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German Pages 140 Year 1996
Kommunale Selbstverwaltung Europäische und Nationale Aspekte
Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam Herausgegeben von Prof. Dr. Werner Jann Prof. Dr. Wolfgang Loschelder Prof. Dr. Michael Nierhaus Prof. Dr. Dieter C. Umbach Prof. Dr. Dieter Wagner
Band 1
Komlßunale Selbstverwaltung Europäische und Nationale Aspekte
I1erausgegeben von Michael Nierhaus
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kommunale Selbstverwaltung : europäische und nationale Aspekte / hrsg. von Michael Nierhaus. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam ; Bd. 1) ISBN 3-428-08572-8 NE: Nierhaus, Michael [Hrsg.]; Kommunalwissenschaftliches Institut (Potsdam): Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen ...
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0949-7730 ISBN 3-428-08572-8 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Vorwort der Herausgeber Mit diesem ersten Band der Schriftenreihe (KWIS) stellt sich das im Jahre 1993 gegründete Kommunalwissenschaftliche Institut Potsdam (KWI) den Lesern der interessierten Fachwelt vor. Angesichts der kaum noch überschaubaren Fülle an Publikationen zu diesem und benachbarten Themenbereichen versteht sich das Wagnis einer neuen Veröffentlichung nicht von selbst: Die besondere Rechtfertigung liegt im besonderen Charakter des Instituts, das der Kommunalwissenschaft, einem Spezialgebiet der facherübergreifenden Verwaltungswissenschaften, in einem der neuen Bundesländer eine breitere Verankerung geben soll. Da kommunale Entscheidungs- und Wirkungszusarnmenhänge interdisziplinär zu erforschen und zu diskutieren sind, müssen Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft, Betriebswirtschaftslehre, Sozial- und Finanzwissenschaft unter dem Dach des Instituts und im Rahmen seiner Aktivitäten vereinigt werden. Daß es eines solchen abstrakten Appells zur Interdisziplinarität in Potsdam nicht bedarf, zeigt dieser Band, der die Beiträge zur akademischen Eröffnung des Kommunalwissenschaftlichen Instituts im Februar 1995 wiedergibt. Er präsentiert einen aktuellen Ausschnitt aus der Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung unter europäischen, brandenburgischen und kommunalwissenschaftlichen Aspekten. Darin dokumentiert sich der interdisziplinäre Charakter des Instituts. Allen Autoren, die an seiner akademischen Eröffnung am 3. Februar 1995 und der Gestaltung dieses Bandes mitgewirkt haben, gilt unser herzlicher Dank. Für die redaktionelle Betreuung des Bandes danken wir den wisssenschaftlichen Mitarbeitern des Kommunalwissenschaftlichen Instituts, Frau Dr. Christiane Büchner und Herrn Daniel Engelke sowie den studentischen Hilfskräften des Instituts. Das Erscheinen dieses Bandes wurde durch einen Druckkostenzuschuß des Ministeriums des Innem des Landes Brandenburg gefördert. Die Tagung wurde von der Wissenschaftsförderung der Sparkassenorganisation e. V. unterstützt. Potsdam im August 1995
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Dr. Dr. Dr. Dr. Dr.
Wemer Jann Wolfgang Losehelder Michael Nierhaus Dieter C. Umbach Dieter Wagner
Inhalt Eröffnung und Begrüßung durch Prof. Dr. Rolf Mitzner, Rektor der Universität Potsdam
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Grußworte von Prof. Dr. rer. pol. habil. Kurt G. A. Jeserich, Bergisch Gladbach ........
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Einführung durch Prof. Dr. Michael Nierhaus, Geschäftsführender Direktor des Kommunalwissenschaftlichen Institutes der Universität Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung Von Klaus Stern, Köln.............................................................
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Die Neugestaltung der Kornrnunalverfassung im Land Brandenburg Von Michael Nierhaus, Potsdarn ...................................................
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Kommunale Dienstleistungen zwischen Gemeinwohlauftrag, Bürgerschaft und Markt Von Gerhard Banner, Köln ........................................................
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Podiumsdiskussion Leitung: Werner Jann, Potsdam .................................................... 107 Verzeichnis der Teilnehmer ............................................................ 131
Eröffnung und Begrüßung Meine Damen und Herren, es ist mir eine große Freude und Ehre zugleich, Sie zu dieser Tagung anläßlich der akademischen Eröffnung des Kommunalwissenschaftlichen Instituts an der Universität Potsdam begrüßen zu können. Allein die zahlreich angereisten Teilnehmer sprechen für die Bedeutung dieser Tagung. Kommunen sind sicherlich die Teile des Gesellschaftssystems, die eine sehr große Bürgernähe haben. In den Kommunen werden Probleme behandelt, die meist sehr konkret sind und deren Lösung oder Nichtlösung direkt und unmittelbar Auswirkungen auf das Wohl der Bürger haben. Dieser Umstand hat zwangsläufig zur Folge, daß seitens der Bürger eine erhöhte Kritikfreudigkeit und Mitarbeit bei kommunalen Angelegenheiten zu verzeichnen ist. Sie befinden sich in einem Gebäude der Universität Potsdam, das eine sehr wechselvolle Geschichte hat, so etwas ähnliches wie eine kommunale Geschichte. Gegenwärtig beherbergt dieses Haus einen Teil der Universität Potsdam, nämlich die Rechtswissenschaften, die Sozialwissenschaften und die Wirtschaftswissenschaften. Als das Gebäude 1938 erbaut wurde, vermischte der verantwortliche Architekt Bauhaustraditionen und Speersche Traditionen, und es entstand ein monumentales, auf Funktionalität ausgerichtetes Verwaltungsgebäude. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß sich diese Architektur mit zunehmendem Alter des Gebäudes immer besser ertragen läßt. Als Rektor der Universität Potsdam habe ich an diesem Gebäude die vielen, für Verwaltungs- aber auch für Lehrzwecke geeigneten Räume schätzen gelernt, und somit ist dieses Haus ein schönes Haus. Nachdem 1938 die Zentralverwaltung des Deutschen Roten Kreuzes hier die Rolle des Hausherrn übernahm, hat es mehrfache Wechsel und Übergänge gegeben, bis schließlich nach dem Krieg die Akademie für Staat und Recht der ehemaligen DDR hier untergebracht gewesen ist. Das war eine sehr heterogene Institution, sowohl was Systemnähe als auch was ihre Qualität betreffen. Neben einer Diplomatenausbildung hat es hier, und das ist der kommunale Aspekt, auch Kurzlehrgänge für Bürgermeister gegeben, denn immerhin hatte auch das überholte System erkannt, daß dem kommunalen Sektor eine gewisse Rolle zukommt. Nach der "Wende" hat es innerhalb dieser Einrichtung in den Jahren 1989/ 1990 eine partielle Erneuerung gegeben. Darunter fiel auch, durch Bedarf hervorgerufen, eine Weiterbildungstätigkeit für Personen, die anschließend in den Kommunen beschäftigt wurden. Diese Aufgaben wurden in großem Maße von Herrn Dr. Kesseler organisiert und zum Teil auch
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Eröffnung und Begrüßung
inhaltlich ausgefüllt. film ist es auch zu verdanken, daß im Jahre 1991 der Haushalt des Landes Brandenburg ein Kommunalwissenschaftliches Institut mit bescheidenen Finanz- und Stellenmitteln ausweist, aber immerhin hatte das KWI damals seinen Anfang. Im Sommer 1991 wurde die Universität Potsdam gegründet und in den darauffolgenden drei Jahren von einem Gründungssenat und einem Gründungsrektorat geleitet. Der Gründungsdekan der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam, Herr Prof. Dr. iur. Rolf Grawen, er ist ebenfalls Teilnehmer dieser Tagung, hat dann dieses Institut mit einem Statut in das Gründungskonzept der Universität Potsdam integriert. Wenn neue Universitäten gegründet werden, fällt den Gründern meistens ein, was deutsche Universitäten eigentlich schon immer erreichen wollten und was in alten Universitäten relativ schwer zu realisieren ist. Das sind Interdisziplinarität und Weiterbildung als zwei legitime Aufgaben einer Hochschule. Interdisziplinarität und Weiterbildung sind ohne Zweifel zwei Grundpfeiler des Gründungskonzeptes der Universität Potsdam. Die Interdisziplinarität wird durch die Gründung von Interdisziplinären Zentren manifestiert. Diese Interdisziplinären Zentren verfügen über einen gewissen Verwaltungsstock, der aus berufenen Professoren, wissenschaftlichen und technischen Mitarbeitern rekrutiert ist. Inzwischen verfügt die Universität Potsdam über 11 Interdisziplinäre Zentren, und ich kann an dieser Stelle mit Genugtuung sagen, daß diese Zentren nicht nur auf dem Papier stehen, sondern so gut prosperieren, daß sie schneller wachsen als unsere räumlichen und personellen Möglichkeiten. Es hat sich gezeigt, daß auf der Ebene Interdisziplinärer Zentren tatsächlich die Zusammenarbeit unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen funktioniert und zu hervorragenden Ergebnissen führt. Gleichzeitig stellen diese Interdisziplinären Zentren auch Foren dar, auf denen die Kooperation mit außeruniversitären Einrichtungen des Territoriums und anderen Universitäten ermöglicht wird. Wenn wir die Spannweite der wissenschaftlichen Gegenstände der einzelnen Interdisziplinären Zentren betrachten, so reicht diese beispielsweise vom Interdisziplinären Zentrum für Jugendforschung über Australienforschung bis hin zum Zentrum für Dünne Organische und Chemische Schichten. Parallel dazu hat sich auch das Kommunalwissenschaftliche Institut entwickelt, mit gleicher Struktur und interdisziplinären AufgabensteIlungen. Die Interdisziplinären Zentren stellen in der Regel auch den Hintergrund für die wissenschaftliche und zum Teil auch für die organisatorische Seite der betreffenden Studiengänge dar, und ich hoffe, daß die Bemühungen der Verwaltungswissenschaften an der Universität Potsdam und die des Kommunalwissenschaftlichen Instituts bald zusammenkommen und profilbestimmend werden. Meines Erachtens gibt es dafür gegenwärtig gute Voraussetzungen.
Eröffnung und Begrüßung
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Sehr verehrte Damen und Herren, gestatten Sie bitte, Thnen für den Verlauf Threr Tagung alles Gute und dem Institut für seine weitere Arbeit bestes Gelingen zu wünschen. Prof Dr. Rolf Mitzner Rektor der Universität Potsdam
Grußworte Magnifizenz, meine verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir bitte einige Begrüßungsworte zu dem feierlichen Ereignis, das wir heute begehen, der Gründung des Kommunalwissenschaftlichen Institus der Universität Potsdam. Wahrscheinlich bin ich in diesem Kreis der Älteste, der noch lebendige Erinnerungen an die Zeit der Weimarer Republik und die damalige Situation der öffentlichen Verwaltung, insbesondere der Kommunalverwaltung hat. Insofern denke ich, daß ich eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen vermag. Im Jahre 1928 wurde auf Initiative von Walter Norden, Professor an der Friedrich-Wilhelms- Universität Berlin mit meiner bescheidenen Mithilfe als sein damaliger Assistent und mit nachhaltiger Unterstützung des seinerzeitigen Stadtkämmerers von Berlin, Bruno Asch, und des damaligen preußischen Innenministers, earl Severing, das erste Kommunalwissenschaftliche Institut an einer Universität in Deutschland gegründet. Es erlangte nationale, aber auch bald darüber hinaus internationale Bedeutung. Zehn Jahre lang hatte ich die Ehre, Direktor dieses Kommunalwissenschaftllichen Instituts zu sein, und die Möglichkeit, für seine wissenschaftliche Reputation und für seine praktische politische Bedeutung einiges zu tun.
Ein englisches Bombengeschwader hat am 23. 11. 1943 das Institut, das während des Krieges in die ehemaligen Diensträume des Oberpräsidenten von Berlin und Brandenburg in die Nähe des Reichstages verlegt worden war, in Schutt und Asche gelegt. Die einzigartige Fachbibliothek mit fast 50.000 Bänden und der gesamte Aktenbestand wurden vernichtet. Es blieb vom Kommunalwissenschaftlichen Institut an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin nur Erinnerung und die Tradition, die viele unserer früheren Studenten, die sich nach 1945 in hohen Staatsund Kommunalstellen befanden, in sich trugen. Die Gründung eines neuen Kommunalwissenschaftllichen Instituts an der Universität Potsdam ist ein mutiger, richtungsweisender Akt, der hohe Anerkennung verdient und den Dank an alle daran Beteiligten. Ich hoffe, daß das Institut im Rahmen der Universität eine gute Entwicklung nimmt und nicht nur territoriale, sondern nationale und internationale Bedeutung erlangt wie das seinerzeitige Institut in Berlin. Die politische und verwaltungspolitische Lage der kommunalen Selbstverwaltung ist von je her und auch heute bedroht. Sie benötigt ständig wissenschaftliche
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Grußworte
Hilfe und Unterstützung, nicht zuletzt auch in der Arbeit der Europäischen Gemeinschaft. Gerade hier wird es noch viele Auseinandersetzungen geben, um die Erhaltung unseres historischen Systems der kommunalen Selbstverwaltung, das in wichtigen Ländern der Gemeinschaft weitgehend unbekannt oder umstritten ist. Auch in diesem Zusammenhang ist die Gründung des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam von besonderer Bedeutung. Ich wünsche der neuen Einrichtung Erfolg und würde mich freuen, wenn der heutige Akt die ideale Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellt, aber auch für die Zukunft von richtungs weisender Bedeutung wird. Prof Dr. rer. pol. habil. Kurt G. A. Jeserich
Einführung Magnifizenz, haben Sie herzlichen Dank für Thre freundlichen Worte der Begrüßung und die Einstimmung in die akademische Eröffnung des Kommunalwissenschaftlichen Institutes der Universität Potsdam. TImen, hochverehrter Herr Jeserich, danke ich für die guten Wünsche, die Sie dem KWI mit auf den Weg gegeben haben. Besonders gefreut habe ich mich über den entwicklungsgeschichtlichen Brückenschlag von Berlin nach Potsdam, einer neuen "wissenschaftlichen Heimat" der Kommunalwissenschaft, nicht nur im Osten Deutschlands. Ob das Kommunalwissenschaftliche Institut allerdings - wie Sie sagten - nicht nur territoriale, sondern auch nationale und darüber hinaus internationale Bedeutung erlangen wird wie das Berliner Institut, muß die Zukunft erweisen. Wir nehmen diese gewaltige Herausforderung bescheiden in dem Bewußtsein an, daß die Weltgeltung Thres Institutes sicher unerreicht bleiben wird. 1 Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst unsere Ehrengäste begrüßen. Vorsorglich bitte ich um Nachsicht, wenn ich im Eifer des Gefechts wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versehentlich nicht erwähnen sollte. Es ist eine große Ehre für uns, daß der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Herr Everhardt Franßen, an dieser Tagung teilnimmt. Besonders herzlich begrüße ich auch seinen Vorgänger, den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts a.D., Horst Sendler, sowie die Herren Bundesverwaltungsrichter, von denen einige bereits in der Vorgründungsphase aktiv den Lehrbetrieb in Potsdam aufrechterhalten und fortgeführt haben. Stellvertretend für sie möchte ich Herrn Bonk, Honorarprofessor dieser Universität, erwähnen. Ich begrüße ferner den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin, Klaus Finkeinburg, die Herren Richter des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, Hans Herbert v. Arnim. Matthias Dombert und Rolf Mitmer. Herrn Dr. Michael Muth, Leiter der Kommunalabteilung, danke ich ganz besonders dafür, daß er als Vertreter des heute leider verhinderten Innenministers an dieser Veranstaltung teilnimmt. Ich heiße herzlich willkommen die Damen und Herren Vorsitzenden der Kommunalvertretungen, Herrn Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt, Vorsitzender des Städte- und Gemeindebundes des Landes Brandenburg und Vorsitzender des Kuratoriums des KWI, die Herren Landräte, darunter vor allem den Vorsitzenden des Landkreistages Brandenburg und Stellvertretenden Vorsitzenden des Kuratoriums des KWI, Herrn Karl-Heinz Schröter. Ein herzliches 1 Siehe die Würdigung der Persönlichkeit und des ffiuvre von Kurt Jeserich anläßlich seines 90. Geburtstages durch Eberhard Laux, OÖV 1994, 69 f.
