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German Pages 300 [301] Year 2010
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 86
Demographischer Wandel und kommunale Selbstverwaltung Von Hendrik Bednarz
A Duncker & Humblot · Berlin
HENDRIK BEDNARZ
Demographischer Wandel und kommunale Selbstverwaltung
Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit M a r t i n H e c k e l, K a r l - H e r m a n n K ä s t n e r F e r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t M a r t i n N e t t e s h e i m, T h o m a s O p p e r m a n n G ü n t e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t Michael Ronellenfitsch, Christian Seiler sämtlich in Tübingen
Band 86
Demographischer Wandel und kommunale Selbstverwaltung Von Hendrik Bednarz
A Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2009 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 978-3-428-13333-8 (Print) ISBN 978-3-428-53333-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-83333-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 * ∞
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2009 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Martin Nettesheim. Er hat die Arbeit von der ersten Idee bis zu ihrer Drucklegung mit großem Engagement und Interesse begleitet. Seine wertvollen Anregungen und Hinweise waren mir stets hilfreich. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und freundliche Hinweise danke ich Frau Prof. Dr. Barbara Remmert. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum danke ich für die Aufnahme in diese Schriftenreihe. Die Arbeit wäre in dieser Form nicht möglich gewesen ohne die umfassende Unterstützung durch die Graduiertenförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch hierfür bedanke ich mich herzlich. Außerdem bedanke ich mich bei der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, Hamburg, für die großzügige Förderung anlässlich der Veröffentlichung dieser Arbeit. Für überaus hilfreiche Einblicke in die kommunale Praxis danke ich dem Landkreis Reutlingen. Besonderer Dank gilt dabei Herrn Ordnungsdezernent Dr. Claudius Müller. Die Gespräche mit ihm bildeten eine wichtige Flankierung meiner wissenschaftlichen Arbeit. Ebenfalls wertvolle Eindrücke aus der kommunalen Praxis boten mir die Schilderungen von Herrn Städtetagspräsident Oberbürgermeister Ivo Gönner, Herrn Prof. Eberhard Trumpp sowie Herrn Steffen Möhrs. Für ihre Bereitschaft dazu bedanke ich mich herzlich. Zusammenfassungen der Gespräche, die ich mit ihnen führen konnte, finden sich im Anhang zu dieser Arbeit. Mein herzlicher Dank gilt ferner meiner Familie. Meinen Eltern, Lothar und Roswitha Bednarz, und meiner Schwester Ute verdanke ich viel mehr als die erfolgreiche Bewältigung der Mühen einer Promotion. Ihre bedingungslose Unterstützung begleitet mich in allen Lebenslagen. Besonders wertvoll waren die steten Ermutigungen und Bestärkungen durch meine liebe Eva. Tübingen, im März 2010
Hendrik Bednarz
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung
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A. Der demographische Wandel im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dimensionen und Ausmaße des demographischen Wandels . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mögliche künftige Entwicklung nach der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Annahmen der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergebnisse der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung . . 3. Räumliche Ausdifferenzierung des demographischen Wandels . . . . . . . II. Szenario des demographischen Wandels im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die juristische Aufarbeitung des demographischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . I. Alternsgerechte Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Generationengerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kommunalwissenschaftliche Beiträge der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . .
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C. Demographischer Wandel: Herausforderung für die kommunale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 2 Fragestellung und Gang der Untersuchung A. Untersuchungsgegenstand und -methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangspunkt: Kommunaler Wettbewerb um Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . 1. Wettbewerb als Mittel zur Erreichung einer effizienten Güterallokation 2. Verhältnis von Wettbewerb und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatlicher Zwang und bürgerliche Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wettbewerb innerhalb des Staatsgefüges? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kommunen im Wettbewerb um Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die ökonomische Theorie des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstandsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundannahmen der ökonomischen Theorie des Rechts: Das ökonomische Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 3. Ökonomische Theorie des Rechts und kommunale Selbstverwaltung . .
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B. Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 3 Die kommunale Aufgabenstruktur
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A. Aufgabenstruktur der Städte und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Freie bzw. freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weisungsfreie Pflichtaufgaben bzw. pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben III. Pflichtaufgaben nach Weisung bzw. Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Monistisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dualistisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Kreisaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Selbstverwaltungsaufgaben (Aufgaben des eigenen Wirkungskreises) . . . . 1. Übergemeindliche Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Originäre Kreisaufgaben (Existenzaufgaben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kreisintegrale Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergänzungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausgleichsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatliche Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 4 Die kommunale Einnahmebeschaffung im Lichte des Verfassungsrechts
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A. Städte und Gemeinden im föderalen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Finanzverfassung nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Anforderungen an kommunale Abgabenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ertragshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verwaltungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die Bestandteile der kommunalen Finanzhoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgabenhoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgabenhoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Haushalts- und Planungshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Kommunale Finanzquellen und ihre Funktionsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Originäre Ertragskompetenzen aus Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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1. Gemeindeanteil an der Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufkommen aus den Realsteuern: Gewerbesteuer und Grundsteuer . . . a) Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatliche Zuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kommunaler Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Finanzausgleichsmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vollziehung: Schlüssel-, Bedarfs- und Zweckzuweisungen . . . . (a) Schlüsselzuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bedarfszuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zweckzuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erstattung für vom Bund veranlasste Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sonderlastenausgleich, § 106 VIII GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgaben für Geldleistungsgesetze des Bundes, Art. 104a III GG . . 3. Investitionshilfen, Art. 104b (Art. 104a IV a. F.) GG . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gebühren und Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Andere Einnahmequellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirtschaftliche Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Public Private Partnership . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kreditfinanzierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kreditfinanzierung i. S. d. Gemeindehaushaltsverordnungen . . . . . . . . . . a) Kreditaufnahme als Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Zulässigkeit von Kreditaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kassenkredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 5 Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden unter den Bedingungen des demographischen Wandels A. Ausgangspunkt: Konjunkturelle und ökonomisch-strukturelle Faktoren werden durch bevölkerungsstrukturelle Veränderungen überlagert . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kommunale Einnahmesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis II. Die Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schuldenstand und Finanzierungssalden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schuldenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung der Finanzierungssalden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderrolle der Kassenkredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausblick: Mögliche Folgen der Finanzkrise aus Sicht von Städten und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Effekte des demographischen Wandels auf die Einnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einnahmeverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Steuereinnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mögliche Grenzen für Gebührenerhöhungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fazit: Einnahmeausfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuweisungen der Länder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kreditfinanzierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Produktivitätszuwächse bewirken langfristiges Wachstum . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung: Bevölkerungsverluste & Einnahmen . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Effekte des demographischen Wandels auf die Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Netzinfrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Direkte Kosten des demographischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Indirekte Kosten des demographischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Punktinfrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sozialausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung: Bevölkerungsverluste & Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Auswirkungen des demographischen Wandels: Einnahmen-Ausgaben-Saldo und Problemidentifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Saldo aus Einnahmen und Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Probleme in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kostenremanenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ruinöser Wettbewerb um Einwohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wachsende Disparitäten zwischen finanzstarken und -schwachen Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassende Thesen: Zur kommunalen Finanzsituation unter den Vorzeichen des demographischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 6 Indizierte kommunalpolitische Reaktionsstrategien zur Bewältigung der demographischen Herausforderungen A. Offensive und defensive Instrumente kombinieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Defensiv: Angebote der Nachfrage anpassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Offensiv: Attraktivität schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Zukunftsprozesse initiieren, wo herkömmliche Ansätze versagen . . . . . . . . . . . . 100 C. Passgenaue, integrierte Konzepte entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Kapitel 7 Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff A. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ausgestaltungsbefugnis der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und ihre Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesensgehaltsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorrangige Zuständigkeit der Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Versuch der juristischen Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung . . I. Anspruch einer angemessenen Finanzausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Versuch der Bezifferung einer demographischen Grenzbelastung . . . . . . . . 1. Stand der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des Thüringischen Verfassungsgerichtshofs . . . . . . b) Die „Neulietzegöricke“-Entscheidung des Brandenburgischen Verfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Landesverfassungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern . . d) Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . (1) Erste Phase: Mitte der 1980er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zweite Phase: Neuere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sächsischer Verfassungsgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zusammenfassender Überblick: Zwei Lager in der Rechtsprechung (1) Das kommunenfreundliche Lager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das landesfreundliche Lager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwischenüberlegung zu den Möglichkeiten der Gerichte und des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Versuche der juristischen Konkretisierung einer kommunalen Mindestfinanzausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 4. Kritik an einer numerischen Festschreibung der freien Spitze . . . . . . . . . 121 5. Zwischenfazit: Demographische Grenzbelastung als Frühwarnsystem . . 122
C. Indirekte Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Ausgabenseite: Ruinösen Wettbewerb um Einwohner vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Bedeutung des interkommunalen Wettbewerbs vor dem Hintergrund der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Bedeutung des interkommunalen Wettbewerbs . . . . . . . 2. Kriterien für einen ruinösen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Möglichst breite und ausgeglichene Risikostreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Folgelastenproblematik nicht verschleiern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124 125 125 125 125 126
D. Kriterien für ein demographietaugliches kommunales Finanzsystem . . . . . . . . . 126
Kapitel 8 Auswirkungen eines überdurchschnittlichen Bevölkerungsrückgangs gemessen am Maßstab der demographischen Grenzbelastung A. Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliche Überlegungen zur freien Spitze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwei mögliche Ansätze zu einem Erkenntnisgewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechnerischer Grundansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mikrobetrachtungsweise: Gemeindespezifischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . 3. Makrobetrachtungsweise: Modellhafter Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stärken-Schwächen-Analyse beider Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vorgehen im Hinblick auf die aufgeworfene Fragestellung . . . . . . . . . . . III. Erfassung der Ausgaben für Pflichtaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Benennung relevanter demographischer Veränderungsprozesse . . . . . . . . . . 1. Gedanklicher Ausgangspunkt: Altersspezifische Nachfragestruktur . . . a) Kleinkinder und junge Menschen im bildungsrelevanten Alter . . . . b) Menschen im Erwerbsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ältere Menschen im Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bevölkerungsstrukturelle Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mittelbarer Einfluss des demographischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bereits gefasste (teilweise) demographisch motivierte politische Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben unter den Bedingungen des demographischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ausgabenstruktur heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Altersgruppenspezifische Kostenanteile für Pflichtaufgaben . . . . . . . . . 2. Die freie Spitze heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Altersspezifischer Gesamtausgabenanteil nach Aufgabenbereichen . . .
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Inhaltsverzeichnis
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II. Bevölkerungsstrukturelle Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rein rechnerische Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Korrekturfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sozialleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Krankenhauswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Städteplanung, Bauordnung, Vermessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Straßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Abwasser- und Abfallentsorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Weitere Aufgabenbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Stärkere Einnahmeausfälle für stark schrumpfende Gemeinden . . . . III. Mittelbarer Einfluss des demographischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Demographisch motivierte politische Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144 144 147 147 148 148 148 149 149 149 149 150 150
C. Fazit: Die freie Spitze schrumpft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Kapitel 9 Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
156
A. Potentielle Demographieuntauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Autonomiegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgabenintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Intensität des demographischen Faktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156 156 157 157 159
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundansätze für Reformmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Veränderung der ausgabenrelevanten gesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . 2. Lockerung gesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufgabenentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Im Fokus: Mehr Autonomie wagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diskussionszyklen um kommunale Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Problemspezifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ursachen der Normdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Folgen der Standarddichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkret: Normdichte im Rahmen der kommunalen Sozialhilfeaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kommunale Zuständigkeit für die Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis (2) Anteil der Entscheidungen mit Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung . . . . . (c) Hilfen zur Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Hilfe zur Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Eingliederungshilfe für behinderte Menschen . . . . . . . . . . . . (f) Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überlegungen zur Rückführung kommunaler Standards bei der Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zum Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rückführung kommunaler Standards im Bereich der Sozialhilfe ändert faktisch wenig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Im Fokus: Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung durch Aufgabenentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorprüfung: Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . 2. Wesensgehaltsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gründe des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Teilergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168 168 169 169 169 169 170 170 170 171 172 173 173 174 174 176
C. Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Kapitel 10 Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze zur Erreichung einer effizienteren Aufgabenerledigung
178
A. Allgemeine Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 I. Ausgangspunkt: Verengung des finanziellen kommunalen Handlungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 II. Voraussetzung jeder Reformstrategie: Neue Handlungsspielräume für die Kommunen und demokratische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 B. Strategie: Vergrößerung kommunaler Gebietskörperschaften und Kommunalisierung von Staatsaufgaben – Demographietauglichkeit aktueller Verwaltungsreformvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundansätze aktueller Reformvorhaben am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionalreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Territorialreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufgabenkommunalisierung und Schaffung größerer Verwaltungseinheiten unter Effizienzaspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179 180 180 180 181
Inhaltsverzeichnis
17
1. Funktionalreformansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Territorialreformansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Optimale Betriebsgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anforderungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie . . . . . . III. Fazit zur Demographietauglichkeit aktueller Verwaltungsreformstrategien 1. Der Gesetzentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Urteil des Landesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überlegungen nach dem Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Strategie: Privatisierung öffentlicher Aufgaben durch die Kommunen . . . . . . . . I. Neues ordnungspolitisches Grundverständnis: Vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Folgen der Privatisierung eines Aufgabenbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Öffentliche Aufgaben als Privatisierungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . b) Aufgabenverantwortung und Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organisationsprivatisierung (formelle Privatisierung) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktionale Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Speziell: Public Private Partnership . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufgabenprivatisierung (materielle Privatisierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Privatisierungsmaßnahmen zugängliche Aufgabenbereiche . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit zur Demographietauglichkeit einer Privatisierungsstrategie . . . . . . . .
189
D. Strategie: Interkommunale Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interkommunale Kooperation als vermeintliches Allheilmittel . . . . . . . . . . . II. Demographietauglichkeit interkommunaler Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kommunale Handlungsspielräume und demokratische Beteiligung . . . 2. Interdisziplinarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bestandsaufnahme: Interkommunale Kooperation im Rahmen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Typen interkommunaler Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweckverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Freiverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Pflichtverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Öffentlich-rechtliche Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Delegierende Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mandatierende Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verwaltungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Stadt-Umland-Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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198 198 199 199 200 201 201 202 203 203 203 204
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Inhaltsverzeichnis f) Höhere Kommunalverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematisierungsversuch der Typen interkommunaler Zusammenarbeit nach Aufgabenbestand und dem Grad rechtlicher Verselbständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung einer Kooperationstypenmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematisierung der Kooperationstypen anhand der Kooperationstypenmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Kehrseite interkommunaler Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einschränkung kommunaler Selbstverwaltungsbefugnisse . . . . . . . . . . . 2. Aufgabe von Wettbewerbsvorteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit zur Demographietauglichkeit interkommunaler Kooperation . . . . . . . 1. Kommunale Handlungsspielräume und demokratische Teilhabe . . . . . . a) Interkommunale Kooperation nicht in jedem Fall demographietauglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Demokratische Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verfassungsrechtliche Anforderungen: Demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kommunale Integrationsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Speziell: Formen direkter Bürgerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interdisziplinarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Maxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Territorial- und Funktionalreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Privatisierungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Interkommunale Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weiterer Forschungsbedarf: Flexibilität als Leitmotiv umsetzen . . . . . . . . . 1. Optimale Betriebsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Funktion der Landkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
206
207 207 207 209 209 210 211 211 211 211 211 212 212 213 213 213 213 214 214 215 215 215 216 216
Kapitel 11 Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems im Lichte bestehender Anreizmechanismen A. Parameter zur Bestimmung potentieller Demographieuntauglichkeit . . . . . . . . . I. Demographisch-funktionale Betrachtung: Intensität des demographischen Faktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufkommensstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Autonomiegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218 218 219 219 219
B. Potentielle Demographieuntauglichkeit der kommunalen Einnahmequellen . . . 220
Inhaltsverzeichnis
19
I. Intensität des demographischen Faktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufkommensstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatliche Zuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gebühren und Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassende Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Autonomiegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatliche Zuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Originäre Steuerertragskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere originäre Einnahmequellen: Entgelteinnahmen . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
220 222 222 223 224 224 224 224 225 226 226
C. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundansätze für Reformmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Risiken als Preis für die kommunale Selbstverwaltung akzeptieren . . . 2. Ausfallrisiken auf mehrere Säulen verteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Passgenaue Lösungsstrategien ermöglichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kommunale Mindestfinanzausstattung sichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Im Fokus: Risikoverteilung optimieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verteilungsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewichtung der Steuereinnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umsatzsteueranteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Im Fokus: Mehr Autonomie wagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehende Gestaltungsspielräume ausbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Gestaltungsspielräume erschließen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuweisungspraxis i. R. d. kommunalen Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . IV. Im Fokus: Reform des kommunalen Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodik der Ermittlung des kommunalen Finanzbedarfs . . . . . . . . . . . 2. Kostenverteilung nach Gemeindegrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Möglichkeiten einer demographietauglicheren Bedarfsermittlung . . . . . a) Die fiskalische Funktion sicherstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ausgangsfeststellung: Einwohnerzahl als unverzichtbarer Indikator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Umgang mit Kleingemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Diseconomies of scale in Großstädten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
227 227 227 228 229 229 229 230 230 231 231 232 233 233 234 234 234 235 235 236 236 237 239 239 239 239 240
20
Inhaltsverzeichnis b) Die allokative Funktion sicherstellen: Ausgleich zentral-örtlich bedingter Sonderbedarfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ausgangsfeststellung: Die Einwohnerveredelung als praktikables Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Möglichkeiten zur Reduktion des demographischen Faktors . . . (3) Exkurs: Grundlinien eines neuen Zentrale-Orte-Ansatzes . . . . . c) Zusammenfassung: Der neue kommunale Finanzausgleich . . . . . . .
240 240 241 242 243
D. Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Kapitel 12 Gesamtfazit zur Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung
245
A. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 B. Weiterer Forschungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ständiges Demographie-Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mikrobetrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Optimale Größe von Verwaltungseinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
247 247 247 248
C. Endergebnis: Partielle Demographieuntauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
Anhang Daten und Gesprächsnotizen Anhang I: Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung in Deutschland . . . . . . . . . . . 251 Anhang II: Expertengespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Eine Zusammenlegung von Kommunen erscheint unvermeidlich . . . . . . . . B. Kommunen stehen im Wettbewerb um Attraktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Pirna geht es derzeit relativ gut – die Zukunft erscheint ungewiss . . . . . . .
255 255 257 259
Anhang III: Projekt: Demographie im Landkreis Reutlingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Anhang IV: Die kommunale Einnahmesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Anhang V: Material zur Abschätzung von Ausgabenszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
296
Abkürzungsverzeichnis a. a. O. Abs. AcP a. E. a. F. AnwBl. AO APuZ Art. Az. BAFöG BauGB Bay BayVBl. BbG BBR Bd. BGB BGBl. BIP BT BVerfG BVerfGE BVerwG BW BWGZ bzw. ca. ders. DfK d.h. dies. DIfU DÖV DS DVBl. ebd.
am angegebenen Ort Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Anwaltsblatt Abgabenordnung Aus Politik und Zeitgeschichte Artikel Aktenzeichen Bundesausbildungsförderungsgesetz Baugesetzbuch Bayern/bayerisch Bayerische Verwaltungsblätter Brandenburg/brandenburgisch Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bruttoinlandsprodukt Bundestag Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Baden-Württemberg Baden-Württembergische Gemeindezeitung beziehungsweise circa derselbe Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften das heißt dieselbe Deutsches Institut für Urbanistik Die Öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt ebenda
22 EStärkG EStG f. FAG ff. Fn. GBl. GebG gem. GemO GewArch GewStDVO GewStG GG GKZ GrStG GVOBl. Hess h. M. Hrsg. HS i. H. v. i. R. d. i. R. v. i. S. d. JuS JZ KAG KommZG KStG KStZ KWI LKV LV LV BW LVerfG m. E. Mrd. M.-V. m.w. N. Nds. NJW NVwZ
Abkürzungsverzeichnis Erstes Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung Einkommensteuergesetz folgende Finanzausgleichgesetz fortfolgende Fußnote Gesetzblatt Gebührengesetz gemäß Gemeindeordnung Gewerbearchiv Gewerbesteuergesetzdurchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Gesetz über kommunale Zusammenarbeit Grundsteuergesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Hessen/hessischer/hessisches/hessische herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in Höhe von im Rahmen des/der/dessen im Rahmen von im Sinne des Juristische Schulung Juristenzeitung Kommunalabgabengesetz Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit Körperschaftssteuergesetz Kommunale Steuerzeitschrift Kommunalwissenschaftliches Institut der Universität Potsdam Landes- und Kommunalverwaltung Landesverfassung Verfassung des Landes Baden-Württemberg Landesverfassungsgericht meines Erachtens Milliarden Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen Niedersachsen/niedersächsisch Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
Abkürzungsverzeichnis NVwZ-RR NW NZA o.Ä. o. g. ÖPP OVG PPP Rn. RP s. S. saarl. SaarVerf sächs. SachsAnh SächsVBl. SchlH SchulG SGB s. o. sog. StGH StrG St. Rspr. Thür ThürVBl. u. a. u.Ä. usw. v. a. VBlBW VerfG VerfGH VerwArch VGH vgl. WG z. B. ZG
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht oder Ähnlichem oben genannte/oben genannter Öffentlich Private Partnerschaft Oberverwaltungsgericht Public Private Partnership Randnummer Rheinland-Pfalz sehen Sie Seite/Satz saarländisch Verfassung des Saarlandes sächsisch Sachsen-Anhalt Sächsische Verwaltungsblätter Schleswig-Holstein Schulgesetz Sozialgesetzbuch siehe oben so genannt Staatsgerichtshof Straßengesetz ständige Rechtsprechung Thüringen/thüringisch Thüringer Verwaltungsblätter und andere/unter anderem und Ähnliche(s) und so weiter vor allem Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verfassungsgericht Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof vergleichen Sie Wassergesetz zum Beispiel Zeitschrift für Gesetzgebung
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Kapitel 1
Einführung Öffentlichkeitswirksam wurde der demographische Wandel bislang vor allem in seinen Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme diskutiert. Aber auch die kommunale Selbstverwaltung steht durch ihn vor zusätzlichen Herausforderungen:1 War sie bislang bereits durch Globalisierung, europäische Integration sowie Qualitäts- und Finanzierungsprobleme vielfältig bedroht,2 kommen nun gravierende bevölkerungsstrukturelle Veränderungen hinzu.3
A. Der demographische Wandel im Raum I. Dimensionen und Ausmaße des demographischen Wandels 1. Die Ausgangssituation Bereits seit Beginn der 1970er Jahre ist die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland dadurch gekennzeichnet, dass die Zahl der Lebendgeburten nicht mehr ausreicht, um die Sterbefälle auszugleichen und so die Bevölkerungszahlen stabil zu halten. Dazu wäre es notwendig, dass jede Frau statistisch gesehen mindestens 2,1 Kinder gebären würde. Im Jahre 2007 lag die Geburtenziffer allerdings bei lediglich 1,37 Geburten pro Frau, nach 1,33 im Jahre 2006 und 1,34 im Jahr zuvor.4 Konnte die natürliche Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahre 2002 noch weitgehend durch Zuwanderung kompensiert werden, ist auch dies seit 2003 nicht mehr möglich, sodass seither die Bevölkerungszahlen rückläufig sind.5 Die stetig steigende Lebenserwartung verbunden mit den niedrigen Gebur1 Vgl. exemplarisch Müller: Demographischer Wandel und die Folgen für die Städte – Einführung und Übersicht, in: DfK 43 (2004) 1, S. 5 ff. 2 Püttner: Die Zukunft der Kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, in: Gedächtnisschrift für Joachim Burmeister, S. 304; Wollmann: Is Germany’s Traditional Type of Local Self-Government Being Phased out? in: DfK (english Version) 41 (2002) 1. 3 Beetz: Ländliche Politik im demographischen Wandel, in: APuZ 21–22/2006, S. 27. 4 Vgl. dazu die Angaben des Statistischen Bundesamtes: http://www.destatis.de/jet speed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Bevoelkerung/Geburten Sterbefaelle/Tabellen/Content50/GeburtenZiffer,templateId=renderPrint.psml. 5 Sommer: Der demographische Wandel in den nächsten Jahrzehnten, in: Höhn/Dorbritz (Hrsg.), Demographischer Wandel – Wandel der Demographie, S. 275 f.
26
Kap. 1: Einführung
tenraten bewirkt schließlich, dass nicht nur ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen ist, sondern wesentliches Merkmal des demographischen Wandels auch eine deutliche Bevölkerungsalterung ist.6 2. Mögliche künftige Entwicklung nach der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung Fundierte Schätzungen über die künftige Bevölkerungsentwicklung liefert die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes7. Deren Erkenntnisse bilden die Grundlage des vorliegenden Beitrags. a) Die Annahmen der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung Bevölkerungsvorausberechnungen können immer nur Schätzungen darstellen. Denn niemand kann mit Sicherheit sagen, wie sich die für die Bevölkerungsentwicklung maßgebenden Basiskomponenten der Geburtenhäufigkeit, der Lebenserwartung und des Zuwanderungssaldos tatsächlich genau entwickeln werden. Diesbezüglich kann immer nur mit Annahmen gearbeitet werden, deren Rahmen von den derzeit vorgefundenen Bedingungen geprägt wird. Entsprechend werden von der 11. koordinierten Bevölkerungsberechnung 12 Szenarien entwickelt. Die Prognose für eine mittlere Bevölkerungsentwicklung beruht auf der Annahme, dass die zusammengefasste Geburtenziffer annähernd konstant bei etwa 1,4 verharrt und außerdem die Lebenserwartung im Jahre 2050 Neugeborener (lediglich) auf 83,5 Jahre (männlich) bzw. 88 Jahre (weiblich) ansteigen wird.8 Das Szenario „Mittlere Bevölkerung Untergrenze“ (1-W1) geht dabei von einem jährlichen Wanderungssaldo von 100.000 Menschen aus, wohingegen das Szenario „Mittlere Bevölkerung Obergrenze“ (1-W2) insoweit von 200.000 Menschen ausgeht. b) Ergebnisse der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung Die beiden o. g. Szenarien sind als Minimum bzw. Maximum einer mittleren Bevölkerungsentwicklung zu verstehen. Für die i. R. dieser Arbeit angestellten 6 BBR (Hrsg.): Raumordnungsbericht 2005, S. 29. Durch Zuwanderung aus dem Ausland kommt es zudem zu verstärkter Internationalisierung der Bevölkerung. 7 Statistisches Bundesamt: Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – Presseexemplar (Internetquelle: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/ Preese/pk/2006/Bevoelkerungsentwicklung/bevoelkerungsprojektion2050,property=file. pdf); außerdem Statistisches Bundesamt: 11. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung – Annahmen und Ergebnisse (Download: https://www-ec.destatis.de/csp/shop/ stg/vollanzeige.csp?ID=1019439). 8 Zum Vergleich: Heute Neugeborene haben eine Lebenserwartung von etwa 76 Jahren (männlich) bzw. knapp 82 Jahren (weiblich), vgl. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2007, S. 690.
A. Der demographische Wandel im Raum
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Berechnungen wurden daher die Mittelwerte beider Szenarien gewählt.9 Hiernach werden im Jahre 2030 in Deutschland noch 76,978 Mio. Menschen leben; im Jahre 2050 werden dies sogar nur noch 71,415 Mio. Menschen sein. Im Vergleich zum Basisjahr 2005 entspricht dies einem Bevölkerungsrückgang von 5,462 bzw. 11,025 Mio. Menschen oder 6,63 bzw. 13,37%. Betrug der Anteil der über 65-Jährigen im Jahre 2005 noch 19,26% und der der über 80-Jährigen 4,47%, werden diese Werte im Jahre 2030 28,82 bzw. 8,2% betragen, um weitere 20 Jahre später auf 32,45 bzw. 14,12% anzusteigen.10 3. Räumliche Ausdifferenzierung des demographischen Wandels Seit Mitte der 1990er-Jahre sind neben einzelnen westdeutschen Regionen vor allem Gebiete in den ostdeutschen Bundesländern von Bevölkerungsrückgang betroffen.11 In Westdeutschland herrscht gleichzeitig bis heute ein Trend zur Dekonzentration vor, der sich wahrscheinlich auch noch einige Zeit fortsetzen wird und der eine Erstarkung des ländlichen und verstädterten Raums im Verhältnis zu Ballungsräumen bewirkt. Gleichzeitig verursacht die so genannte Suburbanisierung kleinräumige Wanderungsbewegungen aus den Metropolen zugunsten deren Umlands.12 Ab dem Zeitraum 2015/2020 schließlich wird es auch in den westdeutschen Bundesländern in sämtlichen Raumkategorien zu Bevölkerungsrückgang kommen. Zuvor wird sich der demographische Wandel bereits durch eine deutliche Alterung der Bevölkerung bemerkbar gemacht haben13. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass der demographische Wandel nicht homogen auftritt. Vielmehr bewirken interne Wanderungsbewegungen eine kleinräumige
9 Dies ist möglich, da diese Mittlere Variante Mittelwert (eigene Bezeichnung) sich von den beiden anderen genannten Varianten lediglich hinsichtlich des – konstanten – Zuwanderungssaldos unterscheiden; der Mittleren Variante Mittelwert liegt also eine Zuwanderungskonstante von 150.000 Zuzügen pro Jahr zu Grunde. 10 Eine ausführliche tabellarische Aufarbeitung der Ergebnisse der beiden Szenarien der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung findet sich im Anhang; auch in bisherigen Wachstumsregionen wird der demographische Wandel immer stärker um sich greifen, vgl. speziell für Baden-Württemberg Dürr: Die demographische Entwicklung schafft dringenden Handlungsbedarf, in: Die Gemeinde 2009, S. 584 ff. 11 Flöthmann/Tovote/Schleifnecker: Ein Blick in die Zukunft: Deutschlands Kommunen im Wettbewerb um Einwohner, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 13. 12 Mäding: Demographische Trends in Deutschland: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, in: Dick/Mäding (Hrsg.), Bevölkerungsschwund und Zuwanderungsdruck in den Regionen, Münster 2002, S. 37; Müller/Siedentop: Wachstum und Schrumpfung in Deutschland – Trends, Perspektiven und Herausforderungen für die räumliche Planung und Entwicklung, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 14 ff. 13 Sarcinelli/Stopper: Demographischer Wandel und Kommunalpolitik, in: APuZ 21– 22/2006, S. 5.
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Kap. 1: Einführung
Ausdifferenzierung der beschriebenen Effekte.14 Bevölkerungswachstum und -schrumpfung liegen bereits heute räumlich eng nebeneinander. Dies wird sich künftig noch verstärken:15 Es wird Bereiche mit einem Bevölkerungswachstum von bis zu 15 Prozent geben und solche, die um bis zu 40 Prozent schrumpfen werden. Zugleich sind hinsichtlich der Geschwindigkeit des Alterungsprozesses regional und kommunal große Unterschiede festzustellen.16 Dabei wird der demographische Wandel mittel- und langfristig bewirken, dass bestehende Diskrepanzen zwischen wachsenden und schrumpfenden Gebieten stärker werden. Zudem wird die Zahl wachsender Kommunen sinken, während es künftig mehr schrumpfende Gebiete geben wird.17 So werden bis zum Jahre 2020 verglichen mit dem Jahre 2003 etwa 60 Prozent aller Landkreise und kreisfreien Städte weniger Einwohner aufweisen als heute.18 Die Bertelsmann Stiftung konnte durch ein Prognosemodell für sämtliche Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern eine passgenaue Bevölkerungsprognose erstellen. Auf Grundlage dieser Prognose und unter Berücksichtigung bestimmter weiterer Rahmenbedingungen konnte sie eine Typisierung der Gemeinden vornehmen. Dabei bestimmte sie insgesamt 15 Demographie-Typen, die durch jeweils ähnliche strukturelle Merkmale und infolgedessen durch ähnliche Herausforderungen gekennzeichnet sind.19 II. Szenario des demographischen Wandels im Raum Findet keine kommunalpolitische Reaktion auf diese bevölkerungsstrukturellen Veränderungen statt, wird sich eine Spiralreaktion in Gang setzen, in deren Konsequenz eine Vielzahl von Gemeinden existenziell bedroht wäre, möglicherweise
14 Meier: Der demographische Wandel: Strategische Handlungsnotwendigkeit und Chance für die Kommunen, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 7; BBR (Hrsg.), Raumordnungsbericht 2005, S. 35 f. 15 Beetz: Ländliche Politik im demographischen Wandel, in: APuZ 21–22/2006, S. 26 f.; Flöthmann/Tovote/Schleifnecker: Ein Blick in die Zukunft: Deutschlands Kommunen im Wettbewerb um Einwohner, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 13; BBR (Hrsg.), Raumordnungsbericht 2005, S. 30; Müller/Siedentop: Wachstum und Schrumpfung in Deutschland – Trends, Perspektiven und Herausforderungen für die räumliche Planung und Entwicklung, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 24. 16 Flöthmann/Tovote/Schleifnecker: Ein Blick in die Zukunft: Deutschlands Kommunen im Wettbewerb um Einwohner, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 16 ff.; BBR (Hrsg.): Raumordnungsbericht 2005, S. 35 ff. 17 BBR (Hrsg.): Raumordnungsbericht 2005, S. 32 ff. 18 Flöthmann/Tovote/Schleifnecker: Ein Blick in die Zukunft: Deutschlands Kommunen im Wettbewerb um Einwohner, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 16. 19 Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 21 ff.
A. Der demographische Wandel im Raum
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ganze Landstriche entvölkert werden könnten. Die Folgen der beschriebenen Veränderungen sind vielfältig und können im Folgenden daher nur skizzenhaft genannt werden: Durch den Rückgang der Bevölkerung kommt es zu Zersiedelungsprozessen, die mit der Entleerung der Ortskerne einhergehen. Dort wird alte Bausubstanz zunehmend verfallen. Denn obwohl weniger Fläche für Siedlungs- und Verkehrszwecke benötigt wird und die Nachfrage privater Haushalte sich entsprechend verhält, stellen Städte und Gemeinden immer neues, meist billiges Bauland zur Verfügung. Anstatt sich in regionaler Abstimmung mit anderen Kommunen im Bestand zu entwickeln, begeben sie sich in einen ruinösen interkommunalen Wettbewerb um Einwohner.20 Analog wird der Kapazitätsbedarf etwa für technische Infrastruktur der Verund Entsorgung aber auch für Schulen und andere öffentliche Einrichtungen zurückgehen. Fände kein der Bevölkerungsschrumpfung proportionaler Rückbau statt, würde dies konstante Fixkosten bedeuten, die von weniger Nutzern getragen werden müssen.21 Das Leben in der betroffenen Gemeinde wird für die verbliebenen Einwohner demnach zunehmend teurer.22 Die Folge hiervon werden weitere Abwanderungen sein, die das beschriebene Szenario weiter verstärken werden.23 In der Konsequenz könnte es Gemeinden geben, die regelrecht in ihrer Existenz bedroht sein werden: „Wenn sich niedrige Geburtenraten und Wanderungsverluste zu einem extremen Bevölkerungsrückgang addieren, wenn zudem junge und aktive Bevölkerungsgruppen bevorzugt abwandern, wenn städtebauliche Strukturen rasch zerfallen, Infrastrukturen nicht mehr finanzierbar sind, Funktionen verloren gehen und negative individuelle Wahrnehmungen zur Passivität der Menschen führen, dann verdichten sich die Probleme in der Tat zu einer Gefahr des ,Ausblutens‘.“24 20 Müller: Zukunftsorientierte Stadt- und Regionalentwicklung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 11. 21 Müller: Zukunftsorientierte Stadt- und Regionalentwicklung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 14; vgl. zudem Koziol, der direkte Kosten und Folgekosten von Infrastrukturrückbaumaßnahmen im Rahmen unterschiedlicher Strategien städtebaulichen Rückbaus aufzeigt in: Koziol, Folgen des demographischen Wandels für die kommunale Infrastruktur, in: DfK 43 (2004) 1, S. 76 ff. 22 Müller/Siedentop: Wachstum und Schrumpfung in Deutschland – Trends, Perspektiven und Herausforderungen für die räumliche Planung und Entwicklung, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 26. 23 Sarcinelli/Stopper: Demographischer Wandel und Kommunalpolitik, in: APuZ 21– 22/2006, S. 7; Müller/Siedentop: Wachstum und Schrumpfung in Deutschland – Trends, Perspektiven und Herausforderungen für die räumliche Planung und Entwicklung, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 26. 24 Bose/Wirth: Gesundschrumpfen oder Ausbluten? in: APuZ 21–22/2006, S. 21.
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Kap. 1: Einführung
B. Die juristische Aufarbeitung des demographischen Wandels Die juristische Aufarbeitung des demographischen Wandels befindet sich noch in einem Frühstadium. Diskussionsschwerpunkte drehen sich um Fragen einer alternsgerechten Gesellschaft und solche der Generationengerechtigkeit. Dabei werden teilweise erste Bezugspunkte zur entsprechenden kommunalwissenschaftlichen Diskussion hergestellt. Letztere Entwicklung wird durch einige städtebaurechtliche Beiträge ergänzt. I. Alternsgerechte Gesellschaft Dem Themenkreis um die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer und damit der Frage nach einer alternsgerechten Arbeitswelt widmete sich kürzlich der 67. Deutsche Juristentag.25 Anlass dieser Diskussion ist der Widerspruch zwischen dem Erfordernis einer längeren Lebensarbeitszeit vor dem Hintergrund der Finanzierungsschwierigkeiten i. R. d. gesetzlichen Rentenversicherung einerseits und dem Trend einer möglichst frühen Verrentung älterer Menschen andererseits.26 Preis kommt in seinem Gutachten dabei zur Schlussfolgerung, dass sämtliche Arbeitnehmerschutzvorschriften auf mögliche kontraproduktive Wirkungen hin zu überprüfen seien. Ziel müsse ein diskriminierungsfreies, liberales und soziales Arbeits- und Sozialversicherungsrecht sein.27 Ähnliche Ansätze analysieren Hemmnisse und Fehlanreize, die das Arbeits- und Sozialrecht hinsichtlich der Nachfrage von Unternehmen nach älteren Arbeitnehmern einerseits sowie der Bereitschaft älterer Menschen, länger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, andererseits bietet.28 Ein anderer Diskussionspunkt betrifft die alternsgerechte Fortentwicklung der Rechtsgeschäftslehre. Hauptansatzpunkte stellen dabei der Kontrollmaßstab der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB), die Einführung von Informationspflichten i. R. d. Abschlusses bei besonders bedeutsamen Rechtsgeschäften sowie die Inhaltskontrolle von Alltagsgeschäften i. S. d. § 105a BGB dar. Schließlich werden ausge-
25 26
Preis: Alternde Arbeitswelt – Gutachten B zum 67. Deutschen Juristentag 2008. Preis: Alternde Arbeitswelt – Gutachten B zum 67. Deutschen Juristentag 2008,
S. 9. 27 Preis: Alternde Arbeitswelt – Gutachten B zum 67. Deutschen Juristentag 2008, S. 117; einen Überblick über die auf dem 67. Deutschen Juristentag zu diesem Thema geführte Diskussion vermittelt Kothe: Alternde Arbeitswelt – Folgen für das Arbeitsund Sozialrecht, in: AnwBl. 2008, S. 575 ff.; vgl. außerdem Giesen: Die „alternde Arbeitswelt“ vor arbeits- und sozialrechtlichen Herausforderungen, in: NZA 2008, S. 905 ff. 28 Dies ist der Ansatz von Löwisch/Caspers/Neumann: Beschäftigung und demographischer Wandel.
B. Die juristische Aufarbeitung des demographischen Wandels
31
hend von den Überlegungen zu Schutzmöglichkeiten Hochbetagter Schlussfolgerungen zugunsten der Stärkung der Autonomie Minderjähriger abgeleitet.29 II. Generationengerechtigkeit Mit dem Thema Demographischer Wandel und Generationengerechtigkeit beschäftigte sich jüngst die 68. Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer.30 Schwerpunkte dieses Fragekreises bilden neben der Frage der verfassungsrechtlichen Verortung des Prinzips der Generationengerechtigkeit v. a. sozialrechtliche Überlegungen. Dabei stehen Probleme und alternative Gestaltungsmöglichkeiten der Alterssicherung31 und der Gesundheitsversorgung32 im Vordergrund. In engem Zusammenhang mit der Frage der Generationengerechtigkeit steht dabei einerseits die Frage der Familiengerechtigkeit33, welches im Recht der Alterssicherung zu verorten ist, und andererseits das Effizienzgebot insbesondere i. R. d. Gesundheitsversorgung.34 Generationengerechtigkeit misst sich am Prinzip der Nachhaltigkeit.35 Verfassungsrechtlich findet letzteres allerdings hauptsächlich in seiner ökologischen Dimension über Art. 20a GG Berücksichtigung. I.Ü. können Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit verfassungsrechtlich nur eingeschränkt gewährleistet werden.36 Vor diesem Hintergrund ist ein im November 2006 beim Deutschen Bundestag eingebrachter Gesetzentwurf zur Verankerung einer Staatszielbestimmung „Generationengerechtigkeitsprinzip“ in einem neu zu schaffenden Art. 20b GG zu verstehen.37
29 Roth: Die Rechtsgeschäftslehre im demographischen Wandel, in: AcP 2008, S. 451 ff. 30 s. dazu die Berichte von Kluth und Baer in: Erosion von Verfassungsvoraussetzungen, S. 246 ff. und S. 290 ff. 31 Vgl. dazu Kluth: Demographischer Wandel und Generationengerechtigkeit – 1. Bericht, in: Erosion von Verfassungsvoraussetzungen, S. 253 ff.; in Anlehnung an die Diskussion auf der 68. Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Schuler-Harms: Demographischer Wandel und Generationengerechtigkeit, in: DVBl. 2008, S. 1090 ff. 32 Kluth: Demographischer Wandel und Generationengerechtigkeit – 1. Bericht, in: Erosion von Verfassungsvoraussetzungen, S. 270 ff. 33 Im Zusammenhang mit familienpolitischen Erwägungen stehen auch Überlegungen zur Einführung eines Wahlrechts von Geburt an, vgl. dazu jüngst Rolfsen: Eine Stimme für die Zukunft? in: DÖV 2009, S. 348 ff. 34 Kluth: Demographischer Wandel und Generationengerechtigkeit – 1. Bericht, in: Erosion von Verfassungsvoraussetzungen, S. 282. 35 Zum Begriff der Nachhaltigkeit etwa Kahl: Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, in: ders. (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 1 ff. 36 Vgl. dazu ausführlich etwa Kahl: Staatsziel Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit, in: DÖV 2009, S. 2 ff. m.w. N. 37 BT-DS 16/3399.
32
Kap. 1: Einführung
III. Kommunalwissenschaftliche Beiträge der Rechtswissenschaft Erst allmählich beginnt die Rechtswissenschaft die Herausforderungen des demographischen Wandels im kommunalen Kontext auch als ihre Aufgabe zu begreifen. Waren es bislang hauptsächlich raum- und finanzwissenschaftliche Beiträge, die die kommunalwissenschaftliche Diskussion prägten, wird nunmehr zunehmend auch die juristische Dimension aufgegriffen.38 Dabei konzentrierte sich die Diskussion bislang hauptsächlich auf das Städtebaurecht.39 Ein politisches Zwischenergebnis stellt insoweit teilweise die Ergänzung durch das Europarechtsanpassungsgesetz Bau vom 30. Juni 200440 dar, als mit den §§ 171a ff. BauGB Normen zum Stadtumbau und zur Sozialen Stadt eingefügt wurden.41 Nunmehr wird die Diskussion um Fragen der Generationengerechtigkeit im Hinblick auf die Infrastrukturversorgung erweitert. In engem Zusammenhang dazu steht die Fragestellung: Lässt sich die grundgesetzlich verbürgte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse angesichts teilweise massiver Bevölkerungsrückgänge noch verwirklichen?42
C. Demographischer Wandel: Herausforderung für die kommunale Selbstverwaltung „Der demographische Wandel verlangt in vielen Bereichen die Umorganisation und Umsteuerung komplexer Abläufe in Staat und Gesellschaft und kann aus diesem Grunde nur in enger interdisziplinärer Kooperation bewältigt werden. Die Wissenschaft vom öffentlichen Recht kann und muss dazu ihren Beitrag leisten.“43
Die vorliegende Arbeit will einen solchen Beitrag im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung leisten. Das geltende Recht stellt für die Bewältigung des demographischen Wandels dabei nur einen äußeren Rahmen dar. Entsprechend groß ist der Gestaltungsspielraum der kommunalpolitischen Akteure.44 Von ih38 Vgl. etwa Kersten: Demographie als Verwaltungsaufgabe, in: Die Verwaltung 2007, S. 326 ff. 39 Etwa Schmidt-Eichstaedt: Schrumpfende Städte – Was bedeutet der Stadtumbau für das Städtebaurecht? in: Battis/Söfker/Stüer (Hrsg.), Nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung, S. 345 ff.; Kersten: Nachhaltigkeit und Städtebau, in: Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 416 ff.; Reschl: Demographischer Wandel und Stadtentwicklung, in: Maier/Hopp/Ziegler (Hrsg.), Mut zur Veränderung, S. 205 ff. 40 BGBl. 2004 I, S. 1359 ff. 41 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, Vorbemerkung zu den §§ 171a bis 171d, Rn. 1. 42 Kluth: Demographischer Wandel und Generationengerechtigkeit – 1. Bericht, in: Erosion von Verfassungsvoraussetzungen, S. 277 f. 43 Kluth: Demographischer Wandel und Generationengerechtigkeit – 1. Bericht, in: Erosion von Verfassungsvoraussetzungen, S. 252. 44 Vgl. den Diskussionsbeitrag von Bauer i. R. d. Aussprache anlässlich der 68. Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zum Beratungsgegenstand „De-
C. Herausforderung für die kommunale Selbstverwaltung
33
nen hängt es folglich maßgeblich ab, ob nachhaltige Lösungen auf die Herausforderungen des demographischen Wandels gefunden werden. Im Folgenden soll daher der Frage nach der Demographietauglichkeit dieses verwaltungsrechtlichen Rahmens nachgegangen werden: Ist dieser ein geeigneter Handlungsrahmen, der es ermöglicht, dass kommunalpolitische Verantwortungsträger zu angemessenen Lösungen gelangen können? Oder ist die kommunale Selbstverwaltung als Rechtsinstitution nicht mehr zukunftsfähig? Bevor genau herausgearbeitet werden kann, was Kriterien eines demographietauglichen verwaltungsrechtlichen Rahmens sind (Kapitel 7), sind zunächst einige methodische und sodann einige Vorüberlegungen dahingehend anzustellen, welche Auswirkungen die Kommunen durch den demographischen Wandel konkret zu erwarten haben werden, welche Herausforderungen es also zu meistern gilt (dazu Kapitel 6). Klar ist, dass entscheidender Bezugspunkt der zu findenden Kriterien die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG bzw. der entsprechenden Vorschriften in den Landesverfassungen ist. Es kann daher bereits festgestellt werden: Nur weil im Zuge des demographischen Wandels durch die Kommunen möglicherweise weniger Einnahmen erzielt und zugleich höhere Ausgaben getätigt werden (dazu Kapitel 5), bedeutet dies noch nicht zwangsläufig, dass damit auch der verwaltungsrechtliche Rahmen, innerhalb dessen sich die kommunale Selbstverwaltung abspielt, demographieuntauglich wäre. Denn letztlich geht es immer um politische Entscheidungen durch kommunale Verantwortungsträger vor Ort. Gegen mögliche Fehlentscheidungen durch diese können Recht und Gesetz oftmals nichts oder nur wenig ausrichten.
mographischer Wandel und Generationengerechtigkeit“ im Anschluss an die Berichte von Kluth und Baer, s. Tagungsband, S. 366.
Kapitel 2
Fragestellung und Gang der Untersuchung Bevor das weitere Vorgehen festgelegt werden kann, sind einige Überlegungen zur Beschaffenheit des zu untersuchenden Sachverhalts und der auf ihn anzuwendenden Methodik vorzunehmen.
A. Untersuchungsgegenstand und -methodik Der zu untersuchende Sachverhalt bedingt die Methodik, mit deren Hilfe aussagekräftige Erkenntnisse über ihn ermittelt werden können. Daher ist vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen der Gegenstand der vorzunehmenden Untersuchung etwas genauer zu spezifizieren. Anschließend ist zu überlegen, welche methodischen Instrumente Anwendung finden sollen. I. Ausgangspunkt: Kommunaler Wettbewerb um Ressourcen 1. Wettbewerb als Mittel zur Erreichung einer effizienten Güterallokation Wettbewerb als Funktionsbedingung des Marktes i. S. e. ökonomischen Ortes des Tausches45 bestimmt die Angebotsstruktur wirtschaftlicher Güter (was wird wie produziert?), die Nachfragestruktur (wer bekommt was?) und damit die Verteilung knapper Ressourcen. Grundlage des Wettbewerbs ist die individuelle Freiheit der Akteure. Letztere bestimmen über freiwillige Transaktionen auf dem Markt die Marktergebnisse in Form einer bestimmten Güterallokation. Damit ist Wettbewerb sowohl ein Prinzip der Individualfreiheit als auch der Sozialordnung.46 Schematisch ist der Markt als Plattform zu verstehen, auf der sämtliche individuelle Präferenzen i. S. potentieller Tauschangebote gegenübergestellt werden. Der Wettbewerb stellt dabei sicher, dass nur die jeweils höchste Präferenz tatsächlich Bestandteil eines Tauschgeschäfts wird. Durch eine so sichergestellte 45 Zum Begriff des Marktes ausführlich exemplarisch Albers u. a. (Hrsg.): Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. V, S. 105 ff. 46 Dazu Fezer: Verantwortete Marktwirtschaft, in: JZ 1990, 657, 659 f.
A. Untersuchungsgegenstand und -methodik
35
Orientierung der Ressourcenverteilung an den individuellen Präferenzen der Marktteilnehmer kann – theoretisch47 – Allokationseffizienz erreicht werden.48 Wettbewerb (im Markt) löst auf diese Weise zumindest drei Herausforderungen: Er nimmt das Selbstinteresse des homo oeconomicus auf und macht es für die Allgemeinheit nutzbar. Zugleich ist Wettbewerb insoweit ein Instrument der Machtbegrenzung, als Abhängigkeiten der Marktakteure gegenüber den jeweiligen Anbietern reduziert werden. Und schließlich stellt Wettbewerb eine Möglichkeit dar, wie das auf die Vielzahl der Akteure verteilte Wissen und deren Fähigkeiten best möglich genutzt werden können.49 2. Verhältnis von Wettbewerb und Staat a) Staatlicher Zwang und bürgerliche Freiheit Das prägende Element staatlichen Handelns ist das Hoheitsprinzip, welches durch hierarchische Ordnungsstrukturen geprägt ist. Staatlicher Hoheit steht die grundrechtlich geschützte Freiheit der Individuen gegenüber, die ihrerseits notwendige Grundvoraussetzung für Wettbewerb und damit auch für einen funktionierenden Markt ist.50 Dabei ist staatliche Hoheit durch das Monopol physischer Gewalt und durch Zwang gekennzeichnet; Wettbewerb ist demgegenüber durch Konkurrenz und Freiwilligkeit geprägt. Insofern ergeben sich prinzipielle Unterschiede. Zugleich ist jedoch staatliche Hoheit wichtige Voraussetzung zum Schutz bürgerlicher Freiheit und damit für privaten Wettbewerb. Umgekehrt muss sich staatliche Gewalt den Grundrechten unterordnen und ist zudem an bestimmte Verfahrens- und Zuständigkeitsregeln gebunden. Hoheit und Wettbewerb stehen sich folglich nicht unabhängig gegenüber, sondern sie bilden ein Spannungsverhältnis.51 47 Zu Funktionsdefiziten des Marktes s. Behrens: Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 130 ff.; außerdem Grzeszick: Hoheitskonzept – Wettbewerbskonzept, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV, § 78, S. 380 ff. 48 Behrens: Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 114 f.; Grzeszick: Hoheitskonzept – Wettbewerbskonzept, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV, § 78, S. 372, 374. 49 Vanberg: Wettbewerb in Markt und Politik, S. 11 f. 50 Grzeszick: Hoheitskonzept – Wettbewerbskonzept, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV, § 78, S. 368; vgl. umfassend zu gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen Behrens: Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 110 ff. 51 Ausführlich Grzeszick: Hoheitskonzept – Wettbewerbskonzept, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV, § 78, S. 377 ff.; Grzeszick arbeitet heraus, dass dieses Spannungsverhältnis letztlich Resultat der Dialektik der virtuellen Allzuständigkeit des Staates auf der einen (in Rechtsregeln eingebettete staatliche Freiheit, d.h. Souveränität) und derjenigen der grundrechtlich abgesicherten Freiheit des Individuums auf der anderen Seite (Einschränkung des freien Bürgers durch rechtmäßige staatliche Eingriffe) ist: ebd., S. 370 f.
36
Kap. 2: Fragestellung und Gang der Untersuchung
b) Wettbewerb innerhalb des Staatsgefüges? Vanberg umschreibt Wettbewerb umfassend als einen „Prozess, in dem verschiedene Parteien etwas zu erlangen versuchen, das alle besitzen wollen, aber nicht alle besitzen können.“52 Hieraus folgt, dass Wettbewerb logische und unabdingbare Folge von Knappheit ist und infolgedessen wiederum in sämtlichen Lebensbereichen auftreten kann, in denen mehr menschliche Bedürfnisse herrschen als erfüllbar sind. In diesen Fällen stellt sich nicht die Frage, ob Wettbewerb herrschen soll oder nicht. Denn Wettbewerb ist ein Faktum. Es stellt sich vielmehr die Frage, wie Wettbewerb ablaufen, welchen Regeln er unterworfen sein soll.53 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Wettbewerb nicht an den Markt als dem ökonomischen Ort des Tausches gebunden ist, sondern insbesondere auch im politischen Rahmen i. S. e. Wettbewerbs innerhalb bzw. um die Regierung und zwischen Regierungen stattfindet. Unter Letzterem ist der „Wettbewerb um Bürger, [. . .] [d.h.] um Ressourcen [zu verstehen], die Regierungen in Ihren Hoheitsbereich ziehen wollen.“54 3. Kommunen im Wettbewerb um Ressourcen Damit wird deutlich, dass auch kommunale Gebietskörperschaften untereinander im Wettbewerb stehen: Sie benötigen knappe Ressourcen (z. B. Finanzmittel, Potential bürgerschaftlich und ehrenamtlich Engagierter). Diese Ressourcen sind an Einwohner und an Unternehmen gekoppelt. Beide werden durch attraktive Standortbedingungen zum Zuzug bzw. zur Ansiedlung bewegt. Insoweit kann die kommunale Ebene bis zu einem gewissen Grade mit einem politischen Marktplatz verglichen werden: Städte und Gemeinden bieten Attraktivität; die in der Kommune lebenden Einwohner bieten dieser dafür im Gegenzug die mit ihnen verbunden Ressourcen. Der interkommunale Wettbewerb bietet ähnliche Vorteile wie der Wettbewerb im ökonomischen Sinne und ist damit grundsätzlich positiv zu bewerten: Kommunen folgen ihrem Anreiz, Einwohner anzusiedeln und schaffen dazu Standortbedingungen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren (müssen). Ob eine Kommune attraktiv ist, entscheidet jede Person für sich nach eigenen Kriterien. Attraktivität hat also viele Gesichter. Entsprechend kann ein Wettbewerb um Attraktivität Vielfalt sicherstellen. Zugleich kann ein so verstandener Wettbewerb ein wirksames Instrument demokratischer Machtbegrenzung sein,
52 53 54
Vanberg: Wettbewerb in Markt und Politik, S. 13. Vgl. Vanberg: Wettbewerb in Markt und Politik, S. 13. Vanberg: Wettbewerb in Markt und Politik, S. 23.
A. Untersuchungsgegenstand und -methodik
37
müssen sich doch kommunale Verantwortungsträger immer wieder aufs Neue fragen, ob sie noch attraktiv genug sind. Auf diese Weise ist eine am Bürger orientierte Politik gewährleistet. Der demographische Wandel stellt Kommunen insoweit vor Probleme, als er bewirkt, dass das knappe Gut Einwohner weiter verknappt wird. Die Wettbewerbsposition der Kommunen verschlechtert sich insoweit, als eine (zunächst) konstante Anzahl an Kommunen um weniger Einwohner werben muss. Im Gegenzug wird die Position der Bürger allerdings gestärkt. Denn die Kommunen müssen ihre Politik nun noch stärker an deren Bedürfnissen ausrichten, um für sie attraktiv zu sein. Welche Kommune attraktiv ist, lässt sich indes genauso wenig objektiv bestimmen wie das Allgemeinwohl.55 Denn Attraktivität ist Ausdruck der individuellen Lebenssituation und damit nur subjektiv zu bestimmen. Hieraus folgt, dass Attraktivität mehr ist als niedrige Baulandpreise oder Steuerhebesätze. Denn Attraktivität setzt ein komplexes System unterschiedlicher Standortbedingungen voraus.56 Die Situation schrumpfender Kommunen wird allerdings zusätzlich dadurch erschwert, dass sie ihren sinkenden Einwohnerzahlen entsprechend weniger Finanzmittel zur Verfügung haben, mit deren Hilfe sie Projekte zur Steigerung ihrer eigenen Attraktivität durchführen können. Kommunen stehen also nicht nur vor der Herausforderung insgesamt attraktiver werden zu müssen. Zusätzlich könnten sie real Handlungsspielräume einbüßen, die aber Grundvoraussetzung zur Schaffung attraktiver Bedingungen sind. Dies würde bedeuten, dass sie mit weniger Handlungsspielräumen mehr Attraktivität sicherstellen müssten. II. Der Untersuchungsgegenstand Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist der verwaltungs- und der finanzrechtliche Rahmen, der die kommunalen Handlungsspielräume absteckt. Es stellt sich die Frage, wie sich diese im Zuge der demographischen Veränderungen entwickeln werden. Dabei werden die direkten Folgen genauso zu analysieren sein wie die indirekten, durch Anreizwirkungen ausgelösten Effekte. So gilt es nicht zuletzt, mögliche Ursachen für einen ruinösen Wettbewerb um Einwohner zu identifizieren. Anhand einer positiven Analyse des Rechtsrahmens sollen Aussagen über dessen Demographietauglichkeit im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung getroffen und normativ Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
55 Vgl. zu dieser Parallelproblematik Isensee: Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV, § 71, S. 37 f., 54 ff. 56 Insoweit stellt Gönner richtig fest, dass Attraktivität aus einem „Gesamtmix unterschiedlicher Faktoren“ entstehe: s. Gesprächsnotiz im Anhang.
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Kap. 2: Fragestellung und Gang der Untersuchung
III. Die ökonomische Theorie des Rechts Die Parallelen zwischen kommunalem und ökonomischem Wettbewerb legen entsprechende methodische Konsequenzen nahe. Diese kann die ökonomische Theorie des Rechts liefern.57 1. Gegenstandsbereich I. R. d. ökonomischen Theorie des Rechts wird das wirtschaftswissenschaftliche Instrumentarium auf rechtliche Fragestellungen angewandt. Es werden Wahlentscheidungen von Akteuren untersucht, die diese unter Kosten- und Nutzenaspekten fällen. Die ökonomische Theorie des Rechts übernimmt die Herangehensweise der Wirtschaftswissenschaft und untersucht den Einfluss der Veränderung einer bestimmten Variablen auf das Entscheidungsverhalten der Akteure unter sonst konstanten Bedingungen. Diese Entscheidungen werden innerhalb eines bestimmten Handlungsfelds getroffen, welches insbesondere durch rechtliche Regelungen abgesteckt wird. Recht wirkt dabei einerseits restriktiv, schafft andererseits aber auch Anreize.58 2. Grundannahmen der ökonomischen Theorie des Rechts: Das ökonomische Paradigma Der Ansatz der Ökonomik59 als Methode der Beschreibung menschlichen Verhaltens außerhalb makro- oder mikroökonomischer Zusammenhänge wird durch das sog. ökonomische Paradigma geprägt, welches folglich auch der ökonomischen Theorie des Rechts zugrunde liegt. Ausgangspunkt des ökonomischen Paradigmas ist der homo oeconomicus, der unter Bedingungen der Ressourcenknappheit optimale Entscheidungen trifft:60 – Die Annahme der Ressourcenknappheit betrifft das Verhältnis zwischen den zur Erfüllung menschlicher Bedürfnisse notwendigen materiellen und immate-
57 Dieser Begriff geht auf Kirchner zurück: Ökonomische Theorie des Rechts; andere sprechen insoweit von der ökonomischen Analyse des Rechts, etwa Schäfer/Ott: Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, die zurückgeht auf Posner: Economic Analysis of Law. 58 Kirchner: Ökonomische Theorie des Rechts, S. 7 f.; van Aaken: Vom Nutzen der ökonomischen Theorie für das öffentliche Recht: Methode und Anwendungsmöglichkeiten, in: Bungenberg u. a. (Hrsg.), Recht und Ökonomik, S. 5. 59 Zum Begriff der Ökonomik vgl. van Aaken: Vom Nutzen der ökonomischen Theorie für das öffentliche Recht: Methode und Anwendungsmöglichkeiten, in: Bungenberg u. a. (Hrsg.), Recht und Ökonomik, S. 1, Fn. 2. 60 Kirchner: Ökonomische Theorie des Rechts, S. 12; ausführlich und grundlegend Kirchgässner: Homo oeconomicus, S. 12 ff.
A. Untersuchungsgegenstand und -methodik
39
riellen Gütern zu den tatsächlich zur Verfügung stehenden entsprechenden Gütern. Ressourcenknappheit ist also relativ zu verstehen.61 – Die heuristische Annahme, der Mensch handle rational und eigennützig, wobei sich Eigennützigkeit auch auf gute Taten beziehen kann. Gemäß dem Erwartungsnutzentheorem wählt der Mensch unter mehreren Alternativen daher diejenige aus, die ihm als am meisten Nutzen bringend erscheint. Die Rationalitätsannahme ist allerdings insoweit einzuschränken, als in der modernen Wissensgesellschaft nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein Individuum über sämtliches Wissen der Menschheit verfügt. Denn angesichts teilweise immenser Informationskosten wäre es nicht rational, sich vollständig zu informieren. Rationalität bedeutet also, dass ein Individuum systematisch auf Veränderungen der Rahmenbedingungen, innerhalb derer es handelt, reagiert.62 – Die Anwendung des methodologischen Individualismus’, der Kollektiventscheidungen als das Ergebnis der jeweils individuellen Entscheidungen der im betreffenden Kollektiv rational und egoistisch handelnden Akteure begreift; der methodologische Individualismus geht daher von der Annahme aus, es gebe kein Verhalten von Institutionen, sondern es gebe nur ein Verhalten von innerhalb dieser Institutionen tätigen Individuen.63 – Die Anwendung eines normativen Individualismus’ ist nicht notwendiger Teil des ökonomischen Paradigmas und konkurriert mit utilitaristischen Ansätzen in der Ökonomik. Er beinhaltet die Aussage, wonach Staatsziele und -aufgaben nur unter Rückgriff auf die jeweils individuellen Präferenzen der Gesellschaftsmitglieder bestimmt werden dürfen, die selbst am besten wissen, was gut für sie ist. Der normative Individualismus betrifft demnach die demokratische Legitimation von Kollektiventscheidungen.64
61 Kirchner: Ökonomische Theorie des Rechts, S. 12 f.; Mathis: Effizienz statt Gerechtigkeit?, S. 22. 62 Kirchner: Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13 ff.; Schäfer/Ott: Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 58 ff.; umfassend zur Annahme der vollkommenen individuellen Rationalität der neoklassischen Theorie und zur vorzugswürdigen modernen Auffassung der unvollkommenen individuellen Rationalität Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 3 f.; van Aaken: Vom Nutzen der ökonomischen Theorie für das öffentliche Recht: Methode und Anwendungsmöglichkeiten, in: Bungenberg u. a. (Hrsg.), Recht und Ökonomik, S. 4; Mathis: Effizienz statt Gerechtigkeit?, S. 23 ff. 63 Schäfer/Ott: Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 3; Kirchner: Ökonomische Theorie des Rechts, S. 18; Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 3; van Aaken: Vom Nutzen der ökonomischen Theorie für das öffentliche Recht: Methode und Anwendungsmöglichkeiten, in: Bungenberg u. a. (Hrsg.), Recht und Ökonomik, S. 5 f.; dazu Sacksofsky in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 40, Rn. 35. 64 Schäfer/Ott: Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 3; Kirchner: Ökonomische Theorie des Rechts, S. 20 f.
40
Kap. 2: Fragestellung und Gang der Untersuchung
3. Ökonomische Theorie des Rechts und kommunale Selbstverwaltung Werden ökonomische Methoden zur Analyse öffentlich-rechtlicher Strukturen angewandt, sind Spannungen vorprogrammiert. Diese resultieren aus den verschiedenartigen Strukturen, auf denen beide jeweils aufbauen, aus den unterschiedlichen Maßstäben, auf die sich beide jeweils beziehen, sowie aus den unterschiedlichen Abstraktionsgraden, auf deren Grundlage beide jeweils typischerweise arbeiten.65 Im Kern lassen sich v. a. zwei Diskussionsstränge unterscheiden: Erstens entspreche das Bild des homo oeconomicus’ als rationalem egoistischem Menschen nicht dem Menschenbild des GG und zweitens könne Effizienz nicht vor Demokratie gehen.66 Daneben wird aber auch die generelle Tauglichkeit des Modells des homo oeconomicus’ an sich in Frage gestellt.67 Seitens der Verfechter einer ökonomischen Theorie des Rechts wurden derlei Kritikpunkte aufgenommen und z. T. auch widerlegt. So wurde etwa zu Recht darauf hingewiesen, dass das Modell des homo oeconomicus’ eben nicht dem realen, soziologischen Menschen entspreche, sondern ein Erklärungsmodell sei, mit dessen Hilfe menschliches Verhalten in Konfliktsituationen treffend vorhergesagt werden könne.68 Soweit die vorgebrachte Kritik nicht widerlegt werden konnte, wurden die Grundannahmen der ökonomischen Theorie des Rechts aber auch modifiziert. So wurde beispielsweise klargestellt, dass die Präferenzen, die der homo oeconomicus verfolgt, keineswegs notwendig egoistische sein müssen, sondern auch altruistischer Natur sein können.69 Zudem kann es aus Kostenaspekten sehr wohl rational sein, allgemein anerkannte, nicht geschriebene Verhaltensregeln zu befolgen.70 Überzeugend ist dargelegt worden, dass die ökonomische Theorie des Rechts jedenfalls i. R. e. positiven Analyse des Rechts Erkenntnisgewinne verspricht. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob und in welchem Maße auch normative Aussagen abgeleitet werden können.71 Indes sind derlei abstrakte Überlegungen zum normativen Erklärungsgehalt der ökonomischen Theorie des Rechts im Zusammenhang mit der vorliegend zu 65 Ausführlicher und m.w. N. Möllers in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts I, § 3, Rn. 45. 66 Etwa Lindner: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer ökonomischen Theorie des Öffentlichen Rechts, in: JZ 2008, 957, 959 f. m.w. N. 67 Dazu ausführlich Grzeszick: Lässt sich eine Verfassung kalkulieren? in: JZ 2003, 647, 652 f. 68 Dazu Sacksofsky in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 40, Rn. 38. 69 Vgl. dazu auch bereits soeben S. 36. 70 Dazu Sacksofsky in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts II, § 40, Rn. 33. 71 Lindner: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer ökonomischen Theorie des Öffentlichen Rechts, in: JZ 2008, 957, 960 ff.; ähnlich auch Grzeszick: Lässt sich eine Verfassung kalkulieren? in: JZ 2003, 647, 652 ff.
B. Gang der Arbeit
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behandelnden Frage der Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung lediglich von begrenztem Nutzen. Gewinn bringender erscheint es zu klären, inwieweit die ökonomische Theorie des Rechts in zulässiger Art und Weise positiv beschreibende und daraus abgeleitete normative Aussagen zulässt. Dazu ist zu überlegen, das Verhalten welcher Akteure es mit Hilfe des Modells des homo oeconomicus’ und unter Anwendung des methodischen Individualismus zu analysieren gilt und welches der entscheidende Bewertungsmaßstab ist. In diesem Zusammenhang sind die kommunalpolitischen Entscheidungsträger als die Akteure einzuordnen, deren Entscheidungsverhalten untersucht werden soll. Diese bewegen sich auf dem Handlungsfeld, das von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG und den entsprechenden Normen in den Landesverfassungen eröffnet und durch die die kommunale Selbstverwaltung regelnden Gesetze weiter ausgestaltet wird. Der demographische Wandel stellt eine sich ändernde Variable innerhalb des so gestalteten kommunalen Handlungsspielraums dar. Die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die Entscheidungsmöglichkeiten, d.h. auf das kommunale Handlungsfeld, (Kapitel 8 bis 10) und das Entscheidungsverhalten der kommunalpolitischen Verantwortungsträger (Kapitel 11) sind Gegenstand dieser Arbeit. Hauptsächlich geht es in der vorliegenden Arbeit mithin um eine positive Analyse des Rechts. Normative Aspekte spielen aber insoweit eine Rolle, als auch überlegt werden muss, wie die Institution der kommunalen Selbstverwaltung optimiert werden kann. Sie ist mithin der entscheidende, verfassungsrechtlich fundierte Maßstab der ökonomischen Analysemethoden der vorliegenden Untersuchung. Insofern besteht keine Gefahr, dass der Effizienzgedanke in unzulässiger Art und Weise über verfassungsrechtliche Leitprinzipien gestellt würde. Vielmehr wird überlegt, wie eine verfassungsrechtlich vorgeschriebene Institution unter den Vorzeichen des demographischen Wandels optimal gewährleistet werden kann. Der Effizienzgedanke wird insofern also nicht in Widerspruch zur Verfassung gesetzt, sondern – im Gegenteil – zu deren Sicherung und Stärkung verwendet.
B. Gang der Arbeit Das kommunale Handlungsfeld bezieht sich nicht auf einen Katalog von Einzelaufgaben, sondern umfasst einen universellen Wirkungskreis.72 Dieses Universalitätsprinzip kann jedoch praktisch nur zur Entfaltung kommen, wenn die Finanzausstattung der Kommunen dazu ausreicht. Genügend finanzielle Mittel sind
72
Zur Allzuständigkeit der Gemeinden BVerfGE 8, 122, 134.
42
Kap. 2: Fragestellung und Gang der Untersuchung
folglich zentrale Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit von Städten und Gemeinden.73 In einem ersten Schritt ist vor diesem Hintergrund herzuleiten, was genau unter Demographietauglichkeit zu verstehen ist. Hierzu ist es notwendig, erste qualitative Überlegungen zu den Herausforderungen des demographischen Wandels aus Sicht der Kommunen anzustellen (Kapitel 5 und 6). Diese erfordern ihrerseits zunächst die Klärung der grundlegenden rechtlichen Vorgaben kommunaler Selbstverwaltung (Kapitel 3 und 4). Denn die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Kommunen lassen sich nur im Kontext der von ihnen zu bewältigenden Aufgaben einerseits und der ihnen zur Verfügung stehenden Einnahmequellen andererseits darstellen. Vor diesem Hintergrund und ausgehend von einer kurzen Skizzierung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie erfolgen die entscheidenden Überlegungen zu den Kriterien, anhand derer eine Aussage zur Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts im Hinblick auf die Kommunale Selbstverwaltung ermöglicht wird (Kapitel 7). Unter Anwendung dieser Kriterien werden vertiefende Überlegungen zu den Effekten des demographischen Wandels auf der kommunalen Ebene vorgenommen. Dazu wird der Kostenverlauf öffentlicher Leistungserbringung in Abhängigkeit zur Bevölkerungsstruktur untersucht (Kapitel 8). Nach diesen Analyseschritten folgen vertiefende Gedanken zur genauen Identifizierung bestehender Schwachstellen des verwaltungsrechtlichen Systems, die als Begründung für dessen (ggf. partielle) Demographieuntauglichkeit herangezogen werden könnten. Diese Schwachstellen werden durch Überlegungen zu alternativen Gestaltungsmöglichkeiten herausgefiltert (Kapitel 9 und 10). Denn nur, wenn solche Alternativen tatsächlich denkbar sind, kann auch von Demographieuntauglichkeit des Verwaltungsrechts gesprochen werden. Anderenfalls läge das Problem nicht beim verwaltungsrechtlichen System, sondern viel grundlegender bei der kommunalen Selbstverwaltung als solcher. Alternative Gestaltungsmöglichkeiten werden zunächst hinsichtlich des kommunalen Aufgabensystems diskutiert. Hieran schließen sich Überlegungen an, wie die zu erledigenden kommunalen Aufgaben ggf. effizienter bewerkstelligt werden könnten. Dabei wird auf die Diskussion um die Privatisierung kommunaler Aufgaben ebenso eingegangen wie auf eine Analyse bestehender Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit. Nicht zuletzt kommt der Diskussion um effiziente Verwaltungsstrukturen ein wichtiger Stellenwert zu. Zentral sind dabei Überlegungen, welche Aufgaben von welcher Verwaltungsstruktur am effizientesten zu bewältigen sind.74 Neue Aufgabenverteilungen haben demnach mög73
Püttner: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, S. 6. Hack in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, S. 110. 74
B. Gang der Arbeit
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licherweise auch Einfluss darauf, welche Strukturen als effizient angesehen werden können. Dabei lässt sich eine wachsende praktische Bedeutung der verfassungsrechtlichen Überprüfung von Verwaltungsreformen feststellen, die in regelmäßigen Abständen auf der politischen Agenda stehen. Erste Ergebnisse aus der Verfassungsrechtsprechung liegen bereits vor75. Diese gilt es zu analysieren, um ggf. Grenzen und Kriterien für künftige ähnliche Vorhaben anderer Bundesländer abzuleiten. Nach der Analyse des kommunalen Handlungsfeldes folgen Erörterungen zu den Anreizwirkungen der den Städten und Gemeinden zur Verfügung stehenden Einnahmeinstrumente auf kommunale Entscheidungsträger. Zunächst wird daher die kommunale Finanzverfassung als Grundlage der Einnahmestruktur beschrieben. Diese muss so gestaltet sein, dass keine unnötigen in demographischer Hinsicht irreführende Anreizwirkungen von ihr ausgehen. Um insoweit Aussagen zur Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems machen zu können, muss dessen Anreizstruktur einer fundierten Analyse unterzogen werden (Kapitel 11). Abschließend wird der Versuch unternommen, anhand der erzielten Erkenntnisse einige Leitsätze zur Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung zu entwickeln (Kapitel 12).
75 Vgl. Urteil des Landesverfassungsgerichtes Mecklenburg-Vorpommern vom 26.07. 2007 (Aktenzeichen LVerfG 9/06, LVerfG 10/06, LVerfG 11/06, LVerfG 12/06, LVerfG 13/06, LVerfG 14/06, LVerfG 15/06, LVerfG 16/06, LVerfG 17/06).
Kapitel 3
Die kommunale Aufgabenstruktur A. Aufgabenstruktur der Städte und Gemeinden Hinsichtlich der kommunalen Aufgabenstruktur ist zwischen dualistischer und monistischer zu unterscheiden: Die dualistische Sichtweise unterscheidet zwischen staats- und damit weisungsfreien Selbstverwaltungsaufgaben einerseits und vom Staat übertragenen Aufgaben (Auftragsangelegenheiten) andererseits, also zwischen eigenem und übertragenem Wirkungskreis.76 Die monistische Aufgabenstruktur77 versteht den kommunalen Aufgabenbereich demgegenüber als einen einheitlichen (Totalitätsprinzip78). Folglich kennt dieses Verständnis keine Auftragsangelegenheiten, sondern nur kommunale Aufgaben: Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben, weisungsfreie Pflichtaufgaben und Pflichtaufgaben nach Weisung – letztlich also Weisungsaufgaben und weisungsfreie Angelegenheiten.79 Eine etwaige staatliche Fachaufsicht muss durch Gesetz begründet werden. Besteht keine staatliche Weisungsbefugnis, unterliegen die Gemeinden lediglich der Rechtsaufsicht.80 I. Freie bzw. freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben I. R. d. Erfüllung freier Aufgaben bzw. i. R. d. freiwilligen Selbstverwaltung entscheidet eine Gemeinde sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch hinsichtlich des „Wie“ der Aufgabenerfüllung. D.h. den Kommunen kommen sowohl ein Aufgabenfindungs- als auch ein Aufgabenwahrnehmungsrecht zu, welche nach pflicht76 Exemplarisch Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 227; Schmidt-Eichstaedt in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, § 48 B, S. 19 ff.; ebenso BVerwG NVwZ 1983, 610, 611; Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 66; eingehend Knemeyer: Aufgabenkategorien im kommunalen Bereich, in: DÖV 1988, 397 ff. 77 Dieser Ansatz wurde erst im Rahmen des Weinheimer Entwurfs im Jahre 1948 entwickelt. 78 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 229. 79 Exemplarisch Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 57; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 230; eingehend Knemeyer: Aufgabenkategorien im kommunalen Bereich, in: DÖV 1988, 397 ff.; Schmidt-Eichstaedt in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, § 48 B, S. 19 ff. 80 Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 66.
A. Aufgabenstruktur der Städte und Gemeinden
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gemäßem Ermessen auszuüben sind.81 Dieser Ermessensspielraum kann im Einzelfall auf Null reduziert sein. In diesem Fall wird eine freie (freiwillige) Aufgabe zur Pflichtaufgabe.82 Eine materielle Aufgabenprivatisierung ist dann unzulässig.83 Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben84 sind insbesondere solche der Daseinsvorsorge.85 Hierunter fallen beispielsweise kulturelle86 und soziale87 Angelegenheiten, Einrichtungen der Gesundheitsversorgung88, Sportanlagen und -förderung, Erholungseinrichtungen, Versorgungseinrichtungen89, kommunale Wirtschaftsförderung90, Vereinsförderung, Verkehrsunternehmen. II. Weisungsfreie Pflichtaufgaben bzw. pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben Zur Erbringung weisungsfreier Pflichtaufgaben (pflichtiger Selbstverwaltungsaufgaben) sind Städte und Gemeinden gesetzlich verpflichtet, sodass eine materielle Aufgabenprivatisierung grundsätzlich ausscheidet.91 Weisungsfreie Pflichtaufgaben sollen eine kommunale Grundversorgung mit bestimmten unabdingbaren Gütern und Leistungen sicherstellen.92 Grundsätzlich sind die Kommunen nur hinsichtlich des „Ob“ der Aufgabenerledigung gebunden, hinsichtlich des „Wie“ kommt ihnen nach wie vor (theoretisch) Entscheidungsfreiheit zu. In der Praxis ist dieses Ausführungsermessen 81 Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 68; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 232; ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 107; vgl. auch die Gegenüberstellung bei Maurer: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 15. 82 Schmidt-Jortzig spricht insoweit von „faktischen Wahrnehmungspflichten“: Kommunalrecht, § 12, Rn. 536. 83 Exemplarisch Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 233; ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 107. 84 Vgl. die Kataloge bei Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 233; ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 107; Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 68; Stober: Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, § 4, S. 35. 85 Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 68. 86 Z. B.: Bücherei, Theater, Musikschule, Volkshochschule, Museen, Ausstellungen. 87 Z. B.: Jugendhaus, Altenbetreuung, Pflegeheim, Behindertenheim. 88 Z. B.: Sozialstationen, Beratungsstellen. 89 Z. B.: Fernwärme, Strom, Wasser, Gas. 90 Indirekt erfolgt diese durch verbilligte Grundstücksverkäufe, direkt durch die Gewährung von Subventionen, vgl. Stober: Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, § 4, S. 35. 91 Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 69, der außerdem darauf hinweist, dass eine Privatisierung durch Gesetz erlaubt werden kann. 92 Stober: Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, § 4, S. 35.
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Kap. 3: Die kommunale Aufgabenstruktur
durch sog. Standards teilweise in enormem Maße eingeschränkt. Als Selbstverwaltungsaufgaben unterliegen weisungsfreie Pflichtaufgaben nur der Rechtsaufsicht.93 Anzahl und Bedeutung weisungsfreier Pflichtaufgaben nehmen in der Praxis immer weiter zu.94 Beispiele sind:95 – Soziale Sicherung: Sozialhilfe (§§ 28 SGB I, 3 SGB XIII), Jugendhilfe (§§ 27 SGB I, 69 SGB VIII); – Abwasserbeseitigung, § 45b II 1 WG; – Straßenbaulast, §§ 9, 43 f. StrG; – Einrichtung und Fortführung öffentlicher Schulen, § 48 SchulG; – Bauleitplanung, § 2 I BauGB; – Erschließungslast, § 123 BauGB; – Anlegung von Spielplätzen (KinderspielplatzG des jeweiligen Landes); – Feuerwehr (Feuerwehr-, bzw. BrandschutzG des jeweiligen Landes). III. Pflichtaufgaben nach Weisung bzw. Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises 1. Monistisches Modell Im Rahmen des monistischen Modells sind zwei Typen der Pflichtaufgaben zu unterscheiden: Pflichtaufgaben nach Weisung und Bundesauftragsangelegenheiten. Die Pflichtaufgaben nach Weisung unterliegen der Fachaufsicht, d.h. sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch hinsichtlich des „Wie“ der Aufgabenwahrnehmung sind die Kommunen gebunden. Sie ergeben sich insbesondere aus dem Aufgabenkatalog der kreisfreien Städte und der Großen Kreisstädte, sowie der darüber hinausgehenden Aufgaben der Gemeinden, die diese als untere Verwaltung wahrnehmen. Das Weisungsrecht ist in diesen Fällen meist gesetzlich extra bestimmt.96 93 Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 69; SchmidtJortzig: Kommunalrecht, § 12, Rn. 530; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 234 f.; ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 109; vgl. auch die Gegenüberstellung bei Maurer: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 15. 94 Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 69. 95 Vgl. die Kataloge bei Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 234; ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 108; Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 69; Stober: Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, § 4, S. 35 f. 96 Vgl. zu alledem Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 110; Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 70.
B. Die Kreisaufgaben
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Exemplarisch gehört zu den Pflichtaufgaben nach Weisung die Tätigkeit der Gemeinde als Ortspolizeibehörde97, als Bußgeldstelle, als Ortsbehörde für das Versicherungswesen, zur Durchführung des Meldewesens und von Statistikaufgaben sowie des Personenstandswesens.98 Im Rahmen der Erledigung von Bundesauftragsangelegenheiten unterliegen die Gemeinden einem uneingeschränkten Weisungsrecht des Bundes. In diesen Aufgabenbereich der Kommunen fallen z. B. die Ausführung von Verteidigungsaufgaben99 und Geldleistungsgesetzen100 sowie für Gemeinden über 80.000 Einwohner die Bundesfernstraßenverwaltung.101 2. Dualistisches Modell Nach dem Verständnis des dualistischen Aufgabenmodells sind die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises staatliche Aufgaben, die gerade nicht in die kommunale Aufgabenwahrnehmungskompetenz fallen. Denn es handelt sich dabei eben nicht Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Aufgaben können allerdings vom Staat grundsätzlich auf die Kommunen übertragen werden. Insofern sind Städte und Gemeinden hinsichtlich des übertragenen Wirkungskreises untere Verwaltungsbehörden, also in den staatlichen Verwaltungsaufbau eingegliedert.102
B. Die Kreisaufgaben Landkreise sind Gemeindeverbände i. S. d. Art. 28 II 2 GG.103 Auch sie fallen damit unter den Schutz der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Ihnen kommt allerdings das Recht der Selbstverwaltung nur nach Maßgabe der Gesetze zu. Anders als die Gemeinden haben Landkreise also gerade keine Allzuständigkeit. Vielmehr ergibt sich ihr Aufgabenbestand ausschließlich aus gesetzlicher 97 Auf den Gebieten des Bau-, Rettungs-, staatlichen Gesundheits-, Gewerbe-, Verkehrs- und Wasserwesens sowie der Lebensmittelüberwachung, vgl. Stober: Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, § 4, S. 36 f. 98 Vgl. Katalog bei Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 70. 99 Zivilschutz, Wehrerfassung, Unterhaltssicherung, Ausführung der Sicherstellungsgesetze. 100 BAföG, Wohngeld, Leistungen nach dem Häftlingssicherungsgesetz. 101 Vgl. zu alledem Katalog bei Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, § 5, Rn. 71. 102 Stober: Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, § 4, S. 36 f.; Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 87; Maurer: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 14: „Der Staat errichtet auf der Ortsebene keine eigenen Behörden, sondern bedient sich der Gemeinden, indem er ihnen bzw. ihren Organen die Ausführung der staatlichen Aufgaben auf der untersten Ebene zuweist.“ 103 So ausdrücklich BVerfGE 79, 127, 150; 83, 363, 383; vgl. außerdem BVerfGE 23, 353, 365 f.; für die Landessatzung Schleswig-Holstein: BVerfGE 52, 95, 109.
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Kap. 3: Die kommunale Aufgabenstruktur
Zuweisung,104 wobei die Aufgabenausstattung der Landkreise durch landesgesetzliche Generalklauseln faktisch einer Allzuständigkeit angenähert ist.105 Das BVerfG führt zur kommunalen Selbstverwaltungsgarantie hinsichtlich der Gemeindeverbände aus: „Die kommunale Selbstverwaltung wird nicht nur durch die Allzuständigkeit der Gemeinden im örtlichen Wirkungskreis bestimmt, sondern zugleich auch durch eine Ergänzungs- und Ausgleichsfunktion der Gemeindeverbände, insbesondere der Kreise, charakterisiert.“106 „Zwar enthält sie [. . .] für die Gemeindeverbände keine Aufgabengarantie; die Zuweisung eines Aufgabenbereichs obliegt vielmehr allein dem Gesetzgeber. Auch wenn die Kreise auf eine gesetzliche Aufgabenausstattung angewiesen sind, darf es sich dabei jedoch nicht durchweg um an sich staatliche Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises handeln. Der Gesetzgeber muss den Kreisen vielmehr bestimmte Aufgaben als Selbstverwaltungsaufgaben, also kreiskommunale Aufgaben des eigenen Wirkungskreises zuweisen. Das ,Recht der Selbstverwaltung‘ [. . .] bezieht sich nur auf diesen Umkreis von Aufgaben.“107
Ähnlich wie die Systematisierung der Aufgaben der Gemeinden lassen sich auch i. R. d. Kreisaufgaben solche des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises (dualistisches Modell) bzw. freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben, weisungsfreie Pflichtaufgaben, Pflichtaufgaben nach Weisung und Bundesauftragsangelegenheiten unterscheiden (monistisches Modell).108 Allerdings kommen weitere Systematisierungskriterien hinzu, die sich aus der Ergänzungs- und Ausgleichsfunktion der Landkreise ergeben (dazu sogleich unter I.). Außerdem nimmt der Landkreis in viel stärkerem Maße als die Gemeinden Aufgaben der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde wahr und ist damit Bindeglied zwischen der staatlichen und der Gemeindeebene (dazu sogleich unter II.).109 I. Selbstverwaltungsaufgaben (Aufgaben des eigenen Wirkungskreises) Die Selbstverwaltungsaufgaben bzw. Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Landkreise bilden eine Trias aus übergemeindlichen Aufgaben, Ergänzungsund Ausgleichsaufgaben.110 104 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 864 ff.; Schoch: Die Kreise zwischen örtlicher Verwaltung und Regionalisierungstendenzen, in: Henneke/Maurer/Schoch (Hrsg.), Die Kreise im Bundesstaat, S. 22; BVerfGE 21, 117, 128 f.; 23, 353, 365; 79, 127, 147, 150 f.; 83, 37, 54. 105 BVerfGE 79, 127, 151; Henneke in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 28, Rn. 37, 113. 106 BVerfGE 58, 177, 196. 107 BVerfGE 83, 363, 383. 108 Etwa Geis: Kommunalrecht, S. 188; Burgi: Kommunalrecht, S. 308. 109 Henneke: Möglichkeiten zur Stärkung der kommunalen Selbstverantwortung, in: DÖV 1994, 705, 707.
