildung aus den Sammlungen des Deutschen Mu­ seums, München

die Luftpumpe und erfand 1656 die Pendeluhr erneut, nachdem Galileis Idee des Zeitmessers in Vergessen­ heit geraten war. Huygens gelang es auf jeden Fall, mit der Federunruh und einer brauchbaren Uhr die Rich­ tigkeit seiner Gedanken zu beweisen. Inzwischen hatte Isaac Newton (1643-1727) der „Royal Society“ in London zu Ruhm und Ansehen ver­ holten. 1666 entdeckte er das Grundgesetz zwischen Kraft, Masse und Beschleunigung. Zwei Jahre später machte er seinen Namen mit der Veröffentlichung der „Philosphiae naturalis Principia mathematica“ unsterb­ lich und sich selbst zum unumschränkt und willkürlich herrschenden Diktator des „Royal Society“. Der Chemiker Robert Boyle (1627-1691) legte gegen 1661 das Fundament zu der Sl-Definition der Stoffmenge. Er behauptete, daß ein chemisches Ele­ ment aus nicht weiter zerlegbaren gleichen Objekten zusammengesetzt sei. Aus verschiedenen chemi­ schen „Atomen“ könnten die unterschiedlichen Stoffe zusammengesetzt werden. Boyles Assistent, Robert Hooke (1635-1703), vermutete, daß Wärme ein Maß für die Schwingbewegungen dieser chemischen „Atome“ sei und schlug im gleichen Jahr den Gefrier­ punkt des Wassers als Festpunkt des Thermometers vor. Noch im selben Jahr wollte der englische Astro­ nom, Baumeister und Mitglied der „Royal Society“, Christopher Wren (1632-1723), die Länge eines HalbSekundenpendels als verbindliches Normalmaß einge­ führt wissen. Mit dem Neubau der St.-Pauls-Cathedral setzte sich Wren ein noch heute sichtbares Denkmal. Drei Jahre später, 1664, machte Huygens einen ähnlichen Vorschlag. Er hatte allerdings ein Drittel der Länge des Sekundenpendels als allgemeingültiges Längennormal auserkoren. Weder Wren noch Huy­ gens ahnten zu diesem Zeitpunkt, daß die geringfügig von Ort zu Ort veränderliche Gravitationskraft der Erde ihre Idee eines überall leicht zu bauenden Längennor­ mals entwertete. Die winzigen Unterschiede in der Schwingungsdauer zweier gleicher Pendel an ver­ schiedenen Orten, Paris und Cayenne (Südamerika), fand 1672 Jean Richer. In Cayenne mußte das Pendel um 11/4 französische Linien gekürzt werden, um etwa während eines astronomisch zu messenden Sterntags - mit dem Pariser Pendel die gleiche Zahl an Schwingungen aufzuweisen. Richers Entdeckung rief zunächst den Wider­ spruch namhafter Gelehrter hervor, zeigte aber

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schließlich, daß die Erde keine ideale Kugelgestalt besitzt. Damit hatte Richer nicht nur die Hoffnung Wrens und Huygens zunichte gemacht, sondern auch die schöne Idee des französischen Vikars Gabriel Mouton (1618-1694) in Frage gestellt. Mouton hatte 1670 vorgeschlagen, die Länge einer Winkelminute des Meridianbogens bei kugelförmiger Erdgestalt als Normalmaß „Milliare“ mit dezimaler Teilung zu bestim­ men. Erstmals taucht hier die Idee des späteren metri­ schen Systems auf. Doch noch war es nicht so weit. Bereits ein Jahr zuvor, 1669, hatte der Sonnenkö­ nig Louis XIV. (1638-1715) seine Weitsicht bewiesen, als er Guilleaume Amontons (1663-1705), Jean Picard (1620-1682) und C. Huygens den Auftrag erteilte, einen Meridianbogen zwischen Sourdan bei Amiens und Malvoisine bei Paris möglichst genau zu vermes­ sen. Wegen des Holländischen Krieges (1672-1679) konnte Huygens an dem Vorhaben nicht mehr teilneh­ men. Doch die von Picard in den Jahren 1669/70 durchgeführten und 1682 veröffentlichen Messungen lieferten mit einem neuen Erdumfang eine glänzende Bestätigung von Newtons Gravitationsgesetz. Das ebenfalls vom französischen König 1669 den drei Gelehrten vorgeschlagene Unterfangen, ein neues Maßsystem, mit dem Sekundenpendel zu Paris als Längengrundlage zu entwickeln, fiel den kriegerischen Auseinandersetzungen Frankreichs mit Holland zum Opfer. Auch die Welt des Kleinen begann damals große Neugier zu erregen. Robert Hooke, bereits genanntes Mitglied der „Royal Society“, benutzte ein aus Objektiv und Okularlinse zusammengesetztes Mikroskop und