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Willkommen in Babelsberg gilt auch den so zahlreich erschienenen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Amtsdirektoren und Vertretern der Kommunalverbände aus diesem und anderen Bundesländern. Magnifizenz, Spektabilitäten, verehrter Herr Jeserich, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen! Meine Vorstandskollegen haben mich gebeten, in der notwendigen Kürze das Institut und seinen Vorstand vorzustellen, eine Aufgabe, die ich als Geschäftsführender Direktor gerne übernehme, wobei ich allerdings etwas gezögert habe, weil es ungewöhnlich ist, im Tagungsprogramm gleich zweimal zu erscheinen, und ich mich nicht vordrängen möchte. Seit dem heutigen Tage sind die Organe des Instituts mit der Konstituierung seines Kuratoriums vollständig. Dieser Tag bietet Anlaß, kurz auf die Vorgeschichte zurückzublicken. Der Gründungsdekan der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam, Herr Grawert, stellte ·bereits im Wintersemester 91/92 Vorüberlegungen zu Aufgaben und Struktur eines Kommunalwissenschaftlichen Instituts an. Sein erster Entwurf, gefertigt unter Bochumer und Potsdamer Doppelbelastungen, datiert vom 16. 1. 1992. Ich erwähne dies, um die Zügigkeit und Tatkraft zu dokumentieren, mit der die Gründung des KWI von Anfang an betrieben wurde. Pläne, ein Institut unter der Bezeichnung "für Kommunalwissenschaft und Praxis" der Juristischen Fakultät im Zusammenwirken mit der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu errichten, wurden verworfen. Im Laufe des Auf- und Ausbaus der Universität Potsdam nahm dann der Gedanke konkretere Formen an, der Eigenart der Kommunalwissenschaft entsprechend, einem Spezialgebiet der flicherübergreifenden Verwaltungswissenschaften, dem Institut eine breitere Verankerung zu geben. Nach Verwerfung weiterer Modellüberlegungen für das Institut wurde schlußendlich die Organisationsform einer unter der Verantwortung des Senats der Universität stehenden zentralen wissenschaftlichen Einrichtung i. S. des § 93 HSchG Bbg. gewählt. Den von Herrn Grawert ausgearbeiteten Gründungsvorschlag und den Satzungsentwurf für das KWI nahm der Gründungssenat an. Mit Erlassen vom 5. Januar 1993 genehmigte der Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur die Institutsgründung und -satzung. 2 Ich bitte Sie, verehrter Herr Grawert, um Nachsicht für diese etwas nüchterne und gedrängte Art der Darstellung, aber der Zeitplan dieser bewußt als Fachtagung und nicht als akademischer Festakt geplanten Veranstaltung läßt mir nicht genügend Raum für eine angemessene Präsentation der von Ihnen ebenso eindrucks- wie aufopferungsvoll geleisteten Pionierarbeit. Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle im Namen des Vorstandes meinen herzlichen Dank sagen, ein Dank, der auch in der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Sie seinen Ausdruck gefunden hat. Wer an der Entstehungsgeschichte des Kommunalwissenschaftlichen Instituts in Potsdam interessiert ist, kann die Einzelheiten in dem informativen Beitrag von Herrn Grawert in der Kurt G. A. Jeserich zum 90. Geburtstag gewidmeten Festschrift nachlesen. 3 2
Universität Potsdam, Amtliche Bekanntmachungen, 2. Jahrgang Nr. 1 vom 15. 3. 1993.
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In der Übergangszeit folgte dann die kommissarische Geschäftsführung des Instituts durch meinen jetzigen Fakultätskollegen, Wolfgang Losehelder, einen nicht nur im Kommunalrecht ausgewiesenen Staatsrechtslehrer und Fachvertreter des Öffentlichen Rechts in seiner ganzen Breite. Dies belegt allein schon der Umstand, daß er neben den Ämtern des Gründungsdekans und Dekans der Juristischen Fakultät und des Kommissarischen Institutsdirektors das Vorlesungsprogramm mit den Fächern Staatskirchen- und Lebensmittelrecht bereicherte. Diese Interimszeit zog sich länger hin als erwartet, weil es, jedenfalls noch 1993, fast ein Jahr brauchte, um kraft Kabinettsbeschlusses in den Genuß einer Ernennungsurkunde zu gelangen. Am 16. Februar 1994 wurde ich vom Vorstand zum Geschäftsführenden Direktor gewählt. Daß die Wahl gerade auf mich fiel, verdanke ich wohl dem Umstand, daß in meiner Lehrstuhlbezeichnung das Kommunalrecht besonders hervorgehoben ist. Zur Organisation und Struktur des Instituts möchte ich nur einige wenige Bemerkungen machen. Nach der Satzung sind Mitglieder des Instituts in erster Linie Professoren, die einen besonderen Schwerpunkt in den Kommunalwissenschaften vertreten, und zwar regelmäßig die Inhaber der Lehrstühle, die ich Ihnen anschließend vorstellen möchte. Das Institut wird durch einen Vorstand geleitet. Es hat ein Kuratorium, das insbesondere der Förderung der Zusammenarbeit mit Institutionen außerhalb der Universität dient. Es kann gegenüber dem Vorstand Empfehlungen zu Zielen und Strategien der Institutsentwicklung, wissenschaftlichen Tagungen und Ausbildungsveranstaltungen geben. Deshalb hat das Kuratorium ein Vorschlags- und Infonnationsrecht in allen wissenschaftlichen Belangen des Instituts. Es pflegt Kontakte zur Praxis und zu anderen wissenschaftlichen Einrichtungen. Es besteht aus bis zu 20 ehrenamtlichen Mitgliedern. Ihm gehören derzeit Repräsentanten insbesondere der Wissenschaft, der kommunalen Spitzenverbände, der kommunalen Versorgungswirtschaft, der öffentlich-rechtlichen Kreditwirtschaft und der fachnahen Ministerien, des Innen- und Wirtschaftsministeriums, an. Die Aufgaben und Ziele des KWI sind in § 2 der Satzung derart breit aufgefachert, daß ich hier nur eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Aufgabenfelder wiedergeben kann: - Forschungen zur Entwicklung, Einrichtung und Tätigkeit der Kommunen, Ämter und Landkreise vornehmlich im Lande Brandenburg aber auch darüber hinaus, - Unterstützung der Lehre im Bereich der Kommunalwissenschaften, - Veranstaltungen von Fachtagungen für Wissenschaft und Praxis, - Weiterbildung kommunaler Mandatsträger und Bediensteter, 3 Grawert, Das Kommunalwissenschaftliche Institut in Potsdam, in: Festschrift Jeserich, 1994, S. 51 ff.
2 KWIS-Tagungsband
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- kommunalwissenschaftliche Beratung namentlich von Kommunalkörperschaften, Ländern und Verbänden, - Aufbau eines kommunal wissenschaftlichen Informations- und Dokumentationszentrum mit Archiv und Institutsbibliothek (der Senat der Universität hat deshalb kürzlich den Anschluß des Pressearchivs der Universität an das KWI beschlossen), - Herausgabe einer Schriftenreihe als wissenschaftliches Forum des Instituts. Diese akademische Eröffnung wird im ersten Band der Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam als Tagungsband publiziert. Herr Grawert hat in dem erwähnten Festschriftenbeitrag (unter Berücksichtung der grundlegenden und fortwirkenden Erkenntnisse insbesondere von Wolfgang Haus und Kurt Jeserich) dem KWI die spezifisch kommunalwissenschaftlichen Vorgaben mit auf den Weg gegeben. Ich bin mit Ihnen, Herr Grawert, der Meinung, daß sich der Kanon dessen, was zu den Kommunalwissenschaften gehört, nicht verbindlich definieren, allenfalls pragmatisch umschreiben läßt. Die kommunalwissenschaftlich interessanten Segmente sind sicher das Kommunalrecht, die Kommunalpolitik und die Kommunalwirtschaft. Diese kommunalen Entscheidungs- und Wirkungszusarnmenhänge zugleich ganzheitlich und interdisziplinär zu erforschen, sind die beteiligten Fachwissenschaften aufgefordert: Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft, Betriebswirtschaftslehre, Sozial- und Finanzwissenschaft. Alle diese Disziplinen sind mit hervorragenden Wissenschaftlern hier in Babelsberg unter einem Dach vereint. Kommt noch - neben der Betriebswirtschaftslehre - der geplante Studiengang "Verwaltungswissenschaft" hinzu (neben Speyer und Konstanz erst der dritte in Deutschland), wird das Kommunalwissenschaftliche Institut in ein ideales wissenschaftliches Umfeld eingebettet sein und wichtige Klarnmer- und Bündelungsfunktionen wahrnehmen. Abstrakter Appelle zur Interdisziplinarität bedarf es in Potsdam nicht. Die benachbarten Erkenntnisfortschritte erleben wir sozusagen hautnah. Jedenfalls im Kommunalwissenschaftlichen Institut sitzen wir bereits gemeinsam am Runden Tisch des Vorstandes, unterstützt durch das hochkarätig besetzte Kuratorium, in dem alle kommunalbezogenen Berufe und Fachdisziplinen vertreten sind. In einer zunächst stärkerer projektbezogenen und angewandten Forschung suchen wir engen Kontakt mit den Kommunalkörperschaften und ihrer rechtlichen sowie politischen Wirklichkeit. Der deduktiv fortschreitende Weg zu einer spezifisch brandenburgischen bzw. Potsdamer Variante der Kommunalwissenschaft wird lang sein. Aber wir sind bereits auf dem Weg. Meine Weggefahrten sind die Kollegen, die ich Ihnen nunmehr in alphabetischer Reihenfolge vorstellen möchte. Wemer Jann wurde 1989 an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer als Schüler von CarlBöhret habilitiert. Für seine Habilitationsschrift über ,.parlamente und Gesetzgebung" erhielt er den Förderpreis des Deutschen Bundestages für wissenschaftlichen und publizistischen Nach-
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wuchs. Er war und ist Mitglied mehrerer politikberatender Kommissionen, darunter u. a. Leiter der "Denkfabrik Schleswig-Holstein" in der Kieler Staatskanzlei. Seit 1994 ist er Inhaber des Lehrstuhis für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation der Wirtschaft- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Seine Hauptarbeitsgebiete sind: Modernisierung des öffentlichen Sektors (auch international vergleichend), Funktionalreform, Reform der Ministerialverwaltung, politische Steuerung der Verwaltung sowie Policy Forschung. Wolfgang Losehelder wurde 1980 als Schüler von Jürgen Salzwedel durch die Juristische Fakultät der Universität Bonn habilitiert. Seine Ernennung zum Universitätsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum erfolgte 1981. Dort war er Dekan und Mitglied des Senats. Ab Januar 1991 hat er zusätzlich an der hiesigen Fakultät Lehrveranstaltungen abgehalten, war als Nachfolger von Herrn Grawert Gründungsdekan, sodann "ordentlicher" Dekan und ist derzeit Prorektor für Entwicklungsplanung und Finanzen. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungsrecht, Verwaltungsprozeßrecht und Umweltrecht. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Öffentlichen Dienstrecht, Staatskirchenrecht, Lebensmittelrecht und Kommunalrecht. Dieter C. Umbach war seit 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ersten Senat des BVerfG, später Mitarbeiter der Präsidenten im Zweiten Senat. Seine Tätigkeit in der Sozialgerichtsbarkeit, zuletzt als Senatsvorsitzender am Rheinland-Pfälzischen Landessozialgericht, übte er bis zu seiner Berufung nach Potsdam aus. Nach seiner Habilitation mit einer Arbeit über ,,Die Parlamentsauflösung in Verfassungsgeschichte und Verfassungsprozeß" war er Privatdozent an der Universität Erlangen-Nürnberg. Fünf Semester nahm er eine Lehrstuhlvertretung für die Fächer Staats- und Verwaltungsrecht an der wiedergegrundeten Juristischen Fakultät der Universität Greifswald wahr. In unserer Fakultät ist er nunmehr Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungsrecht mit Sozialrecht. Seine wissenschaftlichen Interessen gelten dem Verfassungsprozeßrecht, dem Verfassungsrecht, Sozialrecht, insbesondere auch dem Asyl- und Ausländerrecht. Dieter Wagner, derzeit Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, war von 1979 - 1985 Leiter des Bereichs PersonalsystemelFührungsorganisation der Firma Reemtsma, ~on 1985 - 1993 Professor für Personalwesen an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Rufe an die Universitäten von Bochum und Konstanz hat er abgelehnt. Seit 1993 ist Herr Wagner Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Organisation und Personalwesen. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind: Organisation, Personalführung und Personalmanagement, modeme Arbeitszeitgestaltung, neue Technologien in der Arbeitswelt, Vermittlung von Schlüsselqualiflkationen durch aktive Lehrund Lemmethoden, Sozialleistungs- und Kostenmanagement, betriebliche Weiterbildung und Managementtraining sowie Personalmanagement und Organisationsarbeit in den neuen Bundesländern.
Ich selbst wurde als Schüler von Klaus Stern 1988 mit einer Arbeit über "Beweismaß und Beweislast, Untersuchungsgrundsatz und Beteiligtenmitwirkung im 2*
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Verwaltungsprozeß" von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln habilitiert. Nach Lehrstuhlvertretungen in Konstanz, Trier und Bielefeld wurde ich 1990 zum Universitätsprofessor für Öffentliches Recht und Nebengebiete an der Universität Konstanz ernannt. Seit dem Wintersemester 93/94 bin ich Inhaber des Lehrstuhls für Staatsrecht, Allgemeines Verwaltungsrecht und Kommunalrecht. Meine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen im Staats- und Verwaltungsrecht, insbesondere im Kommunalrecht und kommunalen Sparkassenwesen. Ich darf nun meinen verehrten Lehrer, Herrn Stern, bitten, seinen sicher mit Spannung erwarteten Vortrag zur Europäischen Union und kommunalen Selbstverwaltung zu halten. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Ihnen etwas Zeit gestohlen habe; sie wird Ihnen selbstverständlich gutgeschrieben. Prof Dr. Michael Nierhaus Geschäftsführender Direktor des Kommunalwissenschaftlichen Institutes der Universität Potsdam
Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung Von Klaus Stern, Köln
I. Einleitung Als vor knapp 1 1/2 Jahren die Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer über die ,,Europäische Union, Gefahr oder Chance für den Föderalismus", diskutierte, wurde die kommunale Selbstverwaltung lediglich am Rande erwähnt, obwohl man erkannte, daß sowohl Union als auch Föderalismus "Bewegungsbegriffe für ein historisch gewachsenes gestuftes politisches System" seien. 1 Hauptfrage sei jedoch, so meinte einer der Referenten, ob Bund oder Länder oder beide im Strom der Europäischen Union unterzugehen drohten. 2 Muß man daraus schließen, daß die Körperschaften der kommunalen Selbstverwaltung schon untergegangen sind? Wenn das so wäre, dann wäre mein Vortrag Makulatur; das gerade ins Leben getretene Kommunalwissenschaftliche Institut an der Universität Potsdarn wäre - supranational betrachtet - eine Totgeburt. Doch ich möchte das festliche Auditorium beruhigen: Der Befund trifft mitnichten zu. Trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller Krisen, mit denen Gemeinden und Kreise immer wieder im Laufe ihrer Existenz zu kämpfen hatten, sie leben auch in der Europäischen Union weiter. Aber sie müssen um ihre Position im und ihre Teilhabe am Integrationsprozeß kämpfen. Für diesen Kampf ist ein Grundlagenarbeit leistendes wissenschaftliches Institut nicht allein für nationale Belange nützlich, sondern mehr denn je ein Gebot der Stunde im europäischen Kontext. Daß ein solches Institut an einer Universität in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland geschaffen wird, hat seinen guten Sinn, gilt es doch gerade in ihnen, Bedeutung und Wert der kommunalen Selbstverwaltung in ihrer traditionellen und aktuellen Positionsbestimmung wieder nachhaltig ins Bewußtsein zu rufen. Der Geist des Reichsfreiherm vom und zum Stein, des großen Ahnherm der kommunalen Selbstverwaltung, war bekanntlich mit der preußischen Wiedergeburt nach dem Niedergang von 1806 engstens verbunden. Nicht nur damals, sondern auch nach 1945 waren es die Gemeinden und Kreise, die als Keimzellen der staatlichen Reorganisation auftraten - im Westen wie im Osten. Wir haben diesen Körperschaften also einiges zu verdanken und sollten uns erinnern, daß eine kräftige kommunale Selbstverwaltung in allen Staaten ein Gütesiegel freiheit1 2
M. Hilf, VVDStRL Heft 53 (1994), S. 7 (9). Vgl. T. Stein, VVDStRL Heft 53 (1994), S. 26 (28ff., 33 ff.)
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Klaus Stern
lieh-demokratischer Ordnung gewesen ist und auch in Zukunft sein wird. 3 Das sollte auch der mittlerweile 15 Mitglieder umfassende europäische ,,staatenverbund", als den wir nach dem Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Europäische Union zu betrachten haben,4 beherzigen. Es ist daher mein Wunsch, meine Hoffnung und Überzeugung, daß das neue Institut, auch wenn es die Konkurrenz anderer etablierter ähnlicher Forschungseinrichtungen nah und fern zwar nicht zu fürchten, aber doch einzukalkulieren hat, den Kommunalwissenschaften, die stets interdisziplinär begriffen wurden,5 kräftige Impulse verleiht. Seit langem mit dieser Wissenschaft vertraut und ihr vor allem in meiner Berliner Zeit auch institutionell verbunden, die immer eine Keimzelle soliden administrativen und verfassungsrechtlichen Denkens war, bin ich gern dem Ruf gefolgt, dem Kuratorium des Instituts anzugehören. In diesem Geiste möchte ich durch meinen heutigen Vortrag nicht nur zu einer Standortbestimmung beitragen, sondern auch der Forschungsarbeit des Instituts einige Anregungen mit auf den Weg geben.
11. Das Bild der kommunalen Selbstverwaltung im nationalen Recht Wer die Bedeutung der Einbettung der kommunalen Selbstverwaltung in die Europäische Union analysieren will, darf den nationalen Rahmen, in dem Gemeinden, Städte und Kreise wirken, nicht ganz ausblenden. Europa lebt nicht allein als supranationale Gemeinschaft, sondern eben auch als Gemeinschaft von Staaten mit je eigener Identität, Geschichte und Verfassung. Wieder einmal und nicht zum ersten Male gehört es zum Zeitgeist, von einem "unsicheren Standort der kommunalen Selbstverwaltung" zu sprechen. 6 Ich ver3 Vgl. K. Stern, Staatsrecht I, 2. Auf!. 1984, § 12 m 2; E. Schmidt-Aßmann, Festschrift H. Sendler, 1991, S. 121,124; Chr. Starck, HStR 11 1987, § 29 Rn. 35. 4 BVerfGE 89, 155 (184). 5 Vgl. H. Peters, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. I, 1956, S. 1 f.; A. Köttgen, AfK, Bd. 1 (1962), S. 3 (15 ff.); W. Haus, in: ders. (Hrsg.), Kommunalwissenschaftliche Forschung, 1966, S. 31 (53); G. W. Enderling, Festschrift G. A. Jeserich, 1994, S. 31 (34 ff.). 6 Vgl. aus jüngster Zeit G. Püttner, OÖV 1994, 552ff.; H.-G. Henneke, OÖV 1994, 705 ff.; W. Hoppe, OVBI. 1995, 179; W. Frenz, OV Bd. 28 (1995), S. 33 (34); aus den siebziger Jahren E. Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung Bd. 3 (1970), S. 421 (439f.); U. Scheuner, AfK Bd. 12 (1973), S. 1 ff.; Chr. v. Unruh, in: Gefährdungen und Chancen der kommunalen Selbstverwaltung, 1974, S. 5 f.; P. Badura, Festschrift W. Weber, 1974, S. 911 (930); J. Burmeister, Verfassungstheorethische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltung, 1977, S. 6 ff.; W. Blümel, VVDStRL Heft 36 (1978), S. 171 (188 f.); bereits in der Weimarer Republik H. Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, 1926, S. 43 f.; E. Forsthoff, Die Krise der Gemeindeverwaltung, 1932, S. 59ff.; A. Köttgen, Die Krise der kommunalen Selbstverwaltung, 1931.