B. Die Kreisaufgaben
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1. Übergemeindliche Aufgaben Übergemeindliche Aufgaben sind solche, die sich auf das gesamte Kreisgebiet und die Kreiseinwohner als solche beziehen. Sie lassen sich wiederum in originäre Kreisaufgaben und kreisintegrale Aufgaben unterteilen.111 a) Originäre Kreisaufgaben (Existenzaufgaben) Originäre Kreisaufgaben112 (gleichbedeutend: Existenzaufgaben113) betreffen die Begründung und Sicherung von Bestand und Funktion des Landkreises als solchem. Sie fallen nur deshalb an, weil es den betreffenden Kreis gibt, sind also an dessen Existenz gekoppelt.114 b) Kreisintegrale Aufgaben Kreisintegrale Aufgaben sind solche, die Kraft Natur der Sache über den Verwaltungsraum einzelner Gemeinden hinausreichen. Schoch spricht insoweit von „flächen- oder linienhafter Qualität“.115 Sie können denknotwendig nicht von einzelnen Gemeinden wahrgenommen werden. Folglich ist der Kreis ausschließlich zuständig.116 2. Ergänzungsaufgaben I. R. d. Wahrnahme von Ergänzungsaufgaben springt der Kreis für einzelne oder für alle Gemeinden seines Kreisgebiets ein, um deren mangelnde Leistungs110 Etwa Henneke: Aufgabenzuständigkeit im kreisangehörigen Raum, S. 42; daneben können örtliche Aufgaben unterschieden werden, die als ehemals gemeindliche Aufgaben zulässigerweise auf die Kreise hochgezont worden sind, vgl. Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 867; dieser Aufgabentyp soll hier allerdings als übergemeindliche Aufgabe, konkret als Sonderform der kreisintegralen Aufgaben behandelt werden. 111 Henneke: Aufgabenzuständigkeit im kreisangehörigen Raum, S. 42 f. 112 Diesen Begriff verwenden etwa Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 868; Geis: Kommunalrecht, S. 188. 113 Diesen Begriff verwendet etwa Henneke: Aufgabenzuständigkeit im kreisangehörigen Raum, S. 42. 114 Beispiele sind die Organisations- und Personalverwaltung oder die Vermögensverwaltung; vgl. zu alledem Beckmann: Die Wahrnehmung von Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben durch die Kreise und ihre Finanzierung über die Kreisumlage, in: DVBl. 1990, 1193, 1195; Henneke: Aufgabenzuständigkeit im kreisangehörigen Raum, S. 42; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 868; Geis: Kommunalrecht, S. 188. 115 Schoch: Aufgaben und Funktionen der Landkreise, in: ders. (Hrsg.), Selbstverwaltung der Kreise in Deutschland, S. 33. 116 Henneke: Aufgabenzuständigkeit im kreisangehörigen Raum, S. 42; Beispiele sind Bau und Unterhaltung von Kreisstraßen, die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die Förderung des regionalen Fremdenverkehrs; Beutling: Die Ergänzungs- und Ausgleichsaufgaben der Kreise, S. 13.
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Kap. 3: Die kommunale Aufgabenstruktur
fähigkeit zu kompensieren. Auf diese Weise wird die gemeindliche Aufgabenerfüllung lediglich ergänzt. Die Kompetenz bleibt – jedenfalls theoretisch117 – bei der Gemeinde. Es entsteht lediglich eine Co-Kompetenz des Kreises.118 3. Ausgleichsaufgaben Ausgleichsaufgaben sind Unterstützungsaufgaben, durch deren Erledigung der Landkreis ausdrücklich und gezielt lastenausgleichend wirken will, um so auf eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung hinwirken zu können:119 Die Erledigung einer Aufgabe erfolgt an sich durch die Gemeinden; diese werden dabei technisch, beratend oder auch durchführend unterstützt. Grund dafür ist das Bestreben, in allen Gemeinden des Kreisgebiets gleichwertige Lebensverhältnisse herstellen zu können. Wie bei den Ergänzungsaufgaben verbleibt die Kompetenz für die Grundaufgabe bei den Gemeinden.120 II. Staatliche Verwaltung Die Gebiete der Landkreise sind in den Flächenbundesländern identisch mit dem Zuständigkeitsbereich der unteren staatlichen Verwaltungsbehörden.121 Deshalb nehmen die Landkreise staatliche Aufgaben als Pflichtaufgaben nach Weisung (monistisches System) bzw. als Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises (dualistisches System) wahr.122 Hierdurch kommt es zu einer von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich konstruierten Verzahnung zwischen Staats- und Kommunalverwaltung.123
117 Wimmer sieht in der Wahrnahme von Ergänzungsaufgaben eine faktische Aufgabenhochzonung über die Köpfe der Gemeinden hinweg: Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben der Kreise, in: NVwZ 1998, 28. 118 Geis: Kommunalrecht, S. 187; Burgi: Kommunalrecht, S. 309; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 868; Beispiele für diesen Aufgabentyp finden sich bei Henneke: Aufgabenzuständigkeit im kreisangehörigen Raum, S. 45. 119 Henneke: Aufgabenzuständigkeit im kreisangehörigen Raum, S. 47. 120 Beispiel ist die Vergabe von Zuschüssen; vgl. zu alledem Geis: Kommunalrecht, S. 187; Burgi: Kommunalrecht, S. 309 f.; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 868; Henneke: Aufgabenzuständigkeit im kreisangehörigen Raum, S. 47. 121 Geis: Kommunalrecht, S. 188. 122 Burgi: Kommunalrecht, S. 308. 123 Wie die jeweiligen Bundesländer die Landkreise in Anspruch nehmen, stellt Gern ausführlich dar: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 898 ff.
Kapitel 4
Die kommunale Einnahmebeschaffung im Lichte des Verfassungsrechts A. Städte und Gemeinden im föderalen System Das Grundgesetz sieht einen zweistufigen Staatsaufbau vor. Hiernach sind Städte und Gemeinden nicht als dritte Staatsebene sondern als Glieder der Länder zu sehen.124 Dies ergibt sich systematisch bereits aus der Stellung des Art. 28 GG im Abschnitt II: „Der Bund und die Länder“.125 Aus diesem Staatsaufbau folgt nicht zuletzt die „staatsrechtliche Letztverantwortung des Landes für die Kommunalfinanzen“126 als „Kehrseite der staatsorganisatorischen Zugehörigkeit der Kommunen zu den Ländern“127.
B. Die Finanzverfassung nach dem Grundgesetz Die Art. 104a bis 108 GG enthalten die sog. Finanzverfassung, d.h. die Gesetzgebungskompetenz (Art. 105 GG), Ertragskompetenz (Art. 106 f. GG) und Verwaltungskompetenz (Art. 108 GG) hinsichtlich staatlicher Ausgaben und Einnahmen im Bundesstaat.128 I. Gesetzgebungskompetenz 1. Überblick Der Bund hat gem. Art. 105 I GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz129 über Zölle130 und Finanzmonopole131. Gem. Art. 105 II GG kommt ihm 124 BVerfGE 22, 180, 210; 39, 96, 109; 86, 148, 215; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 30, Rn. 6. 125 Schoch: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 96. 126 Schoch: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 97; vgl. zudem exemplarisch Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 357. 127 BVerfGE 86, 148, 218 f. 128 Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 104a, Rn. 1. 129 Die allgemeinen Kompetenznormen der Art. 70 ff. GG werden durch Art. 105 GG verdrängt, Schneider in: VBlBW 1988, 161, 164. 130 Gem. § 3 I 2 AO sind dies Steuern, die an die Warenbewegung vom Ausland ins Inland anknüpfen, Schneider in: VBlBW 1988, 161, 164.
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Kap. 4: Kommunale Einnahmebeschaffung im Lichte des Verfassungsrechts
hinsichtlich der übrigen Steuern die konkurrierende Gesetzgebungshoheit zu. Voraussetzung ist allerdings, dass ihm gem. Art. 106 GG auch die Erträge an den betreffenden Steuern zustehen.132 In der Praxis folgt aus dieser Regelung die steuergesetzgeberische Dominanz des Bundes.133 Aus Art. 105 IIa GG ergibt sich die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder für die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern, worunter beispielsweise die Vergnügungs- und die Getränkesteuer fallen.134 Das entsprechende Steuerfindungsrecht für die Kommunen wird allerdings durch die Kommunalabgabengesetze der Länder gewährt und nicht etwa von Art. 105 IIa GG garantiert.135 Die Gemeinden sind ohne eigene Gesetzgebungshoheit. Weder Art. 28 II GG noch Art. 105 GG böten hierfür eine bundesverfassungsrechtliche Grundlage.136 Jedoch steht ihnen im Rahmen der Erhebung der Gewerbe- und der Grundsteuer ein Hebesatzrecht zu, Art. 106 IV 2 GG. Außerdem haben sie Satzungshoheit über örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern. In Baden-Württemberg ergibt sich dies aus Art. 105 IIa GG i.V. m. § 9 KAG BW.137 Die Gesetzgebungskompetenz für alle übrigen – nichtsteuerlichen – Abgaben138 richtet sich nach der allgemeinen Gesetzgebungskompetenz für das jeweilige Sachgebiet. Für das Recht der Kommunen sind demnach gem. Art. 70, 30 GG die Länder zuständig. Hieraus ergibt sich u. a. die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Kommunalabgaben. Gem. Art. 83, 84 I GG sind die Länder außerdem grundsätzlich zuständig für das Recht der Verwaltungsgebühren.139 2. Verfassungsrechtliche Anforderungen an kommunale Abgabenerhebung In den Fällen, in denen den Kommunen abgabenrechtliche Rechtsetzungsbefugnisse zugebilligt werden, stellt sich die Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen an die formell-gesetzliche Delegationsnorm zu stellen sind bzw. in wel131 Das Recht des Staates, zur Einnahmeerzielung bestimmte Waren zu erzeugen oder zu vertreiben, Schneider in: VBlBW 1988, 161, 164. 132 Heintzen in: Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Bd. 3, Art. 105 Rn. 46. 133 Schneider in: VBlBW 1988, 161, 165. 134 Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 88. 135 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 663. 136 Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3, Rn. 37. 137 Zu beachten ist dabei folgende Einschränkung, des Art. 105 IIa 1 a. E. GG: „soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind.“ Zur rechtlichen Tragweite dieses Gleichartigkeitsgebots vgl. die Darstellung bei Schneider in: VBlBW 1988, 161, 165. 138 Dies sind Gebühren, Beiträge und Sonderabgaben. 139 Schneider in: VBlBW 1988, 161, 165.
B. Die Finanzverfassung nach dem Grundgesetz
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chem Verhältnis formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage und kommunale Abgabensatzung bzw. abgabenrechtliche Verordnung stehen. Zentral für die Überlegungen sind die Erfordernisse des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips – letzteres insbesondere in der Ausprägung als Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit.140 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die kommunale Selbstverwaltung gerade Ausdruck demokratischer Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger sowie demokratischer Rückbindung der Verwaltung ist. Der Erlass kommunaler Abgabensatzungen obliegt dem Gemeinderat als direkt gewähltem Gremium. Aus örtlicher Sicht betrachtet greifen Parlamentsgesetzgeber und Gemeinderat auf die gleiche Legitimationsbasis zurück. Im Gegensatz dazu ist der Verordnungsgeber lediglich indirekt durch eine Legitimationskette mit dieser verbunden. Deshalb kann hinsichtlich der Ermächtigungsgrundlage zum Erlass kommunaler Steueroder Gebührensatzungen von weniger strengen Anforderungen ausgegangen werden als für eine Verordnungsermächtigung. Die rechtliche Grundlage für die Abgabenerhebung durch die Gemeinde ergibt sich folglich durch die Zusammenschau von Gesetz und Satzung. Der Parlamentsgesetzgeber legt die Abgabenpflicht dem Grunde nach fest. Die Konkretisierung erfolgt durch die entsprechende satzungsgebende Gemeinde.141 II. Ertragshoheit Die Ertragshoheit stellt im föderalen System den Rechtsgrund für das Behaltendürfen von Einnahmen aus Abgaben dar.142 Art. 106 GG verfolgt dabei eine Kombination aus sog. Trenn-143 und Verbundsystem144. Durch ein solches Mischsystem können die Vorteile beider Systeme genutzt und die jeweiligen Nachteile minimiert werden.145 Von der Aufzählung des Art. 106 GG werden sämtliche Steuern erfasst.146 140 „Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordert, dass steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuer vorausberechnen kann.“ BVerfGE 19, 253, 267. 141 Weitgehend übereinstimmend BVerfG NJW 1979, 1504, 1506; a. A.: Starck: Verfassungsmäßigkeit der Vergnügungssteuer, S. 50 ff., Papier: Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, S. 137 ff., insbesondere S. 148. 142 Heintzen in: Münch/Kunig, Art. 106, Rn. 1. 143 Im Rahmen eines Trennsystems erheben und vereinnahmen die betreffenden Körperschaften ihre Steuern jeweils getrennt, Hidien in: Bonner Kommentar, Art. 106, Rn. 382. 144 Im Rahmen eines Verbundsystems wird eine einheitliche Finanzmasse gebildet, die sodann nach bestimmten Quoten auf die jeweiligen Körperschaften verteilt wird, Stern: Staatsrecht Band II, S. 1070, Fn. 117. 145 Zu alledem Heintzen in: Münch/Kunig, Art. 106, Rn. 7; ausführlich Hidien in: Bonner Kommentar, Art. 106, Rn. 628 ff. 146 Heintzen in: Münch/Kunig, Art. 106, Rn. 8.
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Kap. 4: Kommunale Einnahmebeschaffung im Lichte des Verfassungsrechts
Zwar sind die Gemeinden als Teil der Länder zu verstehen, was Art. 106 IX GG nochmals klarstellt.147 Trotzdem wird deren Ertragshoheit durch Art. 106 V bis VII GG gesondert geregelt: Die Gemeinden erhalten hiernach einen eigenen, bundesgesetzlich zu bestimmenden prozentualen Anteil an der Einkommensteuer, Art. 106 V GG. Dieser wird von den Ländern, die als bloße Verteilerstellen fungieren, auf Grundlage der Einkommensteuerleistungen der Einwohner der jeweiligen Gemeinden zugewiesen.148 Nach Art. 106 Va GG steht den Gemeinden zudem ein Anteil am Umsatzsteueraufkommen zu.149 Vom Gemeindeanteil an Einkommen- und Umsatzsteuer ist der den Gemeinden gem. Art. 106 VII GG zustehende, landesgesetzlich zu bestimmende Prozentsatz am Länderanteil der Gemeinschaftssteuern150 zu unterscheiden. Denn der Länderanteil an diesen Steuern i. S. d. Art. 106 VII GG versteht sich exklusive des Gemeindeanteils an der Einkommen- und der Umsatzsteuer.151 Gem. Art. 106 VI GG steht den Gemeinden grundsätzlich auch der Ertrag aus der Grund- sowie der Gewerbesteuer genauso zu wie der Ertrag aus den örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern. III. Verwaltungskompetenz Die abgabenrechtliche Verwaltungskompetenz wird von Art. 108 GG festgelegt.152 Der Anwendungsbereich des Art. 108 GG ist deckungsgleich mit dem der Art. 105 bis 107 GG, sodass sämtliche dort genannten Abgaben auch von Art. 108 GG erfasst werden.153 Die Verwaltungshoheit hinsichtlich Zöllen, Finanzmonopolen, bundesrechtlich geregelten Verbrauchssteuern und den EU-Abgaben werden gem. Art. 108 I GG vom Bund verwaltet. Die Verwaltung bezüglich der übrigen Steuern obliegt den 147
Vgl. im Übrigen oben: A. Heintzen in: Münch/Kunig, Art. 106, Rn. 46, der außerdem darauf hinweist, dass es sich bei dem durch die Länder weiterzuleitenden Gemeindeanteil nicht um eine Finanzzuweisung des Landes sondern um eine eigene Einnahmequelle der Gemeinde handelt. 149 Heintzen in: Münch/Kunig, Art. 106, Rn. 48 verweist auf die Parallelen zur Regelung des Art. 106 V GG bezüglich des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer; er weist zudem darauf hin, dass als Verteilungsmaßstab nicht das örtliche Aufkommen sein könne. 150 Gemeinschaftssteuern sind neben der Einkommen-, die Körperschaft- und die Umsatzsteuer, Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 106, Rn. 6. 151 Heintzen in: Münch/Kunig, Art. 106, Rn. 54. 152 Art. 108 I bis V und VII GG verdrängen als leges speciales Art. 30, 83 ff. GG; Art. 108 VI GG verdrängt auf diese Weise Art. 74 I Nr. 1 GG; vgl. Schneider in: VBlBW 1988, 161, 166. 153 Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 108, Rn. 1; Heintzen in: Münch/Kunig, Art. 108, Rn. 2. 148
C. Die Bestandteile der kommunalen Finanzhoheit
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Ländern, Art. 108 II GG. Diese verwalten die Steuern, deren Ertrag ganz oder zum Teil dem Bund zufließen, als Auftragsverwaltung (Art. 108 II 1 GG). Die übrigen Steuern verwalten sie als eigene Angelegenheit.154 Gemäß Art. 108 III 2 GG hat der Bundesfinanzminister im Bereich der Auftragsverwaltung umfassende Aufsichts- und Weisungsrechte.155 Hinsichtlich der ausschließlich den Gemeinden zufließenden Steuern können die Länder die Verwaltungskompetenz auf die Kommunen übertragen, Art. 108 IV 2 GG. Dies erfolgte für die Grund- und Gewerbesteuer durch die Kommunalabgabengesetze der Länder. Bezüglich aller übrigen Abgaben folgt die Verwaltungskompetenz der allgemeinen Verwaltungszuständigkeit.156
C. Die Bestandteile der kommunalen Finanzhoheit I. Abgabenhoheit Die kommunale Finanzhoheit als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG setzt auch die Möglichkeit der Gemeinde voraus, ihre Einnahmen wenigstens zu einem gewissen Grad in eigener Verantwortung zu erzielen.157 Die Abgabenhoheit (oder: Einnahmehoheit158)setzt sich aus der Ertrags-, der Abgabensatzungs- und der Verwaltungshoheit zusammen.159 Sie umfasst die Befugnis zur Erhebung von Steuern, Beiträgen und Gebühren.160 II. Ausgabenhoheit Die Ausgabenhoheit ist die Kehrseite der Einnahmenhoheit und unstreitig Bestandteil der kommunalen Finanzhoheit. Sie umfasst die freie Verfügungsmacht über die kommunalen Finanzmittel im Rahmen eines eigenverantwortlich festgesetzten Haushaltsplans.161 154
Stern: Staatsrecht Bd. II, S. 1185. Auf diese Weise wird den finanziellen Belangen des Bundes Rechnung getragen sowie die einheitliche Anwendung des Steuerrechts gewährleistet, Stern: Staatsrecht Bd. II, S. 1185. 156 Vgl. auch die Darstellungen bei Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 165 ff.; und Schneider in: VBlBW 1988, 161, 165. 157 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 54. 158 So z. B. Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 54. 159 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 162; ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 88. 160 Tettinger in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11, S. 195. 161 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 55. 155
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Kap. 4: Kommunale Einnahmebeschaffung im Lichte des Verfassungsrechts
III. Haushalts- und Planungshoheit Die Haushaltshoheit ermächtigt zur Planung der kommunalen Finanzen. Dies wird durch Haushaltssatzungen bewerkstelligt, deren wichtigster Bestandteil der Haushaltsplan ist. Die Haushaltsplanung ist Kern der Kommunalplanung.162
D. Kommunale Finanzquellen und ihre Funktionsweisen I. Originäre Ertragskompetenzen163 aus Steuern164 1. Gemeindeanteil an der Einkommensteuer Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer i. S. d. Art. 106 V GG165 wird der Höhe nach durch § 1 des Gemeindefinanzreformgesetzes166 bestimmt.167 Er wird vom Gesamtaufkommen der Einkommensteuer in Abzug gebracht, bevor der verbliebene Teil gem. Art. 106 III GG zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wird.168 Der Gemeindeanteil beträgt gemäß § 1 des Gemeindefinanzreformgesetzes derzeit insgesamt 15 Prozent des Aufkommens an Lohnsteuer und veranlagter Einkommensteuer sowie 12 Prozent der Zinsabschlagsteuer. Entscheidend für die Verteilung ist das örtliche Aufkommen unter Berücksichtigung bestimmter Höchstbeträge169. Es umfasst die Steuererträge, die von den örtlich zuständigen 162 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 163; ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 88; Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 55. 163 Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 57. 164 Gem. § 3 I AO sind Steuern Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine bestimmte Leistung darstellen und die von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Einnahmeerzielung erhoben werden. 165 Es handelt sich beim Gemeindeanteil an der Einkommensteuer nach herrschender Ansicht um Steuereinnahmen der Gemeinden und nicht etwa um staatliche Zuschüsse, die Länder übernehmen lediglich eine Botenfunktion; wie hier Lenz in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 116, S. 142; Heintzen in: Münch/Kunig, Art. 106, Rn. 46; Schwarz in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 12, Rn. 4; Hidien in: Bonner Kommentar, Art. 106, Rn. 1023 ff. 166 BGBl. 1969 I S. 1587 in der Fassung der Bekanntmachung vom 4.4.2001, BGBl. 2001 I S. 483 zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.8.2007, BGBl. 2007 I S. 1912, 1937; Das Gemeindefinanzreformgesetz ist Gesetz i. S. d. Art. 106 V 2 GG. 167 Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3, Rn. 48. 168 Schwarz in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 12, Rn. 3, 7; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 106, Rn. 7. 169 Die zu versteuernden Einkommen werden nur bis zu einer Höhe von A 30.000,– (ostdeutsche Bundesländer: A 25.000,–) bzw. bei Zusammenveranlagung von Ehegatten bis zu einer Höhe von A 60.000,– (ostdeutsche Bundesländer: A 50.000,–) berücksichtigt. Der darüber liegende Teil fließt nicht in die Berechnung der Schlüsselzahl ein. Sinn dieser Regelung ist es, die Spanne zwischen aufkommensstarken und aufkom-
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Finanzbehörden vereinnahmt worden sind.170 Zu berücksichtigen ist dabei die Zerlegung des Art. 107 I GG171. Die auf die jeweiligen Gemeinden entfallenden individuellen Anteile berechnen sich gemäß § 3 des Gemeindefinanzreformgesetzes.172 Von der Möglichkeit der Einführung eines Hebesatzrechts der Gemeinden auf die Einkommensteuer wurde bislang kein Gebrauch gemacht.173 2. Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer Dem Mechanismus bei der Verteilung der Einkommensteuer entsprechend wird auch der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer i. S. d. Art. 106 Va GG vom Gesamtumsatzsteueraufkommen in Abzug gebracht, bevor dieses an Bund und Länder verteilt wird. Die Weiterleitung des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer erfolgt durch die Länder174 aufgrund eines orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssels, so wie dies durch Art. 106 Va 2 GG verlangt wird.175 Durch diese Bestimmung wird festgelegt, dass für die Verteilung der Umsatzsteuer – anders als im Rahmen der Verteilung der Einkommensteuer – nicht auf den individuellen Einwohner, sondern auf die Produktivität eines Wirtschaftsraums abgestellt wird.176 Die Konkretisierung der Verteilungsmodalitäten erfolgt durch §§ 5a bis 5e des Gemeindefinanzreformgesetzes. Dies sind Regelungen i. S. d. Art. 106 Va 3 GG. Hiernach entfällt auf die einzelne Gemeinde ein anhand einer Schlüsselzahl zu berechnender Anteil am Gemeindeanteil der Umsatzsteuer. Diese Schlüsselzahl errechnet sich auf Grundlage des Gewerbesteueraufkommens, der Anzahl der so-
mensschwachen Kommunen zu begrenzen (sog. Sockelmethode). Vgl. dazu kritisch Hidien in: Bonner Kommentar, Art. 106, Rn. 1054. 170 Heintzen in: Münch/Kunig, Art. 107, Rn. 13. 171 Art. 107 I GG ist dabei nicht direkt anwendbar, da es sich dabei eben gerade um den Gemeindeanteil und nicht um den Länderanteil an der Einkommensteuer handelt. Grundlage ist vielmehr das Zerlegungsgesetz, das die Regelung sinngemäß anwendet. Vgl. dazu Hidien in: Bonner Kommentar, Art. 106, Rn. 1052. 172 Zentral ist dabei die Bildung einer Schlüsselzahl, die sich wiederum am Steueraufkommen der jeweiligen Gemeinde orientiert. 173 In der sog. „Föderalismuskommission II“ des Deutschen Bundestags wird offenbar ein Zuschlagsrecht der Länder auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer diskutiert, ist aber heftig umstritten, vgl. http://www.tagesspiegel.de/berlin/;art270,2316585; einen guten Überblick über verschiedene Diskussionsvorschläge findet sich im Internet unter: http://www.tagesschau.de/inland/meldung74688.html. 174 Die Länder nehmen wie im Rahmen der Weiterleitung des Einkommensteueranteils der Gemeinden lediglich eine Botenfunktion war, Schwarz in: Henneke/Pünder/ Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 12, Rn. 13 m.w. N. 175 Schwarz in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 12, Rn. 12. 176 Schwarz in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 12, Rn. 16.
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zialversicherungspflichtig Beschäftigten sowie der Entgelthöhe aus den entsprechenden Beschäftigungsverhältnissen. Die Höhe des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer ergibt sich nicht aus dem Gemeindefinanzreformgesetz, sondern aus dem Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern177. Die Gemeinden erhalten hiernach insgesamt 2,2 Prozent des Umsatzsteueraufkommens. 3. Aufkommen aus den Realsteuern: Gewerbesteuer und Grundsteuer178 a) Gewerbesteuer Steuergegenstand sind gem. §§ 1, 2, 35a GewStG die stehenden Gewerbebetriebe und die Betriebe des Reisegewerbes. Voraussetzung ist jeweils der Betrieb im Inland.179 Bemessungsgrundlage ist gem. § 6 GewStG der Gewerbeertrag, der sich seinerseits aus § 7 GewStG ergibt. Hiernach ist Bemessungsgrundlage der Gewinn, wie er sich aus den entsprechenden Vorschriften des EStG und des KStG ergibt.180 Zu beachten sind zudem die Hinzurechnungen und Kürzungen der §§ 8 bzw. 9 GewStG. Die Gewerbesteuer ergibt sich durch Multiplikation des Gewerbeertrags mit der Steuermesszahl (§ 11 GewStG)181 und dem von der Gemeinde festzulegenden Hebsatz, § 14 GewStG.182 Steuerschuldner ist gem. § 5 GewStG der Unternehmer. Als solcher gilt, auf wessen Rechnung das Gewerbe betrieben wird. Die Gewerbesteuer ist „eine den Gemeinden mit Hebesatz zustehende wirtschaftsbezogene Steuerquelle“ i. S. d. Art. 28 II 3 HS 2 GG.183 177 Gesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4.4.2001, BGBl. 2001 I S. 482, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.12.2006, BGBl. 2006 I S. 3376. 178 Vgl. § 3 II AO. 179 Ein Gewerbebetrieb ist dabei jede selbständige, nachhaltige Betätigung mit Gewinnabsicht unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr; ausgeschlossen sind Freiberufler, Selbständige, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft sowie Vermögensverwaltung; vgl. Milbradt in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, S. 132; Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 537. Für Betriebe des Reisegewerbes ist zusätzlich § 35 GewStDVO zu beachten; vgl. zu alledem auch § 1 GewStDVO. 180 Glanegger/Güroff: Gewerbesteuergesetz, § 7, Rn. 1 Zur Berechnung des Gewinns i. S. d. § 7 GewStG ist jedoch ein gesondertes Verfahren anzustrengen, sodass nicht einfach die zur Einkommen- bzw. Körperschaftsteuererhebung veranschlagten Gewinne übernommen werden können. 181 Das Produkt aus diesen beiden Werten ergibt den Steuermessbetrag (Steuermaßstab). 182 Die Formel lautet also: Gewerbesteuer = Hebsatz x Steuermessbetrag = Hebesatz x Steuermesszahl x Gewerbeertrag; die Steuermesszahl wird in § 11 II, III GewStG durch den Bundesgesetzgeber festgelegt; zu beachten sind zudem die Freibetragsregelungen in § 11 I GewStG. Der Hebesatz muss sich im durch das GewStG festgelegten Rahmen bewegen, Kirchhof in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 112, S. 19; dies entspricht obigen Ausführungen s. B. I. 2.
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Daneben sieht Art. 106 VI 4 GG eine Gewerbesteuerumlage als Ausgleich der unterschiedlichen Steuerkraft der Städte und Gemeinden vor. Die Gewerbesteuerumlage bewirkt einen Anspruch von Bund und Ländern gegen die betreffenden Gemeinden. Die Gewerbesteuerumlage ist also gerade keine Einnahmequelle der Kommunen, stellt vielmehr eine Durchbrechung der Realsteuergarantie dar.184 b) Grundsteuer Steuergegenstand der Grundsteuer ist der inländische Grundbesitz. Gem. § 2 GrStG sind die Grundsteuer A für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft sowie gleichstehenden Grundstücken, und die Grundsteuer B für sonstige Grundstücke zu unterscheiden.185 Bemessungsgrundlage ist der sog. Einheitswert des Grundstücks186. Die Grundsteuer ergibt sich durch Multiplikation dieses Einheitswerts mit der Steuermesszahl (§ 13 GrStG)187 und dem von der Gemeinde festzulegenden Hebesatz.188 Steuerschuldner ist gem. § 10 I GrStG derjenige, dem das Grundstück bei Feststellung des Einheitswerts zugerechnet wird. Dies ist gem. § 39 AO im Regelfall der Eigentümer, wobei allerdings § 39 II Nr. 1 AO zu beachten ist: Hiernach zählt das wirtschaftliche Eigentum. Wirtschaftlicher Eigentümer ist, wer den bürgerlich-rechtlichen Eigentümer für die gewöhnliche Nutzung von der Einwirkung auf das Wirtschaftgut wirtschaftlich ausschließen kann.189 Weiter ist zu beachten, dass neben natürlichen und juristischen Personen auch nichtrechtsfähige Vereine und Stiftungen sowie Handelsgesellschaften und Gesellschaften des Bürgerlichen Rechts Eigentümer sein können, jedoch nur soweit sie als Eigentümer im Grundbuch eingetragen sind.190 §§ 3 ff. GrStG beinhalten verschiedene Befreiungstatbestände. Diese knüpfen entsprechend dem Wesen der Grundsteuer als Realsteuer ausschließlich an objek183
Heine in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 8,
Rn. 1. 184 Vgl. dazu und zur verfassungsrechtlichen Problemstellung der Aushöhlung der kommunalen Realsteuergarantie: Kirchhof in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 112, S. 20; Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 53. 185 Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 527. 186 Dieser wird vom Finanzamt auf Grundlage der §§ 19 ff. BewG festgestellt; Troll: Grundsteuergesetz, § 13, Rn. 2. 187 Das Produkt aus diesen beiden Werten ergibt den Steuermessbetrag (Steuermaßstab). 188 Die Formel lautet also: Grundsteuer = Hebsatz x Steuermessbetrag = Hebesatz x Steuermesszahl x Einheitswert; die Steuermesszahl wird in §§ 14, 15 GrStG durch den Bundesgesetzgeber festgelegt; vgl. zu alledem auch Gern: Kommunalrecht BadenWürttemberg, Rn. 529 f. 189 Haverkamp in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 116, S. 121. 190 Troll: Grundsteuergesetz, § 10, Rn. 2.
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Kap. 4: Kommunale Einnahmebeschaffung im Lichte des Verfassungsrechts
tive Tatbestände an. Gründe, die in der Person des Steuerpflichtigen liegen, spielen hingegen keine Rolle.191 Hiernach sind Grundstücke bestimmter Rechtsträger (§ 3) oder solche zum Zwecke bestimmter Nutzungen (§ 4) von der Grundsteuer befreit. Wohnungen können nicht von der Grundsteuerpflicht befreit werden.192 Daneben gibt es die Möglichkeit eines Grundsteuererlasses aus sachlichen oder persönlichen Billigkeitsgründen. Einen entsprechenden Anspruch gewähren bei Vorliegen der notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen §§ 32 f. GrStG. Danach bestehen drei Möglichkeiten des Grundsteuererlasses.193 4. Örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern Gem. Art. 106 VI GG steht den Gemeinden auch die Ertragskompetenz für die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern zu.194 I. R. d. Erhebung von Verbrauchsteuern ist entscheidender Anknüpfungspunkt der Übergang vertretbarer Sachen aus dem steuerlichen Zusammenhang in den nicht gebundenen Rechtsverkehr; Anknüpfungspunkte bieten also bestimmte Rechtsgeschäfte.195 „Aufwandsteuern sind Steuern auf die in der Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Maßgebend für den Charakter einer Steuer als Aufwandsteuer ist es also, dass die in der Einkommensverwendung zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit getroffen werden soll.“196
Diese Leistungsfähigkeit wird durch das objektive Merkmal des Konsums festgestellt.197 Die Einkommensverwendung für Konsum muss einen besonderen Aufwand i. S. e. über die Befriedigung des allgemeinen Lebensbedarfs hinausgehenden Verwendung von Einkommen oder Vermögen darstellen.198
191 Eisele in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 10, Rn. 20. 192 Eine Ausnahme gilt für kirchliche Dienstwohnungen; vgl. Eisele in: Henneke/ Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 10, Rn. 28. 193 § 32 GrStG enthält Tatbestände, die einen dauerhaften Erlass rechtfertigen; der Erlass tritt an die Stelle einer sonst gebotenen Befreiung. § 33 GrStG gewährt einen Anspruch auf Erlass wegen wesentlicher Ertragsminderung. Die Allgemeine Regel des § 227 AO gewährt den Gemeinden eine allgemeine Erlassbefugnis aus Billigkeitsgründen. Vgl. zu alledem Eisele in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 10, Rn. 101. 194 Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 55. 195 BVerfG NJW 1998, 2341, 2343; diese Entscheidung wird wiederum zitiert von Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 1037; vgl. außerdem ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 545. 196 BVerfGE 16, 64, 74. 197 Vgl. BVerfGE 65, 325, 347. 198 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 1038 m.w. N.; ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 545.
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Örtlich sind „nur solche Steuern [. . .], die an örtliche Gegebenheiten, vor allem an die Belegenheit einer Sache oder an einen Vorgang im Gebiet der steuererhebenden Gemeinde anknüpfen und wegen der Begrenzungen ihrer unmittelbaren Wirkungen auf das Gemeindegebiet nicht zu einem die Wirtschaftseinheit berührenden Steuergefälle führen können“199 Als Beispiele örtlicher Verbrauchs- und Aufwandsteuern können die Vergnügungssteuer, die Zweitwohnungsteuer, die Getränkesteuer, die Jagd- und Fischereisteuer sowie die Hundesteuer genannt werden.200 Die Einwohnersteuer fällt hierunter, soweit sie einen besonderen finanziellen Aufwand erfasst. Die Schankerlaubnissteuer ist eine sonstige Steuer i. S. d. Art. 105 II GG.201 5. Grunderwerbsteuer Die Ertragshoheit hinsichtlich der Grunderwerbsteuer liegt bei den Ländern. Der Landesgesetzgeber kann ihr Aufkommen ganz oder zum Teil den Gemeinden zukommen lassen, § 106 VII 2 GG. Die Grunderwerbsteuer ist eine Verkehrsteuer. Besteuert werden Rechtsvorgänge bezüglich inländischer Grundstücke.202 II. Staatliche Zuweisungen Im Gegensatz zu den originären Ertragskompetenzen erfolgt die Zuweisung staatlicher Finanzmittel, als der zweiten wesentlichen kommunalen Einnahmequelle203, nach Maßgabe weiterer gesetzlicher Ausgestaltung.204 1. Kommunaler Finanzausgleich a) Gesetzliche Grundlagen Der kommunale Finanzausgleich findet seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 106 VII GG sowie in den Landesverfassungen fast aller205 Flächen199 BVerfGE 16, 306, 327; diese Entscheidung wird von BVerfGE 65, 325, 349 zitiert; außerdem wird auf sie von BVerfGE 40, 56, 61 Bezug genommen. 200 Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 56, m.w. N. 201 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 1043 ff. m.w. N.; ders.: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 547 f. 202 Vgl. dazu ausführlich: Pahlke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 11. 203 Kirchhof in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 112, S. 22. 204 Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 57. 205 Die einzige Ausnahme bildet Bayern.
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länder.206 Die Konkretisierung erfolgt in den Finanzausgleichsgesetzen dieser Länder bzw. in Nordrhein-Westfalen im jährlichen Gemeindefinanzierungsgesetz.207 b) Ziele Mit Hilfe des im Verhältnis zu den eigenen Einnahmen der Städte und Gemeinden subsidiären kommunalen Finanzausgleichs werden vor allem zwei Ziele verfolgt: Einerseits sollen den Kommunen ausreichend Finanzmittel zur Erledigung ihrer Aufgaben zur Verfügung gestellt werden; dies wird mittels des vertikalen Finanzausgleichs angestrebt und entspricht der fiskalischen Funktion des Finanzausgleichs. Ziel der horizontalen Komponente des kommunalen Finanzausgleichs ist es hingegen, die finanziellen Disparitäten zwischen den Kommunen zu verringern; dies entspricht der redistributiven Funktion des Finanzausgleichs. Daneben besteht eine raumordnungspolitische (allokative) Funktion, in deren Rahmen räumliche Nutzenspillover kommunaler Einrichtungen in den kommunalen Finanzausgleich mit einbezogen und soweit wie möglich ausgeglichen werden.208 Im Kern geht es um einen angemessenen Ausgleich zwischen aufgabenabhängigem Finanzbedarf einerseits und der gegebenen Finanzausstattung andererseits.209 Bei allen Unterschiedlichkeiten im Detail weisen die Regelungen der Länder – unter Ausnahme derer Schleswig-Holsteins, Mecklenburg-Vorpommerns und Rheinland-Pfalz’ – dieselbe Grundstruktur auf:210
206 Exemplarisch Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 671; Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 57 m.w. N.; Henneke in: Henneke/Pünder/ Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 1. 207 Vgl. die Übersicht bei Henneke: Der Kommunale Finanzausgleich 2005 unter besonderer Berücksichtigung der Landkreise, in: Der Landkreis 2005, S. 363. 208 Schließlich wird eine gesamtwirtschaftliche Funktion im Rahmen der Stabilitätsund Konjunkturpolitik verfolgt; vgl. zu alledem exemplarisch von Mutius/Henneke: Kommunale Finanzausstattung und Verfassungsrecht, S. 85 ff; Henneke in: Henneke/ Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 4 ff.; Katz in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 118, S. 307 f.; VerfGH NRW Urteil vom 11.12.2007, Az.: 10/06, S. 16; Perner: Optionen zur Reduzierung des Flächenverbrauchs, S. 71. 209 von Mutius/Henneke: Kommunale Finanzausstattung und Verfassungsrecht, S. 86; Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 20. 210 Diese geht zurück auf das Gutachten von Johannes Popitz aus dem Jahre 1932 (Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden), Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 20.
D. Kommunale Finanzquellen und ihre Funktionsweisen
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c) Struktur (1) Die Finanzausgleichsmasse Die Finanzausgleichsmasse211 setzt sich gem. Art. 106 VII 1 GG obligatorisch aus dem Länderanteil an den Gemeinschaftsteuern212 zusammen (sog. Obligatorischer Finanzausgleich). Fakultativ können die Länder bestimmen, zusätzlich Anteile des Ertrags aus den Landessteuern in die Finanzausgleichsmasse einzustellen (sog. Fakultativer Finanzausgleich, Art. 106 VII 2 GG).213 Den Kommunen wird von dieser Verbundgrundlage ein bestimmter Prozentsatz zur Verfügung gestellt, der von Land zu Land deutlich unterschiedlich ist (Verbundquote bzw. -satz). Dieser bildet die (vollständig) zu verteilende Finanzausgleichsmasse.214 (2) Vollziehung: Schlüssel-, Bedarfs- und Zweckzuweisungen Die Vollziehung des kommunalen Finanzausgleichs erfolgt durch finanzielle Zuweisungen an die Städte und Gemeinden. Zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs fließen den Städten und Gemeinden im Rahmen des vertikalen Finanzausgleichs allgemeine Finanzzuweisungen zu, die sich in Schlüsselzuweisungen und Bedarfszuweisungen aufteilen lassen.215 Daneben gewähren die Länder in gesetzlich genau definierten Fällen Zweckzuweisungen als staatliche Lenkungsmittel zur Investitionsförderung.216 (a) Schlüsselzuweisungen Die Schlüsselzuweisungen erfolgen ohne Auflagen und werden auf Grundlage der Finanzkraft der Gemeinden verteilt. Diese wird aus dem Aufkommen aus 211 Sie betrifft ausschließlich die vertikale Komponente des kommunalen Finanzausgleichs und stellt die Gesamtmenge der vom Land an die Kommunen zu überlassenden Mittel dar, vgl. von Mutius/Henneke: Kommunale Finanzausstattung und Verfassungsrecht, S. 91. 212 Zum Landesanteil an den Gemeinschaftssteuern sind weder der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer noch derjenige an der Umsatzsteuer zu rechnen. Denn dies sind beides originäre Steuereinnahmen der Gemeinden. (s. o. D. I. 1. und 2.) Beim Länderfinanzausgleich handelt es sich hingegen um staatliche Zuweisungen. Vgl. für die Einkommensteuer Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 57. 213 Kirchhof: Rechtliche Determinanten des kommunalen Finanzausgleichs, in: Kirchhof/Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, S. 27. 214 Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 9; vgl. detailliert Henneke: Der Kommunale Finanzausgleich 2005 unter besonderer Berücksichtigung der Landkreise, in: Der Landkreis 2005, S. 365. 215 Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 13. 216 Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 15 ff.
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Kap. 4: Kommunale Einnahmebeschaffung im Lichte des Verfassungsrechts
Steuern und aus sonstigen Einnahmen wirtschaftlicher Tätigkeit ermittelt. Zur Klärung der Einnahmesituation einer Gemeinde wird eine sog. Steuerkraftmesszahl errechnet. Bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Bundesländern lassen sich einige gemeinsame Strukturen identifizieren: So wird in keinem Bundesland auf die realen Einnahmen abgestellt. Entscheidend sind nur die Steuereinnahmen. Und auch diese werden nicht einfach alle in ihrem Ist-Aufkommen addiert. Vielmehr wird lediglich hinsichtlich des Einkommensteueranteils und des Anteils an der Umsatzsteuer das Ist-Aufkommen zugrunde gelegt. Für Realsteuern werden hingegen fiktive Hebesätze ermittelt, die sich zum Teil wiederum bis zu einem gewissen Grade nach der Größe einer Gemeinde richten. Das Aufkommen aus den örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern bleibt sogar gänzlich unberücksichtigt.217 Gleichzeitig sind die Ausgaben, die eine Kommune zu bewältigen hat, in den Blick zu nehmen. Je nach Aufgaben, Bedarf und Größe einer Kommune sind diese unterschiedlich hoch anzusetzen. Um besonders ausgabefreudige Kommunen nicht bevorzugt zu behandeln, werden nicht die konkreten Ausgaben zur Beurteilung herangezogen, sondern wird auf den abstrakten Finanzbedarf abgestellt.218 Dieser wird durch Feststellung einer sog. Bedarfsmesszahl ermittelt, die die „normierte durchschnittliche Ausgabenbelastung“219 der betreffenden Gemeinde abbildet. In sämtlichen Bundesländern bilden die Einwohnerzahlen die Ausgangsposition der Berechnungen. In den meisten Ländern wird der einzelne Einwohner je nach Größe der Gemeinde unterschiedlich gewichtet – und zwar umso stärker je größer die Gemeinde.220
217 Vgl. hierzu und zur Frage der verfassungsrechtlichen Gebotenheit solcherlei Differenzierungen: Henneke: Der Kommunale Finanzausgleich, DÖV 1994, 1, 8; Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 33 ff. 218 Kirchhof: Rechtliche Determinanten des kommunalen Finanzausgleichs, in: Kirchhof/Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, S. 29 f. 219 Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 20. 220 Diese sog. Einwohnerveredelung geht auf das Gutachten von Popitz (Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden) zurück, dem die Annahme zu Grunde liegt, dass der Verwaltungsaufwand pro Einwohner mit steigender Gemeindegröße zunimmt, vgl. S. 262 ff.; Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 25; vgl. zudem Henneke: Der Kommunale Finanzausgleich, DÖV 1994, 1, 8; von Mutius/Henneke: Kommunale Finanzausstattung und Verfassungsrecht, S. 124. Letztere weisen darauf hin, dass die dem Prinzip der Einwohnerveredelung zugrunde liegende Annahme hinsichtlich ihrer empirischen Richtigkeit stark umstritten sei. Die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sind deshalb von der Einwohnerveredelung abgerückt; hier wird jeder Einwohner gleich gewichtet; von Mutius/Henneke: Kommunale Finanzausstattung und Verfassungsrecht, S. 91 ff.; Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 26; Henneke: Der Kommunale Finanzausgleich 2005 unter besonderer Berücksichtigung der Landkreise, in: Der Landkreis 2005, S. 368, 371.
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(b) Bedarfszuweisungen Bedarfszuweisungen werden in Einzelfällen als Sonderform des kommunalen Finanzausgleichs zur Deckung unvermeidbarer Haushaltsfehlbeträge gewährt. Um ausgabefreudige Kommunen nicht zu bevorzugen, ist ihre Handhabe jedoch äußerst restriktiv und daher an strenge Maßstäbe gebunden. Dogmatischer Hintergrund hierfür ist das interkommunale Gleichbehandlungsgebot.221 (c) Zweckzuweisungen Zweckzuweisungen dienen dem Ausgleich von Sonderlasten sowie der kommunalen Investitionsförderung und weisen zur Erfüllung dieser Aufgabe eine Zweckbindung auf. Diese unterscheidet sie von den Schlüsselzuweisungen. Zugleich ist die Zweckbindung aber vor dem Hintergrund der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nicht unbedenklich. Denn die kommunale Entscheidungsfreiheit und damit die Eigenverantwortlichkeit der Kommunen werden dadurch nicht unerheblich eingeschränkt (sog. Politik des goldenen Zügels).222 2. Erstattung für vom Bund veranlasste Ausgaben a) Sonderlastenausgleich, § 106 VIII GG Insoweit bestehen ausnahmsweise direkte Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen. Die Regelung ist Ausdruck des Veranlasserprinzips223. Es geht um Sonderlasten, die typischerweise nicht von der Steuerertragsaufteilung berücksichtigt werden, und in ihrer Höhe für die betroffenen Städte und Gemeinden unzumutbar sind. Sonderlasten müssen auf die Veranlassung durch den Bund zurückzuführen sein, wobei rein negative Maßnahmen wie z. B. Standortschließungen nicht erfasst werden.224
221 Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 14; ders.: Landesverfassungsrechtliche Finanzgarantien der Kommunen im Spiegel der Rechtsprechung, in: Der Landkreis 2004, 166, 196 f.; Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 122. 222 Henneke in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 25, Rn. 9, 15; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 672; Korioth: Der kommunale Finanzausgleich in Mecklenburg-Vorpommern, LKV 1997, 385, 388; eine ausführliche Darstellung des Zusammenhangs zwischen Investitionszuweisungen und kommunalen Sachinvestitionen findet sich bei Matschke/Hering: Kommunale Finanzierung, S. 120 f. 223 Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 59. 224 Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 106, Rn. 19 f.
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Kap. 4: Kommunale Einnahmebeschaffung im Lichte des Verfassungsrechts
b) Ausgaben für Geldleistungsgesetze des Bundes, Art. 104a III GG Die Ausgabentragungsregel des Art. 104a III GG umfasst Geldleistungsgesetze, die von Ländern – bzw. den Kommunen als Teil der Länder – ausgeführt werden. Die Regelung umfasst nur einmalige oder laufende Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln ohne dass dafür vom Empfänger eine Gegenleistung erbracht werden müsste. Wie bereits in der alten Fassung des Art. 104a III GG sind Sachoder Dienstleistungen nicht erfasst. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen muss der Bund eine bestimmte Quote der Ausgaben übernehmen und darf nicht einfach einen pauschalen Geldbetrag gewähren.225 3. Investitionshilfen, Art. 104b (Art. 104a IV a. F.) GG Die Vorschrift enthält die Ermächtigung des Bundes zu finanzieller Unterstützung der Städte und Gemeinden. Vom Tatbestand erfasst sind besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Kommunen. Voraussetzung für die Gewährung von Investitionshilfen ist einerseits die Erforderlichkeit der Investitionen zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums. Zusätzliche Voraussetzung ist nunmehr auch das Bestehen einer entsprechenden Sachkompetenz, sodass eine Investitionshilfebefugnis des Bundes nicht für Materien besteht, die der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegen.226 III. Gebühren und Beiträge 1. Gebühren227 Der Gebührenbegriff ist bundesrechtlich nicht geregelt. Lediglich ein Teil der Kommunalabgabengesetze der Länder enthält eine Legaldefinition228, jedoch ge225 Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 104a, Rn. 5 ff.; vgl. zudem Hellermann in: Starck, Föderalismusreform – Einführung, Rn. 320 ff. 226 Hellermann in: Starck, Föderalismusreform – Einführung, Rn. 350 ff.; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 104b, Rn. 1 ff.; vgl. zur früheren Regelung in Art. 104a IV GG: Schwarz: Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, S. 60. 227 Die Funktion von Gebühren ergibt sich aus Verfassungsgewohnheitsrecht; hiernach sind Gebühren zur (teilweisen) Kostendeckung für Tätigkeiten der Verwaltung (Verwaltungsgebühren) oder für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen (Benutzungsgebühren) zu entrichten, Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 509; ders.: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 983. Darüber hinaus können innerhalb nicht einheitlich definierter Grenzen als Nebenzwecke zur Einnahmeerzielung auch Lenkungszwecke verfolgt werden, Kaufmann in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 15, Rn. 12.
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hen auch die übrigen Länder von ähnlichen Begriffen aus, die sich lediglich in Einzelheiten unterscheiden.229 Gebühren werden in Form von Benutzungs-230 und Verwaltungsgebühren231 erhoben. Verleihungsgebühren232 sind als Gegenleistung für die Verschaffung eines subjektiven öffentlichen Rechts zu verstehen.233 Für die Erhebung von Gebühren gilt der Grundsatz der speziellen Entgeltlichkeit, d.h. sie ist an eine bestimmte, individuell zurechenbare Staatsleistung geknüpft, von der folglich auch ihre Höhe abhängt. Hieraus ergibt sich das Äquivalenzprinzip als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wonach die Höhe der Gebühr und die erbrachte öffentliche Leistung in keinem groben Missverhältnis stehen dürfen.234 Ergänzt wird das Äquivalenzprinzip durch den Gleichheitsgrundsatz, wonach die von den Schuldnern zu bezahlenden Gebühren untereinander nicht in einem Missverhältnis stehen dürfen.235 In den Kommunalabgabengesetzen sämtlicher Länder ist zudem das Kostendeckungsprinzip236 verankert. Dieses setzt sich zusammen aus dem Kostenüberschreitungsverbot237 und dem Kostendeckungsgebot. Es ist also von einer Ge228 § 2 IV GebG BW i.V. m. § 11 I 2 KAG BW; § 4 I KAG SchlH; § 4 II KAG Sachs; §§ 4 I, 5 I KAG Nds; § 4 II KAG NW. 229 Kaufmann in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 15, Rn. 1. 230 Als Gegenleistung für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen; z. B.: Abfall-, Abwasser-, Stromgebühren. 231 Als Gegenleistung für eine vom Gebührenpflichtigen in Anspruch genommene individuelle Amtshandlung; z. B.: Gebühr für Beurkundungen oder für behördliche Entscheidungen. 232 Z. B. das Wasserentnahmegeld in Baden-Württemberg. 233 Vgl. zu alledem Kaufmann in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 15, Rn. 6 ff. 234 BVerwGE 26, 305, 308 mit Verweis auf BVerwGE 20, 257, 270; BVerwG NVwZ 2003, 1385, 1386; Kaufmann in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 15, Rn. 10. Schmitt spricht vom Erfordernis eines angemessenen Verhältnisses zwischen Gebühr und öffentlicher Leistung: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 78; wie Schmitt auch Zimmermann: Aktuelle Fragen des Rechts der kommunalen Gebühren und Beiträge, in: VerwArch 1971, S. 22; dies entspricht der älteren Rechtsprechung des BVerwG, E 12, 162, 166. 235 Zimmermann: Aktuelle Fragen des Rechts der kommunalen Gebühren und Beiträge, in: VerwArch 1971, S. 22. 236 Der Kostendeckungsgrundsatz „verpflichtet [. . .] dazu, die Gebührensätze so zu kalkulieren, dass das in einem bestimmten Rechnungszeitraum zu erwartende (gesamte) Gebührenaufkommen die in diesem Zeitraum zu erwartenden gebührenfähigen Kosten der öffentlichen Einrichtung in ihrer Gesamtheit nicht übersteigt“, VGH Mannheim NVwZ 1994, 194, 196. 237 Das Kostenüberschreitungsverbot stellt die Abgrenzung der Gebühr von einer Steuer sicher, Kübler/Fröhner: Das Kommunalabgabenrecht in Baden-Württemberg, § 11 KAG, Rn. 9.
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samtbetrachtung auszugehen und nicht ein einzelner Fall isoliert zu werten. Das Kostenüberschreitungsverbot schützt den Gebührenschuldner folglich nicht davor, mehr Gebühren bezahlen zu müssen, als auf ihn selbst Kosten entfallen.238 Zudem ist der politische Aspekt von Gebühren zu beachten, der in der Praxis bewirkt, dass das Kostendeckungsgebot in vielen Fällen nicht eingehalten wird.239 Zur Erhebung kommunaler Gebühren240 werden die Gemeinden durch die Kommunalabgabengesetze ermächtigt. Letztere verbinden diese Ermächtigung zusätzlich mit einem Satzungszwang. Aus solchen Gebührensatzungen müssen Abgabenschuldner, -tatbestand, -maßstab, -satz und der Fälligkeitszeitpunkt hervorgehen.241 2. Beiträge242 Der Beitragsbegriff ist bundesrechtlich ebenso wenig geregelt wie der Gebührenbegriff. Auch hinsichtlich einer Legaldefinition für Beiträge kann aber auf einen Teil der Kommunalabgabengesetze der Länder verwiesen werden.243 Beiträge werden von einzelnen Bürgern für Vorteile erhoben, die durch Aufwendungen der Kommunen bewerkstelligt werden und nicht allen Einwohnern gleichermaßen zugute kommen. Zentral ist dabei der Gesichtspunkt der Gegenleistung: Die Notwendigkeit der Erhebung von Beiträgen anstatt einer Finanzierung über Steuern ergibt sich für solche Fälle, in denen eine öffentliche Einrichtung oder Anlage zwar der Allgemeinheit zugute kommt, einzelne Bürger jedoch
238 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 79; Kaufmann in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 15, Rn. 13 f., 42. 239 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 79. 240 Im Gegensatz zu sog. Staatlichen Gebühren, zu deren Erhebung spezielle bundesoder landesrechtliche Normen ermächtigen. 241 Kaufmann in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 15, Rn. 18 ff. 242 Die Funktion von Beiträgen ergibt sich aus Verfassungsgewohnheitsrecht; hiernach sind Beiträge als Gegenleistung für die Möglichkeit der Benutzung öffentlicher Einrichtungen und Anlagen zu entrichten, Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 510; ders.: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 984. 243 Z. B. § 8 II KAG NW: „Beiträge sind Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung und Erweiterung öffentlicher Einrichtungen und Anlagen im Sinne des § 4 II [. . .] jedoch ohne die laufende Unterhaltung und Instandsetzung, dienen. Sie werden von den Grundstückseigentümern als Gegenleistung dafür erhoben, dass ihnen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtungen und Anlagen wirtschaftliche Vorteile geboten werden.“ Das KAG BW legt in §§ 20 ff. dieses Verständnis zu Grunde, ohne jedoch eine Legaldefinition zu liefern.
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besonderen wirtschaftlichen Nutzen genießen.244 Eine Finanzierung aus Steuermitteln wäre nur dann gerecht, wenn die betreffenden öffentlichen Einrichtungen und Anlagen allen Bürgern gleichermaßen zugute kämen und deren Kosten daher unter den allgemeinen Finanzbedarf fielen. Im Unterschied zu den Gebühren wiederum sind Beiträge als Gegenleistung zu einer vom Gebührenpflichtigen nicht konkret beantragten Leistung zu sehen. Das Gemeinwesen entscheidet über die Erbringung der Leistung – nicht der Beitragspflichtige über deren Inanspruchnahme. Entsprechend richtet sich die Beitragshöhe nicht nach dem Maß der Inanspruchnahme der betreffenden Leistung sondern nach deren Vorteil für den Beitragspflichtigen.245 Die Kompetenz zur Erhebung von Beiträgen folgt immer der Sachkompetenz hinsichtlich der betreffenden Leistung, für die ein Beitrag erhoben werden soll. Entscheidend ist also nicht die Erbringung der Leistung, sondern die Trägerschaft derselben.246 Im Rahmen der Bemessung von Beiträgen ist ausschließlich auf die Kosten von Investitionsmaßnahmen abzustellen. Laufende Kosten der Unterhaltung dürfen demgegenüber nicht berücksichtigt werden.247 3. Sonderabgaben Sonderabgaben stellen zum Teil Mischformen aus Steuern, Gebühren und Beiträgen dar. Teilweise sind sie auch als aliud zu diesen zu sehen. Im Rahmen der Sonderabgaben ist zwischen solchen zu unterscheiden, die eine staatliche Gegenleistung entgelten, und solchen, die dies nicht tun. Im Rahmen der Sonderabgaben, für die keine staatliche Gegenleistung erbracht wird, ist wiederum zwischen solchen zu Ausgleichsfinanzierungszwecken und solchen zu Sachzwecken zu differenzieren.248
244 BVerfGE 7, 244, 254 f.; 9, 291, 297 – diese Entscheidung weist außerdem auf die Definition in § 9 des preußischen Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 hin: „Die Gemeinden können behufs Deckung der Kosten für Herstellung und Unterhaltung von Veranstaltungen, welche durch das öffentliche Interesse erfordert werden, von denjenigen Grundeigentümern und Gewerbetreibenden, denen hierdurch besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen, Beiträge zu den Kosten der Veranstaltungen erheben. Die Beiträge sind nach den Vorteilen zu bemessen [. . .].“ 245 Arndt in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 16, Rn. 1 ff. 246 Arndt in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 16, Rn. 9. 247 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 80. 248 Vgl. zu alledem Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 511 ff.; ders.: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 985 ff.
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IV. Andere Einnahmequellen 1. Wirtschaftliche Betätigung Daneben bietet wirtschaftliche Betätigung den Städten und Gemeinden Möglichkeiten zu kommunaler Einnahmebeschaffung. Zu beachten ist dabei allerdings, dass die erwirtschafteten Gewinne grundsätzlich im rechtlich selbständigen Betrieb gebunden sind und nicht dem kommunalen Haushalt zur Verfügung stehen.249 Die faktische Gegebenheit leerer Gemeindekassen bewirkt eine wachsende praktische Bedeutung von Einnahmen aus privatwirtschaftlicher Tätigkeit.250 Entscheidendes Motiv ist die erhoffte finanzielle Entlastungswirkung, die durch die Privatisierung kommunaler Aufgaben insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge möglicherweise bewirkt werden können.251 Begrenzt werden die Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigung der Kommunen durch die Regelungen der Gemeindeordnungen der Länder.252 2. Public Private Partnership Weitere Möglichkeiten kommunaler Einnahmebeschaffung werden durch verschiedene Formen von Public Private Partnership eröffnet. Meistens stellen diese jedoch keine echten Einnahmen, sondern lediglich kreditähnliche Rechtsgeschäfte dar, d.h. zu tätigende Ausgaben werden mittels privatrechtlicher Finanzierungsmodelle bewerkstelligt.253 V. Kreditfinanzierungsmöglichkeiten Kredite sind nach den Gemeindehaushaltsverordnungen der Länder unter einer Rückzahlungsverpflichtung von Dritten oder von Sondervermögen durch Darle249 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 80 f. 250 Schliesky in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 22, Rn. 1. 251 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 81; Seitz weist daraufhin, dass Auslagerungen von Aufgaben mit teils erheblichen Zuweisungen und Zuschüssen an die Unternehmen verbunden sind, die die ausgelagerten Aufgaben fortan übernehmen sollen: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 21. 252 Schliesky in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 22, Rn. 1. In Baden-Württemberg sind die Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigung der Gemeinden in §§ 102 ff GemO geregelt; vgl. zur Modernisierung des baden-württembergischen Gemeindewirtschaftsrechts: Heilshorn, Die Neufassung der kommunalwirtschaftlichen Subsidiaritätsklausel und des Gebietsbezugs kommunaler Unternehmen in Baden-Württemberg, VBlBW 2007, 161 ff. 253 Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 363d ff.
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hensvertrag aufgenommenes Kapital, wobei Kassenkredite keine Kredite in diesem Sinne darstellen.254 Angesichts ihrer wachsenden praktischen Bedeutung255 sind sie allerdings im Zusammenhang mit Krediten i. S. d. Gemeindehaushaltsverordnungen zu erörtern. 1. Kreditfinanzierung i. S. d. Gemeindehaushaltsverordnungen a) Kreditaufnahme als Rechtsgeschäft Der Vorgang der Kreditaufnahme an sich unterliegt keinen besonderen Vorschriften. Es gelten die zivilrechtlichen Regeln über Darlehen. Die Kreditaufnahme ist auch für eine Kommune ein ganz normales Rechtsgeschäft i. S. d. BGB.256 b) Rechtliche Zulässigkeit von Kreditaufnahmen Mittels der Aufnahme von Krediten kann die Konsum- und Investitionskraft eines Rechtssubjekts langfristig nicht gesteigert werden. Es findet lediglich eine zeitliche Vorverlagerung statt, sodass künftig erwartete Finanzressourcen bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingesetzt werden können.257 Kreditfinanzierung bedeutet daher eine Vorbelastung künftiger Haushalte, möglicherweise auch der Haushalte künftiger Generationen. Sie ist deshalb vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips nur zurückhaltend einsetzbar und unterliegt daher einschränkenden Voraussetzungen.258 So erlauben die Gemeindeordnungen der Länder die Aufnahme eines Kredites nur, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich oder nicht zweckmäßig wäre. Außerdem dürfen sie nur i. R. d. Vermögenshaushalts und nur zu drei Zwecken eingesetzt werden: für Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen oder zur Umschuldung.259 Die Kreditaufnahme darf nur im Einklang mit der dauernden Leis254
Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 673. Vgl. etwa Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006, S. 3 f., Grafik 3. 256 Exemplarisch: Fromme in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 31, Rn. 38; Püttner in: ders. (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 124, S. 618. 257 Fromme in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 31, Rn. 5 ff. 258 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 673. 259 Dahinter steht der Gedanke, wonach kein Wertverzehr zulasten künftiger Generationen eintreten können soll; werden Kredite auf Investitionen beschränkt, existiert theoretisch ein Gegenwert, der künftigen Generationen auch zur Verfügung steht, vgl. Fromme in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 31, Rn. 51. 255
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Kap. 4: Kommunale Einnahmebeschaffung im Lichte des Verfassungsrechts
tungsfähigkeit der betreffenden Kommune erfolgen. Sicherheitsleistungen dürfen keine erbracht werden. Schließlich ist die Genehmigung durch die Kommunalaufsicht erforderlich.260 2. Kassenkredite Kassenkredite fallen nicht unter diese Beschränkungen. Denn sie dienen lediglich der kurzfristigen Überbrückung anders nicht behebbarer Liquiditätsengpässe und werden – jedenfalls theoretisch – nicht zum Zwecke der Finanzierung aufgenommen. Daher sollen die o. g. Bedenken im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip gerade nicht gelten, sodass sie auch nicht den engen Voraussetzungen einer Kreditaufnahme i. S. d. Gemeindehaushaltsverordnungen unterliegen.261
260 Ausführlich zu den Grenzen der kommunalen Kreditfinanzierung Mohl/Schick: Sind der Kommunalverschuldung rechtliche Grenzen gesetzt? in: KStZ 1995, S. 201 ff. 261 Exemplarisch Mohl/Schick: Sind der Kommunalverschuldung rechtliche Grenzen gesetzt? in: KStZ 1995, S. 201; Püttner in: ders. (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 124, S. 620.
Kapitel 5
Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden unter den Bedingungen des demographischen Wandels Die demographischen Veränderungen werden die kommunale Finanzsituation stark beeinflussen. Um diese Entwicklung beschreiben zu können, bedarf es einer fundierten Analyse sowohl der Einnahmen- als auch der Ausgabenseite. Erst deren Zusammenschau ermöglicht eine Aussage über den finanziellen Saldo des demographischen Wandels.
A. Ausgangspunkt: Konjunkturelle und ökonomisch-strukturelle Faktoren werden durch bevölkerungsstrukturelle Veränderungen überlagert Die Kommunalfinanzen hatten sich zuletzt wieder positiv entwickelt. Insbesondere Gewerbe- und Körperschaftsteueraufkommen waren in konjunkturell günstigen Zeiten deutlich angestiegen. Dennoch wiesen die kommunalen Finanzen bereits in jener konjunkturellen Hochphase Risiken und Schwachpunkte auf.262 Die derzeitige Wirtschaftskrise bewirkt, dass sich die kommunale Ebene insgesamt auf enorme Einnahmeausfälle einstellen muss.263 Diese Entwicklung bildet die Grundstruktur eines kommunalen Finanzszenarios, das durch die demographischen Veränderungen erzeugt werden wird.264 I. Kommunale Einnahmesituation Die kommunalen Steuereinnahmen erhöhten sich 2006 im Vergleich zum Vorjahr um insgesamt 12,4% auf 61 Mrd. A. Die Einnahmen insgesamt konnten um 5% gesteigert werden. Diese Entwicklung war von sämtlichen Bundesländern 262 Etwa Kuban: Trotz höherer Einnahmen: Reiche Städte, arme Städte, in: Der Städtetag 5-2007, S. 1; für Baden-Württemberg Schmid/Reif: Gemeindefinanzbericht Baden-Württemberg 2007, in: Die Gemeinde, S. 562. 263 Vgl. exemplarisch Breining: Jetzt fangen die Kämmerer mit dem Nachrechnen an, in: Stuttgarter Zeitung v. 20. Mai 2009, S. 6; Borgmann/Durchdenwald: Gemeindesteuern brechen ein, in: Stuttgarter Zeitung v. 23. Mai 2009, S. 1; eingehend für die Stadt Stuttgart dies.: Viele Projekte stehen plötzlich auf der Kippe, in: ebd. S. 21. 264 Diese Differenzierung nehmen auch Gönner und Trumpp vor: s. jeweils Gesprächsnotiz im Anhang.
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
getragen. Die Gewerbesteuereinnahmen verbuchten dabei einen Zuwachs von 20,7% und lagen dadurch bei 28,3 Mrd. A. Auch dieser Zuwachs erstreckte sich mehr oder weniger stark ausgeprägt auf sämtliche Bundesländer. Die Gemeindeanteile an Einkommen- und Umsatzsteuer erhöhten sich um 8,6% bzw. 4,7% auf insgesamt ca. 1,6 Mrd. A bzw. 4,7 Mrd. A.265 Insgesamt verbuchten die Kommunen der neuen Länder im Jahre 2006 27,3 Mrd. A an Einnahmen, was einem Plus gegenüber 2005 von 5,5% entsprach. Getragen wurde diese Entwicklung von um 7,9% höheren Steuereinnahmen; alle anderen wichtigen Einkunftsarten waren hingegen rückläufig.266 Die Kommunen der westdeutschen Flächenländer erzielten im Jahre 2006 131,3 Mrd. A an Einnahmen, was einem Plus gegenüber 2005 von 4,9% entsprach. Auch hier wurde diese positive Entwicklung von deutlich höheren Steuereinnahmen (+12,8%) getragen; alle anderen wichtigen Einkunftsarten stagnierten oder waren sogar rückläufig.267 Die derzeit herrschende Wirtschaftskrise wird wohl bewirken, dass die Gemeindesteuern massiv einbrechen werden. So muss etwa die Stadt Stuttgart allein geschätzte 290 Mio. A an Mindereinnahmen aus Einkommen- und Umsatzsteuer sowie aus den Schlüsselzuweisungen des kommunalen Finanzausgleichs einplanen. Auch die Verluste aus den Einnahmen der Gewerbesteuer dürften in den Westbundesländern immens sein.268 In Ostdeutschland dürften sich die Einnahmeausfälle aus der Gewerbesteuer angesichts der relativen Strukturschwäche indes eher in Grenzen halten.269 265 Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006, S. 2; vgl. außerdem Tabellen im Anhang. 266 Die Schlüsselzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich sanken um 2,2%, Investitionszuweisungen gar um 5,5%, die Gebühreneinnahmen stagnierten nahezu bei einem leichten Rückgang von 0,4%; 2005 hatten die Kommunen der ostdeutschen Flächenländer 5,17 Mrd. A Einnahmen verbuchen können, was 1908 A pro Einwohner entsprach; dieser Wert hatte sich in den Vorjahren seit 1997 nur leicht um 32 A pro Einwohner verbessert; vgl. zu alledem Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006, S. 2; Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, Tabelle 6, S. 24. 267 Die Schlüsselzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich stiegen um lediglich 0,3%, die Gebühreneinnahmen gingen um 0,5% zurück. Die Investitionszuweisungen sanken deutlicher um 4,3%. 2005 hatten die Kommunen der Westflächenländer 125,2 Mrd. A an Einnahmen verbuchen können, was 1978 A pro Einwohner entsprach. Dieser Wert hatte sich in den Vorjahren seit 1997 um 150 A Pro Einwohner verbessert, vgl. zu alledem Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006, S. 2; Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, Tabelle 6, S. 24. 268 Breining: Jetzt fangen die Kämmerer mit dem Nachrechnen an, in: Stuttgarter Zeitung v. 20. Mai 2009, S. 6; Borgmann/Durchdenwald: Gemeindesteuern brechen ein, in: Stuttgarter Zeitung v. 23. Mai 2009, S. 1; eingehend für die Stadt Stuttgart dies.: Viele Projekte stehen plötzlich auf der Kippe, in: ebd. S. 21.
A. Konjunkturelle und ökonomisch-strukturelle Faktoren
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II. Die Ausgaben Die Gesamtausgaben der Kommunen wuchsen 2006 im Verhältnis zum Vorjahr um 1,5%, wobei die Kommunen der ostdeutschen Flächenländer 2,2% und die der westdeutschen Flächenländer um 1,4% mehr ausgaben. Insgesamt gaben die Kommunen 25,9 (Ost) bzw. 129,8 Mrd. A (West) aus. Darunter stiegen die Ausgaben für Zinsen um insgesamt 2% (Ost: –1,7%; West: +2,7%), die für laufenden Sachaufwand um 3% (Ost: +1,2%; West: +3,3%) an. Die Ausgaben für Personal sanken demgegenüber leicht um 0,9% (Ost: –0,7%; West: –0,9%).270 III. Schuldenstand und Finanzierungssalden 1. Schuldenentwicklung Der Schuldenstand der deutschen Kommunen und Gemeindeverbände betrug 2006 87 Mrd. A, was einem Rückgang gegenüber 2005 um 3,6% entsprach. Auffallend dabei war jedoch die gleichzeitige Erhöhung der Kassenkredite auf nunmehr insgesamt 27,7 Mrd. A. Diese verlieren faktisch offenbar zunehmend ihren kurzfristigen Charakter.271 Der Grund dieser Entwicklung dürfte im Bestreben der Städte und Gemeinden liegen, die Kommunalaufsicht zu umgehen.272 Von 1992 bis 2000 veränderte sich die Pro-Kopf-Verschuldung der westdeutschen Kommunen nur unwesentlich. In den Jahren 2000 bis 2005 kam es hingegen zu einem starken Anstieg der kommunalen Pro-Kopf-Verschuldung von etwa 1200 A während der 1990er Jahre auf 1439 A im Jahre 2005. Diese Entwicklung war v. a. auf Steuerausfälle zurückzuführen und führte ihrerseits zu einer deutlichen Erhöhung der Kassenkredite. Die Werte im kreisangehörigen Raum waren dabei deutlich besser als in den kreisfreien Städten.273 Um die Wendezeit war die kommunale Schuldensituation in den neuen Ländern auf niedrigem Niveau. In der Folgezeit, von 1992 bis 2000, fand allerdings eine Angleichung an die Werte der Städte und Gemeinden der alten Bundesländer statt. Danach erhöhte sich die Pro-Kopf-Verschuldung nur geringfügig, sodass sich dieser Wert bei derzeit etwas mehr als 1200 A bewegt (2005: 1242 A). Die
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Vgl. etwa Möhrs: Gesprächsnotiz im Anhang. Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006, S. 3. 271 Vgl. Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006, S. 3 und Grafik 3; v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 2 f. 272 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 10. 273 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 7 ff. 270
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
Unterschiede zwischen kreisangehörigem Raum und kreisfreien Städten sind nur gering. Große Städte sind wesentlich stärker verschuldet als kleine.274 2. Entwicklung der Finanzierungssalden Das Gesamtdefizit der kommunalen Haushalte in Deutschland belief sich 2004 auf 3,8 Mrd. A. Im Jahr 2005 sank es auf 2,5 Mrd. A.275 Im Jahre 2006 erzielten Städte und Gemeinden sogar einen Überschuss i. H. v. 3 Mrd. A.276 Bis zum Jahre 2000 wiesen die Gemeinden und Gemeindeverbände der ostdeutschen Flächenländer ein höheres Defizit auf als diejenigen in den alten Flächenländern. Der Einbruch bei den Steuereinnahmen im Jahre 2001 schlug sich auf die Finanzierungssalden der Kommunen im alten Bundesgebiet um einiges deutlicher nieder als in den neuen Ländern. In der Folgezeit entwickelten sich die Finanzierungsdefizite der Kommunen in den Westflächenländern negativer als in den Ostflächenländern, sodass sich mittlerweile die Finanzierungsdefizite der westdeutschen Gemeinden und Gemeindeverbände unterhalb derer in Ostdeutschland bewegen.277 3. Sonderrolle der Kassenkredite Trotz der deutlichen Aufwärtstendenz der kommunalen Finanzierungssalden seit dem Jahre 2003 setzte 2002 ein deutlich stärkeres Anwachsen der Kassenkredite bei Gemeinden und Gemeindeverbänden ein. Bis dato war ein nur mäßiges Wachstum von durchschnittlich ca. 1,5 Mrd. A pro Jahr zu verzeichnen. Seit 2002 wachsen die Kassenkredite um jährlich durchschnittlich gut 4 Mrd. A: Betrug die Summe der kommunalen Kassenkredite im Jahre 2002 noch 10,7 Mrd. A, waren es im Jahre 2006 bereits 27,7 Mrd. A.278 Auffallend ist die ungleiche Verteilung der Kassenkredite auf die einzelnen Bundesländer, die auf wachsende Unterschiede zwischen ohnehin bereits finanzschwachen und finanzstarken Kommunen hindeuten.279 274 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 7 ff. 275 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 2. 276 Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006, S. 1. 277 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 10. 278 Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006, Grafik 3. 279 Bei einer durchschnittlichen Pro-Kopf-Belastung der Bevölkerung der Kommunen der westdeutschen Bundesländer von 399 A im Jahre 2006, betrug dieser Wert in Baden-Württemberg gerade einmal 24 A – im Saarland jedoch 1013 A; gemessen am Gesamtvolumen der Kassenkredite entfiel die Hauptlast auf Nordrhein-Westfalen (49,7%) und auf Niedersachsen (17,8%); auf niedrigerem Niveau und mit geringerer
B. Effekte des demographischen Wandels auf die Einnahmen
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IV. Ausblick: Mögliche Folgen der Finanzkrise aus Sicht von Städten und Gemeinden Es ist zu erwarten, dass auch die Banken- und Finanzkrise negative Auswirkungen auf die kommunale Finanzsituation haben wird. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen dabei einerseits risikoreiche Investmentgeschäfte, die deutsche Kommunen etwa mit der insolventen US-Bank Lehman Brothers tätigten. Zugleich besteht im Zusammenhang mit sog. Cross-Border-Leasing-Geschäften die Gefahr erheblicher finanzieller Verluste, die durch höhere Versicherungsprämien zur Absicherung derartiger Geschäfte verursacht werden dürften.280
B. Effekte des demographischen Wandels auf die Einnahmen Bevölkerungsverluste und -alterung bewirken Einnahmeverluste, die jedoch möglicherweise durch anderweitige einnahmeseitige Entwicklungen ausgeglichen werden können.281 I. Einnahmeverluste Hinsichtlich der Einnahmen aus Steuern, Gebühren und Zuweisungen der Landesebene an die Kommunen ist eine Bevölkerungselastizität von 1 anzunehmen. D.h. bei einem Bevölkerungsverlust von 1% ist von einem Einnahmerückgang um ebenfalls 1% auszugehen.282 Gleichzeitig dürften die Veränderungen der Altersstruktur nur vergleichsweise geringe einnahmeseitige Auswirkungen zeigen.283
Spannbreite zeigte sich in Ostdeutschland ein ähnliches Bild; bei einer Gesamtbelastung von 182 A pro Einwohner, wies Sachsen lediglich 32 A – Sachsen-Anhalt hingegen 390 A auf; die meisten Volumenanteile entfielen hier auf Sachsen-Anhalt (39,6%) und Brandenburg (30,9%); vgl. zu alledem Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006, S. 3 f. 280 Vgl. etwa Seeger: Kommunen in der Finanzkrise (Internetquelle: http://www. demo-online.de/nachrichten/kommunen-der-finanzkrise); Schraven: Riskante Geschäfte – Finanzkrise schlägt in deutschen Kommunen ein (Internetquelle: http://www.welt.de/ wirtschaft/article2500796/Finanzkrise-schlaegt-in-deutschen-Kommunen-ein.html). 281 Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 82. 282 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 59; so auch für die Entwicklung der Steuereinnahmen Bach/Bork/Krimmer/Raffelhüschen/Schulz: Demographischer Wandel und Steueraufkommen, S. XIII. 283 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 60.
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
Insoweit sind nach der Neuregelung der Rentenbesteuerung284 frühere Prognosen285 wohl zu korrigieren.286 Neben qualitativen Aussagen dürften fundierte quantitative Prognosen – wenn überhaupt287 – nur hinsichtlich der Zuweisungen der Länder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs, hinsichtlich der kommunalen Anteile an der Einkommen- und der Umsatzsteuer, hinsichtlich der Gewerbesteuer sowie hinsichtlich des Gebührenaufkommens möglich sein. Denn diese Finanzierungsinstrumente stehen in direkter Abhängigkeit mit den demographischen Veränderungen.288 1. Steuereinnahmen a) Einkommensteuer Der Bevölkerungsrückgang – insbesondere der Rückgang von Personen im erwerbsfähigen Alter289– wird sich insgesamt negativ auf das Einkommensteueraufkommen auswirken. Die Anzahl potentieller Lohnsteuerzahler wird im Vergleich zu 1998 bis zum Jahre 2050 um ca. 18% bis ca. 25% zurückgehen.290 Infolgedessen wird auch der Gemeindeanteil im Sinne der absolut an die einzelnen Kommunen zu verteilenden Mittel reduziert. Stark schrumpfende Kommu284 Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen vom 5.7.2004, BGBl. 2004 I S. 1427. 285 Z. B. Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 82; v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 9. 286 Vgl. Bach/Bork/Krimmer/Raffelhüschen/Schulz: Demographischer Wandel und Steueraufkommen, S. XVI, 93 ff. 287 Insoweit skeptisch: Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 85, der auf die komplexen Wechselbeziehungen zwischen demographischen Veränderungen und deren Einfluss auf die Kommunalfinanzen hinweist und zudem methodische Schwierigkeiten einer wissenschaftlichen Beschreibung deutlich macht. 288 Müller: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 90. 289 Vgl. Müller: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 91. 290 Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 83; in seiner 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung geht das Statistische Bundesamt für den Zeitraum 2005 bis 2050 von einem Rückgang der Bevölkerung im Erwerbsalter um 22% bis 29% aus: Die Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – Presseexemplar, S. 21.
B. Effekte des demographischen Wandels auf die Einnahmen
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nen erhalten zudem im Vergleich zu anderen weniger stark schrumpfenden, stagnierenden oder gar wachsenden Gemeinden aus einem insgesamt geschrumpften Steueraufkommen auch noch einen geringeren Anteil.291 Allerdings ist zu beachten, dass ein zwar insgesamt schrumpfendes Einkommensteueraufkommen zugleich einer geringeren Zahl an Einwohnern gegenübersteht, auf die die Steuermittel verteilt werden müssen.292 Die Pro-Kopf-Einnahmen der Kommunen aus der Einkommensteuer werden jedoch im bundesweiten Durchschnitt – jedenfalls weitgehend – gleich bleiben.293 b) Gewerbesteuer Direkte Auswirkungen der bevölkerungsstrukturellen Veränderungen auf das Gewerbesteueraufkommen sind nicht zu erwarten. Denn gewerbesteuerpflichtig sind nicht die Einwohner einer Kommune, sondern die dort tätigen Unternehmer. Deren Zahl wird durch rückläufige Einwohnerzahlen nicht unmittelbar mitreduziert. Allerdings sind indirekte Auswirkungen zu erwarten. Denn durch den demographischen Wandel werden wichtige (sog. harte) Standortbedingungen mit beeinflusst. Eine sinkende Zahl verfügbarer Arbeitskräfte zwingt Unternehmen zu Standortschließungen und/oder -verlagerungen. Gleichzeitig wird die Zahl der Unternehmensneugründungen zurückgehen. Bei insgesamt zurückgehender Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter werden also tendenziell auch die Zahl der Unternehmen und damit die Zahl potentieller Gewerbesteuerzahler rückläufig sein.294 291 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 9; Müller: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 92. 292 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 9. 293 Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 89. 294 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 10; Müller: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 92; Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/ Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 84; ausführlich befassen sich auch die Überlegungen von Rosenfeld mit unternehmerischen Standortentscheidungen unter den Rahmenbedingungen des demographischen Wandels; er kommt zum Ergebnis, dass sich das räumliche Gefälle zwischen den Regionen zusätzlich verstärken wird, und dass die Wachstumschancen von Gebieten mit Bevölkerungsrückgang und -alterung überproportional stark sinken werden, vgl. Rosenfeld: Demographischer Wandel, unternehmerische Standortentscheidungen und regionale Disparitäten der Standortentwicklung, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 82.
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
c) Umsatzsteuer Weniger Einwohner bedeuten auf den ersten Blick weniger potentielle Nachfrager nach Gütern, d.h. weniger potentielle Käufer und damit weniger zu versteuernder Umsatz, woraus wiederum ein insgesamt geringeres Umsatzsteueraufkommen resultiert. Allerdings sind genaue Prognosen nur schwer möglich. Denn wie werden sich künftige Lebensstandards entwickeln? In diesem Zusammenhang spielen auch die altersstrukturellen Veränderungen eine zentrale Rolle: Inwieweit wird sich mit Blick auf die allgemeine Rentenentwicklung der Lebensstandard künftiger Rentnergenerationen verändern?295 Indes ist auch zu beachten, dass der den einzelnen Gemeinden jeweils zukommende Umsatzsteueranteil wenig mit dem tatsächlichen Umsatzsteueraufkommen in der betreffenden Gemeinde zu tun hat. Vielmehr wird anhand der Parameter Gewerbesteuereinnahmen, Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und der Gesamtsumme der sozialversicherungspflichtigen Löhne und Gehälter versucht, die Wirtschaftskraft einer Gemeinde abzubilden.296 Insofern gelten für die demographisch bedingte Entwicklung des Umsatzsteueranteils, der auf die einzelnen Gemeinden entfällt, ähnliche Grundsätze wie für die Gewerbesteuer. Legt man also die Annahme gleich bleibender Konsumgewohnheiten zugrunde, wäre ein demographisch bedingt sinkendes Umsatzsteuergesamtaufkommen wahrscheinlich. Denn weniger Konsumenten geben pro Kopf ähnlich viel wie bisher aus, sodass der Gesamtkonsum rückläufig ist. Mit einem allmählichen Schwinden der Wirtschaftskraft schrumpfender Gemeinden297 würde zudem der Anteil dieser Gemeinden am Gesamtgemeindeanteil an der Umsatzsteuer zurückgehen. 2. Gebühren Mit den Bevölkerungszahlen wird in Zukunft auch die Zahl potentieller Nachfrager nach kommunalen Leistungen zurückgehen. Dieser Nachfragerückgang wird sich im Rahmen der Erhebung „unmittelbar personenbezogene[r] Gebühren“298 stärker auswirken als bei den „haushaltsbezogenen Gebühren“299. Wird 295 Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 83. 296 Insoweit wird bereits vom fortschreibungsfähigen Verteilungsschlüssel des § 5b Gemeindefinanzreformgesetz ausgegangen, auf den ab 2009 Schritt für Schritt umgestellt wird. 297 Vgl. insoweit die Überlegungen zur Gewerbesteuer. 298 Begriff bei Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 83, der hierunter solche Leistungen versteht, die klar einem bestimmten Nutzer zugeordnet werden
B. Effekte des demographischen Wandels auf die Einnahmen
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das Angebot an öffentlichen Leistungen nicht den veränderten Nachfragezahlen angepasst, werden jedoch gleichzeitig die Kosten nicht zurückgehen, sondern zumindest stagnieren. Das Kostendeckungsprinzip in seiner Ausprägung als Kostendeckungsgebot verlangt dann Gebührenerhöhungen. Denn gleiche Kosten werden von weniger Nutzern zu erbringen sein. a) Mögliche Grenzen für Gebührenerhöhungen Aufgrund des Äquivalenzprinzips darf die Gebühr in ihrer Höhe in keinem groben Missverhältnis zum Wert der Leistung stehen.300 Die Annahme, wonach heutige Gebühren mit den durch sie abgegoltenen Leistungen dem Äquivalenzprinzip entsprechen, legt die Vermutung nahe, dass für Gebührenerhöhungen nur wenig Raum sein dürfte. Denn der Wert der einzelnen Leistung für den Leistungsempfänger wird nicht deshalb größer, weil sie von weniger Nutzern in Anspruch genommen wird. Jedoch werden wohl in den meisten Fällen Gebührenerhöhungen noch nicht zu einem groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gebühr führen. Insoweit wird das Äquivalenzprinzip Gebührenerhöhungen – jedenfalls bis zu einem gewissen Grade – nicht im Wege stehen. Das Kostendeckungsprinzip wird im Zuge der erwarteten demographischen Veränderungen wohl nur in Form des Kostendeckungsgebots und kaum als Kostenüberschreitungsverbot in der politischen Praxis relevant werden. Denn bei gleich bleibenden Gesamtkosten einer kommunalen Einrichtung, die von weniger Gebührenschuldnern zu tragen sein werden, werden Städte und Gemeinden eher Schwierigkeiten haben, die durch die Einrichtung verursachten Kosten zu decken, als – umgekehrt – Gefahr laufen, diese Kosten überzukompensieren. Jenseits dieser juristischen Überlegungen gilt es in der kommunalen Praxis zu beachten, dass Gebührenerhöhungen für solche Leistungen von vornherein wenig Erfolg versprechend sind, deren Inanspruchnahme freiwillig ist. Denn höhere Gebühren werden ihrerseits eine noch geringere Nachfrage generieren und im Ergebnis noch stärker rückläufige Gebühreneinnahmen nach sich ziehen.301 Gebühkönnen; innerhalb dieser Kategorie spielen die „unmittelbar nutzungsabhängigen Gebühren“ die zentrale Rolle, für die ÖPNV-Fahrgeld oder Schwimmbadeintritt wichtige Beispiele bilden. 299 Vgl. Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 83 f., der unter „haushaltbezogenen Gebühren“ unter Abgrenzung zu den „unmittelbar personenbezogenen Gebühren“ solche versteht, die nicht eindeutig einem einzelnen Nutzer zugerechnet werden können sondern lediglich einer Nutzergruppe, einem Haushalt; er fasst hierunter solche Gebühren, die typischerweise in den Mietnebenkosten enthalten sind. 300 Vgl. zum Äquivalenzprinzip Kapitel 3 D. III. 1. 301 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 12.