veröffentlichte im Jahr 1667 seine Entdeckungen in der „Micrographia“. Die „Micrographia“ leistete für die Welt des Kleinen das gleiche wie Galileis „Sidereus Nuncius“ für die Welt des Großen. Allerdings waren die damaligen Mikroskope nicht annähernd so gut wie die heutigen. Farben- und Abbildungsfehler, schlechte Linsen, einfa­ che Objektive und Okulare ließen keine hohen Ver­ größerungen zu. Dies demonstrierte der Delfter Antony van Leeuwenhoek (1632- 1723), als er mit einem ein­ fachen „Mikroskop“, also mit nur einer einzigen Linse, mehr entdeckte als Hooke mit seinem zusammenge­ setzten. Leeuwenhoek fand die Blutzirkulation in Froschfüßen, untersuchte Gehirn und Auge mikrosko­ pisch und beschrieb als erster die Spermatozoen. Die Leistung des Holländers bestand aber nicht nur in der Beobachtung, sondern auch in der erstmaligen Ver­ messung dieser Objekte. In den Briefen an die „Royal Society“ berichtete er, ein grobes Sandkorn habe ein Durchmesser von V30 Inch, ein feines einen von 1/so bis 1/iooo Inch. Er bemerkte, daß 20 Haare aus seiner Perücke in V30 Inch passen, was Experten heute ver­ muten läßt, er habe eine Perücke aus der Wolle der Angoraziege getragen. Leeuwenhoek schrieb weiter, daß das Auge einer Laus zwischen V50 und 1/4oo Inch mißt. Ein rotes Blutkörperchen sei 25 OOOmal kleiner als ein feines Sandkorn und alle Blutkörperchen, die unser Blut rot färben, seien so klein, daß 100 hintereinandergelegt nicht den Durchmesser eines großen Sandkorns ergeben. Die einfachen Mikroskope fanden in der gelehrten Laienwelt und den Salons der Reichen großen Anklang. Es galt als schick, die Plagegeister,

C. Huygens entwickelte einen neuen Taktgeber für Uhren. Entwurf der Federunruhe von 1675. Aus seinen Oeuvres Complètes. Foto Deutsches Museum, München