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stehe solche Einschätzungen wohl, zumal aus der Sicht derer, die mancherlei Nöte in Kommunalpolitik und Verwaltung hautnah zu spüren bekommen, halte aber diese Charakterisierung, faßt man die Funktionsfähigkeit insgesamt ins Auge, dennoch für im Kern nicht gerechtfertigt. Gemeinden, Städte und Kreise sind keine erstarrten Formationen, die sich auf alten Lorbeeren ausruhen, sondern lebenskräftige und höchst entwicklungsfähige Potenzen, wie gerade deIjenige erkennen mag, der durch Potsdam, Berlin und andere Kommunen dieses schönen Landstrichs wandert. Freilich, der Jurist weiß sofort, daß Finanznöte, überörtliche Planungsvorgaben, Umweltsorgen, staatliche Reglementierungen allerorten plagen. Gemeinden teilen insoweit das Schicksal anderer Selbstverwaltungskörperschaften, etwa der Universitäten. Beiden aber gelingt es immer wieder, dem zentralistischen Geist zu trotzen und in eigener Verantwortung ihre Angelegenheiten zu bestellen. Der gewährte Verfassungsrahmen des Grundgesetzes und der Landesverfassungen, in den neuen Ländern sogar zusätzlich angereichert7 , und jetzt auch im Grundgesetz um eine Finanzgarantie in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 vermehrt, ist solide gefügt, auch wenn sowohl bei der Entstehung der Vorschrifts als auch bei der Revision in der Enquete-Kommission Verfassungsreform in den 70er Jahren9 und jetzt wieder in der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und BundesratIO nicht alle Blütenträume kommunaler Vorschläge reiften. Aber es bleibt essentiell: Die kommunale Selbstverwaltung ist nicht bloß akzeptierter, sondern konstituierender Bestandteil des Staatsautbaus geworden. Die Verfassungsgarantie hat die kommunale Selbstverwaltung zu einem festgefügten Stein in unserem Gemeinwesen gemacht. Das staatliche Imperium, das sich einst absolut und allmächtig verstand, hat sich eine sinnvolle Selbstbeschränkung auferlegt im Wissen, daß sich freiheitlich-demokratische Staaten entlasten und ihren Bürgern vermehrte Entscheidungsrechte gewähren, wenn sie ein gutes Gemeinwesen sein wollen. "Demokratische und grundrechtliche Freiheitsidee laufen [hier] zusammen."!! Das Bundesverfassungsgericht, mehrfach angerufen zur Verteidigung der kommunalen Selbstverwaltung!2, hat unlängst mit seiner sog. Rastede-Entscheidung die kommunale Selbstverwaltungsgarantie deutlicher konturiert und wesentlich gestärktY Neben dem nach wie vor maßgeblichen Kernbereichsschutz!4 und der Art. 84, 87 Sächs. Verf.; Art. 97 Abs. 4 Brab. Verf.; Art. 88 Sachs.-Anh. Verf. Vgl. die Diskussion im Parlamentarischen Rat, JöR n.P. Bd. 1 (1951), S. 253ff.; zu den damals nicht erfüllten Wünschen des Deutschen Städtetages Wolf Weber, Selbstverwaltung und Demokratie in den Gemeinden nach der Gebietsreform, 1982, S. 47. 9 Nicht berücksichtigte Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände sind aufgeführt im Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924, S. 222 f. 10 Abschlußbericht, BT-Drucks. 12/6000, S. 46-48. 11 E. Schmidt-Aßmann, Festschrift H. Sendler, 1991, S. 121. 12 Vgl. BVerfGE 1, 167ff.; 7, 358ff.; 11, 266ff.; 17, 172ff.; 26, 172ff.; 38, 258ff.; 50, 50ff.; 50, 195ff.; 56, 298ff.; 59, 216ff.; 71, 25ff.; 76, 107ff.; 78, 331 ff.; 83, 363ff.; 86, 90ff. 13 BVerfGE 79, 127ff.; dazu F. Schoch, VerwArch Bd. 81 (1990), S. 18 (22f.); E. Schmidt-Aßmann, aaO, S. 121 ff.; W Frenz, Verwaltung, Bd. 28 (1995), S. 33 (33 ff., 47 ff.). 7
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Wahrung des Übermaßverbots 15 gibt das Gericht dem Gesetzgeber auch auf, das Prinzip dezentraler Aufgabenansiedlung zu beachten, das die Vermutung der kommunalen gegenüber der staatlichen Zuständigkeit enthält und dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts des Gemeindebürgers wieder erhöhte Geltung verschafft. 16 Der gesetzliche Zugriff ist an die strikte Beachtung von "Gründen des Gemeininteresses" gebunden 17, "Hochzonungen" bedürfen also immer einer besonderen Rechtfertigung. Zum materiell schwer faßbaren Kernbereichsschutz der kommunalen Selbstverwaltung l8 kommen im sog. Randbereich effektive Gewährleistungsschranken dergestalt, daß der Gesetzgeber die Kompetenzen der Gemeinde nur beschneiden darf, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre, und die Vermutung für die kommunale Zuständigkeit hinter die den Aufgabenent.zug tragenden Gründe des Gemeinwohls zurücktreten muß. 19 Im neuesten Beschluß vom 26. Oktober 1994 hat das Gericht nochmals den Kernbereichsschutz vor allem im Hinblick auf die Organisationshoheit bestätigt, auch wenn die beschwerdeführenden Gemeinden unterlegen waren, soweit sie die gesetzliche Pflicht zur Einführung von Gleichstellungsbeauftragten in ihrer Verwaltung rügten. Aber das Gericht fand doch einige beherzte Worte über die Schranken gesetzgeberischer Einwirkung auf die interne Organisation und die Verfahrensabläufe in der Kommunalverwaltung, wie etwa: "Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung verbietet Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen im Ergebnis ersticken würden." Oder: "Indem Art. 28 Abs. 2 GG den Gemeinden eine eigenverantwortliche Aufgabenerledigung und damit auch organisatorische Gestaltungsbefugnisse verbürgt, verpflichtet er den Gesetzgeber, bei der Ausgestaltung des Kommunalrechts den Gemeinden eine Mitverantwortung für die organisatorische Bewältigung ihrer Aufgaben einzuräumen. ,,20 In der Diskussion um eine Reform der Gemeindefinanzen, die durch die Koalitionsvereinbarung der die Bundesregierung tragenden Fraktionen zur Abschaffung der Gewerbesteuer wieder an Intensität gewonnen hat,21 stärkt der neue Satz 3 des 14 Vgl. BVerfGE 1, 167 (174); 17, 172 (182); 23, 353 (366); 26, 172 (180f.); 38, 258 (278f.); 50, 50; 76, 107 (118); 79, 127 (146); ebenso VerfGH NW, NWVBI. 1988, 11 (12); NVwZ 1990,456 (457); NWVBI. 1991, 187; 1991,371; 1993,7 (9); VerfGH Rh.-Pf., NVwZ 1993, 159 (160); BayVerfGH, NVwZ-RR, 1993,422 (423); OVBI. 1995, 148. 15 Vgl. BVerfGE 26, 228 (241); 50, 50 (51); 56, 298 (313); 76, 107 (119, 122); ebenso VerfGH NW, NWVBI. 1988, 145 (146); NVwZ 1990,456 (457); NWVBI. 1991,371; 1993, 170 (171); BayVerfGH, NVwZ 1993, 163 (165); NVwZ-RR, 1993,422 (423); OVBI. 1995, 148; zu Recht gegen in dieser Hinsicht relativierende Stimmen M. Nierhaus, LKV 1995, 5 (12 FN 60). 16 Vgl. BVerfGE 79,127 (149f.). 17 Vgl. BVerfGE 79, 127 (153). 18 Vgl. dazu BVerfGE 83, 363 (381 f.). 19 Vgl. BVerfGE 79, 127 (150, 154); 83, 363 (382). 20 BVerfG,OVBI. 1995, 290 (292).
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Art. 28 Abs. 2 GG gewiß die Position der Kommunen, auch wenn er substantiell nur die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte nachzeichnet. 22 Wenn daraus auch nicht die Garantie einer ziffernmäßig begründbaren Finanzausstattung hervorgeht, so hilft die ausdrückliche Aufnahme der kommunalen Finanzhoheit in den Verfassungstext doch, die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung der Gemeinden und Kreise zu wahren und möglicherweise Einschränkungen zu verhindern. 23 In vielen Verwaltungsbereichen ist uns heute aufgegeben, komplexe Aufgaben zu bewältigen. Wer nur die Schwierigkeiten sieht, sollte sich des Pioniergeistes der Jahre nach 1945 erinnern, der unter weit schlechteren Bedingungen Großes geleistet hat. Damals wie heute sollte man im demokratischen und freiheitlichen Neuaufbau in den der Bundesrepublik erst beigetretenen Ländern immer eingedenk sein, daß Gemeinden und Städte in hervorragendem Maße Kraftquellen für den Wiederaufbau sind. Dabei hilft die Erkenntnis, daß die kommunale Selbstverwaltung ein fundamentales Rechtsgut ist und einen hohen politischen Stellenwert im Koordinatensystem von Verfassung und Verwaltung einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung besitzt. An diesem Ort darf daran erinnert werden, daß earl Goerdeler in der Todeszelle von Plötzensee die kommunale Selbstverwaltung zur konstitutiven Basis einer künftigen Reichsverfassung machen wollte und schrieb: ,,Man muß auf der den Deutschen am meisten auf den Leib geschnittenen Selbstverwaltung aufbauen, die das 19. Jahrhundert so glanzvoll gestaltete".24 Die Idee der Selbstverwaltung hat also in der deutschen Geschichte immer einen guten Klang gehabt. Große Namen sind mit ihrer Verwirklichung und Entwicklung verbunden. Sie ist ein Teil der besten politischen Tradition innerhalb unserer Geschichte des 19.120 Jahrhunderts,25 die sich sonst nicht immer ihres freiheitlichen Gehalts zu rühmen weiß.
Die neuen Länder können glücklich sein, nach der Wende sehr bald ihre kommunale Selbstverwaltung rechtlich verankert zu haben. Das noch von der Volkskammer der DDR beschlossene "Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise der DDR" vom 17. Mai 199026 leitete den Übergang zur traditio21 Vgl. die Stellungnahme der Ministerpräsidentenkonferenz und von Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, FAZ vom 3.12.94. 22 Die Neuregelung gewährt nicht mehr, als es der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichte entsprach, vgl. BVerfGE 26, 172 (181 f.); 71,25 (36f,); 83, 363 (386); 86,148 (219, 220f.); WM 1994, 1971, dazu M. Nierhaus, EWiR 1994, 1199; VerfGH NW, OVGE 19,297 (306f.); DÖV 1985,620; OVGE 38,301 (303); 38, 312 (314); 40, 300 (302); DVBI. 1989, 151 (152); NWVBI. 1993,381 (382); VerfGH Rh.-Pf., DÖV 1978,763 (764); DVBI. 1992,986 (LS); NVwZ 1993, 159 (160); BayVerfGH, NVwZ 1993,163 (165); NVwZ-RR 1993,422 (423). 23 Vgl. M. Nierhaus, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 1995, Art. 28 Rn. 53. 24 Zitiert nach M. Botzenhart, Verfassungsgeschichte, 1993, S. 92. 25 Vgl. H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 1950, S. 7 passim. 26 GBI. DDR I S. 255. Dazu die Beiträge in: E-L. Knemeyer (Hrsg.), Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR, Bd. 4, 1990, S. 27ff., 60ff., 99ff.; ders., Festschrift G. A. Jeserich, 1994, S. 293 (294ff.).
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nellen kommunalen Selbstverwaltung ein. In Anlehnung an kommunalrechtliche Regelungen der alten Bundesländer schuf das Gesetz die rechtlichen Grundlagen und das erforderliche Instrumentarium für die eigenverantwortliche Tatigkeit der kurz zuvor frei und geheim gewählten kommunalen Vertretungen und neu entstehenden Verwaltungsstrukturen?7 Unstreitig hat das Kommunalverfassungsgesetz dazu beigetragen, die Denk- und Handlungsmuster des Zentralismus, die unter dem SED-Regime gewachsen waren, zurückzudrängen und die Organe der Gemeinden und Kreise in den historisch gewachsenen und im Westen bewährten Formen der kommunalen Selbstverwaltung handeln zu lassen, auch wenn es wegen seines ,,Mixturcharakters" nicht überall akzeptiert worden ist. 28 Inzwischen haben sich die Länder neue und im föderativen System folgerichtig unterschiedliche Kommunalverfassungen geschaffen, die sich - von den Erfahrungen der westlichen Partnerländer profitierend - weitgehend am sog. süddeutschen Modell mit unmittelbarer Volkswahl des Bürgermeisters orientieren 29 • M. Nierhaus hat dies soeben für die Brandenburgische Gemeindeordnung herausgestellt. Die Länder haben, wie ich meine zu Recht, diesem Kommunalverfassungssystem den Vorzug gegeben; denn die zweigleisige Gemeindespitze, die z. B. in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich noch bis 1999 gilt, brachte doch manche - vorsichtig ausgedrückt - Effizienzverluste mit sich. Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer leistungsfähigen kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Ländern war auch die Reform der Verwaltung und eine Gebietsreform, namentlich auf der Kreisebene. 30 Gegenüber reinen Effizienzerwägungen wurde dabei die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung stärker berücksichtigt, als dies in den alten Bundesländern der Fall war,3! deren Gebietsreformen nicht nur zum Besten der kommunalen Selbstverwaltungsprinzipien ausfielen. 32 Ich will darauf nicht näher eingehen, zumal auf diesem Feld die Verfassungsgerichte - ebenso wie in der "alten" Bundesrepublik - einiges zu tun haben. Vgl. S. Petzold, DÖV 1990, 816f. Vgl. W. Bemet, LKV 1993,393 (394). 29 Vgl. den Überblick bei G. Hoffmann, DÖV 1994,621 ff. 30 Vgl. Hoppe-Stüer, DVBl. 1992,641; G. Püttner, SächsVBl. 1993, 193; ders., SächsVBl. 1994,217; W. Bemet, aaO, S. 393 ff.; Th. Veil, LKV 1993,47 ff.; M. Nierhaus, LKV 1995,5. 3l Vgl. H. Hili, DÖV 1993,54 (56); F.-L Knemeyer, Verwaltung Bd. 26 (1993), S. 237 (278); H.-G. Hennecke, NVwZ 1994, 555 (556). 32 Vgl. W. Losehelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 285 ff.; E. Schmidt-Jonzig, DVBl. 1977, 801 (807); w. Blümel, VVDStRL Heft 36 (1978), S. 171 (217ff.); B. Stüer, Funktionalreform und kommunale Selbstverwaltung, 1980, S. 225; Thieme-Prillwitz, Durchführung und Ergebnisse der kommunalen Gebietsreform, Bd. I 2, 1981, S. 81 ff.; Wolf Weber, Selbstverwaltung und Demokratie in den Gemeinden nach der Gebietsreform, 1982, S. 322ff., 335f.; H. Köstering, Festgabe ehr. v. Unruh, 1983, S. 1131 (1152); H. Hili, Die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung nach der Reform, 1987, S. 131 ff. 27 28
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Nach dem Willen der Verfassung ist die Bundesrepublik Deutschland ein in der Vertikale gegliederter demokratischer Staat, der sich auf kommunale Selbstverwaltungskörperschaften aufbaut. In dieser Organisation spiegeln sich Gewaltenteilung und Gewaltenhemmung sowie Dezentralisation als organisatorische Leitgedanken wieder. Das Volk muß neben Land und Bund auch in den Gemeinden und Kreisen eine Vertretung haben, die aus demokratischen Wahlen hervorgeht. Kommunale Gebietskörperschaften sind also auch politische Gemeinwesen; sie sind sogar die "politische Primärgruppierung". Der Staat hat kein Monopol des Richtigen; die gewählten Räte wissen um das Wohl ihrer Einwohner in der Regel besser Bescheid, stehen sie doch den Sorgen der Bürger auch sehr viel näher. Dennoch können wir eine schleichende Auszehrung kommunaler Substanz registrieren. Sie wird in der Regelungshäufigkeit und Regelungsdichte der Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften deutlich. Eingriffe vor allem in die Planungs- und Organisationshoheit nehmen zu, die immer wieder zur Anrufung der Verfassungsgerichte führen. 33 Die kommunale Finanzausstattung läßt ebenfalls zu wünschen übrig. 34 Das Finanzausgleichssystem insgesamt, und zwar gleichermaßen das zwischen Bund und Ländern oder zwischen den Ländern untereinander wie das zwischen Land und Kommunen, entbehrt der Durchsichtigkeit, Übersichtlichkeit, Systematik und einer sinnvollen Zugeordnetheit auf die jeweiligen Kompetenzen. 35 Wer erinnert sich noch des § 24 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, in dem vom Grundsatz der "Gleichrangigkeit der Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden" die Rede ist. Goldene Worte, die heute im Dschungel der Kompetenzstreitigkeiten und der Verteilungskämpfe unterzugehen drohen. Auf der Kompetenzebene insonderheit erheben die Gemeinden Klage gegenüber dem Staat und wiederholen damit das Klagelied der Länder gegenüber dem Bund und vor allen Dingen gegenüber den Europäischen Gemeinschaften. Mit dem neuen Europaartikel 23 GG haben sich die Länder 1992 im Zuge der Ratifizierung des Maastrichter Vertrags Mitwirkungsrechte an Entscheidungen auf europäischer Ebene erstritten. Ist in diesem Kompetenzkonflikt das Thema kommunale Selbstverwaltung nicht auf der Strecke geblieben? VIrulent wurde es erst, als es Querelen um die Verteilung der deutschen Sitze im neu eingerichteten Ausschuß der Regionen gab. Zu diesem Zeitpunkt wurde mit aller Deutlichkeit hervorgehoben, daß 33 Vgl. BVerfGE 65, 298ff.; 76, 107ff.; 83, 363ff.; VerfGH NW, NWVBl. 1988, 11 ff.; NVwZ 1990, 456ff.; NWVBl. 1991, 187ff.; 1991, 371 ff.; 1993, 170ff.; BayVerfGH, NVwZ-RR, 1993,422 ff.; DVBl. 1995, 148 ff.; VerfGH Rh.-Pf., NVwZ 1993, 159 ff. 34 Vgl. H.-G. Hennecke, DÖV 1994, 705 (706, 712); H.-i. Papier zur Finanzausstattung der Bezirke in Bayern, BayVBl. 1994,737 (745, 747). 35 Das gilt auch nach der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs mit Wirkung vom 1. 1. 1995, U. Häde, JZ 1994, 76 (82, 85); R. Peffekoven, Finanzarchiv Bd. 51 (1994), S. 281 (282,287,297,309); vgl. weiter W. Kluth, DÖV 1994,456, zu Umlagen nach Art. 106 Abs. 6 GG als Instrument zwischengemeindlichen Finanzausgleichs; allgemein R. Wendt, HStR IV, 1990, § 104 Rn. 103.