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
renerhöhungen werden also durch ökonomische Zwänge – wenn überhaupt – nur äußerst begrenzt möglich sein. Ein solcher Nachfragerückgang ist für zwangsgebundene Leistungen302 zwar nicht denkbar. Jedoch sind in diesem Bereich die Spielräume für Gebührenerhöhungen durch ihre politische Durchsetzbarkeit begrenzt. Denn ab einer bestimmten Gebührenhöhe wird der öffentliche Druck so groß werden, dass weitere Erhöhungen nicht machbar sein werden. Eine Kompensation der Einnahmeausfälle ist also ebenfalls nur bedingt möglich.303 Zusätzlich lässt sich in der kommunalpolitischen Praxis bereits heute feststellen, dass sowohl das Kostendeckungsprinzip als auch das Äquivalenzprinzip keine wirksamen Barrieren gegen niedrige Kostendeckungsgrade darstellen. Unterschreitungen sind jedenfalls zum Teil weniger die Ausnahme als gängige Übung.304 b) Fazit: Einnahmeausfälle Die Zusammenschau all dieser Überlegungen ergibt die Einschätzung, dass sich die Gebühreneinnahmen aus politischen Gründen wohl entsprechend der Zahl der Einwohner bzw. der Haushalte entwickeln werden. Deshalb steht zu erwarten, dass stark schrumpfende Kommunen auch mit deutlich sinkenden Gebühreneinnahmen rechnen müssen.305 Insoweit bewirkt demnach ein Bevölkerungs- auch einen Nachfragerrückgang, woraus wiederum Einnahmeverluste resultieren. Bei gleich bleibenden Kosten der betreffenden Einrichtung bewirken zurückgehende Gebühreneinnahmen ihrerseits schlechtere Kostendeckungsgrade.306 302
Z. B. die Abwasser- und Abfallentsorgung. v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 12. 304 Vgl. exemplarisch Schmid: Kostenrechnende Einrichtungen, in: Faiss/Giebler/ Lang/Notheis/Schmid (Hrsg.), Kommunales Wirtschaftsrecht in Baden-Württemberg, S. 560: Hiernach belaufen sich im Durchschnitt der alten Bundesländer insbesondere im Kultur-, aber z. T. auch im Bildungsbereich die Kostendeckungsgrade auf etwa 50% (Volkshochschulen) bis etwa 10% (Büchereien). 305 Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 83 f.; Müller: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 92; Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 59. 306 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 11 f.; Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – 303
B. Effekte des demographischen Wandels auf die Einnahmen
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3. Zuweisungen der Länder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs Die Finanzausgleichsmassen der kommunalen Finanzausgleichssysteme speisen sich obligatorisch aus den Gemeinschaftssteuern, also dem Aufkommen aus der Einkommen-, der Körperschaft- und der Umsatzsteuer. Insbesondere im Rahmen der Einkommensteuer ist bei sinkender Bevölkerung von einem geringeren Aufkommen auszugehen. Gleiches gilt wohl in abgeschwächter Form für die Umsatzsteuer.307 In Ländern mit Bevölkerungsrückgang ist also zu erwarten, dass auch im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs weniger Finanzmittel verteilt werden können.308 Die Zuweisungen der Flächenbundesländer an Städte und Gemeinden im Rahmen der kommunalen Finanzausgleichssysteme errechnen sich aus der Differenz zwischen Steuerkraftmesszahl und Bedarfsmesszahl. Letztere ist umso höher je mehr Einwohner die betreffende Gemeinde aufweist.309 Bevölkerungsrückgang bewirkt also unmittelbar geringere Zuweisungen des jeweiligen Landes über den kommunalen Finanzausgleich.310 Eine Kommune mit schrumpfenden Einwohnerzahlen in einem Bundesland mit insgesamt zurückgehenden Bevölkerungszahlen muss also in zweifacher Hinsicht mit geringeren Einnahmen rechnen.311 Obwohl die entsprechenden Regelungen je nach Bundesland variieren, lässt sich die zusätzliche Aussage treffen, dass die Zuweisungen umso höher sind, je höher die zentralörtliche Funktion eines Ortes ist.312 Dies geschieht im Wege der sog. Einwohnerveredelung, die in den Finanzausgleichsgesetzen der meisten Bundesländer geregelt ist und umso höhere Kopfbeträge pro Einwohner bewirkt, je größer die Einwohnerzahl ist.313 Liegt eine schrumpfende Gemeinde also in einem Bundesland, das insgesamt einem Bevölkerungsrückgang ausgesetzt ist, Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 83. 307 s. soeben unter B. I. 1. a) und c). 308 Müller: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 92. 309 Zum System des kommunalen Finanzausgleichs ausführlich Kapitel 3 D. II. 1. b) und c) (1). 310 Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 84. 311 Müller: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 92. 312 Vgl. für Baden-Württemberg § 7 II FAG. 313 Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 84.
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
wirkt sich der Einwohnerrückgang im Hinblick auf eine schrumpfende Finanzausgleichsmasse insoweit sogar dreifach negativ aus.314 4. Kreditfinanzierungsmöglichkeiten Die direkten Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Kreditfinanzierungsmöglichkeiten der Städte und Gemeinden werden durch den Bevölkerungsrückgang insgesamt schwach negativ ausfallen: weniger Einwohner bedeuten weniger Sparer, wodurch wiederum ein geringeres Angebot am Kreditmarkt und damit steigende Darlehenszinsen bedingt werden. Deutlich stärker negativ könnten sich die indirekten Wirkungen des demographischen Wandels entfalten: Vielfach durchgerechnete Tragfähigkeitsanalysen lassen den Schluss auf eine wachsende Belastung der öffentlichen Haushalte zu. Werden diese Belastungen nicht durch eine Politik der Ausgabenkürzung gemindert sondern durch verstärkte Kreditfinanzierung, könnten sich aufgrund der gestiegenen Nachfrage die Kreditmarktzinsen erhöhen. Dadurch könnte es für Kommunen unter Umständen wesentlich schwerer werden, an entsprechende Geldmittel zu gelangen.315 Hinsichtlich der Verschuldung der kommunalen Haushalte lässt sich zudem die Aussage treffen, dass mit zurückgehender Bevölkerungszahl bei gleich beleibender absoluter Verschuldung die Pro-Kopf-Verschuldung steigen wird.316 Sinkende Bonitätsindexe könnten die Folge sein, was ebenfalls die Bedingungen für Städte und Gemeinden am Kreditmarkt verschlechtern dürfte. II. Produktivitätszuwächse bewirken langfristiges Wachstum Bei gleich bleibender Produktivität sinkt das Bruttoinlandsprodukt mit der Bevölkerungszahl. Jedoch sind auch künftig Produktivitätszuwächse zu erwarten, die ihrerseits bewirken, dass trotz des Bevölkerungsrückgangs und des damit verbundenen Rückgangs an Erwerbspersonen auch in den kommenden Jahrzehnten bis 2050 positive Wirtschaftswachstumsraten zu erwarten sind. Wie hoch diese sein werden, lässt sich nur schwer vorhersagen. Unumstritten ist jedoch, dass sie jedenfalls deutlich größer als Null sein werden.317 Insgesamt dürften daher bei 314 (1) Es sind insgesamt weniger Finanzmittel zu verteilen, (2) weniger Einwohner bewirken einen niedrigeren Faktor bei der Mittelvergabe (3) weniger Einwohner bewirken geringere Kopfbeträge im Rahmen der Einwohnerveredelung. 315 Müller: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 88 f. 316 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 11. 317 Entsprechend geht die Bertelsmann Stiftung in ihren Berechnungen von einem Wirtschaftswachstum zwischen 2,2% und 3% ab dem Jahre 2011 aus, Seitz: Kommu-
B. Effekte des demographischen Wandels auf die Einnahmen
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einer konstanten Steuerquote die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen in den kommenden Jahrzehnten kontinuierlich deutlich ansteigen.318 Diesen Mehreinnahmen stehen allerdings auch erhebliche Mindereinnahmen bei gleichzeitig steigender Ausgabenbelastung im Rahmen der beitragsfinanzierten sozialen Sicherungssysteme gegenüber.319 Die entstehenden Finanzierungslücken werden zumindest zu einem Teil durch höhere Steuerzuschüsse gedeckt werden müssen, sodass langfristig eine deutlich negative Entwicklung des jährlichen gesamtstaatlichen Finanzierungssaldos zu erwarten ist.320 Die Hauptlasten treffen dabei zweifelsohne den Bund. Jedoch könnte die kommunale Einnahmeseite indirekt von diesen Ausgabenlasten betroffen werden: Bedenkt man, dass die konkrete Höhe des kommunalen Anteils am Steueraufkommen durch einfachgesetzliche Änderungen insbesondere von § 1 des Gemeindefinanzreformgesetzes verändert werden könnte, und bedenkt man weiter die offenbar gängige Praxis, finanzielle Mehrbelastungen tendenziell verstärkt von höherstaatlicher Ebene auf Städte und Gemeinden zu übertragen,321 so erscheint es wahrscheinlich, dass auch die kommunale Ebene ihren Teil des erwarteten negativen gesamtstaatlichen Finanzierungssaldos wird tragen müssen. III. Zusammenfassung: Bevölkerungsverluste & Einnahmen In den westlichen Flächenbundesländern werden sich die Bevölkerungsverluste insgesamt auf niedrigem Niveau bewegen, sodass mit geringen einnahmeseitigen Effekten zu rechnen ist. In den Ostflächenländern sind hingegen Bevölkerungsverluste von 12% bis zum Jahr 2025 auf der Basis der Bevölkerungszahlen aus dem Jahr 2005 wahrscheinlich. Diese Entwicklung wird – je nach Wirtschaftsnalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 45. Bach/Bork/Krimmer/Raffelhüschen/Schulz: Demographischer Wandel und Steueraufkommen, S. 36 ff. rechnen mit einem jährlichen Produktivitätszuwachs von 1,75%; entsprechend wird hiernach das BIP deutlich positiv sein – je nach Entwicklung der Erwerbsquote wird es sich spätestens ab dem Jahr 2020 jedoch deutlich unter 1,4% bewegen. Auch Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 90 f., der seinerseits auf die Einschätzungen der Kommission „Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme“ unter Leitung von Rürup verweist, geht von einem Produktivitätswachstum aus und rechnet mit einem durchschnittlichen Wachstum des BSP pro Kopf von etwa 1,8% jährlich. 318 Vgl. Bach/Bork/Krimmer/Raffelhüschen/Schulz: Demographischer Wandel und Steueraufkommen, S. XVI, 98 ff., die von einem Wachstum der Steuereinnahmen um mindestens 82,6% im Zeitraum der Jahre 2005 bis 2050 ausgehen. 319 Bach/Bork/Krimmer/Raffelhüschen/Schulz: Demographischer Wandel und Steueraufkommen, S. XVIII, 107 ff. 320 Vgl. Bach/Bork/Krimmer/Raffelhüschen/Schulz: Demographischer Wandel und Steueraufkommen, S. XX f., 119 ff. 321 Vgl. nur Schmid/Reif: Gemeindefinanzbericht Baden-Württemberg 2007, in: Die Gemeinde, S. 562.
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
wachstum – kommunale Einnahmeverluste in Höhe von zwischen 1,98 Mrd. A und 1,73 Mrd. A mit sich bringen.322 Vergröbernd lässt sich die Gesetzmäßigkeit feststellen, wonach sich Bevölkerungsverluste und kommunale Einnahmen in etwa proportional entwickeln werden. Demgegenüber lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Einnahmen und der Altersstruktur der Bevölkerung nicht herstellen.323
C. Effekte des demographischen Wandels auf die Ausgaben Hinsichtlich der zu erwartenden ausgabenseitigen Entwicklungen lässt sich nicht von einem allgemein gültigen Zusammenhang zwischen erwarteten demographischen Entwicklungen und Ausgaben ausgehen. Wie darzustellen sein wird, werden aufgrund der bevölkerungsstrukturellen Veränderungen auf einigen Aufgabenfeldern weniger Ausgaben erforderlich sein – auf anderen wird hingegen ein teils enormer finanzieller Mehraufwand notwendig werden. Dies ist vor allem auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Altersgruppen zurückzuführen, die sich im Verhältnis zueinander verschieden entwickeln werden.324 I. Infrastruktur Langfristig betrachtet müssten die Gesamtkosten für das Vorhalten kommunaler Infrastruktur mit den Bevölkerungszahlen zurückgehen, da weniger Einwohner eine geringere Nachfrage nach kommunalen Leistungen generieren.325 Jedenfalls kurzfristig sind derartige Effekte hingegen nicht zu erwarten. Vielmehr müssen sich Städte und Gemeinden sogar eher auf steigende Kosten einstellen.326 322 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 50; den genannten Werten liegt ein angenommenes Wirtschaftswachstum von 3,0% bzw. 2,2% zugrunde. 323 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 60. 324 Vgl. diesbezüglich die Darstellung bei Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 62 ff.; Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 93 ff.; Baum/Seitz/Worobjew: Der Einfluss der Alters- und Familienstrukturen auf die Ausgaben der Länder und Gemeinden, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 71 (2002) 1, S. 157 ff. 325 Müller: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 94. 326 Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 85.
C. Effekte des demographischen Wandels auf die Ausgaben
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Zudem gilt es aber auch den Anpassungsbedarf an die erwarteten veränderten Bevölkerungsstrukturen zu beachten. Diese werden trotz zurückgehender Einwohnerzahlen und sinkender Gesamtkosten für das Vorhalten von Infrastruktur auf bestimmten Aufgabenfeldern sogar Neuinvestitionen erforderlich machen.327 Die Ausgaben für Infrastruktur setzen sich zusammen aus solchen für Erhaltung, Aus-, Neu- und Rückbau. Grundlegend zu unterscheiden ist zwischen Netz- und Punktinfrastruktur.328 1. Netzinfrastruktur Zurückgehende Einwohnerzahlen bewirken weniger und kleinere Haushalte und damit geringere Kapazitätsbedarfe für Ver- und Entsorgung. Hinzukommen rückläufige Verbrauchswerte der verbliebenen Bevölkerung, die auf anderes Verbrauchsverhalten und technische Modernisierungen zurückzuführen sind.329 Eine Umnutzung ist normalerweise nicht möglich, sodass entsprechende Infrastruktureinrichtungen rückgebaut werden müssen, um dauerhaft hohe Kosten zu vermeiden.330 a) Direkte Kosten des demographischen Wandels Unter den direkten Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Kosten der kommunalen Infrastruktur sind solche für Betrieb, Umbau, Anpassung oder Rückbau entsprechender Anlagen zu verstehen.331 Dies soll anhand einiger Beispiele veranschaulicht werden: 327 Kocks: Kommunale Politikfelder aktiv gestalten – lokale und regionale Infrastrukturplanung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser demographischer Wandel 2020, S. 97 ff. 328 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 12; Miera unterscheidet deckungsgleich zwischen dem Infrastrukturnetz der Einrichtungen zur Versorgung und den Einrichtungen der Besorgung; zum Versorgungssystem zählt hiernach die öffentliche Sicherheit, Verkehrssysteme, Wasser, Abfallbeseitigung sowie die Schülerbeförderung; Einrichtungen des Besorgungssystems sind nach ihr Schulen und sonstige Bildungseinrichtungen, kulturelle Einrichtungen, Einrichtungen für Senioren, Krankenhäuser, Sport- und Erholungsstätten; vgl. zu alledem Miera: Kommunales Finanzsystem und Bevölkerungsentwicklung, S. 105 ff. 329 Koziol: Folgen des demographischen Wandels für die kommunale Infrastruktur, in: DfK 43 (2004)1, S. 70. 330 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 12; vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen auch Müller, B.: Zukunftsorientierte Stadt- und Regionalentwicklung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 13 f. 331 Koziol: Folgen des demographischen Wandels für die kommunale Infrastruktur, in: DfK 43 (2004)1, S. 78; Mäding spricht insoweit von „echte[m] Zusatzaufwand“: De-
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
Durch Unterauslastungen von Abwassersystemen bilden sich Ablagerungen, die den Leitungsdurchfluss behindern und zudem vermehrt Korrosion verursachen. Solche Ablagerungen sind zu beseitigen bzw. durch Spülen von vornherein zu verhindern. Mit der höheren Verweildauer des Abwassers in den Kanalisationen entstehen daneben Geruchsbelastungen, die bekämpft werden müssen. Trinkwasserleitungen mit Überkapazitäten bergen die Gefahr einer Wiederverkeimung. Fernwärmenetze in Form von Dampfnetzen werden kollabieren und müssen in Heißwassernetze umgebaut werden. Entlastungen beim Individualverkehr gehen mit Auslastungs- und damit mit Rentabilitätsproblemen beim schienengebundenen Verkehr einher.332 Je nach Grad des Bevölkerungsrückgangs wären diese Mehrkosten für die Unterhaltung der Leitungsnetze enorm. Geht die Einwohnerzahl einer Gemeinde beispielsweise um 50% zurück, so ist hinsichtlich der Kosten für Instandhaltung und Betrieb der Trinkwasser-, Abwasser- und Fernwärmeleitungen jeweils auf unterschiedlichem Niveau in etwa eine Verdopplung der Kosten zu erwarten.333 Allerdings entstehen auch durch kapazitätsreduzierende Maßnahmen zunächst hohe Kosten.334 Schätzungen zufolge werden diese Kosten insgesamt zwischen 15 und 25 A pro abgerissenem Quadratmeter Wohnfläche betragen. Am teuersten kommt wohl der Rückbau der Abwassernetze, der allein zwischen knapp sechs und etwa 18,5 A pro abgerissenem Quadratmeter Wohnfläche kosten würde.335 Hinzu kommen Kosten für die Anpassung der zum Netzbetrieb benötigten zentralen Anlagen wie z. B. Kläranlagen, für die z. T. sogar Neubauten notwendig werden dürften.336
mographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 94. 332 Koziol: Folgen des demographischen Wandels für die kommunale Infrastruktur, in: DfK 43 (2004)1, S. 71 f.; Müller, B. macht allerdings deutlich, dass sich diese Tendenz aus höchst differenzierten Entwicklungen bezüglich des Mobilitätsverhaltens der verschiedenen Altersgruppen zusammensetzen wird, Zukunftsorientierte Stadt- und Regionalentwicklung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 13. 333 Vgl. die Darstellung bei Koziol: Folgen des demographischen Wandels für die kommunale Infrastruktur, in: DfK 43 (2004)1, S. 78. 334 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 17. 335 Koziol: Folgen des demographischen Wandels für die kommunale Infrastruktur, in: DfK 43 (2004)1, S. 79. 336 Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 86.
C. Effekte des demographischen Wandels auf die Ausgaben
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b) Indirekte Kosten des demographischen Wandels Indirekte Kostenanwachsungen entstehen durch die Umlage der Fixkosten von Infrastruktureinrichtungen nach dem Kostendeckungsprinzip auf weniger Verbraucher. Die indirekten Kosten des demographischen Wandels sind also keine absoluten sondern – relative – Pro-Kopf-Kosten und würden sich selbst dann erhöhen, wenn der demographische Wandel keine direkten Kosten verursachen würde.337 Können nicht alle Fixkosten durch Gebührenerhöhungen auf die Endverbraucher übertragen werden, entstehen Städten und Gemeinden Einnahmeausfälle in entsprechender Höhe.338 2. Punktinfrastruktur Die Zahl der Kinder im Kindergartenalter und die der schulpflichtigen Kinder wird sich künftig reduzieren339. Überkapazitäten an entsprechenden Bildungseinrichtungen werden die Folge sein. Lässt sich die Zahl der Klassen noch reduzieren, so gilt dies nicht im gleichen Maße für die Gebäudesubstanz. Letztere kann nicht beliebig abgerissen werden, verursacht aber Energie- und Erhaltungskosten. Im Ergebnis steigen so die Kosten, die aufzuwenden sind, um einen Schüler auszubilden.340 Langfristig sind allerdings im Bereich der Bildungsinfrastruktur Einsparpotentiale zu erwarten.341 Deutlich zunehmen werden demgegenüber die Kosten für die Bereitstellung von Infrastruktur für die Versorgung von Senioren. So werden künftig wohl eher 337 Koziol: Folgen des demographischen Wandels für die kommunale Infrastruktur, in: DfK 43 (2004)1, S. 78. 338 Vgl. insoweit die Ausführungen zu den demographisch bedingten Verlusten hinsichtlich Gebühreneinnahmen, soeben: B. I. 2. 339 Machten die Bewohner unter sechs Jahren im Jahr 2004 noch 5,0 (Ost) bzw. 6,7% (West) der Gesamtbevölkerung aus, werden dies im Jahr 2025 nur noch 4,5% (Ost) bzw. 6,1% (West) sein. Noch stärker wird der Rückgang des Anteils der Schulkinder ausfallen: Im Jahre 2004 machten diese noch 12,4% (Ost) bzw. 14,5% (West) der Gesamtbevölkerung aus; im Jahre 2025 wird dieser Wert auf 11,1% (Ost) bzw. 11,7% (West) zurückgegangen sein, vgl. Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 65. 340 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 13 f.; Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 85. 341 Baum/Seitz/Worobjew: Der Einfluss der Alters- und Familienstrukturen auf die Ausgaben der Länder und Gemeinden, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 71 (2002) 1, S. 158 und v. a. S. 161; zu beachten sind in diesem Zusammenhang allerdings Wechselwirkungen mit anderen ausgabeträchtigen Aufgabenfeldern: so werden im Falle von Schulschließungen die Fahrgastzahlen i. R. d. Schülerbeförderung steigen, Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 95.
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
neue Seniorenpflegeeinrichtungen und möglicherweise Krankenhausplätze als Kinderkrippen, Kindergärten oder Schulen notwendig sein.342 II. Sozialausgaben Die Sozialausgaben der kommunalen Ebene werden dominiert von den Ausgaben für die Sozialhilfe.343 Bundesweit sind sie auch 2006 gegenüber dem Vorjahr weiter angewachsen und es ist mit einem weiteren Anwachsen zu rechnen.344 Hierfür sprechen insbesondere die Entwicklungen im Bereich der beitragsfinanzierten sozialen Sicherungssysteme. Deren Schwäche wird eine Ergänzung insbesondere der aus ihnen gespeisten Renten durch andere staatliche Sozialleistungen erforderlich machen.345 Zusätzlicher Handlungsbedarf und damit zusätzliche Kosten entstehen durch eine zunehmende Polarisierung der Lebensbedingungen, die mit dem demographischen Wandel insbesondere in Großstädten einhergehen. Soziale Segregation zeigt sich sowohl in regionaler also auch in intrakommunaler Hinsicht. So bewirkte etwa der Suburbanisierungsprozess der letzten Jahre, dass Familien der Mittelschicht insbesondere ins Umland der Städte zogen, wohingegen – relativ – arme Menschen in der Stadt blieben. Aber auch die Situation in den Städten und Gemeinden mit sinkender Bevölkerungszahl ist durch ein Anwachsen sozialer,
342 Müller, W.: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 94; Müller, B.: Zukunftsorientierte Stadt- und Regionalentwicklung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 12; Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 94 m.w. N. 343 Mehr als die Hälfte aller Sozialausgaben sind solche für Familien- und Sozialhilfe, Förderung der Wohlfahrtspflege u.Ä., vgl. etwa Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2007, S. 579. Zu beachten ist die Trägerschaft der Sozialhilfe durch die Landkreise und kreisfreien Städte, § 3 SGB XII; jedoch können die Länder die Trägerschaft auch kreisangehörigen Gemeinden übertragen; außerdem werden die kreisangehörigen Gemeinden indirekt über die Kreisumlage als einziger wesentlicher Finanzierungsquelle der Landkreise an den Kosten beteiligt, Schmid/Reif: Gemeindefinanzbericht Baden-Württemberg 2007, in: Die Gemeinde, S. 573; vgl. allgemein zur Funktion der Kreisumlage Henneke, in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 14, Rn. 1 ff. 344 Baum/Seitz/Worobjew: Der Einfluss der Alters- und Familienstrukturen auf die Ausgaben der Länder und Gemeinden, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 71 (2002) 1, S. 159; vgl. auch Schmid/Reif: Gemeindefinanzbericht Baden-Württemberg 2007, in: Die Gemeinde, S. 573. 345 Müller, W.: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 95; Bach/Bork/Krimmer/Raffelhüschen/Schulz: Demographischer Wandel und Steueraufkommen, S. XVIII, XX.
C. Effekte des demographischen Wandels auf die Ausgaben
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ethnischer und demographischer Segregation geprägt, denen es entgegenzuwirken gilt.346 Die Haushaltsstrukturen werden sich durch die Zunahme der Ein-PersonenHaushalte347 verändern. Dadurch werden viele häusliche Pflegeleistungen, die heute noch durch Familienangehörige erbracht werden, nur noch durch vermehrte entsprechende Dienstleistungsangebote bewerkstelligt werden können.348 III. Verwaltung Die Zahl der Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung wird sich mit abnehmender Bevölkerungszahl reduzieren müssen. Sonst drohen Überkapazitäten, die wiederum höhere Pro-Kopf-Personalkosten, d.h. relative Personalkosten, nach sich ziehen.349 Bereits heute weisen die Kommunen in den ostdeutschen Flächenländern einen Personalüberhang von insgesamt 15% auf. Dieser wird während der nächsten 20 Jahre demographiebedingt um weitere 12% ansteigen.350 IV. Zusammenfassung: Bevölkerungsverluste & Ausgaben Für die Städte und Gemeinden in den westlichen Flächenländern führen die demographischen Veränderungen laut Seitz zu Einsparpotentialen von insgesamt knapp 2%. In Ostdeutschland könnten die kommunalen Ausgaben hingegen um wahrscheinlich fast 16% reduziert werden.351 Kurzfristig werden allerdings hohe Belastungen aus Kostenremanenzen und Rückbauinvestitionen zu überbrücken sein.
346 Strohmeier: Segregierte Armut in den Städten – Strategien sozial integrativer lokaler Politik, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 17 ff. 347 Vgl. statt vieler Reinert: Bürgerschaftliches Engagement und demographischer Wandel, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 24. 348 Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 95. 349 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 14 f., die insbesondere auch auf die hohen Pensionslasten hinweisen. 350 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 34. 351 Diese Werte betreffen den Zeitraum 2004 bis 2025; Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 65 f.
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
D. Auswirkungen des demographischen Wandels: Einnahmen-Ausgaben-Saldo und Problemidentifizierung I. Saldo aus Einnahmen und Ausgaben Sämtliche auf finanzwissenschaftlicher Grundlage errechnete Szenarien scheinen – bei allen Unsicherheiten – zu einem gemeinsamen Ergebnis zu gelangen: Die zusammenführende Betrachtung der zu erwartenden Entwicklungen der Kommunalfinanzen ergibt eine Relativierung der einnahmeseitigen Verluste durch zumindest langfristig zu erwartende Einsparpotentiale. Über die Frage, wann diese realisiert werden und wie ausgeprägt sie sein werden, besteht Uneinigkeit. So wird zum Teil angenommen, die Kommunen werden finanziell in schwieriges Fahrwasser geraten.352 Andere – insbesondere neuere Berechnungen – gehen von einem im Vergleich dazu entspannten Szenario aus, wonach die Zusammenschau von Einnahme- und Ausgabeseite langfristig offenbar ein annähernd ausgeglichenes Verhältnis ergibt.353 Dennoch ist mit Problemen zu rechnen: II. Probleme in der Praxis 1. Kostenremanenzen Alle Einschätzungen zur demographisch bedingten Entwicklung der kommunalen Finanzen stehen unter dem Vorbehalt, dass Städte und Gemeinden die Einsparpotentiale, die sich ihnen bieten, konsequent nutzen. In der kommunalpolitischen Praxis deutet sich aber eine hohe Ausgabenträgheit an: Es ergeben sich Probleme aufgrund sog. Kostenremanenzen. Hierdurch wird ein Phänomen bezeichnet, wonach die Ausgaben für das Vorhalten von Infrastruktur und für die Gemeindeverwaltung nicht proportional zu den Bevölkerungszahlen zurückgehen. D.h. obwohl vorhandene Kapazitäten an sich nicht mehr benötigt würden, 352 Winkel: Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 88; im Ergebnis so wohl auch Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 100. 353 So jüngst Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 66. Vgl. aber auch Müller, W.: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 100. Baum/ Seitz/Worobjew kommen in ihrer Studie gar zu einer langfristigen Entlastungswirkung des demographischen Wandels auf die kommunalen Haushalte; allerdings untersuchen sie nur die Effekte der veränderten Alters- und Familienstrukturen und berücksichtigen nicht – jedenfalls nicht direkt – die insgesamt sinkenden Bevölkerungszahlen: Der Einfluss der Alters- und Familienstrukturen auf die Ausgaben der Länder und Gemeinden, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 71 (2002) 1, S. 160.
D. Auswirkungen des demographischen Wandels
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werden sie nicht angepasst oder rückgebaut, sondern im bisherigen Umfang weiterbetrieben. Insbesondere sinken diese Kosten verglichen mit den Einwohnerzahlen einer Kommune langsamer als sie einst aufgebaut worden sind. Auffallend ist der Zusammenhang, wonach dieser Effekt umso größer ausfällt je kleiner die betroffene Gemeinde ist. Für große Städte ab einer bestimmten Größe verschwindet dieser Effekt hingegen fast ganz.354 Die Gründe hierfür sind vielfältig und nur zum Teil politisch beeinflussbar. Eine der Hauptursachen ist die Unteilbarkeit von Infrastruktureinheiten.355 So kann beispielsweise ein Schulgebäude nicht klassenzimmerweise rückgebaut, sondern nur als ganzes abgerissen werden. Und im Bereich der technischen Infrastruktur ist eine noch geringere Anpassungsfähigkeit gegeben: Beim geschossweisen Rückbau von Wohneinheiten werden die vorhandenen Abwasserleitungen zwar nicht mehr im bisherigen Maße benötigt, sind aber dennoch größtenteils unverzichtbar. Nur beim flächenhaften, systematischen, von den Netzenden ausgehenden Abriss sind auch Rückbaumaßnahmen in der entsprechenden Größenordnung möglich und Kosten durch Unterauslastung vermeidbar.356 Andererseits werden Anpassungsmöglichkeiten von kommunalen Verantwortungsträgern aber auch oft verkannt.357 Außerdem scheint der Ausbau von Infrastruktur planerisch um einiges einfacher umzusetzen zu sein als deren Rückbau.358 Hinzu kommt, dass Rückbau- oder Anpassungsmaßnahmen politisch oft nur schwer vermittelbar sind,359 zumal Rückbaumaßnahmen ihrerseits hohe Investitionskosten verursachen. Im Ergebnis fehlt es daher oft am politischen Willen.360 354 Vgl. die Darstellung bei v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 16 f.; s. zudem Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 40 f.; Müller, W.: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 100. 355 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 17. 356 Koziol: Folgen des demographischen Wandels für die kommunale Infrastruktur, in: DfK 43 (2004)1, S. 76 f. 357 v. Hauff/Tarkan: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 17. 358 Kocks: Kommunale Politikfelder aktiv gestalten – lokale und regionale Infrastrukturplanung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser demographischer Wandel 2020, S. 98. 359 Kocks: Kommunale Politikfelder aktiv gestalten – lokale und regionale Infrastrukturplanung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser demographischer Wandel 2020, S. 98. 360 Baum/Seitz/Worobjew: Der Einfluss der Alters- und Familienstrukturen auf die Ausgaben der Länder und Gemeinden, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 71 (2002) 1, S. 158 und v. a. S. 161.
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
Schließlich werden Kostenremanenzen erst im Laufe langsam voranschreitender Prozesse erkennbar. Meist erschwert die Beratungspraxis in den Gemeinderäten die Identifizierung eines Kostenremanenzproblems zusätzlich: Denn gewöhnlich wird in den Haushaltsberatungen nicht über Pro-Kopf-Ausgaben diskutiert, sondern über die absoluten Kosten einer Einrichtung. Zudem ist es gängige Praxis, einzelne Haushaltsposten von Jahr zu Jahr unbesehen fortzuschreiben; flankiert und begünstigt wird dies durch die entsprechende Vergabepraxis investiver Zuweisungen durch die Länder.361 Im Ergebnis sind von Schrumpfung betroffene Städte und Gemeinden hohen Belastungen ausgesetzt: Selbst wenn kommunale Entscheidungsträger alles richtig machen, sind je nach Gemeindegröße Kostenremanenzen in enormem Umfang zu erwarten. Hinzu kommen die Belastungen für Rückbauinvestitionen. Beide Faktoren zusammen bewirken zumindest kurzfristige Belastungsspitzen in beträchtlichem Ausmaß, die von den betroffenen kommunalen Haushalten bewältigt werden müssen. 2. Ruinöser Wettbewerb um Einwohner Weit verbreitete Reaktionsweise kommunaler Verantwortungsträger insbesondere auf demographische Schrumpfungsprozesse ist offenbar der Einstieg in einen Wettbewerb um Einwohner um jeden Preis: In der Hoffnung, für neue Einwohner attraktiv zu werden, stellen Städte und Gemeinden immer neues, möglichst billiges Bauland zur Verfügung. Sie fördern die Bildung von Wohnungseigentum und unternehmen Maßnahmen der Wohnumfeldverbesserung, halten attraktive Infrastrukturen und Grünflächen vor oder veranstalten große Sport- und Kulturevents.362 Ob sich derartige Investitionen langfristig finanziell auszahlen werden, ist indes höchst unsicher. Die drohenden Gefahren, falls neue Einwohner trotz aller Bemühungen ausbleiben bzw. lediglich Wanderungsbewegungen innerhalb des eigenen Gemeindegebiets verursacht werden, sind jedoch immens. Denn wenn trotz eines insgesamt geringeren Flächenbedarfs für Siedlungs- und Verkehrszwecke, Städte und Gemeinden immer neues Bauland ausweisen, kommt es zu Zersiedelungsprozessen mit einhergehender Entleerung der Ortskerne. Dort wird alte Bausubstanz zunehmend verfallen und es entstehen Brachflächen, die Kosten verursachen können. Hinzu kommt die dauerhafte Belastung durch Kostenremanenzen. Diese Entwicklung greift in Ostdeutschland bereits seit geraumer Zeit um sich.363 361 Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 68. 362 Vgl. exemplarisch die Darstellung für die Stadt Essen: Zierold, Auswirkungen des kommunalen Einwohnerrückgangs auf die Finanzen, in: Alternative Kommunalpolitik, Heft 2/2003, S. 45 ff. (Internet-Quelle: www.kommunale-info.de/asp/search.asp?ID= 1965).
D. Auswirkungen des demographischen Wandels
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Offenbar werden Städte und Gemeinden in eine derart undurchdachte und gefährliche Wettbewerbsstrategie getrieben, weil sie sich von wachsenden oder wenigstens stagnierenden Einwohnerzahlen die nötige Stabilität ihrer Einnahmen erhoffen.364 So betrachtet wird ein Zielkonflikt deutlich: (Zu) drastische Haushaltskonsolidierung durch Einsparungen mögen zwar demographisch bedingte finanzielle Einbußen bewältigen können, führen aber möglicherweise auch dazu, dass die betreffende Gemeinde unattraktiver wird und damit weiter Einwohner verliert und so in einen Teufelskreis gerät. – Umgekehrt können enorme Investitionen möglicherweise (!) neue Einwohner anziehen, bergen aber die soeben beschriebenen immensen Gefahren in sich. 3. Wachsende Disparitäten zwischen finanzstarken und -schwachen Kommunen Die vorgestellten Überlegungen sind allesamt Durchschnittsbetrachtungen und geben keine Auskunft darüber, wie die Situation jeweils in einzelnen – insbesondere überdurchschnittlich stark vom demographischen Wandel betroffenen – Gemeinden aussieht. Bereits heute sind jedoch große und wachsende Unterschiede zwischen finanzstarken und finanzschwachen Städten und Gemeinden feststellbar. Diese Tendenz wird sich durch die demographischen Veränderungen nochmals verstärken. Die Entwarnungszeichen für sich durchschnittlich oder überdurchschnittlich entwickelnde Städte und Gemeinden dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es – insbesondere im Osten Deutschlands – nicht wenige Kommunen in überaus prekärer Finanzlage geben wird.365 363 Müller, W.: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 94; Müller, B.: Zukunftsorientierte Stadt- und Regionalentwicklung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 11; Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 99 f.; im Hinblick auf mögliche positive finanzielle Effekte der Neuaisweisung von Baugebieten ebenfalls skeptisch Reidenbach/Heckel/Meyer u. a.: Neue Baugebiete: Gewinn oder Verlust für die Gemeindekasse? Vgl. außerdem bereits Kapitel 1 A. II. 364 Vgl. insoweit wiederum Zierold, Auswirkungen des kommunalen Einwohnerrückgangs auf die Finanzen, in: Alternative Kommunalpolitik, Heft 2/2003, S. 45 ff. (Internet-Quelle: www.kommunale-info.de/asp/search.asp?ID=1965); auch Mäding deutet auf eine derartige Anreizwirkung hin: Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 99. 365 Vgl. Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland – Eine Bestandsaufnahme und Analyse unter Beachtung der demographischen Entwicklungstrends, S. 57; Müller, W.: Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutschland – Folgen für Städte und Regionen, S. 94; zur weiteren räumlichen Polarisation im Hinblick auf die wirtschaftsstrukturelle Entwicklung vgl. Rosenfeld: Demographischer Wandel, unternehmerische Standortentscheidungen und regionale Disparitäten der Standortentwicklung, in: Gans/Schmitz-Veltin (Hrsg.), Demographische Trends in Deutsch-
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Kap. 5: Einnahmen und Ausgaben der Städte und Gemeinden
E. Zusammenfassende Thesen: Zur kommunalen Finanzsituation unter den Vorzeichen des demographischen Wandels – Bevölkerungsverluste und kommunale Einnahmen werden sich in etwa proportional entwickeln. – Langfristig ergeben sich demographisch bedingte Einsparpotentiale. Deren vollständige Ausschöpfung könnte – theoretisch – die erwarteten Einnahmeverluste ausgleichen. – Kostenremanenzen und Rückbauinvestitionen führen zu zumindest kurzfristigen erheblichen Belastungsspitzen. – Es bestehen kommunalfinanzrechtliche Anreize, die einen Wettbewerb um Einwohner um jeden Preis mit immensen Risiken für einen Großteil der Kommunen begünstigen; diese Anreizstrukturen sind zu identifizieren. – Entsprechendes gilt für das Phänomen eines zum Teil lediglich unterentwickelten Folgelastenbewusstseins kommunaler Verantwortungsträger. – Unklar ist, ob auch stark und sehr stark vom demographischen Wandel betroffene Kommunen mögliche dadurch bedingte langfristige finanzielle Belastungen werden kompensieren können. Entsprechendes gilt für Gemeinden in dünn besiedelten Gebieten. – Die regional stark unterschiedlichen demographischen Entwicklungen legen die Frage nahe, ob der kommunalfinanzrechtliche Rahmen auch künftig noch die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zu wahren imstande ist.
land – Folgen für Städte und Regionen, S. 65 ff.; auch der Gemeindetag Baden-Württemberg weist auf zum Teil erhebliche Unterschiede der jeweiligen Lage vor Ort hin, vgl. Schmid/Reif: Gemeindefinanzbericht Baden-Württemberg 2007, in: Die Gemeinde, S. 562 ff.
Kapitel 6
Indizierte kommunalpolitische Reaktionsstrategien zur Bewältigung der demographischen Herausforderungen Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt: Bevölkerungsstrukturelle Veränderungen in den Kommunen erfordern eine Reaktionsstrategie, um Einnahmeausfälle minimieren zu können. Kommunale Infrastruktur- und Dienstleistungsangebote sind daher der Nachfrage anzupassen. Da sich der demographische Wandel jedoch räumlich außerordentlich heterogen gestaltet, reicht eine einzige Antwort auf die entstehenden Herausforderungen nicht aus. Vielmehr ist eine differenzierte Herangehensweise erforderlich. Es erscheint von entscheidender Bedeutung, dass jede Kommune ihre jeweilige demographische Situation für sich analysiert, um so jeweils passgenaue Lösungen entwickeln zu können.366
A. Offensive und defensive Instrumente kombinieren Offenbar reagieren viele kommunalpolitische Verantwortungsträger – soweit sie im Hinblick auf den demographischen Wandel überhaupt Problembewusstsein aufweisen367 – durch Festhalten am Wachstumsdogma der 1970er-Jahre. Dieses ist vor allem durch kleinräumiges Konkurrenzdenken geprägt und führt zu Kirchturmspolitik ohne Blick für regionale Zusammenhänge und mögliche Kooperationsvorteile. Angesichts insgesamt sinkender Bevölkerungszahlen wird ein derartiger blinder kommunaler Wettbewerb um Einwohner unter den Kommunen mittel- und langfristig jedoch mehr Verlierer als Gewinner hervorbringen.368 Die herkömmlichen Planungsinstrumente, die hauptsächlich auf die Verteilung von Bevölkerungszuwächsen gemünzt sind, werden nicht mehr ausreichen. Es ist kontraproduktiv, einseitig auf die Neuausweisung von Bauland zu setzen. Insbe366 Vgl. etwa Appel: Die Auswirkungen des demographischen Wandels in Brandenburg auf die öffentliche Verwaltung und staatliche Organisation, in: LKV 2005, S379; Reschl: Demographischer Wandel und Stadtentwicklung, in: Maier/Hopp/Ziegler (Hrsg.), Mut zur Veränderung, S. 214. 367 Sarcinelli/Stopper: Demographischer Wandel und Kommunalpolitik, in: APuZ 21–22/2006, S. 5. 368 Sarcinelli/Stopper: Demographischer Wandel und Kommunalpolitik, in: APuZ 21–22/2006, S. 3 f.; Müller: Zukunftsorientierte Stadt- und Regionalentwicklung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 11.
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Kap. 6: Indizierte kommunalpolitische Reaktionsstrategien
sondere kann Schrumpfungs- und Alterungsprozessen nicht ausreichend durch eine ordnungsorientierte Steuerung durch Gebote und Verbote begegnet werden.369 Vor diesem Hintergrund erscheint nicht zuletzt das starre Zentrale-OrteKonzept, wie es dem Raumordnungsgesetz (ROG) zu Grunde liegt, als reformbedürftig.370 Bisherige Forschungsergebnisse sehen die Notwendigkeit einer Ergänzung des bislang auf Wachstum ausgerichteten Planungsparadigmas durch eines, das auch Schrumpfungsprozesse mit einbezieht. Gefordert sei eine Kombination aus defensiven Maßnahmen der Anpassung an die durch den demographischen Wandel veränderten Bedarfe mit offensiven Elementen der Prävention, die dem Alterungs- und Schrumpfungsprozess entgegenwirken und Einwohner am Ort halten sollen.371 I. Defensiv: Angebote der Nachfrage anpassen Kommunale Infrastruktur- und Dienstleistungsangebote sind auf den Prüfstand zu stellen und an der jeweiligen Nachfrage, d.h. an Bevölkerungszahl und -struktur auszurichten. So ist daran zu denken, Infrastrukturkapazitäten wie beispielsweise Wasser- und Abwasserleitungen, Schulen oder Kindergärten durch Rückbau zu reduzieren oder insbesondere im Falle von Gebäuden durch Mehrfachnutzungsmöglichkeiten einer flexibleren Nutzung zuzuführen. Möglicherweise bieten sich Ansatzpunkte für interkommunale Kooperationen.372 Hinsichtlich der Stadtentwicklung ist das Prinzip Innen- vor Außenentwicklung zu verinnerlichen: Bevor neue Baugebiete erschlossen werden, müssen innerstädtische Brachflächen genutzt, Wohnungsleerstände müssen erfasst und soweit wie möglich einer Nutzung zugeführt oder ggf. abgerissen werden, alte Gebäudesubstanz ist durch Renovierung oder Abriss- und anschließende Neubau369 Ausführlich dazu Schmidt-Eichstaedt: Schrumpfende Städte – Was bedeutet der Stadtumbau für das Städtebaurecht?, in: Battis/Söfker/Stüer (Hrsg.), Nachhaltige Stadtund Raumentwicklung, S. 349 ff.; außerdem Müller: Zukunftsorientierte Stadt- und Regionalentwicklung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 14 ff.; Müller/Siedentop: Wachstum und Schrumpfung in Deutschland – Trends, Perspektiven und Herausforderungen für die räumliche Planung und Entwicklung, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 26 ff. 370 Hoppe: Das Nachhaltigkeitsprinzip und das planungsrechtliche Prinzip der zentralörtlichen Gliederung (Zentrale-Orte-Konzept), in: Führ/Wahl/von Wilmowsky (Hrsg.), Umwelt und Rechtswissenschaft, S. 191 ff. 371 Schmidt: Eine Strategie für die Kommunen, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 38; Gürtler: Demographischer Wandel – Herausforderung für die Kommunen – Auswirkungen auf Infrastruktur und Kommunalfinanzen, TAURUS-Diskussionspapier Nr. 8, S. 30 ff. 372 Gürtler: Demographischer Wandel – Herausforderung für die Kommunen – Auswirkungen auf Infrastruktur und Kommunalfinanzen, TAURUS-Diskussionspapier Nr. 8, S. 30 ff.
A. Offensive und defensive Instrumente kombinieren
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maßnahmen zu modernisieren. Entscheidend ist dabei das Zusammenwirken der öffentlichen Hand mit den privaten Eigentümern. Dazu ist es notwendig, dass durch Verhandlungen Konsenslösungen erzielt werden. Kooperation ist also nicht nur interkommunal sondern auch intrakommunal von entscheidender Bedeutung.373 II. Offensiv: Attraktivität schaffen Bei aller berechtigten Kritik an einer ausschließlich auf Wachstum fixierten Politik, die Anpassungs- und Kooperationsbedarfe völlig ausblendet, muss jedoch auch klar sein: Städte und Gemeinden sind nicht dazu da, sich selbst abzuwickeln. Höchstwahrscheinlich werden zwar manche Kommunen mit anderen zusammengelegt werden müssen und daher als eigenständige Körperschaft von der politischen Landkarte verschwinden.374 Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie gebietet es jedoch, derartige Zusammenschlüsse nur als ultima ratio vorzunehmen. Städte und Gemeinden müssen daher versuchen, möglichst viele Einwohner am Ort zu halten oder ggf. sogar neue Einwohner anzulocken. Kommunen müssen also als Wohn- und als Unternehmensstandort attraktiv sein. Was attraktiv ist, lässt sich nicht allgemein gültig sagen. Denn je nach besonderer Situation der betroffenen Gemeinde können sich unterschiedliche Standortfaktoren als attraktiv erweisen. So können gerade seniorengerechte Angebote die Attraktivität einer Gemeinde in touristisch interessanter Landschaft erhöhen,375 wohingegen andere Gemeinden gezielt mit guter Wohnqualität, ausreichend Freizeitangeboten und wohnortnahen Arbeitsplätzen ihre Attraktivität erhöhen können. Entscheidend erscheint insoweit, dass jede Gemeinde ein passgenaues und facettenreiches Angebot aus unterschiedlichen Faktoren entwickelt.376 So hat beispielsweise die massiv vom demographischen Wandel betroffene Stadt Pirna in Sachsen erkannt, dass eine ausreichende Versorgung älterer Menschen mit Gesundheits- und Pflegedienstleistungen auch das örtliche Arbeitsplatzangebot erhöht und so für jüngere Menschen attraktiver werden kann.377
373 Etwa Schmidt-Eichstaedt: Schrumpfende Städte – Was bedeutet der Stadtumbau für das Städtebaurecht? in: Battis/Söfker/Stüer (Hrsg.), Nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung, S. 346, 349 f. 374 So die Einschätzung des Hauptgeschäftsführers des Baden-Württembergischen Landkreistags Trumpp: s. Gesprächsnotiz im Anhang. 375 Beispiele dafür bei Kunkel: Bürgerbusse und Ruhebänke fürs Rentnerleben in Südbaden, in: Staatsanzeiger Nr. 13 v. 9. April 2009, S. 3. 376 So beispielsweise der Ulmer Oberbürgermeister und Präsident des Baden-Württembergischen Städtetages Gönner: s. Gesprächsnotiz im Anhang. 377 Dies berichtet Möhrs: s. Gesprächsnotiz im Anhang.
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Kap. 6: Indizierte kommunalpolitische Reaktionsstrategien
B. Zukunftsprozesse initiieren, wo herkömmliche Ansätze versagen Viele vom demographischen Wandel besonders stark betroffene ländliche Gebiete können indes keinerlei Perspektiven mehr bieten. Hier bringen die beschriebenen offensiven und defensiven Ansätze keine nennenswerten Verbesserungen. Ein Grund ist offenbar deren Fixierung auf traditionelle Standortpolitik, anstatt auf Lösungen zu setzen, die weniger an Symptomen ansetzen, als auf einem grundlegend neuen Denken beruhen. Ressortübergreifendes Denken wird anscheinend nach wie vor zu wenig praktiziert. Außerdem setzen Fördermaßnahmen einseitig an der Infrastruktur und kaum am humanen Faktor, d.h. an der gezielten und zielgerichteten Förderung von Ehrenamt und bürgerschaftlichem Engagement, an. Schließlich scheuen sich politisch Verantwortliche vor der Feststellung, dass manche dieser extrem vom demographischen Wandel betroffenen Regionen durch herkömmliche Maßnahmen eben nicht mehr förderbar sind. Zugleich erleben die dort (noch) lebenden Menschen die Realität allerdings ganz anders. Dieses Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit bewirkt Resignation, wo Kreativität gefragt wäre.378 Erforderlich erscheint in derartigen Gebieten eine radikale Modernisierung der Versorgung der Bevölkerung. Erfolgversprechende Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht Symptome bekämpfen, sondern neue Wege einschlagen. Ziel muss es sein, neue Dynamik zu erzeugen und so neue Attraktivität zu schaffen. Ansatzpunkte sind dabei einerseits Projekte zur Rettung der existentiellen Daseinsvorsorge. Dabei sollen neue Methoden mit minimalem Aufwand eine möglichst hohe Versorgung sicherstellen. Ein Beispiel stellt die Einrichtung medizinischer Versorgungszentren dar. Andererseits müssen neue Wertschöpfungsketten in Gang gesetzt und dadurch neue Perspektiven geschaffen werden. Hierbei spielt die Schaffung von Energieautarkie sowie von kurzen, ökologisch nachhaltigen und sozial integrierten Verwertungsketten etwa im Bereich landwirtschaftlicher Produktion eine wichtige Rolle. Ein erfolgreiches Beispiel stellt in diesem Zusammenhang die Umstellung einer in ihrer Kapazität überdimensionierten Kläranlage auf eine energieautark arbeitende Infrastruktureinheit dar, anstatt lediglich überschüssige Kapazitäten abzubauen. Gemeinsam ist solchen Aktivitäten, dass sie sich nicht raumplanerisch verordnen lassen. Vielmehr können sie nur aus den jeweils ganz spezifischen Gegebenheiten vor Ort entwickelt werden.379
378
Vgl. dazu Weber/Klingholz: Demographischer Wandel, S. 7 ff. s. dazu die ausführliche Darstellung mit etlichen Praxisbeispielen Weber/Klingholz: Demographischer Wandel, S. 11 ff. 379
C. Passgenaue, integrierte Konzepte entwickeln
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C. Passgenaue, integrierte Konzepte entwickeln Die genaue Gewichtung der verschiedenen Elemente i. R. e. Erfolg versprechenden Strategie zur Bewältigung der Herausforderungen des demographischen Wandels kann nur vor Ort festgelegt werden. Denn in jeder Gemeinde und jeder Region stellt sich die Situation etwas anders dar. Erforderlich sind integrierte Konzepte380 sowie Planen unter Nachhaltigkeitsgesichtpunkten, d.h. auf Basis langfristiger Prognosen. Es müssen sowohl lokal als auch regional passgenaue Lösungen entwickelt und miteinander vernetzt werden.381 Schrumpfungsprozesse können am besten innerhalb funktional verflochtener Räume nachhaltig bewältigt werden. Daher ist auf verstärkte Kooperationen hinzuwirken. Diese sind sowohl interkommunal als auch intrakommunal als Vernetzung öffentlicher Stellen mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und Privaten zu verstehen.382 Schließlich bedarf es neuer, innovativer Prozesse insbesondere in besonders stark vom demographischen Wandel betroffenen Regionen. Zwar können keine vorgefertigten allgemeingültigen Lösungsstrategien präsentiert werden. Jedoch können konkrete Handlungsfelder der Kommunalpolitik zur Anpassung an die demographischen Veränderungen genannte werden, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.383 Als solche sind hauptsächlich folgende zu sehen:384 – Eine zukunftsorientierte Seniorenpolitik erfordert insbesondere neue Ansätze in der Bau- und Verkehrsplanung; außerdem gilt es, die vorhandenen Potentiale insbesondere jüngerer Senioren zu aktivieren. 380 So auch Bose/Wirth: Gesundschrumpfen oder Ausbluten? in: APuZ 21–22/2006, S. 23 – Die Autoren stellen so genannte integrierte regionale Anpassungsstrategien als informelle Instrumente der Regionalentwicklung vor; außerdem Schmidt-Eichstaedt: Schrumpfende Städte – Was bedeutet der Stadtumbau für das Städtebaurecht?, in: Battis/Söfker/Stüer (Hrsg.), Nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung, S. 356 f.; WinklerKühlken: Demographischer Wandel in dünn besiedelten, strukturschwachen Räumen, in: Strubelt/Zimmermann (Hrsg.), Demographischer Wandel im Raum: Was tun wir?, S. 72. 381 BT-Drucksache 16/4900: Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung „Demographischer Wandel und nachhaltige Infrastrukturplanung“, S. 2. 382 Müller: Zukunftsorientierte Stadt- und Regionalentwicklung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis, S. 16; ebenso der Ansatz von Bose/Wirth eines Regional Governance nach britischem Vorbild: Gesundschrumpfen oder Ausbluten? in: APuZ 21–22/2006, S. 22. 383 In diesem Sinne hat der Landkreis Reutlingen seine kreisangehörigen Gemeinden mit einer gezielten Fragebogenaktion für die wichtigsten demographischen Handlungsfelder sensibilisiert: s. Projektbeschreibung im Anhang. 384 Vgl. zum Folgenden Schmidt/Große Starmann: Kommunen im demographischen Wandel, in: APuZ 21–22/2006, S. 17; vgl. aber auch Schmidt-Eichstaedt: Schrumpfende Städte – Was bedeutet der Stadtumbau für das Städtebaurecht?, in: Battis/Söfker/ Stüer (Hrsg.), Nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung, S. 348 f.; Appel: Die Auswirkungen des demographischen Wandels in Brandenburg auf die öffentliche Verwaltung und staatliche Organisationen, in: LKV 2005, 377, 382 f.
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Kap. 6: Indizierte kommunalpolitische Reaktionsstrategien
– Eine kinder- und familienfreundliche Politik ist ein Standortfaktor und erfordert integrierte Angebote. – Infrastruktur ist bedarfsgerecht und auf Grundlage realistischer Nachfragekapazitäten zur Verfügung zu stellen. – Einem ausufernden Flächenverbrauch ist Einhalt zu gebieten; es ist streng das städteplanerische Prinzip zu beachten, wonach Innen- vor Außenentwicklung geht; dies gilt insbesondere hinsichtlich der Planung und Erschließung neuer Baugebiete. – Schließlich ist insbesondere in Großstädten darauf zu achten, dass sozialer Segregation entgegengewirkt wird; für eine integrative Städtebaupolitik ist zu sorgen.
Kapitel 7
Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff Ein demographietauglicher Rechtsrahmen, verstanden als ein System zur Eröffnung und Gewährleistung kommunaler Handlungsspielräume, muss die spezifischen Herausforderungen des demographischen Wandels bewältigen. Er muss die Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie dauerhaft – d.h. gerade auch im Falle starker bevölkerungsstruktureller Veränderungen – absichern. Zu klären gilt es, inwiefern sich verfassungsrechtlich fundierte Kriterien für einen demographietauglichen rechtlichen Handlungsrahmen der Kommunen aufstellen lassen. Unter welchen juristischen Voraussetzungen ist die kommunale Selbstverwaltungsgarantie also noch verwirklicht, und unter welchen Voraussetzungen ist dies nicht mehr der Fall? Anders gewendet ist herauszufinden, inwiefern die Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung eine juristische und inwieweit eine politische Fragestellung ist.
A. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG I. Inhalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie Art. 28 II GG enthält als Garantienorm der kommunalen Selbstverwaltung ein System aus drei Ebenen: Die institutionelle Rechtssubjektsgarantie schreibt die Gemeinden und die Gemeindeverbände als Elemente des staatsorganisatorischen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland in Form rechtsfähiger Körperschaften des öffentlichen Rechts vor. Die objektive Rechtsinstitutionsgarantie garantiert Gemeinden und – in abgeschwächter Form – Gemeindeverbänden die Institution der kommunalen Selbstverwaltung i. S. e. Verwaltungsform (formell) und verschiedener Verwaltungsfunktionen (materiell). Beide Garantien sind nicht nur objektiv-rechtlich, sondern zugleich subjektiv-rechtlich ausgestaltet; – die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung beinhaltet also auch eine subjektive Rechtsstellungsgarantie.385
385 Stern in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 28, Rn. 60 ff.; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 28, Rn. 11; Henneke in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 28, Rn. 41 ff.
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
Die objektive Rechtsinstitutionsgarantie umfasst das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.386 Dieses Recht ist demnach dual konstruiert: Es umfasst zum einen die Garantie lokaler Aufgabenwahrnehmung örtlicher Angelegenheiten und zum anderen die Garantie einer eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung.387 Örtliche Angelegenheiten sind „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben [. . .], die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen“388 (Universalitätsprinzip bzw. Grundsatz der Allzuständigkeit389). Ausfluss der Eigenverantwortlichkeit sind die kommunalen Hoheitsrechte der Finanz-, Satzungs-, Verwaltungs-, Personal-, Planungs-, Organisations- und Gebietshoheit390. Von zentraler Bedeutung ist dabei nicht zuletzt die Finanzhoheit als dem Recht auf eine eigenverantwortliche „Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens“.391 Sie ist Voraussetzung aller eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung.392 II. Die Ausgestaltungsbefugnis der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und ihre Schranken Typisch für institutionelle Garantien ist deren Verbindung mit einer Ausgestaltungsbefugnis für den Gesetzgeber, was praktisch einem Gesetzesvorbehalt entspricht.393 Dieser Gesetzesvorbehalt wird seinerseits durch ein Schrankensystem begrenzt: Die erste Schranke bildet die Wesensgehaltsgarantie, die zweite Schranke sieht das Bundesverfassungsgericht394 und mit ihm die h. M.395 im materiellen Aufgabenverteilungsprinzip. 386
Ständige Rechtsprechung des BVerfG; vgl. E 59, 216, 226; 79, 127, 150; 83, 363,
382. 387
Löwer in: Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Band 2, Art. 28 Rn. 45. BVerfGE 79, 127, 151; außerdem BVerfGE 8, 122, 134; 50, 195, 201; 52, 95, 120; 110, 370, 400. 389 Exemplarisch: Tettinger, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11, S. 191; BVerfGE 8, 122, 134. 390 Stern in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 28, Rn. 96 ff. 391 BVerfGE 26, 228, 244; NVwZ 1987, 123. 392 Knemeyer: Kommunales Selbstverwaltungsrecht und Finanzaussattung, in: Der Städtetag 1988, S. 330: „Das den Gemeinden gewährleistete Recht, nach eigener Initiative und nach selbst gesetzten Prioritäten Aufgaben aufzugreifen und in eigener Verantwortung zu erfüllen, bliebe ohne Finanzhoheit [. . .] toter Buchstabe.“ 393 Henneke in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 28, Rn. 49. 394 BVerfG NVwZ 1989, 347, 348 ff. = E 79, 127, 143 ff.; 107, 1, 12 f.; vgl. zudem BVerfGE 83, 363, 382; 110, 370, 400 f. 388
A. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG
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1. Wesensgehaltsgarantie Die kommunale Selbstverwaltung darf lediglich insoweit beschränkt werden, als nicht ihr Kernbereich berührt wird, der den Grundbestand der kommunalen Selbstverwaltung und damit deren Wesensgehalt sichert. Der Kernbereich markiert eine absolute Eingriffsgrenze.396 „Bei [dessen] Bestimmung [. . .] ist in besonderer Weise der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen [regionalen397] Erscheindungsformen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen. Hiernach gehört zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen (,Universalität‘ des gemeindlichen Wirkungskreises).“398
Neben dem Universalitätsprinzip markiert das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit insoweit den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, als ein Mindestmaß an eigenständiger kommunaler Gestaltungsfähigkeit gewährleistet bleiben muss.399 Der Kernbereichsschutz greift nur in Extremfällen: „Der Kernbereich wäre jedenfalls betroffen, wenn die kommunale Selbstverwaltung völlig beseitigt oder derart ausgehöhlt wird, dass die Gemeinde keinen ausreichenden Spielraum zu ihrer Ausübung mehr hat [. . .] wenn also die Selbstverwaltung nur noch ein Scheindasein führen könnte [. . .].“400
395 Etwa Schmidt-Aßmann: Kommunale Selbstverwaltung nach „Rastede“, in: Franßen u. a., Bürger – Richter – Staat, S. 134; Henneke in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 28, Rn. 55 ff.; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 81 ff. Andere Stimmen in der Literatur lassen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Anwendung kommen, Ipsen: Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie und Einwirkungsmöglichkeiten des Gesetzgebers, in: ZG 1994, 194 ff.; Ehlers: Die verfassungsrechtliche Garantie der kommunale Selbstverwaltung, in: DVBl. 2000, 1301, 1307 f.; Schoch: Zur Situation der kommunalen Selbstverwaltung, in: VerwArch 1990, 18, 22 ff. Tettinger folgt dem Bundesverfassungsgericht, fasst dessen seit der „RastedeEntscheidung“ verfolgten Ansatz aber lediglich als terminologische Neuerung auf, die letztlich nichts anderes sei als die Fortführung der zuvor auch vom Bundesverfassungsgericht verfolgten Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Tettinger in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 11, S. 198 f.; wie er offenbar auch Bay VerfGH BayVBl. 1999, 624, 625. 396 BVerfGE 50, 195, 201; 59, 216, 226; 76, 107, 118; 83, 363, 381; 86, 90, 107; 91, 228, 238; 103, 332, 365; 107, 1, 12 (ständige Rechtsprechung). 397 Vgl. insoweit BVerfGE 83, 363, 381 m.w. N. 398 BVerfGE 79, 127, 146. 399 BVerfGE 91, 228, 239; 103, 332, 366; 56, 298, 312; indirekt auch BVerfGE 21, 117, 130. 400 BVerfGE 103, 332, 366.
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
2. Vorrangige Zuständigkeit der Kommunen Umgeben wird der Kernbereich von einer relativen Eingriffsgrenze, dem sog. Randbereich. In diesen darf unter Beachtung des Art. 28 II GG zugrunde liegenden, die Kommunen begünstigenden Aufgabenverteilungsprinzips als zweiter Schranke eingegriffen werden. In dieses darf im Wege eines Aufgabenentzugs nur eingegriffen werden, wenn Gemeinwohlgründe dies erfordern, d.h. wenn diese das beschriebene Aufgabenverteilungsprinzip überwiegen. Dies soll dann der Fall sein, wenn anders eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht mehr gewährleistet werden kann – also etwa dann, wenn ein unverhältnismäßiger Kostenanstieg zu befürchten wäre, würde die Aufgabe in kommunaler Hand belassen.401
B. Versuch der juristischen Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung Die Feststellung, wonach die kommunale Finanzhoheit die Voraussetzung einer eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung sei,402 legt es nahe, juristische Kriterien für die Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts mit Blick auf die kommunale Finanzausstattung zu suchen. Welche kommunale Finanzausstattung ist noch ausreichend, und ab welchen Werten gerät die kommunale Selbstverwaltung in Gefahr (Demographische Grenzbelastung)? Eine solche Herangehensweise verspricht aber nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich klären lässt, ob den Kommunen ein Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung zusteht und wie ein solcher ggf. konkretisiert werden kann. I. Anspruch einer angemessenen Finanzausstattung Ob zur kommunalen Finanzhoheit auch ein Anspruch auf angemessene Finanzausstattung oder zumindest auf finanzielle Mindestausstattung gehört, wurde von der bundesverfassungsrechtlichen Rechtsprechung bislang offen gelassen.403 Allgemein wird dies indes bejaht. Denn anderenfalls wäre die kommunale Selbstverwaltungsgarantie geradezu sinnentleert, die Lebensfähigkeit der Städte und Gemeinden nicht sicherzustellen.404 Entsprechend wurde bereits früh auf ein solches Erfordernis hingewiesen.405 401 BVerfGE 79, 127, 153; dagegen sollen bloße Wirtschaftlichkeits- oder Sparsamkeitsgründe nicht ausreichen. Bei Einschränkungen durch andere Maßnahmen als durch Aufgabenentziehung gilt hingegen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, BVerfGE 103, 332, 366 f. 402 s. soeben unter A. I. 403 BVerfGE 26, 172, 181; 71, 25, 36 f. 404 Exemplarisch: Hoppe: Der Anspruch der Kommunen auf aufgabengerechte Finanzausstattung – Dargestellt am Beispiel der Stadt-Umland-Problematik, in: DVBl.
B. Juristische Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung
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Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt indes Rückschlüsse zu, wonach dieses ebenfalls einen solchen Anspruch bejahen würde.406 Insbesondere dessen Auslegung des Art. 106 V GG deutet hierauf hin. Dieser diene der Stärkung der Finanzausstattung der Gemeinden und konkretisiere insofern Art. 28 II GG.407 Schoch sieht in dieser Aussage – jedenfalls dem Grunde nach – die Garantie einer materiellen Finanzausstattung.408 Die Verfassungsgerichte der Länder erkennen einen derartigen Anspruch ausdrücklich an.409 Anders als auf bundesverfassungsrechtlicher Ebene nehmen die Landesverfassungsgerichte allerdings keinen Rückgriff auf Art. 28 II GG. Vielmehr verpflichten die meisten Landesverfassungen die Länder dazu, ihren Gemeinden die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.410 Dabei kommt dem Landesgesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, wie er diese Mittel den Gemeinden zur Verfügung stellt. Dieser wird
1992, 117, 118; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 661; Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 60 ff.; Schoch: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 139 f.; Remmert: Die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden bei der Zuweisung überörtlicher Aufgaben durch Bundesgesetz, in: VerwArch 2003, 459, 469 f. 405 Hensel: Der Lastenausgleich, in: VJSchrStuFR, Bd. III, S. 1 ff. führt auf S. 3 aus: „Tatsächlich stellt der Lastenausgleich eine der [. . .] Schicksalsfragen des deutschen kommunalen Labens dar. Der Kampf um die Selbstverwaltung [. . .] ist nicht zum wenigsten ein Kampf um einen „gerechten Lastenausgleich“. Nur wenn es gelingt, den gesamten Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden endgültig so zu gestalten, dass mit ihm auch das Lastenausgleichsproblem befriedigend gelöst wird, [. . .] werden die Kommunen weiterhin als selbständige Staatszellen mit unbeschränktem Wirkungskreis angesehen werden können, die neben ihren pflichtmäßig auferlegten sozialen Aufgaben auch erwünschte Eigenaufgabe erfüllen können.“ Außerdem: „Zur sachgemäßen Fortführung einer Dogmatik des Lastenausgleichs erweist sich nunmehr die Einführung eines neuen Begriffs als notwendig: ,Das Gemeinschaftsexistenzminimum‘. Wir werden davon auszugehen haben, dass der staatlichen Finanzpolitik in jeder ihrer Formen der Gedanke zugrunde liegt, dass jedes Gemeinwesen ein gewisses, wenn auch unbestimmtes Maß von Finanzkraft zur Verfügung haben muss, um die ihm obliegenden Mindestaufgaben erfüllen zu können.“, S. 6. Auf S. 35 f. finden sich Ausführungen zur Bestimmung dieses Existenzminimums. Hensels Ausführungen werden zitiert von Popitz: Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, S. 112 ff. 406 Vgl. Schoch: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 139 f. 407 BVerfGE 71, 25, 38. 408 Schoch: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 139. 409 Exemplarisch: StGH BW DVBl. 1994, 206, 207; BayVerfGH NVwZ-RR 1997, 301, 302; NdsStGH DVBl. 1995, 1175; VerfGH NW DVBl. 1989, 151, 152; VerfGH RP DVBl. 1992, 981; SaarlVerfGH NVwZ-RR 1995, 153, 154; zuletzt: Bay VerfGH Urteil vom 28.11.2007, Az.: Vf. 15-VII-05. 410 Z. B.: Art. 73 LV BW; Art. 119 II SaarVerf; Art. 49 I, III, V LV RP; Art. 78 I, II, 79 LV NW; Art. 57, 58 NV.
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
allerdings durch den allgemeinen Grundsatz des Willkürverbots begrenzt, welcher auch im Verhältnis der Hoheitsträger zueinander einschlägig ist.411 Angesichts dieser Ausführungen ist klar: Es besteht ein kommunaler Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung. Es lässt sich also im Kontext der Untersuchung der Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts die Aussage treffen, wonach ein demographietaugliches kommunales Finanzsystem auch unter den Vorzeichen des demographischen Wandels die finanziellen Voraussetzungen der kommunalen Selbstverwaltung sichern muss. II. Versuch der Bezifferung einer demographischen Grenzbelastung Nunmehr stellt sich allerdings die Folgefrage, ob sich ein solcher Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung auch juristisch überprüfbar konkret beziffern lässt. Hieraus ergäbe sich dann eine demographische Grenzbelastung i. S. e. konkreten Grenzlinie, die selbst bei extremen demographischen Veränderungen nicht unterschritten werden dürfte. 1. Stand der Rechtsprechung In der juristischen Praxis spielt die Fragestellung einer konkret bezifferbaren kommunalen Mindestfinanzausstattung immer wieder im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs eine Rolle. Sie war – und ist – daher Gegenstand vielfältiger Rechtsprechung.412 Ein genauerer Blick auf diese Rechtsprechung verspricht daher erste Hinweise darauf, ob und inwieweit der demographische Wandel vor dem Hintergrund der kommunalen Selbstverwaltung juristisch aufgearbeitet werden kann. Im Folgenden soll dazu der diesbezüglich relevante aktuelle Stand der Rechtsprechung in solchen Flächenländern dargestellt werden, die besonders stark vom demographischen Wandel betroffen sind bzw. in den kommenden Jahren sein werden.413 Denn insbesondere dort ist
411
Vgl. exemplarisch VerfGH NW DVBl. 1989 151, 152. Eine Übersicht über die Rechtsprechung zu kommunalen Finanzgarantien, die Urteile bis einschließlich des Jahres 2005 berücksichtigt, findet sich bei Henneke, in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 24, D, S. 469 ff. 413 Laut dem Demographiemonitor der Bertelsmann Stiftung werden die ostdeutschen Flächenbundesländern sowie das Saarland bis zum Jahr 2020 verglichen mit dem Jahr 2003 Bevölkerungsverluste um jeweils mehr als 2% zu verzeichnen haben. Die übrigen Flächenbundesländer stagnieren (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen) oder werden sogar Bevölkerungszuwächse von mehr als 2% verbuchen können (BadenWürttemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein); zu beachten ist allerdings, dass mit dem Ruhrgebiet in NRW und einige Regionen im Norden Hessens aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwandels ebenfalls enormen Bevölkerungsverlusten ausgesetzt sein werden; vgl. zu alledem Karte in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 17. 412
B. Juristische Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung
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zu erwarten, dass die Gerichte über Fragen der kommunalen Finanzausstattung auch bewusst vor diesem besonderen Hintergrund entscheiden. a) Rechtsprechung des Thüringischen Verfassungsgerichtshofs414 Die jüngste Rechtsprechung des Thüringischen Verfassungsgerichtshofs stellt auf die Aufgabengerechtigkeit als entscheidendem Kriterium einer angemessenen Finanzausstattung der Städte und Gemeinden ab.415 Hiernach ist diese dann aufgabengerecht, wenn die Gemeinden mit den ihnen zur Verfügung stehenden Finanzmitteln Personal- und Sachausgaben für die Pflichtaufgaben im eigenen und übertragenen Wirkungskreis bestreiten können und ihnen zugleich noch ausreichend Mittel für freiwillige Selbstverwaltungsangelegenheiten verbleiben.416 Nicht verhandelbar ist demnach die sich hieraus ergebende absolute Untergrenze kommunaler Finanzausstattung, die dem Kernbereich der verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung entspricht: Unabhängig von der Leistungskraft des jeweiligen Landes ist diese unterschritten, wenn die betreffende Gemeinde finanziell nicht mehr in der Lage ist, nach Erfüllung der Pflichtaufgaben überhaupt noch freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen:417 „[. . .] die kommunale Selbstverwaltung zielt auf eine Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten ab, also auf echte gemeindliche Initiative, die sowohl das ,Ob‘ als auch das ,Wie‘ der Aufgabenerfüllung umfasst. [. . .] Wären die Gemeinden darauf beschränkt, nur eine standardisierte Struktur kommunaler Pflichtaufgaben abzuarbeiten, würden sie letztlich zu staatlichen Filialunternehmen degradiert. Das vom Grundgesetz geforderte Institut der kommunalen Selbstverwaltung wäre damit aufgegeben.“418
Kann das Land aufgrund eigener finanzieller Leistungsunfähigkeit diese absolute Mindestausstattung seinen Kommunen nicht gewährleisten, so sind nur die folgenden Konsequenzen möglich: 414
ThürVerfGH ThürVBl. 2005, 228. ThürVerfGH ThürVBl. 2005, 228, 229. 416 ThürVerfGH ThürVBl. 2005, 228, 230. 417 ThürVerfGH ThürVBl. 2005, 228, 230 f. greift hier explizit die Rechtsprechung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs auf, die dieser in seinem Urteil vom 25.11. 1995 entwickelt hat, vgl. NdsStGH DVBl. 1998, 185, 187. 418 ThürVerfGH ThürVBl. 2005, 228, 230; der dogmatische Hintergrund für diese Anforderung wird im sog. ,Rastede-Beschluss‘ des BVerfG, E 79, 127, 149 f., beschrieben: „[diese] Stärkung der dezentralen Verwaltungsebene [. . .] [durch den] Verfassungsgeber [. . .] [geschah] im Zutrauen in die Gemeinden, im Sinne eines ,Aufbaues der Demokratie von unten nach oben‘ [. . .] Keimzelle der Demokratie [. . .] zu sein. [. . .] Die Zurückhaltung, die der Verfassungsgeber bei der Zulassung unmittelbar-demokratischer Elemente auf Bundesebene geübt hat, wird auf der örtlich bezogenen Ebene der Gemeinden ergänzt durch eine mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestattete Einrichtung der Selbstverwaltung, durch die den Bürgern eine wirksame Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens ermöglicht wird.“ 415
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
– Das Land muss die Kommunen von Aufgaben entlasten, – gesetzlich vorgegebene, Kosten treibende kommunale Standards sind zu senken, – neue Einnahmequellen sind zu erschließen.419 Wie der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vom sog. Randbereich umgeben wird, so umfasst auch das Finanzausstattungsgebot über diese absolute Untergrenze hinausgehend eine angemessene Finanzausstattung. Genauso wie in den Randbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie unter bestimmten Vorraussetzungen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingegriffen werden kann, bestimmt sich die angemessene Finanzausstattung einer Kommune unter abwägender Gegenüberstellung der Aufgabenbelastung sowie der Finanzkraft der Kommunen einerseits und der Leistungskraft des Landes andererseits. Diese Abwägung ist Ausdruck der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Landes- und Kommunalaufgaben. Oberhalb der absoluten Untergrenze sind die verfügbaren Finanzmittel jeweils aufgabengerecht zu verteilen.420 Die Konkretisierung bestimmter Kennzahlen oder Beträge hinsichtlich der Bemessung der kommunalen Finanzausstattung lehnt der Thüringische Verfassungsgerichtshof jedoch ab. Dies sei angesichts der dabei zu beachtenden vielfältigen ökonomischen und politischen Einflussfaktoren nicht zu leisten. Zudem wäre ein solches Vorgehen vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips und des Gewaltenteilungsgrundsatzes bedenklich. Denn die insoweit weitgehend von Wertungsund Prognoseentscheidungen abhängige Konkretisierung verfassungsrechtlicher Vorgaben obläge der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers.421 Damit sei eine direkte auf inhaltliche Richtigkeit zielende Ergebniskontrolle des kommunalen Finanzausgleichs nicht möglich und die Verfassungsgerichtsbarkeit auf eine Verfahrensüberprüfung hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens sowie der Durchführung des kommunalen Finanzausgleichs beschränkt. Diesbezüglich seien Kriterien zu entwickeln betreffend insbesondere die Gewichtung, mit der bestimmte zu beachtende Belange in einen Entscheidungsprozess eingestellt werden, sowie die Frage, welche Ermittlungs- und Beobachtungspflichten bestehen bzw. – umgekehrt – welche Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume eröffnet werden. Letztlich gehe es – ähnlich wie im Planungsrecht – darum, Entscheidungsprozesse zu strukturieren und nachvollziehbar zu machen.422
419 ThürVerfGH ThürVBl. 2005, 228, 231; hier greift der Verfassungsgerichtshof u. a. die Rechtsprechung des Rheinland-Pfälzischen Verfassungsgerichtshofs auf und erweitert diese, vgl. RhPfVerfGH DVBl. 2000, 992, 995. 420 ThürVerfGH ThürVBl. 2005, 228, 231. 421 ThürVerfGH ThürVBl. 2005, 228, 233 f. m.w. N. 422 ThürVerfGH ThürVBl. 2005, 228, 233.
B. Juristische Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung
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b) Die „Neulietzegöricke“-Entscheidung des Brandenburgischen Verfassungsgerichts423 Das Landesverfassungsgericht Brandenburg stellt zunächst klar, dass das Land im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit dafür sorgen muss, dass die Kommunen finanziell in der Lage sind, ihre Aufgaben erfüllen zu können. Der Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes ergibt sich dabei aus der staatsorganisationsrechtlichen Eingliederung der Gemeinden in das jeweilige Land und findet seine Grenze in der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, die nicht ausgehöhlt werden darf. Dies wiederum wäre dann der Fall, wenn die zur Verfügung gestellten Finanzmittel evident derart unzureichend wären, dass einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung der Boden entzogen wäre.424 Das Landesverfassungsgericht gibt dem Gesetzgeber eine möglichst genaue und am kommunalen Aufgabenbestand orientierte Ermittlung des Finanzbedarfs der Kommunen auf: „Der Gesetzgeber ist [. . .] gehalten, bei der Bedarfsermittlung die Aufgaben der Gemeinden in den Blick zu nehmen und den Ausgleich unter Berücksichtigung dieser Aufgabenbelastung vorzunehmen. Sein Gestaltungsspielraum findet seine Grenze in dem Verbot der offensichtlichen Disproportionalität von wahrzunehmenden Aufgaben und Mittelzuweisung. [. . .] Die Zuteilung der jeweiligen Mittel muss sich an der Aufgabenverteilung zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden orientieren. In diesem Sinn hat der Gesetzgeber die Aufgaben der Gemeinden und des Landes überschlägig zu gewichten und einen Ausgleich zwischen ihnen herzustellen.“425
Hierfür sei ein Vorgehen nach dem Gleichmäßigkeitsgrundsatz426 nicht von vornherein ungeeignet. Jedoch erkennt das Gericht dessen einseitige Fixierung auf die Einnahmesituation von Landes- und Kommunalebene. Erforderlich sei es aber, gleichzeitig auch die Ausgaben- und die unmittelbar damit zusammenhängende Aufgabenseite im Blick zu behalten. Folgerichtig verlangt das Landesverfassungsgericht eine regelmäßige strukturelle Überprüfung des Finanzsystems: „Der Gesetzgeber ist [. . .] verpflichtet, sich in regelmäßigen Abständen, die das Verfassungsgericht auf (spätestens alle) drei Jahre festlegt, zu vergewissern, ob die mithilfe des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes erfolgte Mittelverteilung noch dem tatsächlichen Bedarf entspricht, und dies in den Gesetzesmaterialien [. . .] in Auseinanderset-
423
Bbg VerfG NVwZ-RR 2000, 129 ff. Bbg VerfG NVwZ-RR 2000, 129, 130. 425 Bbg VerfG NVwZ-RR 2000, 129, 131; hier weist das Brandenburgische Verfassungsgericht auf die Rechtssprechung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs hin, die es aufgreift und fortschreibt: vgl. NdsStGH NVwZ-RR 1998, 529, 530. 426 Der Gleichmäßigkeitsgrundsatz besagt, dass sich die kommunalen Einnahmen (Steuern, Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich) gleichmäßig zu der dem Land verbleibenden Finanzmasse (Steuern, Länderfinanzausgleich, abzüglich Zuweisungen an die Kommunen) entwickeln, Bbg VerfG NVwZ-RR 2000, 129, 131. 424
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
zung mit der aktuellen Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen und den hiermit verbundenen Ausgaben nachvollziehbar darzulegen [. . .].“427
Auch das Verfassungsgericht Brandenburg stellt mit dem Hinweis auf nicht gelöste Erfassungs- und Bewertungsprobleme klar, dass sich der Finanzbedarf einer Kommune nicht nach einer abstrakten und allgemeingültigen Formel ermitteln lässt.428 Gleichzeitig wird jedoch auch über mögliche Konsequenzen einer objektiven finanziellen Unterversorgung einer Gemeinde nachgedacht: „Aufgrund der Schutzwirkung, die die Selbstverwaltungsgarantie auch für die einzelne Gemeinde entfaltet, ist der Gesetzgeber gehalten, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass auch nur eine einzelne Gemeinde unverschuldet und trotz sparsamster Wirtschaftsführung in eine finanzielle Lage gerät, in der ihr keinerlei Mittel auch nur für ein Mindestmaß an freiwilliger kommunaler Selbstverwaltung verbleiben.“429
Auch das Brandenburgische Verfassungsgericht stellt also den Zusammenhang zwischen finanzieller Mindestausstattung und dem unantastbaren Kernbereich bzw. dem Randbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie her. Es betont als Maß für die finanzielle Mindestausstattung der Gemeinden den Bereich der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben, der keiner einzigen Gemeinde vollständig verwehrt werden darf: „Die einzelne Gemeinde kann nicht verlangen, dass ihr über die staatliche Gemeindefinanzierung ausreichende Mittel für sämtliche Aufgabenbereiche zufließen, in denen eine freiwillige kommunale Selbstverwaltungsbetätigung sinnvoll und wünschenswert sein mag. Vielmehr sind je nach Gesamtfinanzlage des Staates und je nach Art und Gewichtung der Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen in einem mehr oder weniger großen Randbereich Einschränkungen hinzunehmen. Es darf jedoch nicht dazu kommen, dass auch nur in einer einzigen Gemeinde aus finanziellen Gründen, sparsamste Wirtschaftsführung und Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten vorausgesetzt, nicht einmal ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung mehr möglich ist [. . .].“430
Insbesondere auch in einer etwas späteren Entscheidung betont das Landesverfassungsgericht Brandenburg schließlich den weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers, der gewahrt sein soll, solange eine Entscheidung auf einer nachvollziehbaren und vertretbaren Einschätzung beruht.431
427
Bbg VerfG NVwZ-RR 2000, 129, 131. Bbg VerfG NVwZ-RR 2000, 129, 132. 429 Bbg VerfG NVwZ-RR 2000, 129, 134. 430 Bbg VerfG NVwZ-RR 2000, 129, 134. Das Gericht gibt dem Land auf, einen Auffangfonds für solche Gemeinden einzurichten, die trotz sparsamster Wirtschaftsführung und Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten nicht mehr in der Lage sind, ein Mindestmaß an Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen. 431 Bbg VerfG LKV 2002, 573, 576. 428
B. Juristische Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung
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c) Landesverfassungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern In seinem Grundsatzurteil432 betreffend die verfassungsrechtlichen Anforderungen an gesetzliche Regelungen über die Finanzbeziehungen zwischen dem Land und den Gemeinden stellt das Landesverfassungsgericht ebenfalls klar, dass die den Gemeinden zur Verfügung stehende Finanzmasse neben der Erfüllung der Pflichtaufgaben auch die Erledigung eines Mindestmaßes an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben ermöglichen muss. Dies gehöre zum unantastbaren Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung. Unterschritten sei diese finanzielle Mindestausstattung, „wenn einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung die finanzielle Grundlage entzogen und dadurch das Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt wird.433 Ebenfalls wird der weite gesetzgeberische Einschätzungs-, Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum betont, der gewahrt sei, wenn sich der Gesetzgeber auf eine nachvollziehbare und vertretbare Einschätzung berufe.434 Diese Rechtsprechung wird in einem späteren Urteil zum kommunalen Finanzausgleich aufgegriffen und präzisiert: Die Finanzausstattung der Kommunen muss angemessen, d.h. den pflichtigen und freiwilligen Aufgaben adäquat sein. Zu beachten ist dabei die grundsätzliche Gleichwertigkeit der Landes- und der Gemeindeebene, sodass die Relation zwischen der Finanzausstattung der Kommunen und der des Landes nicht eine einseitige Benachteiligung der Kommunen ergeben darf. Die zwingende Untergrenze der kommunalen Finanzausstattung ist schließlich unterschritten, wenn die Gemeinden nicht mehr in der Lage sind, ein Minimum an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Diese Mindestausstattung sei jedoch nicht allgemein quantifizierbar:435 „Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass durchgehend ein bestimmter prozentualer Anteil des Verwaltungshaushalts für solche Aufgaben verfügbar sein müsse (,freie Spitze‘). Zum einen kann ein prozentualer Anteil immer nur gegriffen sein, ohne die Evidenz eines verfassungsrechtlichen Gebots zu haben. Zum anderen ist die Relation zum Verwaltungshaushalt nicht unbedingt aussagekräftig dafür, ob eine Kommune Selbstverwaltung kraftvoll ausüben kann oder jedenfalls könnte.“436
Zusätzlich verweist auch das LVerfG Mecklenburg-Vorpommern auf die vielen Faktoren, die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind, deren Vielzahl es jedoch nicht zulässt, einen allgemein gültigen Zahlenwert festzulegen. Vielmehr könne die Finanzausstattung einer Kommune nur im Wege einer wertenden
432
MVVerfG LKV 2004, 175 ff. MVVerfG LKV 2004, 175, 175 m.w. N. 434 MV VerfG LKV 2004, 175, 176; insoweit bezieht sich das MV VerfG ausdrücklich auf Bbg VerfG LKV 2002, 573, 576 (s. o. Fn. 431). 435 Urteil des LVerfG MV vom 11.05.2006, Az.: LVerfG 1/05 bzw. LVerfG 5/05 bzw. LVerfG 9/05, S. 27 f. 436 Urteil des LVerfG MV vom 11.05.2006, Az.: LVerfG 1/05 bzw. LVerfG 5/05 bzw. LVerfG 9/05, S. 28. 433
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
Betrachtung des Einzelfalls beurteilt werden. In diese Betrachtung ist auch einzubeziehen, ob die betreffende Kommune gemäß dem Gebot einer wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung gewirtschaftet hat. Diese Würdigung müsse dabei vor dem Hintergrund der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie erfolgen. Zu fragen sei daher, ob die Betätigungen der zu untersuchenden Stadt oder Gemeinde noch einer generell vorhandenen Typik der realen Selbstverwaltungsgarantie entspricht. – Letztlich ist also die betroffene Kommune mit einer „Durchschnittskommune“ zu vergleichen. Auch wird angeregt, die Finanzausstattung mecklenburg-vorpommerischer Kommunen mit der von Kommunen anderer Bundesländer zu vergleichen.437 Die Grenze jeder kommunalen Finanzausstattung sieht das Landesverfassungsgericht in der Leistungsfähigkeit des betreffenden Landes – nicht nur für den Bereich der angemessenen Finanzausstattung im Rahmen des Randbereichs der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, sondern auch bereits für die absolute Mindestausstattung, die den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie finanziell absichern und ermöglichen soll:438 „Der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 79, 127, 154) herausgestellte Maßstab, dass gesetzliche Regelungen über die kommunale Selbstverwaltung vertretbar sein müssen, ist auch dann anzuwenden, wenn diese den Kernbereich berühren (können). Auch insoweit hat der Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative.“ 439
d) Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen (1) Erste Phase: Mitte der 1980er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen beschäftigte sich seit Mitte der 1980er Jahre immer wieder mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Umfang der kommunalen Finanzausstattung.440 In dieser ersten Phase der Rechtsprechung zum kommunalen Finanzausgleich wies das Gericht auf die Bedeutung einer gesicherten finanziellen Grundlage für eine ausreichende, eigenverantwortliche Selbstverwaltungstätigkeit hin: „Der Sinn von Art. 78 III LV besteht darin, den kommunalen Gebietskörperschaften die finanzielle Grundlage für eine ausreichende, eigenverantwortliche Selbstverwaltungstätigkeit zu erhalten. [. . .] [Er] will verhindern, dass die Gemeinden und Ge437 Urteil des LVerfG MV vom 11.05.2006, Az.: LVerfG 1/05 bzw. LVerfG 5/05 bzw. LVerfG 9/05, S. 28 f. 438 Urteil des LVerfG MV vom 11.05.2006, Az.: LVerfG 1/05 bzw. LVerfG 5/05 bzw. LVerfG 9/05, S. 29 f. 439 Urteil des LVerfG MV vom 11.05.2006, Az.: LVerfG 1/05 bzw. LVerfG 5/05 bzw. LVerfG 9/05, S. 31. 440 Vgl. VerfGH NRW DVBl. 1985, 685 (mit Anmerkung v. Mutius/Henneke); DÖV 1985, 916; DÖV 1989, 310; DÖV 1993, 1003.