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die sich meist flink unter Perücken, Reifröcken und anderen Kleidungsstücken verbargen, ganz aus der Nähe zu betrachten. Trotz der in unseren Augen unzulänglichen opti­ schen Instrumente jener Zeit bestimmte Giovanni Dominique Cassini (1625-1712) im Jahr 1663 die Rotationsperioden - also die Tagelängen von Jupiter und Mars. Ole Römer (1644-1710) beobachtete die Jupitermonde und ihre Eintrittszeiten in den Planeten­ schatten, um eine Navigationstabelle für die Seefahrer aufzustellen, und entdeckte dabei, daß sich Licht mit einer zwar sehr großen, aber endlichen Geschwindig­ keit ausbreitet. Cassini bestimmte nicht nur die Tageslängen von Jupiter und Mars, sondern begann 1683 auch eine erneute Meridianmessung von der Nordgrenze Frank­ reichs durch Paris bis zu den Pyrenäen. Erst sein Sohn Jacques Cassini (1677-1756) beendete die Messun­ gen 1730. Er schlug vor, als Einheit der Länge den 6000sten Teil der Erdmeridianquadranten zu nehmen, was heute einer Länge von 1,85185 Meter entspräche. Um die Wende zum 18. Jahrhundert machte noch einmal G. Amontons von sich reden. Er führte ein Luft­ thermometer ein, bei dem sich die Grad-Einteilung auf Festpunkte bezog. Hierfür versuchte er zum ersten Mal, den absoluten Nullpunkt zu berechnen. Mit-273,2 Grad Celsius gelangte er zu einem sehr guten Ergebnis. Erst 1718 stellte Gabriel Daniel Fahrenheit (1686-1736) aus Danzig das erste brauchbare Quecksilber-Thermometer her. Es wies 212 Grade auf. Der Nullpunkt lag bei der im Winter 1709 in Danzig gemessenen Temperatur (ent­ spricht -17,5’ C), der Eispunkt bei 32° Fahrenheit. Die „Royal Society“ ehrte Fahrenheit 1724 mit ihrer Mit­ gliedschaft. Die neuen Möglichkeiten zur Temperatur­ messung reizten zu intensiver Beschäftigung mit dem Wetter. Eingehende Wetterbeobachtungen, Feuchtig­ keitsmessungen und Messungen des Erdmagnetfeldes waren die Folge. 1742 schlug der schwedische Astronom Anders Celsius (1701-1744) vor, die hundertteilige Thermo­ meterskala, eigenartigerweise mit dem Eispunkt des Wassers bei 100“ C und den Siedepunkt bei 0" C, zu verwenden. Der Entdecker der Systematik im Reich der Lebewesen, Carl Linné (1707-1778), behielt die Teilung bei, vertauschte aber die Fixpunkte. Seitdem ist die Celsiusskala das gebräuchliche Maß, Tempera­ turen zu messen.

Der Wahlspruch der „Royal Society“ - „Nullius in Verba“ - drückte die Haltung der Zeit aus. „Glaube nie­ mand aufs Wort, sieh selber nach“ hieß: Mache Expe­ rimente, mache Messungen. Die Sprache der Wissen­ schaft mußte einfach, präzise und möglichst internatio­ nal sein. Die Mitglieder der Gesellschaft verpflichteten sich, jedes Experiment, von dem sie Kenntnis erlang­ ten, unter „eigene Berührung und Betrachtung“ zu brin­ gen. Ihr Grundsatz war: jedes Experiment mußte von einem der Mitglieder wiederholt werden. Der Mangel an solcher Überprüfung hatte frühere Untersuchungen vielfach unbrauchbar gemacht. Damit ungenaue Erfah­ rung überall zum exakten Experiment werden konnte, mußte eine allgemeingültige Sprache des Rechnens und des Messens geschaffen werden.

Großer Messing-Sextant von Hevelius. Um jene Zeit waren astronomische Meßgeräte mit Linsenfernrohren solchen ohne diese Hilfe noch nicht überlegen. Kupferstich aus: Hevelius, Machina coelestis, Paris, 1673

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oben Beispiel aus J.A, Nollet „Vorlesungen über die ExperimentalNaturlehre“ 1751. Von links nach rechts sind Thermometer dargestellt mit den Inschriften „Florence“, „Amontons“, „Drebbel“. Der Text dazu lautet: „Dieses so berühmte und nützliche Instrument, dessen sich auch Archimedes nicht zu schämen hätte, haben wir zuerst aus den Händen eines Bauern, namens Drebbel in Nordholland erhalten.“ Dieses Thermo­ meter hatte jedoch viele Fehler und setzte sich deshalb nicht durch. Kupferstich aus Nollets Werk

unten Messing-Meßplatte von Brander & Höschel, Augsburg, um 1780. Sie enthält 68 verschiedene Fußlängen. Der Maßstab war von der Bayerischen Akademie in Auftrag gegeben wor­ den. Original Deutsches Museum München.

rechts 1764 ermöglicht das Chronometer endlich die genaue Zeitbe­ stimmung auf See. Der Engländer John Harrison baut die ersten Schiffschronometer, die äußerst genau und von der Bewegung des Schiffes unbeeinflußt funktionieren. National Maritime Museum, Greenwich









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