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auch die Träger kommunaler S~lhstverwaltung vielfältig und mit steigender Tendenz von Rechtsakten der Union betroffen sind?6 Die Besetzung des Vorläufers des Regionalausschusses, des "Beirats der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften" hatte dieser Betroffenheit respektabel Rechnung getragen, da drei der sechs deutschen Vertreter aus den kommunalen Spitzenverbänden benannt werden konnten. 37 Paradoxerweise wollte man die Kommunen zunächst aus dem nunmehr geschaffenen Ausschuß der Regionen fernhalten und die Vertretung kommunaler Interessen allein den Bundesländern überlassen. 38 Das ließ sich indessen weder mit dem Wortlaut noch mit der Entstehungsgeschichte der Art. 198 a - c EGV vereinbaren; denn der Text des Art. 198 a EGV spricht ausdrücklich von einer Vertretung der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften. Auch wenn dieser Begriff dem Sprachgebrauch der Verträge sonst fremd ist, steht "lokale Gebietskörperschaft" hier unzweideutig für Gemeinde und Gemeindeverband. 39 Wenige Tage vor Abschluß des Maastrichter Vertrags hat denn auch der Bundesaußenminister bestätigt, daß die Bundesregierung die Länderforderung, durch eine Protokollerklärung festzuschreiben, daß für Deutschland nur Ländervertreter in den Ausschuß entsandt werden können, nicht übernommen hat. 4o Da der EG-Vertrag die Vorschläge zur Besetzung des Ausschusses den Mitgliedstaaten überläßt, durfte die deutsche Verfassungsrechtslage der drei Ebenen nicht außer acht gelassen werden. 41 Vertreter der kommunalen Selbstverwaltung mußten berücksichtigt werden. § 14 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union zeichnet hier nur die gegebene Verfassungsrechtslage nach. Daß es nur drei kommunale Vertreter von 24 sind, ist mehr als nur ein Schönheitsfehler.
111. Gemeinschaftsrecht und kommunale Selbstverwaltung 1. Materielle BetrotTenheiten
Es ist zwar richtig, daß anfänglich von der ,,Länderblindheit" (H. P. Ipsen) der Gemeinschaften die Rede war, die selbstverständlich "Kommunalblindheit" umschloß. Aber im Laufe der Zeit gewann die Erkenntnis Raum, daß man die Untergliederungen der Mitgliedstaaten nicht ignorieren konnte, weil europäische RegeVgl. R. v. Ameln, DVBI. 1992,477 (478ff.); W. Leitermann, Städtetag 1991,753 (755). Vgl. H. A. Hoffschulte, der landkreis 1992, 120 (122). 38 Vgl. H. A. Hoffschulte, aaO, S. 125. 39 Vgl. H.-I. Blanke, in: Grabitz-Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, 8. Lief., Art. 198 aRn. 14. 40 Vgl. H. A. Hoffschulte, aaO, S. 125. 41 Knemeyer-Heberlein, in: F.-L. Knemeyer (Hrsg.), Europa der Regionen - Europa der Kommunen, 1994, S. 89 (95); H.-I. Blanke, aaO, Art. 198 a Rn. 23. 36 37
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lungen mehr und mehr auf deren Aufgabenpalette einwirkten. Das europäische Haus wurde "dreistöckig" und in Deutschland sogar "fünfstöckig" gesehen. 42 Nicht nur regionale, sondern auch kommunale Untergliederungen wurden immer stärker Adressaten des Gemeinschaftsrechts. Heute zweifelt niemand mehr daran, daß die kommunale Mitsprache in europäischen Angelegenheiten umso wichtiger ist, je mehr die Europäische Union ihre Tatigkeitsfelder ausweitet und damit viele kommunale Aufgaben im Zugriffs bereich des Gemeinschaftsrechts liegen oder in absehbarer Zeit in dessen Reichweite gelangen. Kommunale Selbstverwaltung wird in finanzieller, planerischer, personalpolitischer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht erfaßt. 43 Es sind überwiegend Richtlinien der Gemeinschaft, die ganz entgegen ihrer in Art. 189 Abs. 3 EGVangelegten Zielsetzung - immer dichter und immer präziser zahlreiche für die Kommunen relevante Materien regeln. Langsam setzt sich allerdings die Erkenntnis durch, daß die Schuld für diese Fülle von Regelungen nicht allein in Brüssel zu suchen ist, sondern vielfach das nationale Interesse verantwortlich ist, den anderen Mitgliedstaat möglichst präzise zu binden. 44 Es wäre indessen verfehlt, allein die sekundäre Brüsseler Rechtsetzung in Augenschein zu nehmen. Bereits das europäische Primärrecht, also die Verträge selbst, zeigen vor und besonders nach Maastricht, daß die Gemeinschaft typisch kommunale Zuständigkeiten erfaßt. Art. 8 b EGV, der den Unionsbürgern das kommunale Wahlrecht in jedem Mitgliedsstaat einräumt, ist das beredtste Beispiel für die Betroffenheit in ureigenen kommunalen Angelegenheiten. Die entsprechende Richtlinie zur Umsetzung des Kommunalwahlrechts hat der Rat am 19. Dezember vergangenen Jahres verabschiedet. 45 Zwar wird dadurch in erster Linie die Kompetenz der Mitgliedstaaten beschnitten,46 gleichwohl sind Auswirkungen auf das kommunale Geschehen evident. Andere Bestimmungen des EG-Vertrages betreffen die Kommunen nicht speziell, sondern ebenso wie andere innerstaatliche Stellen öffentlicher Verwaltung. Die kommunale Wirtschaftsförderung etwa unterliegt der Beihilfeaufsicht der Art. 92 ff. EGV, wenn auch nicht in dem Maße wie die Wirtschaftsförderung von Bund und Ländern. 47 Der Vertrag erfaßt die Kommunen aber auch mit zahlreichen Regelungen in gleicher Weise wie jede andere natürliche oder juristische Person. Die wettbewerbsrechtlichen Beschränkungen der Art. 85/86 EGV etwa dürften sich auf die Vgl. W. Spannowsky, DVBI. 1991, 1120 (1121). Vgl. H.-J. Blanke, DVBI. 1993,819 (820); H.-W. Rengeling, ZG 1994,276 (279). 44 Vgl. H. Siedentopf, DÖV 1988,982 (985); T. Stein, in: D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, S. 23 (24). 45 Richtlinie vom 19.12.94 (94/80 EG), ABI. L 368/38-47. 46 Vgl. H.-J. Blanke, aaO; w.N. bei A. Faber, DVBI. 1991, 1126 (1129). 47 Vgl. A. Faber, DVBI. 1992, 1346 (1357); H.-W. Rengeling, aaO, S. 279; S. Große-Siemer, Die kommunale Wirtschaftsförderung und die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaften, 1993, S. 107 ff.; A. Bleckmann, in: Hoppe-Schihk: (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung und Europäische Integration, 1990, S. 105 ff. 42
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kommunale Versorgungswirtschaft, inbesondere Konzessions- und Gebietsschutzverträge auswirken. 48 Die in Art. 48 Abs. 4 EGV verankerte Freizügigkeit der Arbeitnehmer läßt die kommunale Personalhoheit nicht unbeeinflußt. 49 Ganz überwiegend ist es jedoch nicht der EG-Vertrag selbst, sondern die Fülle von Richtlinien, die - national umgesetzt oder ausnahmsweise auch direkt - die Kommunen reglementieren. Ohne Anspruch auf Vollzähligkeit seien die wichtigsten Materien stichwortartig genannt:
- Umweltschutz, der u.a. durch die Richtlinien über die Behandlung kommunaler Abwässe2°, über Abfalldeponien 51 , über den freien Zugang zu Infonnationen über die Umwelt52, die seit dem 1. 1. 1993 in Deutschland unmittelbar anwendbar ist53 , erfaßt wird; - kommunale Bauleitplanung, die u.a. durch die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung54 gesteuert wird;
- Elektrizitätswirtschaft, für die die Transparenzrichtlinie 55 und die Richtlinie über den Transit von Elektrizitätslieferungen über große Netze56 gilt; - kommunales Sparkassenwesen, das die Eigenrnittelrichtlinie 57 , die zweite Bankrechtskoordinierungsrichtlinie 58 und die Solvabilitätskoeffizientenrichtlinie59 zu beachten hat; - öffentliche Auftragsvergabe60, die in besonderer Weise betroffen ist durch die Koordinierungsrichtlinien zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge6l , öffentlicher VgI. A. Faber, DVBI. 1991, 1126 (1130). V gI. zur Anwendbarkeit des Art. 48 Abs. 4 EGV auf den öffentlichen Dienst Th. Schotten, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf den Zugang zum öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 42 ff. 50 Richtlinie vom 21.5.91 (911271 EWG), modifiziert ABI. 1993 L 226/23; zur fehlenden Beteiligung der Kommunen bei der Entstehung dieser Richtlinie trotz immenser Belastung der kommunalen Haushalte durch das Heraufsetzen der Reinigungsstandards H.-W. Rengeling, aaO, S. 282f. 51 Abgedruckt BT-Drucks. 12/6577 vom 13. 1. 1994, S. 57 ff.; dazu H.-W. Rengeling, aaO, S.284. 52 Richtlinie vom 7. 6. 1990, ABI. Nr. L 158/56. 53 VgI. H.-w. Rengeling, aaO, S. 283. 54 Richtlinie vom 27.6.85 (85/337), modifiziert ABI. 1994 L 0011494; umgesetzt durch das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, BGBI. I 1990,205 ff.; dazu C.-H. David, DÖV 1993, 1021 f. 55 Richtlinie vom 29.6.90 (90/337 EWG), modifiziert ABI. 1994 L 0011322, 501, 572. 56 Richtlinie vom 29.10.90 (90/547 EWG), modifiziert ABI. 1994 L 0011322. 57 Richtlinie vom 17.4.89 (89/299 EWG), modifiziert ABI. 1994 L 0011403. 58 Richtlinie vom 15.12.89 (89/646 EWG), modifiziert ABI. 1994 L 0011403. 59 Richtlinie vom 18.12.89 (89/647 EWG), modifiziert ABI. 1994 L 0011403. 60 Vgl. J. Rogmanns, NJW 1994, 3134; N. Portz, StuG 1994,438; D. earl, EuZW 1994, 173 ff. 48 49
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Bauaufträge62 und öffentlicher Dienstleistungsaufträge63 sowie die Sektorenrichtlinie 64. Schließlich können kommunale Gebietskörperschaften von auf europäischer Ebene getroffenen Einzelentscheidungen, die z. B. distributive Programme betreffen, erfaßt werden. Es genügt in diesem Zusammenhang, auf Programme für Regionalpolitik und Strukturfonds hinzuweisen. 65
2. Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Prozeß der europäischen Integration Natürlich sagt diese Aufzählung der vom Gemeinschaftsrecht berührten Materien der kommunalen Selbstverwaltung noch nicht viel darüber aus, ob und mit welcher Intensität die kommunale Selbstverwaltung betroffen ist. Aber Fülle und Vielfalt der Bereiche werfen doch die Frage auf, ob die kommunalen Gebietskörperschaften diesen Ingerenzen schutzlos ausgeliefert sind. Die Antwort hat zwei Bereiche in den Blick zu nehmen: Zum einen, ob das nationale Verfassungsrecht den Gemeinden und Gemeindeverbänden Schutz vor Normen aus Brüssel bietet; zum zweiten, ob das europäische Recht selbst Schutzmechanismen für die kommunale Selbstverwaltung bereithält. In diesem Zusammenhang ist besonders auf den Einfluß des Ausschusses der Regionen einzugehen.
a) Übertragungsgrenze des Grundgesetzes: Art. 23 Abs. 1 i. v.m. Art. 79 Abs. 3 GG Art. 28 GG selbst kann unmittelbar nicht gegen Normen, die ihren Ursprung im europäischen Recht haben, ins Feld geführt werden. Das ist die Konsequenz aus den durch Art. 23, 24 GG zugelassenen Übertragungsgesetzen als maßgeblichen Rechtsbefehlen zur Anwendung des Unionsrechts in der nationalen Hoheitssphäre. 66 Gemeinschaftsrecht erhält dadurch Anwendungsvorrang grundsätzlich auch gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht, 67 so daß aus der europäischen PerRichtlinie vom 14.6.93 (93/36 EWG), ABI. L 199/1. Richtlinie vom 14.6.93 (93/37 EWG) AbI. L 199/54. 63 Richtlinie vom 18.6.92 (92/50 EWG), modifiziert ABI. 1993 L 199/1. 64 Richtlinie vom 14.6.93 (93/38 EWG), ABI. L 199/84. 65 Vgl. H. Siedentopf, DÖV 1988,981 (987). 66 H.M.: H.-J. Blanke, DVBI. 1993, 819 (821); Th. Oppennann, Europarecht, 1991, § 6 Rn. 525 f.; ehr. Tomusehat, HStR VII, 1992, § 172 Rn. 41; A. RandelzhoJer, in: Maunz-Dürig, Art. 24 Rn. 12. 67 Vgl. K. Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, § 15 ill; Th. Oppennann, aaO, § 6 Rn. 540f.; H. P. Ipsen, HStR VII, 1992, § 181 Rn. 7, 58. 61
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spektive die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung durch Gemeinschaftsrecht überspielt werden kann. 68 Das Recht der Europäischen Union ist also nicht, wie häufig angenommen wurde,69 bloß Gesetz im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, deren Schranken dann auch für dieses Gesetz gelten. Das gilt für unmittelbar wirkendes Gemeinschaftsrecht, also die Verträge selbst, Verordnungen und Richtlinien, soweit sie unmittelbar anwendbar sind. 7o Aber auch deutsche Gesetze, die Richtlinien der Union umsetzen, können nicht an den nationalen verfassungsrechtlichen Schranken gemessen werden, denen die Begrenzungen der kommunalen Selbstverwaltung sonst unterliegen. 71 Der EuGH hat ausdrücklich auch die Gemeinden in die Pflicht genommen, EG-Recht anzuwenden und diejenigen Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die damit nicht im Einklang stehen. 72 Ist damit der schöne rocher de bronze des deutschen Verfassungsrechts zugunsten der kommunalen Selbstverwaltung im europäischen Integrationskontext völlig unwirksam? Erinnern wir uns, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ihren berühmten Solange-Urteilen eine Übertragungskompetenz versagt, wenn "die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen" aufgegeben wird. 73 Auch das Maastricht-Urteil hat Grenzen aufgezeigt, insonderheit was die "generelle Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards" betrifft. 74 Weiterhin ist man zu Recht stärker auf Art. 79 Abs. 3 GG eingeschwenkt,75 wie schon früher das Schrifttum76 und jetzt der neue Europaartikel23 Abs. 1 Satz 3 GG. Davon nicht unbeeinflußt scheint der EU-Vertrag selbst zu sein, wenn er in Art. F Abs. 1 normiert, daß die Union "die nationale Identität" der Mitgliedsstaaten achtet. Was aber ist "nationale Identität" im Sinne des Unionsvertrages? Dieser europarechtliche Begriff ist noch völlig ungeklärt. 77 Es mag eine Parallele zu den sog. identitäts stiftenden Strukturen des Vgl. H.-}. Blanke, aaO, S. 820. Vgl. A. v. Mutius, StuG, 1989,299 (304); Mombaur-v. Lennep, OÖV 1988,988 (991); R. v. Ameln, OVBl. 1992,477 (478). 70 Vgl. A. Faber, OVBl. 1991, 1126 (1133); Nierhaus-Stern, Regionalprinzip und Sparkassenhoheit im europäischen Bankenbinnenmarkt, 1992, S. 223. 71 Vgl. E. Klein, VVOStRL Heft 50 (1990), S. 56 (83). 72 EuGH, NVwZ 1990, 649 (650). 73 BVerfGE 73, 339 (375 f.); s. auch BVerfGE 37, 271 (279f.); 58, I (40). 74 BVerfGE 89, 155 (174f.); Streitig ist freilich, was das im einzelnen für Konsequenzen nach sich zieht, vgl. ehr. Tomuschat, EuGRZ 1993, 489 (490); V. Götz, JZ 1993, 1081 (1083); H. P. lpsen, EuR 1994, 1 (11 f.); ehr. Tietje, NJW 1994, 197 (198 ff.). 75 BVerfGE 89, 155 (181). 76 Vgl. Th. Maunz, in: Maunz-Oürig, Präambel Rn. 34; ehr: Tomuschat, BK, Art. 24 Abs. 1 (Zweitbearb.) Rdnrn. 50ff.; K. Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, § 15 II 9; E. Klein, VVOStRL Heft 50 (1990), S. 56 (71); K. H. Friauf, in: Friauf-Scholz, Europarecht und Grundgesetz, 1990, S. 25; R. Scholz, ebda, S. 82; W. Graf Vitzthum, AöR Bd. 115 (1990); S. 281 (293); Th. Schilling, AöR Bd. 116 (1991), S. 33 (54). 77 Vgl. H. Heberlein, OVBl. 1994, 1213 (1221). 68 69
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Grundgesetzes erkennbar sein. Aber daraus bereits einen wirksamen Schutz deutscher kommunaler Selbstverwaltung abzuleiten, ginge zu weit, zumal die Zugehörigkeit des Art. 28 Abs. 2 GG zu den identitäts stiftenden Strukturen des Grundgesetzes nicht unbestritten ist. 78 Bleibt also auf diesem Wege der Schutz wenig erfolgversprechend, so ist zu fragen, ob die grundgesetzliehe Unantastbarkeitsgarantie weiterhilft. Art. 79 Abs. 3 GG nennt die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG nicht ausdrücklich, so daß ein unmittelbarer Schutz nicht in Betracht kommt. 79 Die Ewigkeitsgarantie gewährt aber auch keinen indirekten Schutz, vermittelt durch andere änderungsfeste Grundsätze der Verfassung. 80 Mit der Bundesstaatsgarantie ist die kommunale Selbstverwaltung zwar in gewisser Weise verbunden, da sie ein Ausschnitt aus der Kompetenzfülle der Länder iSt. 81 Daraus kann aber allenfalls im Extremfall einer existenziellen Beeinträchtigung der kommunalen Selbstverwaltung insofern ein Schutz abgeleitet werden, als die Länder ihre Gemeinderechtskompetenz nicht verlieren dürfen. 82 Stärker könnte mit dem Demokratieprinzip argumentiert werden; denn es könnte in seiner Ausformung durch das Grundgesetz die kommunale Selbstverwaltung als Bestandteil enthalten. Trotz der kaum zu überschätzenden Rolle, die die kommunale Selbstverwaltung für unsere freiheitlich-demokratische Verfassung spielt, setzt Demokratie aber begrifflich diese nicht voraus. 83 Das zeigt schon die Existenz demokratischer Partnerstaaten in der Europäischen Union, die Einheitsstaaten sind und auch das Institut der kommunalen Selbstverwaltung nicht kennen. Insoweit gibt es nur begrenzt strukturelle Homogenität.