B. Juristische Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung
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meindeverbände infolge einer Überlastung mit Pflichtaufgaben ihre traditionellen Aufgaben vernachlässigen müssen.“441
Bereits in dieser früheren Phase betonte das Gericht allerdings auch die Eingliederung der Gemeinden und Gemeindeverbände in den Finanzverbund mit Bund und Ländern und den sich hieraus ergebenden Abwägungszusammenhang der Bemessung der Zuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs mit der Finanzsituation des Landes.442 Entsprechend gewähre Art 79 S. 2 LV Zuweisungen aus dem übergemeindlichen Finanzausgleich nur im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes: „Die Finanzausstattung, die den Gemeinden zur Gewährleistung der Selbstverwaltung bereitzustellen ist, kann nicht losgelöst von der finanziellen Lage des Landes allein nach den Bedürfnissen der örtlichen Gemeinschaft festgesetzt werden.“ 443
Das Gericht geht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz444 von einer Untergrenze im Sinne einer kommunalen Mindestfinanzausstattung aus, die unterschritten werde, wenn es zu einer Aushöhlung der Selbstverwaltungsgarantie komme und einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung die finanzielle Grundlage entzogen würde.445 Im letzten Urteil, das dieser ersten Phase zuzurechnen ist, erweitert das Gericht seine bisherige Rechtsprechung um eine Absage an eine mögliche exakte Vorausberechnung der Höhe der Schlüsselzuweisungen. Die vorzunehmende Einschätzung, die im Wege einer abwägenden Gegenüberstellung der gesetzlich ermöglichten kommunalen Eigeneinnahmen, aufgabenbedingten Ausgaben der Städte und Gemeinden und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes bewerkstelligt werde, sei hierfür zu komplex.446 (2) Zweite Phase: Neuere Rechtsprechung Ende der 1990er Jahre wird diese Rechtsprechung erneut aufgegriffen und bestätigt. Auffallend ist im Urteil vom 9.7.1998 jedoch die starke Betonung des Aspekts der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes, die den Blick ablenkt von der ebenfalls in die Einschätzung einzustellende Frage der Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Insoweit findet nun offenbar eine 441
VerfGH NRW DVBl. 1985, 685, 685. VerfGH NRW DVBl. 1985, 685, 687. 443 VerfGH NRW DÖV 1989, 310, 311. 444 Es verweist auf dessen Urteil vom 5.12.1977, abgedruckt in DVBl. 1978, 802 ff. 445 VerfGH NRW DÖV 1989, 310, 311 m.w. N.; im Urteil vom 6.7.1993 greift das Gericht diese Erkenntnisse wieder auf; zusätzlich weist es auf den vom Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit einzuhaltenden Gleichheitssatz hin; dessen Einschätzungen sind gerichtlich auf ihre Vertretbarkeit hin zu überprüfen; vgl. DÖV 1993, 1003, 1003. 446 VerfGH NRW DÖV 1993, 1003, 1004. 442
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
Abkehr – oder jedenfalls eine Modifizierung – der früheren Rechtsprechung statt.447 Und auch die beiden jüngsten Urteile des Verfassungsgerichtshofs lassen deutlich werden, dass die so beschriebene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen als gefestigt angesehen werden kann.448 e) Sächsischer Verfassungsgerichtshof In seinem Urteil vom 23.11.2000449 diskutiert der Sächsische Verfassungsgerichtshof die Verpflichtung des Landes aus Art. 87 I Sächs LV, eine ausreichende Finanzausstattung für Gemeinden und Gemeindeverbände zu gewährleisten, nur oberflächlich und ohne eine klare Struktur herauszuarbeiten. Im Ergebnis erscheint die Position des Landes gegenüber den Kommunen gestärkt: Zunächst gesteht der Sächsische Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber hinsichtlich der Ausgestaltung dieser Verpflichtung einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Sodann weist er – recht unvermittelt – kurz daraufhin, dass er keine Möglichkeit sehe, die verfassungsrechtlich gebotene kommunale Finanzausstattung mittels bestimmter Maßstäbe, Parameter, Kennziffern, Beträge oder Quoten festzulegen. Bereits im nächsten Satz stellt das Gericht jedoch die Obergrenze der Verpflichtung dar: Diese werde durch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Freistaates Sachsen bestimmt. Dies ergebe sich aus der Gleichwertigkeit der Aufgaben des Freistaats und der kommunalen Aufgaben. Allerdings dürfe der Gesetzgeber nicht zulassen, dass das kommunale Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt wird. Schließlich betont der Verfassungsgerichtshof die lediglich eingeschränkte verfassungsrechtliche Überprüfbarkeit der entsprechenden gesetzgeberischen Abwägungsentscheidungen.450 f) Verfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Ausgangspunkt der Rechtsprechung des sachsen-anhaltinischen Landesverfassungsgerichts ist ebenfalls das Erfordernis einer aufgabenadäquaten kommunalen Finanzausstattung.451 Allerdings unterscheidet es nicht zwischen einer absoluten, den Kernbereich schützenden Untergrenze und einer den Randbereich absichernden angemessenen Finanzausstattung:
447
VerfGH NRW DVBl. 1998, 1280 ff. Vgl. VerfGH NRW NW VBl. 2003, 261 sowie Urteil vom 11.12.2007, Az.: 10/06. 449 Sächs VerfGH SächsVBl. 2001, 61. 450 Sächs VerfGH SächsVBl. 2001, 61, 65 f. 451 SachsAnh VerfG NVwZ-RR 2000, 1, 4 mit der Klarstellung, dass das Land dies nicht nur durch Bereitstellung von Geldmitteln, sondern v. a. auch durch die gesetzgeberische Schaffung von Ermächtigungsgrundlagen, die eine eigene Einnahmeerzielung ermöglichen. 448
B. Juristische Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung
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„Art. 88 I SachsAnh Verf. verlangt nicht einen ,Kernbereich‘ kommunaler Aufgaben anders abzugelten als einen davon unterschiedenen ,Randbereich‘. [. . .] Art. 88 I SachsAnh Verf. verpflichtet das Land einheitlich, für eine ,aufgabenbezogene‘ finanzielle Grundausstattung zu sorgen und differenziert nicht nach einem ,Kernbereich‘ und Aufgaben im Übrigen.“452
Das Gericht teilt allerdings die Auffassung, wonach eine angemessene Finanzausstattung zum Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG (, Art. 2 III SachsAnh Verf.) gehört. Jedoch folge hieraus keine vom Land zu gewährende absolute finanzielle Mindestausstattung ohne Rücksicht auf dessen eigene Leistungsfähigkeit. Denn Art. 28 II 3 GG könne nicht zu einer Durchbrechung der in Art. 30 GG festgelegten bundesstaatlichen Gliederung in Bund und Länder führen: „Soweit Art. 28 II 3 GG eine Finanzgarantie für Selbstverwaltungskörperschaften enthält, beeinflusst diese die Regelungen über die Kommunalfinanzen nicht dahin, dass die Länder verpflichtet wären, zunächst einmal für eine umfassende Finanzausstattung der Kommunen zu sorgen und notfalls ihre eigenen Aufgaben zu vernachlässigen. Verlangt aber das Grundgesetz nicht, die Kommunen mit Vorrang zu behandeln, und sieht es sie gerade auch bei der Finanzverfassung als Teil der Länder an, dann würde eine aus Art. 28 II 3 GG hergeleitete Verpflichtung, den Kommunen eine allein an deren Aufgaben orientierte Ausstattung zu sichern, entweder den Ländern [. . .] Unmögliches abfordern, oder [. . .] von ihnen [. . .] abverlangen, ihre Befugnisse aus Art. 30 GG zurückzunehmen.“453
Deshalb sei – unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichwertigkeit der Landes- und der Kommunalaufgaben – die Leistungsfähigkeit des Landes als Grenze seiner Finanzierungsverpflichtung anzusehen.454 g) Zusammenfassender Überblick: Zwei Lager in der Rechtsprechung (1) Das kommunenfreundliche Lager Der Verfassungsgerichtshof Thüringen ist in einer Linie mit dem Verfassungsgericht Brandenburg zu sehen: Sie sehen die Frage einer kommunalen Mindestfinanzausstattung im engen Zusammenhang mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Sie verkennen aber auch nicht die Bedeutung der Leistungsfähigkeit der Länder. Im Ergebnis sprechen sie den Kommunen eine absolute Untergrenze für deren Finanzausstattung zu, die den unantastbaren Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung schützen soll. Ein über diese absolute Mindestausstattung hinausgehender angemessener Finanzbedarf sei unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu bemessen.
452 453 454
SachsAnh VerfG NVwZ-RR 2000, 1, 5. SachsAnh VerfG NVwZ-RR 2000, 1, 6. SachsAnh VerfG NVwZ-RR 2000, 1, 6.
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
(2) Das landesfreundliche Lager Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen455 und ihm folgend auch die Landesverfassungsgerichte von Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern456 betonen demgegenüber die Gleichwertigkeit der Landes- und der Kommunalaufgaben. Deshalb wird vor allem auf die Leistungsfähigkeit des Landes als dem bestimmenden Faktor abgestellt. Diese gelte es auch dann zu berücksichtigen, wenn es um die finanzielle Absicherung des unantastbaren Kernbereichs gehe. Damit kommt der Aufgabenadäquanz als Maßstab einer Mindestfinanzausstattung deutlich geringeres Gewicht zu. 2. Zwischenüberlegung zu den Möglichkeiten der Gerichte und des Rechts Im Hinblick auf die juristische Bewertung der kommunalen Finanzausstattung dürfte das Verhältnis der Ausgaben für Pflichtaufgaben zu den Gesamtausgaben einer Kommune entscheidend sein. Danach müssen nach Erledigung der Pflichtaufgaben noch genügend Finanzmittel zur Erledigung eines Mindestmaßes an freiwilligen Aufgaben verbleiben. Diese Betrachtung erscheint gerade auch im Hinblick auf die Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts als sachgemäß. Denn Kommunen stehen vor der Aufgabe, durch attraktive Angebote an Infrastruktur und anderen Leistungen Einwohner an sich zu binden. Die dazu notwendige Ausdifferenzierung kommunaler Angebote457 kann in besonderem Maße durch die Übernahme freiwilliger Aufgaben erreicht werden. Die vorstehende Rechtsprechungsübersicht macht indes deutlich: Die Gerichte sehen sich außerstande, eine finanzielle Mindestausstattung konkret zu definieren. Übereinstimmend werden praktische Schwierigkeiten deutlich gemacht, die zur Einschätzung führen, dass das rechtliche Instrumentarium in dieser Hinsicht faktisch überfordert sei. Im Hinblick auf den juristischen Argumentationsansatz verdienen insbesondere die Erwägungen des Thüringischen Verfassungsgerichtshofs eine genauere Betrachtung. Interessant ist insbesondere dessen Hinweis auf den Gewaltenteilungsgrundsatz und das Demokratieprinzip und die damit verbundene Einschätzungspräro-
455 Die erste Phase der Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofs von NordrheinWestfalen ist offenbar noch eher im Lager derer zu sehen, die eine absolute Untergrenze für die kommunale Finanzausstattung definiert haben wollen; erst mit dem Urteil vom 9.7.1998 schwenkt der Verfassungsgerichtshof dann offenbar um. 456 Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Landes Sachsen ist nicht eindeutig einem der beiden Lager zuordenbar, weist jedoch ebenfalls eine gewisse Tendenz zu einer Rechtsprechung in der Linie der drei vorgenannten Gerichte auf. 457 Vgl. dazu oben Kapitel 2 A. I. 3.
B. Juristische Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung
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gative des Gesetzgebers.458 Aus Sicht des Gerichts ist die Grenze des Rechts also nicht nur praktisch, sondern gerade auch juristisch erreicht. Denn die Abwägung unterschiedlicher Interessen, die der Konkretisierung von Verfassungsrecht und der Erstellung von Prognoseentscheidungen immanent ist, muss nicht nur aus praktischen sondern gerade auch aus juristischen Gründen i. R. e. politischen Prozesses durch die Legislative bewerkstelligt werden. Weiter machen der Thüringische Verfassungsgerichtshof aber auch das Brandenburgische Verfassungsgericht deutlich, dass die Finanzausstattung der Kommunen damit nicht jeder rechtlichen Überprüfung entzogen sind. Hiernach lasse sich zwar nicht die konkrete Ressourcenverteilung, sehr wohl aber der politische Prozess, dessen Ergebnis diese ist, juristisch bewerten.459 3. Versuche der juristischen Konkretisierung einer kommunalen Mindestfinanzausstattung Trotz solcher Bedenken innerhalb der Rechtsprechung wurden im rechtswissenschaftlichen Schrifttum immer wieder verschiedene Versuche einer Konkretisierung des Inhalts eines kommunalen Mindestfinanzanspruchs diskutiert.460 Auch die Definition von Voraussetzungen der Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts erfordert möglichst präzise Aussagen. Denn die wahrscheinlichen Auswirkungen des demographischen Wandels müssen auf Grundlage rechnerischer Prognosen abgeschätzt werden. Auch Aussagen zur Demographietauglichkeit müssen daher vor einem rechnerischen Hintergrund erfolgen. Insoweit erscheint der Ansatz der sog. freien Spitze auf den ersten Blick viel versprechend, wäre auf diese Weise doch eine klare Grenzlinie definiert und wäre die Gefahr des Schöndiskutierens dadurch gebannt. Im Schrifttum wird im Ausgangspunkt weitgehend der Ansatz geteilt, wonach zwischen dem Anspruch der Kommunen auf eine finanzielle Mindestausstattung als absoluter Untergrenze der kommunalen Finanzausstattung zum Schutz des Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und einem Anspruch auf eine aufgabenangemessene Finanzausstattung zum Schutz deren Randbe458 s. o. B. II. 1. a); ebenso StGH BW DVBl. 1999, 1351, 1355 ff.; ähnlich wie hier wohl auch der SächsVerfGH, s. o. B. II. 1. e). 459 s. o. B. II. 1. a) und b); diese Orientierung auf den politischen Prozess anstatt auf das Ergebnis eines solchen entspricht den Überlegungen Elys, der im Hinblick auf die amerikanische Verfassung ausführt: „[. . .] justice and happiness are best assured not by trying to define them for all time, but rather by attending to the governmental process by which their dimensions would be specified over time [. . .].“ (Ely: Democracy and Distrust, S. 89) Hiernach ist insbesondere darauf zu achten, dass alle von einer politischen Entscheidung betroffenen Interessen auch in den entsprechenden Prozess in ausreichendem Maße eingebunden sein müssen (Ely: ebd., S. 100). 460 Einen umfassenden Überblick bietet insoweit die Darstellung bei Ammermann: Das Konnexitätsprinzip im kommunalen Finanzverfassungsrecht, S. 67 ff.
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
reichs zu unterscheiden ist: Die absolute Mindestausstattung müsse Städten und Gemeinden die Erledigung ihrer Pflichtaufgaben sowie eines Mindestmaßes an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben ermöglichen. Daneben besteht ein Anspruch auf eine angemessene, d.h. eine aufgabenadäquate Finanzausstattung zur Erfüllung weiterer freiwilliger Aufgaben. Die hierfür benötigten Geldmittel werden aufgrund der Gleichwertigkeit der kommunalen und der Landesaufgaben unter Zugrundelegung des Gebots der Verteilungssymmetrie der kommunalen Ebene bzw. dem Landeshaushalt zugewiesen.461 Im Verhältnis zur Rechtsprechung weitergehend ist jedoch versucht worden, die unter keinen Umständen zu unterschreitende finanzielle Mindestausstattung nicht nur abstrakt zu umschreiben, sondern konkret zu quantifizieren. Diese Idee einer sog. freien Spitze462 in Form einer Quote für die Finanzmittel, die als Anteil des Verwaltungshaushalts für Aufgaben der freiwilligen Selbstverwaltung zur Verfügung stehen, wird von vielen Vertretern in der Literatur im Ansatz geteilt.463 Unterschiedliche Einschätzungen bestehen lediglich hinsichtlich der Bezifferung der freien Spitze,464 wobei sich mit Blick auf die tatsächliche kommunale Finanzsituation ein Wert von 5% herauszukristallisieren scheint.465 461 Vgl. exemplarisch: Nierhaus: Verfassungsrechtlicher Anspruch der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung, in: DKV 2005, 1, 5 f.; Geis: „Political question doctrine“ im Recht des kommunalen Finanzausgleichs? In: Staat, Kirche, Verwaltung – Festschrift für Hartmut Maurer, S. 82 m.w. N.; Henneke: Begrenzt die finanzielle Leistungsfähigkeit des Landes den Anspruch der Kommunen auf eine aufgabenangemessene Finanzausstattung? In: DÖV 1998, 330, 334. 462 Der Begriff ist missverständlich und insofern etwas unglücklich gewählt, denn er bezeichnet im finanzwissenschaftlichen Kontext die Finanzmasse, die als Überschuss des Verwaltungshaushalts dem Vermögenshaushalt zugeführt wird und für Investitionen zur Verfügung steht. 463 Anderer Ansicht ist etwa Würtenberger, der definitorische und rechtliche Bedenken äußert; auch sei eine solche Quote überhaupt nicht erforderlich, sei doch eine „angemessene Finanzausstattung“ bereits dann gegeben, wenn für die Erfüllung der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben eine finanzielle Manövriermasse stehe, die durch Umschichtungen oder Sparmaßnahmen politische Handlungsspielräume im Bereich der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben (wieder) eröffne: Der kommunale Finanzausgleich – politisch entscheiden oder verfassungsrechtlich determiniert? In: Freiheit und Eigentum – Festschrift für Walter Leisner, S. 980 ff. 464 Schmidt-Jortzig führt aus, dass ein Wert von 5,54 bis 5,83% nicht mehr den verfassungsmäßigen Vorgaben entspreche und wiest auf die Standardformel hin, wonach von einer Währungseinheit etwa 5 bis 10 Cent selbstverantwortlich einsetzbar sein müssten: Kommunalrecht, S. 274; Schoch verlangt in Zeiten besonders angespannter öffentlicher Finanzsituationen eine 5%-Quote, sonst 8 bis 10%: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 153 f.; ders./Wieland sehen eine Quote von „wenigstens“ 5 bis 10% für erforderlich an: Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Aufgaben, S. 189; auch Wendt sieht eine äußerste Grenze bei einer freien Spitze von 5 bis 10%: Finanzverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Aufgaben, in: Burmeister (Hrsg.), Verfassungsverantwortlichkeit – Festschrift für Klaus Stern, S. 625; ebenso Dreier in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Art. 28, Rn. 145; Hufen geht mit Blick auf die tatsächliche Finanzsituation der Städte und Gemeinden Mitte/Ende der 1990er Jahre jedenfalls von einer Quote
B. Juristische Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung
121
4. Kritik an einer numerischen Festschreibung der freien Spitze Allerdings dürften derlei Versuche einer konkreten numerischen Festschreibung der freien Spitze in Form einer bestimmten Prozentzahl die Grenze zwischen Recht und Politik unzulässig verschieben. Denn die Festlegung eines konkreten Wertes lässt sich nicht zwingend aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG herleiten. Niemand kann juristisch begründen, weshalb ein solcher Wert gerade 10% oder 5% betragen oder einen anderen Wert annehmen sollte. Letztlich ist eine solche Festlegung aus juristischer Sicht willkürlich.466 Die einzige definitive Aussagemöglichkeit ist diejenige, wonach ein Wert von 0 eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie bedeuten würde. Je mehr sich die freie Spitze dem Wert von 0 nähert, desto eher ist die kommunale Selbstverwaltungsgarantie verletzt. Ob dies tatsächlich der Fall ist, hängt vom Einzelfall und davon ab, ob die betreffende Kommune noch über hinreichende Gestaltungsspielräume verfügt, um durch attraktive Angebote Einwohner an sich binden zu können.467 Die Festlegung eines konkreten Wertes könnte nur durch einen politischen Abwägungsprozess und damit durch die Legislative erfolgen. Es ist ureigene Aufgabe des demokratischen Gesetzgebers, widerstreitende Standpunkte und Interessen immer wieder zu einem Ausgleich zu bringen.468 Im Falle der kommunalen Finanzausstattung stehen sich die Interessen von Land und Kommunen gleichberechtigt gegenüber. An der Entscheidungsfindung müssen alle betroffenen Interessen beteiligt werden – im konkreten Fall mindestens die der Länder und der Kommunen.469 in Höhe von 5% aus: Aufgabenentzug durch Aufgabenentlastung, in: DöV 1998, 276, 280. 465 Geis: „Political question doctrine“ im Recht des kommunalen Finanzausgleichs? In: Staat, Kirche, Verwaltung – Festschrift für Hartmut Maurer, S. 85. 466 Ebenso Remmert: Die Stellung der Gemeinden bei der Zuweisung überörtlicher Aufgaben durch Bundesgesetz, in: VerwArch 2003, 459, 480; dies.: Der Anspruch der Berliner Bezirke auf eine finanzielle Mindestausstattung, in: LKV 2003, 258, 259 (Fn. 9). 467 So ist etwa klarzustellen, dass der Grad an Selbstverwaltung im Rahmen der Ausführung weisungsfreier Pflichtaufgaben jeweils unterschiedlich einzustufen ist, Ammermann: Das Konnexitätsprinzip im kommunalen Finanzverfassungsrecht, S. 74; aber auch die freie Spitze an sich kann im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung unterschiedlich effektiv eingesetzt werden; nicht zuletzt gilt es in diesem Zusammenhang die vielfältigen Potentiale bürgerschaftlichen Engagements zu beachten; dieses bietet nicht nur die Möglichkeit, mit relativ geringen finanziellen Mitteln viel zu bewirken; bürgerschaftliches Engagement ist gleichzeitig ein unter demokratietheoretischen Aspekten besonders wertvolles Instrument kommunaler Selbstverwaltung. 468 Vgl. dazu etwa Leisner: Antithesen-Theorie für eine Staatslehre der Demokratie, in: JZ 1998, 861, 863 f. 469 Dies entspricht den Gedanken Elys (Democracy and Distrust); im Zusammenhang mit der Festlegung der kommunalen Finanzausstattung wäre daher über die Einrichtung kommunaler Gesetzgebungskammern auf Länderebene nachzudenken; diese müssten
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
5. Zwischenfazit: Demographische Grenzbelastung als Frühwarnsystem Ohne gesetzgeberische, d.h. politische Bestimmung eines numerischen Wertes für eine freie Spitze470 kann auch keine konkrete Zahl einer demographischen Grenzbelastung ermittelt werden, die juristisch fundiert und rechnerisch präzise die Grenze vorgeben könnte, ab deren Überschreitung das verwaltungsrechtliche System ggf. als nicht mehr demographietauglich bezeichnet werden könnte.471 Damit ist jedoch der Versuch zur Definition einer demographischen Grenzbelastung nicht gescheitert. Es ist lediglich ein Umdenken gefordert und die demographische Grenzbelastung nicht etwa als feststehender Wert, sondern eher als ein Prozess zu begreifen. Ausgehend von Sinn und Zweck der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie als „Keimzelle der Demokratie“, die auf eine Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten und damit auf echte gemeindliche Initiative abzielt,472 lässt sich die demographische Grenzbelastung als eine Art Frühwarnsystem verstehen: Auszugehen ist von der allgemein anerkannten Formel, wonach die finanzielle Mindestausstattung einer Kommune ausreichen muss, um die Pflichtaufgaben und ein Mindestmaß an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben zu erledigen. Die Kommune muss also in nennenswertem Umfang Projekte freiwilliger Selbstverwaltung initiieren können. Folgerichtig muss ihr in finanzieller Hinsicht gerade auch angesichts der zu erwartenden bevölkerungsstrukturellen Veränderungen eine nennenswerte freie Spitze zur Verfügung stehen.473 Voraussetzung für ein demographietaugliches verwaltungsrechtliches System ist es daher, dass die freie Spitze auch unter den Bedingungen des demographischen Wandels zumindest stabil bleibt, d.h. nicht schrumpft. nicht nur über die Konkretisierung der freien Spitze entscheiden können, sondern darüber hinaus auch an den Entscheidungen sämtlicher für sie ausgabenrelevanter Entscheidungen des Landes beteiligt werden; vgl. zum Vorschlag einer Institutionalisierung sog. Landeskommunalkammern Meyer: Beteiligung der Kommunen an kommunalrelevanten Rechtsetzungsakten von Bund und Ländern, in: ZG 1994, 262 ff.; zum Kommunalen Rat in Rheinland-Pfalz und der Diskussion um dessen Aufwertung zu einer beratenden zweiten Kammer Kremser: Der Kommunale Rat in Rheinland-Pfalz, in: DÖV 1997, 586 ff. 470 Politisch wünschenswert wäre ein Wert von 5 bis 10%, wie dies in den o. g. Beiträgen des Schrifttums gefordert wird. Im Folgenden soll indes untersucht werden, ob sich ein solcher Wert auch ohne gesetzgeberisches Handeln bereits aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ableiten lässt. 471 Ohnehin könnte in diesem Fall bestenfalls von potentieller Demographietuntauglichkeit gesprochen werden. Tatsächlich demographieuntauglich wäre das Verwaltungsrecht erst unter der weiteren Voraussetzung des Bestehens alternativer und besserer Gestaltungsmöglichkeiten. 472 s. o. Fn. 418. 473 Vgl. Geis: „Political question doctrine“ im Recht des kommunalen Finanzausgleichs? In: Staat, Kirche, Verwaltung – Festschrift für Hartmut Maurer, S. 84.
B. Juristische Ermittlung einer demographischen Grenzbelastung
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Indes kann aus einer schrumpfenden freien Spitze noch nicht zwangsläufig der Befund der Demographieuntauglichkeit abgeleitet werden. Dieses Phänomen ist insoweit lediglich notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Nun wird deutlich, weshalb die demographische Grenzbelastung als Frühwarnsystem zu verstehen ist: Je geringer der Wert für die freie Spitze und je schneller sie ggf. in sich zusammenfällt, desto größer ist die Gefahr, dass die kommunale Selbstverwaltung im Zuge des demographischen Wandels tatsächlich gefährlich unter Druck gerät. In diesem Zusammenhang kann der o. g. Wert von 5% zwar nicht als juristisch fundierter Grenzwert gelten, sehr wohl aber als Richtwert verstanden werden.474 Erreicht die freie Spitze diesen Wert, kann also nicht von einer Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, aber immerhin von der erhöhten Gefahr einer solchen und damit von einem Alarmsignal gesprochen werden. Je geringer die freie Spitze, desto größer die Gefahr und desto höher die demographische Grenzbelastung. Klarzustellen ist, dass derartige Beobachtungen nur dann Aussagekraft besitzen, wenn sie eine Langfristperspektive aufweisen. Nur so lässt sich zwischen zu erwartenden demographisch bedingten Struktureffekten auf der einen und kurzfristigen Belastungsspitzen auf der anderen Seite differenzieren. Letztere werden dabei durch z. T. hohe notwendige Rückbauinvestitionen sowie durch Kostenremanenzen verursacht, die zu einem nicht unerheblichen Teil für die Kommunen unvermeidlich und zugleich lediglich vorübergehender Art sind.475 Es erschiene wenig sachgemäß, bei einem lediglich kurz- oder mittelfristigen Anstieg der demographischen Grenzbelastung von einem demographieuntauglichen kommunalen Finanzsystem auszugehen. Dies bedeutet nicht, dass i. R. kurzfristiger Entwicklungen die demographische Grenzbelastung außer Acht gelassen werden könnte. Die Überlegungen sind insoweit allerdings zu spezifizieren: Dazu soll auf Art. 115c III GG hingewiesen werden. Dieser besagt, dass selbst im Verteidigungsfalle zumindest die „Lebensfähigkeit der [. . .] Gemeinden und Gemeindeverbände, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, zu wahren ist.“ Art. 115c GG ermöglicht u. a. empfindliche Eingriffe in das Recht auf kommunale Selbstverwaltung, die ausschließlich im Verteidigungsfall möglich und sonst nicht denkbar sind.476 Hieraus ergibt sich: Demographisch bedingte Belastungsspitzen dürfen nicht einmal zur Gefahr führen, dass die finanzielle Lebensfähigkeit einer Kommune bedroht sein könnte.477
474 Vgl. dazu auch Hufen: Aufgabenentzug durch Aufgabenentlastung, in: DöV 1998, 276, 280. 475 Vgl. Kapitel 4 D. II. 1. 476 Vgl. exemplarisch Jarass in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 115c, Rn. 1. 477 Schoch: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 153; auch Nierhaus erwähnt i. R. seiner Überlegungen die „in Vergessenheit geratene Vor-
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Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
Die (finanzielle) Lebensfähigkeit der Kommunen ist dann gewahrt, wenn diesen ein politisches Leben in dem Sinne gesichert ist, dass ihnen ein Mindestumfang eigener, ihnen weisungsfrei überlassener Aufgaben einschließlich entsprechender Finanzmittelausstattung verbleibt.478 Dabei geht es um die Erhaltung eines Restbestands an politischem Eigenleben479 im Gegensatz zu einer völligen Zentralisierung der Verwaltung und des Finanzwesens. Aus alledem folgt, dass den Kommunen ausreichend finanzielle Mittel zur Erfüllung eines Mindestmaßes an weisungsfreien – nicht notwendigerweise freiwilligen – Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfügung stehen müssen. Die Lebensfähigkeit der Kommunen dürfte also auch dann noch gewahrt sein, wenn diese keinerlei Aufgaben der freiwilligen Selbstverwaltung mehr erledigen. Selbst eine nicht unerhebliche Reduzierung des Bestandes an weisungsfreien Pflichtaufgaben würde die Lebensfähigkeit der kommunalen Ebene wohl solange nicht berühren, wie noch ein nennenswerter Bestand erhalten bliebe. Nach alledem gilt für die Demographietauglichkeit des kommunalen Finanzsystems: Selbst für den Fall heftigster vorübergehender Kostenremanenzen müssen genügend finanzielle Mittel zumindest zur Erfüllung des bestehenden Kanons weisungsfreier Pflichtaufgaben gewährleistet sein. Dies bedeutet, dass die freie Spitze vorübergehend auf 0 sinken darf, solange sie sich auf längere Sicht wieder stabilisiert. Denn in diesem Fall sind strukturelle Probleme ausgeschlossen.
C. Indirekte Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Ausgabenseite: Ruinösen Wettbewerb um Einwohner vermeiden Die vielleicht größte Gefahr des demographischen Wandels für die kommunale Ebene geht von dieser selbst aus: Indem kommunalpolitische Verantwortungsträger auf Szenarien des Bevölkerungsrückgangs mit Wachstums- und entsprechenden Investitionsstrategien reagieren, die offenbar ohne hinreichendes Bewusstsein für Folgenlastenproblematiken erfolgen, schaffen sie ggf. langfristig wirkende finanzielle Verpflichtungen in einem Maße, das die Finanzkraft der betroffenen Kommune übersteigt.480 In juristischer Hinsicht stellt sich hier die Frage, ob der Rechtsrahmen des kommunalen Finanzsystems solche politischen Entscheidungen begünstigt oder sogar erzwingt. schrift des Art. 115c III GG“: Verfassungsrechtlicher Anspruch der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung, in: LKV 2005, 1, 5. 478 Rauschning in: Bonner Kommentar, Art. 115c, Rn. 32. 479 Hopfauf in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG – Kommentar zum Grundgesetz, Art. 115c, Rn. 3. 480 Kapitel 4 D. II. 2.
C. Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Ausgabenseite
125
I. Zur Bedeutung des interkommunalen Wettbewerbs vor dem Hintergrund der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie 1. Grundsätzliche Bedeutung des interkommunalen Wettbewerbs Wettbewerb zwischen den Gemeinden ist Konsequenz und zugleich Voraussetzung kommunaler Autonomie. Der Sinn des Selbstverwaltungsrechts ergibt sich u. a. aus dem Wettbewerbs- bzw. dem Pluralismusprinzip.481 Wettbewerb ist dabei als zentrales Instrument zur Gewährleistung von Vielfalt und Eigenheit der Städte und Gemeinden zu sehen: „Individualität, Konkurrenz und Verschiedenheit sind positiv zu bewerten.“482 2. Kriterien für einen ruinösen Wettbewerb Ruinös wird der interkommunale Wettbewerb, wenn er zu Ergebnissen führt, die zumindest auf lange Sicht die kommunale Selbstverwaltung dadurch in Frage stellen, dass den Kommunen finanzielle Instabilität droht. Die Gründe hierfür können vielfältig sein: So rechnen sich möglicherweise Investitionen, die für die Erschließung neuer Wohnbauflächen, Wohneigentumsförderung, Wohnumfeldverbesserung, attraktive Infrastrukturen und Grünflächen sowie große Sport- oder Kultur-Events aufgebracht werden, nicht, weil keine neuen Einwohner in die Stadt ziehen. Möglicherweise entstehen Folgelasten, die bei der Investitionsplanung nicht oder nicht in ausreichendem Maße beachtet worden waren und die die Stadt oder Gemeinde vor nicht mehr zu bewältigende Herausforderungen stellt.483 II. Möglichst breite und ausgeglichene Risikostreuung Kommunalpolitische Verantwortungsträger treffen ihre Entscheidungen aus Sicht der Gliederung, für die sie Verantwortung tragen. Stellt es sich aus dieser Perspektive als finanzpolitisch besonders rentabel dar, auf möglichst viele Einwohner zu setzen, werden sie einer aggressiven Wachstumsstrategie offen gegenüber stehen, eine solche möglicherweise sogar als einzigen Ausweg aus einer finanziellen Krisensituation sehen. Sie handeln insoweit rational und eigennützig.484 Um eine derart einseitige Fokussierung auf den Faktor Einwohner zu verhindern, darf ein demographietaugliches kommunales Finanzsystem die Finanz481
Stober: Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 73. Stern in: Siekmann (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes, S. 890; zugleich: Gemeindeselbstverwaltung und Staatsverfassung, in: Deutscher Städtetag (Hrsg.), Städte und Staat, S. 46; vgl. zu alledem ausführlich bereits oben, Kapitel 2 A. I. 483 Vgl. Mäding: Demographischer Wandel und Kommunalfinanzen – Einige Trends und Erwartungen, in: DfK, 43 (2004) 1, S. 99 f.; vgl. außerdem Kapitel 4 D. II. 2. 484 Vgl. dazu Kapitel 2 A. III. 2. 482
126
Kap. 7: Demographietauglichkeit als juristisch geprägter Begriff
ausstattung einer Kommune nicht ausschließlich – oder nahezu ausschließlich – genau davon abhängig machen. In diesem Fall ist ein Wettbewerb um Einwohner um jeden Preis vorprogrammiert. Vielmehr muss ein demographietaugliches kommunales Finanzsystem Einnahmerisiken möglichst auf mehrere Faktoren verteilen. So ist wo immer möglich anstatt auf die Einwohnerzahlen auf andere Faktoren zu setzen, die i. R. d. Mittelverteilung sachgemäß erscheinen. III. Folgelastenproblematik nicht verschleiern Gerade die spezifischen Herausforderungen des demographischen Wandels erfordern ein besonderes Augenmerk der Kommunen auf die Folgelastenproblematiken ihrer Investitionsentscheidungen. Letztere müssen folglich unter einer Langfristperspektive gefällt werden. Diese darf nicht durch Anreiz- oder gar Zwangswirkungen kommunaler Finanzinstrumente verstellt werden. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Zuweisungen anderer Ebenen in genaueren Augenschein zu nehmen. Dem kommunalen Finanzausgleich dürfte dabei eine zentrale Rolle zukommen.
D. Kriterien für ein demographietaugliches kommunales Finanzsystem – Durch die Auswirkungen des demographischen Wandels muss die freie Spitze langfristig jedenfalls weitgehend stabil bleiben. Verringert sie sich, so ist dies umso problematischer, je schneller dieser Prozess vonstatten geht und je geringer ihr absolutes Niveau ist. Bewegt sich der Wert auf den Bereich von etwa 5% zu, so ist dies als Alarmsignal zu werten. – Kommunale Einnahmerisiken sind auf mehrere Faktoren und möglichst ausgewogen zu verteilen. – Die Finanzzuweisungen staatlicher Ebenen an die Kommunen dürfen keine Anreiz- oder Zwangswirkungen entfalten, die bewirken, dass kommunale Investitionsentscheidungen ohne eine langfristige Kosten-Nutzen-Analyse gefällt werden.
Kapitel 8
Auswirkungen eines überdurchschnittlichen Bevölkerungsrückgangs gemessen am Maßstab der demographischen Grenzbelastung A. Methodische Vorüberlegungen I. Grundsätzliche Überlegungen zur freien Spitze Die Frage, ob auch die Haushalte überdurchschnittlich stark schrumpfender Kommunen der demographischen Grenzbelastung im oben definierten Sinne standhalten werden, erfordert Erkenntnisse über die demographisch bedingte Entwicklung der freien Spitze.485 Da der Kanon an freiwilligen Aufgaben von Kommune zu Kommune variabel, der für Pflichtaufgaben hingegen fest gefügt ist, ist von folgendem rechnerischen Grundansatz auszugehen:486 (1)
Freie Spitze = (Gesamtausgaben – Ausgaben für Pflichtaufgaben)/ Gesamtausgaben487
Aufgrund des Haushaltsausgleichsprinzips lässt sich diese Formel abwandeln: (2)
Freie Spitze = (Gesamteinnahmen – Ausgaben für Pflichtaufgaben)/ Gesamteinnahmen488
Aus den Kommunalverfassungen der Länder ergibt sich, dass zu den kommunalen Einnahmen auch solche aus Krediten zu rechnen sind.489 Gemäß den Gemeindehaushaltsverordnungen der Länder sind Kredite von Dritten (oder von Sondervermögen) durch Darlehen und unter Rückzahlungsverpflichtung aufgenommenes Kapital (ohne Kassenkredite).490 Sie stellen – in engen Grenzen – legitime Finanzierungsmittel dar, bewirken jedoch im Ergebnis lediglich eine 485 Verstanden als das Verhältnis der kommunalen Ausgaben für Aufgaben der Freiwilligen Selbstverwaltung zu den Gesamtausgaben, s. o.: Kapitel 7. 486 Vgl. auch Köstering, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, § 49, S. 48. 487 Dies ergibt im Ergebnis folgende Formel: FS = 1 – A Pflicht /AGes. 488 Dies ergibt im Ergebnis folgende Formel: FS = 1 – A Pflicht /EGes. 489 Vgl. etwa Kunze/Bronner/Katz: Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, Band 2, § 78, Rn. 22; vgl. außerdem a. a. O. § 87, Rn. 6. 490 Exemplarisch Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 673a; s. außerdem bereits Kapitel 3 D. V.
128
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
Verschiebung aktueller Belastungen in die Zukunft:491 Denn durch sie lässt sich zwar kurzfristig eine höhere Ausgabekraft erzielen, langfristig kann aber niemand seine Konsumkraft über die laufenden Einnahmen hinaus erhöhen.492 Aus dieser Gesetzmäßigkeit ergibt sich, dass durch Kreditaufnahmen haushaltsstrukturelle Probleme nicht gelöst, sondern lediglich für eine gewisse Zeit verschleiert werden. Sollen also aktuelle haushaltsstrukturelle Verhältnisse beschrieben und aus der vorgefundenen Situation Prognosen für die künftige Entwicklung dieser Verhältnisse abgeleitet werden, kann dies nur unter Ausblendung derart verfälschender Einflüsse geschehen. Aus diesem Grunde sind Gesamteinnahmen im Sinne der Formel 2 als um Kreditmittel bereinigte Einnahmen zu verstehen. II. Zwei mögliche Ansätze zu einem Erkenntnisgewinn 1. Rechnerischer Grundansatz Das rechnerische Grundprinzip zur Abschätzung der künftigen, demographiebedingten Entwicklung der freien Spitze sieht vier gedankliche Schritte vor: – Zunächst ist zu berechnen, wie viele Ausgaben zum zeitlichen Ausgangspunkt für kommunale Pflichtaufgaben getätigt wurden. – In einem zweiten Schritt ist anhand aussagekräftigen Datenmaterials abzuschätzen, welche Altersgruppe im jeweiligen Aufgabenbereich welche Kosten verursacht hat.493 – Zusammenfassend lassen sich nun die altersgruppenspezifischen Gesamtkostenverursachungsanteile nach Aufgabenbereichen errechnen: Welche Altersgruppe hat in welchem Aufgabenbereich wie viel zu den kommunalen Gesamtausgaben beigetragen? – Schließlich ist in einem vierten Schritt eine Abschätzung der Entwicklung der freien Spitze unter bestimmten sich ändernden demographischen Vorzeichen vorzunehmen. 491 Hieraus wird der juristische Hintergrund der o. g. engen Voraussetzungen für Kreditaufnahmen deutlich: Aufgrund des Demokratieprinzips ist vor dem Hintergrund der durch Kreditaufnahmen bedingten Belastungen zukünftiger Haushalte eherne Zurückhaltung geboten, vgl. Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 673. 492 Zu alledem Fromme, in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 31, Rn. 1 ff. 493 Diese Grundannahme, dass bestimmte Altersgruppen jeweils bestimmte öffentliche Angebote nachfragen und deshalb in unterschiedlichen Aufgabenbereichen unterschiedlich hohe Kosten verursachen, ist nicht gleichbedeutend mit dem Versuch einer Zuordnung bestimmter Güter; ein solcher wäre im Falle öffentlicher Güter kaum machbar bzw. sinnvoll; vielmehr soll über die Nachfrage nach bestimmten kommunalen Leistungen ein entsprechender Kapazitätsbedarf ermittelt werden, der es ermöglicht, die vorhandenen Bedürfnisse optimal zu befriedigen.
A. Methodische Vorüberlegungen
129
Diese Abschätzung kann unter zwei möglichen Perspektiven vorgenommen werden: der Mikrobetrachtungsweise oder/und der Makrobetrachtungsweise. 2. Mikrobetrachtungsweise: Gemeindespezifischer Ansatz Der Ansatz einer Mikrobetrachtungsweise ermöglicht gemeindescharfe Erkenntnisse über den wahrscheinlichen Entwicklungsverlauf der freien Spitze unter veränderten demographischen Vorzeichen. Insbesondere kann eine gezielte Analyse der Haushalte aktuell von Schrumpfung betroffener Städte und Gemeinden erfolgen. Durch eine solche Vorgehensweise können bevölkerungsstrukturelle Besonderheiten gemeindespezifisch real erfasst werden. Hierdurch ergibt sich eine optimale Datengrundlage, die punktgenaue Schätzungen ermöglicht. Je mehr Gemeinden auf diese Weise erfasst werden, desto genauere Antworten sind auf die Frage nach der Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung möglich. Hinsichtlich der in die Berechnung nach diesem Ansatz mit einzubeziehenden Ausgabenwerte ist zu beachten, dass ausschließlich auf den Verwaltungshaushalt abzustellen ist. Denn das Erkenntnisinteresse gilt der (qualitativen) Ausgabenstruktur. Ausgaben im Rahmen des Vermögenshaushalts erfolgen einmalig und daher in zeitlicher Dimension punktuell. Sie geben damit gerade keine Auskunft über die Ausgabenstruktur einer Kommune i. S. e. mittel- und langfristigen Schwerpunktverteilung. Neben den im Verwaltungshaushalt geführten Ausgaben zusätzlich auf die investiven Ausgaben abzustellen hieße daher, die eigentliche Ausgabenstruktur zu verfälschen.494 Im Übrigen entspricht eine solche Vorgehensweise auch der Funktion der (bislang geltenden) Unterteilung des kommunalen Haushalts in einen Verwaltungs- und einen Vermögenshaushalt: der Verwaltungshaushalt weist die Ausgaben für die Verwaltung und deren Deckung aus – der Vermögenshaushalt weist den Kapitalbedarf und dessen Deckung aus.495 3. Makrobetrachtungsweise: Modellhafter Ansatz Der zweite denkbare Ansatz ist eine Querschnittsbetrachtung sämtlicher Städte und Gemeinden der Bundesrepublik: Die oben vorgestellten Rechenschritte zur Abschätzung des wahrscheinlichen Entwicklungsverlaufs der freien Spitze sind
494 Ähnlich argumentierend Miera: Kommunales Finanzsystem und Bevölkerungsentwicklung, S. 25; zu beachten ist allerdings, dass Investitionen die Ausgabenstruktur des Verwaltungshaushalts indirekt sehr wohl beeinflussen, denn die Unterhaltung öffentlicher Gebäude und Anlagen stellen ihrerseits keine Vermögensmehrung dar und sind folglich im Verwaltungshaushalt zu führen, vgl. exemplarisch Notheis in: Faiss/Giebler/ Lang/Notheis/Schmid, Kommunales Wirtschaftsrecht in Baden-Württemberg Rn. 213, 208. 495 Vgl. dazu Landtagsdrucksache 6/510 (amtliche Begründung zum Entwurf des Neuordnungsgesetzes (§ 80 II GemO)).
130
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
unter Rückgriff auf Erhebungen und Erkenntnisse des Deutschen Statistischen Bundesamtes vorzunehmen. Mittels typisierender d.h. modellhafter Überlegungen können so für definierte Gemeindetypen Prognosen vorgenommen werden. Als Grundlage solcher Gemeindetypen kann die Clusteranalyse der Bertelsmann Stiftung496 dienen. Im Gegensatz zum Vorgehen i. R. d. Mikrobetrachtungsweise wird die vollständige Struktur der kommunalen Haushalte durch die Miteinbeziehung sowohl der Verwaltungs- als auch der Vermögenshaushalte nicht verfälscht, sondern dürfte – im Gegenteil – sogar genauer abgebildet werden. 4. Stärken-Schwächen-Analyse beider Ansätze Beide Modelle ermöglichen lediglich qualitative Prognosen. – Sie unterscheiden sich lediglich in der Genauigkeit ihrer Vorhersagen: Vorteil der Mikrobetrachtungsweise ist die gemeindescharfe Abbildung der Entwicklungen, die eine genaue und nicht lediglich eine Durchschnittswert abbildende Erfassung der Situation ermöglicht. Ihr großer Nachteil liegt indes in dem erheblichen Aufwand, der notwendig ist, um die nötige Datengrundlage für eine repräsentative Zahl an Städten und Gemeinden zu erfassen. Für beide Betrachtungsweisen ist ferner klarzustellen, dass derartige Überlegungen immer nur als Szenarien begriffen werden können, die ständig verifiziert werden müssen. Entwickelt sich eine einzige Rahmenbedingung anders als zunächst angenommen, können sich ganz andere Resultate ergeben. Aus diesem Grund muss die Untersuchung der Demographietauglichkeit des kommunalen Finanzsystems in hier beschriebener Hinsicht als Daueraufgabe begriffen werden: Einmal entwickelte Szenarien sind ständig zu verifizieren und zu aktualisieren. 5. Vorgehen im Hinblick auf die aufgeworfene Fragestellung Eine gemeindespezifische Datenerhebung ist angesichts des immensen Aufwandes, der mit ihr verbunden wäre, im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten. Der hier daher zu verfolgende Ansatz einer Makrobetrachtungsweise kann indes eine modellhafte, gedankliche Grundlage für weitere gemeindespezifische Forschungsprojekte sein. Er liefert zwar vom Einzelfall abstrahierte aber dennoch brauchbare Datengrundlagen.497
496
Vgl. bereits Kapitel 1 A. I. 3. Auch Schmidt-Eichstaedt wählt die makroskopische Betrachtungsweise: Bundesgesetze und Gemeinden, S. 84; vgl. außerdem Schoch/Wieland: Finanzverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Aufgaben, S. 20 f. 497
A. Methodische Vorüberlegungen
131
III. Erfassung der Ausgaben für Pflichtaufgaben498 Um die kommunalen Ausgaben für Pflichtaufgaben erfassen zu können, ist zunächst – zumindest in seiner Struktur – der Katalog weisungsgebundener wie weisungsfreier Pflichtaufgaben zu identifizieren. Unter Orientierung an der Verwaltungsvorschrift Gliederung und Gruppierung des baden-württembergischen Innenministeriums499 ergibt sich folgende Zusammenstellung: Tabelle 1 Übersicht: Kommunale Pflichtaufgaben 1
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
2
Schulen
36
Naturschutz, Denkmalschutz und -pflege
40
Verwaltung sozialer Angelegenheiten500
41
Sozialhilfe nach dem SGB XII
42
Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes
44
Kriegsopferfürsorge und ähnliche Maßnahmen
45
Jugendhilfe nach dem SGB VIII
464
Tageseinrichtungen für Kinder
482
Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II
486
Vollzug des Betreuungsgesetzes
51
Krankenhäuser
541
Rettungsdienst (Fortsetzung nächste Seite)
498 Dabei sind nicht nur die Ausgaben der Städte und Gemeinden, sondern auch die der Gemeindeverbände zu berücksichtigen; es ist also von einem einheitlichen kommunalen Ausgabenbegriff auszugehen; dies legt einerseits die kommunale Aufgabenstruktur nahe, andererseits spricht auch die derzeitige Finanzierung der Arbeit der Landkreise für ein solches Vorgehen; denn über die Kreisumlage, die enorme praktische Bedeutung für die Finanzausstattung der Landkreise hat, werden auch kreisangehörige Städte und Gemeinden zur Finanzierung von Kreisaufgaben herangezogen, vgl. etwa Henneke in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 28, Rn. 115 ff., der insoweit den Schmidt-Jortzig geprägten Begriff des „Lastenwegdrückmechanismus“ verwendet. 499 Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Gliederung und Gruppierung der Haushalte, die Finanzplanung und weitere Muster für die Haushaltswirtschaft der Gemeinden vom 22.04.1997, zuletzt geändert am 01.06.2001, abgedruckt in Schmid/Faiß/Giebler: Gemeindewirtschaftsrecht Baden-Württemberg, Vorschriften Teil VI; vgl. zudem Haushaltserlass 2007. 500 Diese dient ganz überwiegend der Bewältigung kommunaler Pflichtaufgaben.
132
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
(Fortsetzung Tabelle 1) 60
Bauverwaltung501
61
Städteplanung, Vermessung, Bauordnung
62
Wohnungsbauförderung und Wohnungsfürsorge
63
Gemeindestraßen
65
Kreisstraßen
66
Bundes- und Landesstraßen
67
Straßenbeleuchtung und -reinigung
69
Wasserläufe, Wasserbau
70
Abwasserbeseitigung
72
Abfallbeseitigung
742
Schlachttier und Fleischbeschau, Freibank, Notschlachträume
751
Friedhöfe, Leichenhäuser, Krematorien und dergleichen
755
Aufgaben nach dem Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
Quelle: Eigene Darstellung.
IV. Benennung relevanter demographischer Veränderungsprozesse 1. Gedanklicher Ausgangspunkt: Altersspezifische Nachfragestruktur Die Überlegungen zur altersspezifischen Nachfragestruktur502 ergeben sich aus der Annahme, dass Menschen derselben Altersgruppe auch ähnliche Bedürfnisse aufweisen. Die Untersuchung, welche Entwicklung die freie Spitze im Zuge des demographischen Wandels künftig nehmen wird, erfordert zunächst altersgruppenbezogene Überlegungen zur kommunalen Pflichtaufgabenstruktur: Welcher Altersgruppe kommen die jeweiligen kommunalen Pflichtaufgaben inwieweit zugute? Und welche Altersgruppe verursacht dadurch welche Kostenanteile? Im Vorfeld zu diesen Überlegungen sind daher Altersgruppen zu bilden, die sich am typischen Erwerbsstatus in einem bestimmten Alter orientieren. Dabei kann die grobe Unterscheidung getroffen werden zwischen a) Kindern bzw. Jugendlichen, die noch nicht im Erwerbsprozess stehen, b) Menschen, die sich im
501
Diese dient ganz überwiegen der Erfüllung kommunaler Pflichtaufgaben. Derselbe Ansatz liegt den Altersstrukturkostenprofilen von Seitz zu Grunde, vgl.: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland, S. 60; ders.: Demographiesensitivität und Nachhaltigkeit der Länder- und Kommunalfinanzen: Ein Ost-West-Vergleich, S. 13 ff.; ders.: Die Demographieabhängigkeit der Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Haushalte, S. 23 ff., 49 ff. 502
A. Methodische Vorüberlegungen
133
aktiven Arbeitsleben befinden und c) Seniorinnen und Senioren, die aufgrund ihres Alters nicht mehr am aktiven Erwerbsleben teilnehmen.503 a) Kleinkinder und junge Menschen im bildungsrelevanten Alter Noch nicht im Erwerbsleben befinden sich Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 20 Jahren. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Kleinkindern im betreuungsund kindergartenrelevanten Alter unter 6 Jahren sowie Kindern und Jugendlichen im schul- bzw. ausbildungsrelevanten Alter, also von 6 bis unter 20 Jahre. b) Menschen im Erwerbsleben Im Alter zwischen 20 und 65 Jahren steht ein Mensch typischerweise dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Allerdings zeichnet sich die Gruppe der 20- bis unter 30-Jährigen, dadurch aus, dass sich viele von Ihnen noch in der beruflichen Ausbildung bzw. Weiterbildung befinden. Nicht zuletzt fällt in diese Altersgruppe die Bevölkerungsgruppe der Studierenden. Erst ab etwa dem 30. Lebensjahr kann davon ausgegangen werden, dass die meisten dem aktiven Erwerbsprozess voll zur Verfügung stehen. c) Ältere Menschen im Rentenalter Auch die Menschen im Alter von 65 Jahren und älter sind keine homogene Altersgruppe. Denn es ist zu unterscheiden zwischen der Gruppe der körperlich meist noch vitalen und aktiven Rentner im Alter von etwa 65 bis unter 80 Jahren sowie der Altersgruppe der Hochbetagten, welche 80 Jahre und älter sind. 2. Bevölkerungsstrukturelle Veränderungen Der demographische Wandel wird sich in dreierlei Hinsicht unmittelbar auswirken: Erstens ist ein Rückgang der Gesamtbevölkerungszahl zu erwarten. Zweitens wird eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur insoweit zu verzeichnen sein, als die Gruppe der älteren Menschen über 65 Jahren nicht nur insgesamt anwachsen, sondern innerhalb dieser die Gruppe der Hochbetagten besonders stark zulegen wird.504 Drittens wird in stark schrumpfenden Gemeinden – insbesondere in Großstädten – zudem eine Tendenz zu sozialer Segregation zu 503 Diese Einteilung der Altersgruppen entspricht der bei Seitz: Kommunalfinanzen in Ost- und Westdeutschland, S. 60; ders.: Demographiesensitivität und Nachhaltigkeit der Länder- und Kommunalfinanzen: Ein Ost-West-Vergleich, S.13 ff.; ders.: Die Demographieabhängigkeit der Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Haushalte, S. 23 ff., 49 ff. 504 Vgl. die Darstellung zur demographischen Entwicklung in Kapitel 1 A. I. 2. b).
134
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
verzeichnen sein.505 Diese bevölkerungsstrukturellen Veränderungen werden sich direkt auf die kommunale Ausgabenstruktur auswirken. 3. Mittelbarer Einfluss des demographischen Wandels Daneben werden die kommunalen Ausgabenschwerpunkte auch mittelbar vom demographischen Wandel beeinflusst werden: In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Auswirkungen von Kostenremanenzen506 und diejenigen eines verstärkten Wettbewerbs um Einwohner507 zu untersuchen. 4. Bereits gefasste (teilweise) demographisch motivierte politische Entscheidungen Hierunter fallen Entscheidungen, die insbesondere den mittelfristig absehbaren Mangel an Erwerbspersonen abmildern und zugleich langfristig dem Bevölkerungsrückgang entgegenwirken sollen. Die zentrale Rolle spielt dabei das politische Ziel einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.508 In diesem Zusammenhang werden auf die Kommunen insbesondere im Zusammenhang mit einem verbesserten Kinderbetreuungsangebot und mit dem Unterhalt von Ganztagsschulen dauerhafte Belastungen zukommen.
B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben unter den Bedingungen des demographischen Wandels I. Die Ausgabenstruktur heute 1. Altersgruppenspezifische Kostenanteile für Pflichtaufgaben Betrachtet man den Kanon der kommunalen Pflichtaufgaben509 und die damit verbundenen Ausgaben in altersspezifischer Hinsicht, muss im Zweifel davon ausgegangen werden, dass sämtliche Altersgruppen – pro Kopf gesehen – den gleichen Nutzen von der Erfüllung einer kommunalen Aufgabe haben. Eine Bevölkerungsgruppe wird folglich in einem ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprechenden Maße Kosten verursachen. Jedoch ergeben sich in vielen Fällen Hinweise darauf, dass bestimmte Altersgruppen besonderen oder aus505
s. Kapitel 4 C. II. s. Kapitel 4 D. II. 1. 507 s. Kapitel 4 D. II. 2. 508 Vgl. etwa für die Bundesregierung: Nachhaltige Familienpolitik, in: e.balance – magazin für soziales (Internetquelle: http://bundesregierung.de/Content/DE/Magazine/ emags/ebalance/055/t6-nachhaltige-familienpolitik-verwirklichen.html). 509 Vgl. Tabelle 1. 506
B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben
135
schließlichen Nutzen aus der Erfüllung der jeweiligen Aufgaben ziehen. Damit verändern sich dann auch die altersspezifischen Kostenstrukturen. Hinsichtlich der altersspezifischen Ausgabenstruktur für Pflichtaufgaben bestehen nur zu einem Teil explizite statistische Erkenntnisse. Hinsichtlich der meisten Aufgaben lassen sich lediglich an bestimmten statistischen Erkenntnissen orientierte Schätzungen erstellen. Nur selten kann auf bereits bestehende Schätzungen zurückgegriffen werden. Den Ausgabestrukturwerten der Aufgabenbereiche „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ sowie „Schule“ liegt die Schätzung von Seitz/Kempkes bzw. Hofmann/ Seitz zugrunde.510 Die dort aufgeführten Werte der Indikatormatrix der Altersprofile der öffentlichen Ausgaben sind zu verstehen als Pro-Kopf-Ausgaben in den jeweiligen Altersklassen im Verhältnis zu der Alterklasse mit den höchsten Pro-Kopfausgaben; diese Werte sind also Pro-Kopf-Kostenanteile. Werden diese mit den der jeweiligen Bevölkerungsgruppe zuzurechnenden Einwohnerzahlen multipliziert, ergeben sich die bevölkerungsgruppenspezifischen Gesamtkostenanteile. Im Anschluss hieran kann die prozentuale Kostenverursachungsquote der jeweiligen Altersgruppe an den Gesamtkosten im jeweiligen Aufgabenbereich errechnet werden. Die altersspezifische Ausgabenstruktur für Leistungen nach dem SGB XII511 ergibt sich aus den entsprechenden Angaben des Statistischen Bundesamtes512. Diejenige für Leistungen nach dem SGB II513 ergibt sich aus statistischen Daten der Bundesagentur für Arbeit514. Die altersgruppenspezifischen Kostenanteile für die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes ergeben sich unmittelbar aus der Altersstruktur der Leistungsempfänger.515 510 Seitz/Freigang/Högel/Kempkes: Die Auswirkungen der demographischen Veränderungen auf die Budgetstrukturen der öffentlichen Haushalte, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2007, S. 155 (Tabelle 1); Seitz/Kempkes: Fiscal Federalism and Demography, S. 26 (Tabelle 2). 511 Gegenstand der Überlegungen sind nur die Hilfsinstrumente von einiger Ausgabenrelevanz: Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfen zur Gesundheit, Hilfen zur Überwindung besonderer Sozialer Schwierigkeiten; Hilfe in anderen Lebenslagen bleibt aufgrund ihrer geringen praktischen Bedeutung hier unberücksichtigt. 512 Statistisches Bundesamt: Sozialleistungen – Sozialhilfe 2006, in: Fachserie 13, Reihe 2; aufgrund der besseren Vergleichbarkeit dient die Zahl der Empfänger innerhalb und außerhalb von Einrichtungen am Ende des Jahres 2006 als Basis für die Schätzungen. 513 Grundsicherung für Arbeitssuchende. 514 Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsmarkt 2006, in: Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit. 515 Vgl. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2007, S. 215.
136
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
Der Schätzung für die Ausgaben für Leistungen der Kriegsopferfürsorge und ähnliche Maßnahmen liegt die Annahme zugrunde, dass die Empfängerstruktur, wie sie sich aus § 25 BVG ergibt, aus Menschen im Seniorenalter zusammengesetzt ist. Diese Annahme folgt aus der Überlegung, dass die Ursachen der Leistungsfälle im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg stehen und die Bezugsberechtigten immer älter und immer weniger werden. Die Schätzung der Ausgabenstruktur für die Kinder- und Jugendhilfe gem. SGB VIII erfolgt auf Grundlage der Ausgaben der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe516 ohne die Ausgaben für Tageseinrichtungen für Kinder; diese werden gesondert ermittelt. Die entsprechende Schätzung für letztere erfolgt auf Grundlage der Zahl an Kindern in Tageseinrichtungen517. Die altersspezifische Struktur der Kosten, die durch die Ausführung des Betreuungsgesetzes entstehen, werden anhand der Altersstruktur der nach diesem Gesetz betreuten Menschen geschätzt.518 Die Kostenstruktur für die Sozialverwaltung entsteht als bloßer Reflex zu denen für die übrigen sozialen Pflichtaufgaben der Kommunen und ist daher als Spiegelbild zu diesen zu verstehen. Daher wurde unter Berücksichtigung des jeweiligen Ausgabengewichts ein Durchschnittswert aus letzteren gebildet. Die Schätzung der altersgruppenspezifischen Ausgabenstruktur im Bereich des Krankenhauswesens findet ihren gedanklichen Ausgangspunkt in der Ermittlung der Altersstruktur der Krankenhauspatienten.519 Zusätzlich berücksichtigt sie, dass die deutlich höchsten Krankheitskosten von den älteren Bevölkerungsgruppen verursacht werden; Grund hierfür ist, dass ältere Menschen meist schwerere Krankheiten aufweisen, die schwieriger zu behandeln sind.520 Entsprechend ist auch für die Krankenhausbehandlung älterer Menschen davon auszugehen, dass diese länger dauert und komplexer ist, sodass sich insbesondere die Liegezeiten verlängern und damit höhere Kosten verursacht werden.521 Gleichzeitig ist zu beachten, dass ein neugeborener Säugling nach der Geburt vergleichsweise geringe Kosten verursachen dürfte, sodass der altersspezifische Kostenanteil niedriger als die Fallzahl im entsprechenden Alterssegment sein dürfte.
516
Vgl. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2007, S. 226. Vgl. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2007, S. 225. 518 Vgl. dazu die Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Die Lebenslage älterer Menschen mit rechtlicher Betreuung, S. 40. 519 Vgl. dazu Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2007, S. 237 und S. 249. 520 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Jährliche Krankheitskosten pro Person nach Alter, im Internet http://www.bpb.de/files/EV8R3B.pdf. 521 Vgl. zu den Pflegekosten, Bundeszentrale für politische Bildung: Ausgaben der Krankenhäuser pro Pflegetag, im Internet http://www.bpb.de/files/5L6A6B.pdf. 517
B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben
137
Für den Aufgabenbereich des Rettungsdienstes wird die altersspezifische Verteilung der Zahl der Unfallverletzten zugrunde gelegt.522 Weiter wird angenommen, dass hinsichtlich der Einsatzhäufigkeit des Rettungsdienstes bei Unfällen keine altersspezifischen Besonderheiten gelten, d.h. egal wie alt das Unfallopfer ist, ist die Wahrscheinlichkeit eines Rettungsdiensteinsatzes ähnlich hoch. Die Schätzung für die Aufwendungen für Städteplanung, Vermessung und Bauordnung erfolgt auf Grundlage eigener Plausibilitätsüberlegungen. Diese basieren auf der Annahme, dass von einer geordneten Bautätigkeit sämtliche Altersgruppen gleichermaßen profitieren. Allerdings wird diese Grundannahme dahingehend ergänzt, dass die Kostenverursachung bei den Grundstückseigentümern insoweit höher liegt, als diese eine wesentliche Gruppe mit zu koordinierenden Ansprüchen an den Raum darstellen. Typischerweise finden sich Grundstückseigentümer aber nicht in den jungen Altersgruppen. Da es – jedenfalls soweit ersichtlich – keine Erhebungen über die Altersstruktur der Straßenverkehrsteilnehmer523 gibt, gestaltet sich eine Schätzung der altersspezifischen Verursachung von Kosten für das Bereithalten öffentlicher Straßen schwierig. Behelfsweise werden anhand der Altersstruktur der im Straßenverkehr Verunglückten Rückschlüsse auf die Altersstruktur der Verkehrsteilnehmer gezogen. Um die entsprechenden Zahlen aber im hier beabsichtigten Zweck sinnvoll nutzen zu können, ist das jeweilige altersspezifische Risiko, im Straßenverkehr zu verunglücken, zu berücksichtigen. Dieses ist für die Altersgruppe der 18bis 24-Jährigen besonders hoch; leicht erhöht ist es auch für 15- bis 17-Jährige und für Senioren ab 65 Jahren.524 Den Schätzungen für die Benutzung von Straßen liegen weiter dahingehende Plausibilitätsannahmen zu Grunde, dass Kinder und Jugendliche wohl besonders stark im Rahmen der Schülerbeförderung ins Gewicht fallen; die stärkste Nutzung der Straßen dürfte durch den Berufsverkehr erfolgen. Daher wird angenommen, dass es keine wesentlichen Unterschiede zwischen der altersspezifischen Kostenverursachungsstruktur hinsichtlich der jeweiligen Straßenkategorien gibt. Die Überlegungen zur altersspezifischen Kostenstruktur hinsichtlich der Bereitstellung von Straßeninfrastruktur werden auf die Bereitstellung von Straßenbeleuchtung als Bestandteil der Straßeninfrastruktur übertragen. Die Kostenstruktur für die Bauverwaltung entsteht als bloßer Reflex zu denen für die übrigen Pflichtaufgaben der Kommunen im Bereich des Einzelplans 6 und ist daher als Spiegelbild zu diesen zu verstehen. Daher wurde unter Berücksichti522
Vgl. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2007, S. 237. Erfasst werden sollen die Nutzer sämtlicher im Straßenverkehr erlaubter Verkehrsmittel einschließlich Bei- und Mitfahrer sowie Fußgänger. 524 Vgl. Statistisches Bundesamt, Verkehr in Deutschland 2006, S. 50; vgl. speziell für das Land Sachsen, aber mit identischer Grundaussage: Mahling/Sondermann: Seniorinnen und Senioren im Straßenverkehr des Freistaates Sachsen, S. 76, 78. 523
138
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
gung des jeweiligen Ausgabengewichts ein Durchschnittswert aus letzteren gebildet. Hinsichtlich der altersspezifischen Kostenverursachung zur Abwasserbeseitigung wird überlegt, welche Altersgruppen wie viel Abwasser erzeugen. Dabei wird davon ausgegangen, dass lediglich Kinder unter 6 Jahren pro Kopf etwas weniger Abwasser verursachen dürften als die anderen Altersgruppen, deren Anteile wohl im Ergebnis in etwa gleich ausfallen. Die altersspezifischen Ausgaben für die Organisation der Abfallbeseitigung werden anhand von Plausibilitätsüberlegungen geschätzt. Diese basieren auf der Annahme, dass für pflegebedürftige Senioren pro Kopf die meisten Müllmengen anfallen dürften. Auch Säuglinge und Kleinkinder verursachen relativ hohe Müllbeseitigungskosten. Dies ist insbesondere auf Windelabfall und pflegespezifischen Verpackungsmüll zurückzuführen.525 Auch die Kostenschätzung für die Erbringung von Schlachttier- und Fleischbeschau, bzw. das Bereitstellen einer Freibank und von Notschlachträumen basiert auf reinen Plausibilitätsüberlegungen. Diese beziehen sich auf die Verbraucherstruktur für Fleisch- bzw. andere Viehzuchtprodukte. Kinder und Senioren dürften daher einen geringeren Verzehr entsprechender Erzeugnisse als die anderen Altersgruppen aufweisen. Die Kosten für die Unterhaltung von Friedhöfen, Leichenhäusern, Krematorien u. dgl. werden anhand der Sterbestatistik geschätzt.526 Hinsichtlich der übrigen – bislang nicht erwähnten – kommunalen Pflichtaufgaben527 ist davon auszugehen, dass die Angehörigen sämtlicher Altersgruppen pro Kopf betrachtet jeweils im selben Maße von der Erfüllung der betreffenden Aufgabe profitieren und entsprechend im selben Maße für die dafür notwendigen Kosten verantwortlich sind. Die Kostenverursachungsanteile entsprechen daher den Bevölkerungsanteilen der jeweiligen Altersgruppen. Aus all diesen Überlegungen ergibt sich die derzeitige altersspezifische Ausgabenstruktur für kommunale Pflichtaufgaben (vgl. Tabelle 2).
525 Vgl. dazu exemplarisch Schmidt: Grenzüberschreitend abgewickelt – Windelrecycler aus Holland machen deutschen Entsorgern Konkurrenz (Internetquelle: http:// www.zeit.de/2000/08/200008.Windeln_.xml); http://www.swr.de/im-gruenen-rp/-/id= 100810/nid=100810/did=4429226/p0je0/index.html. 526 Vgl. Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2007, S. 243 f. 527 Naturschutz, Denkmalschutz und -pflege; Wohnungsbauförderung und Wohnungsfürsorge; Wasserläufe, Wasserbau; Abwasserbeseitigung; Aufgaben nach dem Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft; der Aufgabenbereich der allgemeinen Finanzwirtschaft ist letztlich Reflex der übrigen Aufgabenstruktur und daher nicht Gegenstand gesonderter Überlegungen.
B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben
139
Tabelle 2 Altersstrukturkostenanteile in den jeweiligen Pflichtaufgabenbereichen Gliederung
1
Aufgabenbezeichnung
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
2
Schulen
36
Naturschutz, Denkmalschutz und -pflege
40 410 4104
Verwaltung der sozialen Angelegenheiten Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
65 bis 80 Jahre 30 bis 20 bis 6 bis 0 bis unter u. älter unter unter unter unter 6 Jahre 20 Jahre 30 Jahre 65 Jahre 80 Jahre
2,9
16,4
20,37
47,47
9,88
2,89
0
86,13
13,87
0
0
0
5,22
14,73
11,77
48,98
14,79
4,47
25,52
24,49
8,63
29,03
6,61
5,72
1,6
7,9
10,1
51,4
15,4
13,6
0
1,8
8,8
35,2
42,7
11,5
0,2
0,7
1,5
19,5
33
45,1
411
Hilfe zur Pflege
412
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
13,5
10,3
16,3
55,3
4
0,6
413
Hilfen zur Gesundheit
2,1
5,1
5,1
34,9
20,7
32,1
414
Hilfen zur Überwindung besonderer Sozialer Schwierigkeiten
1
2,6
14,6
51
22,8
8
12,0
25,0
26,2
35,0
1,1
0,7
0
0
0
0
20,0
80,0
22
73
5
0
0
0
74,3
25,7
0
0
0
0
12,73
49,03
0
0
42 44
Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes Kriegsopferfürsorge und ähnliche Maßnahmen
45
Jugendhilfe nach SGB VIII
464
Tageseinrichtungen für Kinder (einschließlich Kindergärten)
482
Leistungen nach dem SGB II
38,23
486
Vollzug des Betreuungsgesetzes
0
2
10
45
18
25
51
Krankenhäuser
20,0
5,0
6,0
27,0
28,0
14,0
541
Rettungsdienst
3,5
10
17
45,5
16,5
7,5
60
Bauverwaltung
3,21
19,29
16,07
43,22
14,46
3,75
(Fortsetzung nächste Seite)
140
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
(Fortsetzung Tabelle 2) Gliederung
61 62
Aufgabenbezeichnung
65 bis 80 Jahre 30 bis 20 bis 6 bis 0 bis unter u. älter unter unter unter unter 6 Jahre 20 Jahre 30 Jahre 65 Jahre 80 Jahre
Städteplanung, Vermessung, Bauordnung
4,1
12,1
10,4
52,7
15,7
5,0
Wohnungsbauförderung und Wohnungsfürsorge
5,22
14,73
11,77
48,98
14,79
4,47
63
Gemeindestraßen
2,5
23,0
19,0
38,5
14,0
3,0
65
Kreisstraßen
2,5
23,0
19,0
38,5
14,0
3,0
66
Bundes- und Landesstraßen
2,5
23,0
19,0
38,5
14,0
3,0
67
Straßenbeleuchtung und -reinigung
2,5
23,0
19,0
38,5
14,0
3,0
69
Wasserläufe, Wasserbau
5,22
14,73
11,77
48,98
14,79
4,47
70
Abwasserbeseitigung
4,2
15,1
12,1
49,3
14,7
4,6
72
Abfallbeseitigung
5,1
14,7
11,8
48
14,3
5,9
742
Schlachttier- und Fleischbeschau, Freibank, Notschlachträume
2,8
15,8
12,7
51,6
13,9
3,3
Friedhöfe, Leichenhäuser, Krematorien u. dgl.
0,4
0,2
0,9
16,2
29,1
53,1
Aufgaben n. d. Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
5,22
14,73
11,77
48,98
14,79
4,47
751 755
Quelle: Eigene Berechnungen auf der Basis der vorangegangenen Quellenangaben (Fußnoten in Abschnitt B. I. 1.)
2. Die freie Spitze heute Eine Aussage über die künftige Entwicklung des Verhältnisses der Ausgaben für Pflichtaufgaben und solcher für Aufgaben der freiwilligen Selbstverwaltung erfordert zunächst eine Bestandsaufnahme. Entsprechend Formel 2528 sind hierzu in einem ersten Schritt die kommunalen Ausgaben zur Ausfüllung der einzelnen Pflichtaufgabenbereiche zu ermitteln. Dabei ist von den Ausgaben sowohl des Verwaltungs- als auch des Vermögenshaushalts auszugehen. Die so ermittelte Summe ist mit den kommunalen Gesamtausgaben bzw. den kommunalen Ge528
s. o. S. 127.
B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben
141
samteinnahmen529 ins Verhältnis zu setzen.530 Um das zu ermittelnde Verhältnis zwischen freiwilligen und Pflichtaufgaben nicht zu verfälschen, sind die tatsächlichen kommunalen Gesamtausgaben um diejenigen für Allgemeine Verwaltung (Gliederungsziffer 0) und für Allgemeine Finanzwirtschaft (Gliederungsziffer 9) zu bereinigen. Dies ist notwendig, weil diese Querschnittsaufgabenbereiche darstellen, die sowohl der Erfüllung freiwilliger Aufgaben als auch derjenigen von Pflichtaufgaben dienen und daher jeweils das zu ermittelnde Verhältnis exakt widerspiegeln.531 Das Ergebnis dieser Berechnungen ergibt für das Jahr 2005 insgesamt Ausgaben der Kommunen für Pflichtaufgaben in Höhe von rund 102 Mrd. A. Die bereinigten Gesamtausgaben ergeben eine Summe von rund 113 Mrd. A. Unter Anwendung der Formel 2 ergibt dies für die freie Spitze einen Wert von 9,8%. D.h. im Jahre 2005 standen den Kommunen etwa 9,8% ihrer Einnahmen für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfügung.532
Tabelle 3533 Ausgabenanteile für Pflichtaufgaben Gliederung
Aufgabenbezeichnung
Gesamtausgaben Verwaltungsund Vermögenshaushalt Ausgaben in Mrd. B
1
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
2
Schulen
36 40
Anteil an den Gesamtausgaben in%
8,01
7,10
14,43
12,79
Naturschutz, Denkmalschutz und -pflege
0,43
0,38
Verwaltung der sozialen Angelegenheiten
4,31
3,82
(Fortsetzung nächste Seite)
529
s. o. S. 127. Ohne Kreditmittel, s. o. S. 128. 531 Vgl. dazu Laux, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 3, § 11, S. 34; auch die Aufgabenbereiche der Verwaltung der sozialen Angelegenheiten (40) und der Bauverwaltung (60) dienen zu geringen Anteilen der Erledigung freiwilliger Aufgaben; diese lassen sich aber ohne weiteres identifizieren, sodass die entsprechenden Ausgabenposten in der Rechung entsprechend bereinig werden können. 532 Vgl. dazu im Einzelnen Tabelle 3. 533 Eine vollständige Auflistung der kommunalen Ausgaben für Pflichtaufgaben befindet sich im Anhang (Tabelle A 13). 530
142
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
(Fortsetzung Tabelle 3) Gliederung
Aufgabenbezeichnung
Gesamtausgaben Verwaltungsund Vermögenshaushalt Ausgaben in Mrd. B
Anteil an den Gesamtausgaben in%
410
Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
0,55
4104
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
2,48
411
Hilfe zur Pflege
2,32 17,6
412
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
413
Hilfen zur Gesundheit
0,95
414
Hilfen zur Überwindung besonderer Sozialer Schwierigkeiten
0,31
42
15,60
8,97
Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes
0,98
0,87
44
Kriegsopferfürsorge und ähnliche Maßnahmen
0,77
0,68
45
Jugendhilfe nach SGB VIII
5,9
5,23
464
Tageseinrichtungen für Kinder
10,46
9,27
482
Leistungen nach dem SGB II
10,42
9,23
486
Vollzug des Betreuungsgesetzes
0,03
0,03
51
Krankenhäuser
1,42
1,26
541
Rettungsdienst
0,98
0,87
60
Bauverwaltung
2,46
2,18
61
Städteplanung, Vermessung, Bauordnung
4,07
3,61
62
Wohnungsbauförderung und Wohnungsfürsorge
0,66
0,58
63
Gemeindestraßen (ohne Einrichtungen für den ruhenden Verkehr)
7,22
6,40
65
Kreisstraßen
66
Bundes- und Landesstraßen
0,4
0,35
67
Straßenbeleuchtung und -reinigung
1,66
1,47
69
Wasserläufe, Wasserbau
0,46
0,41
70
Abwasserbeseitigung
4,29
3,80
72
Abfallbeseitigung
3,59
3,18
B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben Gliederung
Aufgabenbezeichnung
Gesamtausgaben Verwaltungsund Vermögenshaushalt Ausgaben in Mrd. B
742
Schlachttier- und Fleischbeschau, Freibank, Notschlachträume
751
Friedhöfe, Leichenhäuser, Krematorien u. dgl.
755
Aufgaben n. d. Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
143
Anteil an den Gesamtausgaben in%
0,04
0,04
1,22
1,08
Ausgaben für Pflichtaufgaben insgesamt
101,81
90,22
Gesamtausgaben kommunale Ebene
180,98
Gesamtausgaben ohne Kredite = Gesamteinnahmen
164,35
Diese sind um folgende Ausgaben zu bereinigen: 0
Allgemeine Verwaltung
9
Allgemeine Finanzwirtschaft
Derart bereinigte Gesamtausgaben als Datengrundlage
–15,60 –35,9 112,85
100
Quelle: Statistisches Bundesamt: Finanzen und Steuern – Jahresrechnungsergebnisse kommunaler Haushalte 2005, in: Fachserie 14, Reihe 3.3; eigene Berechnungen.
Diese Schätzung geht von der Gesamtheit aller Kommunen in Deutschland aus. Sie ist daher lediglich als Durchschnittswert zu verstehen. Tatsächlich ist die Finanzsituation der Städte und Gemeinden keineswegs so homogen. Vielmehr existieren teils immense Diskrepanzen zwischen finanzstarken und finanzschwachen Kommunen.534 Dabei ist davon auszugehen, dass finanzschwache Städte und Gemeinden auch weniger Geld für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben ausgeben. Denn allein in diesem Bereich bestehen strukturelle Einsparmöglichkeiten, wohingegen im Bereich der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben lediglich unter Effizienzgesichtspunkten gespart werden kann – nicht jedoch aufgabenstrukturell.535 Es ist daher davon auszugehen, dass die freie Spitze finanzschwacher Kommunen jedenfalls deutlich unter dem Wert von 9,8% liegen dürfte. Die finanzschwächsten Kommunen werden aus ihren laufenden Einnah534 Vgl. für das darauf folgende Jahr 2006: Karrenberg/Münstermann, in: Der Städtetag 5/2007, Gemeindefinanzbericht 2007, S. 5 ff., 13 ff.; vgl. außerdem Kapitel 4 D. II. 3. 535 Vgl. etwa Waibel: Gemeindeverfassungsrecht Baden-Württemberg, Rn. 68; Schoch: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 65, der seinerseits auf VerfGH NW DVBl. 1985, 685, 686 verweist.
144
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
men vermutlich sogar gar keine Aufgaben freiwilliger Selbstverwaltung bestreiten können. 3. Altersspezifischer Gesamtausgabenanteil nach Aufgabenbereichen Die Zusammenschau der Überlegungen zu den altersgruppenspezifischen Kostenanteilen bei der Erledigung der jeweiligen Pflichtaufgabenbereiche und der entsprechenden Ausgabenanteile gemessen an den Gesamtausgaben ermöglichen nun eine genaue Aussage zur altersgruppenspezifischen Gesamtkostenverursachung: Durch Multiplikation beider Werte lässt sich errechnen, inwieweit die jeweiligen Altersgruppen in den jeweiligen Aufgabenbereichen zur Gesamtkostenverursachung beitragen. Die so errechneten Zahlenwerte536 stellen die prozentuale Kostenverursachung der jeweiligen Altersgruppe im jeweiligen Aufgabenbereich gemessen an den bereinigten Gesamteinnahmen dar. Es wird deutlich, dass die Bevölkerungsgruppen der 0- bis unter 6-Jährigen sowie der 6- bis unter 20-Jährigen gemessen an ihrer Größe die meisten Ausgaben im Pflichtaufgabenbereich verursachen. II. Bevölkerungsstrukturelle Veränderungen 1. Rein rechnerische Erfassung Anhand dieser Datengrundlage lassen sich nun sowohl die Auswirkungen des demographischen Schrumpfungs- als auch diejenigen des demographischen Alterungsprozesses – im Rahmen der Ungenauigkeiten, die Prognosen immer anhaften – rechnerisch erfassen: Für jede Altersgruppe und jeden Aufgabenbereich kann der jeweilige altersspezifische Gesamtausgabenanteil des Basisjahres 2005 durch Multiplikation mit dem Quotienten aus der erwarteten mittleren Bevölkerungsanzahl des Prognosejahres537 und der Ausgangsbevölkerungsanzahl 2005 der betreffenden Altersgruppe auf das Prognosejahr hochgerechnet werden. Der Abgleich der Ausgabenwerte für Pflichtaufgaben des Basisjahres 2005 und des Prognosejahres 2030538 ergibt so rein rechnerisch einen Ausgabenrückgang um etwas mehr als 10%. Wird weiter die Faustregel herangezogen, wonach ein Bevölkerungsrückgang um 1% einen Einnahmerückgang von ebenfalls 1% bewirkt,539 so ist von durchschnittlichen Einnahmeverlusten der Kommunen von gut 6,5% auszugehen. Da die Einnahmen hiernach weniger stark schrumpfen werden als die Ausgaben für Pflichtaufgaben, wird sich – auf den ersten Blick – 536 537 538 539
s. dazu die Tabellen im Anhang. s. dazu Kapitel 1 A. I. 2. b). Die Werte für das Prognosejahr 2030 ergeben sich aus Tabelle 4. s. Kapitel 4 B. I. und III.