78 Verneinend H. Heberlein, aaO, S. 1220 m.w.N.; H.-J. Blanke, DVBI. 1993, 819 (823); nach W. Müller begrenzt Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Umfang der zu übertragenden Hoheitsrechte, sein Schutzgehalt müsse aber im Lichte der europäischen Integration enger begriffen werden als bei nationalen Zusammenhängen: Die Entscheidung des Grundgesetzes über die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration, 1992, S.41O. 79 Vgl. K. Stern, BK, Art. 28 (Zweitbearb.) Rn. 66, 75; W. Frenz, DV Bd. 28 (1995), S. 1 (48 f.). 80 Vgl. A. Faber, DVBI. 1991, 1126 (1131 f.); H.-J. Blanke, aaO, S. 822. 81 Vgl. H.-J. Blanke, aaO, S. 820; K. Stern, aaO, Rn. 116. 82 Vgl. W. Müller, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration, 1992, 134f.; so auch Martini-Müller, BayVBI. 1993, 161 (162). 83 Vgl. K. Stern, Staatsrecht 1,2. Auf!. 1984, § 1811 7; E. Schmidt-Aßmann, Festschrift H. Sendler, 1991, S. 121 (124); a.A. G. Seele, Der Kreis aus europäischer Sicht, 1991, S. 57.
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b) Durch das Gemeinschaftsrecht Das nationale Verfassungsrecht bietet der kommunalen Selbstverwaltung also nur geringen Schutz vor europäischer Normsetzung, Art. 28 GG ist nicht "europafest". Die politische Zielsetzung der Gemeinden muß folglich verstärkt darauf gerichtet sein, Schutz auf der Gemeinschaftsebene selbst zu erreichen. Hier sollte auch die wissenschaftliche Arbeit des Instituts ansetzen, zumal sich auf diesem Feld wenig Vorarbeiten registrieren lassen. Einen wichtigen praktischen wie theoretischen Ansatzpunkt könnte das Subsidiaritätsprinzip bieten. Der Begriff der Subsidiarität hat in Europa in den letzten Jahren einen nachhaltigen Aufschwung erlebt, der schließlich zur ausdrücklichen Verankerung in Art. B Abs. 2 EUV und Art. 3 b Abs. 2 EGV führte. 84 Freilich hatte es schon früher Versuche gegeben, das Prinzip aus den Verträgen herzuleiten SS allerdings mit nicht großer Überzeugungskraft in den meisten Mitgliedstaaten. Immerhin wurde es in einem Kommissionsbericht 1975 erstmals erwähntS6 und im Spinelli-Entwurf zur Weiterentwicklung des EWG-Vertrags von 1984 ausdrücklich gefordert. S7 Aber auf welche Schwierigkeiten es beispielsweise in England und Frankreich stößt, belegen zwei amüsante Geschichten - se non e vero, eben trovato -: 1989 auf der Konferenz ,,Europa der Regionen" in München erschrak der englische EG-Kommissar Bruce McMillan über das Wort so, daß er sich gleich bei der Aussprache verhaspelte, geschweige denn in der Lage war, in ihm einen Sinn zu finden. Und Jaques Delors, der ehemalige Präsident der Kommission, soll demjenigen einen 400.000,- DM - Job angeboten haben, der ihm Subsidiarität auf zwei Schreibmaschinenseiten erläutern könne. Ich will versuchen, es auf drei Seiten zu schaffen. Die Idee der Subsidiarität läßt sich bis auf AristotelesSS und Thomas von Aquin S9 zurückverfolgen. Namen und gängige Formulierung hat das Prinzip dann in der Enzyklika "Quadrogesimo anno" Papst Pius XI. aus dem Jahre 1931 gefunden. Darin wird festgehalten, daß es "gegen die Gerechtigkeit [verstößt], das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen".90 Seitdem hat es zahllose weitere Definitionsversuche gegeben,91 deren ge84 Vgl. zum Hergang F.-L Knemeyer, in: ders. (Hrsg.), Europa der Regionen - Europa der Kommunen, 1994, S. 37 (42ff.). 85 Vgl. U. Everling, EuR Bd. 22 (1987), S. 214 (220); K. Hailbronner, JZ 1990, 149 (153). 86 Bericht zur Europäischen Union, Bulletin EG, Beilage 5/1975, S. 11. 87 Text im Europa-Archiv 1984, S. D 209 ff. 88 Politica I 1. 89 Summa Theologica, Prima Secundae. 90 Zitiert nach A. Faber, DVBI. 1992, 126 (1133); vgl. dazu auch H.-i. Blanke, ZG 1991, 133 (134); H. Hoffschulte, in: E-L. Knemeyer (Hrsg.), aaO, S. 135 (151 f.). Bereits die Enzyklika ,,Rerum Novarum" Papst Leo XIll. aus dem Jahre 1891 enthielt den Gedanken der Subsidiarität, ohne allerdings den Begriff zu nennen: ,,Es ist nicht recht, daß der Bürger oder die
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meinsamer Nenner stets der Gedanke des "Vorrangs der niederen vor der höheren Einheit" war. 92 In diesem Sinne wird auch Art. 28 Abs. 2 GG als eine Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips verstanden oder doch mindestens, wie ich schon 1964 im Bonner Kommentar gesagt habe, darin ein "subsidiärer Zug" der Verfassung gesehen.93 Subsidiarität will also dezentrale Strukturen, mit denen sich der Bürger identifizieren kann, verkörpern und Großorganisationen, die eine Entfremdung der Politik bedeuten und leicht zu seelenlosen Abstraktionen neigen, vermeiden. Das Prinzip ist also ein Rangfolgegrundsatz mit der Maßgabe des Vorrangs der kleineren vor der größeren Einheit. Diese noch sehr wenig konkretisierten Erläuterungen, mit denen sich viele Europäer, vor allem Italiener, Spanier, Belgier, Österreicher einverstanden erklären können, lassen aber für die europäische Alltagspolitik, insbesondere die konkrete Kompetenzverteilung, nur schwache Konturen erkennen. Ist das Prinzip der Subsidiarität wirklich geeignet, zur ,,Magna Charta,,94 für Europa zu werden, oder müssen wir, was J. Isensee schon 1968 in seiner Monographie befürchtete, resignieren, weil "seine sachliche Aussage, sein ideologischer Hintergrund und seine rechtliche Gestaltung umstritten [sind],,95, auch dann wenn wir es in den Art. 23 GG hineinschreiben? Lassen wir den Text des Vertrages sprechen. Art. B Abs. 2 des Unionsvertrags erklärt das Subsidiaritätsprinzip, wie es Art. 3 b bestimmt, bei der Verwirklichung der Ziele der Union ausdrücklich für beachtlich. Art. A Abs. 2 EUV postuliert zudem "Bürgernähe" der Entscheidungen in der Europäischen Union, und schließlich normiert Art. 3 b Abs. 2 EGV: ,Jn den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können."
Diese Formulierung ist nicht gerade ein Ausbund an Klarheit. Erste Schwierigkeiten ergeben sich schon bei der Anwendung des Art. 3 b Abs. 2 EGV in der Frage der Feststellung ausschließlicher Gemeinschaftskompetenzen, für die das Prinzip nicht gilt. Die EG-Kommission faßt darunter Familie völlig im Staat aufgeht... Daher soll jedermann seine Handlungsfreiheit behalten, soweit dies unbeschadet des Gemeinwohls und ohne Beeinträchtigung der Rechte anderer geschehen kann." 91 Vgl. J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 28; E. SchmidtJortzig, in: Schmidt=Jortzig-Schink (Hrsg.), Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung, S. 5; Wolff-BachoJ, Verwaltungsrecht III, 4. Aufl. 1978, § 138 Rdnr. 11; C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, 1992, S. 16; H. Lecheier, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993, S. 43 ff. 92 Vgl. F.-L. Knemeyer, in: ders. (Hrsg.), aaO, S. 37 (39). 93 BK, Art. 28 (Zweitbearb.) Rn. 2. 94 F.-L. Knemeyer, aaO, S. 38. 95 J. Isensee, aaO, Vorwort. 3*
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- die Vollendung des Binnenmarkts, - die gemeinsame Handelspolitik, - die allgemeinen Wettbewerbsregeln, - die gemeinsame Agrar- und Fischereipolitik und - die wesentlichen Elemente der Verkehrspolitik. 96 Zu Recht ist diese Aufzählung nicht ohne Widerspruch geblieben. 97 So ist etwa im Bereich der Wettbewerbsregeln der Art. 85 ff. EGV die Anwendung konkurrierenden nationalen Rechts zulässig. Ausschließliche Gemeinschaftskompetenzen dürfen m.E. nur dort angenommen werden, wo der Unionsvertrag dies ausdrücklich anordnet oder ihre Einführung mittels sekundären Rechts zuläßt. 98 Sonst würde das Subsidiaritätsprinzip von vornherein leerlaufen, selbst wenn der in Art. 3 b Abs. 3 EGV verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Bereich ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit manches im Sinne der Subsidiarität auffangen könnte. 99 Zum zweiten ist zu fragen, ob die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten ausreichend verwirklicht werden können. Erst danach folgt zum dritten die Prüfung, ob die Ziele besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind. Dieser Tripelschritt spiegelt einen politischen Kompromiß wieder: Die Notwendigkeitsklausel "nicht ausreichend" wurde nicht zuletzt auf deutschen Druck in letzter Minute eingefügt, um dem Vorwurf zu begegnen, es handle sich um ein reines Effizienzprinzip. 100 Angesichts der ziel-, aber nicht materienorientierten Struktur des EG-Vertrages dürfte sich die Prognoseentscheidung, das Ziel "besser" auf Gemeinschaftsebene erreichen zu können, häufig relativ leicht begründen lassen,101 so daß es maßgeblich auf das richtige Verständnis des Notwendigkeitskriteriums "nicht ausreichend" ankommt. Hier liegen viele Probleme, aber auch die großen Chancen des Subsidiaritätsprinzips. Seine die Union limitierende Funktion wird es nur erfüllen können, wenn auch in der Europäischen Union die Erledigung von Aufgaben durch die niedrigere Ebene als Eigenwert erkannt wird. Es muß bereits als ausreichend gelten, wenn das Ziel von den Mitgliedsstaa96 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament betr. das Subsidiaritätsprinzip, abgedruckt: D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, Anhang 2, S. 112 (120). 97 Vgl. T. Stein, in: D. Merten (Hrsg.), aaO, S. 23 (33); W. Möschel, NIW 1993, 3025 (3028); K. Hailbronner, in: ders. (Hrsg.), Europa der Zukunft - Zentrale und dezentrale Lösungsansätze, 1994, S. 49 (58). 98 Vgl. W. Möschel, NIW 1993, 3025 (3028); A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, 1993, S. 76. 99 Vgl. BVerfGE 89,155 (212); W. Möschel, aaO, S. 3026f. 100 Vgl. H.-J. Blanke, DVBI. 1993, 819 (827); D. Menen, in: ders. (Hrsg.), aaO, S. 77 (82). 101 Vgl. H.-J. Blanke, ZG 1991, 133 (143f.); C. Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, 1992, S. 171 f.
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ten oder ihren Untergliederungen mit gewissen Effektivitätseinbußen erreicht werden kann; perfekte Zielverwirklichung ist nicht zu fordem. 102 Für diese Prüfung wird man den Organen der Gemeinschaft allerdings einen Beurteilungsspielraum zubilligen müssen, weshalb die Literatur fast einhellig folgert, Art. 3 b Abs. 2 EGV werde keine Wirkkraft als Kompetenzausübungsschranke entfalten. 103 Tatsächlich steht zu befürchten, daß im Prozeß politischer Entscheidungsfindung in Brüssel, in dem häufig zu Paketlösungen verschiedenster Art gegriffen wird, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben, die Entscheidung über die Merkmale "nicht ausreichend" und "besser" in hohem Maße politisch, aber nicht rechtlich determiniert wird. 104 Die bisher mangelnden juristischen Konturen dieser Begriffe tun das übrige, um die Kontrolle durch den ohnehin meist gemeinschaftsfreundlichen Europäischen Gerichtshof zu erschweren. 105 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil seine Kontrollfunktion hinsichtlich des Grundrechtsschutzes ,,in Kooperation" mit dem Europäischen Gerichtshof bekräftigt hat, steht nicht zu erwarten, daß es die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips strictissime überwachen wird. 106 Es wird eher großzügig mit ihm umgehen und ihm einen weiten Interpretationsspielraum ähnlich der "Bedürfnisklausel" in Art. GG a.F. einräumen.
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Eine Bremse für übertriebenes Agieren der Gemeinschaftsorgane dürfte immerhin darin erblickt werden, daß schon die theoretische Möglichkeit der Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof auf die zuständigen europäischen Organe einen gewissen Druck ausübt, eine Regelung auf europäischer Ebene schon im Vorfeld unter Subsidiaritätsgesichtspunkten rechtfertigen zu müssen. 107 Dies könnte sich als effektives Mittel gegen den Sog der Zentralisierung erweisen. Hier sollte der neu errichtete Ausschuß der Regionen ein probates Arbeitsfeld finden, auf dem er in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament durch seine Stellungnahmen dem Subsidiaritätsprinzip kräftig Geltung verschaffen könnte. l08 Eine Schlüs102 Vgl. D. MeTten, aaO, S. 80; J. Pipkom, EuZW 1992, 697 (698); J. Scherer, DVBI. 1993,281 (283); S. U. Pieper, DVBI. 1993,705 (709). 103 Vgl. H.-J. Blanke, DVBI. 1993, 819 (828) m.w.N.; G. Konow, DÖV 1993,405 (407); K. Hailbronner, in: ders. (Hrsg.), Europa der Zukunft - Zentrale und dezentrale Lösungsansätze, 1994, S. 49. 104 Vgl. W. Möschel, NJW 1993,3025 (3027). 105 Vgl. H.-J. Blanke, aaO, S. 828; ders., ZG 1994, 133 (142); A. Klejfner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, 1993, S. 85 f.; D. Grimm, KritV 1994,6 (9); gegen die Annahme eines gerichtlich nicht überprütbaren Beurteilungsspielraums D. MeTten, aaO, S.94ff. 106 D. Grimm erscheint dies "nicht ausgeschlossen", aaO, S. 12. 107 Vgl. Oppermann-Classen, NJW 1993,5 (8); GrafStauffenberg-Langenfeld, ZRP 1992, 252 (256); v. Simson-Schwarze, Europäische Integration und Grundgesetz, 1992, S. 46; U. Everling, DVBI. 1993,936 (940); M. Hilf, VVDStRL Bd. 53 (1993), S. 7 (13); G. Konow, DÖV 1993,405; R. v. Borries, EuR Bd. 29 (1994), S. 270 (284). 108 Vgl. H.-J. Blanke, in: Grabitz-Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, 8. Lief. 1995, Vorbem. Art. 198 a - 198 c Rn. 23.
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selrolle bei der Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips schon im Verfahren der europäischen Rechtsetzung kommt aber sicherlich der Vertretung Deutschlands im Rat zu. Sie ist mit Nachdruck daran zu erinnern, daß die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG die Europäische Union auf den Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet, wobei nicht vergessen werden darf, daß die Gemeinsame Verfassungskommission davon ausging, daß der Begriff Subsidiarität die Bestandsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung mit umfaßt.'09 Den Organen des Bundes ist damit eine Verpflichtung auferlegt, bei der Mitwirkung an der Rechtsetzung auf europäischer Ebene die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung zu beachten. "0 Das klingt alles sehr zuversichtlich. Aber es wäre unredlich zu verschweigen, daß Art. 3 b Abs. 2 EGV die kommunale Selbstverwaltung nicht unmittelbar schützt; denn in ihm ist nur das Verhältnis der Union zu den Mitgliedstaaten als solchen, nicht jedoch auch zu deren Untergliederungen angesprochen. 111 Sie sind nur mittelbar einbezogen. 112
c) Institutioneller Schutz durch den Ausschuß der Regionen
Ein neues Instrument zur Vertretung kommunaler und regionaler Interessen könnte, wie soeben angedeutet, der neu geschaffene Ausschuß der Regionen in der Europäischen Union werden. Als ein im primären Recht verankertes Gremium in den Gemeinschaften hebt er sich von verschiedenen Vorläufern ab, die früher der Vertretung regionaler Interessen in Brüssel dienten. Seit 1976 gab es den ,.Beratenden Ausschuß der Lokalen und Regionalen Gebietskörperschaften", eine von den internationalen Verbänden gegründete Vertretung ohne offizielle Anerkennung durch die Organe der EG. ll3 Mit Wirkung vom 1. August 1988 setzte die EG-Kommission auf Vorschlag des deutschen Kommis109 Vgl. Gemeinsame Verfassungskommission, Steno Bericht der 8. Sitzung vorn 26. 6. 1992 (Anlagen), Protokollnotizen zum Komplex "Grundgesetz und Europa", Ziff. 2. 110 Vgl. F. W. Scharpj. StW IStPr Bd. 3 (1992), S. 293 (294); H.-W. Rengeling, ZG 1994, 277 (293); zu der aus Art. 23 Abs. I GG folgenden Verfassungspflicht BVerfGE 89, 155 (211 f.). 111 Vgl. H. Heberlein, DVBI. 1994, 1213 (1218); H.-W. Rengeling, aaO, S. 290; a.A. H. Hoffschulte, in: F.-L. Knemeyer (Hrsg.), Europa der Regionen - Europa der Kommunen, 1994, S. 135 (154), der gleichwohl die Fortschreibung des Art. 3 b Abs. 2 EGV für angebracht hält: " ... dies gilt auch im Verhältnis zwischen der Gemeinschaft einerseits und den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften andererseits", S. 157. 112 Vgl. H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993, S. 64f.; in den verschiedenen Konzepten von Kommission und Rat zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips bleiben die innerstaatlichen Strukturen einzelner Mitgliedstaaten völlig außer Betracht, K. Hailbronner, in: ders. (Hrsg.), Europa der Zukunft - Zentrale und dezentrale Lösungsansätze, 1994, S. 49 (56). 113 Vgl. H. A. Hoffschulte, der landkreis 1992, 120 (121); F.-L- Knemeyer, in: ders. (Hrsg.), aaO, S. 33, 72.
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sars Peter M. Schmidhuber einen ,,Beirat der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten der EG" ein. 114 llin konsultierte die Kommission namentlich, wenn es um die Erarbeitung und Durchsetzung ihrer Regionalpolitik ging. In zwei Fachgruppen waren je 21 Repräsentanten der Regionen und der lokalen Gebietskörperschaften vertreten. Dieser Beirat hatte maßgeblichen Anteil an der Einrichtung des Ausschusses der Regionen in den Art. 198 abis 198 c EGV. 1l5 Angelehnt an den Wirtschafts- und Sozialausschuß ist der Ausschuß der Regionen ein sog. Nebenorgan der Gemeinschaft; 116 seine Mitglieder sind zwar an keine Weisungen gebunden, aber auf Gemeinschaftstreue verpflichtet (Art 198 a Abs. 3 Satz 1 EGV). Von deutscher Seite haben, wie bereits gesagt, drei Vertreter der deutschen Gemeinden und Gemeindeverbände in ihm Sitz und Stimme erhalten. 117 Im Hinblick auf das Selbstverwaltungsrecht als verfassungsrechtliches Strukturprinzip, das effektive Vertretung kommunaler Belange verlangt, ist dies mit guten Gründen als "verfassungsrechtliches Minimum" bezeichnet worden. llg Der Ausschuß der Regionen wirkt vor allem beratend durch Stellungnahmen für Rat und Kommission; in bestimmten, die Regionen und lokale Gebietskörperschaften betreffenden Bereichen muß er jedoch zwingend angehört werden. Dazu gehören etwa Angelegenheiten der Struktur- und Regionalfonds (Art. 130 d Abs. 1, 130 e Abs. 1 EGV) sowie der Kultur (Art. 128 Abs. 5 EGV). Außerdem steht ihm ein "Selbstbefassungsrecht" zu, das es erlaubt, aus eigener Initiative Stellungnahmen abzugeben, wenn spezifisch regionale Interessen berührt sind (Art. 198 c Abs. 3 Satz 2EGV). Die Verankerung einer regionalen und lokalen Interessenvertretung im EG-Vertrag, sei sie auch mehrheitlich mit Ländervertretern besetzt, bedeutet einen substantiellen Fortschritt für Handlungsmöglichkeiten der Untergliederungen der Mitgliedstaaten. 119 Das wirkliche Gewicht des Ausschusses der Regionen im vielstimmigen Konzert der Gemeinschaftsorgane muß sich in der Praxis allerdings erst noch zeigen. Nach dem vehementen Streit um die Besetzung der deutschen Sitze bleibt abzuwarten, ob sich der Ausschuß nach Abschluß der schwierigen Institutionalisierungsphase nunmehr verstärkt Gehör zu verschaffen vennag.
Beschluß der Kommission v. 24.6.88, ABI. 1988 L 247/23-25. Zu den Verhandlungen im Vorfeld des Unionsvertrages H. A. Hoffschulte, aaO, S. 122 ff. 116 Vgl. H. Heberlein, DVBl. 1994, 1213 (1214). 117 Ausftihrlich zu den Argumenten für und gegen eine Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände H. Heberlein, aaO, S. 1216; Knemeyer-Heberlein, in: E-L. Knemeyer (Hrsg.), aaO, S. 89 (92ff.). 118 Vgl. H. Heberlein, aaO, S. 1216; vgI. auch Knemeyer-Heberlein, aaO, S. 89 (93ff, 97.). 119 VgI. Knemeyer-Heberlein, aaO, S. 89f.; H.-i. Blanke, in: Grabitz-Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, 8. Lief. 1995, Vorbem. Art. 198 a - 198 c Rn. 20. 114 115
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Die hochgesteckten Erwartungen der Länder, der Ausschuß werde sich zu einer echten "dritten Kammer" mit weitergehenden Rechten entwickeln,120 dürften sich in absehbarer Zeit wohl kaum erfüllen. Es wird bei der beratenden Funktion bleiben, weil in den meisten anderen Mitgliedsstaaten, abgesehen von Österreich und Belgien, nur eine verwaltungsmäßige Dezentralisierung besteht ohne nach Staatlichkeit und Verfassungsautonomie den deutschen Bundesländern vergleichbare Organisations strukturen. Wegen dieser Heterogenität bleiben die Gebietskörperschaften unterhalb der mitgliedsstaatlichen Ebene gemeinschaftsrechtlich eher "egalisiert". Der Ausschuß der Regionen wird sich damit nur sehr bedingt zu einer "dritten Kammer" europäischer Gesetzgebung entwickeln, 121 zumal seine Stellungnahmen nicht bindend für die Gemeinschaftsorgane sind. Diese brauchen nicht einmal die Gründe für die Nichtberücksichtigung mitzuteilen. 122 Schließlich hat auch der Wirtschafts- und Sozialausschuß aus der EG keinen "Ständestaat" geschaffen. 123
IV. Auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung Die kommunale Selbstverwaltung hat auf europäischer Ebene einen beachtlichen Erfolg erreicht, als die Charta der kommunalen Selbstverwaltung, ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag, erarbeitet vom "Kongreß der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften Europas,,124, 1985 vom Europarat verabschiedet wurde und 1987 in Kraft getreten ist. 125 Die Charta wurde bisher von 19 Staaten ratifiziert, von denen 11 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind. Belgien und Frankreich haben bereits unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Großbritannien und Irland lehnen den Beitritt nach wie vor ab. 126 Die Vorbehalte auch anderer nationalstaatlicher Regierungen drücken am besten die Briten aus, wenn sie ihren Widerstand damit begründen, daß die Beziehung zwischen innerstaatlichen Verwaltungsebenen (tiers of government) ausschließlich Sache des nationalen Gesetzgebers sei. 127 120 Vgl. i. Böhm, in: F.-L. Knemeyer (Hrsg.), aaO, S. 101 (lID); H. Schambeck, Festschrift A. Mock, 1994, 337 (341); Johannes Rau anläßlich der konstituierenden Sitzung des Regionalausschusses, FAZ v. 10. 3. 1994. 121 Vgl. H.-i. Blanke, DVBI. 1993, 819 (829f.); Knemeyer-Hoffschulte, in: F.-L. Knemeyer (Hrsg.), aaO, S. 89 (92). 122 Vgl. H.-i. Blanke, in: Grabitz-Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, 8. Lief. 1995, Art. 198 c Rn. 7. 123 P. M. Schmidhuber, in: F.-L. Knemeyer (Hrsg.), aaO, S. 123 (128). 124 Vgl. H.-W. Rengeling, ZG 1994,277 (294); ausführlich zur Vorgeschichte F.-L. Knemeyer, in: ders. (Hrsg.), Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 1989, S.39ff. 125 BGBI. II, 65. 126 Stand: 21. 3. 1995.
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In dieser Charta erfolgte erstmals die Absicherung des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung in Form einer europarechtlichen Konvention. Art. 3 Abs. 1 definiert die kommunale Selbstverwaltung als das ,,Recht und die tatsächliche Fähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften, im Rahmen der Gesetze einen wesentlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zum Wohl der Einwohner zu regeln und zu gestalten". Man spürt förmlich das Vorbild des deutschen Art. 28 Abs. 2 GG. Den Geist der Charta demonstriert am besten die Präambel, in der der demokratische Wert der größten Bürgernähe auf kommunaler Ebene beschworen wird. Ihre Direktiven zur rechtlichen Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung entsprechen weitestgehend dem Standard dessen, was die deutsche Verfassungsrechtswissenschaft aus Art. 28 Abs. 2 GG herausgeholt hat. 128 Die Wirksamkeit der Charta wird allerdings durch unterschiedliche Verpflichtungsniveaus geschwächt, da die Unterzeichnerstaaten nicht an alle Bestimmungen der Charta gebunden sind. Art. 12 statuiert vielmehr ein "a-la-carte-System,,129, nach dem sich die unterzeichnenden Staaten nur an mindestens 20 von 30 Absätzen der Charta zu halten haben. 10 davon müssen aus 14 besonders wichtigen Absätzen der Charta gewählt werden - insgesamt eine etwas seltsame Bindungs wirkung. Den Schutz der kommunalen Selbstverwaltung durch die Charta erschweren nicht nur diese eingegrenzten Standards der Verpflichtung. Der gravierendste Mangel ist vielmehr, daß die Europäische Union selbst nicht an die Charta gebunden ist. Die Unterzeichnung durch EU-Mitgliedstaaten verpflichtet die Union als solche nicht, und Art. 15 der Charta erlaubt auch nur Mitgliedstaaten des Europarats die Unterzeichnung. Denkbar wäre aber eine Erklärung der Union, die Grundsätze der Charta zu achten, parallel etwa zu Art. F Abs. 2 EUV, der sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention bezieht. 130 Sie fehlt aber zur Zeit noch. In der Sache erscheint indessen zweifelhaft, ob die Charta der kommunalen Selbstverwaltung überhaupt als Ausdruck gemeinsamer Rechtsüberzeugung, ähnlich der Europäischen Menschenrechtskonvention, gewertet werden kann. 131 Gerade die unterschiedliche Haltung bei der Ratifizierung und Umsetzung der Charta demonstriert fundamentale Unterschiede der Nationalstaaten in ihrer Einschätzung der kommunalen Selbstverwaltung. Schwerlich läßt sich mit ihrer Hilfe ein allgemeiner Rechtsgrundsatz der kommunalen Selbstverwaltung im Gemeinschaftsrecht untermauern, der nach Martini-Müller "bisher unentdeckt in den Tiefen der europäischen Rechtsordnung schlummert".132 Zu optimistisch erscheint die Ansicht, ein solcher Rechtsgrundsatz sei anerkannt und Unsicherheiten bestünden lediglich 127 128
129 130 131 132
Vgl. N. Johnson, in: E-L. Knemeyer (Hrsg.), aaO, S. 121 (123 ff.) Vgl. A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1128). H. Heberlein, aaO, S. 1218. Vgl. H.-J. Blanke, DVBl. 1993,819 (830). Vgl. H.-J. Blanke, aaO, S. 825; A. Faber, aaO, S. 1129 .. BayVBl. 1993, 161 (168); ebensoA. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 215.
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hinsichtlich seines konkreten Inhalts und seiner Justiziabilität. 133 Diese Vorstellung scheitert gegenwärtig vor allem an der unzureichenden Verankerung kommunaler Selbstverwaltung in den Verfassungen der Mitgliedstaaten außerhalb Deutschlands und Österreichs. Anders als bei der Europäischen Menschenrechtskonvention fehlt es an der erforderlichen gemeinsamen Verfassungstradition, an der europäischen Verfassungshomogenität. 134 Der "Grundwert" kommunaler Selbstverwaltung, die bÜfgemahe Erfüllung der auf den örtlichen Wirkungskreis begrenzten Aufgaben, mag auch den Verfassungen anderer Mitgliedstaaten zu eigen sein. Gleichwohl überwiegt doch noch stärker die Heterogenität der rechtlichen und politischen Strukturen der unteren Verwaltungseinheiten der Mitgliedsstaaten. 135 Die Charta ist zwar ein wichtiger Schritt auf dem Weg der wirksamen Sicherung kommunaler Selbstverwaltung auf europäischer Ebene, kann aber noch keine effektive Garantie bieten. 136 Es bedarf noch weiterer Schritte. Sie könnten in dem fortschreitenden und verstärkten Bemühen um kommunale Inspiration für die Europäische Union liegen. Dazu bedarf es noch erheblicher wissenschaftlicher und rechtsvergleichender Arbeit sowie vor allem politischer Aufklärung. Was in Deutschland geläufig ist, gehört noch längst nicht zum Allgemeingut in anderen Mitgliedsstaaten. Krönender Schlußstein dieses Bemühens müßte nach meinem Dafürhalten eine Verankerung der kommunalen Selbstverwaltung in einer für die Jahrhundertwende anzustrebenden Europäischen Verfassung sein. J. Hofmann hat für diese Verfassung 1988 einen Vorschlag unterbreitet, der sich an deutsche Vorbilder anlehnt: "I. Den kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften der Unionsstaaten wird das Recht auf Selbstverwaltung und Finanzautonomie im Rahmen der Gesetze nach Maßgabe des Prinzips der Subsidiarität gewährleistet.
2. Den Gebietskörperschaften steht bei allen sie betreffenden Entscheidungen der Union und der Unionsstaaten ein Inforrnations- und Beratungsrecht zu. Dieses wird durch von den Gebietskörperschaften zu bildende Ausschüsse wahrgenommen.,,137
Er schließt damit eine Lücke, die die Entwürfe von 1984, 1990 und 1994 gelassen haben. 138 Den Schutz dieser Garantie will er einem Unionsverfassungsge133 Vgl. H.-W. Rengeling, ZG 1994,277 (287f.) 134 Vgl. A. Faber, DVBI. 1991, 1126 (1129) m.w.N.; H. Heberlein, DVBI. 1994, 1213 (1214). 135 Vgl. H.-J. Blanke, aaO, S. 825; H. Heberlein, aaO, S. 1219; sowie die Länderberichte in: E-L. Knemeyer (Hrsg.), Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 1989, S. 63 ff.. 136 Vgl. NierlUlus-Stem, Regionalprinzip und Sparkassenhoheit im europäischen Bankenbinnemarkt, 1992,215; H. Heberlein, aaO, S. 1219. 137 In: E-L. Knemeyer (Hrsg.), aaO, S. 211 (220) 138 Entwurf des Europäischen Parlaments für einen Vertrag zur Gründung der europäischen Union vorn 14. 2. 1984 (Spinelli-Entwurt), Bull. EG, 2-1984, 1.1.2., abgedruckt bei W. Weidenfeld (Hrsg.), Wie Europa verfaßt sein soll, 1991, S. 354ff.; Entschließung zu den
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richtshof anvertrauen, den auch kommunale Gebietskörperschaften anrufen könnten, was ihnen bisher beim Europäischen Gerichtshof nicht gestattet ist. Der Vorschlag ist in Details auf Kritik gestoßen l39 ; er mag sicher verbesserungsfähig sein. Doch es zeichnet ihn aus, daß er ein Defizit im Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der Europäischen Union beseitigt, das nach meinen Ausführungen jedermann klar geworden sein dürfte und mittlerweile allenthalben beklagt wird. Kommunale Belange profitieren heute zunehmend davon, daß sich Gegengewichte zum Brüsseler Sog der Zentralisierung herausbilden, weil der Wert bürgernaher Politik immer mehr anerkannt wird, aber es fehlt eine zureichende Absicherung dieser Belange. Für die politische Zielrichtung der europäischen Kommunalpolitik folgt daraus das Gebot, den positiven Trend aufzunehmen und zu verstärken, um langfristig die Verankerung der kommunalen Selbstverwaltung im primären Gemeinschaftsrecht zu erreichen, darüber hinaus in einer künftigen europäischen Verfassung, die die Verträge überwölbt. Dafür heißt es zunächst für die Gemeinden und Gemeindeverbände, durch die Beteiligung auf europäischer Ebene Fuß zu fassen und gleichzeitig den Kernbereich kommunaler Eigenverantwortlichkeiten gegen europäische Einwirkungen zu sichern. Die Mitgliedsstaaten, in denen ein dem deutschen Recht entsprechender Standard der kommunalen Selbstverwaltung noch nicht erreicht ist, müssen allmählich an diesen herangeführt werden. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte bei der nach Art. N Abs. 2 EUV für 1996 vorgeschriebenen Konferenz zur Weiterentwicklung des Vertrags von Maastricht getan werden. Wenn auf diese Weise der Begriff der kommunalen Selbstverwaltung feste Konturen in der europäischen Rechtsentwicklung gewonnen hätte, könnte ein kommunaler Garantieartikel diese Entwicklung in einer Europäischen Verfassung verfestigen. 140 Mag in der Europäischen Union die Rücksichtnahme auf regionale und lokale Institutionen der Mitgliedsstaaten noch unterentwickelt sein, so hat doch der gesamte Integrationsprozeß und gerade die sich um den Vertrag von Maastricht rankende Europa-Skepsis bewiesen: Bürgernahe und identitätsstiftende Strukturen sind auch in Zukunft notwendig, ihre freiheitlich-demokratische und gewaltenteilende Funktion ist durch nichts zu ersetzen. Garant dafür ist ein nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgebautes Gemeinwesen, in dem die kommunale Selbstverwaltung ihren Platz behält. Damit kommunale Selbstverwaltung ihre Vitalität bewahren und einer schleichenden Aushöhlung entgehen kann, darf man ihre Träger verfassungsmäßigen Grundlagen der EU, Europäisches Parlament, Sitzungsdokument A30301190,13. 11. 1990, abgedruckt W. Weidenfeld, aaO, S. 170ff.; Zweiter Bericht des Institutionellen Ausschusses über die Verfassung der europäischen Union, Sitzungsdokument des EP vorn 9. 2. 1994, PE (203.601lendg.), dazu M. Hilf, integration 1994, S. 68 ff. 139 H.-w. Rengeling, DVBI. 1990,893 (900); G. Seele, Der Kreis aus europäischer Sicht, 1991, S. 334f. 140 Vgl. H. Heberlein, aaO, S. 1221.