B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben
145
die freie Spitze eher positiv entwickeln, sodass Städte und Gemeinden tendenziell mehr Geld für Aufgaben der freiwilligen Selbstverwaltung zur Verfügung haben müssten.540 Tabelle 4 Szenario 2030 Gliederung
1
Aufgabenbezeichnung
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
0 bis 6 bis 20 bis 30 bis 65 bis 80 Jahre Gesamt unter unter unter unter unter u. älter 6 Jahre 20 Jahre 30 Jahre 65 Jahre 80 Jahre
0,18
0,89
1,14
2,85
0,91
0,36
6,33
0
8,47
1,4
0
0
0
9,87
2
Schulen
36
Naturschutz, Denkmalschutz und -pflege
0,02
0,05
0,03
0,16
0,08
0,03
0,37
Verwaltung der sozialen Angelegenheiten
0,81
0,72
0,26
0,94
0,33
0,38
3,44
Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
0,01
0,03
0,05
0,24
0,1
0,12
0,55
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
0
0,03
0,17
0,74
1,38
0,5
2,82
411
Hilfe zur Pflege
0
0,02
0,02
0,38
1
1,8
3,22
412
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
1,01
0,71
1,15
4,2
0,47
0,09
7,63
413
Hilfen zur Gesundheit
0,02
0,04
0,04
0,28
0,26
0,51
1,15
414
Hilfen zur Überwindung besonderer Sozialer Schwierigkeiten
0
0,01
0,04
0,14
0,09
0,03
0,31
0,08
0,17
0,18
0,25
0,01
0,02
0,71
0
0
0
0
0,18
0,92
1,1
0,96
2,94
0,21
0
0
0
4,11
40
410
4104
42
44
45
Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes Kriegsopferfürsorge und ähnliche Maßnahmen Jugendhilfe nach SGB VIII
(Fortsetzung nächste Seite) 540 Für das Prognosejahr 2050 ergibt sich nach derselben Rechenweise ein Ausgabenrückgang von etwas mehr als 16% und Einnahmerückgänge von gut 13%; dies bedeutet, dass die Tendenz für die freie Spitze im Vergleich zum Basisjahr 2005 rein rechnerisch immer noch eher positiv sein dürfte, sich diese Tendenz im Vergleich zum Prognosejahr 2030 aber etwas abgeschwächt darstellt; vgl. zu alledem die Tabellen im Anhang.
146
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
(Fortsetzung Tabelle 4) Gliederung
464
482
486
Aufgabenbezeichnung
0 bis 6 bis 20 bis 30 bis 65 bis 80 Jahre Gesamt unter unter unter unter unter u. älter 6 Jahre 20 Jahre 30 Jahre 65 Jahre 80 Jahre
Tageseinrichtungen für Kinder
5,77
1,83
0
0
0
0
7,6
Leistungen nach dem SGB II
0,78
2
0,92
3,83
0
0
7,53
0
0
0
0,01
0,01
0,02
0,04
Vollzug des Betreuungsgesetzes
51
Krankenhäuser
0,21
0,05
0,06
0,29
0,46
0,31
1,38
541
Rettungsdienst
0,03
0,07
0,12
0,34
0,18
0,12
0,86
60
Bauverwaltung
0,06
0,32
0,28
0,8
0,42
0,14
2,02
61
Städteplanung, Vermessung, Bauordnung
0,13
0,34
0,3
1,61
0,74
0,31
3,43
Wohnungsbauförderung und Wohnungsfürsorge
0,03
0,07
0,06
0,24
0,12
0,05
0,57
0,13
1,13
0,96
2,08
1,17
0,33
5,8
62
63
Gemeindestraßen
65
Kreisstraßen
66
Bundes- und Landesstraßen
0,01
0,06
0,06
0,11
0,07
0,02
0,33
67
Straßenbeleuchtung und -reinigung
0,03
0,26
0,22
0,48
0,27
0,07
1,33
69
Wasserläufe, Wasserbau
0,02
0,05
0,04
0,17
0,08
0,03
0,39
70
Abwasserbeseitigung
0,13
0,44
0,36
1,58
0,73
0,29
3,53
72
Abfallbeseitigung
0,13
0,36
0,3
1,29
0,59
0,33
3
742
Schlachttier- und Fleischbeschau, Freibank, Notschlachträume
0
0,01
0,01
0,02
0,01
0
0,05
0,01
0,01
0,01
0,15
0,4
0,96
1,54
10,56
21,08
8,39
23,18
10,06
7,74
81,01
751
Friedhöfe, Leichenhäuser, Krematorien u. dgl.
755
Aufgaben n. d. Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
Insgesamt Quelle: Eigene Berechnungen.
B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben
147
2. Korrekturfaktoren Diese rein rechnerische Vorgehensweise ignoriert parallel zum demographischen Wandel abzeichnende bevölkerungsstrukturelle Entwicklungen sowie finanzwirtschaftliche Besonderheiten des demographischen Wandels (vor allem Kostenremanenzen541) insbesondere im Hinblick auf stark und sehr stark schrumpfende Gemeinden. Daher werden im Folgenden für die betreffenden Aufgabenbereiche korrigierende Überlegungen angestellt. a) Sozialleistungen Im Jahre 2006 bezogen nur 1,8% der Männer und 2,6% der Frauen Grundsicherung im Alter. Dies spiegelt sich entsprechend in den kommunalen Haushaltszahlen wider. Künftig dürfte allerdings das Risikopotenzial niedriger Alterseinkommen wesentlich ansteigen. Denn dann kommen Jahrgänge ins Rentenalter, die aufgrund beispielsweise längerer Arbeitslosigkeitszeiten oder Selbständigkeit mit geringem Einkommen nur geringe Anwartschaften auf eine staatliche Rente besitzen. In der Folge dürften mehr Menschen Anspruch auf Grundsicherung im Alter haben. – Quantifizieren lässt sich diese Entwicklung aber nicht.542 Entgegen den oben errechneten Zahlenwerten dürften die kommunalen Ausgaben für Aufgaben nach dem SGB XII jedenfalls deutlich zunehmen. Anders ist die künftige Entwicklung der Ausgaben für Hilfen zur Gesundheit zu erwarten, deren Bedeutung sich künftig aufgrund bereits erfolgter gesetzlicher Veränderungen minimieren dürfte.543 Stark schrumpfende Städte und Gemeinden haben mit dem weiteren Problem zu kämpfen, wonach sich ihre Sozialausgaben dadurch überdurchschnittlich stark nach oben entwickeln, dass vor allem sozial schwächere Menschen zurückbleiben.544 So dürften sich insbesondere die Ausgaben für Sozialhilfe und für die Leistungen nach dem SGB II (insbesondere Kosten für Unterkunft und Heizung für Empfänger von Arbeitslosengeld II) überdurchschnittlich entwickeln. Die Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz werden mit Versterben der letzten Leistungsberechtigten in den nächsten Jahren auf null sinken.
541
Zum Phänomen der Kostenremanenzen vgl. Kapitel 4 D. II. 1. Vgl. Deutsche Bundesregierung: Lebenslagen in Deutschland – Der 3. Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 35 ff. 543 Lutz: Sozialgesetzbuch – 12. Buch – Sozialhilfe, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Übersicht über das Sozialrecht, S. 707. 544 Zum Phänomen der sozialen Segregation: Kapitel 4 C. II. 542
148
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
b) Krankenhauswesen Kommunale Krankenhäuser wurden in den vergangenen Jahren flächendeckend durch Gründungen von GmbHs oder zumindest verselbständigter Eigenbetriebe aus den kommunalen Verwaltungsstrukturen ausgegliedert.545 Diese Entwicklung bewirkt, dass nur noch ein relativ geringer Teil des Finanzbedarfs kommunaler Krankenhäuser im Rahmen des Abschnitts 51 aufgeführt wird. Jedoch entstehen den Kommunen durch Zuschüsse an die Krankenhausgesellschaften nach wie vor Kosten. Der oben546 aufgezeigte demographisch bedingte Kostenanstieg für die kommunalen Krankenhäuser dürfte sich also über einen erhöhten Zuschussbedarf deutlich stärker auf die kommunalen Ausgaben auswirken, als dies die oben ermittelten Zahlen auf den ersten Blick nahe zu legen scheinen. c) Schulen Zurückgehende Schülerzahlen werden insbesondere in weniger dicht besiedelten Räumen nicht nur zu vorübergehenden sondern zu dauerhaften Kostenremanenzen führen. Dies dürfte insbesondere den Grundschulbereich betreffen. Denn hier werden die politischen Widerstände gegen Schulschließungen bzw. -zusammenlegungen besonders stark sein: Das Verlangen der Eltern nach einer wohnortnahen Schulversorgung wird innerhalb der Gemeinde auf fruchtbaren Boden treffen, wird die Schulstandortfunktion einer Gemeinde doch als ein entscheidendes Kriterium im Werben um Einwohner gesehen.547 Die Folge dürfte sein, dass Schulstrukturen eben dauerhaft nicht an die ggf. stark sinkenden Schülerzahlen angepasst werden. d) Städteplanung, Bauordnung, Vermessung Der Aufgabenbereich der Städteplanung, Bauordnung und Vermessung wird ebenfalls nicht entsprechend der Bevölkerungszahlen sinken. Denn durch die veränderten Bevölkerungsstrukturen werden neue, schwierige städtebauliche Herausforderungen auf Städte und Gemeinden zukommen. Zu denken ist dabei an die Planung und Umsetzung von Rückbaumaßnahmen. Dem Phänomen sozialer Segregation gilt es dadurch zu begegnen, dass die Bewohner sozialer Problembezirke durch städtebauliche Maßnahmen in die Gesamtgemeinde integriert werden müssen. Quartiere und Gebäudekomplexe müssen durch Umgestaltung den de545 Kramer: Kommunale Krankenhäuser sind zukunftsfähig – Ein Vergleich mit privaten Kliniken, S. 6. 546 Vgl. Tabellen 3 und 4. 547 Dieser Gedanke liegt beispielsweise einer Pressemitteilung des Gemeindetags Baden-Württemberg vom 10. Januar 2007 zugrunde: Bildung ist entscheidender Standortfaktor im ländlichen Raum (Internetquelle: http://www.gemeindetag-bw.de/download/ files/pressemitteilung_2007_01_10_02.doc).
B. Überlegungen zur Entwicklung der Ausgaben für Pflichtaufgaben
149
mographischen Herausforderungen angepasst werden.548 Im Ergebnis dürften die Ausgaben in diesem Aufgabenbereich kaum rückläufig sein. e) Straßen Auch die Kosten für die Vorhaltung von Straßen werden Kostenremanenzen ausgesetzt sein. Unklar ist, ob und inwieweit diese dauerhafter Natur sein werden. Hinzukommt eine weitere Unsicherheit: Wird sich das Verkehrsaufkommen wirklich leicht zurückentwickeln? Oder werden erhöhte berufliche Mobilität und Hohe Mobilitätsbedürfnisse einer agilen Rentnergeneration nicht eher zu einer Verkehrsstagnation führen? f) Abwasser- und Abfallentsorgung Insbesondere die Abwasser- aber in geringerem Maße auch die Abfallbeseitigung wird wohl zusätzlich zu den bevölkerungsstrukturell bedingten geringen rechnerischen Einspareffekten zusätzlich mit dauerhaften Kostenremanenzen zu kämpfen haben. Diese rühren zum einen aus dem Umstand, dass es künftig mehr Kleinhaushalte geben wird. Und zum anderen wird es nicht immer möglich sein, tatsächlich blockweise Rückbaumaßnahmen vorzunehmen. Die komplette Leitungsinfrastruktur wird also weiterbetrieben werden müssen – wenn auch eventuell unter – allerdings nur bedingt möglichen – Kapazitätsanpassungen. g) Weitere Aufgabenbereiche Die Ausgaben für Aufgaben des Denkmalschutzes werden dauerhaft konstant bleiben. Denn insoweit ist keine Abhängigkeit von Bevölkerungszahlen erkennbar. Ähnliches gilt für den Aufgabenbereich „Wasserläufe, Wasserbau“. h) Stärkere Einnahmeausfälle für stark schrumpfende Gemeinden Hinsichtlich der Einnahmeentwicklung stark und sehr stark schrumpfender Städte und Gemeinden ist je nach Bundesland zu differenzieren: Befindet sich eine Kommune in einem Bundesland, das insgesamt Bevölkerungszuwächse verzeichnet, dürften auch diese Kommunen nicht mehr als 1% Einnahmeverluste pro verlorenem Einwohner verzeichnen. Denn landesweit werden mehr zu verteilende Finanzmittel zur Verfügung stehen als bisher, sodass Bevölkerungsverluste einzelner Kommunen in finanzieller Hinsicht keine dramatischen Entwicklungen nach sich ziehen. Sie erhalten zwar einen geringeren Anteil – diesen jedoch aus einer größeren zu verteilenden Gesamtmasse. 548
s. dazu ausführlich Kapitel 5 A. I.
150
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
Deutlich höher hingegen werden wohl die Einnahmeverluste für Gemeinden in Bundesländern mit landesweitem Bevölkerungsverlust sein. Denn hier werden die zur Verteilung verfügbaren Finanzmittel insgesamt rückläufig sein. Gemeinden, deren Bevölkerungsverluste noch unter dem landesweiten Durchschnitt liegen, müssen nunmehr in zweierlei Hinsicht mit schrumpfenden Einnahmen rechnen: Sie erhalten – erstens – von einer kleiner gewordenen Gesamtmasse – und zweitens – im Verhältnis zu den anderen Gemeinden des Landes einen geringeren Anteil als früher. Die Situation stark schrumpfender Städte und Gemeinden in Bundesländern, deren Bevölkerungszahlen im landesweiten Durchschnitt stagnieren, wird sich entsprechend zwischen den beiden eben beschriebenen Szenarien bewegen. Einnahmeverluste ergeben sich hier nur aus dem Einwohnerrückgang in der betroffenen Gemeinde selbst. Für sie wird lediglich der relative Anteil an einer insgesamt nach wie vor gleich großen Verteilungsmasse geringer werden. III. Mittelbarer Einfluss des demographischen Wandels Rückläufige Einwohnerzahlen bewirken bei Städten und Gemeinden das verschärfte Bemühen um neue Einwohner.549 Hierbei können enorme Kosten entstehen. Die bereits heute immer wieder beklagte Tendenz der Verlagerung finanzieller Belastungen der Bundes- oder der Landesebene auf die Kommunen550 dürfte durch die demographisch bedingten Belastungen von Bund und Ländern weiter voranschreiten. Denn insbesondere die beitragsfinanzierten sozialen Sicherungssysteme werden durch den demographischen Wandel unter enormen finanziellen Druck geraten.551 IV. Demographisch motivierte politische Entscheidungen In jüngster Vergangenheit wurden einige bildungs- und betreuungspolitische Entscheidungen getroffen, die für die Kommunen nicht unerhebliche finanzielle Belastungen bedeuteten. Deren Motivation einer besseren Vereinbarung von Familie und Beruf hatte neben gesellschafts- und wirtschaftspolitischen auch demographische Hintergründe: Durch den Ausbau der Kinderbetreuung (Kinderkrippen, Kindertagesstätten) sollte insbesondere Erziehenden die Möglichkeit gegeben werden, möglichst 549
Vgl. ausführlich die Überlegungen in Kapitel 6 A. I. 3. Vgl. nur Schoch: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 14 f., der seinerseits den Landesrechnungshof Schleswig-Holstein zitiert. 551 s. Kapitel 4 B. II. 550
C. Fazit: Die freie Spitze schrumpft
151
schnell nach der Geburt eines Kindes wieder in den Beruf einzusteigen. Zugleich sollte dadurch ein Signal gesetzt werden, um für potentielle Eltern Anreize, sich gegen Kinder zu entscheiden, abzubauen.552 Das Investitionsprogramm des Bundes und der Länder „Zukunft, Bildung und Betreuung“ aus dem Jahre 2003553 bewirkte erhebliche Investitionen der Städte und Gemeinden etwa in den Bau von Mensen o.Ä., die in den Folgejahren nicht unerhebliche Unterhaltungskosten nach sich ziehen werden. Motiviert war dieses Programm einerseits von der Idee einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Durch die verlässliche Ganztagsschule sollte den Erziehenden die Berufsausübung erleichtert werden.554 Zugleich sollte das Programm das Bildungssystem qualitativ verbessern, insbesondere auch die Bildungschancen gesellschaftlich benachteiligter Kinder und Jugendlicher verbessern.555 Schließlich dürften auch demographische Aspekte eine Rolle gespielt haben: Insbesondere in stark schrumpfenden ländlichen Gebieten bieten Ganztagsschulen große Chancen.556 Sowohl diese Politik als auch die Ausführungen im Zusammenhang mit Kostenremanenzen sprechen für die empirisch festgestellte Tendenz, wonach Bildungsausgaben offenbar trotz rückläufiger Bevölkerungs- und insbesondere Schülerzahlen regelmäßig annähernd konstant bleiben.557
C. Fazit: Die freie Spitze schrumpft In Tabelle 5 wurde der vorsichtige Versuch unternommen, die soeben beschriebenen Überlegungen auf Basis der Werte aus Tabelle 4 in eine konkrete Schätzung umzusetzen. Insbesondere die Einnahmesituation stark schrumpfender Städte dürfte deutlich schwächer aussehen als in der Tabelle dargestellt. Denn berücksichtigt wurden insoweit lediglich deren heutige durch ihre tendenzielle Strukturschwäche meist unterdurchschnittlichen Einnahmen. Nicht berücksichtigt wurde hingegen, dass die durch starke Schrumpfung verursachten Einnahmeausfälle aufgrund der Mechanismen des kommunalen Finanzausgleichs höher sein dürften als die zu erwartenden Ausgabeneinsparungen.558
552
Vgl.: Internetquelle . Vgl.: Internetquelle . 554 Vgl.: Internetquelle . 555 Vgl.: Internetquelle . 556 Vgl.: Internetquelle . 557 Dazu ausführlich Baum/Seitz: Demographischer Wandel und Bildungsausgaben, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 2003, S. 205 ff.; vgl. außerdem Internetquelle . 558 Vgl. oben B. II. 2. h). 553
152
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
Außerdem müssen vom demographischen Wandel stark betroffene Kommunen bereits heute tendenziell höhere Sozialhilfeausgaben tätigen als strukturstarke.559 Auch die Ausgaben für Schulen und Kindertagesstätten wurden entgegen der zitierten Studie560 nicht als tendenziell stagnierend sondern als leicht rückläufig eingeschätzt. Dazu wurde der Mittelwert aus dem Wert des Jahres 2005 und dem für das Jahr 2030 errechneten zu Grunde gelegt. Zudem wurden Aspekte wie der steigende Wettbewerb um Einwohner oder verstärkter Belastungsverschiebungen von staatlicher auf die kommunale Ebene aufgrund deren mangelnden Quantifizierbarkeit nicht einkalkuliert. Trotz dieser zurückhaltenden Schätzung wird eine schwierige Tendenz deutlich: Die freie Spitze wird sich aufgrund der demographischen Veränderungen im Vergleich zu heute in deutlichem Maße weiter verkleinern. Diese Entwicklung wird die bereits heute vielfach beklagte561 also noch verstärken. Der als Alarmsignal zu deutende Wert von 5%562 rückt zumindest für stark schrumpfende Kommunen bereits in naher Zukunft in bedenkliche Nähe und dürfte von den schwächsten Kommunen auch deutlich unterschritten werden. Wie viele dies genau sein werden, ist allerdings nur durch eine Analyse auf Mikrobetrachtungsbasis563 zu ermitteln. Tabelle 5 Schätzungsweise korrigiertes Szenario 2030 für stark schrumpfende Kommunen Gliederung
Aufgabenbezeichnung
Stand 2005
Szenario 2030
Korrigiertes Szenario 2030 für stark schrumpfende Städte und Gemeinden
7,10
6,33
6,33
12,79
9,87
11,33
1
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
2
Schulen
36
Naturschutz, Denkmalschutz und -pflege
0,38
0,37
0,38
40
Verwaltung der sozialen Angelegenheiten
3,82
3,44
3,9
410
Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
0,55
0,55
0,6
559 Dies ist vor dem Hintergrund sozialer Segregationsentwicklungen zu verstehen, vgl. dazu bereits Kapitel 4 C. II. 560 s. soeben Fn. 75. 561 Statt vieler Schoch: Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 89 ff. 562 Ausführlich zur demographischen Grenzbelastung Kapitel 7. 563 Vgl. oben A. II. 2.
C. Fazit: Die freie Spitze schrumpft Gliederung
Aufgabenbezeichnung
153
Stand 2005
Szenario 2030
Korrigiertes Szenario 2030 für stark schrumpfende Städte und Gemeinden
4104
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
2,48
2,82
3,3
411
Hilfe zur Pflege
2,32
3,22
3,7
412
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
8,97
7,63
7,63
413
Hilfen zur Gesundheit
0,95
1,15
0,1
414
Hilfen zur Überwindung besonderer Sozialer Schwierigkeiten
0,31
0,31
0,33
42
Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes
0,87
0,71
0,75
44
Kriegsopferfürsorge und ähnliche Maßnahmen
0,68
1,1
0,2
45
Jugendhilfe nach SGB VIII
5,23
4,11
4,5
464
Tageseinrichtungen für Kinder
9,27
7,6
8,4
482
Leistungen nach dem SGB II
9,23
7,53
8,4
486
Vollzug des Betreuungsgesetzes
0,03
0,04
0,04
51
Krankenhäuser
1,26
1,38
1,38
541
Rettungsdienst
0,87
0,86
0,86
60
Bauverwaltung
2,18
2,02
2,05
61
Städteplanung, Vermessung, Bauordnung
3,61
3,43
3,61
62
Wohnungsbauförderung und Wohnungsfürsorge
0,58
0,57
0,57
63
Gemeindestraßen
6,40
5,8
6
65
Kreisstraßen
66
Bundes- und Landesstraßen
0,35
0,33
0,35
67
Straßenbeleuchtung und -reinigung
1,47
1,33
1,4
69
Wasserläufe, Wasserbau
0,41
0,39
0,41
70
Abwasserbeseitigung
3,80
3,53
3,65
72
Abfallbeseitigung
3,18
3
3,05
742
Schlachttier- und Fleischbeschau, Freibank, Notschlachträume
0,04
0,05
0,05
(Fortsetzung nächste Seite)
154
Kap. 8: Überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang – Auswirkungen
(Fortsetzung Tabelle 5) Gliederung
Aufgabenbezeichnung
Stand 2005
Szenario 2030
Korrigiertes Szenario 2030 für stark schrumpfende Städte und Gemeinden
1,08
1,54
1,54
Ausgaben für Pflichtaufgaben insgesamt
90,22
81,01
84,81
Ausgaben (= Einnahmen) insgesamt
100
93,37
89
9,78%
12,36%
4,71%
751
Friedhöfe, Leichenhäuser, Krematorien u. dgl.
755
Aufgaben n. d. Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
Freie Spitze Quelle: Eigene Schätzungen.
Das korrigierte Szenario 2030 geht von in mittlerem Umfang auf 89 Punkte reduzierte Gesamtauseinnahmen bzw. -ausgaben aus. Diese Variante ergibt einen Wert für die freie Spitze von 4,71%. Je stärker die Annahme für die Gesamteinnahmen korrigiert wird, desto enger wird die freie Spitze und desto problematischer ist die demographisch bedingte Entwicklung der kommunalen Haushalte zu bewerten (zur Veranschaulichung der Entwicklung der freien Spitze in Abhängigkeit vom zur Verfügung stehenden Gesamthaushalt sollen Abbildung 1 bis 4 dienen). 105 100 Ausgaben
95
Gesamtausgaben
90 Ausgaben für Pflichtaufgaben korrigiert
85 80 75 Stand 2005
Szenario 2030 Zeit
Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 1: Freie Spitze ohne Gesamtausgabenkorrektur
C. Fazit: Die freie Spitze schrumpft
155
105 100 Ausgaben
95
Gesamtausgaben korrigiert auf 91 Punkte
90
Ausgaben für Pflichtaufgaben korrigiert
85 80 75 Stand 2005
Jahr
Szenario 2030
Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 2: Freie Spitze mit niederer Gesamtausgabenkorrektur 105 100 95
Gesamtausgaben korrigiert auf 89 Punkte
90
Ausgaben für Pflichtaufgaben korrigiert
85 80 75 Stand 2005
Szenario 2030
Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 3: Freie Spitze mit mittlerer Gesamtausgabenkorrektur 105 100 Ausgaben
95
Gesamtausgaben korrigiert auf 87 Punkte
90
Ausgaben für Pflichtaufgaben korrigiert
85 80 75 Stand 2005
Jahr
Szenario 2030
Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 4: Freie Spitze mit hoher Gesamtausgabenkorrektur
Kapitel 9
Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur In einem ersten Schritt ist anhand verschiedener Kriterien zu ermitteln, welche kommunalen Aufgaben die Bewältigung der Herausforderungen des demographischen Wandels eher erschweren. Die so definierten Zuständigkeiten können zunächst als potentiell demographieuntauglich beschrieben werden. Ob und inwieweit sie auch tatsächlich demographieuntauglich sind, wird in einem zweiten Schritt überlegt. Dazu werden die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen auf ihre rechtliche Machbarkeit und ihre finanzwirtschaftlichen und juristischen Konsequenzen hin analysiert.
A. Potentielle Demographieuntauglichkeit Eine erste Einschätzung zur Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur ermöglicht die Zusammenschau dreier Parameter: Je weniger kommunale Autonomie der betreffende Aufgabenbereich erlaubt, je höher zugleich der diesem Aufgabenbereich immanente demographische Faktor ist und je mehr Ausgaben dieser verglichen mit den kommunalen Gesamtausgaben verursacht, desto schwerer wiegen die Probleme, die in diesem Aufgabenbereich durch den demographischen Wandel verursacht werden. I. Autonomiegehalt Je größer die Entscheidungsbefugnisse der Gemeinden hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ der Aufgabenerfüllung ist, desto mehr Reaktionsmöglichkeiten auf demographisch bedingte finanzielle Schwierigkeiten stehen ihr zur Verfügung. Den größten Autonomiegehalt weisen die freiwilligen Aufgaben auf, die deswegen in demographischer Hinsicht besonders wertvoll erscheinen. Kommunale Weisungsaufgaben bzw. Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises dürften Städte und Gemeinden hingegen eher vor Probleme stellen. Zwischen diesen beiden Polen stehen die weisungsfreien Pflichtaufgaben, die jedoch in demographischer Hinsicht umso problematischer werden, je stärker deren Regelungsintensität ist, die ihrerseits durch kommunale Standards erzeugt wird.564 564 Nicht zu Unrecht weisen v. Hauff/Tarkan also daraufhin, dass eine umfassende Aufgabenkritik notwendig ist, die sich auch auf die kommunalen Standards beziehen
A. Potentielle Demographieuntauglichkeit
157
II. Ausgabenintensität Je höher die Ausgabenposten, die mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben verbunden sind, desto stärker können sich auch demographische Veränderungen auswirken. In der Konsequenz zu den Ausführungen von soeben565 sind also besonders ausgabenintensive Pflichtaufgaben zu identifizieren.566 Die mit großem Abstand höchsten Aufwendungen für Pflichtaufgaben tätigt die kommunale Ebene im Bereich der sozialen Sicherung mit insgesamt fast 45%. Einige der Unterabschnitte im Abschnitt Soziales stellen dabei schon für sich genommen relativ enorme Ausgabeposten dar. So verbraucht die kommunale Ebene für Leistungen nach dem SGB II und für Tageseinrichtungen für Kinder jeweils gut 9% ihrer Gesamtausgaben, für Ausgaben der Sozialhilfe nach dem SGB XII sogar knapp 13%567 und für die Jugendhilfe nach dem SGB VII immerhin gut 5%. Nach den Gesamtausgaben für Sozialhilfe nach dem SGB XII stellen die Ausgaben für Schulen den zweitgrößten Ausgabeposten im Bereich der kommunalen Pflichtaufgaben dar (knapp 13%). In einigem Abstand folgen die Ausgaben für Öffentliche Sicherheit und Ordnung (ca. 7%) sowie für Gemeinde- und Kreisstraßen (zusammen 6,4%). III. Intensität des demographischen Faktors Aus der soeben getroffenen Auswahl besonders kostspieliger Pflichtaufgaben sind weiter diejenigen zu identifizieren, denen ein hoher demographischer Faktor innewohnt. Dies sind solche Aufgaben, deren Wahrnahme aufgrund der zu erwartenden bevölkerungsstrukturellen Veränderungen voraussichtlich mit nicht unwesentlich höheren Kosten verbunden sein werden. Entscheidend sind dabei die Pro-Kopf-Kosten. Ein positiver demographischer Faktor ist demnach bereits dann zu bejahen, wenn sich die Kosten für den jeweiligen Aufgabenbereich nicht entsprechend dem Bevölkerungsrückgang entwickeln. Der demographische Faktor ist folglich 0, wenn für den betreffenden Aufgabenbereich im Jahr 2030 verglichen mit dem Ausgangsjahr 2005 ein Kostenrückgang von 6,63% zu erwarten ist.568 Aus den oben dargelegten Berechnungen und den anschließenden korrigiemuss: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 18 f. 565 Vgl. A. I. 566 Dies erfolgt anhand der Erkenntnisse in Kapitel 8, die in Tabelle 2 dokumentiert sind. 567 Innerhalb der Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII stellt wiederum die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen mit etwa 9% der Gesamtausgaben den mit Abstand größten Ausgabeposten dar. 568 Vgl. Kapitel 1 A. I. 2. b); außerdem Tabelle A3 im Anhang.
158
Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur Tabelle 6 Ausgabenranking für kommunale Pflichtaufgaben
Rangfolge
Gliederung Aufgabenbezeichnung
Anteil an Gesamtausgaben
1
410, 4104, 411, 412, 413, 414
Sozialhilfe (SGB XII)
15,60%
2
2
Schulen
12,79%
3
464
Tageseinrichtungen für Kinder
9,27%
4
482
Leistungen nach SGB II
9,23%
5
1
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
7,1%
6
63, 65
Gemeinde- und Kreisstraßen
6,4%
7
45
Jugendhilfe (SGB VII)
5,23%
8
40
Verwaltung der sozialen Angelegenheiten
3,82%
9
70
Abwasserbeseitigung
3,8%
10
61
Städteplanung, Vermessung, Bauordnung
3,61%
11
72
Abfallbeseitigung
3,18%
Quelle: Eigene Darstellung.
renden Überlegungen ergibt sich ein nicht unerheblicher demographischer Faktor für folgende Aufgabenbereiche: – Schon rein rechnerisch wird deutlich, dass der demographische Faktor für die Aufgaben im Zusammenhang mit der Sozialhilfe nach dem SGB XII hoch ist: Die hier zu tätigenden Ausgaben nehmen sogar in absoluten Zahlen leicht zu; die Pro-Kopf-Ausgaben steigen also deutlich an. Außerdem ist zu beachten, dass insbesondere stark schrumpfende Städte im Vergleich zu anderen Kommunen zusätzlich relativ höhere Ausgaben in diesem Bereich zu tätigen haben werden. Der demographische Faktor dürfte hier demnach sehr hoch sein. – Die Ausgaben für Schulen gehen zwar rein rechnerisch um fast 23% zurück, diejenigen für Tageseinrichtungen für Kinder sogar um etwa 18%. Allerdings werden die Gesamtausgaben in diesem Bereich nach Beachtung sämtlicher Aspekte im Ergebnis wohl nur leicht sinken, sodass die Pro-Kopf-Kosten im Jahr 2030 ebenfalls deutlich höher liegen dürften als noch 2005. Dennoch lässt sich insoweit nicht von demographiebedingt höheren Ausgaben sprechen. Vielmehr handelt es sich dabei um bewusste politische Entscheidungen, die Bildungsausgaben konstant zu halten, obwohl die Schülerzahlen zurückgehen.569
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
159
– Rein rechnerisch gehen die Kosten für Gemeinde- und Kreisstraßen zwar um 9,4% zurück. Hier könnte indes ein insgesamt verändertes und stärkeres Verkehrsaufkommen570 zu einem allerdings wohl eher niedrigen demographischen Faktor führen. – Ein niedriger bis mittlerer demographischer Faktor ist für die Bereiche der Abfall- und der Abwasserentsorgung zu erwarten. – Ein mittlerer demographischer Faktor dürfte auch dem Aufgabenbereich Städteplanung, Vermessung und Bauordnung innewohnen. IV. Zwischenergebnis Die vorstehend genannten Aufgabenbereiche können als aus kommunalpolitischer Sicht problematisch bezeichnet werden. Dabei fällt auf, dass die drei Pflichtaufgabenbereiche mit den höchsten Ausgaben zugleich diejenigen sind, die zumindest einen mittleren bis hohen oder einen hohen demographischen Faktor aufweisen. Die übrigen oben aufgeführten571 Aufgabenbereiche weisen sowohl deutlich geringere Ausgabenanteile als auch einen deutlich geringeren demographischen Faktor auf. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass insbesondere der Ausgabenbereich „Sozialhilfe“ als potentiell demographieuntauglich zu bezeichnet ist.
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit Die Orientierung an den oben beschriebenen Parametern und die hieraus abgeleitete Klassifizierung als „potentiell demographieuntauglich“ ist lediglich eine erste Vermutung auf finanzwissenschaftlicher Basis: Die genannten drei Aufgabenbereiche sind nur dann auch tatsächlich als demographieuntauglich einzustufen, wenn aufgabenstrukturelle Veränderungen aus juristischer Sicht überhaupt möglich und finanzwirtschaftlich wirksam sind. Solche aufgabenstrukturelle Veränderungen müssten an den soeben untersuchten Parametern (Autonomiegehalt, Ausgabenintensität, demographischer Faktor) ansetzen. I. Grundansätze für Reformmaßnahmen 1. Veränderung der ausgabenrelevanten gesetzlichen Vorgaben Durch einfache quantitative Veränderung der ausgabenrelevanten gesetzlichen Vorgaben könnte die Ausgabenintensität der betreffenden Aufgabenbereiche ge569 570
s. soeben Kapitel 8 B. IV. Vgl. die entsprechenden Ausführungen in Kapitel 4 C. I. 1. a) und Kapitel 8 B. II.
2. e). 571
Vgl. oben Tabelle 6.
160
Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
senkt werden. Dieser Ansatz könnte sowohl im Bereich weisungsfreier als auch in dem weisungsgebundener Aufgaben bzw. solcher des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises zur Anwendung kommen. Er wird keine strukturellen Effekte nach sich ziehen, sondern lediglich für mehr oder weniger starke Einsparungen im bestehenden System sorgen. Die oben untersuchten Parameter könnten folglich nicht qualitativ beeinflusst werden. Insofern dürften die beschriebenen demographischen Entwicklungen bestenfalls abgeschwächt, nicht aber grundlegend verändert werden. Daher verspricht eine weitere Untersuchung dieses Reformansatzes keine neuen Erkenntnisse. 2. Lockerung gesetzlicher Vorgaben572 Durch Lockerung gesetzlicher Vorgaben könnte der Grad an kommunaler Autonomie erhöht werden. Dieser Ansatz betrifft nur weisungsfreie Pflichtaufgaben. Er hätte zur Folge, dass Ausgaben – jedenfalls auf den ersten Blick – viel stärker an den jeweiligen örtlichen Erfordernissen ausgerichtet werden könnten. Ein Sonderfall dieses Ansatzes wäre die Herabzonung der betreffenden Aufgabe von einer Pflichtaufgabe zu einer Aufgabe der freiwilligen Selbstverwaltung. 3. Aufgabenentzug573 Der radikalste Reformansatz wäre der Entzug der betreffenden Aufgabenbereiche. Denkbar sind in diesem Zusammenhang wiederum zwei Varianten: Einerseits könnten die Kommunen durch Hochzonung des Aufgabenbereichs etwa auf die Landesebene entlastet werden. Andererseits könnte grundsätzliche Aufgabenkritik betrieben werden: Ist die betreffende Aufgabe heutzutage überhaupt noch eine solche des Staates? Der Entzug von Aufgaben, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zum Gegenstand haben, unterliegt – wie oben herausgearbeitet574 – einem dualen Schrankensystem: Eingriffe dürfen nicht den Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie beeinträchtigen und müssen das verfassungsrechtlich vorgesehene, die Gemeinden begünstigende Aufgabenverteilungsprinzip beachten, dürfen also nur aus Gründen des Gemeinwohls erfolgen.
572 573 574
s. sogleich eingehend unter II. s. sogleich eingehend unter III. s. Kapitel 7 A. II.
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
161
II. Im Fokus: Mehr Autonomie wagen 1. Diskussionszyklen um kommunale Standards Die Auseinandersetzung mit der Normdichte in Deutschland ist eine Daueraufgabe.575 Die juristische Diskussion um die Auswirkungen gesetzlicher Vorgaben auf die kommunale Selbstverwaltung wurde seit Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hauptsächlich in zwei Wellen geführt: Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte sie mit dem 53. Deutschen Juristentag im Jahre 1980.576 Damals folgten jedoch kaum praktische Konsequenzen.577 Etwa eineinhalb Jahrzehnte später, also Mitte der 1990er Jahre, wurde die Diskussion erneut aufgegriffen.578 In der Folgezeit wurden insbesondere auf Länderebene etliche Versuche unternommen, die Normflut einzudämmen. Diese zeichneten sich meist durch eine experimentell-generelle Herangehensweise aus, die letztlich die politische Entscheidung darüber, welche Standards konkret abgebaut werden sollten, auf die Kommunen verschoben. Politisches Instrument hierzu waren Experimentierklauseln, die den Kommunen die Möglichkeit eröffneten, Ausnahmen von organisations- und haushaltsrechtlichen Vorschriften beantragen zu können.579 Wesentliche Veränderungen blieben aus. Immerhin wurden einige Schritte in die richtige Richtung unternommen.580 Gut zehn Jahre nach der letzten Diskussionswelle sprechen gute Gründe dafür, die Diskussion erneut und diesmal hauptsächlich unter einer demographischen Akzentuierung weiterzuführen.581 Dies bedeutet, dass die bisherigen Ansätze dahingehend zu ergänzen sind, dass hinsichtlich der als potentiell demographieuntauglich identifizierten Aufgabenbereiche eine zielgerichtete Diskussion zu führen ist.
575 Vgl. etwa Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 213. 576 Vgl. insoweit v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980. 577 Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 213. 578 Exemplarisch Böckel: Abbau von Standards, in: ZG 1995, 344 ff.; Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212 ff.; Held/Schäfer: Abbau kommunaler Standards, in: Der Städtetag 1994, 326 ff. 579 Eine Übersicht derartiger Maßnahmen findet sich bei Brüning: Die kommunalrechtlichen Experimentierklauseln, in: DÖV 1997, 278, 278; Böckel: Abbau von Standards, in: ZG 1995, 344, 351 ff. 580 Janning: Erfahrungen des Kreises Soest mit der Experimentierklausel, in: Der Landkreis 1996, 156, 158. 581 Hierauf weisen auch v. Hauff/Tarkan hin: Die Finanzwirtschaftliche Situation der kommunalen Ebene – Die demographische Perspektive, S. 19.
162
Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
2. Problemspezifizierung a) Allgemein (1) Begriff Im Zusammenhang mit der Frage, wie viel Autonomie den Kommunen im Rahmen der Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben zugestanden werden muss bzw. kann, spielen gesetzliche Vorgaben im Sinne sog. kommunaler Standards die entscheidende Rolle. Kommunale Standards sind begrifflich schwer fassbar und können je nach Kontext unterschiedlich definiert werden. Als Standards wurde bereits die gesetzlich festgelegte Qualität von Edelmetallen bezeichnet.582 In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren Standards im umweltrechtlichen Sinne ein Oberbegriff für die vielfach gebrauchten, unbestimmte Rechtsbegriffe konkretisierende Vorschriften.583 Kommunale Standards im hier verstandenen Sinne sind gesetzliche Vorgaben bezüglich der Art und Weise der Wahrnehmung kommunaler Pflichtaufgaben (weisungsgebundene und nicht weisungsgebundene bzw. Selbstverwaltungsaufgaben und solche des übertragenen Wirkungskreises). Je nach Regelungsbereich lassen sich Sach-, Verfahrens- und Personalstandards unterscheiden.584 Ähnlich den Sachstandards sind die Leistungsstandards, zu denen etwa die Regelsätze im Rahmen der Sozialhilfe zählen.585 Im Hinblick auf die jeweiligen Regelungsziele ist zwischen Sicherheits-, Sozial-, Rationalisierungs- und Ästhetikstandards zu differenzieren.586 (2) Funktion Kommunale Standards haben eine Doppelrolle im Sinne einer Vereinfachungsund einer Generalisierungsfunktion: Der Vollzug unbestimmter Rechtsbegriffe soll durch eindeutige, naturwissenschaftlich richtige, rechtlich verbindliche und regionalen Unterschieden Rechnung tragende Konkretisierungen erleichtert werden. Gleichzeitig sollen Verwaltungsentscheidungen für die betroffenen Personen durch eine einheitliche Gesetzesauslegung vorhersehbarer und gerechter werden.587 Meist werden Standards dabei als „Inputstandards“ im Sinne eines bestimmten Ressourcenaufwandes, der im Rahmen der Leistungserbringung einzusetzen ist, und nicht als „Outputstandards“ im Sinne von Zieldefinitionen verwendet.588 582
Reidenbach: Kommunale Standards in der Diskussion, S. 20. Böckel: Abbau von Standards, in: ZG 1995, 344, 347 f. 584 In Anlehnung an: Landtag Rheinland-Pfalz, DS 14/4600, S. 50; vgl. außerdem Held/Schäfer: Abbau kommunaler Standards, in: Der Städtetag 1994, 326, 326. 585 Vgl. Landtag Rheinland-Pfalz, DS 14/4600, S. 24. 586 Reidenbach: Kommunale Standards in der Diskussion, S. 21. 587 Böckel: Abbau von Standards, in: ZG 1995, 344, 346 ff. 588 Begriffe nach Reidenbach: Kommunale Standards in der Diskussion, S. 23. 583
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
163
(3) Ursachen der Normdichte Die Ursachen für die enorme Dichte, die solche Standards aus Sicht der Kommunen bilden,589 sind vielfältig und sollen im Folgenden nur kurz aufgelistet werden: – Die Komplexität einer immer globaler agierenden Wirtschaft, immer weiter fortschreitende wissenschaftliche und technische Erkenntnisse sowie die Vielschichtigkeit einer modernen Gesellschaft nehmen stetig zu. Entsprechend komplexe Problemstellungen verlangen nach nicht minder komplexen Regelwerken.590 – Ein umfassendes Sozialstaatsverständnis bewirkt Leistungserwartungen der Bürger an den Staat, die weit über die Sicherung bloß materieller Grundbedürfnisse hinausgehen.591 Dabei gilt es allerdings auch zu beachten, dass „der soziale Rechtsstaat des Grundgesetzes [. . .] notwendigerweise in hohem Maße Gesetzesstaat [ist]“.592 – Politische Gegensätzlichkeiten der Verantwortungsträger in den Ländern und im Bund bewirken eine zentralorientierte politische Denk- und Handlungsweise. Gegenüber der kommunalen Selbstverwaltung besteht kein Vertrauen; unterschiedliche Ergebnisse, die dieser innewohnen, werden nicht akzeptiert.593 Trotz kleiner Erfolge bestätigte sich diese Haltung im Rahmen der Diskussionen in der ersten Kommission zur Neuordnung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern.594
589 Etwa Henneke: Fünfzig Jahre kommunale Selbstverwaltung unter der Geltung des Grundgesetzes, in: BWGZ 1999, 347, 352. 590 Diese Analyse wurde sinngemäß bereits Mitte der 1990er und auch schon Anfang der 1980er Jahre getroffen und dürfte heute mehr denn je zutreffen; vgl. Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 224; Reidenbach: Kommunale Standards in der Diskussion, S. 131; v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 59; Vogel: Zur Diskussion um die Normflut, in: JZ 1979, 321, 322. 591 Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 224 f.; Hill: Impulse zum Erlass eines Gesetzes, in: DÖV 1981, 487, 496; Pappermann: Zur Einengung der kommunalen Selbstverwaltung durch staatliche Bürokratie, in: DVBl. 1981, 1040, 1041. 592 Vogel: Zur Diskussion um die Normflut, in: JZ 1979, 321, 322. 593 Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 225 f.; Pappermann: Zur Einengung der kommunalen Selbstverwaltung durch staatliche Bürokratie, in: DVBl. 1981, 1040, 1041. 594 So auch Selmer: Die Föderalismusreform – Eine Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung? in: JuS 2006, 1052, 1058.
164
Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
– Die Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse ist wesentliches gesetzgeberisches Motiv beim Erlass von Leistungsnormen durch Normgeber in Bund und Ländern.595 – Die Anforderungen der Gerichtsbarkeit an gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen, wie etwa die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts oder das Bestimmtheitserfordernis, erfordern Gesetze, die diesen entsprechen.596 – Verantwortungsträger in Politik und Verwaltung und mit ihnen die (mediale) Öffentlichkeit messen die Qualität ihrer Arbeit anhand der Menge der von ihnen initiierten und durchgesetzten Regelungen. Entsprechend ist der Erlass weiterer Regelungen auch eine einfache Methode zur Demonstration politischer Handlungsfähigkeit angesichts eines bestimmten Problems.597 – Sog. „Fachbruderschaften“598, verstanden als Kommunikationsnetzwerke aus am Normgebungsprozess beteiligten reinen Fachleuten in Behörden, Ministerien und Verbänden, vertreten eine stark fachspezifische Sichtweise und haben kaum Gesamtinteressen im Blick. Eine Überbetonung der betreffenden Aufgabenbereiche ist die Folge.599 (4) Folgen der Standarddichte Kommunale Standards weisen eine recht stark ausgeprägte Entwicklungsträgheit auf, wonach sie zwar im Einzelfall zum Zeitpunkt ihrer Einführung sachlich begründbar gewesen sein mögen, aber Veränderungen der Rahmenbedingungen nicht gleichermaßen nachvollzogen werden. Dieser Umstand trägt dazu bei, dass 595 Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 214 und 225; v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 65 f.; eine schöne Darstellung des Zusammenhangs einer stark fachorientierten Sichtweise und eines umfassenden Sozialstaatsverständnisses, welches sich in einer hohen Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger an bundesweit ähnliche Lebens- und Entwicklungschancen äußert, findet sich bei Köstering: Kommunale Selbstverwaltung und staatliche Planung, in: DÖV 1981, 689, 695. 596 Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 225; Pappermann: Zur Einengung der kommunalen Selbstverwaltung durch staatliche Bürokratie, in: DVBl. 1981, 1040, 1041; v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 59. 597 Pappermann: Zur Einengung der kommunalen Selbstverwaltung durch staatliche Bürokratie, in: DVBl. 1981, 1040, 1041; Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 227. 598 Begriff geht zurück auf Wagener: Zur Zukunft des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung, in: Der Landkreis 1981, 105, 110 f. 599 Böckel: Abbau von Standards, in: ZG 1995, 344, 350 f.; Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 227.
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
165
ein ohnehin kaum noch zu durchschauendes Dickicht aus normativen Vorgaben noch unübersichtlicher, unpraktikabler und komplizierter wird als es ohnehin schon ist.600 Infolge der immer höheren Normdichte stieg die Staatsquote seit 1960 stetig an:601 Von damals 32,9% wuchs sie bis 1975 auf den bis dahin höchsten Wert von 48,8% an, um anschließend bis 1989 wieder vorläufig auf 43,1% sinken; in der Folgezeit erreichte sie im Jahre 1996 den Rekordwert von 49,3%; 2007 betrug sie 43,9%.602 Auch vor der kommunalen Ebene machte dieses durch staatliche Vorgaben bedingte Ausgabenwachstum nicht Halt. Die Folge ist eine immer höhere Gesamtstaatsverschuldung, die auch die kommunale Ebene betrifft.603 Inwiefern indes die Vorgaben kommunaler Standards zum Ausgabenwachstum beitragen, ist nicht immer klar und bedarf in jedem Falle einer differenzierten Betrachtung.604 Die Exekutive, und damit auch die kommunale Selbstverwaltung, hat durch diese Verrechtlichungstendenz nur noch geringe und teilweise gar keine Gestaltungs- und Reaktionsspielräume mehr.605 Nicht zuletzt sind eine Aufgaben- und damit eine Ausgabenkorrektur daher kaum in nennenswertem Umfang möglich.606 „Die Verrechtlichung der Regierungstätigkeit wirkt sich dahin aus, dass die Staatsorgane blockiert sind, wenn sie auf unerwartete Bedrohungen unseres Gemeinwesens schnell reagieren sollen. Diese unerwarteten Bedrohungen kommen so sicher wie das Amen in der Kirche, auch wenn sie in unserem System offenbar nicht vorgesehen sind [. . .].“607
Auf diese Weise wurde eine horizontal angelegte Gebietsverwaltung in vielen Bereichen faktisch zu einer vertikalen Funktionalverwaltung. Gestaltende Verwaltung wird zur ausführenden Verwaltung.608 600
Böckel: Abbau von Standards, in: ZG 1995, 344, 349 f. Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 227; v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 59. 602 Bundesfinanzministerium: Entwicklung der Staatsquote, . 603 Vgl. Kapitel 4 A. III. 604 Vgl. dazu Reidenbach: Kommunale Standards in der Diskussion, S. 95 ff. 605 Vgl. etwa Schoch/Wieland: Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Aufgaben, S. 48. 606 Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 227. 607 Oschatz: Erscheinungen der Verrechtlichung in der Staats- und Kommunalverwaltung, in: DVBl. 1980, 736, 741. 608 Oschatz: Erscheinungen der Verrechtlichung in der Staats- und Kommunalverwaltung, in: DVBl. 1980, 736, 741. 601
166
Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
„Generalklauseln, unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessenseinräumungen finden sich in neueren Gesetzen weniger bzw. es wird gleich mitgeregelt, wie ein unbestimmter Rechtsbegriff auszulegen und zu konkretisieren ist. Damit wandelt sich die gestaltende öffentliche Verwaltung mehr zu einer gesetzesvollziehenden bzw. gesetzesdirigierten Verwaltung.“609
Die kommunale Eigenverantwortung als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ist durch derartige Mechanismen auch heute stark eingeschränkt. Denn ein wesentlicher Rückgang kommunaler Standards ist nach wie vor nicht zu verzeichnen. Aus Sicht der kommunalen Selbstverwaltung stellt sich infolge all dessen ein doppeltes Problem, welches dadurch entsteht, dass das ihr zugrunde liegende Doppelprinzip, bestehend aus vertikaler Dekonzentration einerseits und politischdemokratischer Integration andererseits, empfindlich eingeschränkt wird:610 „Politisch-demokratische Funktionen kommunaler Selbstverwaltung können sich nur verwirklichen, wo die kommunalen Körperschaften noch eine hinreichende Integrationskraft auf ihre Bürger ausüben, sich also der Bürger als Glied der kommunalen Gemeinschaft fühlt und sich insoweit mit ,seiner‘ Kommunalverwaltung möglichst weitgehend identifiziert.“611
Die Integrationskraft einer Kommune hängt von ihren Bemühungen um Individualisierung und Identitätsstiftung ab. Führen die Kommunen nur noch dieselben Pflichtaufgaben in derselben – gesetzlich vorgegebenen – Art und Weise aus, ohne eigene Gestaltungsspielräume in nennenswertem Umfang zur Verfügung zu haben, ist dies schlicht nicht mehr möglich.612 Das Prinzip der Dekonzentration, verstanden als Aufgabenerledigung durch eine Struktur (weitgehend) autonom agierender Verwaltungseinheiten im Gegensatz zu einer Aufgabenerledigung im Rahmen einer durchhierarchisierten Zentralverwaltungsstruktur, erfordert genauso eigene Gestaltungsspielräume. Dieses Prinzip wird demnach – jedenfalls annähernd – gleichermaßen in Mitleidenschaft gezogen wie dasjenige politisch-demokratischer Integration.613 609 v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 58. 610 v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 57. 611 v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 103. 612 Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 229; Brohm: Die Selbstverwaltung der Gemeinden im Verwaltungssystem der Bundesrepublik, in: DVBl. 1984, 293, 294. 613 Brohm: Die Selbstverwaltung der Gemeinden im Verwaltungssystem der Bundesrepublik, in: DVBl. 1984, 293, 294.
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
167
b) Konkret: Normdichte im Rahmen der kommunalen Sozialhilfeaufgaben Die Sozialhilfe umfasst Sozialleistungen der staatlichen Gemeinschaft an Bedürftige zur Sicherung deren Lebensunterhalts oder zur Unterstützung in besonderen Lebenslagen, wobei sich die einzelnen Ansprüche aus § 8 SGB XII ergeben. Sie ist gekennzeichnet vom Nachrangigkeitsgrundsatz (§ 2 SGB XII) und ihrer Finanzierung aus Steuermitteln als Gegensatz zum Instrument der Beitragsfinanzierung.614 (1) Kommunale Zuständigkeit für die Sozialhilfe Sachlich zuständig sind grundsätzlich Landkreise und kreisfreie Städte bzw. Stadtkreise als die örtlichen Träger der Sozialhilfe (§§ 97 I HS 1, 3 II SGB XII). Nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts können die Landkreise ihre kreisangehörigen Gemeinden zur Aufgabenerfüllung heranziehen.615 Dies ergibt sich aus § 99 SGB XII, der jedoch vor dem Hintergrund des Art. 84 I GG lediglich deklaratorischen Charakter hat.616 Ausnahmen von der sachlichen Zuständigkeit im soeben beschriebenen Sinne bestehen im Falle einer sachlichen Zuständigkeit der überörtlichen Träger der Sozialhilfe617, § 97 I HS 2 SGB XII. Dies richtet sich grundsätzlich nach § 97 III SGB XII. Jedoch können die Länder abweichende Zuständigkeitsregelungen erlassen, § 97 II SGB XII.618 Tabelle 7 Sachliche Zuständigkeit nach dem SGB XII (vorbehaltlich anders lautender Landesregelungen) Sachliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers
Sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers
Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
Hilfe zur Pflege
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
Hilfen zur Gesundheit
Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten
Quelle: Eigene Darstellung. 614
Vgl. Muckel: Sozialrecht, S. 389; Waltermann: Sozialrecht: Rn. 457, 465. Muckel: Sozialrecht, S. 394. 616 Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf (Hrsg.), SGB XII – Sozialhilfe – Kommentar, S. 651. 617 Dies können je nach Bundesland Landeswohlfahrtsverbände (z. B. Baden-Württemberg), Bezirke (Bayern), Landschaftsverbände (Nordrhein-Westfalen) oder die Länder selbst (z. B. ostdeutsche Bundesländer) sein, Muckel: Sozialrecht, S. 395. 618 Muckel: Sozialrecht, S. 395. 615
168
Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
(2) Anteil der Entscheidungen mit Ermessensoder Beurteilungsspielräumen § 17 SGB XII unterscheidet zwischen „Ob“ und „Wie/Was“ eines Anspruchs: § 17 I 1 SGB XII ist lediglich deklaratorischer Natur und verweist hinsichtlich des Vorliegens eines Anspruchs dem Grunde nach auf die jeweils einschlägigen Anspruchsgrundlagen des SGB XII. Voraussetzung aller Sozialhilfeansprüche ist eine gegenwärtige Notlage (Bedürftigkeit).619 Wie diese für die einzelnen Hilfearten beschaffen sein muss, ist in den jeweiligen Anspruchsgrundlagen konkretisiert. Die Sozialhilfe soll den Leistungsberechtigten ermöglichen, ein menschenwürdiges Leben zu führen, § 1 I SGB XII. Hinsichtlich Art und Maß des Anspruchs (Bedarf) wird der zuständigen Behörde grundsätzlich Ermessen eingeräumt.620 Letzteres folgt aus dem Charakter der Sozialhilfe als einzelfallbezogener Hilfe (§ 9 I SGB XII, Individualisierungsgrundsatz), die eine abstrakt-generelle und detaillierte Regelung ausschließt.621 Dieses Ermessen hat gem. §§ 33 S. 1 SGB I, 9 I SGB XII nicht zuletzt die örtlichen Verhältnisse zu beachten. Gem. § 10 I SGB XII wird Sozialhilfe als Dienst-, Geld- oder Sachleistung erbracht, wobei die Geldleistung gem. § 10 III SGB XII Vorrang vor der Sachleistung genießt. (a) Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt Gem. §§ 19 I, 27 SGB XII soll die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt den zur allgemeinen Lebensführung notwendigen Grundbedarf decken. Gemäß § 28 SGB XII wird dieser grundsätzlich nach Regelsätzen erbracht. Deren Inhalt, Bemessung und Aufbau werden von der Regelsatzverordnung622, die aufgrund § 40 SGB XII vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlassen wird, geregelt. Die Festsetzung der Regelsätze erfolgt durch eine weitere Rechtsverordnung, die von den Landesbehörden unter Beachtung der Vorgaben der Regelsatzverordnung aufgrund § 28 II SGB XII erlassen wird.623 Die Leistungen für Unterkunft und Heizung werden nicht nach Regelsätzen sondern gem. § 29 I SGB XII in Höhe der tatsächlich gemachten Aufwendungen gewährt. Eine Ausnahme bildet lediglich Abs. II, wonach für Leistungen für die Unterkunft ggf. Pauschalen gebildet werden können. Sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach sind kaum eigene Entscheidungsspielräume für die ausführende Behörden vorhanden.
619
Waltermann: Sozialrecht: Rn. 455, 467. Vgl. Grube in: Grube/Wahrendorf (Hrsg.), SGB XII – Sozialhilfe – Kommentar, S. 128 f. 621 Muckel: Sozialrecht, S. 400. 622 Abgedruckt bei Aichberger: Sozialgesetzbuch – Textsammlung, 12/10. 623 Vgl. etwa Waltermann: Sozialrecht: Rn. 469 ff. 620
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
169
(b) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Unter den Voraussetzungen des § 41 I, II SGB XII werden Leistungen der Grundsicherung im Alter gewährt; die Grundsicherung bei Erwerbsminderung richtet sich nach § 41 III SGB XII. Der Umfang der Leistung richtet sich nach dem Regelsatz für die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, § 42 S. 1 Nr. 1 SGB XII. Daneben sind in § 42 S. 1 Nr. 2 bis 5 SGB XII abschließend weitere Bedarfe aufgezählt, für die Zahlungen gewährt werden. Der Unterschied zur laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt besteht lediglich in den Besonderheiten hinsichtlich Vermögenseinsatz und Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen (§ 43 SGB XII).624 (c) Hilfen zur Gesundheit Die §§ 47 ff. SGB XII regeln die Voraussetzungen zur Gewährung von Hilfen zur Gesundheit. Auch hier besteht bei Vorliegen von Bedürftigkeit gem. §§ 19 III, 82 ff. SGB XII ein Anspruch auf Sicherstellung der medizinischen Versorgung, sodass für die zuständigen Träger weder hinsichtlich Grund noch im Hinblick auf Art oder Umfang der Leistungen ein Entscheidungsspielraum besteht.625 (d) Hilfe zur Pflege Voraussetzungen und Leistungen der Hilfe zur Pflege gem. §§ 61 bis 66 SGB XII decken sich weitgehend mit denen der Pflegeversicherung.626 Voraussetzung der Leistungsgewährung ist Pflegebedürftigkeit gem. § 61 SGB XII, zusätzlich ist auch hier § 19 III SGB XII zu beachten. Wesentliche Entscheidungsspielräume der ausführenden Behörden sind weder in Bezug auf das „Ob“ noch bezüglich des „Wie“ der Hilfeleistung zu erkennen. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang § 62 SGB XII zu erwähnen, wonach die Entscheidung der Pflegekasse hinsichtlich des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit bindend ist.627 (e) Eingliederungshilfe für behinderte Menschen Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen werden unter drei Voraussetzungen gewährt: Es muss eine Behinderung i. S. d. § 53 I S. 1 Alt. 1 624
Vgl. etwa Waltermann: Sozialrecht: Rn. 474a f. Vgl. dazu Lutz: Sozialgesetzbuch – 12. Buch – Sozialhilfe, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Übersicht über das Sozialrecht, S. 707. 626 Waltermann: Sozialrecht: Rn. 475; Lutz: Sozialgesetzbuch – 12. Buch – Sozialhilfe, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Übersicht über das Sozialrecht, S. 712. 627 Vgl. dazu Lutz: Sozialgesetzbuch – 12. Buch – Sozialhilfe, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Übersicht über das Sozialrecht, S. 712. 625
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Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
SGB XII i.V. m. § 2 I 1 SGB IX vorliegen bzw. gem. § 53 I S. 1 Alt. 2, II SGB XII i.V. m. § 2 I 1 SGB IX drohen. Zusätzliche Voraussetzung ist auch hier Bedürftigkeit i. S. d. §§ 19 III, 82 ff. SGB XII. Schließlich muss das Erreichen des Ziels der Eingliederungshilfe gem. § 53 III SGB XII aussichtsreich sein. Einen Überblick über die Leistungen der Eingliederungshilfe bietet § 54 SGB XII.628 Auch hinsichtlich der Gewährung von Eingliederungshilfe bestehen kaum praktische Entscheidungsspielräume. (f) Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten §§ 67 bis 69 SGB XII enthalten Grundsätze, nach denen Hilfen für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten gewährt werden sollen. Diese werden in der „Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten“629 sowohl im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen als auch hinsichtlich Art und Umfang der Leistungen konkretisiert, wenngleich auch nicht vollkommen festgelegt.630 Im Ergebnis bestehen jedoch trotz der Vielfalt denkbarer Sachverhalte, die eine besondere soziale Schwierigkeit darstellen können, lediglich relativ geringe Entscheidungsspielräume für die zuständigen Behörden. (g) Zwischenergebnis Trotz des Grundsatzes, wonach hinsichtlich des Inhalts des Leistungsanspruchs nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden sei, welches die örtlichen Verhältnisse mit einbezieht, sind Ermessensentscheidungen im Recht der Sozialhilfe eher die Ausnahme als die Regel. Insoweit besitzt die Einschätzung Hennekes631 zum alten Sozialhilferecht des BSHG auch für das neue SGB XII noch Aktualität. 3. Überlegungen zur Rückführung kommunaler Standards bei der Sozialhilfe Der Charakter der Sozialhilfe als einzelfallbezogener Hilfe legt die Überlegung nahe, ob hinsichtlich der Entscheidung über Art und insbesondere Umfang der Hilfeleistungen den kommunalen Entscheidungsträgern weitergehende Er628 Vgl. dazu Lutz: Sozialgesetzbuch – 12. Buch – Sozialhilfe, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Übersicht über das Sozialrecht, S. 709 f. 629 Abgedruckt bei Aichberger: Sozialgesetzbuch – Textsammlung, 12/25. 630 Vgl. Lutz: Sozialgesetzbuch – 12. Buch – Sozialhilfe, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Übersicht über das Sozialrecht, S. 714 f. 631 Henneke: Kommunale Eigenverantwortung bei zunehmender Normdichte, in: ZG 1994, 212, 218.
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
171
messensspielräume zugestanden werden könnten. Vor allem ist in diesem Zusammenhang darüber nachzudenken, ob auf die Regelsatzverordnungen von Bund und Ländern verzichtet werden könnte. Auf diese Weise hätten die kommunalen Träger der Sozialhilfe sowohl im Rahmen der Leistung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt als auch im Rahmen der Leistung einer Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung möglicherweise größere Entscheidungsspielräume und dadurch mehr Reaktionsmöglichkeiten auf demographisch bedingte finanzielle Engpässe.632 a) Zum Vorbehalt des Gesetzes Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt der Vorbehalt des Gesetzes nicht nur für die Eingriffs- sondern gleichermaßen für die Leistungsverwaltung. Entsprechend der Wesentlichkeitstheorie muss der Gesetzgeber daher alle für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Entscheidungen im normativen Bereich selbst regeln.633 Für den Bereich der Sozialverwaltung ist in § 31 SGB I ein Gesetzesvorbehalt ausdrücklich normiert. Zwar ist umstritten, welcher Gesetzesbegriff dieser Norm zugrunde liegt. Jedoch besteht insoweit Einigkeit, als jedenfalls gesetzesabgeleitete Regelungen, also nicht zuletzt auch von Selbstverwaltungskörperschaften erlassene Satzungen, davon erfasst sind.634 Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob etwa die Regelsätze der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit auch im Rahmen einer Satzung, erlassen durch die jeweiligen Kreistage, festgelegt werden könnten. Anders als Rechtsverordnungen bedürfen Satzungen nach h. M. keiner Art. 80 I 2 GG entsprechenden speziellen gesetzlichen Ermächtigung. Eine Anbindung an ein formelles Gesetz ist nicht nötig, weil Satzungen von demokratisch direkt legitimierten Organen beschlossen werden.635 Jedoch unterliegen Satzungen selbstverständlich den allgemeinen Schranken, insbesondere also auch dem Vorbehalt des Gesetzes. Somit stellt sich die Frage, ob die Wesentlichkeitstheorie vorschreibt, dass die Höhe der konkret auszubezahlenden Sozialhilfeleistungen durch formelles Gesetz festgelegt werden müsste. Hierzu bedarf es der Verge632
Vgl. insoweit oben A. I. St. Rspr.; exemplarisch: BVerfGE 33, 125, 158; 40, 237, 249 f.; 49, 89, 126 f.; 77, 170, 230 f.; 95, 267, 307 f.; 98, 218, 251 f. 634 Vgl. dazu Mrozynski: SGB I – Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil – Kommentar, § 31 Rn. 5; Timme, in: Krahmer (Hrsg.), Sozialgesetzbuch I – Allgemeiner Teil, § 31, Rn. 6; Hauck/Noftz: Sozialgesetzbuch – SGB I – Allgemeiner Teil Kommentar, § 31, Rn. 6. 635 Exemplarisch Maurer: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 72; Möstl: Normative Handlungsformen, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 19, Rn. 11 f. 633
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Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
genwärtigung von Sinn und Zweck der Ausweitung des Gesetzesvorbehalts von der Eingriffs- auf die Leistungsverwaltung. Das Bundesverfassungsgericht führte dazu einst aus:636 „Die von der konstitutionellen bürgerlich-liberalen Staatsauffassung des 19. Jahrhunderts geprägte Formel, ein Gesetz sei nur dort erforderlich, wo ,Eingriffe in Freiheit und Eigentum‘ in Rede stehen, wird dem heutigen Verfassungsverständnis nicht mehr voll gerecht [. . .]. Im Rahmen der demokratisch-parlamentarischen Staatsverfassung, wie sie das Grundgesetz ist, liegt es näher anzunehmen, daß die Entscheidung aller grundsätzlichen Fragen, die den Bürger unmittelbar betreffen, durch Gesetz erfolgen muß, und zwar losgelöst von dem in der Praxis fließenden Abgrenzungsmerkmal des ,Eingriffs‘. Staatliches Handeln, durch das dem Einzelnen Leistungen und Chancen gewährt und angeboten werden, ist für eine Existenz in Freiheit oft nicht weniger bedeutungsvoll als das Unterbleiben eines ,Eingriffs‘. Hier wie dort kommt dem vom Parlament beschlossenen Gesetz gegenüber dem bloßen Verwaltungshandeln die unmittelbarere demokratische Legitimation zu, und das parlamentarische Verfahren gewährleistet ein höheres Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche und damit auch größere Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen.“
Der parlamentarische Gesetzgeber hat die grundsätzliche Entscheidung über die Gewährung von Sozialhilfeleistungen getroffen, indem er Anspruchstatbestände geschaffen hat, die im SGB XII detailliert dem Grunde nach normiert sind. Lediglich das konkrete Maß der Leistung würde durch Satzung festgelegt werden. Die Wahl der Rechtsform einer Satzung ist durch die direkte demokratische Legitimation des entscheidenden Kreistages und der dann gegebenen Öffentlichkeit der Debatte zudem die im Verhältnis zur Rechtsverordnung dem Sinn der Ausweitung des Gesetzesvorbehalts auf die Leistungsverwaltung näher kommende Rechtsform. Insoweit steht der Festlegung der genauen Sozialhilfesätze durch Satzung nichts im Wege. Indes dürfte eine weitergehende Kommunalisierung der Entscheidungsbefugnis im Rahmen der Sozialhilfe an der Wesentlichkeitstheorie scheitern: Die Grundstrukturen der zu gewährenden Leistungen sind im Hinblick auf deren Bedeutung für ein menschenwürdiges Leben der Betroffenen vom parlamentarischen Gesetzgeber zu regeln.637 b) Rückführung kommunaler Standards im Bereich der Sozialhilfe ändert faktisch wenig Die Festlegung der Regelsätze durch Satzung brächte der kommunalen Ebene – theoretisch – etwas mehr Entscheidungsspielraum. Jedoch ist im Ergebnis nicht 636
BVerfGE 40, 237, 249. Möglich wäre indes, durch eine entsprechende Änderung des Art. 72 II GG die Regelungskompetenz für die Sozialhilfe den Ländern zu öffnen. 637
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
173
anzunehmen, dass aus einer solchen Kompetenzverlagerung auch praktisch größere Entscheidungsspielräume resultieren würden. Zwar sind die örtlichen Begebenheiten hinsichtlich der jeweiligen Lebenshaltungskosten in Gemeinden etwa Mecklenburg-Vorpommerns durchaus andere als beispielsweise in baden-württembergischen Kommunen; dies wird aber bereits durch die derzeit geltende Regelung mitberücksichtigt. Zudem bliebe die Sozialhilfe kommunale Pflichtaufgabe, sodass sich an der demographischen Grenzbelastung nichts ändern würde. Und schließlich ist nicht zu erwarten, dass eine solche Kompetenzverlagerung wesentliche finanzielle Entlastungen bewirken würde. Im Ergebnis ist also nicht davon auszugehen, dass durch eine derartige Kompetenzverlagerung wesentlich demographietauglichere Strukturen zu erreichen wären. III. Im Fokus: Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung durch Aufgabenentzug Da eine Reduktion der gesetzlichen Vorgaben im Rahmen des Aufgabenbereichs der Sozialhilfe wahrscheinlich nur in geringem Maße mehr Demographietauglichkeit bewirken würde, kommt als weitere Handlungsoption nur noch ein Aufgabenentzug in Betracht. Hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines solchen Aufgabenentzugs ist auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rückgriff zu nehmen.638 1. Vorprüfung: Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft Nach offenbar weitgehend einhelliger Auffassung639 ist der Aufgabenbereich der Sozialhilfe als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft zu verstehen. Denn die Sozialhilfe steht zu dieser in einem Bezug, der den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam ist: der Aufgabenbereich der Sozialhilfe betrifft das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde.640 Vor dem Hintergrund des in § 9 SGB I formulierten Zieles der Sozialhilfe, bedürftigen Menschen ein der Menschenwürde entsprechendes Leben zu ermöglichen, ist es deren Aufgabe, den Hilfebedürftigen in die Lage zu versetzen, ähnlich wie Nichthilfeempfänger leben zu können, ihn also in die Gesellschaft zu integrieren.641 Was konkret dazu erforderlich ist, hängt von den spezifischen Gegebenheiten innerhalb der jeweiligen kommunalen Gebietskörperschaft ab. Insofern ist die Qualifikation der Sozialhilfe als Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft konsequent und richtig. 638 639 640 641
Vgl. oben Kapitel 7 A. II. Exemplarisch BVerwGE 66, 335, 339. Zum Begriff der örtlichen Angelegenheiten vgl. oben Kapitel 7 A. I. Bieker: Kommunale Sozialverwaltung, S. 50 f.
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Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
2. Wesensgehaltsgarantie Die Sozialhilfeausgaben machen 15,6% der kommunalen Gesamtausgaben aus. Sie sind also jedenfalls in finanzieller Hinsicht ein überaus bedeutender Aufgabenbereich. Würde dieser künftig nicht mehr von den Kommunen wahrgenommen, entfiele eine Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft von ganz immensem Gewicht. Dass dadurch allerdings die Kommunale Selbstverwaltungsgarantie derart ausgehöhlt würde, dass sie nur noch ein Scheindasein führen würde,642 vermag nicht erkannt zu werden, verblieben der kommunalen Ebene doch noch in hinreichendem Maße andere Betätigungsfelder. Tatsächlich würde das kommunale Handlungsfeld sogar gestärkt werden: Indem die Kommunen von einem Aufgabenbereich befreit würden, der durch starke Reglementierung und durch Bindung erheblicher Finanzmittel sowohl ihre derzeitigen und wohl noch mehr ihre künftigen Handlungsspielräume stark einschränkt, könnte die kommunale Selbstverwaltung sogar geradezu gestärkt werden. Denn – relativ gesehen – stünden mehr Finanzmittel für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfügung. Auch das Universalitätsprinzip wird nicht beeinträchtigt. Denn ein Entzug des Aufgabenbereichs der Sozialhilfe würde nicht bedeuten, dass es nicht mehr möglich wäre, auf bislang unbesetzte Aufgabenfelder zuzugreifen. 3. Gründe des Gemeinwohls Ein Aufgabenentzug ist nur dann rechtmäßig, wenn er aus derart wichtigen Gründen des Gemeinwohls erfolgt, dass diese das Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Kommunen, wie es in Art. 28 II GG zum Ausdruck kommt, überwiegen.643 Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn eine ordnungsgemäße Erfüllung der Sozialhilfeaufgaben unter den Bedingungen des demographischen Wandels unmöglich wäre. „[. . .] Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung insgesamt rechtfertigen eine ,Hochzonung‘ nicht aus sich heraus, sondern erst dann, wenn ein Belassen der Aufgabe bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde.“644
Jedoch ist nicht erkennbar, dass eine zentralere Aufgabenerledigung insgesamt deutlich günstiger wäre als eine kommunale. Denn die zu bedienenden Hilfeansprüche werden hiervon nicht berührt, sodass unabhängig von der zuständigen Ebene immer dieselben Leistungen zu erbringen sind. Auf das Argument der 642 643 644
Vgl. oben Kapitel 7 A. II. 1. Vgl. oben Kapitel 7 A. II. 2. BVerfGE 79, 127, 153.
B. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
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Kostenersparnis im Sinne der Verhinderung eines unangemessenen Kostenanstiegs kann eine Hochzonung des Aufgabenbereichs der Sozialhilfe folglich nicht gestützt werden. Allerdings könnte durch eine solche der kommunale Aufgabenkatalog demographieresistenter gemacht werden. Durch Herauslösung des Aufgabenbereichs der Sozialhilfe könnte eine demographiebedingte weitere Verschlechterung der freien Spitze deutlich abgeschwächt werden. Fraglich ist, ob ein Aufgabenentzug zur Verhinderung einer weiteren empfindlichen Schwächung der kommunalen Selbstverwaltung möglich, ob also diese Motivationslage als wichtiger Grund im Sinne des Allgemeinwohls anzusehen ist. Dies wiederum ist im Lichte der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Aufgabenverteilungsprinzips zu bestimmen. Es muss möglich sein Reformmaßnahmen zu treffen, die mehr Handlungsspielräume für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben, sozusagen der Reinform kommunaler Selbstverwaltung, schaffen. Allerdings darf ein Aufgabenentzug unter dem gut gemeinten Motiv einer Stärkung der freiwilligen Selbstverwaltung nicht dazu führen, dass das Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Kommunen in einer Art tödlichen Umarmung völlig ausgehöhlt wird. Denn einer Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie könnte in einem solchen Fall auch dadurch Vorschub geleistet werden, dass örtliche Angelegenheiten von zentraler Bedeutung einer kommunalen Wahrnahme völlig entzogen würden. An einen Aufgabenentzug zur Stärkung der freiwilligen Selbstverwaltung müssen daher hohe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß der demographisch bedingten Ausgabenentwicklung gestellt werden. Dabei sind an diese Wahrscheinlichkeit – auf hohem Niveau – umso geringere Anforderungen zu stellen, je problematischer sich die vermutete Ausgabenentwicklung gestaltet.645 Noch halten sich die kommunalen Haushalte im Durchschnitt oberhalb der demographischen Grenzbelastung. Insofern besteht kein akuter dringender Handlungsbedarf. Jedoch ist die demographisch bedingte Entwicklung insbesondere der Ausgaben für die Sozialhilfe genau zu beobachten. Sollte sich tatsächlich abzeichnen, dass die demographische Grenzbelastung aufgrund ungünstiger, demographisch bedingter Entwicklungen i. R. d. Ausgaben für die Sozialhilfe unterschritten wird, muss über die Hochzonung dieses Aufgabenbereichs nachgedacht werden.
645 Im Rahmen der Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit ist die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu beachten, vgl. exemplarisch BVerfGE 79, 127, 154.
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Kap. 9: Die Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur
IV. Teilergebnis Potentielle Demographieuntauglichkeit des kommunalen Aufgabenkatalogs besteht insbesondere hinsichtlich des Aufgabenbereichs der Sozialhilfe. Ob insoweit auch von tatsächlicher Demographieuntauglichkeit auszugehen ist, lässt sich derzeit noch schwer beurteilen. Denn dies hängt davon ab, ob eine Aufgabenhochzonung möglich ist. Dies ist nur unter strengen Voraussetzungen möglich, die ihrerseits von der weiteren Ausgabenentwicklung im Bereich der Sozialhilfe abhängen.
C. Zusammenfassende Thesen – Potentielle Demographieuntauglichkeit richtet sich nach dem Autonomiegehalt, der Ausgabenintensität und dem demographischen Faktor eines Aufgabenbereichs. – Als potentiell demographieuntauglich ist hiernach insbesondere der Aufgabenbereich Sozialhilfe einzustufen. – Von tatsächlicher Demographieuntauglichkeit kann nur gesprochen werden, wenn alternative Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Als Grundansätze möglicher Reformmaßnahmen kommen dabei neben bloß quantitativen Veränderungen i. R. bestehender gesetzlicher Vorgaben die qualitative Ausdünnung gesetzlicher Vorgaben sowie der Entzug des betreffenden Aufgabenbereichs in Betracht. – Kommunale Standards müssen unter einem spezifisch demographischen Blickwinkel einer erneuten Überprüfung unterzogen werden. Insbesondere bewirken sie ein Normendickicht, das es Kommunen erheblich erschwert, auf jeweils spezifische demographische Entwicklungen angemessen zu reagieren. Zudem wird die Integrationskraft von Kommunen dadurch geschwächt, dass durch diese mangelnden Gestaltungsspielräume keine wirklichen Alleinstellungsmerkmale mehr erarbeitet werden können. Folglich können Einwohner schwerer vor Ort gehalten werden. – Infolge gesetzlicher Vorgaben bestehen für die örtlichen Träger i. R. d. Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt und i. R. d. Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung kaum eigene Entscheidungsspielräume. Die Gewährung von Hilfen zur Gesundheit bieten keinerlei kommunale Entscheidungsspielräume. Auch hinsichtlich der Gewährung von Hilfe zur Pflege gilt nichts wesentlich anderes. Ähnlich verhält es sich für Eingliederungshilfen für behinderte Menschen. Lediglich die Gewährung von Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten bietet in geringem Maße eigene kommunale Entscheidungsspielräume. – Zwar dürfte der Gesetzesvorbehalt nicht der Festlegung der genauen Sozialhilfesätze im Wege einer vom Kreistag erlassenen Satzung im Wege stehen. In-
C. Zusammenfassende Thesen
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des würde ein solches Vorgehen an der Problematik der drohenden Unterschreitung der demographischen Grenzbelastung praktisch wohl nichts ändern. – Die Hochzonung des Aufgabenbereichs der Sozialhilfe von der kommunalen auf die staatliche Ebene ist dann denkbar, wenn wichtige Gründe des Gemeinwohls dies erfordern. Dazu kann auch die dauerhafte Unterschreitung der demographischen Grenzbelastung zählen. Denn dadurch würde die kommunale Selbstverwaltung in ihrer Substanz bedroht. Allerdings ist vor dem Hintergrund der Reichweite einer solchen Maßnahme zunächst die weitere Entwicklung der Ausgaben in diesem Aufgabenbereich genau zu beobachten.
Kapitel 10
Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze zur Erreichung einer effizienteren Aufgabenerledigung Im Zusammenhang mit der Bewältigung des demographischen Wandels bzw. generell als Reaktion auf kommunale Finanzengpässe werden neben Ansätzen zur Deregulierung646 hauptsächlich drei Strategien diskutiert und verfolgt: Privatisierung kommunaler Aufgaben, Verwaltungsreformen in funktionaler wie in geographischer Hinsicht und schließlich Formen interkommunaler Kooperation. Zunächst werden allgemeine Kriterien zu definieren sein, anhand derer Aussagen über die Demographietauglichkeit dieser Strategien möglich sind. Sodann sind die so gefundenen Kriterien ggf. auf die jeweils zu untersuchende Strategie zu spezifizieren um sie anschließend anzuwenden.
A. Allgemeine Vorüberlegungen I. Ausgangspunkt: Verengung des finanziellen kommunalen Handlungsspielraums Eine immer weiter steigende Belastung der Kommunen mit immer komplexer werdenden Aufgaben bewirkt die Bindung erheblicher personeller, sachlicher und finanzieller Ressourcen. Dies ist ein wichtiger Faktor für die angespannte kommunale Finanzlage.647 Hinzu kommen demographisch bedingte kommunale Einnahmeausfälle, die nicht im selben Maße durch eine Ausgabenreduktion kompensiert werden können.648 II. Voraussetzung jeder Reformstrategie: Neue Handlungsspielräume für die Kommunen und demokratische Integration Kommunen mit rückläufigen Bevölkerungszahlen müssen attraktiv bleiben, um Einwohner binden zu können.649 Entscheidend für die Bindung von Einwoh646
s. dazu soeben Kapitel 9 B. II. Burgi in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 9; außerdem bereits Kapitel 9 B. II. 1. 648 Vgl. dazu Kapitel 4 und 8. 649 Exemplarisch Brandt/Franz/Wieja in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 175; aber auch Kommunen mit wachsenden oder 647
B. Demographietauglichkeit aktueller Verwaltungsreformvorhaben
179
nern an eine Gemeinde ist deren Identifikation mit dieser.650 Die Schaffung von Identifikation ist wiederum nur durch (demokratische) Beteiligung möglich. „Nur dann nämlich kann sich der Mensch in dieser Stadt [. . .] erkennen; nur dann vermag er zu spüren, dass seine Sache hier betrieben wird.“651 Voraussetzung kommunaler Identitätsstiftung ist das Vorhandensein eines entsprechenden kommunalen Gestaltungsspielraums, der von jeder Gemeinde jeweils individuell genutzt werden kann. Insofern ist eine Reformstrategie nur dann als eine demographietaugliche Vorgehensweise zu bewerten, wenn dadurch kommunale Gestaltungsspielräume erweitert oder zumindest in ihrem status quo abgesichert werden können. Kommunale Identitätsstiftung genauso wie die Bewältigung demographischer Schrumpfungsprozesse gelingt umso besser, je stärker die Bürger in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Auf diese Wiese lässt sich die Identifikation der Bürger mit den betreffenden Entscheidungen und damit in der Summe die Identifikation mit ihrem Ort erhöhen; zugleich kann so die notwendige Akzeptanz für unpopuläre Maßnahmen erzielt werden.652
B. Strategie: Vergrößerung kommunaler Gebietskörperschaften und Kommunalisierung von Staatsaufgaben – Demographietauglichkeit aktueller Verwaltungsreformvorhaben653 Die Optimierung der Verwaltung ist ein dauerhafter Prozess.654 Entsprechend werden in den Bundesländern in steter Wiederkehr Verwaltungsreformprogramme diskutiert, entwickelt und umgesetzt.655 Gleichermaßen aus juristischer stagnierenden Bevölkerungszahlen müssen begreifen, dass sie ihre Attraktivität immer wieder neu erarbeiten müssen, vgl. a. a. O. S. 174. 650 Osner in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 168. 651 Müller: Die Bürgerbeiräte in den Großstadtgemeinden der Bundesrepublik, S. 179. 652 Vgl. dazu Kapitel 9 B. II. 2. a) (4). 653 Zugleich Erörterung des Urteils des Landesverfassungsgerichts MecklenburgVorpommern vom 26.07.2007 über die Verfassungsbeschwerden mehrerer Landkreise und die abstrakte Normenkontrolle mehrerer Mitglieder des Landtages MecklenburgVorpommern betreffend das Gesetz zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 23. Mai 2006, Az.: LVerfG 9/06, LVerfG 10/06, LVerfG 11/06, LVerfG 12/06, LVerfG 13/06, LVerfG 14/06, LVerfG 15/06, LVerfG 16/ 06, LVerfG 17/06, abgedruckt in DVBl. 2007, 1102. 654 Etwa Siedentopf: Maßstäbe für eine Funktionalreform, in Henneke (Hrsg.), Optimale Aufgabeerfüllung im Kreisgebiet?, S. 45. 655 Einen Überblick über aktuelle Reformvorhaben in den Bundesländern bieten etwa Ruge: Verwaltungsreformen in den Bundesländern, in: ZG 2006, 129 ff. oder Brenski/ Liebig (Hrsg.): Aktivitäten auf dem Gebiet der Staats- und Verwaltungsmodernisierung in den Ländern und beim Bund 2004/2005.