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nicht in ein zu enges Korsett von Regelungen zwängen. Um Regelungsdichte und -intensität auf ein vernünftiges Maß zu bringen, muß unter Mitwirkung des Ausschusses der Regionen das Subsidiaritätsprinzip mit Leben gefüllt und tatkräftig umgesetzt werden, d. h. vor allen Dingen, eine präzisere Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedsstaaten einschließlich ihrer Untergliederungen zu schaffen. Die unterschiedlichen Ausgangslagen in den Mitgliedsstaaten und die finale Ausrichtung der Gemeinschaftskompetenzen verhindern allerdings einen enumerativen Aufgabenkatalog nach dem Muster der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Hier sind umfangreiche wissenschaftliche Vorarbeiten erforderlich, um die bestehende Rechtslage zu verbessern. Hier sollte das Institut mit einer europäisch zusammengesetzten Konferenz zu Fragen des Schutzes der kommunalen Selbstverwaltung aufwarten. Zentrale Bedeutung hat weiter die Finanzausstattung der Kommunen. Wenn die Verweigerung eigener Einnahmen die wirksamste Maßnahme zur Eindämmung Brüsseler Maßnahmen ist, weil die Gemeinschaften dann immer "lästige Kostgänger" bleiben,141 so ist umgekehrt den Kommunen in der anstehenden Reform der Gemeindefinanzen die Finanzausstattung zu gewährleisten, die sie zur eigenverantwortlichen Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen. Nicht zuletzt müssen die Regionen verstärkt in den Prozeß der Formulierung und Ausgestaltung sie betreffender europäischer Politiken eingebunden werden, sei es direkt auf europäischer Ebene, sei es im Rahmen der innerstaatlichen Willensbildung. Dazu gehört die Beteiligung an der Rechtsetzung wie auch an Einzelentscheidungen zur Regional- und Strukturpolitik. Diese Beteiligung sollte jedoch nicht dazu führen, Einbußen bei originären Selbstverwaltungsaufgaben für kompensiert zu halten. Alles in allem geht es darum, nicht nur im nationalen Rahmen, sondern vor allem in der Europäischen Union eine "Subsidiaritätskultur" zu entwickeln und das Rätsel Subsidiarität so zu interpretieren, daß es für alle, die in Brüssel etwas zu sagen haben, verständlich wird. Lassen Sie mich schließen mit den Worten eines großen Europäers, des Franzosen Jean Monnet, aus seinen Lebenserinnerungen: ,,Diejenigen, die nichts unternehmen wollen, weil sie nicht sicher sind, daß die Dinge so laufen, wie sie es im Voraus festgelegt haben, verdammen sich zur Immobilität. ... Man muß seinen Weg Tag für Tag gehen, wesentlich ist dabei, ein so klares Ziel zu haben, daß man es nicht aus dem Blick verliert.,,142 Das wünsche ich dem Kommunalwissenschaftlichen Institut in Potsdam.
141 142
Vgl. W. Möschel, NJW 1993,3025 (3028). J. Mannet, Erinnerungen eines Europäers, 1978, S. 661 f.
Die Neugestaltung der Kommunalverfassung im Land Brandenburg Von Michael Nierhaus, Potsdam
J. Einleitung Bevor ich mich dem eigentlichen Thema zuwende, möchte ich in einem kurzen, schraffierenden Überblick den spezifisch brandenburgischen Weg der Kommunalreform nachzeichnen. Angesichts der überwiegend aus dem hiesigen Lande stammenden Zuhörer mag diese Vorgehensweise überraschen, aus ihrer Sicht sogar überflüssig sein. Der Kreis der Teilnehmer an dieser akademischen Eröffnung des Kommunalwissenschaftlichen Institutes ist indes nicht auf das Land Brandenburg beschränkt. Chronistenpflicht, Selbstvergewisserung und eine innehaltende Standortbestimmung haben mich bewogen, einleitende Worte zur brandenburgischen Kommunalreform zu sagen. Diese Vorgehensweise gebietet nicht zuletzt der Respekt vor der mit landsmannschaftlichem - und sicherlich nicht unberechtigtem Stolz hervorgehobenen Eigenständigkeit des Weges, eben des spezifisch brandenburgischen Weges der Kommunalreform. I Ich selbst bin, nach Abschluß der Berufungsverhandlungen ein Jahr ungeduldig auf den Wechsel von Konstanz nach Potsdam wartend, sozusagen mitten in der Reform-Fahrt auf den Zug gesprungen. Die Vorbereitung der mir im Wintersemester 93/94 anvertrauten Vorlesung Kommunalrecht erfolgte auf der Grundlage des DDR-Kommunalverfassungsgesetzes (KVG) vom Mai 1990. Als ich die Vorlesung begann, machte die neue "Kommunalverfassung des Landes Brandenburg" vom Oktober 1993 meinen vorbereiteten Text (dieser war erforderlich, denn ich betrat ja Neuland) zwar nicht zur Makulatur, reduzierte ihn aber im wesentlichen auf rechtshistorische Aussagen. Gleichwohl war die Vorlesung nicht nur eine der lehrreichsten, sondern auch eine der schönsten. Ich fand mich unversehens in einer Schicksalsgemeinschaft wieder, einer Gemeinschaft der durch Wende- und Übergangsrecht mehr als leidgeprüften Studierenden und Lehrenden. Es kam zwangsläufig zu einer geradezu humboldtianischen Idealsituation : Hörer und Professor "lasen" gemeinsam mit der - mehr oder weniger geschulten - juristischen Brille ein zwar aus dem KVG a. F. hervorgegangenes, letztlich aber doch ein neues, mit dem Anspruch auf Eigenständigkeit ausgestattetes Gesetz: eine aus GemeindeordI
Ziel, LKV 1995, 1 ff.
1TI.
w. Nachw.
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nung, Landkreisordnung und Amtsordnung bestehende voll kodifizierte Kommunalverfassung. Meine durch die Nord- und Süddeutsche Ratsverfassung geprägte Sichtweise des zwar nicht besserwissenden, aber unvermeidbar westlich verwurzelten Kommuna1rechtlers verwandelte sich zunächst in eine Denkweise des "Wossis". Erst gegen Ende der Vorlesung fand ich mich einigermaßen standfest auf dem Boden des brandenburgischen Kommunalrechts wieder - die Studenten hoffentlich auch. Lassen Sie mich nach dem, was man gemeinhin eine captatio benevolentiae nennt, zur Sache kommen.
11. Der brandenburgische Weg der Kommunalreform Anders als in den Ländern der alten Bundesrepublik Deutschland konnten sich im Land Brandenburg, wie auch in den anderen neuen Bundesländern, kommunale Strukturen nicht organisch entwickeln. 2 Als realsozialistischer Einheitsstaat kannte die DDR keine Gebietskörperschaften mit autonomen Befugnissen. In einem undemokratischen Zentralstaat hat eine eigenständige, bürgerschaftliche Selbstverwaltung keinen Platz. Ein mehr als 40 Jahre andauernder selbstverwaltungsloser Zustand und die Unfähigkeit zu selbständigem Verwaltungshandeln waren die Folgen. 3 Die Wiedererrichtung der kommunalen Selbstverwaltung durch das Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise vom 17. 5. 1990 (KVG a. Ff bildete den Grundstein für den staatlichen Um- und Aufbau. 5 Nach der 2 Borchmann, VR 1993, 130ff.; umfassend K. König (Hrsg.), Verwaltungsstrukturen der DDR, 1991. 3 Siehe dazu Bemet, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/93, S. 27 ff.; G. Meder, Gemeindeordnung, Landkreisordnung, Amtsordnung für das Land Brandenburg, 1993, Einführung, S.8f. 4 GBI. DDR I 1990, S. 255; siehe dazu Bretzinger, Die Kommunalverfassung der DDR, 1994 m. ausf. Lit.-Verz.; dens./Büchner-Uhder, Kommunalverfassung - Handbuch für die kommunale Praxis in den neuen Bundesländern, 1991; G. Hoffmann, DÖV 1994,621 ff.; Kilimann (Hrsg.), Kommunalverfassung in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, 1990; Reiners, Kommunalverfassungsrecht in den neuen Bundesländern, 1991; Schlempp, Kommentar zur Kommunalverfassung für die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommem, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, 1990; Schidt-Eichstaedt, DVBI. 1990, 848 ff.; dens. I Petzoldl Melzer I Penig I Plate I Richter, Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung), Kommentar, 1990; Witte- Wegmannl Kleerbaum, Die Zukunft gestalten - Die neue Kommunalverfassung der DDR, 1990. 5 Zum Aufbau der Kommunalverwaltung in den neuen Bundesländern siehe H. Schneider, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/93 v. 3. 9. 1993, 5. 18 ff.; Knemeyer, (Hrsg.), Aufbau kommunaler Selbstverwaltung in der DDR, 1990; PüttnerlBemet (Hrsg.), Verwaltungsaufbau und Verwaltungsreform in den neuen Ländern, 1992; Hoesch, DtZ 1992, 139ff.; Melzer, DVBI. 1990, 404ff.; H. Wagner, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1991/92, S. 91 ff. mit einem informativen Bericht über Dresden.
Die Neugestaltung der Kommunalverfassung im Land Brandenburg
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Staatsverfassung war die Kommunalverfassung das wichtigste Landesgesetz. Es markiert den Beginn des von Brandenburg seit der Wende zügig und konsequent beschrittenen Weges zur Schaffung neuer Kommunalstrukturen. Im dünn besiedelten Land Brandenburg existierten 38 Landkreise, sechs kreisfreie Städte sowie 1.793 kreisangehörige Gemeinden, darunter nur 108 Städte. 6 Sowohl bei der Flächengröße der Landkreise als auch bei der Einwohnerzahl bestanden erhebliche Unterschiede. Brandenburg weist nach wie vor eine sehr hohe Anzahl von Kleinstgemeinden auf. Etwa 65% der Gemeinden hatten weniger als 500 Einwohner. In ca. 18% lebten 500 bis 1.000, in nur 7% zwischen 1.000 und 2.000 Einwohner. 7 Leistungsfähige Mittelzentren sind dünn gesät. Unter dem Strich waren 90% aller brandenburgischen Gemeinden nicht in der Lage, eine effektive Selbstverwaltung aufzubauen. Schon diese wenigen Zahlen belegen die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform. Der Aufbau der Landesverwaltung vollzog sich auf der Grundlage eines Gesamtkonzeptes der "schlanken" Verwaltung mit fünf Schwerpunkten: erstens: Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden durch Ämterbildung; zweitens: Stärkung der Verwaltungskraft der Landkreise durch flächenmäßige Ausdehnung; drittens: Gründung unterer staatlicher Sonderbehörden ausschließlich zur Erledigung von Aufgaben, welche die Landkreise nicht erfüllen können; viertens: Gründung von Landesoberbehörden mit Aufgabenzuständigkeit für das ganze Land und unterstützender Funktion gegenüber der Ministerialdemokratie ;8 fünftens: Festlegung auf einen zweistufigen Landesstaatsaufbau ohne Mittelinstanzen mit Bündelungsfunktion. Den ersten wichtigen Schritt auf dem brandenburgischen Weg markiert der Beschluß eines Gesetzentwurfes der Landesregierung vom 29. 1. 1991, in dem auf eine allgemeine Verwaltungsgebietsreform verzichtet, eine Gemeindeverwaltungsreform und in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang damit eine Kreisgebietsreform beschlossen wurde. 9 Für die Ablehnung einer Gemeindegebietsreform sprachen vor allem drei Gesichtspunkte von erheblichem demokratischen, freiheitlichen und kontinuitätswahrenden Gewicht: Erstens sollten Existenz und Identität der Gemeinden erhalten bleiben; zweitens mußten die Gemeindevertretungen nicht aufgelöst werden; und schließlich konnten drittens die Bürgermeister im Amt blei6 Bernet, Die Verwaltungs- und Gebietsreform in den Gemeinden und Landkreisen der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, 1992, S. 88. 7 Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden 1992, S. 95 f.; Puttkamer, DNV Nr. 3/1992, 13f. 8 Ziel, LKV 1995, 1 (2). 9 Von den neuen Bundesländern plant lediglich Sachsen eine gesetzliche Gemeindegebietsreform; siehe Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 1994, S. 89 f.; Eggert, LKV 1995, 89ff.
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ben. 10 Das in zwei Artikeln gegliederte Landesorganisationsgesetz (LOG)ll enthielt in Art. 2 die Änderung des KVG a. F., das nach dem Einigungsvertrag 12 als fortgeltendes Recht der DDR in Kraft geblieben war. Damit war erstmalig eine brandenburgische Version der Kommunalverfassung kodifiziert. Um die Weichen für eine Gebietsreform zu stellen, wurden Vorschriften geschaffen, nach denen die Grenzen der Landkreise durch Eingliederung oder Ausgliederung von Gemeinden geändert, Landkreise aufgelöst oder neugebildet werden konnten. Die im Artikelgesetz über kommunalrechtliche Vorschriften im Land Brandenburg vom Dezember 1991 13 enthaltene Amtsordnung trug der Notwendigkeit Rechnung, daß bei den Gemeinden und den Kreisen durchgreifende Reformen unumgänglich waren. Als Voraussetzung für die beabsichtigte Kreisgebietsreform sollte die überwiegende Zahl der kreisangehörigen Gemeinden unter Beibehaltung ihrer Selbständigkeit in Ämtern zusarnmengefaßt werden, um ihre Verwaltungskraft als Grundvoraussetzung für die Wahrnehmung ihres Selbstverwaltungsrechts zu stärken. Während einige Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern einen Zusammenschluß anstrebten, um den Richtwert von 5.000 für eine amtsfreie Verwaltung zu überschreiten, zogen eine Reihe von Kleingemeinden im Umfeld kreisangehöriger Städte die Eingemeindung einem Anschluß an ein Amt vor. Darüber hinaus haben einige Gemeinden von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich von einer kreisfreien Stadt mitverwalten zu lassen, weil sie im Zuge der Kreisgebietsreform ohnehin beabsichtigen, sich in diese Stadt einzugliedern. 14 Damit neben den Ämtern auch größere Gemeinden gebildet oder durch Eingliederung (insbesondere in kreisfreie Städte) größere Verwaltungsräume geschaffen werden konnten, war schon zu diesem Zeitpunkt abzusehen, daß neben dem im September 1992 beschlossenen Ersten Gemeindegliederungsgesetz 15 weitere Neugliederungsgesetze folgen würden. Im November 1992 wurde das Zweite Gemeindegliederungsgesetz 16 beschlossen, im September 1993 das Dritte Gemeindegliederungsgesetz. 17 Vgl. Landtag Bbg., Plenarprot. v. 20. 3. 1991, S. 641 ff. Gesetz über die Organisation der Landesverwaltung v. 25. 4. 1991, GVBl. Bbg. 1991, S.148. 12 Anl. II, Kap. II, Sachgebiet B, Abschn. I. \3 GVBl. Bbg. 1991, S. 682; Art. 2. 14 Vgl. Landtag Bbg., LT-Drucks. 1/1058; Zur kommunalen Gebietsreform in den neuen Bundesländern insgesamt siehe Schmidt-Eichstaedt, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/93 v. 3.9.1993, S. 3ff.; Hoppe/Stüer, DVBl. 1992,641 ff.; Köstering, DÖV 1992,721 ff.; Knemeyer, DV 26 (1993), S. 273 ff.; Henneke, Der Landkreis 1994, 145 ff.; Bemet (FN 6); ders., LKV 1993, 393 ff.; Hendele, LKV 1993, 397 ff.; H. Meyer, Der Landkreis 1994, 15 ff.; Schneider/Voigt (Hrsg.), Gebietsreform in ländlichen Räumen. Eine Zwischenbilanz der kommunalen Gebiets- und Verwaltungsreform in den neuen Bundesländern, 1994. 15 GVBI. Bbg. 11992, S. 315. 16 GVBI. Bbg. I 1992, S. 482. 10
II
Die Neugestaltung der Kommunalverfassung im Land Brandenburg
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Der Landtag hat durch den Beschluß dieser drei Gesetze vielfältigen örtlichen Interessen an einer Veränderung der gemeindlichen Gebietsstruktur 18 Rechnung getragen. Dem Grundsatz folgend, daß Gebietsänderungen nur einvernehmlich durchgeführt werden sollten, regeln die Gemeindegliederungsgesetze ausschließlich diejenigen Fälle, in denen eine Gebietsänderung beschlossen wurde. In 131 Fällen wurde eine Neustrukturierung vorgenommen (43 Zusammenlegungen von kreisangehörigen Gemeinden, 63 Eingliederungen von kreisangehörigen Gemeinden in kreisangehörige Städte, 17 Eingliederungen von Gemeinden in kreisfreie Städte, sechs Ausgliederungs- und zwei Teilungsfälle). Davon waren nur etwa 7% der kreisangehörigen Städte und Gemeinden im Land Brandenburg betroffen. In Anbetracht dieser verhältnismäßig geringen Zahl kann nicht von einer umfassenden, schon gar nicht von einer staatlich verordneten Gebietsreform gesprochen werden. Die Ämterbildung war Ende 1992 abgeschlossen. 19 Insgesamt sind 158 Ämter gegründet worden. 56 Städte und Gemeinden entschieden sich für die Amtsfreiheit. Die Amtsordnung stellte drei Modelle zur Verfügung. Das Modell 1 (Aufbau einer eigenen Amtsverwaltung) wurde in 139 Fällen gewählt. In 20 Ämtern übernimmt eine über 5.000 Einwohner große amtsangehörige Gemeinde die Geschäftsführung für das Amt (Modell 2). Lediglich ein Amt wird von einer amtsfreien Gemeinde geführt (Modell 3).20 In nur 44 Fällen, d. h. 3% der insgesamt 1.808 kreisangehörigen Städte und Gemeinden mußte der Minister des Innern von seinem Recht Gebrauch machen, Gemeinden gegen ihren Willen Ämtern zuzuordnen. 21 Darin manifestiert sich ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit, die als Organisationsund positive Kooperationshoheit ein wesentliches Element der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie ausmacht. 22 Nicht in allen Bundesländern war eine derartige ministerielle Zurückhaltung zu verzeichnen. Ende 1992 wurde schließlich das durch Art. 98 Verf. Bbg. abgesicherte Gesetz zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte sowie zur Änderung weiterer Gesetze - Kreis- und Gerichtsneugliederungsgesetz (KGNG Bbg.) - verabschiedet: 23 Die 38 Landkreise wurden auf 14, die kreisfreien Städte von sechs auf vier reduziert, Eisenhüttenstadt und Schwedt I Oder verloren ihre Kreisfreiheit. 24 Damit
GVBI. Bbg. I 1993, S. 390. Vgl. Landtag Bbg., LT-Drucks. 111058. 19 Vgl. Minister des Innem des Landes Brandenburg, Ratgeber Amtsordnung, 1991; U. Schulze, Brandenburg Kommunal Nr. 2/3 1992,5. 20 Bernig, Brandenburg Kommunal Nr. 4 1992/93, 11. 21 Bernig, aaO. 17 18
Grundlegend Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979. GVBI. Bbg. I 1992, S. 546; in der Form eines Artikel - Gesetzes enthält das KGNG Bbg. das Gesetz zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte im Land Brandenburg (Art. I), die Änderung des Brandenburgischen Kreisgerichtsbezirksgesetzes (Art. 2) und die Änderung des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit (Art. 3). 22
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hatte das Land Brandenburg als erstes der fünf neuen Bundesländer die Kreisgebietsreform abgeschlossen. Es waren die Voraussetzungen für leistungsfahige Verwaltungseinheiten in Gestalt der 14 neuen Kreise geschaffen, die bei dem zweistufigen Aufbau des Landes Brandenburg wichtige Aufgaben zu übernehmen und zu koordinieren haben. Für die teilweise heterogen strukturierten Kreise sind Kreisentwicklungskonzeptionen dringend erforderlich. 25 Die Umlandkreise von Berlin sind relativ dicht besiedelt. Aufgrund der sozioökonomischen und kulturellen Dominanz Berlins war von vornherein klar, daß bei einer Gebietsreform der Landkreise Berlin mit seiner zentralen Lage ein gewichtiger Faktor sein würde, dessen Sogwirkung entgegenzuwirken galt. Die Stadt-Umland-Problematik von Berlin / Brandenburg wurde mit einem von Berliner Seite stark kritisierten sog. TortenstückmodeU 26 zu lösen versucht: Es wurden acht an Berlin angrenzende, heterogen strukturierte Sektoralkreise gebildet, die tief in das Landesinnere hineinreichen und deren Kreisstädte in möglichst großer Entfernung von der Bundeshauptstadt liegen (mit Ausnahme von Oranienburg in mittlerer bis randlicher Lage). Fünf ebenfalls an Berlin angrenzende, das ganze Land umfassende Planungsregionen27 sollen zusätzlich Strukturen schaffen, mit denen brandenburgische Interessen in institutionalisierter Zusammenarbeit durchgesetzt werden sollen. Daß die neuen Gebietszuschnitte - wie zu erwarten - nicht überall auf Gegenliebe gestoßen sind, belegen die von den Kreistagen vor dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erhobenen kommunalen Verfassungsbeschwerden. Die gegen die Zusammenlegung gerichteten Beschwerden wurden jedoch vom Verfassungsgericht als unbegründet zurückgewiesen. 28 Kommt es zu keinen verfassungsgerichtlichen Korrekturen, existieren im Land nach Abschluß der Ämterbildung und der Kreisgebietsreform insgesamt 232 hinreichend leistungsfähige Kommunal24 Zu dem nachfolgenden Sparkassenstreitverfahren siehe VerfG Bbg., OVBI. 1994, 857; dazu Nierhaus, EWiR 1994, 11 05 f. 25 Oazu Scherf, ONV Nr. 211994, 4 ff. 26 Siehe dazu SauberzweigISchmidt-Eichstaedt, Oie rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen einer gemeinsamen verbindlichen Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, Gutachten, Abgeordnetenhaus von Berlin, LT-Orucks. 1212357, S. 35 ff.; Hoffmannl Dill (Hrsg.), Berlin 2000. Beiträge zum Neubau der Verwaltung, Bd. 11: Region Berlin/Brandenburg; zur Einbindung der Komrnunalebene in diese Region Henneke, ebda, S. 177ff. Zur Kritik an diesem Modell: SauberzweigISchmidt-Eichstaedt, aaO, S. 78, 94; Köstering, OÖV 1992,721 (727); ders., OÖV 1994,238 (239); Scherf, aaO, 4 (5) unter Betonung der Notwendigkeit von Kreisentwicklungskonzeptionen im Land Brandenburg. 27 Vgl. FürstlKlingerlKnielinglMönneckelZeck, Regionalverbände im Vergleich: Entwicklungssteuerung in Verdichtungsräumen, 1990; siehe jetzt den Vertrag über die Aufgaben und Trägerschaft sowie Grundlagen und Verfahren der gemeinsamen Landesplanung zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg (Landesplanungsvertrag) v. 6. April 1995. 28 VerfG Bbg., LKV 1995,37 ff. (Kyritz und Pritzwalk); Urteil v. 15. 9. 1994 - Vffibg 3/ 93 - (Guben und Spremberg); vgl. auch BVerfG, LKV 1995, 187 ff.; 291 ff.; VerfG Sa., LKV 1995, 115 ff.; VerfG Sa.-An., LKV 1995,75 ff. = OVBI. 1994, 1420 (LS).
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verwaltungen, die nach Einschätzung der Landesregierung mit fortschreitender Konsolidierung und dem anstehenden Reformschritt der Funktionalreform in der Lage sein werden, Selbstverwaltungs- und auch staatliche Aufgaben effizient wahrnehmen zu können. 29 Damit die Kreistage sogleich mit ihrer Arbeit beginnen konnten, wurden die Kommunalwahlen in Brandenburg auf den 5. 12. 1993 vorgezogen. Die damit verbundene Verkürzung der Wahlperiode war durch zwingende Gründe des öffentlichen Wohls ausnahmsweise verfassungsrechtlich legitimiert. 30 Das Kreisneugliederungsgesetz (Art. 1 KGNG Bbg.) verzichtete zunächst darauf, die Namen der Kreise und die Sitze der Kreisverwaltungen festzulegen. Der Gesetzgeber setzte allzu mutig auf die Kompromißbereitschaft der Beteiligten. Tatsächlich ist es in keinem einzigen der Kreise zu einem Einvernehmen über den Kreissitz gekommen. Der Landtag mußte folglich 1993 durch 14 Einzelgesetze zur Bestimmung von Kreisnamen und Verwaltungssitze der neuen Landkreise selbst entscheiden. 3l Das daraufhin von der Volksinitiative "Kreisstadtentscheidung durch den Kreistag" angerufene VerfG Bbg. hat entschieden, daß die Kreissitzbestimmung - u. a. wegen des Landrates als untere staatliche Verwaltungsbehörde ein der Landesgesetzgebung zugängliches Anliegen ist. Die Festlegung des Kreissitzes sei allerdings keine der Entscheidung der Landesregierung vorbehaltene Frage der Einrichtung einer staatlichen Behörde. Der Gesetzgeber könne - entgegen § 10 Abs. 3 LKrO Bbg. - diese Entscheidung durchaus dem Kreistag überlassen. Deshalb ist diese Frage zugleich zulässiger Gegenstand eines Volksbegehrens nach Art. 75 ff. Verf. Bbg. 32 Ein weiterer Meilenstein auf dem brandenburgischen Weg ist das bereits erwähnte Gesetz über die "Kommunalverfassung des Landes Brandenburg" vom 15. 10. 1993. 33 Die Gesetzgebungsbefugnis leitete sich in Übereinstimmung mit Art. 30, 70 GG aus § 100 KVG a. F. ab, wonach mit der Bildung der Länder die weitere Ausgestaltung der Kommunalgesetzgebung in die Kompetenz der Landtage übergeht. Beschlossen wurde die neue Kommunalverfassung wiederum in Gestalt eines Artikelgesetzes: Art. 1 enthält die Gemeindeordnung, Art. 2 die Landkreisordnung und schließlich Art. 3 die Amtsordnung für das Land Brandenburg. 34 Siehe Ziel, LKV 1995, 1 (3). So auch Hauck, LKV 1992,361 ff. 31 GVBI. Bbg. I 1993, S. 142. 32 VerfG Bbg., Urteil v. 15. 90. 1994-2193 - (n. v.); Meder (FN 3), S. 32 ist demgegenüber der Auffassung, daß die Kreissitzgesetze einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten. Der Landtag lehnte den Gesetzentwurf der Volksinitiative in seiner 4. Sitzung am 15. 12. 1994 ab (GVBI. Bbg, 11995, S. 7). 33 GVBI. Bbg. I 1993, S. 398. 34 Ausführlich dazu Nierhaus, LKV 1995, 5ff. m. w. Nachw.; Kleerbaum, Brandenburger Kommunalverfassung, 2. Auf!. 1995; SundermannlMiltkau, Kommunalrecht Brandenburg 1995. 29
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Während sowohl Gemeinde- als auch Landkreisordnung zu umfassend durchnormierten Kommunalgesetzen ausgestaltet wurden, blieb die bereits 1991 beschlossene Amtsordnung 35 weitgehend unverändert. 36 An die Kreisgebietsreform muß sich eine umfassende Neuverteilung der Verwaltungsaufgaben anschließen, und zwar in zweifacher Hinsicht: Einerseits zwischen den kommunalen Gebietskörperschaften untereinander, andererseits zwischen den staatlichen Behörden (insbesondere den Landesoberbehörden) und den Kommunalkörperschaften. Nach dem nur in der bayerischen Verfassung ausdrücklich verankerten Staatsaufbauprinzip der "Demokratie von unten nach oben" (Art. 11 Abs. 4) und dem Gedanken bürgernaher Verwaltung sind Aufgaben von der Landesverwaltung auf die Landkreise und kreisfreien Städte sowie von den Landkreisen auf die Ämter und amtsfreien Gemeinden zu übertragen. Um für diese Funktionalreform einen festen Rahmen zu haben, ging ihr die Kreisgebietsreform konzeptionell und zeitlich voraus?7 Im Oktober 1993 wurde auf Beschluß der Landesregierung eine Kommission ,,Funktionalreform" gebildet. Aufgabe dieser Kommission war es, die Funktionalreform sachverständig zu begleiten, die kommunalen Gebietskörperschaften beim Aufbau neuer Strukturen zu unterstützen und Kommunalisierungsvorschläge zu machen. 38 So hat die Kommission die wichtigen Gesetzgebungsvorhaben wie das Erste Funktionalreformgesetz vom 16. 6. 1994 mit Übergang der Aufgaben der staatlichen Kataster- und Vermessungsämter auf die Landkreise und kreisfreien Städte (zum 1. 1. 1995) und den Grundsätzen der Funktionalreform begleitet und z. T. auch maßgeblich geprägt. 39 Die Zielvorgabe für die weitere Durchführung der Funktionalreform lautet: "Verwaltungs aufgaben sind möglichst orts- und bÜfgemah zu erfüllen. Dabei ist eine größtmögliche Bündelung vor Ort anzustreben und der Grundsatz der Einräumigkeit der Verwaltung zu beachten" (§ 11. FRGG Bbg.). Am 28. 60. 1994 folgte die Verabschiedung des Zweiten Funktionalreformgesetzes zur Neuordnung der Aufgabenverteilung zwischen dem überörtlichen Träger und den örtlichen Trägem der Sozialhilfe. 4O Damit ist die Grundlage und ein Anfang für eine Neuverteilung der Verwaltungsaufgaben Vgl. FN 19. Nierhaus, LKV 1995,5 (6). 37 Zu den Bestimmungsfaktoren für die Gebiets- und Funktionalreform in den neuen Bundesländern siehe Henneke, NVwZ 1994, 555ff.; Köstering, DÖV 1994, 238ff.; Muth, Brandenburg Kommunal Nr. 9 1994,2 ff.; Ziel, Grundlagen der Funktionalreforrn im Land Brandenburg, 1993; Bericht der Kommission Funktionalreforrn, 1994 (Brandenburg); Siedentopf, DÖV 1994, 91Of. (Thüringen); H. Meyer, LKV 1994, 422ff.; Gomas, Funktionalreforrn in Mecklenburg-Vorpornrnern, 1993; Zöllner, DNV Nr. 3 1993, 14f.; H. Meyer, LKV 1993,399 (402); Sponer, LKV 1995, 108 (109) -Sachsen. 38 Zum Abschlußbericht Muth/Zeidler, Brandenburg Kommunal Nr. 10/11 1994, 6ff.; ferner Ziel, LKV 1995, 1 (3); siehe auch FN 37. 39 GVBl. Bbg. I 1994, S. 230; dazu Muth/Zeidler, Brandenburg Kommunal Nr. 10/11 1994, S. 6. 40 GVBl. Bbg. I 1994, S. 382; dazu Uebler/Heinze, Brandenburg Kommunal Nr. 10111 1994,9 ff. 35
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zwischen der staatlichen, kreiskommunalen und kommunalen Ebene geschaffen. Zugleich wurde eine zeitliche Vorgabe für den Abschluß der Funktionalreform gesetzt: Die Aufgabenübertragung soll spätestens zum 1. 1. 1997 abgeschlossen sein. Um das Ziel einer sachgerechten, bürgernahen und effizienten Verwaltungsarbeit zu erreichen, wurde bei der Funktionalreform auf die mittlere staatliche Ebene (Regierungspräsidien) mit ihrer Bündelungsfunktion verzichtet. Demgegenüber wird der mit der Gebietsreform eingeschlagene Weg präferiert: Starke Kreise sollen überörtliche, ausgleichende und ergänzende Aufgaben wahrnehmen, die bisher beim Staat lagen. Dabei soll dem Grundsatz der Einheit der Verwaltung 41 folgend von der Aufrechterhaltung bzw. Schaffung staatlicher Sonderbehörden weitgehend Abstand genommen werden. 42 Mit der (umstrittenen) gesetzlichen Aufgabenprivilegierung Großer (ab 45.000 Einwohner) und Mittlerer (ab 25.000 Einwohner) Städte und Ämter wurde begonnen. 43 Insgesamt kann festgestellt werden, daß nach der Bildung leistungsfähiger Ämter und Landkreise die Vollendung der Funktionalreforrn die wichtigste Aufgabe bleibt. Mit der Erfüllung dieser Aufgabe wird die (vorerst?) letzte Etappe auf dem brandenburgischen Weg zur Kommunalreforrn erreicht sein. Die Fehler des Westens mit teilweise überzogenen Gebietsreformen vermieden zu haben, war gut. Mutig war die Aufrechterhaltung kleiner Gemeinden. Die zunehmend dichter reglementierte und kostenträchtige Leistungsverwaltung läßt in mir allerdings die Sorge wachsen, ob auf diesem Wege fortgeschritten werden kann. 44
Irr. Verfassungsrechtliche Grundlagen
(Art. 97fT. Verf. Bbg., Art. 28 Abs. 2 GG) Die verfassungsrechtlichen Grundlagen (1.) und die sog. Ergänzungsgarantien (2.) der kommunalen Selbstverwaltung sind in den Art. 97 ff. Verf. Bbg. geregelt.
1. Die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung Im 3. Hauptteil 4. Abschnitt wendet sich die brandenburgische Verfas,