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
wie demographischer Sicht besonders interessant erscheint dabei das für teilweise verfassungswidrig und somit teilweise nichtig erklärte Gesetz zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern.656 Anlass der mit der dortigen Reform angestrebten Veränderungen war nicht zuletzt auch der „extreme demographische Wandel“ .657 I. Grundansätze aktueller Reformvorhaben am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns Den Gesetzgebern stehen zur Verwaltungsoptimierung mehrere Stellschrauben zur Verfügung.658 Besonders interessant war das Verwaltungsmodernisierungsgesetz Mecklenburg-Vorpommerns hinsichtlich seines funktionalen und seines territorialen Ansatzes.659 1. Funktionalreform In funktionaler Hinsicht wurden insbesondere Aufgabenzuständigkeiten von der Landes- auf die kommunale Ebene verlagert: Dem Prinzip der Subsidiarität folgend sollten Vollzugsaufgaben fortan grundsätzlich von den Kommunen wahrgenommen werden. Dabei sah das Gesetz in seinem Teil 1 (Funktionalreform I) vor, in großem Stil bisherige Landesaufgaben den Kommunen meist als Pflichtaufgaben nach Weisung zu übertragen. Teil 2 ordnete als sog. Funktionalreform II die kommunalen Zuständigkeiten innerhalb der kommunalen Ebene vorwiegend der Kreisebene zu. 2. Territorialreform Teil 3 des Verwaltungsmodernisierungsgesetzes beinhaltete eine Kreisstrukturreform, die im Wesentlichen vorsah, die bisherigen zwölf Landkreise aufzulösen und zu fünf neu zu schaffenden Regional-, d.h. Großkreisen, zusammenzuschließen. Die bisher sechs kreisfreien Städte sollten in diese neuen Kreise integriert werden und den neu einzuführenden Status einer großen kreisangehörigen Stadt erhalten. Im Ergebnis hätten die neuen Kreise Flächenausmaße zwischen 3.182 qkm und 6.997 qkm angenommen und zwischen 244.092 und 498.372 Einwohnern umfasst. Gegenstand der Verfassungsbeschwerden der 11 Beschwerde führenden 656
GVOBl. M.-V. 2006, S. 194 ff. Landtag Mecklenburg-Vorpommern, DS 4/1710, S. 1, 104 ff. 658 Vgl. die Auflistung bei Siedentopf: Maßstäbe für eine Funktionalreform, in Henneke (Hrsg.), Optimale Aufgabeerfüllung im Kreisgebiet?, S. 14. 659 Daneben spielten auch Deregulierungsmaßnahmen hinsichtlich des Verwaltungs(verfahrens)rechts eine Rolle; diese erscheinen jedoch unter dem Gesichtspunkt der Demographietauglichkeit weniger interessant zu sein. 657
B. Demographietauglichkeit aktueller Verwaltungsreformvorhaben
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Landkreise war ausschließlich diese Territorialreform, konkret §§ 72 bis 77 des Verwaltungsmodernisierungsgesetzes. II. Aufgabenkommunalisierung und Schaffung größerer Verwaltungseinheiten unter Effizienzaspekten Die Finanzsituation vieler Kommunen ist nach wie vor schwierig.660 Zudem werden kommunale Gestaltungsmöglichkeiten durch den demographischen Wandel bedingt noch geringer werden.661 Zur Beurteilung der Demographietauglichkeit von Verwaltungsmodernisierungsmaßnahmen vor dem Hintergrund der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie erscheint daher entscheidend, inwiefern in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht bestehende kommunale Gestaltungsspielräume gesichert und ggf. neue erschlossen werden (können).662 Dabei ist zu beachten, dass nach derzeitigem Verfassungsrecht (Land-)Kreise als Gemeindeverbände i. S. d. Art. 28 II GG nicht durch eine abgeleitete kommunale Selbstverwaltungsgarantie, sondern durch ein und dieselbe Garantie wie Städte und Gemeinden und daher gleichwertig geschützt sind.663 1. Funktionalreformansatz Funktionalreformen betreffen die Aufgabenverteilung innerhalb der Verwaltung.664 In der Vergangenheit herrschte dabei ein Trend zu Aufgabenhochzonungen vor. Dies betraf auch die kommunale Ebene. So wurden örtliche Aufgaben der Gemeinden zu überörtlichen Aufgaben der Landkreise und überörtliche Aufgaben der Landkreise wurden zu Staatsaufgaben. Diese schleichende Aushöhlung kommunaler Selbstverwaltung sollte durch Funktionalreformen gestoppt werden, um stattdessen zu einem ausgewogenen, an einem Gesamtkonzept orientierten Aufgabenverteilungssystem zu gelangen.665 Die jüngsten Verwaltungsreformen verfolgen aus unterschiedlichen Motivlagen heraus zumeist einen Kurs der Aufgabenkommunalisierung.666 Auch die Verwal-
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Kapitel 4 A. s. Kapitel 8. 662 Vgl. soeben: A. II. 663 So zu Recht die Klarstellung des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, s. a. a. O. (Fn. 653), S. 34; ausdrücklich bereits BVerfGE 83, 363, 383 sowie HessStGH DÖV 2000, 76, 77; außerdem etwa Henneke in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 28, Rn. 113; a. A. Erbguth: Modellvorhaben Verwaltungsreform Mecklenburg-Vorpommern? In: LKV 2004, 1, 2. 664 Püttner: Verwaltungslehre, § 6, Rn. 19. 665 Exemplarisch Püttner: Verwaltungslehre, § 6, Rn. 24. 666 Zur generellen Tendenz Stüer: Verwaltungsreform auf Kreisebene, in: DVBl. 2007, 1267, 1274; im Einzelnen Ruge: Verwaltungsreformen in den Bundesländern, in: 661
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
tungsreform in Mecklenburg-Vorpommern sollte laut Gesetzentwurf eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung bewirken.667 Vor dem Hintergrund der beschriebenen Ausgangslage nachvollziehbar und auf den ersten Blick folgerichtig reagieren Landkreise und deren Spitzenverbände auf derartige Maßnahmen soweit ersichtlich durchweg positiv.668 Indes gilt es, vor dem Hintergrund der demographischen Veränderungen die Kommunalisierung bislang staatlicher Aufgaben vorsichtig zu bewerten. Denn deren Demographietauglichkeit bemisst sich im Prinzip nach denselben Kriterien, wie sie zur Bewertung der Demographietauglichkeit der kommunalen Aufgabenstruktur entwickelt worden sind. Die zu übertragenden Aufgaben sind also hinsichtlich ihres Autonomiegehalts, ihrer Ausgabenintensität und der Intensität des ihnen innewohnenden demographischen Faktors zu beurteilen.669 I. R. d. Beurteilung der Ausgabenintensität derartiger Aufgabenkommunalisierungen sind auch die Regelungen zur finanziellen Kompensation zu berücksichtigen. Dabei lässt sich folgende Grundregel aufstellen: Je geringer der Autonomiegrad, der den Kommunen bei der Wahrnahme der zu übertragenden Aufgaben zugestanden werden soll, desto weniger finanzielle Risiken dürfen auf die Kommunen abgewälzt werden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Risikoverteilung hinsichtlich demographisch bedingter künftiger Mehrausgaben von zentraler Bedeutung. 2. Territorialreformansatz Für den geographischen Zuschnitt von Verwaltungseinheiten gelten folgende wesentlichen Parameter: Optimale Größe, Verwaltungskraft, Überschaubarkeit, Erreichbarkeit, Demokratie und Aufgabenbestand.670 Die einzelnen Parameter bedingen sich zum Teil gegenseitig, zum Teil stehen sie zueinander in einem ZG 2006, 129 ff., wonach allerdings auch Bayern und insbesondere das Saarland als Ausnahmen von diesem Trend identifiziert werden. 667 s. etwa Landtag Mecklenburg-Vorpommern, DS 4/1710, S. 199, 177, 209. 668 Vgl. etwa für die Verwaltungsreform in Baden-Württemberg vom 1. Juli 2004 die Darstellung bei Trumpp: Verwaltungsreform – Chance und Herausforderung für die Landkreise in Baden-Württemberg, in: Henneke/Meyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung zwischen Bewahrung, Bewährung und Entwicklung, S. 209 ff.; auch in Mecklenburg Vorpommern war nicht die Funktional-, sondern ausschließlich die Territorialreform Gegenstand des von elf Landkreisen angestrengten verfassungsgerichtlichen Verfahrens. 669 Vgl. insoweit bereits oben Kapitel 9 A; vgl. außerdem Ruge: Verwaltungsreformen in den Bundesländern, in: ZG 2006, 129, 149; Schönfelder/Schönfelder: Selbstverwaltung ist Verwaltung in überschaubaren Räumen, in: SächsVBl. 2007, 249, 256; Stüer: Verwaltungsreform auf Kreisebene, in: DVBl. 2007, 1267, 1272. 670 Thieme: Verwaltungslehre, Rn. 258 ff.; weitere Kriterien für den Zuschnitt von Landkreisen finden sich bei Pappermann/Stollmann: Kreisgebietsreform in den neuen Bundesländern, in: NVwZ 1993, 240, 241 ff.
B. Demographietauglichkeit aktueller Verwaltungsreformvorhaben
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Spannungsverhältnis. Sie müssen unter den jeweiligen tatsächlichen Rahmenbedingungen in ein optimales Verhältnis gesetzt werden, wobei sich durch den demographischen Wandel auch Veränderungen in der grundsätzlichen Gewichtung dieser Parameter ergeben dürften. a) Optimale Betriebsgröße Territoriale und funktionale Strukturen bedingen sich gegenseitig.671 Insofern lässt sich hinsichtlich der Demographietauglichkeit des Zuschnitts kommunaler Gebietskörperschaften die erste Aussage treffen, wonach dieser Zuschnitt eine demographietaugliche Aufgabenzuordnung unterstützen und ergänzen muss. Folglich ist in territorialer Hinsicht auf eine möglichst effiziente Wahrnehmung der der Gebietskörperschaft zugeordneten Aufgaben hinzuwirken. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich der optimalen Betriebsgröße672, verstanden als betriebswirtschaftlich effizientester Zuschnitt, von Verwaltungseinheiten sind schwer zu ermitteln673 und daher auch nur spärlich vorhanden. Der bekannteste fundierte und umfassende Versuch, optimale Betriebsgrößen wissenschaftlich herzuleiten,674 stammt aus dem Jahre 1969! Fest steht allerdings, dass es insoweit keine allgemeingültige Antwort gibt, sondern für verschiedene Aufgabengruppen zumindest teilweise jeweils andere Gesetzmäßigkeiten zu beachten sind. Dadurch ergeben sich je nach Aufgabengruppe unterschiedliche optimale Betriebsgrößen. Unter anderem deshalb lassen sich für die Größe von Verwaltungseinheiten lediglich Unter- bzw. Obergrenzen definieren.675 b) Anforderungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie Daneben sind Anforderungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, insbesondere im Hinblick auf deren Funktion beim Aufbau der Demokratie von unten,676 zu beachten. Beides – möglichst effiziente Aufgabenerledigung und kommunale Selbstverwaltungsgarantie – kann in einem Spannungsverhältnis 671
Exemplarisch Thieme: Verwaltungslehre, Rn. 263. Begriff nach Püttner: Verwaltungslehre, § 7, Rn. 8. 673 Vgl. dazu Miller: Kriterien für den Zuschnitt von Landkreisen, in: LKV 2005, 478, 479. 674 Wagener: Neubau der Verwaltung, S. 328 ff. (zur Methodik), S. 336 ff. (im Einzelnen). 675 Wagener: Neubau der Verwaltung, S. 556; dessen Analyse ist wiederum gedankliche Ausgangslage für Miller: Kriterien für den Zuschnitt von Landkreisen, in: LKV 2005, 478; außerdem Püttner: Verwaltungslehre, § 7, Rn. 13; Oebbecke: Überlegungen zur Größe von Verwaltungseinheiten, in: Henneke (Hrsg.), Optimale Aufgabenerfüllung im Kreisgebiet?, S. 47 ff. 676 BVerfGE 79, 127, 150; außerdem Dreier in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 28, Rn. 85. 672
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
zueinander stehen. In der Untersuchung und Darstellung dieses Spannungsverhältnisses liegt ein wesentlicher Schwerpunkt des Urteils des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern.677 Aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ergeben sich Aussagen zur Bestimmung einer möglichen Obergrenze kommunaler Selbstverwaltungseinheiten. Ebenso wie das Demokratieprinzip hat auch das Prinzip der (kommunalen) Selbstverwaltung seine Grundlage in der Idee, „Freiheit durch politische Selbstbestimmung zu sichern.“678 I. R. v. (kommunaler) Selbstverwaltung geht es daher vorrangig um die Aktivierung bürgerschaftlicher Mitwirkung.679 Das Landesverfassungsgericht führt dazu aus: „Die kommunale Selbstverwaltung bedeutet Aktivierung der Bürger für ihre eigenen Angelegenheiten. Die in der örtlichen Gemeinschaft lebendigen Kräfte schließen sich zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat zusammen mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren. Diese Aussage bezieht sich gleichermaßen auf Gemeinden und Kreise. [. . .] Leitbild der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ist eine bürgerschaftliche Mitwirkung, die sich in einem politischen Gestaltungswillen niederschlägt.“680
Kommunale Selbstverwaltung ist ohne Bürgerbeteiligung kaum denkbar, diese ist ihr demnach wesensimmanent. Bürgerbeteiligung wiederum ist nur erreichbar, wenn die Verwaltung ein ausreichendes Maß an Bürgernähe aufweist.681 Püttner stellt zutreffend die wechselseitige Beeinflussung dieser beiden Komponenten dar, wenn er ausführt, dass Bürgernähe nicht zuletzt eine Verschränkung und ein Zusammenwirken zwischen öffentlicher Verwaltung einerseits und Bürgern andererseits bezeichne.682 677 Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Fn. 653), S. 33 ff., 49 ff.; jedoch übertreibt das Gericht genauso wie das BVerfG, auf dessen Rastede-Entscheidung es sich beruft, wenn es behauptet, „die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung und die bürgerschaftlich-demokratische kommunale Selbstverwaltung [stünden] in einem Spannungsverhältnis zueinander. [. . .] [Die] Verfassung setze den ökonomischen Erwägungen, dass eine zentralistisch organisierte Verwaltung rationeller und billiger arbeiten könnte, den demokratischen Gesichtspunkt der Teilhabe der örtlichen Bürgerschaft an der Erledigung der öffentlichen Aufgaben entgegen und gebe ihm den Vorzug.“, S. 34 f.; derlei Erwägungen missachten gesicherte ökonomische Erkenntnisse, wonach es auch Obergrenzen für eine effiziente Aufgabenerfüllung gibt, also Dezentralisierung auch unter Effizienzgesichtspunkten Sinn macht, s. dazu soeben: B. II. 2. a); in der Sache ebenso Oebbecke: Überlegungen zur Größe von Verwaltungseinheiten, in: Henneke (Hrsg.), Optimale Aufgabenerfüllung im Kreisgebiet?, S. 49. 678 Schmidt-Aßmann: Kommunale Selbstverwaltung nach „Rastede“, in: Bürger – Richter – Staat, S. 124. 679 Schmidt-Aßmann: Kommunale Selbstverwaltung nach „Rastede“, in: Bürger – Richter – Staat, S. 126. 680 Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, s. a. a. O. (Fn. 653), S. 33. 681 Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, s. a. a. O. (Fn. 653), S. 34; vgl. außerdem Graf Vitzthum/Kämmerer: Bürgerbeteiligung vor Ort, S. 24.
B. Demographietauglichkeit aktueller Verwaltungsreformvorhaben
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Optimal erfolgt diese Verschränkung durch ehrenamtliche Mitwirkung i. R. d. Gemeinderats- und der Kreistagsarbeit. Für die Kreistagsarbeit ist in diesem Zusammenhang zudem eine ausgeglichene soziale wie geographische Repräsentation der Kreisbevölkerung erforderlich. Auf diese Art sind die Ratsmitglieder als Entscheidungsträger der zentralen Sachthemen für ihre Wähler direkt – oder jedenfalls relativ einfach – greifbar, was eine intensive Kommunikation der Bürger mit ihren Repräsentanten ermöglicht.683 Zu betonen ist dabei, dass hinsichtlich der Bewältigung der demographischen Herausforderungen durch die Kommunen eine möglichst enge demokratische Rückkopplung der zu treffenden Entscheidungen von erheblicher Bedeutung ist.684 Es ist daher unter demographischen Gesichtspunkten eher unerheblich, ob die Ausgestaltung der Mitarbeit in Gemeinde- bzw. Kreistag als ehrenamtliche Tätigkeit der kommunalen Selbstverwaltung wesensimmanent ist685 oder nicht686. Entscheidend ist, dass Ehrenamtlichkeit erheblich dazu beiträgt, die notwendige Akzeptanz unpopulärer Entscheidungen in der Bevölkerung herzustellen, diese eventuell sogar mit dieser gemeinsam zu entwickeln. Ehrenamtlichkeit erscheint insoweit mangels überzeugender Alternative geradezu unverzichtbar. Auch Formen des e-Governments, wie sie in Mecklenburg-Vorpommern zur Kompensation so verstandener Bürgernähe eingeführt werden sollten, erscheinen kaum geeignet, den direkten Kontakt zwischen Bürger und Repräsentant zu ersetzen. Eine so verstandene Bürgernähe der Verwaltung setzt in doppelter Hinsicht die Überschaubarkeit der kommunalen Gebietskörperschaften, im vorliegenden Falle der Kreise, im Sinne einer gewissen Ortsnähe voraus. Denn einerseits müssen sich (potentiell) ehrenamtlich Engagierte aus sämtlichen Teilräumen der Kreise Kenntnis der örtlichen und regionalen Begebenheiten und Belange der jeweiligen Bevölkerung unter zumutbarem Aufwand verschaffen können.687 Andererseits
682 Püttner: Bürgernähe der Verwaltung, in: Magiera/Sommermann/Ziller (Hrsg.), Verwaltungswissenschaft und Verwaltungspraxis in nationaler und transnationaler Perspektive, S. 312. 683 Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, s. a. a. O. (Fn. 653), S. 53 ff.; diese Position findet in der Literatur große Unterstützung, vgl. etwa Schönfelder/Schönfelder: Selbstverwaltung ist Verwaltung in überschaubaren Räumen, in: SächsVBl. 2007, 249, 253; Stüer: Verwaltungsreform auf Kreisebene, in: DVBl. 2007, 1267, 1271 f.; kritisch, aber nicht überzeugend: Bull: Kommunale Selbstverwaltung heute, in: DVBl. 2008, 1, 8 f. 684 Vgl. dazu auch bereits oben A. II. 685 So das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, s. a. a. O. (Fn. 653), S. 50. 686 So Bull: Kommunale Selbstverwaltung heute – Idee, Ideologie und Wirklichkeit, in: DVBl. 2008, 1, 8. 687 So etwa Henneke in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 28, Rn. 114.
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
muss es aber den Bürgern genauso zumutbar möglich sein, mit sämtlichen Repräsentanten in direkten Kontakt zu treten. Das Landesverfassungsgericht unterscheidet insoweit zwischen Nah- und Fernbereich zum Kreissitz. Zwar geht es in diesem Zusammenhang offenbar davon aus, dass nicht mehr von Ortsnähe gesprochen werden kann, wenn über 21% der Menschen mehr als 40 km Luftlinie vom Kreissitz entfernt lebten.688 Letztlich ist jedoch die Obergrenze im Einzelfall unter Einbeziehung sämtlicher denkbaren Möglichkeiten unter Abwägung mit dem Aspekt einer (wie stark auch immer) gesteigerten Verwaltungskraft größerer Verwaltungseinheiten zu ermitteln.689 III. Fazit zur Demographietauglichkeit aktueller Verwaltungsreformstrategien 1. Der Gesetzentwurf Die demographischen Entwicklungen in Mecklenburg-Vorpommern waren laut Gesetzentwurf zwar ein wichtiger Grund für diese Reform. Auch wurde die drohende Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung durch die übermäßige Inanspruchnahme der Kommunalfinanzen für Pflichtaufgaben erkannt.690 Insoweit ist die Analyse richtig. Jedoch greift diese in zweierlei Hinsicht zu kurz: Erstens wurde ein deutliches Übergewicht auf die Betrachtung der Situation der Landkreise und kreisfreien Städte gelegt; zwar wird auch vom kreisangehörigen Raum gesprochen, ohne diesbezüglich jedoch eine fundierte Analyse zu führen. Und zweitens finden sich keine Hinweise auf eine fundierte Analyse, wie sich denn künftig die kommunalen Pflichtaufgaben entwickeln werden. Lediglich zu Beginn des Gesetzentwurfs wird in exemplarischer Form kurz erwähnt, dass rückläufige Bevölkerungszahlen nicht automatisch auch rückläufige Investitionsbedarfe bedeuten; eine umfassende Analyse findet insoweit allerdings nicht statt.691 In funktionaler Hinsicht hätte diese Analyse bedeutet, dass die Spielräume der Kommunen für freiwillige Aufgaben hätten vergrößert werden müssen. Tatsächlich wurde unter dem Gesichtspunkt des Autonomiegehalts sogar eher kontrapro688 Dem ist insbesondere auch unter demographischen Gesichtspunkten zuzustimmen; denn in den entlegenen und strukturschwachen Randgebieten des Kreises werden die Auswirkungen des demographischen Wandels wohl besonders stark ausgeprägt sein; insbesondere dort ist daher mit u. U. unpopulären aber notwendigen Entscheidungen zur Anpassung der Infrastruktur und daher mit erhöhtem Kommunikationsbedarf zu rechnen. 689 Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, s. a. a. O. (Fn. 653), S. 50 ff. 690 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, DS 4/1710, S. 122 und insbesondere S. 129, wo klargestellt wird, dass die freie Spitze bei den Landkreisen Mecklenburg-Vorpommerns bei gerade einmal 3,3% liege. 691 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, DS 4/1710, S. 114.
B. Demographietauglichkeit aktueller Verwaltungsreformvorhaben
187
duktiv gehandelt. Denn die Übertragung der Aufgaben sollte zum größten Teil als Pflichtaufgaben nach Weisung erfolgen. Dies hätte den Kommunen keinerlei eigene Entscheidungsspielräume zugestanden. Die sich bereits heute abzeichnende negative Entwicklung der freien Spitze692 hätte sich auf diese Art nur noch weiter verschärft.693 Die kommunale Selbstverwaltung wäre also eher geschwächt als gestärkt worden. Auch die vorgesehenen Regelungen zur Kostenübernahme in § 98 des Verwaltungsreformgesetzes hätten hieran qualitativ nichts zu ändern vermocht. Zwar waren in Abs. XIII Anpassungsmöglichkeiten vorgesehen, sodass die Landeszuschüsse an die Kreise an die tatsächlichen Kosten angepasst worden wären. Dennoch hätte sich die freie Spitze, also das Verhältnis der Ausgaben für freiwillige Aufgaben zu solchen für Pflichtaufgaben, negativ entwickelt. Und soweit ausgeführt wurde, dass durch Synergieeffekte und effizientere Aufgabenerfüllung die Handlungsspielräume der Kommunen erweitert würden,694 ist zu beachten, dass nirgends geregelt worden wäre, welcher Ebene diese Effizienzrenditen zugute gekommen wären. Es steht zu befürchten, dass diese über die Überprüfung und Anpassung der Landeszuschüsse für die neu übernommenen Aufgaben weitgehend der Landesebene zuteil gekommen wären. I. R. e. ausführlichen Gutachtens695 kamen Schätzungen zu dem Ergebnis, dass die Personalkosten pro Kopf umso weiter sinken, je mehr Einwohner ein Landbzw. Regionalkreis umfasst. Diese Schätzungen erfolgten in Form zweier Methoden, die beide auf empirische Werte zurückgreifen: I. R. d. ersten Ansatzes wurden die neu zu schaffenden Regionalkreise mit Landkreisen ähnlicher Struktur in den westdeutschen Bundesländern verglichen. I. R. d. zweiten Ansatzes wurden derzeitige Kosten in Abhängigkeit von Einwohner- bzw. Flächenzahl ermittelt. Die Studie gelangt zum Gesamtergebnis, dass durch die Vergrößerung der Landkreise zu Regionalkreisen erhebliche Einsparpotentiale entstehen. Insofern scheint die Reform unter Effizienzgesichtspunkten ein Schritt in die richtige Richtung gewesen zu sein. Indes wurden keine Überlegungen zur optimalen Größe angestrengt.696 Es werden also keine Aussagen zu möglichen Obergrenzen der neu zu schaffenden Kreise gemacht. Dieses Defizit dürfte in dem von der Studie verfolgten pauschalen Grundansatz im Gegensatz zu einem aufgabenbezogenen liegen. Insofern wird nicht klar, ob die neuen Kreise tatsächlich ein 692
Dazu soeben Kapitel 8. Nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern wurden Staatsaufgaben kurzerhand als Pflichtaufgaben nach Weisung an die Kreise abgewälzt; Baden-Württemberg und Hessen verfolgten einen ähnlichen Kurs, Ruge: Verwaltungsreformen in den Bundesländern, in: ZG 2006, 129, 132, 135. 694 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, DS 4/1710, S. 130. 695 Seitz: Die ökonomischen und fiskalischen Effekte der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern. 696 s. soeben: B. II. 2. a). 693
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
Höchstmaß an Effizienz ergeben hätten oder insoweit tatsächlich nicht mehr (und nicht weniger) als ein Schritt in die richtige Richtung gegangen worden wäre. Die Problematik, wonach die Wahrnahme eines Kreistagsmandats in ehrenamtlicher Form von zentraler Bedeutung für die demokratische Rückkopplung und die Verzahnung der Bürgerschaft mit ihren Repräsentanten ist, wurde im Gesetzentwurf übergangen. Auch den damit zusammenhängenden Fragen der Überschaubarkeit der neu zu schaffenden Kreisstrukturen wurde kaum Beachtung geschenkt. Tatsächlich wurde die zentrale Bedeutung demokratischer Rückkopplung gerade für Entscheidungen im demographischen Zusammenhang nicht im Ansatz erkannt. 2. Das Urteil des Landesverfassungsgerichts Gegenstand des Verfahrens war lediglich die Gebietsreform. In dieser Hinsicht hat das Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern die richtigen Hinweise gegeben. Unter den Gesichtspunkten der Demographietauglichkeit der Verwaltungsreform war jedoch die Funktionalreform I der zentralere Teil. In dieser Hinsicht schienen die klagenden Landkreise aber keinerlei Probleme zu sehen. Dabei erscheint das Phänomen einer immer weiter schrumpfenden freien Spitze als echtes Problem für die kommunale Selbstverwaltung. Möglicherweise sahen die Landkreise auch schlicht keine Erfolgschancen für eine Verfassungsbeschwerde gegen die Funktionalreform I. Denn wie oben dargestellt handelt es sich bei diesen Fragen eher um politische als um juristisch fassbare. Die Möglichkeiten der Rechtssprechung sind daher eng begrenzt.697 3. Überlegungen nach dem Urteil Nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichts soll nunmehr ein neuer Anlauf für eine Verwaltungsreform unternommen werden. Die neuen Überlegungen orientieren sich an den Vorgaben des Verfassungsgerichts. Hierzu wurden Leitbild und Leitlinien für eine solche Reform definiert.698 Oberziel ist es hiernach, die Verwaltungen in die Lage zu versetzen, auch unter den Bedingungen eines besonders stark ausgeprägten demographischen Wandels wirtschaftlich arbeiten zu können. Dabei wird klargestellt, dass ehrenamtliches Engagement nicht nur weiterhin möglich sein, sondern gestärkt werden solle.699 Aus den Leitlinien geht indes nicht hervor, dass hinsichtlich der Kommunalisie697 698 699
Ausführlich Kapitel 7. Vgl. zu alledem Landtag Mecklenburg-Vorpommern DS 5/1409. Landtag Mecklenburg-Vorpommern DS 5/1409, S. 5.
C. Privatisierung öffentlicher Aufgaben durch die Kommunen
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rung von Aufgaben ein Umdenken dahingehend stattfinden würde, dass die freie Spitze tendenziell entlastet werden sollte. Auch Langfristüberlegungen spielen offenbar keine Rolle.700 Daneben wurde ein Gesamtrahmen für die umfassende Verwaltungsmodernisierung in Mecklenburg-Vorpommern verabschiedet.701 Dieser Gesamtrahmen umfasst u. a. Ausführungen zur Kreisgebietsreform und zur Funktionalreform. Bezüglich letzterer wird klar gestellt, dass eine fortlaufende Aufgabenkritik auf sämtlichen Verwaltungsebenen notwendig ist; des weiteren wird zwar eingefordert, dass die funktionale Zuordnung der zu erledigenden Aufgaben u. a. nach Maßgabe größtmöglicher Wirtschaftlichkeit und Bürgernähe erfolgen muss; jedoch wird auch insoweit keine Langfristperspektive angemahnt. Insoweit scheint sich am grundsätzlichen Problem tatsächlich nichts wesentlich zu ändern.
C. Strategie: Privatisierung öffentlicher Aufgaben durch die Kommunen Die Entlastung der öffentlichen Haushalte und die Aussicht, auf diese Art finanzpolitisch handlungsfähiger zu werden, sind ein wichtiges Privatisierungsmotiv.702 Privatisierungsmaßnahmen stehen insoweit im selben Kontext wie andere Maßnahmen der Verwaltungsmodernisierung auch: Kriterien wie Wirtschaftlichkeit und Effizienz treten als Maßstäbe zur Beurteilung modernen Verwaltungshandelns neben die Kriterien eines erfolgreichen und rechtmäßigen Gesetzesvollzugs; – Rechtsstaatlichkeit wird durch Wirtschaftlichkeit ergänzt. Konkret bedeutet dies, dass die Regeln des Marktes zunehmend Bestandteil des Verwaltungsdenkens werden.703 In diesem Zusammenhang steht der Gedanke, durch privatrechtliche Handlungsformen und Instrumente sowie durch Nutzung privaten Sachverstands bestehende Aufgaben besser bewerkstelligen zu können.704 I. Neues ordnungspolitisches Grundverständnis: Vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat Hinter dem Gedanken einer wirtschaftlicheren Arbeitsweise durch privatrechtliche Handlungsformen verbirgt sich letztlich eine veränderte Gesamtwahrnahme der Stärken und Schwächen staatlicher bzw. privater Aufgabenerledigung. Die Handlungsmaxime der Staatsentlastung ergibt sich demnach nicht nur aus prag700
Vgl. dazu Landtag Mecklenburg-Vorpommern DS 5/1409, S. 8. Landtag Mecklenburg-Vorpommern DS 5/1409, S. 11 ff. 702 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, Vor § 90, Rn. 25. 703 Burgi in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 4. 704 Vgl. exemplarisch Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, Vor § 90, Rn. 28 f. 701
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
matischen, sondern auch aus ordnungspolitischen Erwägungen. Und sie wird flankiert durch die Motivation einer Sicherung und Stärkung privater Freiheitsinteressen bzw. Eigenverantwortung der Bürger und der Wirtschaft. Hieraus resultiert in der Folge ein anderes Staats- und damit auch Verwaltungsverständnis:705 Dem Staat kommt in vielen Bereichen nur noch Gewährleistungsverantwortung zu.706 Er entwickelt sich vom Leistungsstaat hin zum Gewährleistungsstaat, dessen Aufgabe die Überwachung, d.h. die Regulierung,707 privater Aufgabenerfüllung ist.708 II. Folgen der Privatisierung eines Aufgabenbereichs 1. Vorüberlegungen a) Öffentliche Aufgaben als Privatisierungsgegenstand Einer Privatisierung sind nur öffentliche Aufgaben zugänglich, die nicht als Staatsaufgaben zu qualifizieren, sondern vielmehr im Bereich zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre anzusiedeln sind.709 Unter öffentlichen Aufgaben sind solche zu verstehen, an deren Wahrnehmung ein öffentliches Interesse besteht. Nicht privatisierbare Staatsaufgaben sind demgegenüber solche Aufgaben, deren Wahrnehmung als notwendig staatlich angesehen wird.710 b) Aufgabenverantwortung und Aufgabenerfüllung Die Privatisierung711 gibt es nicht; vielmehr lassen sich verschiedene Formen der Privatisierung unterscheiden, die auch unter demographischen Gesichtspunkten eine differenzierte Betrachtungsweise erfordern. Eine solche differenzierte 705 Burgi in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 9; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, Vor § 90, Rn. 26 f. 706 Kahl: Die Privatisierung der Wasserversorgung, in: GewArch 2007, 441, 442 f.; ausführlich zu Gewährleistungs- und Garantenpflichten des Staates Kämmerer: Privatisierungen, S. 474 ff. 707 s. zu den Grundstrukturen des Regulierungsrechts Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 13. 708 Theobald: Aktuelle Entwicklungen des Infrastrukturrechts, in: NJW 2003, 324; Schuppert: Privatisierung und Regulierung – Vorüberlegungen zu einer Theorie der Regulierung im kooperativen Verwaltungsstaat, in: Nettesheim/Schiera (Hrsg.), Der integrierte Staat, S. 51 ff. und S. 54 ff. 709 Exemplarisch Kahl: Die Privatisierung der Wasserversorgung, in: GewArch 2007, 441, 442; Burgi in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 7 und § 6 Rn. 8. 710 Vgl. zur Dogmatik etwa Forster: Privatisierung und Regulierung der Wasserversorgung in Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 87 ff. m.w. N. 711 Zum Begriff „Privatisierung“ ausführlich Kämmerer: Privatisierung, S. 7 ff.
C. Privatisierung öffentlicher Aufgaben durch die Kommunen
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Betrachtungsweise muss am Privatisierungsgrad ansetzen. In diesem Zusammenhang ist zwischen Aufgabenverantwortung und Aufgabenerfüllung zu unterscheiden: Aufgabenverantwortung meint Aufgabeträgerschaft im Sinne einer Letztverantwortung für die tatsächliche Erfüllung der betreffenden Aufgabe. Aufgabenerfüllung ist die eigentliche Ausführung bzw. tatsächliche Wahrnahme der betreffenden Aufgabe. Aufgabenträgerschaft und -erfüllung können auseinander fallen.712 2. Organisationsprivatisierung (formelle Privatisierung) Im Wege der Organisationsprivatisierung bedient sich die öffentliche Hand privatrechtlicher Organisationsformen bei der Durchführung der betreffenden Aufgabe: Die Aufgabenerfüllung wird auf eine Gesellschaft in privater Rechtsform übertragen, deren Alleingesellschafterin die Kommune ist, die nach Maßgabe des GmbHG bzw. des AktG die Aufgabenerfüllung steuert. Die Aufgabenverantwortung bleibt also staatlich, und auch die Aufgabenerfüllung bleibt in öffentlicher Hand, sie wird lediglich unter Verwendung einer privatrechtlichen Organisationsform bewerkstelligt.713 Die Verwendung flexiblerer Handlungsformen und das Wirken (privat-)wirtschaftlich denkender Verantwortungsträger im Unternehmen soll zu mehr Effizienz und damit zu Kosteneinsparungen führen.714 Indes wird die Frage aufgeworfen, inwiefern dies tatsächlich zu realisieren ist.715 Insbesondere bewirkt das Zusammenwirken dem demokratischen Legitimationsgebot unterliegender politischer Kontrolleure einerseits und unternehmerisch denkender Ausführungsverantwortlicher andererseits nicht unerhebliche Steuerungsdefizite.716 Diese ergeben sich in der Praxis aus der mangelnden direkten Einwirkungsmöglichkeit des Gemeinderats auf das privatrechtlich organisierte öffentliche Unternehmen. Seinen Kontrollbefugnissen kann dieser nur indirekt über den Aufsichtsrat des Unternehmens nachkommen.717 Praktische Erfahrungen deuten offenbar daraufhin, dass hierbei erhebliche Reibungsverluste durch eingeschränkte Informationsflüsse auftreten. Dadurch werden öffentliche 712
Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 2. Exemplarisch Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 3; Kahl: Die Privatisierung der Wasserversorgung, in: GewArch 2007, 441, 443; Forster: Privatisierung und Regulierung der Wasserversorgung in Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 92 f.; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, Vor § 90, Rn. 11. 714 Eine Übersicht findet sich bei Henneke: Fünfzig Jahre kommunale Selbstverwaltung unter der Geltung des Grundgesetzes, in: BWGZ 1999, 347, 354 f. 715 Dazu exemplarisch Kahl: Die Privatisierung der Wasserversorgung, in: GewArch 2007, 441, 443. 716 Burgi in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 19. 717 Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 48. 713
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
Kontrollrechte rein faktisch beschränkt. Ein Verlust an Steuerungs- und damit an Gestaltungsfähigkeit des Gemeinderats ist die Folge.718 3. Funktionale Privatisierung719 a) Allgemein Im Rahmen einer funktionalen Privatisierung bleibt die Aufgabenverantwortung ebenfalls in der Hand der Kommune. Allerdings bedient sie sich der Aufgabenerfüllung eines (zumindest partiell von der öffentlichen Hand unabhängigen) privaten Dritten, der beispielsweise besondere Sachkunde und spezifisches Equipment einbringen kann; dieser übernimmt einen vorbereitenden oder durchführenden Teilbeitrag, der zur öffentlichen Aufgabe einen funktionalen Bezug aufweist. Die Kommune kommt ihrer Aufgabenverantwortung mittels entsprechender vertraglicher Festlegungen nach, die kommunale Kontroll- und Weisungsbefugnisse sicherstellen.720 Neben der Verwaltungshilfe im Rahmen der Erledigung nicht hoheitlicher Aufgaben umfasst diese Kategorie auch die Beleihung Privater mit hoheitlichen Kompetenzen.721 Da die Kontrollbefugnisse der öffentlichen Hand im Rahmen einer funktionalen Privatisierung vertraglich festgelegt werden, ist eine generelle Aussage, inwiefern die Kommunen durch derartige Maßnahmen eigenen Gestaltungsspielraum aufgeben, nicht zu treffen. Erforderlich ist eine Einzelfallbetrachtung. Jedoch ist zu befürchten, dass die für die Organisationsprivatisierung festgestellten Gefahren von Reibungsverlusten für die funktionale Privatisierung aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Ungebundenheit des privaten Dritten erst recht vorhanden sein dürften. Denn Unternehmen in privater Hand haben noch weniger Interesse an einer politischen Einflussnahme als Unternehmen in öffentlicher Hand.
718 Langrehr: Die Auswirkungen der Privatisierung gemeindlicher Aufgaben auf die kommunale Selbstverwaltung, in: Frank/Langrehr (Hrsg.), Die Gemeinde, S. 93; ausführlich zur Steuerung und Kontrolle eines solchen Unternehmens Ehlers: Interkommunale Zusammenarbeit in Gesellschaftsform, in: DVBl. 1997, 137, 142 ff., insbesondere S. 145. 719 Andere gängige Bezeichnungen sind Teilprivatisierung, Durchführungs- oder Erfüllungsprivatisierung sowie Dienstleistungsprivatisierung, vgl. Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, Vor § 90, Rn. 16 m.w. N. 720 Forster: Privatisierung und Regulierung der Wasserversorgung in Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 95 ff.; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, Vor § 90, Rn. 16; Maurer: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23, Rn. 62. 721 Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 5.
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b) Speziell: Public Private Partnership Bestimmte Erscheinungsformen werden unter dem Sammelbegriff „Public Private Partnership“ (PPP; öffentlich-private Partnerschaften) zusammengefasst.722 Hierunter ist eine längerfristig angelegte, auf einer gemeinsamen Zielsetzung basierende, arbeits- und risikoteilige Zusammenarbeit öffentlicher und privater Akteure zu verstehen, wobei Letztere einen substantiellen Beitrag der Aufgabenerledigung übernehmen.723 PPP-Projekten kommt wachsende praktische Bedeutung zu.724 PPP bietet den Kommunen offenbar tatsächlich – kurzfristig – Kosteneinsparpotentiale i. H. v. etwa 10%.725 Jedoch liegen PPP-Projekten meist langfristige Verträge zugrunde. Diese können daher Risiken bergen, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch niemand wirklich überblicken kann. Die langfristige Zementierung des betroffenen Aufgabenbereichs bedeutet aber nicht nur ein unüberschaubares Risiko für die Gemeinde, sondern auch eine empfindliche Einschränkung (künftiger) kommunaler Gestaltungsspielräume.726 4. Aufgabenprivatisierung (materielle Privatisierung) Im Rahmen der Aufgabenprivatisierung wird sowohl die Aufgabenverantwortung als auch die Aufgabenerledigung dauerhaft auf einen privaten Dritten übertragen.727 Dem Gemeinderat kommen keinerlei Kontrollbefugnisse mehr zu.728 Der Kommune obliegt allerdings in vielen Fällen noch eine Gewährleistungsverantwortung.729 Dies ist dann der Fall, wenn im Rahmen des betreffenden Aufga722 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, Vor § 90, Rn. 16; Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 6. 723 Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 6. Ein Vorgehen, wonach der Private bloße Annexaufgaben übernimmt, wird als Contracting out oder Outsourcing bezeichnet, Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 5 f. 724 Thormann: PPP/ÖPP als Mittel zur Konsolidierung kommunaler Haushalte? – Das Beispiel Schwimmbäder, in: Gorning/Kramer/Volkmann (Hrsg.), Staat – Wirtschaft – Gemeinde, S. 747 f. 725 Zu einer anderen Auffassung kommt aber der Landesrechnungshof Baden-Württemberg, vgl. Pressemitteilung vom 16. März 2009: Rechnungshof dämpft ÖPP-Euphorie (Internetquelle: http://www.rechnungshof-baden-wuerttemberg.de/inhalt/frame. htm). 726 Thormann: PPP/ÖPP als Mittel zur Konsolidierung kommunaler Haushalte? – Das Beispiel Schwimmbäder, in: Gorning/Kramer/Volkmann (Hrsg.), Staat – Wirtschaft – Gemeinde, S. 760 f. 727 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, Vor § 90, Rn. 13; Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 9. 728 Langrehr: Die Auswirkungen der Privatisierung gemeindlicher Aufgaben auf die kommunale Selbstverwaltung, in: Frank/Langrehr (Hrsg.), Die Gemeinde, S. 94. 729 Maurer: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23, Rn. 63; Burgi in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 38.
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
benbereichs die Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen, möglichst kostengünstigen Leistungen im Interesse des Gemeinwohls sichergestellt werden soll. Diese Gewährleistungsverantwortung schließt neben einer Regulierungsverantwortung730 auch eine notfalls zu aktivierende Auffangverantwortung ein.731 Im Falle des Vorliegens einer Gewährleistungsverantwortung können neue öffentlich-rechtliche Strukturen erforderlich werden, die ihrerseits kostspielig sind. D.h. ein Großteil der durch eine Privatisierung eingesparten Ressourcen wird dadurch aufgezehrt.732 Materielle Privatisierungsmaßnahmen stellen einen Totalrückzug der Kommune aus dem betreffenden Aufgabenbereich dar. Nutzt die Kommune also die durch eine Maßnahme der materiellen Privatisierung geschaffenen Spielräume nicht dadurch, dass sie ein anderes, ähnlich umfangreiches Tätigkeitsfeld erschließt, büßt sie schlicht Gestaltungsspielräume ein und verliert damit eine Möglichkeit der Attraktivitätssteigerung. III. Privatisierungsmaßnahmen zugängliche Aufgabenbereiche Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben sind grundsätzlich sämtlichen Formen der Privatisierung zugänglich, soweit das Sozialstaatsprinzip dem nicht ausnahmsweise entgegensteht. Weisungsfreie Pflichtaufgaben sind lediglich hinsichtlich der Aufgabenerfüllung auf Private übertragbar. Pflichtaufgaben nach Weisung sind grundsätzlich nicht privatisierbar, es sei denn es besteht eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung.733 IV. Fazit zur Demographietauglichkeit einer Privatisierungsstrategie Zu den privatisierbaren öffentlichen Aufgaben zählen v. a. auch solche der Daseinsvorsorge, die den Gegenstand kommunaler Privatisierungsüberlegungen bilden, zugleich aber das zentrale Handlungsfeld der kommunalen Selbstverwaltung darstellen.734 Unter örtlicher Daseinsvorsorge ist dabei das Vorhalten eines nicht abschließend festgelegten Leistungskreises der öffentlichen Verwaltung zur Befriedigung der für eine normale, dem jeweiligen Lebensstandard entsprechende 730
s. dazu oben C. I. Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 10. 732 Burgi in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 38. 733 Ziekow: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 8, Rn. 17. 734 Vgl. Hellermann: Öffentliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, S. 1 ff., 144; Langrehr: Die Auswirkungen der Privatisierung gemeindlicher Aufgaben auf die kommunale Selbstverwaltung, in: Frank/Langrehr (Hrsg.), Die Gemeinde, S. 90; Stern: Staatsrecht, Bd. I, S. 412. 731
C. Privatisierung öffentlicher Aufgaben durch die Kommunen
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Lebensführung erforderlichen Bedürfnisse der Bürger zu verstehen.735 Diese Tatsache legt auf den ersten Blick die Vermutung nahe, dass eine Privatisierungsstrategie vor dem Hintergrund des demographischen Wandels nicht indiziert sein kann. Denn wie sollen neue kommunale Handlungsfelder erschlossen werden können,736 wenn gerade das zentrale Handlungsfeld kommunaler Selbstverwaltung ausgedünnt werden soll? Eine hieb- und stichfeste allgemeingültige Aussage zur Demographietauglichkeit einer Privatisierungsmaßnahme erscheint kaum möglich. Denn nur eine Einzelfallbetrachtung erlaubt klare Aussagen zur Bilanzierung der soeben beschriebenen Verluste an Handlungs- und Lenkungsspielräumen auf der einen und möglicher Gewinne durch neue finanzielle Möglichkeiten auf der anderen Seite. Allerdings lassen sich einige abstrakte Grundaussagen treffen: – Die Steuerungsmöglichkeiten und damit die Möglichkeit der betreffenden Kommune, eigene Akzente zu setzen, nehmen mit dem Privatisierungsgrad ab. – Die Effizienzgewinne, die durch eine Organisationsprivatisierung erzielt werden können, sind in ihrem Umfang ungewiss. Praktische Steuerungsverluste erscheinen hingegen als sicher. – Insbesondere die einer funktionalen Privatisierungsmaßnahme zugrunde liegenden Verträge bedürfen einer genauen Einzelfallanalyse. Dabei sind nicht nur die darin festgelegten kommunalen Kontrollbefugnisse zu analysieren, sondern insbesondere auch die darin angelegten Langfristrisiken, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung, zu beachten. – Aufgabenprivatisierung bedeutet den Totalrückzug der Kommune aus dem betreffenden Aufgabenfeld. Damit bestehen kaum noch politische Gestaltungsmöglichkeiten. Wenn aufgrund einer möglichen Gewährleistungsverantwortung Notfallstrukturen vorgehalten werden müssen, ist der auch finanzielle Nutzen einer solchen zu hinterfragen. Sinn kann eine derartige Komplettentledigung indes dann machen, wenn es sich bei dem betreffenden Aufgabenbereich um einen wenig Identität stiftenden handelt; in diesem Fall muss aber zugleich ein neues Betätigungsfeld erschlossen bzw. erweitert werden. Insgesamt erscheint vor dem Hintergrund der beschriebenen praktischen Erfahrungen eine kritische Würdigung angebracht. Kosten, Nutzen und Risiken sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Klar muss sein: Privatisierungsmaß735 Hellermann: Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, S. 1 f.; v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 106 f.; der Begriff geht zurück auf Ernst Forsthoff: Die Verwaltung als Leistungsträger, S. 6; ders.: Die Daseinsvorsorge und die Kommunen; ders.: Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, S. 370. 736 Vgl. oben A. II.
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
nahmen auf der kommunalen Ebene machen nur dann Sinn, wenn entweder direkt oder im unmittelbaren Gegenzug ein neues kommunales Handlungsfeld erschlossen werden kann und die finanziellen Risiken für die Kommune überschaubar sind.
D. Strategie: Interkommunale Kooperation I. Interkommunale Kooperation als vermeintliches Allheilmittel Im Zusammenhang mit der Bewältigung der Folgen des demographischen Wandels wird interkommunaler Kooperation zentrale Bedeutung beigemessen: „Kooperation ist ein Grunderfordernis für alle Kommunen und insbesondere für die kleineren Gemeinden im ländlichen Raum. Der demographische Wandel und die damit verbunden Risiken einer weiteren Infrastrukturausdünnung und verschärfter ruinöser Konkurrenzen verleiht diesem Erfordernis eine zusätzlich existentielle Dimension. Einzelne ländliche Gemeinden können den Ausdünnungstrend weder bremsen noch die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen treffen.“737
Wanderungsbewegungen werden künftig auch jenseits der Verflechtungsräume der Metropolen zu ähnlichen Herausforderungen führen, wie sie die Suburbanisierung mit sich brachte. Daher werden interkommunale Kooperationen in diesen Räumen künftig nicht nur zwischen Kommunen mit jeweils schrumpfenden oder jeweils wachsenden Bevölkerungszahlen eine wichtige Rolle spielen, sondern auch Kooperationen zwischen Kommunen mit rückläufigen Bevölkerungszahlen einerseits und Kommunen mit Bevölkerungswachstum andererseits notwendig werden lassen.738 In dünn besiedelten ländlichen Räumen werden zur Sicherstellung der Daseinsvorsorge im Zuge des demographischen Wandels zunehmend auch kleinere Städte Aufgaben übernehmen müssen, die in ihrer Wirkung über die Gemeindegrenzen hinausreichen. Derartige räumliche Verflechtungen werden Grundlage verstärkter interkommunaler Kooperation sein.739 Von Schrumpfung besonders stark betroffene Gemeinden sind auf Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden verstärkt angewiesen, um leistungsfähig zu werden bzw. zu bleiben.740 Nicht zuletzt geht es darum, die bei Bevölkerungsrück737 Fahrenkrug/Melzer in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 120. 738 Kocks in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Wegweiser Demographischer Wandel 2020, S. 99 f. 739 Vgl. etwa Kersting: Interkommunale Kooperation oder Wettbewerb?, in: APuZ 21–22/2006, S. 32. 740 Etwa Bose/Wirth: Gesundschrumpfen oder Ausbluten?, in: APuZ 21–22/2006, S. 21; Hollbach-Grömig/Floeting sprechen insoweit von „Wettbewerbsfähigkeit“: Interkommunale Kooperation in der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik, S. 4; die ökonomischen Vorteile bestehen dabei vor allem in Skalenerträgen durch höhere Auslastungen der betreffenden Einrichtungen aber auch darin, Kosten für die Nutzung dieser Einrich-
D. Interkommunale Kooperation
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gang im Zusammenhang mit Infrastrukturkosten auftretenden Kostenremanenzen741 besser zu bewältigen bzw. abzuschwächen. Jedoch fragt sich, inwieweit interkommunale Kooperation ihre Kehrseiten hat und ob sie tatsächlich als uneingeschränkt demographietaugliche Strategie zur Effizienzsteigerung gesehen werden kann. Diese Kehrseite ist Gegenstand der folgenden Erörterungen. II. Demographietauglichkeit interkommunaler Kooperation742 1. Kommunale Handlungsspielräume und demokratische Beteiligung Interkommunale Kooperation muss bestehende kommunale Handlungsspielräume sichern. Zudem erfordern oftmals unpopuläre politische Maßnahmen zur Bewältigung der demographischen Herausforderungen ein hinreichendes Maß an demokratischer Beteiligung der betroffenen Bürger. Nicht selten werden die Kooperationslösungen an sich bereits unpopulär sein. Sollen etwa zwei oder mehr bislang betriebene Schulstandorte zu nur noch einem einzigen zusammengelegt werden, dürfte dies auf nicht unerheblichen Widerstand in der Bevölkerung stoßen. Geschieht ein solcher Zusammenschluss jedoch hinsichtlich „Ob“ und „Wie“ auf freiwilliger Basis bzw. unter Beteiligung der betroffenen Bürger und bietet auch die neue Struktur hinreichend Mitbestimmungsrechte, so dürften notwendige Schritte eher auf Akzeptanz stoßen. Wie stark diese Beteiligung sein muss, hängt vom betroffenen Aufgabenbereich ab: Sollen Einrichtungen der Punktinfrastruktur interkommunal betrieben, d.h. Standpunkte konzentriert werden, wird eine relativ intensive demokratische Beteiligung erforderlich sein. Sollen hingegen Einrichtungen der Netzinfrastruktur gemeinsam betrieben werden, so dürften Kapazitätsreduktionen im Verhältnis dazu weniger emotional diskutiert werden, gehen mit solcherlei Maßnahmen doch kaum Versorgungseinschränkungen einher. In diesem Fall kann eine weniger intensive demokratische Rückkoppelung ausreichend sein. 2. Interdisziplinarität Die demographischen Veränderungen sind vielschichtig. Ihre Bewältigung erfordert entsprechend vielschichtige Lösungen. Interkommunale Zusammenarbeit tungen durch Einwohner anderer Gemeinden – und dies dürfte in vom demographischen Wandel betroffenen Gebieten eine zunehmende Rolle spielen – angemessen aufzuteilen, vgl. Oebbecke in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 29, Rn. 2. 741 s. o. Kapitel 4 D. II. 1. 742 Im Folgenden sollen die allgemeinen Gedanken, die oben unter A. II. ausgeführt sind, lediglich um spezielle Überlegungen im Zusammenhang mit der Betrachtung interkommunaler Kooperation als Strategie ergänzt werden.
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
muss also die Entwicklung interdisziplinärer, ganzheitlicher d.h. integrierter Lösungsansätze ermöglichen.743 Aber auch generell lässt sich die Aussage treffen, wonach integrierte interkommunale Kooperationssysteme insgesamt leistungsfähiger sind als einzelprojektbezogene Ansätze.744 Gefragt sind demnach Kooperationstypen, die nicht nur der isolierten Erledigung einer bestimmten Aufgabe dienen, sondern Querschnittsdenken ermöglichen. III. Bestandsaufnahme: Interkommunale Kooperation im Rahmen des öffentlichen Rechts Zu differenzieren ist zunächst zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Kooperationsformen. In privatrechtlicher Hinsicht stehen den Kommunen gesellschaftsrechtliche Organisationsformen genauso zur Verfügung wie das Instrument des privatrechtlichen Vertrages. Soweit es sich bei den jeweiligen Kooperationsformen um Unternehmen handelt, gelten für diese die Beschränkungen des Gemeindewirtschaftsrechts.745 Interkommunale Kooperation in privatrechtlicher Form setzt die formelle Privatisierung des betreffenden Aufgabenbereichs voraus.746 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen Art. 28 II GG gewährleistet interkommunale Kooperation und steckt zugleich deren Rahmen ab.747 Diesen bildet das Spannungsverhältnis zwischen der Kooperationshoheit als Ausfluss der Organisationshoheit einerseits und dem Örtlichkeitsprinzip andererseits: Für jede der beteiligten Gemeinden muss der Gegen743
Etwa Bose/Wirth: Gesundschrumpfen oder Ausbluten?, in: APuZ 21–22/2006,
S. 23. 744 Hollbach-Grömig/Floeting/v. Kodolitsch/Sander/Siener: Interkommunale Kooperation in der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik, in: DIfU (Hrsg.), DIfU-Materialien, S. 13. 745 Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 21; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 919, 921. 746 Etwa Ehlers: Interkommunale Zusammenarbeit in Gesellschaftsform, in: DVBl. 1997, 137, 138; hinsichtlich der in Frage kommenden privatrechtlichen Formen der Zusammenarbeit sowie hinsichtlich einer Einschätzung deren Demographietauglichkeit kann auf oben (C.) verwiesen werden. 747 Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 394 f.; Gönnenwein: Gemeinderecht, S. 391; Schmidt-Jortzig, der die Kooperationsfreiheit sehr umfassend versteht: Kooperationshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände, in: v. Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft, S. 527 ff.; v. Mutius: Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungs- und Entfaltungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewährleisten? – Gutachten E zum 53. Deutschen Juristentag 1980, S. 139; indirekt: BVerfGE 26, 228, 239; BVerfG NVwZ 1987, 123, 123 f.; Bbg VerfG DVBl. 2000, 981, 983.
D. Interkommunale Kooperation
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stand der Kooperation folglich grundsätzlich eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft sein. Von diesem Grundsatz kann der Gesetzgeber allerdings Ausnahmen machen; denn die kommunale Selbstverwaltungsgarantie steht unter dem Vorbehalt des Gesetzes. In der Praxis ist dies durch die Landesgesetze über kommunale Zusammenarbeit geschehen.748 Aufgrund des Demokratieprinzips darf sich interkommunale Zusammenarbeit aber immer nur auf einzelne Aufgabenbereiche oder Aufgabengruppen beziehen und nicht Ausmaße annehmen, die den gewählten Gemeinderäten faktisch ihr Kontrollrecht entziehen würden.749 Grenzen interkommunaler Kooperationsmöglichkeiten können sich ferner aus der zwingenden Kompetenzordnung des Grundgesetzes ergeben. Insbesondere Hoheitskompetenzen dürfen nicht auf zwischengemeindliche Strukturen übertragen werden, es sei denn es besteht insoweit eine ausdrückliche Ermächtigung.750 2. Typen interkommunaler Zusammenarbeit Welche Typen interkommunaler Zusammenarbeit Städten und Gemeinden zur Verfügung stehen, entscheidet sich nach den Landesgesetzen über kommunale Zusammenarbeit. Es herrscht Typenzwang.751 Im Folgenden soll ein Überblick über die jeweils vorgesehenen Formen interkommunaler Kooperation gegeben werden. a) Arbeitsgemeinschaften Die Errichtung einer einfachen Arbeitsgemeinschaft erfolgt durch öffentlichrechtlichen Vertrag gem. § 54 S. 1 VwVfG. Sie dient einem institutionalisierten regelmäßigen Informations- und Meinungsaustausch, besitzt keine Rechtspersönlichkeit und bewirkt keine nennenswerten Rechtsfolgen. Insbesondere können auf eine Arbeitsgemeinschaft keine Zuständigkeiten mit Befugnissen zur eigenverantwortlichen Wahrnahme kommunaler Aufgaben übergehen, und sie kann infolgedessen auch keine für die Beteiligten verbindlichen Beschlüsse fassen; diese sind lediglich als unverbindliche Empfehlungen oder Anregungen zu verstehen. In einigen Ländern ist die Errichtung einer einfachen Arbeitsgemeinschaft nicht ausdrücklich geregelt. Dennoch ist sie überall zulässig.752 748
Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 922. Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 395. 750 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 924. 751 Burgi: Kommunalrecht, S. 297; Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 396. 752 Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 25; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 108; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 119; Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 395. 749
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
Auch auf die besondere Arbeitsgemeinschaft gehen keine Zuständigkeiten über. Sie ist vergleichbar mit der BGB-Innengesellschaft. Wie diese entfaltet sie keine (direkten) Außenwirkungen, jedoch sind die Beteiligten im Unterschied zur einfachen Arbeitsgemeinschaft an die gefassten Beschlüsse gebunden und müssen diese auch Dritten gegenüber umsetzen. Sie findet nur in Bayern und Thüringen eine gesetzliche Grundlage. Aufgrund ihrer internen Bindungswirkungen hat sie im Gegensatz zur einfachen Arbeitsgemeinschaft Auswirkungen auf das kommunale Organisationsgefüge und ist infolgedessen unzulässig, wenn nicht eine explizite gesetzliche Grundlage besteht.753 Zur Gründung sind ein schriftlicher Gründungsvertrag sowie die Anzeige an die Kommunalaufsicht erforderlich. Besondere Arbeitsgemeinschaften dienen insbesondere der Abstimmung von Planungen und von öffentlichen Einrichtungen; zudem werden gemeinsame Flächennutzungspläne (§ 204 BauGB) vorbereitet.754 b) Zweckverbände Sämtliche Gemeindeordnungen sehen das Rechtsinstitut des Zweckverbands vor.755 Hierunter ist eine rechtsfähige Verbandskörperschaft756 des öffentlichen Rechts757 unter maßgebender Beteiligung kommunaler Körperschaften758 zur Erfüllung einzelner759 ihr übertragener kommunaler Aufgaben760 zu verstehen. Or753
Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 26. Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 930. 755 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 934. 756 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 44; Schmidt spricht insoweit von einer Personalkörperschaft: Kommunale Kooperation, S. 29; entscheidend erscheint die Abgrenzung zu den Gebietskörperschaften, die über ein abgegrenztes, meist zusammenhängendes Gebiet verfügen und dort grundsätzlich umfassende Herrschaftsgewalt ausüben, vgl. dazu Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 29. 757 Vgl. dazu Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 30. 758 Neben diese Primärmitglieder können Sekundärmitglieder, also andere Hoheitsträger und auch Personen des Privatrechts, treten, Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 407; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 934. 759 Entscheidend ist, dass die kommunale Selbstverwaltungsgarantie nicht durch eine unbestimmte Aufgabenübertragung auf Zweckverbände ausgehöhlt wird; hiervor schützt das Bestimmungserfordernis, vgl. Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 121; solange sie hinreichend bestimmt sind, können demnach auch Bündel einzelner Aufgaben übertragen werden, vgl. Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 406; Oebbecke in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 29, Rn. 29. 760 Freiwillige Aufgaben und weisungsfreie wie weisungsgebundene Pflichtaufgaben, Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 45; die übernommenen Aufgaben müssen solche sein, die in den Zuständigkeitsbereich der Mitglieder fallen, denn der Aufgabenkreis des Zweckverbandes kann nicht weiter reichen als der seiner die Aufgaben übertragenden Mitglieder, Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 31; 754
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gane des Zweckverbands sind die Verbandsversammlung und der Verbandsvorsitzende.761 Ein Zweckverband entsteht durch Abschluss eines koordinationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Vertrages i. S. d. § 54 S. 1 VwVfG zwischen den beteiligten Körperschaften. Dadurch gehen auf ihn die Kompetenzen seiner Mitglieder hinsichtlich der Aufgabe bzw. Aufgabengruppe über, zu deren Erfüllung er gegründet worden ist (Funktionennachfolge). Er kann daher an Stelle seiner Mitglieder Verwaltungsakte und Satzungen erlassen. Zu unterscheiden sind der Freiverband und der Pflichtverband.762 (1) Freiverband Die meisten Zweckverbände werden auf freiwilliger Grundlage als Freiverbände gegründet.763 Gründungsvoraussetzungen sind die einstimmige Verabschiedung und Unterzeichnung einer Verbandssatzung mit gesetzlich festgelegtem Mindestinhalt, Genehmigung dieser Satzung durch die Rechtsaufsichtsbehörde sowie die öffentliche Bekanntmachung der Verbandssatzung und der Genehmigung.764 (2) Pflichtverband Im Rahmen der Erledigung weisungsfreier Pflichtaufgaben (pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben), Pflichtaufgaben nach Weisung und Auftragsangelegenheiten (Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises) können die betroffenen Körperschaften durch die Rechtsaufsichtsbehörde zur Bildung eines Pflichtverbandes innerhalb einer bestimmten Frist aufgefordert oder, falls die aufgegebene Verbandsgründung ausbleibt, zu einem solchen zusammengeschlossen werden.765 Als Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie unterliegt ein solcher Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 121; zu beachten sind etwaige Kooperationsverbote, vgl. Oebbecke in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 29, Rn. 23. 761 Vgl. zu den Organen ausführlich Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 60 ff. 762 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 934 f.; Burgi: Kommunalrecht, S. 298 f.; Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 406. 763 Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 406. 764 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 937; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 49; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 122. 765 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 50; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 123;
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Zusammenschluss denselben Voraussetzungen wie jeder andere Eingriff auch.766 Demnach muss die Bildung eines Zwangsverbandes aus Gründen des Allgemeinwohls erforderlich sein.767 Dem entspricht das Erfordernis dringender Gründe des öffentlichen Wohls.768 Dringend bedeutet, dass eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht gesichert ist und dass die zu erwartenden Nachteile schwerwiegend wären, würde die Aufgabenerfüllung unterlassen.769 Einzelne Zwecksverbandsmitglieder können – auch gegen den Willen der übrigen Beteiligten – ausscheiden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die Auflösung des Zweckverbandes ist entweder durch Beschluss der Verbandsversammlung (qualifizierte Mehrheit) oder zwangsweise durch die Rechtsaufsichtsbehörde möglich.770 c) Öffentlich-rechtliche Vereinbarung Auch die öffentlich-rechtliche Vereinbarung (andere Bezeichnungen: Zweckvereinbarung oder Verwaltungsvereinbarung771) kommt durch einen Norm setzenden, koordinationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Vertrag gem. § 54 S. 1 VwVfG zwischen Gemeinden, Landkreisen und in manchen Bundesländern weiteren Körperschaften des öffentlichen Rechts zustande.772 Dieser ist schriftlich abzuschließen und bedarf der Genehmigung durch die Rechtsaufsichtsbehörde. Es entsteht jedoch keine neue Körperschaft oder andere Institution.773 Vielmehr ist die öffentlich-rechtliche Vereinbarung hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen zwischen der allgemeinen Arbeitsgemeinschaft und dem Zweckverband einzuordnen.774 Folgerichtig entstehen auch keine neuen Organe; den beteiligten Körper-
Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 406; vgl. etwa die Regelung in § 11 I, II GKZ BW. 766 VerfGH NW DVBl. 1979, 668, 669. 767 Vgl. dazu oben Kapitel 7 A. II. 768 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 936; Rengeling in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 38, S. 406; vgl. etwa § 11 I GKZ BW. 769 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 936; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 50. 770 Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 123; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 70 ff. 771 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 945; Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 26. 772 In Niedersachsen gibt es dieses Institut nicht, Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 945. 773 Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 134 f.; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 945 ff. 774 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 945.
D. Interkommunale Kooperation
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schaften sind aber Anhörungs-, Zustimmungs- oder sonstige Mitwirkungsrechte eingeräumt. Da die öffentlich-rechtliche Vereinbarung keinen organisatorischen Vorschriften unterworfen ist, ist sie besonders flexibel und gilt als sehr praxisnah. Auch das Treffen einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung kann in manchen Ländern im Falle eines öffentlichen Bedürfnisses durch die Rechtsaufsichtsbehörde verpflichtend veranlasst werden.775 Zu unterscheiden sind die delegierende und die mandatierende Vereinbarung.776 (1) Delegierende Vereinbarung Im Rahmen einer delegierenden Vereinbarung übernimmt eine der beteiligten Körperschaften die Zuständigkeit für einzelne Aufgaben von den übrigen Beteiligten in ihre eigene Zuständigkeit.777 Die übernehmende Kommune ist damit alleinige Aufgabenträgerin; die abgebende Kommune ist von der Erledigung der betreffenden Aufgabe befreit.778 (2) Mandatierende Vereinbarung Im Rahmen der mandatierenden Vereinbarung verpflichtet sich eine der beteiligten Körperschaften lediglich zur Durchführung einzelner Aufgaben:779 Die Inhaberin (Mandantin) erteilt einer anderen Körperschaft (Mandatarin) die Befugnis zur Ausübung der Zuständigkeit in ihrem Namen; insoweit ist die mandatierende Vereinbarung mit einer Vollmachtserteilung vergleichbar. Am Zuständigkeitskatalog ändert sich nichts.780 d) Verwaltungsgemeinschaften Verwaltungsgemeinschaften obliegt die Wahrnahme von (zumeist technischen) Verwaltungsaufgaben der ihnen angehörenden Gemeinden. Zweck ist die Steigerung der Leistungsfähigkeit kleiner und mittlerer Gemeinden; zugleich soll deren institutionelle und politische Identität und Eigenständigkeit gewahrt bleiben.781
775 Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 119, 134 f.; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 945 ff.; Burgi: Kommunalrecht, S. 299. 776 Burgi: Kommunalrecht, S. 299. 777 Burgi: Kommunalrecht, S. 299. 778 Flasnöcker: Typische Rechtsformen der interkommunalen Zusammenarbeit nach BayKommZG und EStärkG, S. 31 f. 779 Burgi: Kommunalrecht, S. 299. 780 Flasnöcker: Typische Rechtsformen der interkommunalen Zusammenarbeit nach BayKommZG und EStärkG, S. 32. 781 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 88.
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
In den Ländern wurden vielgestaltige Formen von Verwaltungsgemeinschaften entwickelt.782 In der Regel sind sie juristische Personen des öffentlichen Rechts mit eigenem Verwaltungsapparat. In Baden-Württemberg gibt es mit dem Gemeindeverwaltungsverband und der vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft zwei Typen der Verwaltungsgemeinschaft, die sich hinsichtlich des Bestehens bzw. Nichtbestehens eigener Rechtspersönlichkeit unterscheiden. In manchen Ländern gibt es die Variante, dass Verwaltungsgemeinschaften keinen eigenen Verwaltungsapparat haben, sondern den einer ihrer Mitgliedsgemeinden nutzen.783 Verwaltungsgemeinschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit sind als Sonderform des Zweckverbandes zu verstehen. Solche ohne eigene Rechtspersönlichkeit sind eine Sonderform der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung.784 e) Stadt-Umland-Verbände Stadt-Umland-Verbände existieren in vielfältigen Formen und beruhen allesamt auf Spezialgesetzen.785. Nach Schliesky lassen sie sich allgemein als „irgendwie verfestigte Organisationsstruktur in Stadt-Umland-Verdichtungsräumen zur kooperativen Erledigung von Verwaltungsaufgaben unter Wahrung der rechtlichen Eigenständigkeit der beteiligten Gebietskörperschaften“786 definieren. Sie bewerkstelligen typischerweise in städtischen Ballungsräumen Exekutiv- und Planungsaufgaben, die über die Kompetenzen der Zentralstadt hinausgehen.787 Zweck dieser verwaltungsorganisatorischen Einheiten ist die Bewältigung von Problemen, die nicht zuletzt durch die Suburbanisierung entstehen.788 782 Entsprechend vielgestaltig sind deren Bezeichnungen: Gemeindeverwaltungsverband bzw. vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft (Baden-Württemberg), Verwaltungsgemeinschaft (Bayern, Sachsen-Anhalt, Thüringen), Amt (Brandenburg), Gemeindeverwaltungsverband bzw. Verwaltungsgemeinschaft (Hessen), Amt bzw. Verwaltungsgemeinschaft (Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein), Samtgemeinden (Niedersachsen), Verbandsgemeinden (Rheinland-Pfalz), Verwaltungsgemeinschaft bzw. Verwaltungsverband (Sachsen); vgl. die ausführlichen Darstellungen bei Wolff/Bachof/ Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 90 ff.; Dittmann in: Achterberg/Püttner/ Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 130 ff.; Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 949 ff. 783 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 89. 784 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 948; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 91 f. 785 Exemplarisch Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 964. 786 Schliesky in: Mann/Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 30, Rn. 9. 787 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 964; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 110; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 127; Wagener in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 39, S. 414. 788 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 110; eine Auflistung typischer Stadt-Umland-Probleme findet sich bei Wagener in: Püttner (Hrsg.), Handbuch
D. Interkommunale Kooperation
205
Sämtliche praktisch in der Bundesrepublik verwirklichten Stadt-Umland-Verbandstypen sind je nach Regelungsgrad der Organisation der Stadt-Umland-Verflechtungen als Mischtypen zweier Extreme zu verstehen: Die Bandbreite erstreckt sich von der verwaltungsorganisatorisch mit den Gebietskörperschaften ihres Umlandes völlig unverbundenen kreisfreien Kernstadt hin zu einer solchen, in die sämtliche Gebietskörperschaften des Umlandes eingemeindet worden sind.789 Je lockerer die organisatorische Verbindung ist, desto weniger wird den vielfältigen Verflechtungen des betreffenden Raums Rechnung getragen; – je enger die organisatorische Verbindung mit der Kernstadt ist, desto besser werden Stadt-Umland-Probleme gelöst, desto weniger werden aber gleichzeitig die Teilinteressen der Umlandkörperschaften berücksichtigt und desto schwerwiegender ist der Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG.790 Heute lassen sich anhand des Organisationsgrads und der Art und Anzahl der wahrgenommenen Aufgaben vier Typen öffentlich-rechtlich organisierter StadtUmland-Verbände unterscheiden:791 – Den höchsten Organisationsgrad weisen eigenständige Gebietskörperschaften als Gemeindeverbände i. S. d. Art. 28 II GG auf. Hierzu zählen der Verband Region Hannover und der Stadtverband Saarbrücken. – Das Zweckverbandsmodell ist öffentlich-rechtliche Körperschaft ohne Gebietshoheit. Dieser Typus liegt beispielsweise dem Zweckverband Braunschweig, dem Regionalverband Ruhr und der Region Stuttgart zugrunde. – Regionalplanungsverbände sind etwa der Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main und die Region München. Hierzu zählen zudem die Nachbarschaftsverbände Baden-Württembergs. – Daneben gibt es bloß informelle, gesetzlich nicht geregelte Formen der Zusammenarbeit.
der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 39, S. 414 f.; ausführlich: Müllers: Stadt-Umland-Planung – Möglichkeiten und Grenzen der rechtlichen Einbindung von Stadt-Umland-Problemen, S. 1 bis 34. 789 Wagener in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, § 39, S. 419; Müllers: Stadt-Umland-Planung – Möglichkeiten und Grenzen der rechtlichen Einbindung von Stadt-Umland-Problemen, S. 35 f. 790 Müllers: Stadt-Umland-Planung – Möglichkeiten und Grenzen der rechtlichen Einbindung von Stadt-Umland-Problemen, S. 35 ff. 791 Vgl. Schliesky in: Mann/Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 30, Rn. 16.
206
Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
f) Höhere Kommunalverbände Höhere Kommunalverbände lassen sich als zum Zwecke der Selbstverwaltung bestimmter Landschaften einen größeren Raum abdeckende, aus Kommunen bestehende Verbände definieren, deren Reichweite, Verwaltungskraft und Fachkompetenz über die der Städte und Gemeinden sowie der Landkreise hinausgehen.792 Auch sie beruhen durchweg auf spezialgesetzlicher Grundlage.793 Landschaftsverbände794 sind an historisch gewachsenen Landschaften ausgerichtete öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften mit eigenem Wirkungskreis. Dieser besteht hauptsächlich aus Sozialaufgaben.795 Der Landeswohlfahrtsverband Hessen und die Kommunalen Sozialverbände Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns sind überörtliche Träger der Sozialhilfe. Der Kommunalverband Jugend und Soziales in Baden-Württemberg796 ist überörtlicher Träger der Sozialhilfe, der Jugendhilfe sowie der Kriegsopferfürsorge. Er ist als Mischform aus höherem Kommunalverband und Zweckverband zu begreifen.797 Die beschriebenen Verbände erstrecken sich jeweils auf das gesamte Landesgebiet.798 Die zwischenzeitliche Diskussion um die Ersetzung der Landkreise und Regierungsbezirke durch an Wirtschaftsregionen orientierte regionale Gebietskörperschaften mit Verbandscharakter ist abgeebbt. Derartige Regionalverwaltungen sollten insbesondere Träger der Regionalplanung werden. Die Idee einer Regionalplanung wurde vielfach umgesetzt, wird aber in den meisten Bundesländern durch Behörden der Landkreise oder Regierungsbezirke bewerkstelligt. Lediglich in Baden-Württemberg wurden als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierte Regionalverbände etabliert. Daneben gibt es in Baden-Württemberg Nach792 Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 965; Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 116; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 127. 793 Vgl. Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 116. 794 Landschaftsverbände Rheinland, Westfalen-Lippe, Bayerische Bezirke, Bezirksverband Pfalz, Ostfriesische Landschaft, vgl. ausführlich Hörster in: Mann/Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 31, Rn. 11 ff. 795 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 116; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 138. 796 Die Landeswohlfahrtsverbände Baden und Württemberg-Hohenzollern in BadenWürttemberg wurden durch Art. 177 des Verwaltungsstrukturreformgesetzes zum 31.12.2004 aufgelöst, § 1, seine Aufgaben wurden durch § 2 auf Stadt- und Landkreise sowie den nach Art. 178 des Gesetzes als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründeten Kommunalverband für Jugend und Soziales übertragen, vgl. GBl. BW 2004, S. 469 ff. 797 Hörster in: Mann/Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 31, Rn. 67. 798 Vgl. dazu jeweils ausführlich Hörster in: Mann/Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 31, Rn. 53 ff., 65 ff.; 75 ff.; 79 ff.
D. Interkommunale Kooperation
207
barschaftsverbände799 ohne eigene Verwaltung, die sich aus bestimmten Städten und deren Umland zusammensetzen.800 3. Systematisierungsversuch der Typen interkommunaler Zusammenarbeit nach Aufgabenbestand und dem Grad rechtlicher Verselbständigung a) Entwicklung einer Kooperationstypenmatrix Die gesetzlich vorgesehenen Typen interkommunaler Kooperation zeichnen sich durch eine unterschiedliche Intensität der rechtlichen Bindung der beteiligten Partner sowie durch die Anzahl der von der Kooperationsstruktur zu bewältigenden Aufgaben aus. Es ist insoweit zwischen Typen einer formalisierten Zusammenarbeit in Körperschaftsform mit einem hohen Maß an Verbindlichkeit und solchen Typen zu unterscheiden, die lediglich interne Bindungswirkungen entfalten. Hinsichtlich der Anzahl der zu bewältigenden Aufgaben ist zwischen Strukturen zur Erledigung von Einzelaufgaben und solchen zur Erledigung von Aufgabenbündeln zu differenzieren. Ausgehend von der Annahme, dass Kooperationsgebilde ohne nennenswerte rechtliche Bindungswirkung keiner gesonderten Regelung bedürfen, lässt sich folgende Kooperationstypenmatrix erstellen: Tabelle 8 Kooperationstypenmatrix Interne Bindungswirkung
Körperschaftliche Struktur
Einzelaufgabenverband
Typ 1
Typ 2
Mehrfachaufgabenverband
Typ 3
Typ 4
Quelle: Eigene Darstellung.
b) Systematisierung der Kooperationstypen anhand der Kooperationstypenmatrix Öffentlich-rechtliche Vereinbarungen801 betreffen einzelne Aufgaben und bewirken keine formalisierte Zusammenarbeit. Durch die Möglichkeiten der dele799 Diese bestehen gem. § 1 des Nachbarschaftsverbandsgesetzes (NVerbG) in den Bereichen Heidelberg/Mannheim, Karlsruhe, Pforzheim, Reutlingen/Tübingen und Ulm jeweils als Körperschaft des öffentlichen Rechts; gem. § 4 NVerbG sind diese Träger der vorbereitenden Bauleitplanung; s. zudem bereits soeben: D. III. 2. e). 800 Wolff/Bachof/Stober: Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 96, Rn. 127; Dittmann in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, § 18, S. 146. 801 Vgl. oben: D. III. 2. c).
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
gierenden und der mandatierenden Vereinbarung wird hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen nochmals abgestuft, was ein Zusammenwachsen zusätzlich befördert. Die öffentlich-rechtliche Vereinbarung entspricht dem Anforderungsprofil des Typs 1. Wie die öffentlich-rechtliche Vereinbarung kann sich die Zusammenarbeit i. R. e. Zweckverbands802 lediglich auf einzelne Aufgaben beziehen. Im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Vereinbarung erfolgt die Kooperation hier jedoch innerhalb formalisierter Strukturen und entspricht insoweit dem Kooperationstyp 2. Verwaltungsgemeinschaften bzw. die entsprechenden Kooperationstypen anderer Bezeichnung803 betreffen die Erledigung nicht nur einzelner, sondern einer Mehrzahl von Aufgaben. Meist kommt ihnen eigene Rechtspersönlichkeit zu, sodass sie dem Grundtypus 4 entsprechen. Lediglich in Baden-Württemberg steht neben dem Gemeindeverwaltungsverband als Sonderform des Zweckverbands auch die Form der vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft als Sonderform der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zur Verfügung. Damit werden in Baden-Württemberg sowohl Typ 3 als auch Typ 4 umgesetzt. Stadt-Umland-Verbände804 in Form eigenständiger Gebietskörperschaften übernehmen meist die Aufgaben der betroffenen Landkreise und daneben zusätzliche (Regional-)Planungsaufgaben. Dieses Modell entspricht als Gebietskörperschaft zwar auf den ersten Blick dem Grundtypus 4. Jedoch unterscheidet ihn von diesem, dass er zwar auch ein Verband kommunaler Körperschaften ist, seine Mitglieder jedoch die Bewohner des von ihm umfassten Gebietes sind. Im Gegensatz zu den Landkreisen gehen derartige Verbände indes auf herkömmliche Formen interkommunaler Zusammenarbeit zurück, die beteiligten Kommunen schließen sich also aus freien Stücken zusammen, die Gründung der Gebietskörperschaft geschieht auf ihren Wunsch. Insofern sind sie – anders als die Landkreise – als Formen interkommunaler Kooperation anzusehen und insoweit auch dem Grundtypus 4 zuzuordnen.805 Soweit Stadt-Umland-Verbände dem Zweckverbandsmodell folgen, sei auf die entsprechenden Ausführungen von soeben verwiesen. Regionalplanungsverbänden kommen ausschließlich Planungskompetenzen zu; auch sie sind als öffentlich-rechtliche Körperschaften ohne Gebietshoheit in die Nähe von Zweckverbänden zu rücken und entsprechen wie diese dem Grundtypus 2.
802
Vgl. oben: D. III. 2. b). Vgl. oben: D. III. 2. d). 804 Vgl. oben: D. III. 2. e). 805 Zu den Formen mittelbarer Staatsverwaltung im Allgemeinen und zur dogmatischen Einordnung von (Gebiets-)Körperschaften im Speziellen, vgl. nur Maurer: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23. 803
D. Interkommunale Kooperation
209
Tabelle 9 Kooperationstypensystematik Formalisierte Strukturen Keine nennens- Interne Bindungswirkung werten rechtlichen BindungsKörperschaften Gebietskörperwirkungen schaften Einzelaufgabenverband
Öffentlich-rechtli- Zweckverband che Vereinbarung
Mehrfach- Arbeitsgemeinaufgaben- schaft verband
Vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft in Baden-Württemberg
VerwaltungsRegelfall des gemeinschaften Stadt-Umlandbzw. in Baden- Verbands Württemberg: Gemeindeverwaltungsverband
Quelle: Eigene Darstellung.
IV. Die Kehrseite interkommunaler Kooperation 1. Einschränkung kommunaler Selbstverwaltungsbefugnisse Das Eingehen zwischengemeindlicher Kooperationsverhältnisse bietet nicht nur Vorteile.806 Letzteren stehen insbesondere Einschränkungen der kommunalen Selbstverwaltungsbefugnisse gegenüber: Im Falle der Kooperationstypen 1 und 3 bedeutet interkommunale Kooperation den Verlust der alleinigen Entscheidungsmöglichkeit und damit erhöhten Koordinationsbedarf mit den beteiligten Kommunen. Im Falle der Typen 2 und 4 wird die Kompetenz zur Wahrnahme der betreffenden Aufgabe auf eine neue selbständige Körperschaft des öffentlichen Rechts übertragen. Die entsprechenden Entscheidungsbefugnisse liegen also nicht mehr beim – direkt gewählten – Gemeinderat der jeweiligen Mitgliedsgemeinden, sondern bei einer neuen – meist nur mittelbar legitimierten – Entscheidungsstruktur. In beiden Fällen sind die betroffenen Kommunen nicht mehr jeweils alleinige Aufgaben- und damit Entscheidungsträger, was in jedem Fall einen Verlust an Eigenverantwortlichkeit bedeutet.807 Folge ist also letztlich die 806
Vgl. dazu auch bereits oben D. II. 1. Dieser erstreckt sich dabei auch auf die Aufgabengewichtung: Stand die Aufgabe bislang in Konkurrenz zu den übrigen kommunalen Aufgaben, ist sie nunmehr von diesen isoliert, genießt eine Sonderstellung; eine flexible Entscheidung über eventuelle Umschichtungen im Rahmen des Ressourceneinsatzes zwischen den verschiedenen Aufgabenfeldern ist damit im Hinblick auf die ausgegliederte Aufgabe nicht mehr möglich, Oebbecke in: Mann/Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 29, Rn. 5. 807
210
Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
Ausdünnung demokratischer Rückkopplung.808 Die Öffentlichkeit der Bürger interessiert sich kaum für die Vorgänge im Rahmen interkommunaler Kooperationen.809 Einige Überlegungen im Zusammenhang mit der Aufgabenübertragung auf Zweckverbände sollen verdeutlichen, wie dieser Verlust an Integrationsfähigkeit im Einzelnen aussieht: So können Bürger der verbandsangehörigen Gemeinden nicht direkt auf die personelle Zusammensetzung der Verbandsversammlung Einfluss nehmen, die demokratische Legitimationskette wird damit länger.810 Auch der Einfluss der Gemeinde wird geringer, stellt sie doch nur einen Teil der Mitglieder der Verbandsversammlung. Zu diesem rechtlich-strukturell bedingten Einflussverlust der Gemeinde kommt ein faktischer Verlust an Kontrollmöglichkeiten hinzu: Innerhalb der Zweckverbände entsteht eine Fachbürokratie, die bislang bei den Mitgliedsgemeinden angesiedelt war, bei gleichzeitigem Verlust des dafür erforderlichen Fachpersonals in den Kommunen. Dadurch bedingte Informationsdefizite bewirken den faktischen Verlust von Kontrollmöglichkeiten der Gemeinden.811 Etliche weitere Faktoren wie die fehlende Fraktionsbildung in den Verbandsversammlungen und die geringe Sitzungsfrequenz verstärken die beschriebenen Effekte weiter.812 2. Aufgabe von Wettbewerbsvorteilen Interkommunale Kooperation ist gleichbedeutend mit der Ausschaltung interkommunalen Wettbewerbs im betreffenden Aufgabenbereich. Aus Sicht der relativ starken Kommunen, die also im Vergleich zu den übrigen Kommunen bislang einen Wettbewerbsvorteil besaßen, heißt interkommunale Kooperation daher auch, eben diese Wettbewerbsvorteile aufzugeben. Die betreffenden Kommunen werden dies freiwillig nur tun, wenn sie dafür im Gegenzug einen mindestens gleichwertigen Vorteil erhalten werden.813
808 Ehlers: Interkommunale Zusammenarbeit in Gesellschaftsform, in: DVBl. 1997, 137, 139. 809 Vgl. zu alledem Hollbach-Grömig/Floeting: Interkommunale Kooperation in der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik, S. 4. 810 Bovenschulte: Gemeindeverbände als Organisationsformen kommunaler Selbstverwaltung, S. 416. 811 Vgl. Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 11. 812 Ein Überblick findet sich bei Bovenschulte: Gemeindeverbände als Organisationsformen kommunaler Selbstverwaltung, S. 416 f.; speziell zur fehlenden Fraktionsbildung und geringen Sitzungsfrequenz: Oebbecke: Zweckverbandsbildung und Selbstverwaltungsgarantie, S. 46 f. 813 Vgl. Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 13 f.
D. Interkommunale Kooperation
211
V. Fazit zur Demographietauglichkeit interkommunaler Kooperation 1. Kommunale Handlungsspielräume und demokratische Teilhabe a) Interkommunale Kooperation nicht in jedem Fall demographietauglich Interkommunale Kooperation kann unbestritten zu mehr Effizienz beitragen. In vielen Fällen können (nur) auf diese Art kommunale Handlungsspielräume gesichert werden. Jedoch muss auch die Kehrseite der Medaille beachtet werden: Interkommunale Kooperation bedeutet in jedem Fall zugleich die Einbuße eigener Entscheidungsspielräume und damit auch eigener Gestaltungsfreiheit. Es wird dadurch schwieriger, kommunale Identität zu stiften. Insofern ist interkommunale Kooperation zwar als in vielen Fällen richtig und demographietauglich, ja als geradezu überlebensnotwendig einzustufen. Jedoch muss dies nicht in jedem Falle gelten, sodass auch diesbezüglich Einzelfallbetrachtungen angebracht erscheinen. b) Demokratische Beteiligung (1) Verfassungsrechtliche Anforderungen: Demokratische Legitimation Sämtliche staatliche Gewalt muss vom Volk ausgehen, also demokratisch legitimiert sein.814 Entscheidend ist insoweit, dass eine effektive Mitbestimmungsmöglichkeit i. S. e. bestimmten Legitimationsniveaus gewährleistet wird. Dazu kann eine ununterbrochene Legitimationskette der Entscheidungsträger ausreichen; nicht jeder einzelne Amtsträger muss unmittelbar vom Volk gewählt werden.815 Für die Volksvertretungen in Gemeinden und Landkreisen schreibt Art. 28 I 2 GG deren Besetzung im Wege allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahlen vor. Dies hat seinen Grund in der Ausgestaltung der Kommunen als Gebietskörperschaften, die als solche auf ihrem Gebiet staatliche Gewalt ausüben, folglich sämtliche Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft816 weisungsfrei erledigen.817 Aus diesem Grunde ist es auch verfassungsrechtlich zwingend, solche Stadt-Umland-Verbände, die als Gebietskörperschaft organisiert sind, mit einer gewählten Volksvertretung auszustatten.818 814
Demokratieprinzip, Art 20 I, II GG. BVerfGE 83, 60, 72 ff.; 93, 37, 66 ff.; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 20, Rn. 41 ff. 816 s. dazu oben Kapitel 7 A. I. 817 Etwa Degenhart: Staatsrecht I, Rn. 26. 818 Vgl. Schliesky in: Mann/Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, § 30, Rn. 19. 815
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
Zweckverbände hingegen sind zwar Körperschaften des öffentlichen Rechts, jedoch keine Gebietskörperschaften, sodass das Universalitätsprinzip gerade nicht gilt. Sie sind lediglich für einzelne Aufgaben zuständig. Insofern reicht hinsichtlich der Besetzung der Zweckverbandsversammlung sowie der Benennung des Verbandsvorsitzenden durch diese eine bloß mittelbar demokratische Legitimation, zurückgehend auf die direkt gewählten Volksvertretungen der Mitglieder, aus. I. R. Öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen verbleibt die Zuständigkeit für das betreffende Aufgabengebiet bei zumindest einer der kooperierenden Gemeinden. Es entsteht keine neue (Gebiets-)Körperschaft oder andere Institution. Insoweit bedarf es aus verfassungsrechtlicher Sicht auch keiner weiteren Legitimationsakte. (2) Kommunale Integrationsfähigkeit Voraussetzung einer hohen kommunalen Integrationsfähigkeit ist bürgerschaftliche Beteiligung, die ihrerseits der kommunalen Selbstverwaltung wesensimmanent ist. Voraussetzung für eine intensive Bürgerbeteiligung ist wiederum eine gewisse Bürgernähe der kommunalen Entscheidungsstrukturen. Hierfür wiederum erscheinen der direkte Kontakt und die dadurch gegebene Möglichkeit einer intensiven Kommunikation zwischen kommunalen Entscheidungsträgern und Bürgern grundlegend.819 Genau diese Bürgernähe geht aber insbesondere dann verloren, wenn Aufgaben auf Zweckverbände übertragen werden.820 Insofern gilt auch insoweit, dass interkommunale Kooperation jedenfalls in Form eines Zweckverbandes auch kritisch zu bewerten ist. (3) Speziell: Formen direkter Bürgerbeteiligung Mehr kommunale Integrationskraft dürfte sich nicht zuletzt über direkt demokratische Elemente erreichen lassen. Allerdings ist zu beachten, dass der Erhöhung des Selbstgestaltungspotentials sowie der Förderung der Akzeptanz- und Identifikationseffekte schwerfälligere Entscheidungsfindungsprozesse und erhöhte Kosten gegenüberstehen.821 Zudem ist auch auf der kommunalen Ebene das Prinzip repräsentativer Demokratie zu beachten. Aus diesem Grundsatz ergibt sich die führende Stellung des Gemeinderats im Verhältnis zum (Ober-)Bürgermeister. Diese Leitstellung darf nicht ausgehöhlt werden.822
819 820 821 822
s. dazu ausführlich oben: B. II. 2. b). s. ausführlich soeben: D. IV. 1. Etwa Gern: Deutsches Kommunalrecht, Rn. 581. Burgi: Kommunalrecht, S. 138.
E. Fazit
213
Im Rahmen der Arbeit eines Zweckverbandes können Bürgerbegehren und Bürgerentscheide lediglich indirekte Wirkung entfalten: Nur die (weisungsgebundenen) Mitglieder der Verbandsversammlung, die die betreffende Kommune vertreten, können dadurch zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten verpflichtet werden. Sämtliche Mitglieder der Verbandsversammlung könnten – theoretisch – nur dann verpflichtet werden, wenn in allen Mitgliedsgemeinden inhaltsgleiche Bürgerentscheide mit demselben Ergebnis durchgeführt würden. Könnten die Bürger einer einzigen Mitgliedsgemeinde mittels eines Bürgerentscheids die gesamte Verbandsversammlung binden, widerspräche dies dem Mehrheits- und damit dem Demokratieprinzip.823 Insofern gilt es auch hinsichtlich direkt demokratischer Elemente eine kritische Würdigung interkommunaler Zusammenarbeit vorzunehmen. 2. Interdisziplinarität Interdisziplinäre Lösungsansätze sind immer dann möglich, wenn einer Körperschaft oder anderer Entscheidungsstruktur eine Mehrfachzuständigkeit zukommt. Insofern erscheinen Kooperationsformen des Typs 3 und 4 geeignet. Allerdings muss zu einer geeigneten Aufgabenausstattung auch eine generalistisch angelegte Arbeits-, Denk- und Entscheidungsweise hinzukommen. Der Trend scheint aber auch innerhalb der jeweiligen Verwaltungsstrukturen eher zu einer Verfachlichung zu führen.824
E. Fazit I. Zusammenfassende Thesen 1. Allgemeine Maxime – Städte und Gemeinden müssen in Zeiten des demographischen Wandels versuchen, Einwohner vor Ort zu halten. Entscheidend für die Bindung von Einwohnern an ihre Gemeinde ist deren Identifikation mit dieser. Identifikation ist wiederum nur möglich, wenn Alleinstellungsmerkmale die Attraktivität der betreffenden Gemeinde erhöhen. Zu deren Schaffung ist wiederum das Vorhandensein kommunaler Entscheidungsspielräume von zentraler Bedeutung.
823 Vgl. dazu Schmidt: Kommunale Kooperation, S. 12 f.; Bovenschulte: Gemeindeverbände als Organisationsformen kommunaler Selbstverwaltung, S. 416; außerdem (zum Mehrheitsprinzip): Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 20, Rn. 15. 824 Püttner: Verwaltungslehre, § 10, Rn. 56 und § 7 Rn. 48 ff.
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Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
2. Territorial- und Funktionalreformen – Demokratische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erhöht die Identifikation mit Entscheidungen und erscheint gerade in Zeiten des demographischen Wandels entscheidend. – Aufgabenübertragungen von staatlicher auf die kommunale Ebene bedürfen derselben Demographietauglichkeitsanalyse wie der (bestehende) kommunale Aufgabenkatalog. Die soweit entscheidenden Kriterien sind demnach der demographische Faktor, die Ausgabenintensität sowie der Grad an Autonomie, der der betreffenden Aufgabe innewohnt. Eine entsprechende detaillierte Analyse muss Bestandteil jeder Funktionalreform sein. – Hinsichtlich der optimalen Größe von Verwaltungseinheiten existieren kaum belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse. Hier besteht enormer Forschungsbedarf. – (Kommunaler) Selbstverwaltung geht es vorrangig um die Aktivierung bürgerschaftlicher Mitwirkung. Bürgerbeteiligung ist der kommunalen Selbstverwaltung daher wesensimmanent. Bürgerbeteiligung ist ihrerseits nur bei hinreichender Bürgernähe der Verwaltung erreichbar. Insoweit ist ein enges Zusammenwirken zwischen öffentlicher Verwaltung und Bürgern Grundvoraussetzung. Dieses Zusammenwirken wird seinerseits insbesondere durch ehrenamtliche Ausgestaltung kommunaler Gremienarbeit gewährleistet. Die Rahmenbedingungen des demographischen Wandels verstärken das Erfordernis ehrenamtlicher Arbeit sogar noch weiter. Soll die Arbeit in Kreis- und Gemeinderäten ehrenamtlich erfolgen können, erscheinen wiederum überschaubare Strukturen der Gebietskörperschaften als Grundvoraussetzung. 3. Privatisierungsstrategien – Die Steuerungsmöglichkeiten und damit die Möglichkeit der betreffenden Kommune, eigene Akzente zu setzen, nehmen mit dem Privatisierungsgrad ab. – Die Effizienzgewinne, die durch eine Organisationsprivatisierung erzielt werden können, sind in ihrem Umfang ungewiss. Praktische Steuerungsverluste erscheinen hingegen sicher. – Insbesondere die einer funktionalen Privatisierungsmaßnahme zugrunde liegenden Verträge bedürfen einer genauen Einzelfallanalyse. Dabei sind nicht nur die darin festgelegten kommunalen Kontrollbefugnisse zu analysieren, sondern insbesondere auch die darin angelegten Langfristrisiken, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung, zu beachten. – Aufgabenprivatisierung bedeutet den Totalrückzug der Kommune aus dem betreffenden Aufgabenfeld. Damit bestehen kaum noch politische Gestaltungsmöglichkeiten.
E. Fazit
215
– Insgesamt erscheint vor dem Hintergrund der beschriebenen praktischen Erfahrungen eine kritische Würdigung von Privatisierungsstrategien angebracht. 4. Interkommunale Kooperation – Interkommunale Kooperation ist in vielen Fällen richtig und demographietauglich, ja geradezu überlebensnotwendig. Indes darf nicht vergessen werden, dass damit in jedem Fall die Einbuße eigener Entscheidungsspielräume und damit auch eigener Gestaltungsfreiheit einhergeht und es dadurch schwieriger wird, kommunale Identität zu stiften. – Durch interkommunale Kooperation, insbesondere in Form eines Zweckverbands, geht Bürgernähe und damit Integrationskraft verloren. II. Schlussfolgerungen Angebracht erscheint in jedem Falle eine differenzierte Betrachtungsweise: Die Privatisierung kommunaler Aufgaben ist zwar im Grundsatz vorsichtig zu bewerten, kann jedoch im Einzelfall sehr wohl eine demographietaugliche Lösung zur Schaffung neuer kommunaler Handlungsspielräume darstellen. Interkommunale Kooperation erscheint hingegen in vielen Fällen als einzige Möglichkeit, kommunale Handlungsspielräume zu erhalten, hat jedoch zugleich ihre Kehrseiten. Vorsicht ist auch bei der Übertragung bisheriger Staatsaufgaben vom Land auf die Kommunen geboten: Eine solche macht nur Sinn, wenn dadurch nicht nur die Aufgabenerledigung insgesamt effizienter erfolgen kann, sondern zugleich die kommunale Selbstverwaltung in dem Sinne gestärkt wird, dass die freie Spitze nicht weiter unter Druck gerät, sondern dauerhaft entlastet wird und so die demographische Grenzbelastung825 nicht überstrapaziert wird. Ähnliches gilt im Hinblick auf den territorialen Neuzuschnitt von Landkreisen: Effizienz ist zu erhöhen; zugleich ist die integrative Funktion kommunaler Selbstverwaltung zu erhöhen. III. Weiterer Forschungsbedarf: Flexibilität als Leitmotiv umsetzen Verwaltungsstrukturen und kooperationsrechtlicher Rahmen müssen das enge räumliche Nebeneinander unterschiedlicher demographischer Entwicklungen sowie deren zeitliche Dimension beachten:826 Der durch Wanderungsbewegungen räumlich stark ausdifferenzierte demographische Wandel erfordert einzelfallge825 826
Zu diesem Begriff oben ausführlich Kapitel 7. s. o. Kapitel 1 A. I. 3.
216
Kap. 10: Demographietauglichkeit gängiger Reformansätze
rechte Lösungen, die insbesondere die regionalen räumlichen Verflechtungen optimal berücksichtigen müssen.827 Diese sind von den betroffenen Kommunen jeweils passgenau zu entwickeln.828 Zudem müssen die so gefundenen Lösungen Veränderungen des demographischen Trends jederzeit angepasst werden können. Dies alles erfordert ein weit reichendes Maß an Flexibilität. 1. Optimale Betriebsgrößen Für jeden Aufgabenbereich gibt es eine optimale Betriebsgröße.829 Diese gilt es nach dem Vorbild Wageners830 unter heutigen Rahmenbedingungen wissenschaftlich zu ermitteln. In der Konsequenz ist außerdem über eine Verwaltungsstruktur nachzudenken, die vor diesem Hintergrund eine optimale Aufgabenerledigung ermöglicht. Dabei sind neben Effizienzgesichtspunkten verfassungsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. 2. Die Funktion der Landkreise Denkbar sind Verwaltungseinheiten nach bisherigem Verständnis, bei denen Aufgaben mit jeweils ähnlichen optimalen Betriebsgrößen auf derselben Ebene gebündelt und von ähnlich großen Verwaltungseinheiten bzw. Gebietskörperschaften erledigt werden.831 Kommunale Aufgaben werden dabei bislang grundsätzlich von Städten und Gemeinden, in gesetzlich definierten Fällen von den Landkreisen wahrgenommen.832 Denkbar ist aber auch die Schaffung eines Verwaltungsrahmens, innerhalb dessen im Wege weitgehender interkommunaler Kooperation angestrebt wird, jeden Aufgabenbereich in für ihn optimalen Betriebsgrößen zu erledigen. Voraussetzung wäre in diesem Falle die Übertragung sämtlicher bisher kommunaler Aufgaben der Landkreise auf Städte und Gemeinden. Die Aufgaben, die deren Leistungsfähigkeit überschreiten, müssten durch Kooperationslösungen auf (zunächst) freiwilliger Basis erfüllt werden.
827 Insofern treten nunmehr in sämtlichen Raumkategorien ähnliche Probleme auf, wie sie bislang lediglich im Rahmen von Suburbanisierungsprozessen zwischen Kernstadt und Umlandgemeinden festzustellen waren, vgl. etwa Kersting: Interkommunale Kooperation oder Wettbewerb?, in: APuZ 21–22/2006, S. 32. 828 Zu alledem exemplarisch Sarcinelli/Stopper: Demographischer Wandel und Kommunalpolitik, in: APuZ 21–22/2006, S. 9. 829 s. o. B. II. 2. a). 830 s. o. Fn. 674. 831 Vgl. Thieme: Verwaltungslehre, Rn. 263; Püttner: Verwaltungslehre, § 7, Rn. 8; diese Grundidee verfolgt auch Wagener: Neubau der Verwaltung. 832 Zu den Aufgaben der Landkreise: Kapitel 2 B.
E. Fazit
217
Im Gegenzug müssten die Landkreise neue Funktionen übernehmen: Sie wären zum einen Initiatoren und Moderatoren kommunaler Kooperationsprozesse. In Extremfällen müssten Landkreise zudem die Möglichkeit haben, kommunale Kooperationslösungen zu erzwingen. Schließlich müssten sie umfangreiche Aufsichtsfunktionen wahrnehmen. In der Konsequenz wären Landkreise nicht mehr als kommunale Gebietskörperschaften zu begreifen, sondern ausschließlich als untere Staatsbehörden. Eine entsprechende Verfassungsänderung wäre notwendig. Diese Variante wäre vor dem Hintergrund des beschriebenen Flexibilitätserfordernisses möglicherweise geeigneter. Denn auf diese Art bestünden keine zementierten und lediglich vom Landesgesetzgeber in schwierigen politischen Prozessen veränderbaren Strukturen, sondern relativ schnell anpassbare Kooperationen. Von entscheidender Bedeutung wäre jedoch auch für diesen Grundansatz dessen im oben definierten Sinne demographietaugliche Ausgestaltung. D.h. auch insoweit müsste insbesondere die kommunale Integrationsfunktion nicht nur erhalten, sondern gestärkt werden. Insoweit würde die Stärkung der örtlichen Ebene, also der Städte und Gemeinden, positiv wirken. Allerdings müsste eine Lösung für die zwangsläufig aufkommenden Transparenzprobleme gefunden werden: Den Bürgern müsste klar sein, wer für die sie betreffenden Entscheidungen verantwortlich ist. Gelingt dies nicht, bleibt als gangbarer Weg lediglich die Optimierung der bestehenden Verwaltungsstrukturen im Sinne möglichst optimaler Betriebsgrößen für bestimmte Aufgabenbündel.
Kapitel 11
Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems im Lichte bestehender Anreizmechanismen Kommunale Einnahmemöglichkeiten sind an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. Entsprechend werden die Kommunen bemüht sein, diese Voraussetzungen zu erfüllen. Jede kommunale Einnahmemöglichkeit entfaltet folglich bestimmte Anreizwirkungen. Diese sind Ansatzpunkt der Untersuchungen zur Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems: Es sollen diejenigen Anreize identifiziert werden, die die Kommunen zu einem für sie ruinösen Einwohnerwettbewerb bewegen (können).833 In einem ersten Schritt gilt es daher herauszuarbeiten, ob und inwieweit kommunale Einnahmequellen an Bevölkerungszahlen geknüpft sind und infolgedessen Anreizwirkungen zur Einwohneransiedlung zeitigen. Dabei ist auch zu untersuchen, welche Parameter eine Intensitätssteigerung derartiger Anreize bewirken. Die so herausgearbeiteten Anreizstrukturen bewirken aber noch nicht die Demographieuntauglichkeit der betreffenden Einnahmeinstrumente. Vielmehr kann insoweit lediglich von potentieller Demographieuntauglichkeit gesprochen werden. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit ist nur dann gegeben, wenn die betreffenden Anreizstrukturen vermeidbar wären, d.h. unnötig sind. Es ist also nach alternativen Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen.
A. Parameter zur Bestimmung potentieller Demographieuntauglichkeit Je nach Erkenntnisinteresse können kommunale Einnahmen unter verschiedenen Gesichtspunkten analysiert und systematisiert werden: Dies kann nach ihrer Bedeutung für die kommunale Finanzausstattung, nach ihrer Herkunft vom Bürger oder aus staatlichen Finanzquellen, nach ihrer rechtlichen Einordnung als hoheitlich oder nicht hoheitlich oder aber nach ihrer Bedeutung für die kommunale Selbstverwaltung erfolgen.834 Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Demographietauglichkeit des Rechts der Kommunalfinanzen. Insoweit spielt die
833
Vgl. dazu Kapitel 4 D. II. 2. Vgl. Waldhoff, in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 7, Rn. 1 f. 834
A. Parameter zur Bestimmung potentieller Demographieuntauglichkeit
219
demographisch-funktionale Analyse eine zentrale – wenn auch nicht die einzige – Rolle: I. Demographisch-funktionale Betrachtung: Intensität des demographischen Faktors Die demographisch-funktionale Betrachtung stellt auf die Intensität des demographischen Faktors eines Einnahmeinstruments ab, d.h. auf dessen Abhängigkeit zu Bevölkerungsentwicklung und -struktur: Besonders konstant – und daher für die Kommunen besonders wertvoll – sind danach Finanzierungsquellen, die von Alterungs- und Schrumpfungsprozessen weitgehend unbehelligt bleiben. Als alterungsresistent sind dabei solche Finanzierungsquellen anzusehen, die nicht ausschließlich oder vorwiegend von Menschen im aktiven Erwerbsleben zu erbringen sind und mit Erreichen des Renteneintrittsalters versiegen. Weitgehend schrumpfungsunabhängig ist eine Finanzierungsquelle, deren Aufkommen keinen Zusammenhang mit den Einwohnerzahlen einer Gemeinde aufweist.
II. Aufkommensstärke Soll die Demographietauglichkeit des kommunalfinanzrechtlichen Rahmens untersucht werden, geht es nicht zuletzt um Anreizwirkungen, die finanzrechtliche Strukturen auf die kommunalen Entscheidungsträger ausüben. Gleichzeitig sind demographisch bedingte Einnahmeausfälle zu untersuchen. Hinsichtlich beider Aspekte spielen solche Finanzinstrumente eine untergeordnete Rolle, deren Effekte im kommunalen Haushalt nicht wesentlich ins Gewicht fallen und deshalb – wenn überhaupt – nur im Randinteresse von Kommunalpolitikern stehen und insoweit in kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen eine stark untergeordnete Rolle spielen. Sollen die kommunalen Finanzquellen beschrieben werden, kommt folglich den aufkommensstarken Einnahmeinstrumenten eine Schlüsselfunktion zu. III. Autonomiegehalt Potentiell demographieuntauglich können außerdem Finanzinstrumente sein, bei deren Ausschöpfung den Gemeinden wenig eigene Entscheidungsspielräume zur Verfügung stehen. Denn sie bilden einen starren, für die Gemeinde nicht beeinflussbaren finanziellen Rahmen. Städte und Gemeinden können dadurch demographisch bedingte Einnahmeausfälle nicht durch Umgestaltung der sie generierenden Instrumente ausgleichen, sondern müssen versuchen, die bevölkerungsstrukturelle Ausgangssituation zu beeinflussen. Finanzinstrumente mit geringem Autonomiegehalt bilden auf diese Weise Anreize zum Eintritt in einen Wettbe-
220
Kap. 11: Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems
werb um Einwohner, der für viele Städte und Gemeinden ruinöse Ausmaße annehmen kann.835 Ein demographisch robustes Gemeindefinanzsystem zeichnet sich im Umkehrschluss durch die vorrangige Bereitstellung eigenverantwortlich auszuschöpfender Finanzierungsquellen aus. Ihr Autonomiegehalt bestimmt sich insbesondere anhand dreier Parameter: – Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des ,Ob‘ der Steuererhebung, – Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Höhe der Ausschöpfung der Finanzquelle und – Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Verwendung der so gewonnenen Mittel.836
B. Potentielle Demographieuntauglichkeit der kommunalen Einnahmequellen I. Intensität des demographischen Faktors Die Schlüsselzuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs sind in höchstem Maße demographieabhängig. Dies gilt insbesondere – aber nicht nur – für stark schrumpfende Kommunen in Bundesländern, deren Bevölkerungszahlen insgesamt rückläufig sind. Dabei bewirkt v. a. das Prinzip der sog. Einwohnerveredelung eine überproportionale Abhängigkeit der Schlüsselzuweisungen von der Einwohnerzahl einer Gemeinde.837 Der Anteil der Städte und Gemeinden an der Einkommensteuer ist zwar nicht in so starkem aber doch in ebenfalls nicht geringem Maße von der demographischen Entwicklung abhängig: Je weniger Einwohner eine Gemeinde verzeichnen kann, desto geringer ist die Zahl potentieller Lohnsteuerzahler und desto geringer die absoluten Steuereinnahmen.838 Dies bedeutet, dass die Gemeinden ihren Einkommensteueranteil dadurch verbessern können, dass sie versuchen, mehr bzw. besser verdienende Einwohner anzusiedeln.839 Die Gewerbesteuer ist nur mittelbar demographisch abhängig. Denn aufgrund zurückgehender Bevölkerungszahlen nimmt zunächst nicht zwangsläufig auch die Zahl der gewerbesteuerpflichtigen Unternehmer ab. Jedoch werden durch Be835
Vgl. dazu Kapitel 4 D. II. 2. Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 72. 837 s. Kapitel 4 B. I. 3. 838 s. Kapitel 4 B. I. 1. a). 839 Lenz in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 116, S. 142; Perner: Optionen zur Reduzierung des Flächenverbrauchs, S. 63. 836
B. Potentielle Demographieuntauglichkeit kommunaler Einnahmequellen
221
völkerungsrückgänge die wirtschaftlichen Standortbedingungen beeinflusst, was seinerseits langfristig einen Rückgang gewerbesteuerpflichtiger Unternehmer zur Folge haben dürfte.840 Auch der Gewerbesteuer wohnt demnach ein demographischer Faktor inne. Dieser ist aber als geringer einzuschätzen als derjenige der Einkommensteuer. Die Finanzierung kommunaler Einrichtungen über Gebühren wird sich wahrscheinlich proportional zur Zahl der Einwohner entwickeln. Denn Bevölkerungsrückgang bedeutet weniger potentielle Nachfrager nach kommunalen Leistungen und damit auch weniger potentielle Gebührenzahler. Insofern ist von einem deutlichen demographischen Faktor der Gebühreneinnahmen auszugehen, der ähnlich stark ausgeprägt sein dürfte wie der der Einkommensteuer. Indes ist zu beachten, dass die Kostendeckungsgrade kommunaler Einrichtungen nur dann schlechter werden, wenn diese nicht den veränderten Nachfragerzahlen angepasst werden (können).841 Dadurch wird der demographische Faktor zwar nicht beseitigt, aber doch reduziert. Im Ergebnis dürfte er auf einem ähnlichen Niveau liegen wie der der Gewerbesteuer. Beiträge ähneln strukturell den Gebühren. Daher dürfte Entsprechendes für den demographischen Faktor von Beitragseinnahmen gelten. Eine verlässliche Aussage zur demographischen Abhängigkeit des Umsatzsteueranteils der Städte und Gemeinden lässt sich nicht machen. Legt man jedoch die Annahme gleich bleibender Konsumgewohnheiten zugrunde, wäre ein demographisch bedingt sinkendes Umsatzsteuergesamtaufkommen wahrscheinlich, sodass also auch i. R. d. Umsatzsteuereinnahmen mit demographisch bedingten Rückgängen zu rechnen842 und daher von einem demographischen Faktor auszugehen wäre, der qualitativ ähnlich dem der Gewerbesteuer ausfallen dürfte. Für das Aufkommen aus den der Umsatzsteuer strukturell ähnlichen örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern sowie der Grunderwerbsteuer dürfte ähnliches gelten wie für die Entwicklung des Umsatzsteueraufkommens. Hinsichtlich Zweckzuweisungen lässt sich nur insofern ein demographischer Faktor feststellen, als sich die Finanzausgleichsmasse, aus der sich auch zweckgebundene Zuweisungen speisen, rückläufig entwickeln wird. Indes ist die Gewährung von Zweckzuweisungen – jedenfalls soweit ersichtlich – nicht an die Einwohnerzahl einer Gemeinde gekoppelt, sondern an andere Voraussetzungen, die bestimmte Steuerungseffekte erzeugen sollen. Ähnliches gilt hinsichtlich der Gewährung von Investitionshilfen. Dies alles schließt nicht aus, dass im Einzelfall möglicherweise falsche Anreize im Hinblick auf den Umgang mit dem demographischen Wandel entstehen können. 840 841 842
s. Kapitel 4 B. I. 1. b). s. Kapitel 4 B. I. 2. s. Kapitel 4 B. I. 1. c).
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Kap. 11: Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems
Entscheidend für das Grundsteueraufkommen im Gebiet einer Gemeinde sind die sich nicht in öffentlicher Hand befindliche Grundstücksfläche und deren Nutzung. Dabei spielt auf den ersten Blick weder die altersstrukturelle Zusammensetzung der Bevölkerung noch die Zahl der Einwohner in der betreffenden Gemeinde eine Rolle. Aus demographischer Sicht falsche Anreize können sich jedoch insoweit ergeben, als die Grundsteuer B deutlich rentabler als die Grundsteuer A ist. Bebaute Grundstücke bedeuten also höhere Grundsteuereinnahmen. Auch die Ausweisung und Erschließung neuer Wohngebiete kann insofern höhere Steuereinnahmen bewirken.843 Daher ist wohl insofern von einem demographischen Faktor auszugehen, als eine stärkere (Wohn-)bebauung und damit verbundene Zuzüge ein höheres Grundsteueraufkommen bewirken. Dieser demographische Faktor dürfte allerdings eher schwach ausgeprägt sein. Eine allgemein gültige Aussage zu den kommunalen Einnahmen aus wirtschaftlicher Betätigung lässt sich nicht machen. Vielmehr hängt dies vom jeweiligen Gegenstand der wirtschaftlichen Aktivität ab. Kreditfinanzierungsmöglichkeiten dürften sich leicht verschlechtern.844 Eine demographische Abhängigkeit der Einnahmen aus Public Private Partnership ist nicht zu erwarten. Allerdings ist in Zeiten – unter Umständen auch demographisch bedingt – leerer Gemeindekassen mit einer wachsenden praktischen Bedeutung privat-rechtlicher Finanzierungsformen zu rechnen. Insoweit kann aber nicht von einem demographischen Faktor gesprochen werden, da die entsprechenden Instrumente an sich nicht von Bevölkerungszahlen abhängig sind. II. Aufkommensstärke 1. Steuern Die Gewerbesteuer stellt die Haupteinnahmequelle der Gemeinde im Rahmen der eigenen Steuererhebung dar.845 Sie betrug im Jahre 2006 insgesamt 25,7 Mrd. A in den westlichen Bundesländern und 2,6 Mrd. A in Ostdeutschland. Sie war damit die aufkommensstärkste Finanzquelle der Gemeinden überhaupt. Jedoch ist die Gewerbesteuer gleichzeitig immensen Schwankungen ausgesetzt: In den Jahren 2001 bis 2003 lag ihr Aufkommen lediglich zwischen 13,7 und 15,8 Mrd. A im Westen und bei 1,4 Mrd. A im Osten Deutschlands. Auch für ostdeutsche Städte und Gemeinden spielt die Gewerbesteuer die wichtigste Rolle unter den Steuereinnahmen. Jedoch kommt ihr hier bei weitem nicht die dominierende Stellung zu wie dies in westdeutschen Gemeinden der Fall ist.846 843 Vgl. zu dieser Anreizwirkung auch Perner: Optionen zur Reduzierung des Flächenverbrauchs, S. 64. 844 s. Kapitel 4 B. I. 4. 845 Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 537. 846 Vgl. dazu die Tabellen im Anhang.
B. Potentielle Demographieuntauglichkeit kommunaler Einnahmequellen
223
Die zweite wichtige Einnahmequelle stellt der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer dar. Dieser lag 2006 bei 18,8 Mrd. A (West) und 1,3 Mrd. A (Ost). In den Jahren 2004 bis 2006 blieb sie auch im Westen deutlich hinter dem Aufkommen aus der Gewerbesteuer zurück. Im Osten war ihr Aufkommen seit 2001 stets geringer als das der Gewerbesteuer.847 Die Grundsteuer als der zweiten Steuerart, für die den Gemeinden ein Hebesatzrecht zukommt, ist für die Kommunen in den westdeutschen Bundesländern nicht ganz so wichtig: Aufgrund veralteter und daher zu niedriger Einheitswerte sowie rückläufiger Landwirtschaftsfläche stagniert ihr Ertrag schon seit längerer Zeit.848 Ihr Aufkommen lag in den Jahren 2001 bis 2006 zwischen 7 und 8,1 Mrd. A. Die Gemeinden Ostdeutschlands erzielten aus ihr im gleichen Zeitraum jährlich 1,1 (2001 bis 2003) bzw. 1,2 Mrd. A (2004 bis 2006). Damit entsprach das Aufkommen aus der Grundsteuer dort in etwa dem aus der Einkommensteuer.849 Von relativ geringem Gewicht, aber höchst konstant ist der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer: Dieser lag in den Jahren 2001 bis 2005 im Westen bei jährlich 2,2 Mrd. A; – in 2006 stieg er um 0,1 auf 2,3 Mrd. A an. Im Osten wiesen die Werte eine noch höhere Konstante auf: Diese lagen durchweg bei 0,4 Mrd. A jährlich.850 Die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern sind in ihrem Aufkommen für die Gemeinden von geringer Bedeutung und werden infolgedessen oft auch als Bagatellsteuern bezeichnet.851 2. Staatliche Zuweisungen Die Zuweisungen der Länder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs spielen eine zentrale Rolle im Rahmen der Finanzausstattung der Städte und Gemeinden: Westdeutsche Kommunen erhielten im Jahre 2006 20,2 Mrd. A in Form von Schlüsselzuweisungen und 12,1 Mrd. A an zweckgebundenen Mitteln. Ostdeutsche Kommunen erhielten im selben Jahr 8,5 Mrd. A an allgemeinen und 3,5 Mrd. A an zweckgebundenen Zuweisungen. In west- wie ostdeutschen Bundesländern variierte die Höhe der Schlüsselzuweisungen in den Jahren 2001 bis 2006 nur schwach. – Die zweckgebundenen Mittel waren jedoch deutlichen Schwankungen ausgesetzt.852 847
Vgl. dazu die Tabellen im Anhang. Gern: Kommunalrecht Baden-Württemberg, Rn. 527. 849 Vgl. dazu die Tabellen im Anhang. 850 Vgl. dazu die Tabellen im Anhang. 851 Waldhoff in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 13, Rn. 1. 852 Vgl. dazu die Tabellen im Anhang. 848
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Kap. 11: Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems
3. Gebühren und Beiträge Im Jahre 2006 finanzierten westdeutsche Kommunen ihre Ausgaben in Höhe von 13,8 Mrd. A über Gebühren. An Beiträgen erwirtschafteten sie hingegen lediglich 1,5 Mrd. A. In Ostdeutschland nahmen die Städte und Gemeinden 2 Mrd. A an Gebühren und 0,2 Mrd. A an Beiträgen ein. In Westdeutschland sanken die Gebühreneinnahmen im Zeitraum 2001 bis 2006 kontinuierlich von 15,8 auf nur noch 13,8 Mrd. A. Im Osten nahmen die Kommunen 2001 noch 2,4 Mrd. A über Gebühren ein. Auch hier lässt sich eine deutlich sinkende Tendenz feststellen. Ähnlich verhält es sich bei den Beiträgen. Der Gebührenanteil an den kommunalen Einnahmen liegt bei etwa 25%, was die enorme finanzielle Bedeutung von Gebühren für Städte und Gemeinden veranschaulicht. Zudem sind Gebühren weitgehend unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung, sodass sie eine relativ stetige Einnahmequelle darstellen.853 4. Zusammenfassende Darstellung Für die Gemeinden Westdeutschlands stellen die Schlüsselzuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs die wichtigste Einnahmequelle dar – gefolgt von dem Aufkommen der Gewerbe- und der Einkommensteuer. Gebührenerträge rangieren auf Platz vier. Die Kommunen in den ostdeutschen Bundesländern finanzieren sich hauptsächlich über allgemeine und über zweckgebundene Zuweisungen. Es folgen Gewerbesteuer und Gebühren bereits mit deutlichem Abstand, ihrerseits gefolgt vom Anteil an der Einkommensteuer und den Einkünften aus den Grundsteuern. III. Autonomiegehalt 1. Staatliche Zuweisungen Erstattungen für Auftragsangelegenheiten i. S. d. Art. 104a II GG weisen aufgrund der Weisungsgebundenheit der Gemeinden den geringsten Autonomiegehalt auf.854 Auch Zweckzuweisungen weisen aufgrund der mit ihnen verbundenen Auflagen einen geringen Autonomiegehalt auf.855 853 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 77; Zimmermann: Aktuelle Fragen des Rechts der kommunalen Gebühren und Beiträge, in: VerwArch 1971, S. 25; vgl. außerdem die Tabellen im Anhang. 854 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 73; Waldhoff in: Henneke/Pünder/Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, § 7, Rn. 6. 855 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 74.
B. Potentielle Demographieuntauglichkeit kommunaler Einnahmequellen
225
Demgegenüber sind mit Schlüsselzuweisungen keine Auflagen verbunden. Sie stehen den Gemeinden zur freien Verfügung. Entsprechend größer ist ihr Autonomiegehalt im Verhältnis zu den Erstattungen für Auftragsangelegenheiten und zu den Zweckzuweisungen. Jedoch können Städte und Gemeinden durch Ansiedlung von Anwohnern und die dadurch bedingte Veränderung der Bemessungsgrundlage lediglich indirekt die Höhe der Schlüsselzuweisungen beeinflussen.856 Insofern ist der Autonomiegehalt zwar höher als bei den anderen Zuweisungsarten, insgesamt aber dennoch eher gering.857 2. Originäre Steuerertragskompetenzen Die Verteilung von Bundes- oder Landessteuern im Steuerverbund nach abstrakten Kriterien wie Einwohnerzahlen, Zahl der Arbeitsplätze o. Ä. ist der Schlüsselzuweisung sehr ähnlich und unterscheidet sich von dieser lediglich dadurch, dass sie durch Festschreibung derartiger Steuerbeteiligungen verlässlicher ist. Entsprechend gering ist auch ihr Autonomiegehalt.858 Etwas höher ist dieser hingegen im Rahmen der Verteilung von Bundes- oder Landessteuern im Verbundsystem, die auf der Basis des örtlichen Steueraufkommens erfolgt. Die Gemeinde kann durch gezieltes Vorgehen auf die Bemessungsgrundlage einwirken und so das Steueraufkommen effizient und nachhaltig erhöhen.859 Die Bemessung an sich kann sie allerdings auch in diesem Rahmen nicht selbst beeinflussen – jedenfalls nicht direkt, sondern lediglich indirekt über politische Einflussnahme auf Bundes- oder Landesebene.860 Einen hohen Grad an Autonomie beinhalten Hebesatzrechte. Diese ermöglichen es der Gemeinde, nicht nur mittelbar durch Versuche, die Bemessungsgrundlage zu verändern, sondern direkt durch Ansetzen auf der Steuerfindungs856 Ein solches Anwerben von Einwohnern „um jeden Preis“ ist in der Praxis oft mit enormen Kosten verbunden, sodass von den zusätzlichen Einnahmen im Ergebnis wenig übrig bleiben dürfte, vgl. Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 75. 857 Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 75. 858 Zimmermann: Kommunale Einnahmequellen aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Ipsen (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung im Zeichen der Finanzkrise, S. 71; Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 75. 859 Im Gegensatz zur Schlüsselzuweisung kommt es nun nicht primär auf die Zahl der Einwohner an. Entscheidend ist vielmehr die Zahl aufkommensstarker Steuerzahler. Besonders Erfolg versprechend ist also gezieltes, qualitatives Vorgehen, anstatt rein auf Quantität zu setzen. 860 Zimmermann: Kommunale Einnahmequellen aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Ipsen (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung im Zeichen der Finanzkrise, S. 71; Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 76.
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Kap. 11: Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems
seite auf die Höhe der Steuereinnahmen Einfluss zu nehmen.861 Insoweit sind die Gewerbe- und die Grundsteuer unter Autonomiegesichtspunkten besonders wertvoll. Volle Einnahmenautonomie ist nur dann gegeben, wenn die einzelne Gemeinde über die Einführung oder die Abschaffung einer bestimmten Steuer entscheiden kann. Dies ist auch dann der Fall, wenn ein Bundes- oder Landesgesetz den Gemeinden die Option zur Steuererhebung gibt.862 3. Weitere originäre Einnahmequellen: Entgelteinnahmen Gebühren und Beiträge sind hinsichtlich ihres Autonomiegehalts ein geradezu ideales Finanzierungsmittel. Denn die Gemeinden können bei Schaffung einer Einrichtung frei entscheiden, ob sie diese über Gebühren durch die Nutzer finanzieren lassen wollen.863 IV. Zusammenschau Je höher der demographische Faktor, je stärker das Aufkommen und je geringer der Autonomiegehalt eines kommunalen Einnahmeinstruments ist, desto schwieriger stellen sich die Auswirkungen des demographischen Wandels für die betroffenen Städte und Gemeinden dar. Als potentiell demographieuntauglich sind daher die staatlichen Zuweisungen, und diesen allen voran die Schlüsselzuweisungen, einzustufen. In geringerem Maße gilt dies auch für die Einkommensteuer. Umgekehrt scheinen solche Einnahmeinstrumente für die Kommunen besonders wertvoll zu sein, deren demographischer Faktor gering und deren Aufkommensstärke hoch ist. Demographische Sensitivität kann dabei in gewissem Maße durch einen hohen Autonomiegehalt kompensiert werden. Vor diesem Hintergrund erscheint insbesondere die Gewerbesteuer nicht unwichtig.
861 Zimmermann: Kommunale Einnahmequellen aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Ipsen (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung im Zeichen der Finanzkrise, S. 71; Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 76. 862 Zimmermann: Kommunale Einnahmequellen aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Ipsen (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung im Zeichen der Finanzkrise, S. 72; Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 76. 863 Zimmermann: Kommunale Einnahmequellen aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Ipsen (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung im Zeichen der Finanzkrise, S. 73; vgl. auch Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 77 ff.
C. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
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C. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit Von tatsächlicher Demographieuntauglichkeit der als potentiell demographieuntauglich eingestuften kommunalen Einnahmeinstrumente könnte dann keine Rede sein, wenn diese zwar die o. g. Parameter, zugleich aber auch ihren Hauptzweck erfüllen würden. Letzterer besteht darin, den Kommunen ausreichend finanzielle Mittel zur Bewältigung ihrer Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Indes legen die angestellten finanzwissenschaftlichen Schätzungen die Wahrscheinlichkeit nahe, dass das gegebene kommunale Einnahmesystem unter den Bedingungen der demographischen Veränderungen genau dies nicht gewährleisten kann.864 Von tatsächlicher Demographieuntauglichkeit potentiell demographieuntauglicher Instrumente des kommunalen Einnahmesystems könnte auch dann nicht ausgegangen werden, wenn das bestehende System alternativlos wäre. Wären hingegen andere Lösungen denkbar, die die demographischen Herausforderungen besser berücksichtigten, so wäre insoweit von tatsächlicher Demographieuntauglichkeit auszugehen. Derartige Alternativen müssten konsequenterweise an den o. g. Parametern (Demographischer Faktor, Einnahmeintensität, Autonomiegehalt) ansetzen. I. Grundansätze für Reformmaßnahmen 1. Risiken als Preis für die kommunale Selbstverwaltung akzeptieren Anknüpfungspunke kommunaler Steuern sind die Faktoren Einwohner, Wirtschaft und Boden. Grund und Boden sind eine feste Größe, die weder vermehrbar noch reduzierungsfähig sind, stellen also lediglich hinsichtlich der Art ihrer Nutzung ein Einnahmerisiko dar. Damit verbleiben zwei Haupteinnahmerisiken kommunaler Einnahmeinstrumente: Der demographische Faktor und die Wirtschaftskraft, die sich wiederum in eine strukturelle und eine konjunkturelle Komponente untergliedern lässt. Die Finanzhoheit865 unter ihrem Aspekt der Einnahmehoheit i. S. e. eigenverantwortlichen Einnahmenerzielung beinhaltet denknotwendig Risiken. Dies erscheint bis zu einem gewissen Grad der Preis der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie zu sein, sodass es nicht darum gehen kann, die beschriebenen Risiken vollkommen auszumerzen. Denn die Konsequenz einer solchen Strategie wäre die Finanzierung der Kommunen über – im Rahmen des Möglichen – konstante staatliche Zuweisungen oder zumindest zuweisungsähnliche Instrumente. In diesem Falle könnte nicht mehr von kommunaler Einnahmehoheit gesprochen
864 865
Vgl. die Überlegungen in Kapitel 7 und 8. Vgl. ausführlich Kapitel 3 C.
228
Kap. 11: Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems
werden. Insoweit sind also Einnahmerisiken als Preis der kommunalen Selbstverwaltung zu akzeptieren. Tabelle 10 Kommunale Einnahmerisiken Einnahmeinstrument
Demographischer Faktor866
Wirtschaftskraft867 strukturell
konjunkturell
Einkommensteueranteil
3
2
3
Umsatzsteueranteil
2
2
1
Gewerbesteuer
2
4
4
Grundsteuer
1
1
0
Grunderwerbsteuer; örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern
2
1
1
Schlüsselzuweisungen
4
0
2
Gebühren und Beiträge
2
0
1
Wirtschaftliche Betätigung
[Unterschiedlich]
4
4
0 = nicht vorhanden; 1 = gering; 2 = mittel; 3 = hoch; 4 = immens. Quelle: Eigene Überlegungen.
Zudem ist klar zu stellen, dass Einnahmerisiken nicht nur nicht schädlich sein müssen, sondern im Gegenteil nützlich sind. Denn letztlich sind sie nichts anderes als die Parameter einer erfolgreichen Gemeindeentwicklung. Eine geeignete Risikostruktur stellt daher auch ein Anreizsystem für kommunale Verantwortungsträger dar, ihre Kommune attraktiv zu entwickeln. 2. Ausfallrisiken auf mehrere Säulen verteilen Die diesem Befund folgende Frage lautet: Wie sieht eine geeignete Risikostruktur aus? Als Grundvoraussetzung für einen solchen Umgang kann gelten, dass die vorhandenen Risiken in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander ste866
Vgl. dazu oben B. I. Die groben Schätzungen zur Abhängigkeit der Einnahmequellen von der Wirtschaftskraft einer Kommune erfolgten auf Grundlage der rechtlichen Konstruktion der einzelnen Einnahmequellen und unter Rückgriff auf die Ausführungen bei Henneke/ Pünder/Waldhoff (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, § 8, Rn. 19; § 12, Rn. 2; § 25, Rn. 4 ff. 867
C. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
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hen müssen. Denn Risiken lassen sich am besten dadurch minimieren, dass mehre Standbeine geschaffen werden, die jeweils unterschiedlichen Risiken ausgesetzt sind. Es kann nicht darum gehen, einfach ein Risiko durch ein anderes zu ersetzen. Es entstünde gerade kein demographietauglicheres Einnahmensystem im hier verstandenen Sinne, wenn einfach sämtliche Einnahmen, deren Höhe sich bislang an Bevölkerungszahlen orientiert, durch solche ersetzt würden, die sich einseitig an der Wirtschaftskraft orientieren. 3. Passgenaue Lösungsstrategien ermöglichen Daneben erscheint es notwendig, Kommunen in die Lage zu versetzen, möglichst individuell auf diese Risiken reagieren zu können. Denn diese entwickeln sich je nach örtlichen Gegebenheiten unterschiedlich: Der demographische Wandel wird sich kleinräumig vollziehen, d.h. in jeder Gemeinde wird eine andere Situation vorherrschen;868 auch die wirtschaftlichen Gegebenheiten sind in jeder Gemeinde andere. Eine jeweils optimale Gewichtung der einzelnen Einnahmequellen erfordert entsprechende Gestaltungsspielräume. 4. Kommunale Mindestfinanzausstattung sichern Kommunale Einnahmeinstrumente müssen die Kommunen in die Lage versetzen, die ihnen zukommenden Aufgaben zu bewerkstelligen. Darauf wurde bereits mehrfach hingewiesen.869 Dies wiederum bedeutet, dass kommunale Einnahmerisiken nur bis zu einem bestimmten Grad akzeptiert werden können und darüber hinaus eine staatliche Absicherung finanzieller Handlungsfähigkeit sichergestellt werden muss. Dies wird durch den kommunalen Finanzausgleich bewerkstelligt (fiskalische Funktion),870 der insofern als Risikominimierungsinstrument fungiert. Die fiskalische Funktion des kommunalen Finanzausgleichs erfordert daher, dass die erforderliche Finanzversorgung so risikounabhängig wie möglich gewährt wird. Dabei sind seine übrigen Funktionen, nicht zuletzt die allokative, mit zu berücksichtigen. Im Rahmen der Untersuchung der Demographietauglichkeit des kommunalen Finanzsystems bedeutet dies, zu überlegen, wie und inwieweit eine Minimierung des demographischen Faktors erreicht werden kann. II. Im Fokus: Risikoverteilung optimieren Soll die Verteilung kommunaler Einnahmerisiken optimiert werden, so sind neben der Gewichtung der einzelnen Steuerarten auch die Verteilungsmodalitäten des Steueraufkommens in den Blick zu nehmen. 868 869 870
Vgl. Kapitel 1 A. I. 3. Vgl. die Nachweise in Fn. 864. Dazu ausführlich Kapitel 3. D. II. 1. b).
230
Kap. 11: Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems
1. Gegenstand der Besteuerung Steuern müssen die Steuersubjekte entsprechend deren Leistungsfähigkeit heranziehen. Dies gebietet der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG.871 Zur Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips muss der steuerliche Zugriff auf Bemessungsgrundlagen erfolgen, die als Leistungsfähigkeitsindikatoren angesehen werden können. Als solche kommen dabei das Einkommen, das Vermögen sowie der Konsum in Betracht.872 Den Kommunen stehen zumindest z. T. die Aufkommen aus Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Grundsteuer, Umsatzsteuer sowie den örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern zu, sodass ihre Steuereinnahmen auf sämtlichen Leistungsfähigkeitsindikatoren basieren. Insoweit ist daher dringender Reformbedarf nicht ersichtlich. Vielmehr könnten als Ansatzpunkte zur Reduktion des demographischen Faktors der kommunalen Einnahmen die Gewichtung kommunaler Steuereinnahmen im Verhältnis zueinander oder die Verteilungsmodalitäten von Steueranteilen zu überdenken sein. 2. Verteilungsmodalitäten Fragen der horizontalen Verteilung des Steueraufkommens stellen sich nur im Verbundsystem. Im Trennsystem hingegen ist immer auf das örtliche Aufkommen abzustellen.873 Hinsichtlich der kommunalen Einnahmen bedeutet dies, dass nur bezüglich des kommunalen Anteils am Einkommen- und am Umsatzsteueraufkommen Erörterungsspielraum besteht.874 Eine weitere Einschränkung lässt sich im Hinblick auf den hier interessierenden Aspekt der Demographietauglichkeit vornehmen: Von beiden Steuerarten weist aus kommunaler Sicht nur die Einkommensteuer einen hohen demographischen Faktor auf. Nur insoweit stellen sich daher Fragen der Demographietauglichkeit horizontaler Verteilungsmodalitäten. Generell kommen verschiedene Verteilungsmaßstäbe in Betracht: Eine Verteilung nach dem örtlichen Aufkommen kann als „natürlicher“ Verteilungsschlüssel gesehen werden,875 jedenfalls ist diese Verteilungsweise als typischer Maßstab für die horizontale Verteilung direkter Steuern anzusehen.876 Daneben können 871
Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4, Rn. 81. Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4, Rn. 92, 95. 873 Vgl. Korioth: Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 398. 874 Fragen des sekundären Finanzausgleichs werden gesondert behandelt und können hier ausgeklammert werden. 875 Kommission für die Finanzreform: Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, S. 73. 876 Hidien in: Bonner Kommentar, Art. 106, Rn. 443. 872
C. Tatsächliche Demographieuntauglichkeit
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stärker bedarfsbezogene und damit ausgleichsorientierte Schlüssel angewandt werden. Insoweit könnten als alternative Verteilungsschlüssel die Einwohnerzahl, die Bevölkerungsstruktur oder die Wirtschaftskraft in Betracht kommen.877 Die horizontale Verteilung der Einkommensteuer basiert auf dem örtlichen Aufkommen.878 Eine Umstellung auf einen an der Einwohnerzahl orientierten Verteilungsmodus wäre unter demographischen Gesichtspunkten geradezu contraindiziert. Eine Verteilung auf Grundlage der Bevölkerungsstruktur wäre zwar theoretisch denkbar und im Hinblick auf die sich verändernde Alters- und Sozialstruktur interessant. Allerdings wäre eine solche Methode aufgrund des damit verbundenen enormen Erfassungsaufwands wohl kaum praktikabel. Schließlich erscheint die örtliche Wirtschaftskraft insofern als wenig geeigneter Verteilungsschlüssel für das Einkommensteueraufkommen als insbesondere die Gewerbesteuer aber auch der Verteilungsmodus hinsichtlich des Umsatzsteueraufkommens diese Größe bereits abdeckt, sodass die Gefahr einer zunehmend einseitigen Risikostruktur bestünde. Im Ergebnis erscheint daher die Verteilung des Einkommensteueranteils nach dem örtlichen Aufkommen auch unter den Bedingungen des demographischen Wandels durchaus sachgerecht. 3. Gewichtung der Steuereinnahmen Die beiden wichtigsten Steuereinnahmequellen der Kommunen sind die Gewerbesteuer sowie der Einkommensteueranteil. 879 Die Einkommensteuer weist dabei einen höheren demographischen Faktor als die Gewerbesteuer auf, die ihrerseits stärker wirtschaftskraftabhängig ist. Eine Neujustierung der Einnahmerisiken ließe sich also ggf. erreichen, wenn die Einnahmen aus der Grund- und aus der Gewerbesteuer sowie aus dem kommunalen Umsatzsteueranteil erhöht würden. a) Grundsteuer Da die Grundsteuer sowohl einen geringen demographischen Faktor aufweist als auch in lediglich geringem Maße von der in einer Kommune vorhandenen Wirtschaftskraft abhängt,880 wäre ihre Stärkung eine geradezu ideale Ergänzung des kommunalen Steuereinnahmesystems. Da ihre derzeit geringe Bedeutung hauptsächlich auf veralteten und infolgedessen relativ niedrigen Einheitswerten beruht, wäre deren Abschaffung als zweckmäßig zu begrüßen. Statt auf Einheitswerte müsste künftig auf den Verkehrswert als Bemessungsgrundlage abgestellt 877 878 879 880
Vgl. Korioth: Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 402. s. Kapitel 3 D. I. 1. s. o. B. II. 1. Vgl. dazu oben C. I. 1.
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Kap. 11: Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems
werden.881 Auf diese Weise ließe sich wohl insbesondere auch erreichen, dass Grundstücke im Ortskern auch aus Sicht der Kommune wertvoller würden als Grundstücke am Ortsrand. Auf diese Weise könnte daher ein Anreiz zur praktischen Umsetzung des städtebaulichen Prinzips geschaffen werden, wonach Innen- vor Außenentwicklung zu verwirklichen ist. Dies wäre zugleich ein Beitrag zur Reduktion des Wettbewerbsdrucks um neue Einwohner. Daneben könnte die Bedeutung der Grundsteuer auch durch Erhöhung der Steuermesszahl für Grundstücke (§ 15 GrStG) gesteigert werden. b) Umsatzsteueranteil Daneben ist eine Erhöhung des kommunalen Anteils am Umsatzsteueraufkommen in Betracht zu ziehen. Hierfür würde die ausgeglichene Risikostruktur des kommunalen Umsatzsteueranteils sprechen; insbesondere liegt der demographische Faktor der Umsatzsteuer lediglich auf mittlerem Niveau. Allerdings ist die Umsatzsteuer als kommunales Einnahmeinstrument auch mit etlichen Schwierigkeiten verbunden. Die Hauptschwierigkeit liegt in Verzerrungseffekten i. R. d. örtlichen Erfassung der Umsatzsteuer. Denn Anknüpfungspunkt der Umsatzsteuer als Endverbrauchssteuer ist der Konsum. Wo der konkrete Verbrauch erfolgt, ist indes schwer feststellbar. So sind die Kunden örtlicher Unternehmen häufig auswärtig, sodass das örtliche Steueraufkommen weder die örtliche Steuer- noch die örtliche Wirtschaftskraft abbildet.882 Die horizontale Verteilung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer gestaltet sich vor diesem Hintergrund insofern schwierig, als ein geeigneter Verteilungsschlüssel notgedrungen auf Hilfskriterien setzen muss. Diese sollen gem. Art. 106 Va GG orts- und wirtschaftsbezogen sein. § 5b II des Gemeindefinanzreformgesetzes stellt daher in der Hauptsache auf die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowie auf die sozialversicherungspflichtigen Entgelthöhen ab. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Städte und Gemeinden praktisch keine Einwirkungsmöglichkeit mehr auf die Höhe des ihnen zustehenden Umsatzsteueranteils haben. Damit besitzt der Umsatzsteueranteil aus deren Sicht faktisch den Charakter einer staatlich bestimmten Zuweisung, wenngleich die rechtliche Ausgestaltung diejenige einer Ertragshoheit ist. Von kommunaler Einnahmeautonomie kann insoweit aber nicht mehr gesprochen werden.883 881 Der entsprechenden Forderung des Deutschen Städtetages kann daher nur Nachdruck verleihen werden, vgl. Karrenberg/Münstermann: Gemeindefinanzbericht 2006 im Detail, S. 44. 882 Zu diesem Zusammenhang BVerfGE 101, 158, 221; Pohmer/Saile in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 115, S. 101 f.; Hidien in: Bonner Kommentar, Art. 106, 1060 f. 883 So auch Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 196; Pohmer/Saile in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der
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Aber nicht nur vor dem Hintergrund der kommunalen Finanzautonomie ist die Umsatzsteuer als kommunales Einnahmeinstrument kritisch zu bewerten. Auch unter demographischen Gesichtspunkten ist vor dem Hintergrund des Erfordernisses eines möglichst passgenauen Umgangs mit kommunalen Einnahmerisiken die Umsatzsteuer ein wenig geeignetes Instrument. Sie zu stärken wäre daher wohl keine demographietaugliche Lösung. c) Gewerbesteuer Die Gewerbesteuer ist bereits heute die wichtigste kommunale Einnahmequelle. Insoweit besteht im Hinblick auf den demographischen Faktor des kommunalen Einnahmesystems kein dringender Änderungsbedarf. Allerdings könnte ihre Bedeutung weiter durch eine Verbreiterung ihrer Bemessungsgrundlage erhöht werden. Dabei ist insbesondere auch an eine Einbeziehung der Selbständigen i. S. v. § 18 I EStG in den Kreis der Steuerpflichtigen zudenken. Denn diese sind bislang gem. § 2 I 2 GewStG i.V. m. § 15 II 1 EStG von der Steuerpflicht ausgeschlossen.884 Durch eine solche Maßnahme würde die demographische Abhängigkeit der kommunalen Einnahmen insofern zurückgedrängt, als die Bedeutung der Wirtschaftskraft relativ gestärkt würde. III. Im Fokus: Mehr Autonomie wagen Eine optimale Risikostruktur zu schaffen, erfordert Gestaltungsspielräume auf der Einnahmenseite. Solche können insbesondere durch die Betätigung zweier Stellschrauben geschaffen werden: Es können einerseits bestehende Instrumente kommunaler Einnahmeautonomie ausgebaut und andererseits neue erschlossen werden. Zudem ist die Zuweisungspraxis i. R. d. kommunalen Finanzausgleichs zu überprüfen. kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 6, § 115, S. 102; Hidien in: Bonner Kommentar, Art. 106, 1066. 884 Die Gewerbesteuer ist immer wieder Gegenstand von Reformvorschlägen und -diskussionen, die hier nicht en Detail dargestellt und erörtert werden können; Konzepte bieten sich etwa bei Witte/Tebbe: Von der Gewerbesteuer zur kommunalen Wirtschaftssteuer – ein Reformkonzept der Bertelsmann Stiftung; Eilfort: Kommunalfinanzen neu ordnen – Die Vier-Säulen-Lösung der Stiftung Marktwirtschaft, im Internet unter www.kpv-ibb.de; während der 15. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages wurde ein Gesetzentwurf verabschiedet, der die Gewerbesteuer in eine „Gemeindewirtschaftssteuer als Gemeindesteuer“ umbauen wollte, die auch Selbständige i. S. d. § 18 EStG als gewerbesteuerpflichtig erfassen sollte, BT-DS 15/1517; allerdings scheiterte das Gesetzesvorhaben zunächst durch Beschluss des Bundesrats, vgl. Stellungnahme des Bundesrats und Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-DS 15/1664; die anschließenden Verhandlungen im Vermittlungsausschuss ergaben, dass Selbständige auch künftig nicht gewerbesteuerpflichtig sein sollten, sodass sich insoweit keine Änderungen ergaben, vgl. BT-DS 15/2248.
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1. Bestehende Gestaltungsspielräume ausbauen I. R. d. bestehenden Einnahmesystems kommt Gebühren und Beiträgen sowie kommunalen Hebsatzrechten ein besonders hoher Grad an Autonomie zu. Hinsichtlich Gebühren und Beiträgen ist nicht ersichtlich, wie deren Bedeutung noch wesentlich erhöht werden könnte. Hinsichtlich der Bedeutungssteigerung bestehender Hebesatzrechte sei auf die Ausführungen zur Weiterentwicklung der Gewerbesteuer und der Grundsteuer verwiesen.885 Kritisch sind im Zusammenhang mit der Schaffung bzw. dem Ausbau kommunaler Gestaltungsspielräume auf der Einnahmeseite unnötige Finanzverflechtungen mit Bund und Ländern zu sehen. Denn diese bewirken nicht nur weniger Transparenz, sondern verringern auch das Risikoanpassungspotential vorhandener Gestaltungsspielräume insoweit, als beispielsweise durch eine Hebesatzerhöhung erzielte Steuermehreinnahmen nur zu einem Teil tatsächlich auch der erhebenden Kommune zur Verfügung stehen. Insbesondere die Gewerbesteuerumlage ist in diesem Zusammenhang zu nennen.886 Denn diese schmälert die Bedeutung der Gewerbesteuer für die Kommunen empfindlich dadurch, dass sie Bund und Ländern einen Anspruch auf einen Teil des Gewerbesteueraufkommens gegen Städte und Gemeinden vermittelt. Dieser richtet sich nach § 6 Gemeindefinanzreformgesetz. 2006 betrug der Anteil der Gewerbesteuerumlage im Verhältnis zum Gewerbesteueraufkommen in den westlichen Bundesländern 18,8 und in den ostdeutschen Bundesländern 11,5%.887 2. Neue Gestaltungsspielräume erschließen a) Einkommensteuer Art. 106 V S. 3 GG enthält eine Ermächtigungsgrundlage zur Einräumung eines Hebesatzrechts auf die Einkommensteuer, von der der Bundesgesetzgeber bislang keinen Gebrauch gemacht hat.888 Indes ist vor dem Hintergrund der demographischen Herausforderungen zu empfehlen, ein solches Hebesatzrecht einzuführen. Die Regelung des Art. 106 V GG ist dabei dahingehend zu verstehen,889 dass sie hinsichtlich des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer zwei unterschied885
s. soeben C. II. 3. a) und c). Vgl. insoweit auch Witte/Tebbe: Von der Gewerbesteuer zur kommunalen Wirtschaftssteuer – ein Reformkonzept der Bertelsmann Stiftung, S. 11 f. 887 Karrenberg/Münstermann: Gemeindefinanzbericht 2007 im Detail, Tabelle 8, S. 92; insgesamt wurden in den ost- und westdeutschen Bundesländern demnach 18,3% des Gewerbesteueraufkommens von den Gemeinden an Bund und Länder abgeführt. 888 Exemplarisch Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 106, Rn. 17b. 886
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liche Regelungssysteme optional gegenüberstellt: dasjenige des Art. 106 V S. 1 GG, welches derzeit Umsetzung findet, und dasjenige des Art. 106 V S. 3 GG, welches ein Hebesatzrecht beinhaltet. Durch die Einführung eines Hebesatzrechtes müsste § 1 Gemeindefinanzreformgesetz dahingehend angepasst werden, dass die Gemeinden fortan nicht mehr automatisch 15% des Einkommensteueraufkommens erhielten, sondern einen variablen Anteil, der dem durch die Gemeinden im Wege des Hebesatzes erhobenen Einkommensteueraufkommen entspräche. Der zentrale Unterschied zwischen den beiden Regelungsoptionen ist also, dass bislang eine einzige Einkommensteuermasse verteilt wird und nach Einführung eines Hebesatzrechts zwei Einkommensteuermassen entstünden: das Gemeinschaftsaufkommen, das zwischen Bund und Ländern verteilt würde, und das Gemeindeaufkommen, das sich aus den gemeindlichen Hebesätzen ergäbe und zwischen den Gemeinden dem örtlichen Aufkommen entsprechend verteilt würde.890 b) Umsatzsteuer Die Ermächtigung zur Einführung eines Hebesatzrechts besteht hinsichtlich der Umsatzsteuer nicht.891 Sollte ein solches ermöglicht werden, bedürfte es folglich einer Verfassungsänderung. Zudem stellt sich das Problem der örtlichen Radizierung892 auch bei Einführung eines Hebesatzrechts, sodass im Ergebnis von der Einführung eines Hebesatzrechts auf die Umsatzsteuer eher abzuraten ist. 3. Zuweisungspraxis i. R. d. kommunalen Finanzausgleichs Allgemeine Zuweisungen, d.h. frei verwendbare Mittel, und zweckgebundene Zuweisungen werden etwa im Verhältnis 60% zu 40% gewährt. D.h. immerhin etwa zwei Fünftel der gewährten Zuweisungen sind an eine ganz bestimmte Verwendung geknüpft.893 In demographischer Hinsicht kommt es dann zu Problemen, wenn durch die konkrete Zweckbindung dahingehend falsche Anreize ge889 Zu den Auslegungsschwierigkeiten etwa Meyer: Das Finanzreformgesetz – Probleme einer Verfassungsänderung, in: DÖV 1969, 261, 265 f.; Schnorr: Das Hebesatzrecht der Gemeinden, S. 172 ff. 890 Zu alledem ausführlich Hidien in: Bonner Kommentar, Art. 106, 1045 f.; soweit Schmitt auf mögliche Negativeffekte eines Hebesetzrechts auf die Einkommensteuer im Zusammenhang mit der Stadt-Umland-Problematik hinweist, sei darauf verwiesen, dass in solchen Fällen zu Lösungen im Wege interkommunaler Kooperation gefunden werden muss, vgl. Schmitt: Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, S. 197. 891 Exemplarisch Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 106, Rn. 17b. 892 Vgl. soeben C. II. 3. b). 893 Karrenberg/Münstermann: Gemeindefinanzbericht 2007 im Detail, S. 40 und Übersicht 15, S. 41.
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setzt werden, dass von Bevölkerungsrückgang betroffene Kommunen zum Aufbau anstatt zum Rückbau kommunaler Infrastruktureinrichtungen verleitet werden.894 Hinsichtlich der Demographietauglichkeit der Vielzahl unterschiedlicher Zweckbindungen lässt sich die Aussage treffen, wonach jeder Zweck, der mittelbar oder unmittelbar an demographische Entwicklungen anknüpft, demographieuntauglich ist. Denn aufgrund der kleinräumigen Ausgestaltung des demographischen Wandels kann ein und derselbe Zweck je nach demographischer Situation einer Gemeinde hilfreich oder kontraproduktiv sein. Deshalb ist jedenfalls insoweit dafür zu plädieren, entsprechende Zweckzuweisungen künftig in nicht zweckgebundene Schlüsselzuweisungen umzuwandeln.895 Als demographietauglich können bestenfalls solche Zwecksetzungen in Frage kommen, die auch unabhängig von der konkreten demographischen Situation einer nachhaltigen Entwicklung896 dienen, und ggf. durch die demographischen Veränderungen noch stärkeres Gewicht erhalten. Insoweit geeignete Zweckbindungen dürften nicht zuletzt Programme zur Reduzierung des Flächenverbrauchs oder zur Umsetzung des städtebaulichen Prinzips, wonach Innen- vor Außenentwicklung anzustreben ist, aufweisen. IV. Im Fokus: Reform des kommunalen Finanzausgleichs Die Reduktion des dem kommunalen Finanzausgleich innewohnenden demographischen Faktors führt nur dann zu mehr Demographietauglichkeit, wenn dadurch der kommunale Finanzausgleich in seiner Funktionalität897 zumindest nicht beeinträchtigt wird. 1. Methodik der Ermittlung des kommunalen Finanzbedarfs Die Zuweisungen, die die Kommunen aus dem kommunalen Finanzausgleich erhalten, errechnen sich aus dem Abgleich deren jeweiliger Finanzkraft mit deren jeweiligem Finanzbedarf.898 Nicht zuletzt die Ermittlung des Finanzbedarfs bereitet dabei erhebliche Schwierigkeiten.899 Sie ist in zwei theoretischen Schrit894 Ausführlich zu den Folgen des Bevölkerungsrückgangs und die jeweils geeignete Reaktionsstrategie hierauf: Kapitel 1, 4 und 5. 895 Vgl. dazu die generelle Forderung des Deutschen Städtetags, Karrenberg/Münstermann: Gemeindefinanzbericht 2007 im Detail, S. 40. 896 Zum Begriff der Nachhaltigkeit etwa Kahl: Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, in: ders. (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 1 ff. 897 Vgl. zu den Funktionen des Kommunalen Finanzausgleichs Kapitel 3 D. II. 1. b). 898 s. dazu ausführlich Kapitel 3 D. II. 1. b) und c) (2). 899 Exemplarisch Hidien: Die Berücksichtigung der Finanzkraft und des Finanzbedarfs der Gemeinden im Finanzausgleich, S. 142.
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ten zu vollziehen: Zunächst ist festzulegen, welche Aufgaben von der jeweiligen Gemeinde zu erledigen sind. Sodann ist zu ermitteln, was für Finanzmittel notwendig sind, um diesen Aufgabenkatalog effizient zu bewerkstelligen.900 Praktisch ist dabei eine kaum überschaubare Vielzahl an tatsächlichen, politischen und rechtlichen Einflüssen mit zu berücksichtigen. In rechtlicher Hinsicht muss zudem das Spannungsverhältnis beachtet werden, in dem der kommunale Finanzausgleich im Verhältnis zur kommunalen Selbstverwaltungsgarantie steht. Denn die notwendige Erfassung der kommunalen Finanzbedarfe ist immer auf eine gewisse Standardisierung angewiesen. Eine solche nimmt aber ihrerseits indirekt Einfluss auf die kommunale Aufgabenerfüllung, indem sie den dafür zur Verfügung stehenden finanziellen Handlungsspielraum (mit-)bestimmt.901 Methodisch lassen sich zwei mögliche Grundansätze unterscheiden: Im Wege einer originären Bedarfsfestlegung wird anhand der jeweils konkret zu bewältigenden Aufgabenfelder der dazu notwendige Ausgabenbedarf ermittelt; die derivative Bedarfsermittlung schließt demgegenüber von bestimmten Indikatoren, wie insbesondere der Einwohnerzahl, auf den notwendigen Ausgabenbedarf. In beiden Fällen ist nach ganz überwiegender Auffassung von normativen (Soll-) Werten im Gegensatz zu realen (Ist-)Werten auszugehen.902 2. Kostenverteilung nach Gemeindegrößen Zunächst stellt sich die grundlegende Frage, wie sich die Kosten der Aufgabenerledigung im Verhältnis zur Zahl der zu versorgenden Einwohner der betreffenden Gemeinde verhalten. Zu diesem Problemkreis, der auch die Frage optimaler Betriebsgrößen umfasst,903 gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse. Einiges scheint allerdings auf einen u-förmigen Verlauf der Pro-Kopf-Kosten hinzudeuten, sodass davon auszugehen ist, dass die Pro-Kopf-Kosten für die Erbringung einer Aufgabe bis zu einer optimalen Gemeindegröße sinken und für höhere Einwohnerzahlen wieder zunehmen.904 Dieser Verlauf der Pro-Kopf-KostenKurve erklärt sich durch economies of scale für Gemeinden bis zu einer bestimmten Größenklasse, ab der dann wiederum diseconomies of scale eintreten, 900 Hansmeyer/Kops: Finanzwissenschaftliche Grundsätze für die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs, in: Hoppe (Hrsg.), Reform des kommunalen Finanzausgleichs, S. 37. 901 Vgl. zu alledem Hidien: Die Berücksichtigung der Finanzkraft und des Finanzbedarfs der Gemeinden im Finanzausgleich, S. 144 f.; vgl. speziell zum Spannungsverhältnis im Verhältnis zur kommunalen Selbstverwaltungsgarantie auch Karrenberg/Münstermann: Gemeindefinanzbericht 2007 im Detail, S. 39, S. 40. 902 Zu alledem ausführlich Hidien: Die Berücksichtigung der Finanzkraft und des Finanzbedarfs der Gemeinden im Finanzausgleich, S. 146 ff. 903 Vgl. dazu bereits Kapitel 10 B. II. 2. a). 904 Seitz: Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung, S. 116.
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sodass die Pro-Kopf-Kosten für Großstädte ab dieser kritischen Einwohnerzahl wieder ansteigen. Für den Verlauf der Gesamtkostenkurve der betreffenden Aufgabe bedeutet ein solcher Zusammenhang, dass die Kostensteigerung im niedrigen Einwohnerbereich pro Einwohner stark ist, sich dann abflacht um für Einwohnerzahlen oberhalb des Bereichs der optimalen Gemeindegröße wieder immer stärker anzusteigen. Diese Erkenntnis ermöglicht nun ihrerseits einige Aussagen zum Problem der Kostenremanenzen, welches im Zuge von Bevölkerungsrückgängen auftritt. Dieses Phänomen ist für Gemeinden mittlerer Größe durch Kapazitätsreduzierungen abbaubar und daher lediglich eine zeitlich vorübergehende Erscheinung.905 Allerdings spricht vor dem Hintergrund der beschriebenen Pro-Kopf-Kosten-Entwicklung einiges dafür, dass stark schrumpfende, kleine Kommunen insbesondere in dünn besiedelten Gebieten des ländlichen Raums dauerhaft mit Kostenremanenzen zu kämpfen haben werden. Diese dürften aus nicht reduzierbaren Grundlasten resultieren. Anlass zu dieser Vermutung gibt folgende Überlegung: Hohe Pro-Kopf-Kosten für kleine Gemeinden begründen sich mit bestimmten Fixkosten, die sich ihrerseits wiederum mit bestimmten nicht weiter reduzierbaren Mindestkapazitäten erklären lassen. Umgekehrt erklären die offenbar vorhandenen diseconomies of scale in Großstädten oberhalb einer kritischen Größe, weshalb das Phänomen der Kostenremanenzen für genau diese Städte gar nicht oder nur in geringem Maße auftritt.906 Allerdings fehlen insoweit flächendeckende empirische Daten, sodass hier auf lediglich punktuelle Erkenntnisse für einige wenige Aufgabenbereiche907 und daneben auf Plausibilitätsüberlegungen908 zurückgegriffen werden muss. Von diseconomies of scale sind solche Sonderlasten zu unterscheiden, die größere Gemeinden aufgrund ihrer im Vergleich zu kleineren Gemeinden höheren zentralörtlichen Funktion zu tragen haben. Diese Sonderlasten waren aber bislang die Hauptbegründung für die sog. Einwohnerveredelung.909 Allerdings dürften wohl auch i. R. d. Wahrnehmung zentral-örtlich bedingter Sonderlasten diseconomies of scale auftreten.
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Vgl. zu alledem ausführlich Kapitel 4 D. II. 1. Vgl. Kapitel 4 D. II. 1. 907 Seitz weist für die Aufgabenbereiche Abwasserentsorgung, Straßenverkehr und Schule einen solchen u-förmigen Verlauf der Pro-Kopf-Kosten nach: Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung. 908 So erscheint es einleuchtend, dass etwa ein Abwassersystem für 10 Einwohner genauso an das allgemeine Kanalnetz angeschlossen werden muss wie eines für 20 Einwohner; ein Schulgebäude muss zumindest einen Klassenraum enthalten, der von vornherein für eine bestimmte Mindestzahl an Schülern gebaut ist, sodass egal ist, ob 3 oder 6 Schüler darin lernen. 909 Karrenberg/Münstermann: Gemeindefinanzbericht 2007 im Detail, S. 41; Miera: Kommunales Finanzsystem und Bevölkerungsentwicklung, S. 40. 906
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Für die Gesamtkosten, die eine Gemeinde zu tragen hat, lässt sich – abschließend – folgender weiterer Zusammenhang feststellen: Je größer die Gemeinde ist, desto höhere Kosten hat sie insgesamt, d.h. für die Erledigung sämtlicher ihrer Aufgaben zusammen, zu tragen. Denn auch wenn die Pro-Kopf-Kosten sinken, steigen die Gesamtkosten – wenngleich langsamer – mit jedem hinzukommenden Einwohner an. 3. Möglichkeiten einer demographietauglicheren Bedarfsermittlung Soll der demographische Faktor reduziert werden, so bedeutet dies, dass im Rahmen der bislang meist derivativen Bedarfsermittlungsansätze der kommunalen Finanzausgleichssysteme andere Bedarfsindikatoren ermittelt werden müssen. Alternativ oder zusätzlich kann über stärker originäre Ansätze nachgedacht werden. Entscheidend ist, dass der beschriebene Gesamtkostenverlauf vom kommunalen Finanzausgleich soweit wie möglich nachvollzogen wird. a) Die fiskalische Funktion sicherstellen (1) Ausgangsfeststellung: Einwohnerzahl als unverzichtbarer Indikator Die ermittelte Kostenfunktion steht in Abhängigkeit zur Zahl der Einwohner einer Gemeinde. Es gilt die grundsätzliche Aussage, wonach die von einer Gemeinde zu tragenden Gesamtkosten zur Erledigung sämtlicher Aufgaben umso höher sind, je mehr Einwohner zu versorgen sind. Insofern macht die fiskalische Funktion des kommunalen Finanzausgleichs die Grundausrichtung der Schlüsselzuweisungen an den Einwohnerzahlen wohl unentbehrlich.910 Wie diese Kostenfunktion allerdings genau aussieht, ist unklar und bedarf umfangreicher empirischer Forschungstätigkeit. Insofern kann der Kostenverlauf derzeit lediglich grob geschätzt abgebildet werden. Die zentrale Frage ist dabei die nach dem Umgang mit economies of scale und diseconomies of scale. (2) Umgang mit Kleingemeinden Stark schrumpfende kleine Kommunen werden insbesondere in dünn besiedelten Gebieten des ländlichen Raums mit nicht reduzierbaren Grundlasten zu kämpfen haben. Vor diesem Hintergrund erscheint für solche Kleingemeinden die Einführung einer ,negative Einwohnerveredelung‘911 gut begründbar. Auf 910 Perner spricht insoweit von der Einwohnerzahl als „Basisindikator“: Optionen zur Reduzierung des Flächenverbrauchs, S. 71. 911 In diese Richtung weist das Vorgehen des Freistaats Bayern, wo ein Demographiefaktor bewirkt, dass aus den dem Berechnungszeitpunkt vorausgehenden 5 Jahren die höchste Einwohnerzahl als Berechnungsgrundlage dient, Bevölkerungsverluste also erst
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diese Weise erhielte eine Gemeinde pro verbliebenem Einwohner umso mehr Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich, je geringer ihre Einwohnerzahl ist. Praktisch könnte dies durch die Einführung einer Pauschalschlüsselzuweisung für Gemeinden unterhalb einer bestimmten Einwohnerzahl geschehen. Auf diese Art entfiele nicht nur der demographische Faktor der Schlüsselzuweisungen, sondern es würde zugleich der relativ hohen Kostenbelastung von Kleingemeinden Rechnung getragen. Zudem wäre eine solche Maßnahme ein Beitrag zur Systemvereinfachung und zu mehr Transparenz. (3) Diseconomies of scale in Großstädten Diseconomies of scale treten erst oberhalb einer kritischen Einwohnerzahl auf. Diese könnte bei einer Größenordnung von etwa 500.000 Einwohnern liegen, also gerade einmal die größten zehn bis 20 deutschen Städte betreffen. Hierauf deuten die empirischen Untersuchungen von Seitz für den Bereich der Abwasserentsorgung hin.912 Allerdings sei nochmals darauf hingewiesen, dass die diesbezüglichen empirischen Erkenntnisse außerordentlich gering sind und erheblicher Forschungsbedarf besteht.913 Es ist also gut möglich, dass die kritische Einwohnerzahl, ab der diseconomies of scale eintreten, höher oder niedriger ist. Das Instrument der klassischen Einwohnerveredelung erscheint für Städte dieser Einwohnerklasse allerdings folgerichtig und daher unverzichtbar. b) Die allokative Funktion sicherstellen: Ausgleich zentral-örtlich bedingter Sonderbedarfe (1) Ausgangsfeststellung: Die Einwohnerveredelung als praktikables Instrument Zweck der Einwohnerveredelung ist bislang insbesondere der Ausgleich sog. Spillover-Effekte, die einer Kommune aufgrund ihrer zentralörtlichen Funktion entstehen.914 Vereinfachend wird diesbezüglich bislang der Zusammenhang hergestellt: Je größer eine Kommune desto größer ihre zentralörtliche Bedeutung.915 mit Verzögerung erfasst werden, dazu Karrenberg/Münstermann: Gemeindefinanzbericht 2006 im Detail, S. 54. 912 Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Kosten der öffentlichen Leistungserstellung, S. 43, 46, 54. 913 Insbesondere dürften die Pro-Kopf-Kosten-Verläufe für jede Aufgabenart unterschiedlich sein, sodass wirklich belastbare empirische Erkenntnisse die Untersuchung jedenfalls der ausgabewirksamsten Aufgabenbereiche voraussetzen würde; vgl. zur Frage, welcher Verwaltungsebene welche Kompetenzen zugesprochen werden müssen um eine möglichst effiziente Aufgabenerledigung zu gewährleisten: Kapitel 10 B. II. 2. a). 914 s. o. C. IV. 2. 915 Vgl. für Baden-Württemberg § 7 II FAG und zudem (soweit ersichtlich für alle Bundesländer – jedenfalls aber für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) Winkel:
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Und offenbar ist dies ein praktikabler Ansatz zur bedarfsgerechten Verteilung finanzieller Ressourcen.916 Allerdings ist die Einwohnerveredelung zugleich auch Ursache für den den Schlüsselzuweisungen inne wohnenden enormen demographischen Faktor. Insofern erscheint sie als zentrale Stellschraube zur Reduzierung desselben. (2) Möglichkeiten zur Reduktion des demographischen Faktors Anders als i. R. d. Berücksichtigung von economies of scale, erscheint das Instrument der Einwohnerveredelung i. R. d. Berücksichtigung von Spillover-Effekten durchaus ersetzbar. Es ist insoweit die Frage zu stellen, ob nicht eine stärker aufgabenbezogene Mittelzuweisung möglich und zweckmäßiger wäre.917 Zu suchen ist nach einer Möglichkeit, wie die tatsächlich von einer Kommune wahrgenommenen Funktionen, die nicht nur den eigenen sondern auch den Einwohnern der Umlandgemeinden zugute kommen, finanziell angemessen ausgeglichen werden können. Als Parameter einer solchen Mittelverteilung sind neben den tatsächlich zur Verfügung gestellten Einrichtungen auch die Einwohner des Verflechtungsbereichs zu sehen, denen die betreffenden Einrichtungen zugute kommen. Folglich ist nach einem stärker originären Bedarfsermittlungsansatz zu suchen.918 Die folgenden Eckpunkte könnten die grobe Richtung künftiger Reformmaßnahmen vorgeben und sind als Diskussionsgrundlage zu verstehen: Die Einwohnerveredelung im bisherigen Sinne ist abzuschaffen. Stattdessen sind die nach Abzug der für fiskalische Zwecke benötigten noch übrigen Mittel den Verflechtungsgebieten zur Verfügung zu stellen, die denjenigen der Regionalplänen entsprechen. Dabei dient die Gesamteinwohnerzahl der jeweiligen Verflechtungsbereiche als Zuweisungsschlüssel. Sämtliche Gemeinden mit zentralörtlichen Funktionen erhalten das Recht und die Pflicht, die Mittelvergabe untereinander auf dem Verhandlungswege zu organisieren. Dabei sind als zentrale Bedarfsindikatoren die tatsächlich wahrgenommenen zentralörtlichen Funktionen sowie die Einwohnerzahl der mit diesen Funktionen versorgten Verflechtungsbereiche zugrunde zu legen. Der entsprechende Beschluss bedarf der Genehmigung des ReAuswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf die kommunalen Finanzen, in: Müller/ Siedentop (Hrsg.), Schrumpfung – Neue Herausforderungen für die Regionalentwicklung in Sachsen/Sachsen-Anhalt und Thüringen, S. 84. 916 Karrenberg/Münstermann: Gemeindefinanzbericht 2007 im Detail, S. 41. 917 Der in den Festlegungen zum Gesamtrahmen einer Verwaltungsreform niedergelegte Ansatz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, zu prüfen, inwieweit die Mittelvergabe durch den kommunalen Finanzausgleich zukünftig stärker aufgabenbezogen erfolgen kann, weist in die richtige Richtung; vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern DS 5/1409, S. 14. 918 Vgl. dazu bereits oben C. IV. 1.
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gierungspräsidiums bzw. in Ländern mit einem zweistufigen Verwaltungsaufbau des für den kommunalen Finanzausgleich zuständigen Landesministeriums. Kann eine Einigung nicht erzielt werden, entscheidet das Regierungspräsidium bzw. das Landesministerium nach billigem Ermessen unter Zugrundelegung der o. g. Parameter. Die Vorteile einer solchen Vorgehensweise wären vielfältig: Erstens würde die extreme Fokussierung der Schlüsselzuweisungen des kommunalen Finanzausgleichs auf die Einwohnerzahl der betroffenen Gemeinde erheblich reduziert; Anreize für einen ruinösen Einwohnerwettbewerb um jeden Preis wären damit deutlich vermindert. Zweitens würde dadurch für die betroffenen Gemeinden ein Anreiz geschaffen, zentralörtliche Funktionen wahrzunehmen und daher öffentliche Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, die die betroffene Gemeinde insgesamt attraktiver werden lassen. Drittens wären jeweils passgenaue Mittelzuweisungen möglich, da hierüber nicht zentral, sondern durch die Betroffenen selbst entschieden würde. Damit wären auch keine Probleme im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie zu befürchten, da die betroffenen Kommunen selbst entscheiden könnten; eine solche Lösung wäre also nicht nur eine denkbare Strategie zur Reduzierung des demographischen Faktors, sondern würde der kommunalen Ebene zugleich mehr Autonomie ermöglichen. (3) Exkurs: Grundlinien eines neuen Zentrale-Orte-Ansatzes Soll der kommunale Finanzausgleich teilweise in den Verflechtungsräumen der Oberzentren ausgehandelt werden, so drängt sich die Frage auf, inwiefern der bisherige Zentrale-Orte-Ansatz gerade auch vor dem Hintergrund des demographischen Wandels überhaupt noch zeitgemäß ist. Wichtig erscheint dabei zunächst, dass eine ersatzlose Abschaffung des Systems Zentraler Orte vor dem Hintergrund des Erfordernisses einer nachhaltigen Raumentwicklung kaum in Frage kommt.919 Zu groß erscheint der Flächenbedarf bzw. jedenfalls die Bereitschaft der Kommunen, auch oder gerade in Zeiten des demographischen Wandels solche zur Verfügung zu stellen.920 Zudem erfordern auch Rückbaumaßnahmen und insbesondere Kooperationsprojekte, also die Zusammenlegung mehrerer Einrichtungen zu einer einzigen, Leitbilder für eine räumliche Ordnung. Eine völlige Liberalisierung würde wohl zu einer weitgehend unkoordinierten und wenig nachhaltigen Verteilung räumlicher Funktionen führen. Zweckmäßiger erscheint
919 Das Nachhaltigkeitsprinzip ergibt sich aus § 1 II ROG und ist die prägende Leitvorstellung des Raumordnungsrechts; es wird von drei Säulen getragen: der ökonomischen, der ökologischen und der sozialen Säule; vgl. dazu etwa Runkel in: Bielenberg/ Runkel/Spannowsky (Hrsg.), Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, K § 1, Rn. 59 f. 920 Vgl. dazu Kapitel 4 D. II. 2.
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243
eine Neuinterpretation des Begriffs des Zentralen Ortes auf Grundlage eines funktionaleren Verständnisses als bisher.921 Und tatsächlich macht es der demographische Wandel notwendig, zentralörtliche Funktionen räumlich-logistisch effizient neu zu verteilen. Dazu erscheint ein funktionales Verständnis Zentraler Orte als eine wesentliche Grundvoraussetzung. Um Zentrale Orte aber künftig in einem funktionaleren Sinne definieren zu können, muss sich das Verständnis derselben von der an administrativen Gemeindegrenzen orientierten Herangehensweise zu einer clusterorientierten wandeln: Auf diese Wiese könnten interkommunale Kooperationsräume gebildet werden, innerhalb derer die betroffenen Gemeinden im Verhandlungswege Standorte etwa von Infrastruktureinrichtungen aushandeln müssten.922 Insofern stünde eine Umgestaltung des Zentrale-Orte-Prinzips in der skizzierten Art und Weise mit der holzschnittartig beschriebenen Umgestaltung der Einwohnerveredelung des kommunalen Finanzausgleichs in einer Reihe. c) Zusammenfassung: Der neue kommunale Finanzausgleich Die Schlüsselzuweisungen des kommunalen Finanzausgleichs im vorgeschlagenen Sinne bestünden aus zwei Komponenten: Die erste Komponente würde für Kleingemeinden aus einer Pauschalzuweisung, für größere Gemeinden aus einer mit der Einwohnerzahl zunächst proportional ansteigende Summe darstellen. Lediglich für Großstädte oberhalb einer kritischen Einwohnergrenze würde eine Einwohnerveredelung vorgenommen. Die zweite Komponente bestünde aus einer mit anderen Kommunen des Verflechtungsbereiches ausgehandelten Summe, die sich an der Zahl der zentralörtlichen Funktionen sowie der Einwohnerzahl des damit versorgten Verflechtungsbereichs orientieren müsste.
921 In diesem Sinne auch Blotevogel (Hrsg.): Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S. XIII f., 219; Danielzyk: Der veränderte raumordnungspolitische Kontext, in: ebd., S. 7 f.; Gebhardt: Das Zentrale-Orte-Konzept heute – neoklassischer „Ladenhüter“ oder zeitgemäßes Instrument zum „framing“ von Planungsprozessen (Vortragsmanuskript), S. 2, http://www2.geog.uni-heidelberg.de/anthropo/mitarbeiter/gebhardt/pdf/ zentrale_orte.pdf. 922 So auch die Empfehlung der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, vgl. Blotevogel (Hrsg.): Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, S. XXI ff., 228 ff.; vgl. außerdem Hoppe: Das Nachhaltigkeitsprinzip und das planungsrechtliche Prinzip der zentralörtlichen Gliederung (Zentrale-Orte-Konzept), in: Führ/Wahl/v. Wilmowsky (Hrsg.), Umweltrecht und Umweltwissenschaft, S. 191 ff.; ähnlich Gebhardt: Das Zentrale-Orte-Konzept heute – neoklassischer „Ladenhüter“ oder zeitgemäßes Instrument zum „framing“ von Planungsprozessen.
244
Kap. 11: Demographietauglichkeit des kommunalen Einnahmesystems
D. Zusammenfassende Thesen – Parameter potentieller Demographieuntauglichkeit kommunaler Einnahmequellen sind die Intensität des demographischen Faktors, verbunden mit der Aufkommensstärke des betreffenden Einnahmeinstruments sowie der Autonomiegehalt desselben. – Als potentiell demographieuntauglich sind daher insbesondere die Zuweisungen i. R. d. kommunalen Finanzausgleichs sowie der kommunale Einkommensteueranteil einzustufen. – Als Stellschrauben für eine alternative – demographietauglichere – Gestaltung des kommunalen Finanzsystems erscheinen eine ausgewogene Aufsplittung der Einnahmerisiken auf verschiedene Einnahmequellen, verbunden mit der Möglichkeit für die Kommunen, eine jeweils passgenaue örtliche Einnahmestrategie zu entwickeln; schließlich gilt es den kommunalen Finanzausgleich so zu gestalten, dass er den tatsächlichen Kostenverlauf abbildet und so seinen Funktionen gerecht wird. – Die Bedeutung der Grundsteuer ist insbesondere dadurch zu erhöhen, dass als Bemessungsgrundlage künftig nicht mehr der Einheitswert, sondern der tatsächliche Verkehrswert des zu besteuernden Grundstücks gilt. – Die Bedeutung der Gewerbesteuer ist durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu erhöhen. – Die Gewerbesteuerumlage ist abzuschaffen. – Von der verfassungsrechtlich eingeräumten Möglichkeit der Einführung eines kommunalen Hebesatzrechts auf die Einkommensteuer ist Gebrauch zu machen. – Jedenfalls soweit Zweckzuweisungen mittelbar oder unmittelbar an die demographische Entwicklung anknüpfen, sind sie in Schlüsselzuweisungen umzuwandeln. – Der Kommunale Finanzausgleich ist funktional zu stärken: Die Schlüsselzuweisungen sollten aus zwei Komponenten bestehen: Die erste Komponente würde für Kleingemeinden aus einer Pauschalzuweisung, für größere Gemeinden aus einer mit der Einwohnerzahl zunächst proportional ansteigenden Summe bestehen. Lediglich für Großstädte oberhalb einer kritischen Einwohnergrenze würde eine Einwohnerveredelung vorgenommen. Die zweite Komponente bestünde aus einer mit anderen Kommunen des Verflechtungsbereiches ausgehandelten Summe, die sich an der Zahl der zentralörtlichen Funktionen sowie der Einwohnerzahl des damit versorgten Verflechtungsbereichs orientieren müsste.
Kapitel 12
Gesamtfazit zur Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung A. Leitsätze Für einen aus kommunaler Sicht geeigneten Umgang mit dem demographischen Wandel ist zunächst festzustellen: Die Hauptverantwortung tragen die Kommunen selbst. Sie sind es, die passgenaue Einzelfalllösungen erarbeiten müssen. Dazu müssen sie den politischen Willen zu möglicherweise notwendigen Schrumpfungsstrategien aufbringen. 1. Leitsatz: Die Hauptverantwortung tragen die Kommunen. Zentral wird es für sämtliche Kommunen sein, attraktiv zu bleiben, um so verbliebene Einwohner in der Gemeinde halten zu können. Dazu sind eigene Gestaltungsspielräume notwendig. Der demographische Wandel wird allerdings in der Tendenz bewirken, dass ohnehin nur noch spärlich vorhandene Gestaltungsspielräume noch geringer werden. Es erscheint wahrscheinlich, dass zumindest stark und sehr stark vom demographischen Wandel betroffene Städte und Gemeinden der demographischen Grenzbelastung nicht werden Stand halten können. Damit könnten gerade diese Kommunen in einen Teufelskreis geraten. Daher sind bestehende kommunale Handlungsspielräume zu erhalten und ggf. auszuweiten; neue kommunale Handlungsspielräume sind zu schaffen. Dabei ist das Augenmerk sowohl auf die Aufgaben- als auch auf die Einnahmenseite zu richten. 2. Leitsatz: Kommunale Handlungsspielräume sind auszuweiten. Die Aufgabenseite bietet allerdings nur wenige Ansätze zu relativ kurzfristig umsetzbaren und nennenswert wirksamen Maßnahmen der Kostensenkung. Insbesondere können bestenfalls geringe finanzielle Effekte von der Senkung kommunaler Standards erwartet werden. Und auch der Gewinn an Handlungsspielraum innerhalb der betreffenden Aufgabe erscheint eher minimal. Einzig wirksam wären wohl politische Entscheidungen des Bundes und der Länder i. R. e. umfassenden Aufgabenkritik, bisherige Pflichtaufgaben der Kommunen in freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben umzuwandeln.
246
Kap. 12: Gesamtfazit zur Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts
Verwaltungsreformen in funktionaler wie territorialer Hinsicht unterliegen dem Problem mangelnder empirischer Erkenntnisse zu den Pro-Kopf-Kosten-Kurven kommunaler Aufgabenerledigung. Dadurch lassen sich kaum Aussagen zu optimalen Betriebsgrößen von Verwaltungseinheiten machen. Sämtliche Verwaltungsreformen im funktionalen Sinne weisen zudem ein weiteres Manko auf: Analysen als Grundlage für eine möglicherweise effizientere Aufgabenerfüllung basieren durchweg auf gegenwartsbezogenen Überlegungen. Eine Langfristbetrachtung wird nicht vorgenommen. Jedoch ist die Langfristperspektive zur Erfassung demographisch bedingter Entwicklungen von zentraler Bedeutung! 3. Leitsatz: Verwaltungsstrukturen sind unter Zugrundelegung einer Langfristperspektive weiterzuentwickeln. Privatisierungsmaßnahmen sind in demographischer Hinsicht zurückhaltend zu bewerten: Ein kommunaler Aufgabenbereich ist nur dann zu privatisieren, wenn dadurch nachweislich nicht nur kommunale Handlungsspielräume aufgegeben, sondern im Ergebnis mehr bzw. wertvollere neue Handlungsspielräume erschlossen werden. 4. Leitsatz: Privatisierungsmaßnahmen sind vor dem Hintergrund des Erfordernisses, neue Handlungsspielräume zu schaffen, zurückhaltend zu bewerten. Interkommunale Kooperation bietet in vielen Fällen die einzige Lösung zur Sicherstellung einer dauerhaften Aufgabenerledigung in Selbständigkeit. Indes ist zu beachten, dass die Gestaltungsmöglichkeiten im betreffenden Aufgabenfeld eingeengt werden. Interkommunale Kooperationsverhältnisse sind also nur dann einzugehen, wenn dadurch kommunale Handlungsspielräume gegen eine noch weiter gehende Einengung abgesichert oder – im optimalen Falle – neu erschlossen werden können. 5. Leitsatz: Interkommunale Kooperation kann ein geeignetes Mittel sein, um kommunale Gestaltungsspielräume abzusichern. Jedenfalls vorerst erscheint es am meisten Erfolg zu versprechen, neue kommunale Handlungsspielräume hauptsächlich durch eine Stärkung der kommunalen Einnahmen zu gewinnen. Allerdings muss dabei gewährleistet sein, dass ggf. vorhandene Einsparpotentiale i. R. d. Aufgabenerledigung soweit wie möglich genutzt werden. Dazu bedarf es einer genauen Beobachtung der demographisch bedingten Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben.
B. Weiterer Forschungsbedarf
247
6. Leitsatz: Hauptstellschraube zur Gewinnung neuer Handlungsspielräume dürfte die Stärkung der kommunalen Einnahmeseite sein. Die kommunale Einnahmenseite bedarf allerdings auch struktureller Veränderungen. Diese lassen sich in einem weiteren Leitsatz wie folgt zusammenfassen: Kommunale Einnahmerisiken sind soweit wie möglich aufzuteilen, um so die Abhängigkeit vom Faktor Einwohner (demographischer Faktor) zu verringern; zugleich ist auch i. R. d. kommunalen Einnahmesystems mehr Autonomie zu wagen. 7. Leitsatz: Der demographische Faktor kommunaler Einnahmen ist soweit als möglich zurückzudrängen. 8. Leitsatz: Mehr Autonomie wagen. Der kommunale Finanzausgleich könnte wohl einwohnerunabhängiger und damit demographietauglicher ausgestaltet werden, wenn er stärker an den realen Kostenverläufen orientiert werden könnte. Dazu bedarf es aber weiterer empirischer Erkenntnisse über die Pro-Kopf-Kosten-Entwicklung kommunaler Aufgabenerfüllung in Abhängigkeit von der zu versorgenden Zahl der Einwohner. 9. Leitsatz: Der kommunale Finanzausgleich ist unabhängiger vom demographischen Faktor am realen Kostenverlauf zu orientieren.
B. Weiterer Forschungsbedarf I. Ständiges Demographie-Monitoring Der demographische Wandel ist bereits heute ein Faktum. Erkenntnisse darüber, wie er sich künftig fortentwickeln wird, basieren allerdings naturgemäß auf Prognosen und damit auf Annahmen. Deshalb bedarf es einer ständigen Verifizierung der bisherigen Erkenntnisse zum demographischen Wandel mit seiner tatsächlichen Weiterentwicklung und insbesondere mit seinen Auswirkungen auf die kommunale Selbstverwaltung. Erforderlich ist also eine Art ständiges Demographie-Monitoring. II. Mikrobetrachtungsweise Die i. R. dieser Arbeit verfolgte Methode der Makrobetrachtungsweise ist um die ebenfalls vorgestellte Mikrobetrachtungsweise zu ergänzen. Denn nur eine gemeindescharfe Untersuchung vermag Auskunft über den realen Zustand der
248
Kap. 12: Gesamtfazit zur Demographietauglichkeit des Verwaltungsrechts
kommunalen Selbstverwaltung zu geben bzw. vermag eine realitätsnahe Abschätzung über deren künftige Entwicklung zu leisten. III. Optimale Größe von Verwaltungseinheiten Daneben bedarf es umfangreicher empirischer Forschung hinsichtlich der optimalen Betriebsgröße von Verwaltungseinheiten und damit zusammenhängend auch der optimalen Aufgabenzuweisung an die jeweils vorhandenen Verwaltungsebenen. In einem ähnlichen Kontext steht die Frage des Verlaufs der ProKopf-Kostenkurve i. R. d. Bewältigung öffentlicher (kommunaler) Aufgaben; auch diese bedarf eingehender empirischer Untersuchungen. Nur auf der Grundlage entsprechender Erkenntnisse lassen sich ggf. tatsächlich strukturelle Veränderungen des Verwaltungsrechts vornehmen und damit eine Erhöhung dessen Demographietauglichkeit erreichen.
C. Endergebnis: Partielle Demographieuntauglichkeit Die kommunale Selbstverwaltung wird durch den demographischen Wandel vor weitere Herausforderungen gestellt. Das verwaltungsrechtliche System weist dabei durchaus auch in struktureller Hinsicht Optimierungsmöglichkeiten auf. Keinesfalls sind diese aber als Fundamentalkorrekturbedarf einzustufen. Daher kann das Verwaltungsrecht auch nicht als vollkommen demographieuntauglich bezeichnet werden. Die Einordnung als (lediglich) partiell demographieuntauglich dürfte der Realität allerdings nahe kommen.
Anhang
Daten und Gesprächsnotizen
Anhang I
251
Anhang I
Voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung in Deutschland Tabelle A1 enthält die Ergebnisse der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des statistischen Bundesamtes in der Variante „Mittlere Bevölkerung Untergrenze“ (1-W1). 1-W1 geht von folgenden Annahmen aus: – Geburtenhäufigkeit annähernd konstant bei 1,4 Kindern pro Frau; – die Lebenserwartung steigt für Neugeborene des Jahres 2050 auf 83,5 (Männer) bzw. 88,0 Jahre (Frauen); – der jährliche Außenwanderungssaldo beträgt +100.000. Tabelle A2 enthält die Ergebnisse der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des statistischen Bundesamtes in der Variante „Mittlere Bevölkerung Obergrenze“ (1-W2). 1-W2 geht von folgenden Annahmen aus: – Geburtenhäufigkeit annähernd konstant bei 1,4 Kindern pro Frau; – die Lebenserwartung steigt für Neugeborene des Jahres 2050 auf 83,5 (Männer) bzw. 88,0 Jahre (Frauen); – der jährliche Außenwanderungssaldo beträgt +200.000.
5.076
3.871
10 bis unter 16 Jahre
16 bis unter 20 Jahre
15.144
12.189
jüngere Senioren
Hochbetagte
50 bis unter 65 Jahre
65 bis unter 80 Jahre
80 Jahre und älter
82.440
2020
2030
2040
2050
100,00%
4,49%
14,56%
18,33%
30,46%
12%
4,85%
6,19%
3,88%
5,22%
82.040
4.288
12.540
16.424
23.726
10.010
3.383
4.774
2.900
3.995
6.307 79.748
81.326
15.936
16.202
20.182
7.855
2.770
4.091
2.656
3.749
5.933
12.667
19.445
20.599
8.929
2.996
4.078
2.672
4.007
100,00%
7,91%
19,98%
20,32%
25,31%
9,85%
3,47%
5,13%
3,33%
4,70%
77.287
8.003
1.831
15.384
18.073
7.647
2.754
3.834
2.389
3.372
74.083
10.151
13.334
14.869
16.824
7.377
2.488
3.457
2.211
3.372
100,00%
13,70%
18,00%
20,07%
22,71%
9,96%
3,36%
4,67%
2,98%
4,55%
Anteil „Mittlere „Mittlere „Mittlere Anteil „Mittlere „Mittlere Anteil an Gesamt- Bevölkerung Bevölkerung Bevölkerung an Gesamt- Bevölkerung Bevölkerung an Gesamtbevölkerung Obergrenze“ Obergrenze“ Obergrenze“ bevölkerung Obergrenze“ Obergrenze“ bevölkerung
2010
Quelle: Statistisches Bundesamt, 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung.
Gesamt
25.233
30 bis unter 50 Jahre
3.681
9.706
20 bis unter 30 Jahre
ausbildungsrelevantes Alter
3.194
6 bis unter 10 schulpflichtige Jahre Kinder
4.346
0 bis unter 6 Jahre
Betreuungsbzw. Vorschulalter
Anzahl (in 1000)
Stand 2005
Bevölkerungsgruppe nach Alter
Tabelle A 1
Variante 1-W1 Mittlere Bevölkerung Obergrenze
252 Anhang
schulpflichtige Kinder
6 bis unter 10 Jahre
Hochbetagte
80 Jahre und älter
82.440
2020
2030
2040
2050
100,00%
4,49%
14,56%
18,33%
30,46%
12%
4,85%
6,19%
3,88%
5,22%
81.888
4.287
12.537
16.414
23.673
9.951
3.375
4.767
2.896
3.988
80.057
5.924
12.641
19.318
20.046
8.627
2.957
4.032
2.624
3.888
77.204
6.287
15.845
15.850
19.065
7.484
2.686
3.934
2.523
3.530
100,00%
8,14%
20,52%
20,53%
24,69%
9,69%
3,48%
5,10%
3,27%
4,57%
73.422
7.959
15.592
14.620
16.645
7.119
2.586
3.576
2.215
3.110
68.744
10.040
12.817
13.691
15.168
6.665
2.279
3.157
2.005
2.922
100,00%
14,60%
18,64%
19,92%
22,06%
9,70%
3,31%
4,59%
2,92%
4,25%
Anteil „Mittlere „Mittlere „Mittlere Anteil „Mittlere „Mittlere Anteil an Gesamt- Bevölkerung Bevölkerung Bevölkerung an Gesamt- Bevölkerung Bevölkerung an Gesamtbevölkerung Untergrenze“ Untergrenze“ Untergrenze“ bevölkerung Untergrenze“ Untergrenze“ bevölkerung
2010
Quelle: Statistisches Bundesamt, 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung.
Gesamt
12.189
3.681
15.144
jüngere Senioren
65 bis unter 80 Jahre
25.233
30 bis unter 50 Jahre
50 bis unter 65 Jahre
9.706
3.871
16 bis unter 20 Jahre
20 bis unter 30 Jahre
5.076
10 bis unter 16 Jahre
ausbildungsrelevantes Alter
4.346
Betreuungsbzw. Vorschulalter
0 bis unter 6 Jahre
3.194
Anzahl (in 1000)
Stand 2005
Bevölkerungsgruppe nach Alter
Tabelle A 2
Variante 1-W2 Mittlere Bevölkerung Untergrenze
Anhang I 253
9.706
40.377
12.189
3.681
20 bis unter 30 Jahre
30 bis unter 65 Jahre
65 bis unter 80 Jahre
80 Jahre und älter 100,00%
4,47%
14,79%
48,98%
11,77%
14,73%
5,22%
Anteil an Gesamtbevölkerung
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Szenarien des statistischen Bundesamtes.
82.440
12.141
6 bis unter 20 Jahre
Gesamt
4.346
Anzahl (in 1000)
Stand 2005
0 bis unter 6 Jahre
Bevölkerungs gruppe nach Alter
Tabelle A 3
76.978
6.297
15.891
34.150
7.670
9.330
3.640
Anzahl (in 1000)
93,37
171,07
130,37
84,58
79,02
76,85
83,76
2005=100
Mittlere Bevölkerungsvorausberechnung für das Jahr 2030
Mittlere Bevölkerung (arithmetisches Mittel aus 1-W1 und 1-W2)
71.415
10.096
13.076
30.276
7.021
7.799
3.147
Anzahl (in 1000)
86,63
274,27
107,28
74,98
72,34
64,24
72,41
2005=100
Mittlere Bevölkerungsvorausberechnung für das Jahr 2050
254 Anhang
Anhang II
255
Anhang II
Expertengespräche A. Eine Zusammenlegung von Kommunen erscheint unvermeidlich Gesprächsnotiz über ein Telefonat mit Prof. Eberhard Trumpp, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages Baden-Württemberg, am 05.03.2009 Generell Insbesondere kleinere Gemeinden werden zukünftig weiter schrumpfen. Grund sind Wanderungsbewegungen, die dadurch zustande kommen, dass das Arbeitsplatzangebot in größeren Städten besser ist als in kleinen Gemeinden. Diese Entwicklung wird dazu führen, dass der klassische ländliche Raum ausbluten wird. Dies kann nicht ohne Auswirkungen auf die Gemeindestrukturen bleiben, d.h. Zusammenschlüsse von Kommunen werden wohl unvermeidlich sein. Umgang der Kommunen mit dem demographischen Wandel Die baden-württembergischen Kommunen stellen sich sowohl hinsichtlich der Neuherstellung als auch hinsichtlich der Wiederbelebung von Infrastruktureinrichtungen auf den demographischen Wandel ein. Ein Beispiel aus dem Aufgabenbereich der Landkreise stellen die Krankenhäuser dar. Hier bestehen – nicht zuletzt bedingt durch die Gesundheitsreform – Überkapazitäten, sodass es einer Anpassung der Bettenzahl bedarf. Durch solche Anpassungsmaßnahmen werden Kapazitäten für zusätzliche Pflegeeinrichtungen frei. Hier wird der Bedarf in Zukunft deutlich steigen. Denn der demographische Wandel wird nicht nur bewirken, dass es insgesamt mehr pflegebedürftige Menschen geben wird. Zugleich wird es weniger Angehörige geben, die als potentielle Pflegepersonen in Betracht kommen. Hinzu kommt, dass durch die beschriebene räumliche Verteilung der Arbeitsplätze und auch durch die Anforderungen der modernen Arbeitswelt Kinder und Eltern oft räumlich stärker getrennt sein werden als in der Vergangenheit. Im Ergebnis bedarf es also neuer Infrastruktureinrichtungen, die eine wohnortnahe Pflege im Alter ermöglichen. Auch Städte und Gemeinden passen sich den Veränderungen des demographischen Wandels an. Dies macht sich u. a. dadurch bemerkbar, dass sie gezielt Einrichtungen für ältere Menschen, wie beispielsweise Seniorentreffs o.Ä., vorhalten bzw. neu einrichten. Da solche Maßnahmen allerdings selten pressewirksam publik gemacht werden, sind sie in der Öffentlichkeit oft wenig bekannt. Ausgabenentwicklung im demographischen Wandel Die Altersstruktur der Bevölkerung verschiebt sich schnell. Hauptschulen rechnen sich vielfach bereits heute nicht mehr. Viele Gemeinden sind daher schon dabei, Hauptschulen zu schließen. Künftig werden solche Maßnahmen verstärkt notwendig sein. Die Landkreise nehmen dabei eine moderierende Funktion ein.
256
Anhang Interkommunale Kooperation
Die Bereitschaft zu interkommunaler Kooperation ist bei den Kommunen vorhanden. In Baden-Württemberg spielen dabei v. a. die Zweckverbände eine wichtige Rolle. Diese beschränken sich aber meist auf die Aufgabenbereiche der Daseinsvorsorge. Seltener finden sich auch Zweckverbände zum gemeinsamen Betrieb von Schulen. Allerdings lässt sich bei den Gemeinderäten und Bürgermeistern natürlich das Selbstverständnis feststellen, wonach die Gemeinden soweit wie möglich alle Aufgaben selbst erledigen möchten.
Finanzsituation In finanzieller Hinsicht waren die letzten Jahre für die Kommunen Baden-Württembergs – von einzelnen Ausreißern abgesehen – positiv zu bewerten. Durch die Wirtschaftskrise sind nun allerdings immense Gewerbesteuerrückflüsse zu erwarten. Dadurch wird sich die finanzielle Gesamtsituation verschlechtern.
Anreizstruktur des Kommunalen Finanzausgleichs Grundsätzlich ist interkommunaler Wettbewerb richtig und auch anzustreben. Allerdings darf es nicht übertrieben werden. Es kann nicht sein, dass Grundstücke zu Schleuderpreisen verscherbelt werden, ohne dass es einen entsprechenden Bedarf gibt. Andererseits ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, dass Bauland angeboten wird, wenn die Baugebiete dann auch tatsächlich bebaut werden. Zur Einwohnergewichtung i. R. d. kommunalen Finanzausgleichs lässt sich zunächst feststellen, dass die Stadt Stuttgart deutschlandweite Spitze bei der Einwohnerveredelung ist. In Baden-Württemberg findet i. R. d. Einwohnerveredelung eine Polarisierung auf drei bis vier Städte (Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg) statt. In Bayern etwa ist dies anders: Dort wird auch der ländliche Raum stärker mit Finanzmitteln bedacht. Im Ergebnis lässt sich allerdings für Baden-Württemberg sagen, dass wir bislang mit der bestehenden Regelung nicht schlecht gefahren sind. Jedoch muss klar sein: Das Instrument darf nicht überstrapaziert werden.
Politischer Handlungsbedarf hinsichtlich verwaltungsrechtlicher Rahmenbedingungen Aus Sicht der baden-württembergischen Landkreise besteht politischer Handlungsbedarf insbesondere im Bereich der Zuständigkeiten für die Grundsicherung (SGB II). Stadt- und Landkreise hätten insoweit gerne die volle Kompetenz für die Arbeitsvermittlung. Bei den baden-württembergischen Landkreisen besteht die Einschätzung, dass sie aufgrund ihrer besseren Vor-Ort-Kenntnisse besser in der Lage wären, Arbeitslose in Arbeitsplätze zu vermitteln. Auf diese Wiese könnten sie einen eigenen Beitrag zur Entlastung ihrer Haushalte mit Ausgaben für Grundsicherungsleistungen erbringen. Allerdings herrschen diesbezüglich in anderen Bundesländern mit höheren Arbeitslosenraten und geringerer Wirtschaftskraft andere Haltungen vor.
Anhang II
257
Die Pflichtaufgaben im Vergleich zu den freiwilligen Aufgaben Für die Landkreise spielt dieser Problemkreis eigentlich keine Rolle. Dies rührt daher, dass ihnen ohnehin eine Doppelfunktion als untere Verwaltungsbehörde und als kommunale Gebietskörperschaft zukommt. Das Problem erscheint insoweit eher ein akademisches zu sein. Spätestens seit in Art. 71 III LV das Konnexitätsprinzip verankert ist, ist sichergestellt, dass den Landkreise auch genügend Geld zur Verfügung gestellt wird, um die ihnen übertragenen staatlichen Aufgaben erfüllen zu können. Ein Beispiel stellt die Verwaltungsreform in Baden-Württemberg dar, bei der die Landkreise insoweit nicht schlecht gefahren sind. B. Kommunen stehen im Wettbewerb um Attraktivität Gesprächsnotiz über ein Gespräch mit Ivo Gönner, Präsident des Städtetags BadenWürttemberg und Oberbürgermeister der Stadt Ulm, am 04.04.2009 Allgemein zum demographischen Wandel Der demographische Wandel ist ein Thema von zentraler Wichtigkeit für Städte und Gemeinden. Der Städtetag Baden-Württemberg hat deshalb bereits im Jahre 2007 einen Kongress veranstaltet, von dem wichtige Impulse zur Bewältigung des demographischen Wandels ausgingen.923 Städte und Gemeinden stellen sich zunehmend auf die demographischen Herausforderungen ein. Der demographische Wandel ist im Kern von zwei Entwicklungen geprägt: Anhaltend niedrige Geburtenraten führen zu einer insgesamt schrumpfenden Gesamtbevölkerung und die steigende Lebenserwartung der Menschen bewirkt eine Alterung der Gesellschaft. Diese Kombination gab es in der Geschichte der Menschheit noch nie. Klar ist: Der demographische Wandel ist bereits im vollen Gange und nicht etwa Zukunftsmusik. Dies bedeutet für Städte und Gemeinden: Bevölkerungswachstum ist nur noch durch Zuzug zu erzielen. Es wird also zu einem Wettbewerb um insgesamt weniger Einwohner kommen. Entscheidend wird dabei sein: Ist die betreffende Stadt attraktiv für Zuzüge? Ist die Gemeinde attraktiv genug, um bei potentiellen neuen Einwohnern die Entscheidung für einen Wegzug aus einer anderen Kommune zu bewirken? Attraktivität von Städten und Gemeinden Die Attraktivität einer Stadt oder Gemeinde setzt sich aus vielen verschiedenen Faktoren zusammen: Wohnqualität, Bildungsangebote, Arbeitsplätze, kulturelles und soziales Umfeld etc. Die eigene Attraktivität durch Verschenken von Bauland zu erhöhen, mutet allerdings eher hilflos an und erscheint wenig erfolgreich. Auch der Faktor der Familienfreundlichkeit wird allgemein überschätzt. Denn Fakt ist, dass es infolge der geringen Geburtenzahlen in Zukunft auch immer weniger Familien mit Kindern geben 923 Die Ergebnisse des Kongresses sind in einer Dokumentation festgehalten, Städtetag Baden-Württemberg (Hrsg.): Dem demographischen Wandel kreativ begegnen – Stadtgesellschaft gemeinsam gestalten.
258
Anhang
wird, für die die Familienfreundlichkeit einer Kommune ein Grund sein könnte, in diese zu ziehen. Familiengründung entzieht sich kommunaler Steuerungsmöglichkeiten. Die Entscheidung, Kinder zu bekommen, hängt zudem von einer Vielzahl von Faktoren ab wie etwa dem Lebenspartner, der persönlichen Perspektive beispielsweise hinsichtlich der beruflichen Situation, dem privaten und sozialen Umfeld. Entscheidend für die Attraktivität einer Kommune oder Region ist also ein Gesamtmix unterschiedlicher Faktoren. Entscheidende Bedeutung ist den Metropolregionen und urbanen Zentren beizumessen. Diese müssen attraktiv bleiben. Um sie herum, also im ländlichen Raum genauso wie in Ostdeutschland, wird es eher zu einer Ausdünnung der Bevölkerung kommen. Diese Schrumpfungsentwicklungen werden sich nicht verhindern lassen und müssen insoweit akzeptiert werden.
Attraktivität durch Bürgerengagement Städte und Gemeinden stehen also einzeln oder im Verbund im Wettbewerb um Einwohner. Die entscheidende Folgefrage ist aber, wie denn aus Einwohnern Bürger einer Kommune werden. Wie kann erreicht werden, dass sich Bürgerinnen und Bürger für ihre Stadt oder Gemeinde engagieren? Dabei gilt es nicht zuletzt auch das Potential älterer Menschen zu aktivieren. Eine Kommune, die gerade auch für ältere Menschen attraktiv sein will, darf sich daher nicht auf Angebote des betreuten Alterns reduzieren. Vielmehr müssen diese Menschen aktiv miteinbezogen werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die klassischen Formen des Engagements eher weniger Erfolg versprechend sind. Denn die meisten Menschen wollen sich nicht mehr dauerhaft an einen Verein oder eine Organisation binden, sondern sind eher an zeitlich begrenzter Projektarbeit interessiert. In diesem Zusammenhang sind wiederum Vereine und Initiativen gefordert. Denn Demographie ist eine Aufgabe jenseits bloßer Zahlenwerke. Die Bewältigung des demographischen Wandels ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, also auch eine solche jedes einzelnen Vereins und jeder einzelnen Initiative. Gesamtgesellschaftlich brauchen wir eine Anerkennungs- und eine Animierungskultur. Dies schließt die Unternehmenspolitik wirtschaftlicher Betriebe ausdrücklich mit ein.
Kommunale Finanzen Die kommunalen Einnahmen werden in den kommenden Jahren von der massiven Wirtschafts- und Finanzkrise geprägt sein. Diese wird einen Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen bewirken. Die Einkommensteuer ist bislang stabil; ihre weitere Entwicklung wird von der Zahl der Arbeitslosen abhängen. In demographischer Hinsicht von besonderer Relevanz sind die Einnahmen aus Gebühren und Beiträgen. Insoweit wird die einfache Rechnung gelten, wonach weniger Einwohner auch weniger Zahler bedeuten werden. Die kommunalen Ausgaben werden demgegenüber weitgehend stabil bleiben. Insbesondere die Ausgaben für Grundsicherungsleistungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Dies bedeutet, dass künftig insbesondere im Bereich der Verwaltungshaushalte keinerlei
Anhang II
259
Spielraum für Geschenke vorhanden sein wird. Denn wenn in den Verwaltungshaushalten keine Überschüsse mehr erzielt werden können, die in die Vermögenshaushalte übertragen werden könnten, fehlt jeder Spielraum für kommunale Investitionen. Diese sind im Hinblick auf die Handlungsfähigkeit der Kommunen jedoch von zentraler Bedeutung. Um attraktiv zu bleiben, sind für die Städte und Gemeinden finanzielle Handlungsspielräume erforderlich. Diese aber sind bereits heute nur begrenzt vorhanden und werden künftig noch weiter schrumpfen. Die Gründung kommunaler Stiftungen kann zwar eine punktuelle Möglichkeit zur Bewahrung bestehender und ggf. Gewinnung neuer Handlungsspielräume sein. Jedoch ist klar: Dies ist nur in sehr begrenztem Umfange möglich und keinesfalls eine flächendeckende Lösungsmöglichkeit. Politischer Rahmen Generell muss die Aufmerksamkeit den Förderstrukturen gelten. Diese sind auf ihre Demographietauglichkeit hin zu überprüfen. Demographietauglichkeit misst sich dabei insbesondere daran, ob der demographische Faktor einen Fördertatbestand bildet. In diesem Zusammenhang sind insbesondere zwei Politikfelder zu erwähnen: Die klassische Wohnbauförderung stammt aus einer Zeit, in der Eigentumsbildung als deren wesentliches Ziel angesehen wurde. In Zeiten des demographischen Wandels muss aber größerer Wert auf Stadterneuerung und insbesondere den seniorengerechten Umbau bestehender Wohnanlagen gelegt werden. Dies gilt es auch bei der Vergabe von Fördermitteln zu berücksichtigen. Ein weiteres Beispiel stellt die Verkehrsförderung dar. Fragen der Mobilität werden in einer älter werdenden Gesellschaft und insbesondere im ländlichen Raum von zentraler Bedeutung sein. Hier werden künftig andere Mobilitätsbedürfnisse vorherrschen. Erforderlich wird künftig ein ausgeklügelter Mobilitätsmix unterschiedlichster Verkehrsmittel sein, der ein Umsteigen zwischen diesen erlaubt und sie aufeinander abstimmt. C. Pirna geht es derzeit relativ gut – die Zukunft erscheint ungewiss Gesprächsnotiz über ein Telefonat mit Steffen Möhrs, Fachgruppenleiter Stadtentwicklung der Stadt Pirna, am 19.03.2009 Demographische Situation der Stadt Pirna Das Institut für ökologische Raumentwicklung aktualisierte seine kleinräumige Bevölkerungsprognose für Pirna im Jahre 2006. Pirna verfügt daher bezüglich seiner Bevölkerungsstruktur über detaillierte Datengrundlagen. Aktuell beträgt die Einwohnerzahl Pirnas 39.254 Einwohner (Stand 31.12.2008), nachdem diese Zahl am 31.12.2005 noch bei 40.385 lag. Bis zum Jahre 2020 werden voraussichtlich noch etwa 35.000 Menschen in Pirna leben. Dabei gilt es zu beachten, dass der demographische Wandel innerhalb des Stadtgebiets nicht homogen ablaufen wird. Vielmehr werden sich die Innenstadt und einige weitere Ortsteile positiv entwickeln. Grund sind die Altstadtsanierung bzw. die landschaftlich attraktive Lage der
260
Anhang
betreffenden Ortsteile. Pirna profitiert dabei insgesamt vom nahen Zentrum Dresden. Hingegen werden zwei Großwohngebiete, die in den 1970er-Jahren im Zuge der Ansiedlung industrieller Großbetriebe entstanden waren, nach dem Wegfall der Industriestrukturen nach der Wiedervereinigung massiv vom demographischen Wandel betroffen sein: Junge Familien verlassen das Gebiet, zurück bleiben ältere Menschen im Ruhestand. Reaktionsstrategie Bereits im Jahre 2000 erkannte die Stadt Pirna, dass eine auf Wachstum ausgerichtete Stadtentwicklung nicht mehr zukunftsfähig sein würde. Im Jahre 2002 wurde ein auf die demographische Situation Pirnas zugeschnittenes integriertes Stadtentwicklungskonzept vorgelegt. Spätestens seit diesem Zeitpunkt wird die neue Schrumpfungsstrategie auch von der Öffentlichkeit getragen. Um die im Vergleich zum Landesdurchschnitt niedrige Wohnungsleerstandsquote von etwa 10% dauerhaft halten zu können, sind Rückbaumaßnahmen notwendig. So wurden allein im Jahre 2007 etwa 400 Wohneinheiten rückgebaut. Doch allein mit Rückbaumaßnahmen ist es nicht getan. Denn eine älter werdende Gesellschaft und der Trend zu kleineren Haushalten erfordern alters- und behindertengerechten Wohnraum, Mehrgenerationenhäuser und kleinteiligere Wohnstrukturen. Aufgrund eines bis zum Jahre 2020 um etwa ein Viertel rückläufigen Erwerbspersonenpotentials und rückläufiger Zahlen im dualen Ausbildungssystem ist eine Verschärfung des Fachkräftemangels zu erwarten. Um dem entgegenzuwirken und so einen wichtigen harten Standortfaktor wieder auszubauen, ergriff Pirna die Initiative zur Gründung der (Wirtschafts-)Region Dresden. Daneben stellt die Versorgung mit medizinischen und pflegerischen Dienstleistungen nicht nur eine demographische Herausforderung i. e. S. dar, sondern wurde auch als Chance für positive Impulse auf dem Arbeitsmarkt erkannt. Außerdem unterstützt Pirna die örtlichen Ehrenamtsstrukturen durch Vorhalten entsprechender Infrastruktur; denn die Bedeutung ehrenamtlichen Engagements für die Erhaltung der sozialen Infrastruktur ist zentral. Finanzsituation Bis etwa zum Jahre 2006 war die finanzielle Situation Pirnas angespannt. Durch konsequente Sparpolitik konnte der Haushalt jedoch konsolidiert werden. Seither sind die Haushalte ausgeglichen. Und auch für freiwillige Aufgaben ist Geld vorhanden. Pirna erstickt also derzeit nicht in Pflichtaufgaben. Investitionen wurden in den letzten Jahren hauptsächlich in den Bereichen Schule und Kindertagesstätten getätigt. Denn ein entsprechendes Angebot wurde als wichtiger Attraktivitätsfaktor aus der Sicht junger Familien identifiziert. Im Zuge des demographischen Wandels und im Hinblick auf das Auslaufen der Mittel aus dem Solidarpakt Ost im Jahre 2020 wird die Finanzsituation allerdings nicht besser werden, sondern im Zweifel erneut unter Druck geraten. Genau können dies die kommunalen Verantwortungsträger aber nicht vorhersagen. Grund sind die vielen verschiedenen Faktoren, die für die künftige Finanzentwicklung eine Rolle spielen werden.
Anhang II
261
Ähnliches gilt für die Auswirkungen der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise. Allerdings dürfte die konjunkturelle Abhängigkeit der kommunalen Einnahmen Pirnas insoweit eher schwach ausgeprägt sein, als die Einnahmen aus der Gewerbesteuer aufgrund der geringen Zahl an mittelständischen Unternehmen ohnehin eine eher untergeordnete Bedeutung haben. Stabilisierend könnte sich die Eigenschaft Pirnas als Sitz der Kreisverwaltung auswirken, die der wichtigste Arbeitgeber der Stadt ist. Rahmenbedingungen Ständiger Streitpunkt ist die Kreisumlage. Diesbezüglich stehen sowohl reiche Städte mit ärmeren kleineren Kommunen im Widerstreit als auch der Landkreis mit den kreisangehörigen Gemeinden insgesamt. Die am 01.08.2008 in Kraft getretene sächsische Verwaltungsreform bewirkte die Zusammenlegung der früheren 22 Landkreise zu zehn Großkreisen und die Reduzierung der kreisfreien Städte von bislang sieben auf nunmehr drei. Daneben enthielt sie einen funktionalen Ansatz, der im Kern eine Übertragung von Staatsaufgaben auf die Landkreise und kreisfreien Städte bewirkte. Auch Städte und Gemeinden erhielten einige – wenige – neue Zuständigkeiten. Der funktionale Aspekt der Reform ist noch nicht vollständig vollzogen. Ob die Verwaltungsreform erfolgreich sein wird, lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen.
262
Anhang Anhang III
Projekt: Demographie im Landkreis Reutlingen Der Landkreis Reutlingen Bundesland: Einwohner: Anzahl der kreisangehörigen Gemeinden: Fläche: Bevölkerungsentwicklung:924
Baden-Württemberg 281.365 Einwohner (Stand 30.06.2008) 26 1.094 km2 leicht zunehmend
Auch verschiedene Gemeinden des Landkreises Reutlingen sind von Bevölkerungsrückgang betroffen bzw. werden in den kommenden Jahren davon betroffen sein. Zugleich gibt es Städte und Gemeinden, die auch in den kommenden Jahren weiter wachsen oder zumindest ihre Einwohnerzahlen halten können werden. Daneben wird sich der demographische Wandel auch in den Gemeinden des Landkreises Reutlingen durch eine deutliche Alterung der Bevölkerung bemerkbar machen.925 Das kleinräumige Nebeneinander von Bevölkerungswachstum und -rückgang erschwert die Sensibilisierung für die anstehenden Herausforderungen des demographischen Wandels. Aus diesem Grunde wurde beim örtlichen Landratsamt eine hochrangig besetzte interdisziplinäre Arbeitsgruppe gebildet. Deren Ziel ist es, neben der Sensibilisierung für die spezifischen Herausforderungen des demographischen Wandels auch jeweils passgenaue Lösungsstrategien zu initiieren. Entscheidend war aus Sicht des Landkreises die Einbindung sämtlicher Beteiligter in einen kooperativen Prozess. Der Landkreis versteht sich also in erster Linie als Moderator. Befragung der 26 kreisangehörigen Städte und Gemeinden Diesen beiden Zielen entsprechend hatte auch die Fragebogenaktion als Einstiegsmaßnahme eine Doppelfunktion: Sie diente als Instrument sowohl zur Informationsbeschaffung für den Landkreis als auch zur Sensibilisierung der kommunalen Verantwortungsträger für die vielfältigen Herausforderungen des demographischen Wandels. Verschickt wurden daher zwei verschiedene Fragebögen: Mittels eines Selbstchecks sollte eine erste Sensibilisierung für die unterschiedlichen Facetten einer demographietauglichen Kommunalpolitik erreicht werden; mittels der (echten) Befragung sollten Informationen gewonnen werden, anhand derer das weitere Vorgehen des Landkreises ausgerichtet werden sollte.
924 Nach der Cluster-Analyse der Bertelsmann Stiftung, Internetquelle zuletzt besucht am 11.03.2009, Stand 2008: http://www.wegweiser-kommune.de/wegweiserinter aktiv/kartenmodul/Kartenmodul.action?&. 925 Genaue Datenangaben für die Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern finden sich im Internet (Quelle zuletzt besucht am 11.03.2009, Stand: 2008) unter: http:// www.wegweiser-kommune.de.
Anhang III
263
Inhaltlich wurden die Gemeinden mit Fragen aus verschiedenen Aufgaben- bzw. Themenbereichen konfrontiert, denen i. R. e. vorausschauenden Umgangs mit dem demographischen Wandel zentrale Bedeutung beigemessen wird: – Einschätzungen zum demographischen Wandel in der jeweiligen Gemeinde; – kommunale Infrastruktur: – allgemein, z. B. die Frage nach regelmäßigen Bedarfsprognosen, – Bürgerbeteiligung i. S. e. Einbeziehung in die Infrastrukturplanung, – Siedlungsentwicklung, – Gesundheit, insbesondere auch unter dem Aspekt der Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung einer älter werdenden Bevölkerung, – ÖPNV, nicht zuletzt auch hinsichtlich des künftigen Bedarfs für Schülerbeförderungsangebote, – Kommunikation (DSL, Internet, Mobilfunk); – Verwaltung und Bürgernähe, nicht zuletzt im Hinblick auf die Kommunikation demographischer Veränderungen an die Bürger; – regionale Kooperation mit anderen Gemeinden; – demographisch bedingte Entwicklung der Wirtschaftsstruktur und der Kommunalfinanzen; – Wohnen: Wohnbedarf wird ggf. geringer; Anforderungen einer älter werdenden Wohnbevölkerung; – Kinder- und Familienfreundlichkeit als zentrales Attraktivitätskriterium; – Einrichtungen für Senioren; – Ehrenamt, Bürgerengagement. Ergebnisse der Befragung Die Ergebnisse der Befragung offenbarten Unterstützungsbedarf der befragten Gemeinden insbesondere auf dem Handlungsfeld des ÖPNV (24/26). Daneben bestand solcher für die Bereiche Siedlungsentwicklung (19/26), Gesundheitsversorgung (15/26), Wohnen (15/26), Politik für Senioren (14/26) sowie Kinder- und Jugendpolitik (13/26). Der angegebene Unterstützungsbedarf umfasste dabei insbesondere den Wunsch der Gemeinden nach Schaffung von Plattformen zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch mit anderen Gemeinden. Außerdem wurde an den Landkreis der Bedarf nach Fachgesprächen u. ä. Dialogangeboten durch diesen herangetragen. Die Befragung ergab zudem, dass je neun der 26 Gemeinden mit anderen Gemeinden zusammenarbeiten oder eine regionale Kooperation geplant haben. Immerhin sieben der befragten Gemeinden planen jedoch noch nicht einmal, ein interkommunales Kooperationsverhältnis einzugehen. Nahezu alle befragten Gemeinden meldeten Bedarf nach weiteren Außenbereichsflächen an, wollen Gewerbe- oder/und Wohnbebauung also ausdehnen. Bei immerhin der Hälfte der Kommunen wird ein Leerstands- bzw. Baulückenkataster geführt. Lediglich neun Gemeinden führen regelmäßige Wohnbedarfsanalysen durch. Die Hälfte der
264
Anhang
Gemeinden richtet ihren Wohnungsbau auf den Bedarf einer älter werdenden Gesellschaft aus. Konkrete Planungen für junge Familien finden bei lediglich vier Gemeinden statt. Spezielle Maßnahmen zur Stärkung der kommunalen Wirtschaftsstruktur wurden kaum benannt. Dies ist überraschend, ist die Frage des Arbeitsplatzangebots doch ein zentraler Attraktivitätsfaktor, um Einwohner vor Ort halten zu können. Fazit Zusammenfassend spricht einiges dafür, dass lediglich ein Teil der Gemeinden des Landkreises Reutlingen die Herausforderungen des demographischen Wandels voll umfänglich erfasst hat und die politischen Entscheidungen danach ausrichtet. Genaueres werden Gespräche ergeben, die zwischen Landkreis und Gemeinden geführt werden sollen. Denn als erste Folgemaßnahmen aus der Fragebogenaktion sind insbesondere zwei aufgabenbereichübergreifende Projekte in konkreter Planung: In nicht näher konkretisierten Abständen sollen sog. Strukturgespräche zwischen dem Landkreis und den Gemeinden stattfinden. Daneben sollen in einem etwa vierteljährlichen Turnus Fachgespräche einen Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Gemeinden sicherstellen. Inhalt der Strukturgespräche soll die jeweilige Situation der einzelnen Gemeinden sein. Im bilateralen Gespräch sollen Landkreis und die jeweils betroffene Gemeinde gemeinsam spezifische Brennpunkte und Handlungschancen usw. identifizieren und diskutieren. Sinn der Fachgespräche ist es dagegen, im Kreise sämtlicher 26 kreisangehöriger Gemeinden bestimmte Themen zu diskutieren, um so Impulse für nachhaltige – interdisziplinäre – Handlungsstrategien zu setzen und einen Erfahrungsaustausch unter den Gemeinden und zwischen den Gemeinden und dem Landkreis zu ermöglichen. Außerdem wird der Landkreis die demographischen Herausforderungen in seine tägliche Arbeit integrieren. So sind beispielsweise die Gründung einer Gesundheitsstiftung, die Vernetzung bereits bestehender Initiativen zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund oder der beschleunigte Ausbau der Versorgung der kreisangehörigen Gemeinden mit Breitbandanschlüssen als direkte Ergebnisse der Befragungsaktion zu verstehen. Auch soll versucht werden, i. R. d. Steuerung des Flächenverbrauchs von einer quantitativen zu einer qualitativen Strategie zu gelangen. Dies kann auf Grundlage von Entwicklungskonzepten geschehen. Nähere Informationen Ordnungsdezernent Dr. Claudius Müller (Projektleiter) Postfach 2143 72711 Reutlingen Tel.: 07121/480-5011 Email: [email protected]
24,8
144,2
Ostdeutschland
Insgesamt
Quelle: Finanzberichte des BMF 2005 (S. 166) und 2008 (S. 170).
119,5
Westdeutschland
2001
144,5
25
119,6
2002
141,4
24,6
116,8
2003
146,2
25
121,2
2004
Tabelle A 4 Bereinigte Einnahmen der Gemeinden (Gemeindeverbände) in Mrd. A
Die kommunale Einnahmesituation
Anhang IV
151,1
25,9
125,2
2005
158,6
27,3
131,3
2006
Anhang IV 265
Anhang IV
6.658,9
5.787,6
4.634,8
23.490,3
5.322,2
10.120,2
38.932,8
500.000 bis 1.000.000
200.000 bis 500.000
100.000 bis 200.000
100.000 und mehr
50.000 bis 100.000
20.000 bis 50.000
Insgesamt
6.749,3
1.678,9
905,5
4.164,9
846
1.081,3
1.082,9
1.154,7
insgesamt
64,3
43,7
9,5
11,1
4,2
4,2
1,5
1,2
A
Grundsteuer
6.685
1.635,1
896
4.153,9
841,8
1.077,1
1.081,4
1.153,5
B
16.998,8
4.020
2.181,8
10.797
1.987,1
2.481,9
3.484
2.843,2
Gewerbesteuer (netto)
Quelle: Deutscher Städtetag (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden, 92. Jahrgang 2005, S. 499.
6.409
Steuern insgesamt (netto)
1.000.000 und mehr
Gemeinden nach Einwohnerzahlen
12.587,4
3.798,6
1.880,4
6.908,4
1.475,5
1.770,8
1.625,4
2.036,6
2.141,6
498,4
283,2
1.360,1
273
361,6
392,3
333,3
424,9
110,4
69
245,4
53,2
77,4
73,5
41,3
Gemeinde- Übrige Steuern Gemeindeanteil an der anteil an der einschl. steuerUmsatzähnlicher Einkommensteuer steuer Einnahmen
Gemeindliche Steuereinnahmen 2004 (West und Ost) in Mio. A
Tabelle A 5
266 Anhang
1.006,06
1.206,81
768,81
786,21
928,05
725,95
667,13
814,28
1.000.000 und mehr
500.000 bis 1.000.000
200.000 bis 500.000
100.000 bis 200.000
100.000 und mehr
50.000 bis 100.000
20.000 bis 50.000
insgesamt
141,16
110,67
123,51
164,55
143,51
143,63
196,26
181,26
insgesamt
1,35
2,88
1,30
0,44
0,72
0,55
0,27
0,19
A
Grundsteuer
139,82
107,79
122,21
164,11
142,80
143,08
195,99
181,07
B
355,53
265,00
297,60
426,57
337,07
329,69
631,56
446,30
Gewerbesteuer (netto)
Quelle: Deutscher Städtetag (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden, 92. Jahrgang 2005, S. 515.
Steuern insgesamt (netto)
Gemeinden nach Einwohnerzahlen
263,27
250,40
256,49
272,94
250,29
235,23
294,58
319,70
44,79
32,85
38,62
53,73
46,30
48,03
71,09
52,32
8,89
7,28
9,42
9,70
9,03
10,29
13,32
6,48
GemeindeGemeinde- Übrige Steuern anteil an der anteil an der einschl. steuerEinkommenUmsatzähnlicher steuer Einnahmen steuer
Gemeindliche Steuereinnahmen 2004 (West und Ost) in A je Einwohner
Tabelle A 6
Anhang IV 267
Tabelle A 7
678
636
250
767
216
559
707
603
517
255
213
561
206
580
659
232
Baden-Württemberg
Bayern
Brandenburg
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
Bund (ohne Stadtstaaten)
Westdeutschland
Ostdeutschland
246
665
588
212
581
241
262
536
579
714
575
228
790
269
640
676
1997
281
718
638
252
605
269
300
513
605
761
607
272
845
297
725
742
1998
301
750
668
264
620
296
329
532
624
777
634
273
919
310
749
800
1999
Quelle: Waldhoff in: Henneke/Pünder/Waldhoff, Recht der Kommunalfinanzen (2006), S. 114.
1996
Land
303
764
680
261
608
292
325
526
642
798
629
292
948
326
768
810
2000
289
719
641
257
582
281
313
520
578
752
578
281
877
291
739
766
2001
296
691
620
269
578
302
310
506
569
719
597
262
804
313
700
733
2002
Steuereinnahmen der Gemeinden (Gemeindeverbände) in A je Einwohner (netto)
302
675
609
275
577
298
333
501
538
716
545
278
806
295
673
727
2003
339
737
667
303
582
349
374
572
591
764
602
297
860
330
759
810
2004
268 Anhang
Tabelle A 8
15,8 2,5 2,4 0,3 18,2 2,8
Beiträge
Gebühren
Beiträge
Gebühren
Beiträge
1997
Gebühren
Quelle: Finanzbericht des BMF 2008, S. 189.
Deutschland insgesamt
Ostdeutschland
Westdeutschland
911,6
–
926,5
–
976,5
4.234,3
27.380
Tabelle A 9
2,7
17,5
0,3
2,3
2,4
15,3
2,6
17,2
0,3
2,2
2,3
15
1999
2,4
17,1
0,2
2,2
2,2
14,9
2000
940
4.286,2
2,3
16,7
0,2
2,1
2
14,1
2001
Gebühren und Beiträge in Mrd. A 1998
2001 8.253,2
2002 6.551,7
2003 6.749,3
2004
2,1
16,2
0,2
2,1
1,9
14,2
2002
447,9
2.145,7
444,6
2.142,2
424,9
2.141,6
2,1
16,3
0,2
2,1
1,8
14,2
2003
1,9
16,3
0,2
2
1,7
14,2
2004
1,8
15,9
0,2
2
1,6
13,9
2005
1,7
15,8
0,2
2
1,5
13,8
2006
73.709 36.699,6 35.127,8 38.932,8
945,1
43.24,9
28.457 27.182,7 13.755,9 13.421,9 12.587,4
65.435,5 65.604,9 69.414,3 77.519,2 79.036,6
879,7
–
26.171 25.059,3 26.413,1
Quelle: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden 1997 bis 2005.
Insgesamt
übrige Steuern (kleine Gemeindesteuern) einschl. steuerähnliche Einnahmen
Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer
Gemeindeanteil an der Einkommensteuer
2000
11.487 11.728,2 12.010,6
1999
31.051 32.170,1 32.289,4 27.843,9 13.328,9 12.567,4 16.998,8
28.347,1 30.558,9
Gewerbesteuer (netto)
1998
10.043,1 10.570,4 11.033,7
1997
Grundsteuer
1996
Steuereinnahmen der Gemeinden über 20.000 Einwohner in Mio. A
Anhang IV 269
15,8 19,4 2,2
Gewerbesteuer (netto)
Gemeindeanteil an der Einkommensteuer
Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer 7,1
2,2
19,1
14,4
47,5
2002
7,5
2,2
18,7
13,7
46,8
2003
7,7
2,2
17,5
18,9
46,8
2004
1,1 0,4 1,1
Gemeindeanteil an der Einkommensteuer
Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer
Grundsteuern
Quelle: Finanzberichte des BMF 2005 (S. 170) und 2008 (S. 174).
1,4
4
Gewerbesteuer (netto)
Steuern und steuerähnliche Einnahmen darunter:
2001
1,1
0,4
1,1
1,4
4
2002
1,1
0,4
1,1
1,4
4,1
2003
1,2
0,4
1,1
1,9
4,6
2004
Tabelle A 11 Steuereinnahmen der Gemeinden in Ostdeutschland in Mrd. A
Quelle: Finanzberichte des BMF 2005 (S. 170) und 2008 (S. 174).
7
45,1
2001
Steuern und steuerähnliche Einnahmen darunter:
Grundsteuern
Tabelle A 10
Steuereinnahmen der Gemeinden in Westdeutschland
1,2
0,4
1,2
2,3
5,2
2005
7,9
2,2
17,3
21,1
54,3
2005
1,2
0,4
1,3
2,6
5,6
2006
8,1
2,3
18,8
25,7
61
2006
270 Anhang
2,6 39,8 29
Zweckgebundene Zuweisungen
Zuweisungen von Ländern
Allgemeine Zuweisungen 10,8
8,3
Allgemeine Zuweisungen
Zweckgebundene Zuweisungen
10,9
Zuweisungen von Ländern
8,2
20,7
Allgemeine Zuweisungen
Zweckgebundene Zuweisungen
28,9
2001
Zuweisungen von Ländern
Quelle: Finanzberichte des BMF 2005 (S. 170) und 2008 (S. 174).
Deutschland insgesamt
Ostdeutschland
Westdeutschland
Tabelle A 12
11,4
29,1
40,6
2,9
8,4
11,2
8,6
20,7
29,3
2002
11,9
27
39
3
8,1
11,1
8,9
18,9
27,8
2003
Zuweisungen von Ländern an die Gemeinden in Mrd. A
12,3
27,6
39,9
2,9
7,8
10,8
9,4
19,8
29,1
2004
14,9
28,4
43,3
3,3
8,6
12
11,6
19,8
31,3
2005
15,6
28,7
44,3
3,5
8,5
12
12,1
20,2
32,3
2006
Anhang IV 271
Kriegsopferfürsorge und ähnliche Maßnahmen
Jugendhilfe nach SGB VIII
Tageseinrichtungen für Kinder
Leistungen nach dem SGB II
Vollzug des Betreuungsgesetzes
Krankenhäuser
Rettungsdienst
45
464
482
486
51
541
Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes
42
44
Hilfen zur Gesundheit
Hilfen zur Überwindung besonderer Sozialer Schwierigkeiten
413
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
412
414
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Hilfe zur Pflege
4104
Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
410
411
Naturschutz, Denkmalschutz und -pflege
Verwaltung der sozialen Angelegenheiten
36
Schulen
40
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
1
2
Aufgabenbezeichnung
0,93
0,52
0,03
10,42
10,09
5,9
0,76
0,98
17,6
4,27
0,29
10,82
7,15
Ausgaben in Mrd. A
0,36
1,08
10,22
2,65
2,83
0,62
0,94
0,52
0,03
10,52
10,18
5,96
0,77
0,99
4,31
0,29
10,92
7,22
17,77
Anteil an den Gesamtausgaben in%
0,05
0,9
0,00
0,00
0,37
0,01
0,01
0,00
0,00
0,04
0,14
3,61
0,86
Ausgaben in Mrd. A
0,36
6,54
0
0
2,69
0,07
0,07
0
0
0,29
1,02
26,24
6,25
Anteil an den Gesamtausgaben in%
Vermögenshaushalt
0,98
1,42
0,03
10,42
10,46
5,9
0,77
0,98
17,6
4,31
0,43
14,43
8,01
Ausgaben in Mrd. A
0,31
0,95
8,97
2,32
2,48
0,55
0,87
1,26
0,03
9,23
9,27
5,23
0,68
0,87
3,82
0,38
12,79
7,10
15,60
Anteil an den Gesamtausgaben in%
Insgesamt
Anhang V
Gliederung
Verwaltungshaushalt
Ausgabenanteile für Pflichtaufgaben (ausführlich)
Tabelle A 13
Material zur Abschätzung von Ausgabenszenarien
Anhang V 272 Anhang
Abfallbeseitigung
Schlachttier- und Fleischbeschau, Freibank, Notschlachträume
Friedhöfe, Leichenhäuser, Krematorien u. dgl.
Aufgaben n. d. Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
72
742
751
755
Allgemeine Finanzwirtschaft
9 99,07
20,4
14,52
100
87,80
1,10
0,04
3,43
2,83
0,26
1,54
0,13
3,23
0,31
2,24
2,26
13,76
15,5
1,09
30,35
38,58
14,91
0,13
0,00
0,19
1,5
0,19
0,13
0,27
4,02
0,35
1,85
0,29
100
108,36
0,94
0
1,38
10,90
1,38
0,94
1,96
29,22
2,54
13,44
2,11
a)
112,85
35,9
15,60
164,35
180,98
101,81
1,22
0,04
3,59
4,29
0,46
1,66
0,4
7,22
0,66
4,07
2,46
1,08
0,04
3,18
3,80
0,41
1,47
0,35
6,40
0,58
3,61
2,18
Quelle: Statistisches Bundesamt: Finanzen und Steuern – Jahresrechnungsergebnisse kommunaler Haushalte 2005, in: Fachserie 14, Reihe 3.3; eigene Berechnungen.
100
90,22
a) Dieser hohe Wert kommt dadurch zustande, dass die kommunalen Investitionen zu einem großen Teil kreditfinanziert sind; zugleich macht er die erhebliche Pflichtaufgabenbelastung deutlich.
Derart bereinigte Gesamtausgaben als Datengrundlage
Allgemeine Verwaltung
0
Davon sind in Abzug zu bringen:
142,4 133,99
Gesamtausgaben kommunale Ebene
86,98
1,09
0,04
3,4
2,8
0,26
1,53
0,13
3,2
0,31
2,22
2,24
Gesamtausgaben ohne Kredite = Gesamteinnahmen
Ausgaben für Pflichtaufgaben insgesamt
Wasserläufe, Wasserbau
Abwasserbeseitigung
69
70
Bundes- und Landesstraßen
Straßenbeleuchtung und -reinigung
Kreisstraßen
65
66
Gemeindestraßen (ohne Einrichtungen für den ruhenden Verkehr)
63
67
Städteplanung, Vermessung, Bauordnung
Wohnungsbauförderung und Wohnungsfürsorge
61
62
Bauverwaltung
60
Anhang V 273
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
Schulen
Naturschutz, Denkmalschutz und -pflege
Verwaltung der sozialen Angelegenheiten
Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Hilfe zur Pflege
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
Hilfen zur Gesundheit
Hilfen zur Überwindung besonderer Sozialer Schwierigkeiten
Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes
Kriegsopferfürsorge und ähnliche Maßnahmen
Jugendhilfe nach SGB VIII
Tageseinrichtungen für Kinder
2
36
40
410
4104
411
412
413
414
42
44
45
464
Aufgabenbezeichnung
1
Gliederung
Tabelle A 14
6,89
1,15
0
0,10
0,00
0,02
1,21
0,00
0
0,01
0,97
0,02
0
0,21
0 bis unter 6 Jahre
2,38
3,82
0
0,22
0,01
0,05
0,92
0,02
0,04
0,04
0,94
0,06
11,02
1,16
0
0,26
0
0,23
0,05
0,05
1,46
0,03
0,22
0,06
0,33
0,04
1,77
1,44
0
0
0
0,30
0,16
0,33
4,96
0,45
0,87
0,28
1,11
0,19
0
3,37
0
0
0,14
0,01
0,07
0,20
0,36
0,77
1,06
0,08
0,25
0,06
0
0,70
0
0
0,54
0,01
0,02
0,30
0,05
1,05
0,29
0,07
0,22
0,02
0
0,21
6 bis unter 20 bis unter 30 bis unter 65 bis unter 80 Jahre 20 Jahre 30 Jahre 65 Jahre 80 Jahre u. älter
Altersspezifische Gesamtausgabenanteile nach Aufgabenbereichen
274 Anhang
Vollzug des Betreuungsgesetzes
Krankenhäuser
Rettungsdienst
Bauverwaltung
Städteplanung, Vermessung, Bauordnung
Wohnungsbauförderung und Wohnungsfürsorge
Gemeindestraßen
Kreisstraßen
Bundes- und Landesstraßen
Straßenbeleuchtung und -reinigung
Wasserläufe, Wasserbau
Abwasserbeseitigung
Abfallbeseitigung
Schlachttier- und Fleischbeschau, Freibank, Notschlachträume
Friedhöfe, Leichenhäuser, Krematorien u. dgl.
Aufgaben n. d. Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
486
51
541
60
61
62
63
65
66
67
69
70
72
742
751
755
Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.
Leistungen nach dem SGB II
482
0,01
0,00
0,16
0,16
0,02
0,04
0,01
0,16
0,03
0,15
0,15
0,03
0,25
0
0,01
0,01
0,47
0,57
0,06
0,34
0,08
1,47
0,09
0,44
0,42
0,09
0,06
0,00
(0,92) 3,53 (2,61)
0,01
0,01
0,38
0,46
0,05
0,28
0,07
1,22
0,07
0,38
0,35
0,15
0,08
0,00
1,17
0,18
0,02
1,53
1,87
0,2
0,57
0,13
2,46
0,28
1,90
0,94
0,4
0,34
0,01
4,53
0,31
0,01
0,45
0,56
0,06
0,21
0,05
0,90
0,09
0,57
0,32
0,14
0,35
0,01
0
0,56
0,00
0,19
0,17
0,02
0,04
0,01
0,19
0,03
0,18
0,08
0,07
0,18
0,01
0
Anhang V 275
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
Schulen
Naturschutz, Denkmalschutz und -pflege
Verwaltung der sozialen Angelegenheiten
Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Hilfe zur Pflege
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen
Hilfen zur Gesundheit
Hilfen zur Überwindung besonderer Sozialer Schwierigkeiten
Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes
Kriegsopferfürsorge und ähnliche Maßnahmen
Jugendhilfe nach SGB VIII
Tageseinrichtungen für Kinder
Leistungen nach dem SGB II
2
36
40
410
4104
411
412
413
414
42
44
45
464
482
Aufgabenbezeichnung
1
Gliederung
Tabelle A 15
0,67
4,99
0,83
0
0,07
0
0,01
0,88
0
0
0,01
0,7
0,01
0
0,15
1,65
1,53
2,45
0
0,14
0,01
0,03
0,59
0,01
0,03
0,03
0,6
0,04
7,08
0,75
0,85
0
0,19
0
0,17
0,04
0,04
1,06
0,02
0,16
0,04
0,24
0,03
1,28
1,04
3,4
0
0
0
0,22
0,12
0,25
3,72
0,34
0,65
0,21
0,83
0,14
0
2,53
0
0
0
0,15
0,01
0,08
0,21
0,39
0,83
1,14
0,09
0,27
0,06
0
0,75
0
0
0
1,48
0,03
0,05
0,82
0,14
2,88
0,8
0,19
0,6
0,05
0
0,58
0 bis unter 6 bis unter 20 bis unter 30 bis unter 65 bis unter 80 Jahre 6 Jahre 20 Jahre 30 Jahre 65 Jahre 80 Jahre u. älter
Szenario 2050
6,57
6,52
3,47
1,63
0,64
0,3
1,36
6,78
4,08
2,78
0,57
3,24
0,33
8,36
5,8
Gesamt
276 Anhang
Krankenhäuser
Rettungsdienst
Bauverwaltung
Städteplanung, Vermessung, Bauordnung
Wohnungsbauförderung und Wohnungsfürsorge
Gemeindestraßen
Kreisstraßen
Bundes- und Landesstraßen
Straßenbeleuchtung und -reinigung
Wasserläufe, Wasserbau
Abwasserbeseitigung
Abfallbeseitigung
Schlachttier- und Fleischbeschau, Freibank, Notschlachträume
Friedhöfe, Leichenhäuser, Krematorien u. dgl.
Aufgaben n. d. Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
51
541
60
61
62
63
65
66
67
69
70
72
742
751
755
Quelle: Eigene Berechnungen.
Insgesamt
Vollzug des Betreuungsgesetzes
486
9,12
0,01
0
0,12
0,12
0,01
0,03
0,01
0,12
0,02
0,11
0,05
0,02
0,18
0
17,59
0,01
0,01
0,3
0,37
0,04
0,22
0,05
0,94
0,06
0,28
0,27
0,06
0,04
0
7,69
0,01
0,01
0,27
0,33
0,04
0,2
0,05
0,88
0,05
0,27
0,25
0,11
0,06
0
20,51
0,13
0,01
1,15
1,4
0,15
0,43
0,1
1,84
0,21
1,42
0,7
0,3
0,25
0,01
8,3
0,33
0,01
0,48
0,6
0,06
0,23
0,05
0,97
0,1
0,61
0,34
0,15
0,38
0,01
12,36
1,54
0
0,52
0,47
0,05
0,11
0,03
0,52
0,08
0,49
0,22
0,19
0,49
0,03
75,57
2,03
0,04
2,84
3,29
0,35
1,22
0,29
5,27
0,52
3,18
1,83
0,83
1,4
0,05
Anhang V 277
Literaturverzeichnis Achterberg, Norbert/Püttner, Günter/Würtenberger, Thomas (Hrsg.): Besonderes Verwaltungsrecht: Ein Lehr- und Handbuch, Bd. II – Kommunal-, Haushalts-, Abgaben-, Ordnungs-, Sozial-, Dienstrecht, 2. Auflage, Heidelberg 2000 Albers, Willi u. a. (Hrsg.): Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 5, Stuttgart, Tübingen, Göttingen 1980 Appel, Clemens: Die Auswirkungen des demografischen Wandels in Brandenburg auf die öffentliche Verwaltung und staatliche Organisationen, in: LKV 2005, S. 377 ff. Bach, Stefan/Bork, Christhart/Krimmer, Pascal/Raffelhüschen, Bernd/Schulz, Erika: Demographischer Wandel und Steueraufkommen, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW; Hrsg.), Materialien 20, Berlin 2002 Baer, Susanne: Demographischer Wandel und Generationengerechtigkeit – 2. Bericht, in: Erosion von Verfassungsvoraussetzungen – Berichte und Diskussionen auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Erlangen vom 1. bis 4. Oktober 2008 (Red.: Engel, Christoph), Berlin 2009, S. 290 ff. Battis, Ulrich/Krautzberger, Michael/Löhr, Rolf-Peter (Hrsg.): Baugesetzbuch – BauGB – Kommentar, 10. Auflage, München 2007 Baum, Britta/Seitz, Helmut: Demographischer Wandel und Bildungsausgaben: Empirische Evidenz für die westdeutschen Länder, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 2003, S. 205 ff. Baum, Britta/Seitz, Helmut/Worobjew, Andrej: Der Einfluss der Alters- und Familienstrukturen auf die Ausgaben der Länder und Gemeinden, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 71 (2002) 1, S. 147 ff. Beckmann, Martin: Die Wahrnehmung von Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben durch die Kreise und ihre Finanzierung über die Kreisumlage, in: DVBl 1990, S. 1193 ff. Beetz, Stephan: Ländliche Politik im demographischen Wandel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 21–22/2006, S. 25 ff. Behrens, Peter: Die ökonomischen Grundlagen des Rechts – Politische Ökonomie als rationale Jurisprudenz, Tübingen 1986 Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Wegweiser Demographischer Wandel 2020 – Analysen und Handlungskonzepte für Städte und Gemeinden, Gütersloh 2006 – Demographie konkret – Handlungsansätze für die kommunale Praxis Beutling, Alexander: Die Ergänzungs- und Ausgleichsaufgaben der Kreise – im Spannungsverhältnis gemeindlicher und kreislicher Eigenverantwortlichkeit, Aachen 2002
280
Literaturverzeichnis
Bieker, Rudolf: Kommunale Sozialverwaltung – Grundriss für das Studium der angewandten Sozialwissenschaften, München u. a. 2006 Bielenberg, Walter/Runkel, Peter/Spannowsky, Willy (Hrsg.): Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder – Ergänzbarer Kommentar und systematische Sammlung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Stand Lfg. 2/08 (Dezember 2008) Blotevogel, Hans (Hrsg.): Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts, Hannover 2002 Böckel, Martin: Abbau von Standards, in: ZG 1995, S. 344 ff. Borgmann, Thomas/Durchdenwald, Thomas: Gemeindesteuern brechen ein – Landeshauptstadt verliert 290 Millionen Euro Einnahmen – Harter Sparkurs erwartet, in: Stuttgarter Zeitung vom 23. Mai 2009, S. 1 – Viele Projekte stehen plötzlich auf der Kippe – Der Stadtkämmerer Föll schließt Haushaltssperre nicht aus, in: Stuttgarter Zeitung vom 23. Mai 2009, S. 21 Bose, Marc/Wirth, Peter: Gesundschrumpfen oder Ausbluten? in: APuZ 21–22/2006, S. 18 ff. Bovenschulte, Andreas: Gemeindeverbände als Organisationsformen kommunaler Selbstverwaltung, Baden-Baden 2000 Breining, Thomas: Jetzt fangen die Kämmerer mit dem Nachrechnen an – Ergebnis der Steuerschätzung bedeutet auch Abstriche in den Kommunen – Entlastung für das Land beim Länderfinanzausgleich, in: Stuttgarter Zeitung vom 20. Mai 2009, S. 6 Brenski, Carsten/Liebig, Armin (Hrsg.): Aktivitäten auf dem Gebiet der Staats- und Verwaltungsmodernisierung in den Ländern und beim Bund 2004/2005, Speyer 2007 Brohm, Winfried: Die Selbstverwaltung der Gemeinden im Verwaltungssystem der Bundesrepublik, in: DVBl 1984, S. 293 ff. Brüning, Christoph: Die kommunalrechtlichen Experimentierklauseln – Meilensteine auf dem Weg zur Gemeindeverwaltung als Dienstleistungsunternehmen oder Freibriefe für die öffentliche Verwaltung?, in: DÖV 1997, S. 278 ff. Bull, Hans Peter: Kommunale Selbstverwaltung heute – Idee, Ideologie und Wirklichkeit, in: DVBl 2008, S. 1 ff. Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsmarkt 2006, in: Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit Internetquelle zuletzt besucht am 10.02.2009, Stand: Juli 2007 http://www.pub.arbeitsamt.de/hst/services/statistik/000100/html/jahr/arbeitsmarkt_ 2006_gesamt.pdf Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Raumordnungsbericht 2005, Bonn 2005 Bundesministerium der Finanzen: Finanzsituation der Kommunen 2006 Internetquelle zuletzt besucht am 10.02.2009, Stand: Mai 2007 http://www.bundesfinanzministe rium.de/nn_53848/DE/BMF__Startseite/Service/Downloads/Abt__V/Kommunale_ 20Finanzsituation,property=publicationFile.pdf
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Sachverzeichnis Abgabenerhebung 52–53 Abgabenhoheit 55 Abwasser- und Abfallentsorgung 82, 149 allokative Funktion 240 alternsgerechte Gesellschaft 30 altersgruppenspezifische Kostenanteile 134 altersspezifische Nachfragestruktur 132 altersspezifischer Gesamtausgabenanteil 144 Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft 47, 104–105, 160, 211 angemessene Finanzausstattung 106, 110, 117, 120 Anreizmechanismen 218 Arbeitsgemeinschaften 199–200 Attraktivität 36–37, 99–100, 179, 213, 257–258 Aufgabenbereiche 112, 135, 141, 147, 149, 158–161, 164, 194, 199, 238, 240, 256 Aufgabenentzug 121, 123, 160, 173– 175, 284 Aufgabenerfüllung 44, 50, 106, 109, 156, 167, 183–184, 187, 190–192, 194, 202, 225–226, 237, 246–247, 288, 294 Aufgabenkommunalisierung 181 Aufgabenprivatisierung 45, 193, 195, 214 Aufgabenstruktur 44, 131, 138, 156, 182 Aufgabenverantwortung 190–193 Aufkommensstärke 219, 222, 226, 244 Ausfallrisiken 228 Ausgabenhoheit 55 Ausgabenintensität 157, 159, 176, 182, 214 ausgabenrelevante gesetzliche Vorgaben 159 Ausgestaltungsbefugnis 104
Ausgleichsaufgaben 48–50, 279 Autonomiegehalt 156, 159, 176, 219– 220, 224–227, 244 Baden-Württemberg 21–23, 27, 44–47, 51–52, 55–56, 58–61, 66–70, 73, 76, 82–83, 85, 90, 96, 108, 127, 129, 131, 143, 148, 167, 182, 187, 193, 204, 206, 208–209, 222–223, 240, 255–257, 262, 268, 281–283, 286, 289, 293, 295 Baugebiete 95, 98, 102, 256, 289 Bauordnung 132, 137, 140, 142, 146, 148, 153, 158–159, 273, 275, 277 Bayern 21, 61, 108, 167, 182, 200, 204, 239, 256, 268 Bedarfsermittlung 111, 237, 239 Bedarfszuweisungen 63, 65 Beiträge 30, 32, 52, 66–69, 221, 224, 226, 228, 269, 293–294 Bevölkerungsvorausberechnung 26–27, 78, 251–253, 291 bildungsrelevantes Alter 133 Brandenburg 21, 77, 97, 101, 111–112, 117, 204, 268, 279, 287 Bürgerbeteiligung 184, 212, 214, 263, 293 defensive Instrumente 97 delegierende Vereinbarung 203 Demographie-Monitoring 247 Demographietauglichkeit 33, 37, 41–43, 103, 106, 108, 118–119, 124, 130, 156, 173, 178–183, 186, 188, 194–195, 197–198, 211, 218–219, 229–230, 236, 245, 248, 259 – partielle 248 – potentielle 156 – tatsächliche 159, 218, 227
Sachverzeichnis demographisch-funktionale Betrachtung 219 demographischer Faktor 157, 159, 221, 226, 247 demokratische Beteiligung 197 diseconomies of scale 237–240 dualistisches Modell 47 Einkommensteuer 54, 56–57, 63, 78–79, 83, 220–221, 223–224, 226, 230–231, 234–235, 244, 258, 266–267, 269–270 Einnahmeausfälle 73–74, 82, 89, 97, 149, 151, 178, 219 Einnahmebeschaffung 51, 70 Einnahmeverluste 77, 82, 86, 96, 149– 150 Einwohnerveredelung 64, 83–84, 220, 238–241, 243–244, 256 Ergänzungsaufgaben 49–50, 279, 283, 293 Ertragshoheit 53–54, 61, 232 Erwerbsleben 133, 219 Finanzausgleichsmasse 63, 84, 221 Finanzierungssalden 75–76 Finanzkrise 77, 225–226, 258, 261, 294– 295 Finanzverfassung 43–44, 47, 51, 56, 59– 63, 65–66, 117, 285, 291 fiskalische Funktion 229, 239 Flexibilität 215–216 Folgelasten 125 freie Spitze 113, 121–124, 126, 132, 140–141, 143, 145, 151–152, 154, 186–187, 189, 215 Freiverband 201 freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben 44–45, 194 Funktionalreform 179–181, 188–189, 214, 291 Gebühren 52, 55, 66–69, 77, 80–81, 221, 224, 226, 228, 234, 258, 269, 294 Gebührenerhöhung 81–82, 89
297
Gemeindestraßen 132, 140, 142, 146, 153, 273, 275, 277 Gemeinwohl 37, 160, 174, 177, 194 Gemeinwohlgründe 106 Generationengerechtigkeit 30–33, 279, 284–285, 290 Gesetzgebungskompetenz 51–52, 66 gesetzliche Vorgaben, Lockerung 160 Gewährleistungsstaat 189–190 Gewerbesteuer 54–55, 58, 74, 78–80, 220–224, 226, 228, 230–231, 233–234, 244, 261, 266–267, 269–270, 293 Grenzbelastung, demographische 108, 122–123, 175, 215 Größe, optimale 182, 248 Großstädte 238, 243–244 Grunderwerbsteuer 61, 221, 228 Grundsteuer 52, 58–59, 222–223, 226, 228, 230–231, 234, 244, 266–267, 269 Güterallokation 34 Handlungsspielräume 37, 103, 120, 174– 175, 178, 187, 197, 211, 215, 237, 245–247, 259 Haushaltshoheit 56 Hessen 22, 108, 187, 204, 206, 268 höhere Kommunalverbände 206 Infrastruktureinrichtungen 87, 89, 236, 243, 255 Integration, demokratische 178 Integrationsfähigkeit, kommunale 212 integrierte Konzepte 101 Interdisziplinarität 197, 213 interkommunale Kooperation 196–198, 210–211, 215–216, 246, 256, 284–285 Investitionen, kommunale 259 Investitionshilfen 66, 221 Kassenkredite 71–72, 75–76, 127, 285 Kleingemeinden 239, 243–244 kommunale Finanzhoheit 55, 106 kommunale Finanzquellen 56
298
Sachverzeichnis
kommunale Gebietskörperschaften 36, 217 kommunale Selbstverwaltungsgarantie 33, 99, 103, 106, 121, 181, 183, 199– 201, 205, 242 kommunale Standards 110, 156, 161 kommunaler Finanzausgleich 61, 63–64, 285, 287 kommunales Einnahmesystem 43, 218, 227, 233, 247 kommunales Finanzsystem, demographietaugliches 108, 125–126 Kooperationstypen 198, 207–209 Kooperationstypenmatrix 207 Kosten – direkte 87 – indirekte 89 Kostenremanenzen 91–92, 94, 96, 123– 124, 134, 147–149, 151, 197, 238 Krankenhauswesen 148 Kreditfinanzierung 70–72, 84, 222 Kreisaufgaben 47–49, 131 Kreisstraßen 49, 132, 140, 142, 146, 153, 157–159, 273, 275, 277 Landkreise 28, 47–50, 62–64, 90, 131, 167, 179–182, 186–188, 206, 208, 216–217, 255–257, 261, 283, 285, 290, 293 Legitimation, demokratische 211 Lösungsstrategie 101, 229, 262 Makrobetrachtungsweise 129–130, 247 mandatierende Vereinbarung 203 Mecklenburg-Vorpommern 22, 43, 62, 64–65, 113, 118, 173, 179–182, 184– 189, 204, 206, 241, 268, 281, 285, 290–291 Mikrobetrachtungsweise 129–130, 247 Mindestfinanzausstattung 108, 115, 117– 119, 229 monistisches Modell 46 Netzinfrastruktur 87, 197 Neulietzegöricke-Entscheidung 111
Niedersachsen 22, 76, 108, 202, 204, 268 Nordrhein-Westfalen 23, 62, 76, 108, 114, 116, 118, 283 Normdichte 161, 163–167, 170, 283 offensive Instrumente 97 öffentlich-rechtliche Vereinbarung 202, 209 ökonomische Theorie des Rechts 38, 40– 41 ökonomisches Paradigma 38 Optimale Betriebsgröße 183 Organisationsprivatisierung 191–192, 195, 214 originäre Ertragskompetenzen 56 örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern 60 Pflichtaufgaben nach Weisung 44, 46– 48, 50, 180, 187, 194, 201 pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben 45, 201 Pflichtverband 201 Pirna 99, 259–260 Planungshoheit 56 Privatisierung 42, 45, 70, 178, 189–194, 198, 215, 282, 284, 286, 290 – formelle 191 – funktionale 192 Privatisierungsstrategie 194–195 public private partnership 222 Punktinfrastruktur 87, 89, 197 Reaktionsstrategien, kommunalpolitische 97 Realsteuern 58, 64 Reformmaßnahmen 159, 175–176, 227, 241 Reformstrategie 178–179 Rentenalter 133, 147 Reutlingen 101, 207, 262, 264
Sachverzeichnis Rheinland-Pfalz 23, 62, 64, 108, 115, 122, 162, 204, 268, 286 Risikostreuung 125 Saarland 76, 108, 182, 268 Sachsen 23, 77–83, 86, 88–89, 92, 99, 116, 118, 137, 204, 240, 268, 286, 293 Sachsen-Anhalt 77–83, 86, 88–89, 92, 116, 240, 293 Schleswig-Holstein 23, 47, 64, 108, 150, 204, 268 Schlüsselzuweisungen 63, 65, 74, 115, 220, 223–226, 228, 236, 239–244 Schuldenentwicklung 75 Schuldenstand 75 Schulen 29, 46, 87, 90, 98, 131, 139, 141, 145, 148, 152, 157–158, 256, 272, 274, 276 Selbstverwaltung, kommunale 25, 32– 33, 37, 40–41, 43–44, 47–48, 53, 56, 59–63, 65–66, 103, 105–106, 109, 114, 121, 123, 125, 161, 163, 165, 174, 177, 184, 187–188, 191–194, 215, 218, 227, 245, 247–248, 283, 286, 291 Sonderabgaben 52, 69 Sonderlastenausgleich 65 Sozialausgaben 90, 147 Sozialhilfe 46, 90, 131, 135, 147, 157– 159, 162, 167–170, 172–177, 206, 282, 286, 292 Sozialhilfeausgaben 152, 174 Sozialleistungen 90, 135, 147, 167, 292 Sozialverwaltung 136, 171, 173, 280 Stadt-Umland-Verbände 204–205, 208, 211 Städteplanung 132, 137, 140, 142, 146, 148, 153, 158–159, 273, 275, 277 Standarddichte 164 Standards 46, 156, 161–166, 170, 172, 176, 245, 280, 283, 289
299
Steuereinnahmen 56, 63–64, 73–74, 76– 78, 85, 220, 222, 226, 230–231, 266– 270 Straßenbaulast 46 Territorialreform 180–182 Thüringen 23, 77–83, 86, 88–89, 92, 117, 200, 204, 240, 268, 293 übergemeindliche Aufgaben 49 Umsatzsteuer 54, 57–58, 63–64, 74, 78, 80, 83, 221, 223, 230, 232–233, 235, 266–267, 269–270 Veränderungsprozesse, demographische 132 Verteilungsmodalitäten 57, 229–230 Verwaltungsgemeinschaft 203–204, 208– 209 Verwaltungskompetenz 51, 54–55 Verwaltungsrecht 22–23, 45–47, 122, 171, 178, 189–194, 199–204, 206–208, 248, 279, 281, 286, 293 Verwaltungsreform 181–182, 185, 187– 188, 241, 257, 261, 281, 291–293 Verwaltungsreformvorhaben 179 weisungsfreie Pflichtaufgaben 45, 194 Wesensgehaltsgarantie 104–105, 174 Wettbewerb – interkommunaler 256 – kommunaler 97 Wettbewerb um Einwohner, ruinöser 94 Wettbewerbsvorteile 210 zentrale Orte 243 Zentrale-Orte-Ansatz 242 Zweckverband 200–202, 205–206, 209– 210, 212, 256, 289 Zweckzuweisungen 63, 65, 221, 224– 225, 236, 244
SUMMARY The demographic change causes a lot of legal problems concerning local self-government. This study is focused on both the direct and the indirect, incentive based effects of the demographic change. On the basis of a positive analysis of the legal setting conclusions are deduced. They show in how far the legal setting sufficiently prepares the municipalities for the challenges of the demographic change. Further on, in a normative dimension, the study offers legislative recommendations. Besides using classic legal methods the study is also based on the Economic Theory of Law. Summary of the results: Local self-government is to be reformed by strengthening local autonomy with regard to both local revenues and local responsibilities. Therefore privatization is an instrument which, if used at all, should be used with caution. Cooperation between communities can be a solution to anticipate further losses of local latitude. Administrative structures have to be improved, especially with regard to the demographic change. Most important is to invigorate the income of the communities. To reduce incentives for a ruinous competition for inhabitants especially the demographic dependence of the municipal financial equalization has to be minimized. Instead of an inhabitants based calculation it is necessary to readjust calculation to a system based on real costs. Regarding the legal setting of municipalities, the German administrative system, in parts, is unable to deal with the upcoming challenges caused by the demographic change.
RÉSUMÉ La transformation démographique soulève de nombreuses questions juridiques concernant l'autogestion des communes. Les conséquences directes des changements démographiques sont prises en compte lors de l'enquête ainsi que les effets indirects, causés par des attraits. Basé sur une analyse positive de l'encadrement juridique, des constatations sont faites quant à la validité de la démographie en vue de l'autonomie locale, deduisant des recommandations normatives, comment le droit administrative peut être reformé. La recherche repose sur la méthode de la Théorie Economique du Droit. Résumé des resultats: Il faut accorder plus d'autonomie aux communes tant dans le design de leurs revenus ainsi que sur l'achèvement des contraintes impératives. La privatization doit être évalué afin reticent. Elle est un instrument qui peut causer même plus de problèmes. La coopération intercommunale peut être un moyen approprié pour protéger les options de conception communale. Les structures administratives doivent être reformées en terme de la transformation démographique. Tout d'abord il faut inévitablement renforcer les recettes municipales. Pour réduire les incitations à une compétition ruineuse entre les municipalités pour des nouveaux residents, la péréquation financière intercommunale doit baser plus sur le coût reel et moins sur le nombre des résidents d'une commune. En parts, le système administratif sous l'angle de l`autogestion des communes n'est pas capable de surmonter les problèmes que sont causèe par la transformation démographique.